Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert: Chögyam Trungpa und die Entwicklung von Shambhala Training 9783666540189, 9783525540183, 9783647540184


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Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert: Chögyam Trungpa und die Entwicklung von Shambhala Training
 9783666540189, 9783525540183, 9783647540184

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© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540183 — ISBN E-Book: 9783647540184

Critical Studies in Religion/ Religionswissenschaft (CSRRW)

Herausgegeben von Gregor Ahn, Oliver Freiberger, Jürgen Mohn, Michael Stausberg

Band 6

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540183 — ISBN E-Book: 9783647540184

Katja Rakow

Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert Chögyam Trungpa und die Entwicklung von Shambhala Training

Mit 9 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-54018-3 ISBN 978-3-647-54018-4 (E-Book) Ó 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Original Bildtitel: The Stupa of Enlightenment at Gampo Abbey that contains relics of the Vidyadhara Chogyam Trungpa Rinpoche, Cape Breton Island, Nova Scotia, Canada Urheberrecht: Ó Stehpen, Shutterstock.com Druck und Bindung: a Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Das Forschungsfeld Buddhismus im Westen . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Forschungsstand zum Buddhismus im westlichen Kontext . . . . 2.2 Das Forschungsfeld Buddhismus im Westen – Eine Problematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen 3.1 Buddhismus im Westen als Feld symbolischer Kämpfe . . . 3.2 Buddhismus aus diskurstheoretischer Perspektive . . . . . . 3.3 Das buddhistische Feld im Westen aus transkultureller Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Religionsgeschichtlicher Hintergrund: Tibetischer Buddhismus und der Mythos von Shambhala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Tibetischer Buddhismus – Eine Einführung . . . . . . . . . . . 4.2 Der Shambhala-Mythos im tibetisch-buddhistischen Kontext . 4.3 Shambhala in der westlichen Rezeption . . . . . . . . . . . . . . 5. Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987) . . . . . . . . . 5.1 Der 11. Trungpa Tülku: Die frühen Jahre in Tibet (1939/40 – 1960) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Abt ohne Kloster : Chögyam Trungpa im indischen Exil (1960 – 1963) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Vom Mönch zum Ehemann: Chögyam Trungpa in England (1963 – 1970) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 »The Rimp« – Chögyam Trungpa und die amerikanische Counterculture: Die ersten Jahre in Nordamerika (1970 – 1974) .

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Inhalt

5.5 Vajracharya Chögyam Trungpa: Die Etablierung des Vajraya¯na-Buddhismus in Amerika (1974 – 1976) . . . . . . . . . 5.6 Dorje Dradul von Mukpo: Chögyam Trungpas Shambhala-Vision (ab 1976) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Die Kunst des Alltags: Chögyam Trungpas Dharma Art (ab 1974) 5.8 Chögyam Trungpa, der Sakyong von Shambhala: Die letzten Jahre (1980 – 1987) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9 Abschließende Betrachtungen: Chögyam Trungpa als religiöser Innovator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Shambhala Training: Struktur, Inhalt und Genese eines neuen Wissens- und Praxisfeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Shambhala Training – Verortung im Wirken Chögyam Trungpas . 6.2 Chögyam Trungpas Shambhala-Vision . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Entstehung und Entwicklung von Shambhala Training . . . . . . 6.4 Die physische Manifestation des Königreiches von Shambhala . . 6.5 Die materielle und sinnliche Seite der Shambhala-Vision . . . . . 6.6 Das Verhältnis von Buddhismus und Shambhala . . . . . . . . . . 6.7 Abschließende Betrachtungen: Die Institutionalisierung und Verstetigung der Shambhala-Lehren . . . . . . . . . . . . . . . .

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245 245 252 266 281 291 304 311

7. Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert in transkultureller Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Chögyam Trungpa als transkultureller Akteur . . . . . . . . . . . 7.2 Kulturelle Interferenzen und die Innovation neuer Wissens- und Praxisordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Shambhala International als transkulturelle Organisation . . . . . 7.4 Abschließende Betrachtungen: Religionsgeschichtliche Transformationsprozesse im Kontext transkultureller Flüsse . . .

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8. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1. Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Transliteration tibetischer Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Die chinesische Okkupation Tibets in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts veranlasste unzählige Tibeter zur Flucht aus ihrem Land. Für einige Tibeter und buddhistische Gelehrte führte der Weg über Indien auch nach Europa und Nordamerika. Chögyam Trungpa (1939 – 1987), mit dem sich die vorliegende Studie befasst, war einer von ihnen und unter den ersten buddhistischen Lehrern, die den tibetischen Buddhismus an europäische und nordamerikanische Schüler vermittelten. Stets war er dabei auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, um sein religiöses Erbe in zeitgemäße Formen zu übersetzen, die seine westlichen Schüler verstehen und in ihren Alltag integrieren konnten. Aus diesem Bestreben heraus entwickelte und lehrte Trungpa in den 1970er und 1980er Jahren einen Meditationsweg, den er Shambhala Training nannte. Shambhala Training wurde von ihm als säkularer und dennoch heiliger Erleuchtungsweg betrachtet, der unabhängig von jeglicher religiöser Zugehörigkeit beschritten werden könne. Das vorliegende Buch bietet eine historische Mikrostudie zum Lebensweg Chögyam Trungpas und seiner Entwicklung und Präsentation von Shambhala Training. Zwar liegt der Fokus auf Trungpas Tätigkeit als buddhistischer Lehrer in Nordamerika, gleichwohl ist es ein Anliegen der Studie, die komplexen transkulturellen Einflüsse auf Trungpas Leben und Wirken aufzuzeigen – sowohl aus dem westlichen als auch dem asiatischen Kontext. Diese transkulturelle Orientierung ermöglicht es, die von Trungpa etablierten Vorstellungen und Praktiken nicht lediglich als Produkt einer erfolgreichen Adaption an westliche Verhältnisse zu beschreiben, sondern sie als ein neues Wissens- und Praxisfeld zu verstehen, das aus einer Situation kultureller Hybridität hervorgegangen ist. Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um eine überarbeitete Version meiner Dissertation Transformationen buddhistisch inspirierter Vorstellungen und Praktiken – Chögyam Trungpas Shambhala Training, die im Jahr 2010 an der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg angenommen wurde. Eine erste Beschäftigung mit der Rezeption und Transformation buddhistischer Vorstellungen und Praktiken im westlichen

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Vorwort

Kontext wurde mir durch die Mitarbeit in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projekt ermöglicht. Das Projekt trug den Titel »Sinnsuche – Coping – Streben nach Wohlgefühl. Transformationen buddhistisch inspirierter Vorstellungen und Praktiken in der deutschen Gegenwartsgesellschaft« und wurde unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Inken Prohl von 2005 bis 2006 an der Freien Universität Berlin und von 2006 bis 2007 an der Universität Heidelberg durchgeführt. Die Ergebnisse des DFG-Projektes sind vor allem in die theoretischen Vorüberlegungen der Studie eingeflossen. Die eigentliche Arbeit an der Dissertationsschrift erfolgte während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Religionswissenschaft der Universität Heidelberg in den Jahren 2006 bis 2010. Hier in der Heidelberger Akademiestraße fand ich ein vielseitiges, inspirierendes Umfeld und viele Kolleginnen und Kollegen haben mir während der Promotionsphase mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Einige von ihnen sind über die Jahre zu guten Freunden geworden, die ich nicht mehr missen möchte. Der intellektuelle Austausch, den dieses Umfeld ermöglicht hat, war und ist für mich von unschätzbarem Wert. Besonders danken möchte ich meiner Doktormutter Inken Prohl, die mich mit fachlichem und menschlichem Rat begleitet hat und in den richtigen Momenten Worte der konstruktiven Kritik sowie Worte der Ermutigung gefunden hat. Mein Dank gilt außerdem meinem Zweitgutachter Michael Bergunder und Gregor Ahn, dem Mitherausgeber dieser Reihe, für anregende Diskussionen und kritische Hinweise. Danken möchte ich ebenfalls meinen Kollegen, Weggefährten und Freunden, die mich auf ihre je eigene Art und Weise unterstützt und begleitet haben: Sebastian Emling, Susanne Oeser und Nadja Miczek für die zahlreichen Möglichkeiten des gedanklichen Austauschs – sowohl über unsere Dissertationsprojekte als auch über das Leben, die Menschen und die Welt der Musik; Ann-Laurence Mar¦chal-Haas für die Möglichkeit, meine letzten Kapitel in der Abgeschiedenheit der Nordseeinsel Föhr zu schreiben, und die hervorragende kulinarische Versorgung; Esther Berg und Dimitry Okropiridze für zahlreiche Gespräche und fachliche Diskussionen sowie Sascha Beckerle und Gill Zimmermann für unermüdliches Korrekturlesen. Und schließlich gilt ein besonderer Dank meiner Mutter Doris Rakow, die mich immer bedingungslos unterstützte und an mich geglaubt hat. Abschließend möchte ich den Herausgebern der Reihe »Critical Studies in Religion/Religionswissenschaft« danken, die mein Buch in ihre Reihe aufgenommen haben, sowie den Mitarbeitern des Vandenhoeck & Ruprecht Verlages für die gute Zusammenarbeit. Besonderer Dank gilt dem anonymen Gutachter für seine hilfreichen Anmerkungen zur Überarbeitung des Manuskriptes. Ich

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Vorwort

habe versucht allen Vorschlägen nachzukommen; etwaige verbleibende Fehler oder Schwächen bleiben jedoch allein mein Versäumnis. Singapur, im Dezember 2013

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Katja Rakow

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Einleitung

He was a holy fool, a crazy saint, a visionary, and a drunk. He was a scholar, a comedian, a poet, and a brilliant teacher. He loved to tickle feet. Chogyam Trungpa, Rinpoche, was fiercely intelligent, miraculously insightful, playful, moody, and tough. He was notoriously late, inspired respect and fear… He sometimes fell asleep while meditating. (Swick 1996: 30)

London, Dezember 1968. Diana Judith Pybus ist auf dem Weg zur St. George’s Hall, um an einer Protestaktion der Buddhist Society gegen die chinesische Besetzung Tibets teilzunehmen. Sie ist zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt und interessiert sich für den tibetischen Buddhismus. Kurz zuvor hat sie ein Buch mit dem Titel Born in Tibet gelesen und erfahren, dass der Autor des Buches auf der Veranstaltung als Sprecher vorgesehen ist. Bei besagtem Buch handelt es sich um die Autobiographie eines tibetischen Lamas namens Chögyam Trungpa, der vor den Chinesen aus Tibet flüchtete und nun in England weilt. Als Trungpa, der von seinen Schülern mit dem Ehrentitel Rinpoche angesprochen wird, schließlich als letzter Sprecher des Tages in den kastanienbraunen und safrangelben Roben eines tibetischen Mönchs die Bühne betritt, vermeint Diana eine tiefe Verbindung zu ihm zu spüren: Although he was only on stage for a few minutes, I knew that I had a very deep and old connection with him, and it stirred up a lot of emotion for me. The only way I can describe this experience is that it was like coming home. Nothing in my life had hit me in such a powerful way. I said to myself, »This is what I’ve been missing all my life. Here he is again.« It wasn’t just that this was some cool, powerful experience. I knew him, and as soon as I saw him, I realized how much I’d been missing him. It was coming home. And from that moment on, I wanted desperately to meet him. (Mukpo/Gimian 2002)

Trungpa spricht auf der Bühne nicht ein Wort. Kaum, dass er sie betreten hat, bricht er zusammen und muss von der Bühne getragen werden. Die Veranstalter erklären, dass er krank sei; viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass Trungpa be-

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Einleitung

trunken ist (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 2 f). Es sollte nicht die einzige Begebenheit im Leben Chögyam Trungpas bleiben, in welcher der Konsum von zu viel Alkohol ihn am Lehren oder Vortragen hindern wird. Diana ist – wie viele andere Schüler Trungpas auch – dennoch fasziniert von dem Tibeter, der einer der ersten Lehrer ist, die den tibetischen Buddhismus an westliche Schüler in ihrer eigenen Sprache vermitteln. Sie will ihn wiedersehen und reist heimlich zu Trungpas tibetisch-buddhistischem Meditationszentrum Samye Ling in Schottland. Die erneuten Begegnungen enden anderthalb Jahre später in einer Heirat mit dem in den Laienstatus zurückgekehrten tibetischen Lehrer. Zusammen gehen sie nach Nordamerika, wo Chögyam Trungpa verschiedene Meditationszentren begründet und so das erste große Netzwerk tibetisch-buddhistischer Gruppen in den USA aufbaut. Boston, September 1970. Jeremy Hayward ist auf dem Weg zu dem öffentlichen Vortrag eines asiatischen Lehrers im East-West Center in Boston. Jeremy hat einen Doktor in Physik und zusätzliche mehrere Jahre Forschung in der Biologie absolviert. Seit geraumer Zeit ist er auf der Suche nach Wahrheit, nach Erkenntnis, nach der Frage, was Realität wirklich ist. Er ist ein Suchender, dem die spirituellen Angebote der blühenden Counterculture in den USA zahlreiche Optionen bieten, Lehrer der verschiedenen alternativ-religiösen Traditionen aufzusuchen und ihre Wege zu erkunden. Bisher hat Jeremy nicht die Antworten gefunden, nach denen er sucht. Er beschreibt sich als depressiv, nihilistisch und unzufrieden. An diesem Abend wird im East-West Center ein tibetischer Meditationsmeister sprechen. Doch der Redner ist spät dran und so müssen die Versammelten auf Sitzkissen oder auf dem Boden sitzend auf den Vortragenden warten. Schließlich betritt ein kleiner, leicht hinkender Mann, gekleidet in legere Hosen und eine Sportjacke, den Saal. Es ist Chögyam Trungpa, der mit Humor und Leichtigkeit das Publikum mit einem Vortrag zur Überwindung des Egos durch Achtsamkeits-Meditation in den Bann schlägt. Auch Jeremy ist fasziniert und nutzt die Gelegenheit, in der anschließenden Diskussionsrunde eine Frage an den Redner zu richten. Er fragt den Tibeter, was passiert, wenn man sein Ego überwunden und aufgelöst habe: Rinpoche gave me a sweet, gentle, youthful smile, slightly shook his head, and replied, »There’s something left, don’t worry.« He spoke directly to me with warmth and tenderness, and he somehow caught my underlying doubt as to whether there is any true reality at all beyond surface appearances. With that, I was hooked. (Hayward 2008: 2 f, Hervorhebung im Original)

Nach dieser ersten Begegnung wird Jeremy Hayward ein Schüler des tibetischen Lehrers und ein wichtiger Unterstützer in den vielen verschiedenen Projekten, die Trungpa bis zu seinem Tod 1987 initiieren wird. Dazu gehören u. a. die Gründung des Naropa Instituts, der ersten akkreditierten buddhistischen Uni-

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Einleitung

versität in den USA, sowie die Entwicklung von Shambhala Training, einem buddhistisch-inspirierten, säkularen Meditationsweg für westliche Praktizierende. Boulder, Sommer 1974. Charles S. Prebish ist auf dem Weg zu seinem ersten persönlichen fünf-Minuten-Interview mit Chögyam Trungpa, den er einige Tage zuvor das erste Mal sah, auch wenn er seine Bücher Meditation in Action und Cutting Through Spiritual Materialism schon mehrfach gelesen hat. Charles ist eigentlich Professor für Religionswissenschaft an der Pennsylvania State University, wo er Sanskrit und Kurse zum Buddhismus unterrichtet. Auf Einladung Trungpas gibt er einen Sanskritkurs im Sommerprogramm des neugegründeten Naropa Institute in Boulder, Colorado. Er erscheint pünktlich um 16 Uhr zu seinem vereinbarten Interviewtermin. Man erklärt ihm, dass Rinpoche noch etwas Zeit benötigen würde und er warten solle. Charles wartet zwei Stunden, in denen niemand in das Zimmer des Lehrers geht oder es verlässt. Dann wird er schließlich in die Räumlichkeiten Trungpas eskortiert. Aus den geplanten fünf Minuten für das Interview werden mehrere Stunden, in denen Trungpa erklärt, dass Charles seine über Jahre etablierte Praxis auf dem Meditationskissen als Entschuldigung nutze, um sich aus der Welt zurückzuziehen. Der tibetische Lehrer fordert ihn auf, der Welt zu begegnen und sie durch die buddhistischen Prinzipien, die er erlernt hat, zu erfahren. Charles soll sich vom Meditationskissen erheben und den Alltag seinen Guru, seinen Lehrer, werden lassen: For the next couple of hours, Trungpa engaged me in a rambling discussion about my »practice« that was nothing short of the most astounding spiritual diagnosis, and the prognosis, I could have imagined. Somehow – inexplicably – Trungpa new everything about my spiritual history. This was not the sort of stuff one might read off someone’s r¦sum¦, and that was about all Trungpa knew about me. But the most startling part of the discussion emerged when Trungpa said, »Charles, I think you should stop sitting in meditation.« For someone who prescribed the basic Buddhist calming meditation practice known as shamatha for virtually everyone in his community, this was shocking, even heretical advice. (Prebish 2005: 311)

Chögyam Trungpa gibt seinem Gesprächspartner einen unerwarteten Ratschlag. Einen ähnlichen Gedanken hatte er bereits in seinem Buch Meditation in Action formuliert. Die Aufforderung den Alltag als Lehrer, Lern- und Praxismöglichkeit zu betrachten, wird charakteristischer Bestandteil der Shambhala-Lehren werden, auf die Trungpa zum Ende der 1970er Jahre seinen Schwerpunkt legt. Unter einem weitgehenden Verzicht auf buddhistische Termini und Rituale wird sich Shambhala Training an Menschen richten, die einen normalen Alltag mit Familie und Beruf leben, und ihnen vermitteln, wie man eine Haltung der Meditation in dieses Leben integriert.

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Einleitung

Die drei Episoden schildern die erste Begegnung mit dem aus Tibet stammenden buddhistischen Lehrer Chögyam Trungpa (1939 – 1987) aus der Perspektive seiner Schüler oder Zeitgenossen. Sie zeugen nicht nur von Bewunderung oder zeigen, wie tief beeindruckt oder berührt die beschriebenen Personen von ihrem Gegenüber waren, sondern geben auch Einblick in die kontroverse Seite des tibetisch-buddhistischen Lehrers. Chögyam Trungpa war eine gleichermaßen außergewöhnliche wie umstrittene Persönlichkeit (vgl. Batchelor 1994: 104ff). Er trank, rauchte, hatte diverse Frauengeschichten, kümmerte sich selten um Konventionen und trug seinen späteren Wohlstand offen zur Schau. Er wurde beschrieben als »charismatisch und unkonventionell« (Kay 2004: 26) oder als »geschickter kultureller Vermittler und Innovator« (Bell 1998: 61). Die Zeitschrift Middle Way (1987) konnte sich nach dem Tod Trungpas nicht entscheiden, ob er nun »Bodhisattva oder gefallener Engel – oder eine Kombination von beidem« war.1 Der Journalist David Swick charakterisierte Trungpa als »heiligen Narren, verrückten Heiligen, Visionär und Trunkenbold«, der zugleich ein »Gelehrter, Komödiant, Poet und brillanter Lehrer« gewesen sei. Er habe Respekt und manchmal Furcht einflößend gewirkt, obwohl er notorisch zu spät kam, es liebte, die Füße anderer zu kitzeln und hin und wieder sogar während der Meditation einschlief (vgl. Swick 1996: 30). Mögen die Beurteilungen der Person Chögyam Trungpas auch sehr unterschiedlich ausfallen, bleibt seine Bedeutung für die Verbreitung des tibetischen Buddhismus im westlichen Kontext davon unberührt. Er gilt als eine zentrale Figur in der Vermittlung tibetisch-buddhistischer Lehren an westliche Schüler. Heute besteht die von ihm gegründete Gemeinschaft als ein international agierendes Netzwerk aus über 170 Meditationszentren und Gruppen in verschiedenen Teilen der Welt. Nordamerika und Europa stellen Ballungsräume dar, während einzelne Gruppen auch in Südamerika, Südafrika, Asien und in der arabischen Welt zu finden sind.2 Die auf Trungpa zurückgehenden Gruppen und Zentren sind somit zu einem der größten buddhistischen Netzwerke im Westen avanciert (vgl. Samuel 1993: 348; Eldershaw 2004: 1; 2010: 237).

1 Editorial des Middle Way 1987, S. 78, zitiert in Robert Bluck (2006: 111). 2 Siehe dazu die Angaben auf der offiziellen Homepage von Shambhala International (http:// www.shambhala.org/about_shambhala.php, abgerufen am 24. 10. 2013). Für eine Liste aller Zentren und Gruppen von Shambhala International weltweit siehe http://www.shambhala.org/ centers/ (abgerufen am 24. 10. 2013).

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Einleitung

Chögyam Trungpa, Buddhismus und Shambhala – Eine Einführung Chögyam Trungpa wird als die 11. Wiedergeburt der Trungpa Tülkus3 betrachtet, einer hohen Inkarnationslinie der Karma Kagyü-Schule4 des tibetischen Buddhismus, deren Inkarnationen als Äbte des Surmang-Klosterkomplexes in Osttibet fungierten. Wenige Jahre nach seiner Flucht aus Tibet ging er 1963 aus dem indischen Exil mit einem Stipendium an die englische Universität Oxford. In Schottland eröffnete er zusammen mit einem anderen tibetischen Lehrer das erste tibetisch-buddhistische Meditationszentrum im Westen. Ende der 1960er Jahre gab er seine Mönchsgelübde zurück und heiratete Diana Judith Pybus. 1970 reisten sie zusammen nach Nordamerika aus, wo Trungpa mit Unterstützung seiner westlichen Schüler buddhistische Meditations- und Studienzentren gründete. Sein Wirken als buddhistischer Lehrer fand breiten Zuspruch in der amerikanischen Counterculture der 1970er Jahre und innerhalb einer Dekade hatte er ein internationales Netzwerk von buddhistischen Zentren und Gruppen ins Leben gerufen, die unter dem Namen Vajradhatu organisiert waren. Zusätzlich begründete Trungpa verschiedene andere Einrichtungen, wie das bereits erwähnte Naropa Institute (heute Naropa University) und viele weitere Projekte im Bereich Bildung, Psychologie und Kunst. Er ist zudem als Autor zahlreicher Bücher bekannt geworden. Besonders einflussreich war sein 1973 erschienenes Werk Cutting Through Spiritual Materialism, das heute als buddhistischer Klassiker gilt (vgl. Seager 1999: 120). Der große Erfolg Trungpas bei der Verbreitung und Etablierung des tibetischen Buddhismus in Nordamerika mag zudem in der Tatsache begründet gewesen sein, dass er einer der ersten tibetisch-buddhistischen Lehrer war, der in englischer Sprache mit seinen Schülern kommunizierte (vgl. Eldershaw 2004: 195), zahlreiche Texte übersetzte und übersetzen ließ und seine Schüler ermunterte, in ihrer eigenen Sprache zu praktizieren (vgl. Midal 2004: 94).5 Durch seine Versuche, ihm angemessen erscheinende Übersetzungen für die fremden buddhistischen Termini und Konzepte zu finden, prägte er nachhaltig den Gebrauch bestimmter englischer Begriffe für diesen Zweck (vgl. Midal 2004: 95ff). Auf der Suche nach zeitgemäßen Formen der Übermittlung seines religiösen Erbes an westliche Schüler und Schülerinnen ließ sich Trungpa gleichermaßen 3 Tülku ist der tibetische Begriff für einen Lehrer, der Erleuchtung erlangt habe und freiwillig zum Wohle anderer wiedergeboren werde. 4 Die Karma Kagyü-Schule ist eine Unterschule der Kagyü-Schule, einer der vier Hauptschulen des tibetischen Buddhismus. 5 Dies stellte insofern ein Novum dar, als es bis heute in verschiedenen tibetisch-buddhistischen Gruppen und Organisationen mit mehrheitlich nicht-tibetischen Mitgliedern üblich ist, Rezitationen in tibetischer Sprache auszuführen, auch wenn die westlichen Schüler dieser Sprache nicht mächtig sind.

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Einleitung

von westlichen als auch asiatischen Kulturen inspirieren und so ist seine spezifische Form der Übermittlung des Buddhismus im westlichen Kontext durch zahlreiche Innovationen gekennzeichnet. Neben traditionellen tibetischen Formen flossen vor allem japanische und britische Elemente in die ästhetische Ausgestaltung der Lehren und Praktiken ein. Seine Innovationskraft zeigt sich besonders in dem von ihm Ende der 1970er Jahre begründeten, neuartigen Weg der Vermittlung buddhistischer Lehren und Praktiken, der den religiösen Charakter und die ritualistische Seite des tibetischen Buddhismus weitestgehend hinter sich ließ und sich an den modernen, aktiv in der Welt lebenden Menschen richtete (vgl. Midal 2004: 238). Trungpa nannte das neue Programm Shambhala Training. Es beinhaltet ein spezifisches Set buddhistisch inspirierter Konzepte, Praktiken und Ästhetiken, die wiederum weitere, verschiedene kulturelle Einflüsse sowohl asiatischen als auch westlichen Ursprungs integrieren. Die Vorstellung einer erleuchteten Gesellschaft – beeinflusst von dem zentralasiatischen Mythos eines geheimen Königreiches, genannt Shambhala, in dem Frieden, Glück und Wohlstand herrschen sollen – ist von zentraler Bedeutung für diesen Weg. Shambhala Training wurde von Trungpa als ein Meditationsprogramm konzipiert, das sich dem Selbstverständnis nach an jeden richtet, unabhängig von der jeweiligen religiösen Affiliation oder Nicht-Affiliation. Das Programm wurde daher auch als säkularer Weg zur Erleuchtung verstanden, der sich vom buddhistischen Zugang unterscheide. Nach einem medienwirksamen Skandal verlagerte Trungpa den Hauptsitz seiner Organisation in den 1980er Jahren aus den USA nach Kanada.6 Im Jahr 1987 verstarb er aufgrund von Herzversagen im Alter von 47 Jahren. Trungpas früher Tod wird von vielen auf seinen exzessiven Lebensstil zurückgeführt (vgl. Eldershaw 2004: 222). Er wurde in seinem Zentrum in Vermont unter Anwesenheit verschiedener hochrangiger tibetischer Lamas und zahlreicher Schüler kremiert. Seine Asche wird u. a. in dem eigens dafür errichteten Großen Stupa von Dharmakaya im Shambhala Mountain Center in Colorado verwahrt. Nach dem Tode Trungpas übernahm der von ihm als Nachfolger berufene Amerikaner Thomas F. Rich (1943 – 1990) die Führung der Gemeinschaft. Ein 6 Bei einem Vajraya¯na-Seminar Trungpas im Jahr 1975 sind zwei Teilnehmer unter Anwendung von Gewalt auf einer Halloween-Party gezwungen worden, sich zu entkleiden. Der Vorfall ist unter dem Titel »Snowmass Affair« bekannt geworden und hat zu einem Artikel von Peter Marin mit dem Titel »Spiritual Obedience« im Harper’s Magazine (1979) gefu¨ hrt. Die Episode ist auch in den Bu¨ chern The Great Naropa Poetry Wars (1980) von Tom Clark und The Party : A Chronological Perspective on a Confrontation at a Buddhist Seminary (1977) von Ed Sanders verarbeitet worden. Die »Snowmass-Affair« ist vor allem in der Nachwirkung des Massenselbstmordes in Jonestown kurze Zeit vorher zu einem medienwirksamen Skandal avanciert. Fu¨ r weitere Details siehe Kapitel 5.

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Einleitung

weiterer Skandal Ende 1988 aufgrund der HIV-Infektion von Rich und seiner wissentlichen Infektion eines weiteren Mitgliedes führte zu einer neuerlichen Erschütterung der Gemeinschaft (vgl. Kane 1994; Bell 1998; Eldershaw 2004: 225 – 239). Als neuer Leiter der Gemeinschaft wurde Sakyong Mipham (geb. 1962), der älteste Sohn Chögyam Trungpas, eingesetzt. Unter seiner Leitung wurde die von seinem Vater begründete Organisation in Shambhala International umbenannt und administrativ restrukturiert. Sakyong Mipham unternahm außerdem Reisen nach Tibet und Surmang und hat so die Kontakte mit der Herkunftsregion der Trungpa Tülkus revitalisiert. Durch die Heirat mit einer Tibeterin sind auch die Kontakte zur tibetischen Exilgemeinschaft weiter ausgebaut worden. Im Zuge der Umstrukturierung der Gemeinschaft unter Trungpas Sohn haben sich in den letzten Jahren auch inhaltliche Veränderungen abgezeichnet, die in der Verschmelzung der Termini »Shambhala« und »Buddhismus« im Begriff »Shambhala-Buddhismus« vorläufig kulminieren. Die Synthese der vormals voneinander verschiedenen Zugänge auf der konzeptuellen Ebene korrespondiert mit einschlägigen Veränderungen auf der Ebene der Praktiken und Ästhetiken. Shambhala International hatte nach eigenen Angaben im Jahr 1999 zwischen 6.000 bis 7.000 zahlende Mitglieder.7 Nicht mitgezählt sind hier die vielen Teilnehmer z. B. an Shambhala Training-Programmen oder an Angeboten im Bereich der kontemplativen Künste, wie z. B. Bogenschießen oder Blumenstecken. Die Partizipation an diesen Programmen erfordert keine Mitgliedschaft in der Gemeinschaft, weshalb von einer wesentlich größeren Anzahl von Akteuren auszugehen ist, die Angebote von Shambhala International wahrnehmen oder in Aktivitäten der Gemeinschaft involviert sind. In der deutschen Shambhalabuddhistischen Meditationsgruppe war während meiner Zeit als teilnehmende Beobachterin von 2005 – 2006 ein Kern von zehn bis zwölf Mitgliedern auszumachen.8 Bei speziellen Programmen und Veranstaltungen neben den regulären Meditationsabenden waren jedoch weitaus mehr Teilnehmer anwesend. Bei den Mitgliedern von Shambhala International handelt es sich kaum um Tibeter, sondern fast ausschließlich um Akteure amerikanischer oder europäischer Herkunft. Die Bedeutsamkeit Chögyam Trungpas lässt sich jedoch nicht nur an dem Vorhandensein eines buddhistischen Netzwerkes und dem Fortbestand von ihm begründeter Institutionen ablesen, sondern auch an dem nachhaltigen Einfluss seiner Lehren. Für viele buddhistische Akteure und buddhistisch interessierte 7 Diese Zahl bezieht sich auf die Akteure, die einen regelmäßigen Mitgliedsbeitrag entrichten (vgl. Eldershaw 2004: 5). 8 Damit handelt es sich um eine verhältnismäßig kleine Gruppe. Die größeren Zentren in Marburg, Köln und Hamburg haben wesentlich höhere Mitgliederzahlen.

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Einleitung

Leser stellt Trungpas Cutting Through Spiritual Materialism neben anderen buddhistischen Klassikern wie Shunryu Suzukis Zen Mind, Beginner’s Mind nach wie vor ein wichtiges Werk dar.

Zielsetzung der Studie Die vorliegende Arbeit ist eine historisch orientierte Mikrostudie zum Leben und Wirken Chögyam Trungpas und zur Genese von Shambhala Training, dem als säkular deklarierten Meditationsprogramm. Durch den Fokus auf einen historischen Akteur, der eine bedeutende Rolle in der Verbreitung des tibetischen Buddhismus in Nordamerika und Europa gespielt hat, fällt diese Arbeit in das größere Forschungsfeld zum Buddhismus im Westen. Bisher wurden Adaptionsprozesse buddhistischer Traditionen bei ihrem Transfer in westliche Gesellschaften häufig als »Westernisierung« oder »Amerikanisierung« des Buddhismus konzeptualisiert. Zur Analyse und Erklärung der auftretenden Veränderungen wurden diese auf einem Adaptionsspektrum verortet und die untersuchten Akteure und Gruppen dementsprechend entweder auf der eher »traditionellen« oder eher »westlich angepassten« Seite des Spektrums platziert. Eine solche Konzeptualisierung kann jedoch die Vielschichtigkeit der Transformationsprozesse nur bedingt erfassen und durch den engen Fokus der Analyse auf den Westen transkulturellen Faktoren keine ausreichende Berücksichtigung schenken. Die vorliegende Arbeit zielt daher auf eine differenzierte Annäherung an Prozesse der Adaption und Transformation buddhistischer Praktiken und Vorstellungen im westlichen Kontext unter Einbindung transkultureller Einflüsse in die Wandlungsprozesse. In der Fallstudie zu Chögyam Trungpa und dem von ihm begründeten Shambhala Training geht es dezidiert nicht um die Frage, wie »traditionell« oder wie »westlich« Chögyam Trungpa und die von ihm vermittelten Lehren und Praktiken waren. Trungpa als historischer Akteur und die von ihm etablierten Vorstellungen, Praktiken und materiellen Formen werden hier nicht lediglich als Produkt einer erfolgreichen Adaption an westliche Verhältnisse gesehen, sondern als ein innovatives Wissens- und Praxisfeld betrachtet, das aus einer Situation kultureller Dynamik und Hybridität hervorgegangen ist. Dieses neue Wissens- und Praxisfeld, so die These der Arbeit, basiert auf einer Rekombination von verschiedenen Elementen bereits vorhandener Wissensbestände, Praxiskomplexe und Deutungsmuster aus unterschiedlichen kulturellen und religiösen Kontexten, die im Zuge einer »translocative analysis« (Tweed 2011) nachgezeichnet werden sollen. Trungpa bewegte sich in heterogenen kulturellen Feldern und war so mit verschiedenen Wissensordnungen, Sinnhorizonten und Handlungsmustern konfrontiert, weshalb er in besonderem Maße mit einer hybriden oder beweglichen Identität

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ausgestattet war (vgl. Hall 1994a; Reckwitz 2008e). Im Anschluss an Überlegungen von Arjun Appadurai zu globalen kulturellen Flüssen und Ethnoscapes wird Trungpa hier als transkultureller Akteur konzeptualisiert (vgl. Appadurai 1990; 1999), der ein Leben im Bereich »kultureller Interferenzen« (Reckwitz 2006: 617) führte. Eine solche Situation kultureller Interferenz, so die These, ermöglicht komplexe Interaktionsprozesse, in denen Akteure verschiedene kulturelle Elemente übersetzen, sich aneignen, interpretieren, reinterpretieren, synthetisieren und transformieren. Prozesse der Transkulturation verlaufen dabei nicht nur in eine Richtung – wie dies für Adaptionsprozesse zumeist angenommen wird –, sondern vollziehen sich multidirektional (vgl. Hock 2002: 70; Tweed 2011: 19). Ob das Innovationspotential von Transkulturationsvorgängen in religiösen Wandlungsprozessen mündet, die sich dauerhaft auf einer übersubjektiven Ebene verstetigen und somit religionshistorische Spuren hinterlassen, hängt von verschiedenen und zum Teil kontingenten Kontextfaktoren ab. Bei der Analyse von religiösen Innovationsprozessen ist daher immer auch nach den historischen Bedingungen zu fragen, die den Vollzug dieser Prozesse ermöglichten. Die sozialen Strukturen, die dominanten Diskurse, die Dispositionen und Ressourcen von Wandlungsträgern sowie die Kommunikationswege werden hier als relevante Kontextfaktoren für religionsgeschichtliche Dynamiken betrachtet. Klaus Hock hat transkulturelle Prozesse als »Strukturprinzip der Religionsgeschichte« (2002: 73) beschrieben, die sich insbesondere durch Mikrostudien und biographische Detailanalysen rekonstruieren lassen, in denen die vielschichtigen Austausch- und Interaktionsprozesse zwischen religiösen Akteuren nachgezeichnet werden. Einen ähnlichen Ansatz vertritt der amerikanische Religionswissenschaftler Thomas Tweed mit seiner translocative analysis, die kulturellen Flüssen quer zu den üblichen räumlichen und zeitlichen Einteilungen oder Grenzziehungen, wie z. B. Nation oder Epoche, folgt (vgl. Tweed 2005: 270). Die vorliegende Studie intendiert eine solche historische und »translokative« Mikrostudie zum Leben und Wirken Chögyam Trungpas und seiner Entwicklung und Präsentation von Shambhala Training als säkularen, aber heiligen Erleuchtungsweg in Nordamerika in den 1970/80er Jahren. Durch den lokalen Fokus auf Nordamerika und Trungpas Tätigkeit als buddhistischer Lehrer lässt sich der Gegenstand der Analyse zwar im größeren Forschungsfeld zum Buddhismus im Westen verorten. Gleichzeitig lässt sich der Gegenstand der Untersuchung jedoch nicht auf diese lokal und thematisch begrenzten Forschungsfeld einschränken, da zahlreiche Einflüsse aus dem breiteren, zeitgenössischen religiösen Kontext zum Tragen kamen und weiterhin kommen. In der vorliegenden Arbeit wird das Untersuchungsfeld Buddhismus im Westen daher nicht als homogener und klar abgrenzbarer Bereich betrachtet, der unabhängig von anderen gesellschaftlichen Feldern oder transkulturellen Verflechtungen zu

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untersuchen ist. Das in der vorliegenden Arbeit verwendete Konzept des buddhistischen Feldes im Westen wird hier als heuristisch gewählter, lokaler Ausschnitt gesellschaftlicher Wirklichkeit verstanden, der vermittelt über soziale Akteure und Diskurse vielfältige Interdependenzen mit anderen religiösen Feldern und gesellschaftlichen Bereichen sowie translokale und transkulturelle Verknüpfungen aufweist, die in der Analyse zu berücksichtigen sind. Die Anwendung einer transkulturellen Perspektive auf religiöse Wandlungsprozesse hat Folgen für die religionswissenschaftliche Theoriebildung (vgl. Hock 2002; Tweed 2006; 2011). In dieser Perspektive lässt sich Religion nicht mehr als etwas Gegebenes betrachten, dessen Wesen sich durch eine Definition näher bestimmen lässt, sondern das als Religion Bezeichnete wird diskursiv im Kontext translokaler und transkultureller Austauschprozesse produziert. Darüber hinaus zeigt eine transkulturelle Perspektive sowohl die Unmöglichkeit einer scharfen Grenzziehung zwischen verschiedenen religiösen Traditionen als auch zwischen religiösen und nicht-religiösen Bereichen auf. Ein Anliegen der vorliegenden Studie ist es daher, verschiedene theoretische Perspektiven aus den Kultur- und Sozialwissenschaften für die religionswissenschaftliche Forschung und Theoriebildung fruchtbar zu machen. Dabei handelt es sich um Pierre Bourdieus Konzept des sozialen Raumes als Feld symbolischer Kämpfe, einen diskurstheoretischen Ansatz im Anschluss an Michel Foucault und Überlegungen zur Hybridität und Fluidität von Kulturen und Religionen. Die verschiedenen theoretischen Zugänge ermöglichen ein Denken des Gegenstandes jenseits von Substanzen, singulären Kontinuitäten und Entitäten und erlauben es, die Interdependenzen mit anderen gesellschaftlichen Feldern und transkulturellen Kontexten zu erfassen.

