Transparenz von Zuwendungen bei der Kapitalanlage: Zum Spannungsfeld von Aufsichts- und Vertragsrecht [1 ed.] 9783428587513, 9783428187515

Seit fast 18 Jahre stehen die Aufklärungspflichten bezüglich Rückvergütungen, Innenprovisionen und Gewinnmargen und in d

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German Pages 350 [351] Year 2023

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Transparenz von Zuwendungen bei der Kapitalanlage: Zum Spannungsfeld von Aufsichts- und Vertragsrecht [1 ed.]
 9783428587513, 9783428187515

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Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 217

Transparenz von Zuwendungen bei der Kapitalanlage Zum Spannungsfeld von Aufsichts- und Vertragsrecht

Von

Julia Redler

Duncker & Humblot · Berlin

JULIA REDLER

Transparenz von Zuwendungen bei der Kapitalanlage

Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen

Band 217

Transparenz von Zuwendungen bei der Kapitalanlage Zum Spannungsfeld von Aufsichts- und Vertragsrecht

Von

Julia Redler

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahr 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

ISSN 1614-7626 ISBN 978-3-428-18751-5 (Print) ISBN 978-3-428-58751-3 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für David

Vorwort Die vorliegende Arbeit begann ich während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Dr. Stefan Grundmann, LL. M. (Berkeley) und schloss diese während meiner Tätigkeit als Richterin am Amtsgericht Potsdam ab. Sie wurde im Wintersemester 2021/2022 von der Juristischen Fakultät der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen. Die Rechtsprechung und Literatur wurden bis Oktober 2022 berücksichtigt. Es war eine lange, herausfordernde, aber auch persönlich sehr bereichernde Zeit, während der diese Arbeit entstand. Aber wie hat Max Frisch schon geschrieben: „Alltag ist nur durch Wunder erträglich“ und die Arbeit ist dann doch neben einem turbulenten Alltag und einiger Wunder fertig geworden. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Florian Möslein, LL. M. (London). Er hat mir größtmöglichen Freiraum für mein wissenschaftliches Arbeiten eingeräumt und gleichzeitig durch anregende Gespräche und auch konstruktive Kritik eine sehr gute Betreuung gewährleistet. Auch danke ich ihm für seine Geduld und das Vertrauen darin, dass ich diese Arbeit fertigstellen werde. Ebenso danke ich auch Prof. Dr. Sebastian Omlor, LL. M. (NYU), LL. M. Eur. für seine engagierte Zweitkorrektur. Darüber hinaus gilt ein weiterer besonderer Dank Prof. Dr. Dr. Stefan Grundmann, LL. M. (Berkeley), an dessen Lehrstuhl ich zunächst als studentische Mitarbeiterin und später dann als wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet habe und so überhaupt erst mein besonderes Interesse am Bank- und Kapitalmarktrecht entdecken konnte. Ferner danke ich den Herausgebern für die Aufnahme in diese Schriftenreihe. Schließlich bedanke ich mich herzlich bei meinen Freunden und Kollegen für ihre Unterstützung und Inspiration. Besonders danke ich meinen guten Freundinnen Anne-Christin Mittwoch und Astrid Sophie Fleisch, die durch konstruktive Anregungen und hilfreiche Gespräche zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Von ganzem Herzen danke ich David Dittberner für seine Unterstützung. Er hat durch sein Verständnis, seine Geduld sowie konstruktiven Gespräche und seine Ermunterungen zur Fertigstellung der Arbeit beigetragen. Ihm ist die Arbeit gewidmet. Von selbst versteht sich der Dank für die persönliche Unterstützung durch meine Familie. Abschließend danke ich meinen wunderbaren Kindern, Ludwig und Leonore, für ihre Geduld in der Endphase bei der Fertigstellung der Arbeit, der Disputation und Publikation. Berlin, im Februar 2023

Julia Redler

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Grundlagen und Grundfragen

15

I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Anlass der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Urteil des Bundesgerichtshofes vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 . . . . . . . . . . . . . . . 20 1. Sachverhalt und Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 b) Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 a) Aufklärungspflicht in Bezug auf Innenprovisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 b) Verhältnis von Aufsichtsrecht und Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 c) Statuierung eines umfassenden Transparenzgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 d) Umfang und Reichweite der richterlichen Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . 33 e) Zuständigkeit des Bundesgerichtshofes bezüglich der Auslegung von Normen, die auf europarechtlichen Vorgaben beruhen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 III. Zusammenfassung und Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

2. Kapitel Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge im Bereich der Kapitalanlageberatung

39

I. Interessenwahrungsverträge im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Allgemeine Klassifikation der Vertragstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Austauschverträge geprägt von einem Interessengegensatz . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Kooperationsverträge geprägt von einer Interessengleichrichtung . . . . . . . . . . . 42 c) Interessenwahrungsverträge geprägt von einer Interessenwahrungspflicht stricto sensu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Auftrag §§ 662 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Abgrenzung Gefälligkeit und Gefälligkeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

10

Inhaltsverzeichnis b) Vertragsgegenstand: Geschäftsbesorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 aa) Trennungstheorie bzw. Diskrepanztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 bb) Einheitstheorie bzw. Kongruenztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 cc) Funktionale Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 c) Vertragspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 aa) Pflichten des Beauftragten unter besonderer Berücksichtigung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 bb) Pflichten des Auftraggebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Geschäftsbesorgungsvertrag § 675 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Vertragsgegenstand nach § 675 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) allgemeine Vertragspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 c) Interessenwahrungspflicht stricto sensu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

II. Besondere Interessenwahrungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Anlageberatungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Begriff und Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 aa) Haftung für Rat oder Empfehlung nach § 675 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . 66 bb) Allgemeiner Bankvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 cc) (Konkludenter) Beratungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Zivilrechtliches Pflichtengefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 aa) Anlegergerechte Beratung („Know your customer“-Grundsatz) . . . . . . . . . 77 (1) Beratungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (2) Informations- und Auskunftspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (3) Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (4) Hinweis- und Warnpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 bb) Anlagegerechte Beratung („Know your product“-Grundsatz) . . . . . . . . . . . 81 cc) Bedeutung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu . . . . . . . . . . . . . . . . 82 dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 c) Haftung und Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen Beratungspflichten . . . . . . 83 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Effektengeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 a) Finanzkommissionsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Festpreisgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 c) Zivilrechtliches Pflichtengefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 aa) Kommissionsgeschäft §§ 383 ff. HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (1) Pflichten des Kommissionärs unter besonderer Berücksichtigung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Inhaltsverzeichnis

11

(2) Pflichten des Kommittenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 bb) Kaufvertrag §§ 433 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 cc) Bedeutung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu . . . . . . . . . . . . . . . . 94 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3. Treuhandvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Vertragsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c) Vertragspflichten des Treuhänders unter besonderer Berücksichtigung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Interessenwahrungspflicht stricto sensu im Rahmen von Treuhandverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Bedeutung und Auswirkung der treuhänderischen Interessenwahrungspflicht stricto sensu im Rahmen der Anlageberatung und Finanzkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 III. Schnittstellen und gemeinsame Grundprinzipien dieser Vertragstypen . . . . . . . . . . . . 107 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

3. Kapitel Die Bedeutung des Aufsichtsrechts für das vertragsrechtliche Pflichtengefüge im Bereich der Kapitalanlageberatung 111 I. Gegenstand und Regelungsziele des kapitalmarktrechtlichen Aufsichtsrechts . . . . . . 111 II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Gegenstand und Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Einordnung nach den klassischen Abgrenzungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 aa) Interessentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 bb) Subordinationstheorie bzw. Subjektionstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 cc) (Modifizierte) Subjektstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 dd) Weitere methodische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 ee) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Klassifikation als reines Aufsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 c) Klassifikation als Doppelnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 d) Klassifikation als Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Spannungsverhältnis zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht . . . . . . . . . . . . 155

12

Inhaltsverzeichnis 2. Einbeziehung der Wohlverhaltenspflichten aufgrund der Notwendigkeit der „Einheit der Rechtsordnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. „Ausstrahlungswirkung“ der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehungen 162 4. Einfluss im Wege einer europäischen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) WpDRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) MiFID I und MiFID-DRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 c) MiFID II und MiFID II-DRL und -DVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

4. Kapitel Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht am Beispiel der Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten bei der Aufklärung über Zuwendungen

193

I. Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten im Kapitalanlagerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Begriff des Interessenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Regelungskonzept im Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Interessenwahrungs- und Treuepflicht als Grundlage für den Umgang mit Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 b) Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . 198 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Regelungskonzept im Aufsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Interessenwahrungspflicht gemäß § 63 Abs. 1 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 b) Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten gemäß § 63 Abs. 2 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) Zuwendungsverbot gemäß § 70 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 4. Das Verhältnis des Umgangs mit Interessenkonflikten zum Grundsatz der Fremdinteressenwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 II. Interessenkonflikte im Kapitalanlagerecht – am Beispiel des Interessenkonflikts bei der Gewährung und Annahme von Zuwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Zuwendungen als Auslöser von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) Einführung in die Thematik des Zuwendungskonflikts und Hintergründe . . . . . 217 b) Rückvergütungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 aa) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 bb) Vertragsrechtliche Offenlegungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Inhaltsverzeichnis

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cc) Aufsichtsrechtliche Offenlegungspflicht gemäß § 70 WpHG . . . . . . . . . . . 229 dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 c) Innenprovisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 aa) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 bb) Vertragsrechtliche Offenlegungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 cc) Aufsichtsrechtliche Offenlegungspflicht gemäß § 70 WpHG . . . . . . . . . . . 234 dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 d) Gewinnmargen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 aa) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 bb) Vertragsrechtliche Offenlegungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 cc) Aufsichtsrechtliche Offenlegungspflicht gemäß § 70 WpHG . . . . . . . . . . . 240 dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 e) Besonderheiten der Honoraranlageberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2. Der Grundsatz der Transparenz als verbindendes Element von vertragsrechtlicher und aufsichtsrechtlicher Offenlegungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 III. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die zivilrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Offenlegungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 2. Aufsichtsrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 3. Vertragsrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 4. Deliktsrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 5. Herausgabepflicht von erhaltenen Zuwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

5. Kapitel Das Transparenzgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz zur Auflösung von Interessenkonflikten bei der Gewährung und Annahme von Zuwendungen im Kapitalanlagerecht

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I. Das Transparenzgebot als allgemeiner zivilrechtlicher Rechtsgrundsatz bei der Offenlegung von Zuwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 1. Das Transparenzgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Vertragsrechts . . . . . . 266 2. Allgemeines Transparenzgebot als Ausfluss der Interessenwahrungspflicht aus §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 1, 662, 675 BGB, §§ 383 ff. HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 3. Bedeutung des aufsichtsrechtlichen Transparenzgebotes für das vertragsrechtliche Transparenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 a) Wechselwirkungen zwischen dem vertragsrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Transparenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 b) Konsequenzen für das Verhältnis von Aufsichtsrecht und Vertragsrecht . . . . . . 273

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Inhaltsverzeichnis c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung im Kapitalanlagerecht . . . . . . . . 281 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 2. Der „verständige Anleger“ als Auslegungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 a) Grundlagen des kapitalmarktrechtlichen Informationsmodells und die Einflüsse der Verhaltensökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 b) Der Anleger im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 c) Der Anleger im Aufsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 d) Bedeutung des Anlegerbegriffs vor dem Hintergrund des Anlegerschutzes . . . . 297 aa) Institutioneller Anlegerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 bb) Individueller Anlegerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 cc) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 e) Anlegerschutz als Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 III. Mitbestimmung der Anlegererwartung und des Vertragsinhalts eines Anlageberatungsvertrages durch das allgemeine Transparenzgebot in Bezug auf die Offenlegung von Zuwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 2. Das Pflichtenprogramm des Anlageberatungsvertrages bezüglich der Offenlegung von Zuwendungen unter Berücksichtigung des umfassenden Transparenzgebotes 311 a) Die Anlegererwartung gem. §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu als Hauptpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 b) Die Bedeutung von Treu und Glauben gem. § 242 BGB als Nebenpflicht . . . . 313 c) Geltungsbereich des umfassenden Transparenzgebotes im Hinblick auf Zuwendungen in Form von Rückvergütungen, Innenprovisionen und Gewinnmargen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 3. Notwendigkeit der Kodifikation eines Anlageberatungsvertrages und insbesondere des Transparenzgebotes im BGB aus Aspekten der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

6. Kapitel Abschließende Bewertung

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

1. Kapitel

Grundlagen und Grundfragen I. Einführung 1. Anlass der Untersuchung „Wer sich kontinuierlich über Jahre hinweg mit Bank- und Kapitalmarktrecht befasst, stößt bald auf ein in anderen Rechtsgebieten nicht existierendes Phänomen: alle Jahre wird – man verzeihe mir den Ausdruck – eine neue Sau durchs Dorf gejagt.“1 Nach den Wucherzinsen „grauer“ Darlehensgeber in den Achtzigerjahren, der Mitverpflichtung mittelloser Angehöriger im Rahmen von Bürgschaftsverträgen und den darauffolgenden „Schrottimmobilienfällen“ stehen seit nunmehr fast 15 Jahren die Aufklärungspflichten bezüglich Rückvergütungen und Innenprovisionen im Fokus der Rechtsprechung.2 Nunmehr sind das umfassende Transparenzgebot und die damit einhergehende Transparenz von Zuwendungen im Kapitalanlagerecht in den Fokus gerückt. Der Streit um die Aufklärungspflicht bezüglich der Empfangnahme versteckter und offener Vertriebsvergütungen hat durch das Urteil des Bundesgerichtshofes3 vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 eine neue Dimension erreicht. Anlass und Ausgangspunkt für das hiesige Forschungsvorhaben ist dieses Urteil, welches vor dem Hintergrund der seit Jahrzehnten bestehenden Rechtsprechung zu den Rückvergütungen und Innenprovisionen im Rahmen der Kapitalanlageberatung erneut Stellung bezieht und eine uneingeschränkte Aufklärungspflicht bezüglich der Innenprovisionen unabhängig von deren Höhe ab dem 1. August 2014 festlegt.4 Eine uneingeschränkte Aufklärungspflicht in Bezug auf den Empfang von Rückvergütungen ist seit dem zweiten „Kick-Back“-Urteil des BGH vom 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/ 05 statuiert und anerkannt.5 Dabei sieht der XI. Zivilsenat einen vom Gesetzgeber mittlerweile nahezu flächendeckenden Transparenzgedanken im Aufsichtsrecht, insbesondere in § 31d WpHG a. F., nunmehr in § 70 WpHG, verankert, welcher 1

Nassall, jurisPR-BGHZivilR 15/2014 Anm. 1, S. 1. Nassall, jurisPR-BGHZivilR 15/2014 Anm. 1, S. 1. 3 Im Folgenden BGH. 4 BGH, Urt. v. 3. Juni 2006 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, 310 (314 – 322) = WM 2014, S. 1382 (1383 – 1386). 5 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 (234). 2

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1. Kap.: Grundlagen und Grundfragen

Ausdruck eines allgemeinen Rechtsprinzips und ein tragendes Grundprinzip des Aufsichtsrechts sei.6 Der Anleger könne nunmehr gemäß §§ 133, 157 BGB für die Bank erkennbar eine Aufklärung sowohl über Rückvergütungen als auch über Innenprovisionen im Rahmen des Beratungsvertrages erwarten.7 Bei der hier vorzunehmenden Untersuchung liegt das Hauptaugenmerk auf der Frage, wo und wie der allgemeine Rechtsgrundsatz eines umfassenden Transparenzgebotes dogmatisch zu verorten und mit Leben zu füllen ist.

2. Gegenstand der Untersuchung Das nahezu flächendeckende Transparenzgebot bezüglich der Aufklärung über Zuwendungen im Kapitalanlagerecht ist Gegenstand des vorliegenden Forschungsvorhabens. Die Arbeit skizziert die methodischen und rechtlichen Grundlagen, aus denen der XI. Zivilsenat das umfassende Transparenzgebot im Rahmen der Offenlegung von Zuwendungen herleitet. Darauf aufbauend finden eine dogmatische Begründung und Verankerung dieses umfassenden Transparenzgedankens statt. Die gesamte Untersuchung erfolgt vor dem Hintergrund einer zentralen Frage: Ist das aufsichtsrechtliche Prinzip der Transparenz zwingende Voraussetzung für die Begründung des umfassenden zivilrechtlichen Transparenzgebots im Rahmen der Offenlegung von Zuwendungen oder folgt dies schon unmittelbar aus dem zivilrechtlichen Grundsatz, dass bei Fremdinteressenwahrungsverträgen, wie Auftrag, Geschäftsbesorgungsvertrag und Treuhandvertrag, Interessenkonflikte zu vermeiden sind und der Interessenwahrungspflicht stricto sensu8 Ausdruck verliehen werden muss? Zu berücksichtigen sind dabei zunächst die Vorgaben der verschiedenen europäischen Richtlinien9, auf denen das Wertpapierhandelsgesetz vom 26. Juli 199410 und somit die Grundprinzipien des Aufsichtsrechts beruhen. Daneben sind jedoch die nationalen vertragsrechtlichen Grundsätze im Rahmen der Offenlegung von Zuwendungen von übergeordnetem Interesse. Der Fokus liegt dabei auf den folgenden im Rahmen der Kapitalanlage und Kapitalanlageberatung zugrunde liegenden Vertragstypen: dem Anlageberatungsvertrag und dem Finanzkommissionsgeschäft. 6 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, 310 (319 – 321) = WM 2014, S. 1382 (1385 – 1385). 7 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, 310 (321) = WM 2014, S. 1382 (1385). 8 Ausführlich zu dieser insbesondere Grundmann, Der Treuhandvertrag, § 4 S. 134, 166 – 169, § 5 und knapp Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/HGB, Rn. VI 202. 9 Insbes. Wertpapierdienstleistungs-Richtlinie 93/22/EWG vom 10. Mai 1993 Abl. L 141 vom 11. Juni 1993, S. 27 – 46; Finanzmarkt-Richtlinie (MiFID I) 2004/39/EG vom 21. April 2004 Abl. L 145 vom 30. April 2004, S. 1 – 88; Finanzmarkt-Richtlinie (MiFID II) 2014/61/EU vom 15. Mai 2014 Abl. L 173 vom 12. Juni 2014, S. 349 – 496. 10 BGBl. I S. 1794.

I. Einführung

17

Diese wiederum sind als Interessenwahrungsverträge und im Zusammenhang mit den Vorschriften zum Auftrag, Geschäftsbesorgungsvertrag und Treuhandvertrag zu untersuchen. Die Wechselwirkungen zwischen diesen Vertragstypen sind für die dogmatische Herleitung und Verankerung des Transparenzgebotes in Bezug auf die Offenlegung von Zuwendungen von herausragender Bedeutung. Neben diesem vertragsrechtlichen ist das aufsichtsrechtliche Pflichtenprogramm mit dem Hauptaugenmerk auf die Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG als öffentlichrechtliche Normen zu analysieren. Für die dogmatische Herleitung und Verankerung des Transparenzgebots stehen § 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG (§§ 31 ff. WpHG a. F.) sowie § 70 WpHG (§ 31d WpHG a. F.) als tragende Grundprinzipien des Aufsichtsrechts aufgrund der geforderten Interessenwahrungspflicht und der Offenlegungspflicht in Bezug auf Interessenkonflikte im Vordergrund. Der zivilrechtliche und aufsichtsrechtliche Komplex werden in Verbindung gesetzt und unter dem Dach des Transparenzgebots vereint. Dies führt zu zwei weiteren Schwerpunkten der Arbeit: zum einen das Erkennen, Vermeiden und Bewältigen von Interessenkonflikten und zum anderen das Spannungsverhältnis von Aufsichtsrecht und Vertragsrecht. In diesem Zusammenhang werden die Grundsätze zur Annahme und Offenlegungspflicht von Vertriebsvergütungen, namentlich Rückvergütungen und Innenprovisionen, sowie die Bedingungen, Grenzen und Auswirkungen der europarechtlichen Vorgaben auf das nationale Recht untersucht. Das Wechselspiel im Rahmen der Frage, ob das Aufsichtsrecht auf das Zivilrecht einwirkt oder dieses überlagert, betont die Verknüpfung von europäischen und nationalen Fragen und Auslegungen sowie von Einheit und Differenz im europäischen Rechtsraum. Der theoretische Rahmen der Arbeit umfasst mithin sowohl das Vertragsrecht als auch das öffentliche Recht und das Europarecht. Im Vordergrund der Untersuchung steht die Anlageberatung in Abgrenzung zu den Execution-Only-Geschäften und der Vermögensverwaltung. Dies rührt daher, dass das dieser Arbeit zugrunde liegende zentrale Urteil einen Fall der Anlageberatung zu entscheiden hatte. Dabei bleibt jedoch nicht außer Betracht, dass die Grundsätze auch in anderen Fällen der Kapitalanlage und Vermögensverwaltung Anwendung finden können. Methodisch erfolgt eine Auswertung der infrage stehenden richterlichen Rechtsfortbildung des XI. Zivilsenats in Bezug auf das Transparenzgebot sowie ihrer praktischen Konsequenzen. Durch die Statuierung eines umfassenden Transparenzgebots wird einer wichtigen Quelle für Nebeneinkünfte von Banken in gewisser Weise der Riegel vorgeschoben. Bereits in der Versicherungsbranche wurden Befürchtungen geäußert, dass eine uneingeschränkte Provisionsoffenlegung Arbeitsplätze gefährde und den Kunden verunsichere.11 Ob dies tatsächlich als ein berechtigter Einwand oder eine Sorge im Recht der Kapitalanlageberatung anzusehen 11 Gemeinsame Erklärung von GDV, PKV, den Vermittlerverbänden und ver.di vom 20. Juni 2014 – Provisionsoffenlegung verunsichert Kunden und gefährdet Arbeitsplätze!, abrufbar unter: www.bvk.de/oeffentlich/presse/bvk-pressemitteilungen/provisionsoffenlegung-verunsichert -kunden-und-gef-hrdet-ar, abgerufen am 21. März 2016.

18

1. Kap.: Grundlagen und Grundfragen

ist, bleibt zu untersuchen. So sprach Buck-Heeb12 schon im Jahr 2013 von der „Flucht“ aus dem Anlageberatungsvertrag. In der Tat gibt es gute Gründe, in der Praxis den Abschluss eines Anlageberatungsvertrages zu vermeiden; insbesondere die Haftungsrisiken für die Banken könnten dadurch scheinbar eingedämmt werden. Fakt ist jedoch zum einen, dass die Anforderungen an den Abschluss eines Anlageberatungsvertrages nach der Bond-Judikatur13 sehr niedrig sind. Es genügt, wenn der Anlageinteressent an eine Bank oder der Anlageberater einer Bank an einen Kunden herantritt, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden bzw. zu beraten.14 Viel wichtiger ist zum anderen, dass das Bedürfnis einer Anlageberatung vor Ort, d. h. u. a. in den Bankfilialen, bei dem einzelnen Anleger, trotz der vielfältigen Möglichkeiten der Anlageberatung mittels Robo Advisor15, einer Anlagevermittlung über Crowdinvesting16 oder diverser anderer Anlagemöglichkeiten 12

Buck-Heeb, ZIP 2013, S. 1401 – 1411. BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, S. 126 – 131. 14 BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, S. 126 (128). 15 Vgl. zu diesem: FinTech-Beiträge von Baumanns, FinTechs als Anlageberater? Die aufsichtsrechtliche Einordnung von Robo-Advisory, BKR 2016, S. 366 – 375; Feger, Herausforderungen des Robo Advice aus Sicht der Compliance Funktion nach WpHG, CB 2017, S. 359 – 362; Kumpan, Kapitalanlage durch Roboter – Regulierungsfragen, EuZW 2018, S. 745 – 746; Lins, Aufsichtsrechtliche Pflichten der digitalen Anlageberatung und Vermögensverwaltung, BKR 2020, S. 181 – 186; Oppenheim/Lange-Hausstein, Robo Advisor – Anforderungen an die digitale Kapitalanlage und Vermögensverwaltung, WM 2016, S. 1966 – 1973; Möslein/Lordt, Rechtsfragen des Robo-Advice, ZIP 2017, S. 793 – 803; Ders./Omlor, Die europäische Agenda für innovative Finanztechnologien, BKR 2018, S. 236 – 243; Ders., Innovative Finanztechnologien (FinTechs) im künftigen Europäischen Recht, JuS 2019, S. 294 – 299; Omlor, FinTech – Versuch einer begrifflichen und rechtssystematischen Einordnung, JuS 2019, S. 306 – 307; Rauch/Lebeau/Thiele, Steuerrechtliche sowie aufsichtsrechtliche Herausforderungen bei der Entwicklung hin zur automatisierten Anlageempfehlung (Robo Advice), RdF 2017, S. 227 – 242; Werner, Rat vom Roboter, DRiZ 2020, S. 153. 16 Vgl. zu dieser alternativen Finanzierungsform und der Haftungsproblematik die Beiträge von Buck-Heeb, Schwarmfinanzierungs-Gesetzgebung zwischen Zivil- und Aufsichtsrecht. Zur Haftung des Schwarmfinanzierungsdienstleisters, BKR 2022, S. 169 – 175; Herr/Bantleon, Crowdinvesting als alternative Unternehmensfinanzierung – Grundlagen und Marktdaten in Deutschland, DStR 2015, S. 532 – 539; Freitag/Wolf, Das Privatrecht des Crowdfunding nach Inkrafttreten der Schwarmfinanzierungsverordnung, WM 2021, S. 657 – 664; Dies., Das Kollisionsrecht des Crowdfunding nach der Schwarmfinanzierungsverordnung, WM 2021, S. 1009 – 1016; Hehn/Hehn, Crowdfunding als alternative Form der Unternehmensfinanzierung, GmbHR 2019, S. R87-R89; Klein, Nach dem Crowdfunding-Erfolg in die Krise. Eine Analyse der Ergebnisentwicklung von Crowdfunding-Projekten in Deutschland, KSI 2019, S. 251 – 256; Klein/Nathmann, Die EU-weite Regulierung des Crowdfunding-Markts – Vorstellung und Analyse des Vorschlags der EU-Kommission, BB 2019, S. 1158 – 1166; Klesen, Qualifizierter Rangrücktritt bei Crowdfunding, BKR 2021, S. 32 – 36; Krimphove, Keine Angst vor FinTechs – zivil-, internationalprivat- wie aufsichtsrechtliche Einordnung, BB 2018, S. 2691 – 2699; Kuthe/Dresler-Lenz, EU-Crowdfunding-Lizenz als wichtiger Vorstoß zum einheitlichen EU-Finanzmarkt, CB 2020, S. 471 – 475; Oppenheim/Bögeholz, Der qualifizierte Rangrücktritt in AGB – Zivilrechtliche Grenzen für Crowdfunding-Modelle? – Zugleich Anmerkung zu OLG München, Endurt. v. 25. 04. 2018 13 U 2823/17 (BKR 2018, 518 (rechtskräftig), BKR 2018, S. 504 – 507; Riethmüller, Auswirkungen des Kleinanlegerschutzgesetzes auf die Praxis der bankenunabhängigen Finanzierung, das Crowdinvesting und Crowdlending, 13

I. Einführung

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insbesondere über das Internet17, bestehen bleibt. Denn die Kenntnisse des einzelnen Anlegers, insbesondere des Privatanlegers, aber durchaus auch des professionellen Anlegers, reichen oft nicht aus, um gerade bei komplexen Anlageprodukten den Überblick zu behalten und die Vor- und Nachteile sicher abzuwägen. Darüber hinaus darf eine mögliche Schadensersatzhaftung wegen einer vorvertraglichen Pflichtverletzung gemäß §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB nicht aus dem Blick verloren werden. Denn es ist nicht fernliegend, dass auch bei Geschäften über das Internet, die vor allem das Ausführungsgeschäft im Wege der Kommission oder des Festpreisgeschäfts betreffen, Aufklärungspflichten bestehen und verletzt werden können.18 Vor diesem Hintergrund lässt sich ein „Tod“ des Anlageberatungsvertrages nicht prophezeien.

3. Gang der Untersuchung Nach der Einleitung im ersten Kapitel wird im zweiten Kapitel das zivilrechtliche Pflichtengefüge, insbesondere die vertragsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Statuierung eines umfassenden Transparenzgebots, untersucht. In diesem Zusammenhang sind die Wechselwirkungen der einzelnen im Rahmen der Kapitalanlage und Kapitalanlageberatung relevanten Vertragstypen, namentlich der Interessenwahrungsverträge des Auftrags, des Geschäftsbesorgungsvertrags, des Anlageberatungsvertrags, des Finanzkommissionsgeschäfts und des Treuhandvertrags, darzustellen. Im dritten Kapitel steht ganz allgemein die Bedeutung des Aufsichtsrechts für das vertragsrechtliche Pflichtengefüge im Mittelpunkt der Untersuchung. Das Zusammenspiel des Vertragsrechts und Aufsichtsrechts am Beispiel der Vermeidung und Offenlegung von Interessenkonflikten bei der Aufklärung über Zuwendungen wird im vierten Kapitel eingehender analysiert. Diese drei Kapitel dienen als Ausgangspunkt für das fünfte Kapitel, welches den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet. In diesem werden auf die vorhergehenden Ausführungen aufbauend die dogmatische Herleitung, Begründung und Verankerung des umfassenden Transparenzgebots als allgemeiner Rechtsgedanke zur Auflösung von Interessenkonflikten bei der Offenlegung von Zuwendungen analysiert. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den maßgeblichen Kriterien zur Bestimmung des Vertragsinhalts eines Anlageberatungsvertrags und der dogmatischen Verortung des Transparenzgebots im Rahmen der Anlegererwartung gemäß §§ 133, 157 BGB. Diese Analyse ist untrennbar mit DB 2015, S. 1451 – 1457; Veith, Crowdlending – Anforderungen an die rechtskonforme Umsetzung der darlehensweisen Schwarmfinanzierung, BKR 2016, S. 184 – 193; Uffmann, „Der Schwarm im Bürgerlichen Recht“ – Rechtsbeziehung zwischen Crowdinvesting-Plattform und Investor, JZ 2016, S. 928 – 937; Jansen/v. Kroge/Lakenbrink, Fremdfinanzierung durch „Crowdfunding“, NWB 2017, S. 1380 – 1396; Wellerdt, Die Digital Finance Strategy der Europäischen Kommission – ein erster Schritt in die richtige Richtung, EuZW 2021, S. 52 – 58. 17 Allgemein zum Einfluss der technischen Entwicklungen auf das private Bankrecht Früh, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn 1.28 und 1.38a. 18 Vgl. hierzu ausführliche Ausführungen im vierten Kapitel dieser Arbeit.

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1. Kap.: Grundlagen und Grundfragen

dem zu skizzierenden vorherrschenden Anlegerleitbild verbunden und erfolgt unter Maßgabe einer dogmatisch kohärenten Einordnung im Spannungsfeld zwischen Aufsichtsrecht und Zivilrecht.

II. Urteil des Bundesgerichtshofes vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 Über das Urteil des XI. Zivilsenats des BGH wurde viel Tinte vergossen, unter anderem dahingehend, dass dieses eine kapitalmarktrechtliche Zeitenwende19 markiere, einen grundlegenden Paradigmenwechsel der Rechtsprechung zur Aufklärungshaftung bezüglich der Bank zufließender Vertriebsvergütungen einleite20 und teilweise als eine der für die Zukunft wichtigste höchstrichterliche Entscheidung des Jahres 2014 angesehen werde21. Deutlich wird dies auch an der Rezeption des Urteils in den Medien. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 14. Juli 2014 heißt es, dass das Urteil salomonisch, ausgewogen und praxisgerecht sei22. In einem Onlinebeitrag der Süddeutschen Zeitung vom 24. Juli 2014 wird festgestellt, dass „der 110 Jahre dauernde erbitterte Kampf zwischen Bank und Kunde“23 nun entschieden sei und auf AnlegerPlus wird gefolgert, dass das letzte Hintertürchen der Provisionsverschleierung nun geschlossen sei24. Auch sei zutreffend entschieden worden, dass die Bank über den Erhalt sämtlicher Provisionen, ob nun Rückvergütungen oder Innenprovisionen, aufzuklären habe.25 Allerdings bleiben bei einem so bedeutenden Urteil auch kritische Stimmen nicht aus. So beginnt Freitag seinen Beitrag ganz lapidar mit dem Satz: „Bad cases make bad law.“26 Kritisiert wird in erster Linie, dass in dem zu entscheidenden Fall das Vorliegen einer Anlage sowie eines Beratungsvertrages zweifelhaft waren.27 Darüber hinaus wurde die Frage, ob 19

Dörfler/Waßmuth, EWiR 2014, S. 505 (505). Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1. 21 Zoller, GWR 2014, S. 515 (516); die Bedeutung des Urteils zeigt sich auch daran, dass es bereits im Rahmen untergerichtlicher Entscheidungen rezipiert wurde: LG Kiel, Urt. v. 27. November 2014 – 6 O 112/14 – juris; OLG Nürnberg, Urt. v. 9. Februar 2015 – 14 U 1191/ 12 – juris; LG Kiel, Urt. v. 5. August 2015 – 5 O 19/15 – juris. 22 www.faz.net/aktuell/finanzen/mein-finanzen/sparen-und-geld…tliche-provisionen-offen legen-13045524.html (abgerufen am 18. Juli 2014). 23 www.sueddeutsche.de/geld/2.220/transparenz-von-provisionen-fuer-bankberater-wieschmiergeld-1.2059687 (abgerufen am 26. Juli 2014). 24 www.anlegerplus.de/home/neues-urteil-zur-provisionsbasierten-anlageberatung/ (abgerufen am 22. Februar 2015). 25 Oppenheim, BKR 2014, S. 454 (455); Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 329 f., 334. 26 Freitag, ZBB 2014, S. 357 (357); so auch schon zur Rückvergütungsrechtsprechung in der Vergangenheit Habersack, WM 2010, S. 1245 (1251). 27 Buck-Heeb, WM 2014, S. 1601 (1601); Freitag, ZBB 2014, S. 357 (357); Geiger, ZJS 2014, S. 571 (572, 575). 20

II. Urteil des Bundesgerichtshofes vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12

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eine Aufklärungspflicht auch über Innenprovisionen in der Sache besteht, nicht ausdrücklich entschieden, sondern lediglich festgelegt, dass aufgrund des umfassenden Transparenzgebotes eine solche ab dem 1. August 2014 greife und davor ein unvermeidbarer Rechtsirrtum zugunsten der Banken bestanden habe.28 Hierin liegt für Wiechers die eigentliche Bedeutung der Entscheidung.29 Zudem wirke die Entscheidung des BGH in den Bereich richterlicher Rechtsfortbildung hinein und überschreite möglicherweise deren Grenzen.30 Kritisiert wird auch, dass der BGH zwar immer wieder betone, dass das Aufsichtsrecht keinerlei Einwirkung bzw. Ausstrahlungswirkung auf das Zivilrecht habe, aber aufgrund des postulierten nahezu flächendeckenden aufsichtsrechtlichen Transparenzgebotes die Trennung zwischen öffentlich-rechtlichem Aufsichtsrecht und Vertragsrecht aufhebe und dem Aufsichtsrecht so eine mittelbare Einflussmöglichkeit auf das Zivilrecht einräume.31 Darüber hinaus wurde bezüglich einer Aufklärungspflicht über Innenprovisionen und des diesbezüglichen unvermeidbaren Rechtsirrtums besondere Kritik mit sehr drastischen Worten von Nassall erhoben, der diese als letzten Ausweg des BGH und als notwendige Konsequenz ansieht, wenn das Rechtsgebäude rund um die Aufklärungspflichten in Bezug auf Zuwendungen außerhalb gesicherter dogmatischer Grundlagen errichtet werde: „Es bleibt einem nur noch der weisheitsgebundene Sprung aus dem Fenster.“32 Bevor jedoch auf die rechtliche und praktische Bedeutung dieses Urteils eingegangen werden kann, sind zunächst Gegenstand und Inhalt des Urteils darzustellen und darauf aufbauend die sich aus dem Urteil ergebenden Forschungsfragen zu skizzieren.

1. Sachverhalt und Entscheidungsgründe Dem Urteil des BGH vom 3. Juni 201433 ging in erster Instanz ein Urteil des LG Hamburg vom 3. Juli 200934 und in zweiter Instanz ein Urteil des Hanseatischen

28 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, 310 (316, 319) = WM 2014, S. 1383 (1384, 1385); Freitag, ZBB 2014, S. 357 (357); Maier, VuR 2014, S. 384 (386); Weck, BKR 2014, S. 374 (374). 29 Wiechers, WM 2015, S. 457 (461). 30 Balzer/Lang, BKR 2014, S. 377 (381); Omlor, LMK 2014, 361191; Zoller, BB 2014, 1805. 31 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 331, 333. 32 Nassall, jurisPR-BGHZivilR 15/2014 Anm. 1, Punkt D; etwas milder formuliert so auch Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 330. 33 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 – 323 = WM 2014, S. 1382 – 1386. 34 LG Hamburg, Urt. v. 3. Juli 2009 – 302 O 359/06 – juris.

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1. Kap.: Grundlagen und Grundfragen

OLG Hamburg vom 29. Februar 201235 voraus. Den Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: a) Sachverhalt Die beklagte Bank wurde vom Kläger auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung in Anspruch genommen. 1996 erzielte der Kläger einen erheblichen Erlös aus Veräußerung von Anteilen an einer Unternehmensgruppe. Nach vorangegangener Beratung durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten beteiligte sich der Kläger durch den Erwerb einzelner Grundstücksflächen an einer Bauverpflichtung der Verkäuferin zur Errichtung eines Einkaufs- und Erlebniszentrums auf diesen Grundstücken. Der Gesamtkaufpreis belief sich auf 52.175.000 DM und wurde durch ein Darlehen der Beklagten in Höhe von 24.000.000 DM mitfinanziert. Für die Vermittlung des Vertragsabschlusses erhielt die Beklagte von der Verkäuferin in den Jahren 1997 und 1998 eine Provision in Höhe von 1.350.000 DM. Am 1. April 2005 wurde über das Vermögen der Verkäuferin das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Rahmen seines Schadensersatzbegehrens berief sich der Kläger auf mehrere Aufklärungs- und Beratungsfehler. Zum einen rügte er die unterlassene Aufklärung bezüglich der in Empfang genommenen Provision und zum anderen eine zugesicherte Vollvermietung des Objekts, die tatsächlich nicht bestand. Der Kläger forderte einen Schadensersatz in Höhe des Nettokaufpreises von 26.676.656,90 E zuzüglich aufgewandter Darlehenszinsen in Höhe von 1.687.263,20 E Zug um Zug gegen Übertragung der erworbenen Grundstücke. Hilfsweise verlangte der Kläger einen Schadensersatz wegen der ausgefallenen Mietgarantie in Höhe von 2.964.429,54 E. Das Landgericht Hamburg hat den Schadensersatzanspruch dem Grunde nach wegen eines Beratungsverschuldens als gerechtfertigt angesehen.36 Eine Entscheidung bezüglich des In-Empfang-Nehmens der Vertriebsprovision erfolgte nicht, da nach der Auffassung des Landgerichts der festgestellte Pflichtverstoß bezüglich der Aussage, dass eine Vollvermietung des Objekts gegeben sei, ausreiche, um den Schadensersatz zuzusprechen.37 Die Berufung der Beklagten gegen das Grundurteil des Landgerichts Hamburg wurde vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg zurückgewiesen.38 Zum einen wurde die Beratungspflichtverletzung bezüglich der zugesicherten, tatsächlich jedoch nicht bestehenden Vollvermietung bestätigt.39 Zum anderen äußerte sich das Oberlandesgericht bezüglich einer Aufklärungspflicht über die erhaltene Vertriebsprovision der Beklagten und kam zu dem Schluss, dass es sich 35

Hanseatisches OLG Hamburg, Urt. v. 29. Februar 2012 – 13 U 152/09 – juris. LG Hamburg, Urt. v. 3. Juli 2009 – 302 O 359/06 Rn. 20 – zitiert nach juris. 37 LG Hamburg, Urt. v. 3. Juli 2009 – 302 O 359/06 Rn. 28 und 29 – zitiert nach juris. 38 Hanseatisches OLG Hamburg, Urt. v. 29. Februar 2012 – 13 U 152/09 Rn. 49 – zitiert nach juris. 39 Hanseatisches OLG Hamburg, Urt. v. 29. Februar 2012 – 13 U 152/09 Rn. 74 – 84 – zitiert nach juris. 36

II. Urteil des Bundesgerichtshofes vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12

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dabei um eine aufklärungsbedürftige Rückvergütung handle.40 Die Revision des Beklagten vor dem Bundesgerichtshof hatte aus den folgenden Gründen Erfolg: b) Entscheidungsgründe Im Rahmen dieses außergewöhnlichen Urteils hat der BGH nach Weck einen bemerkenswerten Spagat geschafft und mit einem sogenannten „Kniff“ eine umstrittene Rechtsfrage für die Vergangenheit offen gelassen und sie für die Zukunft als Kompensation auf einer neuen Ebene geregelt.41 Dies wird jedoch auch kritisch als „Sündenerlass“ für die Banken bewertet.42 Zunächst stellt der Bundesgerichtshof klar, dass eine beratende Bank ab dem 1. August 2014 den Kunden aufgrund eines Anlageberatungsvertrages über den Empfang versteckter Innenprovisionen vonseiten Dritter unabhängig von deren Höhe aufzuklären hat. Sodann nimmt er an, dass die Bank, soweit diese Aufklärung im Rahmen von Anlageberatungsverträgen vor dem 1. August 2014 unterblieben ist, ohne Verschulden handelte. Hierzu führt der BGH aus, dass die in Rede stehende Provision keine aufklärungspflichtige Rückvergütung ist.43 Denn dies sei eine regelmäßig umsatzabhängige Provision, die nicht aus dem Anlagevermögen, sondern aus offen ausgewiesenen Provisionen, wie zum Beispiel Ausgabeaufschlägen und Verwaltungsvergütungen, gezahlt werde.44 Es handelte sich in dem vom BGH zu entscheidenden Fall um eine versteckt aus dem Anlagebetrag gezahlte Innenprovision.45 Ob jedoch der Sache nach über eine solche Innenprovision aufzuklären sei, lässt der XI. Zivilsenat dennoch offen,46 da er aus zwei Gründen keinen Anlass für eine grundsätzliche Klärung sieht. Zum einen handelte die Bank – selbst bei unterstellter Aufklärungspflicht über Innenprovisionen in der Vergangenheit – aufgrund eines unvermeidbaren Rechtsirrtums ohne Verschulden im Sinne des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB.47 Aufgrund der Rechtsprechung des BGH, insbesondere des III. Zivilsenats, der eine Aufklärungspflicht bezüglich Innenprovisionen erst dann 40 Hanseatisches OLG Hamburg, Urt. v. 29. Februar 2012 – 13 U 152/09 Rn. 56 – 73 – zitiert nach juris. 41 Weck, BKR 2014, S. 374 (374). 42 www.anlegerplus.de/home/neues-urteil-zur-provisionsbasierten-anlageberatung/ (abgerufen am 22. Februar 2015). 43 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (314) = WM 2014, S. 1382 (1383). 44 BGH, Beschl. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, S. 925 (Rn. 23); BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, S. 159 (164, Rn. 17). 45 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (314) = WM 2014, S. 1382 (1383). 46 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (316, 319) = WM 2014, S. 1382 (1384, 1385). 47 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (316) = WM 2014, S. 1382 (1384).

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1. Kap.: Grundlagen und Grundfragen

annimmt, wenn die Provision eine Größenordnung von 15 % des Anlagebetrages übersteigt48, mussten die Banken mit einer von der Höhe unabhängigen Aufklärungspflicht über den Empfang von Innenprovisionen unter dem Gesichtspunkt der Interessenkollision bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht rechnen.49 Zum anderen konnte aufgrund des statuierten Transparenzgebots eine grundsätzliche Klärung der Frage, ob eine Aufklärungspflicht über Innenprovisionen besteht, unterbleiben. Es komme zukünftig nicht mehr darauf an, ob die Provisionen offen ausgewiesen oder im Anlagebetrag versteckt sind.50 Angesichts zahlreicher Gesetzesnovellen wurde der provisionsbasierte Vertrieb von Kapitalanlagen einem nahezu flächendeckenden – aufsichtsrechtlichen – Transparenzgebot unterworfen;51 insbesondere durch den im Rahmen des Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetzes (FRUG)52 vom 16. Juli 2007 eingeführten § 31d WpHG a. F., der zum 1. November 2007 in Kraft trat.53 Zuletzt folgte die Einführung des § 31 Abs. 4b WpHG a. F. durch das Gesetz zur Förderung und Regulierung einer Honorarberatung über Finanzinstrumente (Honoraranlageberatungsgesetz)54 vom 15. Juli 2013, welches zum 1. August 2014 in Kraft trat und ein grundsätzliches Annahmeverbot für Zuwendungen von Dritten enthält.55 Das vom Gesetzgeber durch diese Novellen verfolgte Ziel, mehr Transparenz über die Form der Vergütung der Anlageberatung zu schaffen, ändere nichts daran, dass die ausschließlich öffentlich-rechtlichen Wohlverhaltenspflichten der §§ 31 ff. WpHG a. F. grundsätzlich nicht auf das Schuldverhältnis einwirken.56 Der BGH nimmt jedoch an, dass der im Bereich des aufsichtsrechtlichen Kapitalanlagerechts nahezu flächendeckend verwirklichte Transparenzgedanke bezüglich der Zuwendungen Dritter bei der Bestimmung des Inhalts eines Anlageberatungsvertrages zu berücksichtigen sei.57 Dabei könne der Anleger für die Bank erkennbar eine entsprechende Aufklärung, im Rahmen des Beratungsvertrages und der Auslegung 48 BGH, Urt. v. 12. Februar 2004 – III ZR 359/02, BKR 2004, S. 195 (197 f.) (BGHZ 158, S. 110 (121); BGH, Urt. v. 25. September 2007 – XI ZR 320/06, BKR 2008, S. 199 (200 f.); BGH, Urt. v. 3. März 2011 – III ZR 170/10, WM 2011, S. 640 (Rn. 16). 49 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (318) = WM 2014, S. 1382 (1384). 50 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (319) = WM 2014, S. 1382 (1385). 51 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (319) = WM 2014, S. 1382 (1385). 52 BGBl. I S. 1330. 53 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (319) = WM 2014, S. 1382 (1385). 54 BGBl. I S. 2390. 55 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (320) = WM 2014, S. 1382 (1385). 56 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (321) = WM 2014, S. 1382 (1385). 57 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (321) = WM 2014, S. 1382 (1385).

II. Urteil des Bundesgerichtshofes vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12

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der Vertragserklärungen gem. §§ 133, 157 BGB, unter der Maßgabe, dass die Bank die tragenden Grundprinzipen des Aufsichtsrecht einhalte, erwarten.58 Dieses aufsichtsrechtliche Rechtsprinzip sei nunmehr Ausdruck eines nahezu flächendeckenden Rechtsprinzips bei der Auslegung der (konkludenten) Vertragserklärungen.59 Der Anleger könne jedoch nicht erwarten, dass sich die beratende Bank im gesamten Umfang ihrer öffentlich-rechtlichen Pflichten ohne Weiteres auch im individuellen Schuldverhältnis verpflichten wolle.60 Aufgrund dieses eine umfassende Geltung beanspruchenden Transparenzgebotes sei es nicht von Bedeutung, ob das konkrete Anlagegeschäft einer der genannten aufsichtsrechtlichen Ge- oder Verbote unterfalle.61 Darüber hinaus wurde festgestellt, dass rechtsfehlerhaft eine kausale Beratungspflichtverletzung hinsichtlich der vom Berater zugesicherten Vollvermietung vorlag.62 Weitere Ausführungen hierzu sind für die vorliegende Arbeit nicht von Bedeutung und unterbleiben.

2. Forschungsfragen Die Entscheidung des BGH vom 3. Juni 2014 wirft verschiedene Forschungsfragen auf. Die für diese Arbeit relevanten Aspekte und Fragen werden kurz skizziert und anschließend die dieser Untersuchung zugrunde liegenden Thesen formuliert. a) Aufklärungspflicht in Bezug auf Innenprovisionen Der Frage, inwiefern eine Aufklärungspflicht bezüglich Zuwendungen, ob nun Rückvergütungen oder Innenprovisionen als sogenannte Vertriebsvergütungen, besteht, war von jeher ein brisantes Thema und von großem Interesse im Rahmen des Rechts der Kapitalanlageberatung. Die Rechtsprechung beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit Aufklärungspflichten über die Vereinnahmung von Rückvergütungen, sog. „Kick-Backs“. Hervorzuheben ist, dass es sich beim vorliegenden Urteil um keine klassische „Kick-Back“-Entscheidung handelt, sondern das Urteil zur Aufklärungspflicht über Innenprovisionen Stellung bezieht und daher im Rahmen 58

BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (321) = WM 2014, S. 1382 (1385). 59 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (321) = WM 2014, S. 1382 (1385). 60 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (321) = WM 2014, S. 1382 (1385). 61 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (321 f.) = WM 2014, S. 1382 (1385 f.). 62 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (322) = WM 2014, S. 1382 (1386).

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1. Kap.: Grundlagen und Grundfragen

dieses Kontextes zu würdigen ist.63 Allerdings ist das Urteil vor dem Hintergrund der „Kick-Back-Joker“-Problematik64 und des damit einhergehenden „Trittbrettfahrer“Problems zu sehen: Einerseits hat eine Anlage die konkreten Erwartungen des Anlegers nicht erfüllt oder ist in seinen Augen „schiefgegangen“ und er verlangt nunmehr Kompensation um jeden Preis; andererseits warten einzelne Anleger ab, ob das gerichtliche Vorgehen anderer Anleger Erfolg hat, um sodann im Nachhinein „aufzuspringen“ und ebenfalls Rückabwicklungs- und Schadensersatzansprüche wegen mangelnder Aufklärung geltend zu machen.65 Die Frage, ob eine Aufklärungspflicht auch für Innenprovisionen besteht, war bislang umstritten und erfolgte stets in Abgrenzung zu den Rückvergütungen. Auf die einzelnen Aspekte dieser Differenzierung wird im vierten Kapitel dieser Arbeit detailliert eingegangen. Ausgangspunkt dieser Differenzierung ist die begriffliche Unterscheidung. Danach sind aufklärungspflichtige Rückvergütungen Teile der Ausgabeaufschläge oder Verwaltungsgebühren, die der Kunde über die Bank an den Emittenten der Kapitalanlage zahlt und die hinter seinem Rücken umsatzabhängig an die beratende Bank zurückfließen, sodass diese ein für den Kunden nicht erkennbares besonderes Interesse hat, diese Beteiligung zu empfehlen.66 Innenprovisionen sind hingegen nicht ausgewiesene Vertriebsprovisionen, die aus dem Anlagebetrag selbst gezahlt werden und keine Gegenleistung für die Schaffung von Sachwerten darstellen.67 An dieser Stelle ist zunächst nur festzuhalten, dass die Differenzierung auf folgendem wesentlichen Argument beruht: Bei den Innenprovisionen komme es nicht zu einer Gefährdung des Kundeninteresses aufgrund eines bestehenden Interessenkonflikts wie bei den Rückvergütungen, sondern maximal zu einer Fehlvorstellung über die Werthaltigkeit des Anlageobjekts, welche erst ab einer 15 %-igen Beteiligungssumme erheblich sei.68 Ob auch die Gewährung einer Innenprovision aufgrund eines bestehenden Interessenkonflikts der Bank aufklärungspflichtig ist, blieb in den Entscheidungen des BGH bislang offen und ist zudem im Schrifttum umstritten. Durch das in Rede stehende Urteil wurde der Frage die Entscheidungserheblichkeit zumindest für die Zukunft genommen, da durch die Gleichstellung von Rückvergütungen und Innenprovisionen die schwierige Ab63

Balzer/Lang, BKR 2014, S. 377 (377). Vgl. hierzu Ausführungen im vierten Kapitel dieser Arbeit und die Beiträge von Zoller, BB 2013, S. 520 – 524; Zoller, BB 2014, S. 1805. 65 Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 5 (14). 66 So etwa BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/06, BGHZ 170, S. 226 (234) oder BGH, Urt. v. 27. Oktober 2009 – XI ZR 338/08, ZIP 2009, S. 2380 (2383). 67 So etwa BGH, Urt. v. 12. Februar 2004 – III ZR 359/02, WM 2004, S. 631 (634) oder BGH, Urt. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3227 (3228). 68 Wiechers, WM 2012, S. 477 (481); BGH, Urt. v. 12. Februar 2004 – III ZR 359/02, WM 2004, S. 631 (635); BGH, Urt. v. 22. März 2007 – III ZR 218/06, WM 2007, S. 873 (874); BGH, Urt. v. 25. September 2007 – XI ZR 320/06, BKR 2008, S. 199 (201); BGH, Urt. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3227 (3228). 64

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grenzung nunmehr entfällt69. Die Lösung des BGH in Bezug auf die Frage einer uneingeschränkten Aufklärungspflicht über Innenprovisionen wird durch das Transparenzgebot und die Annahme eines unvermeidbaren Rechtsirrtums bezüglich der Aufklärungspflicht auch als dogmatischer „Kniff“ angesehen, der eine umstrittene Rechtsfrage für die Vergangenheit offen lässt und für die Zukunft auf einer neuen Ebene regelt und dabei den Anschein erweckt, dass der Zweck die Mittel heilige.70 Nach Ansicht von einigen Stimmen in der Literatur kommt es somit zu einem Paradigmenwechsel der Rechtsprechung im Hinblick auf die Aufklärungshaftung bei Vertriebsvergütungen, welcher zu einer „dogmatischen“ Wende führe und die „Kick-Back“-Rechtsprechung zur Rechtsgeschichte werden lasse.71 Denn im Mittelpunkt der Haftung steht nicht mehr der bestehende Interessenkonflikt der Bank, sondern der Transparenzgedanke.72 Die Aufgabe der gekünstelten und willkürlichen Differenzierung zwischen Rückvergütungen und Innenprovisionen wird von verschiedenen Vertretern im Schrifttum uneingeschränkt befürwortet.73 Genauso einhellig wird jedoch Kritik daran geübt, dass den Anlegern die Möglichkeit genommen wurde, die Altfälle zur Aufklärung über Innenprovisionen unter dem Aspekt der Interessenkollision überprüfen zu lassen, obwohl diese Frage nach wie vor für die Vergangenheit relevant und entscheidungserheblich sei und bleibe.74 Die Rechtsprechung zu den „Kick-Backs“ kann vor diesem Hintergrund wohl noch nicht vollends als Rechtsgeschichte betrachtet werden. Genau dieser Aspekt ist Anknüpfungspunkt für die folgende These: Bei der Gewährung von Innenprovisionen, den sogenannten versteckten Vertriebsvergütungen, bestehen aufklärungspflichtige Interessenkonflikte. Eine Lösung über den Aspekt eines bestehenden Interessenkonflikts auch bei der Vereinnahmung von Innenprovisionen wurde sowohl von der Rechtsprechung als auch vom Schrifttum gar nicht oder nur am Rande in Erwägung gezogen. Es ist zu bedenken, dass ein Exklusivitätsverhältnis zwischen Innenprovisionen, bei der eine Werthaltigkeitstäuschung im Vordergrund steht, und Rückvergütungen, die vordergründigen durch eine Unvoreingenommenheitstäuschung gekennzeichnet sind, gerade nicht besteht.75 69 Balzer/Lang, BKR 2014, S. 377 (377); Nassall, jurisPR-BGHZivilR 15/2014 Anm. 1, S. 1; Weck, BKR 2014, S. 374 (376); Zoller, GWR 2014, S. 515 (516). 70 Weck, BKR 2014, S. 374 (374). 71 Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1. 72 Maier, VuR 2014, S. 384 (384); Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1; Weck, BKR 2014, S. 374 (376). 73 Buck-Heeb, WM 2014, S. 1601 (1602); Edelmann, WuB I G 1. – 15.14, S. 471 (472); Freitag, ZBB 2014, S. 357 (359); Hoffmann/Bartlitz, ZIP 2014, S. 1505 (1507); Maier, VuR 2014, S. 384 (384); Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1; Zoller, GWR 2014, S. 515 (516). 74 So auch Balzer/Lang, BKR 2014, S. 377 (381); Dörfler/Waßmuth, EWiR 2014, S. 505 (506); Geiger, ZJS 2014, S. 571 (573); Tiedemann, BKR 2014, S. 386 (387); Weck, BKR 2014, S. 374 (375 f.). 75 Geiger, ZJS 2014, S. 571 (576).

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1. Kap.: Grundlagen und Grundfragen

Auch Innenprovisionen können die Interessen der Anleger berühren.76 Dieser Rechtsfrage wird im vierten Kapitel dieser Arbeit ausführlich nachgegangen. b) Verhältnis von Aufsichtsrecht und Vertragsrecht Das Urteil ist ferner aus folgendem Blickwinkel von außerordentlichem Forschungsinteresse: In welchem Verhältnis stehen die aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltensregeln des WpHG zu den vertragsrechtlichen Vorschriften des BGB im Rahmen einer Haftung für Aufklärungsfehler? Das Verhältnis und die Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Vertragsrecht sind seit Jahrzehnten streitig und weiterhin ungeklärt. Daran hat das Urteil des BGH vom 3. Juni 2014 nichts geändert. Der BGH hält an seiner Auffassung fest, dass die Wohlverhaltenspflichten der §§ 31 ff. WpHG a. F., nunmehr §§ 63 ff. WpHG, ausschließlich öffentlich-rechtlicher Natur sind und grundsätzlich nicht auf das zivilrechtliche Schuldverhältnis zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Kunden einwirken.77 Bei dieser Formulierung fällt jedoch schon das kleine Wörtchen „grundsätzlich“ auf. Denn wo es einen Grundsatz gibt, besteht auch eine Ausnahme. Der Begriff „Grundsatz“ bringt immer etwas Relativierendes mit sich, sodass dieser als eine Richtschnur aufgefasst wird, von der allerdings abgewichen werden kann und vielleicht sogar muss. Man kann ihn daher als Regel mit Ausnahmevorbehalt auffassen. Der Grundsatz ist dann eben doch nur ein Grundprinzip. So mag es zwar sein, dass der BGH eine Auswirkung der aufsichtsrechtlichen Pflichten des WpHG auf das Vertragsverhältnis zwischen Bank und Kunde grundsätzlich ablehnt, er diese Aussage aber im gleichen Atemzug relativiert, indem er im Rahmen eines Obiter Dictum davon spricht, dass die tragenden Grundprinzipien des Aufsichtsrechts im Rahmen einer Auslegung des Anlageberatungsvertrages gem. §§ 133, 157 BGB zu berücksichtigen seien.78 Dadurch entsteht der Anschein, dass das Aufsichtsrecht gleichwohl eine gewisse Ausstrahlungswirkung auf das Vertragsrecht haben könne, die näher zu analysieren ist. Diese Unklarheit in der Urteilsbegründung stößt auf breite Kritik in der Literatur und wirft erneut die Frage auf, in welchem Verhältnis das Aufsichtsrecht zum Zivilrecht, insbesondere zum Vertragsrecht steht. So wird die Begründung, dass tragende Grundprinzipien des Aufsichtsrechts im Rahmen der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu berücksichtigen sind, im Schrifttum überwiegend dahingehend verstanden, dass der BGH von seiner bisherigen Judikatur abrücke und das Kapitalmarktaufsichtsrecht nunmehr auf das Zivilrecht ausstrahle.79 In diesem 76

Freitag ZBB, S. 357 (359); Tiedemann, BKR 2014, S. 386 (387). BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (321) = WM 2014, S. 1382 (1385); BGH, Urt. v. 17. September 2013 – XI ZR 332/12 = WM 2013, S. 1983 (1984 f.). 78 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (321) = WM 2014, S. 1382 (1385). 79 Balzer/Lang, BKR 2014, S. 377 (381); Buck-Heeb, WM 2014, S. 1601 (1605); Edelmann, WuB I G 1. – 15.14, S. 471 (473); Heun-Rehn/Lang/Ruf, NJW 2014, S. 2909 (2912); Hoffmann/Bartlitz, ZIP 2014, S. 1505 (1509); Nassall, jurisPR-BGHZivilR 15/2014 Anm. 1, 77

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Zusammenhang werden verschiedene Ansätze kontrovers diskutiert. Denn das Kapitalanlagerecht als Ausschnitt des Kapitalmarktrechts ist eine Sammelbezeichnung für all die gesetzlichen Regelungen und rechtlichen Grundsätze, „die das marktvermittelte Zustandekommen, die Durchführung und Beendigung von Vertragsbeziehungen zwischen den Anbietern und den Nachfragern beinhalten“80. Hierbei stammen die gesetzlichen Vorgaben und Rechtsgrundsätze aus allen Rechtsbereichen und stellen ein Konglomerat aus Kapitalmarktrecht, Verbraucherschutzrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Bankrecht dar.81 Dies lässt jedoch schon erkennen, dass die zivilrechtlichen Vorschriften die Vertrags- und Rechtsverhältnisse der Parteien dominieren, aber von Normen des öffentlichen Rechts und des Strafrechts beeinflusst und ergänzt werden.82 Zunächst hat das Urteil das Spannungsfeld von Aufsichtsrecht und Zivilrecht entschärft und aufgrund des herausgebildeten Transparenzgedankens für Klarheit gesorgt und die Diskussion über die Ausstrahlungswirkung beendet.83 Durch das Hineinlesen der tragenden Grundprinzipien des Aufsichtsrechts im Wege der Auslegung der Vertragserklärungen gemäß §§ 133, 157 BGB ist die „dogmatische Spielwiese“, auf der sich die Diskussion bislang abspielte, nicht betreten worden.84 Der BGH geht in seiner Entscheidung weder auf die einzelnen Abgrenzungstheorien noch auf die dogmatische Begründung beziehungsweise Konstruktion dieser „Auslegungslösung“ ein. Darüber hinaus unterbleibt eine Konkretisierung der tragenden Grundprinzipien des Aufsichtsrechts jenseits der Aufklärungspflichten über Zuwendungen. Dies führt zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit, sodass zu klären bleibt, ob allen aufsichtsrechtlichen Vorgaben eine haftungsrechtliche Relevanz zukommen kann, wie bereits in der Literatur diskutiert85. Infolge dieser „Auslegungslösung“, es wird auch von „Inkorporationslösung“ gesprochen86, welche dogmatisch jedoch nicht ganz unbedenklich ist, würde faktisch eine weitgehende Gleichstellung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben mit dem zivilrechtlichen Pflichtenstandard im Wege einer (ergänzenden) Vertragsauslegung erreicht.87 Diese Integration der Wertungen des Aufsichtsrechts im Rahmen der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB durch einen Transparenzgedanken würde den aufsichtsrechtlichen S. 1; Omlor, LMK 2014, 361191; Röttger, SchlHA 2015, S. 85 (87); Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1; Zoller, BB 2014, S. 1805 (1805). 80 Bultmann/Hoepner/Lischke, Anlegerschutzrecht, S. 2. 81 Bultmann/Hoepner/Lischke, Anlegerschutzrecht, S. 3. 82 Bultmann/Hoepner/Lischke, Anlegerschutzrecht, S. 3. 83 Nassall, jurisPR-BGHZivilR 15/2014 Anm. 1, S. 1; Weck, BKR 2014, S. 374 (376). 84 Balzer/Lang, BKR 2014, S. 377 (379). 85 Balzer/Lang, BKR 2014, S. 377 (379); Buck-Heeb, WM 2014, S. 1601 (1605); WuB, Edelmann, WuB I G 1. – 15.14, S. 471 (473). 86 Freitag, ZBB 2014, S. 357 (360). 87 Balzer/Lang, BKR 2014, S. 377 (379); Freitag, ZBB 2014, S. 357 (360); Hoffmann/ Bartlitz, ZIP 2014, S. 1505 (1509); Röttger, SchlHA 2015, S. 85 (87); Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1.

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1. Kap.: Grundlagen und Grundfragen

Pflichten, insbesondere dem § 31d WpHG a. F., nunmehr § 70 WpHG, eine maßgebliche Bedeutung für das Zivilrecht beimessen und dieses determinieren.88 Es ist gerade diese Verknüpfung, die nicht ohne jede Kritik bleibt. Die übereilte Berücksichtigung der tragenden Grundprinzipien des Aufsichtsrechts durch eine Auslegung der Vertragserklärungen habe so keinen Bestand, weil der Maßstab des Aufsichtsrechts der §§ 31 ff. WpHG a. F., nunmehr §§ 63 ff. WpHG, indem diese an die zivilrechtlichen Aufklärungs- und Beratungspflichten anknüpfen, nicht autonom zivilrechtliche Schutzpflichten begründen können.89 Auch mag der Gedanke, das Aufsichtsrecht wirke nicht als Recht, sondern als Teil der allgemein im Geschäftsverkehr herrschenden Vorstellungen auf den objektiven Empfängerhorizont und damit auf den Vertragsinhalt ein90, diesen Kritikpunkt nicht zu entkräften. Dies hätte zur Konsequenz, dass das Aufsichtsrecht der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Vertragsinhalts ist und nicht die zivilrechtlichen Aufklärungs- und Informationspflichten. Dem Urteil mangelt es an einer Herausarbeitung und Konkretisierung der zivilrechtlichen Haftungselemente, schließlich wurde die Haftungsfolge nicht unmittelbar dem Aufsichtsrecht entnommen.91 Aus diesem Punkt leitet sich daher ein vorrangig vertragsrechtlicher Interpretationsversuch ab, der klarzustellen versucht, dass der Pflichtenkatalog des Aufsichtsrechts an die geschäftsbesorgungsrechtlichen Pflichten der Bank anknüpft und aus diesem Grund insgesamt eine vollständige Kongruenz geschäftsbesorgungsrechtlicher Pflichten vorliegt.92 Die Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG verkörpern dabei eine spezialgesetzliche Präzisierung von allgemeinen Schutz- und Informationspflichten des Schuldrechts.93 Es sei demzufolge ein übergreifender zivilistischer Lösungsansatz im Geschäftsbesorgungsrecht zu suchen.94 Darüber hinaus müsse im Rahmen einer vorzunehmenden (ergänzenden) Vertragsauslegung der (konkludenten) Erklärungen der Parteien der hypothetische rechtsgeschäftliche Wille des Anlegers tatsächlich ermittelt und ergründet und nicht allein normativ nach Maßgabe der öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zugerechnet werden.95 Denn im Ergebnis gehe es bei der Aufklärung über die Empfangnahme von Zuwendungen um eine allgemein zivilrechtliche Informationsverantwortlichkeit der die Geschäfte für den Kunden besorgenden Bank.96 Unterbleibe die Aufklärung der Bank über ihre Doppelrolle nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, stelle dies einen 88

Omlor, LMK 2014, 361191; Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1. Heun-Rehn/Lang/Ruf, NJW 2014, S. 2909 (2912); Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1. 90 Freitag, ZBB 2014, S. 357 (360). 91 Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1. 92 Röttger, SchlHA 2015, S. 85 (87); Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1. 93 Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1. 94 Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1; implizit Röttger, SchlHA 2015, S. 85 (87). 95 Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1. 96 Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1. 89

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Missbrauch der Geschäftsbesorgungsmacht und somit eine treuwidrige Handlung dar.97 Dies führt zu den folgenden Thesen: (1) Die tragenden Grundprinzipien des Aufsichtsrechts können im Rahmen einer sogenannten „Inkorporationslösung“ im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung durchaus Eingang in das Vertragsverhältnis zwischen Bank und Kunde finden. (2) Im Rahmen der Aufklärungshaftung über Zuwendungen findet sich ein rein zivilrechtlicher Ansatz, resultierend aus dem Pflichtengefüge der Fremdinteressenwahrungsverträge, sodass ein Rückgriff auf das Aufsichtsrecht nicht erforderlich ist. c) Statuierung eines umfassenden Transparenzgebots Der aufsichtsrechtliche Transparenzgedanke, der primär aus § 31d WpHG a. F., nunmehr § 70 WpHG, hergeleitet wird und dessen Ausprägung sich im Rahmen des vom BGH entwickelten umfassenden Transparenzgebotes niederschlägt, ist der Forschungsschwerpunkt der Arbeit. Die Entwicklung des Transparenzgebotes und dessen Begründung, die doch sehr knapp ausfällt und sich lediglich auf den nahezu vom Gesetzgeber durch diverse Gesetzesnovellen verwirklichten Transparenzgedanken hinsichtlich der Zuwendungen Dritter stützt, sind von herausragendem Interesse. Dieses flächendeckende Transparenzgebot als tragendes aufsichtsrechtliches Grundprinzip ist nach Ansicht des BGH im Rahmen der Bestimmung des Inhalts des Beratungsvertrages gemäß §§ 133, 157 BGB zu berücksichtigen, sodass der Anleger für die Bank erkennbar eine Aufklärung im Hinblick auf sämtliche Zuwendungen erwarten kann. Der BGH lässt jedoch offen, in welcher Form die Auslegung im Rahmen des Beratungsvertrages erfolgen soll. Handelt es sich um eine ergänzende Vertragsauslegung, wie dies vielfach aus den Entscheidungsbesprechungen hervorgeht,98 oder ist es doch eher eine rein normative Auslegung? Schon an diesem Punkt lässt sich erkennen, dass die dogmatische Konstruktion und Begründung des Transparenzgebotes viele Fragen aufwerfen; allen voran die Frage, ob eine logischere und dogmatisch stringentere Lösung nicht über die allgemeine zivilrechtlich anerkannte Pflicht, Interessenkollisionen im Rahmen von Interessenwahrungsverträgen zu vermeiden bzw. offenzulegen, erreicht werden könnte. Dieses Konzept kann durchaus auch im Rahmen einer Aufklärungspflicht über Innenprovisionen fruchtbar gemacht werden.99 An diesem Punkt setzt breite Kritik in der wissenschaftlichen Diskussion ein. Warum kann Aufklärung erst dann erwartet werden, wenn der Transparenzgedanke „nahezu flächendeckend“ aufsichtsrechtlich vorgeschrieben ist und nicht schon dann, wenn dieser im Gesetz niedergeschrieben

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Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1. Geiger, ZJS 2014, S. 571 (576); Jooß, WM 2011, S. 1260 (1262). 99 Buck-Heeb, WM 2014, S. 1601 (1605); Hoffmann/Bartlitz, ZIP 2014, S. 1505 (1510); Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1. 98

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1. Kap.: Grundlagen und Grundfragen

wird?100 § 31d WpHG a. F. fand schließlich bereits im Jahr 2007 durch das Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz101 vom 16. Juli 2007 Eingang in das Wertpapierhandelsgesetz. Dieser normiert aufsichtsrechtlich den zivilrechtlich anerkannten Grundsatz Interessenkonflikte, insbesondere in Fällen der Annahme und Gewährung von Zuwendungen, zu vermeiden.102 Zudem darf nicht außer Betracht gelassen werden, dass der Gedanke und das Erfordernis der Transparenz bereits im Zivilrecht, namentlich im Vertragsrecht im Rahmen einer Interessenwahrungspflicht stricto sensu bei Fremdinteressenwahrungsverträgen, verankert sind. Durch die Lösung über das Transparenzgebot bestimmte Minenfelder, wie z. B. die Anerkennung einer Aufklärungspflicht bezüglich Innenprovisionen wegen des Bestehens eines Interessenkonflikts, umgangen werden; was jedoch zulasten dogmatischer Stringenz geht und nicht vollumfänglich überzeugt.103 Es kommt dadurch zu einer Aufgabe aller bisherigen zivilrechtlichen Erklärungsversuche.104 Schließlich sei das Transparenzgebot ein bereits vom Reichsgericht zum Auftragsrecht entwickelter allgemeiner Rechtsgedanke, nach dem für die Aufklärungspflicht der objektiv bestehende bloße Interessenkonflikt des Beauftragten ausreicht.105 Dieser Gedanke ist ein wesentlicher argumentativer Anknüpfungspunkt. So bleibt im Rahmen der Diskussion, bezüglich einer Aufklärungspflicht über Zuwendungen und dem darin enthaltenen Transparenzgedanken, die Verknüpfung der einzelnen zivilrechtlichen Verträge im Rahmen der Kapitalanlageberatung überwiegend außer Betracht.106 Der Anlageberatungsvertrag als Interessenwahrungsvertrag in Verbindung mit dem Ausführungsgeschäft, dem Finanzkommissionsgeschäft, weisen treuhänderische Elemente auf, wenn sie nicht gar als originäre Treuhandverträge angesehen werden können. Das Spannungsverhältnis und die Wechselwirkungen zwischen diesen Vertragstypen werden im zweiten Kapitel dieser Arbeit näher analysiert. Die Statuierung des Transparenzgebotes sei zudem ein Schlagwort, das nicht von jeder Beliebigkeit frei sei, denn die zivilrechtlich zulässigen Verhaltensweisen seien nicht notwendigerweise auch aufsichtsrechtlich legitimiert und daher für die juristische Feinjustierung innerhalb des zivilrechtlichen Systems der Aufklärungshaftung wenig geeignet.107 Nicht unberücksichtigt bleiben sollte der Gedanke, dass durch die 100

Buck-Heeb, WM 2014, S. 1601 (1605); Hoffmann/Bartlitz, ZIP 2014, S. 1505 (1508). Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz) vom 16. Juli 2007, BGBl. I S. 1330. 102 Buck-Heeb, WM 2014, S. 1601 (1605). 103 Buck-Heeb, WM 2014, S. 1601 (1605); Heun-Rehn/Lang/Ruf, NJW 2014, S. 2909 (2909); Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1. 104 Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1. 105 RG, Urt. v. 8. Juni 1903 – I 88/03 = RGZ 55, S. 86 (91); RG, Urt. v. 7. Dezember 1934 – III 209/34 = RGZ 146, S. 194 (204 f.); Röttger, SchlHA 2015, S. 85 (87). 106 Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung, Rn. 245 – 251 skizzieren diesen Gedanken. 107 Balzer/Lang, BKR 2014, S. 377 (379); Schnauder, jurisPR-BKR 9/2014 Anm. 1, S. 1. 101

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Statuierung eines umfassenden Transparenzgebotes bei der Kapitalanlageberatung bezüglich der Aufklärung über Zuwendungen nicht mehr der bestehende Interessenkonflikt allein im Vordergrund stehe, sondern gerade die Transparenz Anknüpfungspunkt für die Beratung sei.108 Zum Pflichtenkatalog eines Beratungsverhältnisses gehöre nicht nur die Interessenwahrung, sondern gerade auch die Transparenz.109 Damit würde eine eindeutige Grundlage für Transparenz zugunsten einer eigenverantwortlichen Entscheidung geschaffen und im Ergebnis so ein echter Anlegerschutz erreicht.110 Bei der unterbliebenen Aufklärung über Zuwendungen im Rahmen der Kapitalanlageberatung wird der Kunde über den Interessenkonflikt der Bank getäuscht, durch den Verweis auf den das Kapitalanlagerecht prägende Transparenzgebot komme es zu einem wünschenswerten Interessenausgleich zwischen Bank und Kunde.111 Diese Argumente verdeutlichen, dass der aufsichtsrechtliche Transparenzgedanke und der zivilrechtliche Grundsatz der Interessenwahrung sowie der Grundsatz, Interessenkonflikte zu vermeiden bzw. über bestehende aufzuklären, nicht losgelöst von einander betrachtet werden sollten und daher die Wechselwirkungen der vertragsrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Grundlagen detailliert herauszuarbeiten sind. Folgende Thesen stehen daher ebenfalls im Fokus dieser Arbeit: (1) Das Transparenzgebot ist nicht zwingend aus dem aufsichtsrechtlichen Transparenzgedanken zu entwickeln. (2) Das Transparenzgebot ist bereits im Rahmen des Auftrags sowie des Geschäftsbesorgungs- und Kommissionsvertrags als auch des Treuhandvertrags zivilrechtlich verankert und daher unmittelbar bei der Auslegung des Anlageberatungsvertrages und nicht über einen Rückgriff auf die im Aufsichtsrecht normierten Wohlverhaltenspflichten zu berücksichtigen. d) Umfang und Reichweite der richterlichen Rechtsfortbildung Weiterhin ist die Frage, ob die Urteilsbegründung bei der Statuierung des Transparenzgebotes die methodischen Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung wahrt oder doch schon überschreitet, nicht zu vernachlässigen. Bei der Rezeption des Urteils in der Literatur kristallisiert sich die Auffassung heraus, dass sich der BGH als „Quasi-Gesetzgeber“ betätigt und dabei die Grenzen zwischen der Rechtsanwendung de lege lata und de lege ferenda eingerissen habe.112 Die methodischen Grenzen der Rechtsfortbildung seien jedoch nicht überschritten, auch wenn sich der BGH deutlich in den Bereich der Rechtsfortbildung hineinbewege.113 In diesem Zusam108

Weck, BKR 2014, S. 374 (376). Weck, BKR 2014, S. 374 (377). 110 Hoffmann/Bartlitz, ZIP 2014, S. 1505 (1513); Weck, BKR 2014, S. 374 (377). 111 Hoffmann/Bartlitz, ZIP 2014, S. 1505 (1513); Tiedemann, BKR 2014, S. 386 (388). 112 Balzer/Lang, BKR 2014, S. 377 (381); Buck-Heeb, WM 2014, S. 1601 (1601); Walz, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 16; Zoller, BB 2014, S. 1805 (1805). 113 Omlor, LMK 2014, 361191. 109

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1. Kap.: Grundlagen und Grundfragen

menhang ist zu beachten, dass aufgrund seiner dienenden Funktion das Recht dem ökonomischen, rechtlichen und technischen Wandel sowie der vermehrten Internationalisierung in der Regel nicht vorausgeht, sondern ihm möglichst umgehend nachfolgt.114 Dies hat zur Folge, dass die erforderlichen Gesetzgebungsmaßnahmen naturgemäß langsamer auf den Weg gebracht werden als die Verwaltung und Gerichte, die den ihnen vorgelegten Einzelfall zeitnah entscheiden müssen.115 Dies hat wiederum zur Folge, dass regelmäßig das „passende“ Gesetz für die im konkreten Einzelfall zu treffende Entscheidung noch nicht vorliegt, sodass insbesondere von der Rechtsprechung eine Rechtsfortbildung geleistet wird, die faktisch eine Rückwirkung auf die Vergangenheit hat.116 Zentral bei der Beantwortung dieser Frage ist, ob sich die Entwicklung des Transparenzgebotes noch im Bereich der Auslegung und somit Rechtsanwendung befindet oder schon in den Bereich der Rechtsfortbildung und damit des Richterrechts hineinreicht. Das Gesetz darf nicht so weit ausgelegt werden, dass am Ende ein neuer, vom Gesetz so nicht mehr gedeckter Eingriffstatbestand geschaffen wird.117 Denn die Rechtsfortbildung beginnt methodologisch dort, wo die Auslegung endet.118 Zunächst ist der Inhalt des gesetzlichen Tatbestandes durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der abstrakte Prüfungsmaßstab aus dem Gesetz herzuleiten und auf den konkreten Fall anzuwenden.119 Erst wenn sich eine normative Grundlage für die Subsumtion aus dem Gesetz nicht hinreichend genau ergibt, hat der Richter eine Konkretisierungspflicht angesichts des Rechtsverweigerungsverbotes in der Form der Rechtsfortbildung.120 Zu untersuchen sind dabei die Einhaltung der inhaltlichen Anforderungen und Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, die sich zum einen aus dem Grundgesetz, insbesondere Artt. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG ergeben und zum anderen aus anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung121, wie sie vom Bundesverfassungsgericht122 vorgegeben werden. Die Voraussetzungen für eine Vorlagepflicht an den Großen Senat gemäß § 132 Abs. 4 GVG sind dabei im Blick zu behalten. Denn grundsätzlich entscheiden Gerichte nach teilweise erst selbst zu suchenden Kriterien des Rechts, wobei ihre Aufgabe nicht wie bei politischen Organen darin besteht etwas zu bewegen und die Wirklichkeit aktiv zu gestalten, auch wenn ihre Urteile 114

Früh, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 1.15 und 1.16. Früh, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 1.16. 116 Früh, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 1.16. 117 Korioth, in: Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, 4. Teil Rn. 303. 118 Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 95 GG Rn. 14. 119 Geserich, DStR-Beih 2011, S. 59 (60); Wiedemann, NJW 2014, S. 2407 (2408); Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 95 GG Rn. 14. 120 Geserich, DStR-Beih 2011, S. 59 (60); Wiedemann, NJW 2014, S. 2407 (2408); Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 95 GG Rn. 14. 121 Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 95 GG Rn. 15 f.; Korioth, in: Schlaich/ Korioth, Bundesverfassungsgericht, 4. Teil Rn. 303. 122 BVerfGE 96, S. 375 (394 f.); BVerfGE 122, S. 248 (258); BVerfGE 111, S. 54 (81 – 83). 115

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häufig politische Wirkung haben.123 Die allgemeine richterliche Zurückhaltung wird für gewöhnlich gefordert und mag auch oft geboten sein, sie ist dagegen sicher keine allgemeingültige Lösung.124 Der richterliche Alltag ist durch Auslegung und Rechtsfortbildung geprägt;125 so vielleicht auch in diesem Fall bei der Statuierung des umfassenden Transparenzgebotes, welches sich primär und originär aus § 31d WpHG a. F., nunmehr § 70 WpHG, ableiten lassen soll und zu einer bedeutsamen Debatte in der Rechtsrealität führte. Der Gedanke, dass grundsätzlich eine Verankerung des Transparenzgebotes im Gesetz, sowohl zivilrechtlich als auch aufsichtsrechtlich, vorliegt und daher lediglich in Form einer ergänzenden Auslegung herausgearbeitet und konkretisiert wurde, spricht zunächst gegen einen Verstoß der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung. Kritisch kann jedoch angemerkt werden, dass ein so weitreichend statuiertes Transparenzgebot noch nicht abzusehende Haftungsfolgen nach sich ziehen könnte, sodass zu Recht ein möglicher Verstoß gegen die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung in Betracht zu ziehen ist. Denn durch die unsicheren Grenzen zwischen Rechtsanwendung, Rechtsfortbildung und Richterrecht werden die Grundfragen des Rechts, der Justiz und der Rechtswissenschaft berührt.126 Dabei ist im Blick zu behalten, dass Gesetzesauslegung und richterliche Rechtsfortbildung voneinander verschiedene Stufen desselben gedanklichen Verfahrens und nicht als wesensverschieden anzusehen sind, denn gerade die Rechtsfortbildung bedient sich – zwar über die Grenzen der Auslegung hinaus –, wie die Auslegung selbst „interpretativer“ Methoden.127 Diesen Voraussetzungen muss das vom BGH statuierte Transparenzgebot standhalten. Vor diesem Hintergrund ist die folgende These festzuhalten: Bei der Herausbildung und Konkretisierung des Transparenzgebotes verschwimmen die Grenzen zwischen reiner Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung. Die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung werden jedoch nicht überschritten, weil der Transparenzgedanke und das daraus resultierende Transparenzgebot in den zivilrechtlichen Pflichten der Interessenwahrung und Aufklärung über Interessenkonflikte sowie in der aufsichtsrechtlichen Pflicht des § 31d WpHG a. F. bzw. § 70 WpHG n. F., die Annahme und Gewährung von Zuwendungen offenzulegen, normativ geregelt sind. e) Zuständigkeit des Bundesgerichtshofes bezüglich der Auslegung von Normen, die auf europarechtlichen Vorgaben beruhen Indem der BGH daran festhält, dass die öffentlich-rechtlichen Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG nach wie vor grundsätzlich nicht auf das zivilrechtliche 123 124 125 126 127

Everling, JZ 2000, S. 217 (224). Everling, JZ 2000, S. 217 (226). Geserich, DStR-Beih 2011, S. 59 (66). Rüthers, in: FS Molitor, S. 293 (293). Larenz/Canaris, Methodenlehre (1991), S. 366.

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1. Kap.: Grundlagen und Grundfragen

Vertragsverhältnis einwirken128, ergibt sich abschließend noch eine weitere Forschungsfrage. Die aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltenspflichten beruhen auf europarechtlichen Vorgaben, insbesondere auf den Finanzmarktrichtlinien MiFID I129 und MiFID II130. Aufgrund der Konstruktion des Transparenzgebotes und der Tatsache, dass die tragenden Grundprinzipien im Rahmen der Auslegung des Beratungsvertrages gemäß §§ 133, 157 BGB zu berücksichtigen sind, würde dem Aufsichtsrecht nun doch Bedeutung für die Auslegung eines Beratungsvertrages zwischen Bank und Kunde beigemessen.131 Dadurch kommt es zu einem Konflikt zwischen nationalem und europäischem Recht. Eine zentrale Frage in diesem Zusammenhang ist die Frage nach einer Vorlageverpflichtung des BGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV zum EuGH bezüglich des Verhältnisses von Aufsichtsrecht und Zivilrecht. Denn die vom BGH vorgenommene Abschottung des Vertragsrechts vom Aufsichtsrecht, durch die Ablehnung einer Ausstrahlungswirkung, sei unionsrechtlich nicht unbedenklich.132 Auch wenn diese Abschottung „als Rettung der Autonomie des Vertragsrechts“ angesehen werden könne, blieben tiefergreifende Bedenken in Bezug auf den neuen in die Zukunft gerichteten Ansatz eines flächendeckenden Transparenzgebotes als Grundlage zivilvertraglicher Aufklärungspflichten133. Die erste Feststellung erscheint auf den ersten Blick als Gegensatz zu der zweiten Feststellung. Strahlt das Aufsichtsrecht nun doch auf das Zivilrecht aus, auch wenn der BGH dies grundsätzlich verneint? Der im Urteil des EuGH vom 30. Mai 2012134 gebilligte Dualismus zwischen Aufsichtsrecht und Zivilrecht wird durch die vom Bundesgerichthof gewählte Lösung infrage gestellt.135 Dies lässt sich jedoch auch so verstehen, dass der BGH in seinem Urteil vom 3. Juni 2014 der vom EuGH in seinem Urteil vom 30. Mai 2012 getroffenen Feststellung folgt, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, welche Sanktion sie wählen. Denn grundsätzlich können diese frei entscheiden, ob sie verwaltungsrechtliche, strafrechtliche oder zivilrechtliche Sanktionen zur Umsetzung von Richtlinien vorsehen.136 Kann daher nunmehr vom BGH festgelegt werden, dass die tragenden Grundprinzipien des Aufsichtsrechts im Rahmen der Auslegung des Beratungsvertrages zu berücksichtigen sind? Der Effektivitätsgrundsatz kann 128 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (321) = WM 2014, S. 1382 (1385); BGH, Urt. v. 17. September 2013 – XI ZR 332/12 = WM 2013, S. 1983 (1984 f.). 129 Finanzmarkt-Richtlinie (MiFID I) 2004/39/EG vom 21. April 2004, Abl. L 145 vom 30. April 2004, S. 1 – 88. 130 Finanzmarkt-Richtlinie (MiFID II) 2014/61/EU vom 15. Mai 2014, Abl. L 173 vom 12. Juni 2014, S. 349 – 496. 131 Poelzig, ZBB 2015, S. 108 (114). 132 Poelzig, ZBB 2015, S. 108 (115). 133 Heun-Rehn/Lang/Ruf, NJW 2014, S. 2909 (2913). 134 EuGH, Urt. v. 30. Mai 2012 – Rs C-604/11, ZIP 2013, S. 1417 (1419), mit Anmerkung Herresthal, ZIP 2013, S. 1420 – 1422. 135 Heun-Rehn/Lang/Ruf, NJW 2014, S. 2909 (2913). 136 EuGH, Urt. v. 30. Mai 2012 – Rs C-604/11, ZIP 2013, S. 1417 (1419).

III. Zusammenfassung und Thesen

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sich unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Pflicht verdichten, auch zivilrechtliche Maßnahmen oder Folgen vorzusehen, wenn der einzelne Mitgliedstaat die volle Wirksamkeit anlegerschützender Vorschriften auf andere Weise tatsächlich nicht gewährleisten kann.137 Dann muss ein privatrechtlicher Sanktionsmechanismus zur Verfügung gestellt werden.138 Aufgrund der Statuierung des umfassenden Transparenzgebotes und der Berücksichtigung der tragenden Grundprinzipien des Aufsichtsrechts im Rahmen der Auslegung des Beratungsvertrages stellt der BGH eine Möglichkeit für die zivilrechtliche Sanktionierung von Beratungsfehlern, die möglicherweise auf einer Missachtung des Aufsichtsrechts basieren, zur Verfügung. Es bleibt jedoch nach wie vor ein schaler Beigeschmack, da sich der BGH scheut, eine europarechtliche Klärung des Verhältnisses von Aufsichtsrecht und Vertragsrecht herbeizuführen. Aus diesem Grund wird im Rahmen dieser Arbeit immer auch ein europäischer Blickwinkel eingenommen und die Ergebnisse werden anhand der europarechtlichen Vorgaben und Grundsätze überprüft. Zum Abschluss ergibt sich daher folgende These: Eine Vorlageverpflichtung des BGH gemäß Art. 267 AEUV zur Klärung des Verhältnisses von Aufsichtsrecht und Zivilrecht besteht nicht.

III. Zusammenfassung und Thesen Bevor in den folgenden Kapiteln die vertragsrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen sowie die Wechselwirkungen des Aufsichts- und Zivilrechts und die Ausgestaltung und der Einfluss des Transparenzgebotes skizziert und analysiert werden, folgt eine kurze Zusammenfassung der diesem Forschungsvorhaben zugrunde liegenden und zu überprüfenden Thesen: (1) Bei der Gewährung von Innenprovisionen, den sogenannten versteckten Vertriebsvergütungen, bestehen aufklärungspflichtige Interessenkonflikte. (2) Die Wohlverhaltenspflichten der §§ 31 ff. WpHG a. F., bzw. §§ 63 ff. WpHG n. F., sind reines Aufsichtsrecht und damit öffentliches Recht. (3) Die tragenden Grundprinzipien des Aufsichtsrechts, wozu die Aufklärung über Zuwendungen zählt, können im Rahmen einer sogenannten „Inkorporationslösung“ im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung Eingang in das Vertragsverhältnis zwischen Bank und Kunde finden. (4) Eine Vorlageverpflichtung des BGH gemäß Art. 267 AEUV zur Klärung des Verhältnisses von Aufsichtsrecht und Zivilrecht besteht nicht. (5) Das Transparenzgebot bezüglich der Offenlegung von Zuwendungen im Kapitalanlagerecht ist nicht aus dem aufsichtsrechtlichen Transparenzgedanken zu 137 138

Freitag, ZBB 2014, S. 357 (360); Heun-Rehn/Lang/Ruf, NJW 2014, S. 108 (116). Freitag, ZBB 2014, S. 357 (360).

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1. Kap.: Grundlagen und Grundfragen

entwickeln, denn es findet sich ein rein zivilrechtlicher Ansatz resultierend aus dem Pflichtengefüge der Fremdinteressenwahrungsverträge, sodass ein Rückgriff auf das Aufsichtsrecht nicht erforderlich ist. (6) Das Transparenzgebot ist im Rahmen des Auftrags- und Geschäftsbesorgungsrechts, des Kommissionsvertrages sowie des Treuhandverhältnisses zivilrechtlich verankert und daher unmittelbar bei der Auslegung des Anlageberatungsvertrages zu berücksichtigen. (7) Bei der Herausbildung und Konkretisierung des Transparenzgebotes verschwimmen die Grenzen zwischen reiner Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung. Die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung werden nicht überschritten, weil der Transparenzgedanke und das daraus resultierende Transparenzgebot in den zivilrechtlichen Pflichten der Interessenwahrung und Aufklärung über Interessenkonflikte sowie in der aufsichtsrechtlichen Pflicht des § 31d WpHG a. F. bzw. § 70 WpHG n. F., die Annahme und Gewährung von Zuwendungen offenzulegen, normativ geregelt sind.

2. Kapitel

Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge im Bereich der Kapitalanlageberatung Für die dogmatisch fundierte Begründung des Transparenzgebotes in Bezug auf die Offenlegung von Zuwendungen im Kapitalanlagerecht sind zum einen die rechtlichen Grundlagen des Vertragsrechts und zum anderen die des Aufsichtsrechts zu untersuchen. Die vertrags- und aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen bilden den Ausgangspunkt und die Grundlage für die dogmatische Einbettung des Transparenzgebotes im System des Vertragsrechts. Die vertragsrechtlichen Rahmenbedingungen setzen sich aus dreierlei zusammen: den Interessenwahrungsverträgen (Auftrag, Geschäftsbesorgungs- und Treuhandvertrag) als Ausgangspunkt für die Skizzierung der speziellen Geschäftsbesorgungsverträge, Anlageberatungsvertrag und Finanzkommissionsgeschäft, die zudem Kernelemente des Treuhandvertrages in sich tragen. Die folgenden Ausführungen stellen keine vollumfängliche Darstellung der einzelnen Vertragstypen mit all ihren kleinen und großen Rechtsproblemen dar. Es stehen die einzelnen Vertragspflichten, insbesondere die Interessenwahrungspflicht stricto sensu, und die Interessen der beteiligten Parteien im Mittelpunkt. Die sich in diesem Zusammenhang ergebenden Haftungsfragen werden nur soweit in den Blick genommen, sofern sie für die Problemfrage bezüglich der Empfangnahme oder Gewährung von Zuwendungen, die im 4. Kapitel ausführlich erörtert wird, von Bedeutung sind.

I. Interessenwahrungsverträge im Allgemeinen Das alltägliche Rechtsleben wird vorrangig dominiert vom Vertragsregime der entgeltlichen Geschäftsbesorgung, wodurch deutlich wird, dass nicht mehr allein der Schutz realer Wirtschaftsgüter, sondern zunehmend der Schutz von Rechts- und Vermögensinteressen durch Information der Dienstleistungsberechtigten in den Vordergrund rückt.1 Zu den klassischen entgeltlichen Geschäftsbesorgungen gehören die Dienstleistungen des Anwalts, Steuerberaters oder Architekten sowie viele in1 Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 309; Martinek, in: Staudinger, § 675 Rn. A 3, A 4; Schnauder, Geschäftsbesorgung, S. 1; schon Isele, Geschäftsbesorgung, S. 1, wies darauf hin, dass die Geschäftsbesorgung von allen Vertragstypen an erster Stelle stünde und kein Tatbestand häufiger verwirklicht sei.

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

novative Vertragsformen, wie der Franchise- oder Facility-Management-Vertrag.2 Die Interessenwahrungsverträge bilden das rechtliche Gerüst für die zunehmende Spezialisierung in allen Angelegenheiten der Vermögensfürsorge, wozu die Mehrzahl aller Bankgeschäfte mit Kunden sowie viele Kommissionsverträge und Vermögensverwaltungsverträge aller Art zählen.3 Anhand dieser Aufzählung zeigt sich jedoch, dass in der Realität die meisten „Geschäftsbesorgungen“ entgeltlicher Natur sind und eine „unentgeltliche Tätigkeit“ in Form des Auftrags i. S. d. § 662 BGB in unserem Wirtschafts- und Sozialsystem eher Ausnahmecharakter besitzt.4 Dies verdeutlicht, dass vor allem im Bankrecht und dabei insbesondere im Recht der Kapitalanlageberatung der Auftrag und die Geschäftsbesorgung im Allgemeinen sowie das Kommissionsgeschäft im Besonderen von entscheidender Bedeutung sind. Die überwiegende Mehrheit der Anleger setzt nach wie vor voraus, dass die Beratungsleistung, die ihre Bank im Rahmen der Kapitalanlageberatung und somit im Rahmen eines Anlageberatungsvertrages erbringt, eine kostenlose Dienstleistung zu sein hat. Ob es sich dabei um einen Auftrag im Sinne des § 662 BGB oder einen Geschäftsbesorgungsvertrag im Sinne des § 675 Abs. 1 BGB oder gar des § 675 Abs. 2 BGB handelt, wird unter II. in diesem Kapitel ausführlich erörtert. Die Grundlagen des Auftrags und des Geschäftsbesorgungsrechts, insbesondere bezogen auf das Pflichtengefüge von Auftraggeber und Auftragnehmer bzw. Geschäftsführer, stehen dabei primär im Fokus. Diese dienen darüber hinaus als Grundlage des Treuhandvertrages, als eine besondere Ausprägung des Auftrags- und Geschäftsbesorgungsverhältnisses. Der Treuhandvertrag ist weder im BGB noch in einem anderen Gesetz positiv geregelt. Er kann jedoch als ein verbindendes Element der hier in den Blick genommenen Vertragstypen angesehen werden und trägt zu der notwendigen Verknüpfung von Auftrag und Geschäftsbesorgungsvertrag im Allgemeinen und Anlageberatungsvertrag und Finanzkommissionsgeschäft im Besonderen bei. Damit bildet er eine zentrale Grundlage für die dogmatische Herleitung und Verankerung des Transparenzgebotes bei der Offenlegung von Zuwendungen und deren Verankerung im Rahmen der Anlegererwartung.

1. Allgemeine Klassifikation der Vertragstypen In Abgrenzung zu den Kooperations- und Austauschverträgen ist für die vorliegende Untersuchung und insbesondere dogmatische Begründung des Transparenz2 Kompakte Aufzählungen bei Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 93a – 124; Teichmann, in: Beck-OGK/BGB, § 675 Rn. 13; Taubert, Informationspflichten als Geschäftsbesorgungspflichten, S. 3; vgl. zum Franchisevertrag die Ausführungen bei Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1280. 3 Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 309; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/ 1 2. Teil, 1. Abschnitt Rn. 11; Sprau, in: Grüneberg, § 675 Rn. 9 – 16. 4 Berger, in: Erman, § 662 Rn. 14 und § 675 Rn. 1, 3; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. §§ 662 ff. Rn. 32, § 662 Rn. 11.

I. Interessenwahrungsverträge im Allgemeinen

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gebotes die typologische Unterscheidung der drei großen Vertragsgruppen nach Beyerle5, namentlich der Austausch- (Synallagma), Kooperations- (Gesamthand) und Interessenwahrungsverträge (Treuhand), notwendig. Die grundlegende Vorarbeit leistete Rumpf bereits im Jahr 1921, der erstmals die unterschiedlichen Schuldverträge nach Parteiinteressen einordnete.6 Rumpf ging noch von einer Vierteilung der Vertragstypen aus, indem er Verträge nach (1) Interessenverschmelzung, (2) Interessenverknüpfung, (3) Interessenberührung und (4) Interessenvertretungen sortierte.7 Verträge der Interessenberührung umfassen dabei alle Umsatzgeschäfte wie Kaufverträge, die der Interessenverschmelzung sind klassische Gesellschaftsverträge und die Verträge der Interessenberührung sind Verträge mit einer gesteigerten Fürsorgepflicht, die jedoch noch keine Interessenwahrung umfasst, wie dies bei den von ihm bezeichneten Verträgen der Interessenvertretung der Fall ist.8 Hingegen ermöglicht die von Beyerle vorgenommene Dreiteilung auf Basis der Interessensstrukturtypen die Einordnung der Vielzahl von Vertragstypen, wie sie im BGB ihre Grundlage haben.9 Als Basis dienen die verschiedenen Interessenbeziehungen, die im rechtsgeschäftlichen Sozial- und Wirtschaftsleben von Bedeutung sind.10 Danach können alle Vertragsverhältnisse anhand der jeweiligen Verknüpfung der Parteiinteressen eingeordnet werden.11 Maßgeblich für die Einteilung der „Grundtatbestände des Rechts“12 bzw. der „Typen persönlicher Verkettung“13 ist die Interessen- und Leistungsrichtung und nicht der Interessen- und Leistungsinhalt, wonach die einzelnen Vertragstypen unterschieden werden können.14 Daraus resultiert eine Dreiteilung der Interessenrichtung: (1) Interessengegensatz, (2) Interessengleichrichtung und (3) Interessenwahrung. a) Austauschverträge geprägt von einem Interessengegensatz Bei den Verträgen, die von einem Interessengegensatz geprägt sind, strebt jeder Vertragspartner einen eigenen Vorteil gegen einen dem anderen gewährten Vorteil

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Beyerle, Treuhand, S. 17 f. Rumpf, AcP 119 (1921), S. 53 – 74. 7 Rumpf, AcP 119 (1921), S. 1 (53). 8 Rumpf, AcP 119 (1921), S. 1 (54 f.). 9 Sehr anschauliche und ausführliche Darstellung findet sich bei Beyerle, Treuhand, S. 16 – 23; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. §§ 662 ff. Rn. 23 – 33. 10 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. §§ 662 ff. Rn. 23. 11 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. §§ 662 ff. Rn. 23. 12 Würdinger, Gesellschaften, 1. Teil: Recht der Personengesellschaften, § 1 S. 9 – 13, insbes. S. 10. 13 Beyerle, Treuhand, S. 16. 14 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. §§ 662 ff. Rn. 23. 6

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

an.15 Es handelt sich demnach um ein klassisches Austauschgeschäft, wie es bei einem Kauf-, Dienst- oder Werkvertrag der Fall ist. Dabei handelt jeder primär zu seinem eigenen Vorteil und ist erst sekundär, wie §§ 241 Abs. 2, 242 BGB regeln, dazu angehalten, Rücksicht auf die Interessen und Rechtsgüter des Vertragspartners zu nehmen. Von Martinek als Koordinationsverträge bezeichnet, bilden die wirtschaftlichen Interessen das Motiv für die Willenserklärungen, welche zu einer Abhängigkeit der gegenseitigen Leistungen führen.16 Den Nutzen des Vertrages hat jede Partei eigenverantwortlich zu würdigen.17 b) Kooperationsverträge geprägt von einer Interessengleichrichtung Zu den Verträgen, die durch eine Interessengleichordnung bzw. -gleichrichtung geprägt sind, zählen unter anderem die Gesellschaftsverträge im Sinne des § 705 BGB. Maßgeblich bei den Gesellschafts- oder auch Gemeinschaftsverhältnissen ist eine Interessenverbindung, die durch eine gesteigerte Treuepflicht gekennzeichnet ist.18 Vertragspartner im Rahmen einer Gesellschaft arbeiten für einen gemeinsamen Zweck bzw. eine Idee, die sie gemeinsam fördern wollen. Das hat zur Folge, dass die von allen Parteien verfolgten wirtschaftlichen Interessen gemeinsame rechtliche Interessen des Vertrages werden.19 c) Interessenwahrungsverträge geprägt von einer Interessenwahrungspflicht stricto sensu Die Interessenwahrung ist die dritte Grundform, die eigenständig neben den Interessengegensatz und die Interessengleichrichtung tritt. Die Interessenwahrungsverträge, die in der Literatur auch als Subordinationsverträge20 bezeichnet werden, sind auf eine fremdnützige und weisungsgebundene Interessenwahrung gerichtet.21 Sie sind gekennzeichnet durch eine Unterordnung der Interessen der einen Partei unter die der anderen und weisen ebenfalls eine gesteigerte Treuepflicht

15 Beyerle, Treuhand, S. 17, 21; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. §§ 662 ff. Rn. 24; Würdinger, Gesellschaften, 1. Teil: Recht der Personengesellschaften, S. 10 f. 16 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. §§ 662 ff. Rn. 28. 17 Weller, ZBB 2011, S. 191 (197). 18 Beyerle, Treuhand, S. 17 f., 21 f.; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. §§ 662 ff. Rn. 25; Würdinger, Gesellschaften, 1. Teil: Recht der Personengesellschaften, S. 11. 19 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. §§ 662 ff. Rn. 28; Würdinger, Gesellschaften, 1. Teil: Recht der Personengesellschaften, S. 13. 20 So etwa Berger, in: Erman, § 662 Rn. 3; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 28 – 31. 21 Beyerle, Treuhand, S. 18 f., 22 f.; Berger, in: Erman, § 662 Rn. 3; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 26; Würdinger, Gesellschaften, 1. Teil: Recht der Personengesellschaften, S. 11 f.

I. Interessenwahrungsverträge im Allgemeinen

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auf und erreichen „die intensivste Form unter den Vertragstypen“22.23 Unter diesen Rechtsstrukturtyp fallen der Auftrag und die Geschäftsbesorgung, die im 2. Buch, 12. Titel des BGB geregelt sind. Darüber hinaus unterfällt auch die Treuhand diesem Rechtsstrukturtyp. Der Auftrag zählt dabei als Grundtyp der Interessenwahrungsverträge.24 Hauptmerkmal der Interessenwahrungsverträge ist, dass der Geschäftsbesorger in einer Weise tätig ist, in der es der Geschäftsherr sein müsste.25 Daraus resultiert, dass der Geschäftsbesorger an dem Erfolg seines Handelns in keiner Weise unmittelbar beteiligt ist, weil der Gewinn des Geschäftsherrn nicht notwendigerweise stets auch sein Gewinn und der Gewinn kein gleichzeitiger Verlust für ihn ist.26 Er stellt seine eigenen Interessen hinten an.27 Das wiederum hat zur Folge, dass die wirtschaftlichen Interessen nur einer Partei, des Auftraggebers, des Geschäftsherrn oder Treugebers, Inhalt des Vertrages sind und so rechtliches Interesse werden.28 Daran ändert auch die Entgeltlichkeit des Geschäftsbesorgungs- oder Treuhandvertrages nichts. Denn die primäre Hauptpflicht besteht gerade darin, dass fremde Interessen zu fördern und zu wahren sind und das unter Umständen unter Hintanstellung entgegenstehender Eigeninteressen.29 Im Falle der entgeltlichen Geschäftsbesorgung oder des entgeltlichen Treuhandvertrages ist das Synallagma „geschwächt“ oder es „hinkt“, weil der Austausch Geschäftsbesorgung gegen Entgelt von der „Asymmetrie der Interessenunterordnung“30 überlagert wird.31 Dies zieht jedoch nicht notwendig ein Machtungleichgewicht zugunsten des Geschäftsbesorgers nach sich; so ist bei Bankverträgen häufig die Bank die wirtschaftlich überlegene Partei.32 Gerade daraus ergibt sich ein erhöhter rechtlicher Regelungs- und Interventionsbedarf,33 damit das Interessenwahrungsverhältnis als solches auch ausgestaltet wird und es tatsächlich zu einer Interessenwahrung zugunsten des Auftraggebers, Geschäftsherrn und Treugebers kommen kann. Denn gerade wenn ein Machtgefälle zuungunsten des Geschäftsherrn besteht, ist ein erhöhtes Erfordernis an vertragsunabhängigen Verhaltenspflichten 22

Weller, ZBB 2011, S. 191 (197). Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 26; Würdinger, Gesellschaften, 1. Teil: Recht der Personengesellschaften, S. 12. 24 Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 Rn. 1; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 662 Rn. 2; Lammel, in: Gitter (Hg.), Geschäftsbesorgung, § 2 S. 272. 25 Beyerle, Treuhand, S. 18; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 26; Sprau, in: Grüneberg, § 675 Rn. 4. 26 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 26. 27 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 26; Würdinger, Gesellschaften, 1. Teil: Recht der Personengesellschaften, S. 11. 28 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 28. 29 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 28, 30. 30 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 28, 30. 31 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 28. 32 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 31. 33 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 31. 23

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

und aufsichtsrechtlichen Kontrollen notwendig.34 Die Herausarbeitung solcher Pflichten durch Rechtsprechung und Literatur und vor allem die starke Regulierungsnotwendigkeit zeigt sich im Bereich des Kapitalanlagerechts. Denn in diesem Bereich ist der Geschäftsherr aufgrund der fachlichen Expertise in der Regel abhängig vom Geschäftsführer.35 Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu besteht zudem aus einer positiven Komponente, die fremden Interessen des Geschäftsherrn bestmöglich zu wahren und zu fördern, und einer negativen Komponente, alles zu unterlassen, das zu einer Gefährdung der Interessen des Geschäftsherrn beitragen könnte.36 Sie kann zudem nicht vollständig abbedungen werden.37 Die aus der Interessenwahrungspflicht stricto sensu resultierenden Aufklärungspflichten sind die Konsequenz treuhänderischer Geschäftsbesorgung, die im Fremdinteresse erfolgt.38 Der daraus wiederum folgende strenge fiduziarische Pflichtenstandard dient der Gewährleistung der Funktionsbedingungen von Interessenwahrungsverträgen, die zwar gesamtgesellschaftlich hochproduktiv, aber stark anfällig für opportunistisches Verhalten sind.39 Denn der informierte Geschäftsbesorger beeinflusst mit seinem Handeln das Nutzenniveau des Geschäftsherrn, sodass ein latenter Interessenkonflikt vorhanden ist.40 Abschließend sind die von Musielak41 in seinem Gutachten für die Überarbeitung des Schuldrechts vorgeschlagenen „Fallgruppen“ der Geschäftsbesorgung zu unterscheiden. Diese geben einen wichtigen Impuls für die vorliegende Untersuchung zur rechtlichen Einordnung des Transparenzgrundsatzes in Bezug auf Zuwendungen im Rahmen des Kapitalanlagerechts. Dieser unterscheidet vier Fallgruppen: (1) Der Geschäftsbesorger handelt für Rechnung des Geschäftsherrn in eigenem oder in dessen Namen (z. B. Kommissionsgeschäfte), (2) der Geschäftsbesorger nimmt Rechte des Geschäftsherrn gegenüber Dritten wahr (z. B. Rechtsanwalts- oder Steuerberatervertrag), (3) dem Geschäftsbesorger wird vom Geschäftsherrn ein Recht zur Ausübung in dessen Interesse übertragen (z. B. Treuhandverträge) und (4) der Geschäftsbesorger setzt seine Sachkunde zur Beratung und/oder Unterstützung des Geschäftsherrn bei der Wahrnehmung von dessen Vermögensinteressen ein (z. B. Anlageberatung oder Baubetreuung).42 Dabei sind diese vier Grundformen untereinander kombinierbar. Bei der Frage der Transparenz von Zuwendungen sind genau 34 35 36 37

136. 38

Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 31. Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 31. Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 122 f. Hierzu ausführlich Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 130 –

Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, § 15, S. 575. Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, § 15, S. 575. 40 Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, § 15, S. 575. 41 Vgl. zum Folgenden Musielak, in: BMJ (Hg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Band II, S. 1209 (1308 – 1310). 42 Musielak, in: BMJ (Hg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Band II, S. 1209 (1308 – 1310). 39

I. Interessenwahrungsverträge im Allgemeinen

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drei dieser Grundformen, nämlich (1), (3) und (4), von besonderer Bedeutung. Denn im Fokus steht das Zusammenspiel von Anlageberatungsvertrag und Kommissionsgeschäft als Geschäftsbesorgungsverträge in Wechselwirkung zum Treuhandvertrag. d) Zwischenergebnis Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die allgemeine Klassifikation der Vertragstypen nach den Interessenstrukturtypen insofern von besonderer Relevanz ist, weil diese das Pflichtengefüge bei Bankverträgen im Allgemeinen und Verträgen im Bereich der Kapitalanlage im Besonderen in Abgrenzung zu bloßen Austauschverträgen verdeutlicht. Denn besonders bei der Anlageberatung und Finanzkommission spielt die Klassifikation von Verträgen nach dem Interessengegensatz, der Interessengleichrichtung und der Interessenwahrung eine herausragende Rolle. Die Vermarktung von Kapitalanlagen unterliegt durchgängig, von der Anbahnung bis zur Abwicklung, geschäftsbesorgungsrechtlichen Grundsätzen und Regelungen.43 Dabei schuldet die Bank vorrangig die Wahrung und Förderung der Anlegerinteressen, sodass eigene Vergütungsinteressen nicht über das Interesse des Kunden gestellt werden sollten.44 Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden detailliert die einzelnen Interessenwahrungsverträge dargestellt und insbesondere das Pflichtengefüge zunächst der im BGB geregelten Verträge wird ausführlich erörtert, um sodann auf den Treuhandvertrag, Anlageberatungsvertrag und Finanzkommissionsvertrag einzugehen. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass sich die verschiedenen Typen der Interessenwahrungsverträge, die im Folgenden einzeln dargestellt werden, „durch einen unterschiedlichen Grad an Öffnung der Interessensphäre“45 auszeichnen und dadurch unterschiedliche Konfliktlagen und auch unterschiedliche Konfliktlösungen relevant werden.46

2. Auftrag §§ 662 ff. BGB Der in den §§ 662 – 674 BGB geregelte Auftrag lässt sich als Grundtypus der Interessenwahrungsverträge einordnen. Dessen entscheidendes Merkmal ist gem. § 662 BGB die unentgeltliche Besorgung eines Geschäfts für einen anderen. Als Gefälligkeitsvertrag ist der Auftrag auf ein fremdnütziges Handeln gerichtet. Durch das charakteristische Merkmal der Unentgeltlichkeit gilt er als ein unvollkommen zweiseitiger Vertrag, weil die Hauptleistung des Auftragnehmers nicht in einem do ut 43 44 45 46

Schnauder, Geschäftsbesorgung, S. 2. Schnauder, Geschäftsbesorgung, S. 2. Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 104. Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 104.

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

des zu einer Hauptleistung des Auftraggebers steht.47 Ausführungen zu den einzelnen Haupt- und Nebenleistungspflichten der Vertragsparteien folgen sogleich. Dem vorgeschaltet ist der Auftrag aufgrund seiner Unentgeltlichkeit von bloßen Gefälligkeiten abzugrenzen, da diese das Pflichtengefüge des Auftragnehmers und des Auftraggebers maßgeblich mitbestimmen. Anschließend wird der Vertragsgegenstand der Geschäftsbesorgung näher skizziert. a) Abgrenzung Gefälligkeit und Gefälligkeitsvertrag Der Auftrag als unentgeltliches Rechtsgeschäft muss von einer bloßen ebenfalls unentgeltlichen Gefälligkeit abgegrenzt werden. Denn sowohl der Auftrag als auch das bloße Gefälligkeitsverhältnis werden unentgeltlich und im Interesse eines anderen, d. h. fremdnützig, ausgeführt.48 Ob bereits ein rechtsverbindlicher Auftrag geschlossen wurde, hängt somit maßgeblich davon ab, ob ein Rechtsbindungswille der Parteien gegeben ist. Eine Abgrenzung hat dabei immer nach den Umständen des Einzelfalles zu erfolgen. Ein Rechtsbindungswille liegt immer dann vor, wenn gemäß §§ 133, 157 BGB unter den gegebenen Umständen ein objektiver Dritter nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen kann.49 Der Beurteilung liegen die Erklärungen und das Verhalten der Parteien zugrunde; entscheidend sind die wirtschaftliche sowie die rechtliche Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber und dessen Vertrauen auf die feste Zusage des Auftraggebers.50 Im Ergebnis liegt zudem immer dann ein Rechtsbindungswille vor, wenn erhebliche Vermögenswerte des Auftraggebers Gegenstand des Auftrags sind.51 Nur in diesen Fällen kann von einer rechtlich bindenden Verpflichtung zum Handeln gesprochen werden.52 Im Umkehrschluss ist ein bloßer

47 Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 662 Rn. 9; Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 Rn. 52; Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 312; Rumpf, AcP 119 (1921), S. 1 (53); Schäfer, in: MünchKomm-BGB, § 662 Rn. 17; Sprau, in: Grüneberg, Einf. v. § 662 Rn. 1; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 662 Rn. 3. 48 Sprau, in: Grüneberg, Einf. v. § 662 Rn. 4; Beuthien, in: Soergel, Vor §§ 662 Rn. 11. 49 BGH, Urt. v. 22. Juni 1956 – I ZR 198/54, BGHZ 21, 102 (106 f.); BGH, Urt. v. 20. September 1984 – III ZR 47/83, NJW 1985, S. 1778 (1779); BGH, Urt. v. 16. November 1989 – IX ZR 190/88, NJW-RR 1990, 204 (205); BGH, Urt. v. 14. November 1991 – III ZR 4/ 91; NJW 1992, 498 (499); BGH, Urt. v. 21. Juli 2005 – I ZR 312/02, NJW-RR 2006, 117 (120); BGH, Urt. v. 18. Dezember 2008 – IX ZR 12/05, NJW 2009, 1141 (1142); BGH, Urt. v. 21. Juni 2012 – III ZR 291/11, NJW 2012, 3366 (3367); Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 662 Rn. 3; Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 Rn. 55. 50 Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 662 Rn. 3; Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 Rn. 56; Berger, in: Erman, § 662 Rn. 7; Sprau, in: Grüneberg, Einf. v. § 662 Rn. 4; Martinek/ Omlor, in: Staudinger, § 662 Rn. 8. 51 Sprau, in: Grüneberg, Einf. v. § 662 Rn. 4; Beuthien, in: Soergel, Vor §§ 662 Rn. 11. 52 Larenz, Schuldrecht BT 2. Bd., S. 411.

I. Interessenwahrungsverträge im Allgemeinen

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Gefälligkeitsvertrag von gesellschaftlichen, konventionellen oder freundschaftlichen Zusagen und Gefälligkeiten des täglichen Lebens gekennzeichnet.53 An diesem Punkt kann bereits festgehalten werden, dass Bankverträge, insbesondere die Anlageberatung und Finanzkommission, keine bloßen Gefälligkeiten vonseiten der Bank sind. Denn hier steht ganz klar das wirtschaftliche Interesse sowohl der Bank als auch des Bankkunden im Vordergrund. b) Vertragsgegenstand: Geschäftsbesorgung § 662 BGB spricht lediglich davon, dass der Auftragnehmer „ein ihm von dem Auftraggeber übertragenes Geschäft“ unentgeltlich zu besorgen hat. Was genau das Gesetz unter dem „übertragenen Geschäft“ versteht, geht weder aus dem Wortlaut des § 662 BGB hervor noch wird dies in den folgenden Normen näher erläutert. An dieser Stelle ist jedoch in gebotener Kürze auf die Geschäftsbesorgungskontroverse54 und die Frage, welcher Geschäftsbesorgungsbegriff dem unentgeltlichen Auftrag gem. § 662 BGB und dem entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag gem. § 675 Abs. 1 BGB zugrunde liegt, einzugehen. Denn die Protokolle und gesamten Materialien zum BGB überlassen es ausdrücklich der Rechtswissenschaft, die nähere Bestimmung des Begriffs der Geschäftsbesorgung vorzunehmen.55 Davon hängen ganz wesentlich der Vertragsgegenstand und das Pflichtengefüge des Auftrags und des Geschäftsbesorgungsvertrags ab. Durch die unterschiedliche Terminologie in § 662 BGB und § 675 Abs. 1 BGB kommt es zu einer systemwidrigen Diskrepanz, die zugunsten einer Rechtsklarheit aufzulösen ist.56 Zudem kann derselbe Begriff aufgrund der Relativität der Rechtsbegriffe in einem Gesetz an unterschiedlichen Stellen auch eine unterschiedliche Bedeutung haben.57 aa) Trennungstheorie bzw. Diskrepanztheorie Nach der sog. Trennungstheorie, die von der herrschenden Lehre und Rechtsprechung vertreten wird, ist der Begriff der Geschäftsbesorgung in § 675 Abs. 1 BGB enger zu verstehen als in § 662 BGB, sodass von § 662 BGB jede Tätigkeit für einen anderen erfasst ist.58 Der Auftrag verfügt über einen weiten Geschäftsbesor53

Sprau, in: Grüneberg, Einf. v. § 662 Rn. 4; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 662 Rn. 9. Vgl. dazu Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 311; Isele, Geschäftsbesorgung, S. 92 – 105; Lenel, AcP 129 (1928), S. 1 – 15; Wendehorst, AcP (206) 2006, S. 203 (236 f.); ausführlich hierzu Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 9 – 23. 55 Mugdan, II. Band – Recht der Schuldverhältnisse, S. 294 f., 958. 56 Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 311. 57 Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 Rn. 75. 58 RG, Urt. v. 29. Oktober 1919 – I 125/19, RGZ 97, S. 61 (65 f.); RG, Urt. v. 10. Dezember 1924 – I 583/23, RGZ 109, S. 299 (301 f.); BGH, Urt. v. 22. Oktober 1958 – IV ZR 78/58, WM 1959, S. 165 (168); BGH, Urt. v. 25. April 1966 – VII 120/65, BGHZ 45, 223 (228 f.); BGH, Urt. v. 17. Mai 1971 – VII ZR 146/69, BGHZ 56, 204 (207); Berger, in: Erman, § 662 54

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

gungsbegriff, weil dieser jede zulässige Tätigkeit mit Ausnahme der bloßen Gefälligkeiten erfassen soll,59 wohingegen für die Geschäftsbesorgung i.S.d. BGB ein spezifischer Vermögensbezug gefordert wird, d. h. die Tätigkeit nimmt Einfluss auf den Vermögensstatus des Geschäftsherrn.60 Es muss sich daher um eine selbstständige Tätigkeit wirtschaftlicher Art handeln.61 Nur so können das die Geschäftsbesorgung mitprägende Treuhandverhältnis und das daraus resultierende enge Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien sachgerecht berücksichtigt werden.62 Würde von § 675 Abs. 1 BGB jede fremdnützige Tätigkeit erfasst, fiele jede Werkvertrags- und Dienstleistung darunter. Auch ist der Ansatz Iseles63 zu weitreichend. Dieser sieht § 675 Abs. 1 BGB als einen Sonderfall an, der eine vor die Klammer der §§ 433 ff. BGB gezogene Norm darstelle und daher als allgemeiner Teil im Recht der vertraglichen Schuldverhältnisse aufzufassen sei. Denn die Interessensphären beider Seiten würden sich so stark überlagen, dass eine Seite in die Interessen der anderen Seite eingreifen könne und daraus die besondere Pflicht der Interessenwahrung abzuleiten sei.64 Diese Überlagerung der Interessensphären könne sich jedoch nicht nur bei Dienst- oder Werkverträgen ergeben, die ebenso wie der Kaufvertrag Austauschverträge sind, sondern bei allen Austauschverträgen.65 Aus dieser sog. Geschäftsbesorgungsmacht66 ergebe sich gerade die Interessenwahrungspflicht, die in bestimmten Konstellationen, wie z. B. in Fällen des Wissensvorsprungs, auch im Rahmen von Kaufverträgen eine Aufklärungspflicht fordere.67 Eine so weitreichende Ausdehnung der Interessenwahrungspflicht stellt einerseits einen Systembruch innerhalb des Zweiten Buches des BGB dar. Zum anderen ist diese Ausdehnung auch nicht erforderlich, denn vorvertragliche Aufklärungspflichten auch bei Kauf- und anderen Austauschverträgen können sich Rn. 13; Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 675 Rn. 3; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, § 86 Rn. 1245; Larenz, Schuldrecht BT 2. Bd., S. 421; Sprau, in: Grüneberg, § 662 Rn. 6 f.; Heermann, in: MünchKomm-BGB, § 675 Rn. 12; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 17 – 21. 59 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 10. 60 BGH, Urt. v. 25. April 1966 – VII 120/65, BGHZ 45, 223 (229); BGH, Urt. v. 29. April 2004 – III ZR 279/03, NJW-RR 2004, 989; Larenz, Schuldrecht BT 2. Bd., S. 421 f.; Sprau, in: Grüneberg, § 675 Rn. 3; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 15; § 675 Rn. A 17. 61 BGH, Urt. v. 25. April 1966 – VII 120/65, BGHZ 45, 223 (228 f.); BGH, Urt. v. 22. Oktober 1958 – IV ZR 78/58, WM 1959, S. 165 (168); RG, Urt. v. 10. Dezember 1924 – I 583/23, RGZ 109, 299 (301); Larenz, Schuldrecht BT 2. Bd., S. 421; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, § 86 Rn. 1253; Berger, in: Erman, § 662 Rn. 13; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 22; § 675 Rn. A 10 – 16. 62 Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 311. 63 Isele, Geschäftsbesorgung, S. 65 – 113. 64 Isele, Geschäftsbesorgung, S. 38 – 41. 65 Isele, Geschäftsbesorgung, S. 95 – 98; so auch Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1278. 66 Isele, Geschäftsbesorgung, S. 67 – 75. 67 So auch Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1278.

