Transnationale Dienstleistungssysteme: Eine Rahmenkonzeption [1 ed.] 9783896448583, 9783896731159

Die Arbeit baut auf dem Ansatz des transnationalen Unternehmens von Bartlett/Ghoshal auf, überwindet jedoch durch die Ei

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German Pages 234 Year 2001

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Transnationale Dienstleistungssysteme: Eine Rahmenkonzeption [1 ed.]
 9783896448583, 9783896731159

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Transnationale Dienstleistungssysteme

Schriftenreihe Unternehmensführung Herausgeber: Prof. Dr. Hartmut Kreikebaum Band 20

Christina Würthner

Transnationale Dienstleistungssysteme - eine Rahmenkonzeption

Verlag Wissenschaft & Praxis

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Würthner, Christina: Transnationale Dienstleistungssysteme - eine Rahmenkonzeption. / Christina Würthner. - Sternenfels : Verl. Wiss, und Praxis, 2001 (Schriftenreihe Untemehmensfuhrung ; Bd. 20) Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss. 2000 ISBN 3-89673-115-7

ISBN 3-89673-115-7 © Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2001 Nußbaumweg 6, D-75447 Sternenfels Tel. 07045/930093, Fax 07045/930094

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Printed in Germany

Geleitwort

5

Geleitwort Die Konzeption des transnationaler Unternehmens ist für Unternehmen mit einer weltumspannenden Organisationsstruktur entwickelt worden. Ihre zentralen Be­ standteile sind eine multinationale Flexibilität, die Erzielung globaler Effizienz­ vorteile und die Sicherung einer weltweiten Lernfähigkeit der Mitarbeiter. Das Konzept wurde von Bartlett/Ghoshal ursprünglich für Industrieunternehmen geschaffen. Angesichts des zunehmenden Trends in Richtung einer Dienstleistungswirtschaft erscheint es sinnvoll und notwendig, organisationstheoretische Defizite des Modells zu beheben. In der vorliegenden Dissertation geht Christina Würthner deshalb der Frage nach, wie die bisher vorhandene interne Netzwerkperspektive des transnationalen Unternehmens auf externe Netzwerke von DienstleistungsUnternehmen ausgedehnt werden kann. Deren Aufbau erläutert sie anhand von zwei Kooperationsformen: den Strategischen Allianzen und dem Franchising.

Der Verfasserin kommen dabei ihre Erfahrungen im Marketing Management der Deutschen Luftansa AG zugute. Sie beschreibt in kompetenter Weise am Beispiel der Lufthansa Passage Airline die Strukturen eines transnationalen Systems und entwickelt gleichzeitig konstruktive Ideen zu dessen Umgestaltung. Dabei orientiert sie sich am Prinzip der adäquaten Organisationskomplexität. Mit dem Vorschlag zur Einrichtung eines ’’Customer Relations” Kompetenzzentrums wird ein praxisrelevanter Versuch unternommen, Qualifizierungsdefizite von Führungskräften und Mitarbeitern mit dem Ziel der kulturellen Sensibilität zu beseitigen.

Die Arbeit von Christina Würthner ist deshalb nicht nur dem theoretisch interessierten Leser zu empfehlen, sondern bietet gleichzeitig wertvolle Anre­ gungen für die Praxis der Organisationsentwicklung.

Hartmut Kreikebaum

Vorwort

7

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im November 1999 am Fachbereich Wirtschafts­ wissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main, als Dissertation angenommen.

Meinem Doktorvater und akademischen Lehrer, Herm Prof. Dr. Hartmut Kreikebaum, möchte ich ganz besonders danken für die Betreuung der Arbeit mit großem fachlichen Freiraum auf der einen und positiv kritischen Anregungen auf der anderen Seite. Ferner gilt mein Dank Herm Prof. Dr. Klaus Peter Kaas für die Übernahme des Zweitgutachtens.

Ohne das große Engagement von Freunden und deren kritischen Auseinander­ setzungen mit meinen Ideen und die wertvollen Anregungen wäre die Dissertation nicht in dieser Form entstanden. An erster Stelle danke ich hier Dr. Karen Scholz für ihre große Hilfe in den verschiedenen Entstehungsstufen der Arbeit. Für die Durchsicht des Manuskripts geht mein Dank außerdem an Stefanie Röttger, Michael Zengerle, Torsten Weber, Dr. Martin Klein und Alexander v. Roon. Die notwendige Ablenkung und den Ausgleich von Wissenschaft und Theorie gaben mir vor allem Clarissa Löffler, Christina Leverenz, Dr. Joachim Kemstock, Gerd Jahn und Patrick Kisko. Meinen Eltern gilt mein größter Dank. Ihre jederzeitige Unterstützung meines Werdegangs und vor allem von Studium und Promotion war immer der ent­ scheidende Rückhalt für mich. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.

Christina Würthner

Inhaltsverzeichnis

9

Inhaltsverzeichnis Seite

Geleitwort............................................................................................................ 5

Vorwort...................................................................................................................7 Inhaltsverzeichnis............................................................................................. 9 Abbildungsverzeichnis.................................................................................... 13

Tabellenverzeichnis........................................................................................ 15 Abkürzungsverzeichnis...................................................................................17 1

Einleitung und begriffliche Grundlagen.........................21 1.1 Problemstellung und Zielsetzungen der Arbeit................................ 21

1.2 Begriffliche Grundlagen..................................................................... 27 1.2.1

Einordnung des Dienstleistungsbegriffs................................ 27

1.2.2

Das transnationale Unternehmen im Konzept von Bartlett/Ghoshal......................................................33

1.3 Weitere Vorgehensweise.................................................................... 44 2

Erweiterungen der Netzwerkperspektive des TRANSNATIONALEN UNTERNEHMENS............................................... 51

2.1 Rahmenbedingungen für die internationale Tätigkeit von Dienstleistungsunternehmen...................................................... 51 2.1.1

Politisch-rechtliche Entwicklungen....................................... 51

2.1.2

Kulturelle Aspekte.................................................................. 54

2.1.3

Technologische und sonstige Einflußfaktoren...................... 59

2.2 Die Problematik einer adäquaten Organisationskomplexität von Dienstleistungsunternehmen...................................................... 60

Inhaltsverzeichnis

10

2.2.1

Grundlagen der neueren Systemtheorie............................. 60

2.2.2

Die Instrumentalisierung von Komplexität durch Branchenstruktur und Wertschöpfungskette......... 65

2.2.3

Interne und externe Netzwerke als optimaler Komplexitätsabgleich................................................ 72

2.3 Allgemeine Charakteristika von Unternehmensnetzwerken bei internationaler Tätigkeit..................................................... 76

2.4 Einordnung von Dienstleistungen vor dem Hintergrund einer weltweiten Leistungsausführung.............................................. 80 3

Dienstleistungsunternehmen als transnationale Netzwerk-Organisationen.....................................................87 3.1 Erfolgsdeterminanten eines Dienstleistungs-ManagementSystems .................................................................................................87

3.2 Das Dienstleistungskonzept im transnationalen Kontext............... 91 3.3 Betrachtung des Dienstleistungs-Management-Systems unter Wertschöpfungsgesichtspunkten............................................. 93 3.4 Komplexitätsanpassungen über die Organisation des Wertschöpfungssystems ..................................................................... 97

3.4.1

Die Bildung eines globalen Dienstleistungsnetzwerks interdependenter Unternehmenseinheiten................97 3.4.1.1

Ansatzpunkte zur Konfiguration des internen Dienstleistungsnetzwerks.......................................... 97

3.4.1.2

Untemehmenskooperationen zum Aufbau eines externen Netzwerks....................... 102

Inhaltsverzeichnis

3.4.2

Selbstorganisationsprozesse in Dienstleistungs­ systemen...................................................................... 108 3.4.2.1

Kennzeichen der Selbstorganisation sozialer Systeme....................................................... 108

3.4.2.2

Auswirkungen auf die Mesoebene und den Leistungserstellungsprozeß..................... 112

3.5 Die Bedeutung der Human-Ressourcen in transnationalen Dienstleistungssystemen.......................................................... 115 3.5.1

Personelle Anforderungen an die Netzwerkmitglieder.... 115

3.5.2

Organisationales Lernen zur Bewältigung der transnationalen Herausforderung........................... 122

3.5.3

Zum Management eines adäquaten HumanRessourcen-Potentials.............................................. 127

3.6 Die ’’Augenblicke der Wahrheit” als Quelle interkultureller Komplexität...............................................................................130

3.6.1 Stellenwert und Identifikation von Kundenkontakt­ punkten als Determinanten der Qualitätsbeurteilung....... 130 3.6.2 Kulturabhängigkeit der Qualitätswahrnehmung.............. 135 3.6.3 Bedeutung von Kundenzufriedenheit, Kundenbindung und Beschwerdemanagement.................. 141

3.6.4 Koordination der Kontakte mit den dezentralen Einheiten und dem externen Netzwerk............................... 145 3.7 Das Führungsselbstverständnis und -system trans­ nationaler Dienstleistungssysteme........................................... 147

3.7.1 Aufgaben des Top-Managements im internen Netzwerk einer strategischen Management-Holding....... 147 3.7.2

Aufgaben im externen Netzwerk als Führungs­ mitglieder eines polyzentrischen Verbundes.......... 155

3.7.3

Abbildung der ’’Service Profit Chain” in einer ’’Balanced Scorecard” als Führungs- und Informationssystem .......... 158

11

12

4

Inhaltsverzeichnis

Transnationale Dienstleistungssysteme in der Praxis am Beispiel der Lufthansa Passage Airline .. 167 4.1 Die Entstehung der Lufthansa Passage Airline im Konzern der Deutschen Lufthansa AG................................................. 167

4.2 Rahmenbedingungen im globalen Luftverkehr............................ 169

4.3 Analyse bestehender Netzwerkmerkmale der Passage Airline als Ansatzpunkte eines transnationalen Dienst-leistungssystems....... 177

5

4.3.1

Das interne Netzwerk der Lufthansa Passage Airline......177

4.3.2

Das externe Netzwerk der Lufthansa Passage Airline...... 180

4.3.3

Zusammenfassende Beurteilung und Aufzeigen der Defizite vor dem Hintergrund der theoretischen Rahmenkonzeption....................................................184

Vorschläge für die weitere Entwicklung der Lufthansa Passage Airline zu einem TRANSNATIONALEN DIENSTLEISTUNGSSYSTEM IM

Luftverkehr......................................................................................189 5.1 Strukturelle Gestaltungsoptionen.................................................... 189 5.2 Schritte zur Integration des Netzwerks aus Mitarbeiter­ und Kundensicht........................................................................191 5.3 Die ’’Balanced Scorecard” als integraler Bestandteil der Strategieentwicklung eines transnationalen Dienst­ leistungssystems im Luftverkehr............................................. 194 5.4 Konsequenzen für die Praxis........................................................... 198 6

SCHLUßBETRACHTUNG................................................................................................ 201

Literaturverzeichnis.................................................................................... 205

Abbildungsverzeichnis

13

Abbildungsverzeichnis Seite Abbildung 1-1:

Abbildung 1-2:

Abbildung 1-3: Abbildung 1-4:

Abbildung 1-5: Abbildung 1-6: Abbildung 2-1: Abbildung 2-2:

Abbildung 2-3: Abbildung 2-4:

Abbildung 2-5: Abbildung 3-1: Abbildung 3-2: Abbildung 3-3:

Abbildung 3-4:

Abbildung 3-5: Abbildung 3-6: Abbildung 3-7: Abbildung 3-8: Abbildung 3-9:

Abbildung 3-10:

Anteile der im Dienstleistungsbereich Beschäftigtenan der Gesamtzahl der Erwerbstätigen im internationalen Vergleich.................................................................................... 23 Zweidimensionale Typologisierung unterschiedlich dienstleistungsorientierter Leistungen..................................... 28 Wesentliche Merkmale von Dienstleistungen........................30 Das transnationale Organisationsmodell nach Bartlett/Ghoshal................................................................. 38 Typische Rollen nationaler Einheiten des transnationalen Unternehmens............................................................................40 Aufbau der Arbeit.....................................................................44 Kulturentstehung und kulturbedingte Verhaltens­ unterschiede ................................................. 55 Zusammenhänge der Systemtheorie zur Einordnung von Unternehmen als soziale Systeme........................................... 62 Die Elemente der Branchenstruktur........................................66 Modifizierte Wertschöpfungskette für Dienstleistungsuntemehmen................................................................ 71 Klassifikation von Dienstleistungen vor dem Hintergrund internationaler Untemehmenstätigkeit.................................... 81 Erfolgsdeterminanten eines DMS........................................... 88 Die ’’Service Profit Chain”.......................................................95 Die Gestaltung des Leistungserstellungssystems als internes Dienstleistungsnetzwerk auf Basis der Wertschöpfungsaktivitäten..................................................... 101 Formen internationaler, horizontaler Unter­ nehmenskooperationen.............................. 104 Dimensionen interkultureller Kompetenz.............................. 119 Ebenen organisationalen Lernens............................................ 124 Das GAP-Modell der Dienstleistungsqualität....................... 132 Linienflug-Blueprint................................................................ 134 Das interne Dienstleistungsnetzwerk als strategische Management-Holding............................................................. 150 Zusammenhänge zwischen Dienstleistungskultur und -klima.......................................................... 154

14

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 3-11: Strukturen einer virtuellen Allianz-Organisation als Bestandteil eines transnationalen Dienstleistungssystems.. 156 Abbildung 3-12: Umsetzung von Vision und Strategie als Teil des strategischen Management-Prozesses.................................. 161 Abbildung 3-13: Grundmodell der strategischen Untemehmensplanung nach Kreikebaum................................................................. 165 Abbildung 4-1: Konzemstruktur und Kemgeschäftsfelder der Deutschen Lufthansa AG, Dezember 1998............................................ 168 Abbildung 4-2: Ressortaufteilung der Lufthansa Passage Airline, Juli 1999.................................................................................. 178 Abbildung 4-3: Der Aufbau der virtuellen ’’Star Alliance” Organisation............................................................................. 182 Abbildung 5-1: Der Konzemstrategieprozeß der Deutschen Lufthansa AG........................................................................... 195 Abbildung 5-2: Beispiel einer ’’Balanced Scorecard” für die Lufthansa Passage Airline........................................................................196 Abbildung 5-3: Modellausschnitt der kausalen Zusammenhänge inner­ halb der Lufthansa Scorecard................................................. 197

Tabellenverzeichnis

15

Tabellenverzeichnis Seite Tabelle 1-1: Prozentualer Anteil von Direktinvestitionen wichtiger Industrienationen im Ausland nach Sektoren..........24 Tabelle 1-2: Grundlegende Merkmale internationaler, multinationaler und globaler Unternehmen............................................... 34 Tabelle 2-1: Netzwerkmodelle für international tätige Unternehmen im Überblick.................................................................... 77 Tabelle 3-1: Typologie kultureller Überschneidungssituationen...................... 116 Tabelle 3-2: Personelle Anforderungen transnationaler Dienst­ leistungssysteme ...................................................... 121 Tabelle 3-3: Ausgewählte HR-Maßnahmen für transnationale Dienstleistungssysteme............................................129 Tabelle 3-4: Potentielle Qualitätslücken und damit verbundene inter­ kulturelle Komplexitätsdimensionen..................... 141 Tabelle 4-1: Die acht ’’Freiheiten der Luft”........................................................171 Tabelle 4-2: WettbewerbsVerzerrungen für den europäischen Luftverkehr... 173

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis AG AIDA Aufl. Bde. bearb. BFuP

BRU BSC CAGR CD CFROI CLV CMR CRS D DBW DCFC DL DMNC DMS DU durchges. e.V. Ed. ed. Eds. erw. EU EVA EWG F FAZ FRA FVW GATS GATT

Aktiengesellschaft ”Awareness - Interest - Desire - Action” Auflage Bände bearbeitet Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis Brüssel ’’Balanced Scorecard” ’’Compound Average Growth Rate” ’’Compact Disc” ’’Cash Flow Return on Investment” ’’Customer Lifetime Value” California Management Review Computer-Reservierungs-System Deutschland Die Betriebswirtschaft ’’Discounted Free Cash Flow” Dienstleistung ’’Decentralized Multinational Corporation” Dienstleistungs-Management-System Die Unternehmung durchgesehene eingetragener Verein ’’Editor” ’’edition” ’’Editors” erweitert Europäische Union ’’Economic Value Added” Europäische Wirtschaftsgemeinschaft France Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurt Fachzeitschrift Verkehrs Wirtschaft ’’General Agreement on Trade in Services” ’’General Agreement on Tariffs and Trade”

17

Abbkürzungsverzeichnis

18

gdi gest. GST H. HBM HBR HBS HR Hrsg. i.d.R. IATA IKT IT JAP JoM LH M&A MNC no. Nr. o.g. o. Jg. OEM rev. ROCE S. SDA SF SKO SMJ SMR Sp. TCN TG TNU u.a. u.U. überarb. UK

Gottlieb-Duttweiler-Institut gestaltet ’’General Systems Theory” Heft Harvard Business Manager Harvard Business Review Harvard Business School Human-Ressourcen Herausgeber in der Regel International Air Transport Association Informations- und Kommunkationstechnologie Informationstechnologie Japan Journal of Marketing Lufthansa ’’Merger & Acquisition” ’’Multinational Corporation” ’’number” Nummer oben genannt ohne Jahrgang ’’Original Equipment Manufacturer” revidiert ’’Return on Capital Employed” Seite ’’Strategie Development Area” Suomi Finland ’’Seat Kilometers Offered” Strategie Management Journal Sloan Management Review Spalte ’’Third Country National” Tochtergesellschaft transnationales Unternehmen unter anderem, und andere unter Umständen überarbeitete United Kingdom

Abkürzungsverzeichnis

UNCTC UNO US USA USP V. v.a. veränd. vgl. Vol. vollst, wes. WHU

WiSt WISU WTO z.B. z.T. ZfB ZfbF

zfo ZFP ZP ZWF

United Nations Center of Transnational Corporations United Nations Organization United States United States of America ’’Unique Selling Proposition” von vor allem verändert vergleiche ’’Volume” vollständig wesentlich Wissenschaftliche Hochschule für Untemehmensführung Wirtschaftswissenschaftliches Studium Das Wirtschaftsstudium World Trade Organization zum Beispiel zum Teil Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift Führung + Organisation Zeitschrift für Forschung und Praxis Zeitschrift für Planung Zeitschrift für wirtschaftliche Fertigung und Automatisierung

19

Teil 1

1

Einleitung und begriffliche Grundlagen

1.1

Problemstellung und Zielsetzungen der Arbeit

21

In Beschreibungen zur Entwicklung volkswirtschaftlicher Strukturen sind Schlagworte wie " Tertiäris ierung", "post-industrielles Zeitalter", "Globalisierung" und neuerdings auch "Globalität" nicht mehr wegzudenken. Seit den achtziger Jahren ist die wirtschaftliche Bedeutung des Dienstleistungs­ sektors in vielen führenden Industrienationen kontinuierlich gestiegen. Parallel zu dieser Entwicklung hat sich auch die betriebswirtschaftliche Forschung, anfäng­ lich größtenteils durch Untersuchungen anglo-amerikanischer und skandinavi­ scher Herkunft, intensiver mit dem Thema ’’Dienstleistung” beschäftigt. Verbin­ dungen zu Fragestellungen des internationalen Managements finden hauptsächlich im Rahmen grundsätzlicher Auseinandersetzungen mit der Vorteilhaftigkeit der Internationalisierung und möglichen Markteintrittsstrategien für Dienstleistungsuntemehmen statt.1 Diese Betrachtungen konzentrieren sich oft auf ein­ zelne Branchen.2 Andere Untersuchungen befassen sich mit den Besonderheiten des Dienstleistungsmarketing oder mit einzelnen organisatorischen Aspekten im internationalen Kontext.2 Diese selektive Vorgehensweise hängt z.T. damit zu­ sammen, daß im Rahmen der allgemeinen Forschung zum Dienstleistungsma­ nagement funktionale Analysen mit den Schwerpunkten Marketing und Dienst­ leistungsqualität sowie produktionsorientierte und branchenspezifische Betrach­ tungen dominieren.4 Andere Veröffentlichungen fassen Einzelbeiträge, die sich jeweils mit ausgewählten Teilaspekten befassen, unter der Thematik Dienst­ leistungsmanagement zusammen, ohne jedoch abschließend einen Gesamtzu­ sammenhang herzustellen.5 Zwei integrierte Konzepte, die losgelöst von einer Produktions- und branchenorientierten Betrachtung eigenständige Erfolgsdeterminanten für das Management von Dienstleistungsuntemehmen identifizieren, 1 Vgl. u.a. Edvardsson/Edvinsson/Nyström 1993, S. 80-97; Hermanns/ Wißmeier 1998, S. 537-556; Mößlang 1995; Vandermerwe/Chadwick 1989, S. 79-93. 2 Vgl. u.a. Contractor/Kundu 1998, S. 325-358; Hill u.a. 1995; OECD 1996; Sagari 1993, S. 115140; Terpstra/Yu 1993, S. 230-245. 2 Vgl. u.a. Hübner 1997, S. 203-211; Bradley 1995, S. 420-448; Kostecki 1994b, S. 209-215; Stauss 1995a, S. 437-474. 4 Vgl. u.a. Bruhn 1997a; Corsten 1985; Corsten 1997; Gronroos 1990; Kostecki 1994a; Lovelock 1991; Maleri 1997; Meffert/Bruhn 1997; Meyer 1994. Die unreflektierte Übertragung bestehender Marketing-Konzeptionen führt dann etwa zu einem Verpackungs-Management für Dienst­ leistungen, dessen praktische Relevanz eher zweifelhaft scheint. Vgl. Meffert/Bruhn 1997, S. 333334. 5 Vgl. u.a. Bruhn/Meffert 1998; Glynn/Bames 1995; Jones 1989; Lovelock 1992b.