Aufbau der Arbeit Zunächst gibt das zweite Kapitel einen Überblick über den Forschungsstand zum Buddhismus im Westen allgemein und zum tibetischen Buddhismus im Besonderen. Im Anschluss daran erfolgt eine Skizze und Problematisierung des Gegenstandsbereichs, der mit der Bezeichnung »Buddhismus im Westen« umrissen wird. Dabei werden sowohl die bisherigen Forschungsansätze und die verwendeten Kategorisierungen von Forschungsgegenständen und Akteuren als buddhistisch bzw. nicht buddhistisch als auch die damit einhergehenden Begriffsverständnisse und Bestimmungen des Forschungsfeldes einer kritischen Prüfung unterzogen. Das dritte Kapitel befasst sich mit verschiedenen theoretischen Perspektiven, die für dieses Feld fruchtbar gemacht werden können und so die im zweiten Kapitel diagnostizierten Probleme umgehen können. Die drei bereits erwähnten

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theoretischen Perspektiven ermöglichen einen differenzierten Zugang zum Gegenstandsbereich Buddhismus im Westen und werden der kulturwissenschaftlichen Forderung nach einer konsequenten Kontextualisierung und Historisierung gerecht. Wie oben angeführt, rekurrieren die theoretischen Vorüberlegungen zum Ersten auf Pierre Bourdieus Konzept des sozialen Raumes als Feld symbolischer Kämpfe, zum Zweiten auf einen wissenssoziologischen diskurstheoretischen Ansatz in Anlehnung an Michel Foucault und zum Dritten auf theoretische Ansätze, die Kulturen und Religionen als fluide und hybrid begreifen. Die vorgestellten theoretischen Perspektiven erlauben es, sowohl die Interdependenzen innerhalb des buddhistischen Feldes im Westen als auch mit anderen gesellschaftlichen Bereichen aufzuzeigen und die Verflechtung mit transkulturellen Zusammenhängen sichtbar zu machen. Das vierte Kapitel liefert religionshistorische Hintergrundinformationen zum tibetischen Buddhismus und zum Shambhala-Mythos. Im ersten Teil erfolgt eine kurze Einführung in den tibetischen Buddhismus, die mit zentralen Begriffen und Konzepten aus dem tibetischen Kontext, an die im Verlauf der Arbeit angeknüpft wird, vertraut machen soll. Die knappe Einführung intendiert keine erschöpfende Darstellung des tibetischen Buddhismus in Geschichte und Gegenwart, sondern präsentiert einen kursorischen Überblick, der insbesondere dem Leser, der mit diesem Feld nicht vertraut ist, einen differenzierten Einblick in Historie und Topoi dieses Feldes bieten soll. Das Ziel dieser religionshistorischen Ausführungen ist es, den tibetischen Kontext nicht als homogene und ahistorische Tradition zu betrachteten, die als statische Gegenfolie zu modernen Entwicklungen im Westen fungiert. Vielmehr wird das als tibetischer Buddhismus Bezeichnete als ein dynamisches Gefüge aus verschiedenen historischen Entwicklungen, Institutionen, Akteuren, Vorstellungen und Praktiken verstanden, auf das Akteure, die im westlichen Kontext agieren, auf vielfältige Arten und Weisen Bezug nehmen. Diese Bezugnahmen sind beeinflusst von dominanten Diskursen zum Buddhismus, die meist romantisierende und orientalisierende Elemente enthalten und durch transkulturelle Flüsse von Akteuren sowie Imaginationen getragen werden. Daher wird im Rahmen der Einführung zum tibetischen Buddhismus auch auf die tibetische Exilsituation und den Mythos Tibet eingegangen. Der zweite Teil der religionshistorischen Hintergrundinformationen bietet einen Exkurs zur Rezeption und Transformation des Shambhala-Motivs, auf das Trungpa in seinen Shambhala-Lehren rekurrierte. Um die Transformationen und Reinterpretationen aufzuzeigen, die der Mythos von Shambhala beziehungsweise Elemente des Mythos beim Transfer von Asien in die westliche Welt durchlaufen haben, wird zunächst die Verarbeitung des Motivs in tibetischen Quellen analysiert. Anschließend werden westliche Rezeptionslinien anhand ausgewählter Beispiele und Akteure nachgezeichnet. Dabei wird zu zeigen sein, dass Shambhala als Chiffre und Motiv im

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nordamerikanischen Kontext und insbesondere im alternativ-religiösen Spektrum bereits vor Chögyam Trungpas Präsentation der Shambhala-Lehren Ende der 19070er Jahre bekannt und mehrheitlich mit positiven Konnotationen versehen war. Kapitel vier ermöglicht somit eine Kontextualisierung von Trungpas Wirken als tibetisch-buddhistischer Lehrer und seiner Verarbeitung des Shambhala-Motivs im Rahmen des von ihm begründeten, säkularen Erleuchtungsweges, der als Shambhala Training bezeichnet wird. Eine »translokative« Rekonstruktion des Lebens und Wirkens Chögyam Trungpas anhand biographischer und autobiographischer Quellen erfolgt im recht umfangeichen fünften Kapitel. In chronologischer Folge werden die verschiedenen Stationen seines Lebens, seine Kontakte und Aktivitäten nachgezeichnet und im jeweiligen geographischen, kulturellen, religiösen und sozialen Kontext verortet. Mit der Genese und Struktur von Shambhala Training befasst sich das sechste Kapitel. Shambhala Training wurde von Chögyam Trungpa Ende der 1970er Jahre als säkularer Erleuchtungsweg präsentiert. Das Kapitel beinhaltet eine Darstellung der Shambhala-Lehren, der Entstehung und Entwicklung von Shambhala Training sowie der sozialen, materiellen und ästhetischen Dimension von Trungpas Shambhala-Vision unter Berücksichtigung der jeweiligen (trans-)kulturellen Einflussfaktoren. Zusätzlich wird das Verhältnis von Buddhismus und Shambhala in Trungpas Entwurf der Shambhala-Lehren diskutiert. Die Darstellung von Trungpas Leben und Wirken wirft interessante Fragen für den religionswissenschaftlichen Umgang mit religiösen Akteuren aus anderen kulturellen Kontexten auf, die in Kapitel sieben diskutiert werden. So ist die bisherige Forschung meist durch eine gewisse bias im Umgang mit tibetischbuddhistischen Experten wie Chögyam Trungpa gekennzeichnet. Die Analyse der Wahrnehmung Trungpas im Spiel orientalisierender Imaginationen von Schülern, Kritikern und Wissenschaftlern endet mit Überlegungen zur Konzeption von Identität und Kultur als hybrid und dynamisch. Wie zu zeigen sein wird, war Trungpa durch seine Sozialisation als religiöser Experte in Tibet, die Exilsituation in Indien, die Migration nach England und die anschließende Umsiedlung nach Nordamerika mit heterogenen kulturellen Kontexten, verschiedenen Wissensordnungen, Sinnhorizonten und Handlungsmustern konfrontiert. Er war ein transkultureller Akteur, der ein Leben im Bereich »kultureller Interferenzen« (Reckwitz 2006: 617) führte, die als Motor für kulturelle Dynamik und Innovation fungieren. Aus dieser Situation kultureller Interferenz ist Shambhala Training als ein neues Wissens- und Praxisfeld erwachsen. Deshalb werden anschließend die sozialen Selektionsmechanismen und Kontextfaktoren analysiert, die Trungpas Innovationen legitimiert und gestützt haben und schließlich zu einer Verstetigung als eigenständiges innovatives Wissens-

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und Praxisfeld geführt haben, das bis heute existiert. In der Analyse wird Transkulturalität auf drei Ebenen relevant: auf der Ebene des Akteurs, auf der Ebene der Diskurse und Praktiken und schließlich auf der institutionellen Ebene. Abschließend werden die einzelnen Etappen der vorliegenden Studie noch einmal rekapituliert und die Ergebnisse unter Bezugnahme auf die Zielstellung der Arbeit zusammengefasst.

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2.

Das Forschungsfeld Buddhismus im Westen

The so called Buddhist tradition is far from a univocal entity […] But while few would contrast the diversity of phenomena that go under the name »Buddhist,« many still approach such disparate materials with a set of broad assumptions concerning the nature and goals of Buddhist practice. (Sharf 1995: 232) Those who have understood themselves as »Buddhist« have varied widely from period to period and from place to place. The more you attend to differences in practice, the more you sense that it is not easy to identify what, if anything, they have shared. (Tweed 2011: 22)

2.1

Forschungsstand zum Buddhismus im westlichen Kontext

Die Begegnung »des Westens«1 mit »dem Buddhismus«, die frühe Rezeption buddhistischer Ideen im europäischen und amerikanischen Raum sowie die Verbreitung buddhistischer Strömungen in westlichen Gesellschaften ist in zahlreichen Studien und Sammelbänden thematisiert worden. Die Spannbreite reicht von historischen, soziologischen bis hin zu theologischen und religionswissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Themenfeld. Zu den Pionieren der Auseinandersetzung zum Thema Buddhismus im Westen gehört Ernst Benz, der einen Überblick über die frühen Entwicklungen 1 Der Begriff »Westen« oder die alternative Formulierung »westlicher Kontext« wird hier aus pragmatischen Gründen verwendet und bezieht sich auf die nicht-asiatischen, industrialisierten Nationen, in denen sich in den letzten 150 Jahren buddhistische Ideen, Praktiken und Organisationen verbreitet haben. Dazu zählen vor allem Europa, die USA, Australien, Neuseeland, aber auch Teile des Nahen Ostens, Südamerikas und Südafrikas. Die vereinfachende Verwendung des Begriffes Westen geschieht hier unter der Berücksichtigung, dass dieser Begriffsgebrauch keine homogene Entität impliziert, sondern dass die damit gemeinten geographischen Regionen durch eine soziale, kulturelle und politische Heterogenität geprägt sind (vgl. Prebish/Baumann 2002).

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Das Forschungsfeld Buddhismus im Westen

in den USA, England und Deutschland vorlegte (vgl. Benz 1969). Eine umfangreiche Übersicht über die Geschichte der Begegnung zwischen Buddhismus und westlicher Kultur bietet Stephen Batchelors The Awakening of the West (1994). Zumeist erfolgt die Auseinandersetzung mit der Verbreitung buddhistischer Vorstellungen und Praktiken im Westen länderspezifisch, so dass einzelne Studien für die verschiedenen westlichen Länder vorliegen.2 Die Mehrzahl der Arbeiten stammt jedoch aus dem nordamerikanischen und angelsächsischen Raum. Hier sind vor allem die Studien von Charles S. Prebish (1979; 1999) und die Arbeit von Rick Fields zum Buddhismus in Amerika zu nennen.3 Für England bietet Philip C. Almond in The British Discovery of Buddhism (1988) einen Überblick über die Rezeptionsgeschichte buddhistischer Vorstellungen und Praktiken und zeigt auf, wie im viktorianischen England der Buddhismus als Entität viel mehr geschaffen als entdeckt wurde. Robert Bluck bietet einen kurzen Einblick in die Geschichte des Buddhismus in England und behandelt anschließend die sieben größten buddhistischen Gemeinschaften detaillierter im Hinblick auf deren jeweilige Lehren, Praktiken und Entwicklung (vgl. Bluck 2006).4 Der rezeptionsgeschichtliche Fokus und die auf einen generellen Überblick ausgerichtete, zumeist historisch-deskriptive Darstellung des Buddhismus im jeweiligen westlichen Kontext vereinen viele der genannten Studien. Einige der neueren Arbeiten konzentrieren sich jedoch auf eine buddhistische Strömung oder einige wenige spezifische buddhistische Organisationen und explizieren neben rezeptionsgeschichtlichen Ausführungen auch die Transplantations-, Akkulturations- und Adaptionsprozesse buddhistischer Konstellationen an Fallbeispielen im westlichen Kontext.5 Dazu zählt die Studie 2 So liegen Studien zum Buddhismus in Australien (vgl. Croucher 1989; Adam 1995), Südafrika (vgl. Clasquin/Krüger 2000), Brasilien (vgl. Usarski 2002) und Frankreich (vgl. Lenoir 1999; Obadia 1999) vor. Diese Auflistung stellt nur einen Ausschnitt der Arbeiten dar. Für einen ausführlichen Überblick siehe auch die Bibliographien zum Buddhismus in Australien, Afrika, Europa, Brasilien, Kanada und den USA im Journal of Global Buddhism: http:// www.globalbuddhism.org/res.html (abgerufen am 05. 11. 2013). 3 Die genannten Publikationen stellen nur einen kleinen Ausschnitt dar. Weitere bedeutsame Arbeiten aus dem nordamerikanischen Raum sind Thomas A. Tweeds historische Studie zum Buddhismus im Spannungsfeld viktorianischer Kultur im Amerika des 19. Jh. und Richard H. Seagers Arbeit zur Begegnung von »West« und »Ost« auf dem Weltparlament der Religionen in Chicago 1893 (vgl. Seager 1995; Tweed 2000). Außerdem geben verschiedene Sammelbände einen guten Überblick zu den verschiedenen buddhistischen Schulen in Nordamerika und über die wichtigen Themen des nordamerikanischen Buddhismus, wie z. B. Engaged Buddhism, Frauen im Buddhismus, etc. (vgl. Prebish/Tanaka 1998; Williams/Queen 1999). 4 Weitere Arbeiten zum Buddhismus in England sind u. a. Christmas Humphreys chronologische Darstellung der ersten 60 Jahre des Buddhismus im 20. Jh. mit Fokus auf die Buddhist Society sowie Ian P. Olivers Überblick über den Buddhismus in England unter Berücksichtigung verschiedener Schulen und Gruppen (vgl. Humphreys 1968; Oliver 1979). 5 Die folgenden Arbeiten befassen sich mit spezifischen buddhistischen Richtungen oder

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Forschungsstand zum Buddhismus im westlichen Kontext

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von Martin Baumann Deutsche Buddhisten: Geschichte und Gemeinschaften, die vier Interpretationstypen buddhistischer Lehre im Westen herausarbeitet und ein Verlaufsmodell zur Beschreibung und Analyse von Prozessen der Übertragung und Adaption von Religionen in soziokulturell differente Umwelten zur Verfügung stellt (vgl. Baumann 1995). Die Dissertation von Sandra Bell bearbeitet in einer vergleichenden Fallstudie die unterschiedlichen Entwicklungen und Grade der Adaption, die sich bei der Gemeinschaft Friends of the Western Buddhist Order (FWBO) und dem British Forest Sangha in Großbritannien beobachten lassen. Ihr Augenmerk liegt unter anderem auf dem jeweiligen Umgang mit traditioneller und charismatischer Autorität und deren Auswirkungen auf den Adaptionsprozess (vgl. Bell 1991). Auch die Studie von Helen Waterhouse zum Buddhismus in Bath thematisiert den Zusammenhang von Adaption und Autorität anhand von fünf verschiedenen buddhistischen Gruppen (vgl. Waterhouse 1997). Zum Verständnis der auftretenden Adaptionsprozesse sei eine Analyse der jeweils zugrunde liegenden Autoritätsstrukturen unabdingbar : Die Quellen der Autorität, auf die sich die untersuchten buddhistischen Gruppen berufen, bestimmen den Grad der Adaption und deren Legitimation (vgl. Waterhouse 1997: 1 f). Dadurch weisen Adaptionsprozesse verschiedener buddhistischer Gruppen zwar Ähnlichkeiten auf, die jedoch – aufgrund der verschiedenen Autoritätsquellen, die in diese Prozesse eingebunden sind – nicht identisch sind (vgl. Waterhouse 1997: 27). Neben einer Analyse der Rolle von Autorität in der Transplantation und Adaption des Buddhismus in Großbritannien unterzieht David N. Kay anhand von zwei Fallbeispielen die »Protestant Buddhism«-These von Philip Mellor einer kritischen Prüfung (vgl. Kay 2004). Nach Mellor ist die Entwicklung und Verbreitung des Buddhismus in Großbritannien als ein Prozess der kulturellen Übersetzung zu betrachten. Für die Analyse dieses Prozesses sei die Berücksichtigung des britischen religiösen und kulturellen Kontextes von zentraler Bedeutung (vgl. Mellor 1991: 76). Buddhistische Gruppen in England würden nicht neue religiöse Wege beschreiten, sondern existierende religiöse Formen innerhalb eines breiteren protestantischen Milieus neu bearbeiten:

einzelnen buddhistischen Organisationen: Paul Numrich beschreibt basierend auf einer teilnehmenden Beobachtung und Interviews unter dem Stichwort »Americanization« Prozesse der Adaption in zwei Immigranten-Tempeln des Therava¯da-Buddhismus in Chicago and Los Angeles (vgl. Numrich 1996). Richard H. Seager, der sich bereits in anderen Publikationen mit der Amerikanisierung des Buddhismus befasst hat, versucht am Beispiel der So¯ka Gakkai diese Prozesse im Kontext einer globalisierten Welt zu verstehen (vgl. Seager 2006). David L. Preston legte eine soziologische Studie zum Zen Center von Los Angeles vor (vgl. Preston 1988).

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Das Forschungsfeld Buddhismus im Westen

Buddhism has not been »transferred« into this culture, but has been »translated«; that is, in entering western culture it has become the focus for an interaction between eastern and western religious forms, creating discourses which are Buddhist but which have at the same time many of the features of Protestant Christian discourse. (Mellor 1991: 90)

Kay zeigt anhand einer vergleichenden Studie der tibetisch-buddhistischen New Kadampa Tradition (NKT) und des Zen-buddhistischen Order of Buddhist Contemplatives (OBC), dass die These Mellors auf diese beiden Organisationen nur bedingt zutrifft. Um zu einem umfassenden Verständnis der Adaptionsprozesse zu gelangen, müssen laut Kay transkulturelle Faktoren in die Analyse von Adaptionsprozessen mit einbezogen werden (vgl. Kay 2004). Für Stephen Batchelor steht außer Frage, dass buddhistische Gemeinschaften innerhalb eines westlichen Kontextes immer Anpassungsleistungen erbringen (müssen): »Adaption is not so much an option as a matter of degree. Even the most conservative Tibetan lama or Sri Lankan bikkhu tends over time to modify what he says or does simply in order to be understood in the modern West« (Batchelor 1994: 337, Hervorhebung im Original). Um das Ausmaß der Adaptionsprozesse buddhistischer Organisationen im Westen zu beschreiben, wird in verschiedenen Studien die Idee eines Adaptionsspektrums bemüht (vgl. Green 1989; Harvey 1990; Batchelor 1994). Die Schwierigkeit bei diesem Beschreibungsmuster scheint jedoch in der eindeutigen Zuordnung einzelner buddhistischer Gruppen zu bestimmten Positionen innerhalb dieses Spektrums zu liegen, da Gruppen von verschiedenen Forschern unterschiedlich verortet werden.6 Waterhouse kritisiert an diesem Schema, dass es den Adaptionsprozess zu stark vereinfache und damit dessen Vielschichtigkeit (d. h. Adaptionen in verschiedenen Bereichen in unterschiedlichem Maße) nicht gerecht werde (vgl. Waterhouse 1997: 26). Sie plädiert für eine differenziertere Analyse, welche die Rolle traditioneller Autoritätsstrukturen der asiatischen buddhistischen Kulturen im westlichen Adaptionsprozess berücksichtigt: »The authority sources which traditional schools of Buddhism proclaim are newly interpreted within the British cultural setting but retain their traditional identities« (Waterhouse 1997: 213). Durch den Einbezug des asiatischen Herkunftskontextes in die Untersuchung der Anpassungsprozesse buddhistischer Strömungen im Westen vermeiden Kay und Waterhouse eine entscheidende Schwäche vieler Studien zum Buddhismus in westlichen Gesellschaften: die Vernachlässigung der bestehenden Wechsel6 Siehe zum Beispiel die unterschiedliche Verortung der So¯ka Gakkai International (SGI) durch verschiedene Autoren sowie die abweichende Einordnung von Friends of the Western Buddhist Order (FWBO) in verschiedenen Studien (vgl. Green 1989; Harvey 1990: 316; Heelas 1995; Batchelor 1994: 338).

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Forschungsstand zum Buddhismus im westlichen Kontext

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wirkungen zwischen westlichen und asiatischen Kulturen. Die reziproke Natur transkultureller Dynamiken bleibt außer Acht, wenn lediglich Prozesse der »Westernization« oder »Americanization« des Buddhismus betrachtet werden (vgl. Waterhouse 1997; Kay 2004). Kay spricht daher von einer theoretischen bias westlicher Forscher, wenn diese sich vornehmlich mit westlichen Konvertiten und deren Aneignung von und Erfahrung mit buddhistischen Traditionen unter Ausschluss wichtiger historischer und transkultureller Faktoren befassen (vgl. Kay 2004: 37). Diesen »blinden Fleck« kritisiert Sandra Bell an der Studie von Philip C. Almond: Durch die Fokussierung auf die britischen Akteure im viktorianischen England bei der Übersetzung und Rekonstruktion des Buddhismus wird der Einfluss asiatischer buddhistischen Modernisten auf diesen Prozess der Übersetzung und Konstruktion übersehen (vgl. Almond 1988; Bell 1991: 13, 33). Bell verweist mit dieser Kritik auf ein weiteres Problem in der Untersuchung des Buddhismus im Westen, nämlich den Vergleichshorizont, vor dem überhaupt erst von Adaptions- und Transformationsprozessen innerhalb westlicher buddhistischer Gemeinschaften gesprochen werden kann. Selbst wenn der asiatische buddhistische Kontext berücksichtigt wird, ist die Tendenz zu beobachten, dass die Herkunftstraditionen als starre Gefüge betrachtete werden, von denen die westlichen Adaptionen mehr oder minder innerhalb eines Adaptionsspektrums abweichen. Doch auch die buddhistischen Traditionen Asiens bilden keine feststehenden Entitäten, sondern waren und sind bereits jeweils historischen und lokalen Wandlungen unterworfen. So sind durch den westlichen politischen, kulturellen und ideologischen Einfluss in Südost- und Ostasien seit dem 18. Jh. bereits Transformationen buddhistischer Traditionen innerhalb der indigenen Kontexte erfolgt (vgl. Sharf 1993, 1995; Bretfeld 2008). Diese Entwicklungen haben unter den Bezeichnungen »buddhistischer Modernismus« (Bechert 1966) oder »protestantischer Buddhismus« (Obeyesekere 1970) Eingang in die Fachliteratur gefunden und die Rezeption des Buddhismus im Westen entschieden geprägt. In einem wechselseitigen Interaktionsprozess wurden zeitgenössische westliche, religionskritische Diskurse von asiatischen Eliten aufgegriffen und in der Neuformulierung der buddhistischen Traditionen Südostasiens und Japans verarbeitet. Im Rahmen dieser westlich beeinflussten Neuinterpretation des Buddhismus wurde dieser zu einem rationalistischen, humanistischen und kontemplativen System stilisiert, das frei ist von Magie, Aberglaube und leerer Ritualistik (vgl. Sharf 1995). Im Zuge dessen wurde dem Begriff der Erfahrung – insbesondere in Verknüpfung mit meditativen Praktiken – ein außerordentlicher Stellenwert beigemessen (vgl. Halbfass 1988). Diese Erfahrungsorientierung in asiatischen modernistischen Buddhismusrekonstruktionen (vor allem im Zen und der Vipassana¯-Bewegung) wurde wiederum in der westlichen Rezeption und in der akademischen Beschäftigung mit dem Buddhismus aufgenommen und führte zu Verzerrungen in

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der Wahrnehmung. In buddhologischen Studien wurde die meditative Erfahrung als zentraler Bestandteil der buddhistischen Tradition durch die Geschichte hindurch festgeschrieben. So kommt der bekannte Buddhismusforscher Edward Conze zu der Aussage: »meditational practices constitute the very core of the Buddhist approach to life« (Conze 1956: 11). Neuere historische und ethnographische Studien belegen jedoch eindrucksvoll, dass sich diese Aussage nicht für alle historischen Szenarien und lokalen Kontexte aufrechterhalten lässt (vgl. Carrithers 1983; Reader 1986; Buswell 1992; Bretfeld 2008) und vielmehr das Produkt wechselseitiger Beeinflussung von westlichen und asiatischen Protagonisten ist (vgl. Sharf 1995: 232). David Kay verweist darauf, dass breitere historische Dynamiken und die asiatischen Kontexte zum Teil großen normativen Einfluss auf die Entwicklung buddhistischer Traditionen im Westen ausüben können und plädiert daher für eine stärkere Berücksichtigung transkultureller Prozesse (vgl. Kay 2004: 37). Diese definiert er als Prozesse, die durch westliche Beeinflussung in Asien vor der Ausbreitung des Buddhismus im Westen stattgefunden haben (vgl. Kay 2004: 221). Im Falle des tibetischen Buddhismus und seiner Verbreitung im westlichen Kontext treffe dieser Umstand nicht zu, da sich keine derartigen Modernisierungsprozesse vollzogen haben. Diese Aussage mag auf die tibetischen Verhältnisse vor 19507 weitestgehend zutreffen, doch lässt sie neuere Entwicklungen innerhalb der Exilgemeinschaft völlig außer Acht. Wie der Tibetologe Toni Huber aufzeigt, hat die Rezeption des buddhistischen Modernismus in der internationalen buddhistischen Szenerie auch Auswirkungen auf die Selbstpräsentation der Exiltibeter (vgl. Huber 1997a; 1997b). Die Identitätskonstruktionen der modernen, südasiatischen buddhistischen Exilgemeinschaft sind tief im buddhistischen Modernismus verwurzelt. Seit den 1970er Jahren wird durch die von tibetisch-buddhistischen Gelehrten dominierte Elite in Dharamsala eine dementsprechend überarbeitete, ahistorische Version des tibetischen Buddhismus präsentiert, die geprägt ist von Zuschreibungen einer grundsätzlichen Gewaltlosigkeit, Rationalität und Vereinbarkeit mit der modernen Wissenschaft. Die Herausbildung einer modernen, nativistisch geformten tibetischen Identität im Exil ist das Ergebnis eines eng verzahnten 7 Zwar gab es keine Entwicklung eines »tibetischen buddhistischen Modernismus«, wie er z. B. in Sri Lanka oder Japan auszumachen ist. Dennoch war Tibet vor 1950 nicht gänzlich unbeeinflusst von westlichen oder modernistischen Impulsen. Unter dem 13. Dalai Lama (1876 – 1933) gab es zwischen 1913 und 1925 bereits Bestrebungen, den tibetischen Staat zu modernisieren (u. a. nach englischem Vorbild), auch wenn diese Versuche von einem stark konservativen Flügel des Gelugpa-Klerus boykottiert und schließlich zum Erliegen gebracht wurden. Weitere Reformversuche fanden, initiiert durch den Beamten Lungshar und durch Gendün Chöpel (1903 – 1951), statt. Beide wurden für ihre Modernisierungsversuche z. T. grausam bestraft (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 143 – 158; Lopez 2006).

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Rezeptions- und Reflexionsprozesses, in dem Teile des westlichen orientalisierenden Diskurses übernommen und verarbeitet werden und wiederum innerhalb westlicher Kreise als authentische, tibetische Selbstbeschreibungen rezipiert werden (vgl. Huber 1997b: 303ff; Korom 1997c: 1 – 12). Diese Prozesse lassen sich erst vor dem Hintergrund einer zunehmend globalisierten Welt vollständig verstehen. Die Beschränkung auf den westlichen Kontext oder der Bezug auf eine vermeintlich unveränderliche, tibetisch-buddhistische Tradition können die vielfältigen Verknüpfungen in solchen Prozessen, wie die Herausbildung eines modernistisch geprägten tibetischen Identitätsbildes, nicht ausreichend transparent machen: […] I came to see how scholars of American religious history are at a disadvantage for at least two reasons when studying the Americanization of Buddhism. First, we rarely understand the Asian background for groups before they arrive in the United States. Second, we do not necessarily look beyond the limited horizon of our own culture to locate the American experience in the broad contours of globalization. (Seager 2006: xi)

Der amerikanische Religionswissenschaftler Richard H. Seager betont daher, dass zum Verständnis der Adaptionsprozesse des Buddhismus in westlichen Gesellschaften Kenntnisse des asiatischen Kontextes erforderlich sind (vgl. Seager 2006 xi). Darüber hinaus müssen die auftretenden Entwicklungen nicht nur national oder lokal, sondern »translokal« (Tweed 2005) vor dem Hintergrund einer globalisierten Welt analysiert werden.

Studien zum tibetischen Buddhismus im Westen Mehrere Monographien und Sammelbände haben sich historisch mit der Begegnung zwischen westlicher und tibetischer Kultur befasst und die daraus resultierenden Imaginationen und Projektionen in Bezug auf Tibet analysiert. Dazu zählen Peter Bishops Arbeiten, in denen er westliche Reiseberichte aus Tibet als eine Quelle solcher Imaginationen untersucht (vgl. Bishop 1989) und die westlichen Zuschreibungen an die Figur des tibetischen Lamas nachzeichnet (vgl. Bishop 1993). In eine ähnliche Richtung geht Donald S. Lopez’ Monographie Prisoners of Shangri-La (1998), in der er historisch die sich wandelnden Bilder Tibets und des tibetischen Buddhismus in der westlichen Wahrnehmung und die daraus erwachsenen Konsequenzen für die Tibeter in der Gegenwart beschreibt. Wurde der tibetische Buddhismus einst von Missionaren als die »am stärksten degenerierte Form« des Buddhismus erachtet und deshalb als Lamaismus degradiert, der die Bezeichnung Buddhismus nicht verdiene, so begann sich dieses negative Bild zum Ende des 19. Jh. in ein positives Bild zu wandeln,

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das Tibet zu einem Ort der Vollkommenheit und Sehnsucht stilisierte und dabei den tibetischen Buddhismus zur essentiellen Eigenschaft Tibets werden lies (vgl. Lopez 1998). Weitere Arbeiten haben sich insbesondere mit der westlichen Rezeption des sog. »Tibetischen Totenbuchs« befasst. Diese Studien zeigen auf, wie tibetische Ritualtexte, die in manchen Regionen des tibetischen Kulturraumes bei Sterbeund Bestattungsriten zum Einsatz kommen, durch die Übersetzung in das Englische und die Vermarktung als »Totenbuch der Tibeter« ab den 1930er Jahren des 20. Jh. zum bekanntesten tibetischen religiösen Text im Westen avancierten, der auch Eingang in die Populärkultur gefunden hat (vgl. Bishop 1997: 47 – 72; Lopez 1998: 46 – 85; 2011; Rakow 2008; 2011). Mit der populärkulturellen Verarbeitung exotischer Tibetbilder beschäftigt sich ebenfalls Martin Brauen. Hier zeichnet der Autor nicht nur die orientalisierenden Zuschreibungen westlicher Missionare, Asienreisender, Orientalisten und Kolonialisten nach, sondern auch die Rezeption in der Theosophie und im Nationalsozialismus sowie die Verarbeitung in Film, Fernsehen, Literatur und Werbung (vgl. Brauen 2000). Diesem »Mythos Tibet« in seinen verschiedenen Facetten gehen auch die Autoren eines gleichnamigen Sammelbandes nach und greifen dabei die bereits erwähnten Themenkomplexe auf (vgl. Dodin/Räther 1997). In den letzten zwei Dekaden sind mehrere Sammelbände zur tibetischen Kultur und Religion im Westen erschienen, die jeweils in einzelnen Beiträgen auch die Exilsituation der Tibeter und die Ausbreitung des tibetischen Buddhismus im westlichen Kontext thematisieren (vgl. Korom 1997a; 1997b; Köpke/ Schmelz 2005). Der von Frank Korom herausgegebene Band Tibetan Culture in the Diaspora versammelt Beiträge, die sich mit den sozialen, kulturellen und politischen Bedingungen der tibetischen Diaspora befassen (vgl. Korom 1997b). Einige der Artikel besprechen explizit das nach wie vor im Westen vorherrschende, exotische Bild Tibets und analysieren, wie diese westliche Idealisierung die Repräsentation tibetischer Identität und Religion im Exil beeinflusst (vgl. Klieger 1997; McLagan 1997; Huber 1997a). Ein Anliegen des Bandes ist es, das statische Bild Tibets und tibetischer Kultur, das gleichsam in westlicher Imagination eingefroren zu sein scheint, zu überwinden (vgl. Korom 1997c: 1 – 12). Ein zweiter von Frank Korom im gleichen Jahr editierter Sammelband mit dem Titel Constructing Tibetan Culture beabsichtigt ebenfalls die Überwindung des weit verbreiteten Bildes einer ahistorischen, homogenen und daher unveränderten tibetischen Kultur (vgl. Korom 1997a). Gegen ein solches vereinfachendes Bild schreiben die Autoren des Bandes in historischen, ethnographischen und theoretisch orientierten Studien an. Dabei zeigen sie, dass Kulturen und Identitäten dynamisch und in konstante Aushandlungsprozesse eingebunden sind. Einige der Beiträge befassen sich mit dem Wechselspiel von westlicher Imagination und tibetischer Religion, wie es historisch in der Prägung und

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Verwendung des pejorativen Begriffs Lamaismus deutlich wurde (vgl. Lopez 1997b) und in den Zuschreibungen an das »Tibetische Totenbuch« (vgl. Bishop 1997) sowie in der Rezeption und Popularisierung des tibetischen Buddhismus im sog. New Age sichtbar wird (vgl. Korom 1997d).8 Ein weiterer Sammelband des Museums für Völkerkunde Hamburg widmet sich dem tibetischen Buddhismus in Geschichte und Gegenwart (vgl. Köpke/ Schmelz 2005). Der Beitrag von Martin Baumann befasst sich spezieller mit der Verbreitung des tibetischen Buddhismus im Westen bzw. mit der Globalisierung des tibetischen Buddhismus im letzten Drittel des 20. Jh. (vgl. Baumann 2005). Bedingt durch die tibetische Exilsituation kommt es verstärkt zu Kontakten zwischen westlichen spirituellen Suchern auf ihren Reisen nach Asien und tibetischen Mönchen und Lehrern in Indien, Nepal und Bhutan. Die Gründung von tibetisch-buddhistischen Meditationszentren in Europa und Nordamerika durch westliche Schüler und tibetische Lamas sowie die Tourneen von wichtigen tibetischen Lamas zu diesen Zentren tragen zur schnellen Ausbreitung und Etablierung internationaler Netzwerke bei. Viele dieser Netzwerke berufen sich auf spezifische Lehrer und Linien des tibetischen Buddhismus: Zum Beispiel stehen die auf Chögyam Trungpa zurückgehenden Zentren von Vajradhatu/ Shambhala International in der Linie der Kagyüpa-Schule. Durch die Ausbildung westlicher Schüler in tibetischen Traditionen durch tibetische Lehrer, aber vermehrt auch durch westliche Lehrer, kommt es zu einer »Verwestlichung tibetisch-buddhistischer Lehr- und Praxisformen« (Baumann 2005: 377), die sich in Prozessen der Demokratisierung, Enthierarchisierung, Vereinfachung und Übersetzung (z. B. buddhistischer Terminologie in psychologisches Vokabular) zeigen. Ähnliche Überlegungen zur Entstehung und Ausbreitung globaler Netzwerke von tibetisch-buddhistischen Meditations- und Praxiszentren ab den 1970er Jahren formuliert Geoffrey Samuel. Diese globalen Netzwerke, die sich um einen tibetischen Lama zentrieren und ihren zahlenmäßigen Schwerpunkt unter Praktizierenden in westlichen Ländern haben, weisen häufig enge Verbindungen zu exiltibetischen Lehrern und Institutionen auf und bestehen somit aus westlichen und asiatischen Elementen (vgl. Samuel 2005b: 308). Samuel weist darauf hin, dass solche Netzwerke von tibetischen Lehrern auch im vormodernen Tibet existieren, sie jedoch unter den gegenwärtigen Bedingungen und technischen Möglichkeiten (z. B. Mobilität von Personen und Gütern, Kommunikationstechnologie) zentraler organisiert werden können. Obwohl ein solches Netzwerk häufig von einem tibetischen Lama geleitet wird, ist somit eine globale Ausbreitung über verschiedene kulturelle Kontexte möglich. Aufgrund dieser 8 Dabei handelt es sich z. T. um Themen, welche die jeweiligen Autoren auch an anderer Stelle ausführlicher behandeln (vgl. Bishop 1989; 1993; Korom 1997e; Lopez 1998).