I. Interessenwahrungsverträge im Allgemeinen

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vor allem aus der culpa in contrahendo – die nunmehr in §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB gesetzlich normiert ist, aber auch schon vor der Schuldrechtsmodernisierung in 2001 als Rechtsfigur anerkannt war – ergeben. Für die von Isele vorgenommene Einordnung des § 675 Abs. 1 BGB als allgemeiner Teil der vertraglichen Schuldverhältnisse ist somit schon innerhalb des Systems des BGB kein Raum. Rumpf hingegen sieht den Geschäftsbesorgungsvertrag als eine Art allgemeinen Teil für Interessenwahrungsverträge, wie die Kommission oder den Agentur- und Maklervertrag, an.68 Das entspricht schon eher der heutigen Dogmatik. bb) Einheitstheorie bzw. Kongruenztheorie Die sog. Einheitstheorie, die mittlerweile nur noch vereinzelt vertreten wird,69 geht davon aus, dass sowohl dem Auftrag als auch der entgeltlichen Geschäftsbesorgung derselbe Geschäftsbesorgungsbegriff zugrunde liegt.70 Danach umfasst die Geschäftsbesorgung alle jene Rechtsverhältnisse, bei denen nach Inhalt, Sinn und Zweck die in den §§ 662 ff. BGB geregelten Pflichten und Ansprüche interessengerecht erscheinen.71 Geschäftsbesorgung ist demnach jede selbstständige oder unselbstständige fremdbezogene Tätigkeit.72 Nach Nipperdey73 liegt jedem Dienstund Werkvertrag eine Geschäftsbesorgung zugrunde und die in § 675 Abs. 1 BGB vorgesehene Unterscheidung ist überflüssig, da diese nur rein deklaratorischer Natur sei. Dies hätte zur Folge, dass jeder Dienst- und Werkvertrag zugleich ein Geschäftsbesorgungsvertrag gemäß § 675 Abs. 1 BGB wäre und § 675 Abs. 1 BGB seinen eigenständigen Charakter verlöre und lediglich als entgeltlicher Auftrag angesehen werden könnte.74 Schnauder75 beschreitet im Rahmen seiner Dissertation innerhalb der Einheitstheorie einen Sonderweg, indem er davon ausgeht, dass es keinen Vertragstyp der entgeltlichen Geschäftsbesorgung gibt, sondern die Geschäftsbesorgung an sich als vertragsübergreifendes Strukturprinzip des allgemeinen Schuldrechts aufzufassen ist. Es bilde dabei allein der tatsächliche oder mutmaßliche Wille der Parteien die Legitimationsbasis der Schutz- und Sorgfaltspflichten, sodass die Regeln der Geschäftsbesorgung sowohl auf jeden Vertrag als auch auf jedes rechtsgeschäftliche Handeln ohne Rücksicht auf die Existenz der vertraglichen 68

Rumpf, AcP 119 (1921), S. 1 (79). Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 10. 70 Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 Rn. 78, 80; Harke, Besonderes Schuldrecht, § 8 Rn. 416; Isele, Geschäftsbesorgung, S. 92 – 95; Lenel, AcP 129 (1928), S. 1 (10 f.); Lent, Geschäftsbesorgung, S. 2, 4; Lorenz, JuS 2012, S. 6 (6, 9); Schnauder, Geschäftsbesorgung, S. 16 – 18; Wendehorst, AcP (206) 2006, S. 203 (237); Nipperdey, Staudinger, 11. Auflage 1958, Vor § 662 Rn. 1; ders., § 675 Rn. 15. 71 Wendehorst, AcP (206) 2006, S. 203 (237). 72 Lorenz, JuS 2012, S. 6 (6); Wendehorst, AcP (206) 2006, S. 203 (237). 73 Nipperdey, Staudinger 11. Auflage 1958, Vor § 662 Rn. 2; ders., § 675 Rn. 15 ff. 74 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 11. 75 Schnauder, Geschäftsbesorgung, S. 6, 8, 25 – 27 sowie Kapitel 2; als Grundlage seiner Überlegungen dient die Arbeit von Isele, Geschäftsbesorgung, S. 138 – 149. 69

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

Grundlagen anwendbar seien.76 Entscheidend ist für Schnauder die auf der Grundlage von Isele77 und Ehmann78 entwickelte Geschäftsbesorgungsmacht. Die Geschäftsbesorgungsmacht sei das zentrale Element aller Geschäftsbesorgungsverhältnisse, wonach der Geschäftsbesorger die Rechtsmacht habe, wirksam im Interesse des Geschäftsherrn zu dessen Gunsten oder Lasten tätig zu werden.79 Dem Geschäftsbesorger werde diese Rechtsmacht zu irgendeiner tatsächlichen oder rechtsgeschäftlichen Tätigkeit im Rechtsbereich des Geschäftsherrn durch diesen eingeräumt. Insofern übereinstimmend mit der Rechtsstrukturtypenlehre und der damit im Zusammenhang stehenden Trennungstheorie geht Schnauder ebenfalls davon aus, dass bei echten Geschäftsbesorgungen im Sinne von § 675 Abs. 1 BGB eine interessenwahrende Fremdgeschäftsführung als Hauptpflicht geschuldet sei.80 Jedoch geht er noch einen Schritt weiter und fasst die Geschäftsbesorgung als Nebenpflicht im Zusammenhang mit jeder anderen Dienst-, Werk- und Arbeitsleistung sowie Kaufverträgen auf, um so die Pflicht der Interessenwahrung mit in den Katalog der Nebenpflichten einzubeziehen.81 Hierzu sei kurz anzuführen, dass insofern § 241 Abs. 2 BGB einen ausreichenden Anknüpfungspunkt für die Interessenwahrung im Rahmen dieser Austauschverträge bietet. Ein Rückgriff auf die geschäftsbesorgungsrechtlichen Pflichten ist daher nicht notwendig. Diese im Ergebnis sehr umfangreiche und allgemeine Einordnung nahezu aller Verträge, die in irgendeiner Weise die Besorgung eines Geschäfts zum Gegenstand haben, ist mit der Einteilung der einzelnen Verträge nach den Interessenstrukturtypen nicht in Einklang zu bringen. Darüber hinaus ist anzumerken, dass diese Sichtweise gerade nicht der Systematik und auch nicht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen gerecht wird. Denn die fremdnützige Interessenwahrnehmung ist gerade zentraler Charakter des Auftrags, der Geschäftsbesorgung und der Treuhand. Diese Hauptpflicht kann nicht zugunsten einer schuldrechtlichen Lösung, die geschäftsbesorgungsrechtliche Grundsätze immer dann für anwendbar erklärt, wann es irgendwie nützlich erscheint, relativiert werden. Durch die Dreiteilung der Rechtsstrukturtypen in Interessengegensatz, Interessengleichrichtung und Interessenwahrung wird gerade eine vertragstypologische Einordnung ermöglicht und im Ergebnis ein geschlossenes System von Vertragstypen präsentiert.82 Die Interessenwahrung gilt gerade nicht als bloßes Motiv des Handelns des Geschäftsbesorgers, sondern ist primäre Vertragspflicht, ja sogar die entscheidende Vertragspflicht im Rahmen der Interessenwahrungsverträge. 76

Schnauder, Geschäftsbesorgung, S. 8, 25. Isele, Geschäftsbesorgung, S. 145 – 148. 78 Ehmann, in: Erman (12. Auflage, 2008), Vor § 662 Rn. 27, 58, 83; so auch Taubert, Informationspflichten als Geschäftsbesorgungspflichten, S. 181 – 183. 79 Ehmann, in: Erman (12. Auflage, 2008), Vor § 662 Rn. 27, 58, 83; Isele, Geschäftsbesorgung, S. 145. 80 Schnauder, Geschäftsbesorgung, S. 31 f. 81 Schnauder, Geschäftsbesorgung, S. 32 – 34. 82 A. A. Schnauder, Geschäftsbesorgung, S. 19. 77

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cc) Funktionale Theorie Nach der von Teichmann83 vertretenen funktionalen Theorie kann der Geltungsbereich des Auftragsrechts in Abgrenzung zum Geschäftsbesorgungsvertrag gem. § 675 BGB nicht von dem Begriff der Geschäftsbesorgung her bestimmt werden. Eine Definition des Begriffs der Geschäftsbesorgung könne keine trennscharfe Unterscheidung sowohl zwischen § 662 BGB und § 675 Abs. 1 BGB als auch zwischen § 675 Abs. 1 BGB und §§ 611, 631 BGB bieten.84 Teichmann geht dabei von einer Einheitstheorie aus, die anhand der Art und Funktion der Tätigkeit bestimmt und die Anwendbarkeit der §§ 662 ff. BGB somit von den Rechtsfolgen und vor allem von der Interessenlage abhängig macht.85 Denn die grundsätzlich von § 675 Abs. 1 BGB nicht erfassten Tätigkeiten, wie zum Beispiel die des Lehrers, nicht wirtschaftliche Tätigkeiten oder andere Dienst- und Werkverträge, würden dennoch die Anwendung der §§ 662 ff. BGB erfordern.86 Das Auftragsrecht müsse daher immer dann angewandt werden, wenn die Rechtsfolgen und Interessenlage es erfordern und nicht weil der Geschäftsbesorgungsbegriff unterschiedlich zu verstehen sei.87 Eine Analogie zum Auftragsrecht scheint in den Fällen, in denen Verträge nicht eindeutig einem im BGB geregelten Vertragstyp zugeordnet werden können, nicht notwendig. Denn die typengemischten Verträge können als Verträge sui generis über die §§ 311 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB ihrem Vertragszweck angemessen auf die im BGB niedergelegten Vorschriften für das Pflichtengefüge zurückgreifen. Es ist anzumerken, dass die funktionale Theorie zum einen keinen signifikanten Mehrwert zur Einheitstheorie bietet und sich der Geschäftsbesorgungsbegriff in § 662 BGB nicht von dem in § 675 BGB absetzt.88 Zum anderen verweist § 675 Abs. 1 BGB auf die Auftragsvorschriften nahezu vollumfänglich und berücksichtigt daher die vom Gesetzgeber geregelten Interessen bereits angemessen. Die funktionale Theorie unterläuft jedoch die gesetzliche Wertung in Bezug auf die Einordnung der Tätigkeit als Lehrer, die eben nicht nur die Besorgung eines Geschäfts darstellt, da diesen auch ein staatlicher Erziehungsauftrag trifft, der von Art. 7 GG angeordnet wird. § 675 BGB soll gerade nicht zu einer deklaratorischen Analogieanordnung verkümmern.89 Im Ergebnis ist diese Auffassung abzulehnen.

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Teichmann, in: Beck-OGK/BGB, § 675 Rn. 1, 20, 33. Teichmann, in: Beck-OGK/BGB, § 675 Rn. 20. Teichmann, in: Beck-OGK/BGB, § 675 Rn. 20, 33. Teichmann, in: Beck-OGK/BGB, § 675 Rn. 20. Teichmann, in: Beck-OGK/BGB, § 675 Rn. 20. So auch Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 Rn. 79. Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 Rn. 79.

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

dd) Stellungnahme Wie Martinek/Omlor90 es kurz und prägnant in ihrer Stellungnahme zu dieser Kontroverse formulieren, hat die Trennungstheorie sowohl den historischen Gesetzgeber als auch den Wortlaut und die Systematik des Gesetzes auf ihrer Seite. Zugunsten der Trennungstheorie lässt sich zunächst der unterschiedliche Wortlaut des § 662 BGB im Vergleich zu § 675 Abs. 1 BGB anführen. So spricht § 662 BGB davon „ein (…) übertragenes Geschäft (…) zu besorgen“; § 675 BGB lautet hingegen: „eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat“. So greift das Argument, dass der Gesetzgeber bei Verwendung desselben Ausdrucks in unterschiedlichen Vorschriften grundsätzlich dasselbe meine, nicht durch. Der Wortlaut des § 662 BGB und § 675 Abs. 1 BGB ist gerade nicht derselbe. Auch kann die bloße Verweisung des § 675 Abs. 1 BGB auf die Vorschriften des Auftragsrechts nicht als Argument für die Einheitstheorie herangezogen werden. Diese spricht doch eher dafür, dass der Gegenstand des Auftrags und des Geschäftsbesorgungsvertrags nicht identisch sind, weil sonst eine gesonderte Regelung des Geschäftsbesorgungsvertrages nicht erforderlich gewesen wäre. Die Geschäftsbesorgung ist ein eigenständiger vertraglicher Rechtsstrukturtyp, sofern selbstständig, aber weisungsgebunden fremde Vermögensinteressen wahrgenommen werden.91 Es handelt sich dabei gerade nicht um einen bloßen Austauschvertrag, sondern um einen Interessenwahrungsvertrag, dessen primäre Vertragspflicht darin besteht, fremde Interessen eines anderen für diesen weisungsabhängig wahrzunehmen und zu fördern.92 Aufgrund der hohen praktischen Relevanz des § 675 Abs. 1 BGB und der sich daraus entwickelten hoch bedeutsamen Vertragstypen, wie zum Beispiel die Rechtsund Steuerberatung sowie verschiedene Bankdienstleistungen, handelt es sich nicht nur um eine bloße Verweisungsnorm.93 § 675 Abs. 1 BGB ist, wie von Martinek/ Omlor umfassend herausgearbeitet, eine vertragstypologische Generalklausel von zentraler und fundamentaler Bedeutung im Schuldrecht.94 So ist der Geschäftsbesorgungsvertrag auch kein bloßer entgeltlicher Auftrag, wie man dem umfassenden Verweis auf die Auftragsvorschriften entnehmen könnte.95 Der Verweis in § 675 Abs. 1 BGB auf die Auftragsvorschriften ist als eine Erleichterung vom Gesetzgeber für den Rechtsanwender gedacht, da die Normen nicht wortgleich wiederholt werden müssen, wenn inhaltlich dasselbe zu regeln ist. 90

Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 17. Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 18; der Relativsatz „der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat“ dürfe nicht zu einem rein deklaratorischen Zusatz herabgewürdigt werden, so Heermann, in: MünchKomm-BGB, § 675 Rn. 12. 92 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 18. 93 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 20. 94 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 20. 95 Teichmann, in: Beck-OGK/BGB, § 675 Rn. 7. 91

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Die Einheitstheorie verkennt hingegen, dass durch die in § 675 Abs. 2 BGB vorgenommene Verweisung auf die §§ 663, 665 – 670, 672 – 674 BGB eine interessengerechte Wertung vom Gesetzgeber bereits vorgenommen wurde. Darüber hinaus ist der Geschäftsbesorgungsvertrag nicht nur eine Variante eines Dienst- oder Werkvertrages.96 Insbesondere Lorenz verstrickt sich in einem Widerspruch, wenn er konstatiert, dass der Geschäftsbesorgungsvertrag gem. § 675 Abs. 1 BGB zwar kein eigenständiger Vertragstypus sei, aber in einem nächsten Schritt davon ausgeht, dass die Tätigkeit des Geschäftsbesorgers einen Bezug zum Vermögen des Geschäftsherrn aufweisen muss.97 Denn so fordert er wie die Trennungstheorie das Merkmal des Vermögensbezugs, um die Geschäftsbesorgung gemäß § 675 Abs. 1 BGB vom Auftrag gemäß § 662 BGB und dem Dienst- und Werkvertrag abzugrenzen. Dies widerspricht ebenfalls der Systematik des Gesetzes. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass § 662 BGB und § 675 Abs. 1 BGB nach der herrschenden Trennungstheorie unterschiedliche Geschäftsbesorgungsbegriffe zugrunde liegen. Diese Begrifflichkeit ist vor allem im Hinblick auf die vertragsrechtliche Einordnung der Anlageberatung und des Finanzkommissionsgeschäfts relevant. Nach allgemeiner Ansicht in Literatur98 und Rechtsprechung99 ist Inhalt des Auftrags daher jede rechtsgeschäftliche, rechtsgeschäftsähnliche, tatsächliche oder ideelle Tätigkeit des Beauftragten, wobei diese Tätigkeit der Sorge des Auftraggebers obliegen würde und dadurch dessen Interessen gefördert werden. Ein Eigeninteresse des Beauftragten schließt ein Auftragsverhältnis nicht grundsätzlich aus, sondern erst wenn das Auftragsverhältnis allein den Interessen des Beauftragten dient.100 Die entgeltliche Geschäftsbesorgung gemäß § 675 Abs. 1 BGB hingegen umfasst selbstständige Tätigkeiten wirtschaftlicher Art zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen.101 Dabei handelt es sich unter anderem auch um die eigentlichen Treuhandgeschäfte.102

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So etwa Lorenz, JuS 2012, S. 6 (9); Wendehorst, AcP (206) 2006, S. 203 (237). Lorenz, JuS 2012, S. 6 (9). 98 Fischer, in: Beck-OGK/BGB, § 662 Rn. 8; Berger, in: Erman, § 662 Rn. 13; Larenz, Schuldrecht BT 2. Bd., S. 409; Schäfer, in: MünchKomm-BGB, § 662 Rn. 46; Sprau, in: Grüneberg, § 662 Rn. 6 f.; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 10, 22; Beuthien, in: Soergel, § 662 Rn. 8. 99 BGH, Urt. v. 17. Mai 1971 – VII ZR 146/69, BGHZ 56, 204 (207); RG, Urt. v. 13. Dezember 1906 – VI 130/06, RGZ 65, 17 (18). 100 BGH, Urt. v. 17. Mai 1971 – VII ZR 146/69, BGHZ 56, 204 (207); Fischer, in: Beck-OK/ BGB, § 662 Rn. 8; Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 Rn. 89 f.; Berger, in: Erman, § 662 Rn. 13; Sprau, in: Grüneberg, § 662 Rn. 7; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 662 Rn. 27; Beuthien, in: Soergel, § 662 Rn. 10; Musielak, in: BMJ (Hg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Band II, S. 1209 (1225). 101 BGH, Urt. v. 25. April 1966 – VII 120/65, BGHZ 45, S. 224 (229); BGH, Urt. v. 17. Oktober 1991 – III ZR 352/89, NJW-RR 1992, 560; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 22. 102 Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 311. 97

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

Diese Trennung der unterschiedlichen Vertragsgegenstände von Auftrag und Geschäftsbesorgungsvertrag wird besonders bei der dogmatischen Einordnung von Anlageberatung und Finanzkommission deutlich. Denn nur so kann das Pflichtengefüge eindeutig bestimmt werden. c) Vertragspflichten Der Auftrag des BGB bildet den Grundtyp der Interessenwahrungsverträge im Zivilrecht und ist daher Ausgangspunkt für die im Folgenden näher zu skizzierenden Interessenwahrungsverträge, wie den Geschäftsbesorgungsvertrag, den Anlageberatungsvertrag und das Finanzkommissionsgeschäft. Das Pflichtengefüge des Auftrags prägt vor allem unter besonderer Berücksichtigung der Interessenwahrungspflicht die Pflichtenstruktur der besonderen Interessenwahrungsverträge. Daher sind zunächst die vertraglichen Pflichten des Auftraggebers und des Beauftragten zu charakterisieren. aa) Pflichten des Beauftragten unter besonderer Berücksichtigung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu Die Vertragspflichten des Beauftragten lassen sich wie üblich in Haupt- und Nebenpflichten unterteilen. Dabei bilden die Ausführungs- und Interessenwahrungspflicht die Hauptpflichten. Zu den Nebenpflichten gehören vorrangig Beratungs-, Hinweis-, Aufklärungs- und Warnpflichten sowie die Herausgabepflicht aus § 667 BGB, auf die im 4. Kapitel konkreter eingegangen wird. Die Ausführungspflicht des Beauftragten erfordert eine zielgerichtete und sorgende Tätigkeit rechtlicher oder tatsächlicher Art. Wie bereits angedeutet, erschöpft sich die Hauptpflicht des Beauftragten nicht nur darin, das übertragene Geschäft auszuführen. Gleichrangig neben diese Hauptpflicht tritt die Pflicht der Interessenwahrung, häufig wird auch von der Loyalitäts- oder Treupflicht gesprochen, die sich auf das „Wie“ der Auftragsausführung bezieht.103 Die Interessenwahrungspflicht resultiert aus der Tatsache, dass die Tätigkeit vorrangig im Interesse des Auftraggebers zu erfolgen hat und somit ein besonderes Treue- bzw. Vertrauensverhältnis voraussetzt, welches den Auftrag maßgeblich prägt.104 Werden Angelegenheiten eines anderen wahrgenommen, sind die Interessen des Vertragspartners umfassender zu berücksichtigen und zu wahren, im Gegensatz zu Verpflichtungen in Bezug auf bloße Sachleistungen.105 In § 665 BGB kommt der Grundsatz der Inter103 Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 Rn. 89, 113; Berger, in: Erman, § 662 Rn. 16; Schäfer, in: MünchKomm-BGB, § 662 Rn. 51 f.; Sprau, in: Grüneberg, § 662 Rn. 7, 9; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 662 Rn. 25, 29. 104 Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 Rn. 1; Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 308; Berger, in: Erman, § 662 Rn. 16; Larenz, Schuldrecht BT 2. Bd., S. 413 f.; Sprau, in: Grüneberg, Einf. v. § 662 Rn. 1; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 662 Rn. 2, 29. 105 Schäfer, in: MünchKomm-BGB, § 662 Rn. 51 – 53.

I. Interessenwahrungsverträge im Allgemeinen

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essenwahrung besonders deutlich zum Ausdruck, weil der Beauftragte verpflichtet ist, vor allem die aktuellen Interessen des Auftraggebers zu ermitteln und zu verwirklichen bzw. nach dem mutmaßlichen Interesse des Auftraggebers zu handeln.106 Ein Gestaltungs-, Beurteilungs- und Ermessensspielraum steht ihm insofern zu, der jedoch durch den Sinn und Zweck des Auftrags und die Interessen des Auftraggebers begrenzt ist.107 Daraus wird deutlich, dass die Verpflichtung zur Interessenwahrung bzw. Loyalität und Treue kein bloßer Anwendungsfall von Treu und Glauben ist, sondern gerade eine vertragliche Hauptpflicht begründet.108 Der Auftraggeber ist daher verpflichtet, die Interessen des Auftraggebers nach bestem Wissen und Können wahrzunehmen.109 Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu als Fürsorgepflicht ist Ausdruck eines allgemeinen Vertrauensprinzips, weil der Auftraggeber dem Beauftragten Vermögensgegenstände anvertraut oder sich in dessen Einflusssphäre begeben hat.110 Umfang und Inhalt der Hauptpflichten, insbesondere der Interessenwahrungspflicht stricto sensu, richten sich dabei nach den jeweiligen Vereinbarungen der Vertragsparteien, sodass die Treuebindung je nach Art des Auftrages unterschiedlich ausgeprägt ist, wodurch auch die Intensität der Vertrauensstellung und Interessenwahrung bestimmt werden.111 Denn je größer der Einblick in die privaten und wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers ist, so zum Beispiel bei der Rechtsund Steuerberatung sowie den Bankgeschäften nach § 675 Abs. 1 BGB, desto stärker ist der Beauftragte zur Treue verpflichtet.112 Dies gilt auch für etwaige Nebenpflichten, die unter anderem in einer unverzüglichen Ausführung, bestimmten Informations- und Aufklärungspflichten oder Aufbewahrungs- und Versicherungspflichten bestehen können.113 Sofern Informations-, Aufklärungs- und Warnpflichten des Beauftragten bestehen und diesem der Auftrag aufgrund seiner besonderen Sachkenntnis übertragen wurde, liegen trotz der Unentgeltlichkeit vor allem bei Banken in der Regel Geschäftsbesorgungsverträge gem. § 675 BGB vor.114 Dies ergibt sich jedoch schon daraus, dass eine Bank nur in seltenen Fällen unentgeltlich tätig wird. Der Auftrag ist folglich gem. §§ 664, 665 BGB persönlich, in einem gewissen Maße selbstständig und eigenverantwortlich gemäß den Vereinbarungen,

106

Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 Rn. 113; Beuthien, in: Soergel, § 662 Rn. 9 f. Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 662 Rn. 29. 108 Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 Rn. 113. 109 Larenz, Schuldrecht BT 2. Bd., S. 413. 110 Lammel, in: Gitter (Hg.), Geschäftsbesorgung, § 2 S. 269. 111 Berger, in: Erman, § 662 Rn. 2, 16; Schäfer, in: MünchKomm-BGB, § 662 Rn. 54; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 662 Rn. 32 f. 112 Schäfer, in: MünchKomm-BGB, § 662 Rn. 56; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 662 Rn. 33. 113 Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 662 Rn. 13. 114 Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 313; Schäfer, in: MünchKomm-BGB, § 662 Rn. 56, 60; Sprau, in: Grüneberg, § 662 Rn. 9; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 662 Rn. 38 – 40. 107

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

Vorgaben und Weisungen des Auftraggebers und erkennbar an dessen Interessen von dem Beauftragten auszuführen.115 bb) Pflichten des Auftraggebers Den Auftraggeber treffen keine Hauptpflichten, weil es sich um einen unvollkommen zweiseitigen Vertrag handelt. Es bestehen lediglich eine Vorschusspflicht gem. § 669 BGB und eine Pflicht zum Ersatz von Aufwendungen gem. § 670 BGB. Darüber hinaus trifft den Auftraggeber jedoch die Pflicht, den Beauftragten bei besonders gefahrenträchtigen Aufgaben vor Schäden zu bewahren; hierbei handelt es sich jedoch um eine Nebenpflicht.116 d) Zwischenergebnis Zusammenfassend ist festzuhalten, dass schon das Pflichtengefüge des Auftrages die Fremdinteressenwahrung, die dem Auftragnehmer obliegt, verdeutlicht und somit die Interessenwahrungspflicht als Grundpfeiler anzusehen ist. Dies ist im Hinblick auf die dogmatische Herleitung und Einbettung des Transparenzgebotes in Bezug auf die Offenlegung von Zuwendungen von besonderer Bedeutung, weil der Gedanke der Transparenz einen entscheidenden Teil der Interessenwahrungspflicht stricto sensu bildet.

3. Geschäftsbesorgungsvertrag § 675 BGB Der Geschäftsbesorgungsvertrag hingegen ist ein Interessenwahrungsvertrag, der im Vergleich zu einem bloßen Austauschvertrag dadurch gekennzeichnet ist, dass die primäre Vertragspflicht in der weisungsabhängigen Wahrnehmung und Förderung fremder Interessen eines anderen besteht und das Entgeltinteresse des Geschäftsbesorgers nur mittelbar verfolgt wird.117 Der Geschäftsbesorgungsvertrag erfolgt in Abgrenzung zum Auftrag zum einen entgeltlich und zum anderen ist der Vertragsgegenstand der Geschäftsbesorgung enger gefasst. Darüber hinaus handelt es sich nicht um einen besonderen Vertragstyp des Dienst- oder Werkvertragsrechts, sondern um einen eigenständigen Vertragstyp.118

115 Berger, in: Erman, § 662 Rn. 15; Schäfer, in: MünchKomm-BGB, § 662 Rn. 54 – 56, 60; Sprau, in: Grüneberg, § 662 Rn. 9. 116 Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 662 Rn. 16; Berger, in: Erman, § 662 Rn. 22; Schäfer, in: MünchKomm-BGB, § 662 Rn. 59; Beuthien, in: Soergel, § 662 Rn. 22. 117 Sprau, in: Grüneberg, Einf. v. § 675 Rn. 1; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 18. 118 Anders etwa Beuthien, in: Soergel, § 675 Rn. 1.

I. Interessenwahrungsverträge im Allgemeinen

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Der Geschäftsbesorgungsvertrag rückt in den Fokus dieser Arbeit, weil der Großteil der Bankgeschäfte als Geschäftsbesorgungen im Sinne des § 675 Abs. 1 BGB eingeordnet werden können. Der Vertragsgegenstand der Geschäftsbesorgung umfasst danach zum einen jede Tätigkeit aufgrund eines Treuhandverhältnisses sowie die Verwaltung fremden Vermögens; also vor allem die meisten Banktätigkeiten.119 Darüber hinaus erfasst die Geschäftsbesorgung auch alle Geschäfte aus einer Tätigkeit in Bezug auf die Beratung über rechtliche, steuerliche und wirtschaftliche Angelegenheiten des Auftraggebers sowie den Abschluss von Veräußerungs-, Erwerbs- und anderen Verträgen für die Rechnung des Auftraggebers.120 Die einzelnen Zahlungsdienste in den §§ 675c–676c BGB haben aufgrund verschiedener europarechtlicher Vorgaben eine gesonderte Regelung erfahren.121 So besteht schon allein aufgrund dieser doch vielfältigen Bankdienstleistungen zwar kein allgemeiner Bankvertrag122, aber jede „Geschäftsbesorgung“ für sich bringt Aufklärungs-, Schutz- und Warnpflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB mit sich, woraus sich eine allgemeine Loyalitätspflicht ergibt. Von dem jeweiligen Bankgeschäft und dem damit verbundenen Risiko hängen Intensität und Reichweite dieser Schutz- und Loyalitätspflichten ab. Die Vertiefung dieser Loyalitätspflicht zu einer ausgeprägten

119 BGH, Urt. v. 17. März 1993 – VIII ZR 175/91, NJW-RR 1993, 849 (850); BGH, Urt. v. 28. Oktober 1997 – XI ZR 260/96, BGHZ 137, S. 69 (73); Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 309; Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 675 Rn. 5; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, § 86 S. 1254; Larenz, Schuldrecht BT 2. Bd., S. 422; wobei für Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 12 vor allem die entgeltlichen Treuhandverhältnisse immer Geschäftsbesorgungen im Sinne des § 675 Abs. 1 BGB sind. 120 So gut zusammengefasst bei Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 675 Rn. 5 m. w. N. 121 Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/ EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG, Abl. EU L 319/ 1 (PSD I), Umsetzung des aufsichtsrechtlichen Teils durch Gesetz zur Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften der Zahlungsdiensterichtlinie (Zahlungsdiensteumsetzungsgesetz) vom 25. Juni 2009, BGBl. 2009 I Nr. 35, S. 1506 und Umsetzung des zivilrechtlichen Teils durch Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung des Widerrufs- und Rückgaberechts vom 29. Juli 2009, BGBl. 2009 I Nr. 49, S. 2355; Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG, Abl. EU L 337/35 (PSD 2), umgesetzt durch Gesetz zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie vom 17. Juli 2017, BGBl. 2017 I Nr. 48, S. 2446. 122 Dieser Begriff wurde geprägt von u. a. Dirichs, Haftung der Banken, S. 34 – 36; Nebelung, NJW 1959, S. 1068 (1069); Schraepler, NJW 1972, S. 1836 (1838 f.); Pikart, WM 1957, S. 1238 (1238 – 1241); Hopt, Bankrechtstag 1992, S. 1 (10 f.); Hopt, in: FS Gernhuber, 169 (175 f.); Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 393 – 402; aber nicht h. M.; so spricht Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 30 zu Recht von einer überflüssigen Fiktion; vgl. hierzu sogleich Ausführungen zum Anlageberatungsvertrag.

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

Interessenwahrungspflicht stricto sensu123 spielt bei den Geschäftsbesorgungsverträgen, noch einmal mehr als bei dem bloßen Auftrag, eine übergeordnete Rolle. Diese Pflicht ist insbesondere bei treuhänderischen Rechtsverhältnissen von den allgemeinen Sorgfaltspflichten nach §§ 241 Abs. 2, 242 BGB zu unterscheiden.124 Der Bank obliegt bei der Ausführung ihrer Leistungen stets die Pflicht, die Vermögensinteressen ihres Kunden zu wahren.125 Denn der Gedanke, dass die Wahrung fremder Interessen und die damit im Zusammenhang stehende Interessenwahrungspflicht ein unentgeltlicher Ehrendienst seien, gehört, wie die eingangs erfolgte Aufzählung der verschiedenen Geschäftsbesorgungsverträge verdeutlicht, der Vergangenheit an.126 Die „allgegenwärtige Kommerzialisierung des Wirtschaftslebens“127 bedingt die Entwicklung, dass der Schwerpunkt der Auftragsverhältnisse nunmehr im Bereich entgeltlicher Geschäftsbesorgungsverträge liegt. a) Vertragsgegenstand nach § 675 Abs. 1 BGB Der Begriff der Geschäftsbesorgung nach § 675 BGB ist enger zu verstehen als in § 662 BGB. Auf die sog. Geschäftsbesorgungskontroverse wurde in diesem Kapitel unter Punkt I. 2. b) ausführlich eingegangen. Die Geschäftsbesorgung im Sinne des § 675 BGB ist demnach die selbstständige Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen oder auch – anders formuliert – eine selbstständige Tätigkeit wirtschaftlicher Art im fremden Interesse.128 Hier ist im Folgenden noch näher auf die Abgrenzung zum Dienstvertrag gemäß § 611 BGB und zum Werkvertrag gemäß § 631 BGB einzugehen. § 675 Abs. 1 BGB verweist auf einen Großteil der Auftragsvorschriften, sofern ein Dienst- oder Werkvertrag vorliegt, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat. Der Wortlaut verdeutlicht im Einklang mit der Trennungstheorie, dass nicht jeder Dienst- oder Werkvertrag eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat. Allein aus dieser Formulierung kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die Geschäftsbesorgung systematisch konsequent dem Dienst- und Werkvertragsrecht zugewiesen wurde.129 Denn der Geschäftsbesorgungsvertrag wurde gesondert im 12. Titel des 123 Dieser Begriff wurde vor allem geprägt von Grundmann, Der Treuhandvertrag, § 4 S. 134, 166 – 169, § 5 und knapp Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/HGB, Rn. VI 202. 124 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 128. 125 Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 29. 126 Dies hat Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 3 schön auf den Punkt gebracht. 127 Zum Ganzen Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 3. 128 BGH, Urt. v. 22. Oktober 1958 – IV ZR 78/58, WM 1959, S. 165 (168); BGH, Urt. v. 25. Oktober 1988 – XI ZR 3/88, NJW 1989, 1216 (1217); BGH, Urt. v. 17. Oktober 1991 – III ZR 352/89, NJW-RR 1992, 560; Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 675 Rn. 3; Fikentscher/ Heinemann, Schuldrecht, § 86 S. 1253; Larenz, Schuldrecht BT 2. Bd., S. 422; Sprau, in: Grüneberg, § 675 Rn. 3; Beuthien, in: Soergel, § 662 Rn. 9, § 675 Rn. 2. 129 So etwa Teichmann, in: Beck-OGK/BGB, § 675 Rn. 3.

I. Interessenwahrungsverträge im Allgemeinen

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BGB zusammen mit dem Auftrag geregelt, wohingegen der Dienstvertrag im 8. Titel und der Werkvertrag im 9. Titel zu verorten sind. Allein aus dem systematischen Zusammenhang ist eine Zuweisung des § 675 BGB zum Dienst- und Werkvertragsrecht nicht gegeben. Durchaus kann der Wortlaut dahingehend verstanden werden, dass es näher läge dem Geschäftsbesorgungsvertrag einen eigenen Regelungsgehalt zuzuschreiben und ihn als gesonderten Vertragstyp neben dem Dienstund Werkvertrag zu betrachten. In Abgrenzung zum bloßen Dienst- und Werkvertrag ist daher entscheidend, dass diese nur für Dienste und Werke gelten, die keinen Treuhandcharakter aufweisen und somit auch kein unmittelbarer Bezug zur Vermögenssphäre des Vertragspartners vorliegt.130 Denn charakteristisch für die Geschäftsbesorgung nach § 675 Abs. 1 BGB ist die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen. Es ist nicht nur ein reines Tätigwerden wie bei einem Dienstvertrag oder die Erstellung eines Werkes wie bei einem Werkvertrag im Austausch einer Gegenleistung geschuldet. Es liegt gerade kein bloßer Austauschvertrag vor, der von einem Interessengegensatz geprägt ist. Entscheidend ist der Vermögensbezug des rechtsgeschäftlichen Handelns, wobei Raum für eigenverantwortliches Handeln des Geschäftsbesorgers bestehen muss. Der Geschäftsbesorgungsvertrag weist somit nach der dieser Arbeit zugrunde liegenden Definition sechs Charakteristika auf.131 Diese sind das Vorliegen einer (1) selbstständigen, (2) entgeltlichen, (3) Tätigkeit (4) wirtschaftlicher Art in Bezug auf (5) fremde (6) Vermögensinteressen. Die Geschäftsbesorgung umfasst damit zunächst eine aktive rechtsgeschäftliche, rechtsgeschäftsähnliche oder tatsächliche Tätigkeit gegen Entgelt. Bei der Ausführung dieser Tätigkeit verbleibt dem Geschäftsführer Raum für eigenverantwortliche Überlegung und Willensbildung,132 wobei dies keine vollständige Unabhängigkeit bzw. Ungebundenheit zur Folge hat, sondern stets die Vermögensinteressen des Geschäftsherrn im Blick zu behalten sind. Das Spannungsverhältnis zwischen der Selbstständigkeit und Weisungsgebundenheit sowie der Interessenwahrungspflicht verdeutlicht die Grenzen der Eigenverantwortlichkeit.133 Weiterhin muss das zu besorgende Geschäft einem Bereich des Wirtschaftslebens zuzuordnen sein, ihm muss jedoch kein wirtschaftlicher Wert an sich zukommen.134 Fremdnützigkeit und der Vermögensbezug sind Anknüpfungspunkte für die Loyalitätsverpflichtung des Geschäftsbesorgers gegenüber dem Geschäftsherrn, denn die Tätigkeit muss auf die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen bezogen sein. Der Vermögensbezug erschöpft sich nicht in dem Entgelt für die Tätigkeit und somit 130

Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 310. So auch Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 7; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. A 9 – A 22. 132 Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 10; Sprau, in: Grüneberg, § 675 Rn. 3; Martinek/ Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. A 11, A 12. 133 Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. A 12 – A 14. 134 Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 11; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. A 15, A 16. 131

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

in dem darin verkörperten Vermögenswert.135 Die Tätigkeit muss sich auf das Vermögen des Geschäftsherrn auswirken, sodass der Geschäftsherr auf den Status des Vermögens Einfluss nehmen kann.136 Dies verdeutlicht den Charakter der Geschäftsbesorgung als Interessenwahrungsvertrag, welcher nach Martinek/Omlor137 das wichtigste typologische Qualifikationsmerkmal der Geschäftsbesorgung ist. Die Vermögensinteressen des Geschäftsherrn sind dabei von dem Geschäftsbesorger tragend und leitend wahrzunehmen.138 An diesem Punkt kommt es zu einer Verknüpfung des Vermögensbezugs und der Fremdnützigkeit, welche sich in dem zu wahrenden fremden Interesse widerspiegelt und so das wesentliche Merkmal des Geschäftsbesorgungsvertrags hervorhebt. Hier zeigt sich erneut, dass gerade im Bereich der Kapitalanlage die Verträge als wesentliches Element die Interessenwahrung in sich tragen. Denn es besteht gerade in diesem Bereich immer ein Bezug zum Vermögen des Bankkunden. b) allgemeine Vertragspflichten Das Rechtsverhältnis zwischen dem Geschäftsherrn und dem Geschäftsführer richtet sich wie bei dem Auftrag nach der individuellen Parteivereinbarung, wobei spezialgesetzliche Vorschriften, z. B. aus dem Handelsrecht für Handelsvertreter gemäß §§ 84 ff. HGB oder für den Kommissionär gemäß §§ 383 ff. HGB, zu berücksichtigen sind. Die Geschäftsbesorgung im fremden Interesse ist die Hauptpflicht des Geschäftsführers; diese beinhaltet die sorgfältige und sachkundige Wahrnehmung der Interessen sowie eine Loyalitätsverpflichtung. Dem Geschäftsführer verbleibt bei der Ausführung des Geschäfts Raum für eigenverantwortliche Überlegung und Willensbildung.139 Dieser Überlegungs- und Willensbildungsfreiraum führt jedoch nicht dazu, dass er vollständig unabhängig und ungebunden ist, denn das von ihm zu besorgende Geschäft steht „im Dienste“ des Geschäftsherrn und ist an die Wahrung der Vermögensinteressen des Geschäftsherrn gekoppelt.140 Die vom Geschäftsherrn zu leistende Entgeltzahlung ist die ihm obliegende Hauptpflicht. Der Anspruch richtet sich mangels anderweitiger Regelungen nach §§ 675 Abs. 1 BGB i. V. m. § 611 Abs. 1 bzw. § 631 Abs. 1 BGB. Es ist jedoch noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Entgeltzahlung zu der Geschäftsbesorgung im fremden Interesse nicht in einem klassischen Synallagma im Sinne des § 320 Abs. 1 BGB steht. Es handelt sich um ein sogenanntes „hinkendes“ oder „geschwächtes“

135 136 137 138 139 140

Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. A 17. Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. A 17. Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. A 22. Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. A 22. Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 10; Sprau, in: Grüneberg, § 675 Rn. 3. Berger, in: Erman, § 675 Rn. 10.

I. Interessenwahrungsverträge im Allgemeinen

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Synallagma, weil das Entgeltinteresse des Geschäftsführers nur von untergeordneter Bedeutung ist.141

c) Interessenwahrungspflicht stricto sensu Im Rahmen des Geschäftsbesorgungsvertrages ist die Unterordnung des Geschäftsbesorgers unter das fremde Vermögensinteresse des Geschäftsherrn zentral und somit erfährt die Interessenwahrungspflicht stricto sensu in diesem Kapitel eine gesonderte Darstellung. Die weisungsgebundene Interessenwahrung gilt als zentrale Hauptpflicht des Geschäftsbesorgers und als das entscheidende Element dieses Vertragstyps.142 Denn weder liegt ein Interessengegensatz noch eine Interessengleichordnung vor, sondern die Unterordnung unter ein Ziel des Geschäftsherrn.143 Das Tätigwerden für den Geschäftsherrn durch den Geschäftsführer ist der Gegenstand des Vertrages. Ein typisches Risiko, das dieser Situation innewohnt, ist die Ungewissheit des Geschäftsherrn, ob der Geschäftsführer tatsächlich ausschließlich seine Interessen wahrnimmt oder zusätzlich auch eigene Interessen verfolgt.144 Daher ergeben sich aus der Fremdnützigkeit dieses Tätigwerdens erhöhte Erkundigungs-, Aufklärungs- und Informationspflichten in Bezug auf die Einfluss- und Entscheidungsmacht, welche dem Geschäftsführer für die interessenwahrende Ausführung des Geschäfts eingeräumt wird.145 Im Rahmen eines Austauschvertrages hingegen sind die Informationspflichten im Einzelfall begründungsbedürftig.146 Bezogen auf die vielfältigen Bankgeschäfte ist hervorzuheben, dass den Banken Entscheidungsmacht eingeräumt wird, wenn sie wie im Falle der Vermögensverwaltung die Entscheidungen für den Kunden allein treffen und Einflussmacht, wenn sie wie im Falle der Anlageberatung den Kunden in seinem Entscheidungsfindungsprozess unterstützen.147 Interessenwahrungspflichten sind über die §§ 311, 241 Abs. 2, 242 BGB für jedes Vertragsverhältnis von Bedeutung, wobei es große Unterschiede in Bezug auf deren Reichweite gibt.148 Zunächst kann festgehalten werden, dass bei flüchtigen Umsatzgeschäften, wie z. B. ganz allgemein bei Verträgen mit Interessengegensätzen 141

Martinek, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 28; Weller, ZBB 2011, S. 191 (198). Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 2. Abschnitt, Rn. 12; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. A 22 – A26; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1276. 143 Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 114. 144 Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 114; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 138 f., stellt dieses Problematik anhand der Prinzipal-AgentTheorie dar. 145 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 2. Abschnitt Rn. 12. 146 Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 575 f.; BGH, Urt. v. 13. Juli 1983 – VIII ZR 142/82, NJW 1983, S. 2493 (2494). 147 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 2. Abschnitt, Rn. 12. 148 Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 308. 142

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

wie Kauf- oder Werkverträge, die Interessenwahrungspflicht am schwächsten und bei Geschäftsbesorgungsverträgen am stärksten ausgeprägt ist.149 Wie schon im Rahmen des Auftrags so auch generell bei den entgeltlichen Geschäftsbesorgungsverträgen gehört die Interessenwahrungspflicht zum Hauptleistungsprogramm.150 Das Geschäft wird und muss in fremdem Interesse besorgt werden. Der Geschäftsführer wird in den Angelegenheiten des Geschäftsherrn tätig. Der Geschäftsführer nimmt dem Geschäftsherrn die von ihm grundsätzlich selbst wahrzunehmenden Vermögensinteressen ab. Nach allgemeiner Lebenserfahrung muss die Tätigkeit des Geschäftsführers in gezielter, gesteuerter und voraussehbarer Weise eine Einwirkung auf das Vermögen des Geschäftsherrn zur Folge haben.151 Dies bedeutet nicht, dass es zwingend zu einer Mehrung des Vermögens kommen muss, ausreichend ist die Bewahrung und/oder Verwaltung des vorhandenen Vermögens. Die Interessenwahrungspflicht wird teilweise als Ausdruck einer gesteigerten Bedeutung von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB gesehen und hebt so die Geschäftsbesorgung als ein Treueverhältnis mit fürsorgerischem Charakter hervor.152 Für die dogmatische Begründung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu ist die unentgeltliche Einräumung von Entscheidungsmacht relevant, was eine Abgrenzung von sonstigen auf § 242 BGB gestützten Rücksichtnahme-, Treue- und Nebenpflichten erforderlich macht.153 Bei den auf § 242 BGB gestützten Pflichten sind die Interessen des Geschäftsführers nicht hintanzustellen, sondern in die Abwägung der in Ausgleich zu bringenden Pflichten mit einzubeziehen.154 Die vollständige Hintanstellung der Interessen des Geschäftsführers ist demnach nur dann erforderlich, wenn der Gebrauch von Einfluss-, Entscheidungs- oder Informationspositionen infrage steht.155 Die streng einzuhaltende Interessenwahrungspflicht stricto sensu ist nach einer Ansicht die eigentliche Rechtfertigung für den in § 675 Abs. 1 BGB enthaltenen Verweis auf die meisten Bestimmungen des Auftragsrechts.156 Die Loyalitätspflicht des Beauftragten gegenüber dem Auftraggeber, die aus den §§ 663 ff. BGB resultiert und darin zum Ausdruck kommt, gehört zum Kern der Geschäftsbesorgung gem. § 675 Abs. 1 BGB. Dieser Aspekt wird durch den Verweis in § 675 Abs. 1 BGB auf die Auftragsvorschriften hervorgehoben. Insbesondere der Verweis auf § 667 BGB hebt die Bedeutung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu besonders hervor. Denn der Geschäftsführer soll ge-

149 150 151 152 153 154 155 156

Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 308. Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 12; Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 308. Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 12. Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. A 25, A 55, A 56. Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 2. Abschnitt, Rn. 19 f. Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 2. Abschnitt, Rn. 20. Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 2. Abschnitt, Rn. 20. Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 12.

II. Besondere Interessenwahrungsverträge

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rade für Rechnung und im Interesse des Geschäftsherrn handeln und aus der Geschäftsbesorgung selbst keine Vorteile ziehen.157 d) Zwischenergebnis Zusammenfassend kann auch hier festgehalten werden, dass die Interessenwahrungspflicht stricto sensu des Geschäftsführers als Hauptpflicht im Zusammenhang mit dem spezifischen Vermögensbezug dem Geschäftsbesorgungsvertrag gemäß § 675 BGB seinen Charakter verleiht. Dies verdeutlicht, neben dem Pflichtengefüge im Auftrag, seine Funktion als Grundpfeiler für die besonderen Geschäftsbesorgungsverträge der Anlageberatung und Finanzkommission, die nunmehr im Mittelpunkt der Erörterung stehen.

II. Besondere Interessenwahrungsverträge Die in der bank- und kapitalmarktrechtlichen Praxis überwiegend geschlossenen Vermittlungs- und Beratungsverträge, wie der Anlageberatungsvertrag oder die Finanzkommission, können üblicherweise als Dienstverträge mit Geschäftsbesorgungscharakter nach den §§ 675, 611 BGB qualifiziert werden,158 wobei der Geschäftsbesorgungscharakter überwiegt. Die konkrete rechtliche Ausgestaltung dieser Verträge wird im Folgenden näher analysiert.

1. Anlageberatungsvertrag Seit den Siebzigerjahren ist die Bedeutung des Bankrechts für die allgemeine Bevölkerung stark gestiegen und die Inanspruchnahme bankmäßiger Dienstleistungen für jedermann mittlerweile selbstverständlich geworden.159 So ähnlich lässt sich das auch für die Anlageberatung postulieren. Vor dem Hintergrund der stagnierenden gesetzlichen Renten sehen immer mehr Bürger die Möglichkeit einer Kapitalanlage als ergänzende Altersvorsorge. Das Wissen über die komplexen Zusammenhänge auf dem Kapitalmarkt und darüber, welche Finanzprodukte existieren, fehlt jedoch. Die Menschen gehen daher als erstes zu einem Anlageberater, um sich zu informieren und beraten zu lassen.

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Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. A 34. Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 264. 159 Wittig, in: Kümpel/Wittig (5. Auflage, 2011), Einführung, Rn. 1.16; wobei es sich hierbei um eine recht junge Disziplin handelt, die jedoch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts an Dynamik gewonnen hat, Früh, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn 1.10. 158

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

Das sich in diesem Rahmen herausgebildete Kapitalanlagerecht umfasst „die Regelungen, die für das marktvermittelte Zustandekommen, die Durchführung und Beendigung von Vertragsbeziehungen zwischen den Anbietern und den Nachfragern von Kapitalmöglichkeiten sowie für die sich daraus für die Beteiligten jeweils ergebenden Rechte, Pflichten und Ansprüche gelten.“160 Die Gerichte haben zwar seit dem Bond-Urteil161 für viele Bereiche der Anlageberatung ein „dichtes Netz zivilrechtlicher Verhaltensregeln gewoben“162, aber es wird doch häufig eingewandt, dass die einzelfallbezogenen Entscheidungen und somit die einzelfallbezogene Entstehung des Rechtsgebietes teilweise unübersichtlich und widersprüchlich sei.163 Das Bankvertragsrecht teilt jedoch diese Schemenhaftigkeit mit anderen Bereichen des Wirtschafts- und Arbeitsrechts.164 Zivilrechtlich ist die Anlageberatung nicht legal definiert, wobei sich eine zivilrechtliche Anlageberatungspflicht ergibt, wenn eine individuelle Beratung aus einem wirksamen Vertrag gegeben ist.165 Die Anlageberatung ist eine auf besonderes Vertrauen gegründete Vertragsbeziehung, die eine auf die persönlichen und wirtschaftlichen Interessen des Anlegers zugeschnittene Empfehlung und als Kernelemente eine fachmännische Bewertung einer Anlage und einen persönlichen Rat an den Anleger beinhaltet.166 Aufsichtsrechtlich hingegen ist die Anlageberatung in § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1a KWG und § 2 Abs. 8 Satz 1 Nr. 10 WpHG geregelt. Sie wurde mit Inkrafttreten des FRUG zum 1. November 2007 von einer Wertpapiernebendienstleistung zu einer Wertpapierdienstleistung hochgestuft und unterliegt damit strengeren Vorschriften. Eine Anlageberatung liegt nach der Legaldefinition des WpHG und des KWG nur bei der „Abgabe einer persönlichen Empfehlung an den Kunden“ unter Bezugnahme auf „Geschäfte mit bestimmten Finanzinstrumenten“ vor. Nach Umsetzung der MiFID II durch das 2. FiMaNoG wird deutlich, dass die Anlageberatung neben der Finanzportfolioverwaltung durch § 64 WpHG als ein anspruchsvoller regulierter Sonderfall, im Gegensatz zu den übrigen Wertpapierdienstleistungen, gilt.167 Für diese gelten neben den allgemeinen Verhaltensanforderungen des § 63 WpHG auch die besonderen Verhaltensanforderungen des § 64 WpHG, bei denen insgesamt eine individuelle Aufklärung im Mittelpunkt steht, wobei die Aufklärung bei der Anlageberatung und Finanzportfolioverwaltung tiefer und weitgehender zu erfolgen hat 160

Wittig, in: Kümpel/Wittig (5. Auflage, 2011), Einführung, Rn. 1.30. BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, S. 126. 162 Veil, WM 2009, S. 2193 (2194). 163 Ludwig/Clouth, NZG 2015, S. 1369 (1374); Veil, WM 2009, S. 2193 (2194); insbesondere die Kick-Back-Rechtsprechung des BGH wird von Tilp/Wegner, BKR 2014, S. 27 (28) als ein Flickenteppich von Einzelfallentscheidungen, die kein tragfähiges System erkennen lassen, beschrieben. 164 Veil, WM 2009, S. 2193 (2194). 165 Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung, Rn. 115 f. 166 Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung, Rn. 119. 167 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (5). 161

II. Besondere Interessenwahrungsverträge

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als bei den übrigen Wertpapierdienstleistungen.168 Die Aufklärung selbst hat in einem Zweierschritt zu erfolgen. Danach sind zunächst die relevanten Informationen zu erheben und sodann mit dem Ziel bereitzustellen, Informationen so für den Kunden zu übersetzen, dass für ihn je nach seinem Kenntnisstand eine informierte Anlegerentscheidung ermöglicht wird.169 Abzugrenzen ist der Anlageberatungsvertrag von einem bloßen Auskunftsvertrag, der regelmäßig einer Anlage- oder Abschlussvermittlung sowie einem „Execution-Only“-Geschäft oder einer Anlageempfehlung bzw. Anlagestrategieempfehlung zugrunde liegt.170 Aufsichtsrechtlich ist die Anlagevermittlung geregelt in § 2 Abs. 8 Nr. 4 WpHG, die Abschlussvermittlung in § 2 Abs. 8 Nr. 3 und die Anlageempfehlung bzw. Anlagestrategieempfehlung in § 2 Abs. 9 Nr. 5 WpHG. Der Auskunftsvertrag ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Anlagevermittler ohne Beratung ein Anlageprodukt vertreibt und der Anlageinteressent dessen besondere Expertise bezüglich dieses Produkts in Anspruch nehmen möchte.171 Der Anlagevermittler nimmt seine Arbeit in diesem Zusammenhang nicht als unabhängiger Berater auf, sondern ist Werber der konkreten Anlage bzw. des konkreten Anlageprodukts und seine Stellung ähnelt der eines Handelsvertreters bzw. eines Verkäufers.172 Dem Anlageinteressenten ist in diesem Fall bewusst, „dass der werbende und anpreisende Charakter der Aussagen im Vordergrund steht“173, er aber zusätzlich eine verbindliche, richtige und vollständige Auskunft hinsichtlich einer auf das Anlageprodukt bezogenen Information, z. B. die Bonität der Anlage, erwartet.174 Der aus diesem Auskunftsvertrag Verpflichtete schuldet bezüglich der konkret gewünschten Information eine richtige und vollständige Auskunft, die eine Überprüfung des Anlagekonzepts sowie der wirtschaftlichen Tragfähigkeit der konkreten Anlage umfasst.175 Der Anlage- bzw. Abschlussvermittler tritt jedoch zu keinem Zeitpunkt als Intermediär auf, weil der Anlagevermittler die Willenserklärung des Kunden lediglich weiterleitet und der Abschlussvermittler in offener Stellvertretung die Wertpapiere anschafft oder veräußert.176 In Deutschland ist die Abwicklung von Wertpapiergeschäften in offener Stellvertretung eher unüblich.177 168

Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (10). Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (10). 170 Sprau, in: Grüneberg, § 675 BGB Rn. 35 – 38; Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1109 f.). 171 Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 233; Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1110). 172 Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 13; Edelmann, in: Assmann/ Schütze, § 3 Rn. 8; Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1110); Jooß, WM 2011, S. 1260 (1262). 173 Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 235; Edelmann, in: Assmann/Schütze, § 3 Rn. 8; Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1110); Jooß, WM 2011, S. 1260 (1262); Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 46, 316. 174 Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1110). 175 Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1110). 176 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 112; Kern, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 17.38 f.; Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, 169

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

a) Begriff und Vertragsschluss Bevor auf das zivilrechtliche Pflichtengefüge des Anlageberatungsvertrages insbesondere mit einführendem Blick auf die Interessenwahrungspflicht stricto sensu vor dem Hintergrund des Provisionskonflikts eingegangen wird, ist die Anlageberatung im vertragsrechtlichen Kontext dogmatisch einzuordnen. Eine zivilrechtliche Legaldefinition findet sich nicht. Hierzu werden im Wesentlichen drei Ansätze vertreten. Zunächst könnte der Anlageberatungsvertrag als bloßer Rat oder bloße Empfehlung gemäß § 675 Abs. 2 BGB verstanden werden. Weiterhin käme eine Einordnung im Rahmen eines allgemeinen Bankvertrages oder darüber hinaus eine Klassifikation als ausdrücklich oder konkludent geschlossener Beratungsvertrag in Betracht. aa) Haftung für Rat oder Empfehlung nach § 675 Abs. 2 BGB Nach § 675 Abs. 2 BGB ist derjenige, der einem anderen einen Rat oder eine Empfehlung erteilt, unbeschadet der sich aus einem Vertragsverhältnis, einer unerlaubten Handlung oder einer sonstigen gesetzlichen Bestimmung ergebenden Verantwortlichkeit, zum Ersatz des aus der Befolgung des Rates oder der Empfehlung entstandenen Schadens nicht verpflichtet. Auf den ersten Blick erscheint diese Vorschrift als zutreffender dogmatischer Ausgangspunkt und passende Grundlage für den Anlageberatungsvertrag. Bei der Anlageberatung, soviel sei schon einmal vorweggeschickt, geht es gerade um die Erteilung eines Rates bzw. einer Empfehlung im Hinblick auf ein konkretes Anlageobjekt. Die Haftung für Rat oder Empfehlung nach § 675 Abs. 2 BGB wird von der Literatur hinsichtlich der dogmatischen Einordnung der Anlageberatung in das vertragliche System des BGB häufig missverstanden und ihr wird eine zu große Bedeutung für die Praxis zugestanden.178 Die gesetzliche Rechtsfolge des § 675 Abs. 2 BGB, die Freistellung von der Haftung für einen fehlerhaften Rat, beschränkt sich auf Erklärungen aus Gefälligkeit und hat lediglich deklaratorischen Charakter.179 Darüber hinaus kann aus § 675 Abs. 2 BGB allein keine vertragliche Haftung begründet werden, weil es insbesondere bei priBankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 26; Spindler, in: Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 41, 43. 177 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 90; Fuchs, in: Fuchs, § 2 WpHG Rn. 95. 178 Dazu Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 675 Einleitung; Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 1; Heermann, in: MünchKomm-BGB, § 675 Rn. 119 f.; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1314; Heinsius, ZBB 1994, S. 47 (48). 179 Teichmann, in: Beck-OGK/BGB, § 675 Rn. 34; Heermann, in: MünchKomm-BGB, § 675 Rn. 119; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. C 2; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1314; Heinsius, ZBB 1994, S. 47 (48); Schur, in: Soergel, § 675 Rn. 9, 105 f., wobei Schur zwischen Auslegungsregel und deklaratorischer Regel differenziert; eine Auslegungsregel liegt nach Schur bei § 675 Abs. 2 BGB nur vor, wenn Rat oder Empfehlung eine bloße Gefälligkeit ohne Rechtsbindungswille darstellen.

II. Besondere Interessenwahrungsverträge

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vaten Auskünften an einem Rechtsbindungswillen fehlt.180 Bei der Anlageberatung hingegen ist die Beratung oder Auskunft eine Hauptpflicht.181 Es lässt sich in diesem Zusammenhang kein „Sonderrecht“ der Auskunftserteilung aus § 675 Abs. 2 BGB ableiten.182 Dies, obwohl die Norm die Erteilung von Auskünften, die auch ohne ausdrückliche Handlungsaufforderung Grundlage für die Willensbildung des Auskunftsempfängers werden kann, allgemein umfasst.183 Auskunft betrifft dabei die Antwort auf eine gestellte Frage184, wie z. B. die allgemeine Frage nach den verschiedenen Optionen der Kapitalanlage generell. Bei der Anlageberatung liegt gerade keine bloße Auskunft vor, weil ausdrücklich die Beratung hinzutritt und unter Umständen auch noch eine Aufklärung. Das Element der Beratung beinhaltet zugleich eine Empfehlung, die über den Rat hinausgehend einen positiven Entscheidungsvorschlag nach sich zieht.185 Die Aufklärung hingegen ist eine unaufgeforderte Mitteilung von Umständen, die Gefahren oder Schäden des Empfängers im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB vermeiden soll.186 Daher ist für den Beratungsvertrag im Allgemeinen, aber vor allem für den Anlageberatungsvertrag im Besonderen, ein anderer Anknüpfungspunkt zu wählen. Dieser liegt regelmäßig entweder im Bereich des vorvertraglichen Schuldverhältnisses oder im Bereich einer vertraglich vereinbarten Beratungsleistung als Gegenstand eines Auftrags, Dienst-, Werk- oder Geschäftsbesorgungsvertrags. Ein selbstständiger bzw. eigenständiger Auskunfts- oder Beratungsvertrag, losgelöst von den im BGB bereits geregelten Vertragstypen, ist nicht erforderlich.187 Die Rechtsprechung hat vor allem im Falle des Anlageberatungsvertrags verdeutlicht, dass die Fragen der Beratungs- und Auskunftshaftung angemessen mit dem geltenden Anspruchs- und Vertragssystem zu beantworten sind.188 Für die Qualifikation der Anlageberatung, insbesondere des Anlageberatungsvertrages als Geschäftsbesorgungsvertrag, ist eine Abgrenzung zwischen einem Rat aus Gefälligkeit und einer Beratungshaftung aus Vertrag erforderlich.189 Denn in der Regel begründet eine Auskunft keinen selbstständigen Auskunftsvertrag, sondern ist als bloße Gefälligkeitsauskunft zu qualifizieren190 – obwohl sich dieses Verhältnis in

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Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 675 BGB Rn. 91; Sprau, in: Grüneberg, § 675 Rn. 33; Schur, in: Soergel, § 675 Rn. 103. 181 Bultmann/Hoepner/Lischke, Anlegerschutzrecht, S. 90. 182 Heermann, in: MünchKomm-BGB, § 675 Rn. 120. 183 Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. C 6; Schur, in: Soergel, § 675 Rn. 103. 184 Schur, in: Soergel, § 675 Rn. 103. 185 Sprau, in: Grüneberg, § 675 Rn. 32. 186 Sprau, in: Grüneberg, § 675 Rn. 32. 187 So auch Heermann, in: MünchKomm-BGB, § 675 Rn. 127 f. 188 Heermann, in: MünchKomm-BGB, § 675 Rn. 127; so auch Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. C 12. 189 Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 675 BGB Rn. 90; Lammel, AcP 179 (1979), S. 337 (346 f.). 190 Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. C 8.

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

der heutigen Wirtschaftswelt, so Martinek/Omlor191, in das Gegenteil verkehrt hat. Denn es spielen die Fälle der verbindlichen Auskünfte mit vertraglicher, quasivertraglicher oder spezialgesetzlicher Auskunftshaftung eine bedeutend größerer Rolle gegenüber den Gefälligkeitsauskünften.192 Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, wie schon bei der Abgrenzung zwischen Auftrag und Gefälligkeit, ob ein Rechtsbindungswille vorliegt. Es ist nach der rechtlichen Verbindlichkeit des Rates bzw. der Empfehlung zu fragen. Handelt es sich nur um einen gut gemeinten Rat unter Freunden oder war eine rechtliche Verbindlichkeit von dem Ratgeber beabsichtigt? Für jeden Einzelfall ist zu prüfen, ob ein Auskunfts- bzw. Beratungsvertrag abgeschlossen wurde oder ob es sich lediglich um einen Ratschlag handelte, der weder Willenserklärung noch Rechtsgeschäft ist. Ein konkludenter Vertragsschluss ist für die Begründung eines Beratungsvertrags ausreichend. Es genügt, wenn die durch den Rat oder die Auskunft gegebene Entscheidungshilfe für den Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung ist und zur Grundlage wesentlicher Entscheidungen gemacht werden soll.193 Darüber hinaus kann aufseiten des Ratgebers eine besondere Sachkunde oder gar ein eigenes wirtschaftliches Interesse ein Indiz für den Abschluss eines Beratungsvertrags sein.194 Bei der Auslegung der Vertragserklärungen nach den §§ 133, 157 BGB sowie der Einordnung des tatsächlichen Handelns sind die Umstände des Einzelfalles zu würdigen. Jedoch sind in vielen Bereichen des Wirtschaftslebens, insbesondere bei Bankgeschäften, Beratungen und Auskünfte eine zwingende Notwendigkeit, weil nur auf dieser Grundlage der Nutzen des Geschäfts beurteilt und Entscheidungen getroffen werden können.195 Hierbei ist jedoch klarzustellen, dass es keinen Auskunfts- bzw. Beratungsvertrag als einen typologisch eigenständigen Vertrag im BGB gibt.196 Es handelt sich dabei lediglich um eine auf den Vertragsgegenstand bzw. die Hauptleistungspflicht bezogene Konkretisierung von Aufklärungs-, Beratungs- und Warnpflichten.197 Darüber hinaus hat die dogmatische Einordnung im Rahmen des im BGB bestehenden Vertragssystems vorrangig anhand des Auftrags- und Geschäftsbesorgungsrechts zu erfolgen. 191

Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. C 9. Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. C 9. 193 BGH, Urt. v. 1. Juni 1989 – III ZR 277/87, NJW 1989, S. 2881 (2882); BGH, Urt. v. 8. Dezember 1998 – XI ZR 50/98, ZIP 1999, 275 (276); Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 675 Rn. 94; Sprau, in: Grüneberg, § 675 Rn. 36; Heermann, in: MünchKomm-BGB, § 675 Rn. 129. 194 BGH, Urt. v. 29. Oktober 1952 – II ZR 283/51, NJW 1953, S. 60 (60); BGH, Urt. v. 22. März 1979 – VII ZR 259/77, NJW 1979, S. 1449 (1449); BGH, Urt. v. 11. Oktober 1988 – XI ZR 1/88, NJW 1989, S. 1029; BGH, Urt. v. 27. Juni 1989 – XI ZR 52/88, NJW 1989, S. 2883 (2884); BGH, Urt. v. 3. Dezember 1996 – XI ZR 255/95, NJW 1997, S. 730 (731); BGH, Urt. v. 4. März 1987 – VIa ZR 122/85, BGHZ 100, 117 (120 f.); Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 675 Rn. 95; Herrmann, in: MünchKomm-BGB, § 675 Rn. 129. 195 Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 675 Rn. 95; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. C 12; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1317. 196 Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. C 12. 197 Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. C 12. 192

II. Besondere Interessenwahrungsverträge

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Im Rahmen dieser Arbeit kann daher nicht ausführlich auf die einzelnen Beratungsverhältnisse und den Auskunftsvertrag sowie die dazugehörige dogmatische Herleitung und Einordnung der Auskunftshaftung eingegangen werden.198 Es ist festzuhalten, dass der Anlageberatung kein bloßer Rat oder eine Empfehlung gemäß § 675 Abs. 2 BGB zugrunde liegt. Die Anlageberatung umfasst die Erteilung eines Rates, welche mit Rechtsbindungswillen des Ratgebers erfolgt und eine Haftung aus Vertrag nach sich zieht,199 unabhängig davon, ob die Anlageberatung entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt. Denn im Fall der Anlageberatung ist nicht nur irgendein Rat oder irgendeine Empfehlung zu erteilen. Der Vorschlag muss ernsthaft und nach den Umständen im Einzelfall richtig oder zumindest wohlbegründet sein.200 Eine Übertragung dieser Haftungsfreistellung auf die Anlageberatung durch Banken ist aufgrund der Bedeutung des Geschäfts für den Kunden nicht angezeigt. Denn die Anlageberatung beinhaltet nicht nur einen gut gemeinten Rat aufgrund gesellschaftlicher Konvention. Die Expertise des Anlageberaters ist maßgeblich für die Entscheidung des Anlegers. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass eine Rechtspflicht zur Beratung in der Praxis nur in seltenen Fällen ausdrücklich vereinbart wird.201 bb) Allgemeiner Bankvertrag Die Lehre vom allgemeinen Bankvertrag202 dient Teilen der Literatur als Grundlage für die Herleitung von Primär- und Sekundäransprüchen zwischen Bank und Anleger durch die Begründung eines besonderen Schuldverhältnisses. Dieser allgemeine Bankvertrag komme zwischen Bank und Anleger stillschweigend anlässlich eines einzelnen besonderen Bankgeschäfts, z. B. eines Zahlungsdiensterahmenvertrages, unter Einbeziehung der AGB-Banken und Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte zustande.203 Aus dem daraus resultierenden allgemeinen 198 Vgl. hierzu ausführlich Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. C 12 – C 46; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1314 – 1317. 199 Larenz, Schuldrecht BT 2. Bd., S. 426. 200 Larenz, Schuldrecht BT 2. Bd., S. 426. 201 Fischer, in: Beck-OK/BGB, § 675 Rn. 93. 202 Dieser Begriff wurde geprägt von u. a. Dirichs, Haftung der Banken, S. 34 – 36; Nebelung, NJW 1959, S. 1068 (1069); Schraepler, NJW 1972, S. 1836 (1838 f.); Pikart, WM 1957, S. 1238 (1238 – 1241); Hopt, Bankrechtstag 1992, S. 1 (10 f.); Hopt, in: FS Gernhuber, 169 (175 f.); Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 393 – 402; immer noch vertreten von Hopt, in: Baumbach/Hopt, BankGesch (7) Rn. A/6; Bunte, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, BankR-Hdb, § 2 Rn. 2; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 BGB Rn. B 31; ausführlich Hopt/Roth, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 1 Rn. 20 – 27; Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 1 Rn. 249 f.; Martinek, in: Staudinger, § 675 BGB Rn. B 29 – B 33 und Roth, WM 2003, S. 480 – 482; ausführlich zur Ablehnung eines solchen BGH, Urt. v. 24. September 2002 – XI ZR 345/01, NJW 2002, S. 3695 – 3698, BGHZ 152, S. 114 – 121 mit Anm. Balzer, BKR 2002, S. 1092 – 1094; Kern, in: Kümpel/Mülbert/Früh/ Seyfried, Rn. 17.14 – 17.18; Canaris, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, 1. Abschnitt Rn. 2 – 11. 203 Heermann, in: MünchKomm-BGB, § 675 Rn. 56.

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

Bankvertrag könnten Schutzpflichten mit Blick auf alle anderen Bankgeschäfte, die Bank und Anleger nachfolgend eingehen, herrühren.204 Für die Befürworter des allgemeinen Bankvertrages ist entscheidend, dass die Rechte des Bankkunden, wie das Recht auf Auskunftserteilung, Beratung, Verschwiegenheit sowie Treue- und Schutzpflichten, klarer zur Anwendung gebracht werden, weil diese Pflichten bereits im Rahmen eines Kontoführungsvertrages vereinbart wurden und somit nur noch weiter ausgebildet und nicht neu vereinbart werden müssten.205 Darüber hinaus sprächen Gründe der Praktikabilität für die Annahme eines allgemeinen Bankvertrages als Grund- oder Rahmenvertrag, auch vor dem Hintergrund, dass ein beiderseitiger Geschäftswille für risikolose Bankdienstleistungen wie Überweisungen, Inkassi oder Wertpapierorder vorliege.206 Hiergegen lässt sich jedoch bereits einwenden, dass sich gerade die von Banken angebotene Anlageberatung nicht als risikolose Bankdienstleistung einordnen lässt. Denn die im Rahmen einer Beratung erteilte Empfehlung kann durchaus Risiken für das Vermögen des Anlegers mit sich bringen. Hiergegen wird jedoch kritisch eingewendet, dass die Voraussetzungen des allgemeinen Vertragsbegriffes nicht erfüllt sind und eine rechtliche Bindung der Parteien für alle auch nur denkbaren und folgenden Bankgeschäfte nicht vorliege.207 Es müssten für jeden Vertrag zwischen Bank und Kunde gesondert durch Willenserklärungen die jeweiligen Rechtsfolgen in Gang gesetzt werden, dies gelte auch in Bezug auf eine Einbeziehung von AGB, die lediglich Bestandteil der gesonderten Verträge werden.208 Dies würde sonst zu einem mit der Privatautonomie nicht zu vereinbarenden Kontrahierungszwang führen.209 Weder in der Rechtsprechung noch im Gesetzesrecht findet die Lehre vom allgemeinen Bankvertrag eine Stütze,210 sodass dieser als nahezu obsolet zu betrachten ist.

204 Pikart, WM 1957, S. 1238 – 1246; Heermann, in: MünchKomm-BGB, § 675 Rn. 56; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1294; Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 1 Rn. 244. 205 Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 1 Rn. 245; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 BGB Rn. B 31, 32. 206 Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 1 Rn. 246 f.; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 BGB Rn. B 31. 207 Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 137; Canaris, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, 1. Abschnitt Rn. 11. 208 Canaris, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, 1. Abschnitt Rn. 10 f. 209 Kern, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 17.17; Bergmann, in: Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 135 f.; Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung, Rn. 33 f.; a. A. Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 1 Rn. 247. 210 BGH, Urt. v. 24. September 2002 – XI ZR 345/01, BGHZ 152, S. 114 (119); Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 107.

II. Besondere Interessenwahrungsverträge

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cc) (Konkludenter) Beratungsvertrag In Abgrenzung zu einem bloßen Auskunftsvertrag kann zunächst festgehalten werden, dass die Auskunftserteilung als solche eine reine Wissens- und Willenserklärung ist.211 Ein zentraler Aspekt für die Annahme eines Beratungsvertrages, sowohl eines ausdrücklich als auch konkludent abgeschlossenen Vertrages, ist zunächst, dass die Auskunft für den Empfänger von erheblicher Bedeutung ist und er diese zur Grundlage wesentlicher Vermögensentscheidungen machen möchte und sie daher mit Rechtsbindungswillen erfolgt.212 Ein Indiz dafür, dass der Auskunft und der damit im Zusammenhang stehenden Empfehlung eine erhebliche Bedeutung beigemessen wird, ist die besondere Sachkunde des Auskunftgebers, insbesondere dann, wenn Auskunft und Beratung zu seiner beruflichen Tätigkeit gehören.213 Darüber hinaus steht bei einer Anlageberatung das Angebot einer individuellen Beratung im Mittelpunkt, die bei der Auswahl einer geeigneten Kapitalanlage unterstützend helfen soll.214 In der Praxis ist es nach wie vor noch immer die Seltenheit, dass Beratungsverträge ausdrücklich und gegen Entgelt geschlossen werden, auch konnte daran bislang die gesetzliche Einführung der sog. Honoraranlageberatung nichts ändern. Der Regelfall ist daher nach wie vor der von der Rechtsprechung215 entwickelte und von großen Teilen der Literatur216 befürwortete konkludent/stillschweigend geschlossene Beratungsvertrag. Dieser ist grundsätzlich ein klassischer Auftrag gemäß § 662 BGB, kann jedoch aufgrund seiner besonderen Struktur auch ohne Entgelt als Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstvertragscharakter gemäß § 675 Abs. 1 BGB eingeordnet werden.217 Das Geschäftsbesorgungselement und die daraus resultierende verstärkte Interessenwahrungspflicht stricto sensu ist Kern auch bei einer 211

Schur, in: Soergel, § 675 Rn. 118; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1294. 212 Buck-Heeb, WM 2012, S. 625 (627); Schur, in: Soergel, § 675 Rn. 120; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1294. 213 Buck-Heeb, WM 2012, S. 625 (627); Schur, in: Soergel, § 675 Rn. 120. 214 Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 227, 235. 215 BGH, Urt. v. 4. März 1987 – IVa ZR 122/85; BGHZ 100, S. 117 (118 f.); BGH, Urt. v. 13. Februar 1992 – III ZR 28/90, WM 1992, S. 1031 (1034); BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, S. 126; BGH, Urt. v. 28. Januar 1997 – XI ZR 22/96, WM 1997, S. 662 (662); OLG Düsseldorf, Urt. v. 10. Oktober 1996 – 6 U 14/96, WM 1997, 562 (563). 216 Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 28; Heinsius, ZBB 1994, S. 47 (49); so auch schon Hoegen, in: FS Stimpel, S. 247 (248); Horn, ZBB 1997, S. 139 (148); Keßler, VuR 1998, S. 3 (3 f., 10 f.); Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 73; Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, § 63 WpHG, Grundlagen Rn. 34, zivilrechtliche Rahmenbedingungen Rn. 377 – 281. 217 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, zivilrechtliche Rahmenbedingungen Rn. 264; a. A. Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. B 7; Berger, in: Erman, § 675 Rn. 38, der diese Einordnung nur bei vorliegender Entgeltlichkeit vornimmt, so wohl auch OLG Frankfurt, Urt. v. 5. Juli 2013 – 10 U 166/ 12, BKR 2013, S. 391 (392).

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

unentgeltlichen Anlageberatung. Darüber hinaus handelt es sich bei der Anlageberatung nicht um ein bloßes Tätigwerden im Sinne des § 611 Abs. 1 BGB. Zudem ist auch kein erfolgsbezogenes Handeln im Sinne des § 631 BGB dahingehend geschuldet, dass die empfohlene Vermögensanlage in jedem Fall zu einer Vermögensmehrung führen muss bzw. wird. Es handelt sich um einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstleistungscharakter, weil eine selbstständige Tätigkeit wirtschaftlicher Art mit Vermögensbezug und vor allem fremdnützigem Interessenwahrungscharakter vorliegt – unabhängig davon, ob es nur um die Beschaffung notwendiger Informationen geht oder aber bestimmte Schlussfolgerungen nahegelegt oder gezogen werden.218 Der Anlageberatungsvertrag ist folglich nicht nur ein bloßer Auftrag, wenn die Beratung unentgeltlich erfolgt, weil unter Maßgabe der Trennungstheorie es sich um eine Geschäftsbesorgung handelt, die eine Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen in den Mittelpunkt stellt und es gerade nicht nur um die Besorgung irgendeines Geschäfts geht. Wie bereits festgestellt, liegt in den wenigsten Fällen ein ausdrücklich abgeschlossener Anlageberatungsvertrag vor. Auch ist eine Bezahlung der Beratungsleistung nicht zwingend erforderlich.219 Der konkludent geschlossene Anlageberatungsvertrag wurde vom BGH in seiner berühmten Bond-Entscheidung wie folgt definiert: „Tritt ein Anlageinteressent an eine Bank oder der Anlageberater einer Bank an einen Kunden heran, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden bzw. zu beraten, so wird das darin liegende Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrages stillschweigend durch die Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen.“220 Dies hat zur Folge, dass bereits mit Beginn eines solchen Beratungsgesprächs ein Anlageberatungsrechtsverhältnis zustande gekommen ist. Es ist in diesem Fall unerheblich von wem die Initiative ausging, ob nun vom Anleger oder vom Anlageberater. Entscheidend ist, dass die Ausführungen des Beraters für die spätere Vermögensdisposition des Anlegers von erkennbarer Bedeutung sind.221 Der Beratungsvertrag wird zwischen der Anlageberatungsgesellschaft bzw. der Bank oder Sparkasse und dem Kunden bzw. Anleger geschlossen.222 Der Anlageberater ist mithin Vertreter der Anlageberatungsgesellschaft oder Bank und sein Handeln ist nach § 278 BGB und sein Wissen nach § 166 BGB dieser zurechenbar, weil er vom Empfängerhorizont des Kunden aus nach außen erkennbar als Stellvertreter auftritt.223 218

trages. 219

Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. C 12 bzgl. selbstständigen Auskunftsver-

Buck-Heeb, WM 2012, S. 625 (628). BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 (128); Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 1 Rn. 8, 40. 221 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 280 m. w. N. 222 Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 299. 223 Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 299. 220

II. Besondere Interessenwahrungsverträge

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In Bezug auf das daraus resultierende Pflichtengefüge hat der XI. Zivilsenat eine Zweiteilung herausgearbeitet, die mittlerweile zu einem allgemein anerkannten Prüfschema für kapitalanlagerechtliche Beratungssachverhalte geworden ist.224 Inhalt und Umfang des Beratungsvertrages umfassen zum einen die anlegergerechte Beratung, die sich auf die Person des Kunden bezieht, und die anlagegerechte Beratung, die das konkrete Anlageobjekt in den Blick nimmt.225 Von dem zu beurteilenden Einzelfall hängt die konkrete Ausgestaltung dieser Pflichten ab,226 wobei im Rahmen der anlegergerechten Beratung allgemein das Anlageziel sowie die Risikobereitschaft und vor allem der Wissensstand des Anlegers zu ermitteln und zu berücksichtigen sind.227 Im Rahmen der anlagegerechten Beratung müssen in Bezug auf das konkrete Investment alle relevanten Informationen vorliegen, damit der Anleger eine selbstverantwortliche Entscheidung mit der gebotenen Sorgfalt treffen kann.228 Entscheidend dafür ist, dass die Beratung richtig und sorgfältig und auch verständlich und vollständig ist, wobei über alle Umstände, die für das Anlagegeschäft von Bedeutung sind, der Anleger unterrichtet und bei Fehlen dieser Kenntnisse dies dem Anleger offengelegt werden muss.229 Einzelheiten zum konkreten Pflichtengefüge des (konkludent) geschlossenen Anlageberatungsvertrages folgen sogleich unter Punkt 2. Das Bond-Urteil des XI. Zivilsenats hat zur Folge, dass ein Beratungsrechtsverhältnis sehr schnell begründet wird.230 Die Kritik am konkludent geschlossenen Anlageberatungsvertrag ist auch 28 Jahre später nicht verstummt. Zum einen wird kritisiert, dass es sich um eine reine Vertragsfiktion handele231 und eine Rechtsbindung aus konkludentem Handeln nicht erfolgen könne.232 Überzeugender sei die Annahme eines gesetzlichen Schuldverhältnisses gem. §§ 311 Abs. 2 Nr. 3, 241 Abs. 2 BGB, weil die Rechtsprechung selbst die Aufklärungspflichten dahingehend objektiv-normativ konkretisiere.233 Dies muss jedoch in Abgrenzung zu 224

Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 1 Rn. 54. BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 (128); Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 1 Rn. 41. 226 BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 (128); Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 1 Rn. 41. 227 BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 (128); Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 1 Rn. 18, 42. 228 BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 (129); Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 1 Rn. 19. 229 BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 (129 f.); Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 1 Rn. 45. 230 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 1 Rn. 1, 40. 231 Schäfer/Müller, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung, 2. Kapitel Rn. 19; so bereits Lorenz, in: FS Larenz, S. 575 (615, 618 f.); Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 405; Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 88 – 90; Herresthal, ZBB 2012, S. 89 (106); Hopt, in: FS Gernhuber, S. 169 (173); so auch Hopt, Bankrechtstag 1992, S. 1 (7 f.); Lammel, AcP 179 (1979), S. 337 (340 f.); a. A. Buck-Heeb, WM 2012, S. 625 (628). 232 Lammel, AcP 179 (1979), S. 337 (341). 233 Herresthal, ZBB 2012, S. 89 (106). 225

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

§ 675 Abs. 2 BGB betrachtet werden, sodass im Ersuchen einer Anlageberatung gerade kein einfacher sozialer Kontakt liegt, sondern eine gewisse rechtliche Verbindlichkeit suggeriert wird, auch wenn es im ersten Schritt erst einmal nur um eine Beratungs- und Auskunftsleistung geht.234 Aus den Umständen des Einzelfalles ist jedoch herauszufiltern, ob und inwieweit eine rechtliche Bindung angestrebt ist. Die Unentgeltlichkeit der Beratungsleistung könnte grundsätzlich als „Symptom der Vertragslosigkeit“ gewertet werden.235 Dieser Gedanke greift jedoch zu kurz, weil das BGB ausdrücklich entgeltlose Verträge wie die Leihe, Verwahrung oder den Auftrag vorsieht und die Unentgeltlichkeit daher kein Letztentscheidungskriterium gegen einen Vertragsschluss sein kann. Darüber hinaus greift der Einwand, dass es sich lediglich um einen Haftungsvertrag handele,236 nicht durch. Diesem kann insofern begegnet werden, dass dieser ebenfalls eine Fiktion darstellt und zu einem gerade unvollständigen Rechtsverhältnis beiträgt, wenn „nur“ eine Haftung begründet werden soll, aber sich die Pflichtverletzung nicht aus einem Schuldverhältnis begründen lässt. Die Haftung kann durch den konkludent abgeschlossenen Anlageberatungsvertrag auf ein konkretes Schuldverhältnis, das gewisse Rechte und Pflichten mit sich bringt, gestützt werden. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der konkludent geschlossene Anlageberatungsvertrag, so wie das Bond-Urteil ihn postuliert, zu einer gerechten Interessen- und Pflichtenverteilung führt. Emmerich führt jedoch an, dass es in einer Mehrzahl der Fälle realistischer sei, die aus einem Beratungsrechtsverhältnis gebotenen Beratungs- und Aufklärungspflichten der Banken auf § 311 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 i. V. m. dem jeweiligen intendierten Anlagegeschäft zu stützen, weil der Beratungsvertrag immer häufiger schon bei der bloßen Kontaktaufnahme zwischen Kunde und Bank unterstellt wird.237 dd) Zwischenfazit Die Anlageberatung ist folglich eine Geschäftsbesorgung mit Dienstvertragscharakter, die unter Abschluss eines eigenständigen Beratungsvertrages, ausdrücklich oder konkludent, erfolgt. Der Abschluss eines gesonderten Beratungsvertrages trägt im Gegensatz zur Annahme eines allgemeinen Bankvertrages als Grund- bzw. Rahmenvertrag der Privatautonomie in höchstem Maße Rechnung.238 Die Anlageberatung ist hingegen kein Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgungselementen.239 Denn es steht die Geschäftsbesorgung als solche im Mittelpunkt. Nach der Geschäftsbesorgungsformel der Rechtsprechung und herrschenden Literatur schuldet der Anlageberater nicht einen bloßen Dienst bzw. eine bloße Dienstleistung. Das 234 235 236 237 238 239

So auch Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 57 f. Faber, BB 1957, S. 494 (495). Nähere Erläuterungen m. w. N. bei Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 61. Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311, Rn. 105. Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung, Rn. 36. Beuthien, in: Soergel, § 675 Rn. 7.

II. Besondere Interessenwahrungsverträge

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Geschäftsbesorgungselement ist geradezu prägend und die Hauptpflicht ist die Interessenwahrnehmung und die damit einhergehende Interessenwahrung. b) Zivilrechtliches Pflichtengefüge Im Bereich der Kapitalanlage liegt eine Besonderheit darin, dass zwischen Bank und Kunde zwei voneinander unabhängige Verträge geschlossen werden, weil der Beratungsvertrag eigenständig neben das Ausführungsgeschäft tritt240. Zunächst wird ein Beratungsvertrag abgeschlossen und dem nachgeschaltet folgt erst das Ausführungsgeschäft, das entweder ein Kommissionsgeschäft oder ein Kaufvertrag ist. Die Verträge sind dabei unabhängig und abstrakt voneinander zu betrachten. Diese Struktur fügt sich in das allgemeine System des BGB mit seinem wichtigsten Grundprinzip des Trennungs- und Abstraktionsprinzips ein. Vor diesem Hintergrund ist somit auch das Pflichtengefüge des Anlageberatungsvertrags und des Ausführungsgeschäfts gesondert darzustellen. Die Aufspaltung der Pflichten der Bank ist nicht wie von Oechsler241 vertreten eine künstliche und entbehrliche Konstruktion. Dieser geht von einem einheitlichen, auf Beratung und anschließenden Verkauf gerichteten Vertrag aus, der den Normen des Kaufrechts gemäß §§ 433 ff. BGB unterliegt und die Beratungspflichten als Nebenpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB darstellt. Diese Einordnung greift jedoch zu kurz, weil zunächst das Ausführungsgeschäft in der Praxis primär immer noch im Rahmen der Finanzkommission und nicht als Festpreisgeschäft erfolgt und bei einem Kommissionsgeschäft für Beratungspflichten als Nebenpflichten nur ein ganz geringer Spielraum bleibt, wie sogleich ausführlich unter III. dargestellt wird. Darüber hinaus ist die Beratung in Bezug auf Kapitalanlagen eine eigenständige Dienstleistung der Bank und des Anlageberaters, die nicht nur nebenbei zum Kaufvertrag oder der Kommission erfolgt. Erst nach einer Beratung entschließt sich der Anleger, ob es überhaupt zu einem Erwerb der empfohlenen oder einer anderen Kapitalanlage kommen soll. Es liegen somit zwei getrennte Lebenssachverhalte vor, die auch rechtlich getrennt und unabhängig voneinander zu beurteilen sind. Daher kommt dem zivilrechtlichen bzw. vertragsrechtlichen Pflichtengefüge im Rahmen des Anlageberatungsvertrages eine besondere Bedeutung zu. Für den einzelnen Anleger steht die aus der Bewirtschaftung der Kapitalanlage wachsenden Rendite im Vordergrund und nicht das tatsächlich erworbene Anlageprodukt, z. B. ein konkretes Wertpapier oder eine Beteiligung im Rahmen eines Immobilienfonds.242 Damit der Anleger jedoch die Werthaltigkeit der Anlage beurteilen kann, ist dieser auf bestimmte Informationen des Anlageberaters angewiesen. Der Anleger muss über die Chancen und Risiken einer Kapitalanlage zutreffend und vor allen 240 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, zivilrechtliche Rahmenbedingungen, Rn. 277, 280. 241 Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1293. 242 Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1287.

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

Dingen auch umfassend informiert und beraten werden.243 Dies ist vor dem Hintergrund eines effektiven Anlegerschutzes erforderlich, damit der Anleger selbst entscheiden kann, welches Risiko er bereit ist einzugehen und ob er das konkrete Risiko, das mit der empfohlenen Anlage zusammenhängt, eingehen möchte. Die Anlageberatung und die damit einhergehende umfassende Aufklärung, Beratung und Empfehlung sollen demnach verhindern, dass sich die Bank aufgrund ihres Wissensund Erfahrungsvorsprungs zulasten des Anlegers unangemessene Vorteile verschafft.244 Durch eine seriöse Anlageberatung wird eine rationale Anlageentscheidung gefördert und die größtmögliche Autonomie des Anlegers begründet.245 Wie bereits im vorherigen Punkt ausgeführt, postuliert die Bond-Rechtsprechung als Pflichtenmaßstab im Rahmen des (konkludent) geschlossenen Anlageberatungsvertrags die anleger- und anlage- bzw. objektgerechte Beratung. Die mittlerweile von Teilen der Literatur zu einem Dogma erhobene anleger- und anlagegerechte Beratung bleibt trotz aller Kritik die unveränderte Richtschnur für die Anlegeraufklärung in der Anlageberatung.246 Die dadurch geschaffenen präzisen Vorgaben, die noch heute Bestand haben, gingen weit über die damaligen gesetzlichen Regelungen hinaus und verdeutlichen das Sensationelle an dieser Entscheidung.247 Denn der BGH griff der auf europäischer Ebene verabschiedeten Wertpapierdienstleistungsrichtlinie 93/33/EWG des Rates vom 10. Mai 1993248 und den darin enthaltenen aufsichtsrechtlichen Verhaltenspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen vor und glich die Pflichten der anleger- und anlagegerechten Beratung den dort enthaltenen Vorschriften im Wesentlichen an. Zur Bewältigung der vorhandenen Informationsasymmetrien und des vorhandenen Informationsrisikos wurden in den letzten Jahrzehnten allgemeine zivilrechtliche Aufklärungs-, Informations- und Beratungspflichten entwickelt, die im Folgenden dem Forschungsinteresse entsprechend vorrangig mit Blick auf den Zuwendungskonflikt skizziert werden. Die folgende Darstellung dient daher nur als Einführung und Überblick des allgemeinen zivilrechtlichen Pflichtengefüges im Kontext der vertragsrechtlichen Rahmenbedingungen als Ausgangspunkt für die dogmatische Einordnung des Transparenzgebotes. Die Details der Zuwendungsproblematik, insbesondere in Abgrenzung zu den aufsichtsrechtlichen Pflichten, werden zusammenhängend im 4. Kapitel dieser Arbeit dargestellt. 243

Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1287. Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 2. 245 Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 3. 246 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 2 Rn. 1; so auch nochmals in der Lehman-IEntscheidung des BGH hervorgehoben: BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (125). 247 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 1 Rn. 35 f., für den dieses Urteil ein Meisterwerk ist, da die geschaffenen allgemeinen Grundsätze auch nach mehr als 20 Jahren uneingeschränkte Geltung entfalten. 248 Zu dieser Richtlinie und ihren Implikationen für das nationale Recht sogleich in Kapitel 3 ausführlich. 244

II. Besondere Interessenwahrungsverträge

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Auch bleiben die aufsichtsrechtlichen Pflichten, die sich insbesondere aus den §§ 64 – 66 WpHG ergeben, außen vor, sofern sie nicht in Bezug auf die Interessenwahrungspflicht stricto sensu im Allgemeinen und vor dem Hintergrund des Zuwendungskonflikts im Besonderen von Relevanz sind. aa) Anlegergerechte Beratung („Know your customer“-Grundsatz) Die Anlageberatung hat individuell und sachkundig zu erfolgen, um den Anleger in die Lage zu versetzen, eine eigenverantwortliche und informierte Entscheidung treffen zu können.249 Inhalt und Umfang der anlegergerechten Beratung sind von Faktoren abhängig, die sich auf die Person des Anlegers beziehen. Im Rahmen dessen sind vor allem der Wissensstand des einzelnen Anlegers über das konkret beabsichtigte Anlagegeschäft sowie dessen Risikobereitschaft und das konkrete Anlageziel zu berücksichtigen.250 Die Informationen zur Person des Anlegers hat die Bank, sofern sie diese nicht aus einer langjährigen Geschäftsbeziehung bereits hat, von dem Anleger zu erfragen.251 Denn nur so lässt sich für den Anlageberater herausfiltern, ob das Anlagegeschäft der sicheren Geldanlage dienen soll oder spekulativen Charakter hat. Das konkrete Anlagegeschäft muss auf die persönlichen Verhältnisse des einzelnen Anlegers zugeschnitten sein. Das Interesse des Anlegers ist anhand der anlegerspezifischen konkreten Motive im Einzelfall und nicht anhand objektiver Kriterien und Motive eines Durchschnittsanlegers zu ermitteln.252 Der Sinn und Zweck der Beratung besteht darin, das bestehende Macht- und Wissensgefälle zwischen Bank und Anleger zu reduzieren und eine nahezu gleiche Verhandlungsstärke zwischen den Parteien zu schaffen, um so dem Grundsatz der Privatautonomie zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen.253 Nur so kann der Anleger seine Gewinnchancen und Risiken wirklichkeitsnah und sachgerecht einschätzen.254 249 Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 31; Buhk, Haftung bei der Anlagevermittlung und der Anlageberatung, S. 153; Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 286; Weller, ZBB 2011, S. 191 (193). 250 BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, S. 126 (128); BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (125); Bamberger, in: Derleder/Knops/ Bamberger, § 52 Rn. 32, 145; Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 307; Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 282 f.; Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung, Rn. 140; Wiechers/Henning, WM-Sonderbeilage Nr. 4/2015, S. 1 (6). 251 BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, S. 126 (128); Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 282; Wiechers/Henning, WM-Sonderbeilage Nr. 4/2015, S. 1 (6). 252 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 282. 253 Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 140. 254 Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 140; Ekkenga, in: MünchKommHGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 286.

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

Die geschäftsbesorgungsrechtlichen Pflichten der Banken lassen sich für die meisten Bankgeschäfte als Ausprägung der allgemeinen Interessenwahrungspflicht stricto sensu auf die fünf wesentliche Pflichten Auskunft, Aufklärung, Warnung, Beratung und Verschwiegenheit eingrenzen.255 Für das zivilrechtliche Pflichtengefüge des Anlageberatungsvertrags sind die Auskunfts-, Aufklärungs-, Beratungsund Warnpflicht von wesentlicher Bedeutung. (1) Beratungspflicht Die Beratung an sich umfasst zunächst die Unterstützung des Anlegers bei der Entscheidungsfindung für eine Anlage und zählt zu einem wesentlichen Tätigkeitsfeld einer Filialbank im Wertpapiergeschäft.256 Im Rahmen der Beratungspflicht steht zum einen die Mitteilung von Informationen über entscheidungserhebliche Umstände und zum anderen die Bewertung der gegebenen Informationen im Raum, um daraus Schlussfolgerungen für einen dem Anleger zu erteilenden Rat zu ziehen.257 Am Ende einer Beratung steht immer eine Empfehlung bzw. ein Lösungsvorschlag, wobei diese(r) immer einen wertenden Charakter hat und es sich um eine Prognoseentscheidung handelt.258 Die Beratung soll mithin eine konkrete eigenverantwortliche Anlageentscheidung durch den Kunden vorbereiten.259 Im Rahmen einer Beratung sind das Anlageziel, die Risikobereitschaft und Risikofähigkeit des Kunden zu berücksichtigen und die Tatsachen vor diesem Hintergrund zu bewerten260, wobei die in die Beratung eingebrachte Tatsachengrundlage immer zutreffend sein muss261. Dies entspricht der vom BGH im Bond-Urteil allgemein statuierten 255 Grundmann, in: MünchKomm-BGB, § 276 Rn. 116 f.; Heermann, in: MünchKommBGB, § 675 Rn. 58. 256 Walz, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 28. 257 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 299 – 303; Walz, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 28; Bamberger, in: Derleder/Knops/ Bamberger, § 52 Rn. 11; Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 3 Rn. 58; Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, S. 34; Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung, Rn. 27; Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 16; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 15; Weller, ZBB 2011, S. 191 (192). 258 Edelmann, in: Assmann/Schütze, § 3 Rn. 4, 15; Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 11, 150; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 2. Abschnitt, Rn. 24; Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 17; Spindler, in: Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 284. 259 Walz, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 43, 46 f.; Weller, ZBB 2011, S. 191 (193). 260 Edelmann, in: Assmann/Schütze, § 3 Rn. 17; Walz, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 43, 46; Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 31; so auch schon Hoegen, in: FS Stimpel, S. 247 (250 – 252); Kichhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 3 Rn. 63; Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung, Rn. 140; Balzer, DB 1997, S. 2311 (2313 f.); Horn, ZBB 1997, S. 139 (141); Horn, WM 1999, S. 1 (3 – 5); Weller, ZBB 2011, S. 191 (192). 261 Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 150.

II. Besondere Interessenwahrungsverträge

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anlage- und anlegergerechten Beratung, wobei es sich bei der Beratungspflicht um eine Hauptpflicht handelt, die stets dem wirtschaftlichen Interesse und der finanziellen Lage des einzelnen Anlegers entsprechen muss.262 Darüber hinaus schuldet der Anlageberater mehr als eine bloße Plausibilitätsprüfung, sodass er dazu verpflichtet ist, die Anlage „mit dem üblichen kritischen Sachverstand zu prüfen oder den Anleger auf ein diesbezügliches Unterlassen hinzuweisen“263.264 Der Umfang der Beratungspflicht hat sich an der jeweiligen Sachkunde des Anlegers und der Komplexität des Anlagegeschäfts zu orientieren265 und hängt somit maßgeblich von den Umständen des Einzelfalles ab266. (2) Informations- und Auskunftspflicht Hierbei geht es um die reine Mitteilung von Informationen, von denen der Auskunftsempfänger sein künftiges Verhalten abhängig machen will; eine Empfehlung, d. h. eine Bewertung, ist gerade nicht geschuldet.267 Die Auskunft selbst muss einen erkennbaren Aussagegehalt aufweisen und konkrete Tatsachen mitteilen, wobei Auskunft und Information nicht synonym zu verstehen sind.268 Die Auskunft erschöpft sich in einer bloßen Tatsachenmitteilung.269 (3) Aufklärungspflicht Die Aufklärung an sich beschränkt sich auf die zutreffende, vollständige und verständliche Mitteilung und Erläuterung von Tatsachen, soweit dies zur Wahrung der Interessen des konkreten Kunden und im Hinblick auf Art und Umfang der beabsichtigten Geschäfte erforderlich ist.270 Es geht dabei um „die belehrende Unterrichtung des Kunden durch Verschaffung der Kenntnis von entscheidungserheb-

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Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 282. 263 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 286. 264 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 286. 265 Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 146; Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 3 Rn. 49. 266 Heermann, in: MünchKomm-BGB, § 675 Rn. 58, 60. 267 Walz, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 28 f.; Bamberger, in: Derleder/ Knops/Bamberger, § 52 Rn. 150; Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, S. 31 f.; Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 21, 27; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 15. 268 Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, S. 32. 269 Weller, ZBB 2011, S. 191 (192). 270 Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 309; Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 150; Weller, ZBB 2011, S. 191 (192).

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

lichen Tatsachen mit dem Ziel der Beseitigung von Unwissenheit“271. Dies zugrunde gelegt, kann eine Untergliederung in abschluss-, instrumenten- und objektbezogene Informationen erfolgen.272 Die Aufklärung ist immer ein Bestandteil der Beratung, beides geht Hand in Hand, weil eine Beratung ohne Aufklärung nur möglich ist, wenn der Kunde nicht allein entscheiden kann oder will.273 Es trifft jedoch nicht zu, dass sich eine Beratung lediglich an den konkreten Fragestellungen, die sich aus dem Kundengespräch ergeben, zu orientieren hat.274 Es ist vielleicht keine vollständige Ermittlung des Kundeninteresses notwendig, allerdings kann sich die Aufklärung durchaus auch auf Umstände erstrecken, nach denen der Kunde nicht explizit fragt, wenn die Kundeninteressen, z. B. im Rahmen eines Vergütungskonflikts, gefährdet sein können und so eine informierte Entscheidung nicht mehr gegeben ist. Im Ergebnis ist eine Aufklärung über alle wesentlichen Punkte erforderlich, damit der Anleger eine informierte und autonome Entscheidung treffen kann.275 Vor diesem Hintergrund muss das beratende Wertpapierdienstleistungsunternehmen die erforderlichen Kenntnisse unmissverständlich offenlegen; dazu zählt auch eine unmissverständliche Offenlegung, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen aufgrund unzureichender eigener Informationen nicht zu einer sachgerechten Einschätzung des Anlagerisikos in der Lage ist.276 Darüber hinaus ist die Information im Rahmen der Aufklärung neutral zu halten und darf keine subjektive Empfehlung beinhalten.277 (4) Hinweis- und Warnpflicht Der Anleger soll durch Hinweis- und Warnpflichten auf die Begrenztheit seines Beurteilungsvermögens und seiner finanziellen Möglichkeiten aufmerksam gemacht sowie über zweifelhafte Meldungen und Werbung in Kenntnis gesetzt werden.278 Die Hinweis- und Warnpflichten gelten streng genommen nicht als gesonderte Pflichten, sondern sind ein Teil der Aufklärungspflicht, weil eine Warnung jeder Aufklärung inhärent ist.279 Warnpflichten bestehen als besondere Schutzpflichten regelmäßig bei 271

Nobbe/Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung, Rn. 26. Möllers/Ganten, ZGR 1998, S. 773 (785 – 787). 273 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 300 f.; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/2 2. Teil, 2. Abschnitt, Rn. 24; Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 3 Rn. 48; Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, S. 35; Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 142. 274 So etwa Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 20; a. A. Buhk, Haftung bei der Anlagevermittlung und der Anlageberatung, S. 153 f. 275 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 2. Abschnitt Rn. 24. 276 Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 155. 277 Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, S. 33. 278 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 280. 279 Grundmann, in: MünchKomm-BGB, § 276 BGB Rn. 116; Grundmann, in: Staub/ GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 2. Abschnitt, Rn. 24; Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5 § 384 HGB Rn. 10. 272

II. Besondere Interessenwahrungsverträge

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intensiven und länger andauernden Geschäftsbeziehungen und insbesondere mit Blick auf Risiken des einzelnen Geschäfts.280 bb) Anlagegerechte Beratung („Know your product“-Grundsatz) Im Rahmen der anlagegerechten bzw. objektgerechten Beratung sind diejenigen Eigenschaften und Risiken einzubeziehen, die für die jeweilige Anlageentscheidung eine wesentliche Bedeutung haben oder haben können.281 Es geht mithin um die Aufklärung über die Eigenschaften und Risiken der beabsichtigten Anlage.282 Eine Differenzierung zwischen allgemeinen Risiken, wie die Konjunkturlage oder Entwicklung des Börsenmarktes, und die speziellen Risiken bezogen auf die individuellen Gegebenheiten des Anlageobjekts, wie das Kurs-, Zins- und Währungsrisiko, ist hierfür erforderlich.283 Der Anleger darf im Rahmen der objektgerechten Beratung davon ausgehen, dass die Bank die von ihr in das Anlageprogramm aufgenommenen Papiere selbst für „gut“ befunden, d. h. diese „mit banküblichem kritischen Sachverstand“284 geprüft hat.285 Im Hinblick auf die zu berücksichtigenden Faktoren, die sich auf das Anlageobjekt beziehen, muss die Bank richtig, sorgfältig, verständlich, vollständig und zeitnah aufklären.286 Die Bank kann sich dabei nicht allein die Börsenzulassung und das Prospekt zum Maßstab nehmen, sondern muss sich gegebenenfalls weitere Informationen beschaffen.287 Vorausgesetzt wird, dass die Bank sich intensiv mit dem Produkt vertraut macht und die Angaben in einem Prospekt auch kritisch hinterfragt und sich demnach intensiv mit den Risiken und Merkmalen des angebotenen Produkts auseinandersetzt.288 Zu bedenken ist in diesem Zusam280

Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 153; Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, S. 36 f. 281 BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, S. 126 (129); BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (125). 282 Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 307; Walz, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 55. 283 BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, S. 126 (129); BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (125); Kirchhartz, in: Claussen, Bankund Börsenrecht, § 3 Rn. 65. 284 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Zivilrechtliche Rahmenbedingungen, Rn. 295. 285 BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, S. 126 (129). 286 BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, S. 126 (129 f.); Edelmann, in: Assmann/Schütze, § 3 Rn. 20, 23; Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 BGB, Rn. 106; Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 3 Rn 65. 287 BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, S. 126 (130); BGH, Urt. v. 5. November 2009 – III ZR 302/08, wonach das zeitnahe Studium der Wirtschaftspresse, insbesondere die Lektüre des Handelsblattes, unverzichtbar sind; Spindler, in: Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Zivilrechtliche Rahmenbedingungen, Rn. 295. 288 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Zivilrechtliche Rahmenbedingungen, Rn. 295.

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

menhang, dass mit der Komplexität des Produkts auch die Beratungsintensität steigt.289 In der Bankpraxis werden die Kunden bzw. Anleger in unterschiedliche Risikogruppen eingeteilt und ihnen werden nach ihren Erfahrungen und ihrem Kenntnisstand geeignete Wertpapiere zugeordnet. Entsprechend dieser Einordnung werden die Kunden informiert und aufgeklärt.290 Die Bewertung und Empfehlung des Anlageobjekts muss unter Berücksichtigung der oben genannten Faktoren lediglich ex ante betrachtet vertretbar sein und das Risiko, dass sich diese Betrachtung im Nachhinein als falsch erweist, trägt der Anleger.291 cc) Bedeutung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu Dieser Anlageberatungspflichtenkanon kann als Ausprägung der allgemeinen Interessenwahrungspflicht stricto sensu gesehen werden292 und beinhaltet in erster Linie die Verpflichtung zu einer interessengerechten Beachtung fremder Vermögensbelange293. Im Wesentlichen geht es um eine angemessene und gerechte Verteilung von Informations- und Informationsbeschaffungsrisiken,294 wobei Ausgangspunkt und Rechtsgrundlage die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelten Pflichten aus den §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 242, 662, 675 BGB sind. Bei der Bestimmung der zu wahrenden Interessen ist zunächst der Auslegungsmaßstab festzulegen. Dabei sind zwei Ansätze zu unterscheiden und in Einklang zu bringen: der konkret-individuelle Ansatz, bei dem die subjektiven Interessen des einzelnen Anlegers ausschlaggebend sind, und der generelle Ansatz, wonach die konkreten Interessen der Gesamtheit der Kunden in den Blick zu nehmen sind.295 Hierbei ist kurz festzustellen, dass die konkret-individuelle Sichtweise die einzig praktikable ist, denn die Beziehung zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Kunden basiert allein auf der privatrechtlichen Verbindung, woraus sich ergibt, dass sich die vertraglichen Interessenwahrungspflichten allein anhand dieser Individualverträge bestimmen und somit die individuellen und nicht die kollektiven Interessen ausschlaggebend sind.296 Bei den zu berücksichtigenden Einzelinteressen muss es sich um rational begründete Interessen handeln.297 289 Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 319 f., 323; Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Zivilrechtliche Rahmenbedingungen, Rn. 298. 290 Walz, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb, § 90 Rn. 57; Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 3 Rn. 66. 291 BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (125); Buck-Heeb/ Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 503. 292 So auch Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 14. 293 Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 7. 294 Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 14. 295 Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 105 – 109. 296 Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 107, 109. 297 Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 110 f.

II. Besondere Interessenwahrungsverträge

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Entscheidend ist daher die besondere Treuebindung zwischen Anleger und Anlageberater gekennzeichnet von „einer fürsorgerischen Wahrnehmung der Vermögensinteressen“298 des Anlegers, die sich aus der Expertenstellung des Beraters ergibt.299 Der Anlageberater muss im Rahmen seiner Interessenwahrungspflicht alle für seine Empfehlung bedeutsamen Informationen und Fakten sammeln, bewerten und dann alle ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse vollständig und wahrheitsgemäß mitteilen.300 Nach Musielak erschöpft sich die Pflicht der Interessenwahrnehmung nicht in der Wahrnehmung der Interessen, sondern ist darüber hinaus noch durch einen besonders fürsorgerischen Charakter geprägt.301 dd) Zwischenfazit Der Sinn und Zweck der Beratungs-, Informations- und Aufklärungspflichten besteht darin, den individuellen Anlegerschutz zu verstärken und den Anleger dahingehend zu unterstützen, die Tragweite und das wirtschaftliche Risiko seiner Entscheidung abzuschätzen und seine Gewinninteressen sachgerecht zu verfolgen.302 Aufgrund des zentralen fremdinteressenwahrenden Charakters des Anlageberatungsvertrages ist seitens des Beraters der größtmögliche Nutzen für den Anleger anzustreben.303 c) Haftung und Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen Beratungspflichten Im Rahmen der kapitalanlagerechtlichen Haftung sind die Eigenverantwortlichkeit des Kunden sowie die Informationspflichten eines verantwortlich agierenden Beraters in angemessener Weise zu berücksichtigen und in Einklang zu bringen.304 Denn insbesondere die Gefahr eines „information overload“ und die damit verbundene Gefahr der Desinformation durch Überinformation sowohl aufseiten des Anlegers als auch aufseiten des Beraters sind miteinzubeziehen.305 Der Bankberater muss einen angemessenen Informationsstand erlangen, damit er pflichtgemäß seinen Informationspflichten in Bezug auf die konkret zu empfehlende Kapitalanlage er298

Musielak, in: BMJ (Hg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Band II, S. 1209 (1234). 299 Musielak, in: BMJ (Hg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Band II, S. 1209 (1234). 300 Musielak, in: BMJ (Hg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Band II, S. 1209 (1235). 301 Musielak, in: BMJ (Hg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Band II, S. 1209 (1235). 302 Bernau, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 56 Rn. 57. 303 Weller, ZBB 2011, S. 191 (198). 304 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 1 Rn. 108. 305 Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 324 – 326; Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 2 Rn. 12.

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

füllen kann.306 Dabei sind bei der Vielzahl von zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht bedingungslos alle von verfügbarem Prospektmaterial über die Wirtschaftspresse bis hin zum Internet heranzuziehen.307 Das ist faktisch auch gar nicht möglich. Diesen Gegebenheiten hat die Rechtsprechung Rechnung getragen, denn Überinformation ist immer Falschinformation.308 Die Haftung des Anlageberaters steht immer im Fokus, sobald es um die Haftung für fehlerhafte Kapitalanlagen geht.309 Es stehen dabei eine Fülle von Pflichten im Mittelpunkt, darunter die rechtliche Überprüfung in Bezug auf eine ordnungsgemäße Erfüllung und Dokumentation.310 Vorrangig geht es um die Verletzung von Aufklärungs- und Informationspflichten, die sich entweder aus dem konkludent oder ausdrücklich geschlossenen Beratungsvertrag im Rahmen einer Schadensersatzhaftung oder im Rahmen einer Haftung aus culpa in contrahendo und somit einer Verletzung vorvertraglicher Pflichten ergeben. Die kapitalanlagerechtliche Haftungsrechtsprechung der jüngsten Zeit verdeutlicht, dass im Hinblick auf die Qualität der Anlageberatung die Anforderungen immer anspruchsvoller wurden und so die Eigenverantwortlichkeit des Bankkunden Stück für Stück zurückgedrängt wurde.311 Von besonderer Relevanz in diesem Zusammenhang sind die im Folgenden kurz skizzierten Urteile. Nach dem Urteil des BGH vom 14. Juli 2009 – XI ZR 152/08312 hatte der Anleger noch das Risiko zu tragen, dass sich eine Anlageentscheidung im Nachhinein als falsch erweisen könnte, weil Bewertung und Empfehlung eines Anlageobjekts unter Berücksichtigung der konkreten Anlageziele und Kundenwünsche ex ante betrachtet lediglich vertretbar seien.313 Schließlich erntet der Kunde bei einer erfolgreichen Investition und Kapitalanlage auch die Früchte.314 In dem Urteil des BGH vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10315 wurde dahingegen die „Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens“ postuliert und nunmehr trägt die Bank die Darlegungs- und Beweislast für die Behauptung, der Anleger hätte die Beteiligung auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütung erworben.

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Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 2 Rn. 12. Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 149; Buck-Heeb/Lang, in: BeckOGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 303 – 307; Kern, in: Kümpel/Mülbert/Früh/ Seyfried, Rn. 17.68; Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311, Rn. 111. 308 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 2 Rn. 48. 309 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 1 Rn. 1. 310 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 1 Rn. 1. 311 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 2 Rn. 16. 312 BGH, Urt. 14. Juli 2009 – XI ZR 152/08, NJW 2009, S. 3429 – 3433. 313 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 2 Rn. 37. 314 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 2 Rn. 37 Fn. 23. 315 BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, S. 159 – 183, NJW 2012, S. 2427 – 2434. 307

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Hierbei handelt es sich um eine zur Beweislastumkehr widerlegliche Vermutung.316 Dieses Urteil hat eine große Aufmerksamkeit in der Praxis erfahren, weil es zu einer Abkehr von der Rechtsfigur des „Entscheidungskonfliktes“ führt. Dies führt dazu, dass die Unklarheiten, die durch eine Aufklärungspflichtverletzung bedingt sind, zulasten des Aufklärungspflichtigen gehen und dieser die Nichtursächlichkeit seiner Pflichtverletzung beweisen muss.317 d) Zwischenergebnis Die Ausführungen zum Anlageberatungsvertrag verdeutlichen einmal mehr seine Rechtsnatur als besonderer Interessenwahrungsvertrag und die hervorgehobene Bedeutung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu als Teil der anlegergerechten und anlagegerechten Beratung. Wie sich dieses im Zuge der Bond-Rechtsprechung entwickelte Pflichtengefüge zu den Wohlverhaltensregeln der §§ 63 ff. WpHG verhält, wird im 3. und 4. Kapitel ausführlich erörtert. Zunächst ist jedoch das zivilrechtliche Pflichtengefüge des Effektengeschäfts, insbesondere das Finanzkommissionsgeschäft, näher zu betrachten.

2. Effektengeschäft Das Effektengeschäft, welches aus Sicht der Institute im Vordergrund ihrer Praxis steht,318 umfasst, angelehnt an die Terminologie des Kreditwesengesetzes aus dem Jahr 1961, drei erlaubnispflichtige Bankgeschäfte bzw. Finanzdienstleistungen, die sich auch als Wertpapierdienstleistungen im WpHG wiederfinden.319 Dabei handelt es sich um das Finanzkommissionsgeschäft, früher auch als Effektenkommission320 bezeichnet, das Eigengeschäft, von besonderer Relevanz ist hier das Festpreisgeschäft, und daneben die Abschlussvermittlung, die hier jedoch außen vor bleibt. Im Fokus des Effektengeschäfts stehen „die Anschaffung und die Veräußerung von 316

BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, NJW 2012, S. 2427 (2429 f.). BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, NJW 2012, S. 2427 (2430). 318 Seiler/Geier, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb, Vor § 104, Rn. 36 (5. Auflage, 2017). 319 BVerwG, Urt. v. 27. Februar 2008 – 6 C 11.07 u. 12.07, WM 2008, S. 1359 (1362); Braun, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 17.2. Der Begriff des „Effektengeschäfts“ und seine Verwendung wird teilweise als „äußerst ungenau und daher nicht mehr opportun“ bezeichnet, so etwa Schäfer, in: Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 12 Rn. 1; auch ist er kein Rechtsbegriff mehr, so etwa Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 1; dieser dient hier dennoch als Oberbegriff für die systematische Darstellung der marktbezogenen Bankgeschäfte des Finanzkommissionsgeschäfts und Festpreisgeschäfts. 320 Vgl. ausführlich hierzu die Dissertation von von Dalwigk zu Lichtenfels, Das Effektenkommissionsgeschäft, 1975 und Bodura, Rechtsbeziehungen zwischen Bank und Anleger im Effektenhandel, 1995. 317

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

Finanzinstrumenten“,321 wobei Effektengeschäfte zwischen einer Bank und einem Anleger in der Regel als Kommissionsgeschäft oder Festpreisgeschäft abgeschlossen werden322. Welches Geschäft zwischen der Bank und dem Anleger abgeschlossen wurde, hing schon nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts von der wirtschaftlichen Bedeutung des Geschäfts für die einzelnen Vertragsparteien ab.323 Die rechtliche Ordnung des Effektengeschäfts dient zum einen der Wahrung des staatlichen Interesses an der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes und zum anderen sorgt sie für einen gerechten Interessenausgleich zwischen den Banken und den Anlegern als Vertragspartner.324 Dies wird insbesondere deutlich an den aufsichtsrechtlichen Organisations- und Verhaltenspflichten des WpHG325, auf die in den folgenden beiden Kapiteln ausführlich eingegangen wird. In der Praxis werden Banken in der Regel und überwiegend als Kommissionäre tätig.326 Dies hängt vor allem mit dem Ausführungs- und Kursrisiko, das Banken bei Festpreisgeschäften tragen, zusammen.327 Nur wenn die Bank oder der Anlageberater tatsächlich die Finanzinstrumente schon hält, ist die Durchführung eines Festpreisgeschäfts angezeigt. In der Regel wird eine Bank keine große Palette an Finanzinstrumenten zur direkten freien Verfügung und in unbegrenztem Vorrat haben. Darüber hinaus erhalten Banken für die eigentliche Geschäftsbesorgung, d. h. die tatsächliche Anschaffung der Finanzinstrumente, oftmals eine gesonderte Provision zusätzlich zum vereinbarten Preis der zu erwerbenden Finanzinstrumente. Dies spricht ebenfalls dafür, dass in der Regel ein Kommissionsgeschäft und kein Festpreisgeschäft vorliegt, was durchaus im Zusammenhang mit seiner wirtschaftlichen Bedeutung als „klassische“ Wertpapierdienstleistung steht.328 Unüblich sind 321

BVerwG, Urt. v. 27. Februar 2008 – 6 C 11.07 u. 12.07, WM 2008, S. 1359 (1362 f.); Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 1; Braun, in: Kümpel/Mülbert/Früh/ Seyfried, Rn. 17.1. 322 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte BankR-Hdb, § 84 Rn. 1; Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 13; Bernau, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 56 Rn. 1, 14; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 2. Abschnitt, Rn. 11; Spindler, WM 2009, S. 1821 (1821); ders., in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Zivilrechtliche Rahmenbedingungen, Rn. 262. 323 RG, Urt. v. 19. Mai 1926 – I 309/25, RGZ 114, S. 9 (10). 324 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 37. 325 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 38. 326 RG, Urt. v. 19. Mai 1926 – I 309/25, RGZ 114, S. 9 (11); BGH, Urt. v. 25. Juni 2001 – XI ZR 239/01, BKR 2002, S. 736 (737); Hopt, in: Hopt, § 383 HGB Rn. 8; Schäfer, in: Assmann/Schütze, § 12 Rn. 8; Braun, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 17.201; Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 13; Fuchs, in: Fuchs, § 2 WpHG Rn. 79; Ritz, in: Just/Voß/Ritz et al., § 2 WpHG Rn. 113; Baum, in: KölnerKomm/WpHG, § 2 Rn. 150. 327 Braun, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 17.201. 328 BGH, Urt. v. 25. Juni 2001 – XI ZR 239/01, BKR 2002, S. 736 (737); Schäfer, in: Boos/ Fischer/Schulte-Mattler, § 1 KWG Rn. 76; Fuchs, in: Fuchs, § 2 WpHG Rn. 78.

II. Besondere Interessenwahrungsverträge

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Festpreisgeschäfte vor allem bei dem Erwerb von Wertpapieren mit Börsenkurs, sie sind vorrangig im Rentenhandel anzutreffen.329 Dennoch ist kurz auf die einzelnen Merkmale der Finanzkommission und des Festpreisgeschäftes allgemein einzugehen, weil von dem jeweiligen Geschäft die Intensität der Aufklärungspflicht im Rahmen des vorgeschalteten Anlageberatungsvertrags insbesondere mit Blick auf Zuwendungsfragen abhängt. Grundsätzlich ist der Anlageberatungsvertrag von den Ausführungsgeschäften, Kommissionsgeschäft und Festpreisgeschäft, zwar zu trennen, aber die Gestaltung der Vergütung des jeweiligen Geschäfts hängt von seiner rechtlichen Ausgestaltung ab. Verleugnet werden soll jedoch nicht, dass in der Praxis häufig Grauzonen bestehen, weil die bankbetriebliche Praxis häufig die feingliedrige juristische Differenzierung zwischen den Geschäftsarten nicht einhält.330 Sie ist aber dennoch von hoher praktischer Bedeutung. Denn von der Art der vom Anleger gewünschten Beratung und dem damit verbundenen Ausführungsgeschäft hängt das Ausmaß der Aufklärungspflicht entscheidend ab.331 Durch das vor allem vom Europarecht überformte Kapitalmarktrecht wird das ursprünglich fast ausschließlich zivilrechtlich und vertragsrechtlich ausgestaltete Effektengeschäft durch immer weitere aufsichtsrechtliche Vorgaben geprägt und auch ausgestaltet.332 Die daraus resultierenden Konsequenzen für das Verhältnis von Zivilrecht und Aufsichtsrecht bilden den Schwerpunkt für das nachfolgende 3. Kapitel. a) Finanzkommissionsgeschäft Das Finanzkommissionsgeschäft als Bankgeschäft und Wertpapierdienstleistung umfasst aufsichtsrechtlich gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4 KWG und § 2 Abs. 8 S. 1 Nr. 1, S. 2 WpHG die Anschaffung und/oder Veräußerung von Finanzinstrumenten im eigenen Namen für fremde Rechnung. Dies ist zivilrechtlich als klassischer Kommissionsvertrag gem. §§ 383 ff. HGB und als Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstvertragscharakter gem. § 675 Abs. 1 BGB einzuordnen, weil lediglich ein sorgfältiges Bemühen um die Ausführung des Kundenauftrages seitens der Bank geschuldet ist und nicht schlechthin der Abschluss eines Ausführungsgeschäftes am Markt.333 Es handelt sich hierbei um einen Fall der sog. mittelbaren/verdeckten Stellvertretung. Entscheidend für das Vorliegen eines Finanzkommissionsgeschäfts ist, dass vor allem die das Kommissionsgeschäft prägenden Merkmale erfüllt sind, wozu unter anderem das „Handeln im eigenen Namen“ und „für Rechnung eines anderen“ 329

Fuchs, in: Fuchs, § 2 WpHG Rn. 89 m. w. N. Spindler, WM 2009, S. 1821 (1822). 331 Spindler, WM 2009, S. 1821 (1822 f.). 332 Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 14. 333 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 106; Schäfer, in: Boos/ Fischer/Schulte-Mattler, § 1 KWG Rn. 69; Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 46; Braun, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 17.203; so auch OLG Köln, Urt. v. 18. Februar 1994 – 19 U 195/93, WM 1995, 381 (383 f.). 330

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

zählen; eine wirtschaftliche Betrachtungsweise genügt allein nicht für die Qualifikation der konkreten Dienstleistung als Finanzkommissionsgeschäft.334 Das zwischen der Bank und dem Kunden abgeschlossene Rechtsgeschäft muss nicht alle vier typischen Merkmale des Kommissionsgeschäfts i. S. d. §§ 383 ff. HGB, Weisungsbefugnis des Kommittenten, Benachrichtigungs- und Rechenschaftspflicht des Kommissionärs, Übertragung des Eigentums auf den Kommissionär, erfüllen; es genügt eine hinreichende Ähnlichkeit mit dem Typus des in den §§ 383 ff. HGB geregelten Kommissionsgeschäfts.335 Das Finanzkommissionsgeschäft unterliegt neben den Voraussetzungen aus HGB und BGB auch den Nr. 1 – 12 der Sonderbedingungen der Banken für Wertpapiergeschäfte, diese bilden seit 1995 die einheitliche vertragliche Grundlage für kundenbezogene Wertpapiergeschäfte336. b) Festpreisgeschäft Bevor auf den Eigenhandel und insbesondere das Festpreisgeschäft als Unterfall des Eigenhandels näher eingegangen wird, sind zunächst das Eigengeschäft im weiteren Sinne und der Eigenhandel voneinander abzugrenzen, wobei das Eigengeschäft im weiteren Sinne zunächst als allgemeiner Oberbegriff auch den Eigenhandel mitumfasst. Denn sowohl der Eigenhandel gemäß § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 4 KWG bzw. § 2 Abs. 8 Nr. 2c WpHG als auch das Eigengeschäft im engeren Sinne gemäß § 1 Abs. 1a S. 3 bis 5 KWG bzw. § 2 Abs. 8 S. 6 WpHG zeichnen sich aufsichtsrechtlich durch einen Handel auf eigene Rechnung aus. Der Eigenhandel und das Eigengeschäft im engeren Sinne unterscheiden sich lediglich danach, ob der Handel auf eigene Rechnung mit (Eigenhandel) oder ohne Kundenbezug (Eigengeschäft im engeren Sinne) erfolgt, d. h. ob eine Dienstleistungskomponente mitenthalten ist.337 Aufgrund der Tatsache, dass Gegenstand der vorliegenden Arbeit der Zuwendungskonflikt im Rahmen der Anlageberatung und Ausführung des Anlagegeschäfts zwischen Bank und Kunde ist, liegt ein Handel auf eigene Rechnung mit Kundenbezug vor, sodass im Folgenden der Eigenhandel, insbesondere das Festpreisgeschäft, einer genaueren Untersuchung mit Fokus auf die wesentlichen vertraglichen Verpflichtungen unterzogen wird. Der Eigenhandel gemäß § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 4 KWG bzw. gemäß § 2 Abs. 8 Nr. 2c WpHG umfasst aufsichtsrechtlich vier Varianten, wobei das Hauptaugenmerk 334 BVerwG, Urt. v. 27. Februar 2008 – 6 C 11.07 u. 12.07, WM 2008, S. 1359 (1362 – 1366); BVerwG, Urt. v. 8. Juli 2009 – 8 C 4.09, ZIP 2009, S. 1899 (1900 f.) mit Anm. Just/Voß, EWiR 2009, S. 785 (786); Schäfer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, § 1 KWG Rn. 75 m. w. N. 335 Baum, in: KölnerKomm/WpHG, § 2 Rn. 152; ausführlich hierzu Spindler, WM 2009, S. 1821 (1822). 336 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 2; Starke, in: Kümpel/Wittig, Effektengeschäft (4. Auflage, 2011), Rn. 17.16. 337 Schäfer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, § 1 KWG Rn. 200; Baum, in: KölnerKomm/ WpHG, § 2 Rn. 192; Ritz, in: Just/Voß/Ritz et al., § 2 WpHG Rn. 220 f.; a. A. Fuchs, in: Fuchs, § 2 WpHG Rn. 85, 122, der allein auf den Bezug zu Kundenaufträgen abstellt.