22

Einleitung und begriffliche Grundlagen

liegen von Normann und Heskett/Sasser/Schlesinger vor.6 Der Aspekt der internationalen Tätigkeit wird jedoch nur am Rande erwähnt.

Dennoch besteht für international tätige Dienstleistungsuntemehmen die Notwen­ digkeit für einen eigenständigen konzeptionellen Entwurf, wie eine erste Be­ trachtung der Rahmenbedingungen in der Praxis des Dienstleistungsmanagements zeigt. Eine zu entwickelnde theoretische Konzeption muß die organisatorischen und führungsrelevanten Besonderheiten des Umfelds der Dienstleistungserstellung und ihre Spezifika bei internationaler Tätigkeit zusammenführen.7 Als wesentliche externe Kontextfaktoren, die gleichzeitig auch Gründe für den Bedeutungszuwachs von Dienstleistungsuntemehmen in Theorie und Praxis darstellen, lassen sich drei Entwicklungen anführen. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien haben zahlreiche Arbeitsplätze in der industriellen Produktion überflüssig werden lassen.8 Gleichzeitig sind durch diese Entwicklung neue Unternehmen entstanden, die vielfach dem Dienstleistungssektor zuzu­ rechnen sind. Zum einen bauen sie auf den neuen Technologien auf, wie die Bereiche Mobilfunk und Internet, zum anderen steigt auch der Bedarf an Bera­ tungsleistungen für die Anwendung der Technologien oder für Untemehmensneuausrichtungen.9 Letztere ergeben sich zusätzlich aus den Deregulierungs- und Privatisierungsmaßnahmen, die in vielen Staaten und Branchen die Monopol­ stellung öffentlicher Unternehmen aufheben.10 Sie ermöglichen privaten An­ bietern den freien Marktzutritt, wie z.B. innerhalb Europas in der Telekommuni­ kation, im Transportbereich oder bei Versicherungsleistungen. Ein dritter Grund für den gestiegenen volkswirtschaftlichen Stellenwert der Dienstleistung ist das von vielen Investitions- und Gebrauchsgüterhersteilem verstärkt genutzte Diffe­ renzierungspotential ihres originären Angebots durch komplementäre Dienst­ leistungen. 11

Ein zeitraumbezogener Vergleich der Beschäftigungsanteile im aggregierten Dienstleistungssektor verschiedener Länder belegt den Trend der gestiegenen

6 Vgl. Normann 1987; Heskett/Sasser/Schlesinger 1997. Als deutschsprachige Veröffentlichung ist der Beitrag von BenOlken/Greipel zu erwähnen, der jedoch weniger konzeptionellen Charakter hat. Vgl. Benölken/Greipel 1994; zu Defiziten eines eigenständigen Managementkonzepts Meffert 1994, S. 520; zu branchenspezifischen Beiträgen u.a. Bülow 1995; Dettmer 1999; Greupner 1996; Haedrich 1998; Klein 1998, S. 933-954; Lacher 1995; Pompl 1998; Schade 1997; SchmitzMorkramer 1999; Seidenabel 1998. 7 Vgl. Sauvant/Mallampally 1993, S. 21. 8 Vgl. Lovelock 1992a, S. 3. 9 Vgl. Friese 1998, S. 48. 10 Vgl. Porter 1993, S. 271; Friese 1998, S. 1. 11 Vgl. Meffert 1994, S. 520.

Teil 1

23

volkswirtschaftlichen Bedeutung quantitativ und ist in Abbildung 1-1 graphisch widergegeben.

Abbildung 1^1: Anteile der im Dienstleistungsbereich Beschäftigten an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen im internationalen Vergleich Quelle: Statistisches Bundesamt 1998a, S. 233-234; eigene Berechnungen. Der durch die aufgezeigten Veränderungen ausgelöste strukturelle Wandel findet in Deutschland gegenüber der internationalen Entwicklung zeitlich verzögert statt. Ein Grund dafür ist in der Organisation und der Wertschöpfungstiefe deutscher Unternehmen zu sehen. Viele Dienstleistungen wurden im produzierenden Gewerbe lange Zeit untemehmensintem durch entsprechende Funktionsbereiche bzw. von konsolidierten Tochtergesellschaften erbracht und statistisch dem In­ dustriesektor zugeordnet.12 Das Wachstum der letzten Jahre in Deutschland ist damit auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Auslagerung von Aktivitäten an Drittuntemehmen bzw. der Verselbständigung von Konzemtochtergesell­ schaften, die bisher interne Dienstleistungen jetzt auch externen Kunden anbieten,

12 Vgl. Albach 1989, S. 3-4; Porter 1993, S. 737.

24

Einleitung und begriffliche Grundlagen

zu bewerten.13 Dieser Prozeß hat insbesondere in angelsächsischen und skandi­ navischen Ländern schon früher eingesetzt.14 Einen erheblichen Beitrag hat der Dienstleistungssektor auch zum Trend der Glo­ balisierung geleistet, und er ist ein tragendes Element der bereits erreichten Glo­ balität weltwirtschaftlicher Strukturen.15 Entsprechend der folgenden Tabelle waren der Bestand und das jährliche Wachstum an Direktinvestitionen von Dienstleistungsuntemehmen aus wichtigen Industrienationen bereits zu Beginn der neunziger Jahre höher als die Anteile des produzierenden Sektors.

y

^Sektoren^/^

t''

Land Canada

Deutschland Frankreich

Japan

United Kingdom USA

Zeitraum ::

Primär

Sekundär

Tertiär

1975 1990 1976 1990 1975 1990 1976 1990 1984 1988 1975 1990

9 6 5 2 22 13 28 6 33 25 26 8

62 51 48 49 38 38 32 27 32 38 45 44

29 43 47 59 40 49 40 67 35 37 29 47

CAGR im tertiären Sektor 1975-1990 18

14 29

23

11 12

Tabelle 1-1: Prozentualer Anteil von Direktinvestitionen wichtiger Industrie­ nationen im Ausland nach Sektoren Quelle: United Nations 1992, S. 17. Auffällig sind die verstärkten Investitionsaktivitäten europäischer Dienst­ leistungsuntemehmen. Ein Grund hierfür ist die Deregulierung vieler Dienst­ leistungsbranchen im Zuge der Vollendung des Gemeinsamen Europäischen Marktes, die den Unternehmen der Mitgliedsstaaten schon im Vorfeld einen er­ leichterten Marktzugang verschaffte. Generell erfolgt der größte Teil ausländi­ scher Direktinvestitionen von Dienstleistungsuntemehmen zwischen den Indu-

13 Vgl. Friese 1998, S. 48. 14 Vgl. Hardt 1996, S. 1. 15 Vgl. Sauvant/Mallampally 1993, S. 3-5; Stauss 1995a, S. 438.

Teil 1

25

strieländem der Triade.16 Dies liegt auch daran, daß in Entwicklungs- und Schwellenländem z.T. erhebliche Markteintrittsbarrieren existieren, die aber auch innerhalb der Triade keinesfalls als vollständig beseitigt betrachtet werden dürfen.17 Direktinvestitionen sind für viele Dienstleistungsuntemehmen unabdingbare Vor­ aussetzung, ausländischen und international mobilen Kunden ihre Leistungen weltweit zugänglich zu machen.18 Die Leistungserstellung wäre ohne die Beteili­ gung des Kunden vor Ort vielfach nicht möglich oder aber wertlos. Deshalb müs­ sen teilweise umfangreiche Prozeßketten im Ausland angesiedelt sein. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Kontakte zwischen Anbieter und Nachfrager durch die Integrationsnotwendigkeit der Kunden bei Dienstleistungen ausgeprägter sind als bei Industrieunternehmen.19 Dies führt vielfach zu einem direkten Aufein­ andertreffen unterschiedlicher, durch Unternehmen, Heimat- und Gastland ge­ prägter Kultursysteme, die zur erfolgreichen Leistungserstellung in Einklang zu bringen sind. Die aufgezeigten externen Kontextfaktoren und untemehmensintemen Problem­ stellungen deuten die komplexe Managementaufgabe für international tätige Dienstleistungsuntemehmen bereits an. Einen geeigneten Ausgangspunkt zur Entwicklung einer Rahmenkonzeption für international tätige Dienstleistungsun­ temehmen stellt das Konzept des transnationalen Unternehmens (TNU) nach Bartlett/Ghoshal dar.20 Es bezieht sich explizit auf Organisationen, die durch die simultane Verwirklichung einer globalen Integration der Aktivitäten und der Anpassung an lokale Erfordernisse ein hohes Maß an Komplexität zu bewältigen haben.21 Die Berücksichtigung der Besonderheiten eines Dienstleistungsunter­ nehmens scheint grundsätzlich möglich, da sich das Netzwerkmodell22 sehr flexibel ausgestalten läßt. Während sich viele Beiträge zum internationalen Management entweder mit Fragen der strukturellen Gestaltung oder der kultu­

16 Vgl. Sauvant/Mallampally 1993, S. 3.

17 Vgl. Hoekman 1994, S. 78-79. 18 Vgl. Boddewyn/Halbrich/Perry 1986, S. 43. 19 Vgl. Meffert/Bruhn 1997, S. 32-33. 20 Vgl. zusammenfassend Bartlett/Ghoshal 1990. 21 Vgl. Bartlett 1989, S. 437; Prahalad/Doz 1987, S. 157-158; Bäuerle/Schmid 1994, S. 991. Zu unterscheiden ist hiervon die Abgrenzung eines TNU aus Sicht der UNO, die sich in erster Linie auf die makroökonomische Bedeutung der internationalen Untemehmenstätigkeit bezieht. Diese bezieht sich darauf, daß vom wirtschaftlichen Erfolg eines TNU, der auf der Präsenz und den Ak­ tivitäten in vielen verschiedenen Ländern beruht, gleichzeitig auch deren Volkswirtschaften pro­ fitieren. Vgl. hierzu Boddewyn/Halbrich/Perry 1986, S. 46. 22 Bartlett/Ghoshal bezeichnen das TNU als ’’integriertes Netzwerk”.

26

Einleitung und begriffliche Grundlagen

rellen Prägung oder den besonderen Führungsaufgaben international tätiger Un­ ternehmen beschäftigen,23 integrieren die beiden Autoren diese Sichtweisen in einem Modell. Außerdem wird implizit die Annahme getroffen, daß unter kom­ plexen Bedingungen eine ’’Totalsteuerung und -gestaltung” von der Untemehmensspitze aus im Hinblick auf das Erreichen der Untemehmensziele nur schwer möglich ist.24 Dieser Einsicht kommt vor dem Hintergrund der oben beschrie­ benen Rahmenbedingungen auch für Dienstleistungsuntemehmen eine entschei­ dende Bedeutung zu. Gleichzeitig weist das Modell allerdings v.a. in theoretischer Hinsicht Defizite auf.25

Das Ziel der Arbeit, durch die Weiterentwicklung des Organisationsmodells von BARTLETT/GHOSHAL einen konzeptionellen Entwurf für das Management trans­ nationaler Dienstleistungsuntemehmen vorzustellen, läßt sich unter Berücksich­ tigung der bisherigen Ausführungen nach mehreren Gesichtspunkten unterteilen.



Die organisationstheoretischen Defizite des TNU-Modells sollen durch die Darstellung eines geeigneten Theoriegerüsts behoben werden. • Darauf aufbauend und ausgehend von den zwei bereits erwähnten Ansätzen zum Dienstleistungsmanagement ist zu erörtern, wie die weltweite Leistungs­ erstellung eines transnationalen Dienstleistungsuntemehmens funktionalstrukturell organisiert wird. Eine Orientierungsgröße stellt hierfür die Wert­ schöpfungsfunktion von Unternehmen dar. An die Untersuchung der Beson­ derheiten bei der Gestaltung der PORTERschen Wertschöpfungskette für in­ ternational tätige Dienstleistungsunternehmen schließt sich die folgende Fra­ gestellung an: • Da sowohl Mitarbeiter als auch Kunden zentrale Elemente der Leistungs­ erstellung von Dienstleistungsunternehmen sind, ist zu klären, wie ihre Be­ deutung in einem transnationalen Kontext einzuordnen ist und welche Werte ein transnationales Dienstleistungsuntemehmen für sie schafft. In diesem Zu­ sammenhang sind neben einer Beleuchtung spezifischer Bereiche des HumanRessourcen- und Kundenbeziehungs-Managements v.a. auch interkulturelle Aspekte in die Betrachtung miteinzubeziehen. • Ein letztes Teilziel der Rahmenkonzeption ist die Identifikation spezifischer Führungsaufgaben für das Top-Management der dargestellten Organisa­ tionsform und die Vorstellung eines hierfür geeigneten Führungs- und Infor­ mationssystems.

23 Vgl. zu verschiedenen Ansätzen Bartlett/Doz/Hedund 1990; Hedlund 1993; Suckfüll 1994, S. 1326; Hofstede 1993; v. Keller 1982; Kreikcbaum 1998, S. 41-65; Macharzina 1995; Perlitz 1997. 24 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1990, S. 34 und 215; Funder 1998, S. 133-134. 25 Vgl. zur Entwicklung des Modells stellvertretend Bartlett/Ghoshal 1990.

Teil 1



27

Anhand eines Fallbeispiels soll abschließend die Relevanz überprüft werden, die das vorgeschlagene Konzept gegenwärtig und zukünftig in der Praxis be­ sitzt.

1.2

Begriffliche Grundlagen

1.2.1

Einordnung des Dienstleistungsbegriffs

Die in der Problemstellung erwähnte statistische Zuordnungsproblematik von Dienstleistungen deutet die Schwierigkeiten einer allgemeingültigen und trenn­ scharfen Definition des Begriffs bereits an. Aus volkswirtschaftlicher Sicht wer­ den Dienstleistungsuntemehmen26 dem tertiären Sektor zugeordnet. Die Syste­ matik der Wirtschaftsstatistik der Bundesrepublik Deutschland, wie auch anderer volkswirtschaftlicher Statistiken weltweit, leimt sich an die Drei-Sektoren-Theorie an, die von mehreren Autoren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde.27 Nach diesem Ansatz sind Dienstleistungen eine Residualgröße, die alle nicht dem primären oder sekundären Sektor28 zurechenbaren Leistungen umfaßt. Diese Abgrenzung fuhrt zu einem heterogenen Katalog von Wirtschaftszweigen, der nicht weiter auf besondere Merkmale von Dienstleistungen abstellt.29

Die vorliegende Heterogenität und die dadurch erschwerte Abgrenzung des Be­ griffs veranlaßt einige Autoren, im Rahmen betriebswirtschaftlicher Frage­ stellungen die kategorische Trennung von Sach- und Dienstleistungen aufzu­ heben.30 Ein zweidimensionales Klassifikationsschema, das in Abbildung 1-2 zu

26 In Abgrenzung zu Dienstleistungsuntemehmen werden im folgenden Sachgüter produzierende Organisationen Industrieunternehmen genannt. 27 Vgl. Fisher 1939; Clark 1940; Fourastie 1954; Wolfe 1955. Historische Meilensteine in der Ent­ wicklung des Dienstleistungsbegriffes sind u.a. Smith 1904 (Erstveröffentlichung 1789); Say 1830; Malthus 1836, vgl. hierzu Meffert/Bruhn 1997, S. 9. 28 Der primäre Sektor umfaßt in der Abgrenzung des Statistischen Bundesamtes Tätigkeiten im Rahmen der Land- und Forstwirtschaft, der sekundäre Sektor Betriebe der Energie- und Wasser­ wirtschaft inkl. Bergbau sowie verarbeitendes und bauendes Gewerbe. Vgl. Statistisches Bundes­ amt 1998b, S. 658. 29 Vgl. Benkenstein/Güthoff 1996, S. 1494. 30 Vgl. Hardt 1996, S. 9. In diesem Zusammenhang ist die Kategorie der Kontraktgüter zu erwähnen, deren Einführung auf Überlegungen der Informationsökonomik beruht. Sie sind durch besondere Informations- und Unsicherheitsprobleme gekennzeichnet und werden ausschließlich als Leistungsversprechen verkauft. Zusätzliche Merkmale sind, daß sie ohne das Mitwirken des Kun­ den nicht entstehen können bzw. ihre Produktion nicht sinnvoll ist, und des weiteren als komplex und hochwertig angesehen werden. Vgl. hierzu Kaas 1991; Kaas 1992, S. 884-901; Schade/Schott 1993a, S. 491-511; Schade/Schott 1993b, S. 15-25.

28

Einleitung und begriffliche Grundlagen

sehen ist, soll die gestiegene Bedeutung von Dienstleistungen für das Leistungsprogramm klassischer Industrieunternehmen erfassen. Anhand der zwei als zentral erachteten Kriterien ’’Intangibilität” und ’’Integrationsgrad” lassen sich je nach Ausprägung unterschiedliche Grade der Dienstleistungsspezifität verschiedener Leistungsbündel ableiten.

Intangibilität

Abbildung 1-2: Zweidimensionale Typologisierung unterschiedlich dienst­ leistungsorientierter Leistungen Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Engelhardt/ Kleinaltenkanip/Reckenfelderbäumer 1993, S. 417; Hardt 1996, S. 11. Mit dem Kriterium ’’Intangibilität” wird bewertet, welchen Stellenwert die physisch nicht greifbaren Bestandteile der Leistung haben bzw. wie wichtig bei einem teilweise tangiblen Ergebnis die Veränderungs Wirkung durch die Inan­ spruchnahme einer angebotenen Leistung ist.31 Der ’’Integrationsgrad” umfaßt einerseits die Eingriffstiefe, womit der Zeitpunkt gemeint ist, zu dem der Kunde im Leistungserstellungsprozeß benötigt wird.32 Je früher dies der Fall ist, desto größer ist die Eingriffstiefe. Andererseits wird die Integrationsintensität durch 31 Vgl. Hardt. 1996, S. 9. 32 Vgl. Engclhardt/Kleinaltenkamp/Rcckenfelderbäumer 1993, S. 413-414.

Teil 1

29

Häufigkeit und Dauer der Interaktionen zwischen Anbieter und Nachfrager be­ stimmt.33 In diesem Zusammenhang spielt zusätzlich die Persönlichkeitsintensität v.a. bei Kommunikation und Informationsaustausch eine wesentliche Rolle. Dienstleistungsuntemehmen sind in dem Sinn persönlichkeits intensiv, daß die angebotene und vom Kunden wahrgenommene Qualität aus einer persönlichen Leistung in einer speziellen Situation entsteht.34 Bei einem Autokauf ist z.B. die Persönlichkeit sowohl der Arbeiter in der Produktion als auch des Kundenberaters im Vergleich zu den Leistungsmerkmalen des Autos weniger wichtig als die Er­ scheinung und das Verhalten von Bankangestellten oder Flugbegleitem bei der Wahl eines Kreditinstituts oder einer Fluggesellschaft. Die Spezifität der Situation wird dabei auch durch die Persönlichkeit des Kunden selbst determiniert. Die Dienstleistungsspezifität steigt mit zunehmender Bedeutung der beiden Di­ mensionen - instrumentalisiert durch die oben beschriebenen Ausprägungen - im Hinblick auf das Erreichen eines qualitativ zufriedenstellenden Ergebnisses der Leistungserstellung.35 Diese Einordnung von Leistungen bietet in mehrfacher Hinsicht Vorteile. Die Besonderheiten für das Management von Dienstleistungen können unter Berücksichtigung dieser Typologisierung auch auf Teilbereiche der Wertschöpfungkette in Industrieunternehmen angewendet werden, falls eine entsprechende Dienstleistungsspezifität festgestellt wird. Zudem lassen sich bei Anwendung des Schemas im Rahmen von Wettbewerbs- oder Benchmark-Analy­ sen Ausgliederungs- sowie Differenzierungspotentiale erkennen. Den Vorteilen steht jedoch die Problematik gegenüber, daß sich Leistungsbündel mit hoher Dienstleistungsspezifität über die beiden verwendeten Dimensionen hinaus durch weitere Merkmale beschreiben lassen, auf die im folgenden einge­ gangen wird. Erst aus der Gesamtheit der grundlegenden Charakteristika36 von Dienstleistungen lassen sich die spezifischen Erfordernisse für Organisation und Management von international tätigen Dienstleistungsuntemehmen ableiten. Auf eine allgemeingültige, abschließende Definition des Dienstleistungsbegriffs wird jedoch verzichtet, da die Merkmale bei verschiedenen Dienstleistungen in unterschiedlicher Ausprägung vorliegen. Wichtig ist jedoch, daß die grundlegende Besonderheit von Dienstleistungen vor allem im Zusammenwirken der verschie­ denen Merkmale liegt.