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Struktur ergebe sich jedoch möglicherweise ein Stabilitätsproblem, wenn ein Lama nicht mehr für alle Zentren in regelmäßigen Abständen als Lehrer präsent sein kann oder Autoritätskonflikte zwischen der Leitung und anderen Vertretern oder Lehrern des Netzwerkes auftreten (vgl. Samuel 2005b: 311 f). Einen weiteren Aspekt der Globalisierung des tibetischen Buddhismus sieht Abraham Zablocki in der transnationalen Verbreitung des tibetischen Wiedergeburtskonzepts (Tülku), der sich in der Anerkennung westlicher Kinder (und z. T. auch einzelner Erwachsener) als reinkarnierte buddhistische Lehrer zeige. Im TülkuSystem bestünde eine tibetisch-buddhistische Strategie der Ausdehnung des eigenen religiösen Einflussgebietes über nationale Grenzen hinweg, die bereits in der Geschichte des tibetischen Buddhismus zum Tragen kam, als ein mongolischer Adliger als der 4. Dalai Lama (16./17. Jh.) identifiziert wurde (vgl. Zablocki 2009). Zu den Studien, die sich speziell dem tibetischen Buddhismus im nordamerikanischen Kontext widmen und über eine rein historische Darstellung von Akteuren und Gemeinschaften hinausgehen, indem sie zusätzlich analytische Überlegungen enthalten, gehören der Überblicksartikel von Amy Lavine und ein entsprechendes Kapitel von Richard H. Seager in seinem Einführungswerk Buddhism in America sowie die ethnographische Arbeit von Eve Mullen (vgl. Lavine 1998; Seager 1999; Mullen 2001). Ausgangspunkt der Überlegungen von Lavine ist die Frage nach der Kontinuität des tibetischen Buddhismus im amerikanischen Vajrayana. In dieser Formulierung klingt bereits die Differenz an, welche die Autorin aufzuzeigen versucht. Charakteristisch für den amerikanischen Vajrayana sei nach Beobachtungen von Lavine die Zentralität, die monastische Praktiken für Laienpraktizierende einnehmen. War im tibetischen Kontext das Kloster Zentrum religiöser und ritueller Praxis und sicherte gleichzeitig die Kontinuität der Tradition, so scheint sich das Verhältnis im nordamerikanischen Kontext umzukehren.9 Zwar gibt es einige wenige westliche Akteure beiderlei Geschlechts, die sich ordinieren lassen, doch seien es zu wenige Akteure, um einen »vitalen Aspekt« des amerikanischen Vajrayana darzustellen (vgl. Lavine 1998: 108). Im Normalfall leben in tibetisch-buddhistischen Klöstern in Nordamerika eine kleine Zahl tibetischer Mönche und Lamas zusammen mit einigen westlichen ordinierten Akteuren, die vor allem durch nicht-tibetische Laienanhänger versorgt und finanziert werden.10 Die Konti-

9 In Tibet bildeten die Klöster die Zentren religiösen Lebens und der Weitergabe der religiösen Tradition und manche waren politisch wie ökonomisch einflussreiche Institutionen. Schätzungen gehen davon aus, dass vor 1959 10 – 20 Prozent der männlichen Bevölkerung als Mönch einem Kloster angehörte, weshalb man auch von einem »Massenklosterwesen« spricht (vgl. Goldstein/Tsarong 1985: 16; Goldstein 1999: 15ff). 10 Siehe z. B. Gampo Abbey in Nova Scotia, Kanada, ein tibetisch-buddhistisches Kloster, das

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nuität des tibetischen Buddhismus werde daher im westlichen Kontext nicht primär durch starke monastische Institutionen, sondern durch nicht-monastische, intensive Retreats hergestellt, die von Laienpraktizierenden absolviert werden. In der Shambhala-Gemeinschaft war es z. B. über lange Zeit üblich, ein dreimonatiges, intensives Retreat (genannt Seminary) durchzuführen, bevor man zu den vorbereitenden Übungen (Nöndro) für die Vajrayana-Praxis zugelassen wurde. Die Schlussfolgerungen Lavines lassen sich auf das breitere Feld des Buddhismus im Westen übertragen: Auch die anderen buddhistischen Schulen und Traditionen hatten starke monastische Institutionen in ihren asiatischen Herkunftsländern, während die breite Basis der Praktizierenden im westlichen Kontext aus Laienanhängern besteht, die sich häufig Praktiken widmen, die in Asien zumeist den religiösen Spezialisten vorbehalten waren (vgl. Bretfeld 2008; Rakow 2008). Die Beobachtung, dass einige wenige tibetische Mönche und Lamas einem großen Kreis an westlichen Praktizierenden gegenüberstehen, wird durch die Studie von Eve Mullen bestätigt (vgl. Mullen 2001). Ihre Untersuchung ging der Frage nach, wie exiltibetische Laienbuddhisten in New York mit ihrer Tradition umgehen und welche Adaptionen sie an den amerikanischen Kontext vornehmen. Die zentrale These ihrer Ausführungen ist die Okkupation der tibetischen Tradition durch amerikanische Akteure und ein damit verbundener Ausschluss der tibetischen Laienbuddhisten aus der eigenen Tradition (vgl. Mullen 2001: 6 f). Da nicht-tibetische Amerikaner das Hauptklientel der Meditationszentren darstellen, kommerzialisierte Losar-Feste11 u. ä. veranstalten, nehmen sie die tibetischen Mönche und Lamas so sehr für sich in Anspruch, dass kaum Raum für die religiösen Bedürfnisse der exiltibetischen Laien bleibt. Den Beobachtungen von Mullen zufolge entwickeln tibetische Laien daher Adaptionsstrategien an den amerikanischen Kontext, durch die sie in ihrem religiösen Bestreben selbstständiger und unabhängiger von den tibetischen religiösen Experten werden. Richard H. Seager identifiziert drei Wirkungsbereiche, die in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen und bei der Übertragung und Adaption des tibetischen Buddhismus im amerikanischen Kontext eine bedeutende Rolle spielen (vgl. Seager 1999). Den Ausgangspunkt dieser drei Bereiche verortet Seager in der chinesischen Okkupation Tibets 1950 und der daraus folgenden Exilsituation. Bei der Transmission der tibetisch-religiösen Traditionen wurden 1984 von Chögyam Trungpa gegründet wurde (http://www.gampoabbey.org/, abgerufen am 04. 11. 2013). 11 Losar ist die Bezeichnung für das tibetische Neujahr. Auch wenn kommerzialisierte LosarFeste nur einmal im Jahr stattfinden, zeigen sie doch das von Mullen beschriebene Grundproblem auf: Solche Festivitäten richten sich nicht an den Bedürfnissen der exil-tibetischen Laien aus, sondern bilden ein Angebot für westliche Praktizierende und Interessierte.

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Elemente einer Zivilisation, die plötzlich durch Vernichtung bedroht wurde, selektiv in die Gesellschaft und Kultur der USA übertragen. Den ersten einflussreichen Wirkungskomplex bilden Free Tibet-Kampagnen als Teil der amerikanischen Menschenrechtsbewegung und der Unterhaltungsindustrie. Politischen Aktivisten und Hollywoodstars gelang es in den 1990er Jahren gemeinsam, die allgemeine öffentliche Aufmerksamkeit auf Tibet und den tibetischen Buddhismus zu richten. Die Medienpräsenz und positive Wahrnehmung des Dalai Lamas als Friedensnobelpreisträger hatten in diesem Prozess eine unterstützende Wirkung. Den zweiten Wirkungsbereich bilden die verschiedenen Bestrebungen der Bewahrung tibetischer religiöser Texte und deren Distribution im Westen. Angeregt in den 1960er Jahren durch exiltibetische religiöse Spezialisten, die ihre amerikanischen Schüler ermunterten, sich dem Studium der tibetischen Schriften zu widmen, wurde nicht nur die Tibetologie als akademische Disziplin gestärkt, sondern es bildeten sich zudem eigenständige buddhistische Verlage heraus, die mittlerweile eine Vielzahl tibetischer Texte und Übersetzungen im Programm haben. Die Herausbildung und Institutionalisierung eines vielgestaltigen Praxis-Netzwerkes durch exiltibetische Lamas und ihre Schüler bildet schließlich den dritten Komplex in der Verbreitung des tibetischen Buddhismus in den USA. Diese drei Bereiche bilden für Seager die entscheidenden drei Einflussgrößen bei der Transmission des tibetischen Buddhismus in den nordamerikanischen Kontext. Unberücksichtigt bleibt bei Seager jedoch der große Einfluss eines romantisch verklärten Tibetbildes in diesem Prozess. In dieser idealisierten und äußerst wirkmächtigen Wahrnehmung wird Tibet zu einem Mythos jenseits der sozialen Realität in Geschichte und Gegenwart. Der »Mythos Tibet« kommt dabei in allen drei von Seager genannten Wirkungsbereichen zum Tragen und hat die Verbreitung und Adaption des tibetischen Buddhismus im westlichen Kontext entschieden mitgeprägt (vgl. Dodin/Räther 1997; Lopez 1998; Brauen 2000). Lionel Obadia befasst sich in seinem Artikel zum tibetischen Buddhismus in Frankreich mit den Mechanismen der Verbreitung. Anhand seiner »MissionsHypothese« versucht er ein allgemeines Beschreibungsmodel zu entwickeln, mit dem sich die der Verbreitung des Buddhismus im Westen zugrundeliegenden Prozesse besser herausarbeiten lassen. Seiner Argumentation zufolge fokussieren die meisten Studien auf die Rezeption des Buddhismus im Westen und sehen Gründe für seine wachsende Verbreitung und Popularität in der soziokulturellen Veränderung westlicher Gesellschaften im 20. Jh. (z. B. Säkularisierung, Orientalismus, religiöser Pluralismus, etc.). Eine solche Betrachtung übersehe jedoch die aktive Rolle, die asiatische Akteure im Verbreitungsprozess des Buddhismus in Europa und Amerika spielen: Die missionarischen Bestrebungen asiatischer buddhistischer Lehrer und ihrer westlichen Konvertiten führen zum Aufbau von buddhistischen Zentren, die wiederum in Netzwerke

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eingebettet sind und zu deren Expansion beitragen. Gleichzeitig bieten solche Zentren, denen häufig ein tibetischer Lehrer oder Mönch vorsteht und die fast ausschließlich von westlichen Akteuren aufgesucht werden, die Infrastruktur zur Verbreitung tibetisch-buddhistischer Lehren und Praktiken und eine Grundlage für die Institutionalisierung des tibetischen Buddhismus im Westen (vgl. Obadia 2001: 100 f). Hatte Obadia in seinem Artikel den Fokus darauf gelegt, wer den Buddhismus verbreitet und wie er verbreitet wird, so stellen zwei etwas ältere Studien aus dem deutschsprachigen Raum von Klaus Bitter und Eva Saalfrank eher die Frage, wer zum tibetischen Buddhismus konvertiert und wie es zu dieser Konversion kommt. Beide Studien basieren auf einem qualitativen Zugang zum Gegenstandsbereich und zielen auf ein Verständnis westlicher Akteure, die sich dem tibetischen Buddhismus zuwenden (vgl. Bitter 1988; Saalfrank 1997).12 Die Dissertation des evangelischen Theologen Klaus Bitter untersucht die Konversion deutscher Akteure zum tibetischen Buddhismus. Dabei wird Bitter unter anderem von den Frage geleitet, welche Gründe und Bedingungen zur Konversion führen und ob der tibetische Buddhismus und seine religiösen Praktiken von westlichen Akteuren unbedenklich ausgeübt werden können oder ob diese aufgrund der großen kulturellen Differenzen nicht zu fremdartig seien (vgl. Bitter 1988: 65). Seine spezifischen Forschungsfragen lassen sich vor dem zeitlichen Kontext der Arbeit besser verstehen. Einen wichtigen zeitgenössischen Faktor bildet die sog. Jugendsektendebatte der 1970/80er Jahre, die in der Öffentlichkeit entbrannte. Diese Debatte entzündete sich an der wahrgenommenen starken Verbreitung und zunehmenden Popularität asiatischer Religionen insbesondere unter jungen Menschen und brachte Befürchtungen und Ängste gegenüber diesen neuen Religionen zum Ausdruck (vgl. Usarski 1988; Rakow 2004). Zum anderen gab es einen regelrechten Boom tibetisch-buddhistischer Gruppen in den 1980er Jahren (vgl. Baumann 1995: 209 – 226). Diese beiden Kontextfaktoren ließen Fragen nach den Gründen für die Attraktivität des tibetischen Buddhismus und nach den Konsequenzen einer Konversion zu diesem aufkommen, denen Bitter in seiner Arbeit nachgeht. Nach der Analyse der 82 qualitativen Interviews kommt der Autor zu dem Schluss, dass westliche Konvertiten kaum in der Lage seien, den tibetischen Buddhismus zu verstehen. Sie zeigten vielmehr individuelle, synkretistische Uminterpretationen buddhistischer Lehre, die z. T. sogar im Widerspruch zu buddhistischen Lehrmeinungen standen und durch Elemente aus anderen religiösen Kontexten wie Theosophie und Neo-Hinduismus angereichert waren. Klaus Bitter zufolge resultiert diese 12 Die Daten der Befragung mit explorativen Fragebögen stammen aus dem Jahr 1986, die Daten aus der teilnehmenden Beobachtung und den problemzentrierten Interviews stammen aus den Jahren 1990/1991 (vgl. Saalfrank 1997: 5).

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Tatsache aus dem Unvermögen tibetisch-buddhistischer Lehrer, den Westen zu verstehen. Eine gegenseitige Annäherung von westlichen Konvertiten und tibetischen Lehrern sieht er nur bei einzelnen kleinen, »reformierten« Gruppen wie die von Chögyam Trungpa und Tarthang Tulku gegeben (vgl. Bitter 1988: 331 f). Eva Saalfrank, die selbst in der Karma Kagyü-Linie des tibetischen Buddhismus praktiziert, geht ebenfalls der Frage nach, ob es westlichen Praktizierenden möglich ist, eine fremde Kultur und Religion, d. h. letztlich fremdes Denken, zu verstehen (vgl. Saalfrank 1997: 3). Sie scheint sich jedoch mit den Ergebnissen ihrer Studie gegen Klaus Bitters Schlussfolgerungen zu wenden. Auf Basis von problemzentrierten narrativen Interviews mit deutschen Praktizierenden in der Karma Kagyü-Tradition und teilnehmenden Beobachtungen argumentiert Saalfrank, dass der tibetische Buddhismus für deutsche Praktizierende durchaus eine »geistige Heimat« darstellen könne. Dabei geschieht der Aneignungsprozess durch westliche Akteure nicht auf eine einheitliche Weise, sondern in Form vielfältiger Adaptionen. Konfliktpotential trete bei der »Übernahme der im alten Tibet üblichen autoritären und streng hierarchischen Verwaltungsstrukturen« (Saalfrank 1997: 525) auf. Dagegen stellt die Aneignung und Ausübung der tibetischen Meditations- und Ritualformen keine Hürde für westliche Praktizierende dar. Vielmehr, so die Argumentation Saalfranks, versprechen diese Praktiken durch die Betonung der persönlichen Erfahrung ein »existentielles ›spirituelles Defizit‹ unserer Gesellschaft« (Saalfrank 1997: 525) auszugleichen. Insbesondere mit diesem Urteil, das den tibetischen Buddhismus nicht nur zu einer religiösen Alternative für westliche Akteure macht, sondern zum Lösungsansatz für ein existentielles spirituelles Defizit westlicher Gesellschaften stilisiert, wird die Parteiname der Autorin für die von ihr untersuchte religiöse Tradition deutlich.

Arbeiten zu Chögyam Trungpa und Vajradhatu/Shambhala International Chögyam Trungpa und die von ihm begründete Gemeinschaft Vajradhatu (heute Shambhala International) werden in den meisten Abhandlungen zur Geschichte und Verbreitung des Buddhismus im Westen genannt. Dabei handelt es sich um kursorische Überblicksdarstellungen (vgl. Bitter 1988; Batchelor 1994; Prebish 1999; Seager 1999; Baumann 2001; Coleman 2001; Bluck 2006) und Artikel in enzyklopädischen Werken zum Buddhismus und buddhistischen Organisationen (vgl. Baumann 2007), Neuen Religiösen Bewegungen oder »Sekten« (vgl. Dawson 2004) und »Kulten« (vgl. Melton 1986; Lewis 1998), in denen Chögyam Trungpa und/oder Vajradhatu beziehungsweise Shambhala International Erwähnung finden. Rick Fields geht in seiner »narrative history« des Buddhismus

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in Amerika etwas detaillierter auf Trungpa und den historischen Kontext in Nordamerika in den 1960/70er Jahren ein (vgl. Fields 1986). Die Dissertation Collective Identity and Post-Charismatic Fate of Shambhala International der kanadischen Soziologin Lynn P. Eldershaw befasst sich ausführlich mit der von Trungpa begründeten Organisation (vgl. Eldershaw 2004).13 Im Mittelpunkt der Fallstudie stehen die Untersuchung kollektiver Identitätsbildungsprozesse und der Umgang mit Krisen nach dem Tod des charismatischen Gemeinschaftsgründers in Neuen Religiösen Bewegungen. Auf Basis von Max Webers Überlegungen zum Charisma wird Chögyam Trungpa als charismatische Autorität konzeptualisiert. In Anlehnung an Ansätze aus dem Forschungsbereich »New Religious Movements« wird die von Trungpa begründete Organisation als Neue Religiöse Bewegung (NRB) klassifiziert, die sich um einen charismatischen Führer gruppiert. Die Arbeit diskutiert die Entwicklung von Vajradhatu/Shambhala International im Lichte dieser soziologischen Konzepte. Den Ausgangspunkt der Analyse bildet die Annahme, dass sog. Neue Religiöse Bewegungen, die sich um einen charismatischen Führer bilden, durch den Tod des Gründers häufig in eine Krise gestürzt werden, die den Fortbestand der Gemeinschaft bedroht. Vajradhatu/Shambhala International ist in der Argumentation der Autorin eine Gemeinschaft, die diese Krisensituation durch die erfolgreiche Herausbildung einer kollektiven Identität überstanden hat. Um diesen Prozess der kollektiven Identitätsbildung nach dem Tod von Trungpa zu beschreiben, kann die Autorin auf ethnographische Daten aus mehreren kleinen teilnehmenden Beobachtungen in Zentren der Gemeinschaft aus den Jahren 1995 bis 2001 zurückgreifen. In dieser Hinsicht ist die Analyse von Eldershaw überzeugend, dennoch mangelt es der Arbeit an fundierten religionshistorischen Kenntnissen, sowohl über den nordamerikanischen als auch über den asiatischen Kontext, und an einer transkulturellen Perspektive, was zu einer dekontextualisierten Darstellung der Gemeinschaft und zur Reproduktion von stereotypischen Annahmen über »den Buddhismus« führt. Damit weist auch die Studie von Eldershaw jene Schwächen auf, die viele Arbeiten zum Buddhismus im Westen kennzeichnen (vgl. Seager 2006: xi). Zwei weitere Aufsätze befassen sich mit Chögyam Trungpa als charismatischer Führerfigur und den Kontroversen, die mit seiner Person verbunden waren. Die britische Religionswissenschaftlerin Sandra Bell diskutiert in ihrem Artikel »›Crazy Wisdom‹, Charisma and the Transmission of Buddhism in the United States« die Geschichte von Vajradhatu, die Rolle Trungpas als charismatische Autorität sowie Fragen des Lehrer-Schüler-Verhältnisses und der Übertragung von Autorität (vgl. Bell 1998). In ihrer Analyse bezieht sich Bell auf 13 Teilaspekte der Arbeit werden auch in einzelnen Aufsätzen diskutiert (vgl. Eldershaw/ Dawson 1995; Dawson/Eldershaw 1996; Eldershaw 2007; 2010).

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Das Forschungsfeld Buddhismus im Westen

Geoffrey Samuels Beschreibung des tibetischen Buddhismus als einen Komplex, der zwischen den beiden Polen »klerikaler Buddhismus« und »schamanistischer Buddhismus« changiere (vgl. Samuel 1993).14 Chögyam Trungpa wird hier als charismatische Autorität konzeptualisiert, die ihre Wurzeln im schamanistischen Buddhismus habe, weshalb die Schüler seine absolute Autorität und seine Innovationen in Lehre und Praxis anerkannten (vgl. Bell 1998: 57 – 61): »Indeed, the synthesizing of these disparate elements was bound up with Chogyam’s shamanic proclivities, for the shaman’s expertise lies in his ability to transform and manipulate his vision into reality« (Bell 1998: 61). Die Autorin sieht Trungpas Fähigkeiten als »cultural broker and innovator« (Bell 1998: 61) in seiner schamanistischen Persönlichkeit begründet. Der Fortbestand und die Konsolidierung der von ihm begründeten Gemeinschaft nach seinem Tod werden Bell zufolge durch die Lehrer-Schüler-Beziehung ermöglicht, die charakteristisch für den tantrischen Buddhismus sei und als Vehikel für die Übertragung von Autorität und Legitimation fungiere. Hugh Urbans Artikel »The Cult of Ecstasy : Tantrism, the New Age, and the Spiritual Logic of Late Capitalism« befasst sich mit der westlichen Faszination für Tantra (vgl. Urban 2000). Chögyam Trungpa wird hier neben Bhagwan Shree Rajneesh (Osho) als Prototyp des »neo-tantrischen Gurus« betrachtet, der als Wegbereiter der spätkapitalistischen Vermarktung und Ausschlachtung des Tantrismus fungiert habe. Der Artikel zielt vor allem auf die kontroversen Aspekte beider Akteure und stellt die von ihnen begründeten Gemeinschaften als deviant dar. Diese Devianz zeige sich Hugh Urban zufolge im transgressiven Verhalten der Gründer und Mitglieder, das durch den Rekurs auf tantrische Praktiken und Konzepte legitimiert werde. Der Artikel repetiert somit undifferenzierte Vorannahmen, die häufig die Forschung zu sog. Neuen Religiösen Bewegungen bzw. sog. Sekten und Kulten dominieren. Die meisten Arbeiten, die sich dezidiert mit Chögyam Trungpa und Vajradhatu/Shambhala International befassen, haben die Kontroversen um seine Person beziehungsweise den HIV-Skandal des Nachfolgers Thomas F. Rich (Ösel Tendzin) als Ausgangspunkt ihrer Auseinandersetzung mit der Organisation 14 Geoffrey Samuel beschreibt die Religionsgeschichte Tibets anhand dieser zwei Pole, die jeweils ein Ende des Spektrums bilden: Die monastischen Institutionen und Vertreter der Gelugpa beispielsweise repräsentieren den klerikalen Pol des Spektrums und die umherwandernden Yogis mit ihren tantrischen Praktiken stehen für den schamanistischen Pol. Tibetische Religionsgeschichte entfalte sich nach Samuel im Spektrum dieser beiden Spannungsfelder und führt beim Autor zu Kategorisierung von historischen Phänomenen, Institutionen und Akteuren als eher klerikal oder eher schamanistisch (vgl. Samuel 1993). In dieser Dichotomisierung besteht meines Erachtens auch das Problem des Ansatzes von Samuel, da das tibetische religiöse Feld wesentlich fluider ist und religiöse Akteure gleichzeitig mehrere Rollen und Funktionen einnehmen können. Diese multivalente Funktionalität und Fluidität wird durch eine Beschreibung als klerikal oder schamanistisch nivelliert.

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Das Forschungsfeld Buddhismus im Westen – Eine Problematisierung

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genommen. Die Gemeinschaft wird dabei oft als Neue Religiöse Bewegung, Sekte oder Kult klassifiziert und im Kontext der damit verknüpften Topoi diskutiert. Durch die Designation als Neue Religiöse Bewegung, Sekte oder Kult wurden diese Gemeinschaften häufig als nicht authentisch, diktatorisch oder radikal wahrgenommen (vgl. Chryssides 1994; Lewis 1998). Auch Trungpa und seine Organisation wichen in den Augen verschiedener Beobachter von einem vermeintlich tibetisch-buddhistischen Ideal ab. Dieser Evaluation liegen orientalisierende Annahmen über asiatische Religionen und den tibetischen Buddhismus zugrunde, die häufig nicht ausreichend reflektiert werden. Deutlich wird diese Tatsache darin, dass in den meisten Arbeiten sowohl eine differenzierte Verortung Trungpas im tibetischen Kontext als auch eine Berücksichtigung transkultureller Faktoren in der Herausbildung der Gemeinschaft fehlen. Sowohl Sandra Bell als auch Lynn Eldershaw beklagen einen Mangel an fundierter Forschung zu Chögyam Trungpa und der von ihm begründeten Gemeinschaft (vgl. Bell 1998; Eldershaw 2004). Die vorliegende Arbeit möchte diesen Mangel durch eine historisch differenzierte Aufarbeitung des Lebens und Wirkens Chögyam Trungpas ein Stück weit beheben.

2.2

Das Forschungsfeld Buddhismus im Westen – Eine Problematisierung

Der Überblick zum Stand der Forschung zum Buddhismus im Westen hat gezeigt, dass der Schwerpunkt vieler Studien vor allem auf der Beschreibung der Verbreitung buddhistischer Vorstellungen und Praktiken im westlichen Kontext lag. Dabei fokussierten viele Arbeiten die Adaptionsprozesse, die buddhistische Traditionen bei ihrem Transfer in westliche Gesellschaften durchlaufen. Diese Vorgänge wurden unter dem Label »Westernisierung« oder »Amerikanisierung« des Buddhismus untersucht. Zur Analyse und Erklärung der Veränderungen wurde häufig ein Adaptionsspektrum entworfen, in dem die untersuchten Akteure und Gruppen entweder auf der eher »traditionellen« oder eher »westlich angepassten« Seite des Spektrums verortet wurden. Kritisiert wurde an diesem Vorgehen zum einen, dass die Vielschichtigkeit der Transformationsprozesse auf diese Weise nicht erfasst werden kann. Zum anderen wurde kritisch angemerkt, dass in den meisten Studien transkulturelle Faktoren durch den engen Fokus auf den Westen in der Analyse keine ausreichende Berücksichtigung finden. Die vorgebrachten Kritikpunkte verweisen bereits auf die Probleme, die bei einer Untersuchung buddhistischer Vorstellungen und Praktiken und ihrer Veränderung im westlichen Kontext entstehen können. Die nachfolgende Darstellung des komplexen und diversifizierten Forschungsfelds zum Buddhismus

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Das Forschungsfeld Buddhismus im Westen

im Westen zeigt weitere problematische Punkte bei der Erforschung des Buddhismus im Westen auf und diskutiert die Konsequenzen für das religionswissenschaftliche Arbeiten in diesem Feld. Zunächst scheinen einige klärende Anmerkungen zum weiteren Gebrauch der Begriffe Buddhismus und buddhistisch angebracht. Buddhismus wird hier verstanden als Produkt diskursiver Praktiken, die durch jeweils historisch kontingente Wissensordnungen konstituiert werden und ihrerseits spezifische Wissensordnungen und daran anknüpfende Praktiken etablieren. Das Gefüge von Vorstellungen, Praktiken und Ästhetiken, das von verschiedenen Akteuren als Buddhismus oder buddhistisch klassifiziert wird, kann also, abhängig vom jeweiligen historischen, kulturellen und sozialen Kontext, in dem die Akteure positioniert sind, mehr oder weniger stark variieren. Es handelt sich demnach um vieldeutige Begriffe, denen keine allgemeine, für alle Akteure gleichermaßen gültige und historisch sowie kontextuell unabhängige Bedeutung innewohnt, sondern diese Begriffe sind vielfach diskursiv verknüpft. Die Verwendung der Begriffe Buddhismus oder buddhistisch intendiert hier keine normative Setzung eines Gegenstandes als Buddhismus beziehungsweise buddhistisch, sondern erfolgt auf einer deskriptiven Ebene und orientiert sich am Sprachgebrauch sozialer Akteure. Die Kategorie soziale Akteure umfasst dabei nicht ausschließlich Akteure, die diese Begriffe als Selbstbezeichnung in Anspruch nehmen, sondern auch Akteure, die anderwärtig auf diese Begriffe Bezug nehmen, wie zum Beispiel Journalisten oder Wissenschaftler in ihren Beschreibungen und Klassifikationen von Akteuren, Gegenständen oder historischen Zusammenhängen. In diesem Sinne fungieren die Begriffe Buddhismus und buddhistisch zum einen als eine Art »Suchheuristik« (Keller 2008a: 86) zur Annäherung an das Untersuchungsfeld. Zum anderen kann man die Verwendung der Begriffe Buddhismus und buddhistisch in wissenschaftlichen Studien als Ausgangspunkt nehmen, um den Umgang mit diesen Begriffen und den Umgang mit den durch diese Begriffe bezeichneten Gegenständen in der (religions-)wissenschaftlichen Forschung zu problematisieren. In Anlehnung an Stuart Hall lassen sich die Begriffe Buddhismus und buddhistisch als »durchgestrichene« (Hall 2004b: 168) Begriffe konzeptualisieren,15 die für die Forschung nicht mehr länger in ihrer klassischen Verwendungsweise im Sinne einer feststehenden Definition oder einer essentialistischen Lesart benutzt werden können. In Ermangelung alternativer Begriffe bleibt dem Forscher nichts anderes übrig, als weiterhin mit diesen Begriffen – jedoch in ihrer »enttotalisierten 15 Stuart Hall verwendet im Englischen den Ausdruck »under erasure«, der hier im Deutschen mit »durchgestrichen« wiedergegeben ist. Hall greift dabei auf das Konzept der Durchstreichung von Jacques Derrida zurück, der wiederum an Heidegger anknüpft (vgl. Hall 2004a: 223 Fn. 1).

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Das Forschungsfeld Buddhismus im Westen – Eine Problematisierung

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und dekonstruierten Fassung« (Hall 2004b: 167) – zu arbeiten und gleichzeitig ihre Verwendung zu hinterfragen (vgl. Hall 2004a: 188).

Eine Annäherung an das Forschungsfeld Buddhismus im Westen Das Forschungsfeld Buddhismus im Westen ist ein stark ausdifferenziertes Areal: Zum einen treten im westlichen Kontext verschiedene Buddhismen aus den unterschiedlichen asiatischen Ländern nebeneinander auf. Dabei handelt es sich sowohl um buddhistische Organisationen und Vereine von Immigranten aus den verschiedenen Ländern Asiens als auch um Gruppen und Organisationen westlicher Akteure. Häufig ist eine deutliche Separierung dieser beiden Akteursgruppen zu beobachten (vgl. Prebish 1993; Fields 1998; Mullen 2001), auch wenn wechselseitige Beeinflussungen erkennbar sind (vgl. Tweed 2000: 34 – 39). Die buddhistischen Tempel und Vereine asiatischer Emigranten stellen vorwiegend einen Ort der Bewahrung kultureller und religiöser Traditionen des Heimatlandes dar (vgl. Kashima 1977: 113 f; Seager 1999: 141) und werden nur gelegentlich oder vereinzelt von westlichen Interessierten frequentiert. Die buddhistischen Gruppen und Organisationen, die mehrheitlich oder fast ausschließlich von westlichen Akteuren getragen werden, sind häufig um asiatische und zunehmend auch um westliche Lehrer gruppiert. Asiatische Lehrer fungieren dabei zwar oft als sog. geistliche oder spirituelle Leiter, Gründer und Schirmherren, dennoch bilden westliche Akteure die Masse der Mitglieder oder Teilnehmer. Durch das Nebeneinander einer Vielzahl von Akteuren und Organisationen, die sich verschiedenen buddhistischen Schulen und Richtungen zuordnen, kann es zu gegenseitigen Beeinflussungen zwischen den unterschiedlichen buddhistischen Strömungen kommen, die innerhalb des asiatischen Kontextes aufgrund ihrer geographischen Entfernung zueinander in der Vergangenheit tendenziell weniger Berührungspunkte hatten.16 Ein Beispiel dafür ist das Einfließen Zenbuddhistischer Elemente in die Praxis bei Vajradhatu/Shambhala International, einer Organisation, die dem tibetisch-buddhistischen Spektrum zugeordnet wird. Auch ermöglicht das Nebeneinander unterschiedlicher buddhistischer Strömungen die Herausbildung von Organisationen über die Grenzen von Traditionslinien hinweg, wie im Falle von buddhistischen Dachverbänden oder dem Entstehen buddhistischer Organisationen, die sich selbst keiner be16 Im Feld existieren verschiedene Differenzierungsmechanismen. Zum einen wird häufig zwischen den verschiedenen Buddhismen nach den Kategorien Hı¯naya¯na, Maha¯ya¯na und Vajraya¯na unterschieden; zum anderen wird teilweise nach der geographischen Herkunftsregion differenziert, z. B. zwischen japanischem Zen-Buddhismus, der südasiatischen Vipassana¯-Tradition und dem tibetischen Buddhismus.