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der folgenden Ausführungen für den Bereich des Rechts der Kapitalanlage(-beratung) auf dem Festpreisgeschäft liegt. Das Festpreisgeschäft i. S. v. Nr. 1 Abs. 3 Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte als Finanz- bzw. Wertpapierdienstleistung ist aufsichtsrechtlich in § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 4c) KWG bzw. § 2 Abs. 8 Nr. 2c) WpHG geregelt und umfasst das Anschaffen oder Veräußern von Finanzinstrumenten für eigene Rechnung als Dienstleistung für andere. Neben dem Festpreisgeschäft fallen darunter auch das Execution-Only-Geschäft sowie Aktivitäten der sog. Sales Desks.338 Das Festpreisgeschäft als eine der vier Varianten des Eigenhandels gemäß § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 4 KWG bzw. § 2 Abs. 8 Nr. 2 WpHG wird auch als der „klassische“ Eigenhandel bezeichnet und stellt den Hauptanwendungsfall dar.339 Der Kunde erwirbt die Wertpapiere direkt von der Bank oder veräußert diese direkt an die Bank.340 Im Gegensatz zum Finanzkommissionsgeschäft übernimmt der Eigenhändler auch das Preis- und Erfüllungsrisiko;341 zudem besteht eine feste Lieferverpflichtung der Bank342. c) Zivilrechtliches Pflichtengefüge Im Bereich der Effektenkommission ist das Kommissionsgeschäft, wie es in den §§ 383 ff. HGB geregelt ist, von großer Relevanz, weil in der Regel lediglich die Banken im Gegensatz zum Anbieter- und Nachfragepublikum Zutritt zu den maßgeblichen Handelsplätzen, Börsen und sonstigen Märkten für Finanzinstrumente haben.343 Die Zwischenschaltung von Wertpapierdienstleistungsunternehmen als Marktintermediäre sowie ein rechtlich geordnetes Effektengeschäft gewährleisten zudem die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes.344 Es muss jedoch durch ein entsprechendes Regelungskorsett sichergestellt werden, dass die Wertpapierdienstleistungsunternehmen im bestmöglichen Kundeninteresse handeln und das Kundeninteresse Vorrang vor dem Eigeninteresse der Banken hat.345 Denn die Bank ist regelmäßig als Vertrauensperson des Kunden anzusehen.346 338

Ritz, in: Just/Voß/Ritz et al., § 2 WpHG Rn. 138. Schäfer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, § 1 KWG Rn. 167; Fuchs, in: Fuchs, § 2 WpHG Rn. 89; Baum, in: KölnerKomm/WpHG, § 2 Rn. 159. 340 Braun, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 17.353; Bergmann, in: Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 14. 341 Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 211. 342 Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 212. 343 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, Vor § 84 Rn. 34, 36, § 84 Rn. 96 f.; Fuchs, in: Fuchs, § 2 WpHG Rn. 79; Braun, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 17.5; Koller, in: Staub/GroßkommHGB, § 383 HGB Rn. 2. 344 Schäfer, in: Assmann/Schütze, § 12 Rn. 2; Braun, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 17.5. 345 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 97. 346 RG, Urt. v. 19. Mai 1926 – I 309/25, RGZ 114, S. 9 (11). 339

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aa) Kommissionsgeschäft §§ 383 ff. HGB Das Kommissionsgeschäft ist ein Fall entgeltlicher Geschäftsbesorgung gem. § 675 BGB. Es handelt sich dabei nicht um eine besondere Spielart des Werkvertrags, wie vereinzelt angeführt,347 denn die Bank schuldet keinen Erfolg hinsichtlich der Anschaffung oder Veräußerung von Wertpapieren, sondern muss sich lediglich sorgfältig bemühen, den Kundenauftrag interessenwahrend auszuführen, weil der Erfolg des Geschäfts maßgeblich von den Marktverhältnissen abhängt, auf die der Kommissionär keinen Einfluss hat.348 Charakteristisch für den Kommissionsvertrag ist zudem das Weisungsrecht des Kommittenten gemäß § 385 HGB. Diese Weisungsfreiheit geht damit einher, dass der Kommittent im Gegenzug das Preisrisiko trägt. Aufgrund des Kommissionsvertrags schließt die Bank mit einem Dritten ein Ausführungsgeschäft ab und das aus diesem Ausführungsgeschäft Erlangte wird dann an den Kommittenten durch ein Abwicklungsgeschäft gem. § 384 Abs. 2 HGB, §§ 675 Abs. 1, 667 BGB übertragen.349 (1) Pflichten des Kommissionärs unter besonderer Berücksichtigung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu Das Kommissionsgeschäft ist als Geschäftsbesorgungsvertrag zugleich ein Vertrauensgeschäft.350 Der Kommissionär hat gemäß § 384 Abs. 1 Hs. 2 HGB die Interessen des Kommittenten wahrzunehmen und die Kommission für den Kommittenten sachgerecht und vorteilhaft durchzuführen.351 Das Gebot der Interessenwahrnehmung und Interessenwahrung ist Ausfluss dieses besonderen Vertrauensverhältnisses.352 Der Kommissionär verpflichtet sich gegenüber dem Kommittenten zu besonderer Treue und Rücksicht.353 Darüber hinaus hat er die Weisungen des Kommittenten zu befolgen und gem. § 347 HGB die berufliche bzw. professionelle 347

Harke, Besonderes Schuldrecht, § 8 Rn. 429. Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 48, 50, 55; Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 139. 349 Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 131. 350 Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5 § 383 HGB, Rn. 100, § 384 HGB, Rn. 5, 8. 351 BGH, Urt. v. 25. Juni 2002 – XI ZR 239/01, BKR 2002, S. 736 (738); OLG Köln, Urt. v. 18. Februar 1994 – 19 U 195/93, WM 1995, S. 381 (384); Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 55; Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 145; Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, § 384 HGB, Rn. 1, 5. 352 Musielak, in: BMJ (Hg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Band II, S. 1209 (1260). 353 Musielak, in: BMJ (Hg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Band II, S. 1209 (1260). 348

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Sorgfaltspflicht zu beachten. Eine sachgerechte und vorteilhafte Auftragsausführung setzt voraus, dass „der Kommissionär so zu handeln hat, wie dies aus seiner Sicht der Kommittent täte, falls dieser die dem Kommissionär zur Verfügung stehenden Kenntnisse, Fähigkeiten sowie Geschäftsverbindungen besäße“.354 Erforderlich hierfür ist, dass sich der Kommissionär in die Person des Kommittenten hineinversetzen muss und aus dieser Perspektive den Interessen des Kommittenten bestmöglich Rechnung trägt.355 Die daraus folgende Interessenwahrungspflicht stricto sensu nach § 384 Abs. 1 Hs. 2 HGB gilt als vertragliche Fundamentalpflicht des Kommissionärs und stellt auf die vom Kommittenten ausdrücklich hervorgebrachten Interessen bzw. erkennbaren subjektiven Interessen ab.356 Der Anlageberatungsvertrag als Geschäftsbesorgungsvertrag wird überwiegend im Wege eines Kommissionsgeschäfts als sog. Finanzkommissionsgeschäft abgewickelt, sodass insoweit die Interessenwahrungspflicht stricto sensu des § 384 Abs. 1 Hs. 2 HGB als zentrale Verhaltenspflicht im Fokus steht.357 Hier ist festzuhalten, dass die sich aus § 675 Abs. 1 BGB ergebende Interessenwahrungspflicht stricto sensu des allgemeinen Geschäftsbesorgungsrechts im Kommissionsrecht vom Gesetzgeber ausdrücklich im Wortlaut aufgegriffen und so ihre besondere Bedeutung unterstrichen wird.358 Der Kommittent übernimmt das volle wirtschaftliche Risiko des Geschäfts und vertraut den Erfolg des Geschäfts dem Kommissionär an, sodass eine besondere Vertrauensbeziehung zwischen ihnen begründet wird und die Interessenwahrungspflicht stricto sensu aus § 384 Abs. 1 HGB ein Kernbestandteil ist.359 Aus dieser gesetzlich festgeschriebenen Fremdinteressenwahrung folgen verschiedene Aufklärungs- und Beratungspflichten als Nebenpflichten sowie die Pflicht Interessenkollisionen zu vermeiden, unabhängig von dem Bestehen eines gesonderten Beratungsvertrages.360 Von der Interessenwahrungspflicht stricto sensu umfasst ist die Pflicht des Kommissionärs als Geschäftsbesorger, den Kommittenten dahingehend zu entlasten, dass dieser die optimalen Angebote, Chancen und Marktlücken zur Befriedigung seiner eigenen Wünsche nicht selbst ausfindig machen muss.361 Aufgrund der Übertragung der Einwirkungs- und Einflussmacht durch den Kommittenten auf den Kommissionär erhält dieser einen vom Umfang des Geschäfts abhängigen mehr oder 354

Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, § 384 HGB Rn. 5. Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, § 384 HGB Rn. 5. 356 Göhmann, Die Verhaltenspflichten von Banken gegenüber ihren Kunden bei der Durchführung von Effektengeschäften, S. 131; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 2. Abschnitt, Rn. 11, 17 – 23; Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2105). 357 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/2 2. Teil 2. Abschnitt, Rn. 11. 358 Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, § 384 HGB Rn. 2. 359 Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2105); Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, § 383 HGB Rn. 3 f., 13. 360 Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, § 384 HGB Rn. 2; Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2105). 361 Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, § 384 HGB Rn. 7. 355

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minder großen Entscheidungsspielraum, den der Kommissionär mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes im Interesse des Kommittenten wahrzunehmen hat.362 Daraus ergibt sich die Pflicht des Kommissionärs, im Falle von widerstreitenden Interessen und bei Vorliegen verschiedener Handlungsvarianten, nach pflichtgemäßem Ermessen diejenige auszuwählen oder zu unterlassen, welche den Interessen des Kommittenten widerspricht bzw. diese vernachlässigt.363 Einher geht damit eine Aufklärungs- und Beratungspflicht unter anderem in Bezug auf das Bestehen von Interessenkonflikten und hinsichtlich bestimmter Risiken des zu tätigenden Ausführungsgeschäfts. Dies wird insbesondere deutlich in Fällen der Kapitalanlageberatung und des nachgeschalteten Erwerbs von Kapitalanlagen. Dies ergibt sich insbesondere aus dem bestehenden Informationsgefälle des besser informierten Kommissionärs im Vergleich zum Kommittenten.364 Die Bank als Kommissionärin verfügt aufgrund ihrer Marktnähe regelmäßig über einen Wissensvorsprung gegenüber dem Anleger bzw. Bankkunden.365 Der Kommissionär hat den Kommittenten über die Ausführung des Geschäfts gem. § 384 Abs. 2 HGB unverzüglich zu informieren und ihn über alle Umstände zu benachrichtigen, die für die Geschäftsausführung wichtig sind und gegebenenfalls eine Weisung des Kommittenten erfordern. Danach hat der Kommissionär gem. § 384 Abs. 2 HGB, §§ 675 Abs. 1, 667 BGB das aus der Kommission bzw. Geschäftsbesorgung Erlangte an den Kommittenten herauszugeben. Das sind in Fällen des Erwerbs von Kapitalanlagen die relevanten Wertpapiere etc. Auf die Problematik, ob in diesem Zusammenhang etwaige erhaltene Provisionen, in Form von Rückvergütungen oder Innenprovisionen oder gar Gewinnmargen, herauszugeben sind, wird im 4. Kapitel ausführlich eingegangen. Die Vergütung bzw. Provision gem. § 396 Abs. 1 HGB bei Kommissionsgeschäften bestimmt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen,366 wobei der Kommissionär bezüglich der Vergütungen der Konditionen des Kommissionsvertrages und insbesondere seiner Provision egoistische Ziele verfolgen darf.367 Der Kommissionär tritt zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Vertrauensmann für den Kommittenten auf, sodass die Interessenwahrungspflicht stricto sensu erst nach Abschluss des Kommissionvertrages einsetzt.368 Der Kommittent hat somit eigenverantwortlich an einer für ihn möglichst günstigen Ausgestaltung des Kommissionsvertrages mitzuwirken.369 362

Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, § 384 HGB Rn. 7. Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 144 f.; Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, § 384 HGB Rn. 7, 22. 364 Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, § 384 HGB Rn. 14. 365 Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, § 384 HGB Rn. 14. 366 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 236. 367 Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, § 384 HGB Rn. 7, 20. 368 Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, § 384 HGB Rn. 20. 369 Koller, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 5, § 384 HGB Rn. 20. 363

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(2) Pflichten des Kommittenten Der Kommittent schuldet dem Kommissionär für seine Dienste gem. § 396 HGB eine Vergütung und hat diesem gem. § 396 HGB die Aufwendungen zu ersetzen, die für den Abschluss und die Abwicklung des Ausführungsgeschäfts erforderlich waren. bb) Kaufvertrag §§ 433 ff. BGB Der Wertpapierdienstleistung des Festpreisgeschäfts gemäß § 2 Abs. 8 Nr. 2 lit c) WpHG bzw. als Bankgeschäft § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 4 lit c) KWG liegen zivilrechtlich die Vorschriften des Kaufvertrages gemäß §§ 433 ff. BGB zugrunde. Dabei schließt das Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit dem Anleger ein sog. Festpreisgeschäft ab, welches ein klassischer Kaufvertrag ist bei dem die Bank als Verkäuferin das Preis- und Erfüllungsrisiko trägt.370 Es handelt sich mithin nicht um einen kombinierten Kauf-/Geschäftsbesorgungsvertrag, sondern Bank und Kunde vereinbaren wie bei einem schlichten Kaufvertrag einen bestimmten bzw. bestimmbaren Preis für die Wertpapiere sowie eine feste Lieferverpflichtung des Kreditinstituts.371 Eine Besonderheit dieses Kaufvertrages liegt jedoch darin, dass das Geschäft zivilrechtlich nach den Vorschriften zum Kaufvertrag geregelt ist, dieses jedoch aufsichtsrechtlich eine Dienstleistung darstellt.372 Aus dem Umstand „Dienstleistung für andere“ könnte sich eine für den Kaufvertrag recht untypische Pflicht zur Interessenwahrung und Interessenwahrnehmung auch auf zivilrechtlicher Ebene ableiten lassen, die durchaus vergleichbar sein kann mit der Interessenwahrungspflicht stricto sensu aus dem Geschäftsbesorgungsrecht.373 Eine somit auch im Rahmen eines Kaufvertrages besondere Interessenwahrungspflicht stricto sensu lässt sich primär auf die besondere Beziehung zwischen dem Eigenhändler und dem Kunden,

370 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 129 f.; Fuchs, in: Fuchs, § 2 WpHG Rn. 88 f.; Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 212; Schäfer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, § 1 Rn. 169 m. w. N. 371 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 4; Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 216; Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 262, 265; a. A. Bernau, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 56 Rn. 23. 372 BaFin Merkblatt – Hinweise zu den Tatbeständen des Eigenhandels und Eigengeschäfts vom 6. Juli 2017, Punkt 1. c) cc); Fuchs, in: Fuchs, § 2 WpHG Rn. 88; Ritz, in: Just/Voß/Ritz et al., § 2 Rn. 135. 373 Bernau, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 56 Rn. 23; Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 131; Starke, in: Kümpel/Wittig, Effektengeschäft (4. Auflage 2011), Rn. 17.10; Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 262.

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

die sich aus der Dienstleistungskomponente ergibt, stützen.374 Der konkret abgeschlossene Kaufvertrag muss sich auf einen Kundenauftrag zurückführen lassen, damit sich die Transaktion als eine solche des Kunden darstellt.375 Denn wie die BaFin in ihrem Merkblatt376 ausführt, ist für den Eigenhandel, insbesondere in der Form des Festpreisgeschäfts, ein regelmäßiges Ungleichgewicht zwischen dem Verkäufer und dem Käufer charakteristisch. Dieses Ungleichgewicht zeichne sich vorrangig dadurch aus, dass der Eigenhändler als Verkäufer den besseren Zugang zum Markt, auf dem er agiert, habe, um sich für das Kundengeschäft einzudecken, die daraus resultierenden offenen Positionen zu schließen oder dem Kunden, dem dieser Markt sonst verschlossen bleibe, überhaupt erst Zugang zum Markt zu verschaffen.377 Vor diesem Hintergrund lässt sich durchaus argumentieren, dass das Festpreisgeschäft ebenfalls den Charakter eines Interessenwahrungsverhältnisses hat und demnach ebenfalls die Interessenwahrungspflicht stricto sensu auf vertragsrechtlicher Ebene Anwendung findet.378 Die Bank muss somit das Kundeninteresse durchgängig, auch bei der Berechnung des Festpreises, berücksichtigen.379 cc) Bedeutung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu Die bankrechtlichen Verträge werden so sehr von Fremdgeschäftsführungselementen geprägt und dominiert, dass selbst bei Austauschverträgen, wie dem Festpreisgeschäft, das Pflichtengefüge von dem Gedanken der Fremdinteressenwahrung beeinflusst wird, woraus Aufklärungspflichten in einer Intensität gefolgert werden, die für klassische Austauschverträge eher unüblich ist.380 Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu gilt als Grundlage aller Bankverhaltenspflichten und nicht im Rahmen von Aufklärungs- und Warnpflichten.381 Zentral ist die Hintanstellung eigener Interessen zur Verfolgung des Kundeninteresses, weil dem Geschäftsbesorger Einwirkungsmacht auf vermögenswerte Positionen des Geschäftsherrn eingeräumt 374 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 6; Walz, in: Ellenberger/ Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 32; Baum, in: KölnerKomm/WpHG, § 2 Rn. 159; ausführlich hierzu Buck-Heeb, WM 2012, S. 625 (631 – 634). 375 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 129; Fuchs, in: Fuchs, § 2 WpHG Rn. 88; Baum, in: KölnerKomm/WpHG, § 2 Rn. 159. 376 BaFin Merkblatt „Hinweise zu den Tatbeständen des Eigenhandels und des Eigengeschäfts“ vom 22. März 2011, zuletzt geändert am 15. Mai 2019, abrufbar unter https://www. bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/mb_110322_eigenhandel_eigenge schaeft_neu.html;jsessionid=44DAAA302F7EA2CC3BB6673309EC8BDF.2_cid290?nn=94 50978#doc7866844bodyText4. 377 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, Vor § 84 Rn. 96 f. 378 So etwa Bernau, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 56 Rn. 23; Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 131; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (18 f.); Schwab, BKR 2011, S. 450 (454). 379 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 131. 380 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 2. Abschnitt, Rn. 11. 381 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 2. Abschnitt, Rn. 19.

II. Besondere Interessenwahrungsverträge

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wird, ohne dafür eine eigene Gegenleistung zu erbringen.382 Dies zeigt sich insbesondere schon im Aufsichtsrecht durch die Vorschrift des § 82 WpHG zur bestmöglichen Auftragsausführung, der sog. „best-execution“, die aufsichtsrechtlich sowohl für die Finanzkommission als auch für die Festpreisgeschäfte gilt. d) Zwischenergebnis Das Effektengeschäft folgt im Wesentlichen einer Zweiteilung von Festpreisgeschäft und Finanzkommissionsgeschäft, wobei das Erste seine Grundlagen im Kaufrecht des BGB und das Zweite seine Grundlagen im Kommissionsrecht des HGB hat. Beiden gemein ist jedoch die exponierte Stellung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu, die selbst im Rahmen des Festpreisgeschäfts Geltung erlangt. Denn es handelt sich bei diesem gerade nicht um einen gewöhnlichen einfachen Kaufvertrag, weil das Kapitalanlagerecht immer einen besonderen Vermögensbezug aufweist. Nunmehr sind in einem letzten Abschnitt die Grundlagen des Treuhandvertrages darzustellen, weil dieser, wie schon mehrfach angedeutet, als ein verbindendes Element der einzelnen Interessenwahrungsverträge in dem Vertragsbündel von Anlageberatungsvertrag und Effektengeschäft angesehen werden kann.

3. Treuhandvertrag Der Treuhandvertrag ist für die notwendige Verknüpfung der einzelnen Vertragsbeziehungen im Bereich der Kapitalanlage und Kapitalanlageberatung von hervorgehobener Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu berücksichtigen, dass Treuhandverträge rechtlich und auch praktisch vielfältige Ausgestaltungsformen haben können und diese daher nicht unter einem Vertragstyp als solches zusammengefasst werden können und die Rechtsbeziehungen der Vertragsparteien vom jeweiligen Einzelfall abhängen.383 Im Bereich der Kapitalanlageberatung und der herausragenden Bedeutung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu384 ist der Treuhandvertrag in diesem Bereich sowohl praktisch als auch rechtlich von besonderem Interesse. Dogmatisch als Grundlage dienen hierzu die Habilitationsschrift von Grundmann385 sowie die grundlegenden Werke von Beyerle386, Coing387, Löhnig388 und Siebert389. 382

Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 2. Abschnitt, Rn. 19. Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. B 214; Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 BGB Rn. 70. 384 Begriff geprägt von Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 92, 134 und ausführlich S. 192 – 236. 385 Grundmann, Der Treuhandvertrag – insbesondere die werbende Treuhand, München 1997. 383

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

a) Grundlagen Das Wesen der Treuhand ist gekennzeichnet durch die Ausübung von Rechten in eigener Rechtszuständigkeit und in eigenem Namen, aber nicht – zumindest nicht ausschließlich – im eigenen Interesse.390 Das typische Treuhandverhältnis setzt demnach Zweierlei voraus: eine Fremdverwaltung (1) aufgrund von Entscheidungsmacht und (2) für Rechnung eines anderen, dessen Interessen allein ausschlaggebend bzw. maßgebend sind.391 Der Treuhandvertrag als solcher ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt; ihm wird kein Abschnitt im BGB gewidmet. Es wird auch davon gesprochen, dass „die Treuhand eine vom Gesetzgeber weitgehend unbehinderte Schöpfung von Rechtsprechung und wissenschaftlicher Doktrin ist“392. Zudem wird der Begriff Treuhand rechtssystematisch und rechtsdogmatisch nicht einheitlich verwendet; eine einheitliche Definition ist vor dem Hintergrund der Vielgestaltigkeit des Wirtschaftslebens und der einzelnen Lebenssachverhalte auch gar nicht möglich.393 Es lassen sich jedoch vier wesentliche Zwecke ausmachen, die für eine Ausgestaltung von Treuhandverhältnissen sprechen: (1) die Sicherungsfunktion, (2) die Vereinfachungsfunktion, (3) die Verbergungsfunktion und (4) die Umgehungsfunktion.394 In Rechtsprechung und Literatur hat sich eine gewisse Typisierung herausgebildet, die zwischen der römisch-rechtlichen/fiduziarischen Vollrechtstreuhand und der deutsch-rechtlichen Ermächtigungstreuhand unterscheidet.395 Im Rahmen der fiduziarischen Treuhand überträgt der Treugeber dem Treuhänder das Treugut voll zu eigenem Recht, wie dies bei einer Forderungsabtretung gem. §§ 398, 929, 873 386

Beyerle, Die Treuhand im Grundriss des Deutschen Privatrechts, Weimar 1932. Coing, Die Treuhand kraft privaten Rechtsgeschäfts, München 1973; ders., Rechtsformen der privaten Vermögensverwaltung, insbesondere durch Banken, in USA und Deutschland, AcP 167 (1967), S. 99 – 131. 388 Löhnig, Treuhand – Interessenwahrnehmung und Interessenkonflikte, Tübingen 2006. 389 Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis. Ein dogmatischer und rechtsvergleichender Beitrag zum allgemeinen Treuhandproblem, Marburg 1933. 390 RG, Urt. v. 6. März 1930 – VI 296/29, RGZ 127, S. 341 (344 f.); BGH, Urt. v. 5. November 1953 – IV ZR 95/53, BGHZ 11, 37 (41); BG, Urt. v. 21. April 1955 – III ZR 203/53, BGHZ 17, 140 (144 – 148); BGH, Urt. v. 17. November 1955 – II ZR 222/54, BGHZ 19, 69 (71); BGH, Urt. v. 25. Februar 1987 – IVa ZR 263/85, NJW 1987, 2071; Coing, Die Treuhand, S. 1 f., 85; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, § 86, S. 1254. 391 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 4, 96; Löhnig, Treuhand, S. 117 f. 392 Coing, Die Treuhand, Vorwort; Löhnig, Treuhand, S. 8. 393 Beuthien, in: Soergel, Vor §§ 662 BGB Rn. 21; Coing, Die Treuhand, S. 109. 394 Beuthien, in: Soergel, Vor §§ 662 Rn. 26; Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, S. 32. 395 Coing, Die Treuhand, S. 11 – 15; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 46; Beuthien, in: Soergel, Vor §§ 662 Rn. 21; Gernhuber, JuS 1988, S. 355 (355); Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. BGB Rn. 40 – 46; Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, S. 10 f., 13, 34, 44. 387

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BGB der Fall ist.396 Bei der Ermächtigungstreuhand hingegen wird der Treuhänder ermächtigt, über das fremde dingliche Recht im eigenen Namen zu verfügen, der Treugeber kann jedoch ebenfalls weiterhin über das Treugut verfügen, weil er der Rechteinhaber bleibt397 – so in Fällen des § 185 Abs. 1 BGB bei der Verfügung eines Nichtberechtigten. Die Treuhand lässt sich daher in diese zwei Gruppen unterteilen, wonach die Ermächtigungstreuhand, auch als Verwaltungstreuhand bezeichnet, in ihrem schuldrechtlichen Ziel eine Geschäftsbesorgung gem. § 675 Abs. 1 BGB darstellt und die Vollrechtstreuhand als Sicherungstreuhand als atypischer Sicherungsvertrag zu qualifizieren ist.398 Auf die genauere Differenzierung und dogmatische Herleitung wird im Folgenden nicht näher eingegangen, weil dies keinen Mehrwert für das Forschungsinteresse der Arbeit hat. Allgemein festzuhalten ist hingegen, dass das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis durch ein zweiaktiges Rechtsgeschäft, bestehend auf schuldrechtlicher Ebene aus einem Treuhandvertrag und auf dinglicher Ebene in der Regel aus einem Verfügungsgeschäft, geschaffen wird.399 Von zentraler Bedeutung ist die Interessenwahrungspflicht stricto sensu als Hauptpflicht des Treuhandvertrages. Diese wird sogleich umfangreich erörtert und in ihren dogmatischen Grundlagen dargestellt. Das Wesen der Treuhand ist sowohl bei der Vollrechtstreuhand als auch bei der Ermächtigungstreuhand davon geprägt, dass Rechte in eigener Rechtszuständigkeit und in eigenem Namen, aber nicht bzw. nicht ausschließlich im eigenen Interesse, ausgeübt werden.400 Der Treuhänder ist daher verpflichtet, die ihm übertragene bzw. eingeräumte Rechtsmacht nur gemäß den konkreten vertraglichen Vereinbarungen auszuüben.401 b) Vertragsgegenstand Mit der mangelnden positiven gesetzlichen Regelung der Treuhand bzw. des Treuhandvertrages geht eine inhaltliche Gestaltungsfreiheit des jeweils konkreten Treuhandverhältnisses einher.402 Die allgemeinen Grundlagen des Treuhandrechts wurden von Wissenschaft und Rechtsprechung mithilfe der Theorie vom fiduziari-

396 Beuthien, in: Soergel, Vor §§ 662 Rn. 21, 23; Coing, Die Treuhand, S. 11 – 13; Gernhuber, JuS 1988, S. 355 (356); Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, S. 34. 397 Beuthien, in: Soergel, Vor §§ 662 Rn. 21; Coing, Die Treuhand, S. 15; Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, S. 44. 398 Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, § 86 S. 1254; Beuthien, in: Soergel, Vor §§ 662 Rn. 22; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. BGB Rn. 40 – 46; Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, S. 100. 399 Coing, Die Treuhand, S. 106. 400 Coing, Die Treuhand, S. 1 f., 85; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, § 86 Rn. 1254. 401 Beuthien, in: Soergel, Vor §§ 662 Rn. 23. 402 Beuthien, in: Soergel, Vor §§ 662 Rn. 27.

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schen Treuhandgeschäft entwickelt.403 Treuhandverhältnisse können jedoch im Wesentlichen untergliedert werden nach dem klassischen Treuhandvertrag als Auftrag oder einem Geschäftsbesorgungsvertrag mit treuhänderischem Charakter.404 Der Treuhandvertrag ist bei Unentgeltlichkeit als Auftrag i. S. d. §§ 662 ff. BGB und bei Entgeltlichkeit als Geschäftsbesorgung mit Dienstleistungscharakter i. S. d. §§ 657, 611 BGB zu qualifizieren.405 Der Auftrag gem. § 662 BGB allein begründet, trotz treuhänderischer Elemente die in den §§ 667, 664, 671 BGB enthalten sind, zwar kein Treuhandverhältnis;406 der Auftrag und der Geschäftsbesorgungsvertrag können jedoch in Einzelfällen zugleich Treuhandverträge begründen407. Löhnig hingegen sieht § 675 Abs. 1 BGB als „treuhandrechtliche Generalnorm“ und Kern eines allgemeinen Treuhandrechts an.408 Dem kann in der Ausdrücklichkeit jedoch nicht zugestimmt werden.409 Das würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass jeder Auftrag und jeder Geschäftsbesorgungsvertrag zugleich ein Treuhandvertrag ist. Die Rechtswirklichkeit verdeutlicht jedoch, dass das gesteigerte Pflichtenprogramm des Treuhandvertrages nicht mit jedem noch so einfachen Auftrag einhergehen kann. Der Treuhandvertrag als solcher gehört wie der Auftrag und der Geschäftsbesorgungsvertrag auf gleicher Ebene zu den Interessenwahrungsverträgen, weder ist die Treuhand dem Geschäftsbesorgungsvertrag oder Auftrag unter- noch übergeordnet. Denn ein Treuhandvertrag ist in Übereinstimmung mit Grundmann ein selbstständiges und isolierbares Pflichtengefüge mit vertraglicher Bindung, das so im kodifizierten Schuldvertragsrecht nicht zu finden ist und auch nicht mit einem der kodifizierten Verträge, insbesondere dem Auftrag und der Geschäftsbesorgung, gleichzusetzen ist.410 Ursprünglich war der Grundgedanke aller Treuhandfälle der, dass der Treuhänder fremde Belange bzw. Interessen des Treugebers an Personen, Sachen, am Vermögen oder Rechtsbeziehungen wahrzunehmen hatte und somit das Außenverhältnis im Vordergrund stand.411 Das schuldrechtlich geprägte Innenverhältnis und seine Treuepflicht sind zwar von erheblicher Bedeutung, aber würden noch zu keinem 403 Coing, Die Treuhand, S. 28, der auf den Seiten 28 bis 53 die historische Entwicklung der Dogmatik ausführlich nachzeichnet. 404 Beuthien, in: Soergel, Vor §§ 662 Rn. 27; Beyerle, Treuhand, S. 8; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 48. 405 Coing, Die Treuhand, S. 92; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. BGB Rn. 40; § 675 BGB Rn. B 214. 406 RG, Urt. v. 19. Februar 1914 – Rep. VII.448/13, RGZ 84, S. 214 (217); Beuthien, in: Soergel, Vor §§ 662 Rn. 27. 407 Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. BGB Rn. 40. 408 Löhnig, Treuhand, S. 135, 141 – 143, 833. 409 Vgl. hierzu auch Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 93 – 96. 410 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 95. 411 Beyerle, Treuhand, S. 7; Coing, Die Treuhand, S. 87; Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, S. 2, 24 f., 47, 99, 102; ausführliche Darstellung bei Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 87 – 91.

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Treuhandverhältnis führen, sondern lediglich ein Treueverhältnis begründen.412 Maßgeblich war, dass der Treuhänder ein Gut mit bestimmter Zweckbindung vom Treugeber und somit eine fest umrissene Rechtsinhaberschaft an diesem erhalten hat.413 Diese starre Konzeption des Treuhandverhältnisses stieß zunehmend auf Kritik und die Bedeutung des Innenverhältnisses zwischen Treugeber und Treuhänder rückte zunehmend in den Mittelpunkt, wonach ebenfalls Fälle als Treuhand einzuordnen seien, bei denen dem Treuhänder keine Eigentumsrechte und keine Verfügungsbefugnis eingeräumt werden, sondern lediglich Informations-, Entscheidungs- oder Kontrollpositionen.414 Das schuldrechtlich geprägte Innenverhältnis und die Treuhandabrede als solche sind hierfür flexibel genug, um auch solche geldwerten Vorteile als Treugut aufzufassen.415 Beyerle stellte bereits im Jahr 1932 fest, dass die Treuhand mit einem Fuß im Schuldrecht steht und daher nicht nur vom Außenverhältnis und somit der dinglichen Seite her zu denken ist.416 Das Grundverhältnis, d. h. die vertragliche Verbindung von Treugeber und Treuhänder, ist der Angelpunkt, aber auch der Kern der Rechtsfigur Treuhand.417 Grundmann hat das Konzept der Treuhand nicht nur auf bereits fest umrissene Rechtsinhaberschaften bezogen, sondern als Treugut auch Positionen anerkannt, die sich nicht zu einer Rechtsinhaberschaft als solche verdichtet haben, aber einen Marktwert aufweisen können.418 Hierzu zählt er ausdrücklich Informationspositionen und Kontrollmacht.419 Darüber hinaus stellt Löhnig, der ebenfalls die schuldrechtliche Seite der Treuhand als maßgebend ansieht,420 in Anlehnung an Siebert auf die Machtmittel ab, die der Treuhänder erhält und die ihm die Einwirkung auf Interessenpositionen des Treugebers ermöglichen.421 Die treuhänderischen Machtmittel sind „nicht nur Vollrechte, sondern alle rechtlichen und tatsächlichen Positionen, die einen Zugriff auf die Interessen des Treugebers ermöglichen“422, darunter Ermächtigung, Vertretungsmacht, Besitz oder Informationen.423 Löhnig hält zudem die Trennung des Treuhandvertrages in zwei Elemente – Tätigkeitsvertrag und Interessenwahrungs412

Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, S. 24 f. Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 5, 7. 414 Coing, Die Treuhand, S. 87 f., betonte bereits die obligatorische Treuhandabrede und Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 4, 7, griff dies auf und präzisierte diesen Gedanken ausführlich auf den S. 101 – 122 auch vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher, ökonomischer und rechtsethischer Argumente. 415 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 102. 416 Beyerle, Treuhand, S. 14 f. 417 Beyerle, Treuhand, S. 15; Coing, Die Treuhand, S. 87. 418 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 7; Grundmann, AJCL 1999, S. 401 (402). 419 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 7. 420 Löhnig, Treuhand, S. 115, 832. 421 RG, Urt. v. 19. Februar 1914 – Rep. VII.448/13, RGZ 84, S. 214 (217); Löhnig, Treuhand, S. 117 f., 159 ff.; Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, S. 17 f. 422 Löhnig, Treuhand, S. 833. 423 Löhnig, Treuhand, S. 833. 413

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vertrag424 – für künstlich, weil für ihn die Treuhand als Ausgangspunkt der Interessenwahrungsverträge in § 675 Abs. 1 BGB geregelt ist und sich daraus die Abstufung der Interessenwahrungspflicht für das jeweilige Vertragsverhältnis individuell ergebe.425 Siebert verlangt zudem im Zusammenhang mit der treuhänderischen Verwaltung eine Beherrschungsmöglichkeit des Treuhänders über das Treugut, die Ausfluss einer besonderen Rechtsmacht ist, aus der sich wiederum die besonderen Charakteristika der Treuhand – Vertrauensmoment, Gefahrenmoment und Schutzbedürfnis – ergeben.426 Das Schutzbedürfnis des Treugebers ist im Rahmen der Interessenwahrungspflicht von zentraler Bedeutung. Im Ergebnis lässt sich in der Zusammenschau eine einheitliche Kategorie erkennen, die den „fiduciary relationships“ „agency“ und „trust“ im anglo-amerikanischen Recht vergleichbar ist, ohne dass das Bedürfnis bestünde, dies eins zu eins übernehmen zu müssen.427 Charakteristisch für diese Treuhandgeschäfte ist, dass einer Person die Besorgung der Angelegenheiten einer anderen Person mit der Maßgabe weitgehender Entscheidungsfreiheit anvertraut wird, woraus im Gegenzug eine besondere Treupflicht zu sorgfältiger Interessenwahrnehmung folgt.428 „Trust“ ist nach Coing als einheitliches Rechtsinstitut für die Zwecke der Treuhand geschaffen und universal verwendbar.429 Maßgeblich im Rahmen der Kapitalanlageberatung ist, dass die beratende Bank bzw. der Anlageberater zwar kein Verfügungsrecht im klassischen Sinne eines Trust erhält, aber in gewisser Weise ein Verwaltungsrecht hinsichtlich des Anlagekapitals bei der Empfehlung, die ausgesprochen wird. Hauptaugenmerk liegt dabei auf der schuldrechtlichen und nicht der dinglichen Komponente.430 Die schuldrechtliche Komponente als maßgebend zu betrachten, ermöglicht eine flexiblere Gestaltung der einzelnen Treuhandverhältnisse, da so die Einzelinteressen besser einbezogen und abgewogen werden können.431 Die alleinige bzw. primäre Ausrichtung auf das dingliche Element führt aufgrund von in starren Fallgruppen kategorisierten Lebenssachverhalten zu unausgewogenen, den Einzelfall nur unzureichend berücksichtigenden Entscheidungen.432 Denn der „Trust“ ist ein Rechtsverhältnis mit einem besonderen Vertrauenscharakter, das sich auf Vermögenswerte bezieht und sich nicht in persönlichen Pflichten erschöpft, aber dem Treuhänder bzw. Trustee Pflichten 424

So Grundmann, Der Treuhandvertrag, 2. Teil. Löhnig, Treuhand, S. 151 f. 426 Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, S. 18. 427 Coing, Die Treuhand, S. 2 – 11, 51; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 49; so in Grundzügen auch schon Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, S. 52, 56; Coing, AcP 167 (1967), S. 99 (106 ff.). 428 Coing, Die Treuhand, S. 2; Coing, AcP 167 (1967), S. 99 (107). 429 Coing, Die Treuhand, S. 3. 430 Coing, Die Treuhand, S. 4. 431 Grundmann, AJCL 1999, S. 401 (411). 432 Grundmann, AJCL 1999, S. 401 (411). 425

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nach allgemeinem Billigkeitsrecht auferlegt, wonach er das Gut im Interesse und zum Vorteil des Treugebers zu verwalten hat.433 Die rechtsgeschäftliche Treuhand ist daher geprägt von einem persönlichen (schuldrechtlichen) und einem sachlichen (dinglichen) Element.434 Bei dem ersten Element steht auf schuldrechtlicher Ebene die Bindung des Treuhänders durch die Treuhandabrede im Mittelpunkt, wonach er sich verpflichtet, das Treugut gemäß dieser Abrede für bestimmte fremde Interessen zu halten und sich nach diesen zu richten,435 wohingegen sich bei dem zweiten Element die Verpflichtung des Treuhänders auf bestimmte Rechte hinsichtlich eines Sondervermögens bezieht und ein oder mehrere dingliche Rechtsgeschäfte zum Gegenstand haben kann.436 Für Coing ist die Treuhand jedoch keine allgemeine Wahrung fremder Interessen, sondern hat die Ausübung bestimmter Rechte zum Gegenstand.437 Anders als Grundmann sieht er die schuldrechtliche Ebene mit seiner Treuhandabrede, geprägt von der Interessenwahrungspflicht stricto sensu, nicht als vorrangig an. Die Auffassung Grundmanns ist jedoch vorzugswürdig, weil sie die besondere Verbindung zwischen Treuhänder und Treugeber herausstellt und die Treuhand als originären Interessenwahrungsvertrag berücksichtigt. Die erste, schuldrechtliche Ebene wird vor dem Hintergrund der Interessenwahrungspflicht stricto sensu im Folgenden näher erläutert und sodann in ihren Grundgedanken auf Verträge im Kapitalanlagebereich, insbesondere die Anlageberatung und Finanzkommission, übertragen. c) Vertragspflichten des Treuhänders unter besonderer Berücksichtigung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu Die Vermögensverwaltung und Anlageberatung und eine damit einhergehende erfolgreiche und zweckentsprechende Kapitalanlage setzen umfangreiche Kenntnisse, eine dauernde Beobachtung des Marktes und die Beurteilung seiner Entwicklungstendenzen sowie Einblicke in bestimmte Unternehmenszweige und Unternehmen voraus, die von Anlegern, insbesondere privaten Anlegern, selbst nicht zu erwarten sind.438 In der Praxis wird hierfür ein Vermögensverwalter oder Anlageberater hinzugezogen, überwiegend gestellt durch Banken und andere Wertpapierdienstleistungsunternehmen.439 Dies hat zur Folge, dass die wirtschaftlichen Inter433

Coing, Die Treuhand, S. 4. Coing, Die Treuhand, S. 85 f.; Gernhuber, JuS 1988, S. 355 (356); Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. BGB Rn. 46. 435 Coing, Die Treuhand, S. 85; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. BGB Rn. 46. 436 Coing, Die Treuhand, S. 85; Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. BGB Rn. 46. 437 Coing, Die Treuhand, S. 85. 438 Coing, AcP 167 (1967), S. 99 (100). 439 Coing, AcP 167 (1967), S. 99 (100). 434

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essen der Anleger in diesem Bereich durch einen Dritten wahrgenommen werden. Darüber hinaus überträgt der Anleger in diesem Fall Informations-, Entscheidungsund Kontrollpositionen auf den Verwalter bzw. Berater, getragen von einem gesteigerten Vertrauen diesem gegenüber. Dies erfordert wiederum eine besondere Ausgestaltung des Anlageberatungsvertrages dahingehend, dass ein besonderes Pflichtengefüge zugunsten des Anlegers in Form einer Interessenwahrnehmungsund Interessenwahrungspflicht besteht. Für die besondere Ausgestaltung des Innenverhältnisses kann die das Treuhandrecht maßgeblich bestimmende Interessenwahrungspflicht stricto sensu aufgegriffen und fruchtbar gemacht werden. aa) Interessenwahrungspflicht stricto sensu im Rahmen von Treuhandverhältnissen Bei Treuhandverhältnissen sind die Interessenwahrungspflicht stricto sensu und die Vertrauensstellung des Beauftragten von besonderer Bedeutung und Kernelement der Treuhandabrede.440 Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu ist der Ausgangspunkt und die charakteristische Pflicht des Treuhandvertrages.441 Sie hat sich vor allem aus der Treue- und Fairnesspflicht heraus entwickelt und zu einer eigenständigen Pflicht verdichtet.442 Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu als Interessenwahrnehmungspflicht ist auch keine bloße Rahmenpflicht, aus der sich immer erst konkrete Einzelpflichten im Rahmen einer Ermessensausübung durch den Treuhänder entwickeln müssten.443 Denn sie verpflichtet den Treuhänder, sein Handeln vollständig auf die Interessen des Treugebers auszurichten und verlangt eine besondere, gesteigerte Loyalität gegenüber diesem, die über den Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB hinausgeht444 und somit in Abgrenzung zur allgemeinen Treuepflicht zu betrachten ist.445 Die allgemeine Treuepflicht ist als Nebenpflicht lediglich Interessenberücksichtigungspflicht.446 Der Umfang der Interessenwahrnehmungs- und Interessenwahrungspflicht stricto sensu ergibt sich jedoch aus der konkreten Ausgestaltung des jeweiligen Treuhandverhältnisses, welches durch eine besondere Ausgestaltung des Innenverhältnisses geprägt ist.447 Daraus 440 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 8, 92 f.; Grundmann, AJCL 1999, S. 401 (416); Beuthien, in: Soergel, Vor §§ 662 Rn. 27; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 662 Rn. 30; Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, S. 12. 441 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 92 f. 442 Enriques/Gargantini, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, The Overarching Duty to Act in the Best Interest of the Client in MiFID II, Rn. 4.16. 443 So Löhnig, Treuhand, etwa S. 185, 195 – 213, 834. 444 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 148 – 152; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 89; Riesenhuber, in: Beck-OGK/BGB, § 662 BGB Rn. 73. 445 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 92 f., 133 – 135. 446 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 135; anders noch Coing, Die Treuhand, S. 137 – 142. 447 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 4, 135; Löhnig, Treuhand, S. 120; Beuthien, in: Soergel, Vor §§ 662 Rn. 27, 29.

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ergibt sich auch, dass die Interessenwahrungspflicht stricto sensu mangels Normierung und begrifflicher Elastizität streng und nicht disponibel ist.448 Das Außenverhältnis, das geprägt ist entweder durch eine dingliche Rechtsinhaberschaft oder Ermächtigung bzw. Bevollmächtigung, wird durch die Rechtsfigur der Treuhand zum Innenverhältnis in Beziehung gebracht, wonach das Dürfen nach außen an das Können nach innen anknüpft und durch die Rechtsmacht im Innenverhältnis gebunden ist.449 Die hervorgehobene Bedeutung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu dient in erster Linie dem Schutz des Treugebers, damit er durch die dem Treuhänder eingeräumte Rechtsmacht nicht ohne Weiteres geschädigt werden kann.450 Nicht die Rechte des Treuhänders sollen im Mittelpunkt stehen, sondern die Rechte bzw. der Schutz des Treugebers vor Pflichtverletzungen des Treuhänders.451 Denn ohne eigene Gegenleistung hat der Treuhänder Zugriff auf das Treugut erhalten, sei es nun in Form einer Rechtsinhaberschaft oder in Form einer Informations-, Entscheidungsoder Kontrollposition.452 Dieser Aspekt spielt für die Zuwendungsproblematik im Rahmen der Anlageberatung und Finanzkommission und der damit einhergehenden Pflicht, Interessenkonflikte offenzulegen, eine entscheidende Rolle, auch wenn dies dem ersten Anschein nach nicht der Fall sein mag. § 667 BGB sieht für den Auftrag und über § 675 Abs. 2 BGB auch für den Geschäftsbesorgungsvertrag eine Herausgabepflicht des aus der Geschäftsführung Erlangten vor; Gleiches gilt gem. § 384 Abs. 2 2. HS HGB auch für das Kommissionsgeschäft. Es ließe sich argumentieren, dass Zuwendungen, die in Form von Rückvergütungen, Innenprovisionen oder gar Gewinnmargen aus der Geschäftsführung der Anlageberatung erlangt werden, als „intransparente Vergütungspakete“453 angesehen werden könnten und somit vor der Herausgabe auch offenzulegen sind. Wie sich dies genauer dogmatisch und rechtspraktisch beurteilen und gestalten lässt, wird im 4. und 5. Kapitel näher erörtert und einer Lösung zugeführt. Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu ist „eine Pflicht zur unbedingten Wahrung, nicht nur zur (Mit-)Berücksichtigung der Treugeberinteressen“454. Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu verleiht der Tätigkeitspflicht aus dem je-

448

Beyerle, Treuhand, S. 23. BGH, Urt. v. 5. November 1953 – IV ZR 95/53, BGHZ 11, S. 37 (41); Henssler, AcP 196 (1996), S. 37 (42); Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. BGB Rn. 40; Teichmann, in: Beck-OGK/BGB, § 675 BGB Rn. 114. 450 Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, S. 19 – 21. 451 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 4; Grundmann, AJCL 1999, S. 401 (402). 452 Grundmann/Hacker, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Conflicts of Interest, Rn. 7.06; Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 8, 93, ausführlich S. 193 – 200, 212 – 220; Grundmann, AJCL 1999, S. 401 (428). 453 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 200. 454 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 93. 449

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weiligen Treuhandverhältnis erst die notwendigen Konturen.455 Entscheidend ist demnach nicht nur, dass der Treuhänder überhaupt handelt, sondern wie er handelt.456 Es sind zwei zentrale Ausprägungen der Interessenwahrungspflicht stricto sensu von Bedeutung: zum einen die Frage, ob Werte des Treuhandverhältnisses dem Treugeber oder dem Treuhänder zuzurechnen sind und zum anderen, wie der Entscheidungsmechanismus, der das Interesse des Treugebers am besten verwirklicht, ausgestaltet werden kann.457 Die Antwort auf die erste Frage ergibt sich aus der Regel, dass „alle geldwerten Vorteile, die dem Treuhänder deswegen zufallen, weil er Positionen innehat, die zum Treugut gehören, […] wiederum diesem zuzuordnen [sind]“458. Ein Anspruch des Treuhänders besteht nur für offen vereinbarte Vergütungen.459 Ausgangspunkt für die Ausgestaltung des Entscheidungsmechanismus sind die §§ 665, 666 BGB, wonach dem Treuhänder die Geschäfte aufgrund der Arbeitsteilungsfunktion und dem Treugeber die Weisungs- und Eingriffsbefugnis selbst zusteht.460 Dem Treuhänder wird die Entscheidungsmacht nur insofern eingeräumt als der Treugeber entlastet, aber nicht entmachtet werden soll.461 Bei der Treuhand steht nach Beyerle der Treuhänder als Geschäftsbesorger vor dem Treugeber und zugleich an seiner Stelle, sodass die Treuhand die uneigennützige Wahrung von Interessen ist.462 Sie ist, wie Austausch- und Kooperationsverträge, als Interessenwahrungsvertrag eine der Grundformen des Privatrechts, weil ihre charakteristischen Merkmale immer dann verwirklicht sind, sobald jemand treuhänderisch oder mit Rechtsmacht für einen anderen handelt.463 Schon für Beyerle war das Innenverhältnis der Treuhand entscheidend und zentral in den Blick zu nehmen.464 Dieser Gedanke wurde sodann von Grundmann fortgeführt, der zudem die strikte Trennung bzw. Charakterisierung einer ausschließlich dinglichen Treuhand losgelöst von dem schuldrechtlichen Elemente als aufgebrochen und überholt betrachtet.465 Im angloamerikanischen (Treuhand-)Recht – dem sog. Trustrecht466 auf dinglicher Ebene mit den sog. „fiduciary relationships“467 auf schuldrechtlicher Ebene – 455 456 457 458 459 460 461 462 463 464 465

(402). 466

Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 93. Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 93. Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 220 f. Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 220. Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 220. Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 221. Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 221. Beyerle, Treuhand, S. 19. Beyerle, Treuhand, S. 20. Beyerle, Treuhand, S. 20. Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 87 – 101, 133 ff.; Grundmann, AJCL 1999, S. 401 Coing, AcP 167 (1967), S. 99 (101).

II. Besondere Interessenwahrungsverträge

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findet eine Unterscheidung zwischen der „duty of care“ (auch „duty of dilligence“) und der „duty of loyalty“ (auch „duty of fairness“) statt.468 Die „duty of care“ umfasst die professionellen Fähigkeiten, die in ihrem vorhandenen erforderlichen Umfang einzusetzen sind und gewährt aufgrund der sog. Business Judgement Rule für Geschäftsentscheidungen regelmäßig ein Entscheidungsspielraum.469 Sie findet dann Anwendung, wenn keinerlei Interessenkonflikte in Rede stehen.470 Im Rahmen der „duty of loyalty“ sind die konfligierenden Eigeninteressen vollständig auszuschalten, sodass diese überhaupt keine Berücksichtigung finden dürfen.471 Denn nur so können Interessenkonflikte ausgeschaltet bzw. vermieden werden.472 Der im deutschen Recht prägende Begriff in diesem Zusammenhang ist die Interessenwahrungspflicht stricto sensu, die der „duty of loyalty“ im Wesentlichen entspricht.473 Grundsätzlich ist der Treuhänder in den Grenzen der Treuhandabrede und ihrer Zwecksetzung frei, nach eigenem Interesse zu handeln.474 Die Treuhandabrede erfordert eine klar ausgewiesene, säuberlich von anderen Vereinbarungen getrennte und detaillierte durchgeregelte Vereinbarung.475 In der Praxis ist eine solche Regelung jedoch eine Rarität; Regelungslücken müssen deshalb im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gem. §§ 133, 157 BGB geschlossen werden.476 Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der Ausprägung der Interessenwahrungspflicht im konkreten Einzelfall erforderlich, was sich besonders im Rahmen des noch ausführlich darzustellenden Zuwendungskonflikts im 4. Kapitel zeigt. Wie bereits Gernhuber477 im Jahr 1988 hinsichtlich der Treuhandabrede festgestellt hat, sind allzu abstrakte Formulierungen, die erst durch eine zunehmende Konkretisierung einen konkreten Maßstab bilden können, an dem sich ein Verhalten als rechtmäßig oder pflichtwidrig erweist, unpassend. Dies zeigt sich allein an der bereits seit Jahrzehnten andauernden Rechtsprechung zu Rückvergütungen, Innenprovisionen und Gewinnmargen. 467

Grundmann, AJCL 1999, S. 401 (412); Enriques/Gargantini, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, The Overarching Duty to Act in the Best Interest of the Client in MiFID II, Rn. 4.04, 4.16. 468 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 132; Grundmann, AJCL 1999, S. 401 (419). 469 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 132; Grundmann, AJCL 1999, S. 401 (419). 470 Grundmann, AJCL 1999, S. 401 (419 f.). 471 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 132; Grundmann, AJCL 1999, S. 401 (416, 419). 472 Grundmann, AJCL 1999, S. 401 (419). 473 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 49; Grundmann, AJCL 1999, S. 401 (416, 418, 428). 474 Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. B 214. 475 Gernhuber, JuS 1988, S. 355 (357). 476 Gernhuber, JuS 1988, S. 355 (358). 477 Gernhuber, JuS 1988, S. 355 (358).

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2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

bb) Bedeutung und Auswirkung der treuhänderischen Interessenwahrungspflicht stricto sensu im Rahmen der Anlageberatung und Finanzkommission Die private Vermögensverwaltung, aber auch die Anlageberatung, lassen sich in den Bereich des treuhänderischen Handelns einordnen, weil sie ein Handeln im fremden Interesse zum Gegenstand haben.478 Damit einher geht die Verpflichtung zur bestmöglichen Wahrung dieser Interessen.479 Der von Grundmann beschrittene Weg, den Blickwinkel von den sachenrechtlichen Problemen des Außenverhältnisses der Treuhand auf die schuldrechtlichen Probleme des Innenverhältnisses zu verlagern,480 führt gerade im Bereich der Kapitalanlageberatung zu praxisnahen Lösungen, insbesondere bezogen auf die Verpflichtung die Interessen des Anlegers zu wahren und dahingehend, wie im Einzelnen mit auftretenden Interessenkonflikten umzugehen ist. Festzuhalten ist, dass dem Anlageberater Einwirkungsmöglichkeiten bzw. Macht bezogen auf das Vermögen des Anlegers eingeräumt werden, indem dieser Informations-, Entscheidungs- und Kontrollpositionen aufgrund seines Expertenwissens erhält. Der Anlageberater hat zunächst die zutreffenden Informationen zu den einzelnen Anlageprodukten, dies vor allem unter Berücksichtigung der Anlegerinteressen, zusammenzustellen. Hierbei trifft der Anlageberater durch eine gewisse Vorauswahl der einzelnen Anlageprodukte Entscheidungen, die nicht immer unmittelbar, aber zumindest mittelbar Einfluss auf das Vermögen des Anlegers haben können. Denn er ist Herr darüber, die für den Anleger passende Anlage auszuwählen und lässt sich als ein sog. „Kompetenztreuhänder“ qualifizieren, weil er aufgrund seiner besonderen Sachkunde mit der Interessenwahrnehmung betraut wurde481. Insofern hat der Anlageberater nur die Interessen des Anlegers zu berücksichtigen und insbesondere eigene Vergütungsinteressen hintanzustellen. Dieser Problembereich wird bezogen auf den Zuwendungskonflikt im 4. Kapitel noch näher erörtert. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund des Auseinanderfallens von Interessenträgerschaft (des Anlegers) und Interessenwahrnehmung (durch den Anlageberater) und der daraus möglicherweise entstehenden bzw. bestehenden Interessenkonflikte482 in den Blick zu nehmen. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls hervorzuheben, dass sich die Kommission als eine fremdnützige Treuhand am kommissionsrechtlichen Ausführungsverhältnis darstellt.483 Hierbei handelt es sich um eine Verwaltungstreuhand, bei der die Bank als Kommissionärin im Innenverhältnis aufgrund eines Treuhandvertrages und im 478

So für die Vermögensverwaltung Coing, AcP 167 (1967), S. 99 (101). Coing, AcP 167 (1967), S. 99 (101). 480 Henssler, AcP 196 (1996), S. 37 (41, 44), der an diesem Erklärungsansatz deutliche Kritik übt und allein auf das Außenverhältnis abstellen will, weil sich das Treuhandverhältnis nicht wesentlich von anderen Geschäftsbesorgungsverhältnissen unterscheide. 481 Löhnig, Treuhand, S. 229, 834 f. 482 Löhnig, Treuhand, S. 1. 483 Schmidt, in: FS Medicus, S. 467 (471). 479

III. Schnittstellen und gemeinsame Grundprinzipien dieser Vertragstypen

107

Außenverhältnis in eigenem Namen als Treuhänder des Anlegers und damit des Kommittenten agiert.484 Dieses „treuhänderische Zurechnungsmodell“485 verdeutlicht die treuhänderischen Rechte und Pflichten des Kommissionärs, darunter die Interessenwahrungspflicht stricto sensu gem. § 384 Abs. 1 HGB, die Weisungsgebundenheit gem. §§ 384 Abs. 1, 385 Abs. 1, 386 Abs. 1 HGB, die Informations- und Rechenschaftspflicht des § 384 Abs. 1 HGB und die Herausgabepflicht des § 384 Abs. 2 HGB. Das Handeln für fremde Rechnung führt dazu, dass der Kommissionär zum Treuhänder bezüglich aller aus dem Ausführungsgeschäft resultierender Rechtspositionen wird.486 Darüber hinaus ist jede Kommission zugleich eine Erwerbstreuhand, weil der Kommissionär als Treuhänder durch Abschluss des Vertrages in eigenem Namen das Treugut erwirbt und verwaltet und für Rechnung des Kommittenten abwickelt.487 Das zeigt sich vor allem im Bereich der Finanzkommission bei dem Erwerb von Kapitalanlagen durch Banken für Anleger. d) Zwischenergebnis Bevor auf die Schnittstellen und gemeinsamen Grundprinzipien der jeweiligen Vertragstypen eingegangen wird, lässt sich allgemein schon einmal festhalten, dass nach dem Zivilrecht im Mittelpunkt des bankmäßigen Dienstleistungsgeschäfts Geschäftsbesorgungsverträge mit Dienstleistungscharakter stehen. Auch ist festzuhalten, dass diese keine Treuhandverträge im klassischen Sinne sind, aber durchaus aufgrund der herausragenden Stellung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu wesentliche Elemente der Treuhand in sich tragen. Es kann mithin von einer vergleichbaren bzw. typischen Interessenlage gesprochen werden, die der Treuhand ähnlich ist. Dies führt jedoch in den Fällen der Anlageberatung und Finanzkommission dazu, dass es sich hierbei um Treuhandverträge handelt.488 In Übereinstimmung mit Siebert ist lediglich zu beachten, dass die Treuhand von bloß kontrollierenden Tätigkeiten strikt zu trennen ist.489

III. Schnittstellen und gemeinsame Grundprinzipien dieser Vertragstypen Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen ist der Gedanke, dass der Auftrag, wie er in § 662 BGB geregelt ist, den Grundstein aller Interessenwahrungsverträge bildet. Sowohl der Vertragsgegenstand als auch die Vertragspflichten der 484 485 486 487 488 489

Schmidt, in: FS Medicus, S. 467 (471). Schmidt, in: FS Medicus, S. 467 (472). Schmidt, in: FS Medicus, S. 467 (472). Schmidt, in: FS Medicus, S. 467 (473). So zur Anlageberatung auch Löhnig, Treuhand, S. 229. Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, S. 22.

108

2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

Parteien werden maßgeblich durch den Auftrag mitbestimmt. Darüber hinaus rühren die hervorgehobene Bedeutung und Brisanz der Interessenwahrungspflicht stricto sensu daher, dass die Bank bei gleichzeitiger Durchführung einer Beratung und des Ausführungsgeschäfts (Kommission oder Kaufvertrag) eine Doppelrolle einnimmt, weil sie zum einen im Rahmen der Beratung ausschließlich Fremdinteressen verpflichtet ist und zum anderem im Rahmen des Ausführungsgeschäfts auch Eigeninteressen verfolgt.490 Im Ergebnis muss sich die Bank jedoch, um Interessenkonflikte zu vermeiden, mit ihren Ratschlägen bedingungslos dem Anlegerinteresse unterordnen und über diese Doppelrolle informieren.491 Zentral ist und bleibt jedoch, dass der Anlageberatungsvertrag als Vertrag der Fremdinteressenwahrung die beratende Bank dazu verpflichtet, in erster Linie den Anlegerinteressen zu dienen.492 Die beratende Bank unterliegt anders als bei Verträgen des Interessengegensatzes strengeren Vertragspflichten, insbesondere strengeren Beratungs- und Aufklärungspflichten.493 Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu, die auch dem Auftrag und dem Geschäftsbesorgungsvertrag zugrunde liegt, führt zu einer besonderen Treuebindung des Beauftragten im Innenverhältnis und verdeutlicht die besondere Nähe zur Treuhand.494 Im Einzelfall ist dennoch zu prüfen, ob der Auftrag oder die Geschäftsbesorgung gleichzeitig ein Treuhandvertrag ist.495 Denn die für die Interessenwahrungspflicht stricto sensu grundlegende Vertrauensstellung des Beauftragten gilt für jeden Auftrag, unabhängig vom Bestehen und der Ausprägung treuhänderischer Elemente, und setzt gerade keine besondere treuhänderische Bindung voraus.496 Es ist an diesem Punkt bereits festzuhalten, dass diese „treuhänderische“ Stellung in der Regel dann vorliegt, wenn der Beauftragte bzw. Geschäftsbesorger Vermögenswerte des Auftraggebers verwaltet.497 Auch wenn der Auftrag für typisch treuhänderische Beziehungen geregelt wurde, so steht doch die Unentgeltlichkeit und nicht der Treuhandcharakter im Fokus; anders hingegen bei der entgeltlichen Geschäftsbesorgung, die für entgeltliche Beziehungen mit betontem Treuhandcharakter geregelt wurde.498 Dies übertragen auf Banken und andere Wertpapierdienstleistungsunternehmen verdeutlicht noch einmal deren besondere Vertrauensstellung gegenüber den Kunden bzw. Anlegern, besonders vor dem Hintergrund ihrer Selbstdarstellung als fachkundige, erfahrene und sich überwiegend am Kundenin490

Buck-Heeb, WM 2012, S. 625 (629); Hopt, in: FS Gernhuber, S. 169 (181). Buck-Heeb, WM 2012, S. 625 (629, 633 f.); Hopt, in: FS Gernhuber, S. 169 (181); Weller, ZBB 2011, S. 191 (195). 492 Weller, ZBB 2011, S. 191 (192). 493 Weller, ZBB 2011, S. 191 (192, 196). 494 Berger, in: Erman, § 662 Rn. 17; Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 310; Larenz, Schuldrecht BT 2. Bd., S. 414. 495 Berger, in: Erman, § 662 Rn. 20. 496 Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 662 Rn. 30. 497 So auch Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 309; Larenz, Schuldrecht BT 2. Bd., S. 414. 498 Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 310. 491

III. Schnittstellen und gemeinsame Grundprinzipien dieser Vertragstypen

109

teresse ausrichtende Dienstleister.499 In der Praxis wird es für den Kunden jedoch immer schwieriger, die Fülle der verschiedenen Anlageprodukte und Anlagestrategien zu durchschauen, wodurch auch das Investitionsrisiko steigt und „oft Vernunft und Verstand des Kunden auf der Strecke“500 bleiben.501 In Bezug auf den Vertragsgegenstand kann zunächst festgehalten werden, dass die §§ 662 ff. BGB für alle Leistungen gelten, die auch einem Geschäftsbesorgungsvertrag im Sinne des § 675 BGB entsprechen, aber ohne Vergütung zu erbringen sind.502 Denn grundsätzlich fallen Tätigkeiten auch unter den weiten Geschäftsbesorgungsbegriff in § 662 BGB, wenn sie unter den engen in § 675 Abs. 1 BGB zu subsumieren sind.503 Hierbei ist jedoch einschränkend anzumerken, dass der Anlageberatungsvertrag trotz seiner Unentgeltlichkeit aufgrund seiner Vertragspflichten einem Geschäftsbesorgungsvertrag und nicht nur einem bloßen Auftrag im Sinne des § 662 BGB entspricht. Sowohl der Auftrag als auch der Geschäftsbesorgungsvertrag ist durch eine unterordnende Interessenstruktur geprägt und daher als einheitlicher Rechtsstrukturtyp zu qualifizieren.504 Bei der entgeltlichen Geschäftsbesorgung ergibt sich die Unterordnung daraus, dass primär die Interessenwahrung geschuldet ist und das Entgeltinteresse nur mittelbar verfolgt wird. Im Rahmen des Auftrags ergibt sich die Unterordnung bereits aus der unentgeltlichen Übernahme der Tätigkeit. Sowohl das Auftrags- und Geschäftsbesorgungsrecht im Allgemeinen als auch die rechtlichen Grundprinzipien des Anlageberatungsvertrages und des Finanzkommissionsgeschäfts im Besonderen zeigen deutlich, dass sie bereits privatrechtlich von besonderen Treuepflichten geprägt sind,505 welche durch das Treuhandelement verknüpft werden. So ist das Bank-Kunden-/Bank-Anleger-Verhältnis von einer besonderen Vertrauensbeziehung geprägt, welches zur Folge hat, dass die Vermögensinteressen des Kunden bzw. Anlegers besonders schutzwürdig sind und daher die vermögensbezogene Loyalitätspflicht in den Rechtsbeziehungen zwischen Bank und Kunden besonders ausgeprägt ist.506

499 500 501 502 503 504 505 506

Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 17. Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 17. Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 52 Rn. 17. Sprau, in: Grüneberg, Einf. v. § 662 Rn. 8. Sprau, in: Grüneberg, Einf. v. § 662 Rn. 8. Martinek/Omlor, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 19, 28 – 31. Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 211. Berger, in: Erman, § 675 BGB Rn. 29.

110

2. Kap.: Das vertragsrechtliche Pflichtengefüge

IV. Zusammenfassung Abschließend lässt sich, wie von Grundmann treffend formuliert, festhalten, dass die bankrechtlichen Vertragsbeziehungen weder durch einen „monolithischen ,allgemeinen Bankvertrag‘“507 noch durch ein „monolithisches gesetzliches Schuldverhältnis“508 charakterisiert sind, sondern ihnen ein „variantenreiches Regelungsset“509, geprägt von zentralen privatrechtlichen Grundprinzipen sowie aufsichtsrechtlichen Regulierungsvorschriften, zugrunde liegt.510 Spindler spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „Janusköpfigkeit des Kapitalmarktrechts“511. Im Rahmen des vertragsrechtlichen Pflichtengefüges stehen dabei die Rücksichtnahmepflicht des § 242 BGB, aber noch viel prominenter die Interessenwahrungspflicht stricto sensu, die „über eine bloße Rücksichtnahme als solche hinausgeht und die Hintanstellung eigener oder konfligierender Interessen fordert“512, im Mittelpunkt.513

507

Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 1. Abschnitt Rn. 6. Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 1. Abschnitt Rn. 6. 509 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 1. Abschnitt Rn. 6. 510 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 1. Abschnitt Rn. 6. 511 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 7. 512 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 1. Abschnitt Rn. 6. 513 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil, 1. Abschnitt Rn. 6. 508

3. Kapitel

Die Bedeutung des Aufsichtsrechts für das vertragsrechtliche Pflichtengefüge im Bereich der Kapitalanlageberatung Der im 2. Kapital veranschaulichte Korpus vertragsrechtlicher Normen, bestehend aus den Grundsätzen zum Anlageberatungsvertrag, der Effektenkommission sowie den generellen vertragsrechtlichen Grundsätzen im Rahmen des Auftrags- und Geschäftsbesorgungsrechts, stellt transaktionsbezogene Regelungen zur Verfügung. Vor allem die Grundsätze der Interessenwahrung und der Vermeidung von Interessenkonflikten können durch die Verhaltenspflichten der §§ 64 ff. WpHG ergänzt und möglicherweise auch von diesen überlagert werden.1 Dies bedarf jedoch im Folgenden einer tiefergehenden Untersuchung. Die vertragsrechtlichen Pflichten können zunächst nicht als alleinige Grundlage für die dogmatische Begründung des flächendeckenden Transparenzgebotes in Bezug auf die Offenlegung von Zuwendungen im Kapitalanlagerecht und insbesondere nicht losgelöst von den aufsichtsrechtlichen Vorgaben betrachtet werden. Der Regelungsgehalt der Wohlverhaltenspflichten gemäß §§ 63 ff. WpHG als zentrale aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen wird im Rahmen des 4. Kapitels einer näheren Untersuchung zugeführt. Vorab ist jedoch ein kurzer Blick auf Gegenstand und Funktion des Aufsichtsrechts ganz allgemein zu werfen und die Rechtsnatur und der Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf das vertragsrechtliche Pflichtengefüge sind zu betrachten. Erst das Zusammenspiel der zivilrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen kann am Ende zu einer dogmatischen Herleitung und Begründung des umfassenden Transparenzgebotes in Bezug auf die Offenlegung von Zuwendungen führen.

I. Gegenstand und Regelungsziele des kapitalmarktrechtlichen Aufsichtsrechts Das Aufsichtsrecht im Bereich des öffentlichen Bank- und Kapitalmarktrechts zielt in Abgrenzung zum Bankprivatrecht nicht originär auf die vertragsrechtlichen

1

Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 52.

112

3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

Beziehungen zwischen Bank und Kunden ab.2 Das Kapitalmarktrecht umfasst „die Gesamtheit der Normen, Geschäftsbedingungen und Standards, mit denen die Organisation der Kapitalmärkte und der auf sie bezogenen Tätigkeiten sowie das marktbezogene Verhalten der Marktteilnehmer geregelt werden sollen“.3 In enger Verknüpfung zum Bankrecht hat sich das Kapitalmarktrecht als eigenständiges Rechtsgebiet entwickelt.4 Es besteht aus einem Konglomerat verwaltungsrechtlicher, privatrechtlicher, prozessualer und strafrechtlicher Regelungen, wobei das öffentliche Recht, namentlich das Aufsichtsrecht, eine übergeordnete Rolle spielt.5 Darüber hinaus ist die Vielzahl der kapitalmarktrechtlichen Rechtsquellen nicht nur nationalen Ursprungs, sondern auch auf europäische und internationale Initiativen zurückzuführen.6 Das im Rahmen dieser Arbeit gegenständliche Kapitalanlagerecht gilt als Ausschnitt des Kapitalmarktrechts. Ausgangspunkt für die Bestimmung des Gegenstands und der Regelungsziele des kapitalmarktrechtlichen Aufsichtsrechts7 ist die allgemein anerkannte Dreiteilung des Kapitalmarktrechts8 in Marktorganisations-, Marktverhaltens- und Marktaufsichtsrecht. Große Teile des Gesellschafts- und Aktienrechts regeln die Struktur der Marktteilnehmer oder der auf dem Markt gehandelten Produkte und sind daher Teil des Marktorganisationsrechts.9 Das Marktverhaltensrecht wird geprägt zum einen von transaktionsbezogenen Verhaltenspflichten bzgl. der Vertragsanbahnung und des Vertragsschlusses, dazu zählen auch die Wohlverhaltensregeln der §§ 63 ff. WpHG.10 Zum anderen bestehen transaktionsunabhängige bzw. unternehmens- oder organisationsbezogene Informationsregelungen, wie z. B. die Mitteilungspflichten der §§ 88 ff. WpHG.11 Im Kern wird das Verhalten der Marktteilnehmer geregelt12, das auf einer aufsichtsrechtlichen, d. h. öffentlich-rechtlichen Ebene erfolgt, wobei dies im Folgende noch näher zu erörtern ist. Das reine Marktaufsichtsrecht wiederum 2 Wittig, in: Kümpel/Wittig (4. Auflage, 2011), 1. Teil Rn. 1.3; so ähnlich auch Früh, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 1.51 – 1.53. 3 Oulds, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 11.5. 4 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, WpHG Einl. Rn. 1 f., 10; Oulds, in: Kümpel/ Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 11.1 und 11.6. 5 Bultmann/Hoepner/Lischke, Anlegerschutzrecht, S. 2 f., 10; Oulds, in: Kümpel/Mülbert/ Früh/Seyfried, Rn. 11.10 – 11.14; Zimmermann, GPR 2008, S. 38 (38). 6 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 83 Rn. 52 f. 7 In Abgrenzung zum Bankaufsichts-, Zahlungsdienste- oder Versicherungsaufsichtsrecht ist die Kapitalmarktaufsicht alleiniger Forschungsgegenstand. Es geht im Kern um das Kapitalmarktrecht und das WpHG. 8 Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 5 m. w. N.; so auch Klöhn, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 6 Kapitalmarktrecht, vgl. Gliederung (4. Aufl., 2017). 9 Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 5. 10 Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 7. 11 Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 7. 12 Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 5.

I. Gegenstand und Regelungsziele

113

bezieht sich auf das Marktverfahren, dabei geht es um Marktzulassungsfragen und die Beaufsichtigung der Marktteilnehmer und deren Verhalten.13 Die Kernaufgabe des Aufsichtsrechts besteht jedoch darin, einen funktionsfähigen, effizienten und transparenten Kapitalmarkt zu schaffen.14 Bei der Regulierung des Marktaufsichtsrechts – wobei dies die Bankaufsicht und Kapitalmarktaufsicht und somit eine umfassende Finanzaufsicht meint – steht sowohl ein institutioneller als auch ein funktionaler Ansatz im Mittelpunkt. Dabei umfasst der institutionelle Ansatz die Angleichung von Verhaltensstandards, die an institutionelle Formen bzw. nationale Definitionen eines Status, wie z. B. den als „Kreditinstitut“, anknüpfen.15 Im Rahmen eines funktionalen Ansatzes werden bestimmte Aktivitäten bzw. die von dem einzelnen Dienstleister wahrgenommenen Aufgaben bzw. „Funktionen“, wie z. B. die Durchführung von Bankgeschäften oder Wertpapierdienstleistungen, einheitlichen Regeln unterworfen.16 Der funktionale Ansatz weist eine deutlich höhere Flexibilität auf, weil für Finanzintermediäre sowohl prudential regulations, d. h. reine aufsichtsrechtliche Regelungen, als auch conduct of business regulations, welche vor allem auch Verhaltensanforderungen mitumfassen, geschaffen werden können.17 Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das Zusammenspiel der sog. prudential regulations, die dem Schutz des Intermediärs dienen und Störungen auf dem Markt, auf dem er sich betätigt, vermeiden sollen, und den sog. conduct of business-rules, die dem Kunden- bzw. Anlegerschutz dienen und deren Kern die vertriebs- und transaktionsbezogenen Verhaltenspflichten bilden.18 Die Marktregulierung allein und ein rein institutioneller Ansatz genügen demnach nicht für die Gewährleistung eines effektiven Anlegerschutzes. Zwar ist primärer Regelungsansatz des Kapitalmarktrechts die Regulierung des Marktes19, aber er erschöpft sich nicht darin. So hat Hopt20 zu Recht postuliert, dass der Funktionsschutz des Kapitalmarktes und der Individualschutz der Anleger zwei Seiten derselben Medaille sind. Sie können nicht losgelöst voneinander betrachtet werden und bedingen sich

13

Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 5. Auerbach, Banken- und Wertpapieraufsicht, Teil D Rn. 2; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 1.67, 1.70; Rothenhöfer, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 11.9. 15 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 93; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Band 10, S. 5, 29. 16 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 94. 17 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 95 f. 18 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 88 – 90; Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 14a; Möllers/Ganten, ZGR 1998, S. 773 (776 f.). 19 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 7; Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 11; Auerbach, Banken- und Wertpapieraufsicht, Teil D Rn. 1, der jedoch durch die MiFID II eine Aufwertung des Anlegerschutzes in Aussicht stellt. 20 Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135 (159); Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, § 14; so auch Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 6; Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 11 f. 14

114

3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

gegenseitig.21 Hieraus ergeben sich die zwei zentralen Regelungsziele des Kapitalmarkt- und somit auch des Aufsichtsrechts, namentlich der Funktionsschutz des Kapitalmarktes und der Anlegerschutz, der wiederum in eine institutionelle und eine individuelle Komponente zu unterteilen ist22. Der Funktionsschutz gewährleistet das öffentliche Interesse an der Funktionsfähigkeit der Wertpapiermärkte und der individuelle Anlegerschutz stellt den Schutz der Wertpapierkunden sicher.23 Der Funktionsschutz selbst liegt ausschließlich im öffentlichen Interesse, demnach stehen nicht die Individualinteressen, sondern die im Allgemeininteresse liegenden überindividuellen Interessen im Vordergrund.24 Die Unterteilung des Funktionsschutzes in eine institutionelle, eine allokative und eine operationale Komponente ist allgemein anerkannt.25 Das Vorliegen der Grundvoraussetzungen für einen funktionierenden Markt ist Gegenstand der institutionellen Funktionsfähigkeit. In diesem Zusammenhang müssen sowohl der ungehinderte Marktzugang der Emittenten und der Anleger als auch standardisierte Anlageprodukte und die Liquidität des Marktes sowie die Fairness gewährleistet werden.26 All diesen Zielen dienen unter anderem die Regeln zum Insiderrecht gemäß Art. 14 MAR27, die Transparenzregeln der §§ 33 ff. WpHG sowie die Verhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG und allgemein die Vorschriften über die Einrichtung einer staatlichen Wertpapieraufsicht durch die BaFin gemäß §§ 6 ff. WpHG.28 Im Rahmen der operationalen Funktionsfähigkeit geht es vorrangig um die Senkung von Transaktionskosten durch die Gewährleistung von Publizitäts- und Informationspflichten, denn so können die Kosten für eine private Informationsbeschaffung gering gehalten 21 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 287; Zimmermann, GPR 2008, S. 38 (39). 22 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 11 – 13; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 1.69. 23 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 7, 11; Koller, in: Assmann/Schneider/Mülbert, § 63 WpHG Rn. 2; Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 4; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 49 – 51; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 72; Nikolaus, Durchsetzung der Wohlverhaltens- und Organisationspflichten, S. 38; Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 22 – 27; Schulte-Frohlinde, Art. 11 Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, S. 48 – 54. 24 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 1.67. 25 Auerbach, Banken- und Wertpapieraufsicht, Teil D Rn. 2; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 73 m. w. N.; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 7 – 10; Klöhn, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 6 Kapitalmarktrecht, Rn. 7 f., 16; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 1.71 – 1.76; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 43 – 47; Kübler, AG 1977, S. 85 (87 – 91) bereits grundlegend dazu; Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 22. 26 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 10; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 1.76. 27 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/ 124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, Abl. (EU) L 173, 1. 28 Auerbach, Banken- und Wertpapieraufsicht, Teil D Rn. 3.

I. Gegenstand und Regelungsziele

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und die Akzeptanz der Anleger gefördert werden.29 Auch können nur so die Informationsasymmetrien30 zwischen den Emittenten und Anlegern abgebaut werden, damit der Anleger Vertrauen in den Markt aufbauen kann und in diesen investiert.31 Die Steuerungsfähigkeit des Kapitalmarktes, d. h. die Zuteilung finanzieller Ressourcen, ist zentraler Gegenstand der allokativen Funktionsfähigkeit.32 Danach soll nicht nur anlagefähiges Kapital dahin fließen, „wo der jeweils dringendste Bedarf an Investitionsmitteln die höchste Rendite bei hinreichender Sicherheit der Anlage verspricht“33, sondern auch Liquidität erhöht werden, indem z. B. einer unternehmerischen Investition unter Umständen nicht genutztes Kapital zugeführt wird34. Grundvoraussetzungen für die Gewährleistung der allokativen Komponente sind Transparenz und die Information der Anleger, um Vertrauen in den Markt zu schaffen, damit diese ihr Kapital investieren.35 Das zweite zentrale Regelungsziel ist der Anlegerschutz. Dieser lässt sich unterteilen in einen institutionellen und in einen individuellen Anlegerschutz. Im Rahmen des institutionellen Anlegerschutzes, auch Publikumsschutz, geht es um den Schutz des Anlegerpublikums, d. h. der Gesamtheit der Anleger, zur Gewährung eines Marktfunktionsschutzes, indem das Vertrauen aller Anleger in die Integrität und Stabilität der Märkte geschaffen wird.36 Der primär dem öffentlichen Interesse dienende institutionelle Anlegerschutz gewährt keine individuell einklagbaren Rechte.37 Der institutionelle Anlegerschutz wird durch die Vorschriften des kapitalmarktrechtlichen Aufsichtsrechts, welches zentral die Normen des WpHG umfasst, gewährleistet. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften zieht zumeist Sanktionen des Rechts der Ordnungswidrigkeiten oder des Strafrechts nach sich. Die Gewährleistung eines individuellen Anlegerschutzes behält die Einzelfallgerechtigkeit im Blick, dies hat jedoch nicht zwingend zur Folge, dass der einzelne Anleger aus jeder Einzelnorm des WpHG einen individuellen Schadensersatzanspruch herleiten kann, nur weil ein umfassender Anlegerschutz sowohl den institutionellen als auch den individuellen Anlegerschutz umfasst. Es muss für jede Einzelnorm gesondert fest29 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 9; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Band 11/1 5. Teil Rn. 25 f.; Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 17; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 1.75. 30 Hierzu ausführlich: Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 93 ff. 31 Zimmermann, GPR 2008, S. 38 (39). 32 Auerbach, Banken- und Wertpapieraufsicht, Teil D Rn. 4; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 10; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Band 11/1 5. Teil Rn. 8 f.; Hirte/ Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 14. 33 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 10; so auch schon Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 1.72. 34 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Band 11/1 5. Teil Rn. 9. 35 Auerbach, Banken- und Wertpapieraufsicht, Teil D Rn. 5; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 10; Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 16 f.; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 1.73 f. 36 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 12. 37 Auerbach, Banken- und Wertpapieraufsicht, Teil D Rn. 6.

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

gestellt werden, ob sich daraus ein Anspruch des Anlegers, insbesondere ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB oder ein Anspruch auf Einschreiten der Aufsichtsbehörden bei Verstößen gegen aufsichtsrechtliche Normen, ableiten lässt. Denn im Rahmen des Anlegerschutzes ist der Annahme, dass der institutionelle Anlegerschutz den individuellen Anlegerschutz überwiegt und daher primär das Vertrauen des gesamten Anlegerpublikums in die Integrität und Stabilität der Märkte gemeint ist,38 besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Diese Frage und der Anlegerschutz im Besonderen wird im Laufe der Arbeit noch ausführlich behandelt. Die Finanzmarktaufsicht über die Einhaltung der Normen des Kapitalmarktrechts, namentlich des WpHG als sog. „Grundgesetz des Kapitalmarktrechts“39, wird auf nationaler Ebene von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin, geführt. Auf europäischer Ebene ist die European Securities und Market Authority, kurz ESMA, die Aufsichtsbehörde, welche gemäß Art. 1 Abs. 5 ESMAVO die Integrität, Transparenz, Effizienz und das ordnungsgemäße Funktionieren der (europäischen) Finanzmärkte gewährleisten soll. Die ESMA handelt in völliger Unabhängigkeit und nur im öffentlichen Interesse; auch richtet sich ihre Aufsichtstätigkeit nicht an die Marktakteure direkt, sondern nur an die nationalen Aufsichtsbehörden, um eine wirksame und einheitliche Aufsichtspraxis sicherzustellen.40 Der BaFin obliegt seit 2002 als zentrale Aufsichtsinstanz, neben der Aufsicht über den Wertpapierhandel, auch die Aufsicht über Banken, Finanzdienstleistungsinstitute und Versicherungsunternehmen. Dies lässt sich unter dem Begriff der „Allfinanzaufsicht“ zusammenfassen.41 Die Regelungen zur Einrichtung, Organisation und allgemeinen Aufgaben der BaFin finden sich in dem Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG)42. Zentrale Aufgabe und zentrales Ziel der BaFin sind die Sicherstellung von Transparenz und Integrität des Marktes sowie die

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So etwa Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 1.70. Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135 (135, 163); Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 5; Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 3. Es wird auch als Magna Charta oder Kernstück des Kapitalmarktrechts bezeichnet, vgl. Möllers/Ganten, ZGR 1998, S. 773 (774) m. w. N. 40 Auerbach, Banken- und Wertpapieraufsicht, Teil D Rn. 235 f.; Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 92d, vgl. diese auch ausführlich zu Aufgaben und Befugnissen der ESMA, Rn. 92a – 92o sowie Hitzer/Hauser, BKR 2015, S. 52 – 59; schöner prägnanter Überblick zur ESMA bei Klöhn, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 6 Rn. 31 – 38. 41 Auerbach, Banken- und Wertpapieraufsicht, Teil A Rn. 1 f.; zum Allfinanz-Konzept ausführlich Hagemeister, WM 2002, S. 1773 (1774 – 1776). 42 Gesetz über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz – FinDAG) vom 22. April 2002, BGBl. I, S. 1310, zuletzt geändert durch Art. 114 Abs. 3 des Gesetzes vom 17. Juli 2017, BGBl. I, S. 2446; ausführlich zur Reform durch das FinDAG und die Kapitalmarktaufsicht durch die BaFin Hagemeister, WM 2002, S. 1773 – 1780 sowie Halfpap, Kapitalmarktaufsicht in Europa, S. 19 – 51. 39

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

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Gewährleistung eines ausreichenden Anlegerschutzes.43 Gemäß § 6 Abs. 1WpHG überwacht sie den börslichen und außerbörslichen Handel mit Finanzprodukten sowie gemäß § 6 Abs. 2 WpHG, § 4 Abs. 1 FinDAG zudem alle Rechtspflichten und Handlungsgebote die im WpHG geregelt sind und somit auch die Einhaltung der Verhaltensregeln nach den §§ 63 ff. WpHG. Hervorzuheben ist schon an dieser Stelle, dass die BaFin gemäß § 4 Abs. 4 FinDAG ihre Befugnisse allein im öffentlichen Interesse wahrnimmt. Dies hat zur Folge, dass die Aufsichtstätigkeit der BaFin primär zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Wertpapiermärkte erfolgt und der Schutz des einzelnen Anlegers als bloßer Rechtsreflex aufzufassen ist.44 Dies verdeutlicht, dass ein Handeln der BaFin im Individualinteresse des einzelnen Anlegers nach der gesetzgeberischen Intention ausgeschlossen ist.45 Insgesamt ergibt sich daraus für das deutsche Aufsichtskonzept bezüglich der Wohlverhaltenspflichten, dass sich dieses wesentlich in der gemäß § 6 Abs. 1 WpHG angeordneten und der BaFin auferlegten Missstandsaufsicht erschöpft.46 Danach überwacht die BaFin gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 WpHG die Einhaltung der Ge- und Verbote des WpHG und ist als Verwaltungsbehörde gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach dem WpHG zuständig. Die BaFin hat jedoch auch die Möglichkeit, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, sodass neben den reagierenden Aspekt auch ein fördernder Aspekt tritt.47 Die Verfolgung von Straftaten obliegt dabei nach § 11 WpHG den Staatsanwaltschaften. Vor diesem Hintergrund werden die Wohlverhaltenspflichten nun im Allgemeinen mit besonderem Augenmerk auf die Diskussion um ihre Rechtsnatur und mögliche Einwirkung auf das Vertragsrecht näher betrachtet.

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG Einleitend folgt zunächst ein kurzer und prägnanter Überblick über die Entstehungsgeschichte der Wohlverhaltenspflichten. Ausführlich lässt sich diese in einer Vielzahl von Aufsätzen, Monografien und Standardwerken48 zum Kapitalmarktrecht

43 Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 92; Seyfried, in: Kümpel/Wittig (4. Auflage, 2011), Rn. 3.5. 44 Begründung zur Beschlussempfehlung und zum Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BT-Drucks. 12/7918, S. 100; Seyfried, in: Kümpel/Wittig (4. Auflage 2011), Rn. 3.30 und Freis-Janik, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn 2.8. 45 Giesberts, in: KölnerKomm/WpHG, § 4 Rn. 36. 46 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 139; Veil, in: FS Hopt, S. 2641 (2644). 47 Giesberts, in: KölnerKomm/WpHG, § 4 Rn. 19. 48 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, WpHG Einl. Rn. 1 – 46; Jentsch, WM 1993, S. 2189 (2189 – 2191); Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, Teil B, S. 7 – 27; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 2 – 51; Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG,

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

detailreich nachlesen. Wie Köndgen schon im Jahr 2009 schrieb, „ist über kaum eine Fragestellung im WpHG so viel Tinte vergossen worden wie zur rechtssystematischen Einordnung der sog. Wohlverhaltenspflichten nach §§ 31 ff. WpHG“49. Darauf aufbauend folgt eine Skizze zum allgemeinen Gegenstand und Normzweck der Wohlverhaltensregeln. Sodann wird auf die Debatte über die dogmatische Einordnung der Wohlverhaltenspflichten und ihre Rechtsnatur eingegangen, um abschließend den Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehungen zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Kunden nach dem bisherigen Meinungsstand zu erörtern.

1. Entstehungsgeschichte Ausgehend vom Segré-Bericht50 aus dem Jahr 1966, der den Grundstein für eine Harmonisierung und Verbesserung des europäischen Kapitalmarktes legte, basierten die Wohlverhaltenspflichten und die dazugehörigen Organisationspflichten zunächst im Wesentlichen auf den Artt. 10 und 11 der WpDRL51, welche durch das 2. FMFG am 1. Januar 1995 als §§ 31 – 37 WpHG a. F. in Kraft getreten sind.52 Das 2. FMFG war ein Meilenstein, ja sogar Wendepunkt der Regulierung des Kapitalmarktrechts, weil das WpHG als komplett neues Gesetz in Kraft getreten ist. Das WpHG ist heute gar nicht mehr wegzudenken und wird zurecht als „Grundgesetz des deutschen Kapitalmarktrechts“53 bezeichnet und die Vorhersage Hopts54, dass sich das Kapitalmarktrecht in Deutschland zu einem Rechtsgebiet von ganz erheblicher Bedeutung entwickeln werde, ist eingetroffen. Zum anderen erfolgte durch die erstmalige Einl. Rn. 57 – 84; Klöhn, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 6 Kapitalmarktrecht, Rn. 12 – 15; Just, in: Just/Voß/Ritz et al., Vor §§ 31 – 37a Rn. 3 – 10. 49 Köndgen, BKR 2009, S. 376 (377). 50 Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Der Aufbau eines Europäischen Kapitalmarktrechts – Bericht einer von der EWG-Kommission eingesetzten Sachverständigengruppe, 1966. 51 Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen, Abl. EG Nr. L 141/27, hierzu: Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 10 – 16; Schulte-Frohlinde, Art. 11 Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, insbes. S. 35 – 54; Reich, WM 1997, S. 1601 (1602); Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135 (136 f.); Jentsch, WM 1993, S. 2189 (2193); Buhk, Haftung bei der Anlagevermittlung und der Anlageberatung, S. 37 – 44; Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute, S. 167 – 174; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 26 f. 52 Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1994, BGBl. L S. 1749 (1784); Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 4 – 12. 53 Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135 (135, 163); Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 5; Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn 3. Es wird auch als Magna Charta oder Kernstück des Kapitalmarktrechts bezeichnet, vgl. Möllers/Ganten, ZGR 1998, S. 773 (774) m. w. N. 54 Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135 (163).

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

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Umsetzung der europäischen Vorgaben bezüglich der Wohlverhaltenspflichten eine Anpassung des deutschen Kapitalmarktrechts an international, vor allem im USamerikanischen und britischen Kapitalmarktrecht, bereits geltende Standards.55 Im Rahmen der Umsetzung der Artt. 18 bis 24 der MiFID I56 und der dazugehörigen Artt. 21 bis 51 der Durchführungs-Richtlinie57 durch das FRUG58 haben die Wohlverhaltensregeln eine deutliche Veränderung dahingehend erfahren, dass nicht nur ihre Stellung im WpHG in den Abschnitt 6 verlagert wurde, sondern vor allem ihr Regelungsgehalt inhaltlich ausgeweitet wurde. Eine neue umfangreiche inhaltliche Anpassung und vor allem Neusortierung innerhalb des Normgefüges des WpHG erfolgte nunmehr durch die Artt. 23 bis 30 der MiFID II59 sowie die Artt. 38 bis 71 der Delegierten Verordnung60 und Artt. 11 bis 13 der Delegierten Richtlinie61, welche durch das 2. FiMaNoG62 umgesetzt wurden und mit Wirkung zum 3. Januar 2018 in Kraft traten. Durch das 2. FiMaNoG hat das WpHG in großen Teilen einschneidende und umfangreiche Veränderungen erfahren. Aufgrund der großen Anzahl bzw. vielfältigen Änderungen durch eine Vielzahl von europäischen Richtlinien und Verordnungen hatte der deutsche Gesetzgeber keine andere Wahl als das WpHG neu zu verkünden und dieses systematisch neu zu ordnen und dadurch unter anderem auch die Übersichtlichkeit des WpHG zu stärken.63 Die 55 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 52, 54 – 91, der detailliert auf die rechtsvergleichenden und internationalen Erfahrungen eingeht; sowie Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 39 – 42; Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135 (140). 56 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, Abl. EG L 145/1. 57 Richtlinie 2006/73/EG der Kommission vom 10. August 2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG, Abl. EG L 241/26. 58 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz – FRUG) vom 16. Juli 2007, BGBl. I S. 1330. 59 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente, Abl. EU L 173/349. 60 Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 der Kommission vom 25. April 2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie, Abl. EU L 87/1. 61 Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593 der Kommission vom 7. April 2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf den Schutz der Finanzinstrumente und Gelder von Kunden, Produktüberwachungspflichten und Vorschriften für die Entrichtung beziehungsweise Gewährung oder Entgegennahme von Gebühren, Provisionen oder anderen monetären oder nicht monetären Vorteilen, Abl. EU L 87/ 500. 62 Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) vom 29. September 2016. 63 Mock/Stüber, Das neue Wertpapierhandelsrecht, Vorwort und Teil A Rn. 14.

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

Änderungen durch das 2. FiMaNoG, wodurch der vormals 6. Abschnitt der §§ 31 ff. WpHG a. F. nunmehr zum 11. Abschnitt der §§ 63 ff. WpHG wurde, gelten in Teilen der Literatur als eine Art Neustart für das WpHG und somit für das Kapitalmarktrecht insgesamt, weil die Umsetzung der Vorgaben bezüglich der Verhaltens- und Organisationspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen ein Schwerpunkt war und diese nunmehr noch tiefer auf die individuellen Verhältnisse des jeweiligen Anlegers eingehen.64 Zudem kommt es zu einer erheblichen Erweiterung des Pflichtenkanons, insbesondere bezogen auf einen intensiveren Umgang mit Interessenkonflikten sowie die Verschärfung von Sanktionsmöglichkeiten65, die den einzelnen Wertpapierdienstleistungsunternehmen auferlegt wird, wobei insbesondere im Bereich der Anlageberatung und der Offenlegung und Empfangnahme von Zuwendungen tiefgreifende Anpassungen und Veränderungen erfolgt sind. Als große Schwachstelle im Rahmen der Umsetzung der MiFID II und ihrer Durchführungsrichtlinien wird von einem Großteil der Literatur angeführt, dass der deutsche Gesetzgeber sich nach wie vor hinsichtlich zivilrechtlicher Sanktionen bei Verstößen gegen die Wohlverhaltenspflichten aus §§ 63 ff. WpHG zurückhalte, gar auf eine ausdrückliche Regelung verzichte und so weiterhin eine große Unsicherheit auf dem Gebiet des materiellen Haftungsrechts verbleibe.66 Auf die Problematik im Zusammenhang mit der Empfangnahme und Gewährung von Zuwendungen und insbesondere auf die Frage, ob tatsächlich eine so große Unsicherheit auf dem Gebiet des materiellen Haftungsrechts verbleibt, wird ausführlich im nachfolgenden 4. Kapitel sowie 5. Kapitel eingegangen. Aufgrund dieser wiederholten Anpassungen und Reformierung der Wohlverhaltenspflichten, ja des gesamten WpHG und anderer kapitalmarktrechtlicher Gesetze wie des KWG, hat sich der Begriff einer „Kapitalmarktreform in Permanenz“ herausgebildet67. Es erscheint einem als „Never-Ending-Story“ und ein wirklicher Schlusspunkt hinter den Reformbestrebungen wird wohl nie erreicht werden können. Denn sowohl das Bankrecht als auch das Kapitalmarktrecht machen nicht nur aufgrund politischer und wirtschaftlicher Veränderungen immer wieder neue Modifikationen erforderlich, sondern auch die stetige Innovation und Neuentwicklung im Bereich des Wertpapierhandels und der Kapitalanlage, durch neue Finanzprodukte und Finanzinstrumente und die Entwicklungen im Bereich des FinTech-Marktes, tragen stetig zu neuen Regulierungsvorhaben bei. 64

Mock/Stüber, Das neue Wertpapierhandelsrecht, Vorwort und Teil E Rn. 146; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (1). 65 Mock/Stüber, Das neue Wertpapierhandelsrecht, Teil A Rn. 6; zu diesen ausführlich in Teil D; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (1). 66 Mock/Stüber, Das neue Wertpapierhandelsrecht, Teil E Rn. 156. 67 Zöllner, AG 1994, S. 336 – 342, der von einer „Aktienrechtsreform in Permanenz“ schrieb; diese Formulierung wurde aufgegriffen von Walz, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 17; Spindler, NJW 2004, S. 3449 (3449); Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 13; Klöhn, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 6 Rn. 15 spricht sogar von einer „Regelungsschwemme (,Normen-Tsunami‘)“.

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

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2. Gegenstand und Normzweck Das WpHG ist ein Gesetz über den Handel und den Markt – kein bloßes organisationsrechtliches Gesetz, wie z. B. das Aktiengesetz, und kein sachen- und wertpapierrechtliches Gesetz, wie z. B. das Wechsel- und Scheckgesetz.68 Die Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 – 96 WpHG im 11. Abschnitt des WpHG, welche gemäß § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 4 WpHG nur für Wertpapierdienstleistungsunternehmen gelten, sollen in erster Linie dem Kunden69 eine Anlageentscheidung auf informierter Grundlage ermöglichen70 und betreffen sehr komplexe Kapitalmarktprobleme71, insbesondere in Bezug auf die Ausgestaltung der Anlageberatung ganz allgemein, aber auch in Bezug auf den Umgang mit und die Offenlegung von konkret auftretenden Interessenkonflikten. Die Wohlverhaltenspflichten, welche die BankKunden-Beziehung im Wertpapierhandel regulieren, gelten auch als das „Herzstück“72 bzw. die „Magna Charta“73 des WpHG und sind neben dem Insider- und Prospektrecht eine der drei konstituierenden Säulen des Kapitalmarktrechts in Deutschland.74 Sie sind zudem zentraler Schwerpunkt des WpHG.75 Das Aufsichtsrecht des WpHG lässt sich als Teil des besonderen Verwaltungsrechtes einordnen und soll die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes sowie das Marktvertrauen gewährleisten und stärken, indem typische Gefahrenlagen verhindert bzw. beseitigt werden.76 Darüber hinaus sollen die Transparenz und Integrität des Finanzmarktes sowie der Anlegerschutz gewährleistet werden.77 Im Wesentlichen basieren die erstmals durch die WpDRL eingeführten Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG auf den Entwicklungen im US-amerikanischen und britischen Kapitalmarktrecht, wie von Bliesener sehr umfassend und ausführlich dargestellt.78 Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang jedoch das Zusammenspiel zwischen den sog. prudential regulations, die dem Schutz des Intermediär dienen und Störungen auf dem Markt, auf dem er sich betätigt, vermeiden sollen, und den sog. conduct of business-rules, die dem Kunden- bzw. Anlegerschutz 68

Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135 (138). Eine ausführliche Darstellung und Erläuterung der Begriffe des Kunden bzw. Anlegers erfolgt im 5. Kapitel. 70 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 9; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 124 f. 71 Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135 (138). 72 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 5, D. Rn. 123; Grundmann, in: FS Hopt, S. 61 (63). 73 Voß, in: Just/Voß/Ritz et al., § 31 WpHG Rn. 1. 74 Oulds, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 11.15; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 5. 75 Meixner, ZAP 2017, S. 911 (913). 76 Rothenhöfer, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 11.7 und Rn. 11.8; Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (57). 77 Rothenhöfer, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 11.9. 78 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 54 – 91. 69

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

dienen und deren Kern die vertriebs- und transaktionsbezogenen Verhaltenspflichten bilden.79 Die conduct of business-rules spielen im Rahmen der für diese Arbeit relevanten kundenbezogenen Verhaltenspflichten der §§ 63 Abs. 1 und 2, 70 WpHG eine hervorgehobene Rolle. Die Wohlverhaltenspflichten des 11. Abschnitts lassen sich daher auch nach den Änderungen durch das 2. FiMaNoG in fünf Kategorien unterteilen: (1) Interessenwahrungs- und Offenlegungspflichten in Bezug auf Interessenkonflikte, (2) Informationspflichten, (3) Erkundigungs- sowie Ausführungspflichten, (4) Organisationspflichten und (5) Transparenzvorschriften. Die Gruppen (1) – (3) können dabei als allgemeine und spezielle Verhaltenspflichten zusammengefasst werden.80 Dennoch wird hier die Fünfteilung für eine strukturierte Darstellung beibehalten. Zu der ersten Gruppe zählen § 63 Abs. 1 WpHG, der die Verpflichtung zur Wahrung des Kundeninteresses regelt, sowie § 63 Abs. 2 WpHG und § 70 WpHG bezüglich der Offenlegung von bestehenden Interessenkonflikten. Zu den Informationspflichten der zweiten Gruppe zählen die allgemeinen Informationspflichten aus § 64 Abs. 1, 5 und 6 WpHG sowie § 63 Abs. 2 WpHG, der die Regelung in Bezug auf Produktinformationsblätter für den Privatkunden beziehungsweise nicht professionellen Anleger, den sogenannten Beipackzettel81, enthält. Zu der dritten Gruppe gehören insbesondere § 64 Abs. 3 und 4 WpHG als besondere Erkundigungspflichten bezüglich der Geeignetheitsprüfung einer Vermögensanlage sowie § 64 Abs. 8 WpHG, der die Berichtspflicht über die Auftragsausführung regelt. Regelungen in Bezug auf die Auftragsausführung enthalten § 69 WpHG bezüglich der Bearbeitung von Kundenaufträgen, der vor allem die in § 63 WpHG geregelten Verhaltenspflichten konkretisiert, und § 82 WpHG, der die Pflicht zur bestmöglichen Auftragsausführung anordnet. Darüber hinaus umfasst die vierte Gruppe die Organisationspflichten des § 80 WpHG sowie die nach § 83 WpHG erforderlichen Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten. Zu den Transparenzpflichten der fünften Kategorie zählen vorrangig Vorgaben zu den Handelsplattformen, wie § 79 WpHG in Bezug auf systematische Internalisierer und § 74 WpHG bezüglich multilateraler Handelssysteme. Als Annex zählen abschließend die §§ 85, 86 WpHG zur Analyse von Finanzinstrumenten sowie die §§ 88 – 94 WpHG, welche die durch die BaFin zu gewährleistende effektive Überwachung der Einhaltung der Pflichten betreffen, zum 11. Abschnitt des WpHG. Durch die Wertpapierdienstleistungs-,

79 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 88 – 90; Möllers/Ganten, ZGR 1998, S. 773 (776 f.); Schulte-Frohlinde, Art. 11 Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, S. 41 – 42. 80 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 1; Rothenhöfer, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 13.4. 81 Buck-Heeb, ZHR 176 (2012), S. 66 (77 – 79); Müller-Christmann, DB 2011, S. 749 (750 – 752); Möllers/Wenninger, NJW 2011, S. 1697 (1697 f.); Podewils, ZBB 2011, S. 169 – 179; Wagner, NZG 2011, S. 609 (610); Müchler, WM 2012, S. 974 (975 f.); Luttermann, ZIP 2015, S. 805 – 814.

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

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Verhaltens- und -Organisationsverordnung (WpDVerOV)82 werden die Wohlverhaltenspflichten des WpHG näher konkretisiert und zudem die weiteren Anforderungen der EU-Durchführungsverordnung und EU-Durchführungsrichtlinie zur MiFID II umgesetzt. Die zentralen Schutzzwecke der Wohlverhaltenspflichten sowie des Kapitalmarktrechts allgemein umfassen wie unter I. dargestellt zweierlei: zum einen wird der Funktionsschutz und damit das öffentliche Interesse an der Funktionsfähigkeit der Wertpapiermärkte gewährleistet und zum anderen der individuelle Anlegerschutz und somit der Schutz der einzelnen Wertpapierkunden sichergestellt.83 Der Funktionsschutz wird teilweise als vorrangiges Regelungsziel betrachtet und nur ein kleiner Teil der kapitalmarktrechtlichen Normen als individualschützend angesehen.84 Insbesondere der sog. überindividuelle Schutz der Anlegerschaft im Sinne des Anlegerpublikums wird als wesentlicher Aspekt des Funktionsschutzes betrachtet, weil das Vertrauen der Anleger in den Kapitalmarkt zur Erhaltung seiner Funktionsfähigkeit als unverzichtbar betrachtet wird.85 Der Funktionsschutz schützt die Funktionsfähigkeit und Effizienz der Kapitalmärkte im öffentlichen Interesse und zielt dabei auf die Leistungsfähigkeit der kapitalmarktbezogenen Einrichtungen und Ablaufmechanismen.86 Im Rahmen des Funktionsschutzes ist eine Unterteilung in eine institutionelle, eine allokative und eine operationale Komponente allgemein anerkannt.87

82 Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (Wertpapierdienstleistungs-, Verhaltens- und -Organisationsverordnung – WpDVerOV) vom 17. Oktober 2017, BGBl. I 2017, S. 3566. Die Vorgängerverordnung anknüpfend an die MiFID I und ihre Durchführungsrichtlinie war die gleichnamige WpDVerOV vom 20. Juli 2007, BGBl. I 2007, S. 1432, zuletzt geändert durch Art. 16 Abs. 4 des Gesetzes vom 30. Juni 2016, BGBl. I 2016, S. 1514. Zur WpDRL erließ das BAWe eine ebensolche sog. „Wohlverhaltensrichtlinie“ vom 3. Juni 1997, vgl. hierzu Möllers/ Ganten, ZGR 1998, S. 773 – 809. 83 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 83 Rn. 72; Grundmann, in: Staub/ GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D Rn. 125; Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135 (159); Koller, in: Assmann/Schneider/Mülbert, § 63 WpHG Rn. 2; Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 4; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 49 – 51; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 72; Nikolaus, Durchsetzung der Wohlverhaltens- und Organisationspflichten, S. 38; Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 22 – 27; Schulte-Frohlinde, Art. 11 Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, S. 48 – 54; Zimmermann, GPR 2008, S. 38 (39). 84 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 83 Rn. 72. 85 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 83 Rn. 72. 86 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 83 Rn. 73. 87 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 83 Rn. 73 – 76; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 73 m. w. N.; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 7 – 10; Just, in: Just/Voß/Ritz et al., Vor §§ 31 – 37a WpHG Rn. 24; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 1.71 – 1.76; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 43 – 47; Kübler, AG 1977, S. 85 (87 – 91) bereits grundlegend dazu; Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 22.

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

Zunächst setzen die Wohlverhaltensregeln Rahmenbedingungen, um das Anlegervertrauen in die Stabilität und Zuverlässigkeit der Kapitalmärkte zu stärken, wodurch die institutionelle Funktionsfähigkeit gestärkt wird.88 Dies geht Hand in Hand mit der Gewährleistung der allokativen Funktionsfähigkeit, im Rahmen derer potenzielle Kapitalgeber mit nachfragenden Kapitalnehmern zusammengeführt werden sollen, d. h. Kapital wird genau dorthin geleitet, wo es am dringendsten benötigt und wo für die Überlassung der höchste Preis gezahlt wird.89 Nicht zuletzt könnte die operationale Funktionsfähigkeit durch die Reduzierung von Transaktionskosten gestärkt werden90 – wobei dies, wenn überhaupt, erst auf lange Sicht durch eine im alltäglichen Beratungsgeschäft etablierte Geschäftspraxis der Fall sein wird. Der „Regulierungstsunami“91 und die damit zum Teil verbundene Überregulierung haben zu einem erheblichen Anstieg der Verwaltungskosten bei den Wertpapierdienstleistungsunternehmen und anderen Marktteilnehmern geführt.92 So müssen die detailreichen Vorgaben der europäischen Richtlinien und die damit verbundene Änderung des nationalen Rechts aufwendig in z. B. allgemeinen Geschäftsbedingungen, Compliance-Vorgaben, Produktinformationsblättern sowie Beratungsformularen umgesetzt werden, wodurch erhebliche Kosten nicht nur durch die Beauftragung von Rechtsanwaltskanzleien entstehen. Als Beispiel werden häufig die umfassenden Vorgaben für die Erstellung einer Best-Execution-Policy nach § 82 WpHG angeführt93, wonach sich zunehmend die Frage aufdrängt, ob die Konsequenz dieser Überregulierung eine Verschlechterung der Markteffizienz bedeutet, welche auf lange Sicht die Vorteile für den Endkunden aufhebt.94 Der individuelle Anlegerschutz wird jedoch allein durch diesen Kritikpunkt nicht infrage gestellt oder gar aufgehoben. Die Wohlverhaltenspflichten tragen insbesondere durch die umfassenden Informations-, Offenlegungs- und Erkundigungspflichten, welche durch die BaFin gemäß §§ 88, 89 WpHG überwacht werden, maßgeblich zu einer Ver88 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 83 Rn. 76; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 73; Just, in: Just/Voß/Ritz et al., Vor §§ 31 – 37a WpHG Rn. 24; Koller, in: Assmann/Schneider/Mülbert, § 63 Rn. 2; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 45 f. 89 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 83 Rn. 74; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 73; Just, in: Just/Voß/Ritz et al., Vor §§ 31 – 37a WpHG Rn. 24; Koller, in: Assmann/Schneider/Mülbert, § 63 Rn. 2; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 43 f.; Schulte-Frohlinde, Art. 11 Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, S. 47 f., 53; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 1.72. 90 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 83 Rn. 75; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 73 m. w. N.; Just, in: Just/Voß/Ritz et al., Vor §§ 31 – 37a WpHG Rn. 24; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 1.75. 91 Dazu Mülbert, ZHR 176 (2012), S. 369 – 379; ähnlich schon Möllers/Ganten, ZGR 1998, S. 773 (778), die einen Vergleich zur „steuerrechtlichen Gesetzgebungsmaschinerie“ ziehen. 92 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 73 93 Bauer, in: Clouth/Lang (Hg.), MiFID Praktikerhandbuch, Rn. 762; Spindler/Kasten, WM 2006, S. 1797 (1802). 94 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 73.

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

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besserung des Individualanlegerschutzes bei.95 Dabei wird sichergestellt, dass der Anleger in erster Linie eine informierte Anlageentscheidung treffen kann, die es ihm ermöglicht, Tragweite und Risiken der gewählten Anlage abzuschätzen.96 Damit einher geht eine weitere Kernfunktion, die Regulierung und Zurückdrängung von Interessenkonflikten, um sicherzustellen, dass die Wertpapierdienstleistungen, wie die Anlageberatung und Finanzkommission, durch konfligierende Interessen nicht wertlos bereitgestellt werden und bei den Wertpapierkunden ggfs. zu finanziellen Verlusten führen.97 Der Anleger kann und wird nur dann Vertrauen in die Kapitalmärkte fassen und sein Geld dort anlegen, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen sachkundig ist, den Kunden ausreichend informiert und sich bemüht Interessenkonflikte zu vermeiden.98 Unabdingbar damit verbunden ist die effektive Rechtsdurchsetzung der aufsichtsrechtlichen Normen.99 Auch bezweckt diese sog. „Regulierungswut“ des europäischen und nationalen Gesetzgebers Rechtssicherheit und primär die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen, d. h. eines sog. „level playing field“.100 Daran wird jedoch auch deutlich, dass sich der individuelle und der institutionelle Anlegerschutz nicht scharf voneinander trennen lassen und häufig an der einen oder anderen Stelle miteinander verbunden sind.101

3. Rechtsnatur Bereits seit der Einführung der Wohlverhaltenspflichten durch die WpDRL und die Überarbeitung durch die MiFID I ist deren rechtliche Einordnung bzw. Rechtsnatur umstritten. Es scheint trotz der zahlreichen Diskussionen in Rechtsprechung, Wissenschaft und Praxis noch keinen einheitlichen Konsens zu geben. Auch durch die Umsetzung der MiFID II ist eine endgültige Klärung dieser Streitfrage nicht absehbar. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die rechtliche Qualifikation der Wohlverhaltenspflichten gerade in Abgrenzung zu anderen Normen und Regelungen im WpHG und zum allgemeinen Vertragsrecht erfolgen kann. Denn das Kapitalmarktrecht als solches umfasst nach einer weiten Definition die Organisation der Kapitalmärkte und die Teilnahme an diesen Märkten, wozu sowohl öffentlichrechtliche, wie z. B. das Bankaufsichtsrecht im KWG oder das Kapitalmarktauf95 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 74; Koller, in: Assmann/Schneider/Mülbert, § 63 Rn. 2; Just, in: Just/Voß/Ritz et al., Vor §§ 31 – 37a Rn. 14, 23. 96 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 74; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 37. 97 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 38. 98 Möllers/Ganten, ZGR 1998, S. 773 (775). 99 Maume, ZHR 180 (2016), S. 358 (362); Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 99. 100 Möllers, in: Gsell/Herresthal (Hg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, Vollharmonisierung im Kapitalmarktrecht, S. 247 (248). 101 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 83 Rn. 72.

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

sichtsrecht im WpHG, als auch privatrechtliche bzw. vertragsrechtliche Vorschriften, wie z. B. das Finanzkommissionsgeschäft und die Grundsätze zum Auftrags- und Geschäftsbesorgungsrecht102, zählen.103 Hervorzuheben ist, dass es sich insbesondere bei den §§ 63 Abs. 1 und Abs. 2, 70 WpHG um kundenbezogene Verhaltenspflichten handelt, die das Wertpapierdienstleistungsunternehmen als private Institution gegenüber Privatpersonen zu erfüllen hat. Daher sind die Normadressaten private juristische oder natürliche Personen. Im Blick zu behalten ist, dass die Abgrenzung der aufsichtsrechtlichen Verhaltenspflichten von den zivilrechtlichen kein rein akademischer Streit ist, sondern maßgebliche praktische Konsequenzen nach sich zieht. So sind die Beurteilung für die Wahl des richtigen Rechtswegs sowie die Festlegung des auch vertragsrechtlich geforderten Pflichtenmaßstabs, der unter Umständen abdingbar ist, und das Bestehen möglicher vertrags- und deliktsrechtlicher Schadensersatzansprüche von hoher Relevanz.104 Es hängt davon sowohl die Konkretisierung der Pflichtverletzung im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB als auch die Einordnung als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ab. Es sind nicht nur die deliktsrechtlichen, sondern auch die vertragsrechtlichen Konsequenzen umstritten. Die entweder aufsichtsrechtliche oder vertragsrechtliche Qualifikation ist im Ergebnis für die Rechtsverfolgung entscheidend. Denn das Verhalten kann entweder im Wege des Aufsichtsrechts vonseiten der BaFin aufsichtsrechtlich, d. h. öffentlichrechtlich und/oder durch zwingende zivil- und handelsrechtliche Vorschriften gesteuert und so im privaten Wege durchgesetzt werden.105 Vorrangig stehen drei Lösungsansätze zur Diskussion: (1) die Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG sind Aufsichtsrecht und damit öffentliches Recht106, (2) 102

Vgl. Ausführungen der Grundsätze in Teil B. Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 102; Oulds, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 11.15 – 11.16. 104 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 53 f.; Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (237); Bialluch, JZ 2021, S. 547 (547); Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 5 f. 105 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 53, 102; Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 511 – 514; Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 5; Bialluch, JZ 2021, S. 547 (551 – 553); umfassende und gute Analyse zur Normdurchsetzung kapitalmarktrechtlicher Normen bei Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, § 4, S. 208 – 249. 106 Assmann, in: FS Schneider, S. 37 ff.; Assmann, ZBB 2008, S. 21 (29 f.); Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute, S. 182 – 184; Diskussionsbeitrag von Canaris, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 105 f.; Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 104 Rn. 101; Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 9; Walz, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 18; Balzer, EWiR 2014, S. 1 (2); Balzer, ZBB 1997, S. 260 (261); Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung, S. 467; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 106; Buck-Heeb, WM 2014, S. 1601 (1604); Dieckmann, AcP 213 (2013), S. 1 (8); Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 80; Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 97; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 WpHG Rn. 76 f., 80 f.; Harnos, BKR 2014, S. 1 (3); Horn, ZBB 1997, S. 139 (149); Horn, WM 1999, S. 1 (4); Just, in: Just/Voß/Ritz et al., Vor §§ 31 – 37a 103

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

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sie sind sowohl öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Normen und damit Doppelnormen107 oder aber (3) originär als privatrechtliche Verhaltenspflichten zu klassifizieren108. Die sogenannte Ausstrahlungswirkung bildet streng genommen, wie häufig jedoch in der Literatur dargestellt109, keine Grundlage um die Rechtsnatur der §§ 63 ff. WpHG festzulegen. Denn Ausgangspunkt dieser Auffassung ist, dass die Wohlverhaltenspflichten reines Aufsichtsrecht und somit öffentliches Recht sind. Dieses Aufsichtsrecht könnte dann unter Umständen über bestimmte Generalklausel wie z. B. §§ 133, 157, 241 Abs. 2 oder 242 BGB in das Zivilrecht hineinwirken. Die rechtsdogmatische Qualifikation der §§ 63 ff. WpHG ist jedoch zwingende Grundvoraussetzung, um die Auswirkungen der Wohlverhaltenspflichten, die entweder öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich einzuordnen sind, auf das Vertragsrecht zu untersuchen. In einem ersten Schritt erfolgt eine Einordnung der Wohlverhaltenspflichten anhand der klassischen Abgrenzungstheorien unter dem Gesichtspunkt der Trennung von öffentlichem Recht und Privatrecht. Darauf aufbauend folgen ein WpHG Rn. 26; Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 3 Rn. 61; Koch, ZBB 2014, S. 211 (215); Koller, in: Assmann/Schneider/Mülbert, § 63 WpHG Rn. 8; Kropf, WM 2014, S. 640 (641, 644); Lang, WM 2000, S. 450 (455); Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, S. 115 – 120; Lange, Informationspflichten von Finanzdienstleistern, S. 300; Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 26 – 28; Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 49 – 52; Podewils, jurisPR-BKR 1/2014, Anm. 1; Poelzig, JZ 2014, S. 256 (257); Reich, WM 1997, S. 1601 (1604); Roth, in: Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 12 Rn. 14; Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (63); Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 112 f.; Rothenhöfer, in: Schwark/Zimmer, KMRK, Vor §§ 63 ff. WpHG Rn. 9; Schwennicke, WM 1998, S. 1101 (1102); Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, § 63 WpHG, Rn. 19 – 22; Veil, WM 2009, S. 1585 (1586); Wiechers/Henning, WM-Sonderbeilage Nr. 4/2015, S. 1 (7); Wiechers, WM 2013, S. 341 (345); Zimmermann, GPR 2008, S. 38 (43). 107 Köndgen, NJW 1996, S. 558 (569); Köndgen, in: Everling/Roth (Hg.), Mindestharmonisierung im Europäischen Binnenmarkt, S. 111 (135); Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2104); Lang, ZBB 2004, S. 289 (295); Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 94; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 11 Rn. 11.93 – 11.98; Nikolaus, Durchsetzung der Wohlverhaltens- und Organisationspflichten, S. 230; Nikolaus/d’Oleire, WM 2007, S. 2129 (2130, 2133 f.); Schwintowski, VuR 1997, S. 83 (85); Veil, WM 2007, S. 1821 (1825 f.); Weichert/ Wenninger, WM 2007, S. 627 (635); vgl. zu den Normen des Schweizer Börsenrechts MeierSchatz, ZBB 1997, S. 325 (334). 108 Bialluch, JZ 2021, S. 547 (548, 553); Einsele, JZ 2008, S. 477 (483); Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, § 8 Rn. 41 – 45; Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (234); Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/HGB, Bd. 2 BankR § 31 WpHG Rn. VI 197, Rn. VI 270; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11 8. Teil A. Rn 14, D. Rn. 126; Herresthal, ZBB 2012, S. 89 (103 f., 106); so wohl auch Klöhn, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 6 Kapitalmarktrecht, Rn. 186; Köndgen, BKR 2009, S. 376 (377); Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 120 f.; Schwennicke, WM 1998, S. 1101 (1102). 109 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (234).