33 Vgl. Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 414-415. 34 Vgl. Normann 1987, S. 22. 35 Vgl. Hardt 1996, S. 12. 36 Eine Unterteilung in konstitutive Merkmale und Basisbesonderheiten, die in der Dienstleistungs­ literatur teilweise vorgenommen wird, bleibt hier unberücksichtigt, da eine eindeutige Differen­ zierung nicht zu erkennen ist. Vgl. beispielhaft zur Unterscheidung und Diskussion der beiden Be­ reiche Lovelock 1992a, S. 5-6; Maleri 1997, S. 95-97; Mengen 1993, S. 37; Meyer 1991, S. 199.

30

Einleitung und begriffliche Grundlagen

Ausgangspunkt für die Untersuchung managementrelevanter Dienstleistungs­ merkmale ist eine phasen- bzw. dimensionsbezogene Betrachtung.37 Diese ergibt sich aus der Kombination von Prozeß-, Potential- und Ergebnisorientierung, die zur Definition von Dienstleistungen oft auch einzeln angeführt werden.38 Das Wesen einer Dienstleistung ist jedoch erst vollständig erfaßt, wenn alle drei Dimensionen und die damit verbundenen Charakteristika entsprechend der nach­ folgenden Abbildung zusammen betrachtet werden.39

Abbildung 1-3: Wesentliche Merkmale von Dienstleistungen Quelle: Eigene Darstellung Insbesondere der Prozeß der Leistungserstellung stellt ein wesentliches Ab­ grenzungskriterium zu Sachgütern dar.40 Dieser umfaßt in integrierender Weise

37 Vgl. Corsten 1990, S. 18; Hilke 1989, S. 10-11; Engelhardt/Kleinaltenkamp/ Reckenfelderbäumer 1993, S. 398. Dabei ist der Begriff der Dienstleistungsdimension von ENGELHARDT et al dem der Dienstleistungsphasen vorzuziehen, weil Dimensionen im Gegensatz zu Phasen nicht chronologisch aufeinanderfolgen müssen. 38 Vgl. Meffert 1994, S. 52; Corsten 1997, S. 21-23. 39 Vgl. Hilke 1989, S. 10. 40 Vgl. Engelhardt 1990 S. 278-280; Rosada 1990, S. 20-22; Hilke 1989, S. 15; Meffert/Bruhn 1997, S. 25.

Teil 1

31

sowohl die ’’Produktion” als auch den ’’Absatz” der Leistung. Meyer spricht in diesem Zusammenhang auch vom ”uno actu-Prinzip” 41 Ohne die Einbeziehung des Kunden als externen Faktor in Form seiner Person oder eines ihm gehörenden Objekts, in der Funktion eines prozeßauslösenden und -unterstützenden Elements, käme keine Dienstleistung zustande 42 Der Dienstleistungsnachfrager wird aus diesem Grund auch als ’’Prosumer” (Producer und Consumer) bezeichnet.43 Die Integration bei der Erstellung der Dienstleistung nimmt die Zeit des externen Faktors in Anspruch. Dienstleistungen sind durch ihren Prozeßcharakter zeit­ raumbezogene ’’Produkte” 44

Die Integration des Kunden in den Dienstleistungsprozeß impliziert die Unmög­ lichkeit der Lagerung des Angebotsobjekts. Dienstleistungen können nicht vorab produziert werden, so daß bereitgestellte und nicht genutzte Kapazitäten ver­ fallend Dennoch ist ein Vorbehalt an Potentialen im Sinne eines Leistungsver­ sprechens notwendig, um potentielle Nachfrage mit einem entsprechenden Ange­ bot bedienen zu können 46 Diese Herstellung der Leistungsbereitschaft als Vor­ kombination der Produktionsfaktoren ist im Gegensatz zur Leistungserstellung autonom vom Kunden durchführbar, während die Endkombination als Dienst­ leistungsergebnis von der Integration mindestens eines externen Faktors ab­ hängt 47

Für den Kunden sind Dienstleistungen mit einem hohen wahrgenommenen Kaufrisiko verbunden, da er vor ihrer Inanspruchnahme lediglich ein Leistungs­ versprechen erhält48 Als Referenzeigenschaften für die Kaufentscheidung können vorab nur Teile des Dienstleistungskonzepts herangezogen werden, sogenannte ’’Search Qualities” 49 Hierbei handelt es sich z.B. um die tangiblen Elemente der Dienstleistung wie das Erscheinungsbild von Gebäuden und Personal, den Preis und die Verfügbarkeit der Leistung oder den Markennamen. Die Bewertung von Dienstleistungen erfolgt überwiegend auf Basis von Erfahrungen während der Leistungsausführung anhand von ’’Experience Qualities” und durch ’’Credence

41 Vgl. Meyer 1991, S. 198. 42 Vgl. Mößlang 1995, S. 18; Kaas 1992, S. 885. 43 Vgl. Meyer 1993, S. 184. 44 Vgl. Stauss 1991, S. 81. 45 Vgl. Meyer 1993, S. 189. 46 Vgl. Corsten 1997, S. 22. 47 Vgl. Maleri 1997, S. 148-176; Corsten 1985, S. 161-162; Mößlang 1995, S. 19. 48 Vgl. Hentschel 1992, S. 108. 49 Vgl. Stauss/Hcntschel 1991, S. 239.

32

Einleitung und begriffliche Grundlagen

Qualities”, die sich auf das Vertrauen in die Kompetenzen des Unternehmens beziehen.50 Ein weiteres entscheidendes Kennzeichen von Dienstleistungen ist im Rahmen einer ergebnisorientierten Betrachtung die bereits erwähnte Immaterialität oder Intangibilität.^ Letztere Bezeichnung wird dabei bevorzugt verwendet, da das Ergebnis einer Dienstleistung durchaus materieller, sichtbarer Natur sein kann, z.B. die Reparatur eines Autos. Ausschlaggebend bei einer Dienstleistung ist jedoch letztlich die immaterielle Wirkung, wie z.B. die wiederhergestellte Funktionsfähigkeit des Autos, die physisch nicht greifbar ist.52 Diese Tatsache verdeutlicht Hill in seiner Beschreibung von Dienstleistungen: "A service may be defined as a change in the condition of a person, or a good belonging to some economic unit, which is brought about as the result of the activity of some other economic unit, with the prior agreement of the former person or unit. ”53 Zustandsveränderungen beim externen Faktor können folglich materielle Be­ standteile haben, wichtig ist aber vor allem die Tatsache der Veränderung, die wiederum den Prozeßcharakter der Dienstleistung hervorhebt.54 Die Integra­ tionsnotwendigkeit des externen Faktors und die Veränderung eines Ausgangszu­ stands sind Determinanten der Individualität des Dienstleistungsprozesses und ergebnisses. Hierzu trägt neben der Persönlichkeit des Kunden und seiner Art der Einbringung in den Prozeß auch der individuelle Ausgangszustand des externen Faktors bei.

Die zusammenhängende Darstellung der Dienstleistungs-Charakteristika soll noch einmal betonen, daß es keine trennscharfen konstitutiven Leistungsmerkmale einer Dienstleistung gibt, sondern daß vielmehr die Interdependenzen die Besonderheit von Dienstleistungen ausmachen und die Notwendigkeit eines spezifischen Dienstleistungs-Managements hervorrufen.55 Für sich genommen sind 50 Vgl. Zeithaml 1991, S. 40; Engelhardt/Kleinaltenkamp/ Reckenfelder-bäumer 1993, S. 418. Die auf Nelson 1970 sowie Darby/Kami 1973 zurückgehenden Begriffe der ’’Search”, ’’Experience” und ’’Credence Qualities” werden teilweise auch ins Deutsche übersetzt. Vgl. Kaas 1991, S. 7. Um ihre Bedeutung im Rahmen der Qualitätsbeurteilung durch den Kunden nicht zu vernachlässigen, werden hier die englischen Ausdrücke als generische Begriffe verwendet. Vgl. zur empirischen Validierung dieser Bewertungsdimensionen für Produkte Kaas/Busch 1996, S. 243-252. 51 Vgl. Corsten 1997, S. 27-28. 52 Vgl. Hilke 1989, S. 14-15; Hentschel 1992, S. 25-26. 53 Hill 1977, S. 318. 54 Vgl. Siniscalco 1989.S. 50. 55 Vgl. Meffert 1994, S. 524.

Teil 1

33

insbesondere die Potentialbereitstellung aber auch die Integration eines externen Faktors bei Industrieunternehmen ebenfalls vorzufinden. Vor allem im Investi­ tionsgütersektor, verstärkt aber auch im Konsum- und Gebrauchsgüterbereich, steigt die Bedeutung individueller auf den Kunden zugeschnittener Problem­ lösungen und Produkte.56 Die nachfolgenden Betrachtungen beziehen sich auf institutionelle Dienstleistungen.57

1.2.2

Das transnationale Unternehmen im Konzept von Bartlett/ Ghoshal

Basierend auf empirischen Untersuchungen58 identifizieren Bartlett/Ghoshal drei in der Vergangenheit hauptsächlich vorzufindende Organisations formen international tätiger Unternehmen. Multinationale, internationale und globale Unternehmen unterscheiden sich, wie Tabelle 1-2 zeigt, aufgrund differierender strategischer Herausforderungen hinsichtlich ihrer Kemkompetenzen und damit auch in bezug auf ihre organisatorischen Charakteristika.59

56 Vgl. Winkelhage 1998, S. 17. 57 Diese befinden sich in Abb. 1-2 im rechten, oberen Quadranten. Vgl. zur Unterscheidung von institutionellen im Gegensatz zu funktionalen Dienstleistungen Meyer 1994, S. 33-39; Friese 1998, S. 48-49. Funktionale Dienstleistungen sind unmittelbar vom Absatz eines Sachguts ab­ hängig und werden nicht eigenständig auf dem Markt angeboten, wie z.B. Finanzierungsangebote für einen Autokauf durch die konzemeigene Finanzierungsgesellschaft. Sie sind i.d.R. in die Wertschöpfungskette des Gesamtuntemehmens eingegliedert und entsprechen damit nicht dem primären Untersuchungsziel der Arbeit. 58 In mehreren Befragungen wurden dabei die Stellungnahmen von insgesamt 236 Managern der weltweiten Niederlassungen von 9 Industrieunternehmen erfaßt. Zur umfassenden Darstellung der Forschungsergebnisse vgl. Bartlett/Ghoshal 1989; Bartlett/Ghoshal 1990. 59 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1990, S. 20-29; Bartlett/Ghoshal 1992, S. 284-288.

34

Einleitung und begriffliche Grundlagen

Internationales Unternehmen Strategische Herausforderung

Kernkompetenz Organisatorische Charakteristika

Internationaler Produktlebenszyklus6^

Lernfähigkeit Koordinierte Föderation Auslandseinheiten als ’’Anhängsel”

x Multinationales Unternehmen Differenzierte nationale Markt-charakteristika

Flexibilität Dezentralisierte Föderation Unabhängige Aus­ landseinheiten

Globales Unternehmen

Homogenisierung nationaler Märkte

Effizienz Zentrale als Drehscheibe Auslandseinheiten als ’’End of the Pipeline”

Tabelle 1-2: Grundlegende Merkmale internationaler, multinationaler und globaler Unternehmen Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Bartlett/Ghoshal 1990, S. 82. Angesichts neuer Herausforderungen des internationalen Wettbewerbs werden die drei aufgezeigten Organisationsformen nach BARTLETT/GHOSHAL in der Zukunft für Unternehmen vieler Wirtschaftszweige immer weniger Erfolgsaussichten haben.61 Die nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Liberalisierung des Welthandels, verbesserte Logistik- und Kommunikationssysteme sowie durch Fortschritte bei der automatisierten Fertigung ermöglichten globale Produkt- und Prozeßstandardisierungen werden heute verstärkt von differenzierten Kunden­ präferenzen konterkariert, die sich immer mehr vom Massenprodukt entfernen.62 Diese Entwicklung resultiert u.a. aus einem gestiegenen Lebensstandard der Industrieländer durch höhere Durchschnittseinkommen sowie einem verbesserten Informationsstand der Verbraucher, die damit auch zunehmend (preis-)kritischer werden.63 Die spezifischen Zielgruppen eines Produktes in einem nationalen Markt werden folglich kleiner, sind dafür aber im Zuge der anhaltenden globalen Angleichung von Kundenpräferenzen weltweit vorzufinden.64 Gleichzeitig müssen weiterhin makroökonomische, technologische, politische, soziale und ökologische Rahmenbedingungen einzelner Länder und Regionen berücksichtigt werden.65 Erfolgspotentiale können somit nur durch eine multidimensionale

6$ Vgl. Vernon 1966, S. 190-207; zu einer Zusammenfassung Kreikebaum 1998, S. 50-53; Perlitz 1997, S. 114-116; Dicken 1992, S. 139-142. 61 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1987a, S. 12. 62 Vgl. Bartlett 1989, S. 436-437; Kostecki 1994c, S. 14 und 17. 63 Vgl. Meffert 1986, S. 695-699 und 705-706; Vandcrmerwe 1994, S. 48. 64 Vgl. Kogut 1990, S. 50. 65 Vgl. Ulrich 1990, S. 67; Porter 1999a, S. 358-359.

Teil 1

35

Sichtweise realisiert werden. Notwendig ist die Kombination einer schnellen Reaktionsfähigkeit im lokalen Markt mit einem länderübergreifenden effizienten Ressourcentransfer und mit der weltweiten Sicherung von Innovationspro­ zessen.66 Bartlett/Ghoshal entwickelten als Ergebnis ihrer Untersuchungen das transnationale Organisationsmodell, um aufzuzeigen, wie international tätige Unternehmen diese auf den ersten Blick gegenläufigen Anforderungen simultan erfüllen können. Es unterscheidet sich durch die nachfolgend erläuterten Merk­ male und damit verbundenen Konsequenzen wesentlich von den drei zu Beginn vorgestellten Organisationsformen. An dieser Stelle ist jedoch zu betonen, daß das TNU nicht, wie oft interpretiert, die einzige ideale Organisationsform der internationalen Untemehmenstätigkeit ist. In vielen Branchen läßt sich die Entwicklung der oben aufgezeigten Notwen­ digkeit zur gleichzeitigen Erfüllung von globaler Integration und lokaler Diffe­ renzierung der Untemehmensaktivitäten sicherlich bestätigen.67 Allerdings zeigen insbesondere spätere Veröffentlichungen von BARTLETT/GHOSHAL et al, daß die drei anderen Modelle bei entsprechenden Umweltbedingungen ebenso ihre Berechtigung im internationalen Management besitzen.68

Aus den gewachsenen Ansprüchen der Kunden, individuelle Produkte mit hoher Qualität zu günstigen Preisen zu erhalten, erwächst die Notwendigkeit des simul­ tanen Aufbaus der drei strategischen Kompetenzen

• • •

multinationale Flexibilität, globale Effizienz und weltweite Lernfähigkeit.69

Die Kernkompetenz "multinationale Flexibilität" wird neben der Herausforde­ rung der Marktnähe aufgrund der diversifizierten und veränderlichen Umwelt eines TNU erforderlich.70 Die weltweite Wettbewerbsfähigkeit hängt somit von den Potentialen des Unternehmens ab, hieraus resultierende Chancen wahrzu­ nehmen sowie mögliche Bedrohungen abzuwehren71 Allerdings äußert sich

66 Vgl. zurNedden 1994, S. 79. 67 Vgl. zu den Gründen zusammenfassend auch Prahalad/Doz 1987, S. 18-21; Suckfüll 1994, S. 2830. 68 Vgl. hierzu insbesondere die Forschungsergebnisse von Ghoshal/Nohria 1993. Die theoretischen Grundlagen hierzu werden in Kapitel 2.2 dieser Arbeit als Notwendigkeit einer adäquaten Orga­ nisationskomplexität vor dem Hintergrund der neueren Systemtheorie näher erläutert. 69 Vgl. Kreikebaum 1998, S. 118-119; Kogut 1990, S. 48. 70 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1990, S. 87-88. 7^ Vgl. Kreikebaum 1997, S. 21.

36

Einleitung und begriffliche Grundlagen

multinationale Flexibilität weniger darin, so schnell wie möglich mit ad hoc Reaktionen auf Veränderungen einzugehen. Vielmehr gilt es, in den verschie­ denen Märkten, die das TNU bearbeitet, entsprechend der lokalen Erfordernisse kontinuierlich Marktnähe aufzubauen, um so das Wettbewerbsumfeld aktiv mitgestalten zu können. Flexibilität bei Beschaffung, Preisen, Produktdesign und Strategien ist der Schlüssel zur erforderlichen Differenzierung. Hierfür ist eine permanente Beobachtung des nationalen wie internationalen Umfelds in bezug auf Veränderungen und Diskontinuitäten wichtig.72 Weltweite Veränderungen von Präferenzstrukturen, neue Technologien und gesetzliche Regelungen sowie Schwankungen von Preisen und Wechselkursen lassen sich mit geringen negati­ ven Auswirkungen überstehen oder aber als Wettbewerbschancen nutzen, wenn frühzeitig darauf reagiert werden kann. Die verschiedenen Auslandsgesell­ schaften73 besitzen somit eine Art Frühwamfunktion für die anderen Untemehmenseinheiten. Aus diesen Gründen erhält inkrementales Vorgehen im Rahmen der strategischen Entwicklung des TNU eine größere Bedeutung als umfassende, detailliert ausgearbeitete Langfristpläne.74 Um globale Effizienzvorteile zu erreichen, sind grundsätzlich zwei Ansatzpunkte möglich. Auf der einen Seite lassen sich im Rahmen einer globalen Integration der Untemehmensaktivitäten Kostensenkungen durch ’’Economies of Scale” oder ’’Scope” sowie Erfahrungskurveneffekte erzielen.75 Dies wird in erster Linie erreicht über Produkt- und Prozeßstandardisierungen, effiziente Logistiksysteme und spezifische Lieferantenbeziehungen.76 Ziel ist die gemeinsame Nutzung von Ressourcen, um überflüssige Doppelarbeiten zu vermeiden und Produktions­ volumina einzelner Tochtergesellschaften zu steigern. Auf der anderen Seite läßt sich auch der Wert des Outputs erhöhen. Dieser Hebel globaler Effizienz steht in direktem Zusammenhang mit der Strategie der lokalen Differenzierung, da durch

72 Vgl. Porter 1999a, S. 118. 73 Im folgenden werden die Bezeichnungen Auslands- und Tochtergesellschaft, Filiale und Nieder­ lassung nicht in ihrer gesellschaftsrechtlichen Abgrenzung sondern als Synonyme für die Aus­ landseinheiten des TNU verwendet. 74 Vgl. zu diesem Abschnitt Bartlett/Ghoshal 1990, S. 87; Bartlett/Ghoshal 1992, S. 275-277. 75 ”Economies of Scale” bezeichnen die Stückkostendegression pro Zeiteinheit bei wachsenden Pro­ duktionsvolumina. ”Economies of "Scope” entstehen durch das Angebot mehrere Produkte inner­ halb einer Produktgruppe. Kosteneinsparungen sind gegenüber isolierten Prozessen für die ver­ schiedenen Produkte z.B. durch die Verwendung gleicher Baugruppen oder Verbundeffekte im Verkauf möglich. Unter dem Erfahrungskurveneffekt versteht man den degressiven Zusammen­ hang zwischen kumulierter produzierter Menge und den Stückkosten. Vgl. Kreikebaum 1997, S. 97-109; Kogut 1990, S. 51. 76 Vgl. Kreikebaum 1998, S. 119.

Teil 1

37

das Eingehen auf nationale Markterfordernisse der Umsatz erhöht werden kann. Kennzeichnend für das TNU ist die simultane Verfolgung beider Wege.77

Die dritte strategische Kompetenz des TNU besteht darin, Wissen, das entweder in den Tochtergesellschaften oder in der Zentrale erworben wurde, der gesamten Organisation zur Verfügung zu stellen.78 Im Gegensatz zum einseitig von der Zentrale zur Außenorganisation ausgerichteten Lernprozeß des internationalen Unternehmens werden neue Ideen und Entwicklungen der Auslandseinheiten des TNU als gleichwertig gegenüber dem Stammhaus angesehen, sofern sie zum Unternehmenserfolg beitragen. Weltweit operierende Unternehmen besitzen den Vorteil, einer Vielzahl unterschiedlicher Umweltstimuli ausgesetzt zu sein, die all­ gemein als Anstoß neuer Ideen gelten. Eine umfangreiche Nutzung dieser Quellen kann somit zur Erzielung von Wettbewerbs vorteilen verhelfen. Allerdings fuhrt die Existenz eines weltweiten ’’strategischen Radars”79 nicht automatisch zu Lerneffekten. Zum einen müssen die Mitarbeitern lembereit sein, zum anderen gilt, wie im Falle der Erzielung globaler Effizienzvorteile, daß entsprechende Informations- und Kommunikationssysteme vorhanden sein müssen, um einen multilateralen Wissensaustausch zu fördern.80 Auf die den strategischen Kom­ petenzen entsprechenden organisatorischen Charakteristika soll im folgenden Ab­ schnitt näher eingegangen werden. Abbildung 1-4 stellt sie graphisch dar.