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stimmten Schule oder Tradition zuordnen (vgl. Baumann 1995: 164 – 181, 193 – 202; Numrich 1999). Außerdem können Akteure an Aktivitäten verschiedener buddhistischer Organisationen teilnehmen sowie sich im Verlauf ihrer Biographie verschiedenen Schulen zuordnen. Zur Orientierung in diesem vielschichtigen Forschungsfeld scheint die Spezialisierung auf eine bestimmte buddhistische Schule beinahe hinderlich: Fehlen grundlegende Kenntnisse über andere buddhistische Traditionsgefüge, liegt die Gefahr einer Ausrichtung auf eine einzelne Tradition darin, dass Beobachtungen und Erkenntnisse zu buddhistischen Formationen im westlichen Kontext unreflektiert und ungeachtet ihrer kulturell und historisch spezifischen Bedingtheit auf die verschiedenen asiatischen Buddhismen übertragen und zu allgemeinen Aussagen über den Buddhismus werden. Das bekannteste Missverständnis dieser Art ist die Auffassung, dass die Meditation – ausgehend von ihrer zentralen Bedeutung für westliche Praktizierende – die zentrale Praxis im Buddhismus darstellt (vgl. Conze 1956; Sharf 1995). Um derlei Annahmen entgegen zu wirken, sind Kenntnisse der jeweiligen asiatischen Traditionen, die heute mit dem Begriff Buddhismus designiert werden, und ihrer sozialen Realität in Geschichte und Gegenwart notwendig. Nur vor dem Hintergrund religionshistorischer Kenntnisse sind Aussagen über Transformationsprozesse buddhistischer Vorstellungen und Praktiken im westlichen Kontext möglich. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass buddhistische Vorstellungen, Praktiken und Ästhetiken auch in Asien kein statisches Gefüge darstellen, sondern Prozessen des transkulturellen Austausches und der Transformation unterlagen und weiterhin unterliegen. Die Annahmen über und die Zuschreibungen an das, was als Buddhismus betrachtet und bezeichnet wird, können stark differieren, wenn man verschiedene soziale Akteure befragt. Schon auf der akademischen Ebene finden sich unterschiedliche Beschreibungen des Buddhismus, je nachdem ob man sich an einen Indologen, Religionswissenschaftler, Historiker oder Theologen wendet. Diese Unterschiede resultieren u. a. aus den jeweiligen wissenschaftlichen Konventionen der verschiedenen akademischen Disziplinen und ihrem jeweils spezifischen Zugang zum Gegenstand Buddhismus. Unterschiede im Verständnis dessen, was als Buddhismus gilt, offenbaren sich auch, wenn man die Teilnehmer eines Meditationsabends bei Shambhala International in Berlin, thailändische Einwanderer im Wat Buddha Apawatthanaram in Ludwigshafen, japanische Besucher des Kiyomizu-Dera Tempels in Kyoto und die Public Relations-Beauftragte der So¯ka Gakkai International im Headquarter in Tokio dazu interviewt. Die unterschiedlichen Annahmen über das als Buddhismus Bezeichnete ergeben sich aus den jeweiligen Relationen, in denen die Akteure sich zu dem Bezeichneten befinden (vgl. McMahan 2008: 27 – 36). Diese Annahmen resultieren zudem aus den verschiedenen historischen, kulturellen und

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sozialen Kontexten, aus denen die Akteure stammen, denn diese Kontexte formen wiederum die Wissensbestände sozialer Akteure. Bei allen Unterschieden lassen sich dennoch einige Gemeinsamkeiten und Überschneidungen ausfindig machen, da die einzelnen Diskurse zum Buddhismus in ihren Wirkungen häufig nicht lokal begrenzt, sondern transkulturell sind und sich im Kontext einer globalisierten Welt entfalten. Dominante Diskursstränge mit breitem Wirkungskreis können in die z. T. lokal begrenzten Diskurse einfließen. Wissenschaftliche Abhandlungen, Lebenshilfebücher wie Zen and The Art of Happiness (Prentiss 2006), reich bebilderte Artikel über den Dalai Lama in Frauenzeitschriften, Hollywood-Blockbuster und Dokumentarfilme stellen nur eine Auswahl der Medien dar, in denen diese Diskurse aufgegriffen, weiter getragen und verändert werden und somit ihre Effekte entfalten. Eines der dominanten Diskurselemente mit breitem Wirkungsradius ist die Annahme, dass der Buddhismus per se friedlich und gewaltfrei sei, obwohl historische Studien und Ereignisse der jüngeren Vergangenheit den ahistorischen Konstruktionscharakter dieser Zuschreibungen und Selbstbeschreibungen belegen (vgl. Sperling 1997; Bergunder 2006b).17 Durch international agierende Akteure, die als öffentlich wirksame Vertreter des Buddhismus wahrgenommen werden, wie z. B. der 14. Dalai Lama, und deren entsprechende Äußerungen wird das Bild eines friedlichen, gewaltfreien Buddhismus per se, in dem orientalisierende wie auch selbstorientalisierende Diskurse gleichermaßen Wirksamkeit entfalten,18 beim Rezipienten entsprechend verifiziert, stabilisiert und auf diese Weise naturalisiert (vgl. Huber 1997b; Bergunder 2006b). Auch in einzelnen akademischen Arbeiten zum Buddhismus lässt sich die Tendenz feststellen, dass unter dem Begriff Buddhismus vornehmlich ein Gefüge rezipiert und auf die gesamte buddhistische Historie retrospektiv angewendet wird, wie es im sog. buddhistischen Modernismus zum Ausdruck kommt. Der buddhistische Modernismus ist das Produkt eines wechselseitigen Interaktionsprozesses, in dem asiatische Eliten zeitgenössische westliche religionskritische Diskurse aufgegriffen und diese bei der Neuformulierung der als buddhistisch bezeichneten Traditionen Südostasiens, Japans und später auch der Tibets verarbeitet haben. Im Rahmen dieser modernen und westlich beeinflussten Neuinterpretation des Buddhismus wurde dieser zu einem rationalistischen, humanistischen und kontemplativen System stilisiert, das frei von 17 Dazu zählen z. B. die Giftgasanschläge der Aum Shinrikyo¯ 1995 in der U-Bahn Tokios oder die in Teilen gewaltbereite tibetische Widerstandsbewegung gegen die chinesischen Okkupatoren (vgl. Norbu 1994). Siehe auch die Beiträge zum Thema Buddhismus und Gewalt in der Zeitschrift für Religionswissenschaft 2003, Band 11. 18 Mit Verweis auf Karatani Kújin verwendet Inken Prohl den Begriff »Selbst-Orientalismus« für die Übernahme von Elementen aus dem westlichen hegemonialen Diskurs für die Apologie der eigenen Tradition (vgl. Prohl 2000: 156; 2003).

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Aberglaube und inhaltsloser Ritualistik sei (vgl. Lopez 1995c; Sharf 1995; McMahan 2008). Arbeiten, die ein solches Bild des Buddhismus entwerfen, sind häufig durch das Fehlen differenzierter Kenntnisse über die jeweiligen historischen asiatischen Kontexte und ihre Spezifika gekennzeichnet. Das Ergebnis ist eine Essentialisierung des Buddhismus, welche die Heterogenität des mit dem Signifikanten Buddhismus Bezeichneten ausblendet: [T]he so called Buddhist tradition is far from a univocal entity, a convincing revisionist analysis of a second-century Indian scholastic text may tell us little about a seventhcentury Chinese Tantric liturgy, or the poetry of a thirteenth-century Japanese Zen abbot. But while few would contrast the diversity of phenomena that go under the name »Buddhist«, many still approach such disparate materials with a set of broad assumptions concerning the nature and goals of Buddhist practice. (Sharf 1995: 232)

Um einer solchen Essentialisierung entgegenzuwirken und der Vielgestaltigkeit der verschiedenen historisch gewachsenen Traditionen Asiens Rechnung zu tragen, die heute mit dem Begriff Buddhismus bezeichnet werden, wird verschiedentlich von Buddhismen im Plural statt von dem Buddhismus im Singular gesprochen (vgl. z. B. Faure 1998). Zwar sind auch mit dieser Sprachregelung Essentialisierungen möglich, die historische Entwicklungen und Differenzierungen innerhalb eines geographisch begrenzten Traditionsgefüges ausblenden – z. B. der Buddhismus Japans – aber dennoch verweist die Mehrzahl des Begriffs auf eine Pluralität und Vielgestaltigkeit der als buddhistisch bezeichneten Konstellationen in Geschichte und Gegenwart. Man könnte an dieser Stelle argumentieren, dass sich diese Form der Pluralisierung des Buddhismus bis zur völligen Atomisierung auf der Ebene individueller Akteure treiben ließe. Damit wäre die Frage, was Buddhismus sei, vom einzelnen Akteur abhängig und scheinbar beliebig. Doch der einzelne Akteur stellt keine ungebundene und in sich abgeschlossene Einheit dar, sondern er ist eingebunden in ein soziales Gefüge, das sich historisch, lokal und kulturell verorten lässt. Er bezieht die Elemente seiner individuellen Definition und Praxis des Buddhismus aus bereits vorhandenen wirksamen Diskursen und Praxen. Der soziale Akteur partizipiert an spezifischen Wissens- und Praxisformationen und ist von dominanten Diskursen beeinflusst, die sich für einzelne Kontexte durch empirische Studien herausarbeiten lassen. Mit der Essentialisierung, die sich häufig in der Verwendung des Begriffs Buddhismus vollzieht, geht ein weiteres Problem einher : die Unterscheidung eines vermeintlich wahren oder reinen Buddhismus von seinen kulturellen, volkstümlichen Überformungen. Diese Demarkationslinie verläuft parallel zur qualifizierenden Differenzierung sog. Hochreligionen von vermeintlich einfachen Volksreligionen, wie sie in der (religions-)wissenschaftlichen Forschung

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lange üblich war. Bedingt durch einen historisch-philologisch orientierten Zugang zu Religionen (und damit auch zum Buddhismus) etablierte sich unter Forschern die Annahme, dass die in den Schriften fixierten Lehren und Praktiken die Orthodoxie und Orthopraxie beschreiben (vgl. Prohl 2006: 50 f). In der sozialen Realität vorgefundene, gelebte Religion, die von diesem schriftlich fixierten Ideal abwich, wurde im Vergleich dazu als »abergläubisch«, »magisch« oder »volksreligiös« disqualifiziert (vgl. McDermott 1970).19 Dieses Deutungsmuster findet sich auch bei westlichen buddhistischen Akteuren, die mit der Unterscheidung und der Ablehnung des »kulturellen Ballasts« sowie der Essentialisierung der buddhistischen Tradition eine wichtige Adaptionsstrategie entwickelt haben (vgl. Mellor 1991; Waterhouse 1997: 177 f). Weiterhin gilt es zu bedenken, dass bestimmte Entwicklungen, die für das buddhistische Feld im westlichen Kontext typisch scheinen, wie z. B. die starke Einbindung von Laien in Praktiken, die in der Historie in asiatischen Ländern mehrheitlich den religiösen Spezialisten vorbehalten waren, mittlerweile auch vermehrt im asiatischen Kontext auftreten. Buddhistische Zentren, die auf einer regulären Basis Meditationskurse für Laien anbieten, wie wir es aus dem westlichen Umfeld kennen, und moderne transnationale buddhistische Organisationen und Einflüsse finden sich zunehmend auch in Japan, Malaysia, Singapur und anderen asiatischen Regionen (vgl. Poethig 2004; Chia 2009). Eine antagonistische Gegenüberstellung von Entwicklungen im Westen und dem Buddhismus in Asien berücksichtigt nicht die wechselseitigen und transkulturellen Einflüsse in einem zunehmend globalisierten Kontext. Die Vielfältigkeit der »buddhistischen Landschaft« (Seager 1999: 3) wird nicht nur durch verschiedene Organisationen, die sich unterschiedlichen buddhistischen Schulrichtungen zuordnen, und die unterschiedlichen Herkunftstraditionen geprägt. Die Diversität wird auch durch die Diffusion von Praktiken, Vorstellungen und Ästhetiken, die dem buddhistischen Kontext entstammen, in gesellschaftliche Bereiche wie Sport, Wellness, Gesundheit und Pflege, Kunst, Architektur/Innenarchitektur und Bildung hervorgerufen, die im westlichen Kontext häufig eher als säkular und weniger als spezifisch religiös oder buddhistisch betrachtet werden. Dazu gehören u. a. der Besuch eines Meditationskurses in einem Fitnessstudio oder im Rahmen einer medizinischen Maßnahme

19 Hartmut Zinser hat darauf hingewiesen, dass auch der Begriff Magie keine wertfreie Kategorie des religionswissenschaftlichen Fachvokabulars darstellt, sondern ein abwertendes Moment enthält, indem Magie von Religion unterschieden wird und ihr minderwertige, triviale bis unmoralische Zwecke unterstellt werden. Magie wird nach Zinser somit »zur falschen Religion, zur Nicht-Religion […], zu etwas qualitativ anderem, […] zu einer falschen Umgehensweise mit dem als übersinnlich, übermenschlich Betrachteten« (Zinser 1997: 106).

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(z. B. die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion, MBSR)20, die Teilnahme an Fortbildungskursen buddhistischer Träger und Vereine für Personen in therapeutischen oder pflegerischen Berufen (vgl. Rakow 2008: 99 – 102; Beckerle/ Prohl/Rakow 2012) sowie die Dekoration von Restaurants, Hotelsuiten und Erholungsanlagen mit Buddhastatuen (vgl. Prohl/Rakow 2008). Eine eindeutige Deklaration solcher Angebote als buddhistisch ist selten, was sich auf verschiedene Ursachen zurückführen lässt. Zum einen richten sich solche Programme an Klienten und Konsumenten, die aus verschiedenen religiösen bzw. mehrheitlich (jüdisch-) christlich geprägten Kontexten stammen und die zur Wahrnehmung des Angebotes nicht zwangsläufig eine buddhistische Vorbildung oder ein dezidiertes Interesse am Buddhismus mitbringen müssen. Zum anderen wird die Nutzung dieser Angebote z. T. von staatlichen Trägern, wie den gesetzlichen Krankenkassen, bezuschusst oder findet innerhalb säkularer Institutionen statt. Außerdem können solche Angebote völlig unabhängig von ihrem religiösen Kontext als Sport oder Lifestyle-Accessoires in Anspruch genommen werden. Aus diesen Beobachtungen ließe sich die Frage ableiten, ob solche Phänomene überhaupt noch zum Forschungsfeld Buddhismus im Westen gehören oder ob sie aufgrund des fehlenden Attributes buddhistisch herausfallen. Thomas Tweed hat darauf verwiesen, dass eine Beschränkung auf Protagonisten, die sich explizit selbst als buddhistisch bezeichnen, den Horizont für das Verstehen der frühen Rezeption buddhistischer Vorstellungen und die daran anschließenden Entwicklungen in Amerika begrenzt und eine Verortung innerhalb der breiteren viktorianischen religiösen Kultur erschwert (vgl. Tweed 2000). In Anlehnung an Tweed erachte ich es als sinnvoll, auch die oben geschilderten Phänomene in den Forschungshorizont einzubeziehen und so mehr Aufschluss über die Dynamiken im buddhistischen Feld im Westen und die Wechselwirkungen mit anderen gesellschaftlichen Bereichen sowie transkulturellen Diskursen und Praktiken zu erhalten (vgl. Prohl/Rakow 2008).

20 Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR) wurde in den 1970er Jahren von dem Mediziner Jon Kabat-Zinn in den USA entwickelt. Das Konzept der Achtsamkeit und die Körperpraktiken sind angelehnt an Vorstellungen und Praktiken aus dem buddhistischen Kontext, werden jedoch weitgehend vom buddhistischen Hintergrund losgelöst vermittelt. Die Programme kommen u. a. im klinischen Kontext zur Reduktion von Stress und Angst und bei der Behandlung chronischer Krankheiten zum Einsatz.

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Zur Problematik religionswissenschaftlicher Kategorisierungen und Begriffsbestimmungen Im religiösen Feld der Gegenwart in westlichen Gesellschaften ist häufig eine Differenzierung zwischen Religion/Religiosität und Spiritualität zu finden. Soziale Akteure verbinden mit dem Begriff Religion bzw. Religiosität vor allem die institutionell verfasste, »objektive« Seite von Religionen und deren dogmatische Lehrinhalte, während der inhaltlich stärker unbestimmte Begriff der Spiritualität auf die subjektive Dimension des Erlebens und Erfahrens des Akteurs zielt. In diesem Verständnis ist Spiritualität etwas, das losgelöst von religiösen Institutionen existiert und vom Einzelnen selbstbestimmt erfahrbar und interpretierbar ist (vgl. Bochinger 2009). Die Differenzierung zwischen institutionalisierter Religion und persönlicher Spiritualität hat auch Konsequenzen für die Betrachtung des Buddhismus in der Gegenwart und die Frage, ob Akteure Buddhismus als religiöse oder spirituelle Tradition und Praxis kategorisieren. Daran schließt sich ein zweites Problem der Kategorisierung an, nämlich die Frage wann eine religiöse Tradition als buddhistisch zu betrachten ist und wann nicht beziehungsweise wer als buddhistischer Akteur gilt und somit legitimer Gegenstand der Untersuchung ist und wer nicht. Die Bestimmung von religiösen Phänomenen und Akteuren als buddhistisch bzw. nicht-buddhistisch fiel in Studien zum Buddhismus (nicht nur im westlichen Kontext) sehr unterschiedlich aus und richtete sich nach den Kriterien, die zugrunde gelegt wurden (vgl. Prebish 1979; 1993; Nattier 1998; Tweed 2002).21 Essentialistische Bestimmungen, die sich an Orthodoxien im Sinne von bestimmten Überzeugungen, die mit buddhistischen Inhalten und Konzepten korrespondieren (z. B. die vier edlen Wahrheiten, die Lehre der Leerheit), oder Orthopraxien im Sinne einer regelmäßigen Ausübung von Ritualen und Praktiken sowie Besuchen in Tempeln orientieren, haben immer auch normative Tendenzen (vgl. Tweed 2002: 17). Kriterien dieser Art resultieren aus einem essentialistischen Verständnis des Buddhismus, z. T. unter Ausblendung der historisch gewachsenen und kulturellen Ausprägungen der verschiedenen asiatischen Traditionsgefüge, die als Buddhismus bezeichnet werden und die nun im westlichen Kontext auftreten. Ein normatives Verständnis des BuddhistSeins, basierend auf der Annahme, dass buddhistische Akteure spezifische buddhistische Überzeugungen teilen, rekurriert zudem auf ein Religionsverständnis, welches sich vornehmlich an den religiösen Lehren und Systematiken 21 Beispielsweise haben sich frühe Orientalisten und Buddhologen mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Amida-Buddhismus tatsächlich als genuiner Buddhismus zu betrachten sei (vgl. Kleine 2003/04). Ein eher rezentes Beispiel ist die Diskussion, ob die japanische Neue Religion Aum Shinrikyo¯ legitim als buddhistisch gelten dürfe oder nicht (vgl. Pye 1996; Reader 2000; Prohl 2004b).

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orientiert, die in Expertendiskursen von Gelehrten und religiösen Spezialisten formuliert wurden. Akteursspezifische Selbstkonzeptionen und die sehr unterschiedlichen Wissensstände über die elaborierten, doktrinären Konzeptionen auf der Seite der buddhistischen Laien und deren alltagspraktische Relevanz bleiben dabei unberücksichtigt. Aus solchen normativen, essentialistischen Bestimmungen ergeben sich für die Erforschung des Buddhismus im westlichen Kontext gewisse Komplikationen. Die erste Schwierigkeit tritt auf, wenn die Frage, wer als Buddhist gilt und wer nicht, an inhaltliche Überzeugungen und das Vorhandensein einer regelmäßigen religiösen Praxis geknüpft wird: Nicht jeder, der eine Form der Meditationspraxis ausübt, befasst sich auch mit Lehren und Konzepten, die gemeinhin als buddhistisch betrachtet werden. In einer von mir durchgeführten Befragung unter Buddhisten und buddhistisch interessierten Personen im Raum Berlin gaben 92 Prozent der Befragten an, täglich beziehungsweise mehrmals pro Woche eine als Meditation verstandene Praxis auszuüben (siehe Abb. 1).22 Jedoch nur 48 Prozent der Befragten beschäftigten sich mit der gleichen Regelmäßigkeit mit buddhistischen Vorstellungen im Rahmen der Lektüre entsprechender Publikationen und nur 33 Prozent widmeten sich regelmäßig dem Studium buddhistischer Lehren. Auch wurde anderen Ritualen, die z. T. in Tempeln oder buddhistischen Zentren vollzogen werden, im Vergleich zu den sog. Meditationspraktiken weniger Bedeutung zugemessen.23 Es scheint nahezuliegen, aufgrund der zentralen Bedeutung, die der Meditation im westlichen Kontext zukommt, diese als Kriterium in der Bestimmung des Buddhist-Seins heranzuziehen. Jedoch ist auch diese Definition problematisch, da nicht jeder, der Meditationspraktiken ausübt, sich selbst als Buddhist sieht.

22 Diese Befragung führte ich im Frühjahr 2006 im Rahmen des DFG-Projektes »Transformationen buddhistisch inspirierter Vorstellungen und Praktiken in der deutschen Gegenwartsgesellschaft« unter der Leitung von Prof. Inken Prohl, damals am Institut für Religionswissenschaft der Freien Universität Berlin, durch. Die Erhebung erfolgte mittels eines standardisierten Fragebogens, der unter Praktizierenden aller buddhistischer Schulen und Richtungen in Berlin verteilt wurde. Insgesamt wurden 407 Exemplare verteilt; die Rücklaufquote betrug 55 Prozent mit 224 ausgewerteten Fragebögen. Um auch Praktizierende zu erreichen, die nicht in Gruppen eingebunden sind oder nur sporadisch einzelne buddhistisch orientierte Angebote wahrnehmen, wurden auch Fragebögen in einschlägigen Buchhandlungen ausgelegt und auf einzelnen größeren Veranstaltungen verteilt. 23 Auf die Frage, wie wichtig verschiedene Bereiche für die eigene Beschäftigung mit buddhistischen Vorstellungen und die Ausübung von buddhistischen Praktiken sind, bewerteten 97 Prozent der Befragten den Bereich Meditation als »sehr wichtig« (86 Prozent) bzw. »wichtig« (11 Prozent). Die Bedeutung von Ritualen wurde demgegenüber nur von 54 Prozent der Befragten als »sehr wichtig« (31 Prozent) bzw. »wichtig« (23 Prozent) eingeschätzt.

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Abb. 1: Balkendiagramme »Varianten der persönlichen praktischen Beschäftigung mit Buddhismus«

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In der Befragung betrachteten sich achtzig Prozent als Buddhisten, neun Prozent lehnten diese Selbstbeschreibung für sich ab und elf Prozent wollten sich nicht eindeutig festlegen (siehe Abb. 2). Die Verwendung der Bezeichnung Buddhist/Buddhistin würde demnach die beiden letztgenannten Personengruppen an Praktizierenden ausschließen. In Gesprächen im Untersuchungsfeld wurde ich von einzelnen Akteuren explizit darauf hingewiesen, dass sie sich trotz ihrer regelmäßigen Sitzpraxis selbst nicht als Buddhist/Buddhistin sehen würden. Hier kollidieren etische und emische Sichtweisen in einer von außen vorgenommenen Bestimmung als buddhistisch mit dem Selbstverständnis der Akteure als nicht-buddhistisch.24

Abb. 2: Kreisdiagramm »Selbstbeschreibung als Buddhist/Buddhistin«

Der Akt der Zufluchtnahme, bei welchem der Akteur in einem formalisierten Zeremoniell Zuflucht zum Buddha, zum Dharma und zum Sangha nimmt, könnte als mögliches Definitionskriterium für die Bestimmung eines Akteurs als 24 Mir ist die Unmöglichkeit einer absolut eindeutigen Trennung von emischer und etischer Perspektive bewusst (vgl. McCutcheon 2007: 49 – 57). Die Unterscheidung emisch/etisch zielt hier auf die durchaus auftretende Differenz zwischen der akademischen Bestimmung als buddhistisch und dem Selbstverständnis der Akteure als buddhistisch/nicht-buddhistisch. Im westlichen buddhistischen Feld kommt es zu gegenseitigen Beeinflussungen und Überlappungen schon allein dadurch, dass einige Forscher auf diesem Gebiet selbst praktizierende Buddhisten sind (vgl. Prebish 1999: 173 – 202).

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buddhistisch herangezogen werden (vgl. Lopez 1995b: 12; Tweed 2011: 22). Für viele Praktizierende gilt die Zufluchtnahme als eine eindeutige Demarkation ihres Selbstverständnisses als buddhistisch.25 Demnach ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich hier eine Übereinstimmung zwischen äußerlicher Zuschreibung und dem Selbstbild der Akteure findet, recht groß. Die Schwierigkeit dieses Definitionskriteriums liegt hier, neben den normativen Implikationen, noch an einer ganz anderen Stelle: In einigen Therava¯da-buddhistischen Kontexten gehört eine Rezitation der Zufluchtnahme zu den drei Juwelen zur regelmäßigen Praxis, unabhängig davon, ob die einzelnen Besucher dieser Termine in einem offiziellen Ritual Zuflucht genommen haben oder nicht. Der regelmäßige Vollzug von Zufluchtnahme-Rezitationen ist hier also nicht gleichzusetzen mit dem formellen Vollzug der aktiven Zufluchtnahme, der für viele Praktizierende den Akt des Buddhist-Werdens darstellt. Andererseits können sich Akteure als buddhistisch verstehen, obwohl sie den Schritt der Zufluchtnahme bisher nicht vollzogen haben oder gar nicht beabsichtigen, dies zu tun.26 Auch mit dem Kriterium der Zufluchtnahme ist folglich keine eindeutige und sinnvolle Bestimmung dafür gegeben, wer als buddhistisch gilt und wer nicht. Die Mitgliedschaft in einer buddhistischen Gruppe, Organisation oder Institution dient ebenfalls nicht als hinreichendes Differenzierungsmerkmal zwischen Buddhisten und Nicht-Buddhisten. So können sich Akteure trotz jahrelanger Mitgliedschaft in einer Zen-Gruppe dennoch ganz explizit nicht als Buddhisten betrachten. Andererseits treten Doppelmitgliedschaften auf, wenn Akteure sowohl in buddhistischen Gruppen aktiv als auch gleichzeitig Mitglied in einer der christlichen Kirchen sind.27 Hinzuweisen ist auch auf die Möglichkeiten zur Praxis des Zazen im explizit christlich-kirchlichen Kontext.28 Diese Umstände machen eine eindeutige Zuordnung unmöglich und

25 Diese Aussage trifft auf die große Mehrzahl zu, wie die Daten der Studie zeigen: Von den Befragten hatten insgesamt 140 Personen Zuflucht genommen und 66 Personen hatten diesen formellen Akt nicht vollzogen (18 Personen machten keine Angabe dazu). Von den 140 Befragten verstanden sich 128 selbst als Buddhist/Buddhistin, drei Probanden verneinten dies explizit und neun waren unentschieden hinsichtlich ihres Selbstverständnisses als buddhistisch. 26 In der Befragung gaben 15 Personen an, sich selbst als Buddhist/Buddhistin zu verstehen, hatten jedoch den Akt der formellen Zufluchtnahme nicht vollzogen und beabsichtigten dies auch für die Zukunft nicht. 27 So waren zwanzig Befragte dem Selbstverständnis nach Buddhisten/Buddhistinnen, gehörten jedoch gleichzeitig einer der christlichen Kirchen an (fünf waren Mitglied der Römisch-katholischen Kirche, 15 waren Mitglied der Evangelischen Kirche Deutschland). 28 Der Jesuit und Zen-Meister Hugo M. Enomiya-Lasalle (1898 – 1990) ist sicherlich nur der prominenteste Vertreter (z. B. Enomiya-Lasalle 1987). Enomiya-Lasalle war als jesuitischer Missionar in Japan tätig, wo er mit dem Zen-Buddhismus in Berührung kam, sich intensiv in der Zen-Praxis übte und infolgedessen eine christlich gefärbte Interpretation des Zens

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zeigen gleichzeitig, dass die religiösen Identitäten sozialer Akteure in modernen westlichen Gesellschaften – insbesondere mit Verweis auf die rechtlich verbürgte Religionsfreiheit und die Möglichkeit des Einzelnen zur freien Wahl seiner Religion – z. T. hybrid und flexibel sind (vgl. Keupp 1988; Keupp/Ahbe/ Gmür et al. 2006). Dennoch sind hybride religiöse Identitäten kein Spezifikum der Moderne, sondern bereits in der Historie und in außereuropäischen Kontexten vorfindbar (vgl. Tweed 2002: 29 Fn. 2). Die Vorstellung einer klar definierbaren religiösen Identität basiert auf der Annahme, dass Religionen eindeutig bestimmbare und voneinander abgrenzbare Traditionen darstellen. Dabei handelt es sich um eine Annahme, die zunehmend kritisch hinterfragt wird (vgl. Gladigow 1995; Kippenberg 1995; Ahn 2001; Hock 2002). Religiöse Traditionsgefüge werden nun vielmehr als Resultat dynamischer Prozesse des Kontaktes, des Austauschs und der Interaktion betrachtet (vgl. Stolz 1996; Stausberg 1998: 1 – 32).

Versuche der Kategorisierung buddhistischer Akteure Jan Nattier wählt zur Kategorisierung westlicher buddhistischer Akteure einen Zugang, der nicht auf der essentialistisch-normativen Unterscheidung buddhistisch/nicht-buddhistisch beruht, sondern die Einbindung von Akteuren in Organisationsstrukturen und ihre Aktivitäten berücksichtigt (vgl. Nattier 1998). Die Bestimmung verschiedener Akteurstypen richtet sie an der churchsect-cult-Typologie von Rodney Stark und William Sims Bainbridge (1985) aus. Sie bezieht sich insbesondere auf die dritte Kategorie cult, die von Stark und Bainbridge im Sinne einer genuin neuen religiösen Bewegung verstanden wird, die nicht aus einer bestehenden religiösen Institution hervorgegangen ist. Im Bewusstsein der negativen Konnotationen des Kult-Begriffes29 sieht Nattier dennoch analytisches Potential zur Klassifizierung westlicher buddhistischer Akteure in den von Stark und Bainbridge entworfenen Subkategorien gegeben. Die drei Subkategorien des Kult-Typus sind der audience cult, der client cult und das cult movement. Diese Subkategorien orientieren sich am Grad der Organisation und der Einbindung eines Akteurs. Bezogen auf den Buddhismus im Westen ist Nattier zufolge der gelegentliche Besuch eines Vortrages zum Thema Buddhismus, dann und wann die Lektüre eines budentwickelte und popularisierte. Ein weiteres prominentes Beispiel ist der Benediktinermönch und Zen-Lehrer Willigis Jäger (geb. 1925). 29 Gemeinschaften, die mit dem Begriff cult belegt werden, werden in der amerikanischen Öffentlichkeit häufig als in Lehre, Ethos und Praxis abweichend von den tradierten, »anerkannten« Religionen betrachtet und gelten daher als »falsche Religionen«, die von »Kultführern« autoritär geleitet und ihre Mitglieder ausbeuten würden (vgl. Chryssides 1994; Lewis 1998: 22).