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

Überblick110 über die Diskussion in Bezug auf die Rechtsnatur der Wohlverhaltenspflichten und eine abschließende Stellungnahme. a) Einordnung nach den klassischen Abgrenzungstheorien Ausgangspunkt für die rechtssystematische Einordnung der Wohlverhaltenspflichten ist die grundsätzliche Frage nach der Abgrenzung von öffentlichem und privatem Recht, bei der es sich um eine Auslegungs- und Wertungsfrage handelt.111 Von dieser zu klärenden Frage hängt nicht nur die Zulässigkeit des Rechtsweges nach § 40 Abs. 1 VwGO sowie § 13 GVG ab. Darüber hinaus beruhen darauf Voraussetzungen, Zuständigkeit, Form und Verfahren des konkreten Verwaltungshandelns und die damit im Zusammenhang stehenden Haftungsfolgen.112 Im Rechtsleben ist die Unterscheidung daher von enormer praktischer Bedeutung, weil sowohl das im Einzelfall anzuwendende materielle Recht als auch das Prozessrecht für die Rechtsdurchsetzung festzulegen sind.113 Im Rahmen dieser Diskussion ist der Blick auf zwei Kernfragen zu lenken: (1) Gehört ein Rechtssatz zum öffentlichen oder privaten Recht? und (2) Ist das Verhalten des Staates und seiner Untergliederungen öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich einzuordnen?114 Für die rechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten, in Bezug auf die konkreten Rechtssätze der §§ 63 ff. WpHG, ist dabei die erste Frage maßgeblich. Das konkrete Verhalten der BaFin bei Erlass der Allgemeinverfügungen gem. §§ 6 Abs. 1 und 2, 88 WpHG, § 35 VwVfG in Bezug auf die Einhaltung der Pflichten aus dem WpHG ist eindeutig hoheitlich, sodass in diesem Fall eine Abgrenzung zu einem möglichen privatrechtlichen Verhalten nicht erforderlich zu sein scheint. Der Rechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 VwGO ist in diesem Zusammenhang unproblematisch zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.115 Die Frage nach dem Rechtsweg und der Eindeutigkeit, dass bei Verwaltungshandeln der BaFin immer gem. § 40 Abs. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg und bei Klagen der Anleger auf Schadensersatz wegen Aufklärungs- und Beratungspflichtverletzungen der Zivilrechtsweg nach § 13 GVG eröffnet ist,116 bedarf keiner weiteren Ausführungen; auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass durchaus eine privatrechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten denkbar ist, da diese dann wiederum im Zusammenhang mit Schadensersatzklagen der Anleger stünden und eine Verhand110 Für eine tiefergehende Analyse der Rechtsnatur vgl. insbes. Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 63 – 97. 111 Sehr anschaulich dazu Menger, in: FS Wolff, S. 149 – 166 sowie Wöckel, in: Eyermann, § 40 VwGO Rn. 41. 112 Erichsen, JURA 1982, S. 537 (537); Renck, JuS 1986, S. 268 (268 f.). 113 Renck, JuS 1986, S. 268 (268). 114 Erichsen, JURA 1982, S. 537 (537 f.). 115 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 63 f. 116 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 64.

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

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lung gem. § 13 GVG vor den ordentlichen Gerichten stattfände. Entscheidend für die rechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten ist daher die erste Frage, ob die Rechtssätze der §§ 63 ff. WpHG zum öffentlichen oder privaten Recht gehören. Bei einer privatrechtlichen Einordnung müssten diese Pflichten nicht nur gegenüber der BaFin eingehalten werden. Sie würden darüber hinaus Verhaltenspflichten begründen, welche die Anforderungen an die Aufklärungs- und Verhaltenspflichten konkretisieren und damit einhergehend bei einem Verstoß gegen die Pflichten aus den §§ 63 ff. WpHG einen Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. einem Beratungsvertrag oder im Rahmen eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 1 BGB nach sich ziehen könnten. Demgegenüber ist bei einer rein öffentlich-rechtlichen Einordnung zu untersuchen, inwiefern die §§ 63 ff. WpHG dennoch im Rahmen der Vertragserklärungen bindend herangezogen werden können und zu welchen rechtlichen Konsequenzen ein Verstoß führt. In einem ersten Schritt werden die herrschenden Theorien zur Abgrenzung von öffentlichem Recht und Privatrecht skizziert, um diese in einem zweiten Schritt für die rechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten argumentativ heranzuziehen. Dabei wird vor allem der Regelungszusammenhang der §§ 63 ff. WpHG im 11. Abschnitt des WpHG in den Blick genommen, d. h. die einzelne Norm wird nicht nur isoliert vom Wortlaut und Telos her betrachtet, sondern im Gesamtzusammenhang mit den anderen Normen und vor allem mit den §§ 88, 89 WpHG, welche die Überwachung der Meldepflichten und Verhaltenspflichten der BaFin auferlegen. Für die Abgrenzung von öffentlichem und privatem Recht sind drei Theorien, die Interessentheorie, die (modifizierte) Subjektstheorie und die Subordinationstheorie maßgeblich, welche teilweise auch kombiniert angewendet werden.117 aa) Interessentheorie Nach der Interessentheorie hängt die Differenzierung von der Art der durch den Rechtssatz verwirklichten Interessen ab, wonach öffentlich-rechtliche Rechtsnormen solche sind, die öffentlichen Interessen dienen, wohingegen privatrechtliche Rechtsnormen Individualinteressen verfolgen.118 Diese Theorie lässt jedoch außer Acht, dass das gesamte Recht, einschließlich des Privatrechts, der Ordnung menschlichen Zusammenlebens dient und daher im öffentlichen Interesse gilt und sowohl an ein vorrangiges öffentliches Interesse an privatrechtlichen Gestaltungen besteht wie umgekehrt ein privates Interesse an öffentlich-rechtlichen Maßnah-

117 Erichsen, JURA 1982, S. 537 (538 f.); Renck, JuS 1986, S. 268 (269); Maurer/Waldhoff, Allg. VerwR, § 3 Rn. 10 – 17; Wöckel, in: Eyermann/Fröhler, § 40 VwGO Rn. 41 – 44; Reimer, in: Wolff/Posser, § 40 Rn. 45. 118 Erichsen, JURA 1982, S. 537 (538); Renck, JuS 1986, S. 268 (269); Rupp, JuS 1961, S. 59 (61); Wöckel, in: Eyermann, § 40 VwGO Rn. 43.

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

men.119 Damit einher gehen die Möglichkeit und Notwendigkeit, dass privatrechtliche Normen durchaus auch vorrangig öffentliche Interessen schützen und öffentlich-rechtliche Normen auch individualschützend sein können.120 Dies ist unter anderem bei Normen des öffentlichen Rechts der Fall, die als Schutzgesetze im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB berücksichtigt werden können oder auch bei den Vorschriften zum gutgläubigen Erwerb gem. §§ 891 ff., 932 ff. BGB. Eine saubere Trennung von privaten und öffentlichen Interessen ist nicht möglich.121 Bei der Anwendung der Interessentheorie auf die Wohlverhaltenspflichten zeigt sich einmal mehr, dass eine klare Abgrenzung der Interessensphären und eine eindeutige Bestimmung der Rechtsnatur der §§ 63 ff. WpHG nicht möglich sind. Durch eine reine Auslegung nach dem Wortlaut können § 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG sowie der § 70 WpHG als reine zivilrechtliche Pflichten aufgefasst werden, die das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dazu anhalten, die Wertpapierdienstleistung interessenwahrend zu erbringen sowie jegliche Interessenkonflikte zu vermeiden. Sobald diese Normen im Zusammenhang mit §§ 88, 6 WpHG und der öffentlichen Aufsicht durch die BaFin betrachtet werden, sind diese Normen dem öffentlichen Recht zuzuordnen.122 Denn es werden einerseits öffentliche Interessen und andererseits private Interessen berührt. Auch nach den Gesetzesmaterialien sowohl des 2. FMFG und des FRUG als auch des 2. FiMaNoG ergibt sich eine Gemengelage sowohl öffentlicher Interessen123, wie zum Beispiel die Funktionsfähigkeit der Finanz- und Kapitalmärkte, als auch Individualinteressen124, namentlich dem individuellen Anlegerschutz. Dies ergibt sich aus einer Zusammenschau der Erwägungsgründe der einzelnen Richtlinien. Dabei wird insbesondere deutlich, dass der europäische Gesetzgeber sprachlich nicht zwischen individuellem und institutionellem Anlegerschutz differenziert, sondern allgemein von Anlegerschutz spricht. Erst im Rahmen einer Auslegung bzw. Interpretation der einzelnen Erwägungsgründe lässt sich genauer erörtern, was konkret gemeint ist. Darüber hinaus verdeutlicht die im Bankrecht zunehmende Tätigkeit von Aufsichtsbehörden auch im Interesse Einzelner, z. B. bei der Durchsetzung zivilrechtlicher Regelungen, und das vermehrte Auftreten öffentlich-rechtlicher Regelungen, denen teilweise ein zivilrechtlicher Charakter beigemessen wird, dass die Interessentheorie zunehmend an 119 Erichsen, JURA 1982, S. 537 (538); Ehlers/Pünder, Allg. VerwR, § 3 Rn. 17; Maurer/ Waldhoff, Allg. VerwR, § 3 Rn. 11; Wolff/Bachof/Stober et al., Verwaltungsrecht I § 22 II a 6.; BVerfG, Beschl. v. 22. April 1958 – 2 BvL 32,34,35/36, BVerfGE 7, 342 (355). 120 Menger, in: FS Wolff, S. 149 (158 f.); Wöckel, in: Eyermann, § 40 Rn. 43; Reimer, in: Wolff/Posser, § 40 VwGO Rn. 45.1. 121 Bachof, in: FS 25jähriges Bestehen BVerwG, S. 1 (6). 122 So auch Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 75. 123 Zum 2. FMFG: Gesetzesentwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 12/6679, S. 33; Beschlussempfehlung Finanzausschuss BT-Drucks. 12/7918, S. 97. Zum FRUG: Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/4028, S. 52. Zum 2. FiMaNoG: Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 18/10936, S. 234 – 240. 124 BT-Drucks. 12/7918, S. 97, 107; BT-Drucks. 16/4028, S. 53, 67; BT-Drucks. 18/10936, S. 234 – 240; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 108.

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

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ihre Grenzen stößt und die Abgrenzung zwischen öffentlichem und privaten Recht im Bankrecht immer mehr auflöst.125 Im Ergebnis ist nach der Interessentheorie eine eindeutige Zuordnung weder zum öffentlichen Recht noch zum Privatrecht möglich. Keiner der intendierten Schutzzwecke tritt im Verhältnis zu dem anderen deutlich in den Hintergrund, sodass aus diesem Grund eine rechtssystematische Einordnung der Wohlverhaltenspflichten im Wege der Interessentheorie nicht möglich ist. bb) Subordinationstheorie bzw. Subjektionstheorie Darüber hinaus kann eine Abgrenzung im Wege der Subordinations- bzw. Subjektionstheorie126 vorgenommen werden, wonach sich die Parteien bei bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten als Einzelpersonen gleichberechtigt gegenüberstehen und im Rahmen öffentlich-rechtlicher Verhältnisse der Staat oder ein Hoheitsträger kraft seines Hoheitsrechts in den Rechtsbereich einer Person eingreifen kann.127 Es besteht im Ergebnis ein Über- und Unterordnungsverhältnis bei öffentlich-rechtlichen und ein Gleichordnungsverhältnis bei privatrechtlichen Normen.128 Bei der Bestimmung der Rechtswegzuständigkeit greift der BGH implizit auf diese Theorie zurück.129 Gegen diese Theorie wird angeführt, dass es Normen gibt an denen Staat und Bürger gleichberechtigt beteiligt bzw. an diese gebunden sind, wie zum Beispiel im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gemäß §§ 54 ff. VwVfG oder im Rahmen des Eltern-Kind-, des Betreuungs- oder des Arbeitsverhältnisses.130 Gegen letzteren Kritikpunkt ist jedoch richtigerweise einzuwenden, dass für eine öffentlich-rechtliche Qualifikation ein Über- und Unterordnungsverhältnis gefordert wird, an dem die öffentliche Gewalt beteiligt ist.131 Dies führt auch nicht zu einer Tautologie. Denn der Begriff der öffentlichen Gewalt kann nicht mit einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis oder einer öffentlich-rechtlichen Rechtsnorm gleichgesetzt werden. Auch greift der Einwand bezüglich des geregelten öffentlich-rechtlichen Vertrages nicht durch, weil dieser eine gesetzlich normierte Ausnahme darstellt und

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Früh, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 1.9. Wöckel, in: Eyermann, § 40 VwGO Rn. 42; Erichsen, JURA 1982, S. 537 (539); Grimm, in: FS Coing, S. 224 (241 f.); Renck, JuS 1986, S. 268 (269); RG, Urt. v. 10. März 1941 – V 35/ 40, RGZ 166, 218 (226); RG, Urt. v. 2. Oktober 1941 – V 62/41, RGZ 167, 281 (284); BGH, Beschl. v. 22. März 1976 – GSZ 1/75, BGHZ 66, 229 (233, 235); BGH, Beschl. v. 22. März 1976 – GSZ 2/75, BGHZ 67, 81 (84, 86, 92); BGH, Urt. v. 10. Juli 1954 – VI ZR 120/53, BGHZ 14, 222 (227); BGH, Urt. v. 5. Februar 1970 – VII ZR 65/68, BGHZ 53, 184 (186). 127 RG (vorige Fn.) RGZ 167, 281 (284). 128 Ehlers/Pünder, Allg. VerwR, § 3 Rn. 18; Maurer/Waldhoff, Allg. VerwR, § 3 Rn. 12; Ruthig, in: Kopp/Schenke, § 40 Rn. 11; Wöckel, in: Eyermann, § 40 Rn. 42. 129 BGH, Beschl. v. 22. März 1976 – GSZ 1/75BGHZ 66, 229 (235); BGH, Beschl. v. 22. März 1976 – GSZ 2/75, BGHZ 67, 81 (84). 130 Erichsen, JURA 1982, S. 537 (539) m. w. N.; Reimer, in: Wolff/Posser, § 40 VwGO Rn. 45.3. 131 Bachof, in: FS 25jähriges Bestehen BVerwG, S. 1 (7). 126

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

somit nicht der Tatsache entgegensteht, dass öffentlich-rechtliche Normen in der Regel durch ein Über- und Unterordnungsverhältnis gekennzeichnet sind.132 Die Wohlverhaltenspflichten sind innerhalb des systematischen Zusammenhanges des 11. Abschnitts sowie des gesamten WpHG zu betrachten. Daraus wird deutlich, dass der „horizontale“ Regelungsgehalt von der „vertikalen“ Bindung der Wertpapierdienstleistungsunternehmen an die Aufsichtsbehörde überlagert wird.133 Folglich sind dies Pflichten, die das Wertpapierdienstleistungsunternehmen gegenüber der Aufsichtsbehörde einzuhalten hat und die daher keine zivilrechtlichen Einschübe in einem wirtschaftsrechtlichen Gesetz sein können.134 Durch die Normierung der Marktüberwachungsregeln wird ein sogenanntes Überwachungsrechtsverhältnis135 begründet, welches einem klassischen Über- und Unterordnungsverhältnis entspricht. Die Verhaltenspflichten legen somit die Standards fest, an denen die Unternehmen im Rahmen der Aufsicht durch die BaFin gebunden sind und deren Durchsetzung durch hoheitliche Eingriffe und staatliche Zwangsmittel gesichert ist.136 Im Ergebnis ist jedoch auch die Subordinationstheorie in Anwendung auf die Wohlverhaltenspflichten nicht zielführend. Denn die Normen an sich adressieren einerseits zwei Privatrechtssubjekte, den Anleger und das Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Betrachtet man dies jedoch im Zusammenhang mit den §§ 6, 88 WpHG, ergibt sich andererseits ein klares Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Privatperson und somit eine öffentlich-rechtliche Einordnung, weil die in § 88 WpHG genannten Maßnahmen auch ohne oder gegen den Willen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens angeordnet werden können.137 Dieses Überund Unterordnungsverhältnis ergibt sich jedoch nicht isoliert aus den §§ 63 ff. WpHG, weil in diesem Rahmen lediglich Verhaltenspflichten aufgestellt werden,138 sodass sich eine privatrechtliche Einordnung vor allem im Zusammenhang mit § 280 Abs. 1 BGB ergeben könnte und die Möglichkeit, die §§ 63 ff. WpHG als reine privatrechtliche Verhaltensnormen im Rahmen der Pflichtverletzung einzuordnen. Diesbezüglich kann die Subordinationstheorie zu keinem eindeutigen Ergebnis kommen, weil für diese Beurteilung die Rechtsfolgenanordnung in den §§ 63 ff. 132

Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 77. So schon für §§ 31, 32 WpHG a. F. vgl. Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 105. 134 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 105. 135 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 105; so implizit auch Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 109. 136 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 105; a. A. Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 11 f. 137 So auch Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 78; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 109; so auch für die §§ 31, 32 WpHG a. F. schon Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 105. 138 Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 12. 133

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

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WpHG im Hinblick auf einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch eindeutig festgelegt sein müsste, dies könnte jedoch durch eine gesonderte systematische Auslegung ermittelt werden139. cc) (Modifizierte) Subjektstheorie Im Wege der Subjektstheorie hängt die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht von dem Zuordnungssubjekt ab, wonach bei öffentlich-rechtlichen Normen das berechtigte oder verpflichtete Zuordnungssubjekt ausschließlich ein Träger hoheitlicher Gewalt ist und bei privatrechtlichen Normen beliebige Personen diese Funktion erfüllen können.140 Im Rahmen dieser Theorie wird jedoch der zu definierende Begriff in der Definition vorausgesetzt, weil sich die die Hoheitsgewalt begründenden Rechtssätze der Einordnung entziehen und diese erst das Zuordnungssubjekt zum Träger hoheitlicher Gewalt machen und so erst das Bestimmungskriterium schaffen.141 Aus den gleichen Gründen ist die Abgrenzung im Wege der Zuordnungslehre nicht zielführend.142 Aus diesem Umstand heraus erfolgte eine Modifikation dahingehend, dass der Träger der hoheitlichen Gewalt als solcher berechtigt oder verpflichtet werden muss.143 Denn das öffentliche Recht ist das Sonderrecht des Staates. Die Unterscheidung zum privaten Recht stellt das Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses dar, wonach die Entstehung und Entwicklung des öffentlichen Rechts ein Meilenstein rechtlicher und rechtswissenschaftlicher Bewältigung der modernen Staatsgewalt ist.144 Danach sind Zuordnungsobjekte eines Rechtssatzes neben jenen, denen er konkrete Rechte und Pflichten zuordnet, auch solche, deren Rechtsstellung auf andere Weise durch Rechtssatz geregelt und mit Blick auf den Staat organisiert wird.145 Zum öffentlichen Recht gehört die Gesamtheit aller Rechtssätze, bei denen ausschließlich der Staat und seine Untergliederungen Zuordnungssubjekt sind und die diese allein berechtigen, verpflichten oder organisieren.146 Demgegenüber gehört zum Privatrecht die Gesamtheit jener Rechtssätze, welche jede natürliche oder juristische, rechts- und pflichtenfähige Person und auch den Staat berechtigen, verpflichten oder organisieren.147 139 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 78 und zu dieser sogleich im Folgenden. 140 Erichsen, JURA 1982, S. 537 (540); Renck, JuS 1986, S. 268 (269); Wolff, AöR 76 (1950/ 51), S. 210; Wöckel, in: Eyermann, § 40 VwGO Rn. 44; Reimer, in: Wolff/Posser, § 40 VwGO Rn. 45.4; hierzu ausführlich Wolff/Bachof/Stober et al., Verwaltungsrecht I, § 22 Rn. 28 – 40. 141 Erichsen, JURA 1982, S. 537 (540); Menger/Erichsen, VerwArch 59 (1968), S. 366 (378 f.); Menger, in: FS Wolff, S. 149 (161). 142 Erichsen, JURA 1982, S. 537 (540). 143 Wolff/Bachof/Stober et al., Verwaltungsrecht I, § 22 Rn. 28; Ehlers/Pünder, Allg. VerwR, § 3 Rn. 28 f. 144 Erichsen, JURA 1982, S. 537 (540) m. w. N.; Renck, JuS 1986, S. 268 (268). 145 Erichsen, JURA 1982, S. 537 (540) m. w. N. 146 Erichsen, JURA 1982, S. 537 (540). 147 Erichsen, JURA 1982, S. 537 (541).

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

Wendet man diese Definition auf die §§ 63 ff. WpHG an, führt auch die (modifizierte) Subjektstheorie zu keiner eindeutigen rechtssystematischen Einordnung der Wohlverhaltenspflichten, weil am Beispiel der §§ 63 Abs. 1 und Abs. 2, 70 WpHG auf den ersten Blick kein Träger hoheitlicher Gewalt Zuordnungssubjekt der Norm ist, sondern wiederum der Anleger und das Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Lediglich aus der Perspektive, dass die Aufsichtsbehörde im Rahmen eines sog. Überwachungsrechtsverhältnisses das Wertpapierdienstleistungsunternehmen beaufsichtigt, damit dieses die Verhaltenspflichten als Standards gegenüber der staatlichen Aufsichtsbehörde einhält, ist die BaFin Adressat bzw. hoheitliches Zuordnungsobjekt der Verhaltensregeln im Sinne der modifizierten Subjektstheorie.148 Demnach wird die Aufsichtsbehörde zu Überwachungsmaßnahmen gegenüber dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen in Bezug auf die Verhaltensregeln, die zugunsten der Anleger einzuhalten sind, berechtigt.149 Jedoch muss auch hier für die Einordnung der systematische Zusammenhang der Normen im Rahmen des gesamten Regelungswerkes oder zumindest des hier in Rede stehenden 11. Abschnitts des WpHG und damit des § 88 WpHG und der Überwachungsbefugnis der BaFin betrachtet werden. Dieser systematische Zusammenhang wird im Rahmen der (modifizierten) Subjektstheorie jedoch nicht berücksichtigt, sondern nur die einzelne Norm isoliert betrachtet. dd) Weitere methodische Ansätze Die drei Kerntheorien allein führen in den meisten Fällen zu keinem eindeutigen Ergebnis in Bezug auf die rechtliche Qualifikation einzelner Normen, sodass durchaus vertreten wurde, alle Theorien im Wege einer „Gesamtschau“ für die Beurteilung heranzuziehen150. Allerdings besteht bei Betrachtungen in ihrer Zusammenschau immer die Gefahr, dass eine Argumentation vom Ergebnis her erfolgt und das gewünschte Ergebnis nur belegt werden kann, weil die „Rosinen“ aus der jeweiligen Theorie „herausgepickt“ werden.151 Auch wenn in außergewöhnlichen Einzelfällen dies durchaus praktikabel sein mag, ist dieser Ansatz für die rechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten nicht hilfreich und auch nicht notwendig. Denn schon die einzelnen Theorien kommen für die Einordnung der §§ 63 ff. WpHG zu ambivalenten Ergebnissen, sodass eine Kombination der Theorien nicht weiterhilft. Erst eine Auslegung der Wohlverhaltenspflichten unter Zugrundlegung des 148 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 106; a. A. Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 16 f. 149 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 106; a. A. Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 16 f. 150 Diese Lösung wird vor allem von der Rechtsprechung favorisiert, weswegen eine Systematisierung der Einzelfälle besonders herausfordernd ist; Wöckel, in: Eyermann, § 40 VwGO Rn. 41; zur Kombination der verschiedenen Theorien vgl. auch Siebert, in: FS Niedermeyer, S. 215 (217). 151 Vgl. Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO § 40 Rn. 229; Menger, in: FS Wolff, S. 149 (164).

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

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klassischen Auslegungskanons Wortlaut, Systematik, Telos und Historie ermöglicht die Bestimmung der Rechtsnatur der §§ 63 ff. WpHG.152 Auch anhand einer Abgrenzung nach dem Verhältnis der Teilrechtsordnungen, wonach sich das Verhältnis des öffentlichen Rechts zum privaten Recht wie das Spezielle zum Generellen verhält, kann die Rechtsnatur nicht festgelegt werden.153 Denn hiernach kann keine Aussage zur Normqualität getroffen werden. Dies trifft ebenfalls auf die Rechtsverhältnislehre zu, wonach ein Rechtsverhältnis immer nur einheitlich öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich bestimmt werden kann.154 ee) Zwischenfazit Legt man die Theorien der rechtssystematischen Einordnung der Wohlverhaltenspflichten zugrunde, führen sie, wie bereits von Forschner155 ausführlich dargelegt, zu keinem befriedigenden Ergebnis. Zum einen stehen im Rahmen dieser Abgrenzungstheorien vorrangig konkrete Einzelnormen im Fokus und nicht das gesamte Regelwerk,156 sodass der entscheidend zu berücksichtigende systematische Zusammenhang der zu betrachtenden Einzelnormen, hier der §§ 63 ff. WpHG, im Kontext des gesamten Regelwerkes des WpHG und insbesondere im Kontext des einzelnen 11. Abschnitts zu sehen sind. Ein Gesetzeswerk kann durchaus sowohl öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Regelungen enthalten, dies zeigt § 22 BGB im Rahmen des BGB.157 Im Ergebnis können diese Theorien jedoch nur herangezogen werden, wenn vom Gesetz eine bestimmte Rechtsfolge bereits eindeutig vorgegeben ist und diese im Rahmen der Einordnung berücksichtigt werden kann.158 Die konkreten Rechtsfolgen der §§ 63 ff. WpHG sind jedoch streitig und müssen erst im Wege einer Auslegung ermitteln werden, wobei im Rahmen dieser Auslegung durchaus einzelne Argumente der Abgrenzungstheorien herangezogen werden können.

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So auch Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 80. Renck, JuS 1986, S. 268 (270). 154 Renck, JuS 1986, S. 268 (270). 155 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 73, 80; so auch Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 7 ff., 30, der jedoch zu dem Schluss kommt, dass die drei Theorien in Kombination eine zivilrechtliche Einordnung der §§ 31 ff. WpHG stützen; a. A. Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 112, der eine Einordnung der §§ 31 ff. WpHG a. F. im Wege der Interessentheorie und Subordinationstheorie vornimmt. 156 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 73; Wieneke, Discount-Broking, S. 81 f. 157 Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 105. 158 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 80. 153

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

b) Klassifikation als reines Aufsichtsrecht Die Einordung der §§ 63 ff. WpHG erfolgt nach überwiegender Meinung in der Literatur159 sowie nach der Rechtsprechung160 als reines Aufsichtsrecht und damit als öffentliches Recht. Der BGH hat bislang bezüglich der Einordnung der Wohlverhaltensregeln in das vertrags- und deliktsrechtliche System des BGB nicht eindeutig Stellung bezogen. So hat er auch in dem dieser Arbeit als Ausgangspunkt dienenden Urteil vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 eine Klärung dieser Frage vermieden. Er deutet in diesem und auch in anderen Urteilen jedoch an, dass die §§ 31 ff. WpHG a. F. nach dem 2. FMFG für den Inhalt und die Reichweite (vor-)vertraglicher Aufklärungs- und Beratungspflichten von Bedeutung sein könnten, sofern ihnen anlegerschützende Funktion zukomme, wobei ihnen eine eigenständige schadensersatzrechtliche Bedeutung gerade nicht zufalle.161 Dem an sich widersprechend griff der BGH dennoch regelmäßig auf die §§ 31 ff. WpHG a. F. zurück, um den Umfang der Pflichten eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens aus dem Anlageberatungsvertrag zu bestimmen.162 Der BGH hat jedoch in jüngeren Urteilen163 immer wieder hervorgeheben und klargestellt, dass den §§ 31 ff. WpHG a. F. nach dem FRUG keine Ausstrahlungswirkung zukommt, sodass er hiermit implizit annimmt, dass es sich um aufsichtsrechtliche Normen handle. Zunächst spricht für die aufsichtsrechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten, dass ihre Einhaltung durch die BaFin nach §§ 6, 88 und 89 WpHG staatlich überwacht wird.164 Zudem umfassen die wichtigsten konkreten Aufgaben der 159

Siehe Zitat in Fn. 752. BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (321 ff.); BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (135); BGH, Urt. v. 17. September 2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, S. 1983 (1984); BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/ 05, BGHZ 170, 226 (232); BGH, Beschl. v. 20. Januar 2009 – XI ZR 510/07, BKR 2009, S. 126 (127). 161 BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (135); BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 (232) bzgl. §§ 31 ff. WpHG a. F.; BGH, Urt. v. 17. September 2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, 1983 (1985) bzgl. § 31d WpHG; Wiechers, WM 2013, S. 341 (344 f.); Wiechers, WM 2014, S. 145 (146); Buck-Heeb, ZHR 177 (2013), S. 310 (318 – 321). 162 BGH, Urt. v. 19. Februar 2008 – XI ZR 170/07, BGHZ 175, 276 (280) für § 32 Abs. 2 Nr. 1 WpHG a. F.; BGH (vorherige Fn.) BGHZ 170, 226 (232) für §§ 31 ff. WpHG a. F.; BGH, Urt. v. 5. Oktober 1999 – XI ZR 196/98, BGHZ 142, 345 (356) für § 31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG a. F.; BGH, Urt. v. 8. Mai 2001 – XI ZR 192/00, NJW 2002, 62 (63) für § 31 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a. F. 163 So etwa in BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (321 ff.) oder BGH, Urt. v. 17. September 2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, 1983 (1985). 164 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (234); Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 77; Reich, WM 1997, S. 1601 (1603); Gaßner/Escher, WM 1997, S. 93 (94); Lange, Informationspflichten von Finanzdienstleistern, S. 300 f.; Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute, S. 182 – 184; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 124; Rothenhöfer, in: Schwark/Zimmer, KMRK, Vorb. §§ 63 ff. WpHG Rn. 9. 160

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

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Wertpapieraufsicht die Prävention und Verfolgung von Insidergeschäften, die Überwachung der Veröffentlichungspflichten der Emittenten sowie den Anlegerschutz inklusive der Überwachung der Verhaltensregeln als auch die Prüfung von Emissionsprospekten und die internationale Zusammenarbeit in Fragen der Beaufsichtigung des Wertpapierhandels.165 Es ergibt sich aus § 4 Abs. 4 FinDAG, dass die BaFin ihre Aufgaben und Befugnisse im öffentlichen Interesse wahrnimmt und ausübt. Es wird somit kein unmittelbarer Gläubigerschutz im Interesse des einzelnen Bankkunden gewährleistet.166 Daraus ergibt sich als Hauptaufgabe eine Missstandsaufsicht.167 Darüber hinaus verdeutlicht ein Verweis auf die europäische Rechtsgrundlage zum Erlass der MiFID I, welche auf Art. 47 Abs. 2 EGV (a. F.) gestützt wurde, sowie der Nachfolgerichtlinie MiFID II, welche auf Art. 53 Abs. 1 AEUV gestützt wurde, dass es sich um Öffentliches Recht und damit um reines Aufsichtsrecht handelt. Es handelt sich um Regelungen gestützt auf die Niederlassungsfreiheit, deren Umsetzung grundsätzlich bzw. regelmäßig durch öffentliches Recht erfolge.168 Die europarechtlichen Implikationen besonders im Hinblick auf ihren Harmonisierungsgrad und eine daraus mögliche Ableitung einer zivilrechtlichen Wirkung der Wohlverhaltenspflichten werden unter III. näher erläutert. Weiterhin lässt sich für eine aufsichtsrechtliche Einordnung der Schutzzweck sowohl der MiFID I als auch der MiFID II anführen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem institutionellen Anlegerschutz und nicht auf dem individuellen Anlegerschutz, wie sich unter anderem den Erwägungsgründen 7, 37, 39, 42, 45, 54, 57, 58, 70, 74, 86, 87, 97, 133, 144, 151 und 155 der MiFID II entnehmen lässt. Es ist jedoch auch in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinzuweisen, dass der europäische Gesetzgeber begrifflich nicht zwischen einem institutionellen und einem individuellen Anlegerschutz differenziert. Darüber hinaus ergibt sich im Zusammenhang mit der Kompetenzgrundlage für den Erlass beider Finanzmarktrichtlinien, dass die Funktion der Wohlverhaltenspflichten auf Grundlage der Herkunftslandkontrolle die Dienst- bzw. Niederlassungsfreiheit herstellen soll, sodass ein „nur“ institutioneller und kein individueller Anlegerschutz bezweckt ist und dadurch auch ein ausreichender Anlegerschutz gewährt wird.169 Die europarechtlichen Grundlagen sowie die 165

Fischer/Boegl, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 110 Rn. 6. Fischer/Boegl, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 110 Rn. 41. 167 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 139; Fischer/Boegl, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 110 Rn. 4, 48. 168 Korte, in: Calliess/Ruffert, Art. 53 AEUV Rn. 3 f., 10, 14, 22; Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 33; Tidje, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 53 AEUV Rn. 3; Hirte, in: KölnerKomm/WpHG, § 31 WpHG Rn. 10; Rothenhöfer, in: Schwark/ Zimmer, KMRK, Vor §§ 63 ff. WpHG Rn. 14; Schlag, in: Schwarze, Art. 53 AEUV Rn. 8, 23 f., 29; vgl. hierzu implizit auch die Ausführungen von Müller-Graff, in: Streinz, Art. 53 AEUV Rn. 13 – 26. 169 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (240); Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 43 f., 46 f.; Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (68 f.). 166

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

Entstehungsgeschichte der Richtlinien allgemein, die im Rahmen der Einordnung im Wege einer europäischen Auslegung eingehend erörtert werden, sprechen für eine öffentlich-rechtliche Qualifikation.170 Auch ging der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung sowohl der MiFID I als auch der MiFID II davon aus, dass ausschließlich aufsichtsrechtlich sanktionierte Pflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen durch das WpHG geregelt seien, sodass die für die Umsetzung gewählte Rechtsgrundlage Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft) und nicht Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Bürgerliches Recht) war.171 Auch aus den deutschen Umsetzungsgesetzen, namentlich dem 2. FMFG172, dem FRUG und dem 2. FiMaNoG, ergibt sich trotz einer Gemengelage der verfolgten Interessen eine Tendenz zu einer aufsichtsrechtlichen Qualifikation, da in den Vorschriften der Vorrang der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes betont wird und auch an der Durchsetzung der Wohlverhaltenspflichten hauptsächlich ein öffentliches Interesse besteht.173 Denn in erster Linie sollen durch die Wohlverhaltenspflichten die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes europaweit einheitlich gewährleistet werden.174 Als weiteres Argument für die Einordnung als Aufsichtsrecht spricht, dass eine ausdrückliche Anordnung der Rechtsfolge bei einer möglichen Verletzung der Wohlverhaltenspflichten fehlt.175 Jedoch kann hier einschränkend bereits erwähnt werden, dass die Rechtsfolge der Verletzung einer Vorschrift nicht in jeder Vorschrift ausdrücklich gesetzlich geregelt sein muss.176 Im Deliktsrecht ordnet § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich an, unter welchen haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Voraussetzungen ein Anspruch auf Schadensersatz gegeben ist. Im Rahmen eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs aus § 280 Abs. 1 BGB ergibt sich dieser häufig erst in der Zusammenschau verschiedener Bestimmungen und insbesondere aus der Entscheidung des Geschädigten, auf welche konkrete Pflichtverletzung er den vertraglichen Schadensersatzanspruch genau stützen will.177 Auch kann aus einer fehlenden zivilrechtlichen Rechtsfolge in den §§ 63 ff. WpHG nicht auf eine zwingende zivilrechtliche Geltung geschlossen werden.178 Das ist schon ein 170 So zu Art. 11 WpDRL vgl. Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 109 f.; Wieneke, Discount-Broking, S. 76 – 78; zu MiFID I und MiFID II vgl. unten 3. Kapitel III. 4. 171 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 77; Koller, in: Assmann/Schneider/Mülbert, § 63 WpHG Rn. 8, 12; a. A. Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 86, daraus könne nicht auf eine rein aufsichtsrechtliche Umsetzung geschlossen werden. 172 BT-Drucks. 12/7918 vom 15. 6. 1994, S. 97, Hopt, ZHR 159 (1995), 135 (158 f.). 173 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 111 f.; Wieneke, Discount-Broking, S. 86. 174 Langenbucher, ZHR 177 (2013), S. 16; Wieneke, Discount-Broking, S. 86. 175 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 79 f. 176 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (250). 177 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (250). 178 So auch Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 32.

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

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Widerspruch an sich. Der naheliegende Gedanke wäre wohl der, dass die fehlende zivilrechtliche Rechtsfolgenanordnung, die nicht zwingend in derselben Norm zu erfolgen hat, eher gegen eine zivilrechtliche Qualifikation spricht. Weiterhin lässt sich für eine aufsichtsrechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten anführen, dass sich diese primär an Personen richten, die mit dem Wertpapierkunden nicht in direkter vertraglicher Beziehung stehen, so zum Beispiel bei den Betreibern von Handelsplattformen nach den §§ 72 – 75 WpHG und bei den Finanzanalysten gem. §§ 85, 86 WpHG.179 Für eine aufsichtsrechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten spricht zudem die Regelungstradition des deutschen Gewerbeaufsichtsrechts, welches traditionell durch öffentliches Recht umgesetzt und reguliert wird.180 Zudem ist das aus dem angelsächsischen Raum stammende Konzept der Marktaufsicht bzw. market conduct regulation Bestandteil eines umfassenden Finanzaufsichtsrechts181 und die öffentlich-rechtliche bzw. aufsichtsrechtliche Interpretation entspricht somit ihrer Stellung im US-amerikanischen und britischen Kapitalmarktrecht.182 Das WpHG richtet sich zudem insgesamt stärker an die Aufsicht als an die Anleger.183 Zu bedenken ist außerdem, dass ein wesentlicher Vorteil der aufsichtsrechtlichen Lösung darin besteht, dass den Wertpapierdienstleistungsunternehmen so das öffentlich-rechtliche Schutzinstrumentarium gegenüber Eingriffen der Aufsichtsbehörde, namentlich der Grundrechtsschutz und Rechtsbehelfe des Verfahrensschutzes, zur Verfügung steht,184 während ihm im Zivilrecht lediglich die Umkehr der Beweislast zur Seite steht.185 Kritiker einer aufsichtsrechtlichen Einordnung der Wohlverhaltenspflichten führen zunächst an, dass die für die MiFID I und MiFID II gewählten Rechtsgrundlagen als Argument allein für eine Einordnung als Aufsichtsrecht nicht ausreichen. Nach dem Wortlaut des Art. 53 Abs. 1 AEUV sei eine Harmonisierung von Regelungen durch europäische Richtlinien nicht ausschließlich und primär durch öffentliches Recht möglich.186 Die Wahl der Rechtsgrundlage für die Angleichung bestehender Regelungen durch Richtlinien könne als alleiniges Argument nicht herangezogen werden, weil die Abgrenzung von öffentlichem Recht und Privatrecht in den einzelnen EU-Staaten nicht einheitlich erfolge und so unterschiedliche 179

Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 77. So schon zu §§ 31, 32 WpHG a. F. Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 106 – 108 m. w. N. 181 Vgl. Ausführungen zu C. I. 182 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 109. 183 Günther, MDR 2014, S. 61 (66). 184 Diskussionsbeitrag von Canaris, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 105 f. 185 Diskussionsbeitrag von Canaris, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 106. 186 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (239) (AEUV-Kommentare). 180

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Maßstäbe herangezogen würden.187 Dies führe dazu, dass in anderen EU-Staaten die Wohlverhaltensregeln eine Einordnung als privatrechtliche Pflichten erfahren haben und deren Verletzung zu Schadensersatzansprüchen für den Anleger führen können.188 Der Sinn und Zweck der MiFID I und verstärkt noch der der MiFID II entspreche eher einer zivilrechtlichen Interpretation der Wohlverhaltenspflichten, weil nur dann eine echte Pflicht der Wertpapierfirmen bestehe, auf die sich der Anleger im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs berufen könne.189 Die Geltung der MiFIDII-Grundsätze in Bezug auf den zu gewährleistenden Anlegerschutz im Verhältnis zum Wertpapierdienstleistungsunternehmen und dem Kunden setze eine zivilrechtliche Einordnung dieser Pflichten voraus, da in einem Umkehrschluss diese Grundsätze sonst nur zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und der Aufsichtsbehörde gelten würden.190 Auch überzeuge nicht, dass das deutsche Transformationsgesetz der MiFID I und MiFID II auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gestützt wurde. Denn durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG werden alle Normen, die das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regeln, erfasst, wozu sowohl zivilrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Normen zählen.191 Die behördliche Überwachung der Einhaltung der Wohlverhaltenspflicht allein könne zudem nicht für eine öffentlich-rechtliche Einordnung sprechen, weil die Erfüllung der Pflichten allein gegenüber dem Kunden erfolge.192 Für die notwendige Abgrenzung von öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Pflichten seien weitere Kriterien erforderlich. Darüber hinaus würden der Erwägungsgrund 25 der MiFID I und der Erwägungsgrund 50 der MiFID II, in denen vom Anwendungsbereich der Aufsichtsvorschriften die Rede ist, für eine rein aufsichtsrechtliche Einordnung nicht genügen. Zwar handele es sich bei zahlreichen Bestimmungen der Richtlinien um Vorschriften des öffentlichen Rechts, aber die Einordnung der nationalen Normen nach der Umsetzung habe nach den Abgrenzungskriterien des deutschen Rechts zu erfolgen und sei unabhängig von den europäischen Kompetenznormen und Richtlinienvorgaben zu beurteilen.193 Die behördliche Überwachung als Argument für die aufsichtsrechtliche Einordnung verfange auch unter dem Aspekt nicht, weil eine staatliche Überwachung, insbesondere im Bank- und Kapitalmarktrecht, auch bei privatrechtlichen Pflichten, so z. B. bei § 6 Abs. 2 KWG, erfolge.194 Es würde bei einer aufsichtsrechtlichen Qualifikation der Wohlverhaltenspflichten eine Rechtsanwendungsverweigerung vorliegen, weil eine tatsächliche Überwachung durch die 187

Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (239) m. w. N. (IPR-Bücher/Kommentare). Tison, in: FS Hopt, S. 2621 (2631). 189 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (240 f.); Erwägungsgrund 74 und 86 der MiFID II. 190 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (241). 191 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (243); Maunz, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 74 GG Rn. 135 (90. EL, Februar 2020); Broemel, in: v. Münch/Kunig, Bd. 2 Art. 74 Rn. 32 f., 41 f. 192 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (249). 193 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (254). 194 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (250); so auch Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 12 – 14. 188

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BaFin und ein effektives Einschreiten bei Verhaltenspflichtverletzungen personell schon nicht möglich seien und daher faktisch auch keine Sanktionen verhängt werden könnten und auch nicht verhängt würden.195 Dieses Argument ist in seiner Pauschalität jedoch zu hoch gegriffen und ist so nicht haltbar, weil der BaFin nicht vorgeworfen werden kann, dass sie keine ausreichende Sach- und Personalmittelausstattung für eine effektive Überwachung der Wohlverhaltenspflichten habe. c) Klassifikation als Doppelnormen Die Vertreter von der Klassifikation der Wohlverhaltenspflichten als Doppelnormen gehen davon aus, dass es sich bei diesen sowohl um öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Regelungen handle.196 Diese Auffassung wird jedoch mittlerweile überwiegend abgelehnt und zu den §§ 31 ff. WpHG a. F., in der Fassung seit dem FRUG, kaum noch vertreten.197 Danach könne der Gesetzgeber, sofern die notwendige gesetzgeberische Kompetenz vorliegt, Normen erlassen, die gleichzeitig sowohl öffentlich-rechtlichen als auch privatrechtlichen Charakter aufweisen, weil der strenge Dualismus der Rechtsgebiete überholt sei.198 Das Hauptargument beruht auf der Annahme, dass es sich bei den Wohlverhaltenspflichten des WpHG, und dabei speziell des § 31 WpHG a. F., um sogenannte Ausfüllungsnormen im Sinne von bivalenten Normen handle, die ein bestimmtes Rechtsverhältnis bereits voraussetzen und dieses lediglich inhaltlich gestalten.199 Die Begründung des Rechtsverhältnisses liege dabei außerhalb der Norm, weil diese nur bestimmte Verhaltenspflichten normiere, aber gerade nicht erkennen lasse, für welches Rechtsverhältnis sie Geltung beanspruchen könne.200 Es wird durchaus angeführt, dass an diesem Punkt für die Wohlverhaltenspflichten hervorzuheben sei, dass diese das Wertpapierdienstleistungsunternehmen, welches im Rahmen eines (vor-)vertraglichen Schuldverhältnisses bestimmte Leistungen gegenüber einem Kunden und nicht gegenüber der 195

So zur alten Rechtslage Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 82 – 84. Jordans, BKR 2011, S. 456 (457); Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2104); Lang, ZBB 2004, S. 289 (294); Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 68 – 85, 94; Möllers, in: KölnerKomm/WpHG, § 31 Rn. 15; Nikolaus, Durchsetzung der Wohlverhaltensund Organisationspflichten, S. 219 f., 224 – 232, wobei dieser statuiert, dass eine an sich mögliche Qualifikation als Doppelnorm für jede einzelne Vorschrift der §§ 31 ff. WpHG gesondert festzustellen ist; Weichert/Wenninger, WM 2007, S. 627 (635); Veil, ZBB 2008, S. 34 (36); Veil, WM 2007, S. 1821 (1825 f.). 197 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 78; Dieckmann, AcP 213 (2013), S. 1 (8, 20 – 28); für die alte Auffassung vgl. Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung, S. 461 – 463; Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 48; Nikolaus, Durchsetzung der Wohlverhaltens- und Organisationspflichten, S. 219 f.; Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 30 f. 198 Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 50 – 68; Lang, ZBB 2004, S. 289 (293 f.). 199 Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 68 f. 200 Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 68. 196

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BaFin zu erbringen hat, verpflichten würden.201 Im Zusammenhang damit wird betont, dass, auch wenn öffentliche Interessen an der Einhaltung der Normen durch eine staatliche Überwachung zum Ausdruck kommen, diese allein für die Qualifikation als öffentlich-rechtliche Normen nicht ausreichen, insbesondere dann nicht, wenn die Norm eine privatrechtliche Sonderverbindung voraussetzt und mitgestaltet.202 Nach Einsele sind „Nutznießer“ der Wohlverhaltenspflichten gerade die Anleger, die zu den Wertpapierdienstleistungsunternehmen eine privatrechtliche Sonderverbindung unterhalten und aus diesem Grund lägen die Bestimmungen nicht überwiegend im öffentlichen Interesse, sondern im Interesse der Personen gegenüber denen die Leistung erbracht wird.203 Daraus ergebe sich die auch für die Klassifikationen als Doppelnormen notwendige zivilrechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten. Diese Argumente greifen jedoch zu kurz, weil sich aus der Systematik und der Stellung des mittlerweile 11. Abschnitts innerhalb des WpHG sowie der Aufsichtsbefugnisse der BaFin gem. §§ 6, 88, 89 WpHG deutlich ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zwischen dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen und der BaFin ergibt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es sich bei den §§ 63 ff. WpHG um kundenbezogene Verhaltenspflichten handelt. Dies hat lediglich zur Folge, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen im öffentlichen Interesse diese Verhaltenspflichten gegenüber den Kunden einzuhalten hat.204 Damit einher geht auch die Frage nach der Möglichkeit, ob eine Norm sowohl dem öffentlichen Recht als auch dem Privatrecht zugeordnet werden kann. Auf Grundlage der modifizierten Subjektstheorie ist die Einordnung einer Regelung als Doppelnorm jedoch nur dann möglich, wenn die Norm auf unterschiedliche Berechtigte bzw. Verpflichtete als Zuordnungssubjekte anzuwenden ist.205 Dies ist beispielhaft bei § 62 S. 2 VwVfG der Fall, der die entsprechende Geltung der Normen des BGB für öffentlich-rechtliche Verträge anordnet und es sich daher in diesem Fall um Rechtsnormen handelt, die sowohl dem öffentlichen Recht als auch dem Privatrecht gemeinsam sind.206 Daraus wird jedoch deutlich, dass diese Rechtsnormen lediglich Gemeinsamkeiten aufweisen, sie aber dadurch nicht automatisch zu privatrechtlichen Normen werden. Auch spricht die Tatsache, dass im Bereich des Wirtschaftsrechts private und öffentliche Interessen häufig in einer engen Beziehung und 201

Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (248); Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 71 f., 75; Nikolaus, Durchsetzung der Wohlverhaltens- und Organisationspflichten, S. 229. 202 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (252); Nikolaus, Durchsetzung der Wohlverhaltensund Organisationspflichten, S. 228 – 230. 203 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (252). 204 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (248); Nikolaus, Durchsetzung der Wohlverhaltensund Organisationspflichten, S. 229. 205 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (247). 206 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (247 f.); Ehlers/Pünder, Allg. VerwR, § 3 Rn. 24 f.; Bachof, in: FS 25jähriges Bestehen BVerwG, S. 1 (11 f.); Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung, S. 461 – 463.

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Wechselwirkung zueinander stehen, nicht für eine „Doppelnatur“ von Normen.207 Diese ist gerade vor dem Hintergrund der verschiedenen Funktionen einer Regulierung durch öffentliches Recht und Privatrecht auch nicht notwendig, weil die verschiedenen Ebenen, die insbesondere die Regulierung des Kapitalmarktrechts betreffen, unstreitig durch öffentlich-rechtliche Vorschriften – wie zum Beispiel die Zulassungsregelungen der einzelnen Wertpapierdienstleistungsunternehmen – zu regeln sind und die individuelle Kundenbeziehung, insbesondere in Bezug auf die Haftung bei Kapitalanlagen, den Regelungen des Privatrechts und somit den Zivilgerichten zu überlassen sind. Es kann aus der Perspektive des Gesetzgebers durchaus nachvollziehbar und sinnvoll sein, Normen zu schaffen, die sowohl eine öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Zielsetzung verfolgen, denn so kann eine doppelte Regelung desselben Sachverhalts vermieden werden.208 Allerdings ist bei der Einordnung der Wohlverhaltenspflichten gleichzeitig als öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Normen zu berücksichtigen, dass der Sinn und Zweck der beiden Teilrechtsordnungen unterschiedlich ist.209 Die Normen des öffentlichen Rechts setzen im öffentlichen Interesse allgemeine und nicht auf den konkreten Einzelfall bezogene Standards, wohingegen es bei den Normen des Zivilrechts um eine Art Feinsteuerung des Verhaltens der einzelnen Vertragspartei geht.210 Im Zivilrecht ist gerade der Wille der Vertragsparteien maßgebend, sodass eine Bezugnahme auf öffentlich-rechtliche Normen nur durch gesetzliche Anordnungen, wie zum Beispiel im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB oder §§ 618, 619 BGB, möglich ist.211 Eine unmittelbare automatische Geltung im Vertrags- oder Deliktsrecht können sie nicht beanspruchen.212 Auch greift das Argument nicht durch, dass neben dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes auch der individuelle Anlegerschutz durch die §§ 63 ff. WpHG bezweckt ist.213 Auch wenn der einzelne Anleger keinen Anspruch auf Eingriffsmaßnahmen der BaFin hat, führt dies nicht zu einer Rechtlosigkeit des einzelnen Anlegers, weil ein ausgeklügelter Anlegerschutz durch die Zivilgerichte im Rahmen der einzelnen Vertragsbeziehungen entwickelt wurde, der für eine gerechte und ausgewogene Kompensation eingetretener Vermögenseinbußen sorgt. Zudem halten die zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Anleger 207

Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 79. Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 72; Bachof, in: FS 25jähriges Bestehen BVerwG, S. 1 (11); Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung, S. 461; Bettermann, NJW 1977, S. 513 (515); Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 46, 67; Nikolaus, Durchsetzung der Wohlverhaltens- und Organisationspflichten, S. 219. 209 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (248). 210 Allgemein und zusammenfassend zu den Funktionen des öffentlichen Rechts und des Privatrechts vgl. Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 7 (26 f.). 211 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (248). 212 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (248); Erichsen, JURA 1982, S. 537 (541); Steindorff, in: FS Raiser, S. 621 (630 f.); a. A. Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 58. 213 Nikolaus, Durchsetzung der Wohlverhaltens- und Organisationspflichten, S. 228 f. 208

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vorhandenen Vertragsbeziehungen einen Verhaltenspflichtenkanon bereit, der den §§ 63 ff. WpHG entspricht.214 Neben diesem zivilrechtlichen Instrumentarium genügen auch die aufsichtsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten einer Stärkung des von §§ 63 ff. WpHG bezweckten Anlegervertrauens. Zu berücksichtigen ist dabei, dass sich Anleger häufig von einer unliebsamen und unrentablen Kapitalanlage lösen wollen, um dann nach einem Verhaltenspflichtverstoß die unliebsame Anlage über einen Schadensersatzanspruch rückabwickeln zu können. Von der Auffassung über die mögliche Qualifikation der Wohlverhaltenspflichten als Doppelnormen ist jedoch die Auffassung einer möglichen „Ausstrahlungswirkung“ der öffentlich-rechtlichen Verhaltenspflichten auf das Zivilrecht zu trennen, nach der den Verhaltensregeln eine „Doppelrolle“ insofern zugesprochen wird als sie den Inhalt der vertraglichen Rechtsbeziehung zumindest mit beeinflussen und somit die vertraglichen bzw. vorvertraglichen Verhaltenspflichten konkretisieren würden.215 Ausführlich zu dieser „Ausstrahlungswirkung“ sogleich unter Punkt III. 3. dieses Kapitels. d) Klassifikation als Privatrecht Vertreter einer rein privatrechtlichen bzw. vertragsrechtlichen Klassifikation der Wohlverhaltenspflichten führen zunächst an, dass die Normadressaten der kundenbezogenen Verhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG in erster Linie private juristische oder natürliche Personen sind. Daraus wird häufig auf Grundlage der (materiellen bzw. modifizierten) Subjektstheorie abgeleitet, dass zumindest die kundenbezogenen Verhaltenspflichten als Privatrecht qualifiziert werden sollten,216 weil sie auch gegenüber Privatpersonen zu erfüllen seien. Die staatliche Überwachung der Einhaltung der Pflichten durch die BaFin rechtfertige allein nicht die Klassifikation als Aufsichtsrecht.217 Zudem werde immer häufiger angenommen, dass das Schutzziel der §§ 63 ff. WpHG auch konkret auf Privatrechtssubjekte bezogen werden könne und sich nicht allein in einem öffentlichen und damit nicht privatisierbaren Gut erschöpfe.218 Hiergegen lässt sich jedoch zugleich einwenden, dass gerade auf Grundlage der staatlichen Überwachung durch die BaFin deutlich 214

So auch Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 104; a. A. Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 72. 215 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 80. 216 Busch, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, The Private Law Effect of MiFID I and MiFID II, Rn. 20.39; Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (253); Einsele, JZ 2014, S. 703 (713); Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (3); Grundmann, in: Staub/ GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 14, D. Rn. 126; Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 11, 30; Mülbert, ZHR 172 (2008), S. 170 (183 – 186, 190 – 192); Wieneke, Discount-Broking, S. 81; so schon zu Art. 11 WpDRL Köndgen, in: Everling/Roth (Hg.), Mindestharmonisierung im Europäischen Binnenmarkt, S. 111 (134 f.). 217 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (253); Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (3). 218 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (3).

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wird, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen auch die kundenbezogenen Verhaltenspflichten primär gegenüber der Aufsichtsbehörde zu erfüllen hat. Nach § 4 Abs. 4 FinDAG nimmt die Aufsichtsbehörde ihre gesetzlichen Pflichten nur im öffentlichen Interesse wahr. „Hierbei handelt es sich nicht um eine Neuorientierung in Bezug auf die Aufsichtspflichten, sondern um eine ,Klarstellung‘ i. S. d. bisher in Rechtsprechung und Literatur vorherrschenden, den Drittschutzcharakter der Aufsichtspflichten verneinenden Meinung.“219 Auch wird für eine privatrechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten gern der rechtsvergleichende Blick angeführt, wonach MiFID-Vorgaben in einem Teil der Mitgliedstaaten auch zivilrechtlich verstanden werden, weil insbesondere eine Abschottung der Märkte nicht nur durch Verwaltungsrecht, sondern auch durch Zivilrecht erfolgen könne.220 Allerdings wird dann auch wieder zu Recht davon gesprochen, dass dies eigentlich nur ein Indiz dafür sei, dass der europäische Gesetzgeber die Wohlverhaltenspflichten durchaus zivilrechtlich verstanden haben könnte. Dies trifft schon den Punkt. Es ist eben nur ein Indiz und kein eindeutiger Nachweis. Schließlich hängt die zivilrechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten wiederum von dem jeweiligen Rechtssystem ab und davon, wie stark eine wirkliche Trennung zwischen öffentlichem und privatem Recht erfolgt. Diese hat in Deutschland bekanntermaßen eine lange Tradition und ist sehr strikt. Weiterhin wird von den Vertretern einer privatrechtlichen Einordnung der Wohlverhaltenspflichten angeführt, dass eine Übereinstimmung der Wohlverhaltenspflichten mit dem zivilrechtlichen Pflichtenprogramm, insbesondere der Kongruenz zur Interessenwahrungspflicht des Kommissionärs gem. § 384 Abs. 1 HGB, diese Einordnung nahelege.221 Denn der individuelle und der institutionelle Anlegerschutz im Kapitalmarktrecht gehen Hand in Hand und seien zwei Seiten derselben Medaille.222 Daher sei eine zudem strukturelle starke Ähnlichkeit mit den verbraucherschützenden, vertragsbezogenen (Informations-)Pflichten des BGB223 gerade ausschlaggebend für diese Verzahnung der Wohlverhaltenspflichten mit den Vorschriften des BGB und HGB.224 Über zivilrechtliche Ansprüche könne die öffentlich-rechtliche Aufsicht zur effektiven Durchsetzung des Anlegerschutzes er219

Pahlow, Der Staat 2011, S. 621 (634) m. w. N. So etwa Busch, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, The Private Law Effect of MiFID I and MiFID II? Rn. 20.01; Grundmann, WM 2012, S. 1745 (1752); Klöhn, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 6 Kapitalmarktrecht Rn. 186; Koch, ZBB 2014, S. 211 (211 f.); Tison, in: FS Hopt, S. 2621 (2638). 221 Wieneke, Discount-Broking, S. 75. 222 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 333; Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135 (159); Wieneke, Discount-Broking, S. 85 m. w. N. 223 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (235); so äußerte auch Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 104 diesen Gedanken bzgl. der §§ 31, 32 WpHG a. F. 224 Kümpel, Kapitalmarktrecht, S. 144 f.; ähnlich Köndgen, NJW 1996, S. 558 (569). 220

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

gänzt werden.225 Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass bei Beachtung der §§ 63 ff. WpHG vorrangig die Kundeninteressen geschützt werden und lediglich mittelbar auch das öffentliche Interesse geschützt wird.226 Jedoch führen die Vertreter einer privatrechtlichen Einordnung an, dass die §§ 63 ff. WpHG den Schutz der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes, der primär über die Gewährleistung des individuellen Anlegerschutzes erfolge, verdeutlichen. Erneut wird hierfür angeführt, dass im Verhältnis Anleger und Wertpapierdienstleistungsunternehmen ein (vor-) vertragliches Schuldverhältnis bestehe227. Die Verhaltensregeln der §§ 63 ff. WpHG können als Konkretisierung eines unterschiedlichen Pflichtenrahmens betrachtet werden, so wie er durch das gesetzliche Schuldverhältnis der Culpa in contrahendo oder den Vertrag allgemein vorgegeben ist228 – wobei diese als berufliche Verhaltensstandards nur über das Vehikel von Vertrag, Quasi-Vertrag oder Delikt zu Ansprüchen führen können.229 Mülbert führt diesbezüglich sogar an, dass die aufsichtsrechtlichen Vorgaben, insbesondere die des § 31d WpHG a. F., nunmehr § 70 WpHG, den zivilrechtlichen Offenlegungspflichten eine Obergrenze setzen würden.230 Allerdings sind die in den §§ 63 ff. WpHG niedergelegten Verhaltenspflichten, wie Schwark für die §§ 31 ff. WpHG in ihrer Fassung nach der WpDRL ausführt,231 bereits Bestandteil effektengeschäftlicher Verträge, sodass die Wohlverhaltenspflichten zur Ausfüllung der Vertragspflichten als privatrechtliche Pflichten nicht notwendig ist. Aus diesem Grund greift auch die Aussage von Hirte/Heinrich232 zu kurz, wonach die §§ 63 ff. WpHG bzw. §§ 31 WpHG a. F. Nebenpflichten zum privatrechtlichen Bankvertrag begründen. Zum einen berücksichtigt sie die unterschiedliche Schutzrichtung von privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Regelungen nicht. Zum anderen nimmt sie nicht in den Blick, dass die in den §§ 63 ff. WpHG bzw. §§ 31 ff. WpHG a. F. statuierten Pflichten bereits im Rahmen des vertragsrechtlichen Pflichtengefüges Berücksichtigung finden. Die darüber hinausgehenden Anforderungen an die Wertpapierdienstleistungsunternehmen sind reines Marktverhaltensrecht, welches öffentlich-rechtlicher Natur ist und einer bloß öffentlich-rechtlichen Überwachung bedarf. Es handelt sich dabei wie bereits oben ausgeführt um Verhaltensanforderungen an die Wertpapierdienstleistungsunternehmen aus denen der einzelne Anleger bzw. Kunde keine vertragsrechtlichen Ansprüche herleiten kann. Es ist Regulierungsrecht auf einer übergeordneten Ebene und Teil des Marktfunktionsschutzes und damit ungeeignet, um für eine Gerech225 226 227 228 229 230 231 232

Poelzig, JZ 2014, S. 256 (260). Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (236). Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (241). Schwark, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hg.), Bankrechtstag 1995, S. 109 (120). Schwark, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hg.), Bankrechtstag 1995, S. 109 (121). Mülbert, ZHR 172 (2008), S. 170 (191). Schwark, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hg.), Bankrechtstag 1995, S. 109 (121). Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 6.

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

147

tigkeit im Einzelfall zu sorgen. Denn das ist eine der Hauptaufgaben des Vertragsrechts. Für eine privatrechtliche Einordnung wird zudem angeführt, dass der individuelle Anlegerschutz notwendige Voraussetzung für den institutionellen Anlegerschutz sei und daher dem Anleger eine Möglichkeit zustehen müsse, zivilrechtlich gegen Verstöße gegen die §§ 63 ff. WpHG vorzugehen.233 Dies sei notwendig, da bislang aufgrund der rein aufsichtsrechtlichen Einordnung der Anleger kein Anspruch darauf habe, in welchem Umfang die BaFin die Einhaltung dieser Pflichten überwacht und durchsetzt.234 Durch die starre Einordnung der Wohlverhaltenspflichten als aufsichtsrechtliche Pflichten werde darüber hinaus der durch MiFID I und MiFID II intendierte Anlegerschutz nicht erreicht.235 Auch wenn durch die Bond-Rechtsprechung des BGH der Anleger bei Pflichtverletzungen im Rahmen eines zumindest konkludent geschlossenen Anlageberatungsvertrages geschützt ist, könne insbesondere bei den Zuwendungs- und Provisionszahlungen kein effektiverer Schutz erfolgen.236 Insbesondere würde auch das „Genil-Urteil“ des EuGH vom 30. 5. 2013 dafür sprechen, dass das nationale Recht bei Pflichtverstößen auch eine vertragliche Folge vorsehen müsse237 und somit eine rein aufsichtsrechtliche Einordung europarechtswidrig sei. Denn gemäß Art. 4 Abs. 3 UA 2 EUV bleibe trotz der von den Richtlinien vorgeschriebenen aufsichtsrechtlichen Ausrichtung der Wohlverhaltenspflichten gleichzeitig eine privatrechtliche Gewährleistung möglich, um die praktische Wirksamkeit der europarechtlichen Vorgaben zu optimieren.238 Darüber hinaus werde durch die MiFID II der Individualschutz der Anleger noch intensiver unter Betonung des besonders störanfälligen Anlegervertrauens reguliert und in den Vordergrund gerückt.239 Auch liege eine privatrechtliche Qualifikation nahe, weil die Wohlverhaltenspflichten nunmehr noch stärker individualisiert und als Vertrauensbeziehung ausgestaltet wurden, insbesondere durch eine immer weiter aufgefächerte Unterteilung des Pflichtenrahmens240 bezogen auf die jeweiligen konkreten Wertpapierdienstleistungen. Es spreche im Ergebnis maßgeblich für die zivilrechtlich Einordnung, dass, um die kundenbezogenen Wohlverhaltenspflichten zu erfüllen, diese das (vor-)vertragliche Schuldverhältnis zwischen dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen und dem Anleger mitbestimmen und in diesem Verhältnis irgendwie beachtet werden

233

Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (241). Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (241). 235 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (242). 236 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (242). 237 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (242 Fn. 37). 238 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (243); Einsele, JZ 2014, S. 703 – 714 (713); Poelzig, ZGR 2015, S. 801 (816 – 828); Wieneke, Discount-Broking, S. 77. 239 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 125 f. 240 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 126. 234

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

müssen.241 Ihre volle Wirkung können die kundenbezogenen Wohlverhaltenspflichten nur dann entfalten, sofern ihnen zivilrechtliche Wirkung zwischen den Parteien zukomme.242 Die repressiven Verwaltungssanktionen durch die BaFin zeitigen jedoch ihre Wirkung erst im Nachhinein und nicht bereits in dem insbesondere für den Kunden maßgeblichen Zeitpunkt der Anlageberatung.243 Die durch fehlerhafte Anlageberatung entstandenen Schäden werden durch die Aufsichtsmaßnahmen der BaFin gerade nicht kompensiert, sodass nicht nur der einzelne Anleger leide, sondern in der Folge auch das Ansehen des Kapitalmarktes und dessen Funktionsfähigkeit in Mitleidenschaft gezogen werde und dadurch bestimmte Kapitalfehlallokationen verfestigt würden.244 Zudem wurde die Möglichkeit der kollektiven Rechtsdurchsetzung durch einen Unterlassungsanspruch bzw. eine Unterlassungsklage nach § 2 Abs. 1 und 2 Nr. 7 UKlaG in Übereinstimmung mit den Vorgaben der MiFID I und MiFID II vom deutschen Gesetzgeber vorgesehen.245 Dafür ist jedoch Voraussetzung, dass die betreffenden Bestimmungen rechtlich als Verbrauchergesetze246 eingeordnet werden mit der Konsequenz privatrechtlicher Unterlassungsansprüche247 gegen das betreffende Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Interesse des Verbraucherschutzes.248 Die Wohlverhaltenspflichten würden so im Ergebnis funktionales Zivilrecht darstellen.249 Hiergegen kann jedoch bereits angeführt werden, dass Verbrauchergesetze nicht zwingend privatrechtliche Gesetze sein müssen, sondern auch durchaus öffentlich-rechtlicher Natur sein können. Darüber hinaus könne das Fehlen einer standardisierten Anspruchsgrundlage für die Beratungshaftung durch die Geltung des intensiv regulierten und fein ausdifferenzierten Systems der §§ 63 ff. WpHG kompensiert werden.250 Anders könnten Verstöße gegen die Wohlverhaltenspflichten nicht ausreichend geahndet werden, weil der zivilrechtliche Pflichtenstandard an den aufsichtsrechtlichen Pflichtenstandard nicht heranreiche.251 241

Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute, S. 188; Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (248). 242 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (253). 243 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (253); Einsele, JZ 2014, S. 703 (706). 244 Einsele, JZ 2014, S. 703 (711). 245 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (253). 246 Micklitz/Roth, in: MünchKomm-ZPO, Band 3, § 2 UKlaG Rn. 16; Köhler, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, § 2 UKlaG Rn. 2; Grüneberg, in: Palandt, § 2 UKlaG Rn. 2 – 9 (78. Aufl., 2019). 247 Grüneberg, in: Palandt, § 2 UKlaG Rn. 10, § 5 UKlaG Rn. 1 (78. Aufl., 2019); Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 2 UKlaG Rn. 1. 248 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (254). 249 Assmann, in: FS Schneider, S. 37 – 55, S. 43, 55; Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (254). 250 Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 25. 251 Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 27.

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

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Im Ergebnis sprechen die besseren Argumente jedoch gegen eine solche privatrechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten. Denn wie bereits ausgeführt, genügt der von der MiFID I und MiFID II bezweckte individuelle Anlegerschutz allein nicht für die privatrechtliche Qualifikation der Wohlverhaltenspflichten.252 Diese Annahme stützt sich zu sehr auf die Interessentheorie. Darüber hinaus lässt auch die inhaltliche Ähnlichkeit zu den (vor-)vertraglichen Verhaltenspflichten bei der Anlageberatung und dem Effektengeschäft nicht den Schluss zu, dass der Gesetzgeber des WpHG die zivilrechtliche Rechtsprechung zu diesen Grundsätzen, namentlich die Interessenwahrung, die Vermeidung von Interessenkonflikten sowie die Aufklärungspflichten hinsichtlich Zuwendungen, zu kodifizieren beabsichtigte.253 Zudem sei bei einer privatrechtlichen Deutung der §§ 63 ff. WpHG die Kodifikation dieser nicht erforderlich, denn Grundlage der Rechtsprechung zu den Aufklärungs- und Beratungspflichten des Zivil- und Handelsrechts seien die §§ 383 ff. HGB, §§ 675, 276, 242 BGB in Verbindung mit den Grundsätzen aus dem Bond-Urteil. Ein Klarstellungsinteresse bezüglich dieser Verhaltenspflichten sei daher nicht notwendig.254 Das Argument einer drohenden „gespaltenen Auslegung“ aufgrund der Doppelung von Normen bei ähnlichem Regelungsgehalt ist nicht von der Hand zu weisen. So könnte dies beispielsweise in Bezug auf die Interessenwahrungspflicht aus § 63 Abs. 1 WpHG und die Interessenwahrungspflicht aus § 675 Abs. 1 BGB und § 384 Abs. 1 WpHG, die aufgrund Wortsinn und Wertung konkurrieren und zu anderen Auslegungsergebnissen führen, der Fall sein.255 Das Argument greift letztendlich jedoch nicht durch, weil diese Normen zunächst unabhängig im Rahmen ihres jeweiligen Systems zu betrachten sind. Eine gespaltene Auslegung ist immer nur dann gegeben, wenn eine Norm sowohl in die eine als auch in die andere Richtung ausgelegt wird. Dieses Konzept der Doppelnormen wird jedoch abgelehnt. Der Pflichtenrahmen auf aufsichtsrechtlicher und vertragsrechtlicher Ebene ist somit nach den im Rahmen ihres Normsystems geltenden Gegebenheiten vorgeschrieben. Wie es doch zu einer Verbindung beider Komplexe kommen kann, wird im 5. Kapitel erörtert. Aus dem Näheverhältnis allein zu den Rahmenbedingungen, die der Wertpapierdienstleistung vertraglich zugrunde liegen, namentlich dem Auftrags-, Geschäftsbesorgungs-, Kommissions- und Treuhandvertrag, kann nicht auf eine privatrechtliche Qualifikation der §§ 63 ff. WpHG geschlossen werden.256 Auf den ersten Blick kommt es zwar zu einer inhaltlichen Überschneidung insbesondere der 252 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel Rn. 19. 253 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 104. 254 So schon zu den §§ 31, 32 WpHG a. F. Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 104. 255 So schon zu den §§ 31, 32 WpHG a. F. Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 104. 256 So auch Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 109 – 112.

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

§§ 63 Abs. 1 und 2, 70 WpHG mit dem vertragsrechtlichen Pflichtenregime aus BGB und HGB; aus dieser inhaltlichen Verzahnung resultiert jedoch keine Überschneidung der Anwendungsbereiche.257 Denn die Pflichten der §§ 63 ff. WpHG sind nicht als Vertragspflichten aufzufassen, die an bestehende Vertragsbeziehungen anknüpfen, sondern als objektive Verhaltensstandards.258 Es liegt lediglich eine „wesenshafte Verbundenheit“259 vor, die jedoch ganz klar die vertragsrechtlichen Standards von den öffentlich-rechtlichen Standards der §§ 63 ff. WpHG trennt, sodass die beiden Schutzsysteme, das Schutzsystem der staatlichen Marktaufsicht und das von den Zivilgerichten entwickelte Anlegerschutzsystem, nebeneinander treten.260 Darüber hinaus sind die Normen, die früher zivilrechtlich eingeordnet wurden,261 wie z. B. § 37a WpHG a. F. zur Verjährung sowie §§ 37b, c und d WpHG a. F. mittlerweile nicht mehr im WpHG enthalten, sodass eine Parallelwertung und damit eine mögliche Einordnung als zivilrechtliche Vorschriften nicht mehr naheliegend ist. Gegen eine privatrechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten spricht außerdem die Europäische Kompetenzordnung im Anlegerschutzrecht. Detailliert wird auf diese im Folgenden noch eingegangen. Zunächst gilt gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 EUV der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung, der besagt, dass die EU für jedes Tätigwerden eines Kompetenztitels bedarf.262 Art. 5 EUV gilt als zentrale Norm des europäischen Kompetenzgefüges und enthält eine dreistufige Prüfung263, die zunächst in Absatz 2 und dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung danach fragt, ob die EU überhaupt tätig werden kann, sie somit für die Regelung eines bestimmten Bereiches überhaupt zuständig ist.264 Die Kompetenzen müssen der EU dabei von den Mitgliedstaaten übertragen worden sein und es muss für den konkret zu regelnden Bereich auch die richtige Kompetenzgrundlage gewählt

257

Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 110 f. Balzer, Vermögensverwaltung durch Kreditinstitute, S. 154; Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute, S. 187; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 110; Schwark, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hg.), Bankrechstag 1995, S. 109, (120); Balzer, ZBB 1997, S. 260 (262); Schwark, in: Hadding/Hopt/ Schimansky (Hg.), Bankrechtstag 1995, S. 109 (120). 259 Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 110. 260 Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 125. 261 So etwa bei Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 7. 262 BVerfG, Urt. v. 30. Juni 2009 – 2 BvE 2, 5/08, BVerfGE 123, S. 267 (292 f.); Streinz, in: Streinz, Art. 5 EUV Rn. 8 f.; Nettesheim, in: von Bogdandy/Bast (Hg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 398 – 401; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, § 3 Rn. 13; Herresthal, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 27. 263 Wird auch als „europäische Schrankentrias“ bezeichnet, vgl. Bickenbach, EuR 2013, S. 523 (526) m. w. N.; Art. 5 EUV als umfassende Kompetenzabgrenzungs- und Kompetenzausübungsgrenze enthält drei sich einander ergänzende Elemente, vgl. Streinz, in: Streinz, Art. 5 EUV Rn. 2. 264 Calliess, in: Calliess/Ruffert, Art. 5 EUV Rn. 5; Kadelbach, in: Groeben/Schwarze/ Hatje, Art. 5 EUV Rn. 4. 258

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

151

werden.265 Auf der zweiten Stufe und in Übereinstimmung mit dem in Absatz 3 enthaltenen Subsidiaritätsprinzip ist entscheidend, ob die EU trotz bestehender Kompetenz überhaupt tätig werden soll, z. B. weil die Maßnahmen der Mitgliedstaaten für die Gewährleistung z. B. eines einheitlichen Binnenmarktes nicht ausreichen.266 Hierbei steht die Frage einer Ineffizienz der vorhandenen mitgliedstaatlichen Regelungen im Raum.267 Es ist jedoch auf dieser Ebene zu beachten, dass die nationale Identität der Mitgliedstaaten gewahrt und ihre Befugnisse erhalten bleiben sollen.268 Auf der dritten Stufe ist gemäß Absatz 4 der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzuhalten, wonach die erforderlichen Maßnahmen „erforderlich“, „geeignet“ und „angemessen“ sein müssen und für die Maßnahmen der EU das Übermaßverbot zu beachten ist.269 Vor diesem Hintergrund genügt der Kompetenztitel des Art. 53 Abs. 1 AEUV nicht für eine Harmonisierung des privaten Anlegerschutzrechts, weil das nationale private Anlegerschutzrecht zu keiner Einschränkung der Niederlassungsfreiheit führt; insbesondere aufgrund der dispositiven Ausgestaltung der schuldrechtlichen Normen, wie z. B. die des Geschäftsbesorgungs- und Kommissionsrechts, § 675 BGB, §§ 383 ff. HGB, die Grundfreiheiten, insbesondere die der Niederlassungsfreiheit, nicht gefährdet werden.270 Auch der Umstand, dass der zivilrechtliche Anlegerschutz insbesondere bezüglich der Aufklärungs- und Beratungspflichten der Banken häufig im Wege einer richterlichen Rechtsfortbildung entwickelt wurde, ändert an dieser Bewertung nichts, weil der BGH nur dann über z. B. § 241 Abs. 2 BGB oder § 242 BGB den Inhalt und die Reichweite der Aufklärungspflichten bestimmt, sofern keine vertraglichen Abreden vorliegen und sich daraus ebenfalls eine dispositive Gestaltbarkeit des Richterrechts ergibt.271 Darüber hinaus lässt es die Flexibilität des Zivilrechts zu, dass die Gefahren- und Interessenlagen im jeweiligen Einzelfall besser erfasst werden können als durch öffentliches Recht.272 Darüber hinaus lässt sich auch aus Art. 114 AEUV keine Kompetenz der EU zur privatrechtlichen Regelung der Wohlverhaltenspflichten und damit des privaten Anlegerschutzes ableiten, weil bloße Unterschiede zwischen verschiedenen natio265 Bickenbach, EuR 2013, S. 523 (526 f.); Calliess, in: Calliess/Ruffert, Art. 5 EUV Rn. 6, 9; Streinz, in: Streinz, Art. 5 EUV Rn. 9. 266 Bickenbach, EuR 2013, S. 523 (527); Calliess, in: Calliess/Ruffert, Art. 5 EUV Rn. 6, 24 f.; Kadelbach, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 5 EUV Rn. 25. 267 Hierzu ausführlich Kadelbach, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 5 EUV Rn. 35 – 38. 268 Geiger, in: Geiger/Khan/Kotzur, Art. 5 EUV Rn. 7. 269 Bickenbach, EuR 2013, S. 523 (527 f.); Calliess, in: Calliess/Ruffert, Art. 5 EUV Rn. 44 f.; Geiger, in: Geiger/Khan/Kotzur, Art. 5 EUV Rn. 17; Kadelbach, in: Groeben/ Schwarze/Hatje, Art. 5 EUV Rn. 49. 270 Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (552); Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen Rn. 12 f. 271 Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (553). 272 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 13.

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

nalen Regelungen gerade nicht ausreichen, um eine Rechtssetzungszuständigkeit der EU zu begründen.273 Erforderlich für eine Privatrechtsangleichung im Wege des Art. 114 Abs. 1 AEUV ist, dass aus den unterschiedlichen Rechten konkrete Vor- und Nachteile für die Teilnehmer auf dem Binnenmarkt eines Mitgliedstaates entstehen, die so nicht mehr akzeptiert werden können, weil es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt und kein einheitlicher Binnenmarkt mehr gewährleistet werden kann.274 Die Rechtsangleichung darf kein Selbstzweck sein,275 denn unterschiedliche Zivilrechtskulturen zählen zum integralen Teil eines föderal strukturierten Staatsverbunds.276 Denn das Regelungsziel ist keine Identität oder Uniformität des Rechts im Verständnis einer Rechtsvereinheitlichung, sondern es geht zentral um eine Rechtsangleichung und die Anpassung an einen unionsrechtlich definierten Standard.277 Die Rechtsangleichung stellt zur Rechtsvereinheitlichung ein wesensmäßiges Minus dar, wobei eine Rechtsvereinheitlichung, allerdings nicht in einer absoluten Form, durch Vorgabe eines „Zielkorridors“ angestrebt werden kann und auch wird.278 Das Vertragsrecht ist als unverzichtbarer Kernbereich einer freien Rechtsordnung aufzufassen und ist als solches von der EU zu akzeptieren und zu respektieren.279 Art. 169 Abs. 2 lit. a) AEUV, nach dem die EU zum Erlass verbraucherschützender Regelungen nach Art. 114 AEUV ermächtigt ist, greift als Kompetenzgrundlage für die Regelung des privaten Anlegerschutzes ebenfalls nicht ein.280 Neben der Frage, ob „der Anleger“ überhaupt als „Verbraucher“ eingeordnet werden kann,281 greift diese Kompetenzgrundlage schon deshalb nicht, weil diese sonst der EU entgegen Art. 5 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 AEUV eine umfassende Kompetenz im Verbraucherrecht gewähren würde, die schon nach Art. 53 Abs. 1 AEUV und

273

Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (553 f.) m. w. N. Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, Art. 114 Rn. 13 f.; Grigoleit, AcP 210 (2010), S. 354 (368); Classen, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Rn. 69, 71 f.; Herresthal, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 30, 32; Riesenhuber, EU-Vertragsrecht, § 3 Rn. 13 – 15. 275 Korte, in: Calliess/Ruffert, Art. 114 AEUV, Rn. 2; Classen, in: Groeben/Schwarze/ Hatje, Art. 114 AEUV Rn. 7; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, § 3 Rn. 14; Herresthal, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 30 f.; Grigoleit, AcP 210 (2010), S. 354 (365) m. w. N. 276 Grigoleit, AcP 210 (2010), S. 354 (365 f.); so auch Herresthal, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 32. 277 Jäger, Überschießende Richtlinienumsetzung im Privatrecht, S. 27; Frenz/Ehlenz, EuZW 2011, S. 623 (624, 625); Korte, in: Calliess/Ruffert, Art. 114 AEUV, Rn. 23; Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, Art. 114 Rn. 6; ein weiterreichendes Verständnis findet sich bei Riesenhuber, EU-Vertragsrecht, § 3 Rn. 16, der Rechtsangleichung als ein Kontinuum versteht, das von einer rahmenhaften Annäherung bis hin zur Vereinheitlichung geht. 278 Leible/Schröder, in: Streinz, Art. 114 AEUV Rn. 18. 279 Grigoleit, AcP 210 (2010), S. 354 (366); Leible/Schröder, in: Streinz, Art. 114 AEUV Rn. 5. 280 Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (555 f.). 281 Dieser Frage wird im 5. Kapitel der Arbeit nachgegangen. 274

II. Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG

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Art. 114 Abs. 1 AEUV nicht besteht.282 Diese Überlegung ergibt sich auch bereits daraus, dass Art. 114 AEUV generell subsidiär gegenüber speziellen Kompetenzgrundlagen, wie z. B. Art. 53 AEUV, ist. Sie ist nach dem Wortlaut des Art. 114 Abs. 1 S. 1 AEUV nur anzuwenden „soweit in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist“. Eine allgemeine Kompetenz zur Regelung des Binnenmarktes lässt sich dieser Norm daher nicht entnehmen.283 Zudem wurde sowohl der Erlass der MiFID I als auch der Erlass der MiFID II nicht auf Art. 114 Abs. 1 AEUV gestützt. Dadurch wird auch deutlich, dass gerade keine privatrechtliche Regelung der Wohlverhaltenspflichten beabsichtigt war. Denn Art. 114 Abs. 1 AUEV gilt als die wichtigste Kompetenzgrundlage für die Rechtssetzung im allgemeinen Privatrecht, wobei die Vertragsrechtsvereinheitlichung das Hauptziel sein muss.284 Hiervon kann jedoch bei den Wohlverhaltenspflichten nicht die Rede sein. Auch greift als Ergänzung keine Annexkompetenz, da diese nur anzunehmen ist, wenn durch sie unerlässlich eine explizite Kompetenz, die faktisch außer Kraft gesetzt wird, verwirklicht werden soll.285 Das ist jedoch im Bereich des privaten Anlegerschutzes gerade nicht der Fall und der bloße Wunsch, das Zivilrecht für die Durchsetzung der Wohlverhaltenspflichten fruchtbar zu machen, genügt nicht, um eine Unionskompetenz zu begründen.286 Abschließend ist festzuhalten, dass sich auch keine „Kompetenz-Kompetenz“ über Art. 352 Abs. 1 AEUV begründen lässt, weil diese Vorschrift nur herangezogen werden kann, wenn explizite oder implizite Unionsbefugnisse fehlen.287 e) Zwischenergebnis Abschließend bleibt festzuhalten, dass es sich - ohne die einzelnen Argumente noch einmal zu wiederholen – sowohl bei den §§ 63 ff. WpHG als auch bei den §§ 31 ff. WpHG a. F. um Aufsichtsrecht und damit öffentliches Recht handelt bzw. handelte. Denn wie im 4. und 5. Kapitel noch zu zeigen sein wird, ist eine solche Vermengung und Doppelung des Pflichtenkanons für die Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht erforderlich. Das Vertragsrecht hält insbesondere im Rahmen des Zuwendungskonflikts ausreichende Regelungsmechanismen bereit. Insbesondere durch die Annahme einer Ausstrahlungswirkung droht die Gefahr, dass die zivilrechtlichen Vorschriften und somit die Rechtsprechung des BGH obsolet werden. Auch genügt das Argument, es wäre doch doppelte Arbeit die gleichen 282

Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (556). So Riesenhuber, EU-Vertragsrecht, § 3 Rn. 11; anderer Auffassung unter einem weitergehenden Verständnis wohl Leible/Schröder, in: Streinz, Art. 114 AEUV Rn. 6. 284 Classen, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 114 AEUV Rn. 8, 13, 16; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, § 3 Rn. 16 f.; Herresthal, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privatund Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 30; Riesenhuber, EU-Vertragsrecht, § 3 Rn. 4, 10. 285 Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (557). 286 So auch Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (557). 287 Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (559). 283

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

Pflichten doppelt zu regeln – nämlich einmal im BGB und dann im WpHG – nicht, um eine zivilrechtliche Wirkung der Wohlverhaltenspflichten anzunehmen.

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Kunden Die Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG stehen als reines Aufsichtsrecht und damit öffentliches Recht neben den vertragsrechtlichen Pflichten aus dem Geschäftsbesorgungs-, Kommissions-, Kaufvertrags- und Treuhandrecht. Dieses vertragsrechtliche Pflichtengefüge bildet die Grundlage für einen Schadensersatzanspruch des Anlegers gegen das Wertpapierdienstleistungsunternehmen entweder gemäß § 280 Abs. 1 BGB direkt oder im Wege der Culpa in contrahendo gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB. Zwar gibt es eine klare Trennung zwischen den aufsichtsrechtlichen Pflichten der §§ 63 ff. WpHG und dem vertragsrechtlichen Pflichtenkanon im Rahmen der Kapitalanlageberatung, dennoch ist fraglich, ob und wenn ja, wie und wie weit die §§ 63 ff. WpHG auf das Vertragsrecht rechtlich „ausstrahlen“ und so auf dieses einwirken können. Es wurde seit jeher versucht, die gesetzlich nahezu kaum geregelten und überwiegend durch die Rechtsprechung entwickelten zivilrechtlichen Informationspflichten der Banken durch die aufsichtsrechtlichen Informationspflichten des WpHG näher zu konkretisieren.288 Angestrebt wird dadurch eine Präzisierung des Vertragsrechts durch Regulierungsrecht.289 Denn die vertragsrechtlichen Pflichten im Bank- und Kapitalmarktrecht stehen in einem Spannungsverhältnis zum aufsichtsrechtlichen Regulierungsrecht, geprägt durch das Leitbild einer gegenseitigen Verstärkung von klassischem Privatrecht und Regulierung als gegenseitige Auffangordnungen.290 Ob dies der einzig mögliche Weg ist, um einen effektiven Anlegerschutz zu gewährleisten, wird im Folgenden näher untersucht und einer Lösung zugeführt. Denn beide Regelungsmaterien weisen ohnehin einen Gleichlauf des Pflichtenrahmens auf und eine absolute Deckungsgleichheit wäre aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzung von öffentlichem Recht und Privatrecht auch nicht zwingend notwendig.291 Zunächst erfolgt eine kurze Darstellung des allgemeinen Spannungsverhältnisses zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht. Darauf aufbauend werden drei Be288 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 80, 83 – 85; Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (56). 289 Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (56). 290 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, 2. Teil, 1. Abschnitt, Rn. 6. 291 So Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (59 f.).

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

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gründungsansätze für einen möglichen Einfluss der aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltenspflichten auf das vertragsrechtliche Pflichtengefüge in den Blick genommen, auf ihre Stichhaltigkeit überprüft und abschließend bewertet.

1. Spannungsverhältnis zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht Ein langer Entwicklungsprozess hat zur Zweiteilung des objektiven Rechts in öffentliches Recht und Privatrecht geführt.292 Diese Entwicklung beruht vorrangig darauf, dass die Sonderstellung des öffentlichen Rechts die Macht des souveränen Führerstaates gegen den widerstrebenden Adel absichern und später gegen das liberale Bürgertum abschirmen sollte.293 So wurde das öffentliche Recht zum Recht des Zwanges, welches unentbehrlich ist, aber eine Beschränkung auf die Dienerrolle erfährt.294 Die Entwicklung des autonomen Privatrechts, als Recht der Freiheit, bezweckte, aus dem absoluten Machtbereich des absoluten Staates heraus einen Freiraum für die bürgerliche Gesellschaft zu schaffen.295 Beide Teilrechtsordnungen tragen zu einer an die Verfassung gebundenen Ordnung durch Recht bei. Bezogen auf das Kapitalmarktrecht zielen beide Rechtsordnungen direkt oder indirekt auf die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes ab, verfolgen dabei jedoch unterschiedliche Zwischenziele und unterscheiden sich in ihren Steuerungsinstrumenten voneinander.296 Denn dem Aufsichtsrecht wohnt eine präventive Steuerungskomponente inne, wohingegen das Privatrecht vorrangig reagiert und die einzelnen Rechtspositionen im Nachhinein über Haftungs- und Entschädigungsansprüche schützt.297 Daran wird deutlich, dass das Aufsichtsrecht am Markt ausgerichtet ist und an typisierte Gefahren für den Markt anknüpft, wohingegen das Privatrecht individuelle Rechte einräumt und diese mit individuellen Pflichten in Ausgleich bringt.298 Das Zivilrecht ist aufgrund des dispositiven Rechtsrahmens und seiner Ausrichtung auf die Einzelfallgerechtigkeit mithin flexibler als das Aufsichtsrecht.299 292 Ausführliche Darstellung bei Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 16 – 74; Bullinger, in: FS Rittner, S. 69 (70 – 78); Grimm, in: FS Coing, S. 224 (238); Stolleis, Gechichte des öffentlichen Rechts – Zweiter Band, S. 51 – 53. 293 Grimm, in: FS Coing, S. 224 (238). 294 Grimm, in: FS Coing, S. 224 (239). 295 Grimm, in: FS Coing, S. 224 (238 f.). 296 Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (57). 297 Maume, ZHR 180 (2016), S. 358 (363 f.); Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (58). 298 Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (58 f.). 299 Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (59).

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

Privatrecht und öffentliches Recht unterscheiden sich insbesondere vor dem Hintergrund der Europäisierung des Rechts lediglich in ihrer Durchsetzungsform, hinsichtlich ihres Regelungsgehaltes auf der Tatbestandsebene gibt es jedoch deutliche Überschneidungen.300 Das führt dazu, dass Vertragsrecht als Gestaltungsrecht in der Form zu verstehen ist, dass die regulierenden Teile, die eher dem öffentlichen Recht entspringen, mitzudenken sind und so eine privatautonome Gestaltungsmacht und ihre Ordnungsrahmen als Kern des Privatrechts anzusehen sind.301 Dies führt dazu, dass die Grenze zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht fließend verlaufen und nicht scharf voneinander zu trennen sind. Das Privatrecht ist demnach zum einen von der Privat- und Parteiautonomie sowie von der Regulierung, die ihre Funktionsbedingungen enthält, her zu konzipieren.302 An dieser Zweiteilung wurde insbesondere schon von Bullinger303 erhebliche Kritik geübt, der vor allem im Rahmen seiner historischen Untersuchung herausarbeitete, dass das ius publicum und ius privatum im 16./17. Jahrhundert keine in sich abgeschlossenen und sich gegenseitig ausschließenden Rechtsbereiche waren, sich dies noch im 18. Jahrhundert fortsetzte und sich erst im 19. Jahrhundert eine Zweiteilung verfestigte die mittlerweile als selbstverständlich angesehen und hingenommen werde.304 Die Lösung Bullingers, dieses Spannungsverhältnis im Wege eines differenzierten Gemeinrechts aufzulösen, welches die Gemeinsamkeiten sichtbar macht und als allgemeines Recht des staatlichen Gemeinwesens für Rechtsverhältnisse nicht zwischen den beteiligten Subjekten zu differenzieren,305 überzeugt jedoch nicht. Denn die Rechtsrealität und die damit einhergehende Komplexität des Gesellschafts- und Wirtschaftslebens verdeutlicht wie wichtig diese Zweiteilung sowohl aus materiell-rechtlicher als auch prozessualer Sicht ist. Denn wie Grimm306 kurz und prägnant hervorhebt, stand hinter der Errichtung autonomen Privatrechts die Absicht, aus dem Machtbereich des absoluten Staates einen Freiraum für die bürgerliche Gesellschaft zu schaffen. Die beherrschende Rechtsfigur der Privatautonomie und die damit einhergehenden überwiegend dispositiven zivilrechtlichen Normen ermöglichen eine flexiblere Gestaltung der ökonomischen Verhältnisse und Prozesse, insbesondere bei der Interaktion der einzelnen Privat-

300

Grundmann, in: FS Hopt, S. 61 (66). Grundmann, in: FS Hopt, S. 61 (72 – 75). 302 Grundmann, in: FS Hopt, S. 61 (90). 303 Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 12, 21, 29 f., 32, 36; Bullinger, in: FS Rittner, S. 69 (70 – 72). 304 Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 76; Bullinger, in: FS Rittner, S. 69 (70). 305 Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 80 – 106, 112; dies vertritt Bullinger, in: FS Rittner, S. 69 (81 – 89) in abgeschwächter Form in Bezug auf die materiell-rechtliche Einordnung weiterhin, wobei er aufgrund der Rechtswirklichkeit einräumt, dass im Rahmen einer Rechtswegbestimmung eine Entscheidung erfolgen müsse. 306 Grimm, in: FS Coing, S. 224 (238). 301

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

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rechtssubjekte.307 So ist die Regulierung durch öffentliches Recht immer dann geboten, wenn über den Schutz und die Integration von Gruppeninteressen hinaus, Gemeinwohlinteressen eine besondere Rolle spielen.308 Die Gemeinwohlinteressen können von Privatrechtssubjekten, die ihre Beziehung untereinander zu ihrem bestmöglichen Vorteil regeln wollen, in ihre Abwägung gar nicht mit einbezogen werden. Das ist faktisch schon nicht möglich, weil diese in ihrer Gesamtheit gar nicht überblickt werden können. Dieser Gedanke ist im Rahmen möglicher rechtlicher Einflüsse bzw. Einwirkungen der Wohlverhaltenspflichten auf das Zivilrecht im Allgemeinen und die Vertragsbeziehung im Besonderen zu berücksichtigen. Die Wohlverhaltenspflichten, wie bereits oben unter Punkt I. und II. 2. ausführlich erörtert, sollen durch für alle Wertpapierdienstleistungen einheitlich festgelegte und geltende Pflichten nicht nur den individuellen Schutz der Anleger fördern, sondern auch den Funktionsschutz der Kapitalmärkte, welcher vor allem Gemeinwohlinteressen berücksichtigt und nicht nur auf die konkrete Vertragsbeziehung abstellt. Trotz der aufsichtsrechtlichen, d. h. öffentlich-rechtlichen, Qualifikation der Wohlverhaltenspflichten bleibt dennoch eine Frage zu klären: Inwiefern ist eine Einwirkung öffentlich-rechtlicher Normen auf die Vertragsbeziehung entweder im Wege der „Einheit der Rechtsordnung“ oder durch eine sog. „Ausstrahlungswirkung“ möglich? Öffentliches und privates Recht können durchaus als sich wechselseitig stützende und ergänzende „Auffangordnungen“ verstanden werden; danach können Steuerungsschwächen der einen Teilrechtsordnung durch Steuerungsmöglichkeiten der anderen durch einen Rückgriff auf Gestaltungselemente der jeweils anderen ausgeglichen werden.309 Dieser Rückgriff kann durch eine Rezeption der Gedanken der einen in die andere Teilrechtsordnung oder durch eine entsprechende Verweisung erfolgen, um so die Verbindung und den Austausch dieser Grundprinzipien und Gedanken zu ermöglichen.310 Bei der nachfolgenden Untersuchung der Einflussmöglichkeiten des öffentlichen Rechts auf das Privatrecht sind vor allem die verschiedenen Funktionen der jeweiligen Rechtsgebiete im Blick zu behalten. Dabei sind die Stabilisierungs- und Vorklärungsfunktion sowie die Droh- und Durchsetzungsfunktion des öffentlichen Rechts auf der einen Seite und die Fein- und Nachsteuerungsfunktion sowie die Flexibilisierungs- und Integrationsfunktion des Privatrechts auf der anderen Seite im Blick zu behalten.

307 Raiser, Die Zukunft des Privatrechts, 1971; Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann (Hg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 7 (16); Steindorff, in: FS Raiser, S. 621 (625 – 631). 308 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 7 (18); Steindorff, in: FS Raiser, S. 621 (630 f.). 309 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 7 (8, 10). 310 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 7 (9, 23).

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

2. Einbeziehung der Wohlverhaltenspflichten aufgrund der Notwendigkeit der „Einheit der Rechtsordnung“ Zunächst ist zu klären, ob das Rechtsprinzip der „Einheit der Rechtsordnung“ herangezogen werden kann, um eine unmittelbar rechtliche Einwirkung der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung herzustellen. Die „Einheit der Rechtsordnung“ ist ein schillerndes Prinzip und wird häufig dann herangezogen, wenn gefühlt eine dogmatische Begründung des gewollten Ergebnisses nicht mehr möglich ist und Widersprüche bzw. Konflikte zwischen einzelnen (Teil-)Rechtsgebieten aufzulösen sind. K. Schmidt311 hat dies wunderschön auf den Punkt gebracht, indem er schrieb, dass „Die Einheit der Rechtsordnung“ zu einer Redensart zu verkommen drohe und häufig und vorbehaltlos zitiert werde ohne tatsächlich Bezug auf Engischs Werk „Die Einheit der Rechtsordnung“ aus dem Jahr 1935 zu nehmen. Was unter dem Rechtsprinzip „Einheit der Rechtsordnung“ zu verstehen ist und ob dies im Rahmen der Diskussion über die zivilrechtlichen Auswirkungen der Wohlverhaltenspflichten überhaupt fruchtbar gemacht werden kann, wird im Folgenden kurz erörtert. Dieser Abschnitt kann keine ausführliche Untersuchung zum Thema Systemdenken, Systembegriff und Systembildungen im Recht vornehmen.312 Hier werden der Vollständigkeit halber kurz der Begriff „Einheit der Rechtsordnung“ sowie seine wesentlichen Implikationen aufgezeigt und erörtert, warum dieses im Ergebnis doch nicht für einen Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf das vertragsrechtliche Pflichtenregime fruchtbar gemacht werden kann. Der Begriff der „Einheit der Rechtsordnung“ wird nach der herrschenden Auffassung als Widerspruchsfreiheit der Gesamtrechtsordnung verstanden.313 Es wird gerade keine Lückenlosigkeit oder Geschlossenheit der Gesamtrechtsordnung gefordert.314 Zu den zu vermeidenden Widersprüchen zählen Normwidersprüche, Wertungswidersprüche, teleologische Widersprüche und Prinzipienwidersprüche.315 Das Prinzip leitet sich aus zwei fundamentalen Gerechtigkeitspostulaten, dem der Gleichheit und der Gerechtigkeit, ab.316 Hervorzuheben ist, dass sich die Widerspruchsfreiheit der Gesamtrechtsordnung auf die „innere“ Ordnung bezieht, welche nicht in eine Vielzahl unzusammenhängender Einzelheiten zerfallen darf.317 Daraus 311 Schmidt, in: Schmidt (Hg.), Einheit der Rechtsordnung – Realität? Aufgabe? Illusion?, S. 9 (9); so auch Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 5 – 9. 312 Vgl. hierzu die Werke von Burckhardt, Methode und System des Rechts, 1935; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz entwickelt am Beispiel des deutschen Privatrechts, 1969; Peine, Das Recht als System, 1983. 313 Grundlegend dazu Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 26 f., 67 f.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 16 f.; Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 142 f.; Schmidt, in: Schmidt (Hg.), Einheit der Rechtsordnung – Realität? Aufgabe? Illusion?, S. 9 (24). 314 Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 143. 315 Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 68. 316 Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 43 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 16 – 18; März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Band 3 Art. 31 Rn. 11 – 18. 317 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 12.

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

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folgt nach Canaris318, dass sich die Gesamtrechtsordnung auf wenige tragende Grundprinzipien zurückführen lassen müsse. Dies verdeutlicht schon, angelehnt an das von Engisch geschaffene systematisch-rechtsphilosophische Prinzip, dass das Recht einerseits als systematische Rechtswissenschaft auf der Erkenntnisseite und andererseits als bruchlos geschlossene Sollensordnung auf der Gegenstandsseite angelegt sei.319 Bei Engisch wird gleich zu Beginn seiner Abhandlung deutlich, dass die „Einheit der Rechtsordnung“ nicht mit der Einheit eines bestimmten rechtswissenschaftlichen Systems zu verwechseln sei; also die Erkenntnisseite, welche die innere und äußere Ordnung rechtswissenschaftlicher Urteile betreffe.320 Die eigentliche „Einheit der Rechtsordnung“ betreffe eben gerade die in der Rechtsordnung zusammengeschlossenen Sollenssätze.321 Die „Einheit der Rechtsordnung“ sei demnach eine einfache regulative Idee bzw. das Produkt ganz bestimmter juristischer Methoden.322 Eine Einheit des Rechts lässt sich nicht allein daran festmachen, dass das Recht als ein fester ungeteilter Block zur Verfügung steht. Denn es gibt denkbar viele und unterschiedliche Gesetzessammlungen, die in sich geschlossen und geordnet sind und auch nebeneinander stehen. Es soll gerade kein „Einheitsbrei“, sondern auf die einzelnen unterschiedlichen Lebensbereiche und Lebenssituationen angepasst sein. Daraus lässt sich, wie Schmidt323 deutlich macht, auch eine Ordnung und somit eine Rechtsordnung erkennen, die zudem praxisnäher und moderner ist. Es gehe im Ergebnis nicht darum Zielkonflikte zu leugnen, sondern um eine widerspruchsfreie Auflösung dieser.324 Dabei ist das Ziel, die innere Einheit und wertungsmäßige Folgerichtigkeit der Rechtsordnung zu erreichen.325 Das bedeutet jedoch gerade nicht, dass die Auflösung so zu erfolgen hat, dass das eine Rechtsgebiet in das andere hineinwirken muss. Es kann auch im Rahmen des jeweiligen Teilgebietes eine Lösung mit seiner jeweiligen Systematik und den ihm innewohnenden Schutzzwecken ermittelt werden. Bei Engisch326 steht zur Auflösung dieser Zielkonflikte die subjektiv-teleologische Auslegungsmethode im Vordergrund. Es ist zum einen nach dem Willen des Gesetzgebers vor dem Hintergrund des Sinn und

318

Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 13, 17. Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 2 f., 7 – 12; dem folgend Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 16 – 18; schöne Zusammenfassung bei Schmidt, in: Schmidt (Hg.), Einheit der Rechtsordnung – Realität? Aufgabe? Illusion?, S. 9 (10). 320 Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 2. 321 Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 2. 322 Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 3; dem folgend Schmidt, in: Schmidt (Hg.), Einheit der Rechtsordnung – Realität? Aufgabe? Illusion?, S. 9 (28); so auch Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 13 – 15. 323 Schmidt, in: Schmidt (Hg.), Einheit der Rechtsordnung – Realität? Aufgabe? Illusion?, S. 9 (11 f.). 324 Schmidt, in: Schmidt (Hg.), Einheit der Rechtsordnung – Realität? Aufgabe? Illusion?, S. 9 (25). 325 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 18, 97 – 100. 326 Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 70 – 73. 319

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

Zweckes der in Rede stehenden Regelungen zu fragen, dabei ist jedoch auch der Zusammenhang der Normen zu berücksichtigen.327 Demnach ist das Argument, bei einer zivilrechtlichen Qualifikation oder zumindest rechtlichen Ausstrahlungswirkung der Wohlverhaltenspflichten auf das Zivilrecht würden die vorhanden Wertungswiedersprüche bei der Sanktionierung eines Verstoßes gegen die §§ 63 ff. WpHG aufgelöst werden,328 nicht stichhaltig.329 Ein pauschaler Hinweis auf die zu beachtende Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ist gerade nicht ausreichend und erscheint zudem zweifelhaft, weil gerade kein Widerspruch zwischen den öffentlich-rechtlichen, zivilrechtlichen und strafrechtlichen Ge- und Verboten zu erkennen ist und somit weder materiellrechtliche noch prozessuale Wertungswidersprüche bestehen, die anzugleichen wären. Zum einen decken sich die normierten Pflichten in §§ 63 ff. WpHG und die Pflichten aus den verschiedenen vertragsrechtlichen Verbindungen zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Kunden inhaltlich.330 Zum anderen entsteht durch diese zwei verschiedenen Sanktionsmechanismen, aufsichtsrechtliche Eingriffsbefugnisse und Maßnahmen der BaFin, und den vertraglichen Haftungsansprüchen der Anleger kein Widerspruch innerhalb der Rechtsordnung, solange diese in ihrem Rechtsbereich widerspruchsfrei mit den ihnen zustehenden rechtlichen Maßstäben die Entscheidungen treffen. So ist es nicht ungewöhnlich, dass es in unserer Rechtsordnung eine Parallelität verschiedener Sanktionsmechanismen gibt, wie dies häufig im Strafrecht und Zivilrecht, z. B. bei einem vorsätzlichen Betrug gemäß § 263 StGB, der Fall ist. Dieser wird zum einen strafrechtlich sanktioniert, aber kann auch zivilrechtliche Sanktionen gemäß § 826 BGB nach sich ziehen. So ist es durchaus möglich, dass Regelungen im öffentlichen Recht zudem auch eine höhere Regelungsdichte aufweisen können und durchaus auch weitergehende Pflichten normieren, ohne dabei im Widerspruch zum Zivilrecht zu stehen.331 Natürlich mag man in diesem Zusammenhang die Trennung von öffentlichem Recht und Privatrecht als Fehlentwicklung infrage stellen, wobei diese jedoch auf unterschiedliche allgemeine Lehren sowie der Historie aufbauen.332 Vor diesem Hintergrund ist gerade keine Identität von öffentlichem Recht und Privatrecht anzustreben und auch nicht zielführend. Denn das öffentliche Recht und das Privatrecht haben unterschiedliche Regulierungsansätze und dienen unterschiedlichen Zielen. Es ist 327 328

S. 83. 329

Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 70 – 72. Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 80 f.; Wieneke, Discount-Broking,

Wieneke, Discount-Broking, S. 90 f. Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 104; Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/HGB, Bd. 2 BankR VI Rn. 196; Wieneke, Discount-Broking, S. 91. 331 Wieneke, Discount-Broking, S. 90; denn es besteht gerade keine Normkollision zwischen Aufsichtsrecht und Zivilrecht, diese wäre jedoch notwendig, so etwa Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 147, 153. 332 Vgl. hierzu die Ausführungen unter III. 1. und so auch Schmidt, in: Schmidt (Hg.), Einheit der Rechtsordnung – Realität? Aufgabe? Illusion?, S. 9 (12). 330

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

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natürlich zu beachten, dass innerhalb der Rechtsordnung ein Verhalten oder ein Zustand nach den gleichen Maßstäben rechtlich zu bewerten ist.333 Es bleibt natürlich die Frage, ob und inwieweit eine Teilrechtsordnung der anderen folgen kann und soll; hier die aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltenspflichten im Verhältnis zu den vertraglichen Verhaltenspflichten und umgekehrt. Dies lässt sich jedoch nicht mit dem Postulat von der „Einheit der Rechtsordnung“ klären. Zudem lässt sich ein Widerspruch zwischen den aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltenspflichten und den vertragsrechtlichen Verhaltenspflichten aus Geschäftsbesorgung, Kommission und Treuhandvertrag nicht erkennen. Es sind lediglich die Rechtsfolgen, die nach dem Aufsichtsrecht im öffentlichen Interesse von Bußgeldern und Strafen geprägt sind und im Zivilrecht von Schadensersatzansprüchen. Die unterschiedlichen Durchsetzungsformen lassen jedoch auch die Trennung von Privatrecht und öffentlichem Recht nicht obsolet werden. Das Pflichtenkorsett ist nicht widersprüchlich, sondern nahezu kongruent, mit einzelnen Abweichungen hier und dort, wie im 4. Kapitel noch zu zeigen sein wird. So hat auch schon Engisch334 deutlich gemacht, dass „die Kluft zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht auch an dieser Stelle überbrückt werden soll, so darf man sich jedoch nicht mit einem solchen Dogma den Weg zu den gebotenen Konsequenzen verlegen“. Richtig ist nur (mit Bezug auf die Analogie), dass Rechtsinhalte und Prinzipien die für das „Privatrecht“ gelten, nicht unbesehen für ungelöste Fragen des „öffentlichen Rechts“ (und umgekehrt) verwertet werden dürfen, sondern dass von Fall zu Fall zu prüfen ist, ob Rechtsähnlichkeit vorliegt oder nicht. Engisch335 führt auch weiter aus, dass vermeintliche Wertungswidersprüche ganz klar hingenommen werden müssen, weil der Gesetzeswortlaut klar und deutlich sei und es auch nicht zu einer gegenseitigen Aufhebung der im Wertungswiderspruch stehenden Normen komme. Im Ergebnis wird bei der Anwendung des Grundsatzes „Einheit der Rechtsordnung“ häufig verkannt336, dass es sich um einen übergeordneten allgemeinen Rechtsgrundsatz handelt, der vor allem aus verfassungsrechtlicher bzw. staatsrechtlicher Perspektive bezogen auf die gesamte Rechtsordnung Relevanz beansprucht.337 Diese soll an sich nicht widersprüchlich sein und vor allem methodisch auf gemeinsame Grund- und Rechtsprinzipien aufbauen; dies auch vor dem Hintergrund der Gewährleistung von Rechtssicherheit, welche ebenfalls zur Ausbildung eines inneren Systems beiträgt.338 Im Ergebnis soll jedoch nicht jede Diskrepanz oder jeder Unterschied zwischen dem öffentlichen Recht und dem Zivilrecht ausgeräumt 333

Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 162. Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 76 f. 335 Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 43, 84. 336 So etwa Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 79 – 81. 337 Vgl. hierzu vor allem aus historischer Perspektive die Monografie von Baldus, Die Einheit der Rechtsordnung, 1995; so aber auch Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 9 – 12, S. 399 – 405. 338 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 17 f. 334

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

werden. Es ist nun einmal Fakt, dass diese verschiedenen Regelungszielen unterfallen sowie verschiedene Schutzrichtungen und Regulierungsansätze aufweisen. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung kann folglich im Rahmen der Diskussion um einen möglichen Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf das Zivilrecht aus den oben genannten Gründen nicht fruchtbar gemacht werden.

3. „Ausstrahlungswirkung“ der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehungen Zunächst ist zu klären, was genau eine sog. „Ausstrahlungswirkung“ bedeutet und begrifflich umfasst. Die Vertreter der Ausstrahlungswirkung339 befürworten in der Regel eine faktische bzw. rechtliche Ausstrahlung, die entweder mittelbare oder unmittelbare Auswirkungen auf das vertragsrechtliche Pflichtengefüge zur Folge hat, indem die öffentlich-rechtlichen Normen der §§ 63 ff. WpHG den Umfang und Inhalt der vertraglich geschuldeten Pflichten mit beeinflussen, diese jedoch nicht abschließend inhaltlich festlegen340 oder nicht über das zivilrechtliche Pflichtenniveau hinausgehen dürfen341. Den Wohlverhaltenspflichten wird dogmatisch eine rechtliche Ausstrahlung in der Form zugesprochen, dass sie den Rechtsanwender bei 339 Binder, in: Gebauer/Wiedmann (Hg.), Europäisches Zivilrecht, Kapitel 24, Rn. 76; ausführlich Assmann, in: FS Schneider, S. 37 – 55; Assmann, ZBB 2008, S. 21 (30); Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute, S. 185; Seiler/Geier, in: Ellenberger/ Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 101; Walz, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 18; Bernau, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 56 Rn. 59; Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 142 – 144; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 79, 81 ff.; Just, in: Just/Voß/Ritz et al., Vor §§ 31 – 37a Rn. 28; Günther, MDR 2014, S. 61 (64 f.); Harnos, BKR 2014, S. 1 (3, 6); Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (306); Herresthal, ZBB 2009, S. 348 (350 f., 353); Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 3 Rn. 61; Koch, ZBB 2014, S. 211 (214); Lieder, LMK 2013, 349404; Horn, WM 1999, S. 1 (5); Horn, ZBB 1997, S. 139 (149 f.); Balzer, ZBB 1997, S. 260 (261 f.); Gaßner/Escher, WM 1997, S. 93 (94); Köndgen, ZBB 1996, S. 361 (361); Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute, S. 184 – 188; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 157 – 161; Möllers/Ganten, ZGR 1998, S. 773 (806 f.); Wieneke, Discount-Broking, S. 88 – 96; Schulte-Frohlinde, Art. 11 Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, S. 81; Balzer, Vermögensverwaltung durch Kreditinstitute, S. 154 f.; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 853; Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 32 f.; Podewils, jurisPR-BKR 1/2014, Anm. 1; Nobbe, BKR 2011, S. 302 (304); Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung, Rn. 109; Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (61 f., 70 – 73); ders., in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 13.3; Rothenhöfer, in: Schwark/Zimmer, KMRK, Vor §§ 63 ff. Rn. 13; Koch/Harnos, in: Schwark/ Zimmer, KMRK, § 70 WpHG, Rn. 112; Weller, ZBB 2011, S. 191 (193); Zimmermann, GPR 2008, S. 38 (44); und frühere Rechtsprechung: BGH, Urt. v. 8. 5. 2001 – XI ZR 192/00, NJW 2002, 62 (63); BGH, Urt. v. 5. Oktober 1999 – XI ZR 296/98, ZIP 1999, 1915 (1918); OLG München, Urt. v. 14. Februar 2000 – 17 U 4798/99, ZIP 2001, 1492 (1494). 340 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 81; Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (306). 341 Podewils, jurisPR-BKR 1/2014, Anm. 1; Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 33; Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (306).

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

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der Ableitung konkreter Pflichten aus abstrakten Prinzipien wie dem Vertrauensprinzip im Bankgeschäft, dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB, der kommissionsrechtlichen Interessenwahrungspflicht aus § 384 HGB sowie den vorvertraglichen Pflichten aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB unterstützen.342 Ein Vorteil der Annahme einer Ausstrahlungswirkung besteht darin, dass sich aufsichtsrechtliche und privatrechtliche Verhaltensstandards nicht gegenläufig entwickeln, sondern aufeinander abgestimmt bleiben, auch wenn sie nicht vollständig übereinstimmen.343 Denn sie würden so vertragliche oder quasivertragliche Verhaltenspflichten von Marktintermediären näher konkretisieren.344 Die Konkretisierungswirkung der Wohlverhaltenspflichten folge aus der engen inhaltlichen Beziehung zu den Schutz- und Fürsorgepflichten aus dem Auftrags- und Kommissionsrecht und so zu einer inhaltlichen Wiederholung des Pflichtenprogramms komme und somit als Erkenntnisquelle herangezogen werden könnte.345 Dadurch komme es mittelbar zu einer Verbesserung des Anlegerschutzes, weil die Rechtsfortbildung sowohl den Zivilgerichten als auch der Aufsichtsbehörde obliegt, die als zwei unabhängige Institutionen aus unterschiedlichen Blickwinkeln, dem institutionellen und dem individuellen Anlegerschutz, den gleichen Lebenssachverhalt in den Blick nehmen und sich bei der Würdigung desselben gegenseitig befruchten und ergänzen könnten.346 Es empfehle sich zudem, den oder die Anleger als private Kläger gegen Pflichtverstöße der Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu gewinnen, weil diese, im Gegensatz zu bloßen Stichproben durch die Aufsichtsbehörde, besser in der Lage seien einen Verstoß aufzudecken.347 Darüber hinaus wird argumentiert, dass das Auseinanderfallen von aufsichtsrechtlichen und zivilrechtlichen Verhaltensstandards zu einer großen Rechtsunsicherheit und damit zu unnötigen Rechtsrisiken führe.348 Hiergegen wendet Rothenhöfer jedoch selbst ein, dass so auch die Gefahr der Rechtsunsicherheit bestehe, weil dieselben Pflichten zivilrechtlich und aufsichtsrechtlich unterschiedlich verstanden und interpretiert werden können.349

342

Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 101; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 81; Binder, in: Gebauer/Wiedmann (Hg.), Europäisches Zivilrecht, Kapitel 24, Rn. 76: Köndgen, ZBB 1996, S. 361 (361); Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (71). 343 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 82 f.; Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/ Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (59, 71 f.). 344 Binder, in: Gebauer/Wiedmann (Hg.), Europäisches Zivilrecht, Kapitel 24, Rn. 76; Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute, S. 188 f.; Weller, ZBB 2011, S. 191 (193). 345 Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute, S. 188 f. 346 Maume, ZHR 180 (2016), S. 358 (364 f.); Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (71). 347 Köndgen, ZBB 1996, S. 361 (361). 348 Bernau, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 56 Rn. 59. 349 Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (71).

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

Zudem wendet Fuchs350 richtig ein, dass eine Konkretisierung vertraglicher und vorvertraglicher Pflichten nur im Wege einer unabhängigen Einzelfallprüfung durch die Zivilgerichte erfolgen könne. Es bestehe gerade keine rechtliche Bindung der Zivilgerichte an die §§ 63 ff. WpHG, sodass der Inhalt der zivilrechtlichen Verhaltenspflichten durch Auslegung des Vertrages unter Heranziehung von allgemein definierten Standards, wie zum Beispiel der Verkehrssitte, des Handelsbrauchs oder dem Grundsatz von Treu und Glauben bestimmt werde.351 Somit sei selbstverständlich eine Abweichung der zivilrechtlichen Verhaltensstandards von den Standards der Wohlverhaltenspflichten möglich, die sowohl im Sinne einer Verschärfung als auch im Sinne einer Verminderung der Verhaltensanforderungen bestehen könne.352 Auch wenn Rothenhöfer eine Ausstrahlungswirkung nicht pauschal anerkennt und ebenfalls eine Einzelfallprüfung für erforderlich hält, so geht er doch davon aus, dass die §§ 31 ff. WpHG a. F. dann auf das Vertragsverhältnis einwirken, „wenn sie die Interessenwahrungspflicht weiter als das Zivilrecht konkretisieren und diese Konkretisierung nicht der Interessenwahrungspflicht widerspreche“353. In diesem Zusammenhang kann es durchaus nützlich sein, durch einen Rückgriff auf die Steuerungselemente des Aufsichtsrechts die Steuerungsdefizite des Privatrechts zu beseitigen und so die eine Teilrechtsordnung für die andere Teilrechtsordnung fruchtbar zu machen354 und zwar in der Form, dass zum Beispiel die verwaltungsrechtliche Kontrolle durch private Haftungsansprüche ergänzt wird.355 Denn beide Teilrechtsordnungen, Aufsichtsrecht und Privatrecht, stehen nicht statisch und isoliert nebeneinander, sondern können flexibel, interdisziplinär und problemorientiert regulierend eingesetzt werden.356 Rothenhöfer spricht in diesem Zusammenhang von einer flexiblen Kommunikation der beiden Teilrechtsordnungen, durch die Konflikte zwischen Aufsichtsrecht und Zivilrecht vermieden werden können, wenn das Aufsichtsrecht im Zivilrecht nur soweit herangezogen werde, wie dies den Zielen der zivilrechtlichen Haftung und Vertragsauslegung entspreche.357 Auch Maume ist der Auffassung, dass als entscheidender Indikator für die Effizienz und Effektivität eines Rechtsdurchsetzungssystems eine Kombination oder zumindest eine Kombinati350 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 82; so auch Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/ Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (73, 75 f.). 351 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 82; a. A. Zingel/Rieck, BKR 2009, S. 353 (355). 352 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 82. 353 Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (73 ff.); a. A. Tison, in: FS Hopt, S. 2621 (2623 ff.). 354 Maume, ZHR 180 (2016), S. 358 (364 f.); Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (61 f.). 355 Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (61). 356 Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (62). 357 Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (72); so auch Zimmermann, GPR 2008, S. 38 (44).

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

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onsmöglichkeit von öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Durchsetzungsmechanismen bestehen sollte.358 Weil diese Bindung an die Verhaltensregeln im Rechtssinne gerade nicht gegeben ist, bleibt die Frage offen, ob eine tatsächliche bzw. faktische Einwirkung dieser objektiven aufsichtsrechtlichen Mindeststandards auf die Vertragsbeziehung gegeben ist und wie diese gegebenenfalls zivilrechtlich durchsetzbar ist. Dieser Frage wird ausführlich im 5. Kapitel dieser Arbeit nachgegangen. An diesem Punkt ist nur schon einmal vorab ganz kurz und knapp anzumerken, dass, wie von Fuchs bereits hervorgehoben, lediglich eine „Ausstrahlungswirkung“ über einen Filter originär zivilrechtlicher Wertungen eine Konkretisierung des Pflichtenprogramms möglich wäre.359 Diese Bewertung wird auch von dem Urteil des BGH vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 getragen, wonach eine „Ausstrahlungswirkung“ der §§ 31 ff. WpHG a. F., nunmehr §§ 63 ff. WpHG n. F., ausdrücklich und wiederholt abgelehnt wird. Denn in seinem Urteil vom 19. Dezember 2006360 führte der BGH noch aus, dass die §§ 31 ff. WpHG a. F. zwar keine Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB seien, aber für den Inhalt und die Reichweite (vor-)vertraglicher Aufklärungs- und Beratungspflichten im Rahmen eines Anlageberatungsvertrages über die §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB von Bedeutung sein könnten.361 Bei der Beurteilung der Frage, ob die öffentlich-rechtlichen Wohlverhaltenspflichten auf das Zivilrecht und dabei insbesondere auf das Vertragsrecht ausstrahlen, sind weiterhin zwei Problemkomplexe voneinander zu trennen. Zu klären ist zum einen, ob den §§ 31 ff. WpHG a. F. bzw. §§ 63 ff. WpHG n. F. Schutzgesetzcharakter i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB zukommt und zum anderen, ob die §§ 31 ff. WpHG a. F. bzw. §§ 63 ff. WpHG n. F. bei Abschluss der Anlageberatungsverträge auf die Auslegung dieser Verträge ausstrahlen und somit den Empfängerhorizont sowohl des Kunden als auch des Wertpapierdienstleistungsunternehmens maßgeblich und rechtlich (mit-)bestimmen362. Die Beurteilung, ob den §§ 63 ff. WpHG Schutzgesetzcharakter zukommt, hängt dabei dogmatisch nicht mit einer möglichen Ausstrahlungswirkung zusammen. Denn auch öffentlich-rechtliche Normen, wie zum Beispiel solche aus dem Strafgesetzbuch und der Zivilprozessordnung, können trotz ihrer öffentlich-rechtlichen Rechtsnatur Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB darstellen. Daher wird dieser Aspekt erst zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen der Rechtsfolgen einer Verletzung der Wohlverhaltenspflichten im 4. Kapitel erörtert. In Bezug auf das zweite Problem könnte man dies durchaus dem Urteil 358

Maume, ZHR 180 (2016), S. 358 (386). Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 83a. 360 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, S. 226 – 235. 361 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, S. 226 (232). 362 So wohl nach Einsele; BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 (a. a. O.); Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 – 37a Rn. 60; Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung, Rn. 109; Rothenhöfer, in: Schwark/Zimmer, KMRK, Vor §§ 63 ff. WpHG Rn. 12 f.; Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel Rn. 19; Assmann, in: FS Schneider, S. 37 (53). 359

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

des BGH v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 entnehmen, allerdings wird dabei verkannt, dass es hierbei lediglich um das aufsichtsrechtliche Prinzip der „Transparenz“ ging, welches im Rahmen der Anlegererwartung bei der Bestimmung des Inhalts des Beratungsvertrages gem. §§ 133, 157 BGB zu berücksichtigen sei. Dabei geht der BGH jedoch nicht auf die einzelnen Normen konkret ein. Jedoch müsste, wie von Rothenhöfer zutreffend gefordert, für jede Norm des WpHG gesondert die Ausstrahlungswirkung beurteilt werden.363 Der BGH spricht jedoch nur von einem „aufsichtsrechtlichen Transparenzgebot bzw. -grundsatz“ und nicht von einer einzelnen Transparenznorm. Der Schluss, dass aus diesem Urteil eine Ausstrahlungswirkung abzuleiten sei, greift jedoch zu kurz und vermengt zwei Ebenen. Viel deutlicher ist Forschner364 in seiner Arbeit, der von einer sogenannten Inkorporationslösung spricht, bei der die Wohlverhaltenspflichten im Rahmen der Auslegung der Willenserklärungen über §§ 133, 157 BGB relevant würden. Eine Übernahme verwaltungsrechtlicher Wertungsvorgaben ist jedoch allgemein nur dann möglich, sofern diese nach Sinn und Zweck und ihrer Funktion nicht spezifisch verwaltungsrechtlich, sondern über die „Systemgrenzen“ hinweg verallgemeinerungsfähig sind.365 Erforderlich hierfür ist jedoch eine „Rezeptionsgrundlage“366; dabei handelt es sich um eine Norm, die eine gewisse Scharnierwirkung übernimmt, damit eine Verzahnung von öffentlichem Recht und Zivilrecht erfolgen kann. Dazu zählen vor allem die §§ 133, 157, 241 Abs. 2, 242 BGB. Durch die Annahme einer Ausstrahlungswirkung steht eine Lösung der problematischen Fälle, bei denen ausdrücklich oder konkludent von den §§ 63 ff. WpHG abweichende Pflichten zwischen den Vertragsparteien vereinbart werden, noch aus.367 Es bestehe eine Diskrepanz in der Aussage, dass bei der Annahme einer Ausstrahlungswirkung der öffentlich-rechtlichen Wohlverhaltenspflichten die Parteien zum einen unproblematisch weitergehende Pflichten vereinbaren können.368 Zum anderen können im umgekehrten Fall die vereinbarten vertraglichen Pflichten nicht hinter den Wohlverhaltenspflichten, die einen Mindeststandard bei der Durchführung der Beratungsverträge und Effektengeschäfte darstellen, zurückbleiben.369 Dies ist nach Einsele bei der Einordnung der Wohlverhaltenspflichten als öffentlich-rechtliche Normen widersprüchlich, denn es könne bei Zulässigkeit dieser Vereinbarungen nur auf diese vertraglichen Pflichten ankommen und gerade nicht 363 Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (73 ff.). 364 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 142 – 144. 365 Wieneke, Discount-Broking, S. 90 f. 366 Wieneke, Discount-Broking, S. 91. 367 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (246). 368 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel Rn. 14 f.; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 – 37a WpHG Rn. 61, 64; Assmann, in: FS Schneider, S. 37 (53); Ellenberger, in: FS Nobbe, S. 523 (535). 369 Insbes. Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel Rn. 9 f., 18; Ellenberger, in: FS Nobbe, S. 523 (535).