77 78 79 80

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

zu diesem Abschnitt Bartlett/Ghoshal 1992, S. 274-275; Bartlett 1989, S. 445. Bartlett/Ghoshal 1990, S. 122-123. Krystek/Walldorf 1995, S. 443-464. zu diesem Abschnitt Bartlett/Ghoshal 1992, S. 277-279; Bartlett/Ghoshal 1986, S. 94.

Einleitung und begriffliche Grundlagen

38

Abbildung 1-4: Das transnationale Organisationsmodell nach Bar tlett/Ghoshal Quelle: Bartlett/Ghoshal 1990, S. 119. Im TNU sind Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen über die gesamte Or­ ganisation und damit in zahlreichen Ländern verstreut. Die Untemehmenseinheiten bekommen im Rahmen des Leistungsprozesses spezifische Aufgaben zur Erreichung der Untemehmensziele zugeteilt.81 Die weltweite Verteilung und Vernetzung der physischen und geistigen Ressourcen ermöglicht eine Vielzahl interner Perspektiven und soll gleichzeitig den weltweiten Zugriff auf das unter­ nehmensweit akkumulierte Wissen sichern.82 Die spezifische Ausrichtung der Aktivitäten bedeutet, daß weder eine reine Zentralisierung noch eine generelle Dezentralisierung verfolgt, sondern selektive Entscheidungen getroffen werden.83 So sind auch im TNU bestimmte geistige und physische Ressourcen sowie Ver­ antwortlichkeiten zentral angesiedelt, jedoch nicht zwangsläufig am Haupsitz.84 Tochtergesellschaften oder rechtlich unselbständige Untemehmenseinheiten er­

81 82 83 84

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Bartlett/Ghoshal 1990, S. 118-122. Bartlett 1989, S. 438, 443. Bartlett/Ghoshal 1990, S. 84. Bartlett/Ghoshal 1992, S. 287.

Teil 1

39

halten den Status eines ’’Center of Excellence”.85 Die Strategie wird auch als Lead-Country-Konzept bezeichnet.86

Die spezialisierten, im Hinblick auf das Gesamtergebnis des Unternehmens inter­ dependenten Leistungen der Auslandsniederlassungen fuhren zu differenzierten Beiträgen und ermöglichen damit eine effiziente Ressourcennutzung.87 Die Spezifizierung ist jedoch nicht statisch, sondern kann sich im Zeitablauf, in Ab­ hängigkeit der Kompetenzen der Einheiten, ändern.88 Dies erfordert sowohl eine intensive als auch flexible Integration sämtlicher Aktivitäten. Ebensowenig bedeutet Spezialisierung zwangsläufig die Monopolisierung be­ stimmter Ressourcen. Vielmehr wird bewußt eine Mehrfachbesetzung bestimmter Fähigkeiten gesucht, um simultanes Vorgehen in Innovationsprozessen zu gewährleisten und den internen Wettbewerb zu fördern.89 Andere Funktionen wiederum sind vollkommen dezentralisiert und werden von allen oder den meisten Auslandseinheiten wahrgenommen, um die notwendige Marktnähe zu sichern.90 Hierdurch entsteht ein differenziertes Netzwerk interdependenter Beziehungen. Die Verwirklichung der einheitenspezifischen Aufgaben läßt sich durch erfolgreiche Kooperation mit den anderen weltweit verstreuten Untemehmensteilen am besten erreichen.91 Das Konzept des TNU sieht keine Gleichbehandlung aller Tochtergesellschaften vor. Hiermit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß sich die jeweiligen natio­ nalen Einheiten sowohl hinsichtlich ihrer Kompetenzen und Fähigkeiten als auch in bezug auf die strategische Bedeutung des lokalen Umfeldes für die Weltmarkt­ strategie des Gesamtuntemehmens unterscheiden.92 Aus diesem Grund müssen die Rollen und Zuständigkeiten der nationalen Organisationen so definiert wer­ den, daß sie deren differenzierten Stellenwert im Gesamtuntemehmen wider­ spiegeln. Daraus ergeben sich die im folgenden Portfolio aufgezeigten vier ver­ schiedenen Rollen, die die Tochtergesellschaften des TNU einnehmen können.

85 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1992, S. 524; Henzler 1992, S. 86. 86 Vgl. Kieser/Kubicek 1992, S. 289. 87 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1992, S. 660. 88 Vgl. Kieser/Kubicek 1992, S. 285. 89 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1990, S. 122. 90 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1987a, S. 9-10. 91 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1988, S. 66; Bartlett/Ghoshal 1990, S. 123. 92 Vgl. Ghoshal/Bartlett 1990, S. 604-606; Bartlett/Ghoshal 1987b, S. 55. Die Bedeutung des Um­ felds äußert sich in erster Linie in Größe und Entwicklungsniveau des relevanten Marktes, in der Verfügbarkeit von Ressourcen und darin, ob es sich um den Heimatmarkt eines wichtigen Kon­ kurrenten handelt.

Einleitung und begriffliche Grundlagen

40

Hoch

SCHWARZES LOCH

STRATEGISCHER FÜHRER

AUSFÜHRENDE ROLLE

MITWIRKENDE ROLLE

Niedrig

Hoch

Strategische Bedeutung des lokalen Umfelds

Niedrig

Niveau der lokalen Ressourcen und Kompetenzen

Abbildung 1-5: Typische Rollen nationaler Einheiten des transnationalen Unternehmens Quelle: Bartlett/Ghoshal 1992, S. 639. Einheiten in der Rolle eines strategischen Führers agieren auf strategisch wichti­ gen Märkten und verfugen über bedeutende interne Kompetenzen. Sie stehen im Strategieentwicklungs- und -implementierungsprozeß als gleichwertige Partner an der Seite der Zentrale. Ihnen kommt neben dem Aufspüren von Diskontinuitäten in wichtigen Märkten die Aufgabe zu, diese auf Chancen und Bedrohungen zu analysieren und für das gesamte Unternehmen passende Reaktionsmöglichkeiten auszuarbeiten.93

Lassen sich bestimmte lokale Gegebenheiten oder Kompetenzen einer Einheit in weltweitem Umfang nutzen, kommt dem jeweiligen Bereich die mitwirkende Rolle des ’’Contributors” zu. Dies betrifft Niederlassungen, die hochentwickelte Fähigkeiten vorzeigen, jedoch in einem Umfeld ohne strategisch weitreichende Bedeutung operieren. Die Einordnung einer Auslandseinheit mit hochent­ wickelten Fähigkeiten als ’’Contributor” ist besonders wichtig, wenn verhindert werden soll, daß diese Fähigkeiten ineffizient eingesetzt werden. Das Risiko besteht bei fehlender externer Herausforderung durch mangelnde Motivation oder durch Bestrebungen des lokalen Managements, seine Kompetenzen und die

93 Vgl. zu diesem Abschnitt Bartlett/Ghoshal 1986, S. 90.

Teil 1

41

Autonomie der Einheit durch unnötige Produktdifferenzierungen zu stärken. Diese Problematik läßt sich umgehen, indem ’’überschüssige” örtliche Ressourcen für weltweite Aufgaben eingesetzt werden.94 Die dritte Situation ist gegeben, wenn die nationale Einheit gerade über aus­ reichende Fähigkeiten verfugt, ihre Aktivitäten in einem strategisch weniger wichtigen Umfeld aufrechtzuhalten. Ihre Effizienz ist allerdings ebenso bedeutend wie die Innovationsleistung eines strategischen Führers. Denn oft ermöglicht gerade erst die Marktpenetration der ausführenden Niederlassungen die entsprechenden Produktionsvolumina, die zu Kostensenkungen fuhren und Innovationen rentabel machen.95 Die vierte mögliche Position einer nationalen Einheit wird als "Schwarzes Loch" bezeichnet. Sie ergibt sich, wenn ein TNU in einem strategisch bedeutenden Umfeld nicht Fuß fassen kann.96 Es handelt sich hierbei um eine aus strategischer Sicht nicht tragbare Situation, die es zu überwinden gilt.97

Neben den bisher beschriebenen Eigenschaften des TNU, die die formale Auf­ baustruktur betreffen und in Analogie zu einem physiologischen Modell als Ana­ tomie des Unternehmens bezeichnet werden, sprechen Bartlett/Ghoshal wei­ teren Organisationsmechanismen eine bedeutende Rolle zu.98 Ergänzend zur Anatomie sind dies die Organisationsphysis, die das Informations- und Kommu­ nikationssystem sowie Entscheidungsprozesse umfaßt, und die Organisations­ psyche99, die gleichbedeutend ist mit der Untemehmenskultur.100

Vgl. zu diesem Abschnitt Bartlett/Ghoshal 1992, S. 640. Vgl. zu diesem Abschnitt Bartlett/Ghoshal 1986, S. 91. Vgl. Jarillo/Martinez 1990, S. 502-505. Auf mögliche organisatorische Auswege wird im Rahmen der Entwicklung des transnationalen Dienstleistungssystems näher eingegangen. Vgl. hierzu insbesondere die Abschnitte 3.4.1.2 und 3.7.2 dieser Arbeit sowie Bartlett/Ghoshal 1992, S. 641; Bartlett/Ghoshal 1987b, S. 56-57. 98 Vgl. Bartlett 1989, S. 455-456. 99 Bartlett/Ghoshal setzen Organisationspsyche mit Untemehmenskultur gleich. In der Orga­ nisationsliteratur werden die beiden Konstrukte dagegen oft getrennt betrachtet. Organisations­ kultur umfaßt die gemeinsam geteilten Werte der Organisationsmitglieder. Die Organisations­ psyche ergibt sich aus den Wahrnehmungen der Organisationsmitglieder hinsichtlich ihres all­ täglichen Verhaltens und der Qualität der inneren Umwelt in bezug auf bestimmte Unterneh­ mensziele. Dieses Organisationsklima hat wiederum Auswirkungen auf die Kultur, wird jedoch auch von dieser beeinflußt. Vgl. u.a. Conrad/Sydow 1984, S. 1-20; Ogbonna/Harris 1998, S. 26; Nerdinger 1994, S. 308-319. >00 Vgl. Bartlett 1989, S. 457-459. 94 95 96 97

42

Einleitung und begriffliche Grundlagen

Das formale Informations- und Kommunikationssystem muß im operativen, stra­ tegischen und normativen Bereich101 seinen Zweck erfüllen. Diese umfangreiche Aufgabenstellung, die zahlreichen Vernetzungen, räumliche Distanzen und zeitliche Differenzen überlasten jedoch ein rein formales System der Informa­ tionsgewinnung und -Übermittlung.102 Entscheidungsprozesse im TNU stützen sich deshalb zu einem großen Teil auf Kommunikationsbeziehungen und Infor­ mationsquellen informeller Natur, z.B. am Rande offizieller Tagungen oder Treffen in privatem Rahmen.103 Dabei ist jedoch auch zu berücksichtigen, daß sich gerade auf diesem Wege Fehlinformationen sehr schnell verbreiten.104 Neben der Organisationsanatomie und -physis verfugt jedes Unternehmen über eine Organisationspsyche, in der sich verbindliche Richtlinien, schriftlich nieder­ gelegte oder implizit anerkannte Werte und Überzeugungen der Unternehmens­ mitglieder widerspiegeln.105 Sie hat insbesondere bei weltweiter Untemehmenstätigkeit eine hervorzuhebende Bedeutung. Das TNU ist in zahlreichen Kulturkreisen präsent und in der Organisation selbst arbeiten Mitarbeiter der unterschiedlichsten kulturellen Herkunft zusammen.106 Im Aufeinandertreffen dieser verschiedenen kulturellen Überzeugungen liegt beträchtliches Konfliktpo­ tential verborgen, das es zu handhaben gilt.107 Gerade deshalb kann eine von allen geteilte und gelebte Untemehmenskultur den Zusammenhalt stärken, wenn sie für die Organisationsmitglieder über den verschiedenen nationalen Kulturen steht, deren Unterschiede jedoch anerkannt und berücksichtigt werden.108

Zusammenfassend ist festzustellen, daß das TNU weder eine spezifische strate­ gische Grundhaltung noch isoliert eine besondere Organisationsstruktur, sondern im wesentlichen eine eigene Management-Mentalität repräsentiert. Die erfolg­ reiche Transformation eines internationalen, globalen oder multinationalen Unter­ nehmens hängt in großem Maße vom Einsatz des Top-Managements ab und

101 Vgl. zur Einteilung der Managementaufgaben in operative, strategische und normative Bereiche Bleicher 1995, S. 55-81. 102 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1992, S. 527. 103 Vgl. Bartlett 1989, S. 456-457. 104 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1990, S. 457. 105 Vgl. Nohria/Ghoshal 1994, S. 493-495; Bäuerle/Schmid 1994, S. 992. 106 Vgl. zu kulturellen Rahmenbedingungen internationaler Untemehmenstätigkeit Abschnitt 2.1.2 dieser Arbeit. 107 Vgl. zu Konflikten international tätiger Unternehmen Kreikebaum/Behnam/Gilbert 1996, S. 5-6; zu Möglichkeiten einer erfolgreichen Konflikthandhabung in international tätigen Unternehmen Gilbert 1998. '08 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1992, S. 528-529.

Teil 1

43

erfordert Zeit.109 Ebenso ausschlaggebend für den Erfolg ist die bestehende Untemehmenskultur, von BARTLETT/GHOSHAL als ’’administrative heritage”110 bezeichnet. Sie beeinflußt die Einstellung der Untemehmensmitglieder gegenüber Veränderungen - gleichzeitig entwickelt sie sich durch neue Überzeugungen aller Mitarbeiter weiter. Einen bedeutenden Stellenwert haben in diesem Zusammen­ hang die Rolle der Führungskräfte) die nationale Kultur, in der das Unternehmen sein Stammhaus hat, Anzahl und Verschiedenartigkeit der Landeskulturen, in denen sich Tochtergesellschaften befinden, und die historische Entwicklung des Unternehmens.111

109 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1990, S. 35; Bartlett 1989, S. 458-459. 110 Bartlett/Ghoshal 1988, S. 56. 111 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1989, S. 33.

Einleitung und begriffliche Grundlagen

44

1.3

Weitere Vorgehensweise

Die Bearbeitung der aufgezeigten Problemstellung erfolgt in vier Hauptteilen. Die folgende Abbildung faßt die weitere Vorgehensweise in einem schematischen Überblick zusammen und wird anschließend erläutert.

1 EINLEITUNG UND BEGRIFFLICHE GRUNDLAGEN

2 ERWEITERUNGEN DER NETZWERKPERSPEKTIVE DES TRANSNATIONALEN UNTERNEHMENS 2.1 Rahmenbedingungen für international tätige Dienst­ leistungsunternehmen

2.2Die Problematik der adä­ quaten Organisations­ komplexität

2.3Charakteristika inter­ nationaler Unter­ nehmensnetzwerke

2 4 Einordnung von Dienstleistungen vor dem Hintergrund der Internationalisierung

4/5

FALLBEISPIEL

6 SCHLUßBETRACHTUNG

Abbildung 1-6: Aufbau der Arbeit Quelle: Eigene Darstellung Ausgangspunkt der Untersuchung sind die Unzulänglichkeiten des TNU-Modells von Bartlett/Ghoshal hinsichtlich seiner Anwendbarkeit zur Entwicklung eines theoretischen Rahmens für international tätige Dienstleistungsunternehmen {Teil 2). Die empirischen Untersuchungen, auf denen das TNU basiert, berück­ sichtigen keine Dienstleistungsuntemehmen. In einem ersten Schritt werden

Teil 1

45

deshalb in Kapitel 2.1 zunächst grundsätzliche Überlegungen zu den Rahmenbe­ dingungen der internationalen Tätigkeit von Dienstleistungsuntemehmen ange­ stellt. Sie geben Aufschluß über die allgemeinen Gestaltungsmöglichkeiten des Modells. Ein wesentlicher Einflußfaktor internationaler Tätigkeit sind dabei die Deregulierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen im Rahmen politisch-recht­ licher Entwicklungen verschiedener Länder und Institutionen. Vielfach machen erst sie die weltweite Ausdehnung der Untemehmensaktivitäten möglich. Die Existenz und der Abbau von Barrieren eines weltweit freien Dienstleistungswett­ bewerbs werden deshalb untersucht. Die grenzüberschreitende Erstellung von Dienstleistungen bedingt oft auch das Überschreiten kultureller Grenzen. Davon betroffen sind nicht nur die Mitarbeiter mit direktem Kontakt zu ausländischen Kunden. Täglich interagieren Unternehmensmitglieder der weltweit verstreuten Einheiten, die neben der Untemehmenskultur v.a. auch von ihrer jeweiligen Landeskultur geprägt sind. Die Handhabung kultureller Überschneidungssitua­ tionen stellt somit eine wichtige Managementaufgabe in einem TNU dar, die im ursprünglichen Konzept jedoch nicht explizit berücksichtigt wird. Aus diesem Grund erscheint es nützlich, die Entstehung von Kultur sowie ihre möglichen Ver­ haltensauswirkungen näher zu beleuchten. Weiteren Einfluß auf die Rahmenbe­ dingungen für Dienstleistungsuntemehmen haben die Entwicklungen der Infor­ mations- und Kommunikationstechnologie sowie ökonomische und ökologische Umweltfaktoren, die ebenfalls angesprochen werden.

Die nächste Erweiterung der Netzwerkperspektive des TNU bezieht sich auf die theoretische Begründung dieser Organisationsform. Die Komplexität des TNU ist nach Bartlett/Ghoshal et al, die sich auf das ’’Law of requisite variety” des Kybernetikers ASHBY stützen, die adäquate Antwort auf eine komplexe Unter­ nehmensumwelt. Eine theoretische Herleitung dieser Gesetzmäßigkeit bleibt jedoch aus. In Kapitel 2.2 soll deshalb anhand der neueren Systemtheorie Luhmanns, als soziologische Weiterentwicklung der Kybernetik, gezeigt werden, was unter einer adäquaten Systemkomplexität verstanden wird und wie sich diese auf den Untemehmenskontext anwenden läßt. Dies beinhaltet zunächst eine grundlegende Auseinandersetzung mit den Begriffen der Komplexität und Kontin­ genz sowie mit der Differenzierung von System und Umwelt. Daran knüpft eine Einordnung von Unternehmen als soziale Systeme an. Die abstrakt gehaltenen Ausführungen zu den Grundlagen der Systemtheorie werden anschließend mit zwei Modellen des strategischen Managements, der Branchenstrukturanalyse und der Wertschöpfungskette nach PORTER, verbunden. Sie dienen gleichzeitig als Leitlinien bei der praktische Umsetzung der Rahmenkonzeption. Aufbauend auf dieser theoretischen Fundierung des TNU wird in einem nächsten Schritt die Option der Untemehmenskooperation näher beleuchtet, da diese von Bartlett/Ghoshal ebenfalls vernachlässigt wird. Zunächst wird anhand des

46

Einleitung und begriffliche Grundlagen

Transaktionskostenansatzes gezeigt, warum diese ebenfalls einen Ansatzpunkt des Komplexitätsabgleichs darstellen und zum Entstehen externer Netzwerke fuhren können. Aus dieser Perspektive sind Unternehmen allerdings Hierarchien, die im TNU-Modell durch die Einführung mehrerer Zentren gerade vermieden werden sollen. Gleichzeitig setzen BARTLETT/GHOSHAL das externe Netzwerk mit der Untemehmensumwelt gleich. Eine Verbindung der beiden Sichtweisen erscheint damit problematisch. Die Berücksichtigung systemtheoretischer Überlegungen trägt jedoch zu einer Überwindung dieses Dilemmas bei. Eine optimale Organi­ sationskomplexität kann sich danach auch über die Integration interner und externe Netzwerke ergeben. Der Erklärungsgehalt der Systemtheorie umfaßt in diesem Zusammenhang sowohl die aufbauorganisatorischen Aspekte als auch die Beziehungen zwischen Systemmitgliedem untereinander bzw. zwischen diesen und der Umwelt. Diese Tatsache erweist sich auch vor dem Hintergrund der hohen Interaktions- und Persönlichkeitsintensität von Dienstleistungen als vorteilhaft.