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dhistischen Buches oder der Bezug einer buddhistischen Zeitschrift charakteristisch für den audience cult. Um in diese Kategorie zu zählen, reiche ein vages Interesse am Themenfeld Buddhismus aus. Die Einbindung in eine Gruppe, das regelmäßige Ausführen religiöser Praktiken oder das Teilen bestimmter buddhistischer Überzeugungen treten bei diesem Typus nicht auf. Zudem sei häufig eine Einbindung in verschiedene audience cults beobachtbar (vgl. Nattier 1998: 186). Die zweite Subkategorie, der client cult, sei durch einen höheren Grad an Involviertheit im Sinne einer persönlichen Interaktion mit einem Vertreter des westlichen buddhistischen Feldes gekennzeichnet. Die Beziehung zu spezialisierten Akteuren erschöpfe sich zumeist in der Vermittlung spezifischer Techniken für konkrete Bedürfnislagen und entspreche damit einem hierarchischen Verhältnis – vergleichbar dem Verhältnis zwischen einem Lehrer und seinem Schüler oder einem Therapeuten und seinem Klienten. Der client cult setze daher keine dauerhaften Gruppenbildungsprozesse oder Zugehörigkeiten voraus und schließe keine Beziehungen auf der horizontalen Ebene mit anderen »Kunden« oder »Klienten« ein. Sowohl im audience cult als auch im client cult besteht laut Nattier die Möglichkeit zur teilweisen Beeinflussung der Weltansichten der Akteure durch buddhistische Ideen und Konzepte. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine notwendige Bedingung. Zumeist sei ein Verhaftetsein im religiösen Herkunftskontext zu beobachten und vereinzelte Vorstellungen würden additiv rezipiert (vgl. Nattier 1998: 186). In der dritten Kategorie, der des cult movement, sei jedoch eine gravierende Veränderung der religiösen Identität, bewirkt durch einen Konversionsprozess, das charakteristische Element. Aufgrund dieser Annahme erscheint mir die Spanne von den ersten beiden Subkategorien hin zur dritten Subkategorie, die eine grundlegende Verschiebung der religiösen Identität durch einen Konversionsprozess mit sich bringe, zu groß. Hier bedarf es einer zusätzlichen Differenzierung zwischen der zweiten und der letzten Subkategorie. Auf Basis von Nattiers Überlegungen könnte man nämlich zu dem Schluss kommen, dass bei westlichen Akteuren nicht nur von einer zusätzlichen Annahme buddhistischer Vorstellungen, sondern von einer vollständigen Übernahme dieser Konzepte anstelle der früheren religiösen Überzeugungen auszugehen ist. Eine solche Annahme scheint jedoch problematisch, berücksichtigt sie doch weder die zum Teil hybriden Kontexte, in denen sich Akteure zeitgleich bewegen können, noch die fluiden Identitäten sozialer Akteure (vgl. Keupp/Ahbe/Gmür et al. 2006; Reckwitz 2008a). Dennoch ist Nattier zufolge mit diesem Modell eine flexiblere Sichtweise auf Akteure im westlichen buddhistischen Feld und deren variable Relationen zu diesem Kontext möglich. Die Autorin verweist selbst auf zwei Schwächen des Modells. Zum einen erfolgt die Kategorisierung auf der Ebene der Organisation

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und nicht auf der des Akteurs. Der Fokus ist hier weg von der Institution hin zum individuellen Praktizierenden zu richten, um die spezifischen Dynamiken buddhistischer Gruppen im westlichen Kontext adäquat erfassen zu können. So lassen sich dann innerhalb einer buddhistischen Gruppe oder Organisation Akteurstypen aller drei Kategorien wiederfinden. Problematisch ist zum anderen die Ausgangsannahme einer genuin neuen religiösen Bewegung, selbst wenn diese in ihrem Herkunftskontext bereits eine lange Tradition aufzuweisen hat. Nattier schlägt daher vor, zwischen tatsächlich neuen religiösen und transplantierten religiösen Bewegungen zu unterscheiden. Der Vorteil dieses Modells besteht in der Klassifikation der Akteure im westlichen buddhistischen Kontext nach deren bevorzugten Handlungen, dem Grad des Eingebundenseins in institutionelle Kontexte und der Relevanz buddhistischer Vorstellungen und Praktiken für ihren Alltag. So umgeht dieses Klassifikationsschema die Buddhist/Nicht-Buddhist-Dichotomie und schlägt stattdessen ein dreistufiges Modell vor. Eine Typisierung der Akteure nach einem solchen Schema hat allerdings den Nachteil, dass sie der biographischen Dynamik der Akteure häufig nicht gerecht wird, die sich gleichermaßen in einer Zunahme als auch einer Abnahme des Grades des Involviertseins in verschiedenen Lebensphasen äußern kann. Der Rekurs auf das Modell von Stark und Bainbridge scheint auf den ersten Blick fruchtbar zu sein für die inhaltliche Ausgestaltung der Akteurstypen und zur Beschreibung des westlichen buddhistischen Kontextes. Der Rückgriff auf die Kult-Terminologie ist jedoch aufgrund der damit verbundenen negativen Konnotationen problematisch. Thomas Tweed führt neben der Differenzierung zwischen Buddhisten und Nicht-Buddhisten zusätzlich die Kategorie Sympathisant ein (vgl. Tweed 2002). Dieser Typus sei durch eine gewisse Sympathie gegenüber dem Buddhismus gekennzeichnet, ohne diese Tradition ausschließlich und vollständig zu übernehmen. Im Alltag und Umfeld dieses Akteurstyps gäbe es zahlreiche Hinweise auf sein Interesse am Buddhismus, wie zum Beispiel bestimmte Einrichtungsgegenstände mit buddhistischem Flair, das Abonnement einer buddhistischen Zeitschrift oder das Praktizieren von Zazen. Als (Bett-)Lektüre greife der Sympathisant auf buddhistische Literatur zurück, weshalb Tweed diesen Typus auch als »Nachttisch-Buddhisten« (Tweed 2002: 20) bezeichnet. Dennoch würden Vertreter diese Akteurskategorie auf Nachfrage sich nicht selbst als Buddhisten betrachten. Im westlichen buddhistischen Kontext scheint dieser Akteurstyp der am häufigsten auftretende Typus zu sein. In der Geschichte der Rezeption und Verbreitung des Buddhismus im Westen dürfte dieser Typus Tweed zufolge bei der Popularisierung buddhistischer Ideen und Vorstellungen eine entscheidende Rolle gespielt haben (vgl. Tweed 2002). Das entscheidende Kriterium für die Bestimmung von Akteuren als buddhistisch ist für Tweed deren Selbstverständnis (vgl. Tweed 2002). Auch inner-

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halb der Religionswissenschaft ist in den letzten Jahren vermehrt dafür plädiert worden, bei der Bestimmung von Akteuren oder Organisationen als religiös beziehungsweise als Religion das Selbstverständnis der Akteure zu berücksichtigen (vgl. Zinser 1997: 162; Prohl 2004b: 261; Prohl/Rakow 2008: 6). Eine solche Bestimmung verzichtet auf eine normative Setzung, die auf eine bestimmte angebbare Menge etablierter und gemeinsam geteilter religiöser Lehren oder Praktiken Bezug nimmt. Neben dem Selbstverständnis der Akteure wurde als weiteres Kriterium die Anerkennung der Selbstdeutung der Akteure als religiös oder buddhistisch durch die soziale Umgebung herangezogen (vgl. Zinser 1997: 166; Prohl/Rakow 2008: 6). Die Bestimmung von Akteuren orientiert sich bei diesem Ansatz also an der sozialen Praxis eines bestimmbaren gesellschaftlichen Feldes. Durch dieses Zusatzkriterium soll vermieden werden, dass völlig beliebige, individuelle Selbstdeutungen als Grundlage religionswissenschaftlicher Bestimmungen herangezogen werden. Durch den Rekurs auf ein soziales Umfeld, welches das Selbstverständnis von Akteuren akzeptiert oder zumindest toleriert und damit in gewisser Weise sozial legitimiert, hält jedoch auch hier ein normativer Aspekt Einzug in die religionswissenschaftliche Bestimmung von Akteuren oder Phänomenen als religiös bzw. Religion. Der normative Aspekt liegt hier nicht vorrangig in einer orthodoxen oder orthopraktischen Bestimmung, sondern resultiert aus der Bezugnahme auf eine soziale Normierung, die in der gesellschaftlichen Anerkennung zum Ausdruck kommt und Ergebnis eines sozialen Kampfes um Deutungsmacht ist. Deutlich wird dies, wenn man rezente Fälle der Religionsgeschichte betrachtet und die sich daran entzündenden Debatten um die Anerkennung oder Aberkennung des Prädikats religiös/Religion beziehungsweise buddhistisch/Buddhismus verfolgt. Häufig sind religionswissenschaftliche Überlegungen zur Kategorisierung von Phänomenen und Akteuren im Kontext gesellschaftlicher Konflikte vollzogen worden, in denen Religionswissenschaftler als Experten konsultiert wurden. Zu nennen sind hier die Diskussion um die Frage, ob es sich bei der Church of Scientology um eine Religion handle (vgl. Thiede 1992; Grünschloß 2009; Lewis 2009: 12; Willms 2009) oder die Frage, ob die moderne religiöse Organisation Aum Shinrikyo¯ in Japan legitim als buddhistische Gemeinschaft zu betrachten sei (Pye 1996: 267; Prohl 2004b: 261). Die Anerkennung oder Aberkennung des Status einer Gemeinschaft als Religion oder des Prädikates religiös beziehungsweise buddhistisch erfolgt innerhalb eines sozialen Feldes, eingebunden in einen Kampf um Deutungsmacht. Der Rekurs auf das Selbstverständnis der Akteure stellt also einen Versuch dar, in der religionswissenschaftlichen Bestimmung nicht die normativen Setzungen konkurrierender religiöser Akteure oder etablierter Theologien als Richtschnur der Beurteilung zu übernehmen. Diese Position ist auch als »positivistisch« (Kleine 2003/04: 81) bezeichnet worden. Zwar wird mit einer positivistischen Bestimmung eine normative Set-

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zung von religionswissenschaftlicher Seite weitgehend vermieden, dennoch tritt ein Wissenschaftler, der diese Bestimmung vornimmt, neben religiösen und politischen Akteuren in den gesellschaftlichen Kampf um Deutungsmacht ein. Zu fragen wäre nun, ob sich für die Analyse religionsgeschichtlicher Dynamiken nicht Alternativen finden lassen, welche die verschiedenen Positionierungen konkurrierender sozialer Akteure in diesem Kampf um Deutungsmacht gleichermaßen in den Blick nehmen und die Relationalität der z. T. antagonistischen Positionierungen untereinander berücksichtigen. Eine solche Perspektive würde sich auf die gesellschaftlichen Praktiken der Anerkennung oder Aberkennung von Fremd- und Selbstbestimmungen gleichermaßen richten und den Fokus der Analyse nicht nur auf Phänomene und Akteure legen, die in einem spezifischen sozialen Feld als religiös oder buddhistisch bestimmt werden, sondern auch auf Phänomene und Akteure, denen diese Qualitäten abgesprochen werden beziehungsweise Akteure, die diese Bestimmung für sich negieren. Der Ausgangspunkt der Analyse würde so nicht in einer eindeutig definierten, qualifizierenden Bestimmung als religiös oder buddhistisch liegen, sondern in einer angebbaren Relation des Untersuchungsgegenstandes und sozialer Akteure zu den sozial konstruierten Kategorien religiös/Religion beziehungsweise buddhistisch/Buddhismus in einem konkret situierten historischen, kulturellen und sozialen Kontext.

Bestimmung des Buddhismus als Feld von Familienähnlichkeiten Eine alternative Bestimmung der Begriffe buddhistisch und Buddhismus stellt Ludwig Wittgensteins Konzept der Familienähnlichkeiten dar. In den Philosophischen Untersuchungen setzt sich Wittgenstein mit dem Gebrauch der Sprache und der Verwendung von Begriffen auseinander (vgl. Wittgenstein 1969) und kommt zu folgenden Feststellungen: (1) Die Bedeutung von Begriffen ist nicht einheitlich; (2) die Bedeutung von Begriffen ist nicht beliebig abzugrenzen; (3) die Bedeutung von Begriffen ist nicht fest (vgl. Krüger 1994). Diese Aussagen lassen sich ohne weiteres auf den Gebrauch des Begriffs Buddhismus anwenden. Wittgenstein demonstriert am Beispiel des Begriffs Spiel die Uneindeutigkeit im Sprachgebrauch. Bei der Betrachtung der verschiedenen Phänomene, die mit dem Begriff Spiel bezeichnet werden (z. B. Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Kampfspiele, etc.), wird bei der Suche nach dem, was all diesen Erscheinungen gemeinsam ist, deutlich, dass sich lediglich »ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen« finden lässt (Wittgenstein 1969: 324, § 66). Für diese sich unterscheidenden, sich überkreuzenden Ähnlichkeiten wählt Wittgenstein den Begriff Familienähnlichkeiten. Doch damit zielt er nicht nur auf die Vielfalt der Dinge, die sich unter einen Begriff bringen

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lassen, sondern auch auf das, was diese Vielfalt eint (vgl. Reichle/Siegel/Spelten 2007: 8). Um bei dem Beispiel des Spiels zu bleiben, könnte man nach dem spezifischen Merkmal fragen, das allen Spielen eigen ist, um diese überhaupt als Spiel zu begreifen. Der Wittgensteinsche Begriff der Familienähnlichkeit stellt einen »Gegenentwurf« (Reichle/Siegel/Spelten 2007: 8) zu einem solchen Vorgehen dar, denn nicht etwas spezifisch Gemeinsames, sondern mehrere sich überlappende Eigenschaften verbinden das Erscheinungsbild einer »Familie«. Wittgenstein nutzt zur Erläuterung das Bild eines Fadens, der nicht durch eine über die gesamte Länge des Fadens durchgehende Faser, sondern durch viele ineinander übergreifende Fasern charakterisiert ist (vgl. Wittgenstein 1969: 325, § 67). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass einige der Fasern, die dicht beieinander liegen, größere Ähnlichkeiten miteinander aufweisen als Fasern, die weiter entfernt in den Faden eingesponnen sind.30 Nach Wittgenstein sind Begriffe – und nicht nur jene, die durch Familienähnlichkeiten gekennzeichnet sind – durch »verschwommene[n] Ränder[n]« (Wittgenstein 1969: 326, § 71) gekennzeichnet. Familienähnlichkeiten sind außerdem nicht nur unter den Gegenständen anzutreffen, die ein Begriff bezeichnet, sondern können auch im Gebrauch eines Wortes liegen: Gerade hierin liegt nun aber, wie ich glaube, der Wert der Wittgensteinschen Entdeckung der Familienähnlichkeiten. Denn seine Thesen zur Ähnlichkeit erweisen sich einerseits als flexibel genug, um von unterschiedlichen Bedeutungsvorstellungen ausgefüllt zu werden; denn nicht nur von den Ähnlichkeiten von Gegenständen, die unter Begriffe fallen, sondern auch von den Gebrauchsarten eines Wortes kann man sagen, daß sie eine Familie bilden. (Krüger 1994)

Mit dem Rückgriff auf das Wittgensteinsche Konzept der Familienähnlichkeiten ist hier keine polythetische Bestimmung des Begriffs Buddhismus intendiert, wie dies in der religionswissenschaftlichen Theoriebildung durchaus für den Begriff Religion geschehen ist (vgl. Alston 1967; McDermott 1970; Southwold 1978; Byrne 1988; Lincoln 2003). Häufig bildeten Betrachtungen des Buddhismus den Ausgangspunkt dafür, die bisherigen Bestimmungen des Begriffs Religion – vor allem solche, die Gott oder Götter als zentrale Komponente anführten – zu hinterfragen und durch polythetische Bestimmungen zu ersetzen (vgl. Hudson 1977; Southwold 1978). Mit solchen Definitionsversuchen gehen jedoch einige Schwierigkeiten einher. Polythetische Definitionen sind durch einen Katalog von Attributen gekennzeichnet, der nicht notwendigerweise vollständig auf jedes Phänomen, das der

30 Mit diesem Konzept verfolgt Wittgenstein eine De-Essentialisierung und richtet sich damit gegen die platonisch-idealistische Annahme eines Wesens der Dinge (vgl. Flatscher 2002).

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so definierten Kategorie zugerechnet wird, zutreffen muss.31 Disziplingeschichtlich stellten derartige Definitionen des Begriffs Religion den Versuch eines Mittelwegs zwischen essentialistischen und funktionalistischen Religionsdefinitionen dar, indem sie die Reduktion von Religion auf eine einzige essentielle oder funktionale Eigenschaft vermieden (vgl. McCutcheon 2007: 60ff). An polythetischen Bestimmungen des Begriffs Religion in Anlehnung an Wittgensteins Familienähnlichkeiten wurde von verschiedenen Religionswissenschaftlern berechtigte Kritik geübt (vgl. Fitzgerald 1996; McKinnon 2002; McCutcheon 2007). Hingewiesen wurde u. a. auf das Problem zirkulärer Definitionen. Bei Byrne bildet beispielsweise das Sakrale das zentrale Element in der Bestimmung von Religion (vgl. Byrne 1988: 24 f). Das Sakrale wird hier jedoch in Relation zum Religiösen und umgekehrt bestimmt (vgl. Fitzgerald 1996: 231). Der Rückgriff auf das Attribut religiös zur Bestimmung von Religion findet sich auch in anderen polythetischen Definitionen wieder: Der Kriterienkatalog von Bruce Lincoln enthält z. B. den Hinweis auf »religiöse Diskurse«, die in zwei der insgesamt vier Dimensionen seiner Definition eine bedeutende Rolle spielen (vgl. Lincoln 2003: 6 f). Ein weiteres Problem mit polythetischen Definitionen ist der implizite Rückgriff auf einen Idealtypus oder Prototypen von Religion. Bei genauer Betrachtung der aufgeführten Charakteristika wird deutlich, dass diese häufig anhand eines bereits vorhandenen Verständnisses von Religion entwickelt wurden, zumeist orientiert an monotheistischen Religionen (vgl. Southwold 1978: 367; Saler 1993: 172). Dieser Prototyp bildet dann den Ausgangspunkt für den Vergleich mit anderen Phänomenen, die – je nachdem, wie viele der als charakteristisch bestimmten Familienähnlichkeiten sie aufweisen – zur Familie der Religion dazugerechnet werden können oder nicht. Einige Definitionsversuche benennen konkrete Charakteristika, die jedes Element der durch Ähnlichkeiten gebildeten Familie aufweist (bzw. aufweisen muss): [D]rawing on the terminology of Wittgenstein, I suggest that all the major historical traditions are like so many members of a family, each of which has a structural similarity and a set of defining qualities or family resemblances. […] While the structural elements – the mystical, philosophical and cultural – would seem to be sine qua non for any religious tradition as a tradition (or as a member of the religion family), it is the 31 Dieses Klassifikationssystem stammt aus den Naturwissenschaften und wurde später in die Kultur- und Sozialwissenschaften übernommen (vgl. Beckner 1959; Sneath 1962). Dabei werden monothetische und polythetische Klassen voneinander unterschieden. Monothetische Klassen sind durch ein Set von Attributen gekennzeichnet, die allen Mitgliedern dieser Klasse eigen sind; polythetische Klassen besitzen ebenfalls ein Set von Attributen, die jedoch nicht notwendigerweise von allen Phänomenen dieser Klasse gleichermaßen erfüllt werden müssen. Der Anthropologe Rodney Needham bezog sich Anfang der 1970er Jahre auf Wittgensteins Familienähnlichkeiten zur Problematisierung der herkömmlichen Konzeptualisierung der Kategorien Heirat, Verwandtschaft und Abstammung in den Sozialwissenschaften (vgl. Needham 1975).

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characteristic functions – such as integration, detachment, and transformation – that characterize the entire family and all of its members as religious. (McDermott 1970: 394, Hervorhebungen im Original)

Ein solches Vorgehen wirft die Frage auf, ob hier nicht eine sehr begrenzte Lesart des Wittgensteinschen Konzeptes vorliegt, welche die eigentlichen Stärken des Ansatzes gar nicht zur Geltung kommen lässt und die Idee der Familienähnlichkeit zu metaphorisch operationalisiert. Häufig ist das Konzept der Familienähnlichkeit als Metapher verstanden worden: So wie die Mitglieder einer Familie einen gemeinsamen Namen aufweisen, müssen auch die durch Familienähnlichkeiten gekennzeichneten Allgemeinbegriffe Phänomene bezeichnen, die ein gemeinsames Charakteristikum aufweisen. Die metaphorische Lesart der Familienähnlichkeiten widerspricht jedoch Wittgensteins Ansatz, der ja gerade aufzeigen sollte, dass es keine gemeinsame Eigenschaft, sondern nur überlappende Ähnlichkeiten gibt (vgl. Teuwsen 1988: 68ff). Sowohl McCutcheon als auch Fitzgerald kritisieren die fehlende Trennschärfe der polythetischen Definitionsversuche, die keine deutliche Unterscheidung zwischen Religion und anderen sozialen Phänomenen ermöglichen würden (vgl. Fitzgerald 1996: 216; McCutcheon 2007: 62). Wittgensteins Diktum war jedoch der Hinweis, dass die »Bedeutung eines Wortes […] sein Gebrauch in der Sprache« (Wittgenstein 1969: 311, § 43) ist. Die Bestimmung eines Begriffes im Sinne einer Definition, die klare Grenzen angibt, würde demnach eine bestimmte Verwendung oder Bedeutungszuschreibung normieren und andere verwerfen oder lediglich eine weitere zu den bereits vorhanden hinzufügen. Diese Feststellung bedeutet keineswegs, dass im Rahmen des wissenschaftlichen Arbeitens und der Theoriebildung die Definition von analytischen Kategorien oder die Formulierung von heuristischen Definitionen (mit begrenzter Reichweite) nicht sinnvoll ist. Im vorliegenden Fall stellt sich jedoch die Frage, ob sich die trennscharfe Definition einer Kategorie überhaupt mit dem Konzept der Familienähnlichkeiten vereinbaren lässt.32 Der Wittgensteinsche Ansatz der Familienähnlichkeiten eignet sich somit eher als Erfassungs- und Beschreibungsinstrument für die Heterogenität sozialer Phänomene und sozialer Praxis, die trotz ihrer Vielgestaltigkeit über Begriffe, semantische Felder und den Sprachgebrauch verknüpft sein können. Da diese Deutungszuschreibungen einem Wandel unterliegen, lässt sich keine endgültige Bedeutung für Begriffe fixieren. In der unmöglichen Fixierbarkeit einer endgültigen Bedeutung von Begriffen – darauf laufen Wittgensteins Überlegungen hinaus – liegt letztlich 32 Morton Beckner hatte bereits 1959 angemerkt, dass im Rahmen von »polytypic definitions« eine klare Grenzziehung nicht möglich ist: »[I]t leaves the borderline between K and non-K indeterminate where there is no theoretical reason for drawing the borderline at a particular point« (Beckner 1959: 25).

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auch die Unbrauchbarkeit des Ansatzes als konkretes Definitionsinstrument für wissenschaftliche Begriffe. Wittgensteins Hinweis, dass die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch in der Sprache ist, verweist darauf, dass eine Bestimmung von Begriffen unabhängig von ihrem Gebrauch in der sozialen Praxis konkreter Akteure sinnlos ist. Außerdem verweist die Aussage auf den Umstand, dass unsere wissenschaftlichen Begriffe häufig nicht auf das Feld der Wissenschaft begrenzt sind, sondern Eingang in gesellschaftliche Praxis gefunden haben, beziehungsweise dass Alltagsbegriffe als metasprachliche Kategorien für die Wissenschaftssprache etabliert werden.33 Der Rückgriff auf das Konzept der Familienähnlichkeiten ermöglicht, auf die Vielfältigkeit der Verwendungsweisen und Bedeutungszuschreibungen der Begriffe Buddhismus und buddhistisch im Gebrauch verschiedener Akteure innerhalb eines Diskursfeldes zu verweisen. Die Bedeutungen, Haltungen und Wertvorstellungen werden nicht von allen Akteuren in gleichem Maße geteilt, sondern stellen vielmehr »ein Geflecht von überlappenden ›Familienähnlichkeiten‹« (Schiffauer 2000: 325) dar. Mit diesem Verständnis lässt sich die Frage umgehen, wer oder was als buddhistisch gilt und damit legitim zum Gegenstand der Untersuchung werden kann. So wird nicht die Qualität »buddhistisch« als Bezugspunkt der Analyse genommen, sondern die vielfältigen Relationen von Akteuren und Gegenständen zum Signifikant Buddhismus bilden den Ausgangspunkt der Untersuchung gegenwärtiger Konstellationen und Transformationen im buddhistischen Feld.

Religion, Buddhismus und Tradition als soziale Konstrukte Neben der Erkenntnis, dass es sich bei Religion und Buddhismus nicht um einfach gegebene Phänomene, sondern um soziale Konstrukte handelt, ist im Zuge der Debatte um den Orientalismus (vgl. Said 1979) und unter dem Einfluss postkolonialer Kritik innerhalb der Religionswissenschaft vermehrt darauf hingewiesen worden, dass es sich um westliche Konstrukte handelt. Unter Rückgriff auf diese westlichen Konstrukte vollzog sich die Systematisierung heterogener religiöser Vorstellungen und Praktiken in Asien nach einem christlich-protestantischen Modell (vgl. Almond 1988; Masuzawa 2005: 121 – 146; Kollmar-Paulenz 2007).34 Bestritten wurde infolgedessen, dass andere 33 McKinnon zeigt das sehr anschaulich für den Begriff Religion. McKinnons Darstellung ist als Replik auf Fitzgeralds Kritik an Definitionsbestrebungen des Begriffs Religion zu lesen, der den Begriff grundsätzlich für verzichtbar hält (vgl. Fitzgerald 1996; McKinnon 2002). 34 Zum Verhältnis von Orientalismus, postkolonialer Theorie und Religionswissenschaft vgl. King (2002; 2005); zur Kritik am Begriff Religion vgl. McCutcheon (1997), Dubuisson (2003),

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Kulturen Begriffe besäßen, die systematische Konzepte, Vorstellungen und Praktiken im Sinne der westlichen Begriffe Religion und Buddhismus bezeichneten (vgl. King 2002: 144; Kippenberg/von Stuckrad 2003: 41; Graf 2004: 237). Einerseits ist es zwar richtig, dass die Begriffe Religion und Buddhismus erst durch die koloniale Expansion im 19. Jh. eine globale Verbreitung erfahren haben. Seitdem sind sie jedoch aus dem globalen Diskurs nicht mehr wegzudenken und haben aufgrund der kontinuierlichen Verwendung durch Akteure auf verschiedensten Ebenen Eingang in die soziale Realität gefunden und diese geformt. So sind Akteure in verschiedenen geographischen Regionen in der Lage, sich zu dem Begriff Religion zu positionieren, wie internationale Studien zeigen (vgl. McKinnon 2002). Diese Feststellung besagt jedoch nicht, dass in verschiedenen kulturellen Kontexten identische Bedeutungszuschreibungen und Verwendungsweisen der Begriffe vorliegen müssen. Andererseits hat die Religionswissenschaftlerin Kar¦nina Kollmar-Paulenz am Beispiel mongolischer und tibetischer Begriffe gezeigt, dass es auch in asiatischen Kulturen bereits vorher Begriffe gab, die systematische Konzepte, Vorstellungen und Praktiken bezeichneten und somit die Ausdifferenzierung eines autonomen Bereiches innerhalb der Kultur anzeigten. Diese Begriffe können daher als funktionale Äquivalente zu den Begriffen Religion und Buddhismus gesehen werden, auch wenn sie nicht identische semantische Felder beschreiben (vgl. Kollmar-Paulenz 2007). Die indigenen Begriffe erlaubten sozialen Akteuren eine sprachliche Differenzierung zwischen der eigenen religiösen Tradition und fremden oder konkurrierenden Traditionen. Neben den Begriffen Religion und Buddhismus wird häufig auch die damit verknüpfte Annahme problematisiert, dass Religion etwas Geschlossenes, eindeutig Identifizierbares im Sinne einer durchgehenden, authentischen Tradition sei (vgl. Hobsbawn/Ranger 1983; Handler/Linnekin 1984; Clifford 1988). Der Buddhologe Bernard Faure macht darauf aufmerksam, dass die Idee einer Tradition auf ideologischen Vorannahmen basiert. Am Beispiel des Chan/ZenBuddhismus zeigt er das kontinuierliche Bestreben der Orthodoxie, die Einheit der eigenen Tradition herzustellen und zu sichern und dadurch die Vielfältigkeit innerhalb der Tradition und die Zufälligkeiten in ihrer Entwicklungsgeschichte zu verschleiern (vgl. Faure 1991: 16). Häufig haben Forscher diese ideologischen Konstrukte religiöser Experten in der Beschreibung religiöser Traditionen übernommen. Deutlich wird dies, so Faure, in den verwendeten religionsgeschichtlichen Modellen: Das Baummodell nehme die Existenz einer ursprünglichen, einheitlichen Tradition an, die sich im Laufe der Geschichte in verschiedene Schulen ausdifferenziert habe. Das Flussmodel gehe davon aus, dass Asad (1993). Für einen Überblick über die Entwicklungsgeschichte des Begriffs und die damit verknüpfte Problematik des Eurozentrismus vgl. Ahn (1997b), Smith (1998).

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verschiedene Strömungen zusammengeflossen seien und sich schließlich in einem einzigen Hauptstrom vereint hätten (vgl. Shaw/Stewart 1994: 16). Dieses Modell nimmt zwar die ursprüngliche Vielfältigkeit einer Tradition an, dennoch impliziert es ein teleologisches Streben nach der Einheit einer Tradition (vgl. Faure 1991: 13). Um auf den Konstruktionscharakter der Idee von Tradition zu verweisen, die aus einer Vielfalt antagonistischer doktrinärer wie hierarchisch konkurrierender Positionen bestand und besteht, spricht Faure im Hinblick auf den Chan/Zen-Budhismus von einer »differential tradition« (Faure 1991: 11). Auch in der Religionswissenschaft ist in den letzten Dekaden das herkömmliche Bild von Religionen als singuläre, kontinuierliche und in sich geschlossene Traditionen zunehmend in Frage gestellt worden (vgl. Schiffauer 2000: 328). Religionen sind vielmehr als variable Gebilde zu betrachten, die historischen Anpassungs- und Veränderungsprozessen unterliegen, bedingt durch den Wandel sozialer und kultureller Gegebenheiten. In diesen Transformationsprozessen kann die Relation zu anderen Religionen (z. B. im Sinne einer Konkurrenz oder Koexistenz) ein entscheidender Einflussfaktor sein (vgl. Shaw/ Stewart 1994: 16; Gladigow 1995; Kippenberg 1995; Ahn 2001: 14). Es scheint daher unangebracht, das vielgestaltige Traditionsgefüge, das mit dem Begriff Buddhismus umrissen wird, als ein singuläres, in sich geschlossenes System zu betrachten. Die Herausforderung im Umgang mit einem derart differenzierten und diversifizierten Gegenstandsbereich besteht darin, geeignete theoretische und analytische Werkzeuge zu finden, die diesem Umstand Rechnung tragen. In neueren Arbeiten ist für eine kulturwissenschaftliche Perspektive auf mögliche religionswissenschaftliche Forschungsgegenstände plädiert worden, die als kulturelle Phänomene begriffen werden (vgl. Gladigow 1988; Sabbatucci 1988; Ahn 2001; Kippenberg/von Stuckrad 2003; Bergunder 2008). Eine kulturwissenschaftliche Herangehensweise geht von der Kontingenz sozialer Praktiken und Diskurse aus und erfordert daher eine konsequente historische, soziale und kulturelle Kontextualisierung des Gegenstandes (vgl. Reckwitz 2008b). In kulturwissenschaftlicher Perspektive erfolgt die Bestimmung des Gegenstandes anhand der sozialen Praktiken und Diskurse einer Gesellschaft, denn die »Gegenstände kulturwissenschaftlicher Forschung sind nichts anderes als historische Arte- und Menefakte [sic!]« (Bergunder 2008: 491), die von historisch- und lokal-spezifischen und damit kontingenten Wissensordnungen abhängen. Der Ausgangspunkt einer Untersuchung kann daher weder die Annahme eines Phänomens sui generis noch die normative Setzung eines Gegenstandsbereiches Religion oder Buddhismus durch den Wissenschaftler sein. Eine kulturwissenschaftliche Herangehensweise ermöglicht vielmehr, die wechselseitige Bezogenheit von Forschungsgegenstand und wissenschaftlicher Betrachtung in den Blick zu nehmen (vgl. Böhme/Matussek/Müller 2000: 108ff; Bergunder 2008: 491; Reckwitz 2008b). Das wissenschaftliche Arbeiten ist ein sozialer

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Das Forschungsfeld Buddhismus im Westen – Eine Problematisierung

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Prozess und als solcher Teil der sozialen und diskursiven Praxis einer Gesellschaft, die den Ausgangspunkt für die Bestimmung des Gegenstandsbereiches bildet.

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3.

Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

Each religion, then, is a flowing together of currents – some institutionally enforced as »orthodox« – traversing channels, where other religions, other transverse confluences, also cross, thereby creating new spiritual streams. Religions cannot be reduced to economic forces, social relations, or political interests, but they always emerge from the swirl of transfluvial currents, as both religious and non-religious streams propel religious flows. (Tweed 2011: 21)

Das Gefüge aus Vorstellungen, Praktiken und Ästhetiken, das von verschiedenen sozialen Akteuren als Buddhismus oder buddhistisch klassifiziert wird, kann abhängig vom historischen, kulturellen und sozialen Kontext, in dem die Akteure sich jeweils verorten lassen, mehr oder weniger stark changieren. Im Folgenden sollen drei verschiedene theoretische Perspektiven vorgestellt werden, mit denen sich, der kulturwissenschaftlichen Forderung nach einer konsequenten Kontextualisierung folgend, das Forschungsfeld Buddhismus im Westen heuristisch strukturieren und erschließen lässt. Die drei Ansätze ermöglichen jeweils auf unterschiedliche Art und Weise, die Diversität des Forschungsfeldes sowie die Interdependenzen sowohl innerhalb des Feldes als auch mit anderen gesellschaftlichen Bereichen zu konzeptualisieren. Dabei handelt es sich zum Ersten um Pierre Bourdieus Konzept des sozialen Raumes als Feld symbolischer Kämpfe, zum Zweiten um einen wissenssoziologischen diskurstheoretischen Ansatz in Anschluss an Michel Foucault und zum Dritten um Überlegungen in Anschluss an Thomas Tweeds translocative analysis zu transkulturellen Verflechtungen des westlichen buddhistischen Feldes. Bei dem Rückgriff auf diese drei verschiedenen theoretischen Perspektiven, die mehr eine Analytik im Sinne einer Heuristik denn geschlossene Theoriegebäude darstellen, ist keine Synthese intendiert, basieren sie doch zum Teil auf unterschiedlichen epistemologischen Interessen und theoretischen Voraussetzun-

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

gen.1 Vielmehr soll von der Unterschiedlichkeit der theoretischen Perspektiven auf den Gegenstandsbereich, die in einigen Aspekten konvergieren mögen und in anderen voneinander abweichen (ohne jedoch zwingend einen Widerspruch zu implizieren), profitiert werden. Jeder der drei theoretischen Zugänge ermöglicht ein Denken des Gegenstandes jenseits von »Substanzen, Kontinuitäten und Entitäten« (Schiffauer 2000: 328) und wird somit einem religionswissenschaftlichen Zugang gerecht, der sich dem kulturwissenschaftlichen Diktum nach Historisierung und Kontextualisierung verpflichtet fühlt.

3.1

Buddhismus im Westen als Feld symbolischer Kämpfe

Die von mir bisher vorgenommene Skizzierung und Problematisierung des Forschungsfeldes Buddhismus im Westen hat ein vielgestaltiges Gefüge von Vorstellungen, Praktiken und Ästhetiken sowie Akteuren und Institutionen aufgezeigt. Dabei handelt es sich nicht um ein bloßes Nebeneinander verschiedenster Phänomene und Akteursgruppen, sondern um ein komplexes Zusammenspiel gegenseitiger Einflüsse und Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Bereichen des beschriebenen Feldes sowie durch Faktoren aus anderen Gesellschaftsbereichen. Bisher wurde der Begriff Feld als Beschreibungskategorie ohne weitere theoretische Spezifizierung verwendet. In Anlehnung an Pierre Bourdieus Konzept des Feldes soll nun die Struktur und Funktionsweise des buddhistischen Feldes theoretisch näher bestimmt werden. Eine kurze Rekapitulation des theoretischen Konzeptes und der Begrifflichkeiten Bourdieus vorab ist an dieser Stelle sinnvoll.

Pierre Bourdieu: Habitus – Feld – Kapital Die drei zentralen Elemente dieses theoretischen Entwurfs sind die Konzepte Habitus, Feld und Kapital, die relational zueinander funktionieren: »Die Begriffe sind nur analytisch trennbar : Der Habitus verbindet Akteur und Feld, die Struktur des Feldes ergibt sich aus der Kapitalstruktur, die Kapitalstruktur bedingt die Konstituierung des Habitus« (Kajetzke 2008: 54). Mit dem Konzept des Habitus beschreibt Bourdieu das »Dispositionssystem sozialer Akteure« 1 Verschiedene Autoren haben auf die Differenzen zwischen diskurstheoretischen Grundannahmen Foucaults und Bourdieus Konzeption von Feld und Habitus verwiesen (vgl. Callewaert 2006; Loc Wacquant 2006: 77 f); andere Autoren haben bereits Theoriesynthesen vorgelegt (vgl. Bublitz 1999a; 1999b; Diaz-Bone 1999; 2002; Schwab-Trapp 2001).

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Buddhismus im Westen als Feld symbolischer Kämpfe

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(Schwingel 1995: 53).2 Bourdieu entwirft den sozialen Akteur, genauer dessen Habitus, als gesellschaftlich prädeterminiert. Den Prägungen des Habitus kommt eine entscheidende (wenn auch nicht ausschließliche) Rolle in gegenwärtigen wie zukünftigen Handlungen zu: Die Konditionierungen, die mit einer bestimmten Klasse von Existenzbedingungen verknüpft sind, erzeugen die Habitusformen als Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen, als strukturierte Strukturen, die wie geschaffen sind, als strukturierende Strukturen zu fungieren, d. h. als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen, die objektiv an ihr Ziel angepaßt sein können, ohne jedoch bewußtes Anstreben von Zwecken und ausdrückliche Beherrschung der zu deren Erreichung erforderlichen Operationen vorauszusetzen, die objektiv »geregelt« und »regelmäßig« sind, ohne irgendwie das Ergebnis der Einhaltung von Regeln zu sein, und genau deswegen kollektiv aufeinander abgestimmt sind, ohne aus dem ordnenden Handeln eines Dirigenten hervorgegangen zu sein. (Bourdieu 1993a: 98 f, Hervorhebungen im Original)

Der Habitus eines Akteurs ist demnach nicht angeboren, sondern gesellschaftlich erworben. Er beruht auf individuellen und kollektiven Erfahrungen und prägt so die Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata und gewährt ihre aktive Präsenz in Praktiken und Vorstellungen des Akteurs (vgl. Bourdieu 1993a: 101). Das Dispositionssystem des Habitus bildet die Grundlage dessen, was Bourdieu als »le sense pratique«3 bezeichnet hat, denn es dient dem sozialen Akteur als Orientierungssinn innerhalb der sozialen Welt und ermöglicht die Hervorbringung angemessener Praktiken4 in der sozialen Welt oder spezifischen Praxisfeldern. Die habituellen Dispositionen schreiben sich in den Körper eines sozialen Akteurs ein und bedingen so z. B. auch Körperhaltung, Bewegung und Sprechart, d. h. die körperliche Hexis eines Akteurs (vgl. Bourdieu 1993a: 136). Die gesellschaftliche Prädetermination des Habitus als ein Dispositionssystem kommt durch die spezifische Position zustande, die ein Akteur oder eine Gruppe von Akteuren in der Sozialstruktur einer Gesellschaft einnimmt. Der Habitus formt sich durch die Inkorporation der äußeren gesellschaftlichen 2 Mit dem Begriff Habitus wird allgemein Erscheinungsbild, Haltung, Anlage, Gewohnheit oder Lebensweise eines Menschen bezeichnet. Der Begriff ist bereits vor Bourdieu von verschiedenen Philosophen und soziologischen Theoretikern, u. a. Hegel, Husserl, Weber, Durkheim und Mauss, mehr oder weniger theoretisch verwendet worden (vgl. Bourdieu 1992b: 30). In Bourdieus Theorieentwurf nimmt der Habitus als »soziologisches Interpretationsinstrument bzw. als ein Analysekonstrukt« (Engler 2003: 235) einen hohen Stellenwert ein (vgl. Schwingel 1995: 54). 3 Siehe die gleichnamige Publikation von Pierre Bourdieu (1980): Le sens pratique. Paris: Les ¦ditions de Minuit. Im Deutschen wird »le sense pratique« häufig als sozialer Sinn wiedergegeben. Siehe dazu die Übersetzung von Günter Seib (vgl. Bourdieu 1993a). 4 Angemessen bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Praktiken, die »sinnvoll, d. h. mit Alltagsverstand ausgestattet sind« (Bourdieu 1993a: 127).