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

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auf das öffentlich-rechtliche Aufsichtsrecht.370 Es könne so gerade nicht gewährleistet werden, dass die Wohlverhaltenspflichten als solche überhaupt gelten, da sie nur in den Fällen gelten, in denen es eine konkludente oder ausdrückliche vertragliche Abrede dahingehend gebe und somit deren Erfüllung davon abhänge, dass sie über das (vor-)vertragliche Schuldverhältnis zwischen dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen und dem Kunden einbezogen werden.371 Dieses Argument greift jedoch nur vor dem Hintergrund durch, dass ein effektiver individueller Anlegerschutz nicht über das Privatrecht oder das Aufsichtsrecht allein sichergestellt werden kann und daher ein Ineinandergreifen beider Gebiete notwendig ist. An diesem Punkt ist bereits festzuhalten und hervorzuheben, dass das Zivilrecht, und insbesondere die allgemeinen Grundsätze zur Haftung für Aufklärungs- und Informationspflichtverletzungen, die effektive Durchsetzung des individuellen Anlegerschutzes sicherstellt und auch sicherstellen kann. Diesbezüglich wird jedoch kritisch angemerkt, dass in der Folge neben einem gesetzlichen aufsichtsrechtlichen Regelungsregime ein ungeschriebenes zivilrechtliches Pflichtenregime bestehen bleibe und den neuen gesetzlichen Regelungen so zuwiderlaufe.372 In letzter Konsequenz bleibe der europäische Gesetzgeber insoweit auf eine freiwillige Transferleistung des deutschen Gesetzgebers angewiesen.373 Die rechtliche Ausstrahlungswirkung trägt zudem nicht zu einer Rechtssicherheit bei. Durch die Annahme einer Ausstrahlungswirkung ist eine größere Flexibilität bei der Ausgestaltung der Tatbestands- und Rechtsfolgenseite gegeben,374 aber dies ermöglicht in gewisser Weise ein „Rosinenpicken“ im Hinblick darauf, welche aufsichtsrechtlichen Pflichten zivilrechtliche Auswirkungen haben und welche nicht. Dies ließe sich dann dogmatisch sehr vielfältig und gegebenenfalls auch widersprüchlich begründen. Das würde wiederum zu einer größeren Rechtsunsicherheit führen und daher wirkt die Figur der Ausstrahlungswirkung aufgrund ihres halbverbindlichen Charakters doch recht unentschlossen oder gar konturenlos.375 Denn es bleibt unklar, was überhaupt mit einer „Ausstrahlung“ gemeint ist bzw. was diese bedeuten soll und welche konkrete rechtliche Verbindlichkeit den §§ 63 ff. WpHG überhaupt zukommen soll.376 Einerseits werden diese als Rechtserkenntnisquellen betrachtet, von denen die Rechtsprechung zugunsten oder zulasten des Anlegers abweichen kann, andererseits werden sie jedoch als vertragliche Mindeststandards betrachtet.377

370 371 372 373 374 375 376 377

Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (246). Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, § 8 Rn. 41. Koch, ZBB 2014, S. 211 (216). Koch, ZBB 2014, S. 211 (216). Koch, ZBB 2014, S. 211 (215). Dieckmann, AcP 213 (2013), S. 1 (8); Koch, ZBB 2014, S. 211 (215). Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 260. Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 260.

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

Des Weiteren fehlt es oft an einer Begründung und Erörterung, wie diese „Ausstrahlungswirkung“ rechtlich zu erfassen sei.378 Das Argument, dass die „Ausstrahlung“ der Wohlverhaltenspflichten über eine Konkretisierung der auftragsbzw. kommissionsrechtlichen Interessenwahrungspflicht erfolgen solle, liefert keine stichhaltige Begründung für eine so erfolgende Beeinflussung des Zivilrechts.379 Zum einen ist zu klären, inwiefern überhaupt öffentlich-rechtliche Pflichten in das Zivilrecht hineinwirken können und zum anderen besteht im Falle der Wohlverhaltenspflichten gar kein Bedürfnis für eine solche Einwirkung, weil die insbesondere in den §§ 63 Abs. 1 und Abs. 2, 70 WpHG statuierten Pflichten aus der auftragsund geschäftsbesorgungsrechtlichen Interessenwahrungspflicht folgen. Zunächst greift das häufig vorgebrachte Argument der Drittwirkung der Grundrechte, die als objektive Wertentscheidung auf das Zivilrecht durchaus einwirken können,380 nicht durch, weil diese aufgrund ihres höheren Ranges in der Normpyramide auf der Ebene des einfachen Rechts zu berücksichtigen sind.381 Dies wird auch nicht dadurch widerlegt, dass die §§ 63 ff. WpHG auf europarechtlichen Vorgaben basieren und sie daher auf der zivilrechtlichen Ebene zu berücksichtigen seien. Durch die Transformation in das nationale Recht sind sie auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechts. Im Folgenden werden die europarechtlichen Implikationen genauer betrachtet. In Bezug auf die §§ 31 ff. WpHG a. F. in ihrer Fassung nach dem 2. FMFG hatte der BGH angedeutet, dass diese, sofern ihnen anlegerschützende Wirkung zukommt, für den Inhalt und die Reichweite (vor-) vertraglicher Aufklärungs- und Beratungspflichten von Bedeutung sein können, wobei ihnen darüber hinaus keine schadensersatzrechtliche Bedeutung zukommen sollte.382 Ihr Schutz geht gerade nicht über die zivilrechtlichen Maßstäbe hinaus. Gleichwohl griff der BGH regelmäßig auf die §§ 31 ff. WpHG a. F. zurück, um den Umfang der aus dem zivilrechtlichen Beratungsvertrag folgenden Pflichten zu bestimmen.383 Nach jüngeren Urteilen des BGH soll weder eine Begrenzung noch eine Erweiterung der zivilrechtlich zu beurteilenden vertraglichen Pflichten durch die aufsichtsrechtlichen 378

Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 6. Wieneke, Discount-Broking, S. 89; Walz, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 18. 380 BVerfG, Urt. v. 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (204 – 207) – Lüth; BVerfG, Beschl. v. 26. Februar 1969 – 1 BvR 619/63, BVerfGE 25, 256 (263 f.) – Blinkfüer; Flume, BGB AT II, S. 20 – 22; Wolf/Neuner, BGB AT, § 5 R. 10 – 20. 381 Wieneke, Discount-Broking, S. 89 f. 382 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 (232) bzgl. §§ 31 ff. WpHG a. F.; BGH, Urt. v. 17. September 2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, 1983 (1985) bzgl. § 31d WpHG; darüber hinaus vgl. Wiechers, WM 2013, S. 341 (344 f.); Wiechers, WM 2014, S. 145 (146); Buck-Heeb, ZHR 177 (2013), S. 310 (318 ff.). 383 BGH, Urt. v. 19. Februar 2008 – XI ZR 170/07, BGHZ 175, 276 (280) für § 32 Abs. 2 Nr. 1 WpHG a. F. (mit Anm. Buck-Heeb, jurisPR-BKR 2/2008, Anm. 2); BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 (232) für §§ 31 ff. WpHG a. F.; BGH, Urt. v. 5. Oktober 1999 – XI ZR 296/98, BGHZ 142, 345 (356) für § 31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG a. F.; BGH, Urt. v. 8. Mai 2001 – XI ZR 192/00, NJW 2002, 62 (63) für § 31 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a. F. 379

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

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Vorschriften der §§ 31 ff. WpHG a. F. in ihrer Fassung nach dem FRUG erfolgen.384 Dies lässt sich auch auf die neuen Vorschriften der §§ 63 ff. WpHG, wie sie durch die MiFID II und die MiFID II-DRL Eingang in das deutsche Recht gefunden haben, übertragen. Die Ansicht des BGH, dass die §§ 63 ff. WpHG keinerlei Einfluss auf das Vertragsrecht in Form einer Ausstrahlungswirkung haben und beide Regime nebeneinander stehen, ist im Ergebnis überzeugend. Eine solche Notwendigkeit besteht auch vor dem Hintergrund der MiFID II nicht. Der Anlegerschutz wird ausreichend durch das Zivilrecht gewährleistet; auch muss eine gewisse Balance zwischen institutionellem Anlegerschutz und individuellem Anlegerschutz gewahrt werden. Beide Interessengruppen – sowohl Banken bzw. Wertpapierdienstleistungsunternehmen als auch Anleger – sind in die Pflicht zu nehmen. Auch ist die Selbstverantwortung der Anleger nicht herunterzuspielen oder sind diese gar auf „dumme“ Verbraucher zu reduzieren. Dieser Gedanke geht eindeutig zu weit. Dadurch kommt es auch nicht zu einem Ausschluss unerfahrener Menschen bei der Kapitalanlage. Denn es stehen diesen aufgrund der Rechtsprechung und der Regulierung durch den Gesetzgeber ausreichend Schutzmechanismen zur Hand – auch wenn man in gewisser Weise sogar schon von einer Überregulierung sprechen kann, die aber im Ergebnis nicht zu einem mangelhaften Schutz des Anlegers führt. Ausführlich wird auf diese Problematik in Kapitel 5 der Arbeit in Bezug auf den besonderen Zusammenhang mit dem Zuwendungskonflikt eingegangen. Für eine effektive Gewährleistung des Anlegerschutzes ist es gerade nicht erforderlich, dass die öffentlich-rechtlichen Standards vollständig in die zivilrechtlichen Standards inkorporiert werden müssen,385 weil es so zu einer nicht erforderlichen doppelten Normierung und faktischen Rückstrahlung zivilrechtlicher Pflichten durch öffentlich-rechtliche Pflichten kommen würde. Denn wohl eher dienten die zivilrechtlichen Pflichten als Grundlage für das Aufsichtsrecht. Eine zivilrechtliche Sanktionierung von Verstößen gegen die Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG ist auch nicht vor dem Hintergrund der effektiven Durchsetzung der MiFID-Vorgaben erforderlich, denn das zivilrechtliche Sanktionssystem im Rahmen der Haftung für Aufklärungs- und Beratungspflichten entspricht einer effektiven Sanktionierung von Verstößen gegen die Verhaltenspflichten.386 Die §§ 63 ff. WpHG, können daher nicht im Wege einer Ausstrahlungswirkung für vertragliche Schadensersatzansprüche herangezogen werden. Denn wie bereits der Wunsch nach einer Aktivierung des Zivilrechts für die Begründung einer 384 BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, 119 (Lehman Brothers I); BGH, Urt. v. 17. September 2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, 1983 (1984 f.); dabei wird eine Vorlagepflicht an den EuGH vom BGH verneint, vgl. BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – 147/12, WM 2014, 1382 (1385); eine Vorlagepflicht für notwendig hält Grundmann, WM 2012, S. 1745 (1747, 1751); Grundmann, ERCL 2013, S. 267 (280); Harnos, BKR 2014, S. 1 (7 f.). 385 So etwa Wieneke, Discount-Broking, S. 94 f. 386 So auch Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (557, 568); a. A. Maume, ZHR 180 (2016), S. 358 (364 – 372, 386).

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

Unionskompetenz in Bezug auf Regelungen des privaten Anlegerschutzes nicht ausreicht,387 genügt dieser bloße Wunsch auch nicht für die Begründung einer rechtlichen Ausstrahlungswirkung, damit zivilrechtliche Haftungsansprüche wegen eines Verstoßes gegen die §§ 63 ff. WpHG geltend gemacht werden können. Auch das Argument, dass eine Ausstrahlungswirkung der §§ 63 ff. WpHG auf das vertragsrechtliche Pflichtengefüge eine Entlastungsfunktion für den Rechtsanwender, insbesondere den Richter, darstellen würde, weil dieser dann auf die ausdrücklich gesetzlich normierten Pflichten in den §§ 63 ff. WpHG zurückgreifen könne, überzeugt nicht. Dafür gibt es zum einen gar kein Bedürfnis, weil es die vertraglichen Pflichtenstandards schon gibt und diese gerade mit den zivilrechtlichen Pflichtenstandards gleichlaufen;388 zum anderen wäre diese Anwendung aus „Bequemlichkeit“ ein klarer Verstoß gegen die Gesetzesdogmatik. Denn zivilrechtliche bzw. vertragsrechtliche Sachverhalte sind im Rahmen ihres Systemzusammenhangs nach dem vertragsrechtlichen Pflichtenregime zu lösen. Nur weil das Vertragsrecht vermeintlich keine ausreichenden bzw. zufriedenstellenden Lösungen bereithalte und übergeordnete Wertungen relevant würden, könnten öffentlich-rechtliche Standards und Prinzipien Bedeutung erlangen.

4. Einfluss im Wege einer europäischen Auslegung Europarechtliche Aspekte sind teilweise bei der Diskussion über die Rechtsnatur der Wohlverhaltenspflichten, insbesondere bezüglich des gewählten Kompetenztitels, schon angeklungen.389 Im Rahmen dieses Abschnitts wird noch einmal auf die Auswirkungen des jeweils gewählten Kompetenztitels und ausführlicher auf den Grad der Harmonisierung der WpDRL, der MiFID I und MiFID II eingegangen. Nur so kann die Frage nach einem vertragsrechtlichen Einfluss der Wohlverhaltenspflichten abschließend gewürdigt werden, denn das Kapitalmarktrecht ist durch und durch europäisch und nur noch in seiner Hülle und bezüglich einzelner Details national ausgestaltet.390 Hierfür sind die Anforderungen an eine richtlinienkonforme Auslegung391 konkret für die gegenständlichen Richtlinien herauszuarbeiten, um so dann beurteilen zu können, ob der BGH die Frage bezüglich der Rechtsnatur und zivilrechtlichen Geltung der Wohlverhaltenspflichten schon im Zusammenhang mit der MiFID I hätte vorlegen müssen und nun für die MiFID II auch eine Vorlagepflicht 387

Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (557). Wieneke, Discount-Broking, S. 92 f. 389 Vgl. oben 3. Kapitel II. 3. d). 390 Grundmann, in: FS Hopt, S. 61 (62). 391 Allgemein zur richtlinienkonformen Auslegung und ihren nationalen sowie europäischen Implikationen vgl. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, Kapitel 3, 4 und 5; Klamert, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 68 – 91 zu Deutschland und mit einem Rechtsvergleich zu Frankreich, Österreich und dem Vereinigten Königreich, S. 92 – 158; Langenbucher/Donath, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 1 Rn. 88 – 126; Tonikidis, JA 2013, S. 598 – 604. 388

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

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gemäß Art. 267 AEUV besteht. Ausgangspunkt hierfür ist, dass Richtlinien gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV lediglich hinsichtlich des zu erreichenden Ziels für die einzelnen Mitgliedstaaten verbindlich sind, ihnen Wahl und Form der Mittel, um die festgesetzten Ziele innerhalb der nationalen Rechtsordnung zu erreichen, jedoch überlassen werden. Danach kann zunächst festgehalten werden, dass sowohl die Ziele der MiFID I als auch die der MiFID II zu ihrer maximalen Geltung gebracht werden müssen. Wie das jedoch erreicht wird, durch Aufsichtsrecht oder Zivilrecht, bleibt dem deutschen Gesetzgeber überlassen, sofern der Geltungsbereich der Richtlinie ihm diese Wahl überlässt. Zunächst ist fraglich, ob die Regelungskompetenz zum Erlass dieser Richtlinien auch eine Angleichung des Zivilrechts mitumfasst. Denn dies kann im Rahmen einer Vollharmonisierung der Richtlinien durchaus eine Verpflichtung des nationalen Gesetzgebers dahingehend nach sich ziehen, dass das Zivilrecht inhaltlich entweder direkt oder im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung beeinflusst wird und gegebenenfalls anzupassen ist. Es können sich vielleicht keine zwingenden Argumente für den Regelungsgegenstand einer Richtlinie aus den zielorientiert formulierten Kompetenzgrundlagen der europäischen Verträge ziehen lassen, aber sie können als Anhaltspunkte dahingehend dienen, auf welche Rechtsgebiete sich die Regelungen der Richtlinien erstrecken.392 Daher sind im Rahmen der Auslegung der Richtlinie die Kompetenzgrundlage sowie der konkrete Anwendungsbereich der Richtlinie zu berücksichtigen, um den Gegenstandsbereich dieser und sodann den Harmonisierungsgrad der jeweiligen Richtlinie bestimmen zu können. Es gibt umfangreiche Monografien, Beiträge und Kommentare393, die sich mit dem Harmonisierungsgrad der einzelnen Richtlinien befassen, sodass hier in gebotener Kürze ein Überblick über den Diskussionsstand erfolgt, um so dann den möglichen Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die vertragsrechtliche Beziehung zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Anleger im Wege einer europäischen Auslegung zu beurteilen. a) WpDRL Unter dem Gesichtspunkt der Niederlassungsfreiheit und der Gewährleistung des freien Dienstleistungsverkehrs erfolgte der Erlass der WpDRL gestützt auf Art. 57 Abs. 2 EWG-Vertrag.394 Aus dem gewählten Kompetenztitel lassen sich erste Hinweise auf den Gegenstandsbereich der Richtlinie ableiten. Darüber hinaus wird der Gegenstandsbereich einer Richtlinie vorrangig durch den in der Richtlinie definierten Anwendungsbereich und die durch die Richtlinie zu regelnde Materie fest392

Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 34. Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 91 – 96; Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 34 – 62; Schulte-Frohlinde, Art. 11 Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, S. 19 – 33. 394 Vgl. Erwägungsgrund 1, 29, 37 der WpDRL und dazu auch Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 9. 393

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

gelegt.395 Aus dieser Festlegung ergibt sich zum einen die Funktion, dass positiv der Rechtsrahmen für den Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten festgelegt wird und zum anderen negativ deutlich wird, inwieweit die Kompetenzen bei den Mitgliedstaaten verbleiben.396 Danach ergibt sich ein rein aufsichtsrechtlicher Gegenstandsbereich der WpDRL. Dies ergibt sich auch aus den Erwägungsgründen397, die zum einen deutlich machen, dass es um die Schaffung einheitlicher Zulassungsregelungen und zum anderen ausdrücklich um die Angleichung des Verwaltungsrechts ging. Darüber hinaus wird anhand der einzelnen Richtlinienregelungen deutlich, dass die Rechtsangleichung innerhalb des Aufsichtsrechts angestrebt war. Dies ergibt sich zum Beispiel aus Art. 2 WpDRL zum Anwendungsbereich, Art. 3 WpDRL zum allgemeinen Zulassungsverfahren sowie aus den Artt. 22 – 28 WpDRL, wonach die Zulassung und Aufsicht zuständiger Behörden geregelt werden. Welche Schutzrichtung mit Blick auf den Anlegerschutz, ob nun individueller oder institutioneller Anlegerschutz, dominiert, kann anhand der Erwägungsgründe nicht ausdrücklich festgelegt werden. Erwägungsgrund 34 sieht den Anlegerschutz als eines der Ziele der WpDRL, der den unterschiedlichen Schutzbedürfnissen der einzelnen Anlegergruppen und ihre unterschiedlichen fachlichen Erfahrungen berücksichtigen soll. Der Erwägungsgrund 44 konkretisiert dies mit einem leichten Überwiegen zugunsten des Funktionsschutzes dahingehend, dass die Stabilität und das reibungslose Funktionieren des Finanzsystems sowie des Anlegerschutzes erfordern, dass jeder Mitgliedstaat einem Verstoß gegen die Wohlverhaltensregeln und gegen die von dem jeweiligen Mitgliedstaat aus Gründen des Gemeinwohls erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften vorzubeugen bzw. Verstöße zu ahnden hat. Erwägungsgrund 45 postuliert hingegen wieder einen Gleichlauf von individuellem und institutionellem Anlegerschutz, wonach aus Gründen der Transparenz die Regelungen der Richtlinie sowohl für Wertpapierfirmen als auch für Kreditinstitute Geltung beanspruchen. Im Rahmen der Intensität der Harmonisierung soll der Spielraum abgesteckt werden, den die Richtlinie den Mitgliedstaaten innerhalb des Gegenstandsbereiches im Rahmen der Umsetzung in das nationale Recht lässt, also inwieweit die europäischen Vorgaben abschließend sind.398 Denn eine Richtlinie entfaltet außerhalb ihres Gegenstandsbereichs keinerlei normative Wirkung, sodass die Richtlinie dann keine Harmonisierungswirkung entfaltet und die Souveränität der Mitgliedstaaten nicht beschränkt wird.399 An diesem Punkt ist vor allem mit Blick auf die MiFID I und MiFID II hervorzuheben, dass außerhalb des Gegenstandsbereichs einer Richtlinie 395 Jäger, Überschießende Richtlinienumsetzung im Privatrecht, S. 31; Mittwoch, Vollharmonisierung und Europäisches Privatrecht, S. 23 m. w. N.; Wagner, Das Konzept der Mindestharmonisierung, S. 42. 396 Jäger, Überschießende Richtlinienumsetzung im Privatrecht, S. 31. 397 Vgl. Erwägungsgründe 4, 6, 8, 33. 398 Jäger, Überschießende Richtlinienumsetzung im Privatrecht, S. 31, 34; Wagner, Das Konzept der Mindestharmonisierung, S. 42, 45. 399 Mittwoch, Vollharmonisierung und Europäisches Privatrecht, S. 23 m. w. N.

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

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die Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten unabhängig von dem der Richtlinie zugrunde liegenden Harmonisierungskonzept ist; die Mitgliedstaaten können mithin jederzeit autonom Regelungen erlassen.400 Auch eine richtlinienkonforme Auslegung stößt insoweit an ihre Grenzen. Zur Bestimmung der Harmonisierungsintensität sind die der Richtlinie zugrunde liegende Kompetenzgrundlage, das Gesamterscheinungsbild und das System der Richtlinie im Zusammenhang zu betrachten.401 Daraus ergibt sich, besonders vor dem Hintergrund des Erwägungsgrundes 3, dass bei der WpDRL ein Ansatz der Mindestharmonisierung verfolgt wurde. So sollte ein einheitliches Schutzniveau geschaffen werden, über das die Mitgliedstaaten jedoch hinausgehen können.402 Eine Mindestharmonisierung ermöglicht es somit den Mitgliedstaaten, im nationalen Recht auch einen höheren Schutzstandard vorzusehen als von der Richtlinie intendiert.403 In Abgrenzung zu einer Minimalharmonisierung ist im Rahmen einer Mindestharmonisierung das Tätigwerden der EU nicht darauf beschränkt den kleinsten gemeinsamen Nenner zu erzielen, sondern einen unabdingbaren Basisschutz für die jeweilige Unionspolitik zu statuieren.404 Den Mitgliedstaaten blieb bei der Umsetzung der WpDRL somit ein doch recht großer Freiraum, weil nur ein einheitlicher Mindeststandard der Solvenz- und Marktaufsicht über Finanzintermediäre (sog. „level playing field“) angestrebt war.405 Aus Art. 11 WpDRL ergibt sich zudem, dass die konkret aufzustellenden Regelungen von den Mitgliedstaaten selbst vorzunehmen sind und die Richtlinie selbst nur allgemeine Grundsätze und Prinzipien vorgibt, welche die Mitgliedstaaten bei der Schaffung der Regeln berücksichtigen müssen. So wurden die abweichenden Traditionen im Hinblick auf die Aufsichtsstandards der einzelnen Mitgliedstaaten respektiert und einer Diskriminierung wurde entgegengewirkt.406 Köndgens407 Einwand, dass sich 400

Mittwoch, Vollharmonisierung und Europäisches Privatrecht, S. 24. EuGH, Urt. v. 5. April 1979, Rs 148/78 – Ratti – Slg. 1979, S. 1629 (1643) Rn. 27; EuGH, Urt. v. 14. Oktober 1987, Rs. 278/85 – Kommission/Dänemark – Slg. 1987, S. 4069 (4087) Rn. 12; weitere Nachweise bei Leible/Schröder, in: Streinz, Art. 114 AEUV Rn. 26 Fn. 54. 402 Vgl. Erwägungsgrund 3 und allgemein dazu Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135 (137); Möllers, in: Gsell/Herresthal (Hg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, S. 250 f.; Schwark, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hg.), Bankrechtstag 1995, S. 109 (112, 118); Behrens, in: Everling/Roth (Hg.), Mindestharmonisierung im Europäischen Binnenmarkt, S. 33 (33 f.); Jäger, Überschießende Richtlinienumsetzung im Privatrecht, S. 37 f.; Wagner, Das Konzept der Mindestharmonisierung, S. 53 f.; Mittwoch, Vollharmonisierung und Europäisches Privatrecht, S. 25 – 27. 403 Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, § 3 Rn. 21; Herrnfeld, in: Schwarze, Art. 114 AEUV Rn. 59; Leible/Schröder, in: Streinz, Art. 114 AEUV Rn. 29; Jäger, Überschießende Richtlinienumsetzung im Privatrecht, S. 37 f., 41; Riesenhuber, EU-Vertragsrecht, § 3 Rn. 22; Streinz, in: Everling/Roth (Hg.), Mindestharmonisierung im Europäischen Binnenmarkt, S. 9 (19); Wagner, Das Konzept der Mindestharmonisierung, S. 53. 404 Leible/Schröder, in: Streinz, Art. 114 AEUV Rn. 31. 405 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 92; Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 37; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 11 f. 406 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 92. 401

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

der Neuigkeitswert der Prinzipien des Art. 11 WpDRL in Grenzen hält, ist zwar etwas polemisch formuliert, aber bringt auf den Punkt, dass im Wesentlichen doch die allgemeinen Pflichten aus dem Auftrags- und Geschäftsbesorgungsrecht enthalten sind. Auf diesen Punkt wird im Rahmen des 5. Kapitels noch einmal ausführlich einzugehen sein. Zur Regulierung dieser Mindeststandards wurde sowohl ein institutioneller als auch ein funktionaler Regelungsansatz gewählt.408 Der funktionale Ansatz und die damit verbundene Vereinheitlichung der Verhaltensregeln wurde als besonders wichtig erachtet, um einerseits eine strukturelle Waffengleichheit und andererseits länderneutrale Rahmenbedingungen durch die Aufsichtsregeln des Art. 10 WpDRL und die Wohlverhaltensregeln des Art. 11 WpDRL für die zu erbringenden Wertpapierdienstleistungen herzustellen.409 Schon die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zur WpDRL hat festgehalten, dass das nationale Vertragsrecht trotz Verbindungen zum Privatrecht unangetastet bleiben soll, da keine Notwendigkeit einer privatrechtlichen Regelung der vertraglichen Beziehung zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Effektenkunde bestehe.410 Dies ergibt sich vor allem aus dem gewählten Kompetenztitel des Art. 57 Abs. 2 EGV zum Erlass der WpDRL, nach dem der Rat Richtlinien zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten erlässt, wobei er eine Änderung privatrechtlicher Vorschriften auf Art. 100 EGV hätte stützen müssen.411 Daher ergibt sich aus den europarechtlichen Vorgaben, dem Kompetenztitel und Harmonisierungsgrad, in Bezug auf die WpDRL und ihre Umsetzung in das nationale Recht eine aufsichtsrechtliche, d. h. öffentlich-rechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten.

b) MiFID I und MiFID-DRL Der Erlass der MiFID I wurde auf Art. 47 Abs. 2 EGV, die Nachfolgenorm des Art. 57 Abs. 2 EGV, gestützt.412 Bereits die Wahl dieser Kompetenzgrundlage, auch unter Berücksichtigung des mittlerweile geltenden Art. 53 Abs. 1 AUEV, der die alten Regeln des Art. 47 Abs. 1 und 2 EGV zusammenfasst und im Zusammenhang mit der Zielbestimmung der MiFID I deutlich hervorhebt, dass die Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten erlassen wurde, lässt Rückschlüsse auf einen aufsichtsrechtlichen Gegenstandsbereich 407 Köndgen, in: Everling/Roth (Hg.), Mindestharmonisierung im Europäischen Binnenmarkt, S. 111 (134). 408 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 92 – 101; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 11 f., 108 f.; SchulteFrohlinde, Art. 11 Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, S. 27 f. 409 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 96. 410 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 110. 411 Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 111 m. w. N. 412 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 34.

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der MiFID I zu.413 Diese Annahme wird durch eine inhaltliche Auslegung der Richtlinie insbesondere unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe 17, 23 und 25 bestätigt, welche von „Zulassung“ oder „Aufsicht“ oder sogar vom „Anwendungsbereich der Aufsichtsvorschriften“ sprechen.414 Auch die Artt. 5 ff. MiFID I, Zulassungsanforderungen an Wertpapierdienstleister, Artt. 48 ff. MiFID I, Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Schaffung von Aufsichtsbehörden sowie Art. 51 MiFID I, die sich nur auf aufsichtsrechtliche Sanktionen bei Verstößen gegen die Vorgaben der MiFID I beschränken, sprechen für einen aufsichtsrechtlichen Gegenstandsbereich. Darüber hinaus verweist die Richtlinie an keiner Stelle, weder in den Erwägungsgründen noch in dem Richtlinientext, auf zivilrechtliche Vertragspflichten oder auf eine Haftung wegen Nichteinhaltung von Vertragspflichten415 – zu diesem Befund auch vor dem Hintergrund der „Genil 48 SL“-Entscheidung416 des EuGH sogleich. Zwar beziehen die MiFID I und die MiFID I-DRL auch den Anlegerschutz mit ein, dabei lassen sie jedoch offen, dass dabei überwiegend von einem individuellen Anlegerschutz ausgegangen wird und dieser zwingend durch zivilrechtliche Haftungsansprüche sicherzustellen ist. Dies verdeutlicht lediglich, dass der individuelle Anlegerschutz neben dem institutionellen Anlegerschutz ein weiteres Ziel der Richtlinie darstellt. Dies geht insbesondere aus den Erwägungsgründen 17, 31 und 44 der MiFID I und den Erwägungsgründen 5 und 44 der MiFID I-DRL hervor, die jedoch, wie schon bei der WpDRL, kein Übergewicht zugunsten des individuellen Anlegerschutzes erkennen lassen. Es wird immer das doppelte Schutzziel betont, aber durchaus mit einer Tendenz zur öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung aufgrund einer stärkeren Betonung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes. Zudem lässt sich ein individueller Anlegerschutz nicht allein durch zivilrechtliche Haftungs- und Klagemöglichkeiten für die Verletzung von Verhaltenspflichten erreichen, sondern kann gerade auch durch eine Marktregulierung hergestellt werden.417 An diesem Punkt ist die aus dem anglo-amerikanischen Recht stammende Diskussion zum „private enforcement“ fruchtbar zu machen, nach der ganz klar neben der Möglichkeit, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, vor allem auch die „prudential regulation“ und damit eine öffentlich-rechtliche Durchsetzung der

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Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 38 f. Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 39. 415 So auch Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 39; Veil, WM 2007, S. 1821 (1824). 416 EuGH, Urt. v. 30. Mai 2013 – C-604/11 (Genil 48 SL u. a./Bankinter SA u. a.), EuZW 2013, S. 557 – 560 mit Anmerkungen von Bernau, EWiR 2013, S. 629 – 630; Erne, GWR 2013, S. 337; Grundmann, ERCL 2013, S. 267 – 280; Herresthal, ZIP 2013, S. 1420 – 1422; Lieder, LMK 2013, 340404; Parmentier, EuZW 2014, S. 50 (52). 417 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 44 – 47; Wieneke, Discount-Broking, S. 84. 414

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

Verhaltenspflichten zu einem effektiven Anlegerschutz beitragen kann.418 Denn durch die Kombination des „private enforcements“ und des „public enforcements“ kann im Ergebnis eine effektive Rechtsdurchsetzung erfolgen, weil die Schwächen der privaten Rechtsdurchsetzung durch ein besonders effektives öffentliches Rechtsdurchsetzungssystem ausgeglichen werden können - oder auch umgekehrt die Schwächen des öffentlichen Durchsetzungsregimes durch die Stärken des privaten.419 Auch greift das Argument nicht durch, dass der „effet utile“ eine Angleichung der vertragsrechtlichen Vorschriften an die aufsichtsrechtlichen Vorschriften gebiete und es somit faktisch zu einem Gleichlauf der Pflichten kommen müsse. Ein Verstoß gegen den „effet utile“ würde nur dann vorliegen, wenn eine nationale Maßnahme ein „Ziel der Union“ gefährde,420 d. h. das Ziel der MiFID I könnte durch abweichendes nationales Zivilrecht nicht mehr verwirklicht werden und würde diesem entgegenwirken.421 Dies ist jedoch gerade nicht der Fall, wenn nationales Zivilrecht eine strengere Haftung vorsieht, wie z. B. in Bezug auf die Haftungsmaßstäbe aus einem stillschweigend abgeschlossenen Beratungsvertrag; denn das Ziel der MiFID I, die Zulassung von Wertpapierfirmen und deren Beaufsichtigung europaweit einheitlich auszugestalten, wird dadurch nicht unmöglich gemacht bzw. gefährdet.422 Bei der Anwendung des Effektivitätsgebotes ist zu beachten, dass die EU den „effet utile“ nicht in einem solchen Maße einsetzt, dass dadurch Gebiete beeinflusst werden, die der unabhängigen Regelungszuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten unterliegen.423 Das nationale Vertragsrecht in Bezug auf mögliche Schadensersatzansprüche wegen einer Aufklärungspflichtverletzung führt nicht zu einem derartigen Hemmnis, dass ein Tätigwerden in einem anderen Mitgliedstaat von vornherein ausgeschlossen oder verhindert würde. Denn hierbei geht es nicht um eine Frage der Zulassung, sondern lediglich um Folgen einer vertragswidrigen Ausübung der Tätigkeit.424 Dies kann man jedoch als allgemeines Geschäftsrisiko bezeichnen, sodass national unterschiedliche Haftungsnormen und -standards der verschiedenen Mitgliedstaaten von den Wertpapierdienstleistungsunternehmen hinzunehmen und aufgrund ihres 418 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 46; Maume, ZHR 180 (2016), S. 358 (364 f.). 419 Maume, ZHR 180 (2016), S. 358 (364 f.). 420 EuGH, Urt. v. 17. September 2002 – Rs. C-253/00 – Munoz – Slg., S. I – 7312 (7321 f.) Rn. 30 – 32; EuGH, Urt. v. 20. September 2001 – Rs. C-453/99 – Courage – Slg., S. I – 6314 (6324 – 6326) Rn. 29 – 35; EuGH, Urt. v. 13. Juli 2006 – Rs. C-295/04 bis C-298/04 – Manfredi – Slg., S. I – 6641 (6661) Rn. 62 – 64; Potacs, EuR 2009, S. 465 (466 – 469, 474 – 480). 421 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 40 f.; ausführlich zum „effet utile“ und seinen Voraussetzungen vgl. Potacs, EuR 2009, S. 465 – 487. 422 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 40; Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (562 – 564, 568); a. A. Einsele, JZ 2014, S. 703 (713); Mülbert, ZHR 172 (2008), S. 170 (184 f.). 423 Geiger, in: Geiger/Khan/Kotzur, Art. 5 EUV Rn. 3; Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (548). 424 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 40.

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

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häufig dispositiven Charakters sogar mitgestaltbar sind.425 Auch kommt es zu keinem Widerspruch mit der Zielverbindlichkeit der Richtlinie, wenn das nationale Zivilrecht strengere Maßstäbe im Rahmen einer Haftung der Wertpapierdienstleistungsunternehmen in Bezug auf Aufklärungspflichtverletzungen vorsieht, da dies zum einen nicht zu einem Binnenmarkthemmnis führt und zum anderen sowohl die Rechtsfolgenanordnung zivilrechtlicher und aufsichtsrechtlicher Regelungen als auch die Schutzrichtungen, Individualschutz versus Schutz der Allgemeinheit, völlig unterschiedlich sind.426 Zudem kann, wie von Forschner427 ausführlich und zutreffend dargestellt, das Prinzip der Herkunftslandaufsicht, wonach eine Zulassung durch einen Mitgliedstaat in jedem Mitgliedstaat akzeptiert werden muss, nur durch öffentliches Recht verwirklicht werden, welches auch eine administrative Durchsetzung der Wohlverhaltenspflichten durch die Mitgliedstaaten nach sich zieht.428 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Gegenstandsbereich der Richtlinie, insbesondere aufgrund der Wahl des Kompetenztitels, allein auf das Aufsichtsrecht erstreckt. Welche Auswirkungen dieser Befund auf eine richtlinienkonforme Auslegung und eine mögliche Vorlagepflicht des BGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV hat, wird sogleich näher ausgeführt. Zum Grad der Harmonisierung der MiFID I und der MiFID I-DRL ist zunächst festzuhalten, dass diese aufgrund des Wortlauts des Erwägungsgrundes 5 und Art. 4 Abs. 1 MiFID I-DRL und des Erwägungsgrundes 2 der MiFID I in ihrem Gegenstandsbereich vollharmonisierende Richtlinien sind.429 Zudem findet sich eine inhaltliche Umschreibung eines Konzepts der Vollharmonisierung in den Artt. 31 Abs. 1 UA 2, 32 Abs. 2 UA 2 und 33 Abs. 2 MiFID.430 Es wird zwar an keiner Stelle der Richtlinien ausdrücklich der Begriff der „Vollharmonisierung“ gewählt, aber in einem solchen Fall ist der Harmonisierungsgrad durch Interpretation zu ermitteln431. Im Rahmen einer Vollharmonisierung hat von den Mitgliedstaaten eine Eins-zu425 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 40; Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (552, 554); a. A. Klöhn, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 6 Rn. 186 f. 426 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 42. 427 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 43. 428 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 43. 429 So auch Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/HGB, Bd. 2 BankR Rn. VI 189; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil Rn. 12; Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 56 – 61; Herresthal, ZBB 2012, S. 89 (102); Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (306); Herresthal, ZBB 2009, S. 348 (350 – 352), übersichtlich zum Harmonisierungsgrad vgl. S. 89 (102 – 104); Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kap. Rn. 9 – 12; a. A. Mülbert, ZHR 172 (2008), S. 170 (177, 178 – 180), der für die MiFID I von einer Maximalharmonisierung spricht, weil nur für grenzüberschreitende Sachverhalte eine abschließendes Regelungsniveau vorliege, hingegen für die MiFID I-DRL von einer Vollharmonisierung. 430 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 56 f.; Möllers, in: Gsell/Herresthal (Hg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, S. 256. 431 Classen, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 114 AEUV Rn. 24; Herrnfeld, in: Schwarze, Art. 114 AEUV Rn. 58.

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Eins-Umsetzung im Gegenstandsbereich der Richtlinie in nationales Recht zu erfolgen, sodass weder strengere Regelungen erlassen werden dürfen, noch die nationalen Normen hinter dem Regelungsniveau der Richtlinie zurückbleiben dürfen.432 Es geht im Ergebnis darum, dass die nationalen Rechtsvorschriften umfassend aneinander angeglichen werden.433 Konkret bedeutet dies, dass für das mitgliedstaatliche Recht nicht nur eine Untergrenze gesetzt wird, sondern zugleich eine Obergrenze.434 Bezogen auf die MiFID I und die MiFID-DRL hat das zur Folge, dass im Hinblick auf den Schutzzweck des Anlegerschutzes weder ein milderes noch ein strengeres mitgliedstaatliches Recht möglich ist.435 Hervorzuheben ist jedoch, dass auch eine beabsichtigte Vollharmonisierung aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EUV nur eine auf einen konkreten Gegenstandsbereich, der durch die vorgesehenen Tatbestände und Rechtsfolgen der Richtlinien definiert wird, begrenzte Wirkung entfalten kann.436 Dies führt dazu, dass auch im Falle einer Vollharmonisierung aufgrund der auf den Geltungsbereich bezogenen Begrenzung nur in diesem Bereich eine Vollharmonisierung und im Ergebnis insgesamt jedoch nur eine teilweise Harmonisierung erfolgt.437 Diese Tatsache der vollharmonisierenden Wirkung der hier relevanten Richtlinien hat jedoch aufgrund des aufsichtsrechtlichen Gegenstandsbereichs der MiFID I und MiFID I-DRL, wie soeben die Zusammenschau der dargestellten Erwägungsgründe und Tatbestände gezeigt hat, keinerlei Auswirkungen auf die vertraglichen Verhaltenspflichten zwischen Anleger und Wertpapierdienstleistungsunternehmen.438 Denn ein rein aufsichtsrechtlicher Gegenstandsbereich einer Richtlinie führt nicht zu einer „Sperrwirkung“ gegenüber dem nationalen Zivilrecht, sodass der Gesetzgeber zu einer Anpassung des Zivilrechts nicht gezwungen ist.439 Das Ziel der MiFID I, welches für die Mitgliedstaaten gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht verbindlich ist, ist nicht auf eine Vollharmonisierung aller, also auch zivilrechtlicher, Pflichten gerichtet. Denn nur 432 Möllers, in: Gsell/Herresthal (Hg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, S. 257; ausführlich zu diesem Konzept vgl. Mittwoch, Vollharmonisierung und Europäisches Privatrecht, S. 29 – 42; Jäger, Überschießende Richtlinienumsetzung im Privatrecht, S. 34 f.; Wagner, Das Konzept der Mindestharmonisierung, S. 45 f. 433 Herrnfeld, in: Schwarze, Art. 114 AEUV Rn. 57. 434 Grigoleit, AcP 210 (2010), S. 354 (408 f.); Riesenhuber, EU-Vertragsrecht, § 3 Rn. 23. 435 Herresthal, ZBB 2012, S. 89 (103); Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (306); Herresthal, ZBB 2009, S. 348 (351 f.); Nikolaus/d’Oleire, WM 2007, S. 2129 (2134); Zingel/Rieck, BKR 2009, S. 353 (355). 436 Classen, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 114 AEUV Rn. 24 f.; dazu ausführlich Wagner, Das Konzept der Mindestharmonisierung, S. 55 – 60. 437 Classen, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 114 AEUV Rn. 24 f. 438 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 48, 60 f.; a. A. Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/HGB, Bd. 2 BankR Rn. VI 197; Möllers, in: Gsell/Herresthal (Hg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, S. 264. 439 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 61; a. A. Mülbert, ZHR 172 (2008), S. 170 (183 f.).

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milderes und strengeres nationales Recht in dem harmonisierten Bereich, d. h. im Aufsichtsrecht, ist nicht mehr möglich. Daraus folgt, dass dem EuGH nur im Rahmen dieses Gegenstandsbereichs eine Konkretisierungs- und Auslegungskompetenz und damit ausschließliche Zuständigkeit in der rechtlichen Beurteilung dieses Bereichs zukommt.440 Dieser Befund hat auch Auswirkungen in Bezug auf eine richtlinienkonforme Auslegung der Wohlverhaltenspflichten und gegebenenfalls des nationalen Vertragsrechts. Aufgrund dieses aufsichtsrechtlichen Gegenstandsbereiches der MiFID I ist zunächst das Aufsichtsrecht, d. h. die Vorschriften aus dem WpHG, europäisch und somit richtlinienkonform auszulegen, da diese Vorschriften unmittelbar auf der Umsetzung der MiFID I durch das FRUG beruhen.441 Die richtlinienkonforme Auslegung als eine interpretatorische Vorrangregel442 erfordert, dass sich die Auslegungsergebnisse der Richtlinie vollumfänglich im Rahmen des Umsetzungsgesetzes widerspiegeln müssen und mit Vorrang auch im innerstaatlichen Recht gelten.443 Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung gilt nicht nur für ausdrückliche Umsetzungsakte, sondern erfasst zunächst das gesamte nationale Recht.444 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung wird durch den sachlich inhaltlichen Anwendungsbereich der Richtlinien vorgegeben und eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts ist primär dort geboten, wo Richtlinien existieren.445 Im Ergebnis geht es darum, dass die nationalen Vorschriften mit den Vorgaben aus der Richtlinie übereinstimmen.446 Im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung sind die einzelnen Normen nach Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck der einzelnen Richtlinienvorgaben auszulegen.447 Danach wäre eine richtlinienkonforme Auslegung des zivilrechtlichen Kapitalanlagerechts, namentlich des Auftrags- und Geschäftsbesorgungsrechts sowie des Finanzkommissionsgeschäfts, 440

Möllers, in: Gsell/Herresthal (Hg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, S. 257. Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Einl. WpHG Rn. 27; Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/HGB, Bd. 2 BankR Rn. VI 25 f., Rn. VI 189. 442 Hierzu ausführlich Herresthal, JuS 2014, S. 289 (291 f.); Kühling, JuS 2014, S. 481 (481, 485 f.); Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Hg.), Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 46 – 48. 443 Auer, NJW 2007, S. 1106 (1106); Gebauer, in: Gebauer/Wiedmann (Hg.), Europäisches Zivilrecht, Kapitel 3 Rn. 60; Grundmann, JZ 1996, S. 274 (282); Grundmann, in: Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn/HGB, Bd. 2 BankR Rn. 25; Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Hg.), Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 45 f. 444 EuGH, Urt. v. 10. April 1984 – C 14/83 (Von Colson) – Slg. 1984, S. 1891 (1909) Rn. 26; EuGH, Urt. v. 13. November 1990 – C-106/89 (Marleasing) – Slg. 1990, I-4156 (4159) Rn. 8; EuGH, Urt. v. 5. 5. 1994 – C-421/92 (Habermann-Beltermann) Slg. 1994, I-1668 (1673) Rn. 10; Gebauer, in: Gebauer/Wiedmann (Hg.), Europäisches Zivilrecht, Kapitel 3 Rn. 35 – 37; Roth/ Jopen, in: Riesenhuber (Hg.), Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 15 m. w. N.; Tonikidis, JA 2013, S. 598 (599). 445 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 288 AEUV Rn. 78; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, § 4 Rn. 121 f.; Jäger, Überschießende Richtlinienumsetzung im Privatrecht, S. 102. 446 Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, § 4 Rn. 121. 447 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 288 AEUV Rn. 78 f.; Geismann, in: Groeben/ Schwarze/Hatje, Art. 288 AEUV Rn. 55; Herresthal, JuS 2014, S. 289 (291). 441

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

jedoch nur dann geboten und erforderlich, wenn diese Regelungsbereiche von der MiFID I berührt würden,448 d. h. vom Gegenstandsbereich der Richtlinie mitumfasst wären. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall. Wie Herresthal449 richtig feststellt, ist im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung das gesamte nationale Recht, d. h. nicht nur das Umsetzungsrecht, richtlinienkonform auszugestalten und auszulegen, damit die praktische Wirksamkeit („effet utile“) der Richtlinienvorgaben nicht beeinträchtigt wird. So greift diese Aussage allerdings zu kurz, weil die Umsetzung bzw. Harmonisierung durch eine Richtlinie immer nur so weit reicht, wie dies im Rahmen des Gegenstandbereichs angezeigt ist. Denn eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung der nationalen Vorschriften besteht immer nur soweit diese den sachlichen, gegenständlichen und personellen Gegenstandsbereich der Richtlinie betreffen.450 Darüber hinaus setzt eine richtlinienkonforme Auslegung da an, wo ein Interpretationsspielraum des nationalen Rechts besteht.451 Der Gegenstandsbereich der MiFID I ist wie bereits dargelegt hinsichtlich der Wohlverhaltenspflichten ein aufsichtsrechtlicher. Daraus ergibt sich, dass im Rahmen des zivilrechtlichen Pflichtengefüges im Rahmen der Kapitalanlageberatung sowie des Effektengeschäfts keine richtlinienkonforme Auslegung vor dem Hintergrund der MiFID I erfolgen muss. Denn der vertragsrechtliche Bereich wird gerade nicht von dem Gegenstandsbereich und somit der Harmonisierungswirkung der MiFID I erfasst. Folglich hat in diesem Fall der Gesetzgeber die MiFID I auch nicht unvollständig oder gar nicht umgesetzt. Eine vertragsrechtliche Umsetzung der MiFID I war schlicht nicht angezeigt. Hierdurch wird auch nicht der „effet utile“-Grundsatz verletzt. Obwohl im nationalen Recht auf vertragsrechtlicher Ebene unterschiedliche Haftungsregime in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehen, führt dies nicht dazu, dass den Richtlinienvorgaben der Finanzmarktrichtlinien nicht zu ihrer praktischen Wirksamkeit verholfen wird. Schließlich geht es aufgrund des aufsichtsrechtlichen Charakters der Richtlinie um die Schaffung einheitlicher regulatorischer Vorgaben. Wie die Sanktionierung nun im Einzelnen erfolgt, ob aufsichtsrechtlich und vertragsrechtlich oder nur aufsichtsrechtlich, ist in diesem Zusammenhang irrelevant. Darüber hinaus hat sich der EuGH bereits in seiner „Genil 48 SL“-Entscheidung aus dem Jahr 2013 mit der Frage des Geltungsbereichs der MiFID I beschäftigt und kam zu dem Ergebnis, dass die MiFID selbst keine zivilrechtlichen Sanktionen verlangt.452 Der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten 448

aufl.). 449

Hierzu implizit Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Einl. WpHG Rn. 75 (Vor-

Herresthal, ZIP 2013, S. 1420 (1421) m. w. N.; Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (306). Herresthal, JuS 2014, S. 289 (290); Tonikidis, JA 2013, S. 598 (599). 451 Langenbucher, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 1 Rn. 97. 452 EuGH, Urt. v. 30. Mai 2013 – C-604/11 (Genil 48 SL u. a./Bankinter SA u. a.), EuZW 2013, S. 557 (560); zustimmend: Bernau, EWiR 2013, S. 629 (630); Lieder, LMK 2013, 349404; Parmentier, EuZW 2014, S. 50 (52); ablehnend: Grundmann, ERCL 2013, S. 267 (278 f.); Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/HGB, Bd. 2 BankR Rn. VI 197; Herresthal, ZIP 2013, S. 1420 (1420 f.). 450

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

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komme die Verpflichtung zu, vertragliche Folgen eines Pflichtverstoßes, unter Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, festzulegen.453 Nationale Regelungen dürfen danach „nicht ungünstiger sein als die, die bei ähnlichen internen Sachverhalten gelten (Grundsatz der Äquivalenz), und nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Gemeinschaftsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität).“454 Dieses Urteil wurde in der Literatur unterschiedlich aufgefasst. So ist für einen Teil nunmehr die aufsichtsrechtliche Einordnung der Wohlverhaltenspflichten abschließend geklärt, weil die MiFID I das Zivilrecht der Mitgliedstaaten gerade nicht regle.455 Eine unterschiedliche Entwicklung des Aufsichts- und Zivilrechts sei somit möglich.456 Ein anderer Teil wiederum vertritt die Ansicht, dass implizit vertragsrechtliche Folgen einen Teil der Rechtsfolgen der MiFID I bilden können und sich daher das nationale Vertragsrecht an den europarechtlichen Vorgaben messen lassen müsse, weil die MiFID-Standards als vertragsrechtliche – individualschützende – Standards zu verstehen seien.457 Denn sonst würde die praktische Wirksamkeit der MiFID I beeinträchtigt.458 Der ersten Auffassung ist zuzustimmen. Auch wenn der EuGH in seiner Entscheidung die Möglichkeit vertragsrechtlicher Sanktionen als ein Element des Rechtsfolgenregimes bei Verstößen gegen die Wohlverhaltenspflichten in Betracht zieht, so spricht dies noch nicht dafür, dass die Vorgaben der MiFID selbst als klar privatrechtlich einzuordnen sind und demnach die Mitgliedstaaten nur die konkreten privatrechtlichen Sanktionen festlegen. Es obliegt vielmehr den Mitgliedstaaten zu bestimmen, ob ein Verstoß gegen die aufsichtsrechtlichen Vorschriften der MiFID einerseits auch zivilrechtliche Sanktionen nach sich zieht oder andererseits generell als privatrechtliche Normen umgesetzt werden können. So sieht sich der BGH zu Recht in seiner Ansicht bestätigt, dass die rein aufsichtsrechtliche nationale Umsetzung der MiFID I im Ergebnis zur Folge hat, dass das Vertragsrecht nicht durch die aufsichtsrechtlichen Pflichten aus dem WpHG konkretisiert oder gar überlagert wird. Denn vertragsrechtliche Sanktionen wurden durch den deutschen Gesetzgeber nicht angeordnet. Auch hält sich das im Rahmen der Kapitalanlageberatung zur Verfügung stehende Rechtsfolgenregime 453 EuGH, Urt. v. 30. Mai 2013 – C-604/11 (Genil 48 SL u. a./Bankinter SA u. a.), EuZW 2013, S. 557 (560). 454 Classen, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 114 AEUV Rn. 29 m. w. N. 455 Bernau, EWiR 2013, S. 629 (630); Harnos, BKR 2014, S. 1 (7); Lieder, LMK 2013, 349404; Parmentier, EuZW 2014, S. 50 (52). 456 Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 26 – 28. 457 Grundmann, ERCL 2013, S. 267 (278 f.); Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn/HGB, Bd. 2 BankR Rn. VI 197; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 126; Herresthal, ZIP 2013, S. 1420 (1420 f.); so wohl auch Klöhn, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 6 Rn. 187 – 191. 458 Grundmann, ERCL 2013, S. 267 (278 f.); Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn/HGB, Bd. 2 BankR Rn. VI 197; Herresthal, ZIP 2013, S. 1420 (1421); so wohl auch Klöhn, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 6 Rn. 187 – 191.

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

an die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität, sodass ein ausreichender individueller Anlegerschutz gewährleistet ist. Dies wird im 5. Kapitel noch ausführlich gezeigt werden. Der BGH hat bereits in seiner „Lehman I“-Entscheidung umfangreich ausgeführt, dass sich insbesondere aus Art. 19 Abs. 1 MiFID I und Art. 26 Abs. 1 MiFID-DRL keine unmittelbaren Rechtswirkungen zugunsten des Anlegers ableiten lassen.459 In seiner Begründung verdeutlicht der BGH, dass eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien vor allem dann ausgeschlossen ist, wenn der Eintritt einer gemeinschaftlichen Rechtsfolge von einer gestalterischen Entscheidung des Mitgliedstaates oder eines Gemeinschaftsorgans abhängt.460 Die Bestimmungen der MiFID I und ihrer Durchführungsrichtlinie überlassen es den Mitgliedstaaten, in welcher Art und Weise die Bestimmungen in nationales Recht umzusetzen seien, insbesondere ob eine zivilrechtliche oder aufsichtsrechtliche Lösung gewählt werde.461 Diesbezüglich hat der deutsche Gesetzgeber im Rahmen des FRUG eine Umsetzung auf aufsichtsrechtlicher und gerade nicht auf zivilrechtlicher Ebene gewählt, sodass die aufsichtsrechtlichen Normen die zivilrechtlich zu beurteilende Haftung von Anlageberatern weder begrenzen noch erweitern.462 Im Ergebnis führt dies auch dazu, dass eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV in Bezug auf die vertragsrechtliche Geltung bzw. die vertragsrechtlichen Auswirkungen der Wohlverhaltenspflichten durch den BGH bzgl. die MiFID I zwar wünschenswert, aber bislang nicht notwendig ist bzw. war.463 Eine Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht immer nur dann, wenn eine Vorlagefrage betreffend die Auslegung oder Gültigkeit des Unionsrecht in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt wird, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können. Zu dieser doch sehr weiten Vorlagepflicht, die Art. 267 Abs. 3 AEUV normiert, gibt es nach der „C.I.L.F.I.T.“-Rechtsprechung464 des EuGH in Bezug auf die Vorlagepflicht von Auslegungsfragen drei Ausnahmefälle, nach denen eine Vorlagepflicht entfällt. Das Gericht kann von der Vorlage absehen, wenn (1) die Rechtsfrage des Ausgangsverfahrens bereits in einem gleich gelagerten Fall vorgelegt und durch den EuGH entschieden wurde, (2) sich zu der sich stellenden Frage bereits eine gesicherte Rechtsprechung herausgebildet hat (sog. acte éclairé = 459

BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (134). BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (135). 461 BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (135). 462 BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (135). 463 Andere Auffassung: Grundmann, ERCL 2013, S. 267 (278 f.); Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/HGB, Bd. 2 BankR Rn. VI 197; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (4); Herresthal, ZIP 2013, S. 1420 (1421); Herresthal, ZBB 2012, S. 89 (105 f.); Herresthal, ZBB 2009, S. 348 (353); Klöhn, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 6 Rn. 185. 464 EuGH, Urt. v. 6. Oktober 1982 – 283/81 (CILFIT), Slg. 1982, S. 3415 (3429 – 3431); besprochen von Herrmann, EuZW 2006, S. 231 – 235; Steindorff, ZHR 156 (1992), S. 1 – 16. 460

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

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geklärter Fall) oder (3) die richtige Auslegung der Auslegungsfrage derart offenkundig ist, das kein Raum für vernünftige Zweifel an der Entscheidung bleibt (sog. acte clair = klarer Fall). Es kann vorweggeschickt werden, dass sich eine gesicherte Rechtsprechung bezüglich einer möglichen vertragsrechtlichen Dimension der MiFID I europarechtlich noch nicht herausgebildet hat. Danach besteht durchaus ein berechtigter Grund zur Vermutung, dass die „Genil 48 SL“-Entscheidung allein für diese Annahme nicht ausreicht.465 Auch besteht kein Raum, einen „acte clair“ anzunehmen.466 Unabhängig davon, dass an diesen sehr hohe Anforderungen gestellt werden467, besteht wie bereits ausgeführt doch eine erhebliche Uneinigkeit bezüglich der zivilrechtlichen Implikationen der MiFID I. Ein Auslegungsergebnis dahingehend, dass die MiFID I eine aufsichtsrechtliche Rechtsnatur hat und vertragsrechtliche Sanktionen und Implikationen von dieser nicht ausgehen, ist nicht offenkundig und es werden durchaus auch begründete Zweifel an einer rein aufsichtsrechtlichen Lösung erhoben. Hingegen sprechen viele überzeugende Gründe dafür, dass eine Vorlagepflicht nicht besteht, weil die Rechtsfrage bzgl. vertragsrechtlicher Sanktionen der MIFID I bereits in einem gleich gelagerten Fall, der „Genil 48 SL“Entscheidung, dem EuGH vorgelegt und entschieden wurde. Jedoch hat der EuGH wie bereits ausgeführt klargestellt, dass die MiFID I sich selbst nicht zu möglichen vertragsrechtlichen Sanktionen äußert und diese daher durch die Mitgliedstaaten festzulegen seien. Der BGH konnte vor diesem Hintergrund bzgl. der Auslegung der Wohlverhaltenspflichten nach der MiFID I zu Recht annehmen, dass keine Vorlagepflicht wegen eines bereits bestehenden Vorabentscheidungsurteils in einem gleich gelagerten Falles besteht. Auch wenn dieses Urteil als Vorabentscheidungsurteil zunächst nur eine Wirkung inter partes allein für das Ausgangsverfahren aufweist, ist zu Recht auch eine faktische Bindungswirkung erga omnes und damit eine Präjudizwirkung anzunehmen, um unionsweit ein einheitliches Verständnis des Unionsrechts zu gewährleisten.468 Darauf beruft sich der BGH zu Recht und eine Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV war somit nicht gegeben. So werden auch die drei wesentlichen Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens nicht umgangen: (1) Sicherung einer unionsweit einheitlichen Auslegung, (2) Sicherung des individuellen Rechtsschutzes und (3) eine erhebliche Bedeutung für die Rechtsfortbildung in der EU.469 Insbesondere die Funktion der Sicherung einer unionsweit einheitlichen Auslegung hinsichtlich der MiFID I ist insoweit nicht 465

Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (4). Grigoleit, ZHR 177 (2013), S. 264 (277); Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (4); Herresthal, ZBB 2012, S. 89 (105 f.). 467 Ausführlich zur „acte clair“-Doktrin: Kühling/Drechsler, NJW 2017, S. 2950 – 2955. 468 Düsterhaus, EuR 2017, S. 30 (34); Gaitanides, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 267 AEUV Rn. 89, 93; Ehricke, in: Streinz, Art. 267 AEUV Rn. 68 f.; Latzel/Streinz, NJOZ 2013, S. 97 (108). 469 Ausführlich hierzu Wegener, in: Calliess/Ruffert, Art. 267 AEUV Rn. 1 – 2; Ehricke, in: Streinz, Art. 267 AEUV Rn. 5 – 9; siehe auch Gaitanides, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 267 AEUV Rn. 6 – 13, der jedoch nur von einer Doppelfunktion (Wahrung der Rechtseinheit und Rechtsschutzfunktion) spricht. 466

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

gefährdet, als aufgrund der „Genil 48 SL“-Entscheidung bereits klargestellt wurde, dass die Frage nach vertragsrechtlichen Sanktionen den Mitgliedstaaten und ihren Rechtsordnungen überlassen ist. Diesem Befund widerspricht auch nicht die Tatsache, dass in einigen Mitgliedstaaten die Wohlverhaltenspflichten als individualschützende und damit vertragsrechtliche Pflichten aufgefasst werden.470 Denn dies ist nur einmal mehr Ausdruck der Rechtsvielfalt, die sich vor allem im nationalen Vertragsrecht zeigt. Denn wie noch zu zeigen sein wird, ist ein solches Verständnis der Wohlverhaltenspflichten im deutschen Vertragsrecht nicht notwendig, weil bereits ausreichende Schutzmechanismen zugunsten des Schutzes des einzelnen Anlegers vorhanden sind. Hinsichtlich der aufsichtsrechtlichen Implementierung der MiFID-I-Vorgaben zeigt sich jedoch keine Divergenz zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten. Es lässt sich zudem sehr gut argumentieren, dass sich der BGH die Deutungshoheit über das nationale und nicht europäisierte Vertragsrecht im Bereich der Kapitalanlageberatung zu Recht bewahren möchte. Darin ist auch keine Umgehung der Vorlageverpflichtung erkennbar. Diesbezüglich lässt sich zudem argumentieren, dass selbst ein Verstoß gegen die Vorlagepflicht nur in eng umgrenzten Fällen sanktionsbewährt ist.471 Zutreffend wird dies mit der richterlichen Unabhängigkeit gerechtfertigt, weil der nationale Richter in die Herausbildung und Fortbildung des Unionsrechts lediglich eingebunden, aber nicht zu einer Vorlage gezwungen werden soll.472 Die unmittelbare Kenntnis des Sachverhalts und der diesbezüglich zu beurteilenden Rechtsfragen hat der nationale Richter, der auch die Verantwortung für die zu erlassende Entscheidung trägt.473 Darüber hinaus ist zu bedenken, dass der EuGH nicht zu einer zivilrechtlichen Superrevisionsinstanz in Anlegerschutzprozessen werden sollte und in der Folge die nationalen Gerichte in ihrer Auslegungsmacht geschwächt würden.474 c) MiFID II und MiFID II-DRL und -DVO Die Aussagen bezüglich des aufsichtsrechtlichen Gegenstandsbereichs und des vollharmonisierenden Ansatzes der MiFID I und MiFID I-DRL gelten auch weitgehend in Bezug auf die MiFID II, MiFIR und ihre Durchführungsverordnungen und Durchführungsrichtlinie, weil aus diesen im Wesentlichen kein Wandel des Regulierungsansatzes ersichtlich ist.475 Es geht dabei nicht um eine vollständige Neukonzeption, sondern um eine Verbesserung einzelner Bereiche als Reaktion auf die 470 Nachweise bzgl. eines solchen Verständnisses bei Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn/HGB, Bd. 2 BankR Rn. VI 197 Fn. 527. 471 Wegener, in: Calliess/Ruffert, Art. 267 AEUV Rn. 34. 472 Wegener, in: Calliess/Ruffert, Art. 267 AEUV Rn. 34. 473 Wägenbaur, EuZW 2000, S. 37 (39). 474 Grigoleit, ZHR 177 (2013), S. 264 (273); Koch, ZBB 2014, S. 211 (217). 475 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 62; Baur, jurisPRBKR 6/2017 Anm. 1, Teil G; ausführlich hierzu Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 42 – 48.

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

185

Finanzkrise im Jahr 2008, wobei durchaus ein Schwerpunkt der Umsetzung der MiFID II auf eine Neuordnung der Verhaltens- und Organisationspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen und somit eine Stärkung des Anlegerschutzes Wert gelegt wurde.476 Vor allem das prägende Regelungsregime der Wohlverhaltenspflichten ist weiterhin europäisch geprägt und eine striktere primäre Richtschnur bei der Anwendung – und damit eine richtlinienkonforme Auslegung – folgt aus den europäischen Vorgaben477. Die MiFID II baut insoweit ausdrücklich nach den Erwägungsgründen 1 und 7 auf die Vorgaben der MiFID I auf.478 Es wurde auch davon gesprochen, „die nach zehnjähriger Amtszeit etwas in die Jahre gekommene MiFID-I-Richtlinie (…) einem grundlegenden ,Facelift‘ zu unterziehen“479. Der Erlass der MiFID II wurde erneut auf Art. 53 Abs. 1 AEUV und das Prinzip der Herkunftslandaufsicht und nicht auf Art. 114 AEUV gestützt. Auch lässt erneut der Erwägungsgrund 3 einen vollharmonisierenden Ansatz erkennen, jedoch wiederum nur für den Bereich des Aufsichtsrechts. Denn auch die Erwägungsgründe 3, 7, 50 und 164 der MiFID II lassen den aufsichtsrechtlichen Regelungsbereich deutlich erkennen. Erneut fehlt eine konkrete Anordnung zivilrechtlicher bzw. vertragsrechtlicher Rechtsfolgen bei Verstößen gegen die Wohlverhaltenspflichten; sie beschränkt sich allein auf die konkrete Anordnung verwaltungsrechtlicher Sanktionen.480 Wie schon bei der WpDRL, der MiFID I und ihrer DRL lassen auch die Erwägungsgründe der MiFID II und ihrer Del. RL (EU) 2017/593 und Del. VO (EU) 2017/565 keine eindeutige Tendenz zu einem Überwiegen des individuellen Anlegerschutzes erkennen. Die Erwägungsgründe 3, 37, 70, 86, 104 und 164 der MiFID II, die Erwägungsgründe 38, 86 der Del. VO (EU) 2017/565 und die Erwägungsgründe 3, 11, 15, 18 und 21 der Del. RL (EU) 2017/593 sprechen allgemein vom Anlegerschutz, worunter der individuelle und der institutionelle Anlegerschutz fallen oder betonen gar die Stabilität, Integrität und Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes und lassen so erkennbar den Funktionsschutz in den Vordergrund treten. Das WpHG konzentriert sich demnach auch nach der MiFID II und dem 2. FiMaNoG auf das sog. public enforcement durch die BaFin.481 Darüber hinaus obliegt die Rechtsdurchsetzung der Regelungen der MiFID II und ihrer Durchsetzungsrichtlinien und -verordnungen weiterhin den Mitgliedstaaten, sodass diese eine ef-

476

Mock/Stüber, Das neue Wertpapierhandelsrecht, Teil E Rn. 146; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (2); Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 40, D. Rn. 125 f.; Baur, jurisPR-BKR 6/2017 Anm. 1, Teil A.; Lange/Baumann/Prescher et al., DB 2018, S. 556 (556); Buck-Heeb/Poelzig, BKR 2017, S. 485 (485); Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 30, 37. 477 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (1); Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 41, D. Rn. 125. 478 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 125. 479 Roth/Blessing, WM 2016, S. 1157 (1157). 480 Buck-Heeb/Poelzig, BKR 2017, S. 485 (494). 481 Buck-Heeb/Poelzig, BKR 2017, S. 485 (485, 494).

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

fektive Rechtsdurchsetzung gewährleisten müssen.482 So verlangen auch die MiFID II und ihre Durchführungsrichtlinien und Durchführungsverordnungen keine Angleichung bzw. Harmonisierung des zivilrechtlichen Haftungskonzepts im Rahmen der Kapitalanlageberatung. Erneut spricht auch hier das Argument, dass die Vorgaben der MiFID I in vielen Mitgliedstaaten zivilrechtlich verstanden würden, nicht für eine zivilrechtliche Einordnung der Regelungen der MiFID II.483 Das bereits im Rahmen der MiFID I in Art. 53 geregelte außergerichtliche Verfahren für Anlegerbeschwerden, nunmehr geregelt in Art. 75 MiFID II und bezeichnet als außergerichtliches Verfahren für Verbraucherbeschwerden, bietet kein Indiz für eine zivilrechtliche Qualifikation der Verhaltenspflichten. Es wird in diesem Zusammenhang lediglich die Möglichkeit geschaffen, dass Anleger- bzw. Verbraucherinteressen bezüglich der Einhaltung aufsichtsrechtlicher Normen ernst genommen werden und diese somit die Befolgung der Vorschriften mitüberwachen können. So lässt sich erneut hervorheben, dass eine Stärkung des Anlegerschutzes auch durch Aufsichtsrecht effektiv möglich ist und von diesem kein zwingender Individualanlegerschutz ausgehen muss, wenn zudem vertragsrechtlich ein ausreichender Anlegerschutz gewährleistet wird. Es lässt sich durchaus argumentieren, dass der Anlegerschutz im Sinne eines Individualschutzes in der MiFID II deutlicher betont wird als in der MiFID I, vor allem unter Hervorhebung des störanfälligen Anlegervertrauens.484 Jedoch lässt sich dies auf die häufig angeführte Unsicherheit für den Anleger, ob er vertragsrechtliche Haftungsansprüche aus dem WpHG ableiten kann,485 faktisch nicht fruchtbar machen, da vor allem auch in dem Urteil vom 3. Juni 2014 – XI 147/12 klargestellt wurde, dass sich Haftungsansprüche selbst nur aus dem Vertragsrecht ergeben können und der Grundsatz der Transparenz von Zuwendungen über §§ 133, 157 BGB in der Anlegererwartung seinen Niederschlag findet und insofern eine Aufklärungspflicht besteht, die aber aus dem Zivilrecht folgt. Dies wird im Rahmen des 4. und 5. Kapitels noch ausführlich gezeigt. Eine Vorlagepflicht des BGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV ist, sofern die Regelungen in der MiFID II und die Auslegung dieser als rein aufsichtsrechtlich oder zivilrechtlich für den konkret zu entscheidenden Fall entscheidungserheblich sind, wünschenswert, ja gar notwendig nach der C.I.L.F.I.T.-Rechtsprechung des EuGH. Denn Auslegungsfragen hinsichtlich der aufsichtsrechtlichen oder vielleicht doch zivilrechtlichen Rechtsnatur der MiFID II wurden bislang noch nicht vom EuGH geklärt, sodass grundsätzlich kein Ausnahmetatbestand vorliegt, der die Vorlagepflicht verneint. Insbesondere reicht eine Berufung auf die „Genil 48 SL“-Entscheidung nicht aus.486 Ihr kommt allenfalls eine Indizwirkung zu. Allerdings muss 482

Maume, ZHR 180 (2016), S. 358 (363). So aber Klöhn, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, Rn. 188, 189. 484 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 125. 485 So etwa Buck-Heeb/Poelzig, BKR 2017, S. 485 (494). 486 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (4); ders., in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 126; Harnos, BKR 2014, S. 1 (8). 483

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

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im konkreten Einzelfall eine Entscheidungserheblichkeit der Auslegungsfrage vorliegen. Ob eine solche Entscheidungserheblichkeit der Vorfrage gegeben ist, beurteilen die mitgliedstaatlichen Gerichte jedoch selbst.487 Erst dann kann geklärt werden, ob zum Beispiel die MiFID II eine aufsichtsrechtliche oder vertragsrechtliche Rechtsnatur aufweist oder ob sie trotz aufsichtsrechtlicher Rechtnatur ein dennoch vertragsrechtliches Sanktionsregime fordert. Nur dann ließe sich abschließend klären, ob das bestehende nationale vertragsrechtliche Haftungsregime im Rahmen der Kapitalanlageberatung tatsächlich ausreichende effektive und äquivalente Sanktionen vorsieht, so wie dies in der vorliegenden Arbeit angenommen und vertreten wird. Es lässt sich durchaus argumentieren, dass sich der EuGH in der „Genil 48 SL“Entscheidung zu der konkret zu klärenden Frage, ob effektive privatrechtliche Durchsetzungsmechanismen von der MiFID I bzw. nunmehr MiFID II intendiert sind, bislang nicht geäußert hat.488 Es fehle an einer konkreten Vorlagefrage an den EuGH, weil sich die beiden bisher vorliegenden EuGH-Entscheidungen489 nicht mit der Frage beschäftigten, ob eine Richtlinienkonformität dahingehend besteht, dass auf Verstöße gegen die MiFID II mit keinerlei zivilrechtlichen Sanktionen zu reagieren ist, auch wenn ein Anlegerschaden darauf zurückzuführen und nachzuweisen ist.490 In diesem Zusammenhang wird häufig die Grundsatzentscheidung zu einem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch im Wettbewerbsrecht angeführt, nach der der EuGH aus dem Umstand, dass das Wettbewerbsrecht auch einen Verbraucherschutz bezweckt, einen Schadensersatzanspruch der Verbraucher bei wettbewerbsrechtlichen Verstößen abgeleitet hat.491 Denn schließlich liege das vorrangige Schutzziel der MiFID II für die Wohlverhaltenspflichten bei dem Anlegerschutz, vgl. Erwägungsgründe 3, 4 und 164 der MiFID II, und der EuGH würde bei Vorlage der „richtigen“ Frage das Fehlen jeglichen effektiven privatrechtlichen Durchsetzungsmechanismus als mit der MiFID II unvereinbar einstufen.492 Es liege in dem konsequenten Ausschluss vertraglicher Ansprüche bei Verstößen gegen MiFID IIoder WpHG-Vorgaben ein Anachronismus vor, der nach Auffassung in Teilen der Literatur auch vom BGH langsam aufgelöst werde, insbesondere durch das Urteil vom 3. Juni 2014 – XI 147/12.493 Hiergegen ist jedoch zunächst einzuwenden, dass eine Parallelität von Kapitalmarktrecht und Wettbewerbsrecht zwar auf den ersten Blick plausibel erscheint, aber 487

Calliess, NJW 2013, S. 1905 (1906). Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (4); Harnos, BKR 2014, S. 1 (8). 489 EuGH, Urt. v. 30. Mai 2013 – C-604/11 (Genil 48 SL u. a./Bankinter SA u. a.), EuZW 2013, S. 557; EuGH, Urt. v. 3. Dezember 2015 – Rs C-312/14, ZIP 2016, S. 256. 490 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (4); Harnos, BKR 2014, S. 1 (8). 491 EuGH, Urt. v. 20. September 2001 – Rs C-453/99 (Courage v Crehan), Slg. 2001 I-6297, Rz. 19 – 28; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (4); Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (565 f.). 492 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (4). 493 So etwa Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (4); Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 853. 488

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

auf den zweiten Blick doch auffällt, dass ein intendierter Verbraucherschutz im Wettbewerbsrecht nicht mit dem Anlegerschutz im Kapitalmarktrecht, der sowohl den institutionellen als auch den individuellen Anlegerschutz umfasst, gleichgesetzt werden kann. Denn wie im 5. Kapitel dieser Arbeit noch gezeigt wird, können Verbraucherschutz und Anlegerschutz nicht synonym verwendet werden. Darüber hinaus stellt sich die gegenwärtige Rechtslage nicht so dar, dass der Anleger bei Verstößen gegen Vorgaben des WpHG völlig schutzlos dastünde. Denn Verhaltenspflichten der Banken sind, insbesondere bezüglich Aufklärungspflichten, des Umgangs mit Interessenkollisionen und Zuwendungen, auch zivilrechtlich verankert und geregelt, sodass dem Anleger durchaus zivilrechtliche Schadensersatzansprüche bei Pflichtverletzungen zur Seite stehen. Eine zivilrechtliche Wirkung der Wohlverhaltenspflichten ist gerade nicht erforderlich. Darüber hinaus stellt der BGH in der Entscheidung vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 ausdrücklich klar, dass die Wohlverhaltenspflichten öffentlich-rechtlicher Natur sind und zudem ein zivilrechtlicher Grundsatz der Transparenz besteht. Der vom BGH gewählte Weg über bestehende Grundprinzipien des Aufsichtsrechts und ein aufsichtsrechtlich verankertes Transparenzgebot ist missverständlich und – wie in den folgenden Kapiteln der Arbeit gezeigt wird – nicht überzeugend. d) Zwischenfazit Zunächst wird bezüglich des Harmonisierungsgrades der einzelnen Richtlinien deutlich, dass es zu einem Umdenken gekommen ist und anstelle des zunächst verfolgten Ansatzes der Mindestharmonisierung der WpDRL nun bei Erlass der MiFID I und der MiFID II ein vollharmonisierender Ansatz gewählt wurde. Die damit verbundene gesteigerte Regulierungsintensität ähnelt dem Umdenken bei dem Erlass privatrechtlicher Richtlinien, die nunmehr wie die VerbraucherrechteRichtlinie494 in der Regel eine Vollharmonisierung anstreben.495 Entscheidend kann jedoch hervorgehoben werden, dass der angestrebte Harmonisierungszweck insbesondere der MiFID II durch schärfere zivilrechtliche Pflichten nicht unterlaufen wird, weil die schärferen zivilrechtlichen Vorschriften dem zentralen Ziel der 494 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, Abl. EU L 304, S. 64. 495 Vgl. ausdrücklich zum Kapitalmarktrecht: Klöhn, in: Langenbucher (Hg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 6 Rn. 15, der diese Entwicklung im Hinblick auf eine drohende Rechtszersplitterung betrachtet, sowie Möllers, in: Gsell/Herresthal (Hg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, Vollharmonisierung im Kapitalmarktrecht, S. 247 (250 – 252, 255); Parmentier, EuZW 2014, S. 50 (57); vgl. zu den privatrechtlichen Richtlinien: Gsell/Herresthal, in: Gsell/ Herresthal (Hg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, Einleitung, S. 1 (2); Grigoleit, AcP 210 (2010), S. 354 (408); Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, § 3 Rn. 23; Riesenhuber, EUVertragsrecht, § 5 Rn. 49.

III. Einfluss der Wohlverhaltenspflichten auf die Vertragsbeziehung

189

Richtlinie, auch den individuellen Anlegerschutz zu stärken, gerade entsprechen und nicht zuwiderlaufen.496 Festzuhalten ist zudem, dass sich aus den Erwägungsgründen allein nicht zu schließen ist, ob nun der individuelle oder der institutionelle Anlegerschutz bei der Zielsetzung der jeweiligen Richtlinie überwiegt. Daraus kann nur geschlossen werden, dass der individuelle und der institutionelle Anlegerschutz Hand in Hand gehen und der eine ohne den anderen nicht denkbar ist. Eine Vorlage durch den BGH wäre, sofern die Auslegungsfragen bzgl. der MiFID I oder der MiFID II hinsichtlich der vertragsrechtlichen Dimension für einen konkret zu entscheidenden Fall entscheidungserheblich wären, jedoch begrüßenswert. Denn oftmals wird „eine wertvolle Chance vertan, die Rechtsprechung des EuGH und damit die Entwicklung des Unionsrechts positiv im Sinne der Parteien, des nationalen Gerichts, der deutschen und damit letztlich europäischen Gesamtrechtsordnung mitzugestalten.“497 Mit Maume lässt sich durchaus argumentieren, dass unzureichend durchgesetzte Regelungen denjenigen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, die sich an die Regeln nicht halten und somit die ineffektive Rechtsdurchsetzung in Einzelfällen zu schlechteren Ergebnissen führen kann als das Nichtvorhandensein von Regelungen.498

5. Zusammenfassung Auf den ersten Blick scheint die zivilrechtliche Qualifikation oder zumindest Ausstrahlung der Wohlverhaltenspflichten auf das Vertragsrecht ihren Charme zu haben und „eine elegante Lösung“499 darzustellen. Es könnte so zu einer angemessenen Kompensation, in Einzelfällen gar Überkompensation, etwaiger Schäden aufgrund einer fehlgeschlagenen Anlage kommen, eine Entlastung staatlicher Behörden wäre die Folge und auch der Verhaltenssteuerung durch Haftung würde Ausdruck verliehen werden.500 Dies greift jedoch zu kurz. Denn es wird durch die ja fast blinde Annahme einer privatrechtlichen Durchsetzung der Wohlverhaltenspflichten nicht Rechnung getragen, dass die Sanktionierung häufig von Zufälligkeiten abhängt, Trittbrettfahrerprobleme sowie Kostenaspekte einer Klageflut sowohl für die Anleger, Marktintermediäre und Emittenten als auch die deutsche Justiz

496 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 11. 497 Kühling/Drechsler, NJW 2017, S. 2950 (2950). 498 Maume, ZHR 180 (2016), S. 358 (362). 499 Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 13. 500 Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 13 f.

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

unberücksichtigt bleiben.501 Die private Normdurchsetzung ist zudem von einer Eindimensionalität geprägt, weil Schadensersatz in Form einer Geldzahlung in der Regel nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip gewährt wird.502 Das Zivilrecht bietet insoweit kein breites Spektrum an Eingriffs- und Handlungsmöglichkeiten vergleichbar mit denen der BaFin.503 Auch ist die Leistungsfähigkeit des privatrechtlichen Haftungsregimes nicht gesichert und ausreichend erprobt.504 Die Justiz würde vor einem Zusammenbruch stehen, wenn nunmehr jeder Normverstoß vor Gericht käme.505 Für die Präventionswirkung einer Verschuldenshaftung ist es nicht erforderlich, dass jeder Gesetzesverstoß sanktioniert wird, sondern bereits die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme ist für die verhaltenssteuernde Wirkung der Haftung ausreichend.506 Die Inanspruchnahme muss jedoch nicht auf zivilrechtlichem Weg erfolgen; aufsichtsrechtliche Sanktionen in Form von Bußgeldern oder Verwarnungen erfüllen diesen Zweck ebenfalls. Nicht außer Acht zu lassen ist, dass die Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG „mit der Breite des behördlichen Sanktionsapparates im Kopf geschrieben“507 wurden. Verstöße gegen diese werden aufsichtsrechtlich sanktioniert, dass jeder Verstoß gegen diese nunmehr auch zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen soll, ist so nicht intendiert.508 Weder im Wege des Grundsatzes der „Einheit der Rechtsordnung“ noch im Rahmen einer rechtlichen Ausstrahlungswirkung haben die Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG eine rechtlich unmittelbare bzw. mittelbare Einwirkung auf die Vertragsbeziehung. Diese Lösung ist auch nicht treuwidrig gem. § 242 BGB wie von Wieneke509 behauptet, weil öffentlich-rechtliche anlegerschützende Vorschriften gerade dann nicht unmittelbar zivilrechtliche Geltung beanspruchen müssen und so zwischen dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen und seinem Kunden wirken,

501 Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 14 f. 502 Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 15. 503 Diskussionsbeitrag von Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 92. 504 Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 25. 505 Diskussionsbeitrag von Wagner, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 81. 506 Diskussionsbeitrag von Wagner, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 81. 507 Diskussionsbeitrag von Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 95; Diskussionsbeitrag von Grigoleit, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 96 f. 508 Diskussionsbeitrag von Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 95. 509 Wieneke, Discount-Broking, S. 94.

IV. Zwischenergebnis

191

wenn dieser Schutz schon anderweitig gewährleistet ist. Dies wird in den zwei folgenden Kapiteln, vor allem aber im 5. Kapitel dieser Arbeit, dargestellt. Die aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltensregeln sind zwar im Zusammenhang mit den vertragsrechtlichen Pflichten eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens zu sehen510, aber nicht weil es zu einer Ausstrahlung dieser auf das Vertragsrecht kommt, sondern umgekehrt, weil diese vom Vertragsrecht beeinflusst wurden. Die Autonomie des Vertragsrechts bzw. des Zivilrechts ist insoweit zu wahren. Zudem ist zu bedenken, dass der EuGH bei einer Übernahme der Schutzstandards der Wohlverhaltenspflichten zu einer Superrevisionsinstanz511 würde, weil jeder noch so kleine Fall aufgrund der europarechtlich ausgebildeten Wohlverhaltenspflichten vor dem EuGH überprüft werden könnte.

IV. Zwischenergebnis Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die §§ 63 ff. WpHG n. F. sowie die §§ 31 ff. WpHG a. F. reines Aufsichtsrecht und damit öffentliches Recht sind. Darüber hinaus ist auch eine Ausstrahlungswirkung abzulehnen. Eine solche ergibt sich auch nicht aufgrund einer europarechtlichen Auslegung und ihrer Implikationen. Mit Blick auf die Entscheidung des BGH vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 lässt sich zusammen mit Spindler festhalten, dass weder europarechtliche Gründe noch die Umsetzung der MiFID I und II dafür sprechen, die schuldrechtliche Verbindung der Parteien mit ihren teilweise privatautonom ausgehandelten und teilweise von der Rechtsprechung festgelegten Pflichten durch einen vom Aufsichtsrecht überlagerten individuellen Interessenausgleich auszutauschen.512 Das Urteil des BGH vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 verdeutlicht einmal mehr, dass eine „automatische Anpassung“ des Zivilrechts an die Vorgaben des Aufsichtsrechts nicht erfolgt, sondern die zivilrechtlichen Pflichten eigenständig festzustellen und dogmatisch zu begründen sind.513 Dogmatischer Anknüpfungspunkt ist und bleibt im Rahmen der Kapitalanlageberatung eine Verletzung einer aus dem Beratungsverhältnis resultierenden Pflicht und nicht „ein aus der systemwidrigen Verschmelzung von Aufsichts- und Zivilrecht gewonnener Zusatzanspruch gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB“514.

510 Seyfried, in: Kümpel/Wittig (4. Auflage, 2011), Rn. 3.90; Oulds, in: Kümpel/Mülbert/ Früh/Seyfried, Rn. 11.10 – 11.14. 511 So etwa Diskussionsbeitrag von Grigoleit, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 96. 512 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 13. 513 Voß, in: Just/Voß/Ritz et al., § 31 WpHG Rn. 41. 514 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 13.

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3. Kap.: Die Bedeutung des Aufsichtsrechts

Welche Auswirkungen dieses Resultat mit Blick auf den Zuwendungskonflikt im Rahmen der Kapitalanlageberatung hat, wird in den folgenden Kapiteln 4 und 5 eingehend dargestellt.

4. Kapitel

Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht am Beispiel der Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten bei der Aufklärung über Zuwendungen Nachdem im 2. und 3. Kapitel die allgemeinen vertragsrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Grundlagen dargestellt und dogmatisch eingeordnet wurden, wird in diesem Teil als letzter Zwischenschritt für die rechtsdogmatische Begründung des Transparenzgebotes bezüglich der Offenlegung von Zuwendungen im Kapitalanlagerecht die Frage der Vermeidung und Offenlegung von Interessenkonflikten und der damit verbundenen Offenlegung von Zuwendungen dargestellt. Im Mittelpunkt stehen dabei zunächst die zivilrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Vorgaben zur Offenlegung von Interessenkonflikten und Zuwendungen. Sowohl die aufsichtsrechtlichen als auch die zivilrechtlichen Verhaltensnormen werden im Folgenden zwar zunächst getrennt erörtert, hervorzuheben ist jedoch, dass die Vorgaben des WpHG immer auch im Zusammenhang mit den Vorgaben des BGB bzw. des Zivilrechts allgemein zu betrachten sind1.

I. Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten im Kapitalanlagerecht Für die multifunktional tätigen Banken und Wertpapierdienstleistungsunternehmen ergeben sich vielfältige Interessenkonflikte bei Kundenbeziehungen im Wertpapiergeschäft und daraus erwachsende kapitalmarktrechtliche Verhaltenspflichten; sie sind dem Wirtschaftsleben inhärent.2 Das Vorliegen von Interessenkonflikten hat auch der Gesetzgeber in einer arbeitsteiligen Wirtschaft anerkannt, er verlangt jedoch auch, dass unvermeidbare Interessenkonflikte aufzulösen sind.3 Was jedoch sind Interessenkonflikte? Der Begriff wird wie Kumpan herausstellt regelmäßig als bekannt vorausgesetzt; auch hat sich weder ein einheitliches Begriffsverständnis 1

Seyfried, in: Kümpel/Wittig, Wertpapieraufsichtsrecht, Rn. 3.90. Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 2; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 803. 3 Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 25. 2

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

noch eine einheitliche Dogmatik herausgebildet.4 Eine Legaldefinition findet sich trotz der hohen Bedeutung von Interessenkonflikten im Wirtschaftsleben und gerade im Bereich der Anlageberatung weder im BGB noch im WpHG. Selbst in den Wirtschaftswissenschaften ist der Begriff nicht einheitlich begrifflich erfasst.5 Die von Kumpan in seiner Habilitationsschrift6 entwickelte Begriffsdefinition dient den nachfolgenden Ausführungen als Grundlage und wird noch einmal knapp zusammengefasst, um den Interessenkonflikt bzw. die Interessenkonflikte, die sich bei Zuwendungsfragen im Kapitalanlagebereich stellen, näher zu untersuchen.

1. Begriff des Interessenkonflikts Interessenkonflikte können in einer Vielzahl von Vertragsbeziehungen und im Rahmen der unterschiedlichsten Vertragstypen auftauchen und sind insbesondere bei der Regulierung von Verhaltenspflichten sowohl im Vertragsrecht als auch im öffentlichen Recht von großer Bedeutung. Die bestehenden Wissensunterschiede zwischen zwei Vertragsparteien sind keine vorübergehenden Reibungselemente, „sondern konstitutioneller Bestandteil marktförmiger Austauschprozesse“7.8 In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass in der Regel eine Partei über einen erheblichen Informationsvorsprung verfügt und daher ein Vertrag in den seltensten Fällen unter den Idealbedingungen vollständiger Information9 geschlossen wird.10 Trotz der Bedeutsamkeit dieses Begriffes gibt es wie bereits festgestellt weder im Zivilrecht noch im öffentlichen Recht eine Legaldefinition. Zur Klärung des Begriffes ist auf die höchstrichterliche Rechtsprechung und die Wissenschaft zurückzugreifen, wobei die hiesige Arbeit die Entwicklung des Begriffes in seinen Tiefen nicht nachzeichnen wird, weil dies an anderer Stelle bereits ausführlich ausgearbeitet wurde. Demnach liegen Interessenkonflikte immer dann vor, wenn sich Handlungsmöglichkeiten eines Interessenwahrers nicht mit den Treuepflichten gegenüber dem Auftraggeber vereinbaren lassen oder potenziell konfligierende Treuepflichten gegenüber mehreren Personen bestehen.11 Ausgangspunkt für diese Definition ist in einem ersten Schritt der Begriff des Interesses, der subjektiv zu bestimmen ist.12 In 4

Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 11 f. Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 13. 6 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, Tübingen, 2014. 7 Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, § 1 Einl., S. 1. 8 Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, § 1 Einl., S. 1. 9 Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, § 1 Einl., S. 1. 10 Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, § 1 Einl., S. 1. 11 Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 26; ausführlich Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 21 – 29; Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 62. 12 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 17 – 21. 5

I. Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten

195

einem zweiten Schritt sind für die Definition des Interessenkonfliktes die jeweiligen Interessenstrukturen der einzelnen Vertragsverhältnisse in den Blick zu nehmen,13 die ausführlich im 2. Kapitel dargestellt wurden. Deutlich wird daran, dass insbesondere bei den Verträgen, denen eine Interessenwahrung inhärent ist, Interessenkonflikte zentral sind, weil nur bei diesen die intensivste Form einer Treuepflicht auftritt.14 Kennzeichnend ist insoweit in diesem Zusammenhang, „dass in ein- und derselben (natürlichen) Person divergierende Interessen (…) aufeinander treffen, die ihren Ursprung in unterschiedlichen (Statusverhältnissen) dieser Person haben“15. Dies verdeutlicht in Fällen der Anlageberatung als Fremdinteressenwahrungsvertrag, dass die beratende Bank als Interessenwahrer, die eine besondere Stellung als „sachkundiger Entscheider“16 inne hat, verpflichtet ist, Entscheidungen für den Geschäftsherren zu treffen, z. B. bezüglich der vorgelegten Auswahl der möglichen Anlageobjekte, und dabei nicht ausschließlich die Anlageziele und auch die persönlichen Wünsche des Anlegers berücksichtigt, sondern vorrangig ihr Provisionsinteresse im Blick hat. In dieser Situation kann der Anleger als Geschäftsherr die Einwirkungsmöglichkeiten des Interessenwahrers auf die Entscheidung schwer kontrollieren, wenn besondere Konfliktsituationen mit Gefährdungspotenzial undurchsichtig sind und nicht offengelegt werden.17 In einem weiteren Schritt ist eine Unterscheidung der unterschiedlichen Interessenkonflikte jeweils nach der Richtung des Konflikts möglich, wonach es gegenläufige, parallele, interne, externe bzw. mittelbare Interessenkonflikte geben kann.18 Kumpan systematisiert die Interessenkonflikte präziser (1) nach den kollidierenden Interessen, (2) nach der Konfliktdauer, (3) nach den Konfliktursachen und (4) danach, ob Konflikte abstrakt oder konkret vorliegen.19 Ein gegenläufiger bzw. vertikaler Interessenkonflikt tritt in der Regel zwischen Marktteilnehmern auf unterschiedlichen Seiten auf, wie z. B. zwischen Emittent und Investor, platzierender Bank bzw. dem Anlageberater und dem Anleger oder dem Wertpapierhändler und dem Kunden.20 Parallele bzw. horizontale Interessenkonflikte treten zwischen verschiedenen konkurrierenden Kunden bzw. zwischen Kunde und Bank auf derselben

13

Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 22. Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 26 f. 15 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 27. 16 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 28. 17 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 28. 18 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 37 – 44; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 804 f. 19 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 38 – 44. 20 Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 26a; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 38; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 805; Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 63. 14

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

Marktseite auf.21 Interne Interessenkonflikte sind Konflikte, die ein Marktteilnehmer selbst mit eigenen Interessen hat, wohingegen externe auch fremde Interessenkonflikte sind, die einen Marktteilnehmer konkret nicht, aber mittelbar betreffen; solche können dann indirekte oder auch mehrstufige Interessenkonflikte sein.22 Zudem können Interessenkonflikte dauerhaft auftreten,23 wie z. B. im Fall der Vermögensverwaltung, oder punktuell24, wie z. B. bei einzelnen Anlageberatungsverträgen. Darüber hinaus ist eine Differenzierung zwischen einfachen und schweren sowie abstrakten und konkreten Interessenkonflikten und den einzelnen Konfliktursachen erforderlich, weil sich nach dem Grad der Schwere des Konflikts die Intensität der Informations- und Aufklärungspflichten bemisst.25

2. Regelungskonzept im Vertragsrecht Grundsätzlich erfolgen ein angemessener Umgang und eine angemessene Lösung von Interessenkonflikten, indem entweder der Marktteilnehmer, der sich in einem Interessenkonflikt befindet, von dem konkreten Geschäft Abstand nimmt oder den bestehenden Konflikt durch Priorität oder Gleichbehandlung auflöst.26 Dies geschieht in der Regel durch eine Offenlegung des konkreten Konflikts gegenüber den Vertragspartnern und unter Hinweis auf die bestehenden Verfahren und ComplianceRegeln zum Umgang mit und der Vermeidung von Interessenkonflikten.27 In diesem Zusammenhang sind die (vor-)vertraglichen Informations-, Offenlegungs- und Aufklärungspflichten von zentraler Bedeutung und im Zusammenspiel mit der Interessenwahrungspflicht stricto sensu und der Treuepflicht zusammenzubringen. a) Interessenwahrungs- und Treuepflicht als Grundlage für den Umgang mit Interessenkonflikten Im 2. Kapitel dieser Arbeit wurden der Begriff und die allgemeine Bedeutung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu ausführlich erörtert und dargestellt. Für den Umgang mit Interessenkonflikten im Vertragsrecht ist diese, wie bereits festgestellt, vor allem bei Fremdinteressenwahrungsverträgen von zentraler Bedeutung und zentraler Bestandteil der rechtlichen Beziehung zwischen einem Interessenwahrer 21 Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 26a; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 39 – 40; Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 64. 22 Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 28. 23 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 41. 24 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 41. 25 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 41 – 44. 26 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 240 – 243. 27 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 231 – 239.

I. Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten

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und dessen Geschäftsherrn.28 Darüber hinaus ist sie ein entscheidendes Merkmal und eine Zentralpflicht treuhänderischer Rechtsverhältnisse.29 Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu bestimmt wie der Interessenwahrer seine geschuldete Leistung zu erbringen hat und verlangt eine vollständige Ausrichtung auf die Interessen des Vertragspartners und eine besondere Loyalität gegenüber dem Geschäftsherrn.30 Danach hat der Interessenwahrer, im Rahmen der Kapitalanlageberatung demnach die Bank bzw. der Anlageberater, (1) die Interessen des Geschäftsherrn zu wahren, (2) Konflikte mit dessen Interessen zu vermeiden und (3) gegebenenfalls bestehende eigene Interessen zurückzustellen bzw. offenzulegen.31 Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu geht über das in § 242 BGB Erforderliche hinaus.32 Sie ist das Gegenstück für die weitreichenden Einwirkungsmöglichkeiten, Befugnisse und den Ermessensspielraum, die dem Interessenwahrer übertragen und eingeräumt werden.33 Daraus resultiert ein erhöhtes Maß an Loyalität.34 Die Bank schuldet dem Anleger aufgrund des (konkludent) abgeschlossenen Beratungsvertrages eine auf seine persönlichen Verhältnisse abgestimmte fachkundige Beratung, die sich zudem ausschließlich an den Interessen des Anlegers zu orientieren hat.35 Es sind somit die Interessen des Geschäftsherrn zentral in den Blick zu nehmen, um den Umfang der Interessenwahrungspflicht in dem konkreten Einzelfall zu ermitteln.36 Denn der Geschäftsherr öffnet seine Interessensphäre durch die Übertragung der Einwirkungsmacht auf den Geschäftsbesorger in einer Weise, die ihn besonders schutzbedürftig werden lässt.37 Die daraus resultierende Interessenwahrungspflicht ist eine Hauptpflicht des Beratungsvertrages und geht über die für sämtliche Schuldverhältnisse geltende Interessenwahrungspflicht des § 241 Abs. 2 BGB hinaus.38 Die exponierte Stellung der Interessenwahrungspflicht im Rahmen des Anlageberatungsvertrages beruht auf dem besonderen persönlichen Vertrauen des Anlegers, das die beratende Bank für ihre Anlageempfehlung in Anspruch nimmt.39 Die beratende Bank darf nur das an einer angemessenen Honorierung ihrer 28 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 166 – 191; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 89. 29 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 128. 30 Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2105). 31 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 126 f., 229. 32 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 128; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 89, 100. 33 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 91 f. 34 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 94. 35 Köndgen, BKR 2009, S. 376 (378); Kotte, BB 2014, S. 1353 (1353). 36 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 95. 37 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 96. 38 Kotte, BB 2014, S. 1353 (1353). 39 Kotte, BB 2014, S. 1353 (1353); Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (75).

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

Leistung geknüpfte eigene wirtschaftliche Interesse verfolgen.40 Als Hauptinhalt des Vertrauensgrundsatzes zwischen Bank und Kunde gilt, dass die Bank die Interessen des Kunden bzw. Anlegers wahrzunehmen hat und ebenso der Kunde bzw. Anleger zur Treuebindung angehalten wird.41 Die Interessenwahrungspflicht setzt der Bank zudem Grenzen für eine etwaige Freizeichnung von Pflichten in den AGB und einzelvertraglichen Haftungsbeschränkungen.42 b) Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten Vorab ist festzuhalten, dass Interessenkonflikte dem Privatrecht und insbesondere dem Vertragsrecht immanent sind und somit nicht hinsichtlich jedes Interessenkonflikts eine Aufklärungspflicht des Vertragsgegners über seine Eigeninteressen besteht.43 Allerdings besteht nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen für den Berater keine Rechtfertigung dafür, dass er seinen Vertragspartner über Umstände vorsätzlich im Unklaren lässt, die für dessen Willensentscheidung von entscheidender Bedeutung sind und unter Umständen den Vertragszweck vereiteln oder gefährden könnten.44 Daraus resultiert für den Finanzdienstleister eine generelle vertragliche Nebenpflicht, über etwaige Interessenkonflikte aufzuklären, weil sich dieser nicht wie ein Verkäufer aufgrund der Funktion als Geschäftsbesorger und der damit geltenden Interessenwahrungspflicht in einem natürlichen Interessenkonflikt zu seinem Geschäftspartner befindet.45 In diesem Zusammenhang ist jedoch festzuhalten, dass das am Markt typische Gewinnerzielungsinteresse einer Bank als solches noch keine beratungsvertragliche Aufklärungspflicht begründet, sondern sich diese erst durch das Hinzutreten besonders offenbarungspflichtiger Umstände, wie die Annahme oder Gewährung von zusätzlichen Vergütungen und Provisionen oder bei einer Zinswette, ergibt.46 Grundsätzlich sind Interessenkonflikte in erster Linie zu vermeiden bzw. aufzulösen; ist dies jedoch nicht möglich, können diese nur durch eine Offenlegung überwunden werden, um die Entscheidung, ob das Geschäft dennoch getätigt werden soll, in die Hände des Anlegers zu legen, der in das Geschäft einwilligen kann oder

40

Köndgen, BKR 2009, S. 376 (378). Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 3 Rn. 112. 42 Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 3 Rn. 112. 43 Schnauder, jurisPR-BKR 1/2012 Anm. 1, S. 7. 44 Nittel/Knöpfel, BKR 2009, S. 411 (412); Grüneberg, in: Grüneberg, § 280 Rn. 30. 45 Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 3 Rn. 71; Spindler, in: Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 61; Weller, ZBB 2011, S. 191 (195). 46 Kirchhartz, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 3 Rn. 72 – 74. 41

I. Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten

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nicht.47 Hierfür muss der Anleger über alle für die Einwilligung relevanten Gesichtspunkte informiert werden.48 Der Konfliktoffenlegung durch Anzeige- und Offenlegungspflicht kommt dabei eine wesentliche Bedeutung zu.49 Denn danach hat der Interessenwahrer ohne Einschränkungen ungefragt alle Interessenkonflikte offenzulegen; dies einhergehend mit einer Rechenschaftspflicht.50 Die Offenlegung als solche bietet dem Geschäftsherrn, der auf die Offenlegung angewiesen ist, einen gewissen Basisschutz, um Maßnahmen zu ergreifen, die ihn selbst schützen.51 Das heißt im Fall der Anlageberatung, dass ihm so ermöglicht wird, eine eigenverantwortliche Anlageentscheidung zu treffen. Die Konfliktvermeidung ist in den Fällen erforderlich, in denen selbstschützende Maßnahmen des Geschäftsherrn allein nicht ausreichen, weil schwerwiegende Interessenkonflikte drohen.52 Eine Konfliktlösung hat in den Fällen zu erfolgen, in denen eine Konfliktvermeidung nicht möglich und eine Konfliktoffenlegung allein nicht ausreichend ist.53 Die Konfliktlösung ist vielgestaltig, hängt von der Schwere des Konflikts ab und kann von prozeduralen Vorschriften, wie z. B. dem Prioritätsgrundsatz, bis zur Pflicht den Auftrag niederzulegen, reichen.54 c) Zwischenergebnis Es lässt sich argumentieren, dass die Interessenwahrungspflicht stricto sensu eine Antwort der Rechtsordnung auf Probleme im Zusammenhang mit Interessenkonflikten bei Fremdinteressenwahrungsverträgen bietet.55 Die Interessenwahrungspflicht dient dazu, die im Innenverhältnis „überschießende Rechtsmacht“ der beratenden Bank auszugleichen. So kann das Verhalten durch etwaige vertragsrechtliche Sanktionen in Form von Schadensersatzansprüchen reguliert werden und den Interessenwahrer dazu anhalten, die Interessen des Vertragspartners zu berücksichtigen.

47 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 126 f.; Weller, ZBB 2011, S. 191 (195). 48 Weller, ZBB 2011, S. 191 (195). 49 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 127. 50 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 127. 51 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 127. 52 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 127. 53 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 127. 54 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 440 – 448; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 127. 55 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 90.

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

3. Regelungskonzept im Aufsichtsrecht Die Regulierung von Interessenkonflikten ist vor dem Hintergrund der Komplexität von Anlageprodukten und der bestehenden Informationsasymmetrien zwischen Marktintermediären und Anlageberater von herausragender Bedeutung.56 Denn gerade die Qualität der Anlageberatung hängt davon ab, inwiefern der Anlageberater bzw. Marktintermediär seinen Markverhaltenspflichten in Bezug auf den Umgang mit Interessenkonflikten im Rahmen seiner Interessenwahrungspflicht nachkommt.57 Eine Regulierung von grundlegenden Verhaltensstandards scheint daher unerlässlich.58 Bereits seit dem WpHG 1995 ist die auch nach der MiFID II und dem 2. FiMaNoG geltende Grundstruktur von Sorgfalts-, Interessenwahrungs- und Konfliktvermeidungspflichten vorhanden, die jeweils auf die Aufklärungspflichten und auf alle sonstigen Verhaltenspflichten bezogen sind.59 Ausgangspunkt für die seit der WpDRL und dem 2. FMFG normierte Pflicht der Interessenwahrung und der Vermeidung von Interessenkonflikten in § 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 WpHG a. F.) war die Empfehlung der Kommission vom 25. Juli 197760 betreffend europäische Wohlverhaltensregeln für Wertpapiertransaktionen, die ohne verbindliche Rechtswirkung, damals nach Art. 189 Abs. 5 EGV und heute Art. 288 AEUV, für die Mitgliedstaaten die Einhaltung gewisser Verhaltens- und Organisationsstandards empfahl. Der Schwerpunkt bereits der damaligen Empfehlung lag auf den marktbezogenen Verhaltenspflichten für Finanzintermediäre, welche primär die Informationspflicht sowie die Loyalitäts- bzw. Interessenwahrungspflicht umfassten.61 So schreibt der nunmehr geltende § 63 WpHG in seinem ersten und zweiten Absatz die „Duty of Care“ und die „Duty of Loyalty“ fest.62 Dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen sind aufgrund seiner Vermittlerfunktion am Markt sowohl von dem Anleger als auch dem Emittenten Ausführungs- und Entscheidungskompetenzen übertragen, die sowohl bei der Ausführung der Kundenaufträge als auch vor der Anlage- bzw. Emissionsentscheidung kollidieren können.63

56 Grundmann/Hacker, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Conflicts of Interest, Rn. 7.20; ausführlich zu Mittlerfunktion der Kreditinstitute Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 375 – 412. 57 Grundmann/Hacker, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Conflicts of Interest, Rn. 7.20. 58 Grundmann/Hacker, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Conflicts of Interest, Rn. 7.20. 59 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (9). 60 Kommission Abl. EG Nr. L 212/37 vom 20. 8. 1977. 61 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 9. Allgemeine Grundsätze Nr. 2, 5, 6 der Kommission Abl. EG Nr. L 212/37 vom 20. August 1977. 62 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 128. 63 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 166; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 37 f.

I. Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten

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Eine treffende Beschreibung dieser Konfliktlage erfolgt durch das „Principalagent“-Problem.64 Danach beauftragt der Anleger als Prinzipal das Wertpapierdienstleistungsunternehmen als Intermediär und Agenten mit der Wahrung seiner Interessen im Rahmen der Teilnahme am Kapitalmarkt; es liegt sowohl dem Prinzipal als auch dem Agenten an der Mehrung seines Vermögens.65 Problematisch wird dies dann, wenn der Agent mehreren Prinzipalen, sowohl Anlegern als auch z. B. Emittenten, gleichzeitig dient oder selbst Eigengeschäfte oder Eigenhandel betreibt, weil er dann von dem Anreiz getrieben wird, denjenigen zu bevorzugen, der ihm besondere Vorteile und Gewinne bringt und so die Interessen des einen Prinzipals vernachlässigt.66 Aus dieser Gemengelage resultieren Interessenkonflikte, die erkannt, vermieden und offengelegt werden müssen. Zum einen sind die Anlegerinteressen, welche hauptsächlich die Auftragsaus- und -durchführung und somit einen möglichst günstigen Kauf bzw. Verkauf bei möglichst niedriger Vergütung und Aufwendung des Intermediär betreffen, zu berücksichtigen.67 Dabei ist der Anleger bei seiner Marktentscheidung auf vollständige und seine Person betreffende Informationen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens angewiesen.68 Die zu berücksichtigenden Eigeninteressen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens umfassen kurz und knapp das Preisinteresse, das Absatzinteresse und das Vergütungsinteresse.69 Im Rahmen der Drittinteressen sind vorrangig Preis- und Absatzinteressen anderer Kunden relevant, die vor allem bei gleichgerichteten und korrespondierenden Kundenaufträgen Interessenkonflikte in Form von Verteilungsproblemen hervorrufen können.70 Die daraus resultierenden Interessenkonflikte führen wegen der vorhandenen Informationsasymmetrien71 am Kapitalmarkt zu einer ineffizienten Kapitalallokation, weil sie den Kapitalfluss vom Anleger zum Kapitalnehmer erschweren.72 Die vor allem in § 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG enthaltenen Pflichten zeigen eine deutliche sachliche Nähe zur Sorgfalts- und Interessenwahrungspflicht sowie zu den Aufklärungs- und Beratungsgrundsätzen und ihrer Entwicklung durch die Recht64

Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 166. Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 166. 66 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 166 f.; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 38; Nikolaus, Durchsetzung der Wohlverhaltens- und Organisationspflichten, S. 34 – 37. 67 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 168; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 40. 68 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 168; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 37; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 40. 69 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 168 f.; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 40. 70 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 169. 71 Zu Informationsasymmetrien im Vertragsrecht im Allgemeinen Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, München, 2001. 72 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 169. 65

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

sprechung.73 Dabei können sie als rechtliche Grundlage der market conduct regulation im Finanzaufsichtsrecht betrachtet werden und ergänzen so die institutionelle Aufsicht über Finanzintermediäre durch eine Marktaufsicht.74 Durch die Regelungen im WpHG in Bezug auf das Erkennen, Vermeiden und Auflösen von Interessenkonflikten werden zunächst aufsichtsrechtliche Standards gesetzt, wobei zwischen Organisationsregeln (§ 80 WpHG) sowie Verhaltens- und Offenlegungspflichten (insbesondere §§ 63 Abs. 1 und 2, 70 WpHG) zu unterscheiden ist. Beide Regelungsregime dienen dazu, Interessenkonflikte zu vermeiden bzw. diesen vorzubeugen und sind eine besondere Ausprägung der allgemeinen Interessenwahrungspflicht stricto sensu.75 Sie werden im Einzelnen nachfolgend erörtert, wobei entscheidend auf die Normen des § 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG sowie des § 70 WpHG und in Teilen auch auf § 80 WpHG in Bezug auf den Provisionskonflikt eingegangen wird. Der Schwerpunkt liegt bei der Darstellung des Pflichtengefüges aufgrund des Inkrafttretens der Änderungen durch das 2. FiMaNoG am 3. Januar 2018 auf den hierdurch teils erweiterten und verschärften Neuregelungen. § 31 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 WpHG a. F. sowie § 31d WpHG a. F. werden zum näheren Verständnis der neuen Regelungen und somit auch als Vergleichsgrundlage argumentativ herangezogen. a) Interessenwahrungspflicht gemäß § 63 Abs. 1 WpHG Die Interessenwahrungspflicht spielt in den MiFID-Richtlinien als eigenständige Grundregel quasi als eine Generalklausel, näher konkretisiert durch weitergehende Pflichten, eine zentrale Rolle.76 Danach hat jedes Wertpapierdienstleistungsunternehmen Wertpapier(neben)dienstleistungen mit der erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit im Interesse seiner Kunden zu erbringen. § 63 Abs. 1 WpHG spricht davon, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Wertpapier(neben)dienstleistungen ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse seiner Kunden zu erbringen hat und beinhaltet damit zwei zentrale Pflichten: (1) eine Professionalitätspflicht und (2) eine Interessenwahrungspflicht stricto sensu.77 Dabei sollte es nach einer Auffassung bereits für § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG a. F. im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung „im bestmöglichen 73 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 103; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 1 f.; Schwennicke, WM 1997, S. 1265 (1273); Schwark, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hg.), Bankrechtstag 1995, S. 109 (116 f.). 74 So zu §§ 31, 32 WpHG a. F. Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 105; Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 117. 75 Grundmann/Hacker, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Conflicts of Interest, Rn. 7.27. 76 Enriques/Gargantini, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, The Overarching Duty to Act in the Best Interest of the Client in MiFID II, Rn. 4.18. 77 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 132.

I. Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten

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Interesse des Kunden“ lauten.78 So entspricht diese Regelung im Wesentlichen den Pflichten des Kommissionärs nach § 384 Abs. 1 HGB und somit den Geschäftsbesorgungsgrundsätzen aus § 675 BGB.79 Dies hebt deutlich hervor, dass für den Kunden die Interessenwahrung und die damit verbundene Beachtung der verkehrserforderlichen Sorgfalt zu den Grundelementen jeder Wertpapierdienstleistung gehören.80 Die Interessenwahrungspflicht entspricht dabei dem Fair-dealingGrundsatz der NASD sowie den conduct-of-business rules aus dem US-amerikanischen und britischen Recht und den IOSCO-Prinzipien.81 Aus dieser Verklammerung des WpHG durch die Interessenwahrungspflicht wird der anglo-amerikanische Einfluss auf die Entwicklung des europäischen und nationalen Kapitalmarktrechts nochmals deutlich.82 Die Wege auf denen sich der Mitarbeiter des Wertpapierdienstleistungsunternehmens die Kenntnisse aneignen kann und sollte, damit eine interessengerechte Beratung möglich ist, können sehr unterschiedlich sein. Gefordert werden kann jedoch die Lektüre nationaler Börsenpflichtblätter, der Tagespresse und einschlägiger Fachliteratur. Im Ergebnis werden die gebotene Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit durch das erforderliche Niveau der wirtschaftlichen, marktbezogenen, rechtlichen und technischen Sach- und Fachkenntnisse bestimmt.83 Maßstab ist der Sorgfaltsstandard eines ordentlichen und gewissenhaften Anlageberaters.84 Bei dem in Rede stehenden Kundeninteresse geht es um eine Ausrichtung an den ersichtlichen 78

Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 12 Rn. 860 (10. Aufl., 2019); Faust, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski, BankR-Hdb, § 109 Rn. 23 (5. Auflage, 2017); Koller, in: Assmann/Schneider/ Mülbert, § 63 Rn. 19; Seyfried, in: Kümpel/Wittig (4. Auflage, 2011), Rn. 3.94. 79 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 210, 219; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 112 m. w. N.; Braun, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 17.254 und Rn. 17.255; Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 23; Kümpel, WM 1995, S. 689 (689); Köndgen, in: FS Canaris, Bd. 2, S. 183 (205 – 207); Schulte-Frohlinde, Art. 11 Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, S. 72; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 210; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 34 f.; Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 32; Schwark, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hg.), Bankrechtstag 1995, S. 109 (114). 80 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 209; Buhk, Haftung bei der Anlagevermittlung und der Anlageberatung, S. 46 f.; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 112. 81 Enriques/Gargantini, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, The Overarching Duty to Act in the Best Interest of the Client in MiFID II, Rn. 4.04 – 4.06. 82 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 209; Enriques/Gargantini, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, The Overarching Duty to Act in the Best Interest of the Client in MiFID II, Rn 4.16; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 132; Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 252; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 28 – 30. 83 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 217; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 133; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (9), der in diesem Zusammenhang von Sorgfalt im Sinne von Professionalität spricht. 84 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 55.

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

individuellen Interessen des Kunden und nicht an dem objektiven Interesse, da dies in einer Bevormundung des Kunden münden würde.85 Es geht hierbei um eine strikte Bindung an das Kundeninteresse.86 Dabei sind die Angaben, Anträge und Weisungen des Kunden, die der vertraglichen Vereinbarung als Basis dienen, Ausdruck seines Interesses und Ausgangspunkt für die Bestimmung des Kundeninteresses, wobei er privatautonom die Reichweite der Verhaltenspflichten selbst mitbestimmt.87 Die Interessen des Kunden können dabei auch objektiv unvernünftig sein und müssen, sofern sie eindeutig dem Kunden zugeordnet werden können, berücksichtigt werden.88 Dies führt dazu, dass im Rahmen der Interessenwahrungspflicht stricto sensu des § 63 Abs. 1 WpHG konfligierende Eigeninteressen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens vollständig auszuschalten sind und in keiner Weise berücksichtigt werden dürfen.89 Es handelt sich um eine treuhänderische Zentralpflicht, die nunmehr auch aufsichtsrechtlich eine Regelung erfahren hat und Geltung beansprucht, soweit und weil dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen eine unentgeltliche und zweckgebundene Einflussposition für die Wertpapieremission oder Wertpapieranlage übertragen wurde.90 Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu ist verletzt, sobald Einflusspositionen mit Eigennutzinteresse eingesetzt werden.91 Ein Verstoß ist jedoch auch dann gegeben, wenn eine Ausrichtung an Drittinteressen, z. B. Interessen anderer Anleger, oder an Interessen der Allgemeinheit, z. B. durch die Empfehlung von Anlageprodukten insolvenzgefährdeter Unternehmen aus Sorge um Arbeitsplätze, erfolgt.92 Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu des § 63 Abs. 1 WpHG ist zudem eine Präventionsregel, die den Kunden vor Beweisproblemen schützen soll, weil bei Vorliegen eines Verstoßes gegen diese ein Nachteil für den Kunden nicht nachzuweisen ist, sondern der Verstoß an sich genügt.93

85 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 212 f.; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, Rn. 890; Rothenhöfer, in: Schwark/Zimmer, KMRK, § 63 WpHG Rn. 24 f.; Fuchs, in: Fuchs, § 31 WpHG Rn. 34; Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 119 f.; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 797, 800; Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 106 – 109; Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 56; Cahn, ZHR 162 (1998), S. 1 (39 f.); Köndgen, ZBB 1996, S. 361 (365), die vom sog. wohlverstandenen Interesse ausgehen. 86 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (10); ders., in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 136. 87 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 212 f. 88 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 137; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 800; Rothenhöfer, in: Schwark/Zimmer, KMRK, § 63 WpHG Rn. 35; Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 56. 89 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 134. 90 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 134, 138. 91 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 134, 137. 92 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 137. 93 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 139.

I. Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten

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Die in § 63 Abs. 1 WpHG neben der Interessenwahrungspflicht stricto sensu statuierte Sorgfaltspflicht bildet einen eigenen aufsichts- bzw. berufsrechtlichen Verhaltensstandard, der auf dem zivilrechtlichen Grundsatz des § 276 Abs. 2 BGB, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt einzuhalten, aufbaut.94 Die Sorgfaltspflicht betrifft das Gegenseitigkeitsverhältnis von Dienstleistung und Vergütung und ist eine Frage nach dem Maß der Bemühung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens hinsichtlich des jeweils zu tätigenden Geschäfts, wobei die Interessen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens zur Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabes herangezogen werden können.95 Dies gilt insbesondere in Bezug auf den Einsatz von Routinen oder inwieweit nicht vorhandenes Wissen zu beschaffen ist oder nicht.96 Das Sorgfaltsgebot ist diesbezüglich anders als die Interessenwahrungspflicht stricto sensu relativ und nicht absolut zu verstehen.97 Darüber hinaus kann der konkrete Sorgfaltsmaßstab in den Grenzen des § 138 BGB und des § 63 WpHG auch durch Individualabreden ausgehandelt werden.98 Der in § 63 Abs. 1 WpHG normierte Interessenwahrungsgrundsatz umfasst neben dem Leistungsinteresse auch das Schutz- und Integritätsinteresse des Kunden.99 Die in § 63 Abs. 1 WpHG enthaltene Interessenwahrungspflicht wird durch § 63 Abs. 3 – 5 WpHG, Regelungen zur Vergütungspolitik und Produktgovernance, näher konkretisiert und ausgeweitet. Diese Konkretisierungen sind eng mit den Organisationsregeln des § 80 WpHG verbunden und zielen darauf ab, dass Interessenkonflikte die jeweilige Wertpapierdienstleistung nicht negativ beeinflussen.100 „Werden die Geschäfte nicht im Wege der Kommission, sondern als Festpreisgeschäfte (d. h. Kaufgeschäfte) durchgeführt, hat bereits das Reichsgericht die gleichen Grundsätze angewendet.“101 Denn schon damals wurde aus dem „Wesen der Geschäftsbesorgung“ und der besonderen Vertrauensbeziehung der Parteien eine Pflicht hergleitet, wonach die Bank unaufgefordert die für das Kundeninteresse relevanten Informationen liefern muss.102 Die Pflicht der Bank, als Kommissionär den Anleger bzw. Kunden über einen Interessenwiderstreit aufzuklären, zu informieren bzw. seine Interessen zu wahren, ergibt sich bereits aus den §§ 383, 384 94

Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 217. Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 140 f. 96 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 140 f. 97 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 141. 98 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 142. 99 Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 128. 100 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 158. 101 RG, Urt. v. 24. September 1898 – Rep. I. 201/98, RGZ 42, S. 125 – 133; RG, Urt. v. 22. Februar 1899 – Rep. I. 452/98, RGZ 43, S. 108 – 116; RG, Urt. v. 19. Mai 1926 – I 309/25, RGZ 114, S. 9 – 15; vgl. hierzu ausführlich Nittel/Knöpfel, BKR 2009, S. 411 (412); Knops/ Brocker, WM 2010, S. 1101 (1103 – 1106); Schwark, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hg.), Bankrechtstag 1995, S. 109 (114, 130). 102 Knops/Brocker, WM 2010, S. 1101 (1104). 95

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

Abs. 2 HGB bzw. §§ 675, 667 BGB bei der Anlageberatung und -vermittlung.103 Die aufsichtsrechtliche Pflicht der Interessenwahrung deckt sich daher weitestgehend mit der handelsgesetzlichen Interessenwahrungspflicht des Kommissionärs.104 Im Rahmen des Aufsichtsrechts und als eine der wesentlichen Funktionen der staatlichen Aufsicht „werden auch die Geschäftsbeziehungen der Kreditinstitute zu ihren Kunden im Rahmen des Effektengeschäfts einbezogen, denn die Anleger können sich regelmäßig nur über Kreditinstitute als Marktintermediäre Zugang zum Kapitalmarkt verschaffen. Sie sind deshalb auf eine interessenwahrende Ausführung ihrer Effektenorder im Markt angewiesen.“105 Im Ergebnis lässt sich der Kern des § 63 Abs. 1 WpHG mit einem fairen und aufrichtigen Verhalten gegenüber dem Kunden in allen Situationen, die sich im Rahmen der Erbringung von Wertpapier(neben)dienstleistungen ergeben, zusammenfassen.106 Demnach darf die Bank eigene Gewinninteressen verfolgen, dabei den Anleger jedoch nicht übervorteilen, irreführen oder täuschen und keine Empfehlungen hinsichtlich einer Anlage geben, obwohl sie positive Kenntnis von der Erfolglosigkeit dieser hat.107 b) Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten gemäß § 63 Abs. 2 WpHG Die Vermeidung und Offenlegung von Interessenkonflikten ist neben der Vermittlung und verständlichen Übersetzung von Kapitalmarktinformationen für den einzelnen Anleger eine der Kernfunktionen des WpHG und somit des Kapitalmarktrechts.108 Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen haben im Verhältnis zum einzelnen Kunden bzw. Anleger die komplexen Informationen betreffend die einzelnen Wertpapierdienstleistungen und Finanz- und Anlageprodukte aufzubereiten und zur Verfügung zu stellen; dies wird auch als Informationsaufbereitungsfunktion bezeichnet.109 Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen agieren als Intermediäre für die Anleger auf dem Kapitalmarkt und stehen als Vermittler zwischen dem einzelnen Anleger und dem Emittenten einer Anlage. Sie sind insoweit gewissermaßen zwei Seiten verpflichtet und verfolgen als Wirtschaftsunternehmen auch eigene wirtschaftliche Interessen. Durch die Regulierung des Umgangs mit Interessenkonflikten, welche eine Hauptgefahr der Intermediationslösung sein können, 103

Knops/Brocker, WM 2010, S. 1101 (1110). Braun, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 17.255; Rothenhöfer, in: Kümpel/ Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 13.8. 105 Braun, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Rn. 17.257 und Rn. 17.258; Langenbucher, ZHR 177 (2013), S. 679 (684). 106 Frisch, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 54 Rn. 169. 107 Frisch, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 54 Rn. 169. 108 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 38. 109 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 124. 104

I. Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten

207

wird sichergestellt, dass die Intermediationsdienstleistung des vermittelnden Wertpapierdienstleistungsunternehmens aufgrund konfligierender Interessen nicht zu Verzerrungen führt und die Dienstleistung, wie zum Beispiel die Anlageberatung oder Finanzkommission, für den einzelnen Anleger nicht in ihrem Wert gemindert wird.110 Insbesondere vor dem Hintergrund des individuellen Anlegerschutzes und zur Bewahrung des Vertrauens in die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes müssen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen als Intermediäre verpflichtet werden, uneigennützig zu handeln und die Interessen ihrer Vertragspartner und damit insbesondere der Anleger zu wahren.111 Es gibt zwei zentrale Regelungen im WpHG zu Interessenkonflikten: zum einen die transaktionsbezogene Regelung des § 63 Abs. 2 WpHG und zum anderen die organisationsbezogene Regelung des § 80 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG,112 wobei diese als präventionsbezogene Regelung Interessenkonflikte ausräumen soll, bevor es zu einem rechtswidrigen Handeln im eigenen Interesse kommen kann113. Zentral ist somit einerseits die Konfliktoffenlegung und andererseits die Konfliktvermeidung. Dem vertragsrechtlichen Regelungskomplex vergleichbar, unterscheidet auch das Aufsichtsrecht i. S. v. § 80 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG sowohl zwischen Interessenkonflikten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Kunden als auch zwischen Interessenkonflikten verschiedener Kunden.114 Enthalten ist in § 63 Abs. 2 WpHG zweierlei: zum einen eine Pflicht zur Vermeidung von Interessenkonflikten und zum anderen eine Offenlegung dieser, sofern sie bestehen und unvermeidbar sind. Dies verdeutlicht eine Rangfolge, wonach in erster Linie eine Vermeidung der Interessenkonflikte zu erfolgen hat und nur, wenn dies nicht möglich ist, eine Offenlegung stattfinden soll, d. h. die Interessenkonflikte gem. §§ 63 Abs. 2, 64 Abs. 6, 70 Abs. 4 WpHG transparent gemacht werden müssen. Diese das Kundeninteresse wahrende Auftragsausführung geht einher mit der in § 63 Abs. 1 WpHG postulierten allgemeinen Interessenwahrungspflicht und entspricht der kommissionsrechtlichen Pflicht gem. § 384 Abs. 1 Hs. 2 HGB, bei der Auftragsausführung das Kundeninteresse zu wahren. Darüber hinaus hat der BGH bereits zu § 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG a. F. festgestellt, dass dieser lediglich aufsichtsrechtlich den auch zivilrechtlich allgemein anerkannten Grundsatz der Vermeidung von vertragswidrigen Interessenkonflikten normiere.115 Dabei knüpft § 63 Abs. 2 WpHG zu deren Identifikation und Handhabung an die nach § 80 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG zutreffenden organisatorischen Vorkehrungen an, wobei an den Organisa110

Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 38. Grundmann/Hacker, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Conflicts of Interest, Rn. 7.12; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil A. Rn. 38. 112 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 144 f. 113 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 10/1 2. Teil Rn. 23. 114 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 149. 115 BGH, Beschl. v. 20. 1. 2009 – XI ZR 510/07, BKR 2009, S. 126 (127) – Kick-Back III. 111

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

tionsanforderungen, den sog. Compliance-Regeln, deutlich wird, dass keine gänzliche Konfliktvermeidung geschuldet ist, sondern lediglich eine Konfliktminimierung in einem zumutbaren Umfang.116 Es handelt sich bei § 63 Abs. 2 WpHG um eine Basisvorgabe für den Umgang mit Interessenkonflikten im Kundenverhältnis.117 Für die Konkretisierung, insbesondere der Zumutbarkeitsgrenze, ist herauszufinden, in welcher Intensität ein Interessenkonflikt das Vertrauen des einzelnen Anlegers erschüttern oder ggfs. sachlich gerechtfertigt erscheinen kann.118 Es ist das effizienteste und zumutbarste Mittel zur Konfliktminimierung einzusetzen und von mehreren zumutbaren Mitteln ist dasjenige zu wählen, das die Manipulationsgefahr am weitesten zurückdrängt.119 Bevor eine Offenlegung des unvermeidbaren Interessenkonflikts zu erfolgen hat, muss sich das Wertpapierdienstleistungsunternehmen um die Vermeidung eines Interessenkonflikts bemühen. Dadurch wird präventiv die Möglichkeit zurückgedrängt, dass sich widersprechende Interessen zu Unrecht durchbrechen und so zugleich die Interessenwahrungspflicht verletzt wird.120 Bei Interessenkonflikten hinsichtlich der treuhänderisch gehaltenen Einfluss- und Informationsposition greift die Interessenwahrungspflicht stets ein.121 Die Vermeidungsbemühungen umfassen zum einen die Aufklärung über einen bestehenden Interessenkonflikt, zum anderen können verschiedene Organisations-, Gleichbehandlungs- und Prioritätsregeln zur Vermeidung eines solchen führen, wie z. B. die Trennung von Geschäftsbereichen und die Einrichtung von sog. Chinese Walls; als Ultima Ratio kann das Wertpapierdienstleistungsunternehmen von dem anvisierten Geschäft Abstand nehmen.122 Die Frage der Vermeidbarkeit von Interessenkonflikten ist immer im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu betrachten; das bedeutet wiederum, dass ein grundsätzliches Verbot von Geschäften mit Dritten bzw. Geschäften für eigene Rechnung nicht mehr angemessen und somit verhältnismäßig ist.123 Eine solche Forderung wäre realitätsfremd. Die Aufklärung selbst darf sich jedoch nicht auf allgemeine Informationen beschränken, sie muss verständlich erfolgen, damit der Anleger den Grad der Gefährdung seiner eigenen

116 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 54; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (13); ders., in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 148. 117 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (13). 118 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 148. 119 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 148. 120 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (10, 13); ders., in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 147. 121 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 147. 122 Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 32 f.; Grundmann, in: Staub/ GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 151 – 155; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 41 – 45. 123 Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 45.

I. Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten

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Interessen erkennen und dementsprechend handeln kann.124 Durch die Aufklärung bleibt der Interessenkonflikt zwar bestehen, aber eine etwaig bestehende Manipulationsgefahr wird dadurch gemindert.125 Die zur Vermeidung erforderlichen Organisationspflichten werden in § 80 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG durch sog. ComplianceRegeln näher konkretisiert. Diese bedürfen jedoch aufgrund des hiesigen Forschungsinteresses keiner ausführlichen Darstellung. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Compliance-Regeln ein geschäftliches Verhalten der Banken, das Kundeninteresse bei der Ausführung von Effektenaufträgen und der Anlageberatung auch bei Interessenkonflikten weitestgehend sicherstellen sollen.126 Es sind demnach alle denkbaren öffentlich-rechtlichen Verhaltensanforderungen und gesellschaftsrechtlichen oder kapitalmarktrechtlichen Vorschriften umfasst, die eine systematische Prävention durch Aufklärung, Beratung, Training und Überwachungsmaßnahmen ermöglichen.127 Dies erfolgt u. a. durch Einrichtung von Vertraulichkeitsbereichen (sog. Chinese Walls), Beobachtungslisten (sog. Watchlist) bzw. SperrListen (sog. Restricted List) und durch die Festlegung von Leitsätzen für den Umgang mit eigenen Wertpapiergeschäften der Bankmitarbeiter.128 Sofern unvermeidbare Interessenkonflikte vorliegen, hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dafür Sorge zu tragen, dass der Kundenauftrag unter Wahrung des Kundeninteresses ausgeführt wird.129 Unvermeidbare Interessenkonflikte bestehen immer dann, wenn diese von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen nicht verhindert werden können.130 Allgemeine Beispiele für klassische Interessenkonflikte im Bereich der Kapitalanlage sind zum einen der Eigenhandel parallel zum klassischen Effektengeschäft, zudem im Rahmen der Vermögensverwaltung131 und zum anderen der absolute Klassiker: der Zuwendungskonflikt, der unter Punkt II. eine ausführliche Darstellung erfährt. Weitere Beispiele für Interessenkonflikte sind in § 80 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG und in dem Erwägungsgrund 48 der Delegierten Verordnung 2017/565 aufgeführt. Auch können durch besondere Vergütungsstrukturen an Mitarbeiter Interessenkonflikte auftreten und die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen daher gemäß § 63 Abs. 3 S. 1 WpHG sicherstellen, dass sie ihre Mitarbeiter nicht in einer Weise vergüten oder bewerten, die mit einer dem Kunden gegenüber bestehenden Interessenwahrungspflicht aus § 63 Abs. 1 WpHG kollidiert. 124

Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 42 f.; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (14). 125 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (14). 126 Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 34; Seiler/Geier, in: Ellenberger/ Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 121. 127 Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 3. 128 Seiler/Geier, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 84 Rn. 122 – 134. 129 Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 45. 130 Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 45. 131 Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 47 – 51 mit weiteren Beispielen zu Interessenkonflikten im Kapitalanlagerecht.

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss gem. § 63 Abs. 2 S. 1 WpHG die allgemeine Art und Herkunft von Interessenkonflikten offenlegen. Dies hat gem. § 63 Abs. 2 S. 2 WpHG auf einem dauerhaften Datenträger zu erfolgen, wobei sich die Detailliertheit der Offenlegung nach der Kundenkategorisierung in § 67 WpHG richtet. Kritisch hinsichtlich der umfangreichen Offenlegungspflichten wird angemerkt, dass der Anlegerschutz nicht zwingend ausreichend gewährleistet wird, weil insbesondere Privatanleger überwältigt, aber auch gelangweilt sein können von dem Zuviel an Informationen.132 Dieser „information overload“ lässt sich nur dadurch vermeiden, dass die Detailliertheit der Informationen nicht ausgereizt, sondern eher eingeschränkt und auf das Wesentliche fokussiert werden sollte.133

c) Zuwendungsverbot gemäß § 70 WpHG § 70 WpHG statuiert aufsichtsrechtlich zum einen eine besondere Pflicht zur Vermeidung und Offenlegung von Interessenkonflikten und zum anderen ein grundsätzliches Verbot der Annahme und Gewährung von Zuwendungen. Darüber hinaus kann § 70 WpHG und so auch schon § 31d WpHG a. F. als eine gesetzliche Normierung des allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatzes, über vertragszweckgefährdende Interessenkonflikte aufzuklären, aufgefasst werden.134 Insoweit ergeben sich für die provisionsbasierte Beratung durch die Vorgaben aus der MiFID II kaum Änderungen gegenüber der vorherigen Rechtslage.135 Daher könne man § 31d WpHG a. F. und somit den nunmehr geltenden § 70 WpHG in erster Linie als Transparenzvorschrift sehen und nicht als Verbotsnorm.136 Hervorzuheben ist jedoch, dass es sich um ein Zuwendungsverbot handelt und nicht lediglich um die Normierung besonderer Aufklärungspflichten.137 Der Anleger soll davor geschützt werden, dass seine Investitionsentscheidung durch das Vergütungsinteresse der Bank bzw. des Anlageberaters beeinflusst wird und nicht mehr seinen Anlageinteressen entspricht.138 Dem liegt zugrunde, dass der Anleger davon ausgeht, dass die Beratungsleistung kostenfrei erfolgt, weil insbesondere die Bank und der für sie agierende Anlageberater andere kostenpflichtige Dienstleistungen, wie z. B. Zahlungsdiens132

Grundmann/Hacker, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Conflicts of Interest, Rn. 7.50. 133 Grundmann/Hacker, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Conflicts of Interest, Rn. 7.51. 134 Nittel/Knöpfel, BKR 2009, S. 411 (414). 135 Buck-Heeb, ZBB 2014, S. 221 (229). 136 Möllers/Wenninger, in: KölnerKomm/WpHG, § 31d WpHG Rn. 2; a. A. Rozok, BKR 2007, 217 (218). 137 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 12 Rn. 948 (10. Aufl., 2019), dies steht mittlerweile jedoch nicht mehr zur Diskussion. 138 Möllers/Wenninger, in: KölnerKomm/WpHG, § 31d WpHG Rn. 4 f.; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 808.

I. Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten

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terahmen- oder Depotverträge, erbringt und der Kunde sich demnach nicht darüber bewusst ist, dass Provisionszahlungen oder andere Zuwendungen existieren könnten.139 Dieses Rechtsprinzip der Transparenz von Provisionen findet sich auch bei Fremdinteressenwahrungsverträgen, insbesondere im Auftrags-, Geschäftsbesorgungs- und Kommissionsrecht, wieder.140 Die Grundstruktur der Zulässigkeit von Zuwendungen nach dem Aufsichtsrecht beinhaltet (1) eine stringente Aufklärung, (2) eine Zulassung von Gebühren, wenn die Wertpapierdienstleistung nicht ohne diese erhältlich wäre.141 Nach § 70 Abs. 2 WpHG umfasst der „aufsichtsrechtliche Oberbegriff“142 Zuwendungen, worunter alle Provisionen, Gebühren oder sonstige Geldleistungen sowie alle nicht monetären Vorteile fallen, die ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Zusammenhang mit seiner Wertpapierdienstleistung von einem Dritten erlangen bzw. verlangen kann.143 Dritte können Vermittler, Emittenten, Wettbewerber oder andere Personen oder Unternehmen sein, die mit einem Produkt oder einer Wertpapierdienstleistung in Beziehung stehen.144 Inwiefern Rückvergütungen, Innenprovisionen und Gewinnmargen unter den Zuwendungsbegriff des § 70 Abs. 2 WpHG und das Zuwendungsverbot gem. § 70 Abs. 1 S. 1 WpHG fallen, wird im Folgenden näher erläutert. Neben dem aufsichtsrechtlichen Aufklärungsregime hat die Rechtsprechung ein umfassendes zivilrechtliches Haftungsregime entwickelt, welches im Zusammenhang mit der jeweiligen Zuwendung ebenfalls erörtert wird.

d) Zwischenergebnis Hervorzuheben ist zunächst die universale Anwendbarkeit des in § 63 Abs. 1 WpHG niedergelegten Interessenwahrungsgrundsatzes sowie der in § 63 Abs. 2 WpHG enthaltenen Pflicht, Interessenkonflikte zu vermeiden und – sofern vorhanden – offenzulegen auf die unterschiedlichen Formen des Effektengeschäfts, worunter das Kommissions-, Vermittlungs- und Festpreisgeschäft fallen, die allesamt Wertpapierdienstleistungen sind.145 Als Hauptgrund wird zu Recht angeführt, 139 Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1112); Müchler/Trafkowski, ZBB 2013, S. 101 (105); Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 803, 808 mit Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung; zu diesem Dilemma auch Stahl, Information Overload am Kapitalmarkt, S. 117. 140 Möllers/Wenninger, in: KölnerKomm/WpHG, § 31d WpHG Rn. 6. 141 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil E. Rn. 244. 142 Günther, MDR 2014, S. 61 (62). 143 Ausführlich zum Begriff der Zuwendungen und insbesondere zu den sog. „soft commissions“ vgl. Baur, jurisPR-BKR 6/2017 Anm. 1, Teil D. II.; Döser, jurisPR-BKR 12/2017 Anm. 1, Teil A. – C.; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (18); ders., in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil E. Rn. 247; Hartmann/Dost/Wessarges, CCZ 2010, S. 88 (91 f.); Roth/Blessing, CCZ 2017, S. 163 (164 – 166). 144 Hartmann/Dost/Wessarges, CCZ 2010, S. 88 (89). 145 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 210; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 34.

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

dass die konkrete Vertragsgestaltung im Einzelnen häufig vom Zufall abhängt und dies daher keinen Einfluss auf den vom Wertpapierdienstleistungsunternehmen einzuhaltenden Pflichtenstandard haben kann.146 Zudem ist der Kaufvertrag in die bankmäßige Geschäftsverbindung zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Anleger eingebettet und wird gerade durch diese bankmäßige Geschäftsverbindung begründet, welche ein besonderes Vertrauensverhältnis darstellt aus der verstärkte Neben- und Schutzpflichten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens resultieren.147

4. Das Verhältnis des Umgangs mit Interessenkonflikten zum Grundsatz der Fremdinteressenwahrung Der Grundsatz der Interessenwahrung ist das Leitprinzip aller in §§ 63 ff. WpHG verankerten Wohlverhaltenspflichten.148 Bestätigt wird dieser Befund besonders durch die europarechtlichen Grundlagen in der WpDRL, MiFID I und MiFID II sowie den dazugehörigen Durchführungsrichtlinien und -verordnungen. Der sämtliche Dienstleistungen umfassende Sorgfaltsmaßstab bezieht sich auf das zu wahrende Kundeninteresse, so z. B. bei § 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG oder auch bei § 70 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG. Wie bereits im 2. Kapitel ausführlich erörtert, liegt dem Interessenwahrungsgrundsatz der § 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG sowie § 70 WpHG die zivilrechtliche Interessenwahrungspflicht stricto sensu, wie sie sich insbesondere aus dem Auftrags- und Geschäftsbesorgungsrecht und damit dem Kommissionsvertrag ergibt, zugrunde. In Bezug auf die Interessenwahrungspflicht stricto sensu besteht sowohl aus aufsichtsrechtlicher als auch zivilrechtlicher Sicht im Ergebnis nur ein geringes Konfliktpotenzial, weil die Interessenwahrungspflicht stricto sensu als solche abstrakt gehalten ist.149 Beide Begriffe sind auslegungsbedürftig, daher ist eine Ausstrahlung bzw. Überformung der aufsichtsrechtlichen Interessenwahrungspflicht nicht notwendig und auch nicht zielführend, ein Gleichlauf des Pflichtenkanons ist nicht erforderlich und es sollte Aufgabe der Rechtsprechung bleiben einen solchen, wenn erforderlich, herzustellen.150 In diesem Zusammenhang ist es vor allem aufgrund des Grundsatzes der Privatautonomie zwingend, dass individuelle Parteiabreden vertragsrechtlich zu berücksichtigen sind und nicht durch aufsichtsrechtliche allgemeine Annahmen ausgehebelt werden können. 146

Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 34. Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 34. 148 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 208 f.; Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 113; Koller, in: Assmann/Schneider/ Mülbert, § 63 Rn. 1, 13; Möllers/Leisch, JZ 2000, S. 1085 (1088); Reich, WM 1997, S. 1601 (1602). 149 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 156. 150 Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 157. 147

II. Interessenkonflikte im Kapitalanlagerecht

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Aus der Interessenwahrungspflicht und dem daraus resultierenden vorrangigen Anlegerinteresse folgt der Grundsatz der Transparenz, weil die Bank verpflichtet ist, über wesentliche Interessenkonflikte aufzuklären.151 Dies verdeutlicht die enge Verknüpfung der Pflichten und dass die Regelungen zur Offenlegung, Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten aus der Interessenwahrungspflicht stricto sensu folgen.

5. Zusammenfassung Generell ist bereits hier festzuhalten, dass das aufsichtsrechtliche Pflichtengefüge in Bezug auf die Interessenwahrungspflicht sowie auf den Umgang mit Interessenkonflikten im Grundsatz die gleichen Ziele verfolgt, wie das diesbezügliche zivilrechtliche Pflichtenprogramm. Es kommt nicht zu einer Überlagerung zivilrechtlicher Interessenwahrungspflichten durch die aufsichtsrechtlich ausgeformten beruflichen Interessenwahrungspflichten.152

II. Interessenkonflikte im Kapitalanlagerecht – am Beispiel des Interessenkonflikts bei der Gewährung und Annahme von Zuwendungen Die seit nahezu 20 Jahren brisante153 rechtspolitische und auch rechtspraktische Diskussion über die Zulässigkeit von Zuwendungen, insbesondere von Rückvergütungen und Innenprovisionen – von Zoller auch gemeinhin als „Kick-Back-Joker“ bezeichnet154 – verstummt nicht. Es handelt sich um einen regelrechten „Dauerbrenner“, der für viele Debatten und Diskussionen sorgte und sorgt.155 Die Vermarktung von Kapitalanlagen unterliegt von ihrer Anbahnung bis zu ihrer Abwicklung geschäftsbesorgungsrechtlichen Grundsätzen und Regelungen. Demnach ist der Ausgangspunkt der Frage, ob und wenn ja über welche Arten von Provisionen aufzuklären ist, die Interessenwahrungspflicht stricto sensu. Denn die Bank schuldet vorrangig die Wahrung und Förderung der Anlegerinteressen und darf ihre eigenen Vergütungsinteressen nicht über das Interesse ihrer Anleger bzw. Kunden stellen. Darüber hinaus ist von zentraler Bedeutung im Zusammenhang mit dem Zuwendungskonflikt, dass die Bank entstehende Interessenkonflikte grundsätzlich zu 151

Hopt, in: FS Gernhuber, S. 169 (182). A. A. Faust, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 89 Rn. 25. 153 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 12 Rn. 964 und § 12 Rn. 942 (10. Aufl., 2019). 154 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 1; Zoller, BB 2013, S. 520 (520); Zoller, BB 2014, S. 1805 (1805). 155 Silverentand/Sprecher/Simons, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Inducements, Rn. 8.03; Wiechers, WM 2012, S. 477 (477, 480). 152

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

vermeiden hat und, sofern dies nicht möglich ist, die Interessenkonflikte offenzulegen hat. Ob und wie sich eine Bank bzw. der Anlageberater ihre bzw. seine Beratungsleistung vergüten lässt, kann nach zwei unterschiedlichen Modellen geschehen: zum einen im Wege einer provisionsbasierten Anlageberatung und zum anderen im Wege der Honoraranlageberatung. In Deutschland ist der noch vorherrschende Typ die provisionsbasierte Anlageberatung, wohingegen dieser Typ in Großbritannien verboten ist und nur noch eine Honorarberatung erfolgen kann.156 Beide Modelle sind nunmehr durch die MiFID II rechtlich in der EU verankert. Im Folgenden werden Fragen, welche die Haftung des freien Anlageberaters betreffen, nicht näher in den Blick genommen. Freie Anlageberater werden ausschließlich von dritter Seite vergütet und der Anleger selbst leistet i. d. R. keine direkte Vergütung an diesen. Somit liegt eine andere Risikoverteilung vor und der Kunde ist grundsätzlich nicht aufklärungsbedürftig, es sei denn er fragt nach oder es gibt aufgrund der konkreten Höhe (15 % und mehr) oder Art der Zuwendung einen besonderen Anlass für eine Aufklärungssituation.157 Dies spiegelt sich auch in dem für freie Anlageberater geltenden Aufsichtsrecht nach § 34 g GewO i. V. m. §§ 11 ff. FinVermV, insbesondere § 17 FinVermV, wonach eine Qualitätsverbesserung nicht erforderlich ist, wider. Der freie Anlageberater muss zunächst seinen Lebensunterhalt verdienen, weil die Beratung seine Einkommensgrundlage ist. Auch ist die Geschäftsbeziehung zwischen dem Kunden und dem freien Anlageberater in der Regel nicht auf Dauer angelegt, anders bei der Vermögensverwaltung durch einen bankgebundenen Anlageberater.158 Die Rückvergütungsrechtsprechung des XI. Zi-

156

Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil E. Rn. 244. BGH, Urt. v. 19. Oktober 2017 – III ZR 565/16, WM 2017, S. 2191 – 2196; BGH, Urt. v. 5. Mai 2011 – III ZR 84/10, GWR 2011, S. 288 (Kurzwiedergabe); BGH, Urt. v. 3. März 2011 – III ZR 170/10, BKR 2011, S. 248 – 250; BGH, Urt. v. 15. April 2010 – III ZR 196/09, BKR 2010, S. 247 – 249; BGH, Urt. v. 29. Mai 2008 – III ZR 59/07, WM 2008, S. 1205 – 1211; BGH, Urt. v. 22. März 2007 – III ZR 218/06, WM 2007, S. 873 – 874; BGH, Urt. v. 9. Februar 2006 – III ZR 20/05, WM 2006, S. 668 – 672; BGH, Urt. v. 28. Juli 2005 – III ZR 290/04, WM 2005, S. 1998 – 2002; BGH, Urt. v. 12. Februar 2004 – III ZR 359/02, WM 2004, S. 631 – 635; zustimmend Assmann, ZIP 2009, S. 2125 (2131); Brocker/Klebeck, ZIP 2010, S. 1369 – 1376; Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1112); Weller, ZBB 2011, S. 191 (196); Winter, WM 2014, S. 1606 (1608); Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 87; a. A. Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung, Rn. 252 – 263; Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (308); Nikolaus/d’Oleire, WM 2007, S. 2129 (2133 f.), weil sowohl bei dem bankengebundenen als auch bei dem freien Anlageberater die für den Anleger unerkennbare Beeinträchtigung als Geschäftsbesorger ausschließlich seine Interessen wahrzunehmen identisch sei; ausführlich vgl. Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 347 – 350. 158 BGH, Beschl. v. 19. Juli 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3229 (3230); BGH, Urt. v. 3. März 2011 – III ZR 170/10, BKR 2011, S. 248 – 250; BGH, Urt. v. 15. April 2010 – III ZR 196/09, BKR 2010, S. 247 (248); zustimmend Winter, WM 2014, S. 1606 (1608). 157

II. Interessenkonflikte im Kapitalanlagerecht

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vilsenats des BGH ist daher nicht auf freie Anlageberater übertragbar.159 Dies wird jedoch durchaus kritisch gesehen und angenommen, dass der Anleger bei der Beratung durch einen freien Anlageberater gerade schutzbedürftiger sei, weil der Interessenkonflikt bei freien Anlageberatern, aufgrund des noch existentielleren Interesses am Erhalt von Vertriebsprovisionen, offenkundiger sei.160 So wird auch häufig kritisiert, dass der BGH die Erwartungshaltung des Anlegers im Hinblick auf Innenprovisionen und Rückvergütungen bei bankgebundenen und freien Anlageberatern unterschiedlich bewerte und diese Annahme weder normativ noch empirisch ausreichend begründe.161 Zum einen liege kein Gesetz vor, aus dem hervorgehe, dass der Anleger die Beratung eines bankgebundenen Beraters für entgeltfrei halte und die eines freien Anlageberaters für entgeltpflichtig.162 Zum anderen liege auch keine empirische Untersuchung hinsichtlich der Anlegererwartung vor und es werde häufig auf eine branchenübliche Praxis, ob und wie Provisionen fließen, verwiesen, die jedoch nicht durch Zahlenmaterial gestützt seien.163 Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass gerade aufgrund dieser Offenkundigkeit des Interessenkonfliktes es jedem Anleger einleuchten muss, dass der freie Anlageberater Provisionen erhält.

1. Zuwendungen als Auslöser von Interessenkonflikten Das Geschäftsmodell der Banken ist darauf ausgerichtet Erträge zu generieren und auch der Anlageberater verdient mit der Beratungsdienstleistung seinen Lebensunterhalt. Die Dienstleistung wird dem Kunden in irgendeiner Form in Rechnung gestellt, entweder durch eine Honorarberatung oder durch „sonstige erfolgswirksame Komponenten“164.165 Die Investition des Anlegers erfordert daher zunächst eine tatsächliche Investition, die sich erst auf lange Sicht rentiert und im Idealfall zu einem Gewinn führt – von Zoller auch als nicht aufklärungspflichtiger „einfacher Interessenkonflikt“ bezeichnet.166 Das Verdienstinteresse der Bank bzw. des Anlageberaters steht dem Kundeninteresse zwar entgegen, ist jedoch Verträgen, die

159 BGH, Urt. v. 15. April 2010 – III ZR 196/09, BKR 2010, S. 247 (248); Assmann, ZIP 2009, S. 2125 (2131). 160 Frisch, EWiR 2012, S. 613 (614). 161 Winter, WM 2014, S. 1606 (1609 f.). 162 Winter, WM 2014, S. 1606 (1610). 163 Winter, WM 2014, S. 1606 (1610). 164 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 5. 165 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 5; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 24 Rn. 771 (1. Aufl., 2017). 166 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 5.

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Dienstleistungsvergütungen umfassen, inhärent und offenkundig.167 „Anlageberatung mag zwar umsonst sein, aber ist niemals kostenlos.“168 Über ein Vergütungsinteresse sei erst dann aufzuklären, wenn sonstige schwerwiegende Sachverhaltsmomente hinzutreten würden, die das Kundenvertrauen erschüttern und über das offensichtliche Vergütungsinteresse hinausgehen.169 Solche Sachverhaltsmomente können insbesondere im Falle der provisionsbasierten Anlageberatung hinzutreten, wenn z. B. eine Anlage nur dann empfohlenen wird, weil die Bank bzw. der Berater bei dieser eine besonders hohe Provision erhält und die konkrete Anlage nicht dem bestmöglichen Interesse des Anlegers entspricht.170 Durch ein solches Verhalten kann der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes langfristig geschadet werden, weil das Anlegervertrauen nachhaltig beschädigt werden kann und der Anleger so auf Investitionen unter Umständen allgemein verzichtet.171 Mit der Realität stimme es jedoch nicht überein, dass der Anlageberater bei Auswahl der in Rede stehenden Investition ausschließlich sein Provisionsinteresse im Blick behalte und dieses Verhalten per se zulasten des Anlegers ausfallen würde.172 Durch die Offenlegungspflicht bei Vergütungsfragen und Provisionszahlungen soll ein bestehender Interessenkonflikt durch die Preistransparenz entschärft werden.173 Denn Zuwendungen verursachen zum einen Interessenkonflikte und zum anderen führen sie zu einer Kostenintransparenz.174 Darüber hinaus liegt im Bereich der Kapitalanlageberatung eine besonders unausgewogene Parteisituation vor, in der ein zumeist handlungsschwacher und mit einem ganzen Bündel realitätsverzerrender Bias belasteter Anleger auf einen professionalisierten Bankvertrieb trifft, dem durch hohe Gewinnmöglichkeiten Anreize geschaffen werden, um die Defizite der Anlegerseite zum eigenen Gewinn nutzbar zu machen.175 Die Rolle der Banken lässt sich auch als die eines „Quasi-Treuhänders der Kundeninteressen“176 einordnen und dennoch können sie eigene Interessen bei dem Vertrieb von Finanzprodukten verfolgen.177 167 Ludwig/Clouth, NZG 2015, S. 1369 (1369); Nobbe, BKR 2011, S. 302 (303 f.); Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 6 – 7; zustimmend Edelmann, BB 2010, S. 1163 (1167), insbesondere in Bezug auf marktübliche Vergütungen. 168 Stahl, Information Overload am Kapitalmarkt, S. 97. 169 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 7. 170 Meder/Flick, WuB I G 1.–1.08, S. 265 (265); Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 803. 171 Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 803. 172 Edelmann, BB 2010, S. 1163 (1167); Zoller, GWR 2012, S. 27 (28). 173 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 335; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil E. Rn. 246. 174 Knops/Brocker, WM 2010, S. 1101 (1104); Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (782). 175 Koch, ZBB 2014, S. 211 (216); zu den ökonomischen Implikationen sie auch Kapitel 5. 176 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 216. 177 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 216.

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a) Einführung in die Thematik des Zuwendungskonflikts und Hintergründe Seit nunmehr über zwei Jahrzehnten beherrschen vergütungsrelevante Themen die Praxis und Rechtsprechung zu Anlageberatungsfällen. Insbesondere wird von einigen Teilen herausgestellt, dass das Verschweigen von Rückvergütungen ein jahrzehntelanger, planmäßiger Betrug auf Kosten der Anleger sei.178 Über die Jahre habe sich hierbei herausgestellt, dass es dem Anleger gleichgültig sei, welches Anlageprodukt bei den unterschiedlichen Haftungsfällen im Mittelpunkt stehe, so gehört es wie Zoller schreibt „zwischenzeitlich zum guten Ton, Aufklärungsdefizite im Hinblick auf Vergütungen der beklagten Bank, wenn nicht ins Zentrum, sondern doch jedenfalls ins Blickfeld der Aufmerksamkeit zu rücken“179. Insbesondere nach der Finanzkrise im Jahr 2008 bereuten immer mehr Anleger ihre Investitionen, die aufgrund des allgemeinen Abschwungs der Märkte an Wert verloren haben.180 Es kam zu einem großen Vertrauensverlust.181 In der Praxis zeigt sich jedoch regelmäßig, dass Aufklärungsfehler in Bezug auf Zuwendungen regelrecht gesucht, wenn nicht gar vorgeschoben bzw. in der Hinterhand gehalten würden.182 Der Vorwurf wurde laut, dass sich Anleger so einer unliebsamen oder unrentablen Anlage entledigen und die Folgen einer fehlgeschlagenen Anlage auf Dritte, insbesondere die Bank, abwälzen möchten.183 Es muss in der Praxis eine eindeutige Trennung erfolgen zwischen einerseits der Aufklärungspflicht in Bezug auf Rückvergütungen und sonstige Zuwendungen und andererseits der Aufklärungspflicht über die Risiken der empfohlenen Anlage.184 Die jeweiligen Aufklärungspflichten verfolgen unterschiedliche Zwecke, sodass dem Anleger bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Risiken der empfohlenen Anlage nur dann ein Schadensersatzanspruch zustehen kann, wenn bezüglich dieser Wertpapiergeschäfte zugleich eine Rückvergütung verschwiegen wurde.185 Die Möglichkeit einer pauschalen Rückabwicklung insbesondere vor dem Hintergrund der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens sei zu weitgehend und verkenne zudem den Schutzzweck der einzelnen Aufklärungs178

1167).

Rösmann/Heide, Ad Legendum 2013, S. 8 (8); a. A. Edelmann, BB 2010, S. 1163 (1163,

179 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 210; Zoller, BB 2013, S. 520 (520); zustimmend Edelmann, BB 2010, S. 1163 (1163). 180 Geßner, BKR 2010, S. 89 (89); Witte/Hillebrand, DStR 2009, S. 1759 (1759). 181 Giudici, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Independent Financial Advice, Rn. 6.03. 182 Edelmann, BB 2010, S. 1163 (1163, 1169); Witte/Hillebrand, DStR 2009, S. 1759 (1759); Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 212; Zoller, GWR 2010, S. 53 (55). 183 Edelmann, BB 2010, S. 1163 (1163 f.); Nikolaus/d’Oleire, WM 2007, S. 2129 (2131); Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 212; vgl. hierzu ausführlich die Beiträge von Jordans, BKR 2015, S. 309 (311 – 316); Jordans, BKR 2011, S. 456 (460 – 465); Jooß, WM 2011, S. 1260 (1260); Rösmann/Heide, Ad Legendum 2013, S. 8 (8, 14); Wiechers, WM 2012, S. 477 (480). 184 Nikolaus/d’Oleire, WM 2007, S. 2129 (2131). 185 Nikolaus/d’Oleire, WM 2007, S. 2129 (2131).

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pflichten.186 Vor diesem Hintergrund wird die „Kick-Back“-Rechtsprechung teilweise auch als Rückabwicklungsventil für einzelne vermögende Anleger sowie für eine unsoziale und verfassungswidrige Erfindung Einzelner angesehen.187 In Haftungsprozessen wegen nicht ordnungsgemäßer Aufklärung über Provisionen und sonstige Vergütungen gerate dann immer mehr aus dem Blick, dass das Kundenvertrauen faktisch nicht pflichtwidrig enttäuscht wurde. Denn nur in solchen Fällen ist eine Schadensersatzpflicht grundsätzlich gerechtfertigt.188 Es müssen sog. „Trittbrettfahrer“ von tatsächlich pflichtwidrig informierten Kapitalanlegern getrennt werden.189 In diesem Zusammenhang wird auch argumentiert, dass die Annahme, die beratende Bank würde als gewinnorientiertes Wirtschaftsunternehmen ihre aufwendige Beratungsleistung aus reinem Altruismus unentgeltlich ohne eigene finanzielle Interessen oder lediglich zur Pflege der Geschäftsbeziehung erbringen, lebensfremd sei.190 Es müsse dem Anlageberater jedoch die Möglichkeit verbleiben, dass er in einem Prozess Indizien vortragen kann, die dafür sprechen, dass ein widersprüchliches Verhalten seitens des Anlegers gem. § 242 BGB vorlag, weil er z. B. eine Anlage widerspruchslos unterzeichnet, obwohl ihm trotz Nachfrage die Höhe der Rückvergütung nicht mitgeteilt wurde.191 Sich in solchen Fällen dann auf einen Beratungslehrer bzw. Aufklärungsfehler bezüglich Rückvergütungen zu stürzen, könne dann nicht gewollt sein und sollte dann auch nicht durchgreifen. In solchen Fällen seien stets die Umstände des Einzelfalles zu würdigen.192 Hiergegen wird jedoch angeführt, dass der durchschnittliche Anleger zwar grundsätzlich damit rechne, dass die Beratung und auch Werbung für eine Anlage Geld kostet, er aber nicht erwarte, dass es sein Geld kostet.193 Für den Anleger sei es daher nicht nachvollziehbar, warum er dafür zahlen müsse, dass man ihn als Anleger geworben habe.194 Dem Anleger sei in der Regel der Zusammenhang zwischen der Anlageempfehlung und der Provision oftmals nicht bewusst.195 Darüber hinaus sei zu bedenken, dass es sich bei Provisionen jeglicher Art, ob nun Rückvergütungen, Soft 186 Nikolaus/d’Oleire, WM 2007, S. 2129 (2131); ausführlich zur Vermutung aufklärungspflichtigen Verhaltens unten Punkt II. 1. b) bb). 187 Edelmann, BB 2010, S. 1163 (1163 – 1166); Rösmann/Heide, Ad Legendum 2013, S. 8 (8). 188 So etwa Edelmann, BB 2010, S. 1163 (1163, 1169 – 1171), der den Einzelfallcharakter der einzelnen Kick-Back-Entscheidungen betont; vgl. auch Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 212; Zoller, GWR 2010, S. 53 (55). 189 Edelmann, BB 2010, S. 1163 (1169 f.); Geßner, BKR 2010, S. 89 (97); Oppenheim, BKR 2014, S. 454 (456 f.); Zoller, GWR 2010, S. 53 (55). 190 Nobbe, BKR 2011, S. 302 (303). 191 Oppenheim, BKR 2014, S. 454 (457). 192 Edelmann, BB 2010, S. 1163 (1169 – 1172); Oppenheim, BKR 2014, S. 454 (455, 457). 193 Nittel/Knöpfel, BKR 2009, S. 411 (413); Schwab, BKR 2011, S. 450 (453, 454); a. A. Nobbe, BKR 2011, S. 302 (303). 194 Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 171 f.; Schwab, BKR 2011, S. 450 (453); a. A. Nobbe, BKR 2011, S. 302 (303). 195 Müchler/Trafkowski, ZBB 2013, S. 101 (105).

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Commissions, Bestandspflegeprovisionen oder sonstige Anreize wie Software, einmalige Zahlungen in Form einer „Finder’s Fee“ und anderes, um Vorteilsgewährung von dritter Seite handle, die der Bank als Anerkennung für die Vermittlung von Finanzanlagen gezahlt werden und so Interessenkonflikte begründet und vertieft werden können, weil die Provisionen auf die Entscheidungsfindung der Bank bzw. des Beraters Einfluss haben können.196 Ausgenommen hiervon seien jedoch „reine Werbeaktionen ohne konkreten Umsatzgratifikationscharakter“197, wie z. B. Teamabende oder Schulungen zu konkreten Produkten oder die Überlassung von Werbung in Form von Prospekten und anderes.198 Weiterhin müsse der Anleger die Möglichkeit haben, die Vertrauenswürdigkeit und Neutralität bzw. auch Loyalität seines Vertragspartners einschätzen zu können, was durch eine Aufklärungspflicht über Provisionen etc. gewährleistet würde.199 Denn es bestehe bei der Gewährung und Annahme von Zuwendungen die Gefahr, dass sich die Bank bzw. der Anlageberater opportunistisch verhalte und aus eigensüchtigen Motiven die Anlage mit den höchsten Zuwendungen empfehle anstatt diejenige, die sich am Kundeninteresse orientiert.200 Denn nur so könne der Anleger aufgrund einer ausreichenden Informationsgrundlage über die Kosten eine eigenverantwortliche Anlageentscheidung treffen.201 Die Aufklärung diene insofern einer Konfliktwarnung, indem die Konfliktursache aufgeklärt werde.202 b) Rückvergütungen Hinsichtlich der vertragsrechtlichen bzw. zivilrechtlichen Offenlegungspflicht von Rückvergütungen, auch als Retrozessionen oder „Kick-Back“-Zahlungen bezeichnet203, hat der BGH in seinen mittlerweile 26 „Kick-Back“-Urteilen204 aus einer 196 Brocker, BKR 2007, S. 365 (370); Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 1a; Rozok, BKR 2007, S. 217 (218 – 220); Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (771). 197 Brocker, BKR 2007, S. 365 (370). 198 Brocker, BKR 2007, S. 365 (370); vgl. zu den Veranstaltungen ausführlich Rozok, CCZ 2008, S. 92 – 95. 199 Kotte, BB 2014, S. 1353 (1353); Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (777). 200 Buck-Heeb, ZBB 2014, S. 221 (229); Silverentand/Sprecher/Simons, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Inducements, Rn. 8.02; Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 403, 397; Walz, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 66; Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 1a. 201 Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 1a; Kotte, BB 2014, S. 1353 (1353); Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (782 f.). 202 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 346c. 203 Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2101). 204 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2000 – XI ZR 349/99, BGHZ 146, S. 235 – 241(KickBack I); BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, S. 226 – 235 (KickBack II); BGH, Beschl. v. 20. Januar 2009 – XI ZR 510/07, BKR 2009, S. 16 – 127 (KickBack III); BGH, Urt. v. 12. Mai 2009 – XI ZR 586/07, NJW 2009, S. 2298 – 2300 (KickBack IV); BGH, Urt. v. 27. Oktober 2009 – XI ZR 338/08, ZIP 2009, S. 2380 – 2383 (Kick-

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Offenlegungspflicht über einen „Umweg“ einer Interessenkollision und einer daraus resultierenden Aufklärungspflicht der Bank bzw. des Anlageberaters gegenüber seinem Kunden in verschiedenen Varianten Haftungssachverhalte entwickelt.205 In dem als „Mutter aller Kick-Back-Verfahren“206 bezeichneten Urteil des BGH vom 19. Dezember 2005 – XI ZR 56/05 kam es mit Blick auf Kapitalanlagesachverhalte zu einem Wendepunkt in der Auseinandersetzung zwischen Anleger und Bank bzw. Anlageberater, weil der BGH trotz bevorstehender MiFID-I-Umsetzung zivilrechtlich weit über die zu erwartenden aufsichtsrechtlichen Pflichten hinausging.207 Der BGH statuierte eine ungefragte und centgenaue Aufklärungspflicht der Bank über echte Rückvergütungen, weil sich die Bank in einem Interessenkonflikt befindet.208 Die Feinheiten und Details der vom BGH in den „Kick-Back“-Verfahren statuierten Aufklärungspflicht und des bestehenden schweren Interessenkonflikts werden im Folgenden ausführlich dargestellt und erörtert. Zuvor ist jedoch der Begriff der Rückvergütung zu klären und einzugrenzen. aa) Begriff In dem Urteil „Kick-Back V“209 hat der BGH eine ausführliche Definition des Begriffs der Rückvergütung gegeben. Danach liegen aufklärungspflichtige RückBack V); BGH, Urt. v. 15. April 2010 – III ZR 196/09, BKR 2010, S. 247 – 249 (Kick-Back VI); BGH, Beschl. v. 29. Juni 2010 – XI ZR 308/09, WM 2010, S. 1694 – 1696 (Kick-Back VII); BGH, Urt. v. 3. März 2011 – III ZR 170/10, BKR 2011, S. 248 – 250 (Kick-Back VIII); BGH, Hinweisbeschl. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3227 – 3229 (Kick-Back IX); BGH, Urt. v. 5. Mai 2011 – III ZR 84/10, GWR 2011, S. 288 (Kick-Back X); BGH, Beschl. v. 19. Juli 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3229 – 3231 (Kick-Back XI); BGH, Beschl. v. 24. August 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, S. 1804 – 1806 (Kick-Back XII); BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 – 139 (Kick-Back XIII bzw. Lehman I); BVerfG, Beschl. v. 8. Dezember 2011 – 1 BvR 2514/11, NJW 2012, S. 443 – 444 (Kick-Back XIV); BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, S. 159 – 183 (Kick-Back XV); BGH, Urt. v. 26. Juni 2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, S. 1520 – 1526 (Kick-Back XVI bzw. Lehman II); BGH, Urt. v. 16. Oktober 2012 – XI ZR 367/11, NJW-RR 2013, S. 244 – 248 (KickBack XVII bzw. Lehman III); BGH, Urt. v. 26. Februar 2013 – XI ZR 345/10, BKR 2013, S. 283 – 288 (Kick-Back XVIII); BVerfG, Beschl. v. 31. Juli 2013 – 1 BvR 130/12, NJW 2013, S. 2957 – 2958 (Kick-Back XIX); BGH, Urt. v. 17. September 2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, S. 1983 – 1987 (Kick-Back XX bzw. Lehman IV); BGH, Urt. v. 24. September 2013 – XI ZR 204/12, WM 2013, S. 2065 – 2069 (Kick-Back XXI); BGH, Urt. v. 8. April 2014 – XI ZR 341/ 12, ZIP 2014, S. 117 – 1120 (Kick-Back XXII); BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 – 323 (Kick-Back XXIII); BGH, Urt. v. 15. Juli 2014 – XI ZR 418/12, ZIP 2014, S. 1672 – 1677 (Kick-Back XXIV); BGH, Urt. v. 15. März 2016 – XI ZR 122/14, NJWRR 2016, S. 1187 – 1190 (Kick-Back XXV); BGH, Urt. v. 19. Oktober 2017 – III ZR 565/16, BGHZ 216, S. 245 – 260 (Kick-Back XXVI). 205 Lippe/Voigt, BKR 2011, S. 151 (151); Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 2. 206 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 56. 207 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 62. 208 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, S. 226 (234). 209 BGH, Urt. v. 27. Oktober 2009 – XI ZR 338/08, ZIP 2009, S. 2380 – 2383; fortgeführt u. a. durch BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, S. 159 (164) – Kick-Back XV;

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vergütungen immer dann vor, wenn Teile der offen ausgewiesenen Ausgabeaufschläge oder Verwaltungsgebühren, die der Kunde über die Bank an die Gesellschaft zahlt, hinter seinem Rücken an die beratende Bank umsatzabhängig zurückfließen, sodass diese ein für den Kunden nicht erkennbares besonderes Interesse hat, gerade dieses Anlageprodukt zu empfehlen.210 Diese Definition lässt sich in fünf Tatbestandsmerkmale unterteilen. Demnach muss zunächst eine Kundeninvestition vorliegen, welche sog. Vertriebsdienstleistungsvergütungen nach sich zieht, wobei es sich bei den vom BGH angeführten Verwaltungsgebühren und Ausgabeaufschlägen lediglich um eine beispielhafte Aufzählung handelt und „auch sonstige Rückflüsse aus der Kundeninvestition über Dritte an den Berater tauglicher Gegenstand (…) sein können“211.212 Als zweite Voraussetzung muss ein Teil der Verwaltungsgebühr bzw. des Ausgabeaufschlags an den Anlageberater zurückfließen und drittens muss dieser Rückfluss umsatzabhängig erfolgen.213 Die Anlageinvestition des Kunden muss ein erfolgsabhängiges Entgelt des Beraters nach sich ziehen, sodass dieser ein besonderes Interesse am Erfolg seiner Transaktion hat.214 Darüber hinaus darf viertens der Rückfluss für den Kunden nicht sichtbar sein und fünftens muss der Berater ein besonderes Interesse an der Empfehlung gerade dieses konkreten Anlageprodukts haben.215 bb) Vertragsrechtliche Offenlegungspflicht Der BGH hat in seiner seit den 90-er Jahren entwickelten umfangreichen „KickBack“-Rechtsprechung detaillierte Aufklärungspflichten bezüglich Rückvergütungen, Innenprovisionen und Gewinnmargen statuiert und diese in jedem weiteren Urteil immer mehr konkretisiert und in ihren Feinheiten zwischen den verschiedenen Provisionsarten und den freien und bankengebundenen Anlageberatern unterschieden. Insbesondere die Entscheidungen zu den sog. Lehman-Zertifikaten gaben dem BGH Anlass, seine Rechtsprechung zum sog. „Kick-Back-Joker“ weiterzuentwi-

BGH, Beschl. v. 24. August 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, S. 1804 (1805) – Kick-Back XII; BGH, Hinweisbeschl. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, S. 3227 (3228). 210 BGH, Urt. v. 27. Oktober 2009 – XI ZR 338/08, ZIP 2009, S. 2380 (2383); allgemein zur Abgrenzung der Begrifflichkeiten Rückvergütungen, Innenprovisionen, Gewinnmargen vgl. Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1113); Günther, MDR 2014, S. 61 (62); Jordans, BKR 2015, S. 309 (311 – 313); Jooß, WM 2011, S. 1260 (1262 – 1266); Kropf, ZBB 2014, S. 331 (332 – 334). 211 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 14. 212 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 14. 213 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 15, 16. 214 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 16. 215 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 17, 18.

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ckeln und eine Differenzierung danach vorzunehmen, ob der Erwerb einer Kapitalanlage im Wege des Festpreis- oder Kommissionsgeschäfts erfolgt.216 Mit dem in der Literatur als „Kick-Back I“ bezeichneten Urteil217, das wie Zoller richtig ausführt keine klassische Rückvergütungssituation im Sinne der Rechtsprechung zum Gegenstand hat218, stellte der BGH klar, dass Provisionsvereinbarungen zwischen Bank und Vermögensverwalter gegenüber dem Kunden offenzulegen seien, weil dies die Wahrung des Kundeninteresses bezwecke.219 Denn die Provisionsvereinbarung schaffe für die Bank bzw. in dem Falle den Vermögensverwalter bei der Empfehlung und Vermittlung der Kapitalanlage den Anreiz, dass dieser nicht allein das Kundeninteresse, sondern sein eigenes bzw. das Vergütungsinteresse des Emittenten im Blick behalte.220 Der Kunde werde durch die Aufklärungspflicht in die Lage versetzt, geeignete Schritte hinsichtlich der von dem Vermögensverwalter nicht für sich selbst benötigten Teile der Provision und Depotgebühren zu ergreifen und einer sog. „Spesenreiterei“ entgegenzuwirken; auch erhalte der Kunde die Möglichkeit, die Vertrauenswürdigkeit seiner Geschäftspartner zu beurteilen, um so eine sachgerechte Entscheidung über die Inanspruchnahme der Dienste des Anlageberaters zu ermöglichen.221 Denn ein Verstoß gegen die Offenlegungspflicht sei eine schwerwiegende Treuwidrigkeit, aufgrund derer die Grundlage für das unabdingbare Vertrauen in die Seriosität des Vermögensverwalters im besonders sensiblen Bereich der Vermögensanlage entfalle.222 So wurde auch in der „Kick-Back I“-Entscheidung bereits festgelegt, dass die Aufklärung vor Vertragsschluss erfolgen müsse und bei einem Verstoß die infolge der unterbliebenen Aufklärung erlittenen Schäden und damit alle durch die Pflichtverletzung ausgelösten Schadensfolgen zu ersetzen seien.223 In diesem Zusammenhang ist jedoch hervorzuheben, dass durch die Aufklärung allein der Interessenkonflikt noch nicht beseitigt wird.224 Durch eine Aufklärungspflicht wird jedoch schon der konkreten Gefahr, dass der Anlageberater 216 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 2 Rn. 83; Zoller, BB 2013, 520 (521, 523); die Lehman-Urteile des BGH: BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 – 139 (Lehman I); BGH, Urt. v. 26. Juni 2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, S. 1520 – 1526 (Lehman II); BGH, Urt. v. 16. Oktober 2012 – XI ZR 367/11, NJW-RR 2013, S. 244 – 248 (Lehman III); BGH, Urt. v. 17. September 2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, S. 1983 – 1987 (Lehman IV); in BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 31. Juli 2013 – 1 BvR 130/12, NJW 2013, S. 2957 – 2958, führt das BVerfG aus, dass eine Aufklärungspflicht der beratenden Bank über Gewinnmargen gerade nicht besteht, nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden sei. 217 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2000 – XI ZR 349/99, BGHZ 146, S. 235 – 241. 218 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Fn. 22. 219 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2000 – XI ZR 349/99, BGHZ 146, S. 235 (235). 220 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2000 – XI ZR 349/99, BGHZ 146, S. 235 (239); Jooß, WM 2011, S. 1260 (1264); Schwab, BKR 2011, S. 450 (451). 221 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2000 – XI ZR 349/99, BGHZ 146, S. 235 (240 – 241); Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (773, 781). 222 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2000 – XI ZR 349/99, BGHZ 146, S. 235 (241). 223 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2000 – XI ZR 349/99, BGHZ 146, S. 235 (239). 224 Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (773).

II. Interessenkonflikte im Kapitalanlagerecht

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Anlageempfehlungen gerade nicht ausschließlich im Interesse des Kunden abgibt, entgegengewirkt und somit dem Interessenkonflikt, dass die Bank auch ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgt, vorgebeugt.225 In der „Mutter aller Kick-Back-Verfahren“226, dem BGH-Urteil vom 19. Dezember 2006,227 hat der BGH erstmals die Aufklärungspflicht dogmatisch mit dem Vorliegen eines auf der Seite der Bank bzw. des Anlageberaters bestehenden Interessenkonfliktes begründet. Durch das Bestehen einer Aufklärungspflicht über Rückvergütungen wird der Kunde in die Lage versetzt zu beurteilen, ob die Anlageempfehlung allein im Kundeninteresse nach den Kriterien der anleger- und objektgerechten Beratung erfolgt oder im Interesse der Bank, möglichst hohe Rückvergütungen zu erzielen.228 Die ungefragte und centgenaue Aufklärung bezieht sich sowohl auf den Erhalt als auch auf die Höhe der Rückvergütung, weil der Anleger nur so das Umsatzinteresse der Bank selbst einschätzen kann.229 Sonst bliebe dem Anleger das zusätzliche Umsatzinteresse der Bank verborgen und der Anleger würde von der Bank über einen maßgeblichen Aspekt seiner Anlegerentscheidung getäuscht.230 Für die Aufklärungspflicht ist es auch irrelevant aus welcher Quelle die Rückvergütungen fließen.231 Wie bereits in der „Kick-Back I“-Entscheidung232 hält der BGH daran fest, dass die Aufklärung vor Abschluss des avisierten Effektengeschäfts erfolgen müsse, weil nur so der konkreten Gefährdung des Kundeninteressen entgegengetreten werden könne.233 Die Aufklärungspflicht wird in Teilen der Literatur auch als Bringschuld des Anlageberaters als Interessenwahrer angesehen.234 Der Anleger kann seine Anlageentscheidung nur ausreichend würdigen, wenn er von der Bank eine vollständige Transparenz im Hinblick auf die erhaltenen Provisionen, die ihn im Zusammenhang mit seiner Beratungsleistung von dritter Seite erreichen, erhält. Zulasten des Beraters wird das besondere Interesse des Anlageberaters, bestimmte Beteiligungen aufgrund der Höhe der erhaltenen Provisionen zu empfehlen, unwiderleglich vermutet, da diese den Anreiz schafft und es naheliegt, dass der 225

Nittel/Knöpfel, BKR 2009, S. 411 (413). So etwa Harnos, BKR 2014, S. 1 (5); Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 56; Zoller, GWR 2012, S. 53 (53). 227 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, S. 226 – 235. 228 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, S. 226 (226, 234). 229 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, S. 226 (234, 235); so auch BGH, Beschl. v. 19. Juli 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3229 (3230) – Kick-Back XI; BGH, Beschl. v. 20. Januar 2009 – XI ZR 510/07, BKR 2009, S. 126 (127) – Kick-Back III; BGH, Hinweisbeschl. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3227 (3228) – KickBack IX; zustimmend Jooß, WM 2011, S. 1260 (1264); Kotte, BB 2014, S. 1353 (1353). 230 Kotte, BB 2014, S. 1353 (1353 f.). 231 BGH, Beschl. v. 19. Juli 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3229 (3229) – KickBack XI. 232 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2000 – XI ZR 349/99, BGHZ 146, S. 235 (239). 233 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, S. 226 (234); so auch BGH, Beschl. v. 20. Januar 2009 – XI ZR 510/07, BKR 2009, S. 126 (127) – Kick-Back III. 234 Schwab, BKR 2011, S. 450 (455). 226

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

Berater eine Anlageempfehlung aufgrund der Höhe der zu vereinnahmenden Provision ausspricht.235 Es kann daher auch nicht von einem grundsätzlichen Einverständnis des Anlegers zu Provisionszahlungen auf ein Einverständnis mit der Zahlung von Rückvergütungen geschlossen werden.236 Darüber hinaus hat der BGH in der „Kick-Back XXV“-Entscheidung klargestellt, dass der Anleger nicht verpflichtet sei, sich bei der beratenden Bank hinsichtlich etwaiger Rückvergütungszahlungen zu erkunden, selbst dann wenn er diese für möglich erachte oder gar vermute.237 Es bestehe in diesem Zusammenhang „kein Verschulden gegen sich selbst“, weil der Bankberater ungefragt über das Ob und die Höhe der Rückvergütung aufklären müsse.238 Im Hinblick auf einen frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist sei der Anleger auch nicht verpflichtet zu kontrollieren, ob der Berater seiner Aufklärungspflicht nachgekommen sei.239 In seinem „Kick-Back-III“-Urteil240 erweitert der BGH die Rückvergütungsrechtsprechung bei Aktienfonds auch auf Medienfonds, weil der aufklärungspflichtige Interessenkonflikt in beiden Situation gleich sei, setzt diese fort und stellt noch einmal klar, dass eine Aufklärung über Rückvergütungen unabhängig von ihrer Höhe zu erfolgen habe.241 Darüber hinaus statuiert der BGH in seiner „KickBack-IV“-Entscheidung242, dass die Voraussetzungen einer zivilrechtlichen Aufklärungspflicht über Rückvergütungen aus der auftrags- bzw. kommissionsrechtlich Auskunfts- und Herausgabepflicht gem. §§ 666, 667 BGB, § 384 Abs. 2 HGB folgen und die beklagte Bank darüber hinaus darlegungs- und beweisbelastet sei, dass ein vorsatzausschließender Rechtsirrtum vorliege und sie demnach bei unterlassener Aufklärung nicht vorsätzlich gehandelt habe.243 Dies konkretisiert der BGH in seiner „Kick-Back-VII“-Entscheidung244 dahingehend, dass sich die Bank für die Zeit nach 1990 nicht auf einen unvermeidbaren Rechtsirrtum über das Bestehen und den Umfang einer Aufklärungspflicht hinsichtlich Rückvergütungen berufen könne, weil die Rechtsprechungslinie des BGH, auch gestützt von der überwiegenden Meinung im Schrifttum, hinsichtlich des Bestehens einer Aufklärungspflicht seit 1989/1990 absehbar war.245 Darin liegt trotz der erst im Jahr 2000 und 2006 ergangenen ersten 235

BGH, Beschl. v. 20. Januar 2009 – XI ZR 510/07, BKR 2009, S. 126 (127); BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, S. 159 – 183, NJW 2012, S. 2427 – 2434. 236 BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, S. 159 (176) – Kick-Back XV. 237 BGH, Urt. v. 15. März 2016 – XI ZR 122/14, NJW-RR 2016, S. 1187 (1189). 238 BGH, Urt. v. 15. März 2016 – XI ZR 122/14, NJW-RR 2016, S. 1187 (1189). 239 BGH, Urt. v. 15. März 2016 – XI ZR 122/14, NJW-RR 2016, S. 1187 (1189). 240 BGH, Beschl. v. 20. Januar 2009 – XI ZR 510/07, BKR 2009, S. 126 – 127. 241 BGH, Beschl. v. 20. Januar 2009 – XI ZR 510/07, BKR 2009, S. 126 (127). 242 BGH, Urt. v. 12. Mai 2009 – XI ZR 586/07, NJW 2009, S. 2298 – 2300. 243 BGH, Urt. v. 12. Mai 2009 – XI ZR 586/07, NJW 2009, S. 2298 (2298, 2299); allgemein zur Möglichkeit eines Verbotsirrtums vgl. Casper, ZIP 2009, S. 2409 – 2418. 244 BGH, Beschl. v. 29. Juni 2010 – XI ZR 308/09, WM 2010, S. 1694 – 1696. 245 BGH, Beschl. v. 29. Juni 2010 – XI ZR 308/09, WM 2010, S. 1694 (1695); bestätigt durch BGH, Beschl. v. 19. Juli 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3229 (3231) – Kick-

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„Kick-Back“-Urteile auch keine verfassungsrechtlich verbotene rückwirkende Anwendung der Grundsätze über die umfassende Aufklärung von Rückvergütungen.246 In der „Kick-Back XXIV“-Entscheidung geht der BGH sogar so weit, dass sich die Bank schon für die Zeit nach 1984 nicht auf einen unvermeidbaren Rechtsirrtum hinsichtlich des Bestehens und des Umfangs einer Aufklärungspflicht über Rückvergütungen berufen könne.247 Kritisch führt Zoller diesbezüglich an, dass der BGH mit dieser Entscheidung rückwirkend ein spezialgesetzlich nicht normiertes Vergütungssystem gebrandmarkt habe, das sich über Jahrzehnte hinweg als derart branchenüblich etabliert habe.248 Ein weiterer Problemkomplex betreffend die vertragsrechtliche Aufklärungspflicht und insbesondere die daraus resultierende Schadensersatzpflicht betrifft die Kausalität der Pflichtverletzung im Hinblick auf den entstandenen Schaden.249 In diesem Zusammenhang ist die Frage zu klären, wie sich der Kunde entschieden hätte, wenn er über die Vergütung aufgeklärt worden wäre, und ob dieser dann von dem Erwerb der Beteiligung abgesehen hätte.250 Der BGH verfolgt in dieser Frage eine ganz klare Linie, die er in seinem „Kick-Back IV“-Urteil251 erstmals preisgegeben hat. Danach gilt die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens auch im Falle unterlassener Aufklärung über Rückvergütungen.252 Diese Entscheidung ist in der Wissenschaft, aber vor allem auch in der Praxis, immer wieder auf starke Kritik gestoßen.253 Der BGH hält jedoch weiter an dieser fest und stellt nach wie vor keine zu hohen Anforderungen an die Kausalitätsvermutung.254 Demnach muss die Bank Back XI, dies wurde durch BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 8. Dezember 2011 – 1 BvR 2514/ 11, NJW 2012, S. 443 – 444 bestätigt, vgl. hierzu ausführlich Buck-Heeb, jurisPR-BKR 4/2012 Anm. 2, Punkt C. und D.; Herresthal, ZBB 2012, S. 89 – 106; Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (309 – 311); Kirchberg, WuB I G 1. Anlageberatung 6.12, S. 68 – 70; Rösmann/Heide, Ad Legendum 2013, S. 8 (13); sowie zur vorausgehenden Diskussion Langen/Eckstein, NZG 2010, S. 1177 – 1179; Wiewel, VuR 2011, S. 377 – 381; dies wird ausdrücklich kritisiert von Edelmann, BB 2010, S. 1163 (1166 f.). 246 BGH, Beschl. v. 29. Juni 2010 – XI ZR 308/09, WM 2010, S. 1694 (1695); a. A. Edelmann, BB 2010, S. 1163 (1166 f.); Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (309 – 311). 247 BGH, Urt. v. 15. Juli 2014 – XI ZR 418/13, ZIP 2014, S. 1672 (1674); zustimmend: Fuxman/Pascal, EWiR 2014, S. 605 (606); Wiechers, WM 2015, S. 457 (462); vgl. ausführlich mit kritischen Anmerkungen zu rückwirkender Rechtsprechung im Zivilrecht: Herdegen, WM 2009, S. 2202 – 2210; Knops/Brocker, WM 2010, S. 1101 (1103 – 1111). 248 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 105. 249 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 19 – 21. 250 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 21. 251 BGH, Urt. v. 12. Mai 2009 – XI ZR 586/07, NJW 2009, S. 2298 – 2300. 252 BGH, Urt. v. 12. Mai 2009 – XI ZR 586/07, NJW 2009, S. 2298 (2298, 2300); ausführliche Darstellung zu dieser bei Wiechers/Henning, WM-Sonderbeilage Nr. 4/2015, S. 1 (14 – 16). 253 Edelmann, BB 2010, S. 1163 (1168 f.); Nikolaus/d’Oleire, WM 2007, S. 2129 (2132 f.); Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 20 f. 254 BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, S. 159 – 183 – Kick-Back XV; BGH, Beschl. v. 24. August 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, S. 1804 (1804) – Kick-Back XII;

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

beweisen, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei richtiger Aufklärung erworben und den unterlassenen Hinweis unbeachtet gelassen hätte.255 Diese Vermutung gelte zudem für alle Anlagefehler des Beraters.256 Für eine fehlende Kausalität relevante Indizien können sich aus vorangegangenem oder nachfolgendem Anlegerverhalten ergeben, zum Beispiel, wenn der Anleger Kenntnis von Rückvergütungen und Provisionen bei vergleichbaren früheren Anlagegeschäften hatte oder dieser an vergleichbaren gewinnbringenden Kapitalanlagen, bei denen ebenfalls Rückvergütungen geflossen sind, festhält und diese nicht unverzüglich wegen eines Beratungsfehlers rückabwickeln möchte.257 Nach alter Auffassung des BGH griff die Vermutung dann nicht, wenn sich der Anleger bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte und es demnach nicht nur eine bestimmte Möglichkeit aufklärungsrichtigen Verhaltens gab.258 Hierfür musste jedoch in jedem Einzelfall feststehen, dass der Anleger bei ordnungsgemäßer Aufklärung mindestens zwei tatsächlich ihm zur Verfügung stehende Handlungsmöglichkeiten hatte und er diese auch ergreifen konnte.259 Ein Entscheidungskonflikt bei verschwiegenen Rückvergütungen sei nicht bereits schon dann gegeben, weil diese im Verhältnis zur Anlagesumme geringfügig gewesen seien.260 Nach neuere Auffassung des BGH greift die Beweislastumkehr bereits bei feststehender Aufklärungspflichtverletzung, weil das Abstellen auf das Fehlen eines Entscheidungskonflikts mit dem Schutzzweck der Beweislastumkehr nicht vereinbar sei.261 Denn der Zweck der Aufklärungs- und Beratungspflichten könne nur erreicht werden, wenn die durch die Aufklärungspflichtverletzung bedingten Unklarheiten zulasten des Aufklärungspflichtigen gehen und dieser somit die Nichtursächlichkeit der Pflichtverletzung zu beweisen habe.262 Insbesondere wenn sich für den Anleger mehrere Handlungsalternativen eröffnen, sei dessen BGH, Hinweisbeschl. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3227 (3229) – KickBack IX. 255 BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, S. 159 (171 f.) – Kick-Back XV; BGH, Beschl. v. 24. August 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, S. 1804 (1804) – Kick-Back XII; BGH, Urt. v. 12. Mai 2009 – XI ZR 586/07, NJW 2009, S. 2298 (2300). 256 BGH, Urt. v. 12. Mai 2009 – XI ZR 586/07, NJW 2009, S. 2298 (2300). 257 BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, S. 159 (176 f.) – Kick-Back XV; ebenso BGH, Urt. v. 26. Februar 2013 – XI ZR 345/10, BKR 2103. S. 283 (285) – KickBack XVIII. 258 BGH, Hinweisbeschl. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3227 (3229) – Kick-Back IX. 259 BGH, Hinweisbeschl. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3227 (3229) – Kick-Back IX. 260 BGH, Hinweisbeschl. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3227 (3229) – Kick-Back IX. 261 BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, S. 159 (169 f.) – Kick-Back XV; fortgeführt BGH, Urt. v. 26. Februar 2013 – XI ZR 345/10, BKR 2103. S. 283 (285) – KickBack XVIII. 262 BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, S. 159 (171) – Kick-Back XV.

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Aufklärung und Beratung von besonderer Bedeutung, um seine Entscheidungsfreiheit zu wahren, sodass das Risiko der Unaufklärbarkeit auch in den Fällen eines bestehenden Entscheidungskonflikts bei der beratenden Bank liegen müsse.263 Vor allem vor dem Hintergrund der Verhaltensökonomik und der Untersuchungen zur „bounded rationality“, d. h. des begrenzt rationalen Verhaltens von Anlegern, verstummt die Kritik nach wie vor nicht.264 Auf die Details diesbezüglich wird im 5. Kapital ausführlich eingegangen. Hier sei nur schon einmal festzuhalten, dass die Kausalitätsvermutung in ihrer weiten Geltung durchaus zu überdenken wäre, weil, wie bereits mehrfach hervorgehoben, sich die Anleger aufgrund des „Kick-BackJokers“265 häufig von einer unliebsamen Anlage trennen wollen und regelrecht nach einer Aufklärungspflichtverletzung in Bezug auf Vergütungen gesucht wird. In diesem Zusammenhang ist jedoch von Bedeutung, dass der BGH in der „KickBack XXII“-Entscheidung von einem widersprüchlichen Verhalten des Anlegers, und damit von einem Verstoß gegen § 242 BGB nach dem Grundsatz venire contra factum proprium, ausgeht, wenn der Anleger sich nach einer Rückvergütung erkundigt und der Anlageberater die Höhe der Vergütung nicht offenlegen will und dennoch das Anlagegeschäft abschließt.266 In diesem Fall kann der Anleger keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Anlagegeschäfts und somit auf Schadensersatz wegen Verletzung der Aufklärungspflicht über Rückvergütungen geltend machen.267 In dieser Konstellation scheint der Erhalt von Rückvergütungen seitens der beratenden Bank und deren Höhe für den Anleger keine tragende Rolle bei Zeichnung der Anlage gespielt zu haben.268 Auch scheidet die Verletzung einer Aufklärungspflicht in den Fällen des offenkundigen Eigeninteresses aus, welches der BGH in drei Konstellationen bejaht hat: (1) bei der Beratung durch einen freien Anlageberater269, (2) bei dem Erwerb eines Anlageprodukts im Wege eines als Eigengeschäft abgeschlossenen Festpreisgeschäfts270 und (3) wenn die Bank konzerneigene Anlageprodukte vertreibt.271 Ein weiteres spezielles Problem hinsichtlich der Aufklärungspflicht in Provisionsfällen betrifft die teilweise anzutreffenden Doppelvergütungen. Danach zahlt der Kunde im Rahmen eines Kommissionsgeschäfts eine Provision an die Bank und diese erhält für das vorgenommene Kommissionsgeschäft gleichzeitig eine Ver263

BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, S. 159 (171 f.) – Kick-Back XV. Vgl. Kapitel 5 II. 2. a). 265 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 78. 266 BGH, Urt. v. 8. April 2014 – XI ZR 341/12, ZIP 2014, S. 1117 (1118); zustimmend Kropf, ZBB 2014, S. 331 (335 f.); Oppenheim, BKR 2014, S. 454 (457). 267 BGH, Urt. v. 8. April 2014 – XI ZR 341/12, ZIP 2014, S. 1117 (1118); zustimmend Kropf, ZBB 2014, S. 331 (335); Oppenheim, BKR 2014, S. 454 (457). 268 Kropf, ZBB 2014, S. 331 (335) 269 Vgl. hierzu die Ausführungen in diesem Kapitel unter II. 270 Hierzu sogleich in diesem Kapitel unter II. 1. d). 271 Kotte, BB 2014, S. 1353 (1354). 264

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triebsvergütung von dem Emittenten. In diesem Fall nimmt der BGH nach dem „Kick-Back-XXI“-Urteil272 einen schwerwiegenden aufklärungsbedürftigen Interessenkonflikt an, weil bei dem Anleger eine Fehlvorstellung über die Neutralität der Beratungsleistung der Bank hervorgerufen werde und die Bank als Kommissionärin nicht mehr nur sein Interesse wahrnehme.273 Der BGH hebt zu Recht hervor, dass der Anleger bereits im Beratungsvertrag einer Fehlvorstellung über die Neutralität unterliegt und nicht erst in Verbindung mit dem Kommissionsvertrag, weil sonst eine praxisferne künstliche Trennung zwischen Beratungsleistung und Ausführungsgeschäft angenommen wird, obwohl ein nach dem tatsächlichen Ablauf einheitlicher Lebenssachverhalt vorliegt.274 Der Anleger geht in dem Fall der Zahlung einer Kommissionsprovision davon aus, dass das gem. §§ 354, 296 HGB bestehende Gewinninteresse der Bank mit der von ihm gezahlten Gebühr abgegolten ist.275 In diesem Fall nimmt der Anleger an, dass die Bank als Kommissionärin ihren gesetzlichen Pflichten gem. § 384 Abs. 1 Hs. 2 HGB nachkommt und allein die Interessen des Anlegers als Kommittenten wahrnimmt und sich bei ihren Ratschlägen ausschließlich von sachlichen Gesichtspunkten leiten lässt.276 Ohne die Pflicht zu einer uneingeschränkten Offenlegung bzw. Transparenz der zusätzlich von dritter Seite gezahlten Provision bliebe dem Anleger das weiterreichende Umsatzinteresse verborgen.277 Die Aufklärungspflicht der Bank geht sogar so weit, dass diese bereits dann den Umfang der Provision offenlegen muss, sobald sie weiß, dass eine Provision gezahlt wird und in welcher Form das Ausführungsgeschäft erfolgt, als Festpreis- oder als Kommissionsgeschäft, auch wenn sie das Provisionsangebot der Emittentin noch nicht angenommen hat.278 Die Interessenlage in Bezug auf die haftungsrechtlichen Konsequenzen, welche durch die Bond-Rechtsprechung und den stillschweigend abgeschlossenen Beratungsvertrag drohen, erfordert eine frühzeitige schriftliche Dokumentation von Inhalt, Umfang und Reichweite der beiderseitigen Vertragspflichten, um nicht vorschnell in eine Haftungsverantwortlichkeit zu gelangen.279 Der BGH hält in seiner „Kick-Back IX“-Entscheidung280 eine ordnungsgemäße Aufklärung durch eine rechtzeitige Prospektübergabe für möglich, wobei aus dem Prospekt die Höhe der

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BGH, Urt. v. 24. September 2013 – XI ZR 204/12, WM 2013 S. 2065 – 2069. BGH, Urt. v. 24. September 2013 – XI ZR 204/12, WM 2013 S. 2065 (2067 f.). 274 BGH, Urt. v. 24. September 2013 – XI ZR 204/12, WM 2013 S. 2065 (2068). 275 BGH, Urt. v. 24. September 2013 – XI ZR 204/12, WM 2013, S. 2065 (2067 f.); zustimmend Nieding, jurisPR-BKR 1/2015 Anm. 4, S. 3. 276 BGH, Urt. v. 24. September 2013 – XI ZR 204/12, WM 2013, S. 2065 (2067); zustimmend Nieding, jurisPR-BKR 1/2015 Anm. 4, S. 3. 277 BGH, Urt. v. 24. September 2013 – XI ZR 204/12, WM 2013, S. 2065 (2068). 278 BGH, Urt. v. 24. September 2013 – XI ZR 204/12, WM 2013, S. 2065 (2068). 279 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 1 Rn. 9. 280 BGH, Hinweisbeschl. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3227 – 3229. 273

II. Interessenkonflikte im Kapitalanlagerecht

229

Rückvergütung sowie die Bank als Empfängerin ersichtlich sein müssen.281 Wann das Prospekt rechtzeitig übergeben wurde, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.282 Es ist jedoch nicht ausreichend, wenn das Prospekt unmittelbar im Zusammenhang mit der Zeichnung der Anlage übergeben wird, weil der Anleger dann keine ausreichende Zeit hat, sich mit dem Inhalt des Prospekts vertraut zu machen.283 Wenn der Kommissionär bei sog. „Kick-Back-Zahlungen“ entsprechend seiner Herausgabepflicht nach §§ 667, 675 BGB, § 384 Abs. 2 HGB diese vollständig an den Kommittenten herausgibt, liegt kein Verstoß gegen die Interessenwahrungspflicht vor.284 cc) Aufsichtsrechtliche Offenlegungspflicht gemäß § 70 WpHG Rückvergütungen unterfallen aufsichtsrechtlich dem Zuwendungsverbot des § 70 WpHG. Die Annahme solcher sind gemäß § 70 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG nur dann erlaubt, wenn sie darauf ausgelegt sind, die Qualität der für den Kunden erbrachten Dienstleistungen zu verbessern und wenn sie der ordnungsgemäßen Erbringung der Dienstleistung im bestmöglichen Kundeninteresse gem. § 63 Abs. 1 WpHG nicht entgegenstehen. Darüber hinaus müssen die Existenz, Art und der Umfang der Zuwendung unmissverständlich gem. § 70 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG offengelegt werden. Diese umfassende Transparenz dient als Voraussetzung für den Selbstschutz des Kunden dahingehend, ob er die Anlageentscheidung tätigt oder nicht.285 Zur Qualitätsverbesserung der konkreten Dienstleistungen für den Kunden zählen zum Beispiel die Finanzierung von Recherchedatenbanken oder die Bereitstellung eines weitverzweigten Filialberaternetzwerkes nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 lit. d WpDVerOV, damit auch für Anleger in ländlichen Regionen qualifizierte Kapitalanlageberater vor Ort verfügbar sind.286 Es können aber auch Schulungen der Anlageberater sowie Informationsveranstaltungen für die Anleger eine Qualitätsverbesserung zur Folge haben.287 In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Qualität der Dienstleistung nicht für einen konkreten Kunden messbar sein muss, 281 BGH, Urt. v. 26. Februar 2013 – XI ZR 345/10, BKR 2103, S. 283 (286) – KickBack XVIII; BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, S. 159 (165) – KickBack XV; BGH, Hinweisbeschl. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3227 (3228); so auch BGH, Beschl. v. 19. Juli 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3229 (3231) – KickBack XI; zustimmend Habersack, WM 2010, S. 1245 (1250 f.); Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (309). 282 BGH, Beschl. v. 19. Juli 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3229 (3231) – KickBack XI. 283 BGH, Urt. v. 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, S. 159 (166) – Kick-Back XV. 284 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 237. 285 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (18); Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 1a, 36. 286 Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 814; Buck-Heeb/Poelzig, BKR 2017, S. 485 (488). 287 Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 814.

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

sondern es genügt, dass die Zuwendung das Dienstleistungsangebot allgemein verbessert.288 Die noch in § 31d Abs. 4 WpHG a. F. enthaltene Vermutung der Qualitätsverbesserung im Zusammenhang mit bestimmten Wertpapierdienstleistungen ist nach der Umsetzung der MiFID II in § 70 WpHG nicht mehr enthalten. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen gem. § 70 Abs. 1 S. 2 WpHG nunmehr für jede erhaltene Zuwendung nachweisen, dass diese dazu bestimmt ist, die Qualität der jeweiligen Dienstleistung zu verbessern. Das wird jedoch in der Praxis bislang großzügig gehandhabt, sodass nicht mehr als eine Evidenzkontrolle erfolgt.289 Besonders hervorzuheben ist, dass nach § 70 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a. E. WpHG Zuwendungen trotz Qualitätsverbesserung verboten sind, wenn diese der Interessenwahrungspflicht des § 63 Abs. 1 WpHG zuwiderlaufen. Darunter fallen insbesondere Zuwendungen, die aufgrund ihrer Art und besonders aufgrund ihrer Höhe ein offensichtlich interessenwidriges Verhalten der Bank bzw. des Anlageberaters fördern würden.290 Dies hat zur Folge, dass die Zulässigkeit einer Zuwendung bereits dann ausscheidet, wenn eine realistische Möglichkeit besteht, dass die Kundeninteressen vernachlässigt werden.291 Denn gefordert ist keine Interessenabwägung von Interessen des Kunden und Wertpapierdienstleistungsunternehmens, sondern es gilt eindeutig eine Vorrang des Kundeninteresses.292 Aus § 70 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG ergibt sich eine umfassende Offenlegungspflicht für Rückvergütungen, der vor der Erbringung der konkreten Dienstleistung bzw. vor einer vertraglichen Bindung des Anlegers nachzukommen ist.293 Danach müssen die Existenz, Art und der Umfang bzw. die konkrete Art und Weise der Berechnung, sofern der Umfang noch nicht feststeht, zudem zutreffend und in verständlicher Weise unmissverständlich offengelegt werden. In § 31d Abs. 1 WpHG a. F. war noch von einer deutlichen Offenlegung die Rede. Insofern kam es durch die MiFID II zu einer Verschärfung der Art und Weise der Offenlegung. Darüber hinaus muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen gem. § 70 Abs. 1 S. 4 WpHG den Anleger bei laufenden Zuwendungen sogar jährlich über deren Höhe informieren. In diesem Regelungsteil des § 70 WpHG ist das umfassende Transparenzgebot verankert, so auch schon in § 31d WpHG a. F., von dem der BGH in seiner Entscheidung vom 3. Juni 2014 spricht. Es verbleibt kein Hintertürchen für die Bank bzw. den Anlageberater, die Empfangnahme einer Rückvergütung in irgendeiner Form zu verschleiern. Die Offenlegung selbst kann schriftlich oder mündlich, ja gar 288

Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 816. Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 816; Kumpan/Misterek, WM 2022, S. 53 (61). 290 Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 817; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 5.444 – 5.447. 291 Kumpan/Misterek, WM 2022, S. 53 (60). 292 Kumpan/Misterek, WM 2022, S. 53 (60). 293 Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 818. 289

II. Interessenkonflikte im Kapitalanlagerecht

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in allgemeinen Geschäftsbedingungen erfolgen,294 wobei die schriftliche Offenlegung wohl eher das Mittel der Wahl sein wird, um die Beweisbarkeit einer Offenlegung zu erleichtern. dd) Zwischenfazit Die Aufklärungspflicht über Rückvergütungen und die zivilrechtliche Rechtsprechung zu diesen Fragen haben in § 70 WpHG ihr aufsichtsrechtliches Regelungspendant gefunden. Nach beiden Offenlegungsregimen besteht eine uneingeschränkte Aufklärungspflicht über den Erhalt und die Gewährung von Rückvergütungen im Bereich der Kapitalanlageberatung. c) Innenprovisionen Ob auch die sog. Innenprovisionen eine Provision im Sinne des § 70 Abs. 2 WpHG darstellen, war seit jeher umstritten und wird sogleich unter Punkt c) ausführlich erörtert. Vorwegzuschicken ist jedoch, dass der BGH in seinem Urteil vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 nunmehr klargestellt hat, dass auch über Innenprovisionen ab dem 1. August 2014 aufzuklären ist, weil es sich auch bei dem Verschweigen dieser um einen aufklärungspflichtigen Interessenkonflikt handelt. aa) Begriff Bei den Innenprovisionen hat zunächst eine Zweiteilung zwischen offenen und verdeckten Innenprovisionen zu erfolgen, wobei teilweise angeführt wird, dass offen ausgewiesene Innenprovisionen ein Widerspruch in sich selbst sind, weil Innenprovisionen nur dann vorliegen können, wenn sie gerade nicht offen ausgewiesen sind.295 Verdeckte Innenprovisionen sind nach ständiger Rechtsprechung nicht ausgewiesene Vertriebsprovisionen, die aus dem Anlagevermögen an die beratende Bank gezahlt bzw. entnommen werden.296 Es handelt sich dabei um sog. „Quersubventionen“, die im Anschaffungs- oder Herstellerpreis enthalten sind297. Sie

294

Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 818. Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1111, 1113); Nobbe, BKR 2011, S. 302 (302); Wiechers, WM 2012, S. 477 (482). 296 BGH, Beschl. v. 24. August 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, S. 1804 (1804) – KickBack XII; BGH, Hinweisbeschl. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3227 (3228) – Kick-Back IX; BGH, Urt. v. 3. März 2011 – III ZR 170/10, BKR 2011, S. 248 (250) – KickBack VIII; allgemein zur Abgrenzung der Begrifflichkeiten Rückvergütungen, Innenprovisionen, Gewinnmargen vgl. Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1110 – 1114); Günther, MDR 2014, S. 61 (62); Jordans, BKR 2015, S. 309 (311 – 313); Jooß, WM 2011, S. 1260 (1262 – 1266); Koch, BKR 2010, S. 177 – 184; Lippe/Voigt, BKR 2011, S. 151 (151 – 152). 297 Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 48a; Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1111, 1113). 295

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

können ab einer gewissen Höhe die Werthaltigkeit einer Kapitalanlage erheblich schmälern.298 Offene Innenprovisionen sind hingegen gezahlte Beiträge für die Eigenkapitalbeschaffung, die Platzierungsgarantie und die Fremdkapitalbeschaffung in einem Fondsprospekt.299 Diese müssen ihrem Inhalt und der Höhe nach korrekt ausgewiesen werden.300 bb) Vertragsrechtliche Offenlegungspflicht Bis zum 1. August 2014 wurde von der Rechtsprechung eine Offenlegungspflicht von Innenprovisionen auch bei bankgebundenen Anlageberatern grundsätzlich verneint und erst ab einer Quote von 15 % gefordert, weil erst dann die Werthaltigkeit der Kapitalanlage beeinträchtigt sei und die Bank den Anleger nicht über jegliches Umsatzinteresse aufzuklären habe, da es sich um einen normalen Vergütungsvorgang handle.301 In Abgrenzung zu der Rückvergütungsrechtsprechung liege in der Vereinnahmung offener Innenprovisionen keine Treuwidrigkeit vor und für einen aufklärungspflichtigen Interessenkonflikt müssten besondere Umstände hinzutreten, die zu einer konkreten Gefährdung der Anlegerinteressen führen können.302 Assmann hebt jedoch in diesem Zusammenhang hervor, dass gerade nicht die Existenz von Innenprovisionen und Interessenkonflikte als solche eine Aufklärungspflicht begründen, sondern enttäuschtes Vertrauen den Rechtsgrund für die Offenlegungspflicht bildet.303 Erforderlich war jedoch, dass in dem Anlageprospekt die Innenprovisionen korrekt ausgewiesen wurden und das Anlageprospekt an den Anleger so

298 Assmann, ZIP 2009, S. 2125 (2127 f.); Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1111); Lippe/ Voigt, BKR 2011, S. 151 (151); Oppenheim, BKR 2014, S. 454 (455). 299 BGH, Urt. v. 27. Oktober 2009 – XI ZR 338/08, ZIP 2009, S. 2380 (2383). 300 BGH, Urt. v. 27. Oktober 2009 – XI ZR 338/08, ZIP 2009, S. 2380 (2383). 301 BGH, Hinweisbeschl. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3227 (3228) – Kick-Back IX; BGH, Urt. v. 27. Oktober 2009 – XI ZR 338/08, ZIP 2009, S. 2380 (2383) – Kick-Back V; BGH, Urt. v. 25. September 2007 – XI ZR 320/06, BKR 2008, S. 199 (201); zustimmend Brocker/Langen, BKR 2008, S. 201 (202 f.); Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1111); Varadinek/Röh, ZIP 2009, S. 2383 (2383, 2385); Wiechers, WM 2012, S. 477 (481 f.); die 15 %Grenze gilt weiterhin für die Aufklärungspflicht des freien Anlageberaters über Innenprovisionen, vgl. BGH, Urt. v. 19. Oktober 2017 – III ZR 565/16, WM 2017, S. 2191 (2192) – KickBack XXVI; BGH, Urt. v. 5. Mai 2011 – III ZR 84/10, GWR 2011, S. 288 (Kurzwiedergabe) – Kick-Back X; BGH, Urt. v. 3. März 2011 – III ZR 170/10, BKR 2011, S. 248 (249) – KickBack VIII. 302 Assmann, ZIP 2009, S. 2125 (2127 f.); Einsiedler, WM 2013, S. 1109 (1111 f.); Varadinek/Röh, ZIP 2009, S. 2383 (2384); a. A. schon zur alten Rechtsprechungslinie Jooß, WM 2011, S. 1260 (1264 – 1266) und ausführlich zur Bejahung einer Aufklärungspflicht von Innenprovisionen unabhängig von deren Höhe Schirp/Mosgo, BKR 2002, S. 354 – 360. 303 Assmann, ZIP 2009, S. 2125 (2130).

II. Interessenkonflikte im Kapitalanlagerecht

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rechtzeitig ausgehändigt wurde, dass dieser sich ausreichend mit dessen Inhalt vertraut machen konnte.304 Nach der seit 2014 geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung305 liegt nunmehr auch bei Innenprovisionen das zentrale Problem in dem nicht offensichtlichen Interessenkonflikt und eine Aufklärung über Innenprovisionen hat nunmehr bei bankgebundenen Anlageberatern, nicht bei freien Anlageberatern306, unabhängig von der konkreten Höhe wie bei Rückvergütungen zu erfolgen. Diese Rechtsprechung wird in weiten Teil der Wissenschaft und Praxis als begrüßenswert und überzeugend eingestuft.307 So hat Herresthal schon im Jahr 2010 und Schnauder im Jahr 2012 dafür plädiert, dass das Bestehen einer Aufklärungspflicht wegen einer Interessenkollision bezüglich Rückvergütungen und Innenprovisionen getrennt voneinander betrachtet wird, obwohl der offenzulegende Interessenkonflikt bei beiden Provisionsarten der Gleiche sei.308 Denn allein der konkrete Interessenkonflikt, dass die Bank bzw. der Berater als Geschäftsbesorger bei einem Anlagegeschäft sowohl auf der Seite des Anlegers als auch auf der Seite des Emittenten steht, ist konstitutiv für die Aufklärungspflicht.309 Herresthal ist der Auffassung, dass für eine Kostendeckung des Beraters bei Leistung einer unentgeltlichen Beratung zahlreiche Möglichkeiten bestünden, die über die Gewährung von Zuwendungen in Form von Rückvergütungen oder Innenprovisionen hinausgehen.310 Schnauder ordnet zudem die Schutzbedürftigkeit des Anlegers bei versteckten Innenprovisionen höher ein als bei offen ausgewiesenen Rückvergütungen, weil diese für den Anleger in keiner Weise ersichtlich werden, sofern er nicht über diese informiert wird.311 Denn bereits Habersack hat sich im Jahr 2010 dafür ausgesprochen, dass auch Innenprovisionen aufklärungspflichtig seien, weil sich der 304 BGH, Urt. v. 25. September 2007 – XI ZR 320/06, S. 199 (201); Assmann, ZIP 2009, S. 2125 (2127 f.); Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (309); ausführlich zur Prospektaufklärung Koch, BKR 2010, S. 177 (182 – 183); Schirp/Mosgo, BKR 2002, S. 354 (357 – 359). 305 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (321). 306 Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 19. Oktober 2017 – III ZR 565/16, WM 2017, S. 2191 – 2196 – Kick-Back XXVI; BGH, Hinweisbeschl. v. 9. März 2011 – XI ZR 191/10, NJW 2011, S. 3227 (3228) – Kick-Back IX; BGH, Urt. v. 3. März 2011 – III ZR 170/10, BKR 2011, S. 248 (249 f.) – Kick-Back VIII; BGH, Urt. v. 15. April 2010 – III ZR 196/09, BKR 2010, S. 247 – 249 – KickBack VI. 307 So etwa Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 810 f.; Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Zivilrechtliche Rahmenbedingungen, Rn. 334; von Maier, VuR 2011, S. 297 (297) und Nobbe, BKR 2011, S. 302 (304) bereits im Jahr 2011 gefordert, der auch schon von einem unvermeidbaren Rechtsirrtum bzgl. der Aufklärungspflicht über Innenprovisionen ausging. 308 Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (307 – 309, 311); Schnauder, jurisPR-BKR 1/2012 Anm.1, S. 5, 7. 309 Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (307 – 309, 311); Schnauder, jurisPR-BKR 1/2012 Anm.1, S. 8. 310 Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (309, 311). 311 Schnauder, jurisPR-BKR 1/2012 Anm. 1, S. 5 f.

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

Anleger einerseits dafür interessiere, ob die Werthaltigkeit seiner Anlage durch eine überhöhte Provisionszahlung geschmälert werde und andererseits, ob ihm ein unvoreingenommener Berater gegenübertrete, der sich nicht von seinen Provisionsinteressen leiten lässt.312 Die unterschiedliche Behandlung von freien Anlageberatern und bankgebundenen Anlageberatern hinsichtlich der Aufklärungspflicht ist vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass der freie Anlageberater seine Vergütung durch Provisionen verdient und kein Festgehalt bekommt. Für den Anleger ist daher offensichtlich, dass der freie Anlageberater ein Interesse an dem Erhalt von Provisionen hat, die auch eine gewisse Größenordnung erreichen müssen, damit dieser von ihnen leben kann. cc) Aufsichtsrechtliche Offenlegungspflicht gemäß § 70 WpHG Für Innenprovisionen besteht wie bei den Rückvergütungen eine aufsichtsrechtliche Offenlegungspflicht gem. § 70 WpHG. Innenprovisionen fielen jedoch auch unter Geltung des § 31d WpHG a. F. bereits unter das Zuwendungsverbot. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird vollumfänglich auf die Ausführungen unter II. 1. b) cc) verwiesen. Hervorzuheben ist jedoch an dieser Stelle, dass sich § 70 WpHG sowie seine Vorgängernorm § 31d WpHG a. F. an bestehenden oder nicht bestehenden Interessenkonflikten orientiert.313 Daraus ergibt sich für einen Vergleich mit einer zivilrechtlich begründeten Aufklärungspflicht bei Innenprovisionen ein anderer Begründungsansatz, weil die vertragsrechtliche Offenlegungspflicht von Innenprovisionen darauf gestützt wird, dass die Werthaltigkeit der Anlage beeinträchtigt ist. dd) Zwischenfazit Durch das Urteil des BGH vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 und die hiermit statuierte uneingeschränkte Aufklärungspflicht auch hinsichtlich der Annahme und Gewährung von Innenprovisionen, besteht nunmehr ein Gleichlauf zwischen dem zivilrechtlichen und dem aufsichtsrechtlichen Offenlegungsregime. Denn nach § 31d WpHG a. F., der Vorgängernorm des heute geltenden § 70 WpHG, waren neben Rückvergütungen auch Innenprovisionen bereits aufklärungspflichtig. Die erfolgte Rechtsprechungsänderung ist begrüßenswert und berücksichtigt, dass es für den Anleger, unabhängig davon, ob es sich um einen Privatanleger oder einen professionellen Anleger handelt, keinen Unterschied macht, ob eine Provision in der Form einer Rückvergütung oder Innenprovision an den Anlageberater fließt. Darüber hinaus bergen auch Innenprovisionen die Gefahr eines Interessenkonflikts in sich, der die Qualität der Empfehlung vor dem Hintergrund des Provisionskonflikts beeinträchtigen kann. 312 313

Habersack, WM 2010, S. 1245 (1252). Assmann, ZBB 2008, S. 21 (23).

II. Interessenkonflikte im Kapitalanlagerecht

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d) Gewinnmargen Im Rahmen von Festpreisgeschäften behält der Intermediär bzw. das Wertpapierdienstleistungsunternehmen einen Teil des Preises in Form einer Gewinnspanne ein und erhält daher keine eigene Vergütung, wobei sich der Preis am Marktpreis orientieren muss.314 Die Bank hat im Rahmen von Festpreisgeschäften ein erhebliches Eigeninteresse an dem Verkauf der Produkte aus ihrem Bestand, seien es nun hauseigene Produkte oder solche, die sie in ihren Bestand übernommen hat.315 Die Bank und der Anleger stehen sich somit als Verkäufer und Käufer gegenüber und es liegt, anders als bei dem Erwerb von Anlageprodukten im Wege eines Kommissionsgeschäfts, kein Geschäftsbesorgungsvertrag vor, aus dem per se besondere Treueund Interessenwahrungspflichten resultieren.316 Es handelt sich mithin nicht um eine Dreieckskonstellation, wie sie bei Rückvergütungen und Innenprovisionen vorliegt.317 aa) Begriff Eine Gewinnmarge ist die Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis einer Kapitalanlage bzw. eines Anlageprodukts.318 Nach § 70 Abs. 7 WpHG zählen nicht zu den Zuwendungen die Gebühren und Entgelte, welche die Erbringung der Dienstleistung erst ermöglichen und ihrer Art nach nicht geeignet sind, das Kundeninteresse zu gefährden. Dazu zählen Depotgebühren, Transaktionsgebühren und gesetzliche Gebühren.319 Gewinnmargen bzw. Gewinnspannen im Rahmen des Festpreisgeschäfts fallen daher nach allgemeiner Meinung nicht unter den Zuwendungsbegriff.320 Der aufsichtsrechtliche und zivilrechtliche Begriff von Gewinnmargen decken sich insoweit. bb) Vertragsrechtliche Offenlegungspflicht Eine vertragsrechtliche Offenlegungspflicht bezüglich der Gewinnspanne bzw. Gewinnmarge, welche die Bank als Verdienst aus der Kapitalanlage bei Festpreis-

314

Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 237; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 813; Spindler, WM 2009, S. 1821 (1828). 315 Spindler, WM 2009, S. 1821 (1824). 316 Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2106 f.); Spindler, WM 2009, S. 1821 (1824). 317 Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, § 8 Rn. 35a. 318 Allgemein zur Abgrenzung der Begrifflichkeiten Rückvergütungen, Innenprovisionen, Gewinnmargen vgl. Günther, MDR 2014, S. 61 (62); Jordans, BKR 2015, S. 309 (311 – 313). 319 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 12 Rn. 966. 320 BGH, Urt. v. 16. Oktober 2012 – XI ZR 367/11 (Lehman 3), NJW-RR 2013, S. 244 (244 f.).

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

geschäften erhält, besteht nach der Rechtsprechung des BGH321 und der überwiegenden Ansicht in der Literatur322 nicht. Dies wird insbesondere nach den Lehman-Brothers-Urteilen323 aus den Jahren 2011 und 2012 damit begründet, dass das Gewinninteresse der Bank bei sog. Eigengeschäften bzw. Festpreisgeschäften, die Kaufverträge gemäß § 433 BGB sind, für den Anleger offensichtlich ist: „Was für den Kunden im Rahmen des Kaufvertrages offensichtlich ist, lässt auch innerhalb des Anlageberatungsvertrages seine Schutzwürdigkeit entfallen.“324 Der BGH zieht hier einen Vergleich zu der Empfehlung hauseigener Produkte, bei denen die Bank ebenfalls nicht verpflichtet sei über den damit erzielten Gewinn aufzuklären, weil hier ebenfalls das Gewinninteresse für den Anleger offensichtlich sei, sodass diesbezüglich innerhalb des Beratungsvertrages die Schutzwürdigkeit des Anlegers entfalle.325 Platt gesprochen bedeutet dies, dass es für den Kunden offensichtlich ist, dass die Bank mit dem Geschäft Geld verdienen möchte, so wie jeder anderer Verkäufer auch. Es liegt gerade ein Austauschverhältnis vor, das von einem Interessengegensatz gekennzeichnet ist, sodass eine Aufklärungspflicht über das offensichtliche Gewinninteresse wesensfremd ist. Die Bank als Verkäuferin der 321 BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (130 – 133, 137) (Lehman I); BGH, Urt. v. 26. Juni 2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, S. 1520 (1521 f.) (Lehman II); BGH, Urt. v. 16. Oktober 2012 – XI ZR 367/11, NJW-RR 2013, S. 244 – 248 (Lehman III); BGH, Urt. v. 17. September 2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, S. 1983 – 1987 (Lehman IV). 322 Balzer, EWiR 2014, S. 1 (2); Bausch, NJW 2012, S. 354 (356 f.); Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 221; Buck-Heeb, DB 2011, S. 2825 (2827 – 2829); Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 383; Günther, MDR 2014, S. 61 (62 f.); Herresthal, ZBB 2010, S. 305 (309); Jordans, BKR 2011, S. 456 (461 f.); Jooß, WM 2011, S. 1260 (1263); ausführlich hierzu: Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2105 – 2108); Mann, WM 2013, S. 727 (729 – 733); Schäfer, WM 2012, S. 197 (199); Spindler, WM 2009, S. 1821 (1824 – 1817); ders., in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 337 f.; Zoller, GWR 2012, S. 27 (29); a. A. Buck-Heeb, WuB I G 1. – 3.14, S. 11 (12); Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, S. 184, 196; Koller, ZBB 2007, S. 197 (198 Fn. 15); Maier, VuR 2013, S. 464 (465); Schumacher, WM 2011, S. 678 (681 f.); Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (785). 323 BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 – 139 (Lehman I); BGH, Urt. v. 26. Juni 2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, S. 1520 – 1526 (Lehman II); BGH, Urt. v. 16. Oktober 2012 – XI ZR 367/11, NJW-RR 2013, S. 244 – 248 (Lehman III); BGH, Urt. v. 17. September 2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, S. 1983 – 1987 (Lehman IV). 324 BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (131) (Lehman I); BGH, Urt. v. 16. Oktober 2012 – XI ZR 367/11, NJW-RR 2013, S. 244 (245) (Lehman III); zustimmend Bausch, NJW 2012, S. 354 (356); Spindler, WM 2009, S. 1821 (1824 f.); hierzu schon vor den Lehman-Urteilen Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2106 f.). 325 BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (131, 133) (Lehman I); zustimmend Balzer, EWiR 2014, S. 1 (2); Jooß, WM 2011, S. 1260 (1263); Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 338.

II. Interessenkonflikte im Kapitalanlagerecht

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Wertpapiere trifft aufgrund dieser gesetzgeberischen Wertung keine Pflicht zur Offenlegung ihrer Gewinn- und Handelsspanne – anders, wenn die Bank als Kommissionärin auftritt.326 Dem Anleger muss der Preis des Deckungsgeschäftes daher nicht offengelegt werden und die Bank hat im Gegenzug auch keine Provisions- oder Aufwendungsersatzansprüche gegen den Anleger.327 Eine besondere Interessenwahrung wird bei Verträgen, deren Wesen von einem Interessengegensatz geprägt ist, grundsätzlich nicht gefordert. Denn die Bank ist als Verkäuferin in dieser Konstellation nicht „Diener zweier Herren“328, sodass ein Interessenkonflikt, wie dies im Falle bei der Zahlung von Rückvergütungen oder Innenprovisionen der Fall ist, nicht vorliegt.329 Kritisch wird jedoch angeführt, dass der BGH insbesondere in seinen LehmanEntscheidungen aus dem Jahr 2011 die zwei selbstständigen Verträge Kaufvertrag und Beratungsvertrag vermenge, indem er sagt, dass die Schutzwürdigkeit des Anlegers im Rahmen des Beratungsvertrages entfalle, wenn für den Anleger das Gewinninteresse der Bank im Rahmen des Kaufvertrages offensichtlich sei.330 Es komme so zu einer Vermischung der Vertragsverhältnisse, die möglicherweise zu einer Verkürzung der Pflichten aus dem Anlageberatungsvertrag führen könne und der eigentlich selbstständige Beratungsvertrag nunmehr lediglich als Annex zum Ausführungsgeschäft gezählt werden könne.331 Dies greift jedoch zu kurz. Eine besondere Interessenwahrungspflicht liegt nur in sehr eng umgrenzten Einzelfällen vor.332 So spricht sich Sethe333 für eine Aufklärungspflicht von Gewinnmargen bei Festpreisgeschäften aus, weil es sich nicht um gewöhnliche Kaufverträge handle, sondern der Vertrag von einer besonderen Vertrauensbeziehung getragen werde. So wird in diesem Zusammenhang häufig argumentiert, dass der stillschweigend geschlossene Anlageberatungsvertrag mit dem darauffolgenden Ausführungsgeschäft, Kommissions- oder Festpreisgeschäft, verknüpft sei und 326 BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (133) (Lehman I); BGH, Urt. v. 26. Juni 2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, S. 1520 (1522) (Lehman II); BGH, Urt. v. 16. Oktober 2012 – XI ZR 367/11, NJW-RR 2013, S. 244 (247) (Lehman III); zustimmend Balzer, EWiR 2014, S. 1 (2); Jooß, WM 2011, S. 1260 (1263); Spindler, WM 2009, S. 1821 (1825); ders., in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 338; hierzu schon vor den Lehman-Urteilen Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2105 – 2108). 327 BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (133) (Lehman I); zustimmend Jooß, WM 2011, S. 1260 (1263). 328 Spindler, WM 2009, S. 1821 (1827). 329 Habersack, WM 2010, S. 1245 (1249); Jooß, WM 2011, S. 1260 (1263); Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2106 f.); Spindler, WM 2009, S. 1821 (1824 f.). 330 Buck-Heeb, DB 2011, S. 2825 (2828). 331 Buck-Heeb, DB 2011, S. 2825 (2828). 332 Vergleiche hierfür die Ausführungen im 2. Kapitel dieser Arbeit und Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (785); Spindler, WM 2009, S. 1821 (1826). 333 Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (785).

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

daher auch bei Gewinnspannen eine Aufklärungspflicht bestehe.334 Im Rahmen der geschuldeten anleger- und anlagegerechten Beratung sei über Interessenkonflikte aufzuklären, die bei dem Bestehen einer Gewinnmarge durchaus bestehen können, weil die Bank verleitet sein könnte, die Anlage mit der größten Gewinnspanne zu empfehlen und daher im Eigeninteresse handle.335 Es fehlt bei Gewinnmargen der „schmiergeldähnliche Charakter“336 und es fehlt an einer Vermögensverschiebung;337 auch stellen Einkaufsrabatte keine Innenprovisionen dar, weil diese die Werthaltigkeit der Kapitalanlage gerade nicht schmälern338. Zudem sind Gewinnmargen nicht als Rückvergütungen einzuordnen, weil im Falle eines Eigengeschäfts ein Zweipersonen- und kein Dreipersonenverhältnis vorliegt; anders als bei einem Kommissionsgeschäft.339 Rückvergütungen und Gewinnmargen sind insoweit nicht miteinander vergleichbar. Diese Unterscheidung mag für den einzelnen, insbesondere privaten Anleger sehr feinsinnig erscheinen, der BGH hat jedoch festgestellt, dass es für das Bestehen oder Nichtbestehen einer Aufklärungspflicht über Gewinnmargen unerheblich ist, ob dem Anleger bekannt war, dass der Erwerb der Kapitalanlage im Wege eines Festpreisgeschäfts oder eines Kommissionsgeschäfts erfolgt.340 Die Aufklärungspflicht der Bank richtet sich allein nach der Rechtsnatur des objektiv vorliegenden Effektengeschäfts; über dieses muss die Bank jedoch nicht informieren, weil dadurch kein möglicher bzw. bestehender Interessenkonflikt offengelegt würde.341 In der Praxis ist es sowieso häufig dem Zufall überlassen, ob der Wertpapiererwerb im Wege einer Einkaufskommission für den Anleger oder im Wege eines Festpreis- bzw. Eigengeschäfts erfolgt.342 Der Kunde sei insofern nicht schutzbedürftig.343 Dieses Argument kann jedoch auch für

334

So noch vor der Lehman-Rechtsprechung Buck-Heeb, BKR 2010, S. 1 (4 – 6). Buck-Heeb, BKR 2010, S. 1 (6). 336 Diese Begrifflichkeit wird häufig in Bezug auf die Qualifikation von Rückvergütungen verwendet, so etwa von Koch, BKR 2010, S. 177 (178); Nittel/Knöpfel, BKR 2009, S. 411 (411 – 413); Nobbe, BKR 2011, S. 302 (302). 337 Buck-Heeb, BKR 2010, S. 1 (3); Habersack, WM 2010, S. 1245 (1252); Harnos, BKR 2014, S. 1 (4); Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 813. 338 BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (131) (Lehman I). 339 BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (132) (Lehman I); BGH, Urt. v. 26. Juni 2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, S. 1520 (1525) (Lehman II); BGH, Urt. v. 16. Oktober 2012 – XI ZR 367/11, NJW-RR 2013, S. 244 (246) (Lehman III); Bausch, NJW 2012, S. 354 (356); Buck-Heeb, BKR 2010, S. 1 (7); Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2106 f.); Spindler, WM 2009, S. 1821 (1825). 340 BGH, Urt. v. 26. Juni 2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, S. 1520 (1523 f.) (Lehman II). 341 BGH, Urt. v. 26. Juni 2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, S. 1520 (1523 f.) (Lehman II); Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2106 f.); Spindler, WM 2009, S. 1821 (1825). 342 BGH, Urt. v. 26. Juni 2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, S. 1520 (1525) (Lehman II); Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (19); Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (785 f.); Spindler, WM 2009, S. 1821 (1823); Zoller, BB 2013, S. 520 (523). 343 Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2106 f.). 335

II. Interessenkonflikte im Kapitalanlagerecht

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eine Aufklärungspflicht angeführt werden. Denn gerade der Anleger wird sich dieser Differenzierung jedenfalls nicht bewusst sein. Darüber hinaus ist es legitim, dass die Bank, die auch das wirtschaftliche Risiko des Absatzes trägt, versucht, durch bestimmte Absatzbemühungen ihre eigenen Produkte bzw. diejenigen aus ihrem Bestand zu veräußern.344 Eine Offenlegungspflicht widerspräche in diesem Zusammenhang zudem den Grundsätzen der freien Marktwirtschaft, weil in einem Gegenseitigkeitsgeschäft, wie dem Kaufvertrag, die Kostenkalkulation und Gewinnmargen gerade nicht offenzulegen sind.345 Das Interessengleichgewicht wird bei synallagmatischen Verträgen durch das Geben und Nehmen der Vertragspartner hergestellt und jeder ist in diesem Fall selbst dafür verantwortlich, ob der Vertrag für ihn vorteilhaft ist oder nicht.346 Darüber hinaus ist die Gewinnmarge, anders als Rückvergütungen oder Innenprovisionen, kein Teil des Anlageprodukts und somit auch nicht der Informationsasymmetrien, sondern ist Teil der Transaktion bzw. der Kalkulation der Bank.347 Die einzelnen Preise der Anlageprodukte kann der Anleger somit vergleichen. Bei der Annahme einer Aufklärungspflicht bei Gewinnmargen wegen des Bestehens eines Interessenkonfliktes würde der bestehende Interessengegensatz bei synallagmatischen Verträgen verleugnet.348 „Die Realisierung eines Gewinnes ist vielmehr ein der Marktwirtschaft inhärenter Vorgang, wenn der Wertpapierdienstleister nicht als reiner Vermittler und Agent des Kunden handelt; vielmehr handelt es sich um eine Handelszwischenspanne, die realisiert wird.“349 Darüber hinaus würde durch die Forderung einer Aufklärungspflicht bei Gewinnmargen gleichzeitig von den Banken verlangt, Geschäftsgeheimnisse offenzulegen, die ein Wirtschaftsunternehmen zu schützen hat, um wettbewerbsfähig zu sein und zu bleiben.350 Eine Offenlegungspflicht hinsichtlich Gewinnmargen würde zudem einen tiefgreifenden Eingriff in die privatautonome wirtschaftliche Preisgestaltungsfreiheit der Kreditwirtschaft darstellen.351 Eine Offenlegungspflicht besteht daher nur, wenn die Bank die Kapitalanlage eines Drittverkäufers empfiehlt, jedoch nicht, wenn die Bank nach der Beratung selbst als Verkäuferin dem Kunden gegenübertritt. Klarzustellen ist, dass eine Offenlegungspflicht nur aus dem Beratungsvertrag herrühren kann und keine Nebenpflicht des Kaufvertrages ist. Dass jedoch die Interessenwertung des Kaufvertrages auf den Beratungsvertrag in gewisser Weise „durchschlägt“, wird teilweise als ein 344

Spindler, WM 2009, S. 1821 (1825). Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2107); Spindler, WM 2009, S. 1821 (1825, 1828). 346 Bausch, NJW 2012, S. 354 (356); Spindler, WM 2009, S. 1821 (1825). 347 Spindler, WM 2009, S. 1821 (1825). 348 Bausch, NJW 2012, S. 354 (356); Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2107); Spindler, WM 2009, S. 1821 (1825, 1828). 349 Spindler, WM 2009, S. 1821 (1827 f.). 350 Buck-Heeb, BKR 2010, S. 1 (8); Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2107); Nobbe, BKR 2011, S. 302 (304). 351 Lang/Bausch, WM 2010, S. 2101 (2101). 345

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

Einwendungsdurchgriff gewertet, der die rechtliche Selbstständigkeit von Anlageberatungsvertrag und Kaufvertrag für die Beurteilung einer Offenlegungspflicht von Gewinnmargen aufheben würde.352 Es komme hierbei jedoch nicht zu einer Aufhebung der rechtlichen Selbstständigkeit von Beratungsvertrag und Ausführungsgeschäft, weil auch bei der Aufklärungspflicht über Rückvergütungen und Innenprovisionen das Ausführungsgeschäft der Finanzkommission in die Wertung nicht miteinfließt, sondern aus dem Anlageberatungsvertrag folgt. Der Kommissionsvertrag selbst umfasst auch eine Interessenwahrungspflicht, ebenso wie der Anlageberatungsvertrag als Geschäftsbesorgungsvertrag. Das Pflichtengefüge wird jedoch mit Blick auf die Aufklärungspflicht gesondert betrachtet und folgt damit aus jedem Vertrag für sich. Das Pflichtengefüge wird nicht vermengt, denn die Wertungen der Interessen von Anleger und Bank aus dem Ausführungsgeschäft und dem Beratungsvertrag werden in dem jeweiligen Vertragsverhältnis berücksichtigt. cc) Aufsichtsrechtliche Offenlegungspflicht gemäß § 70 WpHG Aus § 70 WpHG ergibt sich keine aufsichtsrechtliche Offenlegungspflicht in Bezug auf Gewinnmargen. Im Zuge der MiFID II wurde eine Einbeziehung von Gewinnmargen zwar diskutiert, aber im Ergebnis verworfen, weil auch für den durchschnittlichen Anleger das Gewinninteresse der Banken bei Festpreisgeschäften offensichtlich ist. In seiner „Lehman IV“-Entscheidung hat der BGH bereits für die §§ 31 ff. WpHG a. F. ausgeführt, dass eine zivilrechtliche sowie öffentlich-rechtliche Aufklärungspflicht für Gewinnmargen nicht aus dem Aufsichtsrecht folgt.353 Es fehle zudem bereits begrifflich an einer Zuwendungen im Sinne des § 31d WpHG a. F. und auch des § 70 WpHG.354 Es ist nach der Umsetzung der MiFID II jedoch gemäß § 63 Abs. 7 S. 4 WpHG i. V. m. dem Erwägungsgrund 76 der Delegierten Verordnung 2017/565 der Einkaufspreis im Rahmen der Kostenaufstellung transparent darzustellen. Kritisch betrachtet dies Grundmann, der davon ausgeht, dass im Wertpapierhandelsrecht das Wertpapierdienstleistungsunternehmen alle Interessenkonflikte ausdrücklich offenzulegen hat und damit auch die Höhe von Gewinnmargen, weil dies europäisch in Art. 18 MiFID I und Art. 24 MiFID II vorgegeben sei.355 Nach Grundmann hat somit der EuGH und nicht der BGH die Letztentscheidungskompetenz über die Offenlegungspflicht von Gewinnmargen insbesondere bezüglich ihrer Höhe.356 Es reicht seiner Auffassung nach nicht aus, dass das Ausmaß von Gewinnmargen erst offenzulegen ist, wenn die Marge das normale und erwartete 352

Buck-Heeb, BKR 2010, S. 1 (4 – 6); Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1292. 353 BGH, Urt. v. 17. September 2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, S. 1983 – 1987 (Lehman IV). 354 Bausch, NJW 2012, S. 354 (357); Harnos, BKR 2014, S. 1 (4). 355 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil E. Rn. 252. 356 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil E. Rn. 252.

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Gewinninteresse am Vertrieb eigener Produkte erheblich und signifikant übersteige.357 dd) Zwischenfazit Obwohl hier durchaus ein Interessenkonflikt zu erblicken ist, weil der Kunde einen möglichst günstigen Preis wünscht und das Wertpapierdienstleistungsunternehmen eine möglichst hohe Handelspanne anstrebt358 und daher das Festpreisgeschäft ins Auge fasst, welches ihm dies ermöglicht, ist über Gewinnmargen im Ergebnis weder vertragsrechtlich noch aufsichtsrechtlich aufzuklären. Darüber hinaus könnte durchaus eine umfassende Aufklärungspflicht über Gewinnmargen aus Anlegerschutzgesichtspunkten von Bedeutung sein, weil für den Anleger in der Regel unerheblich und auch nicht ersichtlich ist, in welchem rechtlichen Gewand, also Festpreisgeschäft oder Kommissionsgeschäft, die technische Abwicklung einer Wertpapiertransaktion erfolgt.359 Zudem ist das Festpreisgeschäft lediglich eine Gestaltungsvariante innerhalb eines Geschäftsfeldes, für das ebenfalls das Prinzip der Interessenwahrungspflicht stricto sensu gilt.360 Die Frage, ob eine Aufklärungspflicht über Gewinnmargen aufgrund eines offensichtlichen Interessenkonfliktes in aufsichtsrechtlicher Hinsicht erforderlich ist, weil das genaue Ausmaß daraus nicht ersichtlich ist, wäre abschließend vom EuGH zu klären.361 Bislang sind jedoch die Rechtsprechung des BGH in zivilrechtlicher Hinsicht und die Regelungen im Aufsichtsrecht kongruent und eine Aufklärung auch über die Höhe der Gewinnmarge ist nicht erforderlich. e) Besonderheiten der Honoraranlageberatung Der deutsche Gesetzgeber griff mit dem Honoraranlageberatungsgesetz362 vom 15. Juli 2013 dem europäischen Gesetzgeber und den Regelungen zur unabhängigen Beratung in Art. 24 der MiFID II vor. Im Rahmen des Honoraranlageberatungsgesetzes wurden sowohl zusätzliche Verhaltens- als auch Organisations- und Informationspflichten für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die eine Anlageberatung in der Form der Honorarberatung anbieten wollen, implementiert.363 Die Honorarberatung wird dabei als Komplementär zur provisionsbasierten Beratung ge357

Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil E. Rn. 252. Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 237; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (18 f.); Harnos, BKR 2014, S. 1 (4). 359 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (19). 360 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (19); Grundmann, WM 2012, S. 1745 (1749); Schwab, BKR 2011, S. 450 (452, 454). 361 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (19). 362 Gesetz zur Förderung und Regulierung einer Honorarberatung über Finanzinstrumente (Honoraranlageberatungsgesetz) vom 15. Juli 2013, BGBl. I Nr. 38 vom 18. Juli 2013, S. 2390. 363 Möllers, in: KölnerKomm/WpHG, §§ 36c, 36d WpHG Rn. 3 – 6. 358

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

sehen, die bislang bei der Anlageberatung dominiert364. Durch Einführung der Honorarberatung soll dieses Modell als Alternative gestärkt werden und den großen Nachteil der klassischen provisionsbasierten Anlageberatung ausräumen, nämlich die Abhängigkeit von Provisionszahlungen für die Beratungsleistung, um so Interessenkonflikten entgegenzuwirken.365 Es geht dabei um die Gewährleistung des Anlegerschutzes durch Transparenz.366 Die Honoraranlageberatung lässt sich als Marktstrukturlösung kategorisieren und ist im Gegensatz zur Provisionsberatung ein Konkurrenzmodell.367 Denn bei der provisionsbasierten Anlageberatung als Vertragsregulierungslösung ist der Beratungsvertrag punktuellen Verboten und Vorgaben unterworfen.368 Der deutsche Gesetzgeber verfolgte zwei wesentliche Ziele mit dem Erlass des Honoraranlageberatungsgesetzes: zum einen, die Form der Vergütung für den Anleger transparent zu machen und zum anderen, den Wettbewerb zwischen der provisionsbasierten Beratung und der Honorarberatung zu beleben, damit der Anleger sich bewusst für die eine oder die andere Beratungsform entscheiden kann.369 Der britische Anleger wird in dieser Hinsicht durch den paternalistischen Eingriff des Gesetzgebers entmündigt.370 Der deutsche Anleger hingegen behält seine Privatautonomie und trifft eine eigenverantwortliche Entscheidung für oder gegen eine Honorarberatung bzw. provisionsbasierte Beratung.371 Die Einführung der Honoraranlageberatung soll zudem zu einem besseren Verbraucherschutz beitragen.372 Bislang hat sich die Honoraranlageberatung trotz der seit 2014 bestehenden gesetzlichen Regelung nicht etablieren können.373 364 Balzer, Peter, in: Habersack/Mülbert/Nobbe et al. (Hg.), Bankrechtstag 2013, S. 157 (161); Fuchs, in: Fuchs, § 31 WpHG Rn. 202; Möllers, in: KölnerKomm/WpHG, §§ 36c, 36d WpHG Rn. 2; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 214; Müchler/ Trafkowski, ZBB 2013, S. 101 (102); Seibert, Kapitalanlageberatung, § 13 Rn. 1; Jordans, BKR 2019, S. 498 (499 f.). 365 Giudici, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Independent Financial Advice, Rn. 6.45; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 819; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, Rn. 907, 909 (10. Aufl., 2019); Fuchs, in: Fuchs, § 31 WpHG Rn. 202; Mock/ Stüber, Das neue Wertpapierhandelsrecht, Teil E Rn. 150; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (16); Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 214; Möllers, in: KölnerKomm/WpHG, §§ 36c, 36d WpHG Rn. 2, 7 f.; Müchler/Trafkowski, ZBB 2013, S. 101 (102 f.). 366 Jordans, BKR 2017, S. 273 (274). 367 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (15). 368 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (15). 369 Begr. RegE, BR-Drucks. 814/12, S. 1; Balzer, Peter, in: Habersack/Mülbert/Nobbe et al. (Hg.), Bankrechtstag 2013, S. 157 (161 f.); Fuchs, in: Fuchs, § 31 WpHG Rn. 202; Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 153; Möllers, in: KölnerKomm/WpHG, § 36c, 36d WpHG Rn. 7 f. 370 Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 153, 166 f. 371 Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 166; Jordans, BKR 2019, S. 498 (499 f.). 372 Möllers, in: KölnerKomm/WpHG, §§ 36c, 36d WpHG Rn. 8. 373 Hannöver/Walz, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb, § 110 Rn. 27 (5. Auflage, 2017).