Durch eine Gegenüberstellung weiterer Konzepte internationaler Untemehmensnetzwerke werden in Kapitel 2.3 zusätzlich zu den Kennzeichen des TNU allge­ meine Charakteristika dieser Systeme herausgearbeitet. Sie sollen neben einer Beschreibung der Betrachtungs- und Gestaltungsebenen von Netzwerkansätzen Einblicke in die Besonderheiten des Managements von Untemehmensnetzwerken geben. Damit sind die Erweiterungen der Netzwerkperspektive des TNU abge­ schlossen. Bevor mit der Erarbeitung eines Konzepts begonnen wird, befaßt sich Kapitel 2.4 zunächst noch mit der Frage, welchen Einfluß die verschiedenen Dienstleistungsbesonderheiten auf die Internationalisierung von Dienst­ leistungsuntemehmen haben. Eine genauere Betrachtung zeigt, daß in Abhängig­ keit ihrer Merkmalsausprägungen auch bei vermeintlich ähnlichen Dienst­ leistungskategorien differenzierte Entscheidungen zu treffen sind. Teil 3 beinhaltet mit der Entwicklung einer transnationalen Netzwerk-Organisa­ tion den Schwerpunkt der Arbeit. Dieser richtet sich an fuhrungs- und organisa­ tionsbezogenen Fragestellungen international tätiger Dienstleistungsuntemehmen aus. Aufbauend auf den bereits bekannten Dienstleistungscharakteristika werden zu Beginn in Kapitel 3.1 die von NORMANN identifizierten Erfolgsdeterminanten von Dienstleistungs-Management-Systemen (DMS) vorgestellt. Als weiteres führungsrelevantes Konstrukt wird zusätzlich das Dienstleistungsklima eingeführt. Dies ermöglicht nachfolgend ein spezifisches Eingehen auf die Managementbe­ sonderheiten transnationaler Dienstleistungssysteme. Nach einer kurzen Be­ trachtung des Erfolgsfaktors "Dienstleistungskonzept” unter Berücksichtigung der Notwendigkeiten globaler Integration und lokaler Anpassung in Kapitel 3.2 bilden die Erfolgsdeterminante ’’Leistungserstellungssystem” und dessen Elemente Mitarbeiter und Kunden vor dem Hintergrund der formulierten Zielsetzungen die

Teil 1

47

wesentlichen Gestaltungsparameter bei der Konzeption eines transnationalen Dienstleistungssystem. Die Gestaltung des Leistungserstellungssystems unter Anwendung des Gesetzes der adäquaten Organisationskomplexität erfordert in einem ersten Schritt die Betrachtung des DMS unter Wertschöpfungsgesichtspunkten, da die interne Komplexität eines Unternehmens vor allem über die Anordnung und Ausführung der Wertschöpfungsaktivitäten definiert ist. Dabei wird in Kapitel 3.3 auf das bereits zuvor beschriebene, modifizierte Modell der generischen Wert­ schöpfungskette nach PORTER zurückgegriffen. Diese Perspektive ist jedoch zur vollständigen Erfassung der wertgenerierenden Funktionen eines DMS zu ein­ seitig auf strukturelle und funktionale Aspekte gerichtet. Eine erweiterte Wertbe­ trachtung erlaubt die ’’Service Profit Chain”, die sich explizit mit den Wertper­ spektiven der Mitarbeiter und Kunden befaßt.

Im Anschluß daran erfolgt in Kapitel 3.4 die strukturell-funktionale Konfiguration der Wertschöpfungsaktivitäten international tätiger Dienstleistungsuntemehmen vor dem Hintergrund eines komplexen Untemehmensumfelds. Die hierfür notwendige Eigenkomplexität kann durch die Bildung eines globalen Dienstleistungsnetzwerks interdependenter Unternehmenseinheiten geschaffen werden. Es setzt sich sowohl aus einem internen Netzwerk verschiedener Zentren und dezentraler Einheiten, die in Abhängigkeit ihrer Fähigkeiten und Bedeutung differenzierte Wertschöpfungsaufgaben übernehmen, als auch zusätzlich aus einem externen Netzwerk von Unternehmenskooperationen zusammen. Hervor­ zuheben sind in diesem Zusammenhang Strategische Allianzen und Franchising als besonders relevante Kooperationsformen für Dienstleistungsuntemehmen. Die Möglichkeit der Verknüpfung des internen mit einem externen Netzwerk erscheint aufgrund der prozeßorientierten Leistungsausführung, deren einzelne Schritte teil­ weise untrennbar miteinander verbunden sind, und der politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen ein wesentliches Kriterium bei der Entwicklung eines transnationalen Dienstleistungssystems. Die darin stattfindenden Interaktionen, Kommunikationen und Entscheidungen sind aufgrund der geographischen Ausdehnung und internen Komplexität der Strukturen nicht vollständig von einer zentralen Instanz überschau- und kontrollierbar. Deshalb soll gezeigt werden, daß viele dieser Prozesse in Netzwerken nach dem Prinzip der Selbstorganisation ablaufen. Die Basis dazu bildet eine Erörterung der generellen Kennzeichen dieses Prinzips in sozialen Systemen, der sich eine konkrete Auseinandersetzung mit den Auswirkungen auf die Netzwerkeinheiten und den Leistungserstellungsprozeß anschließt.

Nach dieser Betrachtung der strukturellen Komplexitätsverarbeitung durch die Organisation des Wertschöpfüngssystems konzentrieren sich die beiden darauf­

48

Einleitung und begriffliche Grundlagen

folgenden Kapitel auf die Handhabung der, durch persönliche Interaktionen entstehenden, interkulturellen Komplexität. In Kapitel 3.5 wird versucht, die Bedeutung der Human-Ressourcen in transnationalen Dienstleistungssystemen zu erfassen. Im Mittelpunkt steht dabei die Darstellung eines effektiven Einsatzes von Humankapital als strategischer Erfolgsfaktor. Im Sinne einer Investition in Produktionsmittel stellen sich an die Human-Ressourcen bestimmte Anforde­ rungen hinsichtlich ihrer Einsatzmöglichkeiten in transnationalen Dienst­ leistungssystemen. Eine anfängliche, theoretische Analyse der Bedeutung kultu­ reller Überschneidungssituationen weist darauf hin, daß sich die Mitglieder eines globalen Untemehmensnetzwerks v.a. durch interkulturelle Kompetenz aus­ zeichnen sollten. Sie wird deshalb näher erläutert. Weitere Anforderungen resul­ tieren aus den Besonderheiten der Dienstleistung und dem Selbstorganisa­ tionsprinzip von Netzwerken. Des weiteren ergibt sich die Bedeutung der HumanRessourcen aus der transnationalen Herausforderung des weltweiten Lernens. Organisationales Lernen ist, wie zu zeigen ist, ohne die individuellen Lernpro­ zesse der Netzwerkmitglieder nicht möglich. Zu unterscheiden sind außerdem drei verschiedene Lemebenen, die die Entwicklung eines globalen Dienstleistungs­ netzwerks beeinflussen. Der Aufbau und die Weiterentwicklung eines diesen Anforderungen entsprechenden HR-Potentials erfordert sowohl den Einsatz geeigneter Führungskräfte als auch umfangreicher HR-Maßnahmen. Auf beide Punkte wird zum Abschluß des Kapitels eingegangen. Der zweite aus Interaktionen resultierende interkulturelle Komplexitätsfaktor sind die ”Augenblicke der Wahrheit”, in denen die Mitarbeiter und Kunden des Dienstleistungsnetzwerks direkt aufeinandertreffen. Diese Kontakte werden in Kapitel 3.6 in Verbindung zu den Konstrukten Dienstleistungsqualität, Kunden­ zufriedenheit, -beschwerden und -loyalität eingeordnet und vor dem Hintergrund kultureller Unterschiede bewertet. Ausgangspunkt hierfür ist eine einleitende Auseinandersetzung mit zwei Modellen zur Erfassung von Dienstleistungsqualität und Kundenkontaktpunkten. Im Anschluß daran werden die Kulturabhängigkeit der Qualitätswahrnehmung näher betrachtet und die Bedeutung von Kundenzu­ friedenheit, Kundenbindung und Beschwerdemanagement für transnationale Dienstleistungssysteme angesprochen. Hervorzuheben ist hierbei die Notwendig­ keit, die dezentral ablaufenden Interaktionen zwischen Netzwerkmitgliedern und Kunden zu koordinieren und die gesammelten Erfahrungen dem gesamten Netz­ werk zur Verfügung zu stellen. Hierfür erfolgt ein organisatorischer Lösungsvor­ schlag. Um dem Anspruch der Entwicklung eines umfassenden DMS für international tätige Dienstleistungsuntemehmen Rechnung zu tragen, wird die konzeptionelle Darstellung komplexer Strukturen und Interaktionen in Kapitel 3.7 um ein passendes Führungssystem ergänzt. Das Führungsselbstverständnis hierfür ergibt

Teil 1

49

sich aus der polyzentrischen Gestaltung der Leistungserstellung und den implizierten selbstorganisatorischen Fähigkeiten des Systems. Zunächst erfolgt die Einführung der strategischen Management-Holding als Form der Institutionali­ sierung des internen Dienstleistungsnetzwerks, woraus sich die Führungsauf­ gaben für das Top-Management ableiten lassen. Erfolgt ein Teil der internatio­ nalen Dienstleistungserstellung mit Hilfe eines externen Netzwerks gleichberech­ tigter Kooperationspartner, kommen auf deren Führungskräfte weitere Aufgaben zu. Sie werden unter der Annahme des Entstehens einer virtuellen Allianz-Orga­ nisation beschrieben. Die Erfüllung der Ansprüche, die ein nach polyzentrisch­ selbstorganisatorischen Prinzipien konzipiertes Netzwerk an seine Führungskräfte und Mitarbeiter stellt, erfordert ein flexibles und gleichzeitig umfassendes Führungs- und Informationssystem. Es muß die Strukturen und Prozesse des trans­ nationalen Dienstleistungssystems entsprechend der ’’Service Profit Chain” ab­ bilden und Hebel zur Steigerung des Untemehmenswerts aus Sicht aller An­ spruchsgruppen aufzeigen. Primär auf finanziellen Werten basierende Konzepte kommen dieser Forderung nicht ausreichend nach. Im Gegensatz dazu erfaßt die "Balanced Scorecard", neben einer herkömmlichen finanziellen Betrachtung der Aktivitäten eines Unternehmens, in gleichem Maße Bewertungskriterien zu Kun­ den und Mitarbeitern. Sie wird deshalb in ihren wesentlichen Strukturen als letztes grundlegendes Element eines transnationalen Dienstleistungssystems vorgestellt.

Der theoretischen Rahmenkonzeption schließt sich in den Teilen 4 und 5 eine Überprüfung der praktischen Umsetzbarkeit und aktuellen, empirischen Relevanz der Vorschläge an. Aufgrund der ausgeprägten externen Netzwerkbildungen im globalen Linienluftverkehr erscheint die Lufthansa Passage Airline ein geeignetes Untersuchungsobjekt für dieses Vorhaben. Eine anfängliche Beschreibung der historischen Entwicklung der Deutschen Lufthansa AG und der Rahmenbe­ dingungen des Luftverkehrs unterstreicht diese Annahme. Aufbauend auf der Darstellung bestehender interner und externer Netzwerkstrukturen und -prozesse werden Vorschläge zur Gestaltung der Fluggesellschaft als transnationales Dienstleistungssystem entsprechend der entwickelten Konzeption erarbeitet.

Das Fallbeispiel wird wie auch die theoretische Rahmenkonzeption in einer ab­ schließenden Würdigung in Teil 6 hinsichtlich der Konsequenzen betrachtet, die sich gegenwärtig und zukünftig für Forschung und Praxis ergeben.

Teil 2

2

51

Erweiterungen der Netzwerkperspektive des TRANSNATIONALEN UNTERNEHMENS

2.1

Rahmenbedingungen für die internationale Tätigkeit von Dienst­ leistungsunternehmen

2.1.1

Politisch-rechtliche Entwicklungen

Im Gegensatz zum globalen Handel mit Sachleistungen ist ein weltweites Angebot von Dienstleistungen durch international tätige Unternehmen aufgrund zahlreicher Regulierungen und Staatseingriffe bisher nur in eingeschränktem Umfang möglich gewesen.112 Besonders betroffen von diesen Intemationalisierungshindernissen waren Unternehmen der Bereiche Finanzdienstleistungen und Versicherungen, Verkehr und Transport sowie Telekommunikation.113 Dies mag einer der Gründe dafür sein, daß Dienstleistungsuntemehmen in den Untersuchungen von Bartlett/Ghoshal keine Berücksichtigung fanden.

Oft erfordern die Besonderheiten von Dienstleistungen ein Angebot und die Leistungsausfuhrung vor Ort in Kundennähe.114 Teilweise können sie auch durch Kommunikationsmedien übertragen werden. Der grenzüberschreitende ’’Handel” mit Dienstleistungen ist aufgrund der Unmöglichkeit einer vollständigen Über­ wachung der internationalen Kapitalströme sowie Bewegungen von Menschen und Informationen nur schwer erfaßbar.115 Staatliche Eingriffe und Regulie­ rungsmaßnahmen setzen deswegen nicht am ’’Produkt” bzw. Leistungsergebnis an, sondern als nicht-tarifäre Handelshemmnisse direkt am Dienstleistungsan­ bieter und wirken auf diese Weise protektionistisch.116 Sie äußern sich je nach Art der Dienstleistung in unterschiedlichen Ausprägungen wie z.B. Subventionen, staatlichen Monopoluntemehmen, ’’Local Content”-Vorschriften117, Obergrenzen für Beteiligungen an Unternehmen im Gastland oder beschränktem Zugang zu

112 Vgl. Hermanns/Wißmeier 1998, S. 549; Lovelock 1992a, S 2. 113 Vgl. Sauvant/Mallampally 1993, S. 5. 114 Vgl. Boddewyn/Halbrich/Perry 1986, S. 43. 115 Vgl. Stauss 1995a, S. 441-442. 116 Vgl. Hindley 1989, S. 223; Enderwick 1989, S. 223. 117 ’’Local-Content”-Vorschriften enthalten die Auflage, bei der Herstellung von Produkten bzw. der Ausführung von Dienstleistungen einen bestimmten Anteil an Input-Faktoren, einschließlich Personal, aus dem Gastland zu verwenden. Vgl. Mühlbacher 1995, S. 155.

52

Erweiterungen der Netzwerkperspektive

Kapital, Informationen oder Infrastruktureinrichtungen.118 Zum Teil behindern auch Vorschriften, die in- und ausländische Unternehmen gleich behandeln, den Markteintritt ausländischer Dienstleister.119 Dies ist der Fall, wenn bestimmte Mindeststandards zur Ausführung einer Dienstleistung gefordert werden oder Qualifikationsanforderungen vorliegen, die oft nur im Inland und nur von In­ ländern problemlos erworben werden können.120 Wie auch bei Sachgütern stehen meistens normative Argumente des Verbraucher- und Produzentenschutzes vor Marktversagen, der Gewährleistung einer flächendeckenden Versorgung mit bestimmten Leistungen wie z.B. Gesundheitsfürsorge oder die Wahrung der kulturellen Identität als Rechtfertigung für staatliche Eingriffe.121 Als politischer Grund für regulatorische und protektionistische Maßnahmen einzelner Länder, die in Zusammenhang mit der Internationalisierung von Dienstleistungsmärkten stehen, gilt in Anlehnung an die ’’Neue Politische Ökonomie des Protektionismus” der Einfluß von ’’Pressure Groups” bzw. Lobbyisten betroffener Branchen.122 Ein Eingehen auf deren Forderungen wird von politischer Seite bei entsprechender öffentlicher Wirksamkeit mit Wählerstimmen gleichgesetzt.123 Daneben stellt das Infant-Industry-Argument (Erziehungszoll) ein ökonomisches Motiv für den Schutz einheimischer Wirtschaftszweige vor der ausländischen Konkurrenz dar.124 Den obigen Beschreibungen gegenläufig sind die in jüngster Zeit zu erkennenden Ansätze zur Liberalisierung von Dienstleistungsbranchen in nationalem und internationalem Ausmaß. Darunter fallen die Privatisierung staatlicher Dienst­ leistungsunternehmen und die Aufhebung staatlicher Monopole wie z.B. im Bereich der Telekommunikation, der freie Markzutritt innerhalb regionaler Binnenmärkte, aber auch erste Bemühungen auf globaler Ebene.

Im internationalen Kontext, d.h. über nationale und bilaterale Deregulierungsan­ sätze hinausgehend, ist die Liberalisierung des tertiären Sektors im Zuge der Ver­ wirklichung eines Gemeinsamen Europäischen Binnenmarktes relativ weit fort­ geschritten. Den Rahmen hierfür stecken die bereits im EWG-Vertrag vorge­

118 Eine umfassende Übersicht zu Markteintrittsbarrieren für Dienstleistungen geben Aharoni 1993a, S. 214-215; Bradley 1995, S. 440-441; Hoekman 1994, S. 87-91; UNCTC 1993, S. 340-355. 119 Vgl. Nicolaides 1989, S. 45-47. 120 Vgl. Mößlang 1995, S. 101. 121 Vgl. Stauss 1995a, S. 468. 122 Vgl. Frey 1985, S. 18-26. 123 Vgl. Frey 1985,S. 27-28. 124 Vgl. Enderwick 1989, S. 216. Hierdurch sollen Branchen, die sich erst im Aufbau befinden, anfänglich vor dem globalen Wettbewerb geschützt werden, bis sie gegenüber der internatio­ nalen Konkurrenz wettbewerbsfähig sind.

Teil 2

53

sehene Dienstleistungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit für Wirtschafts­ subjekte der Mitgliedsländer ab.125 Während die erste Freiheit das grenzüber­ schreitende Angebot von Dienstleistungen ermöglicht, beinhaltet letztere die für den Kontakt zwischen Kunden und Dienstleister oft unabdingbare Präsenz vor Ort in jedem europäischen Mitgliedsstaat. Wesentliche Impulse zur Umsetzung dieser Freiheiten gingen von der zum 1.7.1987 in Kraft getretenen ’’Einheitlichen Europäischen Akte” aus, die die Vollendung des Binnenmarktes zum 1.1.1993 rechtlich dokumentiert.126 Für viele Dienstleistungen ist die Umsetzung dieser Deregulierungsrichtlinien aufgrund zahlreicher Übergangsregelungen noch nicht vollständig abgeschlossen. Der Förderung des Dienstleistungswettbewerbs innerhalb der Europäischen Union stehen im Verhältnis zu Drittstaaten und insbesondere bezüglich einer globalen Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte eher zögerliche Fortschritte gegen­ über.127 Einer davon ist die Aufnahme von Dienstleistungen als Verhandlungsge­ genstand in die 1986 begonnene und 1993 abgeschlossene Uruguay-Runde des GATT. Aufgrund der Dienstleistungsbesonderheiten, die eine uneingeschränkte Übertragung der Deregulierungsprinzipien des GATT bzw. der WTO128 nicht zulassen, entstand ein ’’General Agreement on Trade in Services” (GATS).129 Hierbei handelt es sich um ein Rahmenabkommen, jedoch ohne konkrete Ent­ würfe zur weiteren Liberalisierung des weltweiten Austausches von Dienstleistun­ gen vergleichbar mit der EU. Vor allem Entwicklungsländer stehen weiteren Schritten skeptisch gegenüber, da sie eine Dominanz der Industrieländer auch für Dienstleistungen befürchten.130 Der globale Austausch von Dienstleistungen wird damit in absehbarer Zeit weiterhin noch zu einem großen Teil von bilateralen Abkommen abhängen und durch zahlreiche staatliche Eingriffe beeinträchtigt sein. Dennoch haben die aufgeführten Bemühungen erste Verbesserungen für die Internationalisierung von Dienstleistungsuntemehmen ergeben und stellen weitere Veränderungen für die Zukunft in Aussicht.

Vgl. Enderwick 1989, S. 233. Vgl. Hoekman 1994, S. 73-74. Vgl. Hoekman 1994, S. 75. Als ein weiteres Ergebnis der Uruguay-Runde wurde das GATT in der ’’World Trade Or­ ganization” institutionalisiert. Vgl. WTO 1999. 129 Vgl. Hoekman 1994, S. 78-79. 130 Vgl. Lipsey/Zimny 1993, S. 329; Enderwick 1989, S. 229.

125 126 127 128

Erweiterungen der Netzwerkperspektive

54

2.1.2

Kulturelle Aspekte

Eine erfolgreiche Ausführung von Dienstleistungen hängt zu einem großen Teil von der Qualität der Interaktionen zwischen Kunden und Dienstleistern ab. Bei diesem Zusammenwirken spielen die auf beiden Seiten ablaufenden Wahmehmungsprozesse bezüglich der Dienstleistung eine wichtige Rolle ebenso wie bei Interaktionen zwischen den Mitarbeitern eines Unternehmens im täglichen Um­ gang miteinander.131 Für international tätige Unternehmen ergeben sich auf die­ sen Ebenen zusätzliche Schnittstellen aufgrund unterschiedlicher nationaler und kultureller Herkunft von Kunden und Kundenkontaktpersonal bzw. von Mitar­ beitern im allgemeinen.132 Die Problematik kultureller Überschneidungssitua­ tionen wird im Ansatz von Bartlett/Ghoshal nicht aufgegriffen, stellt jedoch einen wesentlichen Kontextfaktor für international tätige Dienstleistungsunter­ nehmen dar.133 Für die Entwicklung einer Rahmenkonzeption scheint deshalb eine genauere Betrachtung der Entstehung von Kultur und insbesondere ihrer verhaltensrelevanten Ausprägungen auf Untemehmensebene unerläßlich.