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

Bedingungen des Daseins, die innerhalb der Gesellschaft ungleich (nämlich klassenspezifisch) verteilt sind. Der Akteur wird bei Bourdieu durch drei aufeinander bezogene Begriffe konstruiert: durch die erworbenen Dispositionen (Habitus), die soziale Position und die Position, die dieser Akteur bezieht, verstanden als die Wahrnehmung seiner Dispositionen und seiner sozialen Position durch andere Akteure. Die Position, die jemand bezieht, zeigt gleichzeitig die Machtposition eines Akteurs gegenüber anderen Akteuren an, die wiederum von seinen Dispositionen und seiner sozialen Position bedingt ist (vgl. Papilloud 2003: 30 – 35). Die spezifische Stellung eines Akteurs im sozialen Raum und sein Dispositionssystem wiederum sind abhängig von den dem Akteur zur Verfügung stehenden Ressourcen an ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital. Der Begriff Kapital ist bei Bourdieu nicht auf das ökonomische Kapital beschränkt, denn ökonomisches Kapital, im Sinne von Geld oder Eigentumsrechten, stellt nur eine mögliche Erscheinungsform des Kapitals dar. Bourdieu unterscheidet drei prinzipielle Kapitalsorten, mit denen Akteure unterschiedlich ausgestattet sein können: ökonomisches Kapital (materieller Besitz), kulturelles Kapital (Wissen, Bildung, Titel, Manieren, etc.) und soziales Kapital (Netzwerk sozialer Beziehungen und die damit verknüpften Ressourcen) (vgl. Bourdieu 1983). Kulturelles Kapital tritt in drei Erscheinungsformen auf: In inkorporierter Form erscheint es als Wissen oder Bildung und umfasst sowohl Allgemeinwissen als auch spezifisches Wissen sowie Verhaltensweisen, soziale Kompetenzen und Manieren. Wissen und Bildung sind das Ergebnis gesellschaftlicher Arbeit, welche durch den Akteur selbst sowie durch Unterstützung seiner Familie im Verlauf der Sozialisation und in Bildungsinstitutionen durch die Investition von Zeit (und Geld) erworben wurde. In objektivierter Form liegt kulturelles Kapital als kulturelle Güter vor (z. B. Bücher, Kunstgegenstände, Musikinstrumente), wobei deren Aneignung beziehungsweise der Umgang mit ihnen durch inkorporiertes kulturelles Kapital ermöglicht wird. Drittens erscheint kulturelles Kapital in institutionalisierter Form als gesellschaftlich anerkannte schulische und universitäre Bildungstitel. Die drei Kapitalsorten (ökonomisch, kulturell und sozial) können die Erscheinungsform des symbolischen Kapitals annehmen. Symbolisches Kapital lässt sich als soziale Legitimation betrachten. Der Besitz von symbolischem Kapital ermöglicht, dass Akteure andere Akteure im Feld, ihre Handlungen oder ihr Besitz als legitim anerkennen. Das symbolische Kapital hat Bourdieu daher auch als »Kapital an Ehre und Prestige« (Bourdieu 1979: 348) beschrieben. Die drei Kapitalsorten transformieren sich durch die sinnhafte Wahrnehmung von Akteuren in symbolisches Kapital (vgl. Bourdieu 2006b: 151), das mit Machtwirkungen versehen ist (vgl. Kajetzke 2008: 59 – 64). Bei Bourdieu wird eine Gesellschaft, verstanden als sozialer Raum (soziale

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Buddhismus im Westen als Feld symbolischer Kämpfe

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Struktur) und Raum der Lebensstile (Akteurspositionen),5 in ihrer Gesamtheit durch die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche – genannt Felder – konstituiert (z. B. das Feld der Politik, das Feld der Ökonomie, das Feld der Kunst, etc.). Ein Feld bezeichnet bei Bourdieu einen hierarchisch strukturierten Raum, in dem Akteure unterschiedliche Positionen einnehmen und von diesen Standorten aus miteinander agieren oder – in Bourdieuscher Terminologie – um die Vorherrschaft in diesem Feld kämpfen. Der Grundmechanismus eines jeden Feldes besteht im »Kampf zwischen den Herrschenden und den Anwärtern auf die Herrschaft« (Bourdieu 1993b: 107), das heißt zwischen den »orthodoxen« und daher dominanten Akteuren und den »heterodoxen« und »häretischen« Akteuren, die versuchen Macht zu erlangen (vgl. Bourdieu 1993b: 109). Die Akteure ringen dabei um für ein Feld spezifische Interessen und Interessenobjekte: »Das Objekt der Kämpfe, die im Feld stattfinden, ist das Monopol auf die für das betreffende Feld charakteristische legitime Gewalt (oder spezifische Autorität)« (Bourdieu 1993b: 108). Ein Feld wird durch zwei Faktoren strukturiert, die miteinander verschränkt sind: Zum einen wird ein Feld durch die Konstellation der Machtverhältnisse der am Kampf beteiligten Akteure oder Institutionen strukturiert, d. h. durch die verschiedenen Positionen, die Akteure zu einem gegebenen Zeitpunkt im Feld einnehmen. Zum anderen wird das Feld durch den Stand der Verteilung des spezifischen symbolischen Kapitals des jeweiligen Feldes strukturiert, dessen Akkumulation im Verlauf früherer Kämpfe im Feld erfolgte und den Verlauf weiterer Kämpfe im Feld bestimmt (vgl. Bourdieu 1993b: 108). Das spezifische Kapital eines Feldes wird von Bourdieu bestimmt als das, was in einem bestimmten Feld zugleich als Waffe und als umkämpftes Objekt wirksam ist, das, was es seinem Besitzer erlaubt, Macht oder Einfluss auszuüben, also in einem bestimmten Feld zu existieren und nicht bloß eine »quantit¦ n¦gligeable« zu sein. (Bourdieu 2006a: 128, Hervorhebung im Original)

Die Strukturierung des Feldes durch unterschiedliche Machtpositionen und Kapitalverteilungen bildet eine »dynamische Situation« (Bourdieu 1987: 164), die einen fortwährenden Wandel des Feldes ermöglicht. Der Kampf im Feld, der zwischen den verschiedenen Akteuren mit unterschiedlicher Kapitalstruktur ausgetragen wird, kann wie folgt vorgestellt werden: Akteure versuchen sich von anderen rivalisierenden Akteuren zu unterscheiden, um dadurch Konkurrenz 5 Die Beschaffenheit der sozialen Welt ergibt sich für Bourdieu aus dem Zusammenwirken von Struktur und Akteur (vgl. Kajetzke 2008: 53), was auch als Homologie von sozialem Raum und Raum der Lebensstile beschrieben wird (vgl. Diaz-Bone 2002: 20ff). Mit diesem Ansatz versucht Bourdieu mit den antagonistischen Positionen von Objektivismus und Subjektivismus in den Sozialwissenschaften zu brechen beziehungsweise diese zu überwinden (vgl. Schwingel 1995: 35 – 51).

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

auszuschalten und die Monopolisierung in einem spezifischen Teilbereich des Feldes voranzutreiben. Sie unternehmen zudem Anstrengungen, andere tatsächliche oder mögliche Teilnehmer aus dem Feld auszuschließen, indem sie versuchen, Zugangsbeschränkungen oder spezifische Definitionen der Zugehörigkeit durchzusetzen (vgl. Bourdieu 2006a: 130). Bourdieu unterscheidet zwischen allgemeinen Feldern (z. B. Feld der Politik, Feld der Ökonomie, Feld der Kultur, etc.) und spezialisierten Einheiten innerhalb dieser Felder, die als Unterfelder (z. B. im Feld der Kultur: das Feld der Musik, das Feld der Literatur, etc.) bezeichnet werden (vgl. Papilloud 2003: 36). Unterfelder lassen sich in weitere Unterfelder gliedern (z. B. das Feld der Literatur gliedert sich in das Feld des Romans, das Feld des Theaters, etc.). Jedes Feld – und damit auch jedes Unterfeld – hat seine eigene spezifische Logik und seine eigenen Regularien, seinen Kampf um ein spezifisches Interessenobjekt (Bourdieu 2006a: 135). Diese Möglichkeit der Ausdifferenzierung von Feldern lässt die Frage nach den Grenzen eines Feldes aufkommen. Die Bestimmung der Grenzen des Feldes ist Teil dessen, worum Akteure in einem Feld kämpfen, wodurch Grenzen weder dauerhaft festgeschrieben sind noch sich vorab festlegen lassen (vgl. Bourdieu 2006a: 130). Mit der Aussage »in Feldbegriffen denken heißt relational denken« (Bourdieu 2006a: 126) zielt Bourdieu auf die Beziehung zwischen der objektiven Struktur der Relationen zwischen Positionen der in diesem Feld miteinander konkurrierenden Akteure und Institutionen und den Positionen, die Akteure aufgrund ihres Dispositionssystems (Habitus) als strukturiertes System ihrer Praktiken und Äußerungen einnehmen (vgl. Bourdieu 2006a: 136). Habitus und Feld sind daher als ein doppelseitiges Verhältnis zu betrachten, in dem das habituelle System der Dispositionen als internalisierte gesellschaftliche Verhältnisse in Form von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata eine Seite dieses Verhältnisses bildet und das Feld als die externen, objektiven Strukturen komplementär dazu die andere Seite dieses Verhältnisses darstellt: »Die soziale Realität existiert sozusagen zweimal, in den Sachen und in den Köpfen, in den Feldern und in den Habitus, innerhalb und außerhalb der Akteure« (Bourdieu 2006b: 161). In einer dialektischen Beziehung von Habitus und Feld stellen sich soziale Akteure und soziale Welt über die soziale Praxis gegenseitig her (vgl. Schwingel 1995: 70 f; Engler 2003: 236). An den Überlegungen zum religiösen Feld, die Bourdieu bereits 19716 formuliert und später noch einmal aktualisiert hat (vgl. Bourdieu 1992a), lassen sich Struktur und Funktionsweise eines Feldes exemplarisch darstellen. Im religiösen 6 Pierre Bourdieu (1971): »GenÀse et structure du champ religieux.« In: Revue franÅaise de Sociologie XII, 295 – 334; später auf Deutsch erschienen unter dem Titel »Genese und Struktur des religiösen Feldes« in Bourdieu (2000).

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Buddhismus im Westen als Feld symbolischer Kämpfe

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Feld führen religiöse Spezialisten oder Produzenten religiöser Heilsgüter, die mit unterschiedlichen Machtpositionen und symbolischem Kapital ausgestattet sind, einen Kampf um das religiöse Deutungsmonopol und die legitime Beeinflussung der Lebensführung der Laien und Konsumenten. Im Feld wird also um die Legitimität einer Religion oder religiösen Strömung und die Durchsetzung von Geltungsansprüchen als »orthodox« oder »heterodox« gerungen. Das spezifische symbolische Kapital des religiösen Feldes ist das religiöse Kapital, mit dem verschiedene Akteure unterschiedlich ausgestattet sind: Die »Priester« einer Kirche sind Träger eines gesellschaftlich anerkannten und institutionalisierten Kapitals an religiöser Autorität. Die konkurrierenden Akteure, wie »Propheten« oder »Zauberer«7, hingegen besitzen ein nicht garantiertes, an ihre Person gebundenes religiöses Kapital (vgl. Bourdieu 2000: 77 f). Aus der Konkurrenz von institutionsgebundenen und unabhängigen Spezialisten, deren Durchsetzung von den Laien und Konsumenten abhängt, ergibt sich die Dynamik des Feldes. Dabei agieren die Priester der Kirche als Monopolinhaber und Verteidiger, indem sie versuchen, das Eindringen anderer Konkurrenten oder »Heilsunternehmer« (Bourdieu 2000: 77) in das Feld zu unterbinden. Gleichzeitig stellt das Auftreten von »Sekten« oder »Propheten« das Monopol der Kirche in Frage. Aufgrund der ihnen immanenten Kämpfe gestalten sich Felder dynamisch, weshalb Deskriptionen und darauf basierende Analysen nur temporäre Gültigkeit haben können, da sie einen bestimmten historischen Zeitpunkt beschreiben, der das Resultat vorausgegangener Kämpfe ist und gleichzeitig den Antrieb weiterer Veränderungen bildet. So beschreibt Bourdieu zu einem späteren Zeitpunkt für die Gegenwart die »Auflösung des Religiösen« (Bourdieu 1992a: 231): Heutzutage besteht also ein unmerklicher Übergang von den Geistlichen alten Schlags […] zu Mitgliedern von Sekten, Psychoanalytikern, Psychologen, Medizinern (Psychosomaten, Heilpraktiker), Sexologen, Lehrern diverser Formen des körperlichen Ausdrucks und asiatischer Kampfsportarten, Lebensberatern, Sozialarbeitern. Alle sind Teil eines neuen Feldes von Auseinandersetzungen um die symbolische Manipulation des Verhaltens im Privatleben und die Orientierung der Weltsicht, und alle setzen sie in ihrer Praktik konkurrierende, antagonistische Definitionen der Gesundheit, der Heilung, der Kur von Leib und Seele um. (Bourdieu 1992a: 233)

Bourdieu beschreibt hier die Auflösung der vormals deutlich gezogenen Grenzen des religiösen Feldes, wodurch sich das Verhältnis des religiösen Feldes zu anderen Feldern, die auf die Heilung von Körper und Seele ausgerichtet sind 7 In Bourdieus Überlegungen zum religiösen Feld wird der Einfluss der sozialökonomischen Perspektive Max Webers deutlich. So übernimmt er auch die Typologie der religiösen Rollen von »Priester«, »Prophet« und »Zauberer« (vgl. Weber 1972: 245 – 261).

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

(Medizin, Therapie, Psychologie, Sozialarbeit u. a.), und die Logik der Auseinandersetzungen in diesen Feldern verändert. Auf diese Weise entsteht ein neues Feld der »symbolischen Manipulation« (Bourdieu 1992a: 233) der Weltsicht und der Lebensführung, in dem konkurrierende Akteure um eine neue Definition von Heilung und Gesundheit und eine neue Festsetzung der Kompetenzgrenzen zwischen Wissenschaft und Religion kämpfen. Als Faktor für die Veränderungen gibt Bourdieu die sozialstrukturellen Transformationen der Gesellschaft an, die gleichermaßen im religiösen Feld wie auch im Feld der symbolischen Macht und im sozialen Feld Wirksamkeit entfalten. Dazu zählen der Anstieg des Bildungsniveaus, die Urbanisierung und Privatisierung des Lebens sowie die Psychologisierung der Erfahrung. Diese Entwicklungen haben Auswirkungen sowohl auf die Produzenten als auch auf die Konsumenten, d. h. auf Angebot und Nachfrage heilsspezifischer Dienstleistungen, und führen zu einer Veränderung der Struktur des Feldes, einschließlich seiner Monopolisierungen und Grenzen. In der Religionssoziologie wurde der theoretische Beitrag Bourdieus vor allem aufgrund seiner Anwendbarkeit auf gegenwärtige europäische Verhältnisse rezipiert, die durch eine sich pluralisierende religiöse Lage bei gleichzeitiger Vorherrschaft einzelner Religionen gekennzeichnet ist (vgl. Knoblauch 1999: 212; Gabriel/Reuter 2004: 29). Dennoch eignet sich das theoretische Modell auch zur Erfassung historischer religiöser Settings, da Pluralität kein ausschließliches Phänomen der Moderne ist.

Das buddhistische Feld im Westen als Feld symbolischer Kämpfe Das buddhistische Feld im Westen8 kann in Anlehnung an Bourdieu als ein sozial strukturierter Raum begriffen werden, innerhalb dessen unterschiedliche Akteure darum ringen, Buddhismus zu definieren bzw. darum kämpfen, welche westlichen Adaptionen legitim als Buddhismus gelten und mit Autorität ausgestattet werden (vgl. Bhushan/Zablocki 2009). Man kann das Interessenobjekt, um das im buddhistischen Feld gefochten wird, auch mit der Frage umreißen, 8 Ich verwende den Feldbegriff als heuristisches Konstrukt, durch das ein spezifischer Ausschnitt gesellschaftlicher Wirklichkeit herausgegriffen und analytisch fassbar gemacht wird. Der Begriff buddhistisches Feld bezieht sich hier auf ein relationales Gefüge von Akteuren, ihren Dispositionen und sozialen Positionen sowie den dadurch angeregten sozialen Praktiken in Bezug auf den Signifikant Buddhismus. Der Zusatz im Westen verweist dabei auf eine forschungspragmatische Fokussierung auf einen regionalen Kontext, die jedoch nicht die Ausblendung von transkulturellen oder globalen Wechselwirkungen intendiert. Die vereinfachende Verwendung des Begriffes Westen geschieht hier unter der Berücksichtigung, dass dieser Begriffsgebrauch keine homogene Entität impliziert, sondern dass die damit gemeinten geographischen Regionen durch eine soziale, kulturelle und politische Heterogenität geprägt sind.

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Buddhismus im Westen als Feld symbolischer Kämpfe

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die Helen Waterhouse in ihrem gleichnamigen Artikel gestellt hat: »Who says so?« (vgl. Waterhouse 1999). Die Frage zielt darauf ab, wer als legitimer Repräsentant des Buddhismus gilt, das heißt wer legitim im Namen des Buddhismus sprechen darf, aber auch, wer legitim über Buddhismus sprechen darf: »This question is of concern on a number of levels. Buddhism is represented in Britain in the press, in academia and, of course, in the groups which make Buddhist practices available to British people« (Waterhouse 1999: 21). Das buddhistische Feld kann als ein Unterfeld des von Bourdieu nach der »Auflösung des Religiösen« (Bourdieu 1992a) beschriebenen, sich neu herausbildenden Feldes der symbolischen Manipulation der Weltsicht und Lebensführung betrachtet werden, dessen Ränder ebenso verschwommen sind wie bei diesem. Im buddhistischen Feld sind nicht nur religiöse beziehungsweise buddhistische Akteure aktiv, sondern auch Akteure, die anderen Feldern zuzurechnen sind, wie Wissenschaftler (Buddhologen, Indologen, Religionswissenschaftler, Theologen, etc.), Therapeuten, Journalisten und Medienvertreter sowie Künstler und Schauspieler, die eher im Feld der Kulturproduktion verortet werden. Einige Studien zum Buddhismus im Westen haben sich ausführlich mit Fragen der Authentizität, der Legitimation und Autorität im Kontext der Adaption an westliche Verhältnisse befasst (vgl. Bell 1991; Waterhouse 1997; Waterhouse 1999; Eldershaw 2004). Dabei konnte gezeigt werden, dass auf unterschiedliche Strategien zurückgegriffen wird und dass die Legitimität einzelner Adaptionsstrategien und der Anspruch einzelner Gruppierungen, den Buddhismus im Westen authentisch zu repräsentieren, umstritten sind: The diversity means that there is probably no group in Britain whose legitimacy or authenticity has not been questioned by others at some time. The three groups already mentioned SGI, the NKTand the FWBO, are probably the largest groups in Britain and all have drawn strident criticism.9 (Waterhouse 1999: 20)

Die Infragestellung der Legitimität oder Authentizität buddhistischer Gruppierungen erfolgt nicht nur durch andere buddhistische Akteure, sondern auch durch die Presse oder Vertreter der Wissenschaft, die mit unterschiedlichen Kapitalsorten ausgestattet sind. Die unterschiedlichen sozialen Positionen von Akteuren, die im Bourdieuschen Sinne Orthodoxie und Heterodoxie verkörpern, werden beispielsweise sichtbar an den Kontroversen, die sich an Chögyam Trungpa als buddhistischen Lehrer entzündeten und den damit verknüpften Bewertungen seiner Person und der von ihm begründeten Organisation. Sein unkonventionelles Verhalten, zu dem der Konsum von Fleisch, Zigaretten, und 9 Die im Zitat angeführten Abkürzungen stehen für : So¯ka Gakkai International (SGI), New Kadampa Tradition (NKT) und Friends of the Western Buddhist Order (FWBO).

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

Alkohol zählten, sowie seine außerehelichen Affären, sein notorisches Zuspätkommen, sein zur Schau gestellter Wohlstand und seine scheinbare Unberechenbarkeit ließen zeitgenössische Beobachter und spätere Kommentatoren an seinen vermeintlich buddhistischen Qualitäten zweifeln. Aufgrund dieser Eigenschaften konnte Trungpa von ihnen nicht als authentischer und legitimer buddhistischer Lehrer betrachtet werden; diese galten quasi als Anzeichen mangelnden legitimen religiösen Kapitals. Trungpa betrat die religiös-spirituelle Szenerie Nordamerikas, als die sog. Counterculture sich auf dem Höhepunkt befand und alternativ-religiöse bzw. spirituelle Angebote stark nachgefragt waren. Aufgrund der Begeisterung vor allem junger, gebildeter, weißer Amerikaner der Mittelschicht (aus der sog. Baby Boomer Generation, der geburtenstarken Nachkriegsgeneration) für religiöse Vorstellungen und Praktiken aus Asien wurden diese neuen buddhistischen Angebote als Konkurrenz zu etablierten religiösen Traditionen, insbesondere Christentum und Judentum, wahrgenommen. Die zugeschriebene Exotik und angenommene Andersartigkeit der buddhistischen Vorstellungen und Praktiken trug ebenfalls dazu bei, dass die wahrgenommene Ausbreitung dieser sog. Neuen Religiösen Bewegungen z. T. kritisch beobachtet und kommentiert wurde und nach 1970 in der sogenannten Anti-Kult-Bewegung mündete (vgl. Barker 1986). Ab Mitte der 1970er Jahre wurde Chögyam Trungpa von Journalisten und anderen zeitgenössischen Kommentatoren als »cult leader« bezeichnet und mit anderen kontroversen Figuren der jüngeren Religionsgeschichte, u. a. Aleister Crowley, verglichen. Zudem wurde seine schnell wachsende Gemeinschaft in den Medien als »sect« oder »cult« klassifiziert und auch von Wissenschaftlern in entsprechenden Überblickswerken unter dieser Kategorie geführt (vgl. Marin 1979; Clark 1980; Chryssides 1994; Lewis 1998).10 In dieser Kategorisierung wird die heterodoxe Position Trungpas und der von ihm begründeten Gemeinschaft im amerikanischen religiösen Feld der 1970er bis in die 1990er Jahre deutlich. Konträr zu solchen Bewertungen bringen die Beschreibungen von Zeitgenossen, Wegbegleitern und Schülern Trungpas, die in der Einleitung angeführt sind, die Bewunderung für den buddhistischen Lehrer zum Ausdruck. Das schnelle Wachstum seines Netzwerkes aus Meditationszentren und der stetige Anstieg der Schülerzahl sowie seine zahlreichen Kontakte zu Künstlern können wiederum als Indikatoren dafür gelten, dass Trungpa mit einem spezifischen religiösen Kapital ausgestattet war. Dieses Kapital galt innerhalb eines bestimmten Segments der nordamerikanischen Gesellschaft – nämlich der alternativ-religiösen Counterculture, die selbst ein heterodoxes Segment des ame10 U.a. in einem Leitartikel in der Zeitschrift Boulder Daily Camera vom 20. Januar 1979 (vgl. Clark 1980: 47 f). In Boulder, Colorado, war zu dieser Zeit der Hauptsitz der Gemeinschaft Trungpa und der Stadtort der Naropa Universität.

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Buddhismus aus diskurstheoretischer Perspektive

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rikanischen religiösen Felds der 1970er Jahre bildete – als legitim. Dieses Kapital speiste sich aus seiner Herkunft, seiner religiösen Ausbildung und seinem Status als wiedergeborener buddhistischer Lama. Im Laufe seines Wirkens in den USA konnte dieses symbolische Kapital auch in soziales und ökonomisches Kapital umgewandelt werden. Trungpa, der ohne eigene finanzielle Mittel nach Amerika gekommen war – wenn auch ausgestattet mit kulturellem und symbolischen Kapital –, hatte sich über die Jahre ein neues Zuhause geschaffen sowie ein internationales Netzwerk aus Zentren und Institutionen aufgebaut und es damit zu Wohlstand gebracht. Zusätzliche Legitimation – und damit eine Aufwertung seines religiösen Kapitals – erhielt Trungpa sowohl zu Lebzeiten als auch posthum durch hohe tibetisch-buddhistische Lehrer und Würdenträger, die seine Zentren besuchten und weihten und seine Söhne als Inkarnationen tibetischer Lamas anerkannten. Trotz der Kontroversen gilt Chögyam Trungpa heute als jemand, der eine zentrale Rolle in der Verbreitung des tibetischen Buddhismus im Westen und in der Vermittlung an europäische und amerikanische Schüler gespielt hat (vgl. Samuel 1993: 348; Baumann 2001; Eldershaw 2004: 1). Das Fortbestehen des von ihm begründeten Netzwerkes und der damit verknüpften Institutionen (z. B. die Naropa Universität) nach seinem Tod zeigt, dass seine anfänglich heterodoxe Position sich im Laufe der Zeit in eine stabile – und durchaus orthodoxe – Position innerhalb des westlichen buddhistischen Feldes gewandelt hat. Die kurzen Ausführungen zeigen, dass bei der Analyse von religiösen Wandlungs- und Innovationsprozessen immer auch nach den historischen Bedingungen zu fragen ist, die den Vollzug dieser Prozesse ermöglichten. Die sozialen Strukturen, in denen sich Wandlungsträger wie Chögyam Trungpa bewegen, die Position, die sie einnehmen, und die Dispositionen und Ressourcen, mit denen sie ausgestattet sind, bilden relevante Kontextfaktoren für religionsgeschichtliche Dynamiken und ihre Verstetigung.

3.2

Buddhismus aus diskurstheoretischer Perspektive

Man könnte in Bezug auf das oben ausgeführte Beispiel etwas zugespitzt fragen, warum Pressevertreter, deren primäres Interessenobjekt nicht unbedingt das Ringen um die legitime Definition des Buddhismus im orthodoxen Sinne, sondern eventuell eher der Kampf um die höchste Auflage darstellt, überhaupt in dieses Feld und diese Auseinandersetzung um die Frage eintreten, was authentischer Buddhismus ist und wer als sein legitimer Vertreter gilt. Die Position, die sie dabei einnehmen, scheint weitgehend an die der dominanten Akteure im westlichen buddhistischen Feld anzuknüpfen. Es müssen also auch bei

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

eigentlich feldfremden, nicht-spezialisierten Vertretern prävalente Wissensbestände vorliegen,11 die, wie auch im buddhistischen Feld selbst, mit mehr Legitimität (im Sinne von symbolischem Kapital und daher mit mehr Macht) ausgestattet sind als andere Positionen und so derartige Stellungnahmen12 erst ermöglichen. In eine andere Terminologie gefasst, sieht man an diesem Beispiel die Wirkung dominanter (oder hegemonialer) Diskurse, die nicht auf das spezifische Feld des Buddhismus im Westen beschränkt sind, sondern größere soziale und historische Kontexte umfassen. Siegfried Jäger beschreibt Diskurse auch als »Fluss von Wissen bzw. sozialen Wissensvorräten durch die Zeit« (Jäger 2006: 84). In diesem Sinne ließe sich das buddhistische Feld im Westen als ein Diskursfeld begreifen, in dem verschiedene Diskurse (z. B. religiöse, wissenschaftliche, öffentliche, therapeutische) miteinander um die Bestimmung, was Buddhismus sei, konkurrieren und ihre Effekte entfalten.13 Der Soziologe Reiner Keller bezeichnet als ein Diskursfeld oder diskursives Feld die Arena, in der verschiedene Diskurse um die Konstitution beziehungsweise die Definition eines Phänomens ringen (vgl. Keller 2008b: 234). Als Diskurse definiert Keller Deutungs- und Bedeutungsarrangements, die bestimmte Welt- und Wirklichkeitsordnungen sowie spezifische Handlungsvoraussetzungen und -folgen im Sinne von Institutionen und Praktiken einschließen (vgl. Keller 1998: 34). Keller schließt damit an die diskurstheoretischen Überlegungen von Michel Foucault an, der in Diskursen mehr als nur bloßes Sprechen über scheinbar objektiv gegebene Dinge oder Sachverhalte sah. Dieses mehr liegt in der wirklichkeits- und wahrheitskonstituierenden Funktion von Diskursen. Beide Perspektiven ergänzen sich hier insofern, als die Bourdieuschen Überlegungen zum Feld vor allem das Zusammenspiel von Sozialstruktur und Akteurspositionen in einer konkret angebbaren historischen Situation erfassbar machen, während die Diskursperspektive den Einbezug übergreifender Wissens- und Wirklichkeitsordnungen ermöglicht, die nicht auf einzelne Felder beschränkt sind und somit nicht ausschließlich feldspezifisch ihre Wirkungen entfalten. Im Folgenden werden sowohl die diskurstheoretischen Grundlagen Michel Foucaults als auch die wissenssoziologischen Erweiterungen dieses Diskursverständnisses durch Reiner Keller skizziert und im Anschluss auf die Erfassung

11 Solche Wissensbestände bezeichnet Bourdieu mit dem Begriff »Doxa« (vgl. Bourdieu 2000: 83; Bourdieu/Wacquant 2006: 104). 12 Stellungnahmen sind bei Bourdieu Positionen, die Akteure beziehen; sie werden von ihm als »ein strukturiertes System der Praktiken und Äußerungen der Akteure« (Bourdieu 2006a: 136) verstanden. Der Raum der objektiven Positionen (Sozialstruktur) und der Raum der Stellungnahmen (Akteurspositionen) stehen jedoch in Relation zueinander. 13 Vgl. dazu auch die Ausführungen von Schiffauer (2000) zum Islam als Diskursfeld.

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Buddhismus aus diskurstheoretischer Perspektive

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und Strukturierung des gegenwärtigen buddhistischen Feldes im Westen angewendet.14

Michel Foucault: Diskurse als Praktiken Ein Thema, das sich durch die vielfältigen Arbeiten Michel Foucaults zieht, ist die Frage nach den historischen Subjektivierungsweisen: Durch welches Wissen, welche Normierungen, welche gesellschaftlichen Praktiken und welche Erfahrungsweisen konstituieren sich historische Subjekte (vgl. Foucault 1988: 15 f)? Foucault bricht mit der Annahme einer ontologisch gegebenen Ordnung der Dinge oder einem Wesen des Seins, die es lediglich zu erschließen gilt. Sein Vorgehen hat er daher als »kritische Ontologie« (Foucault 1990: 53), als eine kritische Geschichte des Denkens bezeichnet, die nach den historischen Bedingungen der Produktion von Wissensformen und ihren Wirkungen fragt (vgl. Keller 2008a: 9). Die Konstitution des Subjekts und die Objekte des Wissens werden nicht als ahistorische, vorgängig existente Erscheinungen begriffen, sondern als historisch kontingent und durch jeweils spezifische Formen des Wissens und gesellschaftliche Praktiken konstituiert betrachtet. Diese konstruktivistische Grundhaltung Foucaults (vgl. Diaz-Bone 2002: 67) wird auch in seinen verschiedenen Materialstudien sichtbar (vgl. Foucault 1994; 1996; 2008). Eine bedeutende Rolle in seiner Analyse gesellschaftlicher Wissens- und Praxisformationen spielt das Konzept des Diskurses.15 In der Archäologie des Wissens plädiert Foucault dafür, Diskurse nicht mehr als Gesamtheiten von Zeichen (von bedeutungstragenden Elementen, die auf Inhalte oder Repräsentationen verweisen), sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen. Zwar bestehen diese Diskurse aus 14 An dieser Stelle scheint es angebracht, auf die Differenz zwischen Diskurstheorie und Diskursanalyse hinzuweisen. Diskurstheorie bezeichnet wissenschaftliche Unternehmungen, denen es um die systematische Ausarbeitung des Stellenwertes von Diskursen im Prozess der gesellschaftlichen Konstitution von Wirklichkeit geht. Diskursanalyse bezeichnet dagegen forschungspraktische methodische Umsetzungen, die empirische Untersuchung von Diskursen (vgl. Keller/Hirseland/Schneider et al. 2006a: 15). Zum Verhältnis von Diskurstheorie und Diskursanalyse führt Hannelore Bublitz näher aus: »Angeleitet durch eine Diskurs›Theorie‹, deren zentrales Element Diskurse als Praktiken der Hervorbringung einer sozialen Wirklichkeit bilden, stellt Diskursanalyse im Akt der empirisch-historischen Rekonstruktion der Ordnungsstrukturen von Gesellschaft Aussagen über Gesellschaft und deren Zusammenhänge her. Sie kann in diesem Sinne als ein methodisch geregeltes Verfahren der Gesellschaftsanalyse verstanden werden, insofern die Ordnungsstrukturen der Diskurs›Theorie‹ als Gesellschaftstheorie bereits im empirischen Material vorliegen und diskursanalytisch freigelegt werden« (Bublitz 2006: 235). 15 Zur Geschichte des Diskursbegriffes und Verwendungsweisen des Begriffes, die sich von Foucaults Konzeptualisierung unterscheiden, siehe den Überblick von Reiner Keller (2008b).