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Ein vollständiges Verbot der provisionsbasierten Anlageberatung wurde im Zuge der MiFID II ausgiebig und heiß diskutiert, hat dann aber aufgrund des Einflusses Deutschlands keinen Eingang in die MiFID II gefunden.374 Vorbild für ein Verbot der provisionsbasierten Beratung ist Großbritannien, wo im Jahr 2006 durch die sog. „Retail Distribution Review“ der Aufsichtsbehörde Financial Service Authority vom 1. Januar 2013 an ein Verbot von Vertriebsprovisionen verfügt wurde.375 Auch haben die Niederlande im Jahr 2013 mit Geltung ab dem 1. Januar 2014 für eine Vielzahl von Anlageprodukten ein Provisionsverbot eingeführt.376 Es gibt durchaus Argumente, die für ein komplettes Provisionsverbot sprechen, die auch im deutschen Schrifttum umfangreich ausgetauscht wurden.377 Begründet wird ein Verbot der provisionsbasierten Beratung zunächst damit, dass überhöhte Provisionen und die von diesen ausgehenden Anreize für eine fehlerhafte Anlageberatung mitursächlich für die im Jahr 2008 ausgebrochene Finanzkrise waren.378 Es wird zwar angeführt, dass bei einem Provisionsverbot die Beratungsleistung für den Anleger teurer würde, weil die Anlageberater und Vermögensverwalter ihre Honorare erhöhen müssten, um sich finanzieren zu können. Hiergegen wird jedoch eingewandt, dass ohne die Zahlung von Rückvergütungen und anderen Provisionen die Depotgebühren und Ausgabeaufschläge gesenkt würden und der Anleger im Ergebnis dann nicht „draufzahlen“, sondern der Preis im Ergebnis gleich bleiben würde.379 Im Gegenzug könnte dann der Berater ganz unabhängig das anlage- und anlegergerechteste Anlageprodukt mit den geringsten Transaktionskosten empfehlen.380 Der Anleger kann sich zudem sicher sein, dass die Anlageempfehlung frei von Eigeninteressen und allein aufgrund sachlicher Erwägungen erfolgt ist.381 Auch könne mit reinen Offenlegungspflichten der „Beratungsmisere“ nicht entgegenge374

Frisch, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 54 Rn. 159; Silverentand/Sprecher/Simons, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Inducements, Rn. 8.67. 375 Hierzu: Assmann, ZIP 2009, S. 2125 (2134); Balzer, Peter, in: Habersack/Mülbert/ Nobbe et al. (Hg.), Bankrechtstag 2013, S. 157 (160); Frisch, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 54 Rn. 159; Jordans, BKR 2015, S. 309 (310); Loidl/Burgin, RdF 2012, S. 232 (233 f.); Müchler/Trafkowski, ZBB 2013, S. 101 (103); Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (787); ausführlich Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 132 – 153; Silverentand/ Sprecher/Simons, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Inducements, Rn. 8.30 – 8.36. 376 Ausführlich hierzu Silverentand/Sprecher/Simons, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Inducements, Rn. 8.18 – 8.29. 377 Fuchs, in: Fuchs, § 31 WpHG Rn. 202; Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (773 – 776); auch sprechen sich Elixmann, BB 2007, S. 904; Stahl, Information Overload am Kapitalmarkt, S. 115 und Rößler, NJW 2008, S. 554 (556) ausdrücklich für ein generelles Provisionsverbot aus; ausführlich zum Streitstand vgl. Möllers, in: KölnerKomm/WpHG, §§ 36c, 36d WpHG Rn. 8 – 13. 378 Assmann, ZIP 2009, S. 2125 (2134); Giudici, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Independent Financial Advice, Rn. 6.02 f. 379 Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (774). 380 Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (774). 381 Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (774).

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

wirkt werden, weil Interessenkonflikte nicht „wegreguliert“ werden können und die Form des informationsbasierten Anlegerschutzes daher ineffektiv und justizlastig sei.382 Der bestehende systemimmanente Interessenkonflikt sei durch Informationspflichten allein nicht zu bewältigen und produziere einen weiteren „information overload“.383 Hiergegen wird teilweise eingewendet, dass der Anlageberater dennoch von seinem Honorar abhängig bleibe384 und damit durchaus ein Interesse an der Beratung bestimmter Produkte habe, zum Beispiel hauseigener Produkte des Instituts bei dem er angestellt ist. Darüber hinaus sei nicht das Vergütungsmodell problematisch, sondern die von dem einzelnen Berater abverlangte Leistungsorientierung der Beratung.385 Ein weiterer Vorteil sei die Kostentransparenz für den Anleger und die Entlohnung des Beraters nur für die tatsächlich erbrachte individuelle Leistung.386 Dies werde durch das derzeitige zweigliedrige System verhindert; insbesondere bezüglich der Vergleichbarkeit der Preise für die konkrete Leistung herrscht so eine große Unsicherheit und vor allem Unklarheit für den einzelnen Anleger.387 Die Verbraucherzentrale führt für ein Provisionsverbot an, dass eine erhebliche Vertrauenslücke zwischen Anleger und Berater geschlossen, der in der Finanzberatung entscheidende Faktor des Vertrauens so gestärkt und seine hervorgehobene Bedeutung unterstrichen werde.388 Kritisch wird diesbezüglich jedoch angeführt, dass die Idee der Einführung einer unabhängigen Honorarberatung darauf beruhe, dass eine solche von den Anlegern und dem breiten Publikum auch nachgefragt werde.389 Denn eine Honorarberatung sei vor allem bei kleineren Anlagesummen und somit bei der breiten Masse von Privatanlegern illusorisch, weil die in diesen Fällen aufzubringende Beratungsvergütung einen Großteil des Gewinns aufzehren und sich daher für den „kleinen Mann“ nicht lohnen würde.390 Buck-Heeb spricht insoweit von einem Erhalt der finan382

Stahl, Information Overload am Kapitalmarkt, S. 115. Stahl, Information Overload am Kapitalmarkt, S. 115. 384 Fuchs, in: Fuchs, § 31 WpHG Rn. 202. 385 Möllers, in: KölnerKomm/WpHG, §§ 36c, 36d WpHG Rn. 11. 386 Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (774). 387 Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (774 f.). 388 Pressemitteilung der Verbraucherzentrale Bundesverband vom 14. 07. 2017 „Guten Beispielen folgen: Provisionsverbot in Großbritannien und Kanada“, abrufbar unter http: //www.vzbv.de/pressemitteilung/guten-beispielen-folgen-provisionsverbot-grossbritannien-undkanada. 389 Balzer, Peter, in: Habersack/Mülbert/Nobbe et al. (Hg.), Bankrechtstag 2013, S. 157 (183); Mock/Stüber, Das neue Wertpapierhandelsrecht, Teil E Rn. 150; Möllers, in: KölnerKomm/WpHG, §§ 36c, 36d WpHG Rn. 12; Müchler/Trafkowski, ZBB 2013, S. 101 (114); Schwintowski, VuR 2013, S. 49 (52). 390 Balzer, Peter, in: Habersack/Mülbert/Nobbe et al. (Hg.), Bankrechtstag 2013, S. 157 (183); Fuchs, in: Fuchs, § 31 WpHG Rn. 202; Mock/Stüber, Das neue Wertpapierhandelsrecht, Teil E Rn. 150; Grundmann/Hacker, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Conflicts of Interest, Rn. 7.60; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (16); Grundmann, in: 383

II. Interessenkonflikte im Kapitalanlagerecht

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zierbaren Beratungsleistung für Kleinanleger.391 Diesbezüglich lässt sich jedoch argumentieren, dass es insbesondere bei privaten Anlegern durchaus zu einem Umdenken kommen muss, dass diese teilweise hochspezialisierten Beratungsleistungen bei der Kapitalanlage nicht zum Nulltarif zu haben sind und eine kostenfreie Dienstleistung fernliegend ist.392 Auch die Aussage, dass die Deutschen nicht bereit seien für eine Anlegeberatung Geld zu zahlen und bei einem Systemwechsel Anleger verloren gehen, ist völlig unzutreffend.393 Für einen erfolgreichen Systemwechsel muss die Bankenbranche dem Kunden die Vor- und Nachteile einer provisionsbasierten Anlageberatung und einer Honorarberatung deutlich machen.394 Auch die Verbraucherorganisationen und Verbraucherzentralen sind in der Pflicht, die unabhängige Finanzberatung auszubauen und zu stärken.395 Darüber hinaus entstehen jedoch für Banken auch neue Kosten für das Erfüllen der doch sehr hohen Organisationsanforderungen im Zusammenhang mit der Honoraranlagenberatung.396 Kritisch lässt sich zudem anführen, dass bei einem radikalen Wechsel von der provisionsbasierten Anlageberatung zur Honorarberatung nicht zwingend eine Qualitätsverbesserung der Beratungsleistung eintreten muss, weil die Kosten und Folgewirkungen für die Banken nur schwer absehbar sind und sich auch die erwartete Transparenz und ein Wettbewerb über die Qualität und den Preis einer Honorarberatung keineswegs einstellen müssen.397 Auch gibt es bislang keine empirischen Belege dafür, dass die Honorarberatung die bessere Beratungsform ist.398 Die Akzeptanz der Honorarberatung unter potenziellen Anlegern könnte eventuell durch die Einführung einer einheitlichen Gebührenordnung, vergleichbar mit der für Rechtsanwälte, Steuerberater oder Architekten, gesteigert werden.399 In diesem Zusammenhang könnte die Höhe der Gebühren an die Anlagesumme gekoppelt werden, sodass die Kosten für eine Beratung vom Anleger leicht ausreStaub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 214; Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 153; vgl. zu den Vor- und Nachteilen auch die Experteninterviews in der Doktorarbeit von Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 164 – 168 sowie Anhang, S. 357 – 507; Möllers, in: KölnerKomm/WpHG, §§ 36c, 36d WpHG Rn. 12; Müchler/Trafkowski, ZBB 2013, S. 101 (114); Schwintowski, VuR 2013, S. 49 (52). 391 Buck-Heeb, ZBB 2014, S. 221 (229). 392 So auch Nobbe, BKR 2011, S. 302 (303). 393 Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (775); a. A. Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 171 f. 394 Müchler/Trafkowski, ZBB 2013, S. 101 (114). 395 Bultmann/Hoepner/Lischke, Anlegerschutzrecht, S. 14. 396 Balzer, Peter, in: Habersack/Mülbert/Nobbe et al. (Hg.), Bankrechtstag 2013, S. 157 (183); Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 172 f. 397 Assmann, ZIP 2009, S. 2125 (2135). 398 Fuchs, in: Fuchs, § 31 WpHG Rn. 202; Langenbucher, ZHR 177 (2013), S. 679 (696); Bundesverband Deutscher Vermögensberater e.V., Stellungnahme vom 15. 3. 2013, S. 3, http: //www.bundestag.de/bundestag/auschuesse17/a07/abhoerungen/2013/130/stellungnahmen/02BDV.pdf; Trott/Thießen/Wieck, Die Bank 1/2015, S. 69 ff. 399 Möllers, in: KölnerKomm/WpHG, §§ 36c, 36d WpHG Rn. 13.

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

chenbar wären.400 Es ist zudem bislang empirisch nicht nachweisbar, dass jede Provisionszahlung per se zu einem Interessenkonflikt führt und daher immer nachteilig bzw. gefährlich ist.401 Durch die Einführung eines Provisionsverbotes wären die Provisionsstreitigkeiten und der dahinterstehende Interessenkonflikt unter Umständen aufgelöst und die Beratungsqualität könnte sich steigern, weil sich der Anlageberater so vollständig auf die Interessen des Anlegers konzentrieren könnte.402 Der Anleger komme schließlich nur wieder, wenn die Beratung qualitativ seinen Erwartungen entsprochen habe.403 Allerdings lässt sich hiergegen einwenden, dass selbst bei der Honorarberatung, wovon die neuen MiFID-Regeln sogar ausgehen, durchaus Zuwendungen anfallen können und somit eine komplett interessenkonfliktfreie Beratung eher eine Illusion ist.404 Darüber hinaus können Interessenkonflikte nicht nur aufgrund von Provisionszahlungen bestehen. Mansen führt diesbezüglich jedoch zu Recht aus, dass es den Banken und Beratungsinstituten nicht angelastet werden könne, dass die Honorarberatung nach wie vor von den Anlegern nicht ausreichend nachgefragt werde, weil es wirtschaftlich betrachtet nicht sinnvoll sei, die Vorteile eines Konkurrenzmodells zu erläutern.405 Sie schlägt vor, dass der Gesetzgeber die Initiative ergreifen müsse, durch gezielte Werbung und mediale Aufklärung die Honorarberatung bekannt und populär zu machen und zu erläutern.406 Hierzu könnten Informationsblätter mit der objektiven Darstellung der Vor- und Nachteilen bereitgestellt werden, wobei die Banken sowie Anleger- und Verbraucherverbände mit einbezogen werden könnten, um so die Neutralität bei der Information zu gewährleisten.407 Bereits seit dem 1. August 2014 gelten für Honoraranlageberater mit den dadurch eingefügten WpHG-Regelungen Besonderheiten insbesondere bezüglich der Verhaltenspflichten über die Aufklärung und Annahme von Zuwendungen. Die durch den deutschen Gesetzgeber geschaffenen Regelungen wurden nunmehr durch die MiFID II erweitert und ein Qualitätssiegel mit Namens- und Zertifizierungsschutz wurde geschaffen.408 Durch Art. 24 MiFID II wurden zudem die Vorgaben in Bezug auf Zuwendungen dahingehend verschärft, worin sich auch gleich der wesentliche Unterschied zum § 31 Abs. 4c Nr. 2 Satz 2 WpHG a. F. zeigt, dass bei einer unabhängigen Beratung selbst bei Offenlegung einer Zuwendung eine solche durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen und damit auch durch den Honoraranlage400 401 402 403 404 405 406 407 408

Möllers, in: KölnerKomm/WpHG, §§ 36c, 36d WpHG Rn. 13. Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 165. Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 166. Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 166. Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 166. Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 91. Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 91. Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 91. Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (16).

II. Interessenkonflikte im Kapitalanlagerecht

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berater nicht angenommen werden darf. Im Ergebnis soll damit eine Hinwendung zur sog. Honorarberatung erreicht werden. Dies stößt in der Wissenschaft und auch Praxis auf erhebliche Kritik. Zunächst führte Harnos an, dass der deutsche Gesetzgeber durch Erlass des Honoraranlageberatungsgesetzes vorschnell in „vorauseilendem Gehorsam“ agiere und so Voraussetzungen geschaffen habe, die, wie geschehen, durch das 2. FiMaNoG ergänzt und erweitert wurden.409 Dadurch habe der deutsche Gesetzgeber eine Rechtsunsicherheit und auch zusätzliche Kosten für die Anbieter von Honorarberatungen geschaffen, weil diese nunmehr ihre Arbeit und ihre Form- und Aufklärungsblätter erneut anpassen und überarbeiten mussten. Zur Eindämmung von Interessenkonflikten stehen die nachfolgenden drei Vorgaben im Mittelpunkt. Zunächst ist der Kunde gem. § 64 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG vor der Beratung darüber zu informieren bzw. aufzuklären, ob die Anlageberatung als Honorarberatung erfolgt. Das Hauptcharakteristikum der Honoraranlageberatung besteht darin, dass von dem Anleger ein Honorar für die Beratung direkt an den Berater zu entrichten ist und daher nur von diesem gem. § 64 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 WpHG vergütet wird. Damit einher geht das nach § 64 Abs. 5 S. 2 WpHG normierte strikte Annahmeverbot von nicht monetären Zuwendungen, wobei es durchaus Ausnahmen für sog. „kleinere“ nicht monetäre Zuwendungen bei Finanzportfolioverwaltern geben kann, die sich § 6 Abs. 1 WpDVerOV entnehmen lassen, wie z. B. Informationsmaterialien, die Teilnahme an Konferenzen oder die Bewirtung.410 Eine Annahme von monetären Zuwendungen ist nach § 64 Abs. 5 S. 3 WpHG nur möglich, wenn das empfohlene Finanzinstrument nicht ohne Zuwendungen erhältlich ist, dabei sind in einem nächsten Schritt diese Zuwendungen direkt an den Anleger weiterzuleiten. Dieses strikte Annahmeverbot von Zuwendungen bei der Honorarberatung rührt daher, dass der Kunde die konkrete Beratungsleistung bereits durch Zahlung eines Honorars direkt vergütet und für den Berater keine Notwendigkeit besteht, sich die Beratung doppelt vergüten zu lassen.411 Der Honorarberater ist zu einer besonders unabhängigen Beratungsleistung verpflichtet412 und hat daher gem. § 64 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 WpHG eine ausreichende Bandbreite („Palette“) an auf dem Markt verfügbaren Anlageprodukten anzubieten. Darüber hinaus gilt gem. § 64 Abs. 6 WpHG eine besondere Aufklärungspflicht, sobald ein Verdacht des Interessenkonflikts besteht. § 80 Abs. 7 WpHG (§ 33 Abs. 3a WpHG a. F.) fordert eine organisatorische, funktionale und personelle Trennung zwischen der provisionsbasierten Anlageberatung und der Honoraranlageberatung innerhalb eines Unternehmens sowie bestimmte Pflichten bezüglich der Vertriebsvorgaben und des Internetauftritts. 409

Balzer, Peter, in: Habersack/Mülbert/Nobbe et al. (Hg.), Bankrechtstag 2013, S. 157 (183); Schwintowski, VuR 2013, S. 49 (52); Möllers, ZEuP 2016, S. 325 (340); Roth/Blessing, CCZ 2017, S. 163. 410 Lange/Baumann/Prescher et al., DB 2018, S. 556 (562). 411 Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 819. 412 Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 25 Rn. 819.

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

2. Der Grundsatz der Transparenz als verbindendes Element von vertragsrechtlicher und aufsichtsrechtlicher Offenlegungspflicht Festzuhalten ist zunächst, dass bei der Anlageberatung als Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstleistungscharakter die Bank zur Interessenwahrung sowohl aus vertragsrechtlicher als auch aufsichtsrechtlicher Sicht verpflichtet ist und dieser Interessenwahrungsgrundsatz der Dreh- und Angelpunkt für die Aufklärung und somit auch gleichzeitig für die Transparenz von Zuwendungen ist. Denn der Kern vergütungsbezogener Aufklärungspflichten liegt in der Einhaltung der beratungsvertraglichen Interessenwahrungspflicht der Bank bzw. des Anlageberaters, die zugleich durch die Aufklärungspflicht gesichert wird.413 Dadurch wird dem aufgrund der Doppelrolle der Bank bzw. des Beraters bestehenden Interessenkonflikt Rechnung getragen.414 Im Gegensatz zu einem Kaufvertrag, bei dem die Kalkulationsgrundlage nicht aufzudecken ist, sind bei der Anlageberatung als Interessenwahrungsvertrag die Zuwendungen in ihrer Höhe und konkreten Berechnung offenzulegen, weil die Interessen der Bank bzw. des Beraters hinter den Interessen des Anlegers zurücktreten müssen.415 Aufgrund der konkret im Rahmen des Anlageberatungsvertrages übernommenen Interessenwahrungspflicht muss die beratende Bank, wenn sie den Interessenkonflikt aufgrund der Zahlung von Rückvergütungen oder Innenprovisionen nicht vermeidet, über diesen aufklären.416 Ob der Beratungsvertrag unentgeltlich ist oder durch Zahlung eines Honorars vergütet wird, ist für das Bestehen einer Aufklärungspflicht unerheblich.417 Ziel muss jedoch sein, dass dem Anleger die Möglichkeit einer Honorarberatung und einer provisionsbasierten Beratung geboten wird sowie die Unterschiede transparent gemacht werden.418 In Bezug auf das dieser Arbeit als Ausgangspunkt dienende Urteil des BGH ist hier bereits festzuhalten, dass aufgrund der inhaltlichen Parallelität des aufsichtsrechtlichen Grundsatzes der Interessenwahrung und des Umgangs mit Interessenkonflikten sowie des diesbezüglichen zivilrechtlichen Pflichtengefüges eine Übertragung des aufsichtsrechtlichen Transparenzgedankens nicht notwendig erscheint und somit nicht über §§ 133, 157 BGB in das Vertragsverhältnis zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Kunde hineinzulesen wäre. Spindler hingegen geht davon aus, dass „über das Vehikel der generalisierend-konkludenten Ver-

413 414 415 416 417 418

So schon Habersack, WM 2010, S. 1245 (1253). Habersack, WM 2010, S. 1245 (1253). Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (781). Jooß, WM 2011, S. 1260 (1263). Jooß, WM 2011, S. 1260 (1263). Buck-Heeb, ZBB 2014, S. 221 (230).

II. Interessenkonflikte im Kapitalanlagerecht

249

tragsauslegung“419 nunmehr öffentlich-rechtliche Vorschriften bei der Vertragsauslegung zu berücksichtigen seien und somit einbezogen werden müssten.420 Die grundsätzlich vom BGH konsequent hervorgehobene Trennung von öffentlichrechtlichem Aufsichtsrecht und zivilrechtlichem Vertragsrecht sei insofern aufgehoben und das aufsichtsrechtlich umfassend statuierte Transparenzgebot zwingend vertragsrechtlich zu berücksichtigen.421 Auch hat der BGH durch sein Urteil vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 eine Bindungswirkung des Aufsichtsrechts durch ein „kapitalmarktrechtliches Transparenzgebot“ gerade nicht anerkannt.422 Denn er stellte ausdrücklich klar, dass es zu keiner Ausstrahlung der §§ 31 ff. WpHG a. F. auf das Zivilrecht komme, weil die zivilrechtlichen Haftungsgrundsätze der Maßstab seien. Bezüglich des Grundsatzes der Transparenz lässt sich allgemein festhalten, dass eine umfassende Transparenz nicht nur den Anlegern selbst zugutekommt, sondern die zwischen den Marktseiten, Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Anlegern bestehenden Informationsasymmetrien verringert werden und so als notwendige Bedingung gleichzeitig die allokative Funktion des Kapitalmarktes erfüllt bzw. zumindest gestärkt wird.423 Hierfür ist jedoch der zivilrechtliche Grundsatz der Transparenz ausreichend und der Schlenker über das Aufsichtsrecht nicht notwendig. Wie das umfassende zivilrechtliche Transparenzgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz hinsichtlich der Offenlegung von Zuwendungen, insbesondere von Rückvergütungen und Innenprovisionen, dogmatisch zu verorten ist, wird im folgenden 5. Kapitel ausführlich untersucht.

3. Zusammenfassung Ein aufsichtsrechtliches Transparenzgebot leitet sich zunächst direkt aus § 70 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG ab. Dies gilt sowohl für die Aufklärung über versteckte Rückvergütungen als auch Innenprovisionen. Beide fallen unter den Begriff der Provision gem. § 70 Abs. 2 WpHG. Eine Trennung zwischen Rückvergütungen und Innenprovisionen war im WpHG stets irrelevant und beide sind und waren, auch unter § 31d WpHG a. F., aufklärungspflichtige Zuwendungen. Die aufsichtsrechtliche und zivilrechtliche Aufklärungspflicht in Bezug auf Zuwendungen und Vergütungen laufen mittlerweile parallel; wobei hervorzuheben 419 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 331. 420 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 331. 421 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 331. 422 A. A. Jordans, BKR 2015, S. 309 (311). 423 Zimmermann, GPR 2008, S. 38 (39).

250

4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

ist, dass bereits seit der WpDRL und vor Schaffung des § 31d WpHG a. F. und des § 70 WpHG n. F. die wertpapierhandelsrechtlichen Pflichten bei der Anlageberatung von der zivilrechtlichen Pflicht zur anleger- und anlagegerechten Beratung begleitet wurden und die Wertpapierdienstleistungsunternehmen verpflichtet waren, potenzielle Interessenkonflikte aufgrund eigener Provisionsmöglichkeiten und Kundeninteressen zugunsten ihrer Kunden aufzulösen424. Darüber hinaus geht das zivilrechtliche Modell insofern weiter als das aufsichtsrechtliche Modell, weil die Aufklärung über einen Interessenkonflikt im Zivilrecht nicht zur Unbedenklichkeit des Interessenkonflikts führt.425 Zudem kam es durch die MiFID II-Vorgaben und ihre Umsetzung durch das 2. FiMaNoG zu keinen weitreichenden Änderungen in Bezug auf Fragen der Offenlegung von Zuwendungen. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass die Vorgaben der MiFID II, vor allem bei Drittzuwendungen, nicht weiter reichen als das bestehende deutsche Recht.426 Lediglich im Bereich der Honoraranlageberatung kam es durch das 2. FiMaNoG zu Präzisierungen gegenüber dem ursprünglichen deutschen Honoraranlageberatungsgesetz.427 Somit ist eine Auswirkung, Ausstrahlung oder gar indirekte Anwendung der aufsichtsrechtlichen Pflichten aus § 70 WpHG nicht erforderlich. Die Rechtsprechung zu den Rückvergütungen und Innenprovisionen wird in der Praxis und Literatur aufgrund des von Anlegeranwälten regelmäßig ausgepackten „Kick-Back-Jokers“ teils sehr kritisch gesehen und so vom Anleger verlangt, dass dieser nur greifen könne, wenn er stichhaltige Gründe vorbringe, „um die Relevanz der unterlassenen Information für seine Anlegerentscheidung anzuerkennen“428.429 Es sollte demnach für eine Rückabwicklung der Anlegerinvestition positiv feststehen, dass der Anleger die konkrete Investitionsentscheidung nicht getroffen hätte, weil er bei Kenntnis von der Provision davon ausgegangen wäre, dass der Anlageberater dieses Anlageprodukt nur wegen der in Aussicht stehenden Provision empfiehlt und nicht im Anlegerinteresse.430 Ob eine Aufklärungspflicht der Bank über Provisionen, Vergütungen, Zuwendungen oder Gewinnmargen besteht, richtet sich immer nach der Rechtsnatur des objektiv vorliegenden Effektengeschäfts, wobei das Wissen und die Kenntnis bzw. Unkenntnis des Anlegers in Bezug auf die rechtliche Einordnung des Wertpapiergeschäfts hierfür unerheblich sind.431 424

Rozok, BKR 2007, S. 217 (218). Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 158 (2. Auflage, 2016). 426 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (15). 427 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (15). 428 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 21. 429 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 21. 430 Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, § 3 Rn. 21. 431 BGH, Urt. v. 27. September 2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, S. 119 (137) (Lehman I); BGH, Urt. v. 26. Juni 2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, S. 1520 (1523 f.) (Lehman II). 425

III. Rechtsfolgen eines Verstoßes

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Bereits durch Normierung des § 31d WpHG a. F. wurde angenommen, dass sich diese Norm in der Rechtswirklichkeit und in der Wahrnehmung der Anleger durch ihre umfassende Transparenz hinsichtlich Provisionen und sonstigen Zuwendungen auszeichnet.432 Allerdings wurde auch schon damals festgestellt, dass sich ein Umdenken bei den Anlegern und eine gezielte Verhaltenssteuerung dahingehend, dass diese nunmehr eine Honorarberatung bevorzugen würden, über das Aufsichtsrecht nicht erreichen lassen werde.433 Dieses Spannungsfeld zwischen der zivilrechtlichen Idealvorstellung, Honorarberatung und Herausgabepflicht erhaltener Provisionen, und der jahrzehntelangen Rechtswirklichkeit, der provisionsbasierten Anlageberatung,434 wird wohl auch nach der MiFID II bestehen bleiben und ein Trend zur Honorarberatung nicht so schnell einsetzen.

III. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die zivilrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Offenlegungspflichten Abschließend erfolgt ein Überblick über das Rechtsfolgenregime bei Verstößen gegen die zivilrechtlichen Offenlegungspflichten und die aufsichtsrechtlichen Pflichten des § 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG sowie des § 70 WpHG. Grundlegend für mögliche zivilrechtliche Sanktionen, seien sie vertragsrechtlicher oder deliktsrechtlicher Natur, sind die Erkenntnisse des 3. Kapitels zur Bedeutung und Rechtsnatur der aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltenspflichten im Kapitalanlagerecht.

1. Allgemeines Aufgrund der aufsichtsrechtlichen Rechtsnatur können Verstöße gegen die Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG in erster Linie gem. § 120 WpHG durch öffentliche-rechtliche Sanktionen als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden. Den Grundprinzipien des Aufsichtsrechts und insbesondere der hier im Fokus stehenden Wohlverhaltenspflichten des § 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG sowie des § 70 WpHG könnte darüber hinaus zivilrechtliche Bedeutung beigemessen werden. Zum einen könnte diesen eine Konkretisierungswirkung der Pflichtverletzung im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB beigemessen werden. Dies hängt jedoch maßgeblich von der rechtsdogmatischen Einordnung der Wohlverhaltenspflichten ab. Wie bereits in dem 3. Kapitel zu den aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen wird in dieser 432 433 434

Rozok, BKR 2007, S. 217 (225). Rozok, BKR 2007, S. 217 (225). Rozok, BKR 2007, S. 217 (225).

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

Arbeit der Einordnung der Pflichten unter das Aufsichtsrecht gefolgt. Dies führt dazu, dass lediglich auf der Basis einer Ausstrahlungs- bzw. Konkretisierungswirkung435 ein vertragsrechtlicher Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen einer Aufklärungspflichtverletzung bestehen könnte. Dies ist jedoch wie bereits dargestellt abzulehnen. Ein solcher besteht nur bei einem Verstoß gegen die zivilrechtlichen Offenlegungspflichten. Zum anderen können diese ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB darstellen und so zu einem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch führen. Im Zusammenhang mit der Diskussion, ob die §§ 63 ff. WpHG als Schutzgesetze anzusehen sind, ist im Blick zu behalten, dass das Deliktsrecht keinen Vermögensschutz bezweckt.

2. Aufsichtsrechtliche Sanktionen Die aufsichtsrechtlichen Sanktionen, insbesondere der straf- und bußgeldrechtliche Sanktionsrahmen, wurden durch das 2. FiMaNoG deutlich verschärft und an die neuen europarechtlichen Vorgaben angepasst.436 Verstößt ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen gegen die Pflicht aus § 63 Abs. 1 WpHG, die Wertpapierdienstleistung kundeninteressenwahrend auszuführen, zieht dies eine öffentlichrechtliche Sanktion aus § 120 WpHG nach sich. Ein vorsätzlicher oder leichtfertiger Verstoß gegen die Pflicht aus § 63 Abs. 2 WpHG, Interessenkonflikte richtig, rechtzeitig und vollständig offenzulegen, stellt gem. § 120 Abs. 8 Nr. 27 WpHG eine Ordnungswidrigkeit dar und kann mit einem Bußgeld sanktioniert werden. Ein Verstoß gegen § 70 WpHG führte lange Zeit zu keinerlei aufsichtsrechtlicher Sanktion437, mittlerweile ist ein solcher nach § 120 Abs. 8 Nr. 52 WpHG bußgeldbewährt.

3. Vertragsrechtliche Sanktionen Ob ein Verstoß gegen § 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG und § 70 WpHG zivilrechtliche Konsequenzen und insbesondere Schadensersatzansprüche nach sich zieht, hängt maßgeblich von der Rechtsnatur der Wohlverhaltenspflichten und den damit verbundenen Auswirkungen auf das Zivilrecht ab. Dabei ist eine Nichtigkeit des Vertragsschlusses gem. § 138 BGB bei einem Verstoß gegen § 70 WpHG nicht 435 Vgl. oben C. III. und Assmann, ZBB 2008, S. 21 (30); Assmann, in: FS Schneider, S. 37 ff. (keine Ausstrahlungswirkung, sondern zwingender Vorrang des Zivilrechts vor dem Aufsichtsrecht); Buck-Heeb, ZHR 177 (2013), S. 310 (316 ff.); Veil, WM 2007, S. 1821 (1826); Weichert/Wenninger, WM 2007, S. 627 (635); a. A. Mülbert, WM 2007, S. 1149 (1156 f., 1161). 436 Mock/Stüber, Das neue Wertpapierhandelsrecht, Teil E Rn. 153. 437 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, Rn. 757 (8. Aufl. 2016).

III. Rechtsfolgen eines Verstoßes

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gegeben.438 Auch stellt § 70 WpHG im Verhältnis zum Wertpapierdienstleistungsunternehmen und zuwendenden Dritten kein Verbotsgesetz gem. § 134 BGB dar.439 Denn das Zuwendungsverbot richtet sich lediglich an das Wertpapierdienstleistungsunternehmen, darüber hinaus profitiert der Kunde von einer Vertragsrückabwicklung in keiner Weise.440 Die Nichtigkeitssanktion würde dazu führen, dass der Anleger seine vertraglichen Ansprüche bei fehlerhafter Anlageberatung gegen das Wertpapierdienstleistungsunternehmen verlieren würde und durch ein Verbot so gerade kein effektiver Anlegerschutz erreicht würde.441 Mit einem vor allem vertragsrechtlichen Schadensersatzanspruch kann der Anleger bei einer fehlerhaften Anlageberatung effektiver geschützt werden und so eine Kompensation für den ihm entstandenen Vermögensschaden verlangen. Dieser kann gerade nicht im Rahmen eines deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruches ausgeglichen werden, es sei denn es greift § 823 Abs. 2 BGB in Form einer Schutzgesetzverletzung oder es liegt eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 BGB vor.442 Dies wird jedoch in den meisten Fällen faktisch nicht nachweisebar sein. Die bloße Nichtigkeitssanktion hilft dem Anleger dabei nicht. Zudem soll durch das WpHG nicht der Abschluss von Kapitalanlagegeschäften verhindert oder sanktioniert werden.443 Nach der hier vertretenen Auffassung besteht aufgrund der Ablehnung einer rechtlichen Ausstrahlungswirkung auch kein vertragsrechtlicher Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen Verstoßes gegen die Interessenwahrungspflicht aus § 63 Abs. 1 WpHG oder die fehlende Offenlegung von Interessenkonflikten aus § 63 Abs. 2 WpHG und auch nicht wegen Verstoßes gegen das Zuwendungsverbot aus § 70 WpHG.444 Es besteht lediglich ein Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. einem (konkludent) geschlossenen Beratungsvertrag basierend auf einer Pflichtverletzung wegen Nichtaufklärung über das Bestehen eines Interessenkonfliktes oder die Empfangnahme oder Gewährung von Rückvergütungen oder Innenprovisionen.

438

OLG Karlsruhe, Urt. v. 17. Juli 2012 – 17 U 148/11, WM 2012, S. 2333 (2336). Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 12 Rn. 972; Frisch, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 54 Rn. 188; Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 58; Binder, in: Gebauer/Wiedmann (Hg.), Europäisches Zivilrecht, Kapitel 24, Rn. 76; Möllers/Wenninger, in: KölnerKomm/WpHG, § 31d WpHG Rn. 67. 440 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, Rn. 972; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 145; Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 58; Möllers/ Wenninger, in: KölnerKomm/WpHG, § 31d WpHG Rn. 67. 441 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 145; Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 5. 442 Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rn. 423 f. 443 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 145. 444 Vgl. 3. Kapitel Punkt III. 4. 439

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

4. Deliktsrechtliche Sanktionen Ein deliktsrechtlicher Schadensersatzanspruch ist nur unter Anerkennung der Schutzgesetzeigenschaft der §§ 63 Abs. 1 und Abs. 2, 70 WpHG denkbar. Diese Frage ist jedoch umstritten445 und darüber hinaus unabhängig von einer möglichen Ausstrahlungswirkung der Wohlverhaltenspflichten zu betrachten. Denn auch öffentlich-rechtliche Pflichten, wie solche aus dem Strafgesetzbuch und der Zivilprozessordnung, sowie Normen aus dem Verwaltungsrecht können trotz ihrer öffentlich-rechtlichen Rechtsnatur Schutzgesetze darstellen, weil diese nach Art. 2 EGBGB eine Rechtsnorm sind und neben den Allgemeininteressen auch Individualinteressen zu schützen beabsichtigen.446 Entscheidend sind der Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie die Intention des Gesetzgebers bei Erlass des Gesetzes, wonach Einzelpersonen oder Personenkreise wegen der behaupteten Verletzung der Norm Rechtsschutz zustehen soll.447 Es ist unerheblich, dass die Norm in erster Linie oder daneben auch das Allgemeininteresse schützt.448 Jedoch muss von dem Gesetzgeber die Gewährung eines individuellen Schadensersatzanspruchs erkennbar beabsichtigt und im Rahmen des gesamten Haftungssystems sinnvoll und tragbar sein; somit ist der vollständige Regelungszusammenhang der Norm umfassend zu würdigen.449 Der Individualschutz darf dabei nicht nur ein reiner Rechtsreflex sein.450 So soll eine Ausuferung der Haftung durch Aktivlegitimation eines unüberschaubaren Kreises potenzieller Anleger vermieden werden.451 Bei Anwendung dieser Kriterien auf die §§ 63 Abs. 1 und 2, 70 WpHG können diese grundsätzlich als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB in Betracht kommen. Denn allein die Tatsache, dass das WpHG insgesamt im öffentlichen Interesse erlassen wurde, reicht nicht aus, um eine mögliche Schutzgesetzeigenschaft 445

Lang, ZBB 2021, S. 47 (50 – 57); Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 113 – 123; Klein, WM 2016, S. 862; Schäfer, WM 2007, S. 1872 ff.; Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 60 – 61; Gaßner/Escher, WM 1997, S. 93 (94); Günther, MDR 2014, S. 61 (65 f.); Koller, ZBB 2007, S. 197 (200 – 201); Balzer, ZBB 1997, S. 260 (263); Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (63 – 65); Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 354 – 359; Schwark, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hg.), Bankrechtstag 1995, S. 122 – 125, der sich für eine Schutzgesetzqualität der §§ 31 ff. WpHG a. F. ausspricht; ebenso Preute, Interessengerechte Anlageberatung, S. 29 f.; Buhk, Haftung bei der Anlagevermittlung und der Anlageberatung, S. 61 – 63; Brandt, Aufklärungsund Beratungspflichten der Kreditinstitute, S. 190 – 193. 446 RG, Urt. v. 18. Februar 1932 – VIII 537/31, RGZ 135, S. 242 (245); Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 79; Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rn. 537; Sprau, in: Grüneberg, § 823 Rn. 56 f., 72. 447 Sprau, in: Grüneberg, § 823 Rn. 58. 448 Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rn. 562; Sprau, in: Grüneberg, § 823 Rn. 58. 449 Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rn. 562 m. w. N. insbesondere zur Rechtsprechung; vgl. Fn. 1787 Sprau, in: Grüneberg, § 823 Rn. 58. 450 Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rn. 562; Sprau, in: Grüneberg, § 823 Rn. 58. 451 Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rn. 569.

III. Rechtsfolgen eines Verstoßes

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der Normen aus dem WpHG abzulehnen.452 Allgemein muss jedoch für jede Norm aus ihrer Ausgestaltung und ihrem Zweck ermittelt werden, ob nach der gesetzgeberischen Intention ein Schutzgesetzcharakter beabsichtigt war oder nicht.453 Gegen die Schutzgesetzeigenschaft wird angeführt, dass es kein Bedürfnis für einen deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruch gebe und ein solcher vom Gesetzgeber auch nicht intendiert sei.454 Dieser Gedanke greift jedoch nur dann ein, wenn ein vertragsrechtlicher Anspruch gegeben ist, sonst könnte der Anleger in Bezug auf einen Schadensersatzanspruch rechtslos gestellt werden. Weiterhin wird angeführt, dass das Hauptziel bereits seit der WpDRL und dem 2. FMFG die Verbesserung des Finanzplatzes Deutschlands sei, um diesen international wettbewerbsfähig und attraktiver zu machen, sodass der Anlegerschutz und somit der Schutz des Vertrauens der Anleger nicht Selbstweck, sondern lediglich Mittel zur Erreichung des eigentlichen Hauptzieles sei.455 Dieses Argument greift jedoch seit der MiFID I und dem FRUG und darüber hinaus aufgrund der MiFID II und des 2. FiMaNoG nicht mehr durch, weil neben dem institutionellen Anlegerschutz ganz klar der individuelle Anlegerschutz tritt.456 Darüber hinaus hat der BGH in seinen Urteilen bzgl. § 32 Abs. 2 Nr. 1 WpHG a. F.457 als wesentliches Argument gegen die Schutzgesetzeigenschaft angeführt, dass Normadressaten der §§ 31 ff. WpHG a. F. die Wertpapierdienstleistungsunternehmen und gerade nicht dessen Angestellte oder Organe sind, darüber hinaus sei die Schutzgesetzqualität der §§ 31 ff. WpHG a. F. im deliktsrechtlichen Haftungssystem nicht tragbar und der individuelle Anlegerschutz könne auch ohne das Deliktsrecht gewährleistet werden458. Gegen die Anwendung der alten Rechtsprechung auf die neuen §§ 63 ff. WpHG spricht die Sondersituation des § 32 Abs. 2 Nr. 1 WpHG a. F., nach dem dieser auch für die Angestellten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens galt. Diese Regelung ist jedoch mittlerweile entfallen. Abschließend wird im Rahmen dieser Diskussion angeführt, dass ein

452 Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 60; Harnos, BKR 2014, S. 1 (4); Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135 (160). 453 Lang, ZBB 2021, S. 47 (50 f.); Assmann, ZBB 2008, S. 21 (30); Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135 (160). 454 BGH, Urt. v. 17. September 2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, S. 1983 (1985); Schäfer, WM 2007, S. 1872 (1878); Assmann, ZBB 2008, S. 21 (30 – 32); Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 121 f.; Witte/Hillebrand, DStR 2009, S. 1759 (1765); dem kritisch gegenüber steht Harnos, BKR 2014, S. 1 (4 f.). 455 Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 121 f. 456 So auch Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (266 f.) und für die §§ 31 ff. WpHG a. F. Koller, ZBB 2007, S. 197 (200). 457 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, NJW 2007, S. 1876 (1878); BGH, Urt. v. 19. Februar 2008 – XI ZR 170/07, BGHZ 175, S. 276 (280 – 284) = BKR 2008, S. 294 (295 – 296) mit Anm. Balzer/Lang, BKR 2008, S. 297 – 300. 458 BGH, Urt. v. 22. Juni 2010 – VI ZR 212/09, NJW 2010, S. 3651 (3652); zustimmend Witte/Hillebrand, DStR 2009, S. 1759 (1765).

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

deliktsrechtlicher Schutz ausdrücklich vom Gesetzgeber hätte vorgesehen werden müssen.459 Das ist jedoch auch nach Umsetzung der MiFID II nicht geschehen. Für eine Einordnung als Schutzgesetz spreche, dass sowohl § 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG sowie § 70 WpHG einen über die zivilrechtliche Haftung für Aufklärungspflichtverletzungen hinausgehenden Anwendungsbereich haben, weil es vor allem bei § 70 WpHG nicht allein um eine Aufklärungspflicht gehe, sondern ganz klar um ein Zuwendungsverbot460. Es müsse dabei jedoch im Hinblick auf jede Einzelnorm die individualschützende Ausrichtung des kapitalmarktrechtlichen Regulierungsrechts gegeben sein.461 Darüber hinaus sei auch eine individualschützende Ausrichtung der Normen gegeben462 und ihre Funktion als kundenbezogene aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten im Blick zu behalten463. Dies zeige sich schon allein am Wortlaut des § 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG sowie des § 70 WpHG, wonach ausdrücklich die Beeinträchtigung von Kundeninteressen vermieden werden solle. Hier werde der Individualschutz ausdrücklich formuliert.464 Daher verfängt das von Schön465 angeführte Argument, dass der Wortlaut der §§ 31, 32 WpHG a. F. von „Interessen der Kunden und der Integrität des Marktes“ spreche und so eine ausdrückliche Betonung des Schutzes der Kundeninteressen fehle, nicht mehr. Denn für die Einordnung als Schutzgesetz genügt es, dass auch der Schutz von Individualinteressen bezweckt ist und neben andere Schutzziele tritt. Im Rahmen der §§ 63 ff. WpHG ist der Schutz der Kundeninteressen gerade kein bloßer Rechtsreflex.466 Zudem sind in den §§ 63 Abs. 1 und Abs. 2, 70 WpHG keine rein organisatorischen Maßnahmen, die das Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu treffen hat, wie bei § 80 WpHG, normiert, sondern neben den organisatorischen Maßnahmen zur Interessenwahrung und Vermeidung bzw. Offenlegung von Interessenkonflikten, wobei das Zuwendungsverbot tritt parallel neben die Offenlegung- und Aufklä-

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Witte/Hillebrand, DStR 2009, S. 1759 (1765). Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 12 Rn. 971; Koller, ZBB 2007, S. 197 (200); Lang, ZBB 2021, S. 47 (56). 461 Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rn. 569; für § 31d WpHG a. F. Harnos, BKR 2014, S. 1 (4). 462 RL (EU) 2004/39/EG (MiFID I) Erw.Gr. 2; Koch/Harnos, in: Schwark/Zimmer, KMRK, § 70 WpHG Rn. 114; Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 60; Koller, ZBB 2007, S. 197 (200); Lang, ZBB 2021, S. 47 (56); Lang/Balzer, ZIP 2009, S. 456 (459 f.). 463 Auerbach, Banken- und Wertpapieraufsicht, Teil D Rn. 8; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 151; Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (253 – 255); Lang, ZBB 2021, S. 47 (56). 464 Einsele, JZ 2014, S. 703 (711); Lang, ZBB 2021, S. 47 (56); Wagner, in: MünchKommBGB, § 823 Rn. 584. 465 Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 117. 466 Koller, in: Assmann/Schneider/Mülbert, § 63 Rn. 2; a. A. Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute, S. 191; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 121. 460

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rungspflicht, die den Anleger unmittelbar schützen soll, tritt.467 So ist ein zentraler Zweck der Verhaltenspflichten aus dem WpHG die Verbesserung und Förderung auch des individuellen Anlegerschutzes, indem die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte gewährleistet wird.468 Auch wenn der BGH469 die Schutzgesetzeigenschaft grundsätzlich verneint und das Urteil vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 dahingehend missverstanden werden kann, spricht auch die Einordnung der §§ 63 ff. WpHG als „einheitliches System aufsichtsrechtlicher Regelungen“470 nicht von vornherein gegen die Qualifikation als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB471. Weiterhin bleibt anzumerken, dass durch das reine Einschreiten der Aufsichtsbehörden die Schäden der Anleger nicht kompensiert werden und daher ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB Kapitalfehlallokationen durch fehlende oder fehlerhafte Informationen gerade verhindern könnte und ihm so eine eigenständige Bedeutung zukäme.472 Als ein weiteres entscheidendes Argument gegen die Schutzgesetzeigenschaft kann jedoch angeführt werden, dass eine Umgehung des deliktsrechtlichen Haftungssystems insoweit erfolgt, weil durch die §§ 63 Abs. 1 und Abs. 2, 70 WpHG lediglich ein Schutz des Vermögens des Anlegers bezweckt ist.473 Aus diesem Grund genügt der neben dem Funktionsschutz bezweckte allgemeine individuelle Anlegerschutz nicht, weil durch die Hintertür ein Vermögensschutz eingeführt würde, der von den §§ 823 ff. BGB grundsätzlich nicht umfasst und nur unter sehr engen Voraussetzungen vorgesehen ist.474 Dieser Schutz des Vermögens kann auch nicht über einen Umweg und die Wertungen des § 826 BGB im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB erreicht werden,475 auch wenn Teile der Literatur von einer Nähe zu den 467 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 151; Koller, ZBB 2007, S. 197 (200). 468 Gesetzesentwurf zum 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679 vom 27. Januar 1994, S. 33; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 151; Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (266 f.); Harnos, BKR 2014, S. 1 (5); auch nach MiFID I und II und FRUG und 2. FiMaNoG. 469 BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, S. 226 (232). 470 Gesetzesentwurf zum FRUG, BT-Drucks. 16/4028 vom 12. Januar 2007, S. 53. 471 Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rn. 581 f. 472 Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (267); Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 60. 473 So Nikolaus, Durchsetzung der Wohlverhaltens- und Organisationspflichten, S. 234. 474 So auch Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 88 – 91, 95: allgemein zum Schutz des Vermögens im deliktsrechtlichen Gesamtsystem: vgl. BGH, Urt. v. 8. Juni 1976 – VI ZR 50/75, NJW 1976 S. 1740 (1740); Honsell, in: FS Lorenz, S. 483 – 508; Förster, in: Beck-OK/BGB, § 823 Rn. 3; Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (65); zum Vermögensschutz allgemein Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rn. 581 – 584; Wieneke, Discount-Broking, S. 100 f., der davon spricht, dass eine besondere teleologische Legitimation erforderlich ist. 475 So auch Leisch, Informationspflichten nach § 31 WpHG, S. 88 – 91, 95; Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (65); anders Wieneke, Discount-Broking, S. 101 f. für § 32 WpHG a. F.

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4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

Rechten und Rechtsgütern i. S. v. §§ 823 Abs. 1, 826 BGB ausgehen476. Denn ziele das Wertpapierdienstleistungsunternehmen bewusst auf den Erhalt von Zuwendungen ab, liege eine vergleichbare Situation wie bei einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB vor; auch weil nicht nur reine Vermögensinteressen durch § 70 WpHG geschützt würden, sondern auch die Dispositionsfreiheit des Anlegers.477 Hiergegen ist einzuwenden, dass das reine Profit- bzw. Umsatz- oder Gewinninteresse einer Bank nicht verteufelt und zugleich in die Nähe einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung gerückt werden kann. Die Voraussetzungen für diese sind jedoch sehr eng gefasst und es muss schon ein krasser Fall des Eigennutzes und eines vorsätzlichen Verhaltens gegeben sein. Darüber hinaus besteht gar kein Schutzbedürfnis, weil der Anleger auf vertragliche Schadensersatzansprüche zurückgreifen kann, die sein Vermögen ausreichend schützen.

5. Herausgabepflicht von erhaltenen Zuwendungen Mit Blick auf eine möglicherweise bestehende Herausgabepflicht in Bezug auf Rückvergütungen und Innenprovisionen sind nunmehr § 667 BGB und § 384 Abs. 2 HGB näher zu betrachten sowie ein mögliches Zusammenspiel mit § 70 WpHG. Die Normen sind Abwicklungs- und Auseinandersetzungsnormen für die Zeit nach Durchführung des Auftrags bzw. der Kommission.478 Aus dieser Herausgabeverpflichtung des Beauftragten resultiert ein schuldrechtlicher Anspruch des Auftraggebers, der aus der Zweckbindung der überlassenen Gegenstände bzw. aus der Tätigkeit für den Auftraggeber folgt.479 Diese Herausgabeverpflichtung ist eng mit der Fremdnützigkeit des Auftrags verknüpft und verdeutlicht, dass der Beauftragte treuhänderisch tätig wird.480 Denn zum einen verwaltet der Beauftragte die Gegenstände ohne eigenes Vermögensinteresse und zum anderen sollen aus der Geschäftsbesorgung erlangte Vorteile dem Vermögen des Auftraggebers zufließen.481 Unstreitig ist, dass das zur Ausführung Erhaltene zurückzugeben ist. Dazu zählen unter anderem bestimmte Arbeitsmittel oder auch Geld in Form eines Vorschusses, den der Beauftragte erhalten hat. Für die Praxis relevanter und auch interessanter gelagert ist der Fall der Herausgabe aus der Geschäftsbesorgung erlangter Gegenstände oder Gelder. Dabei gilt jeder Vorteil, den der Beauftragte im inneren Zusammenhang mit der Führung des Geschäfts erlangt hat, also nicht nur bei Gele476

Harnos, BKR 2014, S. 1 (4 f.). So Harnos, BKR 2014, S. 1 (5) zu § 31d WpHG a. F. 478 Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 667 Rn. 2. 479 Sprau, in: Grüneberg, § 667 Rn. 1. 480 Heermann, in: MünchKomm-BGB, § 675 Rn. 18; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 667 Rn. 1; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. A 34; Regenfus, WM 2015, S. 209 (210). 481 Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 667 Rn. 1; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 675 Rn. A 34. 477

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genheit, als aus der Geschäftsbesorgung erlangt.482 Entscheidend ist, dass das Erlangte nach normativen Wertungen dem Auftraggeber zusteht, wobei unschädlich ist, ob der Zuwendende den Vorteil gerade nur dem Beauftragten und nicht dem Auftraggeber zukommen lassen wollte.483 Zum Erlangten zählen daher alle Sachen, Rechte, Rechtsgüter und Rechtspositionen sowie deren Surrogate und Geld, die dem Beauftragten von einem Dritten aufgrund der Geschäftsbesorgung zuteilwurden.484 Eine besondere Rolle spielen dabei Sondervorteile in Form von Provisionen, Vergütungen und Preisnachlässen, die der Beauftragte ohne vorherige Billigung des Auftraggebers von Dritten erhält und die zudem eine Willensbeeinflussung zu dessen Nachteil befürchten lassen.485 In diesen Fällen wird die Herausgabepflicht des Beauftragten unterschiedlich bewertet.486 Hervorzuheben ist jedoch, dass die Offenlegungspflichten in Bezug auf Zuwendungen und eine diesbezüglich etwaig bestehende Herausgabepflicht in keinem Alternativverhältnis stehen, sondern beide Ausfluss der Interessenwahrungspflicht sind.487 Allerdings lässt sich durchaus ein Stufenverhältnis von Offenlegungspflicht und Herausgabepflicht feststellen, wonach die Herausgabe ein Mehr im Verhältnis zur Offenlegung ist und die Offenlegungspflicht der Herausgabepflicht zur Durchsetzung verhilft.488 Dies angewendet auf den Zuwendungskonflikt und die Frage, wem die Provision konkret zusteht, würde grundsätzlich dazu führen, dass dem Anleger gem. § 667 BGB die Zuwendung zustünde und er diese somit herausverlangen könnte.489 Ar482

Sprau, in: Grüneberg, § 667 Rn. 3; BGH, Urt. v. 11. März 2004 – IX ZR 178/03, NJWRR 2004, S. 1290 (1290); Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 667 Rn. 7, 11. 483 Sprau, in: Grüneberg, § 667 Rn. 3; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 667 Rn. 7, 11. 484 Sprau, in: Grüneberg, § 667 Rn. 3. 485 Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 317; Sprau, in: Grüneberg, § 667 Rn. 3; Martinek/ Omlor, in: Staudinger, § 667 Rn. 12a; BGH, Urt. v. 7. Januar 1963 – VII ZR 149/61, BGHZ 39, 1 (4); RG, Urt. v. 27. April 1920 – III 411/19, RGZ 99, 31 (33); BGH, Urt. v. 20. März 2014 – 3 StR 28/14, NStZ 2014, S. 397; Mülbert, ZHR 172 (2008), S. 170 (196 – 198); BGH, Urt. v. 24. Januar 2001 – II ZR 217/99, NJW 2001, S. 2476; Regenfus, WM 2015, S. 169 (170 f.). 486 BGH, Urt. v. 14. Januar 2014 – XI ZR 355/12, NJW 2014, S. 924 (925 f.); Regenfus, WM 2015, S. 169 – 177 und S. 209 – 215; Kotte, BB 2015, S. 1283 – 1288; LG München I, Urt. v. 20. Februar 2010 – 34 S 9960/09, BKR 2010, S. 427 f.; Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 BGB, Rn. 124; Esser/Weyers, Schuldrecht BT II, S. 317; Martinek/Omlor, in: Staudinger, § 667 Rn. 12a, die eine solche Herausgabepflicht in Bezug auf Sonderprovisionen und Schmiergelder befürworten, weil sonst die sachgerechte Motivation des Beauftragten mit Blick auf mögliche Standessitten in Mitleidenschaft gezogen und dieser dazu verleitet wird, die Interessen des Auftraggebers hintanzustellen. 487 Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (79). 488 Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (79). 489 Assmann, ZBB 2008, S. 21 (31); einen Herausgabeanspruch bejahend etwa: OLG Hamm, Urt. v. 23. September 2009 – 31 U 31/09, zitiert nach juris Rn. 85; LG München I, Urt. v. 20. Februar 2010 – 34 S 9960/09, BKR 2010, S. 427; AG Kiel, Urt. v. 1. Dezember 2010 – 118 C 739/09, zitiert nach juris Rn. 22 ff.; Knops/Brocker, WM 2010, S. 1101 (1104); Canaris,

260

4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

gumentativ wird angeführt, dass die „Kick-Back-Zahlung“ als ein aus der Geschäftsbesorgung erlangtes Etwas i. S. v. § 384 Abs. 2, 2. HS F. 2 HGB bzw. § 667 F. 2 BGB anzusehen sei, weil ein innerer Zusammenhang zwischen dem von der Bank für den Anleger getätigten Ausführungsgeschäft und der erhaltenen Provision bestehe.490 Die Zuwendung wird nicht schon allein durch die Beratung bzw. Empfehlung eines bestimmten Anlageprodukts erlangt, sondern erst „anlässlich“ der Kommission; daher ist entscheidend hervorzuheben, dass dem Geschäftsbesorger erst in Kombination von Beratungs- und Ausführungsgeschäft der Vermögensvorteil zufließt.491 Aufgrund des daraus resultierenden Interessenkonflikts, weil die Bank bzw. der Berater einerseits eine anleger- und anlagegerechte Beratung schuldt und andererseits durch höhere Vermittlungszahlen und die Ausführung des Anlagegeschäfts ihre Provision steigert, folgt daraus die Herausgabepflicht.492 Durch die Annahme einer Herausgabepflicht nach § 667 F. 2 BGB komme es zu einer „Effektuierung“493 der vertraglichen Interessenwahrungspflicht durch eine „Abschöpfung anreizverzerrender Vermögenszuflüsse“494.495 Hingegen geht § 70 WpHG, so auch schon § 31d WpHG a. F., davon aus, dass dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Zuwendung zusteht, weil diese zulässig ist, wenn sie zu einer Qualitätsverbesserung für den Anleger führt und damit bei dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen einzusetzen und nicht an den Kunden weiterzureichen ist.496 Diese Diskrepanz lässt sich nach einer vermittelnden Ansicht durch eine Differenzierung danach, ob die Aufklärung über eine Zuwendung unterlassen wurde oder nicht, auflösen.497 Bei einer unterlassenen Aufklärung über die Zuwendung tendiert ein Teil des Schrifttums dazu, eine Herausgabepflicht an den Anleger analog §§ 675, 667 F. 2 BGB bzw. § 384 Abs. 2 HGB grundsätzlich anHandelsrecht, § 30 Rn. 31; Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 53 – 55a; Häuser, in: MünchKomm-HGB, § 384 Rn. 88; Kumpan, in: Hopt, § 384 HGB Rn. 9; Koller, in: Staub/GroßkommHGB, § 384 HGB Rn. 83 – 88; Krüger, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/HGB, § 384 Rn. 35; Kumpan/Hellgardt, DB 2006, S. 1714 (1718); Lenz, in: Röhricht/Graf v. Westphalen, § 384 HGB Rn. 12; Martinek, in: Oetker, HGB § 384 Rn. 35; Sethe, in: FS Nobbe, S. 769 (777, 783, 785); Sprau, in: Grüneberg, § 667 Rn. 3. 490 Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 199; Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 54; Rothenhöfer, in: Baum/ Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (78 – 80). 491 Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 54. 492 Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 54. 493 Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 54. 494 Mülbert, ZHR 172 (2008), S. 170 (198 f.); Regenfus, WM 2015, S. 169 (170 f.). 495 Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 54; Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (79); vgl. hierzu auch Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 200. 496 Assmann, ZBB 2008, S. 21 (31); Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 202. 497 Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 55; Assmann, ZBB 2008, S. 21 (31); in Gänze ablehnend Kotte, BB 2015, S. 1283 – 1288.

III. Rechtsfolgen eines Verstoßes

261

zunehmen, es sei denn, die Provision muss an die dritte Seite zurückgezahlt werden oder der Anleger macht einen Schadensersatzanspruch geltend.498 Denn es besteht kein Grund, warum der Anleger am Ende besser dastehen sollte als vor der Anlageentscheidung. Die Zuwendung sollte, sofern eine Herausgabepflicht besteht, auf den Schadensersatzanspruch zumindest angerechnet werden. Wenn eine Aufklärung über die Zuwendung tatsächlich erfolgt, wird teilweise vertreten, dass § 667 BGB grundsätzlich ebenfalls anwendbar ist, soll aber aufgrund des § 70 WpHG doch nicht greifen, weil im Falle der Qualitätsverbesserung das Wertpapierdienstleistungsunternehmen diese tatsächlich zur Qualitätsverbesserung, z. B. Schaffung der Infrastruktur für die ordnungsgemäße Erbringung von Wertpapiergeschäften, beitragen soll.499 Allerdings darf in diesem Zusammenhang nicht verkannt werden, dass § 70 WpHG gerade keine direkte zivilrechtliche Wirkung entfaltet, vor allem auch nicht im Wege einer Ausstrahlung. Daher wird zur Begründung von Teilen der Literatur auf § 275 Abs. 1 BGB verwiesen, weil ein Fall der Unmöglichkeit gegeben sei.500 Dies lässt sich zivilrechtlich jedoch dahingehend auflösen, dass bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung über den Erhalt bzw. die Gewährung von Vertriebsprovisionen ein Herausgabeanspruch entfällt, weil sich der Anleger in diesem Fall widersprüchlich verhält und das Herausgabeverlangen ein venire contra factum proprium darstellt.501 Denn der Kunde hat in diesem Fall in Kenntnis der Zahlung von Zuwendungen das Anlagegeschäft abgeschlossen und verlangt nunmehr unabhängig von der Verletzung der Interessenwahrungspflicht die Herausgabe der Zuwendung.502 Ein Großteil der Praxis und des Schrifttums sind jedoch der Auffassung, dass dem Anleger kein Anspruch auf Herausgabe der Provisionen gem. §§ 666, 667 F. 2 BGB bzw. § 384 Abs. 2 HGB zustehe.503 Denn nur so liege eine interessen- und praxisgerechte Lösung vor, weil es wirtschaftlich nicht vertretbar sei, wenn die Banken ihren gesamten, im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Anlageprodukten erhaltenen Verdienst an die Anleger auskehren und darüber Auskunft erteilen müssten.504 Die Gegenansicht lehnt eine Herausgabepflicht auch generell ab, weil schon kein innerer Zusammenhang der „Kick-Back-Zahlung“ mit der Geschäftsbesorgung bestehe bzw. der Schutzzweck des § 384 Abs. 2, 2. HS F. 2 HGB bzw. § 667 F. 2 BGB nicht berührt sei.505 Der Gefahr, dass die Bank das Geschäft zum Nachteil des An498

Assmann, ZBB 2008, S. 21 (31). So Assmann, ZBB 2008, S. 21 (31) zu § 31d WpHG a. F. 500 So Assmann, ZBB 2008, S. 21 (31) zu § 31d WpHG a. F. 501 Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 55. 502 Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 55. 503 Ausführlich hierzu vgl. Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 195 – 204; Kotte, BB 2015, S. 1283 – 1288; Mülbert, ZHR 172 (2008), S. 170 (192 – 207); Regenfus, WM 2015, S. 209 (209 – 213). 504 Kotte, BB 2015, S, 1283 (1286 – 1288). 505 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft, Rn. 412; teilweise zustimmend Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 53 – 55; Hadding, ZIP 2008, S. 529 (534 f.); 499

262

4. Kap.: Das Zusammenspiel von Vertragsrecht und Aufsichtsrecht

legers beeinflusst, werde durch die „Kick-Back“-Rechtsprechung und die zuerkannte Schadensersatzpflicht wegen eines Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht ausreichend entgegengewirkt.506 Darüber hinaus erhalte die Bank bzw. der Berater die Vertriebsvergütung nicht in Erfüllung des Auftrages, sondern lediglich anlässlich der Erfüllung des Geschäfts, also bei Gelegenheit507. Es fehle daher der innere Zusammenhang zwischen Auftrag und Geschäftsbesorgung. Auch kann diese Problematik, wie in der Praxis von einigen Banken schon gewählt, dadurch gelöst werden, dass § 667 BGB im Rahmen von AGB abbedungen wird und sog. „Behaltensklauseln“ in den Vertrag eingeführt werden.508 Dies hält laut dem BGH hinsichtlich einer Klausel in den AGB der Deutschen Bank AG einer AGB-Kontrolle nach § 307 Abs. 1 und Abs. 2 BGB stand, weil nicht von wesentlichen gesetzlichen Grundgedanken abgewichen wird und zudem auch nicht gegen wesentliche, sich aus der Natur des Vertrages ergebende Rechte oder Pflichten verstoßen wird, wodurch die Erreichung des Vertragszweckes gefährdet würde.509 Emmerich geht jedoch diesbezüglich davon aus, dass der gesetzliche Anlegerschutz durch die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken beiseitegeschoben würde.510

IV. Zusammenfassung Das BGH-Urteil vom 3. Juni 2014511 benennt das Transparenzgebot bzw. den Grundsatz von umfassender Transparenz im Hinblick auf Rückvergütungen und Innenprovisionen erstmals ausdrücklich und führt auch zu einer Gleichstellung von Rückvergütungen und Innenprovisionen hinsichtlich der Aufklärungspflicht. Dieses Transparenzgebot im Hinblick auf die Zuwendungsproblematik wird sowohl von vertragsrechtlichen als auch aufsichtsrechtlichen Grundsätzen getragen und ist somit im Vertrags- und Aufsichtsrecht verankert. Die konkret geforderten AufklärungsMülbert, ZHR 172 (2008), S. 170 (202 – 206); Regenfus, WM 2015, S. 209 (213); Schäfer, in: MünchKomm-BGB, § 667 Rn. 12; Starke, in: Kümpel/Wittig (4. Auflage, 2011), Rn. 17.58 – 17.61. 506 Kotte, BB 2015, S. 1283 (1285 f.); Regenfus, WM 2015, S. 209 (213 – 215). 507 Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 199; Kotte, BB 2015, S. 1283 (1285); Regenfus, WM 2015, S. 209 (210). 508 Assmann, ZBB 2008, S. 21 (31) zu § 31d WpHG a. F.; Bergmann, in: Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 203 f.; Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 55a; Rothenhöfer, in: Baum/Fleckner/Hellgardt et al. (Hg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 55 (80 – 83). 509 BGH, Urt. v. 14. Januar 2014 – XI ZR 355/12, NJW 2014, S. 924 (925 – 930); zu § 31d WpHG a. F. zustimmend Assmann, ZBB 2008, S. 21 (31); Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 55a. 510 Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 BGB, Rn. 124. 511 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 – 323.

IV. Zusammenfassung

263

pflichten laufen parallel, sowohl hinsichtlich Rückvergütungen und Innenprovisionen als auch mit Blick auf Gewinnmargen. Allein daran wird schon deutlich, dass es einer Inkorporation oder Ausstrahlung der aufsichtsrechtlichen Grundsätze insbesondere aus § 70 WpHG bzw. § 31d WpHG a. F. gar nicht bedarf. Auffällig ist, dass der bereits in § 70 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG erörterte Transparenzgrundsatz und der Grundsatz, die Kundeninteressen gem. § 63 Abs. 1 WpHG zu wahren sowie gegenüber den Kunden gem. § 63 Abs. 2 WpHG bestehende Interessenkonflikte aufzuklären und die vertragsrechtlichen Grundlagen überhaupt nicht in die Erwägungen bei der Begründung eines Schadensersatzanspruches herangezogen werden. Genau diese Verbindungslinie zwischen den vertragsrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Grundlagen in Bezug auf die Offenlegung von Zuwendungen werden nun im letzten, dem 5. Kapitel der Arbeit untersucht und dargestellt, damit im Ergebnis zum einen Rechtssicherheit und Rechtsklarheit in Bezug auf die Zuwendungsproblematik und zum anderen ein effektiver Anlegerschutz erreicht werden können. Darüber hinaus wird in dem folgenden Kapitel erörtert, ob das aufsichtsrechtliche und das zivilrechtliche Transparenzgebot zusammenzulesen sind oder getrennt voneinander in jedem Regelungssystem für sich stehen.

5. Kapitel

Das Transparenzgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz zur Auflösung von Interessenkonflikten bei der Gewährung und Annahme von Zuwendungen im Kapitalanlagerecht Im Wege einer vertragsrechtlichen Lösung wird abschließend der These nachgegangen, wo und wie sich das Transparenzgebot in Bezug auf die Offenlegung von Zuwendungen im Rahmen eines Anlageberatungsvertrages genau verorten lässt und ob eine Herleitung aus dem Aufsichtsrecht der Weisheit letzter Schluss ist. Es lässt sich durchaus argumentieren, dass sich das Transparenzgebot primär aus der Interessenwahrungspflicht stricto sensu direkt herleiten lässt und die vom BGH statuierte Kombination von zivilrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Aufklärungs- und Transparenzgrundsätzen basierend auf den sog. „Grundprinzipien des Aufsichtsrechts“ nicht notwendig ist. In diesem Zusammenhang ist die Anlegererwartung insbesondere aus vertragsrechtlicher Sicht einzuordnen und zu bewerten und es ist der Frage nachzugehen, ob das Transparenzgebot allein im Rahmen der Anlegererwartung gem. §§ 133, 157 BGB Berücksichtigung finden sollte oder nicht doch eher das Pflichtengefüge des Anlageberatungsvertrages gem. §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 1 BGB oder gem. § 242 BGB näher konkretisiert. Der Dreh- und Angelpunkt einer dogmatisch fundierten Lösung besteht in der Erkenntnis, dass die von einem Anlageberater erteilte Anlageempfehlung als ein Vertrauensgut zunächst Vertrauen voraussetzt, das wiederum Transparenz und damit Information voraussetzt.1 Entscheidend ist im Hinblick auf den Zuwendungskonflikt die Offenlegung bestimmter Informationen. Wieso, weshalb, warum diese offenzulegen sind, wird in diesem Kapitel einer Lösung zugeführt. Bislang hat sich im deutschen Recht kein einheitliches Interessenwahrungsrecht unter Rückgriff auf das Treuhandrecht, wie es im anglo-amerikanischen Rechtsraum mit seinen „fiduciary relationships“ der Fall ist, entwickelt.2 Diese umfassen einerseits den „trust“ und andererseits alle trust-ähnlichen Rechtsverhältnisse von „trust and confidence“, welche über die „fiduciary obligation“ miteinander ver-

1

Stahl, Information Overload am Kapitalmarkt, S. 83. Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 252; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 45. 2

I. Das Transparenzgebot als allgemeiner zivilrechtlicher Rechtsgrundsatz

265

bunden sind.3 Kumpan lässt in seiner Habilitationsschrift anklingen, dass sich ein einheitliches Interessenwahrungsrecht über eine Verknüpfung der Interessenwahrungs- und Treupflicht und somit den schuldrechtlichen Teil der Treuhand herausbilden hätte können.4 Dieser Gedanke wird in diesem Kapitel für die vertragsrechtliche Begründung des Transparenzgebotes im Hinblick auf die Offenlegung von Zuwendungen unter Berücksichtigung der Anlegererwartung aufgegriffen und einer Lösung zugeführt. Erst dann lassen sich das Verhältnis von Aufsichtsrecht und Zivilrecht sowie eine etwaige Wechselwirkung zwischen Aufsichtsrecht und Zivilrecht abschließend beurteilen, um das Transparenzgebot im Rahmen der Anlegererwartung und des Anlageberatungsvertrages dogmatisch schlüssig zu verorten und die Lösung des BGH in seinem Urteil vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 abschließend zu würdigen.

I. Das Transparenzgebot als allgemeiner zivilrechtlicher Rechtsgrundsatz bei der Offenlegung von Zuwendungen Der BGH postuliert in seinem Urteil vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 einen allgemeinen Transparenzgrundsatz, der zunächst aus dem allgemeinen und flächendeckend geltenden aufsichtsrechtlichen Rechtsprinzip der Transparenz von Zuwendungen hergeleitet wird. Im Zusammenhang mit weiteren europäischen und nationalen Gesetzesnovellen leitet er unter Berücksichtigung der Anlegererwartung eine entsprechende zivilrechtliche Aufklärungspflicht in Bezug auf Innenprovisionen, aber auch für Zuwendungen im Allgemeinen, aus dem Beratungsvertrag ab. An diesem aufsichtsrechtlichen Transparenzgebot, welches dann doch den Inhalt des Beratungsvertrages über die Anlegererwartung und somit den zivilrechtlichen Pflichtenrahmen mitbestimmen soll, wird in erster Linie kritisiert, dass es sich dabei lediglich um eine mittelbare Berücksichtigung aufsichtsrechtlicher Vorschriften handele, welche über das Postulat eines allgemeinen Rechtsprinzips gefiltert werde.5 So werde deutlich, dass eine „völlige Unabhängigkeit des Zivilrechts von aufsichtsrechtlichen Vorgaben nicht bestehen kann“6. Diese daraus entstehende Abhängigkeit des Vertragsrechts vom Aufsichtsrecht, insbesondere vor dem Hintergrund der Privatautonomie, kann so keinen Bestand haben und würde der Eigenständigkeit dieser Rechtsbereiche widersprechen. Darüber hinaus überzeugt der Gedanke, dass eine Berücksichtigung aufsichtsrechtlicher Vorgaben nur dann zugelassen werden kann, wenn diese Ausdruck eines „allgemeinen Rechtsprinzips“ 3 4 5 6

Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 45. Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 45. Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 83a. Buck-Heeb, WM 2014, S. 1601 (1604).

266

5. Kap.: Das Transparenzgebot

seien, nicht. Denn die Anlegererwartung, die darauf gerichtet ist, dass der Anlageberater sich regelkonform verhält, bestehe schließlich schon dann, wenn klare gesetzliche Regeln existieren.7 Auf den ersten Blick ist somit nicht nachvollziehbar, warum die Einhaltung des Transparenzgebotes in Bezug auf Zuwendungen erst dann in der Anlegererwartung und dem Pflichtengefüge des Anlageberatungsvertrages ihren Niederschlag finden soll, wenn sich ein aufsichtsrechtlicher Grundsatz der Transparenz herausgebildet hat.

1. Das Transparenzgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Vertragsrechts Im 4. Kapitel wurden die vertragsrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Offenlegungspflichten hinsichtlich der Gewährung und Annahme von Zuwendungen ausführlich erörtert und dargestellt. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass der Gedanke der Transparenz sowohl den vertragsrechtlichen als auch den aufsichtsrechtlichen Offenlegungspflichten inhärent und Ausfluss der Interessenwahrungspflicht ist. Nachfolgend wird verdeutlicht und begründet, dass der Grundsatz der Transparenz im Hinblick auf die Offenlegung von Zuwendungen seine Grundlage nicht im Aufsichtsrecht, sondern im Zivilrecht hat und die Anlegererwartung und Mitbestimmung des vertragsrechtlichen Pflichtengefüges eines Anlageberatungsvertrages nicht durch das Aufsichtsrecht näher zu konkretisieren sind. Allein die Grundsätze des Vertrags- bzw. Zivilrechts sind maßgebend. Nicht das aufsichtsrechtliche Prinzip ist Ausgangspunkt für die Aufklärung und Offenlegung von Zuwendungen im Rahmen eines Anlageberatungsvertrages, sondern das Zivil- bzw. Vertragsrecht. Es bedarf insoweit auch keiner „Ausstrahlung“ in Form einer „Rückstrahlung“ des Aufsichtsrechts in das Vertragsrecht. Allgemeine Rechtsgrundsätze bzw. Rechtsprinzipien werden zunächst primär durch eine „systematische Auslegung“ gewonnen.8 Denn das Gebot der „systematischen Auslegung“ als Ermittlung allgemeiner Rechtsprinzipien und eines einheitlichen Sinnverständnisses ist zunächst als methodologische Maxime ein bloßes Postulat, welches erst erfüllt werden kann, wenn es in der Rechtsprechung eine Entsprechung findet.9 Zur Herausbildung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes genügt es häufig den Sinn und Zweck einer einzelnen Gesetzesbestimmung zugrunde zu legen und die Einsicht, dass dieser Gesetzeszweck auf einen weiteren Kreis von Fällen als die ursprünglich geregelten zutrifft.10 Hier zugrunde gelegt wird der von 7

Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 83a. Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 14; ausführlich zur Theorie der Herausbildung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen Metzger, Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht, S. 13 – 35. 9 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 14. 10 Larenz/Canaris, Methodenlehre, Kapitel 5, S. 207. 8

I. Das Transparenzgebot als allgemeiner zivilrechtlicher Rechtsgrundsatz

267

Metzger11 entwickelte prozedurale Ansatz des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, wonach „Normen ,allgemeine Rechtsgrundsätze‘ sein können, wenn sie durch einen Induktionsschluss aus ,besonderen‘ Rechtsregeln abgeleitet werden“12. Die „besonderen“ Rechtsregeln können dabei aus derselben Rechtsordnung, aus anderen Rechtsordnungen oder aus älterem Recht stammen, die je nachdem in sachlicher, räumlicher oder zeitlicher Hinsicht verallgemeinert werden.13 Allgemeine Rechtsgrundsätze sind somit nicht vollständig von den Rechtsregeln der Rechtsordnung anerkannt, weil insbesondere privatrechtliche Prinzipien nicht für die ganze Bandbreite möglicher Anwendungsfelder gesetzlich normiert oder richterrechtlich anerkannt sind.14 Auch wenn es natürlich für das Gericht schwierig ist die Tragweite eines von ihm aufgestellten Rechtsgrundsatzes zu überblicken.15 Das Transparenzgebot als umfassendes Rechtsgebot für die Offenlegung von Zuwendungen lässt sich demnach als ein Rechtsgrundsatz auffassen, der durch eine Verallgemeinerung von internen Rechtsregeln gewonnen wurde und auf der Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereiches von Normen des staatlich gesetzten oder staatlich anerkannten Rechts beruht.16 Es fällt somit unter den Prototyp einer Gesamtanalogie, „bei der aus mehreren gesetzlichen Einzelvorschriften ein Rechtsgrundsatz abgeleitet wird, der dann als mehr oder weniger verselbständigte Norm angewendet werden kann“17. Die seit nunmehr mehreren Jahrzehnten ergangenen Gerichtsurteile zu Rückvergütungen, Innenprovisionen und Gewinnmargen zeigen mehr als deutlich, dass sich ein vertragsrechtliches Transparenzgebot in Bezug auf Zuwendungen teilweise vor und sodann parallel, aber unabhängig zu den europäischen aufsichtsrechtlichen Regelungen herausgebildet hat. Zudem stützt sich der Grundsatz der Transparenz in Zuwendungsfragen auf die Interessenwahrungspflicht stricto sensu, die sich wiederum aus der Zusammenschau der Normen des Auftrags, des Geschäftsbesorgungsund Kommissionsvertrages sowie des Treuhandrechts ergibt. Fraglich bleiben jedoch die Konsequenzen in Bezug auf die Offenlegung von Gewinnmargen; wobei es nur eine Frage der Zeit sein wird, dass vielleicht auch über diese aufzuklären sein wird. Inwieweit es sich bei der Postulierung eines allgemeinen zivilrechtlichen Transparenzgebotes durch den BGH um einen Fall zulässiger richterlicher Rechts-

11

Metzger, Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht, S. 25 – 32. Metzger, Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht, S. 25 f. 13 Metzger, Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht, S. 26. 14 Metzger, Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht, S. 26 f. 15 Larenz/Canaris, Methodenlehre, Kapitel 5, S. 206; zu weiteren Nachteilen Rüthers, in: FS Molitor, S. 293 (298). 16 Metzger, Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht, S. 33. 17 Metzger, Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht, S. 33. 12

268

5. Kap.: Das Transparenzgebot

fortbildung18 oder überhaupt um einen Fall der Rechtsfortbildung handelt, ist im Folgenden kurz zu erläutern. Ausgangspunkt für eine judikative Rechtsfortbildung sind die offene Formulierung von Gesetzen, die eingeschränkte legislative Reaktionsmöglichkeit und der kontinuierliche Wandel des Normumfelds im Privatrecht.19 Eine Rechtsnorm bzw. ein Gesetz ist immer ein Abbild des Status quo, gegenstandsbezogen, generell-abstrakt sowie zeit- und situationsabhängig, und hält keine Lösung für jeden möglichen Einzelfall bereit.20 Zudem ist neben der Gesetzesanwendung und -auslegung auch die Fortbildung des Rechts eine grundlegende Aufgabe der Judikative.21 Diese Annahmen finden in den Artt. 20 Abs. 2 und 3, 97 Abs. 1 GG und in Art. 19 Abs. 4 GG ihre positivrechtliche Verankerung. Insbesondere der nach Art. 19 Abs. 4 GG geltende Justizgewährleistungsanspruch verpflichtet den Richter zur Rechtsschutzgewährung gerade auch in Fällen, in denen eindeutige gesetzliche Vorgaben fehlen, sodass gerade das Revisionsgericht, demnach der BGH, in diesen Fällen „rechtsschöpferisch“ agiert.22 „Das erste Wort hat zwar der Gesetzgeber, das letzte Wort bei der Rechtsverwirklichung liegt jedoch bei den Gerichten, den Richtern letzter Instanz.“23 Erforderlich ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Rechtsschöpfung bzw. Rechtsgewinnung durch die Judikative in den Grenzen vertretbarer Auslegung und zulässiger Rechtsfortbildung bewegt.24 Zwar beginnt die Rechtsfortbildung methodologisch dort, wo die Auslegung endet; aber lässt sich die normative Grundlage nicht durch Auslegung hinreichend aus dem Gesetz auf den Einzelfall hin konkretisieren, ist der Richter angehalten, im Wege der Rechtsfortbildung die Konkretisierung vorzunehmen.25 Eine strikte Trennung zwischen auslegender und rechtsfortbildender Tätigkeit ist nicht möglich, weil methodologisch keine klare 18

Allgemein zur richterlichen Rechtsfortbildung und zum sog. Richterrecht vgl. Scherer de Mello Aleixo, Verantwortbares Richterrecht, Tübingen, 2014; Everling, JZ 2000, S. 217 – 227; Frowein, in: FS Juristische Fakultät Universität Heidelberg, S. 555 – 565; Müller, in: FS Juristische Fakultät Universität Heidelberg, S. 65 – 84; Pieroth/Aubel, JZ 2003, S. 504 – 510; Reinhart, in: FS Juristische Fakultät Universität Heidelberg, S. 599 – 617; Rüthers, in: FS Molitor, S. 293 – 307; Seidl, ZGR 1988, S. 296 – 313; Wank, ZGR 1988, S. 314 – 380; Wiedemann, NJW 2014, S. 2407 – 2412. 19 BVerfG, Beschl. v. 19. Oktober 1983 – 2 BvR 485, 486/80, BVerfGE 65, S. 182 (190 f.); BVerfG, Beschl. v. 26. Februar 1985, 2 BvL 27/84, BVerfGE 69, S. 188 (203 f.); BVerfG, Urt. v. 18. Dezember 1953 – 1 BvL 196/53, BVerfGE 3, S. 225 (242 f.); Herresthal, ZIP 2013, S. 1049 (1050) m. w. N. auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen; Rüthers, in: FS Molitor, S. 293 (294 f., 297); Wiedemann, NJW 2014, S. 2407 (2412). 20 Rüthers, in: FS Molitor, S. 293 (294). 21 Herresthal, ZIP 2013, S. 1049 (1050) m. w. N. auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen. 22 Geserich, DStR-Beih. 2011, S. 59 (59); Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 95 GG Rn. 13 (86. EL, Januar 2019); Larenz/Canaris, Methodenlehre, Kapitel 5, S. 188 f.; Rüthers, in: FS Molitor, S. 293 (297). 23 Rüthers, in: FS Molitor, S. 293 (295). 24 Herresthal, ZIP 2013, S. 1049 (1050). 25 Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 95 GG Rn. 14 (86. EL, Januar 2019).

I. Das Transparenzgebot als allgemeiner zivilrechtlicher Rechtsgrundsatz

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Trennung zwischen Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung möglich ist.26 Beides geht mithin Hand in Hand, zudem gehören Auslegung und Rechtsfortbildung zum richterlichen Alltag.27 Der Richter hat jedoch die grundsätzliche Gewaltentscheidung des Grundgesetzes zu beachten, wonach es Aufgabe der Legislative ist, „abstraktgenerelle Regelungen mit allgemeinem Geltungsanspruch (Normen)“28 zu schaffen.29 Die Judikative darf demnach nicht in den Kompetenzbereich der Legislative eingreifen und ihre Rolle als normanwendende Instanz verlassen und eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle derjenigen der Legislative setzen.30 Sie muss die gesetzgeberische Grundentscheidung und die gesetzgeberischen Ziele respektieren und die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Gesetzesfortbildung anwenden.31 Zu berücksichtigen ist mithin, dass bei klaren und eindeutigen gesetzgeberischen Entscheidungen und einem festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes der Richter diese aufgrund einer anderen politischen Vorstellung nicht verändern und durch eine richterliche Lösung ersetzen darf.32 Die richterliche Rechtsfortbildung darf demnach nicht zur Veränderung der bestehenden Rechtsoder Gesellschaftsordnung „missbraucht“ werden, weil eine Umgestaltung der Rechtsordnung in Grundsatzfragen durch Reformen und Neugestaltungen dem parlamentarischen Gesetzgeber obliegt.33 Eine zulässige judikative Rechtsfortbildung liegt aber vor, wenn die Grundgedanken und Wertvorstellungen der Rechtsordnung systemimmanent weiterentwickelt und dynamisiert werden sowie an die aktuellen normativen und tatsächlichen Wirkungsfelder angeglichen werden.34 Dies ist insbesondere dann erforderlich, wenn bei dem seitens des Revisionsgerichtes zu entscheidenden Fall neben die Einzel-

26 BVerfG, Beschl. v. 14. Mai 1985 – 1 BvR 233, 341/81, BVerfGE 69, S. 315 (371 f.); BVerfG, Beschl. v. 14. Januar 1987 – 1 BvR 1052/79, BVerfGE 74, S. 129 (152); Larenz/Canaris, Methodenlehre, Kapitel 5, S. 187; Pieroth/Aubel, JZ 2003, S. 504 (505); Wank, ZGR 1988, S. 314 (316 – 318); Wiedemann, NJW 2014, S. 2407 (2407) spricht von „einer linearen oder abgestuften Einheit“. 27 Geserich, DStR-Beih 2011, S. 59 (66). 28 Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 95 GG Rn. 15 (86. EL, Januar 2019). 29 Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 95 GG Rn. 15 (86. EL, Januar 2019). 30 BVerfG, Beschl. v. 14. Februar 1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, S. 269 (287 f.); BVerfG, Beschl. v. 3. April 1990 – 1 BvR 1186/89, BVerfGE 82, S. 6 (12); BVerfG, Beschl. v. 8. April 1998 – 1 BvR 1773/96, BVerfGE 98, 49 (59 f.); Herresthal, ZIP 2013, S. 1049 (1050); Jachmann-Michel, in: Maunz/Dürig, Art. 95 GG Rn. 16; Wiedemann, NJW 2014, S. 2407 (2408). 31 Geserich, DStR-Beih 2011, S. 59 (60); Herresthal, ZIP 2013, S. 1049 (1050). 32 Pieroth/Aubel, JZ 2003, S. 504 (507 f.). 33 Rüthers, in: FS Molitor, S. 293 (299). 34 BVerfG, Beschl. v. 14. Februar 1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, S. 269 (288); BVerfG, Beschl. v. 30. März 1993 – 1 BvR 1045/89, 1381/90 und 1 BvL 11/90, BVerfGE 88, S. 145 (166 f.); Herresthal, ZIP 2013, S. 1049 (1050); Rüthers, in: FS Molitor, S. 293 (297).

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

fallgerechtigkeit das Allgemeininteresse als gleichwertiges Ziel tritt.35 So sehen dies auch die §§ 511 Abs. 4 Nr. 1, 534 Abs. 2 Nr. 2 und § 566 Abs. 4 Nr. 2 ZPO vor, wonach Rechtsmittel zuzulassen sind, wenn die Entscheidung grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts dies verlangt. In diesem Fall hat sich das Gericht selbstredend an den Auslegungskanon Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck zu halten.36 Daraus folgt jedoch noch keine normsetzende Tätigkeit des Richters, sondern lediglich ein Fall von funktionaler Rechtssetzung, weil eine bindende gerichtliche Entscheidung im Zivilprozess gem. § 325 ZPO immer nur eine Inter-partes-Wirkung und keine Erga-omnes-Wirkung hat.37 Der gebildete generelle Maßstab wird im Rahmen einer Einzelfallentscheidung getroffen und zieht keine „allgemeinverbindliche Bindungswirkung für weitere Akte der Rechtsanwendung“38 nach sich, sondern ist Teil eines Prüfungsmaßstabes für den Rechtsanwender und insofern durchaus eine Rechtsquelle.39 Entscheidend ist, dass das Gericht „die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert hat und den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung gefolgt ist“40. Das von der Rechtsprechung postulierte allgemeine zivilrechtliche Transparenzgebot verstößt nicht gegen die beschriebenen Grundsätze. Der BGH geriert sich nicht als Ersatzgesetzgeber, sondern bewegt sich innerhalb des seitens des Zivilrechts und insbesondere des BGB abgesteckten Rahmens. Das Transparenzgebot lässt sich zurückführen auf die bestehenden geschäftsbesorgungs- und kommissionsrechtlichen Grundsätze der Interessenwahrungspflicht stricto sensu und die treuhandrechtlichen Pflichtenregime. Der BGH ist bei der Statuierung des allgemeinen Transparenzgebotes wie von Rüthers41 gefordert behutsam und systemkonform unter Berücksichtigung des Regelungszweckes des Gesetzgebers vorgegangen. Insbesondere bestand eine Regelungslücke hinsichtlich der Offenlegung von Innenprovisionen im Zivilrecht, die in sich widersprüchlich und auch im Vergleich zu den Rückvergütungen ungerecht erschien. Diese Lücke war daher systemkonform seitens des BGH zu schließen.

35 Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 95 GG Rn. 15 (86. EL, Januar 2019); Rüthers, in: FS Molitor, S. 293 (297). 36 Geserich, DStR-Beih 2011, S. 59 (60); Pieroth/Aubel, JZ 2003, S. 504 (508). 37 Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 95 GG Rn. 15 (86. EL, Januar 2019). 38 Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 95 GG Rn. 15 (86. EL, Januar 2019). 39 Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 95 GG Rn. 15 (86. EL, Januar 2019); Rüthers, in: FS Molitor, S. 293 (302 f., 306 f.); ausführlich hierzu Scherer de Mello Aleixo, Verantwortbares Richterrecht, S. 94 – 108. 40 BVerfG, Beschl. v. 12. November 1997 – 1 BvR 479/92 und 307/94, BVerfGE 96, S. 375 (395); BVerfG, Beschl. v. 15. Januar 2009 – 2 BvR 2044/07, BVerfGE 122, S. 248 (258). 41 Rüthers, in: FS Molitor, S. 293 (300).

I. Das Transparenzgebot als allgemeiner zivilrechtlicher Rechtsgrundsatz

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2. Allgemeines Transparenzgebot als Ausfluss der Interessenwahrungspflicht aus §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 1, 662, 675 BGB, §§ 383 ff. HGB Die Informationsasymmetrien zwischen Anleger und anlageberatender Bank sind, vor allem in Bezug auf die Gewährung und Annahme von Zuwendungen, charakteristisch für die Beratungssituation.42 Dieser Wissensvorsprung des Anlageberaters bzw. der beratenden Bank folgt aus seiner professionellen Fachkenntnis.43 In diesem Zusammenhang wird das Paradigma des Anlegerschutzes weltweit durch den Abbau von Informationsasymmetrien durch die Herstellung von Transparenz gebildet.44 Das Transparenzgebot als „tragendes Prinzip“ und allgemeiner Grundsatz hat sich bereits Ende der 80er-Jahre aus dem damaligen AGBG entwickelt und war für den Vertragsinhalt und die Vertragsauslegung von besonderer Bedeutung.45 Bei § 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG und § 70 WpHG handelt es sich um Konkretisierungen des allgemeinen Geschäftsbesorgungsrechts, wonach jeder Geschäftsbesorger auf seinem Tätigkeitsgebiet die Interessen des Geschäftsherrn zu wahren hat.46 Das Kernelement bzw. die Kernpflicht ist mithin, wie bei allen Verträgen der Interessenwahrung üblich und bereits im 2. Kapitel deutlich hervorgehoben, die Interessenwahrungspflicht stricto sensu. Diese ist bei Anlageberatungsverträgen unter besonderer Berücksichtigung des Treuhandgedankens die Hauptpflicht. So hat auch schon Hopt im Jahr 1975 herausgestellt, dass die besondere Gebundenheit der Wertpapierdienstleistungsunternehmen gegenüber dem Anleger im Treuhandgedanken zu liegen scheint.47 In diesem Zusammenhang ist aus rechtsvergleichender Sicht interessant, dass der aus dem US-amerikanischen Recht stammende Begriff „disclosure“ sowohl als ein allgemeines Prinzip des Kapitalmarktrechts als auch des Vertragsrechts im Rahmen von Aufklärungspflichten gilt.48 Somit bestehen auch hier zwei voneinander unabhängige Transparenzpflichten bzw. -grundsätze.

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Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung Rn. 3. Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung Rn. 3. 44 Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung Rn. 3. 45 Hopt, in: FS Gernhuber, S. 169 (180). 46 Schnauder, Geschäftsbesorgung, S. 40; so auch Köndgen, JZ 2012, S. 260 (262); Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 Rn. 103. 47 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 251. 48 Hopt, in: FS Gernhuber, S. 169 (180). 43

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

3. Bedeutung des aufsichtsrechtlichen Transparenzgebotes für das vertragsrechtliche Transparenzgebot Die Bedeutung des aufsichtsrechtlichen Transparenzgebotes für das vertragsrechtliche Transparenzgebot hinsichtlich der Offenlegung von Zuwendungen hängt entscheidend von dem Verhältnis von Aufsichtsrecht und Zivilrecht ab. Das Aufsichtsrecht, insbesondere das WpHG, die Marktmissbrauchsverordnung (MAR)49 und die Verordnung über Märkte für Finanzinstrumente (MiFIR),50 kennt unterschiedliche Transparenzbegriffe, die sich zum einen auf die Mitteilung, Veröffentlichung und Übermittlung von Veränderungen der Stimmrechtsanteile (§§ 33 – 47 WpHG), das Insiderrecht (Art. 7 ff. MAR), die Ad-hoc-Publizität (Art. 17 MAR, §§ 97 f. WpHG) und die Vor- und Nachhandelstransparenz (Artt. 3, 6, 8, 10, 12, 13 MiFIR) beziehen und zum anderen auf die Zuwendungsproblematik (§ 70 WpHG). Im Folgenden ist jedoch der Transparenzbegriff bezogen auf die Offenlegung von Zuwendungen maßgeblich und sein Verhältnis zu den vertragsrechtlichen Vorschriften zu erörtern. Ein allgemeines Transparenzgebot auf jedwede Art von Information inklusive Werbemitteilungen, die für den Anleger ggfs. bei seiner Anlageentscheidung von Bedeutung sein können, findet sich zunächst in § 63 Abs. 6 WpHG.51 Das Transparenzgebot hinsichtlich der Annahme und Gewährung von Zuwendungen gem. § 70 WpHG lässt sich als spezielles Transparenzgebot bzw. als besondere Ausprägung des allgemeinen aufsichtsrechtlichen Transparenzgebotes qualifizieren. a) Wechselwirkungen zwischen dem vertragsrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Transparenzgebot Dem Urteil des BGH vom 3. Juni 2014 liegt die Annahme zugrunde, dass für die Postulation eines flächendeckenden aufsichtsrechtlichen Transparenzgebotes in Bezug auf Zuwendungen in Form von Rückvergütungen und Innenprovisionen der aufsichtsrechtliche Transparenzgedanke, wie er sich aus § 31d WpHG a. F./§ 70 WpHG n. F. ergibt, maßgeblich sei. Diese Offenlegungspflicht bzw. diese Verpflichtung zur Transparenz finde über die Anlegererwartung und die entsprechenden konkludenten Willenserklärungen Eingang in den Beratungsvertrag.52 49

Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/ 124/EG, 2003/125/EG und 2004/27/EG der Kommission, Abl. L 173/1 v. 12. 6. 2014. 50 Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, Abl. L 173/84 v. 12. Juni 2014. 51 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil D. Rn. 165. 52 BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 (321).

I. Das Transparenzgebot als allgemeiner zivilrechtlicher Rechtsgrundsatz

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Zunächst lässt sich erneut festhalten, dass das aus § 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG sowie § 70 WpHG hergeleitete Transparenzgebot in Bezug auf die Offenlegung von Zuwendungen auf zivilrechtlichen Grundsätzen und Rechtsprinzipien des Geschäftsbesorgungsrechts beruht.53 Das aufsichtsrechtliche Prinzip der Transparenz mag zwar flächendeckend und ein Grundprinzip des Aufsichtsrechts sein, aber eine Wechselwirkung erfolgt nicht im Wege einer Ausstrahlung des aufsichtsrechtlichen Prinzips auf das Vertragsrecht, sondern wenn dann umgekehrt, sofern man den Begriff einer Ausstrahlung verwenden mag, vom Zivilrecht in das Aufsichtsrecht. Mithin kommt es zu keiner rechtlichen Ausstrahlung des aufsichtsrechtlichen Transparenzgrundsatzes auf das Zivilrecht, sondern lediglich im Rahmen einer faktischen Ausstrahlung des Zivilrechts auf das Aufsichtsrecht. Denn die Interessenwahrungspflicht findet ihren Ursprung im Zivilrecht und ihre feste Verankerung in den Interessenwahrungsverträgen des Auftrags und des Geschäftsbesorgungsvertrages und mithin auch des Anlageberatungsvertrages und der Finanzkommission. Eine Rückstrahlung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben auf das vertragsrechtliche Pflichtengefüge ist deshalb nicht notwendig. Es würde zudem zu einer unnötigen Wiederholung des bereits zivilrechtlich geregelten Pflichtenkanons führen. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht vor dem Hintergrund des Europarechts. Denn nach Art. 5 AEUV gelten das Prinzip der Subsidiarität und das der begrenzten Einzelermächtigung. Die MiFID II wurde, wie schon die MiFID I, weder auf Art. 53 Abs. 1 AEUV noch auf Art. 114 AEUV gestützt, wodurch eine Angleichung des Zivil- bzw. Vertragsrechts angezeigt gewesen wäre. b) Konsequenzen für das Verhältnis von Aufsichtsrecht und Vertragsrecht Die Haftung für fehlerhafte Anlageberatung insbesondere in Bezug auf eine unterbliebene Offenlegung hinsichtlich der Annahme und Gewährung von Zuwendungen lässt sich allein aus den vertragsrechtlichen Grundlagen, namentlich des Auftrags- und Geschäftsbesorgungs- und Kommissionsrechts sowie den Grundsätzen zum Anlageberatungsvertrag herleiten. Art und Umfang der vertraglichen Aufklärungs- und Beratungspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen können zwar von den §§ 63 ff. WpHG mitdeterminiert werden,54 aber daraus ließe sich keine rechtliche, sondern, wenn überhaupt, lediglich eine faktische bzw. tatsächliche Ausstrahlungswirkung herleiten. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu berücksichtigen, dass die §§ 63 ff. WpHG den Pflichtenkreis der Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht erweitern, weil sie im Wesentlichen Grundsätze enthalten, die zum einen positiv im Zivilrecht normiert sind und zum anderen bereits von der Rechtsprechung und Literatur als vorvertragliche und vertragliche Infor53 Köndgen, in: Everling/Roth (Hg.), Mindestharmonisierung im Europäischen Binnenmarkt, S. 11 (134). 54 So auch BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 Rn. 18; BGH, Urt. v. 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, S. 310 ff. = WM 2014, S. 1382 ff.; dagegen unter anderem Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rn. 584.

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

mations-, Aufklärungs- und Beratungspflichten bei der Anlageberatung entwickelt wurden.55 Eine rechtliche Ausstrahlung des Aufsichtsrechts oder „Rückstrahlung“ des Zivilrechts bereits normierter Pflichten ist jedoch nicht notwendig. Der Gesetzgeber hat im BGB, maßgeblich in den §§ 133, 157 BGB und §§ 241 Abs. 2, 242 BGB, „Einfallstore“ geschaffen, die durchaus eine Scharnierfunktion haben und so als allgemeine rechtliche Grundsätze, ja gar Generalklauseln, für rechtlich erhebliche Wertungen, so auch für grundsätzliche Wertungen des Aufsichtsrechts und seiner Wohlverhaltenspflichten, betrachtet werden könnten.56 Denn Wertungen, die an anderer Stelle in der Rechtsordnung getroffen wurden, können im Verhältnis zu Privaten durchgesetzt und gleichzeitig auch die Reichweite der Tatbestände und ihrer Durchsetzung festgelegt werden.57 Durch diese Flexibilität ließen sich einzelne Wertungen auch in Bezug auf Gruppen- oder Gemeinschaftsinteressen „indirekt“, im Wege einer Konkretisierung des vertragsrechtlichen und deliktsrechtlichen Pflichtenkanons, berücksichtigen.58 Dies führt jedoch nicht zu einer direkten Normanwendung und somit zu keiner Entscheidung über Auslegungsfragen der §§ 63 ff. WpHG, diese obliegen allein den zuständigen Verwaltungsgerichten. Die aufsichtsrechtlichen Prinzipien werden demnach nicht über die Generalklauseln rechtlich vermittelt oder inkorporiert, sondern entscheidend sind allein der auftragsund geschäftsbesorgungsrechtliche Interessenwahrungsgrundsatz und der Grundsatz von Treu und Glauben, die den Bestimmungen des WpHG lediglich eine faktische, aber keine zivilrechtliche Relevanz geben.59 Es kommt gerade zu keiner zivilrechtlichen Wirkung der Wohlverhaltenspflichten, die eine Systemüberschreitung zur Folge hat. Verdeutlichen lässt sich dies anhand des § 63 Abs. 1 WpHG, dessen Regelungsgehalt im Wesentlichen den Pflichten des Kommissionärs nach § 384 Abs. 1 HGB entspricht.60 Für den Kunden gehören somit die Interessenwahrung und die damit verbundene Beachtung der verkehrserforderlichen Sorgfalt zu den Grundelementen jeder Wertpapierdienstleistung.61 Dieser Pflichtenkanon wird, wie 55 Balzer, Vermögensverwaltung durch Kreditinstitute, S. 154; so auch Schnauder, Geschäftsbesorgung, S. 40, der davon spricht, dass §§ 31 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Konkretisierungen des Geschäftsbesorgungsrechts sind. 56 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 141; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 1 f. 57 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 141, 160; Schubert, in: MünchKomm-BGB, § 242 BGB Rn. 2. 58 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 141, 160; Wieneke, Discount-Broking, S. 91. 59 A. A. Wieneke, Discount-Broking, S. 91. 60 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung – Drucksache 12/6679, BT-Drucks. 12/7918 vom 15. Juni 1994, S. 103 f.; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 112 m. w. N.; Balzer, ZBB 1997, S. 260 (264); Kümpel, WM 1995, S. 689 (689); Schulte-Frohlinde, Art. 11 Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, S. 72; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 210; Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, S. 34 f. 61 Buhk, Haftung bei der Anlagevermittlung und der Anlageberatung, S. 46 f.; Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. Rn. 112.

I. Das Transparenzgebot als allgemeiner zivilrechtlicher Rechtsgrundsatz

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bereits ausführlich im 2. und 4. Kapitel dargelegt, schon durch das Vertragsrecht vorgezeichnet. Entscheidend kommt es bei Fragen des Transparenzgebotes im Hinblick auf Zuwendungen auf die Nichterfüllung von Vertragspflichten an, die vom BGH autonom bestimmt und überprüft werden.62 Die Frage, ob die aufsichtsrechtlichen Vorschriften der §§ 63 ff. WpHG Auswirkungen auf zivilrechtliche Haftungsansprüche haben, ist demnach auch nicht von einer Vorlagepflicht an den EuGH umfasst. Dies führt zudem nicht dazu, dass der BGH dem europäischen Gesetzgeber und in einem nächsten Schritt dem europäischen Rechtsprechungsorgan den Zugriff auf die privatrechtliche Haftung entzieht, wie von Wagner63 behauptet. Die Deutungshoheit über das nationale Vertragsrecht bleibt bei den nationalen Gerichten, wenn die Entscheidung auf nationalen Vorschriften beruht. Dies wäre lediglich anderes zu beurteilen, wenn die vertragsrechtlichen Vorschriften, auf die sich der BGH in den streitigen Fällen beruft, auf einer Transformation von EU-Richtlinien basieren. Dies ist jedoch bei Anlageberatungsfällen nicht der Fall. Denn die §§ 63 ff. WpHG sind keine vertragsrechtlichen Normen und entfalten auch keine Wirkung in Form einer rechtlichen Ausstrahlungswirkung. Eine Vorlagepflicht des BGH an den EuGH besteht mithin nicht. Dies verstößt auch nicht gegen die EuGH-Maximen zum private enforcement europarechtlicher Vorschriften.64 Nach der Rechtsprechung des EuGH greifen diese Grundsätze nur, sofern der deutsche Gesetzgeber keine anderweitigen Sanktionsmechanismen, zum Beispiel im Straf-, Ordnungswidrigkeiten- oder Verwaltungsrecht, zur Verfügung stellt. Dies ist jedoch bei den §§ 63 ff. WpHG gerade nicht der Fall. Es gibt ausreichende und wirksame Sanktionen, die aus der MiFID II in das WpHG übernommen wurden, wonach Verstöße gem. §§ 119, 120 WpHG als Ordnungswidrigkeiten und teilweise sogar als Straftaten verfolgt werden. Weiterhin verschwimmen auch durch die MiFID II die Grenzen zwischen Aufsichtsrecht und Vertragsrecht nicht. Die Kompetenzen für die Gesetzgebung und auch die Transformation in das nationale Recht sind klar in jeder Richtlinie und jedem Gesetzesentwurf festgelegt. Daran ändert auch die Detailliertheit der „neuen“ Normen nichts und lässt diese zu vertragsrechtlichen Normen werden. Maume plädiert hingegen für ein Ineinandergreifen der zivilprozessualen Elemente des Ordnungswidrigkeitenrechts und des Strafrechts, um ein umfassendes, kohärentes und effektives Rechtsdurchsetzungsregime besonders mit Blick auf die aufsichtsrechtlichen Vorschriften

62 Der bunte Strauß an Entscheidungen reicht von Bond, BGHZ 123, S. 126 (128 ff.) über Kick-Back I, BGHZ 146, S, 235 und Kick-Back II, BGHZ 170, 226 (Rn. 22 ff.) bis hin zum Spread Ladder Swap-Urteil, BGHZ 189, S. 13 (Rn. 20 ff.) und die Lehman Brothers I-Entscheidung, BGH ZIP 2011, S. 2237 (Rn. 21 ff.) und Lehman Brothers II-Entscheidung, BGH NJW-RR 2012, S. 43 (Rn. 23 ff.). 63 Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rn. 583. 64 Vgl. EuGH, Slg. 1991, I-4371, 4387; a. A. Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rn. 583.

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

des WpHG zu schaffen.65 Dies würde jedoch zu einer vom deutschen Rechtssystem so nicht vorgesehenen Vermengung von Zivilrecht und öffentlichem Recht führen, wobei das Strafrecht ein besonderer Teil des öffentlichen Rechts ist. Der bloße Wunsch, das Zivilrecht für die Durchsetzung der Wohlverhaltenspflichten zu aktivieren, ist nicht ausreichend, um eine rechtliche Ausstrahlungswirkung herzuleiten. Das deutsche Zivilrecht unter Einbeziehung der Rechtsprechung des BGH zu den Aufklärungs- und Beratungspflichten verstößt auch nicht gegen das europäische Effektivitätsprinzip („effet utile“).66 Im Rahmen des Kapitalanlagerechts wird ein ausreichender aufsichtsrechtlicher aber auch privatrechtlicher Anlegerschutz sichergestellt.67 Auf der Ebene des Aufsichtsrechts steht ein vielgestaltiges Schutz- und Sanktionssystem bereit, das von der Überwachung der Wohlverhaltenspflichten durch die BaFin gem. §§ 88, 89 WpHG über die Anordnung von Zwangsmaßnahmen nach § 6 WpHG bis hin zu Sanktionen des Ordnungswidrigkeiten- und Strafrechts gem. §§ 119, 120 WpHG reicht. Neben diesem aufsichtsrechtlichen Anlegerschutzsystem besteht ein weitreichendes und ausgefeiltes zivilrechtliches Schutz- und Sanktionssystem. Zum einen sind die Aufklärungs-, Beratungs-, Informations- und Interessenwahrungspflichten durch die vertragsrechtlichen Rahmenbedingungen bzw. das vertragsrechtliche Pflichtengefüge zivilrechtlich verankert, die durch die Rechtsprechung insbesondere seit dem Bond-Urteil inhaltlich weiterentwickelt und verfeinert wurden. Darüber hinaus werden den Anlegern bei Verstößen gegen diese Aufklärungs-, Beratungs-, Informations- und Interessenwahrungspflichten Schadensersatzansprüche zugesprochen. Dieses zivilrechtliche Schutzsystem trägt trotz der Emanzipation des BGH vom europäischen Einfluss zur Durchsetzung eines effektiven Anlegerschutzes bei.68 Der BGH macht lediglich von dem ihm zustehenden Ermessensspielraum Gebrauch.69 Dabei ist der BGH selbstverständlich an die Grundsätze der richtlinienkonformen Auslegung gebunden, wonach die Regelungen der MiFID I und II und ihrer Durchführungs-Richtlinien und Durchführungs-Verordnungen, wie sie durch den EuGH ausgelegt werden, zu beachten sind. Das heißt in letzter Konsequenz, dass breitflächige und tiefgehende Eingriffe, wie eine privatrechtliche Qualifikation der §§ 63 ff. WpHG oder eine Ausstrahlungswirkung dieser in das zivilrechtliche System, nicht durch eine europäische Hintertür erfolgen können, sondern auf die Initiative des nationalen Gesetzgebers zurückgehen müssten.70 Der Gesetzgeber müsste mithin eingreifen und die zivilrechtliche Geltung der aufsichtsrechtlichen Normen anordnen oder einen gesonderten Anlageberatungsvertrag im BGB kodi-

65 66 67 68 69 70

Maume, ZHR 180 (2016), S. 358 (360, 362 – 366, 386). So auch Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (562). So auch Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (562 f.). Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (562). Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (563). Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (564).

I. Das Transparenzgebot als allgemeiner zivilrechtlicher Rechtsgrundsatz

277

fizieren, wonach die Pflichten detailliert aufgegriffen und ausgestaltet werden. Dadurch ließen sich einige Auslegungsschwierigkeiten vermeiden. Aus diesem Grund ist auch das Konzept der funktionalen Subjektivierung von objektiv öffentlichem Recht71, wonach dem Bürger eine abwehrfähige Position zur Rechtsverfolgung eingeräumt werden soll, damit dieser diese auch wahrnimmt, abzulehnen. Aus europarechtlicher Perspektive handelt es sich durchaus um ein reizvolles Konstrukt, weil es bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auf rein europäische Wertungen abstellt und darüber hinaus in nahezu jeder kapitalmarktrechtlichen Vorschrift als „Reflex“, selbst wenn dieser nur auf den institutionellen Anlegerschutz abstellt, den individuellen Anlegerschutz mitzudenken und so eine subjektive Komponente enthält, die bei einem Verstoß einen Schadensersatzanspruch begründen würde.72 Dies verstößt, trotz einer durchaus verhaltenssteuernden Funktion des Zivilrechts, insbesondere gegen dessen zentralen Aufgaben im Rahmen der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, wonach es um die Kompensation von Vermögenseinbußen in Einzelfällen und nicht um die Erreichung eines Gesamtergebnisses im Sinne einer objektiven Marktordnung geht.73 Das Zivilrecht bzw. das Vertragsrecht ist geprägt von einer „Inter-partes“Wirkung. Durch die Qualifikation der §§ 63 ff. WpHG als reines Aufsichtsrecht und die Ablehnung einer rechtlichen Ausstrahlungswirkung in das Zivilrecht wird die Durchsetzung des Unionsrechts auch nicht erschwert oder gar praktisch unmöglich gemacht, denn der nationale Gesetzgeber kommt seiner Pflicht nach, indem er wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Verstöße gegen europarechtliche Vorgaben bereithält, wobei die nationalen Gesetzgeber nicht alle denkbaren und zur Verfügung stehenden Sanktionsmechanismen einzusetzen haben.74 Diese Aussagen greifen so auch bei der hier zugrunde liegenden Zuwendungsproblematik, bei der sich zum einen die Aufklärungspflichten aus den zivilrechtlichen Rahmenbedingungen, namentlich dem Geschäftsbesorgungs-, Kommissions- und Treuhandrecht, ergeben und zum anderen Verstöße gegen diese Aufklärungspflichten ausreichend im Wege der Schadensersatzansprüche unter Fortbildung der Rechtsprechung sanktioniert werden. Eine Vergleichbarkeit der EuGH-Rechtsprechung im Lauterkeits- und Kartellrecht ist nicht ersichtlich. Gerade die in der Literatur wiederholte Annahme oder gar Tatsache, dass die §§ 63 ff. WpHG inhaltlich kein neues oder erweitertes Pflichtprogramm für die Wertpapierdienstleistungsunternehmen begründen würden, sondern an existierende

71

Einsele, ZHR 180 (2016), S. 233 (254); Calliess, NJW 2002, S. 3577 (3579); Classen, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 197 AEUV Rn. 44 (76. EL Mai 2017); Nettesheim, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Art. 192 AEUV Rn. 120 (44. EL Mai 2011). 72 Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (563). 73 Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (563). 74 Harnos, ZEuP 2015, S. 546 (559); Wagner, AcP 206 (2006), 2006, S. 352 (411 – 413).

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

Rechtsprechungsgrundsätze anknüpfen,75 spricht jedoch dafür, dass gerade eine rechtliche Ausstrahlung der Wohlverhaltenspflichten auf das Schuldverhältnis nicht notwendig ist. Aus diesem Grund ist es nicht erforderlich, die §§ 63 ff. WpHG im Rahmen einer rechtlichen Wirkung heranzuziehen. Denn dies würde zu einer bloßen Wiederholung der bereits vertragsrechtlich einzuhaltenden Pflichten führen, die zum einen im BGB und HGB niedergelegt sind und durch die Rechtsprechung zur Haftung für Kapitalanlagen weiter konkretisiert werden. Durch die Annahme einer bloß faktischen „Ausstrahlungswirkung“ über den Filter originär zivilrechtlicher Wirkungen kommt es durch die objektiven aufsichtsrechtlichen Mindeststandards bloß zu einer Konkretisierung des zivilrechtlichen Pflichtenprogramms, welches sich jedoch primär auf das vertragsrechtliche Pflichtengefüge stützt. Dadurch wird der Gefahr entgegengewirkt, dass sich die Zivilgerichte gewissen „Automatismen“ ausgesetzt sehen und so eine eigenständige Feststellung zivilrechtlicher Pflichten aushöhlen könnten.76 Es bleibt somit die Deutungshoheit der Zivilgerichte über das Vertragsrecht erhalten, ohne dass sie vom Aufsichtsrecht bereits vordiktiert wird. Spindler meint, dass das vom BGH mit Urteil vom 3. Juni 2014 postulierte umfassende aufsichtsrechtliche Transparenzgebot nunmehr mittelbar zu einer zivilrechtlichen Aufklärungspflicht führe und so die prinzipielle Trennung zwischen öffentlichem Aufsichtsrecht und zivilrechtlichem Vertragsrecht in Bezug auf die Zuwendungsproblematik aufgehoben sei.77 Der BGH habe so „über das Vehikel der generalisierend-konkludenten Vertragsauslegung“78 öffentlich-rechtliches Aufsichtsrecht in das Vertragsrecht einbezogen und so die vertragsrechtliche Aufklärungspflicht auf alle Produkte erstreckt, die nach dem Aufsichtsrecht von dem Transparenzgebot nicht mit erfasst waren.79 Es lässt sich jedoch argumentieren, dass der BGH durch das Urteil vom 3. Juni 2014 die konsequente Trennung von öffentlichem Recht und Zivilrecht nicht infrage gestellt hat und die Betonung des aufsichtsrechtlichen Transparenzgedankens unglücklich verpackt wurde. Denn wie die Ausführungen in Kapitel 4 gezeigt haben, ist der Grundsatz der Transparenz insbesondere in Bezug auf Zuwendungsfragen kein originär aufsichtsrechtlicher Gedanke, sondern seit Jahrzehnten bereits aus dem Zivilrecht bzw. Vertragsrecht entwickelt und verankert worden. Auch kann die rein aufsichtsrechtliche Begründung eines Transparenzgebotes, wie Spindler feststellt, zu Rechtsunsicherheit füh75

Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 80; Gaßner/Escher, WM 1997, S. 93 (94); Horn, ZBB 1997, S. 139 (150). 76 In diesem Sinne kann das Urteil des BGH vom 3. 6. 2014 – XI ZR 147/12 durchaus verstanden werden; vgl. auch Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG Rn. 83a. 77 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 330 f. 78 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 331. 79 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 331.

I. Das Transparenzgebot als allgemeiner zivilrechtlicher Rechtsgrundsatz

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ren, weil dieser umfassende Transparenzgedanke nunmehr auch für z. B. zu Anlagezwecken abgeschlossene Versicherungen zur Anwendung kommen könnte.80 Aus diesem Grund ist das Transparenzgebot nicht als umfassend im Sinne von unendlich zu betrachten, sondern seine Grundlagen und Maßstäbe sind einzugrenzen, wie in diesem Kapitel deutlich wird. Im Kern dominieren zwei Lösungsansätze, wie das Verhältnis des aufsichtsrechtlichen Transparenzgebotes zum zivilrechtlichen Grundsatz der Transparenz zu beschreiben ist. Das ist zum einen das Einheits- und zum anderen das Trennungsprinzip.81 Das Einheitsprinzip bezweckt eine nahtlose Angleichung von Aufsichtsund Zivilrecht, die zu einer Verklammerung beider Rechtsgebiete führen würde.82 Diese Verklammerung würde letztendlich zu einer einseitigen Ankoppelung des deutschen Vertragsrechts an das europarechtlich geprägte Aufsichtsrecht und somit zu einer „Prärogative der aufsichtsrechtlichen Normgebung“83 führen.84 Diesbezüglich lässt sich jedoch einwenden, dass es so in einigen Bereichen zu einer Überregulierung im Vertragsrecht kommen könnte.85 Auch würde die Flexibilität in Bezug auf Einzelfallentscheidungen verloren gehen. Denn das Vertragsrecht ermöglicht es, individuell auf den jeweiligen Einzelfall zugeschnittene ungeschriebene Bereichsausnahmen zuzulassen.86 Die Flexibilität des Vertragsrechts würde ebenso durch die starren Begrifflichkeiten des Aufsichtsrechts eingeschränkt, wodurch die Gefahr von Regelungsdefiziten besteht.87 Durch das Zivilrecht bleibt den Gerichten die Möglichkeit offen, flexibel auf die besonderen Vertragsverhältnisse und ihre teilweise individuellen Parteivereinbarungen in dem jeweiligen Einzelfall einzugehen, ohne sich an die starren Begrifflichkeiten zu binden und von diesen abhängig zu machen.88 Sofern eine Übertragung des aufsichtsrechtlichen Regelungsregimes auf das zivilrechtliche Pflichtenregime vom Gesetzgeber gewollt ist, muss dieser aktiv werden und ein entsprechendes Gesetz in die Wege leiten.89 Das Trennungsprinzip hingegen läuft auf eine eigenständige Fortgeltung des bestehenden Vertragsrechts neben dem Aufsichtsrecht hinaus.90 Für eine solche strikte Trennung von Aufsichts- und Vertragsrecht spricht, dass die europarechtlichen Vorgaben der MiFID-Regelungen immer tiefer von abstrakten Begrifflichkeiten 80

Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 333. 81 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 84. 82 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 84. 83 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 84. 84 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 84. 85 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 84. 86 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 84. 87 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 84. 88 Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 54. 89 Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, S. 54. 90 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 85.

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

geprägt sind, die sich in die typologische Erkenntnismethode des deutschen Vertragsrechts, das der konkrete Einzelfall zu beurteilen ist, nicht einfügen.91 Das Einheitsprinzip würde im Ergebnis „auf eine methodologische Selbstaufgabe der deutschen Zivilrechtsordnung“92 hinauslaufen. Ein weiteres Argument für die Trennung von Aufsichtsrecht und Zivilrecht resultiert aus dem Sinn und Zweck der aufsichtsrechtlichen Regelungen, dass diese in erster Linie auf behördliche Eingriffe und die Verfolgung von Regelungsverstößen als Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten abzielen, sodass es nicht nachvollziehbar wäre, warum sich das Haftungsregime des Vertragsrechts auf die gleichen Voraussetzungen beschränken sollte.93 Entscheidend ist mithin die Funktionsverteilung zwischen den drei Staatsgewalten, insbesondere das Verhältnis von Zivilrechtsprechung und der Exekutive, verkörpert durch die BaFin als Aufsichtsbehörde.94 Häufig gilt die Judikative in diesem Fall „als Lückenbüßer und Ersatzregulierer“95, was jedoch zum Nachteil hat, dass Regulierung durch Rechtsprechung insbesondere im Kapitalanlegerrecht sehr teuer, langsam und häufig plan- und richtungslos sei96. Dies spricht gerade für einen legislativen Akt, das private Kapitalanlagerecht positivgesetzlich zu verankern und eine Reform anzustreben. Die Rechtsprechung, aber auch die Wissenschaft, wird nicht in der Lage sein, das Verhältnis von Aufsichtsrecht und Zivilrecht bezüglich der Wohlverhaltenspflichten für alle Seiten zufriedenstellend zu lösen. In diesem Zusammenhang erscheint unter Umständen eine „Aktivierung und Effektuierung der Aufsicht unter Schaffung geeigneter Kompetenzgrundlagen“97 als Lösungsmöglichkeit, wobei gerade nicht nur platt das Aufsichtsrecht im Zivilrecht eins zu eins übertragen werden sollte, ganz nach dem Motto: Was im Aufsichtsrecht gilt, muss auch im Zivilrecht gelten.98 Die Unterteilung der Rechtsordnung in öffentliches Recht und Privatrecht bringt gewisse Systemspannungen mit sich, die aber als notwendige Konsequenz der Ge91

Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 85. Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 85. 93 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 85. 94 Diskussionsbeitrag von Köndgen, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 88; Diskussionsbeitrag von Grigoleit, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 95 f. 95 Diskussionsbeitrag von Köndgen, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 89. 96 Diskussionsbeitrag von Köndgen, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 89; Diskussionsbeitrag von Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 94. 97 Diskussionsbeitrag von Köndgen, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 90. 98 So etwa Diskussionsbeitrag von Köndgen, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 90. 92

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung

281

setzestechnik und als geringeres Übel im Vergleich zu einer „Gleichschaltungsautomatik“ von unterschiedlichen Sanktionsrahmen hinzunehmen sind.99 c) Zwischenfazit Für die Postulation und Geltung des allgemeinen Transparenzgebotes in Bezug auf die Offenlegung von Zuwendungen ist der aufsichtsrechtliche Transparenzgrundsatz aus §§ 63 Abs. 1 und 2, 70 WpHG nicht maßgeblich heranzuziehen. Aufsichtsrecht und Vertragsrecht stehen, die Zuwendungsproblematik betreffend, nebeneinander und ergänzen sich lediglich im Rahmen von aufsichtsrechtlichen und zivilrechtlichen Sanktionen, die nach den jeweiligen Voraussetzungen unabhängig voneinander zu bestimmen sind. Die aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltenspflichten können insofern als eine (unverbindliche) normative Inspirationsquelle für die Auslegung zivilrechtlicher Auslegungsspielräume angesehen werden.100

4. Zwischenergebnis Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass für die Postulation und Herleitung des Transparenzgebotes als allgemeiner Rechtsgrund im Hinblick auf die Offenlegung von Zuwendungen das Vertragsrecht und somit das Zivilrecht maßgeblich ist. Das aus dem Vertragsrecht resultierende, durch die Rechtsprechung vorgezeichnete und auf der Interessenwahrungspflicht stricto sensu beruhende Transparenzgebot wird durch die aufsichtsrechtlichen Vorschriften bestätigt, die verdeutlichen, dass sich der Grundsatz der Transparenz hinsichtlich der Zuwendungsproblematik verfestigt hat.

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung im Kapitalanlagerecht Nicht nur im öffentlich-rechtlichen Kapitalmarktrecht, sondern auch im zivilrechtlichen bzw. vertragsrechtlichen Kapitalmarktrecht haben sich in den letzten Jahrzehnten hohe Schutzstandards zugunsten von Anlegern, insbesondere von Privatanlegern, entwickelt, um den Informationsasymmetrien und dem fehlenden Fachwissen Rechnung zu tragen sowie die mit dem Anlagegeschäft verbundenen Risiken einzugrenzen.101

99

Grigoleit, ZHR 177 (2013), S. 264 (280). Grigoleit, ZHR 177 (2013), S. 264 (307). 101 Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 2 – 5. 100

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

Die drei im Rahmen einer Anlageberatung involvierten Parteien sind ökonomisch motiviert.102 Demnach hofft der Anleger auf eine positive Entwicklung seines Vermögens und der Anlageberater auf eine angemessene Vergütung für seine Beratungsleistung sowie ggfs. auf eine Beteiligung am Gewinn des Anlegers oder Emittenten.103 Der Emittent der Anlage möchte den Anlageberater möglichst dahingehend bestärken, seine Anlageprodukte zu empfehlen, weil auf dem Markt ein Wettbewerb um das Geld der Anleger herrscht.104 Dieser Wettbewerb um das Geld der Anleger wird dadurch verstärkt, dass die Emittenten versuchen, mit verschiedenen Anreizen und vor allem durch die Gewährung von Zuwendungen die Anlageberater zur Empfehlung ihres Anlageprodukts bzw. ihres Finanzinstruments zu bringen. Im Fokus der nachfolgenden Ausführungen steht nunmehr die konkrete Erwartung des einzelnen Anlegers im Hinblick auf die Gewährung und Annahme von Zuwendungen und die diesbezüglich erwartete Offenlegung bzw. Transparenz. Hierbei handelt es sich um einen kleinen Ausschnitt der eigentlichen Ziele und Motive des Anlegers. Denn zunächst werden die allgemeinen Ziele und Motive der Anleger und seine Erwartung in der bankbetriebswirtschaftlichen Literatur als ein „Magisches Dreieck der Vermögensanlage“105 von Rendite, Liquidität bzw. Verfügbarkeit und Sicherheit beschrieben.106 Doch tendieren immer mehr Anleger dazu mitentscheiden zu wollen, in welchen Bereichen ihr Geld angelegt werden soll, sodass man mittlerweile von einem Viereck, ergänzt um die Partizipation, sprechen kann.107 Die Partizipation des einzelnen Anlegers hängt jedoch von der getroffenen Vorauswahl des einzelnen Anlageberaters bzw. der anlageberatenden Bank ab, die häufig durch eine gewisse Provisionshöhe beeinflusst wird, sodass die Entscheidungsmöglichkeiten des Anlegers von vornherein eingeschränkt sind. Um die konkrete Anlegererwartung bezogen auf die Transparenz von Zuwendungen festzulegen, ist es erforderlich, zunächst die allgemeine Anlegererwartung zu eruieren, um so dann auch vor dem Hintergrund des Wechselspiels von provisionsbasierter Beratung und Honorarberatung bezogen auf das Transparenzgebot die Anlegererwartung dogmatisch einzuordnen.