Die Untersuchung von Wahmehmungsprozessen einschließlich der Behandlung kultureller Aspekte ist Gegenstand des Radikalen Konstruktivismus.134 Die auf diesem Gebiet gewonnenen Erkenntnisse zeigen auf abstrakter Ebene, unter welchen Rahmenbedingungen Interaktionen ablaufen, und können Aufschluß über mögliche Erfolgsfaktoren dieser Prozesse geben. Abbildung 2-1 gibt einen Über­ blick über die im folgenden beschriebenen Zusammenhänge der Kulturentstehung und die Dimensionen kulturbedingter Verhaltensunterschiede.

131 132 133 134

Vgl. Parasuraman/Zeithaml/Berry 1985, S. 41-50; Meffert/Bruhn 1997, S. 236-240. Vgl. Kreikebaum 1998, S. 78; Gilbert 1998, S. 77-79. Vgl. Kieser/Kubicek 1992, S. 283. Unter dem Radikalen Konstruktivismus sind die Forschungsansätze unterschiedlicher Wissen­ schaftsdisziplinen zusammengefaßt. Begrifflich durch den Sprachphilosophen v. GLASERSFELD geprägt, beruht er insbesondere auf Erkenntnissen der Biologie (MATURANA/VARELA), der Kybernetik (v. FOERSTER) und der Psychologie (WATZLAWICK). Zu deren Basisaussagen vgl. v. Glasersfeld 1994, S. 16-38; Maturana/Varela 1980; v. Foerster 1994, S. 39-60; Watzlawick 1994, S. 91-110. Diese Grundlagen finden ihre Anwendung in zahlreichen anderen Wissen­ schaftsbereichen wie der Soziologie, Management-, Literatur- und Kommunikationswissen­ schaften sowie der Rechtstheorie, vgl. hierzu Schmidt 1994, S. 48-72.

Teil 2

55

Abbildung 2-1: Kulturentstehung und kulturbedingte Verhaltensunterschiede Quelle: Eigene Darstellung

Ausgangspunkt für die Beschreibung individueller Wahmehmungsprozesse ist die Funktionsweise des menschlichen Gehirns135. Die von den Sinnesorganen aufge­ nommenen Umweltreize werden über elektro-chemische Prozesse in die ent­ sprechenden Zentren des Gehirns transportiert.136 Bei diesem Übertragungs­ prozeß geht der Ursprung eines Reizes verloren.137 Das Gehirn muß die empfan­ genen Signale interpretieren und ihnen eine Bedeutung zuweisen. Dies erfolgt in Abhängigkeit angeborener Interpretationsmuster und auf Basis früherer, bereits gespeicherter Erfahrungen. Wahrnehmung ist somit zuerst einmal die individuelle Konstruktion einer Wirk­ lichkeit. Durch wiederholte Wahrnehmungen stellt ein Individuum Regelmäßig­ keiten und Invarianzen fest, die die Beschreibung konsistenter und konstanter Stukturen in seiner Erfahrungswelt erlauben.138 Dies ist dann der Fall, wenn eine gemachte Erfahrung keine weiteren Zustandsveränderungen in den vorhandenen Erklärungsmustem auslöst. Die hierfür notwendigen Vergleichskriterien legt das beobachtende Individuum selbst fest. Orientierungspunkt ist dabei die Nütz­

135 Die Aussagen des Radikalen Konstruktivismus beziehen sich auf lebende Systeme - zu denen auch der Mensch zählt - im allgemeinen. Da im Rahmen dieser Arbeit Interaktionen zwischen Kunden und Dienstleistern bzw. zwischen Mitarbeitern eines Unternehmens betrachtet werden, beziehen sich die Beschreibungen - auch wenn von lebenden Systemen die Rede ist - immer auf Menschen. 136 Vgl. v. Foerster 1994, S. 48-52. 137 Vgl. Schmidt 1994, S. 14-15. 138 Vgl. v. Glasersfeld 1995, S. 34; Rüegg 1989, S. 58-59.

56

Erweiterungen der Netzwerkperspektive

lichkeit im Hinblick auf zukünftige Handlungen und Ziele und inwiefern das Er­ lebte in die bisherige Erfahrungswelt paßt.139 Wahrnehmung und Handlung sind untrennbar miteinander verbunden.140 Aufgrund dieser Operationsweise ist das Gehirn als funktional geschlossen zu betrachten.141 Hierdurch erlangen lebende Systeme Autonomie gegenüber ihrer Umwelt und eine eigene Identität. Sie sind dennoch in energetisch-materieller Hinsicht offen bezüglich Störungen aus der Umwelt.142 Diese können auf die Handlungsmöglichkeiten eines Menschen Einfluß nehmen, nicht aber auf dessen Wahmehmungs- und interne Organisationsprozesse.

Bestandteil der Erfahrungswelt eines Menschen sind neben nicht-lebenden Ob­ jekten, bei denen die Feststellung von Regelmäßigkeiten relativ wenig Probleme bereitetet, andere Individuen. Diese beeinflussen die Aktivitäten des Beobachters durch Handlungen im Kontext ihrer eigenen Wirklichkeitskonstruktion. Die verschiedenen individuellen Wirklichkeitskonstruktionen können zueinander passen oder auch nicht, so daß die beabsichtigten Handlungen von einem oder mehreren Akteuren scheitern. Regelmäßigkeiten sind folglich weitaus schwerer festzustellen, da sich keine einseitigen Zustandsveränderungen vollziehen, son­ dern Interdependenzen bestehen.143 Erfolgreiche Interaktionen zwischen Indivi­ duen sind jedoch möglich, da dem anderen erst einmal die eigene Wirklichkeits­ konstruktion ’’untergeschoben” wird.144 Auf dieser Basis lassen sich Erfahrungen und Verhaltensweisen austauschen und durch die Angleichung der Wahrnehmun­ gen eine gemeinsame Realität aufbauen.145 Ergebnis dieser strukturellen Kopp­ lung ist die Ausbildung sozialer Bereiche, deren Kennzeichen eine intersubjektiv geteilte Erfahrungswelt ist.146 Die Bedeutung sozialer Bereiche liegt darin, daß sie eine Plattform für Kommunikation147 und koordinierte Handlungen bieten.

139 Vgl. Bühring-Uhle 1995, S. 43-44. In diesem Sinne müssen die kognitiven Strukturen eines Menschen nicht mit einer objektiv ’’richtigen” Welt übcrcinstimmen, sondern sie müssen in seine Erfahrungswelt passen. Vgl. v. Glasersfeld 1994, S. 19-20. 140 MATURANA/VARELA verdeutlichen dies mit dem Aphorismus "Jedes Tun ist Erkennen, jedes Erkennen ist Tun". Vgl. hierzu Maturana/Varela 1987, S. 31. 141 Vgl. Roth 1994, S. 240-241; Mirow/Aschenbach/Liebig 1996, S. 135. 142 Vgi Maturana/Varela 1987, S. 27. 143 Vgl. Hejl 1995, S. 126. 144 Vgl. v. Glasersfeld 1995, S. 35; Probst 1987a, S. 72. 145 Vgl. Maturana/Varela 1987, S. 196. 146 Vgl. Hejl 1994, S. 317. '4? Zu berücksichtigen ist, daß aus radikal-konstruktivistischer Sicht Kommunikation keine Informationsübertragung im herkömmlichen Sinne ist, sondern vielmehr ein Weg der Verhaltensko­ ordination. Vgl. hierzu Köck 1994, S. 370. Zur traditionellen Auffassung von Sprache als

Teil 2

57

Interagieren die Mitglieder eines sozialen Bereichs durch sinnvolles Handeln und Kommunikation, entsteht ein soziales System.148 Das ’’Speichermedium” der aus diesen Kommunikationen und Handlungen ent­ stehenden Gesamtheit von Gewohnheiten, Übereinkünften, Normen und Werten, Symbolen sowie Sprache und u.U. Religion ist die Kultur sozialer Systeme.149 In dieser Funktion ist sie Voraussetzung dafür, daß der Aufbau einer einheitlichen Wirklichkeitskonstruktion auch zwischen verschiedenen Generationen einer Ge­ meinschaft möglich ist.150 Jeder Mensch wird in eine Umwelt mit verschiedenen sozial konstruierten Erfahrungswelten und einer gesamtgesellschaftlichen Wirk­ lichkeitskonstruktion hineingeboren.151 Er macht von Kind an Erfahrungen mit bestimmten Grundannahmen seines Kulturkreises z.B. über Raum, Zeit und Lo­ gik, die sein Verhalten beeinflussen.152 Neben neuro-physiologischen und an­ deren biologischen Faktoren prägen folglich auch bereits vorhandene kulturelle Gegebenheiten die individuelle Wirklichkeitskonstruktion jedes Menschen.153 Dadurch vertrauen Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft bei ihren Handlungen in bestimmten Situationen bewußt oder unbewußt auf unterschied­ liche Gewohnheiten, Übereinkünfte und Normen zur Lösung von Problemen.

Die Erkenntnisse des Radikalen Konstruktivismus bieten den Vorteil, generelle Konsequenzen für die Bedeutung kultureller Einflüsse für verschiedene Bereiche des internationalen Managements ableiten zu können, ohne dabei an bestimmte Länderbeispiele gebunden zu sein. Eine Konkretisierung kulturell bedingt unter­ schiedlicher Interaktionsmuster, die sich - wie später zu untersuchen ist - auf die Aktivitäten von Unternehmen auswirken können, entwickelte HOFSTEDE auf Basis

Medium einer objektiven Übermittlung von Botschaften zwischen Sender und Empfänger vgl. Fischer 1993, S. 69-76; Bardmann 1994, S. 86-90. 148 Das folgende Beispiel veranschaulicht den Unterschied zwischen sozialen Bereichen und Systemen: Anhänger des Fußballs gibt es auf der ganzen Welt. Sie kennen die grundlegenden Regeln und wissen, welche wichtigen Meisterschaften ausgetragen werden. Es existiert eine ge­ meinsame Welt des Fußballs, die der Definition eines sozialen Bereichs entspricht. Die An­ hänger bilden aber kein soziales System, da sie nicht interagieren. Die Fußballmannschaft dage­ gen ist Teil dieses sozialen Bereichs und gleichzeitig ein soziales System, da ihre Mitglieder durch sinnvolles Handeln und Kommunikation interagieren. Zu diesem und weiteren Beispielen vgl. Hejl 1994, S. 320. 149 Vgl. zur Entstehung von Kultur nach dem hier vertretenen Verständnis Klimecki/Probst 1990, S. 42-44; zur ausführlichen Begriffsdefinition und Darstellung der einzelnen Kulturelemente auch v. Keller 1982, S. 114-118; Hofstede 1992, S. 304-305; Huntington 1997, S. 52-54. 150 Vgl. Maturana/Varela 1987, S. 218. 151 Vgl. Schmidt 1994, S. 42-43. 152 vg|. Morin 1991, S. 82-83; Schmidt 1994, S. 35. 153 Vgl. Schmidt 1994, S. 31; Grimm 1996, S. 326.

58

Erweiterungen der Netzwerkperspektive

einer empirischen Untersuchung. Diese kommen zu dem Ergebnis, daß sich die Verhaltensweisen von Mitgliedern verschiedener Kulturkreise anhand von fünf übergeordneten Dimensionen unterscheiden lassen.154 Die Dimension der "Machtdistanz” beschreibt den Umgang mit sozialer Un­ gleichheit und der Anerkennung von Autorität.155 In Kulturkreisen, die durch einen hohen Grad an Machtdistanz geprägt sind, weisen Organisationen hierar­ chische Strukturen und zentralisierte Entscheidungsprozesse auf. Die Abhängig­ keit eines Mitarbeiters von seinem Vorgesetzen ist umso größer, je eher soziale Unterschiede betont und Autorität anerkannt wird.156 Auch die Beziehungen zwi­ schen Individuum und Gruppe zeigen unterschiedliche Ausprägungen. In indivi­ dualistisch geprägten Kulturen sind Beziehungen zwischen Individuen eher locker. Dagegen sind die Bindungen in kollektivistischen Gesellschaften sehr langfristig - oft ein Leben lang. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist mit bedin­ gungloser Loyalität verbunden.157 Differierende Verhaltensweisen lassen sich des weiteren anhand der sozial und kulturell bestimmten Rollen von Mann und Frau beschreiben. In maskulinen Kulturen dominieren Leistungsorientierung, Ratio­ nalität und Gewinn, während in femininen Gesellschaften Rücksichtnahme, emo­ tionales und gemeinsames Handeln im Vordergrund stehen.158 Die vierte Dimen­ sion beschreibt den Umgang mit Unsicherheit. Soziale Systeme sind in unter­ schiedlicher Weise in der Lage, unsichere, instabile und widersprüchliche Situa­ tionen zu bewältigen. Bei stark ausgeprägter Präferenz zur Vermeidung von Unsicherheit existieren u.a. viele formale Regeln, eine Orientierung an Experten und inkrementale Planungsprozesse.159 Die Dimension der konfuzianischen Dynamik erfaßt Unterschiede hinsichtlich lang- und kurzfristiger Orientierungs­ muster. Kulturen mit langfristiger Orientierung zeichnen sich z.B. durch Sparsam­ keit, Beharrlichkeit und Unterordnung aus. Bei kurzfristiger Orientierung spielen Status, kurzfristige Ergebnisse und persönlicher Erfolg eine wichtige Rolle.160

154 Die Ergebnisse basieren auf einer Befragung von IBM Mitarbeitern weltweit im Rahmen eines empirisches Forschungsprojekts zur interkulturellen Zusammenarbeit. Die fünf Dimensionen wurden anhand einer faktoranalytischen Auswertung der Fragebögen ermittelt. Zu den Ergeb­ nissen und einer umfassenden Beschreibung der Ausprägung dieser Kategorien in einzelnen Ländern bzw. Kulturkreisen vgl. Hofstede 1992; Hofstede 1993. 155 SCHMID bezeichnet die Dimension deshalb als ’’Machtunterschiedstoleranz”. Vgl. Schmid 1997, S. 257. 156 Vgl. Hofstede 1992, S. 306-307. 157 Vgl. Hofstede 1993, S. 67. 158 Vgl. Hofstede 1992, S. 308-309. 159 Vgl. Hofstede 1993, S. 130, 141-143. 160 Vgl. Hofstede 1993, S. 197.

Teil 2

59

Wichtigstes Übermittlungsmedium kultureller Elemente ist sprachliche Kom­ munikation.161 Kultur ist aus diesem Grund ihrerseits ein Ergebnis von Wahr­ nehmungsprozessen und Interpretationen der Mitglieder einer Gemeinschaft. Voraussetzung für Kulturveränderungen sozialer Systeme - in einer Gesellschaft gleichermaßen wie in einem Unternehmen - ist letztendlich die Veränderung vieler individueller Wirklichkeitskonstruktionen.

2.1.3

Technologische und sonstige Einflußfaktoren

Der Einfluß technologischer Entwicklungen auf die Erstellung von Dienst­ leistungen fällt in Abhängigkeit der Dienstleistung und der eingesetzten tech­ nischen Hilfsmittel zum Teil sehr untemehmensspezifisch aus. Unbestritten beein­ flussen jedoch die Veränderungen im Bereich der Informations- und Kommuni­ kationstechnologie (IKT) die Möglichkeiten der Internationalisierung von Dienstleistungen.162 Die Interaktionen zwischen Unternehmen und Kunden sind in großem Maße mit dem Austausch von Informationen verbunden, oder das Er­ gebnis besteht wie bei Beratungsleistungen aus Informationen. Darüber hinaus kann es sich beim Dienstleistungsangebot selbst um Informationen oder Wissen handeln, wie z.B. bei einem Datenbankdienst. Dienstleistungen sind informa­ tionsintensive ’’Produkte”. Neue Entwicklungen im Bereich der IKT - digitali­ sierte und satellitengestützte Telekommunikation oder Videokonferenzen sind nur einige davon - haben Auswirkungen auf bereits bestehende und schaffen Mög­ lichkeiten für neue Dienstleistungen. Der Einsatz neuer IKT kann die Notwendigkeit des persönlichen Aufeinander­ treffens von Anbieter und Nachfrager aufheben oder zumindest die Integrations­ intensität und damit auch Zeitaufwand und Kosten reduzieren.163 Dies sind einige Gründe, die für die Erweiterung des Angebots eines Dienstle istungsuntemehmens auf internationaler Ebene sprechen. Daneben lassen sich bestehende Dienst­ leistungen durch die Nutzung neuer IKT in veränderter Form anbieten. Als Bei­ spiele seien hier Online-Banking und -Shopping oder 3-D-Modellsimulationen am Bildschirm genannt. Gleichzeitig ist das Angebot neuer IKT auch das Angebot neuer Dienstleistungen, wie die Telekommunikationsbranche beweist.164

Neben den Veränderungen bezüglich der Austauschbeziehungen mit dem Kunden können IKT auch die Neuordnung unternehmensinterner Beziehungen unter­ 161 Vgl. 162 Vgl. 163 Vgl. 164 Vgl.

Morin 1991, S. 76. Vandermerwe/Chadwick 1989, S. 80. Hardt 1996, S. 48; Porter 1993, S. 275. Mößlang 1995, S. 111.

60

Erweiterungen der Netzwerkperspektive

stützen. Sie beeinflussen die Zentralisierung, Dezentralisierung oder Ausglie­ derung von Aktivitäten und den Aufbau eines leistungsfähigen globalen Infor­ mationsnetz Werkes. Hierdurch wird die Erzielung weltweiter Wettbewerbs vorteile unterstützt.165 Als weitere jedoch weniger spezifische Einflußfaktoren für die Internationali­ sierung von Dienstleistungen sollen an dieser Stelle noch die volkswirtschaft­ lichen und ökologischen Rahmenbedingungen erwähnt werden, deren spezifische Ausprägungen das Angebot von Dienstleistungen in verschiedenen Ländern beeinflussen. Ökonomische Kennziffern wie das verfügbare Einkommen oder die Arbeitslosenquote und generell der Lebensstandard eines Landes geben Aufschluß über das Nachfragepotential eines Marktes für konsumptive Dienstleistungen.166 Das Industrialisierungsniveau und die Produktlebenszyklen vieler Investitions­ güter beeinflussen den Bedarf an komplementären Dienstleistungen zur Produkt­ differenzierung.167 Auch die Infrastrukturvoraussetzungen eines Landes spielen im Rahmen der Intemationalisierungsentscheidung von Dienstleistungsunter­ nehmen eine Rolle. Fehlende Infrastruktureinrichtungen können zum einen den potentiellen Bedarf für entsprechende Dienstleistungen aufzeigen, zum anderen sind manche Dienstleistungen ohne bestimmte Voraussetzungen nicht ausführbar. Die ökologischen Rahmenbedingungen bezeichnen einerseits Faktoren der natür­ lichen Umwelt wie die klimatischen und geographischen Voraussetzungen eines Landes oder die Ausstattung an natürlichen Ressourcen. Darunter fällt aber auch der - nicht nur rechtlich vorgeschriebene - Bedarf an Umweltschutzmaßnahmen, die ihrerseits neue Dienstleistungen darstellen können.168

2.2

Die Problematik einer adäquaten Organisationskomplexität von Dienstleistungsuntemehmen

2.2.1

Grundlagen der neueren Systemtheorie

In den begrifflichen Grundlagen zum TNU wurde bereits angesprochen, daß eine internationale, multinationale oder globale Ausrichtung der Aktivitäten ebenfalls geeignete Formen für das weltweite Angebot der Untemehmensleistung sind. Für die Auswahl der passenden Strategie spielt der Abgleich zwischen Umwelt- und 165 Vgl. Mößlang 1995, S. 111 -112. 166 Vgl. Meffcrt/Bruhn 1997, S. 7-8. 167 Vgl. Homburg/Garbe 1996a und 1996b; Simon 1993, S. 5-7. 168 Vgl. zur Berücksichtigung ökologischer Rahmenbedingungen in Unternehmensentscheidungen Kreikebaum 1998, S. 76; Kreikebaum 1992, S. 100-112.