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache. (Foucault 1981: 74, Hervorhebungen im Original)

Mit diesem Diktum verweist Foucault darauf, dass Diskurse mehr sind als nur Bezeichnungen von Sachverhalten und mehr als Diskussionen, die sich lediglich an scheinbar objektiv gegebenen Tatsachen entzünden. In dieser Perspektive bringen nicht die Gegenstände und die Objekte des Denkens als solche die darüber geführten Diskurse hervor und formen diese, sondern die Diskurse selbst produzieren und formen die Objekte, über die sie sprechen, indem sie über diese sprechen. Diskurse werden also als konstituierende und strukturierende Praktiken der gesellschaftlichen Wirklichkeit betrachtet (vgl. Bublitz 2006: 232ff; Keller 2006: 115; Schneider 2006: 80 f). Die Strukturen gesellschaftlicher Wissensformationen gelten Foucault als historisch kontingente und diskontinuierliche Ordnungen, die durch diskursive und nicht-diskursive Praktiken erzeugt wurden und so die jeweiligen Möglichkeiten gesellschaftlicher Wirklichkeitswahrnehmung konstituieren (vgl. Keller 2008b: 127). In der Archäologie des Wissens betrachtete Foucault den Diskurs als eine Menge von verstreuten Aussagen, die gleichzeitig oder sukzessive an unterschiedlichen Stellen in Erscheinung treten und dennoch nach ein und denselben Formationsregeln gebildet werden (vgl. Foucault 1981: 156).16 Diese Formationsregeln sind zugleich die Existenzbedingungen einer diskursiven Formation wie auch das bestimmende Element, über das sich eine diskursive Formation überhaupt als solche identifizieren lässt (vgl. Foucault 1981: 58). Eine diskursive Formation ist demnach durch die »Regelmäßigkeit in der Verstreuung« (Laclau/ Mouffe 1991: 155) charakterisiert. Das heißt, dass alle Diskurse, die nach denselben Formationsregeln hervorgebracht wurden, eine diskursive Formation bilden, auch wenn diese kontroverse Positionen beinhalten (vgl. Keller 2008b: 228). Foucault weist vier scheinbar naheliegende Formationsregeln zur Bestimmung einer diskursiven Formation zurück: (1) den Bezug auf ein und dasselbe Objekt des Diskurses, (2) einen konstanten Stil, welcher die verstreuten Aussagen charakterisiert, (3) Kohärenz und Konstanz der Begriffe einer diskursiven Formation und (4) die Strukturierung der Verstreuung durch ein gemeinsames, identifizierbares Thema (vgl. Foucault 1981: 48ff). Die diskursive Ordnung werde vielmehr über die folgenden vier Formationsregeln hergestellt, 16 Foucault zielt hier dezidiert nicht auf eine sprachliche Analyse im Sinne grammatikalischer Regeln ab, welche der Aussagenproduktion zugrunde liegen und angeben können, welche Aussagen nach dem gleichen linguistischen Muster ebenfalls möglich wären. Die Regeln der Formation eines Diskurses zielen dem entgegen auf die Bedingungen der Existenz von tatsächlichen Aussagen, auf die Frage, wie es kommt, dass gerade jene Aussage erschienen ist und nicht eine ganz andere an ihrer Stelle (vgl. Foucault 1981: 41 f).

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die Foucault gleichzeitig als Analysedimensionen für die Untersuchung von diskursiven Formationen dienen:17 (1) Die erste Dimension fragt nach der Formation der Gegenstände eines Diskurses und zielt auf eine Analyse der Regeln, welche das Erscheinen von Objekten, von denen Diskurse sprechen, zu einem gegebenen Zeitpunkt ermöglichen. (2) Die zweite Dimension untersucht die Formation der Äußerungsmodalitäten und fragt danach, wer spricht, von welchem institutionellen Ort und von welchen Subjektpositionen aus über die Gegenstände des Diskurses gesprochen wird und wie die Beziehungen der Aussagen untereinander und die Formen der Aussagen aussehen. (3) Die dritte Dimension der Analyse betrachtet die Formation der Begriffe und untersucht, welche rhetorischen Schemata, welche inneren Konfigurationen von Texten und welche Interferenzen und Beziehungen zwischen verschiedenen Texten vorliegen. (4) Die vierte Analysedimension zielt schließlich auf die Formation der Strategien und richtet den Fokus auf die Themen und Theorien des Diskurses, die Bezüge zu anderen diskursiven Konstellationen und die Funktion von Diskursen in nichtdiskursiven Praktiken. Das Ziel der archäologischen Analyse war demnach durch eine Suche nach den »Regeln der diskursiven Objektbildung« (Ruoff 2007: 94) geprägt, die den diskursiven Praktiken (als gesprochene und geschriebene Aussagen) den Vorrang einräumte (vgl. Deleuze 1987: 71). Bereits in seinen Materialstudien hatte Foucault jedoch gezeigt, dass eine alleinige Analyse sprachlicher, d. h. textförmiger Zeugnisse, nicht ausreicht, sondern konkrete historische Praktiken in die Untersuchung einfließen müssen, um ein vollständiges Bild zu erhalten.18 Die Analyse des »Sagbaren« bedarf also der Ergänzung durch die Analyse des »Sichtbaren« und verweist auf den Zusammenhang von diskursiven und nichtdiskursiven (als nicht-sprachlichen) Praktiken (vgl. Deleuze 1987: 69 – 98). Das Sichtbare umfasst eine ganze Reihe von verschiedenen Elementen, wie z. B. institutionelle Handlungs- und Praxisformen (z. B. Diagnosepraktiken in Kliniken, Einsperrungspraktiken in Gefängnissen, Kontrollpraktiken in Bildungseinrichtungen etc.), Gebäude (z. B. die funktionelle Architektur von Gefängnissen oder Kliniken), Kleidung und Gewänder (z. B. Uniformen, Richterroben, Arztkittel) sowie infrastrukturelle Einrichtungen und Maßnahmen (z. B. Justizvollzugsanstalten, Gerichtssäle, Gesetzesbücher, Urteilssprüche, Personal, Gefangenentransporte etc.).19 In einem 17 Siehe dazu ausführlicher die gleichnamigen Kapitel in der Archäologie des Wissens (vgl. Foucault 1981). 18 So hatte Foucault in Wahnsinn und Gesellschaft (1996) die Praktiken der Einsperrung der Wahnsinnigen, in Die Geburt der Klinik (2008) die ärztliche Praxis der Diagnostik und in Überwachen und Strafen (1994) die Disziplinierung der Körper untersucht. 19 An dieser Stelle ist der Hinweis von Deleuze bedeutend, dass das Sichtbare ebenso wenig wie das Sagbare objektiv gegeben, sondern durch historisch-kontingente Wissens- und Wahrnehmungsordnungen bedingt ist (vgl. Deleuze 1987: 85).

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

sehr eng gefassten Verständnis des Begriffs betrachtet Foucault das gesamte »nicht-diskursive Soziale« (Foucault 1978b: 125) als Institution; er weist jedoch gleich im Anschluss darauf hin, dass eine strikte Trennung zwischen diskursiven Praktiken und nicht-diskursiver Institution in der Realität kaum möglich ist,20 was auf die Verschränkung des Sagbaren und des Sichtbaren verweist. Das Zusammenwirken von diskursiven und nicht-diskursiven Elementen bildet ein Dispositiv :21 Das was ich unter diesem Titel festzumachen versuche ist erstens ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetzte, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfaßt. Soweit die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann. (Foucault 1978b: 119 f)

Der konstruktivistische Charakter des Diskursbegriffs wird auch im Zusammenspiel von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken deutlich, da die Bedeutung der letzteren diskursiv vermittelt wird.22 In konstruktivistischer Perspektive ist das Wissen, das in diskursiven Prozessen erzeugt wird, nicht eine wahre Abbildung der äußeren Wirklichkeit, sondern ein Produkt historisch kontingenter Diskurse, die dieses Wissen als wahres Wissen hervorbringen und bekräftigen und andere Aussagen als falsch verwerfen. Damit ist Wahrheit keine substantielle Qualität, die Aussagen oder Sachverhalten diskursextern inhärent ist, sondern »[w]as als Wahrheit gilt, ist ja nichts anderes als ein diskursiver Effekt« (Jäger 1999: 129, Hervorhebung im Original). Wahrheit ist somit das Produkt von Wissenspolitiken und Machteffekten: Die Wahrheit ist von dieser Welt; in dieser Welt wird sie aufgrund vielfältiger Zwänge produziert, verfügt sie über geregelte Machtwirkungen. Jede Gesellschaft hat ihre ei20 Als Institution bezeichnet Foucault in diesem Zusammenhang »jedes mehr oder weniger aufgezwungene, eingeübte Verhalten. Alles was in einer Gesellschaft als Zwangssystem funktioniert, und keine Aussage ist« (Foucault 1978b: 125). 21 Im französischen Sprachgebrauch dient der Begriff dispositif zur Bezeichnung von »materiellen Vorkehrungen, die eine strategische Operation durchzuführen erlauben« (Foucault 1983: 35) und wird vorrangig in juristischen, medizinischen und militärischen Kontexten verwendet. Der Begriff ist im Französischen geläufiger als im deutschen Sprachgebrauch (vgl. Keller 2008a: 92). 22 Diese Tatsache wird pointiert auch von den Diskurstheoretikern Ernesto Laclau und Chantal Mouffe formuliert, die darauf hinweisen, dass jedes Objekt als Objekt eines Diskurses konstituiert ist, da sich kein Objekt außerhalb jeglicher diskursiver Bedingung des Auftauchens konstituieren kann (vgl. Laclau/Mouffe 1991: 158).

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gene Ordnung der Wahrheit, ihr [sic!] »allgemeine Politik« der Wahrheit: d. h. sie akzeptiert bestimmte Diskurse, die sie als wahre Diskurse funktionieren läßt; es gibt Mechanismen und Instanzen, die eine Unterscheidung von wahren und falschen Aussagen ermöglichen und den Modus festlegen, in dem die einen oder anderen sanktioniert werden; es gibt einen Status für jene, die darüber zu befinden haben, was wahr ist und was nicht. (Foucault 1978d: 51)

In diesen Zeilen verweist Foucault auf den »Nexus von Macht-Wissen« (Foucault 1992: 33), der einen elementaren Bestandteil seines späteren Diskursverständnisses bildet. Die Analyse der Macht/Wissen-Komplexe23 spielt ab den 1970er Jahren eine entscheidende Rolle in seinen Arbeiten. Von Friedrich Nietzsche übernimmt er für den Zusammenhang von Macht und Wissen den Begriff der Genealogie (vgl. Foucault 1991). Die genealogische Perspektive fragt nach historischen Wandlungsprozessen im Spiel der Beziehungen zwischen Macht und Wissen (vgl. Foucault 1992: 33ff) und der Entstehung der Diskurse (vgl. Foucault 1991: 73; Foucault 2007: 41ff).24 Das Verhältnis von Macht und Wissen ist bei Foucault nicht durch eine Gleichsetzung im Sinne von »Wissen ist Macht« definiert, sondern durch eine wechselseitige Beziehung gegenseitiger Bedingungen: Eher ist wohl anzunehmen, daß die Macht Wissen hervorbringt (und nicht bloß fördert, anwendet, ausnutzt); daß Macht und Wissen einander unmittelbar einschließen; daß es keine Machtbeziehung gibt, ohne daß sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert. (Foucault 1994: 39)

Die Verschiebung der Analyserichtung von der archäologischen zur genealogischen Perspektive zeichnet sich in Die Ordnung des Diskurses ab,25 in der Foucault seinen Diskursbegriff erweitert und die Rolle von Machteffekten in der Produktion von Diskursen stärker berücksichtigt:

23 Macht/Wissen wird im Französischen als pouvoire/savoire angegeben und trägt darüber hinaus Konnotationen, die sich nicht nur auf Macht/Wissen beschränken, sondern auch Können im Sinne eines materiellen Handlungsvermögens (pouvoir faire) und Können im Sinne einer Kompetenz, d. h. eines durch Wissen erworbenen Handlungsvermögens (savoir faire) implizieren (vgl. Spivak 1996; Keller 2008a: 84). 24 Die Untersuchung der Entstehung von Diskursen richtet sich nicht auf die Suche nach einem Ursprung von Diskursen (vgl. Foucault 1991: 73ff). Zur Genealogie siehe auch Foucault (1989: 9 – 21). 25 Bei der Ordnung des Diskurses handelt es sich um die im Dezember 1970 gehaltene Antrittsvorlesung Foucaults am CollÀge de France.

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

Ich setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen. (Foucault 2007: 10 f)

Die Mechanismen, die in der Archäologie des Wissens als Formationsregeln den Gegenstand der Untersuchung bildeten, werden nun in genealogischer Perspektive als Machtmechanismen analysiert, welche die Diskurse nicht nur strukturieren, sondern gleichzeitig die Möglichkeit von Aussagen beschränken, wie in dem obigen Zitat deutlich wird (vgl. Keller 2008a: 80). Dabei unterscheidet Foucault drei Mechanismen (vgl. Foucault 2007: 11 – 30): Als ersten Mechanismus benennt er Ausschließungssysteme, die von außen auf den Diskurs wirken. Dazu zählen Verbote, die bestimmte Formen des Sprechens ausschließen und so bestimmen, wer sprechen darf, unter welchen Bedingungen, in welcher Weise und was gesagt werden darf. Weiterhin bilden Grenzziehungen Systeme der Ausschließung, wie z. B. Vernunft/Wahnsinn, welche den Wahnsinnigen als legitimen Sprecher ausschließen, und Unterscheidungen, wie z. B. wahr/falsch in Bezug auf Aussagen in juristischen oder wissenschaftlichen Diskursen. Da sich die Ausschließungsprozeduren auf Institutionen und gesellschaftliche Teilsysteme beziehen, sind Diskurse über diese mit Machtmechanismen gekoppelt. Zweitens fungieren interne Prozeduren, wie Klassifikations-, Anordnungs- und Verteilungsprinzipien, über die ein Diskurs sich selbst kontrolliert, als Verknappungsmechanismen. Foucault nennt hier den Kommentar, der die Funktion der Wiederholung, Festigung und Konservierung von bereits Gesagtem (sog. große Erzählungen, z. B. bestehende religiöse, juristische, literarische und wissenschaftliche Texte) hat. Ein weiterer Verknappungsmechanismus des Diskurses ist der Verweis auf die im Diskurs erzeugten Kategorien Autor, Werk und Disziplin. Sie stellen Systeme der Klassifizierung dar, die mit der Zuschreibung von Qualitäten einhergehen und so legitime und illegitime Aussagemodi produzieren. Ein dritter Kontrollmechanismus des Diskurses ist die Verknappung von Subjektpositionen, die Individuen bestimmte Regeln auferlegen und so den Zugang zu Diskursen beschränken. Für bestimmte Diskurse oder Teilbereiche eines Diskurses müssen Subjekte bestimmte Qualifizierungen (Kenntnisse, Verhaltensweisen, Ausstattung, Zugehörigkeiten) aufweisen, die ihnen die Ausführung von bestimmten Funktionen und Rollen ermöglichen, um in die Ordnung des Diskurses einzutreten. Die genealogische Perspektive verlagert den Fokus der Analyse von Diskursen. Sie richtet sich weniger auf die abstrakten Formierungsmechanismen eines

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Diskurses und stärker auf die konkrete Untersuchung von Machtmechanismen, die sowohl Bedingung als auch Effekt der diskursiven Produktion sind. Diese Machtmechanismen werden in der Verknappung der Sprecherpositionen und Aussageweisen in historisch kontingenten Diskursformationen sichtbar, die das Sprechen der Wahrheit und den Ausschluss des falschen Diskurses sichern sollen. Später hat Foucault seine Ausführungen in Die Ordnung des Diskurses dahingehend korrigiert, dass das Verhältnis der Macht zum Diskurs nicht nur als negativer Mechanismus der Verknappung begriffen werden dürfe (vgl. Foucault 1978a: 105). Vor allem in Der Wille zum Wissen (1983) tritt an die Stelle eines restriktiven Machtkonzeptes – im Sinne des juridischen Machtbegriffes, der sich auf das Verbot stützt (vgl. Foucault 1978c: 206ff) – ein produktives Machtkonzept, in dem Foucault Macht als eine strategische Situation, als ein »bewegliches Feld von Kräfteverhältnissen« (Foucault 1983: 124) beschreibt: »[D]ie Macht ist nicht eine Institution, ist nicht eine Struktur, ist nicht eine Mächtigkeit einiger Mächtiger. Die Macht ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt« (Foucault 1983: 114). Foucault begreift Macht also nicht als etwas, das sich in einer staatlichen Institution lokalisieren lässt und ausschließlich in Form der Regierungsmacht oder eines Herrschaftssystems existent ist. Die diskursive Produktion von Wissen, das Wahr-Sprechen und die Weisen der Subjektivierung vollziehen sich eingebunden in ein Feld vielfältiger und dynamischer Machtbeziehungen (vgl. Foucault 1983: 113ff).26 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die diskurstheoretische Perspektive Foucaults es ermöglicht, das Untersuchungsfeld und die Gegenstände der Analyse anders zu denken. Statt einer Enthistorisierung und Essentialisierung des Buddhismus erlaubt diese Perspektive, Buddhismus als Produkt und Gegenstand einer diskursiven Praxis zu begreifen, die durch historisch kontingente Wissensordnungen konstituiert wird und ihrerseits spezifische Wissensordnungen etabliert. Die Hervorbringung der diskursiven Formation Buddhismus basiert gleichermaßen auf spezifischen wie historisch kontingenten Machteffekten und ruft wiederum Machteffekte hervor.

Wissenssoziologische Erweiterungen der Diskurstheorie Foucaults Die diskurstheoretischen Überlegungen Foucaults bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte für wissenssoziologische Erweiterungen beziehungsweise eine Übersetzung der Foucaultschen Konzepte in eine wissenssoziologische Per26 Der Politikwissenschaftler Alex Demirovic´ führt als Foucaults Forschungsinteresse neben Wissen, Wahr-Sprechen und Subjektivierung noch den Begriff der Verstaatlichung in seinem Verhältnis zur Macht an (vgl. Demirovic´ 2008: 7).

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spektive (vgl. Keller 1998; 2006; 2008b; Schneider 1999).27 Die Grundlage für die Zusammenführung der diskurstheoretischen und der wissenssoziologischen Perspektive sieht der Soziologe Reiner Keller in der gemeinsam geteilten Annahme einer sozialen Konstruktion von Wissen, Wahrnehmung und Erfahrung gegeben.28 Beide Ansätze zeichnen sich durch ein Interesse an der Formierung und den Folgen gesellschaftlich (d. h. kollektiv) konstituierter Wissensordnungen aus. Die beiden Ansätze richten den Untersuchungsfokus jedoch unterschiedlich aus: Foucault weist den Institutionen und den wissenschaftlichen Disziplinen in der Produktion von Wissensformationen, auf deren Basis sich gesellschaftliche Wirklichkeit konstituiert, eine zentrale Rolle zu. Die hermeneutische Wissenssoziologie im Anschluss an Berger und Luckmann, die bereits das »Allerweltswissen« und nicht die »Ideen« als das Hauptinteresse der Wissenssoziologie benannt hatten (Berger und Luckmann 1992: 16), richtet sich dagegen vornehmlich auf Mikroanalysen des Wissens, auf das Alltagswissen sozialer Akteure, wie es beispielsweise in der Analyse »kleiner sozialer Lebenswelten«29 (Honer 1985) herausgearbeitet wurde (vgl. Berger/Luckmann 1992: 16). Entgegen dieser Engführung hebt Keller die Bedeutung von theoretischen Ideen und Modellen, d. h. von expertengestützten Wirklichkeitsdeutungen – insbesondere für moderne posttraditionale Gesellschaften – hervor, die in das Alltagswissen sozialer Akteure einfließen und deren Handlungs- und Deutungsweisen prägen (vgl. Keller 2008b: 183). Die von Keller vorgeschlagene Erweiterung der hermeneutischen Wissenssoziologie über den »Einbau der Diskursperspektive« (Keller 2008b: 185) ermöglicht es nun auch, Formen der kollektiven Produktion und Vermittlung von Wissen, die soziohistorischen Bedingungen der Wissensdistribution und -streuung sowie die Machtverhältnisse in der Strukturierung und Produktion von Wissensordnungen in den Blick zu nehmen. Andererseits ermöglicht die wissenssoziologische Einbindung der 27 So stellen Diskurstheorie und Diskursanalyse innerhalb der Soziologie und der Sozialwissenschaften inzwischen ein etabliertes Theorie- und Methodeninstrumentarium dar. Siehe dazu die zahlreichen Sammelbände, die das theoretische und methodische Spektrum und mögliche Anwendungsgebiete umreißen (vgl. Bublitz/Bührmann/Hanke et al. 1999; Keller/ Hirseland/Schneider et al. 2004; 2005; 2006b). 28 Keller beruft sich hier vor allem auf die wissenssoziologische Theorie von Peter Berger und Thomas Luckmann (1992). 29 Als »kleine soziale Lebens-Welt« wird eine kleinere Teilkultur innerhalb der modernen westlichen Gesellschaft bezeichnet, die in mehrere heterogene Teilkulturen zerfällt (vgl. Honer 1985). Kleine soziale Lebenswelten stellen einen sozial vordefinierten, intersubjektiv gültigen, zweckbezogenen Ausschnitt aus der alltäglichen Lebenswelt dar. Sie bilden ein Sinnsystem mit partieller Bezugsgruppenorientierung innerhalb der individuellen Welterfahrung, das von den Akteuren zu bestimmten Zeitpunkten des Tagesablaufes oder im Lebenslauf aufgesucht, durchschritten oder gestreift wird und dessen immanente Wirklichkeitsdeutung von den einzelnen Akteuren mehr oder minder stark rezipiert wird (vgl. Hitzler/Honer 1988; 1991; Honer 1989).

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Diskursperspektive eine Berücksichtigung der Rolle gesellschaftlicher Akteure und enthält so eine stärker handlungs- und akteurstheoretische Wendung (vgl. Keller 2008b: 184ff). Die konkrete Materialität von Diskursen ergibt sich erst durch soziale Akteure, die als individuelle oder kollektive Produzenten von Aussagen30, d. h. durch ihren Vollzug von Praktiken, Diskurse (re-)produzieren und transformieren. Keller differenziert unter Bezugnahme auf Foucaults Ausführungen zu Subjektpositionen zwei Formen von sozialen Akteuren. Zum einen stellen Diskurse Sprecherpositionen zur Verfügung. Der Zugang zu diesen Positionen, die ein legitimes Sprechen innerhalb eines Diskurses ermöglichen, ist reguliert und damit nicht jedem sozialen Akteur gleichermaßen zugänglich. Die Sprecherpositionen sind durch Hierarchien, institutionell konfigurierte Rollenpositionen und unterschiedliche Qualifikationsanforderungen innerhalb eines Diskurses verknappt und können von individuellen oder kollektiven Akteuren besetzt werden (vgl. Keller 2008b: 253). Nur Akteure, die Sprecherpositionen einnehmen, können als Produzenten von Aussagen in einer diskursiven Formation in Erscheinung treten. Gestützt auf die spezifischen Regeln und Ressourcen eines Diskurses können diese Akteure durch ihre Interpretationen und Praktiken einen Diskurs (re-)produzieren und transformieren. Dabei können soziale Akteure gleichzeitig oder nacheinander verschiedene Sprecherpositionen in verschiedenen Diskursen oder diskursiven Feldern einnehmen. Zum anderen werden in Diskursen Subjektpositionen hervorgebracht, die Positionierungs- und Identitätsangebote für die Adressaten und Rezipienten des Diskurses bereitstellen (vgl. Keller 2008b: 215). Soziale Akteure können in den diskursiven Auseinandersetzungen durch die Einnahme von gleichen oder ähnlichen Positionen im Diskurs und den Rekurs auf und die Aktualisierung von einem diskursspezifischen Deutungsmuster oder einer diskursspezifischen Grundannahme eine Diskurskoalition bilden. Dieser Zusammenschluss von Akteuren kann – jedoch muss er nicht – bewusst und strategisch intendiert sein. Die Aussagen von Akteuren einer Diskurskoalition lassen sich ein und demselben Diskurs zurechnen, dennoch darf nicht von der Identität von Diskurs und Akteursgruppe ausgegangen werden. Innerhalb von Akteursgruppen (oder Akteursaggregaten wie Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, etc.) sind unterschiedliche Diskurspositionen und verschiedene Repräsentationen und Adaptionen von Diskursen denkbar (vgl. Keller 2006: 136). 30 Hier sei auf die Differenz zwischen Aussage und Äußerung verwiesen, die bereits bei Foucault gegeben war : Eine Äußerung bezeichnet eine tatsächlich getätigte und dokumentierte sprachliche Materialisierung eines Diskurses. Demgegenüber bezeichnet die Aussage die Ebene des Typisierbaren und Typischen einer Äußerung, die sich aus zahlreichen verstreuten Äußerungen rekonstruieren lässt (vgl. Keller 2008b: 235 f).

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Zwar werden Diskurse und ihre institutionellen Konfigurationen als den sozialen Akteuren vor und nachgängig konzipiert, d. h. nicht einzelne Akteure bestimmen den Zugang von Akteuren zu Sprecherpositionen, sondern Diskurse als strukturierte Aussagepraktiken regulieren die Bedingungen der Zulassung zu Sprecherpositionen. Dennoch sind soziale Akteure den Diskursen nicht bedingungslos unterworfen, vielmehr setzen sie als aktiv wahrnehmende und interpretierende Handelnde ihre Handlungskompetenzen in diskursiver Praxis um. So wenig wie Keller eine absolute Determinierung sozialer Akteure durch die ihnen vorgängigen Diskursformationen annimmt, sind für ihn Akteursinteressen die ausschließliche oder ursächliche Erklärung für Diskursprozesse. Die Diskursperspektive lenkt den Blick ja gerade auf die diskursive Hervorbringung von Interessen wie auch auf die diskursive Konstituierung der Relation von Interessen und den Mitteln ihrer Durchsetzung (vgl. Keller 2008b: 254 f). Hatten Foucaults Materialstudien sich vor allem mit der Rekonstruktion und Analyse von Spezialdiskursen befasst, so strebt Keller mit seiner Wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA) eine Erweiterung des Gegenstandsbereiches an, die neben institutionellen Diskursen (im Sinne von teilöffentlichen, d. h. Spezialdiskursen) auch allgemeinöffentliche Diskurse in den Blick nimmt, die nicht nur ein bestimmtes institutionelles Feld abbilden (vgl. Keller 2008b: 228ff). Diskurse definiert Keller allgemein als »themenbezogene, disziplin-, bereichs- oder ebenen-spezifische Arrangements von (Be-) Deutungen, in denen Welt- bzw. Wirklichkeitsordnungen und je spezifische Handlungsvoraussetzungen und -folgen (Institutionen, Praktiken) impliziert sind« (Keller 1998: 34). Öffentliche Diskurse werden hier vor allem als themenbezogene Diskurse mit allgemeiner Publikumsorientierung verstanden, in denen Welt- und Wirklichkeitsdeutungen sowie Handlungsoptionen massenmedial an eine breite Öffentlichkeit vermittelt werden. Durch diese Perspektivenerweiterung können nun auch öffentliche Definitionskonflikte, in denen verschiedene Diskurse um die Konstitution und Definition eines Phänomens ringen, in den Blick genommen werden. Dazu führt Keller den Begriff des Diskursfeldes bzw. des diskursiven Feldes ein, welcher die (öffentliche) Arena bezeichnet, in der diese gesellschaftlichen Definitionskonflikte ausgetragen werden (vgl. Keller 2008b: 234). Kellers Wissenssoziologische Diskursanalyse ermöglicht die Analyse sozialen Wandels im Kontext einer »Politik der Diskurse« (Keller 2008b: 314). Sozialer Wandel wird aus diskurstheoretischer Perspektive verstanden als soziokultureller Transformationsprozess der gesellschaftlichen Wissensregimes, der durch Diskurse vermittelt wird (vgl. Fairclough 1992; 2006). Studien, die eine empirische Prüfung gegenwartsbezogener soziologischer Diagnosen einer »Wissensgesellschaft« (Böhme/Stehr 1986; Berger 1999a) und »Kommunikationsgesellschaft« (Münch 1995) anstrebten, zeigen, dass nationalstaatlich organi-

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sierte Diskurs- und Wissensordnungen zunehmend Grenzerosionen zeigen und transnationalen Charakter annehmen (vgl. Keller 2008b: 287 f).31 Keller bezeichnet diesen Wandel als »Prozess der sozial-räumlichen Entgrenzung von Diskursen« (Keller 2008b: 288, Hervorhebung im Original). Aus diskurstheoretischer Perspektive ist darauf hinzuweisen, dass die transnationale Ausdehnung von Diskursen nicht einfach geschieht, sondern diskursiv hergestellt wird (vgl. Fairclough/Thomas 2004). Abschließend sei angemerkt, dass die von Keller entworfene Wissenssoziologische Diskursanalyse ein umfassendes Forschungsprogramm oder eine Forschungsperspektive und keine dezidierte Methode darstellt, wie aus dem Titel eventuell abgeleitet werden könnte (vgl. Keller 2007). Den Gegenstand eines solchen Forschungsprogramms bilden Diskurse, die als ein analytisches Konstrukt begriffen werden und damit eine spezifische Sichtweise auf gesellschaftliche Gegenstände und Prozesse implizieren: Als »Diskurse« werden spezifische, thematisch-institutionelle Bündelungen der Wissensproduktion, Verknüpfungen von Deutungen und (nicht nur kommunikativen) Handlungen unter analytischen Gesichtspunkten aus dem gesellschaftlichen Wissensvorrat »herausgeschnitten« und als Zusammenhang von Wissensproduktion, Objektivationsbestrebungen und deren gesellschaftliche Wirkungen – eben der gesamte Bereich institutionalisierter Wissensproduktion und Wissenskonkurrenz – zum Forschungsgegenstand. (Keller 2006: 128)

Die Wissenssoziologische Diskursanalyse untersucht nicht nur die diskursive Konstruktion von Wissen, sondern bringt selbst eine diskursive Produktion von Wissen hervor. In diesem Sinne ist religionswissenschaftliches Arbeiten ein Diskurs über Diskurse, der nach den Regularien einer wissenschaftlichen Disziplin vollzogen wird. Ein solches Vorgehen erfordert zum einen den selbstreflexiven Bezug auf die eigenen Bedingungen des wissenschaftlichen Arbeitens und zum anderen das Bewusstsein, dass wissenschaftliche Beschreibungen und Analysen ebenso wie die Forschungsgegenstände nicht einfach Wirklichkeit abbilden, sondern konstruktivistischer Natur sind (vgl. Keller 2008b: 269ff; Nehring 2006; Bergunder 2008). Die von Keller vorgeschlagene wissenssoziologische Erweiterung der Diskursperspektive, welche die Politik der Diskurse in öffentlichen Arenen in den Blick nimmt und ihre Transnationalisierung berücksichtigt, eignet sich zur theoretischen Erfassung des gegenwärtigen buddhistischen Feldes im Westen nach den von ihm entworfenen Parametern. 31 Dieser Prozess ist auch mit dem Begriff der »kommunikativen Deterritorialisierung« (Hepp 2002: 871) beschrieben worden. Zu transnationalen und globalisierten Kommunikationsprozessen siehe Meyrowitz (1990a; 1990b) sowie Hepp/Löffelholz (2002).

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

Buddhismus im Westen als diskursives Feld Im Anschluss an die vorab skizzierten diskurstheoretischen Überlegungen lässt sich das buddhistische Feld im Westen als ein Diskursfeld begreifen, in dem verschiedene Diskurse – z. B. religiöse (buddhistische, spirituelle, interreligiöse), wissenschaftliche (buddhologische, religionswissenschaftliche, psychologische, medizinische) und öffentliche Diskurse – um die Konstitution eines Phänomens ringen. Im vorliegenden Fall wird innerhalb dieses diskursiven Feldes darum gerungen, was über Buddhismus gesagt und wie über Buddhismus gedacht werden kann. Im Rahmen dieser diskursiven Aushandlungen wird ein Wissen über das Phänomen Buddhismus produziert, in dem spezifische Grundannahmen über Buddhismus naturalisiert und so auf Dauer gestellt werden. Im Diskursfeld spielen jedoch nicht nur Diskurse eine Rolle, die sich dezidiert auf den Buddhismus als Objekt beziehen. Vielmehr verschränken sich diese mit diskursiven Formationen, die Annahmen über Religion, das Wesen des modernen Menschen und eine angemessene Lebensführung in gegenwärtigen Gesellschaften formulieren. Buddhismus wird also als Produkt und Gegenstand einer diskursiven Praxis konzeptualisiert, die durch historisch kontingente Wissensordnungen konstituiert wird und ihrerseits spezifische Wissensordnungen etabliert. Die Hervorbringung der diskursiven Formation Buddhismus basiert auf spezifischen historisch kontingenten Machteffekten, die wiederum Machteffekte hervorruft. Das Diskursfeld wird strukturiert durch ein Zusammenspiel verschiedener Diskurse und Diskursformationen, die lokal begrenzt sein oder transnationale Züge aufweisen können. Um die Dynamiken im Diskursfeld Buddhismus zu erfassen, reicht es demnach nicht aus, lediglich die scheinbar eindeutig buddhistischen Elemente zu betrachten. Vielmehr muss das Zusammenwirken buddhistischer Diskurse mit anderen diskursiven Formationen gegenwärtiger Gesellschaften in den Blick genommen werden. Wie diese diskursiven Verschränkungen erfolgen und welche Effekte in der Konstituierung von Gegenständen des Denkens und der Spielräume des Handelns sie hervorbringen, soll exemplarisch anhand des Verhältnisses von Buddhismus, Spiritualität und Psychologie aufgezeigt werden. Religionswissenschaftliche Betrachtungen zum Verhältnis von Buddhismus und Psychologie fokussierten bisher den Dialog zwischen Fachvertretern, das heißt zwischen buddhistischen und psychologischen Experten (vgl. Metcalf 2002; Gûmez 2004a). Der kritische Vergleich beschränkte sich jeweils auf buddhistische Dogmatiken, wie sie in klassischen buddhistischen Texten bzw. von gegenwärtigen religiösen Spezialisten formuliert werden und auf psychologische Theorien und Therapien im engeren Sinne. Weitestgehend ausgeklammert wurde bisher der große Bereich, der mit den Begriffen Selbsthilfe, Lebenshilfe, Spiritualität und populäre Psychologie umrissen werden kann, obwohl sich hier

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Buddhismus aus diskurstheoretischer Perspektive

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eine Synthese buddhistischer und psychologischer Ideen beobachten lässt. Die folgenden Beispiele zeigen anhand tibetisch-buddhistischer Akteure und Angebote, wie im Bereich der Selbst- und Lebenshilfe diskursive Verflechtungen zu verzeichnen sind, die sich aus Diskursen zu Buddhismus, Spiritualität und Psychologie speisen. Ein Blick auf die Buchtitel tibetisch-buddhistischer Autoren wie auch auf die Ankündigungen zu Vorträgen tibetisch-buddhistischer Lehrer in den letzten Jahren zeigt, dass viele davon als tibetisch-buddhistisch inspirierte Wege zum Glück beschrieben werden können. Publikationen des gegenwärtigen Dalai Lamas tragen unter anderem Titel wie: The Art of Happiness: A Handbook for Living (Bstan-’dzin Rgya-mtsho/Cuttler 1998) und Glücksregeln für den Alltag: Happiness at Work (Bstan-’dzin Rgya-mtsho/Cuttler 2005). Der letztgenannte Titel enthält auf dem Cover zusätzlich den Hinweis, dass im Hörbuch auf der CD Meditationsübungen enthalten sind. Zwei der genannten Titel sind in Zusammenarbeit mit Howard C. Cutler, einem amerikanischen Psychologen, entstanden. The Art of Happiness ist außerdem in mehrere Sprachen übersetzt worden und in 31 verschiedenen Ländern erschienen.32 Auch bei anderen bekannten tibetisch-buddhistischen Lehrern wie Sogyal Rinpoche finden sich ähnlich klingende Titel von Büchern und öffentlichen Vorträgen: Das Tibetische Buch vom Leben und vom Sterben (1997), Entdecken wer wir wirklich sind (Vortrag München 02. 10. 2002) und Das offene Herz (Vortrag Berlin 30. 09. 2005). Auf dem Flyer zum Vortrag heißt es: »Wie man grundlegende Gutheit und Wohlbefinden entdeckt und mit dem unerschöpflichen Reichtum an bedingungsloser Liebe in Berührung kommt, den wir alle in uns tragen. Wie man ganz wird und die Wunden des Herzens heilt.«33 Der inzwischen als »spiritueller Klassiker der Weltgeschichte« (Cuevas 2003: vii) geltende Titel Das Tibetische Buch vom Leben und vom Sterben von Sogyal Rinpoche stellt ebenfalls das Produkt der Zusammenarbeit eines tibetischbuddhistischen Experten mit westlichen Autoren dar (vgl. Rakow 2008). Das Buch wurde 1992 erstmals veröffentlicht, erreichte inzwischen eine Auflage von zwei Millionen, wurde in 29 Sprachen übersetzt und ist in 56 Ländern erschienen.34 Eine Publikation von Sakyong Mipham Rinpoche, dem derzeitigen spirituellen Leiter von Shambhala International, trägt den Titel Ruling Your World: Ancient Strategies for Modern Life (2005a). Anlässlich des Erscheinens seines 32 Das Buch ist auch in asiatischen buddhistischen Ländern wie China, Japan, Korea und Thailand erschienen, vgl. http://www.theartofhappiness.com/availlang.html (abgerufen am 10. 09. 2009; inzwischen jedoch nicht mehr verfügbar). 33 Flyer zum öffentlichen Vortrag von Sogyal Rinpoche in Berlin am 30. 09. 2006. 34 Die angeführten Zahlen stammen von der offiziellen Webseite des Buches: http://living-anddying.org/about-the-book/ (abgerufen am 05. 11. 2013).