1. Einführung Damit Anleger ihr Kapital auf dem Kapitalmarkt investieren, müssen sie darauf vertrauen können, dass ihnen zum einen alle relevanten Informationen zur Verfügung 102

Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung Rn. 9. Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung Rn. 9. 104 Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung Rn. 9, 18. 105 Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, § 675 BGB Rn. 279; Zahrte, in: MünchKommHGB, Band 6, Anlageberatung Rn. 11; Röttger, SchlHA 2013, S. 140 (145). 106 Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung Rn. 11. 107 Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Anlageberatung Rn. 12. 103

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung

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gestellt und sie zum anderen nicht übervorteilt werden.108 Hierfür ist es notwendig, dass die kapitalmarktrechtlichen Regelungen dieses Anlegervertrauen zunächst schaffen und sodann auch schützen.109 Grundlegend für die Herausbildung eines solchen Anlegervertrauens sind zwei wesentliche Aufgaben des Kapitalmarktrechts. Zunächst sind dem Anleger möglichst alle für den Wert eines Finanzinstruments relevanten Informationen zur Verfügung zu stellen. Denn nur so läuft der Anleger nicht Gefahr, dass er ein ungeeignetes oder überteuertes Finanzinstrument erwirbt und sein Kapital aus dem Markt enttäuscht abzieht.110 Diesbezüglich spielen die Informations- und Aufklärungspflichten eine wesentliche Rolle. Weiterhin muss in diesem Zusammenhang die Preisbildung am Kapitalmarkt geschützt und missbräuchliches Marktverhalten, durch zum Beispiel Marktmanipulation oder Insiderhandel, und somit die Übervorteilung einzelner Anleger unterbunden werden.111 Bevor jedoch näher auf die konkrete Anlegererwartung einzugehen und diese zu analysieren ist, muss zunächst geklärt werden, was unter dem Begriff des Anlegers zu verstehen ist. Wer oder was ist ein Anleger und vor allem was versteht man unter einem „verständigen Anleger“ sowie was ist zentral bei der Bestimmung des Anlegerbegriffs gerade vor dem Hintergrund des Anlegerschutzes zu berücksichtigen? Bei Anlegern handelt es sich nicht um eine homogene Gruppe, sondern ihre Schutzbedürftigkeit divergiert. Diesem Gesichtspunkt trägt die Anlegerkategorisierung in den §§ 67 ff. WpHG bereits Rechnung. Es wird in diesem Zusammenhang auch von einem europäisch geformten Anlegerleitbild gesprochen, wonach der Kunde eine informierte, eigenverantwortliche Anlageentscheidung treffen können soll.112 Wie sich dieses europäisch geprägte aufsichtsrechtliche Anlegerleitbild zu dem national geprägten zivilrechtlichen Anlegerleitbild verhält, das vorrangig durch die Judikatur des BGH geformt wurde, wird im Folgenden näher untersucht. Zunächst sind Anleger Käufer bzw. Verkäufer von Finanzinstrumenten, die ihr freies Kapital gewinnbringend entweder zum privaten Vermögensaufbau, zur Geldanlage oder Altersvorsorge sowie aus gewerblichen Gründen investieren möchten.113 Maßgebende Kriterien bei ihrer Anlageentscheidung sind in der Regel die Rendite und das Risiko des jeweiligen Finanzinstruments.

2. Der „verständige Anleger“ als Auslegungsmaßstab Wie einleitend in Kapitel 3 im Zusammenhang mit dem Norm- bzw. Schutzzweck der §§ 63 ff. WpHG n. F. ausgeführt, sind der institutionelle und der individuelle 108

Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 1. Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 1. 110 Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 2. 111 Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 2. 112 Bergmann, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 36. Kapitel, Effektengeschäft, Rn. 39; Fleischer, BKR 2006, S. 389 (395). 113 Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 16. 109

284

5. Kap.: Das Transparenzgebot

Anlegerschutz zwei Seiten derselben Medaille. Vor diesem Hintergrund ist nun die Bedeutung bzw. Rolle und Funktion des Anlegers als solche einzuordnen und zu bewerten, um dann die konkrete Anlegererwartung bzgl. der Offenlegung von Zuwendungen und somit hinsichtlich eines etwaig geltenden Transparenzgebotes erfassen zu können. Um den „verständigen Anleger“ charakterisieren und definieren zu können, sind vorab das kapitalmarktrechtliche Informationsmodell und seine Grenzen sowie Prämissen der Verhaltensökonomik heranzuziehen, bevor auf den Anlegerschutz an sich und den zivilrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Anlegerbegriff einzugehen ist. Denn nur so kann der Anleger, der sich nicht stets rational verhält,114 umfassend erfasst und verstanden werden. a) Grundlagen des kapitalmarktrechtlichen Informationsmodells und die Einflüsse der Verhaltensökonomik Lange Zeit herrschte der Gedanke der Lehre von der Informationseffizienz bzw. das kapitalmarktrechtliche Informationsmodell vor, wonach die Märkte so organisiert sein müssen, dass in ihnen Informationen möglichst effizient im Preisbildungsmechanismus verarbeitet werden.115 Der Anleger baut durch die gesetzlich verankerten Informationspflichten als zentrales Regelungselement Vertrauen in den Kapitalmarkt auf, wodurch der Gefahr entgegengewirkt werden kann, wirtschaftlich nachteilige Geschäfte abzuschließen.116 Dies gewährleistet die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte, sowohl des Primär- als auch des Sekundärmarktes.117 Nach Fama und der von ihm in diesem Zusammenhang aufgestellten Markteffizienzhypothese, der sog. „Efficient Capital Market Hypothesis“ (ECMH), ist ein Kapitalmarkt dann effizient, wenn die am Markt gegebenen Preise zu jeder Zeit vollkommen alle verfügbaren Informationen über das gehandelte Gut widerspiegeln.118 Es werden Unter- und Übertreibungen bei der Preisbildung korrigiert, indem institutionelle Investoren, die in der Fehlbewertung eines Teils der Marktteilnehmer eine Chance sehen, durch Gegengeschäfte sog. Arbitragegewinne zu erzielen.119 Durch diese 114 Ausführlich hierzu Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 90 – 134; Fleischer, ZBB 2008, S. 137 (139). 115 Fleischer/Schmolke/Zimmer, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Verhaltensökonomik als Forschungsinstrument für das Wirtschaftsrecht, S. 9 (32 – 38); Fama, J. Fin. 1991, S. 1575 (1575 f.); Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 Rn. 97; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (6), der dies auch für die Vereinigten Staaten von Amerika noch so feststellt. 116 Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 2, 29. 117 Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 29. 118 Fama, J. Fin. 1970, S. 383 – 417; Fama, J. Fin. 1991, S. 1575 (1575 f.); guter Überblick bei Klöhn, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 83 (84 f.); Klöhn, ZHR 177 (2013), S. 49 (352 – 358). 119 Klöhn, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 83 (84 f.); Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1287.

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung

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Gegengeschäfte würde der Marktpreis den wahren Wertverhältnissen angenähert und derjenige, der im Vertrauen auf den Marktpreis eine Anlage erwirbt, kann so nicht geschädigt werden. Dieser Gedanke, der auf dem Paradigma des „Homo oeconomicus“120 beruht, setzt einen rational handelnden Menschen voraus, der wiederum sein Verhalten stets anhand der (Kosten-)Folgen seiner Entscheidung beurteilt, folgend der sog. „REMHypothese“ des rational egoistischen Menschen.121 Das Informationsmodell, das auf der Vorstellung des Menschen als „Homo oeconomicus“ beruht, lag lange Zeit der anlegerschützenden Gesetzgebung zugrunde und prägte das bislang geltende „marktrational-optimistische“ Anlegerleitbild.122 Nach dem Informationsmodell wird dem einzelnen Anleger zugetraut, dass er seine rechtlichen Entscheidungen und so auch seine Anlageentscheidungen privatautonom und eigenverantwortlich im Rahmen der bestehenden Vertragsfreiheit treffen kann, wenn der künftige Vertragspartner ihm die für die Entscheidung notwendigen Informationen zur Verfügung stellt.123 Dies setzt jedoch voraus, dass der Anleger auch Defizite der zur Verfügung gestellten Informationen erkennt und demnach auch in der Lage ist, einen Vertragsschluss aufgrund der vorhandenen Informationen abzulehnen.124 Es handelt sich hierbei jedoch um ein Modell, das der Realität so nicht entspricht. Die neben die Markeffizienzhypothese tretende weitere theoretische Annahme, wonach sich der Anleger als sog. „Homo oeconomicus“ auf der Grundlage der wesentlichen Informationen stets rational verhalte, findet sich so in der Praxis nicht wieder.125 In der Realität handeln viele Anleger nicht nur aufgrund der ihnen zur 120 Zu diesem ausführlich Kerscher, Homo Oeconomicus und Menschenbild. Form und Wesen einer beachtenswerten Spannung, Marburg 2013; Kirchgässner, JZ 1991, S. 104 – 111; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 107 – 116. 121 Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 Rn. 97 f.; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 60; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 11 Rn. 1288; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 116 f.; Stahl, Information Overload am Kapitalmarkt, S. 50 f. 122 Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (96); Fleischer, in: FS Immenga, S. 575 (576); Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 9 f. 123 Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (96); Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 60; Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 10; Stahl, Information Overload am Kapitalmarkt, S. 52. 124 Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (96); Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 60. 125 Altmann/Falk/Marklein, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Eingeschränkt rationales Verhalten: Evidenz und Implikationen, S. 63 (65 – 71); Eidenmüller, JZ 2005, S. 216 (218 – 221); Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 Rn. 99; Fleischer/Schmolke/Zimmer, in: Fleischer/ Zimmer (Hg.), Verhaltensökonomik als Forschungsinstrument für das Wirtschaftsrecht, S. 9 (14 – 17); Kerscher, Homo Oeconomicus und Menschenbild. Form und Wesen einer beachtenswerten Spannung, Einleitung, S. 13 – 30; Kirchgässner, JZ 1991, S. 104 (106 f.); Mankowski, AcP 211 (2011), S. 154 (192); Möllers/Kernchen, ZGR 2011, S. 1 (7); Poelzig, Ka-

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

Verfügung gestellten bewertungsrelevanten Informationen, sondern orientieren sich häufig an Börsenkursen, folgen bestehenden Trends oder befeuern eine unbegründete Überbewertung von Finanzinstrumenten.126 In den Vereinigten Staaten von Amerika arbeitete in diesem Zusammenhang vor fast zwei Jahrzehnten die verhaltensorientierte Wirtschaftswissenschaft, die sog. Behavioral Finance, eine Reihe von Defiziten der zugrunde liegenden rationalen Verhaltensprämissen heraus.127 Diese Gedanken schwappten nach Europa und auch nach Deutschland und entfachten eine Diskussion darüber, inwiefern der Anlegerschutz und auch die Rolle des Anlegers dahingehend überdacht werden sollte und müsste.128 Im Rahmen dieser Arbeit kann die Entwicklung der Verhaltensökonomik generell, aber auch bezogen auf das Kapitalmarktrecht, nicht ausführlich umfassend ausgearbeitet werden. Für die Zwecke dieser Arbeit werden die Prämissen zusammenfassend dargestellt und auf den Zuwendungskonflikt angewandt. Ein rein rationales und vernunftorientiertes Denken und Handeln findet sich nicht bei dem Menschen. So sind stetige Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Informationsmodells gewachsen, insbesondere an dem bislang zugrunde liegenden Anlegerleitbild und dem durchschnittlich informierten, hinreichend verständigen, zu rationalen Entscheidungen fähigen Anleger.129 Im Kern geht es um die Infragestellung des „Homo oeconomicus“ als Leitbild für die Klassifikation des Anlegers und darum, diesen durch realistischere und empirisch stichhaltigere Alternativbilder zu pitalmarktrecht, § 1 Rn. 39; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 107, 117 f.; Sethe, AcP 212 (2012), S. 80 (91); Möllers/Poppele, ZGR 2013, S. 437 (446 f.) sprechen in diesem Zusammenhang von einem sog. „Homo oeconomicus light“. 126 Poelzig, Kapitalmarktrecht, 1. Teil, Rn. 32, 39 f. 127 Schleifer, Inefficient Markets, S. 1 – 27, 175 – 197; zur Rezeption aus deutscher Sicht vgl. Fleischer, in: FS Immenga, S. 575, 576 – 579; ausführlich Hacker, Verhaltensökonomik und Normativität: die Grenzen des Informationsmodells im Privatrecht und seine Alternativen, Tübingen 2017; Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 80 – 90; Eidenmüller, JZ 2005, S. 216 (223 f.); Koller, in: FS Huber, S. 821 (829); Mankowski, AcP 211 (2011), S. 154 (192); Möllers/Kernchen, ZGR 2011, S. 1 (7); Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 117 – 125; Sethe, AcP 212 (2012), S. 80 (91 f.); Spindler, in: FS Säcker, S. 469 – 485; klassisch Fama, J. Fin. 1970, S. 383 – 417; zu Bedeutung von behavioral finance und kognitiven Verzerrungen: Fama, Journal of Financial Economics 49 (1998), S. 283 – 306; Klöhn, ZHR 177 (2013), S. 349 (359 – 363); Klöhn, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 83 – 99; Fleischer/Schmolke/Zimmer, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Verhaltensökonomik als Forschungsinstrument für das Wirtschaftsrecht, S. 9 – 62; Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 6 Rn. 20 – 33. 128 Buck-Heeb, ZHR 176 (2012), S. 66 (86); Buck-Heeb, ZHR 177 (2013), S. 310 (325, 329); Koch, BKR 2012, S. 485 (491 f.); Möllers/Poppele, ZGR 2013, S. 437 (445 – 447); zu den Interessenkonflikte und den Leitbildern für die Haupteffizienzfragen: Grundmann/Hacker, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, S. 165. 129 Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 Rn. 98; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (7); Möllers/Kernchen, ZGR 2011, S. 1 (7); so auch schon Assmann, ZBB 1989, S. 49 (58 – 63); Stahl, Information Overload am Kapitalmarkt, S. 66 f.

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung

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ersetzen bzw. zu ergänzen.130 Das Herdenverhalten ist jedoch ein noch nicht einmal im Ansatz für die Vertragsrechtswissenschaften erschlossenes Forschungsfeld.131 Im Ergebnis muss zwischen Grenzen der kognitiven Verarbeitungskapazitäten und echten kognitiven Verzerrungen unterschieden werden („bounded rationality“ bzw. das Phänomen begrenzter Rationalität).132 Im Wesentlichen gibt es neun Irrationalitäten, die sich teilweise überschneiden: (1) die Informationsüberlastung („information overload“), (2) die Kontextabhängigkeit der Informationsaufnahme und -verarbeitung („framing“), (3) Verzerrungen bei der subjektiven Risikowahrnehmung („anchoring“), (4) der Zeitmoment bei der Risikowahrnehmung und -beurteilung, (5) der Besitzeffekt („endowment effect“), (6) der Effekt der Präferenzumkehr im Hinblick auf die Beurteilung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken und Gewinnen („reflection effect“), (7) der Dispositionseffekt hinsichtlich rentabler Anlagen, die als vermeintlich verlustbringend eingestuft werden („disposition effect“), (8) der Herdentrieb („herding“) und (9) die Selbstüberschätzung („overconfidence“).133 Der Kapitalmarkt ist in der Realität, damit auch in seinem Teilausschnitt der Anlageberatung und dem Wertpapierhandel, durch Informationsasymmetrien und ein damit einhergehendes erhebliches Informationsungleichgewicht geprägt.134 Informationsasymmetrien vor dem Vertragsschluss werden als adverse Selektion („adverse selection“) und die nach dem Vertragsschluss als moralisches Risiko („moral hazard“) bezeichnet.135 Diese Informationsasymmetrien ergeben sich vor allem aus dem Umstand, dass der Anleger die Qualität von Finanzinstrumenten nicht ohne Weiteres vor der Beratung allein oder vor dessen Kauf erkennen kann. Es handelt sich im Wesentlichen um Vertrauensgüter, bei denen auch nach einer intensiven Recherche entscheidende Eigenschaften unbekannt und somit dem Vertrauen überlassen bleiben.136 Vor allem den Klein- und Privatanlegern fehlen anders 130 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (7); Grundmann/Hacker, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Conflicts of Interest, Rn 7.21; Möllers/Kernchen, ZGR 2011, S. 1 (7 f.). 131 Grundmann, in: FS Hopt, S. 61 (68). 132 Eidenmüller, JZ 2005, S. 216 (218 f.); Grundmann/Hacker, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Conflicts of Interest, Rn. 7.21 – 7.24; Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (7) m. w. N.; Möllers/Kernchen, ZGR 2011, S. 1 (8); Koch, BKR 2012, S. 485 (486); Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 118 – 125. 133 Ausführlich Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 94 – 118; Koller, in: Assmann/Schneider/Mülbert, § 63 WpHG Rn. 3; Eidenmüller, JZ 2005, S. 216 (218 f.); Fleischer, in: FS Immenga, S. 575 (577); Fleischer/Schmolke/Zimmer, in: Fleischer/ Zimmer (Hg.), Verhaltensökonomik als Forschungsinstrument für das Wirtschaftsrecht, S. 9 (32 – 38); Mankowski, AcP 211 (2011), S. 154 (193 f.); Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (170 f.); Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 118 – 125; Spindler, in: FS Säcker, S. 469 (474 – 480); Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 6 Rn. 21 – 27. 134 Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 93 ff. 135 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 61 f. 136 Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 542.

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

als dem Emittenten die für eine sachgerechte Anlageentscheidung notwendigen Informationen. Wird diesen Informationsasymmetrien nicht entgegengewirkt, kann dies Akerlofs „market-for-lemons“-Phänomen137 nach sich ziehen. Denn fehlen Anlegern wesentliche Informationen, um die Qualität von Finanzinstrumenten zu beurteilen, sind sie lediglich bereit einen durchschnittlichen Preis für ein beliebiges Produkt zu zahlen, sodass am Ende die qualitativ hochwertigen Produkte aus dem Markt ausscheiden, weil es sich dann für den Emittenten nicht lohnt diese anzubieten. Diese Abwärtsspirale setzt sich dann fort, sodass auf lange Sicht nur noch die „lemons“ übrig bleiben und es zu Fehlallokationen auf dem Markt kommt und im schlimmsten Fall zu einem Marktversagen.138 Der Anlageberatung als Fremdinteressenwahrungsvertrag sind Informationsasymmetrien inhärent, weil der Interessenwahrer in der Regel über mehr Informationen verfügt als der Geschäftsherr und demnach die klassische „Prinzipal-Agent“Theorie139 greift.140 Die Lösung dieses Problems besteht jedoch nicht in einem Verbot von Interessenwahrungsverträgen, sondern lässt sich durch die für diese Verträge charakteristische Verhaltenspflicht der Interessenwahrungspflicht stricto sensu, als wichtigstes rechtliches Instrument, regulieren.141 Diese gilt mit ihrem strengen Pflichtenstandard, wie in den vorherigen Kapiteln bereits detailliert hervorgehoben, ausnahmslos für alle Interessenwahrer. Die Interessenwahrungspflicht trägt zum Schutz des Geschäftsherrn vor einem opportunistischen Verhalten des Interessenwahrers bei und führt zu geringeren Kontrollkosten bei dem Geschäftsführer.142 Relevant im Rahmen der kognitiven Verarbeitungskapazitäten ist primär der „information overload“,143 weil jenseits der Grenze Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, diese nicht mehr verarbeitet werden können, sondern die Qualität von Entscheidungen sogar tendenziell abnimmt.144 Die Diskussionen um einen etwaigen „information overload“ ist im Zusammenhang mit der Regulierung von Verhaltensund insbesondere von Informations- und Aufklärungspflichten von besonderer Be137

Akerlof, The Quarterly Journal of Economics 84 (1970), S. 488 – 500. Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 58; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 36. 139 Vgl. zu dieser u. a. Arrow, in: Pratt/Zeckhauser, Principals and Agents, S. 37 – 51; Erlei/ Schmidt-Mohr, in: Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Prinzipal-Agent-Theorie, S. 2546 – 2548; Fama/Jensen, J. L. & Econ 26 (1983), S. 301 – 325; Stiglitz, The New Palgrave Dictionary of Money & Finance, Vol. 3, Principal and Agent, S. 185 – 191; Munro/Stiglitz, The New Palgrave Dictionary of Economics, principal and agent (I) & (II), S. 637 – 644. 140 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 64. 141 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 65. 142 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 66. 143 Vgl. etwa Koch, BKR 2012, S. 485 – 493; Koller, in: FS Huber, S. 821 (824); ausführlich Möllers/Kernchen, ZGR 2011, S. 1 (6 – 12); Spindler, in: FS Säcker, S. 469 (474 – 476); Stahl, Information Overload am Kapitalmarkt, S. 68 – 79. 144 Edmunds/Morris, Int’l J. Info. Management 20 (2000), S. 17 – 28; Koch, BKR 2012, S. 485 (485); Müller-Christmann, in: Habersack/Mülbert/Nobbe et al. (Hg.), Bankrechtstag 2012, S. 1 (3). 138

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung

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deutung, weil zu beachten ist, dass Information in adäquate Größeneinheiten zu transformieren ist, damit nicht die Gefahr besteht, dass gerade die zentrale Information untergeht und nicht mehr wahrgenommen wird.145 Anleger sind nur begrenzt fähig Informationen effizient wahrzunehmen und diese zu verarbeiten, um sodann Entscheidungen zu treffen.146 Zudem hängen die Aufnahme und Verarbeitung von Information eng mit der Art und Weise, wie sie präsentiert wird, zusammen (sog. Framing- oder Rahmungseffekte).147 Darüber hinaus werden nicht alle möglichen zukünftigen Zustände von Anlegern mit den richtigen Wahrscheinlichkeiten gewichtet; besonders werden Nachteile häufig außer Acht gelassen, die nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit eintreten können.148 Es kommt insofern zu einer selektiven Wahrnehmung der Information und damit auch zugleich zu einer selektiven Wahrnehmung von Möglichkeiten.149 Nicht zu vernachlässigen ist in diesem Zusammenhang zudem die sog. Verfügbarkeitsheuristik („availability bias“), wonach bekannte Informationen bei Entscheidungen stärker wahrgenommen werden, weil diese subjektiv eher verfügbar sind und sich daher schneller aufnehmen und verarbeiten lassen.150 Die Überforderung des einzelnen Anlegers im Hinblick auf die Informationsfülle ergibt sich vor allem aus der Fülle und der Art und Weise der Darstellung der Information sowie der zeitlichen Komponente, also wann dem Anleger die Information zur Verfügung gestellt wird151 – geschieht dies erst kurz vor Vertragsschluss oder mit einem zeitlichen Vorlauf, so kann der Anleger sich ausreichend mit dem Inhalt der Information vertraut machen. Echte kognitive Verzerrungen können vor allem ein Verzicht auf ein Informationsmodell zur Folge haben, sodass paternalistische Eingriffe im Vordergrund stehen.152 Mit der Produktgovernance und den neuen Vorgaben zum Vergütungsregime, 145

Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (7). Grundlegend hierzu Simon, Q. J. Econ. 69 (1955), S. 99 – 118; ders., Psychol. Rev. 63 (1956), S. 129 – 138; Kahnemann/Tversky, Econometrica 47 (1979), S. 263 – 271; Kahnemann, Thinking, fast and slow, 2011, S. 363 ff.; Klöhn, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 87 Fn. 26; Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 100; guter Überblick und Zusammenfassung bei Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 70 – 80. 147 Altmann/Falk/Marklein, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Eingeschränkt rationales Verhalten: Evidenz und Implikationen, S. 63 (71 – 74); Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 72. 148 Mankowski, AcP 211 (2011), S. 154 (193 f.); Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 39 – 41. 149 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 73. 150 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 73; Mankowski, AcP 211 (2011), S. 154 (193 f.). 151 Koch, BKR 2012, S. 485 (486). 152 Buck-Heeb, ZHR 177 (2013), S. 310 (330); zu hier zentralen Formen von Verzerrungen (namentlich Überoptimismus und confirmation and perseverance bias) und denkbaren Strategien, ihnen zu begegnen, vgl. etwa Grundmann/Hacker, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, S. 165, 175 – 178 und 199 – 203; Giudici, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, Independent Financial Advice, Rn. 6.03 – 6.06; ausführlich zu Verhaltensanomalien und Paternalismus Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und 146

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

insbesondere der Einführung einer unabhängigen Honoraranlageberatung, sowohl auf nationaler Ebene bereits 2014 durch das Honoraranlageberatungsgesetz als auch auf europäischer Ebene durch die MiFID II, wird gerade das Informations- und Anlegerleitbild infrage gestellt, wonach Privatanleger die Informationen zur Passgenauigkeit der Anlageform für sich selbst bzw. die Informationen zu den Gefahren, die von Erwerbsinteressen bei den Angestellten der Wertpapierdienstleister ausgehen und die Hauptinteressenkonflikte bilden, nicht richtig einschätzen und adäquate Schlussfolgerungen ziehen können.153 Dieser Zusammenhang ist vor dem Hintergrund der Rechtsprechungsentwicklung, die noch immer eine allzu generische Aufklärung über Interessenkonflikte genügen lässt, besonders wichtig.154 Es müsse daher vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der Verhaltensökonomik eine explizitere Warnung und zielgenauere Benennung der Wirkmechanismen von Interessenkonflikten sowie ihrer Gefahren eingefordert werden.155 Daran wird deutlich, dass die Sichtweise des Begriffes des Anlegers von der Forschung zur Verhaltensökonomik und insbesondere zur „Behavioral Finance“ geprägt wird.156 Er wird dadurch teilweise sogar als typischer Verbraucher sowie als ein „finanzieller Analphabet“157, ein „Homo inferior“158, angesehen, der nicht in der Lage sei, den Nutzen einer finanziellen Entscheidung zu erfassen und richtig zu bewerten.159 Er verfügt zudem in der Regel nicht über das notwendige Finanzwissen und das damit zusammenhängende Vorstellungsvermögen, um die Risiken der einzelnen Kapitalanlagen abzuschätzen.160 Daraus folgt eine strukturelle Unterlegenheit des Anlegers im Verhältnis zu seinem Anlageberater.161 Auf den Punkt gebracht ist der Anleger zum einen fachlich überfordert und zum anderen wirtschaftlich unterlegen.162

Behavioral Finance, S. 149 – 153; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 133 – 158. 153 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (7). 154 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (7). 155 Grundmann, ZBB 2018, S. 1 (7). 156 Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (96); Klöhn, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 83 – 99; Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 100 – 102, 110 – 116; Lehmensiek-Starke, BKR 2012, S. 191 – 197; Zimmer, JZ 2014, S. 714 (715 – 717); Möllers/Kernchen, ZGR 2011, S. 1 (7 f.); Spindler, in: FS Säcker, S. 469 (474 – 484). 157 Märker/Hillesheim, ZRP 2009, S. 65 (68). 158 Fuchs, in: Fuchs, Vor §§ 31 ff. WpHG, Rn. 87. 159 Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (96). 160 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 9; Märker/Hillesheim, ZRP 2009, S. 65 (68). 161 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 9; Märker/Hillesheim, ZRP 2009, S. 65 (67); Müller-Christmann, in: Habersack/Mülbert/Nobbe et al. (Hg.), Bankrechtstag 2012, S. 1 (2); Stahl, Information Overload am Kapitalmarkt, S. 82 f. 162 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 9.

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung

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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Vertreter der „Bounded rationality“-Doktrin163 davon ausgehen, dass der Anleger nur bis zu einem bestimmten Grad bereit sei, Informationen zu erfassen und zu verarbeiten.164 Der Mensch sei kein nur rationales Wesen, sondern unterliege immer wieder Fehleinschätzungen und Selbstüberschätzungen, welche das Informationsmodell zunehmend infrage stellen, sodass dieses von Vertretern der Verhaltensforschung teilweise als gescheitert angesehen wird.165 Diese Erkenntnisse sind nicht neu, allerdings war lange Zeit unklar, welche Einsichten für die Rechtssetzung insbesondere im Kapitalanlagerecht daraus gezogen werden können.166 Eine Möglichkeit, die immer wieder vorgebracht wird, sind paternalistische Maßnahmen, denen jedoch wegen des verbundenen Markteingriffes mit erheblichen Bedenken begegnet wird.167 Durch paternalistische Maßnahmen wird darüber hinaus die Selbstverantwortung des Menschen, d. h. die Möglichkeit seiner Selbstbestimmung, eingeschränkt, sodass eine schleichende Entmündigung des Anlegers droht.168 Dagegen können paternalistische Maßnahmen aufgrund von präventiven Verboten zu einer Schadensreduzierung bzw. -vermeidung führen.169 Dies könne dann auch als Verbraucherschutz durch Aufsichtsrecht aufgefasst werden und bereits ex ante seine Wirkung entfalten und nicht erst ex post durch die zivilrechtlich garantierten schadensersatzrechtlichen Ansprüche.170 Insofern kann auch von einem „Schutz des Menschen vor sich selbst“171 gesprochen werden. Die normative Umsetzung der Erkenntnisse der „Behavioural Economics“ ist jedoch sehr schwierig, weil es bislang an allgemeingültigen Leitlinien fehlt.172 Zu den Auswirkungen auf die Bedeutung des Anlegerschutzes vor dem Hintergrund

163 Eidenmüller, JZ 2005, S. 216 (223 f.); Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 91 – 93; Koch, BKR 2012, S. 485 (485); Koller, in: FS Huber, S. 821 (825 f.); Koller, ZBB 2011, S. 361 (364 f.); Möllers/Kernchen, ZGR 2011, S. 1 (7 f.); Spindler, in: FS Säcker, S. 469 (474 – 480); Schön, in: FS Canaris, Bd. I, S. 1191 (1209 f.); Stürner, in: FS Canaris, S. 1439 (1491 – 1495). 164 Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (96); Hirte/Heinrich, in: KölnerKomm/WpHG, Einl. Rn. 24. 165 Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (96); Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 80 – 86. 166 Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (96); Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 139 – 149. 167 Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (96 f.). 168 Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (97). 169 Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (97). 170 Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (97). 171 Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (97). 172 Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 127 – 133; Diskussionsbeitrag von Spindler, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 115; Fleischer/Schmolke/Zimmer, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Verhaltensökonomik als Forschungsinstrument für das Wirtschaftsrecht, S. 9 (48 – 53) und Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 147 – 149, benennen schon konkrete Anwendungsmöglichkeiten im Bereich des Kapitalmarktrechts.

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

eines etwaigen Verbraucherschutzes und einem teilweise diskutierten Gleichlauf beider Schutzregime sogleich. Dies betrachtet vor dem Hintergrund des Zuwendungskonflikts verdeutlicht noch einmal mehr, von welch großer Bedeutung die Aufklärung über Interessenkonflikte und somit die Beachtung der Interessenwahrungspflicht ist. Interessenkonflikte können sich nämlich nicht nur auf den einzelnen Geschäftsherrn auswirken, sondern auch auf die gesamte Volkswirtschaft aufgrund der Schaffung und Verfestigung von Marktineffizienzen.173 Solche können aus einer Art Dominoeffekt herrühren, weil die Existenz eines Interessenkonfliktes zu Misstrauen führen kann, das sich auf andere Marktteilnehmer überträgt und dann verfestigt.174 Dadurch werden unter Umständen künftige Transaktionen nicht mehr getätigt und im schlimmsten Falle kann dies zu einem Marktversagen führen.175 Kurz zusammengefasst kann dies im Falle der Kapitalanlageberatung in Bezug auf die Zuwendungsproblematik dazu führen, dass es bei den Anlegern zu einem Vertrauensverlust in die Funktionsfähigkeit und Integrität des Kapitalmarktes kommt176. Dies kann wiederum zu Kapitalfehlallokationen und Wohlstandseinbußen führen.177 Diese kapitalmarkttheoretischen und verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde gelegt, wird nachfolgend sowohl dem zivilrechtlichen als auch dem aufsichtsrechtlichen Anlegerbegriff und seiner Bedeutung vor dem Hintergrund des Anlegerschutzes nachgegangen. Festzuhalten ist jedoch, dass die „Behavioral Finance“-Forschung noch in den Kinderschuhen bzw. in der Pubertät steckt und daher konkrete Handlungsempfehlungen für die Gesetzgebungs- und Rechtsprechungspraxis noch nicht möglich sind.178 Ihre Erkenntnisse sollten jedoch nicht außen vor bleiben. Allerdings können die bislang aus der Verhaltensökonomik abgeleiteten Erkenntnisse hinsichtlich der systematischen Rationalitätsdefizite noch nicht für eine ökonomische Modellbildung herangezogen werden, weil ein angenommenes oder festgestelltes Verhaltensdefizit von Menschen für sich noch keinen regulatorischen Eingriff begründet, sondern erst einmal nur die Frage aufwirft, wie man

173

Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 58. Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 58. 175 Bultmann/Hoepner/Lischke, Anlegerschutzrecht, S. 11; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 58. 176 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 58. 177 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 58. 178 Buck-Heeb, ZHR 176 (2012), S. 66 (86); Buck-Heeb, ZHR 177 (2013), S. 310 (325, 329); Fleischer, in: FS Immenga, S. 575 (586); Klöhn, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 83 (98 f.); Langenbucher, ZHR 177 (2013), S. 679 (683) m. w. N.; Riesenhuber, ZBB 2014, S. 134 (148); Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 132 f.; Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 6 Rn. 33; Spindler, in: FS Säcker, S. 469 (480 – 484), leitet jedoch schon mögliche normative Implikationen ab und schlägt Reformen und Verbesserungen des Anlegerschutzes im Lichte der Verhaltensökonomie vor. 174

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung

293

diesem allgemein begegnen kann.179 Vor dem Hintergrund der Privatautonomie und einer freiheitlichen Rechtsordnung ist es in erste Linie die Sache des Einzelnen aus seinen Fehlern zu lernen und einen Umgang mit seinen Defiziten zu finden.180 b) Der Anleger im Zivilrecht Einen einheitlichen Anlegerbegriff, ja gar ein einheitliches Anlegerleitbild, sucht man vergebens im Zivilrecht. Es ist zunächst jedoch vorab einzugrenzen, dass im Rahmen dieser Untersuchung nicht der „verständige“ Anleger bzw. das Anlegerleitbild des Primärmarktes von Bedeutung ist und daher die Vorgaben aus der MAR außen vor bleiben.181 Um den Anleger im Zivilrecht bezogen auf den Sekundärmarkt, d. h. im Rahmen der Kapitalanlageberatung, begrifflich erfassen zu können, ist die Rechtsprechung des BGH insbesondere unter Berücksichtigung der Bond-Rechtsprechung der Ausgangspunkt. Danach steht im Rahmen der anlegergerechten Beratung der konkret zu beratende Anleger im Fokus. Anleger ist demnach jemand der Geld anlegt und insofern Sachen oder Rechte zu dem Zweck erwirbt, an deren Wertentwicklung teilzuhaben und das Ziel verfolgt, den Gegenstand später unabhängig vom Anlageobjekt, Anlageziel und Anlagezeitraum zu liquidieren.182 Das vom BGH favorisierte Anlegerleitbild legt danach den hinreichend verständigen und durchschnittlich informierten, zu rationalen Anlageentscheidungen befähigten Anleger auf der Basis des Informationsmodells zugrunde.183 Dort wo es dem Kunden obliegt sich selbst zu informieren, enden die Aufklärungspflichten von Banken, sodass bestimmte Kenntnisse von Anlegern durchaus erwartet werden dürfen.184 Hierfür bezeichnend ist die Rechtsprechung zur Offenlegung von Gewinnmargen oder dem Provisionsinteresse von freien Anlageberatern. Diese Annahme wird vor dem Hintergrund der Theorie des beschränkt rationalen Verhaltens als realitätsfern eingestuft, wonach der Anleger in der Regel mangelhaft informiert ist und gewöhnlich nicht rational vorgeht und darüber hinaus seine Fähigkeiten überschätzt

179 Buck-Heeb, ZHR 177 (2013), S. 310 (328 f.); Klöhn, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 83 (98 f.); Klöhn, ZHR 177 (2013), S. 349 (385); Riesenhuber, ZBB 2014, S. 134 (148); Schäfer/ Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 132 f. 180 Riesenhuber, ZBB 2014, S. 134 (148); a. A. Koller, in: Assmann/Schneider/Mülbert, § 63 WpHG Rn. 4. 181 Vgl. hierzu ausführlich Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/1 3. Abschnitt, S. 272 – 515; Langenbucher, AG 2016, S. 417 – 422; Möllers/Steinberger, NZG 2015, S. 329 (331 – 334); Veil, ZBB 2006, S. 162 – 171. 182 Riesenhuber, ZBB 2014, S. 134 (135). 183 Buck-Heeb, ZHR 176 (2012), S. 66 (70); Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 Rn. 97; Herresthal, ZIP 2013, S. 1049 (1051, 1054); Langenbucher, ZHR 177 (2013), S. 679 (680); Veil, ZBB 2006, S. 162 (171). 184 Buck-Heeb, ZHR 176 (2012), S. 66 (90 f.).

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

und risikoavers agiert.185 Der BGH hat in seiner Zinswette-Entscheidung jedoch etwas eingelenkt und sich vom gesetzgeberischen Grundkonzept des informationsbasierten Anlegerschutzes abgewandt sowie das Risiko, dass der Anleger sehenden Auges ein Geschäft schließt, das er nicht versteht, auf die Bank verlagert.186 Daran wird deutlich, dass sich die Rechtsprechung bemüht, die begrenzte Rationalität in ihre Urteilsfindung miteinzubeziehen, auch wenn sie einen einfachen Weg wählt und die beratende Bank in die Pflicht nimmt und den Anleger aus der Verantwortung entlässt.187 Der Anlageberater steht damit in der Pflicht zu beurteilen, ob der Anleger die Risiken des Geschäfts einschätzen und damit umgehen kann oder nicht und muss darauf basierend eine Anlegeempfehlung abgeben. Dies würde in letzter Konsequenz zu einem faktischen Verbot bestimmter Finanzanlagen für eine gewisse Gruppe von Anlegern führen und damit einen paternalistischen Eingriff in die Vertragsfreiheit bedeuten.188 Der ideale Anleger kann somit als Phantom angesehen werden, der nicht fähig wäre, den hochkomplexen heutigen Kapitalmarkt und dessen Produkte in einem ausreichenden Maß zu verstehen.189 Diesem Problem kann jedoch nicht durch weitere immer umfangreichere Informationspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen Rechnung getragen werden, weil dies erst Recht zu einer Informationsüberlastung der Anleger, insbesondere der privaten Anleger, führen würde.190 Teilweise wird vorgeschlagen, dem unter anderem durch Produktverbote, eine Beschränkung des Marktzugangs, aber auch durch die umfassende Aktivierung des Zivilrechtes zum Schutze der privaten Anleger entgegenzuwirken.191 Hier könnte vor allem ein Ansatzpunkt für die Lösung der Zuwendungsproblematik liegen, womit jedoch nach der hier vertretenen Auffassung nicht gemeint ist, dass das Aufsichtsrecht im Zivilrecht aktiviert werden sollte, sondern das vorhandene Haftungs- und Aufklärungsregime des Vertragsrechts konsequent angewendet werden sollte. Emmerich schlägt diesbezüglich vor, die klassischen Instrumente des BGB in den §§ 134, 138, 305 ff., 762 und 826 BGB anzuwenden.192 Die Autonomie des Privatrechts sollte stets betont und aufrechterhalten werden, sodass das Aufsichtsrecht

185

Buck-Heeb, ZHR 177 (2013), S. 310 (325); Buck-Heeb, ZHR 177 (2013), S. 310 (336); Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 Rn. 98 f.; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 71. 186 BGH, Urt. v. 22. März 2011 – XI ZR 33/10, BGHZ 189, S. 13 (18 f.); Herresthal, ZIP 2013, S. 1049 (1053 f.); ausführlich zum Spread-Ladder-Swap-Urteil Grigoleit, in: Habersack/Mülbert/Nobbe et al. (Hg.), Bankrechtstag 2012, S. 25 – 64. 187 Koch, BKR 2012, S. 485 (488). 188 Koch, BKR 2012, S. 485 (490). 189 Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 Rn. 99. 190 Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 Rn. 99. 191 Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 Rn. 99; Märker/Hillesheim, ZRP 2009, S. 65 (69); krit. Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (90 f., 98 f.); Zimmer, JZ 2014, S. 714 (717 f., 721). 192 Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 Rn. 99.

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung

295

das Zivilrecht in keiner Weise bindet, sondern nach zivilrechtlichen Grundsätzen die Pflichten einzuhalten sind.193 In diesem Zusammenhang ist außerdem zu betonen, dass etwaige modellhaft konstruierte Anlegerleitbilder nicht zu einer näheren Konkretisierung des Anlegerbegriffes beitragen.194 Insbesondere vor dem Hintergrund der Verhaltensökonomik treten die kognitiven Verzerrungen von Anleger zu Anleger in einem unterschiedlichen Grad auf und können daher nicht allgemeinverbindlich auf alle Anleger in der von ihnen konkret zu treffenden Anlageentscheidung übertragen werden. Leitbilder sind zudem lediglich Hilfsmittel zur bildhaften Zusammenfassung der den einzelnen Regeln zugrunde liegenden Prinzipien, die jedoch keine eigenständige, höchstens praktische Funktion aufweisen und auch in der juristischen Methodenlehre keinen eigenständigen Platz haben.195 c) Der Anleger im Aufsichtsrecht Für den Anlegerbegriff im Wertpapierhandelsgesetzbuch und somit im Kapitalmarktrecht ist die Kundenklassifizierung im Sinne des § 67 WpHG Ausgangspunkt. Die konkret geforderten Verhaltens- und Informationspflichten werden dabei durch die (typisierte) Schutzbedürftigkeit des Kunden bestimmt, wodurch eine stärkere Unterscheidung im Schutzstandard ermöglicht wird.196 Durch die MiFID II gab es lediglich im Hinblick auf geeignete Gegenparteien gem. § 31b WpHG a. F., nunmehr § 68 WpHG, Änderungen, sodass sich an dem allgemeinen Kunden- bzw. im weiteren Sinne auch Anlegerbegriff nichts geändert hat.197 Maßgeblich lässt sich festhalten, dass sich durch die Kasuistik der Schutzstandard der einzelnen Kundengruppen nicht individualvertraglich absenken oder komplett abbedingen lässt und § 67 WpHG insoweit eine abschließende Regelung darstellt.198 Unter den allgemeinen Kundenbegriff gem. § 67 Abs. 1 WpHG fallen alle natürlichen und juristischen Personen, für die Wertpapierdienstleistungsunternehmen Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen erbringen oder anbahnen. Die Unterscheidung des Kundenbegriffs erfolgt in einem nächsten Schritt durch eine Zweiteilung zwischen professionellen Kunden im Sinne des § 67 Abs. 2 WpHG und Privatkunden im Sinne des § 67 Abs. 3 WpHG, wobei die „geeigneten Gegenparteien“ im Sinne des § 67 Abs. 4 WpHG als Sonderfall der professionellen 193 Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 Rn. 99; so auch Grigoleit, ZHR 177 (2013), S. 269 (279 ff.); Buck-Heeb, ZHR 177 (2013), S. 310 (317). 194 Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (181); so auch Riesenhuber, ZBB 2014, S. 134 (145 f.); Stahl, Information Overload am Kapitalmarkt, S. 55. 195 Riesenhuber, ZBB 2014, S. 134 (145 f.). 196 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 11 Rn. 880; Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil E. Rn. 232; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 24 Rn. 792. 197 Kurz, DB 2014, S. 1182 (1185). 198 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil E. Rn. 232.

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

Kunden angesehen werden können199. Nach Art. 45 DelVO 2017/565 sind die Anleger bzw. Kunden über ihre Kundeneinstufung zu informieren. Die professionellen Kunden gem. § 67 Abs. 2 S. 1 WpHG sind Kunden, bei denen das Wertpapierdienstleistungsunternehmen davon ausgehen kann, dass sie über ausreichende Erfahrungen, Kenntnisse und Sachverstand verfügen, um ihre Anlageentscheidungen zu treffen und die damit verbundenen Risiken angemessen beurteilen zu können. In § 67 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 – 5 WpHG wird eindeutig aufgezählt, wer konkret als professioneller Kunde gilt. Darunter fallen schwerpunktmäßig institutionelle Anleger, Kreditinstitute sowie Wertpapierfirmen und sonstige zugelassene oder beaufsichtigte Finanzinstitute und Finanzdienstleister.200 Die Einstufung als Privatkunde ist unter den Voraussetzungen des § 67 Abs. 6 WpHG durch ein sog. Opt-in möglich; diese gelten sodann als sog. fakultative „gekorene“ professionelle Kunden.201 Der Privatkunde muss dann jedoch gem. § 67 Abs. 6 S. 2 WpHG nachweisen, dass er aufgrund seiner Erfahrung, Kenntnisse und seines Sachverstandes in der Lage ist, generell oder für eine bestimmte Art von Geschäften eine Anlageentscheidung zu treffen und die damit verbundenen Risiken angemessen zu beurteilen. Darüber hinaus muss er gem. § 67 Abs. 6 S. 3 WpHG zwei der drei genannten Kriterien erfüllen und nachweisen können, dass er bereits berufliche und geschäftliche Erfahrungen am Kapitalmarkt und ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung hat. Dieser Statuts bzw. die Erlangung dieses Status setzt neben einer Willenserklärung des Kunden voraus, dass mindestens zwei der in Anhang II der MiFID II unter II. 1. normierten Eignungskriterien erfüllt werden und das Wertpapierdienstleistungsunternehmen sich des hinreichenden Sachverstandes des Kunden versichert hat.202 Ein freiwilliger Verzicht des Privatkunden auf den Schutz des § 67 WpHG ist jedoch unter keinen Umständen möglich203, sodass die Geltung des § 67 WpHG daher zwingend ist. Darüber hinaus muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen bestimmte Informationspflichten und Transparenzvorgaben hinsichtlich des Status gewährleisten, insbesondere in Bezug auf die Einordnung und die Möglichkeit der Änderung dieser Einordnung und der daraus resultierenden Rechtsfolgen.204 Es ist jedoch auch für sog. „geborene“ professionelle Kunden aus § 67 Abs. 2 S. 1 WpHG möglich, sich nach § 67 Abs. 2 S. 1 WpHG im Wege eines sog. Opt-in durch vertragliche Vereinbarung als Privatkunde einstufen zu lassen.205 199

Duve/Keller, BB 2006, S. 2425 (2428). Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil E. Rn. 233. 201 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil E. Rn. 235; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 24 Rn. 794; Seyfried, WM 2006, S. 1375 (1376 f.). 202 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil E. Rn. 235. 203 Weichert/Wenninger, WM 2007, S. 627 (629); Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 11 Rn. 880. 204 Grundmann, in: Staub/GroßkommHGB, Bd. 11/2 8. Teil E. Rn. 235. 205 Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 24 Rn. 793; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 11 Rn. 881 f., die von einem „Opt-out“ spricht. 200

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung

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Die geeigneten Gegenparteien i. S. v. § 68 WpHG sind gem. § 67 Abs. 4 S. 1 WpHG unter anderem Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Versicherungen, Regierungen und Zentralbanken, die aufgrund ihrer professionellen Erfahrung am wenigsten schutzbedürftig sind.206 Nach § 68 Abs. 1 S. 1 WpHG müssen bei Finanzkommissionsgeschäften, der Anlage- und Abschlussvermittlung und dem Eigenhandel bestimmte Wohlverhaltenspflichten, darunter insbesondere die Interessenwahrung gem. § 63 Abs. 1 WpHG sowie das Zuwendungsverbot aus § 70 WpHG, nicht eingehalten werden. Im Ergebnis erfolgt im Aufsichtsrecht eine individuelle Typisierung der Anlegergruppen unter Berücksichtigung ihrer bisherigen Kenntnisse und Erfahrungen mit Anlageprodukten anhand der einzelnen Kategorien Erfahrung, Kenntnis und Sachverstand; hiernach erreichen Anleger das höchste Schutzniveau, die den geringsten Sachverstand und die geringste Erfahrung aufweisen.207 d) Bedeutung des Anlegerbegriffs vor dem Hintergrund des Anlegerschutzes Nicht nur das Kapitalmarktrecht, sondern auch der Anlegerschutz als solcher hat sich aus den „bescheidensten Anfängen zu einem großen und selbständigen Rechtsgebiet entwickelt“208. Vor allem für Rechtsprechung und Gesetzgebung hat der Anlegerschutz immer mehr an Bedeutung gewonnen.209 Interessanterweise hat Assmann bereits 1989 festgestellt, dass die Häufigkeit des Gebrauchs des Begriffes Anlegerschutz keineswegs in einem ausgewogenen Verhältnis zur Klärung der konzeptionellen Grundlagen steht.210 Das lässt sich selbst 30 Jahre später noch immer so feststellen, trotz der vielfältigen europäischen und nationalen Reformen. Mülbert spricht in diesem Zusammenhang von einem zwar volljährigen, aber nicht ausgereiften Anlegerschutzrecht.211 Denn der Anlegerschutz selbst ist breit gefächert und eine entscheidende Komponente des Kapitalmarktrechts.212 Der Anlegerschutz als solcher, aber auch der Anlegerbegriff, sind daher näher einzugrenzen und zu definieren. Es gibt sechs maßgebliche Gründe für einen ausgeprägten Anlegerschutz, sowohl auf institutioneller als auch auf individueller Ebene: (1) sozialpolitisch zur Sicherung der Altersvorsorge, (2) gesellschaftspolitisch mit Blick auf den Ausgleich oder (3) die Streuung des Eigentums an Produktionsmitteln, (4) wachstumspolitisch zur Stimulierung der privaten Spar- und Investitionsneigung, sowohl (5) wettbewerbs206 207 208 209 210 211 212

Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 24 Rn. 795. Bultmann/Hoepner/Lischke, Anlegerschutzrecht, S. 9. Hopt, WM 2009, S. 1873 (1873). Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (162). Assmann, ZBB 1989, S. 49 (49). Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (163 f.). Bultmann/Hoepner/Lischke, Anlegerschutzrecht, S. 1.

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

politisch zur Verbesserung der Konkurrenz zum Risikokapital als auch (6) wirtschaftspolitisch zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung von Unternehmen und wohlfahrtspolitisch für eine effiziente Allokation von Kapital.213 Diese sechs Motive nehmen Einfluss auf das Verhalten potenzieller Anleger, indem Anreize im Sinne einer Risikoverringerung eines durchaus riskanten Verhaltens geschaffen werden.214 Daran anknüpfend lassen sich im Wesentlichen drei Regelungsstrategien zum Anlegerschutz ermitteln: (1) die Entlastungstrategie mit der Minimierung anlagetypischer Risiken durch den Abbau von Macht- und Informationsasymmetrien, (2) die Umverteilungsstrategie und die Abwälzung von Risiken auf die Marktteilnehmer und (3) die Vermeidungsstrategie im Rahmen derer anlegerbezogene Risiken durch institutionelle Grenzen des Kapitalmarktes und subjektbezogene Markteintrittsschranken vermieden werden.215 Neben der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes im Rahmen des institutionellen Anlegerschutzes ist ein weiteres Ziel der individuelle Anlegerschutz.216 Zentral hierbei ist, dass diese beiden wesentlichen Ziele nicht unabhängig und losgelöst voneinander zu betrachten sind, sondern sich gegenseitig bedingen sowie ergänzen und, um es mit Hopt zu sagen, „zwei Seiten derselben Medaille“ bzw. „ein System kommunizierender Röhren“ sind.217 Anlegerschutz dient zudem „der Notwendigkeit und Möglichkeit eines Unternehmensverhaltensrechts zur rechtlichen Bindung wirtschaftlicher Macht“218. Die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte soll hier nicht näher Gegenstand der Arbeit sein; diese wird in gewisser Weise vorausgesetzt. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem individuellen Anlegerschutz, aus dem heraus die Anlegererwartung in Bezug auf die Transparenz von Zuwendungen zu entwickeln ist. aa) Institutioneller Anlegerschutz Ein wesentliches Ziel des Kapitalmarktrechts ist die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes, welche sich in die allokative, institutionelle und operationale Funktionsfähigkeit unterteilen lässt.219 Wo die allokative Funktionsfähigkeit gewährleisten soll, dass das anlagefähige Kapital der Anleger dort investiert wird, wo es 213

Assmann, ZBB 1989, S. 49 (52). Assmann, ZBB 1989, S. 49 (52). 215 Bultmann/Hoepner/Lischke, Anlegerschutzrecht, S. 4; Vogel, Vom Anlegerschutz zum Verbraucherschutz, S. 138 f. 216 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 55 f., 219 – 221; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 29 f.; Spindler, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, 33. Kapitel, Grundlagen, Rn. 5. 217 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 51 f., 224, 337; Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135 (159); Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 29. 218 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 15. 219 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 336 f.; Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (172); Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 25 – 29. 214

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung

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am dringendsten benötigt wird und die größten Gewinnaussichten bei ausreichender Sicherheit verspricht, soll die institutionelle Funktionsfähigkeit das Vertrauen der Anleger in die Integrität und Stabilität der Kapitalmärkte durch die Gewährleistung der Grundbedingungen für einen funktionsfähigen Kapitalmarkt stärken und im Rahmen der operationalen Funktionsfähigkeit die Allokation des Kapitals zu möglichst geringen Transaktionskosten erfolgen.220 Auf den Punkt gebracht umfasst der institutionelle Anlegerschutz in erster Linie den Schutz der Gesamtheit der Anleger als Anlegerpublikum vor drei wesentlichen Risiken: dem Bestandsrisiko, dem Informationsrisiko und dem Konditionenrisiko.221 Denn für den Anleger besteht zunächst die Gefahr, dass die Anlage in ihrer Substanz vollständig oder teilweise verloren geht, er aufgrund unzureichender Informationen eine für ihn nicht passende bzw. sachgerechte Anlageentscheidung trifft oder Anlagen zu nicht marktgerechten Konditionen erwirbt.222 Kurz und knapp gewährleistet der institutionelle Anlegerschutz die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte zur Stärkung des Anlegervertrauens. bb) Individueller Anlegerschutz Dreh- und Angelpunkt bei der Gewährleistung des individuellen Anlegerschutzes ist die Möglichkeit des Anlegers, eine optimale Anlageentscheidung treffen zu können.223 Der Fokus liegt mithin auf den Individualinteressen des einzelnen Anlegers.224 Diese setzen im Wesentlichen drei Faktoren voraus: (1) die Endvermögensbzw. Renditemaximierung, (2) die passende Anlagestrategie für das gewünschte Anlageziel und (3) die Berücksichtigung der individuellen Risikoneigung oder Risikopräferenz eines Anlegers.225 Hackethal/Meyer sprechen in diesem Zusammenhang für einen Anlegerschutz, der zugleich auf einen Anlegernutzen abzielt, von einer Bringschuld der Wertpapierdienstleistungsunternehmen, kompetente Berater zu beschäftigen, die hochwertige Produkte auswählen und die notwendigen Informationen bereitstellen und von einer Holschuld der Anleger, die ein Grundverständnis von Rendite und Risiko mitbringen sollten, wobei zusätzlich das Leistungsversprechen transparent eingehalten werden sollte.226 Maßgeblich wurde bereits herausgearbeitet, dass insbesondere bei der Formulierung des Anlageziels sowie der Auswahl der dazu passenden Anlagestrategie 220

Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 336 f. Deckert/von Rüden, EWS 1998, S. 46 (49); Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 53 f., 338; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 27. 222 Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 71 f.; Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 27. 223 Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (165); Klingenbrunn, WM 2015, S. 316 (320). 224 Deckert/von Rüden, EWS 1998, S. 46 (49). 225 Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (166). 226 Hackethal/Meyer, ZVglRWiss 113 (2014), S. 574 (574). 221

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

Fehler und Unvollkommenheiten im menschlichen Entscheidungsverhalten auftreten.227 Diesen ist im Rahmen eines effektiven individuellen Anlegerschutzes zu begegnen. Die Erkenntnisse der Verhaltensökonomik dürfen dabei nicht außen vor gelassen werden. Denn der individuelle Schutz des einzelnen Anlegers wird vor allem dadurch gewährleistet, dass die bestehenden Informationsasymmetrien verhindert bzw. ausgeglichen werden, damit es zu keinem informationsbedingten Marktversagen kommen kann.228 Es müssen daher insbesondere die individuellen Entscheidungsdefizite durch allgemeingültige Regeln kompensiert werden, um das Vertrauen der Anleger in die Kapitalmärkte zu erhalten, sodass diese bereit sind, ihr Kapital zur Erhöhung der Liquidität der Märkte zu investieren.229 Das bedeutet vor dem Hintergrund der Bond-Rechtsprechung, dass sich die Bank aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Informationsfülle den „information overload“ der Anleger nicht zunutze macht und Anleger durch das gezielte Filtern und „Framen“ von Informationen manipulativ beeinflusst.230 Das Verhältnis des individuellen Anlegerschutzes zum institutionellen Anlegerschutz ist von der Wissenschaft und Rechtsprechung nicht abschließend geklärt231, wobei der Individualschutz nicht nur als Instrument des Funktionsschutzes aufzufassen ist, sondern auch einen eigenen Stellenwert hat. Denn der individuelle Anlegerschutz kann vor allem eigenständige Gerechtigkeitswerte verwirklichen und gewährleisten,232 da dieser nicht nur die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes als solchen im Blick hat, sondern den einzelnen Kapital investierenden Anleger. Ob und inwieweit das Kapitalmarktrecht im Allgemeinen und die Normen des Wertpapierhandelsgesetzes im Besonderen auch einen individuellen Anlegerschutz und somit den Schutz eines jeden einzelnen Anlegers gewährleisten, ist eine der zentralen Fragen des Kapitalmarktrechts.233 Diese Frage lässt sich jedoch nicht pauschal beantworten, sondern ist für jede einzelne Norm des Wertpapierhandelsgesetzes gesondert dahingehend zu klären, ob sie tatsächlich dem Interesse des einzelnen Anlegers zu dienen bestimmt ist. Im Rahmen der Auslegung der einzelnen Normen des Wertpapierhandelsgesetzes sind neben dem klassischen Auslegungskanon, Wortlaut – Systematik – Schutzzweck – historischer Zusammenhang, auch die richtlinienkonforme Auslegung und somit die europäischen Vorgaben der einzelnen Normen aus der MiFID II zu berücksichtigen.

227

Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (169 f.). Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (173). 229 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 52; Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (173). 230 Koch, BKR 2012, S. 485 (486, 492). 231 Ausführlich hierzu Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (171 – 177). 232 Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (177). 233 Poelzig, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 30. 228

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung

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cc) Zwischenfazit Der Anlegerschutz wurde durch die Vorgaben der MiFID II inhaltlich verstärkt, aber dennoch lässt sich kritisch anmerken, dass vor allem unerfahrene Anleger nach wie vor nicht ausreichend geschützt werden und Privatanleger, die durchaus über Kenntnisse von den Risiken eines Produkts verfügen, zu sehr geschützt werden.234 Diese Kritik verfängt durchaus, wenn man bedenkt, dass nach wie vor die Erkenntnis aus der Verhaltensökonomik und der Theorie des beschränkt rationalen Verhaltens bei der Gesetzgebung nicht ausreichend berücksichtigt werden. Idealerweise müsste sich das Anlegerschutzrecht darauf beschränken, die Voraussetzungen für eine optimale und eigenverantwortliche Anlageentscheidung zu schaffen, was jedoch voraussetzt, dass der Anleger die vielfältigen Anlagerisiken antizipieren und durch die entsprechende Gestaltung der Finanzierungsbeziehungen neutralisieren kann.235 Es ist daher wichtig, dass sich, unabhängig von allgemeinen Anlegerleitbildern, ein effektives Anlegerschutzrecht an den realen Anlegern, die von Entscheidungsdefiziten geprägt sind, orientiert.236 Der Frage, ob der individuelle Anlegerschutz zugleich als ein originärer Verbraucherschutz aufzufassen ist, wird im Folgenden geklärt. e) Anlegerschutz als Verbraucherschutz Eine verstärkt diskutierte und immer wieder thematisierte Frage ist, ob der Anlegerschutz mit Verbraucherschutz gleichgesetzt werden kann bzw. ob der Verbraucherschutz im Kapitalanlagerecht überhaupt eine ausreichende Berücksichtigung erfährt.237 Die Annahme, dass Anlegerschutzrecht zugleich auch Verbraucherschutzrecht sei, wird darauf gestützt, dass der Anleger als schwächere Vertragspartei einen stärkeren Schutz durch zwingendes Gesetzesrecht erfahren sollte.238 Teilweise wird gar von einem Verbraucherrecht ohne Verbraucher gesprochen.239 Dem Verbraucherschutz inhärent ist die Annahme eines Ungleichgewichts zwischen den Vertragsparteien, wenn eine nach dem funktionalen Verbraucherbegriff des § 13 BGB eingestufte Partei und ein Marktanbieter aufeinander treffen.240 Danach soll der Verbraucher zunächst ausreichende sach- und fachkundige Informa234

Buck-Heeb, ZBB 2014, S. 221 (232). Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (164). 236 Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (210). 237 Vgl. Buck-Heeb, ZHR 176 (2012), S. 66 (66, 69 f.); Metz, in: FS Nobbe, S. 883 – 905; Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (180 f.); Riesenhuber, ZBB 2014, S. 134 – 149; Vogel, Vom Anlegerschutz zum Verbraucherschutz, S. 142 – 148. 238 Bultmann/Hoepner/Lischke, Anlegerschutzrecht, S. 2. 239 Vgl. die Überschrift des Beitrages von Engel/Stark, ZEuP 2015, S. 32. 240 Buck-Heeb, ZHR 176 (2012), S. 66 (72). 235

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

tionen erhalten und damit einhergehend ohne Zwang, Täuschung oder Irreführung eine überlegte Konsumentenentscheidung treffen.241 Dies hat zur Folge, dass der Verbraucher, anders als der Anleger, der durchaus widersinnige oder unvernünftige Anlagegeschäfte tätigen kann, auch vor unüberlegten Geschäftsabschlüssen und Spontankäufen, bei z. B. Geschäftsabschlüssen außerhalb von Geschäftsräumen oder Fernabsatzgeschäften, geschützt wird.242 Einführend lässt sich diesbezüglich zunächst festhalten, dass der Anleger als Privatkunde selbstverständlich zugleich auch Verbraucher im Sinne des § 13 BGB sein kann. Gemäß § 13 BGB ist ein Verbraucher jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Dies greift jedoch auf den ersten Blick nicht für professionelle Anleger oder geeignete Gegenparteien, um mit den Begriffen des Aufsichtsrechts zu sprechen, weil diese Anlegergruppen erst einmal den Anschein erwecken, einer selbstständigen oder gewerblichen Tätigkeit nachzugehen. Es ist aber gerade nicht ausgeschlossen, dass diese Gruppen auch für ihre privaten Zwecke, z. B. zur eigenen Altersvorsorge, Kapital anlegen wollen. Es ist daher eine weitere Differenzierung erforderlich, inwiefern die situative Schutzbedürftigkeit von Anlegern mit Verbrauchern, die Konsumgüter anschaffen, vergleichbar ist.243 So ließe sich argumentieren, dass in Fällen des Erwerbs von Kapitalanlagen rein zur Gewinnerzielung oder der Erlangung von Steuervorteilen, der Verbraucherschutz in Einzelfällen nicht greifen könne bzw. solle, auch wenn die Legaldefinition des § 13 BGB nicht zwischen reichen und armen Verbrauchern differenziere.244 Problematisch ist insofern die von Gesetzes wegen vorgenommene Typisierung, insbesondere im Rahmen der Kundenvorschriften in den §§ 67 ff. WpHG, die sich so im BGB oder Verbraucherrecht nicht wiederfinden.245 Die doch auf den ersten Blick grob erscheinende Typisierung erfasst nicht jeden Einzelfall und jede Sonderkonstellation. Dies ist auch gar nicht möglich. Teilweise wird vorgeschlagen, anstatt auf den „äußeren“ Typ des Anlegers auf die „innere“ Interessenlage abzustellen, um die nicht homogene Gruppe von Anlegern zu erfassen, wobei kollektive von individuellen Interessen abzugrenzen sind.246 Daran werde zudem deutlich, dass sowohl bei den kollektiven Interessen hinsichtlich der Integrität der Märkte und der Lauterkeit der Geschäftspraktiken sowie der individuellen Interessen an der Vermehrung des eingesetzten Vermögens und am Erhalt desselben, keine wesentlichen Unterschiede zu den Verbraucherinteressen bestünden 241

Buck-Heeb, ZHR 176 (2012), S. 66 (72). Buck-Heeb, ZHR 176 (2012), S. 66 (73, 75); Buck-Heeb, ZHR 177 (2013), 310 (326). 243 Edelmann, in: Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 2 Rn. 7. 244 Edelmann, in: Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 2 Rn. 23 f. 245 Riesenhuber, ZBB 2014, S. 134 (137 f.). 246 Riesenhuber, ZBB 2014, S. 134 (139 f.); Engel/Stark, ZEuP 2015, S. 32 (47) gehen sogar so weit, dass auch im Verbraucherrecht auf jegliche Rollenfilter verzichtet und ein Kundenschutzrecht eingeführt werden sollte, sodass im Grundsatz erst einmal ein Vertragsrecht für alle Teilnehmer des Rechtsverkehrs verbleibe. 242

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung

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und sich diese strukturell ähnlich seien.247 Darüber hinaus seien beide Schutzkonzepte von einem Informationsmodell geprägt.248 Anlegerschutz und Verbraucherschutz können jedoch schwer synonym verstanden werden. Eine begriffliche Kundenklassifizierung, wie sie sich im Aufsichtsrecht findet, ist dem Auftrags- und Kommissionsrecht des BGB und HGB zwar fremd, aber das Kriterium der Professionalität ermöglicht bereits einen abgestuften Anlegerschutz auch im Vertragsrecht.249 Ein Rückgriff auf explizit verbraucherschützende Vorschriften, wie z. B. denen zum Verbraucherkreditrecht in den §§ 491 ff. BGB, ist nicht notwendig.250 Durch die individualschützenden bzw. anlegerschützenden Regelungen soll der Anleger vor den Folgen seiner geschäftlichen Unerfahrenheit und fachlich-intellektuellen Überlegenheit gegenüber den Banken bewahrt werden.251 Dieses Informationsdefizit wird durch besondere Informations- und Aufklärungspflichten der Banken ausgeglichen. Insbesondere das Verhältnis dieser anlegerschützenden Informationspflichten zum Funktionsschutz ist widersprüchlich.252 Einerseits besteht ein funktionaler Zusammenhang, weil das Verkennen von Anlagerisiken zu marktschädlichen Fehlallokationen führen kann.253 Andererseits ist die Vielzahl an Informations- und Aufklärungspflichten nur bedingt zur Förderung der Effizienz an den Kapitalmärkten geeignet, weil der Akzent auf der Risikoaufklärung liegt und Gewinnchancen nicht ausreichend beschrieben werden.254 Darüber hinaus wird nahezu redundant angemerkt, dass es eine Flut bzw. ein Übermaß an Information und damit einen „information overload“ gibt, der von dem einzelnen Anleger, insbesondere von dem Privatanleger, teilweise gar nicht bewältigt werden könne.255 Transparenz darf insoweit keine übersteigerten Informationspflichten zur Konsequenz haben.256 In der MiFID II hingegen ist in den Erwägungsgründen 77 und 81 ausdrücklich vom Schutz der Verbraucher die Rede, ohne dass auf den Begriff des Anlegers oder Kunden Bezug genommen wird. Es ließe sich daher argumentieren, dass die 247

Buck-Heeb, ZHR 176 (2012), S. 66 (75); Riesenhuber, ZBB 2014, S. 134 (139 – 141). Buck-Heeb, ZHR 176 (2012), S. 66 (75); Riesenhuber, ZBB 2014, S. 134 (144 f.). 249 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 150, 154. 250 Edelmann, in: Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 2 Rn. 3 ff. 251 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 288. 252 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 289. 253 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 289. 254 Ekkenga, in: MünchKomm-HGB, Band 6, Effektengeschäft Rn. 289. 255 Diskussionsbeitrag von Ahrens, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 86 f.; Diskussionsbeitrag von Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 93. 256 Diskussionsbeitrag von Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 93. 248

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

MiFID II auch einen Verbraucherschutz als einen weiteren Schutzzweck miteinbezieht. So wurde schon hinsichtlich der WpDL-RL und der MiFID I argumentiert, dass der Kapitalanlegerschutz allein nicht nur als Reflex ökonomischer Effizienzkriterien dargestellt werden könne, sondern auch Verbraucherschutz mitumfasse.257 Es komme daher in der öffentlichen Diskussion immer mehr zu einer Vermischung der eigentlichen bankaufsichtlichen Aufgaben mit weitergehenden ordnungspolitischen Zielen wie Verbraucherschutz und Sozialschutz von Kreditnehmern.258 Dies wird daran deutlich, dass der Gesetzgeber und auch die europäischen Einflüsse der Bankenaufsicht Aufgaben des Verbraucherschutzes durch Einführung eines förmlichen Verbraucherbeschwerdeverfahrens in § 4b FinDAG gesetzlich auferlegt haben. Zudem bestand bei der BaFin schon vor Einführung dieses Verfahrens eine Querschnittsabteilung „Verbraucher- und Anlegerschutz, besondere Rechtsfragen“. Weiterhin wurde ein Verbraucherbeirat bei der BaFin mit ausschließlich beratender Funktion und ohne Anhörungsrecht errichtet.259 In diesem Zusammenhang darf jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Wahrung von Verbraucherinteressen bei den Funktionsdefiziten des Marktes ansetzt und von der besonderen Schutzwürdigkeit der privaten Konsumenten ausgeht, die verfassungsrechtlich als bereichsspezifisches sozialstaatliches Gebot gerechtfertigt werden kann.260 Diese Marktdefizite können bei Effektengeschäften in zwei Richtungen ausgeglichen werden, weil sich zum einen am Kapitalmarkt der wirtschaftlich schwache Kapitalanbieter-Verbraucher und der regelmäßig mächtigere Kapitalnachfrager-Unternehmer gegenüberstehen, vor dessen Übermacht der erstere durch Einschaltung eines Intermediärs geschützt werden soll.261 Zum anderen ist der Kapitalanleger als Verbraucher jedoch zusätzlich dem besser informierten und häufig wirtschaftlich überlegenen Intermediär (z. B. Anlageberater oder beratendes Kreditinstitut) ausgeliefert.262 Daher wird argumentiert, dass eine angemessene Berücksichtigung der Verbraucherinteressen gewährleistet werden müsse und vor allem auch die Beziehung zum Intermediär besonderer Regelungen bedürfe.263 In diesem Falle solle der verbraucherschützende Akzent über den ökonomisch begründeten Anlegerschutz als Reflex der Effizienzfunktionen des Kapitalmarktes hinausgehen, indem der Anleger mit den Annahmen der Verhaltensökonomik als ein Marktteilnehmer charakterisiert werde, dessen Wahrnehmungen und Verhaltensweisen von impulsiven und gewohnheitsmäßigen Entscheidungen geprägt und mangels 257

Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 47; so auch Wieneke, Discount-Broking, S. 83, der von der Schaffung eines effektiven aufsichtsrechtlich vermittelten Verbraucherschutzes durch die §§ 31 ff. WpHG spricht. 258 Fischer/Boegl, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 110 Rn. 44 f. 259 Fischer/Boegl, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 110 Rn. 47. 260 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 47. 261 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 47; Koch, ZBB 2014, S. 211 (216). 262 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 47. 263 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 47.

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung

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zweckrationaler Fähigkeiten, Ausbildung, Kenntnisse und Erfahrungen eingeschränkt sei.264 Daher ist die Transformation von Informationen für Privatanleger von entscheidender Bedeutung, damit die anfallenden Transaktionskosten bei eigener Informationsbeschaffung und -verarbeitung nicht anfallen, da diese sonst in keinem Verhältnis zu einem aus der Kapitalanlage möglicherweise resultierenden Gewinn stehen, sodass durch die im Rahmen der Verhaltenspflichten des § 63 WpHG gewährleistete Informationsvermittlung ein individueller Anlegerschutz gewährleistet wird.265 Die Berücksichtigung der Professionalität des Anlegers in Bezug auf die Intensität der Aufklärung verdeutliche zudem über einen individuellen Anlegerschutz hinaus auch einen Verbraucherschutz, weil die Verhaltenspflichten nach den verschiedenen Anleger- bzw. Kundengruppen differenziert werde266, wonach Privatkunden intensiver geschützt werden als professionelle Kunden und geeignete Gegenparteien. Nach Bliesener sei der Anlegerschutz eine Ausprägung des Verbraucherschutzes, der sich jedoch nicht im Schutz dieser Investorengruppe erschöpfe, sondern eine weitergehende Geltung beanspruche.267 So geht auch Busch davon aus, dass die kundenbezogenen Wohlverhaltenspflichten als Verbraucherschutzvorschriften zwischen Anleger und Wertpapierdienstleistungsunternehmen anzusehen seien und demnach die nationalen Zivilgerichte dazu angehalten seien, einem Verstoß gegen diese bei der Beurteilung der Fälle zu beachten.268 Dieser strengen Sicht, dass Verbraucherschutz und Anlegerschutz zusammen zu denken seien, wird jedoch kritisch entgegengesetzt, dass der kapitalmarktrechtliche Anlegerschutz „zunehmend durch Regelungselemente eines gesellschaftspolitisch aufgeladenen Verbraucherschutzes ergänzt bzw. überlagert“269 und der wesentliche Sinn und Zweck des Kapitalmarktrechts ausgehöhlt werde und zugunsten der Kleinanleger und zulasten der Emittenten überbordende Anforderungen geschaffen würden270. Insbesondere durch die europarechtlichen Regulierungen im Bereich des Kapitalmarktrechts komme es zu einer Hinwendung der Wohlverhaltenspflichten zu verbraucherschutzrechtlichen Regelungsmechanismen, die den Bankkunden als

264

Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 47; Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 261 ff., 284 ff. 265 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 48, 315 f., zu § 31 Abs. 2 WpHG a. F. Diese Aussage gilt jedoch uneingeschränkt auch noch für den heutigen § 63 Abs. 2 WpHG. 266 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 49. 267 Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, S. 49. 268 Busch, in: Busch/Ferrarini (Hg.), Regulation of the EU Financial Markets, The Private Law Effect of MiFID I and MiFID II, Rn. 20.39. 269 Bernau, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 56 Rn. 5a. 270 Diskussionsbeitrag von Ahrens, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 86 f.

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

Konsumenten adressieren und die Grenze zwischen Individualschutz und Funktionsschutz verschwimmen lassen.271 Das kann so jedoch nicht gewollt sein, besonders vor dem Hintergrund, dass der Privatanleger nicht das Leitbild der MiFID II-Regelungen und des WpHG darstellt. Die verbraucherschützenden Elemente ließen sich lediglich für Privatanleger heranziehen und könnten für diese fruchtbar gemacht werden. Eine generelle Gleichsetzung von Anlegerschutz mit Verbraucherschutz ist jedoch nicht sinnvoll. Edelmann führt diesbezüglich zutreffend aus, dass die Kapitalanlage zur Gewinnerzielung nicht gleichzusetzen sei mit dem Verbrauch von Konsumgütern im verbraucherschutzrechtlichen Sinne.272 Dass Anlagegeschäfte mittlerweile nahezu als „Alltagsgeschäfte“ angesehen und von Kunden aus allen gesellschaftlichen Bereichen avisiert werden und nicht mehr nur von vermögenden Kunden,273 ändert an der vorstehenden Beurteilung des Anlagegeschäfts nichts. Er hebt diesbezüglich auch hervor, dass der Kapitalanleger in der Regel vorhandenes, aber aktuell nicht benötigtes Kapital bzw. Vermögen „aus Gewinnsucht“ vermehren wolle und sein Geld gerade nicht für verlockende, aber flüchtige Konsumgüter ausgebe.274 Der Kapitalanleger entscheide sich bewusst für eine Kapitalanlage, die mit Chancen und Risiken behaftet ist, sodass die situative Schutzbedürftigkeit gegen ein klassisches Verbrauchergeschäft und somit gegen einen klassischen Verbraucherschutz spreche.275 In einem weiteren Schritt ist zudem zu fragen, was die Konsequenz eines Anlegerschutzes erweitert um einen Verbraucherschutz angenähert an den des BGB mit Blick auf z. B. außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge wäre. Wäre dann auch die Normierung eines Widerrufsrechts sinnvoll, sodass sich der Anleger von der Kapitalanlage innerhalb einer z. B. 30-tägigen Widerrufsfrist von dem Anlagegeschäft lösen könnte? Hier ergibt sich jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen dahingehend, dass Anlagegeschäften in der Regel eine ausführliche Beratung vorausgeht und so der Überraschungs- bzw. Überrumpelungsmoment nicht gegeben ist. Anlagegeschäften geht eine längere und ausführliche Beratung voraus und sie werden häufig nicht ad hoc zwischen Tür und Angel abgeschlossen.276 Diese Gedanken zusammengeführt sprechen für eine Selbstständigkeit von individuellem Anlegerschutz 271

Bernau, in: Derleder/Knops/Bamberger, § 56 Rn. 57. Edelmann, in: Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 2 Rn. 7; so auch Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (180); Stahl, Information Overload am Kapitalmarkt, S. 53. 273 Buck-Heeb, ZHR 176 (2012), S. 66 (67). 274 Edelmann, in: Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 2 Rn. 7; Klingenbrunn, WM 2015, S. 316 (320); Stahl, Information Overload am Kapitalmarkt, S. 53. 275 Edelmann, in: Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 2 Rn. 7; a. A. Moloney, EBOR 13 (2012), S. 169 (189 – 193). 276 Die Problemfelder im Zusammenhang mit FinTechs wie Robo Advice oder Crowdinvesting können im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft werden und sind auch kein Forschungsgegenstand, vgl. hierzu Literaturauswahl in den Fußnoten 14 und 15. 272

II. Der Anleger und die allgemeine Anlegererwartung

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und Verbraucherschutz, sodass eine Gleichsetzung der jeweiligen Schutzinstrumente nicht geboten ist. Zudem kann eine zu starke Fixierung auf den Verbraucherschutz zur Konsequenz haben, dass gegenläufige Interessen und widerstreitende Sachverhaltskonstellationen nicht ausreichend berücksichtigt werden können und es so zu einem unverhältnismäßig weiten Verbraucherschutz im Anlegerschutz kommt und die nicht aufeinander abgestimmten Schutzinstrumente kollidieren können.277

3. Zusammenfassung Im Ergebnis ist zunächst festzuhalten, dass es den „Anleger“ nicht gibt und somit das Informationsmodell, das von einem „normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsanleger ausgeht“ in der Form keine ausreichende Klassifikation hergibt und somit eine weitreichende Typisierung der Anleger vorzunehmen ist.278 Für Buck-Heeb reicht in diesem Zusammenhang die Anlegerkategorisierung des WpHG, geprägt durch die MiFID II, in bestimmten Punkten nicht aus.279 Denn Typisierungen sind häufig rechtspolitische Entscheidungen und basieren nicht ausnahmslos auf empirischer Forschung.280 Allerdings lässt sich markt-rational-optimistisch argumentieren, dass von dem Anleger, der sich auf einem hochprofessionalisierten Kapitalmarkt betätigt, ein gewisses Maß an Risikobewusstsein, Marktkenntnis und Informationsbereitschaft eingefordert werden kann.281 Paternalistische Eingriffe in Form von Verboten und überbordenden Informationspflichten und privaten Haftungsansprüchen sind nicht des Weisheit letzter Schluss, auch wenn viele Anlageentscheidungen mit einer Inkompetenz und Irrationalität einhergehen und eine weit verbreitete Beratungsbedürftigkeit erforderlich werden lassen.282 Die in diesem Zusammenhang geforderte private Normdurchsetzung würde jedoch zu einer Rechtsunsicherheit führen, weil insbesondere die aufzuwendenden Rechtsverfolgungskosten für den einzelnen Anleger nicht zwingend aufzubringen sind, unabhängig von der langen Dauer zivilrechtlicher Prozesse bis ein rechtskräftiges Urteil steht.283 277

Riesenhuber, ZBB 2014, S. 134 (148). Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (97). 279 Buck-Heeb, BKR 2017, S. 89 (97). 280 Buck-Heeb, ZHR 176 (2012), S. 66 (92 f.). 281 Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 28. 282 Klöhn, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 83 (99); Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 29 – 32. 283 Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 31 f. 278

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

Darüber hinaus lässt sich nach wie vor schwer voraussehen, welche Auswirkungen die Erkenntnisse der sog. Behavioral Finance auf die Rechtsprechung zur Anlageberatung und Gesetzgebung haben werden.284 Feststeht diesbezüglich, dass der Anleger von zahlreichen irrationalen Faktoren beeinflusst wird und nicht per se rational handelt.285 Diese Erkenntnis steht jedoch im Spannungsverhältnis zum Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit der Anlageentscheidung.286 Ein gleichzeitig eingreifender Anlegerschutz und Verbraucherschutz kommt für die Gruppe der Privatanleger in bestimmten Fällen in Betracht, wobei eine Einzelfallprüfung erforderlich ist. Eine pauschale Gleichsetzung von Anlegerschutz und Verbraucherschutz ist jedoch abzulehnen. Im Ergebnis lässt sich der Anlegerbegriff nur durch eine Ausdifferenzierung der verschiedenen Anlagertypen, wie sie sich im WpHG und im Zivilrecht herausgebildet hat, fassen. Den Anleger als solchen gibt es nicht. Es ist somit grundsätzlich für jede Anlegergruppe der einzelne Schutzstandard herauszuarbeiten, wobei anhand der Zuwendungsproblematik deutlich wird, dass eine Aufklärungspflicht dahingehend nicht mit der Professionalität des Anlegers abzulehnen ist. Denn sowohl nach den allgemeinen zivilrechtlichen als auch aufsichtsrechtlichen Grundsätzen sind die Interessenwahrungspflicht und die Pflicht über Interessenkonflikte hinreichend aufzuklären Universalpflichten, die mit Blick auf alle Anlegergruppen zwingend zu beachten und nicht dispositiv sind.

III. Mitbestimmung der Anlegererwartung und des Vertragsinhalts eines Anlageberatungsvertrages durch das allgemeine Transparenzgebot in Bezug auf die Offenlegung von Zuwendungen In diesem letzten Teil der Arbeit gilt es nun das umfassende zivilrechtliche Transparenzgebot und die Anlegererwartung in Bezug auf die Offenlegung von Zuwendungen dogmatisch in das Pflichtengefüge des Anlageberatungsvertrages einzufügen. Die Erwartungshaltung des Anlegers ist vor allem vor dem Hintergrund 284 Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 226; Langenbucher, in: Lorenz (Hg.), Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, S. 28 – 32, 37 – 39; Mankowski, AcP 211 (2011), S. 153 (192 – 194); Klöhn, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 83 (93); Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 147 f. 285 Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 226; BuckHeeb, ZHR 177 (2013), S. 310 (327 – 330); Fleischer/Schmolke/Zimmer, in: Fleischer/Zimmer (Hg.), Verhaltensökonomik als Forschungsinstrument für das Wirtschaftsrecht, S. 9 (48 – 50); Lehmensiek-Starke, BKR 2012, S. 191 (194 – 196); Schön, in: FS Canaris, Bd. I, S. 1191 (1209 f.). 286 Buck-Heeb/Lang, in: Beck-OGK/BGB, Anlageberatung, § 675 BGB Rn. 226 m. w. N.

III. Mitbestimmung der Anlegererwartung

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der Doktrin des begrenzt rationalen Verhaltens und der Gefahr der selektiven Wahrnehmung zu berücksichtigen. Auch werden die ökonomische und soziale Komponente des „Kick-Back“-Jokers und des diesbezüglich auftretenden Trittbrettfahrer-Effekts mit einbezogen. Abschließend ist die Möglichkeit der Kodifikation eines Anlageberatungsvertrages auf zivilrechtlicher Ebene insbesondere vor dem Hintergrund des Zuwendungskonflikts im BGB zu erörtern und zu bewerten.

1. Einführung In seinem Grundsatzurteil vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/12 hat der BGH statuiert, dass der Kunde die Einhaltung der Grundprinzipien des Aufsichtsrechts gem. §§ 133, 157 BGB erwarten kann und somit alle Zuwendungen Dritter, darunter Rückvergütungen und verdeckte und offen ausgewiesene Innenprovisionen, auch im Vertragsverhältnis offenzulegen sind. Diese Feststellung führt in Teilen der Wissenschaft zu der Annahme, dass im Zivilrecht die Einzelfallanalyse des Gefährdungspotenzials überholt sei und nunmehr der pauschale, abstrakte, strukturbezogene Ansatz des Aufsichtsrechts anerkannt sei.287 Zu Recht wird jedoch festgestellt, dass die vom BGH gegebene Begründung für die neue Ausrichtung der Aufklärungspflichten bei Innenprovisionen zahlreiche dogmatische Fragen, vor allem hinsichtlich des Verhältnisses von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, aufwirft,288 aber vor allem die vertragsrechtliche Lösung hinsichtlich der Aufklärungspflicht dogmatisch nicht hinreichend begründet wird. Diese Aspekte wurden in den drei vorhergehenden Kapiteln erörtert und vor allem wurde die dogmatische Stütze des Transparenzgebotes in der für alle Interessenwahrungsverträge zentralen Pflicht der Interessenwahrungspflicht stricto sensu gefunden und begründet. Im Anschluss an frühere Urteile betont der BGH zwar den ausschließlich öffentlich-rechtlichen Charakter des Aufsichtsrechts und verneint sowohl eine direkte als auch mittelbare Ausstrahlungswirkung auf das Zivilrecht, aber nimmt sogleich das flächendeckend verwirklichte aufsichtsrechtliche Transparenzgebot hinsichtlich der Offenlegung von Zuwendungen als Ausgangspunkt und Grundlage für die Annahme eines allgemeinen Rechtsprinzips, welches den Inhalt des Anlageberatungsvertrages über §§ 133, 157 BGB mitbestimme.289 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass eine Übernahme verwaltungsrechtlicher Wertungsvorgaben nicht pauschal in das zivilrechtliche Pflichtengefüge erfolgen kann und nur dann möglich ist, wenn diese nach Sinn und Zweck und ihrer Funktion nicht spezifisch verwaltungsrechtlich, sondern über die „Systemgrenzen“ hinweg verallgemeinerungsfähig sind.290 Erforderlich hierfür ist eine „Rezeptionsgrundlage“291 bzw. ein 287 288 289 290

Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 52d. Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 52e. Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 52e. Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 52e; Wieneke, Discount-Broking, S. 90 f.

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

„Filter eines genuin zivilrechtlichen Wertungsakts“292. Notwendig sind Normen, die eine gewisse Scharnierfunktion übernehmen, damit eine Verzahnung von öffentlichem Recht und Zivilrecht erfolgen kann. Einerseits kann dieser Filter in der berechtigten Erwartung des Anlegers gem. §§ 133, 157 BGB gesehen werden, wonach in den einschlägigen Fällen möglicher vertragswidriger Interessenkonflikte über Zuwendungen Dritter aufzuklären sei.293 Andererseits kann eine Rezeptionsgrundlage auch in den §§ 241 Abs. 2, 242 BGB gesehen werden. Wie diese Rezeptionsgrundlage bzw. dieser Filter konkret auszugestalten ist und ob es hierbei im Ergebnis tatsächlich auf die Wertungen des Aufsichtsrechts ankommt, wird im Folgenden zu zeigen sein. Vorab lässt sich jedoch festhalten, dass der BGH keine Übernahme verwaltungsrechtlicher Vorgaben bei der Postulierung eines allgemeinen kapitalanlagerechtlichen Transparenzgrundsatzes fordert. Dem ist insoweit auch zuzustimmen, weil die Durchführung sowohl der Anlageberatung als auch des Finanzkommissionsgeschäfts oder Festpreisgeschäfts und ihrer Grundlage im Auftrags- und Geschäftsbesorgungsrechts und der Verknüpfung durch den Treuhandvertrag von gesteigerten Sorgfaltspflichten zwischen den Parteien geprägt ist.294 Die in Rede stehenden Vertragstypen basieren allesamt auf dem Grundsatz der Fremdinteressenwahrung, sodass die auftrags- und geschäftsbesorgungsrechtliche Treue- und Interessenwahrungspflicht stricto sensu als eine Hauptleistungspflicht zu qualifizieren ist, über die zentral die Offenlegungspflicht über Zuwendungen zu fordern ist und gefordert werden kann. Die Rezeption der aufsichtsrechtlichen Vorgaben ist im Ergebnis nicht notwendig. Als Ausfluss der Interessenwahrungspflicht stricto sensu und vor dem Hintergrund der durch die Rechtsprechung entwickelten Leitlinien ist das vertragsrechtliche Pflichtengefüge hinsichtlich der Offenlegung von Zuwendungen zivilrechtlich festgelegt und durch das flächendeckende Transparenzgebot abgesichert. Die von den Gerichten anhand von Einzelfällen entwickelten Leitlinien berücksichtigen einerseits die Eigenverantwortung des Anlegers und grenzen andererseits die Pflichten der Banken voneinander ab, wobei teilweise kritisch eingewandt wird, dass sich daraus eine kaum noch zu überschauende, nicht immer widerspruchsfreie Einzelfallkasuistik ergebe.295 Aus dieser Einzelfallkasuistik lassen sich jedoch allgemeingültige Parameter entnehmen, welche die allgemeine Anlegererwartung bezüglich eines umfassenden Transparenzgebotes herausbilden und zum Maßstab machen. Die aufsichtsrechtlichen Vorschriften oder allgemeinen Schutzzwecke können lediglich als Argumentationsstütze ohne dogmatischen Geltungsanspruch dienen. Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu als General291

Wieneke, Discount-Broking, S. 91. Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 52e. 293 Fuchs, in: Fuchs, § 31d WpHG Rn. 52e. 294 So auch schon im Ansatz Wieneke, Discount-Broking, S. 91, der jedoch auf den folgenden Seiten 92 – 96 daraus dennoch den Schluss zugunsten einer rechtlichen Ausstrahlungswirkung zieht. 295 Walz, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 7. 292

III. Mitbestimmung der Anlegererwartung

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klausel lässt sich zudem nicht durch die Generalklauseln des §§ 63 Abs. 1 und Abs. 2 WpHG näher konkretisieren. Denn eine Generalklausel mit einer Generalklausel auszufüllen ist schon denklogisch nicht möglich. Letztentscheidend sind die zivilund insbesondere vertragsrechtlichen Grundsätze und Auslegungsmethoden.

2. Das Pflichtenprogramm des Anlageberatungsvertrages bezüglich der Offenlegung von Zuwendungen unter Berücksichtigung des umfassenden Transparenzgebotes Der Lösungsansatz, den der BGH in seinem Urteil vom 3. Juni 2014 – XI ZR 147/ 12 gewählt hat, wonach die objektive Anlegererwartung gem. §§ 133, 157 BGB aufgrund der „aufsichtsrechtlichen Grundprinzipien“ und somit normativ zu bestimmen sei, lässt sich hören, aber ist nicht schlüssig dogmatisch begründet. Denn zum einen ist zur Bestimmung der Anlegererwartung der Rückgriff auf etwaige Grundprinzipien aus dem Aufsichtsrecht nicht erforderlich und zum anderen erscheint eine rein normative Begründung der Anlegererwartung nicht ausreichend und praxisfern.296 Der konkrete Anlegerhorizont wird in dem Urteil nicht überzeugend dargelegt, weil die Erwartungen eines typischen Bankkunden normativ nicht schlüssig herausgearbeitet, begründet und auch nicht empirisch belastbar belegt werden.297 Die aufsichtsrechtlichen Verhaltenspflichten betreffend die Kapitalanlageberatung und das Effektengeschäft stehen grundsätzlich neben den zivilrechtlichen Verhaltenspflichten.298 a) Die Anlegererwartung gem. §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu als Hauptpflicht Die Anleger können die Einhaltung des Transparenzgebots, das seine rechtsdogmatische Stütze in der Interessenwahrungspflicht stricto sensu erfährt, gem. §§ 133, 157 BGB bereits bei Abschluss des Anlageberatungsvertrages erwarten. Es handelt sich bei der Interessenwahrungspflicht stricto sensu, wie mehrfach betont, um eine Hauptpflicht des Anlageberatungsvertrages und nicht um eine reine Nebenpflicht i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB. Der Anlageberatungsvertrag ist ein Vertrag der Interessenwahrung und somit besteht der Pflichtenkern darin, dass der Anlageberater die Interessen des Anlegers zu wahren hat. Eine Wahrung der Interessen, vor allem

296 297 298

So auch Winter, WM 2014, S. 1606 (1609). Winter, WM 2014, S. 1606 (1610). Schäfer, in: Assmann/Schütze, § 12 Rn. 21.

312

5. Kap.: Das Transparenzgebot

die der Anleger, kann nur gelingen, wenn bestimmte Verfahrens- und Verhaltensregeln eingehalten werden.299 Die Willenserklärung des Anlegers bei Abschluss des Anlageberatungsvertrages umfasst gem. §§ 133, 157 BGB daher, dass der bankengebundene Anlageberater ungefragt über sämtliche Zuwendungen, d. h. über Rückvergütungen und Innenprovisionen, aufklärt bzw. aufgeklärt hat. Sagt der Anlageberater zum Erhalt von Zuwendungen gar nichts, dann kann der Anleger bei Abgabe seiner Willenserklärung davon ausgehen, dass Zuwendungen weder empfangen noch gewährt werden. Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen muss.300 Im Rahmen der Auslegung ist auf den „Horizont“ und die Verständnismöglichkeiten des Erklärungsempfängers abzustellen; hierbei dürfen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die bei Zugang der Erklärung dem Empfänger bekannt oder für ihn erkennbar waren.301 Das bedeutet aus Sicht des Anlegers, dass er davon ausgehen kann, es werden in diesem Fall keine Zuwendungen gewährt oder angenommen. Aufgrund der seit Jahrzehnten andauernden „Kick-Back“- und Rückvergütungsrechtsprechung hat sich die Aufklärungspflicht hinsichtlich der Offenlegung von Zuwendungen zu einer Verkehrssitte gem. § 157 BGB herausgebildet. Es liegt diesbezüglich eine seit längerer Zeit andauernde, den Verkehr beherrschende tatsächliche Übung vor, die sich in den betreffenden Kreisen gleichmäßig und einhellig herausgebildet hat.302 Die Kenntnis der Parteien von dieser Verkehrssitte ist nicht erforderlich, auch muss sie nicht von den Betroffenen als verbindlich angesehen werden.303 Auch sind die „Kick-Back“-Rechtsprechung und die damit einhergehende jahrelange Übung bei Abschluss der Anlageberatungsverträge in Geltung.304 Sie ist somit für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle im Verlauf eines längeren Zeitraumes in Übung.305 Entscheidend ist zudem, dass sich die Verkehrssitte auf die Leistungspflicht bezieht.306 Dies lässt sich auf die Offenlegung von Zuwendungen 299

Assmann, ZBB 1989, S. 49 (63). Wendtland, in: Beck-OGK/BGB, 50. Ed., § 133 BGB Rn. 27; Arnold, in: Erman, § 133 BGB Rn. 19; Ellenberger, in: Grüneberg, § 133 BGB Rn. 9. 301 Busche, in: MünchKomm-BGB, § 133 Rn. 12; Ellenberger, in: Grüneberg, § 133 BGB Rn. 9. 302 Arnold, in: Erman, § 133 BGB Rn. 28; Ellenberger, in: Grüneberg, § 133 BGB Rn. 21; Mansel, in: Jauernig, § 133 BGB Rn. 4; Busche, in: MünchKomm-BGB, § 157 Rn. 22; Singer, in: Staudinger, § 133 BGB Rn. 66. 303 Arnold, in: Erman, § 133 BGB Rn. 28; Ellenberger, in: Grüneberg, § 133 BGB Rn. 21; Mansel, in: Jauernig, § 133 BGB Rn. 4; Busche, in: MünchKomm-BGB, § 157 Rn. 18; Singer, in: Staudinger, § 133 BG Rn. 68. 304 Ellenberger, in: Grüneberg, § 133 BGB Rn. 21. 305 Armbrüster, in: Erman, § 157 BGB Rn. 10; Singer, in: Staudinger, § 133 BG Rn. 66. 306 Armbrüster, in: Erman, § 157 BGB Rn. 9; Busche, in: MünchKomm-BGB, § 157 Rn. 20. 300

III. Mitbestimmung der Anlegererwartung

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übertragen, weil die Interessenwahrungspflicht stricto sensu im Rahmen der Anlageberatung eine Hauptpflicht und damit auch gleichzeitig Leistungspflicht ist. b) Die Bedeutung von Treu und Glauben gem. § 242 BGB als Nebenpflicht Eine Konkretisierung des Pflichtenkatalogs des Anlageberatungsvertrages insbesondere im Hinblick auf etwaige Nebenpflichten nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gem. § 242 BGB ist nicht erforderlich. Möllers/Ganten gingen im Jahr 1998 noch davon aus, dass sich die Anforderungen an die Wohlverhaltenspflichten, konkretisiert durch die Wohlverhaltensrichtlinie des damaligen BAWe, zu einer Verkehrssitte entwickeln könnten, auf die der Anleger vertrauen kann.307 Dies stützten die Autoren darauf, dass sich die Wertpapierdienstleistungsunternehmen zur Vermeidung langwieriger Prozesse an die Vorgaben der damaligen Wohlverhaltensrichtlinie als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift308, heute die WpDVerOV309, halten würden.310 Diese sich so etablierende Verkehrssitte wäre zum einen von den Gerichten im Rahmen der §§ 157, 242 BGB zu berücksichtigen und zum anderen würde eine „Vermutung“ bestehen, dass bei der Verletzung der Richtlinienstandards zugleich die aus der Verkehrssitte entspringenden privatrechtlichen Pflichten zwischen Anleger und Wertpapierdienstleistungsunternehmen verletzt seien.311 Reich spricht in diesem Zusammenhang davon, dass sich durch die damalige Wohlverhaltensrichtlinie des BAWe bestimmte Geschäftstypen präzisieren ließen und so ein Art Handelsbrauch geschaffen werden könnte.312 Mit Hinblick auf das umfassende zivilrechtliche Transparenzgebot unter Geltung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu ist eine Inkorporation desselben nicht über die Treuepflicht des § 242 BGB notwendig, weil die Interessenwahrungspflicht stricto sensu weitergehender ist als die allgemeine zivilrechtliche Treuepflicht. Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu ist eine Fundamentalpflicht, die sich bereits aus dem Pflichtenkatalog der Interessenwahrungsverträge herausgebildet hat und aufgrund des Treuhandgedankens eine eigenständige Pflicht bildet. Es handelt sich wie soeben gezeigt um eine Verkehrssitte, die bereits im Rahmen der Auslegung der Willenserklärungen gem. §§ 133, 157 BGB zu berücksichtigen ist und damit um eine Hauptpflicht. Es handelt sich zudem bei der Aufklärungspflicht im Rahmen eines Anlageberatungsvertrages um eine Haupt- und keine Nebenpflicht.313 307

Möllers/Ganten, ZGR 1998, S. 773 (807). Möllers/Ganten, ZGR 1998, S. 773 (801). 309 Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Ausfertigungsdatum 17. 10. 2017. 310 Möllers/Ganten, ZGR 1998, S. 773 (807). 311 Möllers/Ganten, ZGR 1998, S. 773 (807 f.). 312 Reich, WM 1997, S. 1601 (1608 f.). 313 Grüneberg, in: Grüneberg, § 242 BGB Rn. 37. 308

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

c) Geltungsbereich des umfassenden Transparenzgebotes im Hinblick auf Zuwendungen in Form von Rückvergütungen, Innenprovisionen und Gewinnmargen Teilweise wird angeführt, dass Offenlegungspflichten allein den Interessenkonflikt bei der Gewährung und Annahme von Zuwendungen nicht auflösen, weil den bestehenden allgemeinen Rationalitätsdefiziten bei einer optimal zu treffenden Anlageentscheidung nicht begegnet werde.314 Die allgemeinen kognitiven Verzerrungen würden demnach weiter bestehen und „gute Empfehlungen würden daher schlicht und einfach nicht umgesetzt“315. Diese Ansicht greift jedoch zu kurz, weil zwei Ebenen, der Zuwendungskonflikt und die allgemeinen Irrationalitäten, vermischt werden. Bei einem Verstoß gegen die Offenlegungspflicht und dem damit einhergehenden Verstoß gegen die Interessenwahrungspflicht steht dem geschädigten Anleger ein Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB zu. Die Sanktionierung des Verstoßes im Wege des Schadensersatzrechts dient neben der Kompensation von Vermögensschäden aufgrund einer suboptimalen Anlageentscheidung zugleich der Verhaltenssteuerung von Anlageberatern, die dazu veranlasst werden sollen, den Anleger korrekt zu informieren und in seinem Interesse zu beraten.316 Der Fokus sollte in Bezug auf den Zuwendungskonflikt weiterhin auf Information und Transparenz liegen anstatt auf Verboten. Denn Transparenzvorschriften als ein naheliegendes Regulierungsinstrument des Anlegerschutzes unterstützen die Entscheidungsfindung317 – dies natürlich unter der Prämisse, dass die Fülle und Darstellung der entscheidenden Informationen nicht zu einem „information overload“ führen und diese von dem einzelnen Anleger auch verarbeitet und bewertet werden können. So dürfen Regelungen über Zuwendungen nicht an einer Stelle versteckt werden, wo der einzelne Anleger mit Hinweisen nicht rechnet oder diese untergehen könnten. Das Informationsmodell ist demnach zielgenau und maßvoll auszufüllen und dem Kunden sind daher nicht weniger, aber auch nicht mehr an Informationen zur Verfügung zu stellen als dieser im Rahmen seiner zu treffenden Anlageentscheidung benötigt.318 Der Grundsatz der Transparenz, einhergehend mit dem der Fairness, begegnet den drei wesentlichen Risiken des Kapitalmarktes in der Form, dass Transparenz bestehende Informationsasymmetrien ausgleicht und Fairness verhindert, dass kollidierende Interessen zu einer Fehlentwicklung am Markt führen.319 Beide Maximen 314 Hackethal/Meyer, ZVglRWiss 113 (2014), S. 574 (579); Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (192, 193). 315 Hackethal/Meyer, ZVglRWiss 113 (2014), S. 574 (579). 316 Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (194). 317 Langenbucher, ZHR 177 (2013), S. 679 (681). 318 Grigoleit, ZHR 177 (2013), S. 264 (281). 319 Bultmann/Hoepner/Lischke, Anlegerschutzrecht, S. 4; Caspari, NZG 2005, S. 98 (98).

III. Mitbestimmung der Anlegererwartung

315

sind essenzielle Mindestvoraussetzung für den Anlegerschutz und zur Erhaltung des Anlegervertrauens in die Wertpapiermärkte.320 d) Zwischenergebnis „Nicht was das Anlegerpublikum mehrheitlich erwartet, determiniert das Leistungsprogramm eines guten Anlageberaters, sondern was der Anleger nach den Normen und Prinzipien des Geschäftsbesorgungsrechts und des WpHG erwarten darf. Und insoweit ist der Befund ziemlich eindeutig: Als Geschäftsbesorger wie als Wertpapierdienstleister hat das anlageberatende Institut ausschließlich das beste Interesse des Kunden im Auge zu behalten und darf als eigenes wirtschaftliches Interesse nur jenes an einer angemessenen Honorierung seiner Leistung verfolgen.“321 Hierbei ist jedoch entscheidend, dass die zivilrechtlichen Pflichten und die aufsichtsrechtlichen Pflichten nebeneinander verlaufen und die beiden Pflichtenprogramme nicht miteinander zu vermengen sind.

3. Notwendigkeit der Kodifikation eines Anlageberatungsvertrages und insbesondere des Transparenzgebotes im BGB aus Aspekten der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit Erforderlich hierfür wäre jedoch ein Entschluss des deutschen Gesetzgebers, eine Angleichung des zivilrechtlichen Pflichtenprogramms an das europarechtlich geprägte aufsichtsrechtliche Pflichtenprogramm durch ein Gesetz vorzunehmen. Damit einher ginge jedoch die Notwendigkeit, dass ein Stück nationaler Regelungsbefugnisse freiwillig aufgegeben wird.322 Für eine gesetzliche Regelung spräche jedoch zum einen der Gedanke der Rechtssicherheit und zum anderen der Gesetzesvorbehalt, dessen Gewicht durch eine engere Fassung der Beratungspflichten der Banken erhöht würde.323 Darüber hinaus könnte durch eine Angleichung des Pflichtenkanons per Gesetz der Gefahr eines doppelten Pflichtenregimes, das nicht aufeinander abgestimmt ist, entgegengewirkt werden.324 Vertretern einer legislativen Lösung würde dabei schon ausreichen, wenn die zivilrechtliche Geltung der aufsichtsrechtlichen Pflichten, durch z. B. eine Transfervorschrift, angeordnet würde.325 Die Pflichten müssten demnach nicht noch einmal ausdrücklich privatrechtlich niedergeschrieben und reguliert werden. Diese Transfervorschrift könnte zum Beispiel im Rahmen des Geschäftsbesorgungsrechts 320 321 322 323 324 325

Bultmann/Hoepner/Lischke, Anlegerschutzrecht, S. 4; Caspari, NZG 2005, S. 98 (99). Köndgen, BKR 2009, S. 376 (378). Koch, ZBB 2014, S. 211 (217). Koch, ZBB 2014, S. 211 (217). Koch, ZBB 2014, S. 211 (217). Koch, ZBB 2014, S. 211 (218).

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5. Kap.: Das Transparenzgebot

der §§ 675 ff. BGB bzw. der Regulierung eines Beratungsvertrages oder im Kommissionsgeschäft der §§ 383 ff. HGB ihren Niederschlag finden.326 Alternativ hierzu wird jedoch auch als zweitbeste Alternative eine Klarstellung in den Gesetzesmaterialien vorgeschlagen, wonach die zivilrechtliche Geltung der Verhaltensvorschriften festgeschrieben wird und daher im Rahmen der Auslegung und Anwendung der Normen durch die Rechtsprechung berücksichtigt werden müsste.327 Dies scheint auf dem ersten Weg eine elegante Lösung und wird vor dem Hintergrund bestehender dogmatischer Spitzfindigkeiten und Auslegungsschwierigkeiten befürwortet, weil die in den §§ 63 ff. WpHG normierten Pflichten sowieso den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur anleger- und anlagegerechten Beratung entsprächen und mit diesen korrespondieren.328 Diese Auffassung verkennt jedoch, dass dies gerade dafür spricht, keine Geltung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben im Zivilrecht zu verankern, wenn das Pflichtenprogramm sowieso schon parallel verläuft. Es besteht auf zivilrechtlicher Ebene aufgrund der Grundsätze der Bond-Rechtsprechung ein individueller Regelungsmechanismus für den Anlegerschutz, der in der Sache als Bezugsmaßstab den Aufklärungs- und Beratungsbedarf des konkreten Anlegers in den Blick nimmt, das Schutzniveau drauf abstimmt und den öffentlich-rechtlichen Vorschriften ebenbürtig ist.329 Im Hinblick auf eine etwaige Kodifikation des Anlageberatungsvertrages muss jedoch im Blick behalten werden, dass es nicht zu einer Überregulierung im Bereich des Kapitalanlagerechts kommt.330 Denn es wird insbesondere im Rahmen des Anlegerschutzrechts schon vielfach von einem „investor protection overload“ gesprochen.331 Allein das Anlegerschutzprinzip gesetzlich zu normieren ist zum Scheitern verurteilt und auch nicht wünschenswert, weil so ein Standard festgeschrieben würde, der „die rechtliche Befriedigung und Befriedung erst künftig auftauchender oder erst künftig als relevant erkannter Schutzbedürfnisse auf diesem Gebiet“332 nahezu unmöglich macht.333 Gegen die Kodifikation insbesondere des Transparenzgebotes spricht, dass in der ersten Zeit nach einer solchen positiv gesetzlichen Regelung der Grundsatz mit der Rechtsregel deckungsgleich ist, sofern die zunächst tatsächlich in Betracht kommenden Anwendungsbereiche eingeschlossen werden.334 In der Regel zeigt sich 326

Koch, ZBB 2014, S. 211 (218). Koch, ZBB 2014, S. 211 (218). 328 Lang/Kühne, WM 2009, S. 1301 (1307). 329 Gurlit, in: Grüneberg/Habersack/Mülbert et al. (Hg.), Bankrechtstag 2015, S. 3 (23); so auch Grigoleit, ZHR 177 (2013), S. 264 (266 f.). 330 Buck-Heeb, ZHR 177 (2013), S. 310 (342); Hopt, WM 2009, S. 1873 (1881). 331 Mülbert, ZHR 177 (2013), S. 160 (162). 332 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 347. 333 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 347. 334 Metzger, Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht, S. 28. 327

IV. Zusammenfassung

317

jedoch im weiteren Verlauf, dass sich immer wieder neue mögliche Anwendungsfälle ergeben, auf die der Wortlaut der geschaffenen Regel nicht mehr passt, sodass erneut der Rückgriff auf das zugrunde liegende allgemeine Prinzip und damit eine Analogie erforderlich wird.335 Ein Rechtsprinzip hat in der Regel eine längere Entwicklungsgeschichte, da ein zunächst sehr weitgefasstes Prinzip im weiteren Verlauf wieder eine Eingrenzung erfährt, weil der Tatbestand nicht eng umrissen ist und sich in den zu entscheidenden jeweiligen Lebenssachverhalt einfügen muss.336

IV. Zusammenfassung Das Beratungsrecht und auch die Beratungshaftung werden mithin auch in der Zukunft eine primäre Domäne des Zivilrechts bleiben.337 Die Lösung, die der BGH in seinem Urteil vom 3. Juni 2014 gewählt hat, nämlich, dass ein Transparenzgebot bezüglich der Zuwendungen im Rahmen der Anlegererwartung zu berücksichtigen sei, ist begrüßenswert und richtig. Lediglich die dogmatische Begründung mit dem Schlenker über das Aufsichtsrecht war und ist nicht notwendig, da die zivilrechtlichen Regelungen auch vor dem Hintergrund der bestehenden BGH-Rechtsprechung ausreichend sind. Denn der einzelne Anleger hat die Erwartung bezüglich einer Aufklärung und Offenlegung von Interessenkonflikten, insbesondere im Rahmen des Zuwendungskonflikts. Dieses Prinzip steht schon seit über 100 Jahren fest und wurde durch die Rechtsprechung des BGH immer weiter konkretisiert und verfestigt. Dadurch leidet auch nicht das Niveau des Anleger- oder gar Verbraucherschutzes, weil eine ausreichende Schutzmöglichkeit durch das Transparenzprinzip selbst geschaffen wird. Denn die Schutzinstrumente der Aufklärungs- und Informationspflichten sowie der Kontrolle von AGB-Vorschriften sind bereits vorhanden und müssen nicht über das Aufsichtsrecht in das Zivilrecht transportiert werden. Im Ergebnis ist auch festzuhalten, dass es nicht Aufgabe des Rechts ist, einzelne Vergütungsmodelle zu unterbinden,338 sodass ein Provisionsverbot, wie es in Großbritannien und den Niederlanden gilt, als stark paternalistischer Markteingriff zu bewerten und damit abzulehnen ist. Durch die Gewährleistung von Transparenzvorgaben und die damit einhergehende Offenlegungspflicht von Anlageberatern über etwaig gewährte bzw. empfangene Vergütungen lässt sich die Zuwendungsproblematik anlegerschützend lösen. Es müssen die bestehenden Interessenkonflikte, besonders in Zuwendungsfragen, vor dem Hintergrund der Interessenwahrungspflicht stricto sensu im Rahmen des zivilrechtlich geschlossenen Anlageberatungsvertrages schonungslos offengelegt werden. 335 336 337 338

Metzger, Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht, S. 28. Metzger, Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht, S. 68. So auch Walz, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, § 90 Rn. 21. Nobbe/Zahrte, in: MünchKomm-HGB, Anlageberatung Rn. 19.

6. Kapitel

Abschließende Bewertung Auch fünf Jahre nach dem Urteilsspruch des BGH und vor dem Hintergrund der Umsetzung der MiFID II durch das 2. FiMaNoG sind die Fragen zur Zuwendungsproblematik noch immer von hoher Relevanz. Es lässt sich mit Blick auf die geforderte Transparenz von Zuwendungen abschließend festhalten, dass sich eine zivilrechtliche Haftung bei einem Verstoß gegen die Offenlegungspflichten von Rückvergütungen und Innenprovisionen allein aus dem Zivilrecht, konkreter aus dem Vertragsrecht, ergibt. Das Aufsichtsrecht wirkt insoweit nicht auf das Zivilrecht ein und ist auch nicht für ein etwaiges Transparenzgebot hinsichtlich der Offenlegungspflichten zu aktivieren. Entscheidend sind in diesem Zusammenhang die Bedeutung und Reichweite der zivilrechtlichen Interessenwahrungspflicht stricto sensu hervorzuheben. Dieser kommt eine universelle Geltung bei Verträgen der Fremdinteressenwahrung zu. Dies resultiert auch aus der Abgrenzung der Zweckbestimmungen vor dem Hintergrund der Regelungsziele kapitalmarktrechtlicher Bestimmungen. Das Vertragsrecht lässt sich durch Mitdenken eines regulierenden Teils auch als Gestaltungsrecht verstehen.1 Es steht für Gerechtigkeit im Einzelfall. Hierfür sind die privatrechtliche Gestaltung und die Schutzbedürfnisse in das Zentrum zu rücken, wodurch das Vertragsrecht dann eher dem Unternehmens- und Wirtschaftsrecht zugeschlagen werden könnte.2 Der Regulierungsaspekt des Vertragsrechts erhält die Funktionsbedingungen des Vertragsrechts, namentlich die Privat- und Parteiautonomie.3 Der regulierende Aspekt des Vertragsrechts, vergleichbar dem Verbraucherschutzrecht im BGB als Paradebeispiel regulierenden Vertragsrechts4, muss auch bezüglich des Zuwendungsproblems im Blick behalten werden. Dieser Mehrwert geht gerade verloren, wenn einfach das Aufsichtsrecht als klassisches Regulierungsrecht in das Vertragsrecht hineingelesen würde. Das Vertragsrecht selbst hält ausreichende Schutzmechanismen bereit, um auf schadensersatzrechtlicher Ebene den Zuwendungskonflikt vor allem mit Blick auf einen effektiven Anlegerschutz zu bewältigen. Das Aufsichtsrecht bietet hingegen Marktfunktionsschutz, aber auch einen individuellen Anlegerschutz. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sogleich etwaige 1 2 3 4

Grundmann, in: FS Hopt, S. 61 (75, 86 f.). Grundmann, in: FS Hopt, S. 61 (75). Grundmann, in: FS Hopt, S. 61 (90). So Grundmann, in: FS Hopt, S. 61 (87).

6. Kap.: Abschließende Bewertung

319

Schadensersatzansprüche aus aufsichtsrechtlichen Normen hergeleitet werden müssen. Damit einher geht, dass das Aufsichtsrecht auch keinen Verbraucherschutz gewährleistet. Dies lässt sich auch aus dem individuellen Anlegerschutz allein nicht ableiten. Abschließend lässt sich zudem festhalten, dass eine Kodifizierung des Anlageberatungsvertrages im BGB nicht notwendig oder gar ratsam wäre.

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Sachverzeichnis Anlageberatungsvertrag 18 f., 23, 28, 32 f., 39 f., 45, 63, 65 – 67, 72 – 75, 78, 85, 87, 91, 95, 102, 108 f., 111, 136, 147, 165, 197, 236 f., 240, 248, 264 – 266, 273, 276, 308 f., 311 – 313, 315 f. Anlageempfehlung 65, 197, 218, 223 f., 243, 264 Anlegererwartung 19, 40, 166, 186, 215, 264 – 266, 272, 281 – 284, 198, 308, 310 f., 317 Anlegerleitbild 20, 283, 285, 290, 293, 295, 301 Anlegerschutz 33, 76, 83, 113 – 117, 121, 123 – 125, 130, 137, 140, 143, 145 – 147, 149 – 154, 163, 167, 169 f., 172, 175 f., 178, 182, 184 – 189, 207, 210, 241 f., 244, 253, 255, 257, 262 – 264, 271, 276 f., 283 – 285, 291 f., 294, 297 – 301, 303 – 308, 314 – 316, 318 f. Aufklärungspflicht 15, 19, 22 – 27, 29, 31 f., 36 f., 44, 48, 55, 73, 79, 80, 83, 85, 87, 94, 149, 151, 176 f., 186, 188, 196, 198, 200, 120, 215, 217, 219 – 228, 231 – 234, 236 – 241.247 – 250, 252 – 256, 262, 265, 271, 277 f., 283, 288, 293, 303, 309 f., 312 f. Aufsichtsrecht 15 – 17, 19 – 21, 25, 28 – 31, 33, 36 – 39, 87, 95, 111 – 115, 126 f., 136 – 139, 144, 153 – 155, 161, 164, 167, 169, 171 f., 177 – 179, 185 f., 188, 190 f., 193, 200, 206 f., 211, 214, 240 f., 249, 251 f., 262, 264 – 266, 272 – 281, 291, 294 f., 297, 302 f., 309 – 311, 317 – 319 Auftrag 16 f., 19, 32 f., 38 – 40, 43, 45 – 47, 49, 51 – 60, 62 f., 67 f., 71 f., 74, 98, 103, 108 f., 111, 126, 149, 163, 174, 179, 211 f., 258 f., 262, 267, 273 f., 303, 310 Auskunftsvertrag 65, 67, 69, 71 Ausstrahlungswirkung 21, 28 f., 36, 127, 144, 153, 160, 162 – 170, 190 f., 252 – 254, 273, 275 – 278, 309

Bankvertrag, allgemeiner 57, 66, 69 f., 74, 110 Behavioral Finance 286, 290, 292, 308 Beratung, anlegergerecht 73, 77, 79, 85, 238, 243, 293 Beratung, anlagegerecht/objektgerecht 73, 76, 81, 85, 238, 250, 260 Effektengeschäft 85 – 87, 89, 95, 149, 166, 206, 209, 211, 238, 250, 304, 311 Effektenkommission 85, 89, 111 Eigenhandel 88 f., 94, 201, 209 Festpreisgeschäft 75, 86 – 89, 93 – 95, 211, 235 – 238, 240 f., 310 Finanzkommissionsgeschäft 16, 19, 32, 39 f., 53 f., 85, 87 – 89, 95, 126 Funktionsschutz 113 – 115, 123, 146, 157, 172, 185, 257, 300, 303, 318 geeignete Gegenparteien 295, 297, 302, 305 Gefälligkeitsverträge 45 – 47 Geschäftsbesorgungsvertrag 16 f., 19, 40, 47, 49, 51 – 54, 56 – 61, 63, 67, 72, 87 – 90, 93, 98, 103, 108 f., 235, 240 Gewinnmargen 92, 103, 105, 211, 221, 235, 238 – 241, 250, 263, 267, 293, 314 Herausgabepflicht von Zuwendungen 54, 107, 224, 229, 251, 258 – 261 Honoraranlageberatung 24, 71, 214, 241 f., 247, 250, 290 Information Overload 83, 210, 244, 287 f., 300, 303, 314, 316 Informationsasymmetrien 76, 200 f., 239, 249, 271, 281, 287 f., 298, 300, 314 Informationspflichten 30, 61, 83 f., 114, 122, 154, 284, 294 – 296, 303, 307 Innenprovisionen 15, 17, 20 f., 23 – 28, 32, 37, 92, 103, 105, 211, 213, 215, 221, 231 –

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Sachverzeichnis

235, 237, 239, 248 – 250, 253, 258, 262, 267, 272, 309, 314, 318 Interessenkonflikt 16 f., 19, 26 f., 32 f., 35, 37 f., 44, 92, 103, 105 f., 121 f., 125, 130, 149, 193 – 202, 206 – 216, 219 f., 222 – 224, 231 – 234, 237 – 241, 244 – 248, 250, 252 f., 256, 260, 264, 290, 292, 308, 310, 317 Interessenwahrungspflicht stricto sensu 16 f., 32, 39. 42, 44, 54 – 56, 58, 61 f., 66, 71, 78, 82, 85, 90 – 95, 97, 101 – 108, 110, 196 f., 199, 201 f., 204 f., 212 f., 241, 267, 270 f., 281, 288, 310 f., 313, 318 Interessenwahrungsverträge 16 f., 31 f., 38 – 45, 49 f., 54, 63, 95, 98, 196, 199, 211, 273, 288, 309, 313 Kapitalanlageberatung 15 – 17, 19, 25, 32 f., 39 f., 95, 100, 106, 111, 154, 180 f., 184, 186 f., 191 f., 216, 231, 292 f. Kommissionsvertrag 33, 38, 45, 90, 228, 267 Kundeninteresse 26, 80, 89, 94, 122, 146, 203 – 205, 207, 209, 212, 215 f., 219, 222 f., 229 f., 252, 256, 263 Loyalitätspflicht 54 f., 57, 60, 62, 109, 197, 200, 219 Offenlegungspflicht 17, 122, 146, 199, 202, 210, 216, 219, 220 – 222, 229, 232, 234 f., 239 f., 243, 248, 251 f., 259, 266, 272, 310, 314, 317, 318 Organisationspflicht 86, 118, 185, 200, 202, 207 f., 241, 245 Privatkunden 122, 295 f. professionelle Kunden 19, 90 f., 105, 234, 295 – 297, 302, 305

richterliche Rechtsfortbildung 17, 21, 33 – 35, 151, 163, 183, 268 f. Rückvergütungen/Kick-Backs 15 – 17, 25 – 27, 92, 103, 105, 211, 213, 215, 217 – 231, 233 – 235, 237 – 240, 243, 248 – 250, 253, 258, 260 – 263, 270, 272, 309, 312, 314, 318 Transparenzgebot 15 – 17, 19, 21, 24 f., 27, 31 – 41, 76, 111, 166, 193, 230, 249, 262 – 267, 270 – 273, 275, 278 f., 281, 284, 308 – 311, 313 – 318 Treuhandvertrag 16 f., 19, 39 f., 45, 95 – 99, 102, 106, 108, 149, 161, 310 Verbraucherschutz 29, 148, 188, 291 f., 301 – 308, 317, 319 Verhaltensökonomik 227, 284 – 293, 295, 300 f., 304 Vermögensverwaltung 17, 61, 101, 106, 209, 214 Wohlverhaltenspflichten 17, 24, 28, 30, 33 f., 111, 117 – 125, 127 – 132, 134, 137 – 145, 147 – 151, 153 f., 157 f., 160 – 168, 170 f., 174, 177, 179 – 185, 187, 189 – 191, 212, 251 f., 154, 174, 276, 278, 280 f., 297, 305, 313 Zuwendungen 15 – 17, 19, 21, 24 f., 29 – 33, 35, 37 – 40, 44, 56, 103, 111, 120, 149, 186, 188, 193, 210 f., 213, 215 – 217, 210, 230, 233, 235, 240, 246 – 251, 258 f., 261, 264 – 267, 271 – 273, 275, 281 f., 298, 308 – 312, 314, 317 f. Zuwendungsverbot 210 f., 229, 234, 253, 256, 297