Teil 2

61

Untemehmenssituation eine entscheidende Rolle. Ghoshal/Nohria beziehen sich in diesem Zusammenhang auf Ashby’s "Law of requisite variety"^ und sprechen von der adäquaten Organisationskomplexität.170 Danach müssen Orga­ nisationen eine den externen Bedingungen entsprechende eigene Komplexität gegenüberstellen, um flexibel auf Veränderungen reagieren, die Umwelt selbst beeinflussen und langfristig erfolgreich in dieser bestehen zu können.171 Die Beschreibung, wie sich eine hohe Umweltkomplexität bzw. unterschiedliche Komplexitätsgrade feststellen lassen, liegt bei BARTLETT/GHOSHAL nicht vor bzw. erfolgt bei GhoshaUNohria tautologisch und ist damit für die weitere Verwen­ dung nicht sinnvoll.172 Komplexität ist das zentrale Thema der neueren Systemtheorie, die vor allem von den Überlegungen Niklas Luhmanns geprägt ist. Unter Verwendung der Ideen des Radikalen Konstruktivismus entwickelte LUHMANN einen funktional-struktu­ rellen Ansatz der Systemtheorie.173 Dieser sieht die moderne Gesellschaft zu­ nehmend in funktional differenzierte174 Teilsysteme, wie z.B. das Wirtschafts-, Rechts-, Wissenschafts- oder Gesundheitssystem, untergliedert, die in gegensei­ tigen AbhängigkeitsVerhältnissen zueinander stehen.175 Einseitige Ursache-Wir­ kungs-Beziehungen und Denken in Kausalketten spiegeln die Beziehungsge­ flechte der heutigen und zukünftigen Gesellschaften nicht in ausreichendem Maße wider.176 Ausgangspunkt der Begründung dieser Feststellung ist die Auseinander­ setzung mit dem Thema Komplexität und eine Erklärung zur Entstehung und Entwicklung sozialer Systeme.177 Abbildung 2-2 zeigt die anschließend behan­ 169 Vgl. Ashby 1957, S. 202; Mirow 1999, S. 17. 170 Vgl. Ghoshal/Nohria 1993, S. 23; Nohria/Ghoshal 1994, S. 492. 171 Vgl. Willke 1996, S. 30; Bartlett/Ghoshal 1990. S. 33-35. 172 Vgl. Ghoshal/Nohria 1993, S. 26-27. 173 Zu weiteren Formen und Vorläufern vgl. Willke 1996, S. 5-9. Systemtheoretische Forschungen unterschiedlicher Wissenschaftsbereiche (u.a. in der Chemie, Physik, Soziologie oder Betriebs­ wirtschaftslehre) werden unter der Allgemeinen Systemtheorie (General Systems Theory, GST) zusammengefaßt. Vgl. Lehmann 1992, Sp. 1845-1846; Kaube 1997, S 41. Funktional-strukturell bedeutet, daß der Systembildung eine gewisse Funktion zugrunde liegt, die das System gegen­ über seiner Umwelt erfüllt. Die Strukturen und Prozesse des Systems sind vor dem Hintergrund dieser Funktion zu betrachten. Vgl. Willke 1996, S. 6-7. 174 Funktionale Differenzierung bedeutet, daß das Ganze (die Gesellschaft) nicht mehr aus einer Vielzahl gleicher oder ähnlicher Einheiten besteht, wie z.B. Familien oder Gruppen (segmentäre Differenzierung), sondern aus spezialisierten Einheiten. Vgl. Willke 1996, S. 18. 175 Vgl. Horster 1997, S. 19. >76 Vgl. Ulrich/Probst 1988, S. 50. 177 Qer nachfolgende Erklärungsansatz ist eine Erweiterung zum Radikalen Konstruktivismus. Die Beschreibung der Entstehung von sozialen Systemen durch die Konstruktion von Wirklichkeiten wird hier durch weitere Aspekt konkretisiert.

62

Erweiterungen der Netzwerkperspektive

delten zentralen Themen der Systemtheorie und ihre Bedeutung für die Ent­ stehung von Unternehmen.

Abbildung 2-2: Zusammenhänge der Systemtheorie zur Einordnung von Un­ ternehmen als soziale Systeme Quelle: Eigene Darstellung Im alltäglichen Sprachgebrauch wird Komplexität fälschlicherweise oft mit Kom­ pliziertheit gleichgesetzt. ’’Komplexität” ist allerdings nicht als Gegenbegriff zu ’’Einfachheit” zu sehen, sondern läßt sich am besten anhand von Elementen und Relationen definieren.178 Wenige Elemente können in überschaubarer Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden. Mit steigender Anzahl der Elemente nimmt auch die mögliche Anzahl an Verknüpfungen zu. Die Verknüpfungsmög­ lichkeiten von empirischen Elementen sind nicht mehr alle gleichzeitig empirisch realisier- und nachvollziehbar.179 Nach WlLLKE bezeichnet Komplexität den Grad

178 Vgl. Fuchs 1993, S. 78-80. 179 Vgl. Luhmann 1993, S. 78-80.

Teil 2

63

der Vielschichtigkeit, Vernetzung und Folgelastigkeit eines Entscheidungs­ feldes.180

Soziale Systeme entstehen durch den Aufbau einer gemeinsam wahrgenommenen Realität und darin stattfindende Handlungen. Diese sind gekennzeichnet von doppelter Kontingenz, einem weiteren Grundbegriff der Systemtheorie, die LUHMANN als Grundvoraussetzung für die Ausbildung sozialer Systeme er­ achtet.181 "Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich ist; was also so wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist. ”182

Auf menschliches Handeln übertragen bedeutet dies, daß grundsätzlich eine Viel­ zahl an Handlungsalternativen oder Ereignissen zur Wahl stehen. Kontingentes Handeln impliziert damit die prinzipielle Möglichkeit von Unvorhergesehenem, Überraschungen, Variabilität und Offenheit.183 Der Begriff ’’doppelte Kontin­ genz” geht auf Talcott Parsons zurück.184 Er bezeichnet die Situation, in der zwei Personen eine Vielzahl an Handlungsmöglichkeiten haben, wobei sich die Handelnden dieser Situation bewußt sind. Sie stellen dies bei der Auswahl zwi­ schen verschiedenen Handlungsaltemativen in Rechnung, und damit gestaltet es sich zunächst problematisch, daß das eigene Handeln im Handeln anderer An­ knüpfungspunkte findet.185 Das Problem löst sich durch den Rückgriff auf Kultur, Kommunikation, Rollen und andere Konventionen.186 Dabei nimmt das ge­ genseitige Vertrauen hinsichtlich des Funktionierens dieser ’’Lösungen” eine herausragende Stellung ein. Unter der Voraussetzung gegenseitigen Vertrauens besteht die Möglichkeit, daß sich Unbekannte wichtige Hinweise über ihr grund­ legendes Verhalten geben, z.B. Situationsdefinitionen, sozialer Status und Inten­

180 Vgl. Willke 1996, S. 22. Vielschichtigkeit ergibt sich aus dem Grad der funktionalen Diffe­ renzierung eines Systems. Mit Vernetzung sind Art und Ausmaß wechselseitiger Abhängigkeiten zwischen Systemteilen sowie zwischen Teilen und Ganzem gemeint. Folgelastigkeit bezeichnet mögliche Kettenreaktionen und Prozesse, die durch eine Entscheidung ausgelöst werden können. Der Begriff Entscheidungsfeld weist auf einen Selektionszwang hin, da Komplexität nicht an sich auftritt, sondern immer nur hinsichtlich eines bestimmten Problems in einer be­ stimmten Situation. 181 Vgl. Luhmann 1993, S. 172-173. 182 Luhmann 1993, S. 152. 183 Vgl. Willke 1996, S. 26. 184 Vgl. Parsons 1967, S. 16. 185 ygi Luhmann 1993, S. 165. Überlegungen in diesem Kontext haben dann die Form ”Er (Sie) weiß, daß ich weiß, daß er (sie) weiß, daß ich... .” 186 vgl. Willke 1996, S. 27.

64

Erweiterungen der Netzwerkperspektive

tionen.187 Das ermöglicht, wie weiter oben bereits ausführlich dargestellt, Schritt für Schritt den Aufbau einer gemeinsamen Realität, eines gemeinsamen Hand­ lungsrahmens und damit schließlich eines sozialen Systems.

Zwischen den beiden Tatbeständen Komplexität und Kontingenz besteht ein enger Zusammenhang. Komplexität bezieht sich auf eine bestimmte System-UmweltRelation. Der Entscheidungsträger sieht sich in einem speziellen Problem einer Vielzahl von Beziehungen und Möglichkeiten der Umwelt gegenübergestellt, aus denen er seinen für sich relevanten Entscheidungsrahmen aussuchen muß.188 Kontingenz bezeichnet dagegen konkrete Handlungsaltemativen, die dem System selbst in einer bestimmten Situation zur Verfügung stehen. Sie ist damit aus­ schließlich durch das System determiniert.189 Das Zusammenspiel der Kon­ tingenzen verschiedener Bezugssysteme190 konstituiert die Umweltkomplexität eines fokalen Systems.191 Für den Zusammenhalt und den Aufbau eines gemeinsamen Orientierungsrahmens im Zuge der Handhabung doppelter Kontingenz spielt Sinn eine entscheidende Rolle. Intersubjektiv geteilter Sinn grenzt systemspezifisch ab, was sinnvoll und sinnlos ist. Sinn konkretisiert sich in der Präferenzordnung, die die Mitglieder eines sozialen Systems bewußt oder unbewußt aufstellen.192

"Die Steuerung der Selektion von Umweltdaten durch eine nach Sinnkriterien gebildete Präferenzordnung ist die Bedingung der Möglichkeit der System­ bildung. ”193 Der Sinn der Grenzziehung zwischen System und Umwelt liegt in der Begrenzung von Sinn. Nicht alle Ereignisse, Informationen und Zustände können von einem sozialen System berücksichtigt und verarbeitet werden. Die neuere Systemtheorie ist eine Theorie der Beziehungen zwischen System und Umwelt, die eine isolierte Betrachtung des Einzelsystems überwindet.194 Erst die spezifische Problematik seiner Umwelt macht für ein soziales System erkennbar, welche interne Struktur

187 Vgl. Horster 1997, S. 91. 188 Vgl. Luhmann 1972, S. 31. 189 Vgl. zum gesamten Absatz Willke 1996, S. 29. 190 Hiermit sind die in der Umwelt eines Systems relevanten anderen Systeme gemeint. 191 Vgl. Willke 1996, S. 30. 192 Vgl. Willke 1996, S. 43. 193 Willke 1996, S. 44. 194 Vgl. Lehmann 1992, Sp. 1844.

Teil 2

65

zu welchen Zwecken und mit welchen Stabilisierungs- und Veränderungschancen funktional sein kann.195 Unternehmen sind soziale Systeme. Das Vorliegen einer untemehmensspezifischen Wirklichkeitskonstruktion und die Interaktionen der Mitglieder zur Er­ füllung von Untemehmenszweck und -zielen als die beiden Elementarbedin­ gungen erlauben es, sie als solche zu bezeichnen. Zudem sind Unternehmen organisierte Sozialsysteme oder, anders ausgedrückt, Organisationen.196 Orga­ nisationen gehören gesellschaftlichen Funktionssystemen an, im Fall von Unter­ nehmen ist dies das Wirtschaftssystem. Als humane, soziale Systeme können Unternehmen ihren Zweck und damit ihre Aufgabe innerhalb des übergeordneten Gesamtsystems Gesellschaft selbst bestimmen.197 Der Untemehmenszweck ist der durch die Gründergeneration am Anfang festgelegte Basiskonsens und gibt dem Unternehmen einen Sinn.198 Der Basiskonsens ist Grundvoraussetzung für den Aufbau der gemeinsamen Wirklichkeitskonstruktion der Gründungs- bzw. Untemehmensmitglieder. Diese umfaßt auch deren gemeinsame Präferenz­ ordnung, wodurch das Unternehmen seine eigene Identität erhält.199 Im Rahmen der System-Umwelt-Differenzierung ist für Organisationen wie Unternehmen gegenüber anderen Systemtypen charakteristisch, daß über die Organisationszu­ gehörigkeit durch das Aufstellen von Eintrittsbedingungen und Regeln der Mit­ gliedschaft entschieden werden kann.200

2.2.2

Die Instrumentalisierung von Komplexität durch Branchenstruktur und Wertschöpfungskette

Die Systemtheorie beschreibt Komplexität und die damit verbundenen Konse­ quenzen auf einer sehr abstrakten Ebene. Um aus Untemehmensperspektive einen Abgleich von externer und interner Komplexität möglich zu machen, ist ein konkreter Handlungsrahmen notwendig. Dies erfordert eine genauere Kenntnis der Untemehmensumwelt. Daraus lassen sich dann sowohl externe als auch interne Komplexitätsdeterminanten ableiten. Aus systemtheoretischer Perspektive setzt sich die externe Komplexität für ein System grundsätzlich aus mehreren relevanten Umwelten zusammen, die in Ab­ 195 196 197 198 199 200

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Willke 1996, S. 53. Horster 1997, S. 151. Probst/Scheuss 1984, S. 481. Klimecki/Probst/Eberl 1991, S. 121. Horster 1997, S. 87-88. Luhmann 1988, S. 171; Horster 1997, S. 155.

66

Erweiterungen der Nctzwerkperspektive

hängigkeit eines anstehenden Problems genauer definiert werden müssen.201 Die Herausforderungen für ein Unternehmen und die daran anknüpfende Frage der sinnvollen Organisationsform ergeben sich neben den oben beschriebenen Rahmenbedingungen in erster Linie aus den Spielregeln des Wettbewerbs. Die Komplexität der externen Umwelt oder Außenwelt bestimmt sich damit wesent­ lich durch die Struktur der Branche eines Unternehmens.202 Diese umfaßt nach PORTER die in der folgenden Abbildung dargestellten fünf Strukturelemente, deren Bedeutung für das jeweilige Unternehmen analysiert werden muß.203

Abbildung 2-3: Die Elemente der Branchenstruktur Quelle: Porter 1999b, S. 34.

201 Vgl. Willke 1996, S. 55. 202 Vgl. Ghoshal/Bartlett 1990, S. 604; Böttcher 1996, S. 56. 203 Zur ausführlichen Darstellung der Strukturanalyse und der Strukturelemente von Branchen vgl. Porter 1999b, S. 33-69.

Teil 2

67

In vielen Dienstleistungsbranchen hängt die Rivalität unter den bestehenden Un­ ternehmen von der Regulierungsdichte ab, die die Ausprägung mehrerer der von PORTER identifizierten Determinanten - u.a. Branchenwachstum, Kostenstruk­ turen, Markenidentität, Überkapazitäten - mitbestimmt. Je weniger Reglementie­ rungen vorliegen, desto stärker fallen diese Determinanten ins Gewicht, da sie von den Unternehmen selbst besser beeinflußt werden können. Dies bedeutet gleich­ zeitig einen Anstieg an Kontingenz und damit auch Komplexität der Unterneh­ menstätigkeit. Eine Verstärkung dieses Effekts ergibt sich aus der Bedrohung durch neue Konkurrenten.^ Sie wird in vielen Dienstleistungsbranchen in Zu­ kunft vor allem von den Eintrittsmöglichkeiten ausländischer Anbieter durch die Fortschritte bei der Aufhebung protektionistischer Maßnahmen geprägt sein. Ein weiterer wesentlicher Komplexitätsfaktor für Dienstleistungsuntemehmen sind die Abnehmer aufgrund der Integrationsnotwendigkeit des externen Faktors.205 Ihre Macht hängt neben den allgemeinen Kriterien, wie z.B. dem Verhältnis von Ab­ nehmerkonzentration gegenüber Untemehmenskonzentration,206 von den durch Individualität und Interaktionsintensität einer Dienstleistung entstehenden ’’Sunk Costs”207 ab. Je höher diese für das Unternehmen ausfallen, desto eher steigt die Verhandlungsmacht der Kunden und umgekehrt. Die Verhandlungsstärke der Lieferanten ergibt sich u.a. aus der Spezifität des Inputs, aus der Lieferantenkon­ zentration sowie aus der Bedeutung des Auftragsvolumens für den Lieferanten.208 Aufgrund der rasanten Entwicklungen auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologien, die eine wesentliche Substitutionsgefahr darstellen können, hat dieses Wettbewerbselement für einige Dienstleistungen ebenfalls komplexitätssteigernde Auswirkungen. Die relevanten Umwelten eines Unternehmens haben sich im Zeitablauf perma­ nent verändert. Die Intensivierung der funktionalen Differenzierung und die damit einhergehenden Vernetzungen und Interdependenzen zwischen den Teilsystemen der modernen Gesellschaft führen zu einer Ausweitung der Definition relevanter Umwelten und damit zu einem weiteren Komplexitätsanstieg.209 Lange Zeit war für ein Unternehmen die Branchenstruktur mit Wettbewerbern, Kunden und Lieferanten ein fast ausschließlicher Mittelpunkt wichtiger Entscheidungen. Heute spielen insbesondere der Ausgleich des strategischen Anspruchsgruppen­

204 Vgl. Porter 1999b, S. 37. 205 Vgl. Mößlang 1995, S. 155. 206 Vg] hierzu ausführlich Porter 1999b, S. 58-69. 207 ’’Sunk Costs” bezeichnen Kosten, die auch bei einer Einstellung der Produktion oder Leistungs­ erstellung nicht rückgängig gemacht werden können. Vgl. Feess 1997, S. 354. 208 Vgl. Porter 1999b, S. 61-63. 209 Vgl. Luhmann 1993, S. 261-262.

68

Erweiterungen der Netzwerkperspektive

Dreiecks210 Kunden, Mitarbeiter und Kapitalgeber sowie die Berücksichtigung von Politik, öffentlicher Meinung, technologischen und ökologischen Ent­ wicklungen eine immer bedeutsamere Rolle für Unternehmensentscheidungen.211

Ein Unternehmen kann entsprechend den konstitutiven Zielen und Sinnbezügen der Wirklichkeitskonstruktion, die zusammen seinen funktionalen Zweck definie­ ren, unterschiedliche Außenrelationen zu den Anspruchsgruppen unterhalten. Sie reichen in ihrer Intensität von sozialen Bereichen über vertraglich geregelte öko­ nomische Transaktionen bis hin zum Aufbau neuer sozialer Systeme.212 Diese Beziehungen zur Außenwelt lassen sich im Hinblick auf ihre Ausrichtung unter­ scheiden: •





Horizontale Außenrelationen sind die Relationen zu anderen (Teil-) Systemen, die sich auf der gleichen Ebene wie das betrachtete System befinden, z.B. die Tochtergesellschaften von Unternehmen. Als vertikale Außenrelationen werden die Beziehungen zu einem Gesamt­ system, das sich auf einer höheren Systemebene befindet, bezeichnet, z.B. zwischen der Tochtergesellschaft eines international tätigen Unternehmens und der Gastlandregierung. Laterale Relationen umfassen Verbindungen zu anderen Systemen, mit denen das betroffene System in einem sekundären systemischen Gesamtkontext steht, z.B. außerhalb der Branchenstruktur eines Unternehmens oder in einem anderen Land.

Gerade laterale Verbindungen sind oft Grundlage und Anknüpfungspunkte für weitreichende und vielschichtige Verschachtelungen unterschiedlicher Systeme. Sie können als Test dienen, ob die Verknüpfung der Gesamtsysteme möglich ist oder nicht. Sie können aber auch zur Ablösung vom ’’Mutter-System” und zur Eingliederung in ein anderes oder zum Aufbau eines neuen eigenständigen Systems fuhren.213

Die Mitglieder eines Unternehmens wurden bereits als Anspruchsgruppe erwähnt. Sie repräsentieren gemäß der Systemtheorie einen Teil der Umwelt, da sie als

210 Zur Definition und Abgrenzung von Anspruchsgruppen bzw. Stakeholdem und zum Manage­ ment (strategischer) Anspruchsgruppen vgl. u.a. Freeman 1984; Achleitner 1985, S. 73-89; Janisch 1993, S. 125-136; Behnam/M uthreich 1995, S. 3-5; Gilbert 1998, S. 31. 211 Vgl. Rucci/Kim/Quinn 1998, S. 88-89; Bühring-Uhle 1995, S. 82-83; Kreikcbaum 1997, S. 4046; Weber 1999, S. 229-230. 212 Vgl. Jarillo 1988; S. 32; Ghoshal/Bartlett 1990, S. 604; Renz 1998, S. 73. Zur Unterscheidung sozialer Systeme und Bereiche vgl. Abschnitt. 2.1.2 dieser Arbeit. 213 Vgl. zum gesamten Abschnitt und zur Gegenüberstellung von Innen- und Außenwelt Willke 1996, S. 56-59.

Teil 2

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Personen dem sozialen System Unternehmen nie ’’mit Haut und Haaren”, sondern immer nur in bestimmten Rollen und Funktionen oder mit bestimmten Motiven angehören.214 Diese spezielle Umwelt erhält aufgrund ihrer Bedeutsamkeit die eigene Bezeichnung ’’/nnenweZ/”.215 Die aufgrund divergierender außer-systemi­ scher Rollenverpflichtungen uneinheitlichen Umweltbezüge und Orientierungen der Mitglieder müssen dennoch im Hinblick auf ein kohärentes Untemehmenshandeln über Kommunikationsprozesse abgestimmt werden. Wesentliches Ord­ nungskriterium psychischer und sozialer Systeme ist, wie bereits erläutert, die Festlegung von Sinnbezügen. Bei psychischen Systemen, z.B. den einzelnen Unternehmensmitgliedem findet diese Verarbeitung in Form von Gedanken und Vor­ stellungen statt, während sie sich in sozialen Systemen wie Unternehmen durch sprachlich-symbolische Kommunikation zwischen den Mitgliedern vollzieht.216 Aus diesem Grund sind die konstitutiven Elemente sozialer Systeme nicht deren Mitglieder, sondern sie bestehen aus der Vernetzung von Kommunikationen und können damit auch als Netzwerke bezeichnet werden.217 Dadurch ergeben sich die Eigenschaften eines Unternehmens nicht aus der einfachen Kombination der Eigenschaften seiner Mitglieder, sondern aus ihrem spezifischen Zusammenwirken mit neuen Qualitäten.218 Luhmann nennt sie die emergenten Eigenschaften eines sozialen Systems.219 Die Kommunikationen der Mitarbeiter eines Dienstleistungsuntemehmens und damit auch die Sinnbezüge orientieren sich an den Funktionen, die das Unterneh­ men für seine Außenwelt erfüllen soll. Ein wesentlicher Zweck liegt in der Er­ stellung von Dienstleistungen durch die Verknüpfungen von Wertschöpfungs­ aktivitäten, die nach PORTER in ihrer generischen Form eine Wertschöpfungskette ergeben.220 Die Zusammenfassung bestimmter Aktivitäten und die prozeßorien­ tierte Strukturierung ermöglichen die Reduktion interner Komplexität sowohl in

Vgl. Luhmann 1988, S. 171. Vgl. Prange 1996, S. 171. Vgl. Luhmann 1993, S. 142, 226. Vgl. Luhmann 1981, S. 20; Renz 1998, S. 48. Zu beachten ist, daß sich Kommunikation in der Systemtheorie in der Einheit der drei Elemente Information, Mitteilung und Verstehen voll­ ziehen muß, um als erfolgreich zu gelten. Vgl. Luhmann 1990, S. 24. 218 Die Kommunikationen sind immer wieder Ausgangspunkt für neue Kommunikationen, wodurch sich ein soziales System reproduziert. Mit dem Abbruch von Kommunikation zwischen den Mitgliedern zerfällt das soziale System. Vgl. Horster 1997, S. 111. Zur Kritik dieser Auffassung vgl. Hejl 1990, S. 220-226. 2>9vgl. Horster 1997, S. 61. 220 vg] zur ausführlichen Darstellung Porter 1999a, S. 67-80. 214 215 216 217

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Erweiterungen der Netzwerkperspektive

den operativen Abläufe als auch bei der Lösung von Entscheidungsproblemen.221 Das Komplexitätsgefälle zwischen Unternehmen und Umwelt darf jedoch nur so groß sein, daß mit Hilfe der internen Strukturen die externen Anforderungen noch erfolgreich bewältigt werden können.222 Aus diesem Grund sollten die einzelnen Elemente der Kette jeweils die Möglichkeit zur Entwicklung von Wettbewerbs­ vorteilen aufweisen.222 Dabei lassen sich primäre Aktivitäten, die den eigent­ lichen Prozeß der Leistungserstellung umfassen, und sekundäre Aktivitäten mit Unterstützungsfunktionen unterscheiden.224 Die Anordnung der primären Aktivi­ täten der generischen Wertkette entspricht dem physischen Durchlaufprinzip eines Produkts im Herstellungsprozeß.225 Aus diesem Grund bedarf die Zusammen­ stellung der Wertschöpfungsaktivitäten von Dienstleistungsunternehmen einiger Anpassungen. Abbildung 2-4 zeigt eine modifizierte Wertschöpfungskette für Dienstleistungsuntemehmen.

221 Vgl. zu einer einleitenden Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit der Komplexitätsreduktion und der Ermittlung eines ’’optimalen” Komplexionsgradcs für Entscheidungsprozessc in Unternehmen Laux/Liermann 1990, S. 58-69. Diese Überlegungen beziehen sich explizit auf die Modellierung betriebswirtschaftlicher Entscheidungen und haben damit ein vom hier vorlie­ genden Kontext abweichendes Untersuchungszicl. 222 Vgl. Mirow 1999, S. 17. 223 Vgl. Porter 1999a, S. 76-80.

224 Vgl. Porter 1999a, S. 69. 225 Vgl. Meffert/Bruhn 1997, S. 136.

Teil 2

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Abbildung 2-4: Modifizierte Wertschöpfungskette für Dienstleistungs­ unternehmen Quelle: in Anlehnung an Porter 1999a, S. 66; Bruhn 1997a, S. 185. Der Kunde ist in seiner Doppelfunktion als ’’Prosumer” ein Input-Faktor und damit durchlaufendes Element der Kette, das es zu integrieren gilt. Für Dienst­ leistungsuntemehmen ist es daher noch bedeutender als für Industrieunternehmen, bei der Anordnung der Aktivitäten die der Leistung zugrundeliegenden Kundenbedürfnisse zu berücksichtigen.226

Die Wertschöpfungsaktivitäten, die einen direkten Kontakt zum Kunden vor­ aussetzen, lassen sich als Front-Office-Bereich bezeichnen.227 Dieser Teil ist nahezu identisch mit dem Serviceprozeß, d.h. die Phase der Dienstleistungs­ erstellung mit Eingangslogistik, Operationen und Ausgangslogistik. Marketing und Vertrieb sind bei Dienstleistungsuntemehmen unter Wertschöpfungsge­ sichtspunkten vor diesen drei Bereichen angesiedelt, da sie dafür Sorge tragen müssen, daß der Kunde überhaupt auf die angebotene Leistung aufmerksam wird, die Möglichkeit der Inanspruchnahme sieht, diese in seine Entscheidungsprozesse integriert und die Dienstleistung schließlich kauft.228 Ansonsten wurde eine Be­

226 Vgl. Lundquist 1993, S. 43. 227 Zur Unterscheidung von Front- und Back-Office-Bereichen vgl. Johnston 1989, S. 192-193. 228 Vgl. Wright 1995, S. 43; zu dieser Argumentation für Konsumgüter auch Kaas 1991, S. 2-3. Der Ablauf lehnt sich an das im Marketing-Management verwendete AIDA-Modell (attention-

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Erweiterungen der Netzwerkperspektive

reitstellung von Leistungspotentialen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten keinen Sinn machen. Die Aufgaben der Eingangslogistik beinhalten zum einen alle Maßnahmen zur Sicherstellung des Ausfuhrens der Kemdienstleistung229 z.B. Geldanlage, Flug, Gebäudereinigung. Dies umfaßt neben der Integration des Kunden oder dessen Objekte die Verfügbarkeit notwendiger Hilfsmittel und leistungen. Zum anderen können dies im Rahmen einer Leistungsdifferenzierung Zusatzleistungen wie u.a. das Angebot von Garagen, Lounges oder die Über­ nahme von Parkgebühren im Parkhaus sein. Mit Operationen werden Wert­ schöpfungsaktivitäten bezeichnet, die das Erbringen der Kemdienstleistung darstellen, sowie damit direkt in Verbindung stehende Zusatzleistungen. Die Ausgangslogistik umfaßt alle Aufgaben, die mit dem Verlassen des Ortes der Dienstleistung verbunden sind. Nicht alle Aktivitäten der drei beschriebenen Wertschöpfungsbereiche spielen sich vor den Augen der Kunden ab. Einige ge­ hören auch zum sogenannten Back-Office230, wie z.B. das Catering für Flüge oder Bahn als Teil der Eingangslogistik oder das Zusammenstellen einer Rechnung vor dem Auschecken aus einem Hotel als Teil der Ausgangslogistik. Weitere Modifikationen stellen die Hervorhebung des Qualitätsmanagements als Sekundäraktivität und die Betonung von Produkt- und Verfahrensentwicklungen anstelle von Technologieentwicklungen dar, wobei zwischen den letztgenannten Aktivitäten Zusammenhänge bestehen. Zusammenfassend basiert das Ausmaß interner Komplexität eines Dienstleistungsuntemehmens auf der Gestaltung der Wertschöpfungskette. Die kom­ plexitätsbestimmenden Interdependenzen und Verknüpfungsintensitäten beziehen sich jedoch nicht nur auf die Vielzahl ökonomischer Austauschbeziehungen zwischen verschiedenen Bereichen und Einheiten, sondern v.a. auch auf die damit verbundenen Interaktionen der Untemehmensmitglieder.

2.2.3

Interne und externe Netzwerke als optimaler Komplexitätsabgleich

Bartlett/Ghoshal beschreiben ihr Modell einer transnationalen Organisation als ’’integriertes inter-organisationales Netzwerk” von weltweit verstreuten Untemehmenseinheiten.231 Damit sind alle Strukturen und Prozesse innerhalb des Unternehmens gemeint. Diese sind eingebettet in das externe Netzwerk der Un-

interest-desire-action) der Kommunikationswirkung an. Vgl. Kotier u.a. 1999, S. 674-675; Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 1997, S. 580. 229 Zur Unterscheidung von Kem- und Zusatzleistung vgl. Normann 1987, S. 39-42. 230 Vgl. Johnston 1989, S. 192; Hardt 1996, S. 100. 231 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1990, S. 84-86; Ghoshal/Bartlett 1990, S. 603-625.

Teil 2

73

temehmensumwelt, zu dem die verschiedenen Einheiten des transnationalen Un­ ternehmens in Beziehung stehen.232 Die Komplexität des internen Netzwerks spiegelt das Potential zur Handhabung externer Komplexität wider. Die von Bartlett/Ghoshal vorgenommene System-Umwelt-Unterscheidung geht allerdings nicht weiter auf mögliche Verbindungen zwischen den beiden Berei­ chen ein. Sie läßt damit Unternehmenskooperationen als eine Form externer Netzwerke233 außer Acht.234 Ein hierfür häufig herangezogenes Erklärungsmuster ist der Transaktionskosten­ ansatz als ein Baustein der Neuen Institutionenökonomie.235 Im Rahmen dieser Betrachtung ergeben sich externe Netzwerke aus Untemehmenskooperationen, die als organisatorische Mischformen236 auf einem Kontinuum zwischen Markt und Hierarchie angesiedelt sind.237 Basierend auf den von WILLIAMSON herausgearbeiteten transaktionsspezifischen Merkmalen und Verhaltensannahmen238 kann die Vorteilhaftigkeit verschiedener institutioneller Arrangements anhand von Transaktionskosten erklärt werden. Diese entstehen im Rahmen vertraglich geregelter ökonomischer Austausch­ prozesse sowohl vor als auch nach Vertragsabschluß und umfassen Such-, Infor­ mations-, Verhandlungs-, Tausch-, Absicherungs- sowie Vertragsanpassungs­ kosten.239 In ’’Make or buy”-Entscheidungssituationen reicht es demnach nicht aus, die internen Herstellungskosten dem Preis bei Fremdbezug einer Leistung gegenüberzustellen. Des weiteren müssen auf der einen Seite die Kosten für Ar­ beitsverträge einschließlich dem damit verbundenen ex-post Organisations­ aufwand sowie auf der anderen Seite die externen Transaktionskosten von Ver­

232 Vgl. Ghoshal/Bartlett 1990, S. 603. 233 Im folgenden werden abweichend von BARTLETT/GHOSHAL die Begriffe ’’inter-organisational” und ’’extern” bzw. ’’intra-organisational” und ’’intern” jeweils als Synonyme zur Beschreibung von Netzwerkstrukturen verwendet. 234 vgl. Kreikebaum 1999, S- 119. 235 Vgl. u.a. Thorelli 1986, S. 37-51; Jarillo 1988, S. 34-36; Hardt 1996, S. 31-41. Des weiteren umfaßt die Neue Institutionenökonomie den ”PrincipaI-Agent”-Ansatz und die Theorie der ’’Property-Rights”. Vgl. hierzu ausführlicher Ordelheide 1993, Sp. 1838-1855; Kreikebaum 1998, S. 23-32; Picot/Dietl 1990, S. 178-183; Hempe 1997, S. 69-84. 236 Williamson 1990,S. 182. 237 Vgl. Obring 1992, S. 148; Friese 1998, S. 66. 238 Die Überlegungen des Transaktionskostenansatzes sind u.a. geprägt von der Annahme ’’beschränkter Rationalität” und ’’opportunistischen Verhaltens” der Handlungsakteuren und bzgl. der Transaktionen von unterschiedlichen Graden der ’’Unsicherheit” und ’’Spezifität”. Vgl. hierzu ausführlich Williamson 1985, S. 44-61; Kaas/Fischer 1993, S. 688. 239 vgl. Williamson 1979, S. 238; Hardt 1996, S. 34; Kreikebaum 1998, S. 24-25.

74

Erweiterungen der Netzwerkperspektive

tragsabschlüssen hinzugezogen werden, um die Vorteile von Markt oder Hier­ archie zu beurteilen.240

Erweisen sich sowohl die markt- als auch die hierarchiebezogenen Transaktions­ kosten gleichermaßen als extrem hoch, so daß beide Lösungen unvorteilhaft erscheinen, bieten sich als Alternativen die ”Quasi-Intemalisierung” bzw. ”QuasiExtemalisierung” von Aktivitäten an.241 Der Aufbau kooperativer, längerfristiger Beziehungen zu Lieferanten, Abnehmern und Wettbewerbern beeinflußt die Aus­ prägung der Transaktions- und Verhaltensspezifika. Die Entwicklung von Ver­ trauen zwischen den Transaktionspartnem, intensiver Informationsaustausch und die Entstehung gegenseitiger Abhängigkeiten ermöglichen eine Reduktion der externen Transaktionskosten 242 Zur Koordination von Wertschöpfungsaktivitäten dient nicht allein der Markt, sondern auch organisatorische Mechanismen werden ausgenutzt.243 Gleichzeitig existiert weiterhin ein marktlicher Effizienzdruck für alle Beteiligten.244 Durch die Abgabe von Wertschöpfungsaktivitäten an Ko­ operationspartner bzw. durch die engere Anbindung derselben ohne vollständige rechtliche Eingliederung kann ein Unternehmen seine Ressourcen konzentrieren und so Effektivitäts- und Effizienzkriterien erfüllen. Der Transaktionskosten­ ansatz übersetzt Komplexität in Kosten. Eine Analyse der Wertschöpfungskette dient dem Erkennen von Wertsteigerungspotentialen zum einen und Komplexi­ tätssenkungspotentialen im Unternehmen zum anderen. Eine Angleichung interner und externer Komplexität beruht hier auf Effizienzvergleichen von Einzel­ transaktionen in und zwischen klar voneinander abgegrenzten Organisations­ formen wirtschaftlichen Handelns.245 Der Ansatz thematisiert damit wie auch das TNU einen Teilaspekt der Entstehung von Untemehmensnetzwerken.246 Auf den ersten Blick scheinen die Netzwerkperspektiven des TNU und des Trans­ aktionskostenansatzes nicht miteinander vereinbar. BARTLETT/GHOSHAL be­ trachten Unternehmen als internes, die Umwelt als externes Netzwerk. Vertreter einer transaktionskostenbasierten Argumentation sehen Unternehmenskoopera­ tionen als externe Netzwerke, die eine Zwischenform von Markt und Hierarchie

240 Vgl. Kutschker/Mößlang 1996, S. 330; Sydow 1992, S. 259. 241 Vgl. Sydow 1995a, S. 630; Sydow 1995b, S. 160; Jarillo 1988, S. 35-36. 242 Vgl. Sydow 1992, S. 268. 243 Vgl. Reiß 1996, S. 196. 244 Vgl. Sydow 1992, S. 268. 245 Vgl. Doz/Prahalad 1991, S. 148. 246 Kritisch befassen sich mit dem Erklärungsgehalt des Transaktionskostenansatzes in Verbindung mit Untemehmensnetzwerken u.a. zu Knyphausen 1990; Sydow 1992, S. 239-311; Michel 1996, S. 15-18; im erweiterten Sinne Kirsch 1992, S. 516-525.

Teil 2

75

darstellen. Unternehmen sind hier eine hierarchische Organisationsform, die im TNU durch die Einführung mehrerer Zentren gerade vermieden werden soll.

Unter Berücksichtigung systemtheoretischer Überlegungen, die sich im Gegensatz zum Transaktionskostenansatz nicht damit befassen, warum sondern wie Netzwerke entstehen, läßt sich eine Verbindung zwischen beiden Perspektiven herstellen. Ökonomische Handlungen sind danach in ein gesamtgesellschaftliches Netzwerk verschiedener funktionaler Teilsysteme und sozialer Austauschbe­ ziehungen eingebettet.247. Netzwerke werden dabei jenseits der beiden Gegen­ sätze Markt und Hierarchie als eigenständige Organisationsmuster betrachtet, die sich durch spezifische Eigenschaften auszeichnen.248 Wie im intra-organisationalen Netzwerk eines sozialen Systems beinhalten Kooperationen zwischen Un­ ternehmen Kommunikationen und Austauschbeziehungen der Systemmitglieder, die sich an der Funktionserfüllung der Zusammenarbeit in der Umwelt orientie­ ren.249 Die Abstimmung der Wertschöpfungsaktivitäten erfolgt im Hinblick auf eine gemeinsam zu erstellende Leistung. Als übergeordneter Handlungsrahmen fungiert dabei das Ziel, Kunden an das System der Kooperationspartner zu bin­ den.250 Damit existiert ein Sinnbezug für das inter-organisationale Netzwerk.251 Die Interaktionen der kooperierenden Unternehmen produzieren letztlich ein neues soziales System. Unabdingbare Voraussetzung für das erfolgreiche Zusam­ menspiel intra- und inter-organisationaler Netzwerkstrukturen und -prozesse ist die Fähigkeit der Netzwerkmitglieder, über die Grenzen des eigenen Teilsystems hinwegzudenken und die Leistungserstellung in der ganzheitlichen Perspektive des gesamten Netzwerks zu sehen.252 Die Eingliederung in ein Kooperationssystem führt zum Entstehen zusätzlicher Schnittstellen, die zu einem Anstieg der Netzwerkkomplexität beitragen.252 Das transnationale Netzwerk als Ganzes zeichnet sich durch eine hohe Binnenkom­ plexität aus. Gleichzeitig reduziert sich für die beteiligten Einheiten die interne Komplexität durch die Konzentration auf ausgewählte Bereiche der Wert­ schöpfungskette. Um die Erweiterung der Netzwerkperspektive gegenüber dem TNU zu verdeutlichen und der Bedeutung systemtheoretischer Überlegungen in

247 Vgl. Prange 1996, S. 173. 248 Vgl. Reiß 1996, S. 195; Obring 1992, S. 273; Teubner 1992, S. 195. Auf die allgemeinen Charakteristika von Untemehmensnetzwerken wird im folgenden Gliederungspunkt näher ein­ gegangen. 249 Vgl. Gaitanides 1983, S. 61-62; Hardt 1996, S. 28. 250 Vgl. Merrill Lynch 1998, S. 5. 251 Vgl. Jarillo 1988, S. 34. 252 Vgl. Rall 1997, S. 668. 253 Vgl. Mirow/Aschenbach/Liebig 1996, S. 128.

76

Erweiterungen der Netzwerkperspektive

diesem Zusammenhang gerecht zu werden, wird an dieser Stelle die Bezeichnung '"transnationales System ” eingeführt. Sie bezieht sich auf institutioneile Arrangements, die interne wie externe Netzwerke als Formen des adäquaten Komplexitätsabgleichs einschließen.

2.3

Allgemeine Charakteristika von Unternehmens-netzwerken bei internationaler Tätigkeit

Die vorherigen Netzwerkbetrachtungen versuchen anhand von Systemtheorie und Transaktionskosten zu erläutern, wie und warum Netzwerke entstehen.254 Die folgenden Überlegungen beziehen sich dagegen konkreter auf die generellen Merkmale und Untersuchungsschwerpunkte, die für das Management von Netz­ werken bei internationaler Tätigkeit von Bedeutung sind. Als Untemehmensnetzwerke werden intra- oder inter-organisationale Verbindun­ gen autonomer Einheiten bezeichnet, die im Sinne längerfristiger Wert­ schöpfungspartnerschaften entstehen.255 Das Marktgeschehen ist damit teilweise auf netzwerkinteme Prozesse übertragen. Verbindungen mit dem Ziel, gemein­ same Wettbewerbsvorteile zu erlangen, heißen strategische Netzwerke.256 Im Hinblick auf den Fokus dieser Arbeit stellt Tabelle 2-1 dem hier als Ausgangs­ punkt verwendeten integrierten Netzwerkmodell von BARTLETT/GHOSHAL drei zusätzliche Netzwerkansätze für international tätige Unternehmen gegenüber, um daraus weitere allgemeine Merkmale ableiten zu können, die beim Entwurf der Rahmenkonzeption für international tätige Dienstleistungsuntemehmen berück­ sichtigt werden sollen.257

254 Zu einer Übersicht weiterer theoretischer Erklärungsansätze für Netzwerkorganisationen vgl. Renz 1998, S. 9-14. 255 Vgl. Chrobok 1998, S. 242; Sydow 1992, S. 82. In der amerikanischen Literatur werden für externe Netzwerke zur Unterscheidung zwischen interaktiven Wertschöpfungspartnerschaften auf der einen und Verbindungen über gemeinsame Standards auf der anderen Seite teilweise die Begriffe ’’networks” gegenüber ”webs” verwendet. Vgl. hierzu Rall 1997, S. 667. Diese Unter­ scheidung entspricht in etwa der Differenzierung in soziale Systeme und Bereiche. 256 Vgl. Jarillo 1988, S. 32; zu einer hiervon abweichenden Definition strategischer Netzwerke Sydow 1995b, S. 162-163. 257 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1990; Hedlund 1986; Prahalad/Doz 1987; White/Poynter 1990; zu einer zusammenfassenden Beschreibung der Konzepte Schmid 1996, S. 27-40.

77

Teil 2

Modell»

Dimension U

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