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neuen Buches führte Sakyong Mipham eine internationale Vortragsreise durch, die ihn Anfang 2007 auch nach Deutschland führte.35 Auf dem Klappentext des Buches ist zu lesen: Most of us are living in a haze – sometimes helping others, sometimes helping ourselves, sometimes happy, sometimes sad. We don’t feel in control of our own lives. The ancient teachings of Shambhala rulership show us that we all have the ability to rule our own world and live with confidence. To do this, we need to use our daily lives to be strong, as opposed to aggressive, and to act with wisdom and compassion. This may sound difficult, but when we begin to mix this ancient wisdom of rulership into our everyday live, we have both spiritual and worldly success. (Sakyong Mipham 2005a: Klappentext)

Die im Klappentext angekündigten Prinzipien von »Shambhala rulership« können auch im Rahmen von Shambhala Training erlernt werden, einem fünfstufigen Seminarprogramm, das von Chögyam Trungpa, dem Vater von Sakyong Mipham, in den 1970/80er Jahren in den USA entwickelt wurde. Auf einem deutschen Flyer zu Shambhala Training finden sich folgende Aussagen: Der Shambhala Training-Pfad beginnt mit fünf aufeinander aufbauenden Wochenenden, die die grundlegenden Kenntnisse von Meditation vermitteln. Dadurch können Sie menschliche Unerschrockenheit, Mut und Furchtlosigkeit vor dem, wer Sie wirklich sind, entdecken. (Flyer Shambhala Training, Köln, o. J., Hervorhebung im Original)

An den einzelnen Wochenenden des insgesamt fünfstufigen Programms werden, den Angaben des Flyers zufolge, zum einen das Erkennen von Gewohnheitsmustern und zum anderen die Entwicklung von Furchtlosigkeit, Sanftheit und Zuversicht in allen Aspekten des Lebens vermittelt. Auch diese Beschreibungen spielen auf eine psychologisch orientierte Selbstreflexion an, die dem Einzelnen eine Transformation seines Selbst ermöglichen könne. Die exemplarische Auswahl an Titeln und Beschreibungen lässt offenbar werden, dass Vorträge, Bücher und Seminare bekannter tibetisch-buddhistischer Lehrer häufig das Versprechen der Selbsterkenntnis, Selbsterfüllung oder Selbstoptimierung bergen. Sie sollen dem Rezipienten bei seinem Streben nach einem sinnvollen, glücklichen und erfolgreichen Leben Hilfestellung leisten. Bei der getroffen Auswahl ist anzumerken, dass sich die Bücher und Vorträge an ein breites Publikum richten und z. T. wenige bis gar keine Vorkenntnisse zum Buddhismus voraussetzen. Sie wirken durchaus attraktiv auf Akteure, die recht allgemein an den Themen Spiritualität, Lebensbewältigung, Selbsterkenntnis und Selbsterfüllung interessiert sind. Im Rahmen meiner Feldforschung be35 Der Titel der deutschen Übersetzung lautet: Den Alltag erleuchten. Die vier buddhistischen Königswege (2007).

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richteten einzelne Akteure, dass ihre erste Begegnung mit dem Buddhismus über Bücher wie Das Buch vom meditativen Leben (Trungpa 1984) oder Das Tibetische Buch vom Leben und vom Sterben (Sogyal Rinpoche 1992) erfolgte, die sie in Zeiten persönlicher Krisen und aus dem Wunsch nach Veränderung ihres Lebens heraus konsultierten oder die ihnen von Freunden und Bekannten empfohlen worden waren. Dabei stand nicht unbedingt ein dezidiertes Interesse am Buddhismus im Vordergrund, sondern vielmehr die Suche nach Anregungen und Anleitungen zur persönlichen Veränderung und die Bewältigung von leidvollen Erfahrungen. Zu der von den Akteuren konsultierten Lektüre gehörten neben den genannten Titeln weitere Bücher aus den Bereichen Spiritualität, Lebensbewältigung, Selbsterkenntnis und Selbsterfüllung. Darin zeigt sich, dass die Titel und Angebote tibetisch-buddhistischer Akteure auch innerhalb dieses breiteren Kontextes rezipiert werden. Über die Lektüre buddhistischer oder buddhistisch inspirierter Titel kann jedoch unter Umständen ein größeres Interesse am Buddhismus generiert werden, wie die Erhebung im Raum Berlin 2006 gezeigt hat: Bei 55 Prozent der Befragten wurde das Interesse an Buddhismus über Literatur geweckt (Mehrfachnennungen waren möglich). Damit stellt das Lesen von Büchern zum breiteren Themenfeld Buddhismus neben anderen Möglichkeiten die zweithäufigste genannte Variante des Zugangs zum Buddhismus dar (siehe Abb. 3).

Abb. 3: Balkendiagramm »Interesse am Buddhismus geweckt über…«

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

In der Fachliteratur und auf dem Buchmarkt hat sich inzwischen die Sammelbezeichnung »Mind-Body-Spirit (MBS)« für eine stark diversifizierte Sparte von Büchern durchgesetzt, zu denen sich auch die Titel tibetisch-buddhistischer Autoren zählen lassen (vgl. Puttick 2005). Diese Sparte stellt ein hybrides Genre dar, das vor allem durch die Verbindung von Selbsthilfe mit Psychologie und Spiritualität gekennzeichnet ist (vgl. Lee 2007: 91). Zahlreiche Angebote in diesem Bereich beinhalten Selbstoptimierungspraktiken, die mit religiösen oder spirituellen Zuschreibungen versehen sind. Selbsthilfe wird innerhalb des MBSGenres als eine Handlung konzipiert, die auf der Basis der Freiheit und der Selbstverantwortung des Einzelnen erfolge (vgl. Rimke 2000). Das heißt, ein Akteur, der sich seiner Autonomie und der Verantwortung sich selbst gegenüber bewusst ist, realisiert seine Freiheit, indem er selbst aktiv auf seine Lebensführung einwirkt. Er sorgt selbst für seine Gesundheit, seine seelische Ausgewogenheit, sein Glück und seinen Erfolg. Das autonome Individuum ist also Drehund Angelpunkt des Selbsthilfekonzeptes. Die Quelle zum Erreichen dieser Ziele wird im Einzelnen selbst verortet und in den entsprechenden Publikationen als das »wahre« oder »wirkliche Selbst« bezeichnet (vgl. Rimke 2000: 64 f). Das Selbst wird so als das Zentrum der persönlichen Agency beschrieben und der Begriff Selbsthilfe bezeichnet die individuelle Praxis des Strebens nach Selbsterfüllung und zugleich den Diskurs, der Individuen in diesem Streben leitet (vgl. McGee 2005: 19; Philip 2009). Die von mir angeführten Titel und Angebote tibetisch-buddhistischer Lehrer werden von Akteuren innerhalb dieses breiteren gesellschaftlichen Diskurses rezipiert, der nicht auf das buddhistische Diskursfeld beschränkt ist. Verschiedene Autoren haben aufgezeigt, dass in postmodernen Gesellschaften das Selbst und die damit verbundenen Konzepte wie Autonomie, Identität, Individualität, Freiheit, Wahl und Erfüllung höchste Wertschätzung erfahren (vgl. Giddens 1991; Rose 1991; 1996; Neisser/Jopling 1997). Der britische Soziologe Nikolas Rose spricht im Anschluss an Michel Foucault daher auch von einem »Regime des Selbst« (Rose 1996: 1), dessen Herausbildung historisch eng mit der Entwicklung der Psychologie und dem damit verbundenen Verständnis des menschlichen Individuums verknüpft ist. Durch die Psychologie werden umfassende emotionale, interpersonale und organisatorische Techniken zur Verfügung gestellt, durch welche die Praktiken des täglichen Lebens im Einklang mit der Ethik des autonomen Selbst organisiert werden können. Hier wird Psychologie als eine diskursive Formation gedacht, die Wissen über das autonome Selbst hervorbringt und institutionalisiert und das autonome Selbst als ein Selbst naturalisiert, das nach Selbstverwirklichung strebt (vgl. Rose 1996: 17). Psychologie ist für Rose ein Unternehmen, das aus dem Zusammenspiel des

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akademischen Feldes und dem Feld der Expertise36 resultiert. Expertise bezeichnet in diesem Zusammenhang die Kapazität der Psychologie, einen Stab ausgebildeter und ausgewiesener Personen zur Verfügung zu stellen, die eine spezielle Kompetenz in der Verwaltung von Personen und interpersonalen Beziehungen beanspruchen (z. B. Erzieher, Therapeuten, Sozialarbeiter, Berater, Seelsorger usw.). Diesen Experten steht ein Korpus von Techniken und Prozeduren zur Verfügung, um menschliche Ressourcen rational und human zu managen – zum Beispiel in der Erziehung und Bildung, in der Industrie, im Militär, im Gefängnis, in Rehabilitations- und Gesundheitsprogrammen und im sozialen Leben generell. Die Effekte dieses psychologischen Dispositivs wirken jedoch nicht nur durch Experten auf andere Menschen, sondern auch durch den einzelnen Menschen auf sich selbst,37 wenn auch unter Zuhilfenahme externer Expertise, zum Beispiel durch den Rückgriff auf Selbsthilfeliteratur (vgl. Herman 1995; Philip 2009). Auch die von mir angeführten tibetisch-buddhistischen Lehrer können eine Form der Expertise als buddhistische Spezialisten für sich in Anspruch nehmen und sie bekommen Expertise ebenfalls von den sie rezipierenden Akteuren zugeschrieben. Ausgehend von den Analysen Roses sprechen andere Autoren von einem langsamen Prozess der Psychologisierung der menschlichen Erfahrung in der westlichen Welt (vgl. Carrette/King 2005: 58; Illouz 2008). Mit dem Begriff Psychologisierung ist hier also die Durchdringung aller Lebensbereiche mit psychologisch orientierten Deutungs- und Handlungsoptionen gemeint. Die »Hegemonie des Psychologischen« (Pfeil 1998: 658) hat also auch Eingang in das religiöse und spezifischer das buddhistische Feld gefunden (vgl. Rakow 2013). Über den Prozess der Psychologisierung religiöser und damit auch buddhistischer Angebote in modernen Gesellschaften erfolgt eine Verschränkung mit dem gegenwärtigen Spiritualitätsdiskurs. Dieser ist unter anderem durch den Rekurs auf das Individuum als autonome Deutungsinstanz, durch eine deutliche Erfahrungsorientierung und durch die Distanz zu konkreten religiösen Traditionen oder Institutionen gekennzeichnet (vgl. Knoblauch 2005). Innerhalb des Diskursfeldes wird Spiritualität als »universelle Dimension menschlichen Lebens« (Garces-Foley 2003: 345) ontologisiert.38 Die Spiritualisierung religiöser 36 Das Konzept der Expertise fasst Rose wie folgt: »I use the term ›expertise‹ to refer to a particular kind of social authority, characteristically deployed around problems, exercising a certain diagnostic gaze, grounded in a claim to truth, asserting technical efficacy, and avowing humane ethical virtues« (Rose 1996: 86, Hervorhebungen im Original). 37 Foucault verwendet dafür den Ausdruck »Technologien des Selbst« (vgl. Foucault 2000; Lemke/Krasmann/Bröckling 2000). 38 Belegen lässt sich diese These eindrucksvoll am Beispiel des institutionellen Felds der Sterbebegleitung und Hospizarbeit. Seit der Änderung der Definition von Gesundheit durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1997 stellt »spiritual wellbeing« eine der vier Dimensionen von Gesundheit dar (vgl. WHO 1997: 1). Daran anschließend wird von ver-

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

Produkte beschreibt also den Prozess der Herauslösung von Vorstellungen und Praktiken aus einer konkreten religiösen Tradition und die Universalisierung derselben durch das Postulat einer allgemeingültigen Erfahrungsdimension menschlichen Lebens, die mit dem Begriff Spiritualität umrissen wird. Spiritualisierte Vorstellungen und Praktiken – unter Vermeidung eines exklusiven Bezuges auf eine spezifische religiöse Formation – bieten somit vielfältige Anknüpfungspunkte an gesellschaftliche und soziale Bereiche, in denen der Mensch und das Selbst im Zentrum stehen. Im religiösen Feld der Gegenwart, von dem das buddhistische Feld ein Segment darstellt, greifen Prozesse der Psychologisierung und der Spiritualisierung ineinander. Das verknüpfende Element ist der Rekurs auf das freie und autonome Individuum und die Betonung der Erfahrungsdimension. Die Integration tibetisch-buddhistischer Vorstellungen und Praktiken in der Hospizarbeit und Sterbebegleitung ist ein Beispiel dafür (vgl. Rakow 2008; Beckerle/Prohl/Rakow 2012). Hier werden den Rezipienten tibetisch-buddhistische Vorstellungen und Praktiken als psychologische Hilfsmittel zur Bewältigung von emotional belastenden und krisenhaften Situationen vermittelt. Die dem tibetischen Buddhismus entlehnten Konzepte und Praktiken werden im Rückgriff auf ihre »spirituelle Dimension« als für jeden hilfreich und anwendbar universalisiert. Die Psychologisierung und Spiritualisierung religiöser Vorstellungen und Praktiken führt zu einer Verschiebung der Wahrnehmung unter Akteuren. Diese sehen in den von ihnen rezipierten Konzepten und Methoden nicht mehr vornehmlich religiöse, sondern spirituelle Praktiken: Wie die empirische Befragung ergab, betrachten 84 Prozent ihre buddhistische Praxis und die Beschäftigung mit buddhistischen Lehren als spirituelle Praxis, während nur 44 Prozent der Befragten diese auch als religiöse Praxis verstehen (siehe Abb. 4). Es lässt sich also innerhalb des gegenwärtigen buddhistischen Feldes im Westen ein Rückgang der Bezugnahme auf die Begriffe Religion und religiös bei gleichzeitiger Zunahme des Rekurses auf die Begriffe Spiritualität und spirituell beobachten.39 Diese Entwicklung lässt sich als diskursiver Effekt der Psychologisierung und der Etablierung des »Regime des Selbst« betrachten. Die bereits erwähnte Diagnose der Auflösung des religiösen Feldes von Pierre Bourdieu (1992a) kann auch als die Durchdringung des religiösen Feldes mit psychologisierenden und spiritualisierenden Deutungs- und Handlungsmustern verstanden werden. Ausgehend von den eingangs gemachten Überlegungen zum Buddhismus als schiedenen Akteuren und Organisationen im Bereich der Palliativmedizin, Sterbebegleitung und Hospizarbeit von einer »spirituellen Dimension des menschlichen Daseins« bzw. von Spiritualität als »universelle Dimension menschlichen Lebens« gesprochen und diese als gegeben angenommen (vgl. Bradshaw 1996; Cavendish/Kraynyak-Luise/Bauer et al. 2001; Cavendish/Kraynyak-Luise/Horne et al. 2000). 39 Die Arbeiten von Knoblauch (2009) und Bochinger/Engelbrecht/Gebhardt (2009) belegen diesen Trend auch in anderen Bereichen des gegenwartsreligiösen Feldes.

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Buddhismus aus diskurstheoretischer Perspektive

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Abb. 4: Balkendiagramm »Selbstbeschreibung der Praxis als religiös oder spirituell«

Diskursfeld lassen sich die von mir exemplarisch angeführten tibetisch-buddhistischen Lehrer und Autoren als Akteure begreifen, die mit Sprecherpositionen innerhalb des Diskursfeldes ausgestattet sind. Sie sind gleichermaßen Sprecher in einem buddhistischen Diskurs wie auch in Diskursen zu Spiritualität, Lebensführung und Selbsthilfe. Diese Position ermöglicht den Akteuren, einen Diskurs durch ihre Interpretationen und Praktiken zu (re-)produzieren und zu transformieren. Anhand des Beispiels wurde sichtbar, dass das diskursive Feld Buddhismus nicht ausschließlich durch buddhistische Expertendiskurse strukturiert wird, sondern dass eine Verschränkung verschiedener gesellschaftlicher Diskurse zu beobachten ist, die auf das autonome Individuum und das Selbst Bezug nehmen. Durch das gleichzeitige Eingebundensein der Diskursakteure in verschiedene diskursive Formationen und die Koalitionen mit anderen Diskurssprechern (Psychologen, andere religiöse oder spirituelle Lehrer und Autoren) können sich die verschiedenen Diskurse im Diskursfeld verschränken und gegenseitig stabilisieren beziehungsweise transformieren. Die von mir skizzierten Beispiele stehen hier nur stellvertretend für viele weitere mögliche Beispiele auch aus anderen religiösen Kontexten und zeigen, dass die Effekte dieser Diskurse nicht auf das buddhistische Feld beschränkt sind, sondern auf das gesamte gegenwartsreligiöse Feld in postmodernen Industriegesellschaften einwirken. Die von mir genannten tibetisch-buddhistischen Akteure zeichnen sich zudem durch eine gute Kenntnis westlicher Gesellschaften und ihrer Lebensbedingungen aus. Sowohl der Dalai Lama, Chögyam Trungpa als auch Sogyal Rinpoche haben Jahrzehnte in Europa und den USA gelebt und westliche Schüler um sich geschart, mit denen sie eng zusammenarbeiteten. Chögyam Trungpa und

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

Sogyal Rinpoche haben an britischen Universitäten studiert. Ihre Wahrnehmung als authentische tibetisch-buddhistische Lehrer blendet den Doppelcharakter ihrer Person und Position als tibetische und gleichzeitig westliche Akteure aus. Die Kenntnis westlicher psychologischer Deutungsmuster wird in vielen ihrer Publikationen deutlich. Sie greifen damit auf ein bereits im buddhistischen Modernismus etabliertes Interpretationsrepertoire zurück (vgl. Payne 2006a: 33; McMahan 2008: 27 – 60). Exemplarisch sei hier auf Carl Gustav Jung und Chögyam Trungpa verwiesen, bei denen buddhistische Konzepte am nachhaltigsten psychologisch interpretiert und entmythologisiert wurden. Jung sah in den Bardos nur Ebenen des Unbewussten und Trungpa hatte die sechs buddhistischen Seinsbereiche als die sechs Bereiche menschlicher psychologischer Zustände interpretiert (vgl. Jung 2003: 46, 50; Lopez 1998: 57ff; Trungpa 2008: 23). Die genannten buddhistisch inspirierten Bücher zur Selbst- und Lebenshilfe werden auch in asiatische Sprachen übersetzt und innerhalb der Bildungseliten buddhistischer Länder rezipiert (vgl. Garfield 2009). Darin zeigt sich, dass einzelne Diskurse nicht nur im westlichen Kontext ihre Wirkung entfalten. Sie bieten den rezipierenden Akteuren im Sinne diskursiver Subjektpositionen Deutungs- und Handlungsoptionen an. Wenn also im Rahmen einer internationalen Studie über Konvertiten in verschiedenen asiatischen Ländern Akteure äußern, dass sie sich dem tibetischen Buddhismus zuwenden, um ihre Neurosen zu überwinden – dabei handelt es sich um einen Terminus, der im Übrigen sehr prominent in Chögyam Trungpas Vorträgen und Schriften war (vgl. Trungpa 2003c: 46; 2003 g: 523 f; 2003e: 420ff) – dann deutet eine solche Aussage auf die globale Wirksamkeit der skizzierten diskursiven Formationen hin.40 Der Buddhismus eignet sich nicht durch eine ihm inhärente ahistorische Wesensqualität, die ihn per se als psychologische Methode ausweist, zur Bearbeitung von Neurosen, sondern vielmehr ist diese Annahme als diskursiver Effekt zu verstehen, der seine Wirkung auch jenseits westlicher Kontexte entfaltet.

3.3

Das buddhistische Feld im Westen aus transkultureller Perspektive

Eine starre Fokussierung auf den Buddhismus im Westen hat erkenntnistheoretische Nachteile für die religionswissenschaftliche Analyse gegenwärtiger buddhistischer Entwicklungen und Transformationen. Erstens blendet diese 40 Ich beziehe mich hier auf Ergebnisse einer Studie, die von dem Tibetologen Thierry Dodin durchgeführt und auf einem Workshop in Bern am 13. Februar 2009 vorgestellt wurde. Bislang liegt noch keine Publikation der Ergebnisse vor.

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Das buddhistische Feld im Westen aus transkultureller Perspektive

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räumliche Begrenzung einen entscheidenden Wirkungskreis global agierender (tibetisch-)buddhistischer Diskursakteure aus und lässt die Zirkulation und Bewegung von Akteuren, Ideen, Praktiken und Objekten zwischen verschiedenen Regionen des Globus unberücksichtigt. Zweitens verstellt die Beschränkung auf den Gegenstand Buddhismus im Westen die Möglichkeit, beobachtete Entwicklungen und Dynamiken in einem breiteren soziokulturellen Kontext zu analysieren. Vorschnell können dann auftretende Phänomene als typisch für den Buddhismus konstatiert werden, obwohl sich parallele Entwicklungen auch in anderen Bereichen der Gegenwartskultur und -religiosität vollziehen und diese breite gesellschaftliche Tendenzen widerspiegeln. Drittens wird durch die Fokussierung auf den Buddhismus im Westen das Wechselspiel zwischen lokalen Spezialdiskursen und breiteren, hegemonialen Diskursformationen in einem translokalen und z. T. globalisierten Kontext ungenügend berücksichtigt. Im Folgenden werden daher rezente Überlegungen zu Transkulturalität und der globalen Zirkulation von Akteuren, Vorstellungen, Praktiken und Objekten skizziert, die Auswirkungen auf die Konzeptualisierung des Forschungsfeldes Buddhismus im Westen haben. Im Anschluss an das Konzept der globalen kulturellen Flüsse und der Fluidität von Kulturen und Religionen wird Thomas Tweeds Ansatz einer translocative analysis vorgestellt, mit dem sich diese transkulturellen Verflechtungen im westlichen buddhistischen Feld in die Analyse einbringen lassen.

Globale kulturelle Flüsse Die exemplarischen Ausführungen zu den symbolischen Kämpfen im buddhistischen Feld im Westen und den zu beobachtenden diskursiven Verknotungen haben gezeigt, dass der forschungspragmatisch gewählte Ausschnitt gesellschaftlicher Wirklichkeit, der hier unter der Bezeichnung buddhistisches Feld im Westen fokussiert wird, zahlreiche transkulturelle Verflechtungen aufweist, die in der Betrachtung und Analyse berücksichtigt werden müssen. Selbst ein lokal begrenzter Ausschnitt gesellschaftlicher Wirklichkeit und die darin zu verortenden Akteure, Vorstellungen, Praktiken und Objekte, die so zum Gegenstand der Analyse werden, sind als Bestandteile eines dynamischen, globalen Gefüges zu konzeptualisieren, in das der lokale Bereich auf vielfältige Weise eingebettet ist. Wie der Ethnologe Arjun Appadurai anmerkt, ist die moderne Welt durch Menschen, Ideen und Objekte in stetiger Bewegung charakterisiert: »[W]e are functioning in a world fundamentally characterized by objects in motion. These objects include ideas and ideologies, people and goods, images and messages, technologies and techniques. This is a world of flows« (Appadurai 2001: 5).

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

Transkulturelle Prozesse und Faktoren bei der Betrachtung bestimmter lokaler Zusammenhänge sind bisher vor allem in der neueren ethnologischen Forschung betont und konzeptualisiert worden (vgl. Appadurai 1990; Clifford 1997; Appadurai 1999; Pennycook 2007; Heyman/Campbell 2009).41 Dieser Schritt erfolgte im Zuge des cultural turn auf Basis der Erkenntnis, dass Kulturen weder in sich geschlossene, klar voneinander abgrenzbare Gebilde noch statische Räume darstellen (vgl. Welsch 1994; Hock 2002; Reckwitz 2008e), sondern vielmehr hybride Gebilde sind (vgl. Garc†a Canclini 2005; Rosaldo 2005), die in einem fluiden und vielschichtigen Netz transkultureller Verflechtungen bestehen (vgl. Clifford 1997: 17ff; Appadurai 1999; Hepp 2002). Die epistemologische Neuorientierung in den Kultur- und Sozialwissenschaften weg von lokal begrenzten Kulturen hin zu hybriden kulturellen Räumen, die Teil eines vielfältig translokal und transkulturell verknüpften Geflechts von Kulturen sind, vollzog sich verstärkt im Kontext der Analyse von Globalisierungsprozessen. Der britische Soziologe und Globalisierungstheoretiker John Tomlinson (2002) betrachtet Globalisierung als einen Prozess der Deterritorialisierung. Dabei greift er auf Ausführungen des argentinischen Kulturtheoretikers N¦stor Garc†a Canclini zurück, der Deterritorialisierung als »Verlust einer ›natürlichen‹ Beziehung der Kultur zu geographischen und sozialen Territorien« (Garc†a Canclini 2005: 229) fasst.42 Das Konzept der Deterritorialisierung verweist darauf, dass das soziale Leben und die alltagsweltlichen Erfahrungen von Akteuren nicht ausschließlich lokal bestimmt werden, sondern von translokalen und transkulturellen Einflüssen mitgeprägt sind. Auch Appadurai sieht Prozesse der Deterritorialisierung als zentrale Kraft in der modernen Welt, die Menschen, Ideen und Güter in konstante Bewegung rund um die Welt versetze (vgl. Appadurai 1990: 11ff). Die daraus resultierenden fluiden, transkulturellen Verflechtungen hat Appadurai in Form globaler kultureller Flüsse (global cultural flows) konzeptualisiert, die sich in fünf voneinander getrennten und differenten Dimensionen vollziehen. Diese beschreibt er mit den Neologismen Ethnoscapes, Technoscapes, Finanscapes, Mediascapes und Ideoscapes. Dabei handelt es sich jeweils um fließende, unregelmäßig geformte »Landschaften« von Menschen, Technologien, Kapital, Informationen und Ideologien/Vorstellungen, die jeweils abhängig von der Perspektive der Betrachtung (z. B. ausgehend vom Nationalstaat, einer Diaspora-Gemeinschaft 41 Eine ähnliche Entwicklung ist vor allem in der Erforschung von Migrationsprozessen und Diasporakonstellationen unter dem Stichwort »Transnationalismus« zu beobachten. Siehe dazu den Sammelband herausgegeben von Vertovec/Cohen (1999) sowie Vertovec (2009). 42 Hier ist darauf hinzuweisen, dass Garc†a Canclini nicht nur von einem Prozess der Deterritorialisierung, sondern auch von Prozessen der Reterritorialisierung spricht, die zeitgleich verlaufen als »certain relative, partial territorial relocalizations of old and new symbolic productions« (Garc†a Canclini 2005: 229).

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Das buddhistische Feld im Westen aus transkultureller Perspektive

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oder einer Familie) anders geformt sind.43 Diese Landschaften stellen Appadurai zufolge die Bausteine für imaginierte Welten dar, die durch historisch situierte Imaginationen von Akteuren und Gruppen verstreut über die ganze Welt konstituiert werden (vgl. Appadurai 1990: 7).44 Für Appadurai bildet die Imagination die konstitutive Kraft des sozialen Lebens der Gegenwart, die durch die vielfältigen und verschiedenen voneinander getrennten, globalen kulturellen Flüsse von Menschen, Kapital, Objekten, Informationen, Ideen und Bildern gespeist wird (vgl. Appadurai 1999: 471; 2001: 6). Die amerikanischen Anthropologen Josiah Heyman und Howard Campbell plädieren dafür, die Beziehung der verschiedenen globalen kulturellen Flüsse nicht nur als voneinander getrennt und unabhängig zu konzeptualisieren, sondern weitere Formen der Interaktion, wie z. B. die gegenseitige Verstärkung und Verhältnisse der gegenseitigen Bedingung zwischen verschiedenen transkulturellen Flüssen in Betracht zu ziehen (vgl. Heyman/Campbell 2009: 134). Die starke Betonung von Prozessen der Deterritorialisierung in Appadurais frühem Entwurf der kulturellen globalen Flüsse versuchen sie durch den Verweis auf gleichzeitig stattfindende Prozesse der Reterritorialisierung als Effekte transkultureller Flüsse zu korrigieren. Transkulturelle Flüsse lassen sich nicht nur als geographische Grenzen transzendierende Kraft konzeptualisieren, die feststehende geographische Referenzpunkte verschwinden lassen, sondern sie konstituieren und reproduzieren gleichzeitig geographisch-kulturelle Bezugsräume (vgl. Garc†a Canclini 2005: 229; Heyman/Campbell 2009: 137). Um die Effekte transkultureller Flüsse zu analysieren und zu verstehen, muss dem australischen Sprachwissenschaftler Alastair Pennycook zufolge nicht nur betrachtet werden, wie sich kulturelle Formen über den Globus bewegen, sondern auch wie die kulturellen Formen in lokalen Kontexten aufgenommen und transformiert werden (vgl. Pennycook 2007: 7): Transcultural flows therefore refer not merely to the spread of particular forms of culture across boundaries, or the existence of supercultural commonalities (cultural forms that transcend locality), but rather to the processes of borrowing, blending, remaking and returning, to the processes of alternative cultural production. (Pennycook 2007: 6)

Konkrete Lebenswelten, in denen sich, vermittelt durch Akteure, diese Prozesse des Verschmelzens, der Adaption und Transformation vollziehen, sind dabei jedoch als Teil einer globalisierten und deterritorialisierten Welt zu begreifen 43 Der von Appadurai verwendete Suffix -scape verweist auf die Standortgebundenheit der jeweiligen Perspektive bei der Betrachtung dieser fließenden Gebilde, die als unregelmäßige Landschaften beschrieben werden. 44 Diese imaginierten Welten entwirft Appadurai in Anlehnung an und Erweiterung von Benedict Andersons Konzept der imagined communities (vgl. Anderson 1983).

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(vgl. Appadurai 1999: 468), deren Lokalität in diesem Kontext konstruiert und interpretiert wird (vgl. Appadurai 1999: 471; Pennycook 2007: 6). Lokal und global sind demnach nicht als feststehende Räume, sondern als relationale Konzepte zu verstehen (vgl. Clifford 1997: 7).45 Sozialwissenschaftliche Ansätze, welche die globale Fluidität und Bewegung von Akteuren, kulturellen Formen und Diskursen betonen, sprechen sich zumeist gegen ein Verständnis der Globalisierung als einen ausschließlich homogenisierenden Prozess aus (vgl. Nederveen Pieterse 1994; Robertson 1995; Appadurai 1996: 11; Fairclough/Thomas 2004). Globalisierung wird als ein multidimensionaler Prozess verstanden, der sich zugleich in multiplen gesellschaftlichen Räumen auf vielfältigste Art und Weise vollzieht und sowohl Tendenzen zur Homogenisierung als auch zur Heterogenisierung einschließt (vgl. Robertson 1995). Globalisierung ist also eher als ein Prozess der Hybridisierung denn der Standardisierung zu betrachten (vgl. Nederveen Pieterse 1994). Heterogenisierung und Hybridisierung von Kulturen, Identitäten, kulturellen Formen und Praktiken finden jedoch nicht erst vermittelt durch moderne Prozesse der Globalisierung statt. Eine solche Annahme basiert auf Konzepten von Kultur und Identität als in sich geschlossene, homogene Entitäten, die sich erst durch den verstärkten Kulturkontakt im Zuge der Globalisierung überlagern und vermischen würden. Diese Annahme ist in der neueren kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung zunehmend kritisiert worden (vgl. Welsch 1994; Reckwitz 2008e; Heyman/Campbell 2009). Renato Rosaldo zufolge kann Hybridität als immerwährende Bedingung aller Kulturen betrachtet werden, die keine Zonen kultureller Reinheit enthalten, da sie stetigen Prozessen der Transkulturation unterliegen: »[I]t is hybridity all the way down« (Rosaldo 2005: xv). N¦stor Garc†a Canclini definiert den Prozess der Hybridisierung daher wie folgt: I understand for hybridization socio-cultural processes in which discrete structures or practices, previously existing in separate form, are combined to generate new structures, objects and practices. In turn it bears noting that the so-called discrete structures were a result of prior hybridizations and cannot be considered pure points of origin. (Garc†a Canclini 2005: xxv)

45 Robertson (1995) nutzt den Begriff glocalization, um die Polarität zwischen den Konzepten lokal und global aufzuheben. Pennycook arbeitet mit den Begriffen Fluidität (fluidity) und Fixierung (fixity), um die statische Dialektik zwischen dem Globalen und dem Lokalen zu überwinden (vgl. Pennycook 2007: 7). Der Begriff Fluidität verweist auf die Bewegung und das Fließen kultureller Formen (z. B. Musik, Sprache) durch Zeit und Räume; der Begriff der Fixierung beschreibt, wie kulturelle Formen in lokalen Kontexten materiell, ideell und sozial eingebettet werden.

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Das buddhistische Feld im Westen aus transkultureller Perspektive

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Um diese Bewegung von einzelnen Strukturen und Praktiken zu hybriden Konstellationen von Strukturen und Praktiken zu beschreiben, greift Garc†a Canclini auf den von Brian Stross beschriebenen »Hybriditätszyklus« zurück. Stross zufolge ist historisch betrachtet eine Bewegung von relativ heterogenen Formen hin zu mehr homogenen Formen und von dort wieder zu stärker heterogenen Formen zu beobachten, ohne dass eine dieser Formen »rein« oder im einfachsten Sinne homogen sei. Diese Überlegungen verweisen darauf, dass Prozesse der Hybridisierung durchaus mit Prozessen der Homogenisierung einhergehen, da die Attribute hybrid/heterogen und homogen sozial konstruierte Kategorien darstellen, die kontext- und perspektivenabhängig unterschiedlich zur Anwendung gelangen (vgl. Stross 1999: 265 f).

Thomas Tweeds »Translocative Analysis« Im Anschluss an die oben skizzierten Überlegungen zur Entkoppelung von geographischem Raum und Kultur, die Kontakt, Bewegung und Austausch betonen und in der Untersuchung von Kulturen auf die transkulturellen und globalen Verflechtungen verweisen, hat der Religionswissenschaftler Thomas A. Tweed eine Religionstheorie vorgelegt, die diese Punkte berücksichtigt (vgl. Tweed 2006; 2011). Tweed bedient sich aquatischer Metaphern in der Konzeptualisierung von Religion als etwas, das ständig im Fluss ist. So wie Kulturen keinen statischen Wesenskern aufweisen, würden auch religiöse Traditionen kein reines oder unabhängiges Substrat besitzen, sondern aus einem Zusammenfließen verschiedener Flüsse und Ströme bestehen: To return to the aquatic metaphor, each religion is a flowing together of currents – some enforced as »orthodox« by institutions – traversing multiple fields, where other religions, other transverse confluences, also cross, thereby creating new spiritual streams. (Tweed 2006: 60).

Die Wassermetaphorik verhindere eine Essentialisierung von Religion als etwas Statisches und Isoliertes; sie helfe zu betrachten, wie Religionen aufeinander Bezug nehmen und sich durch Kontakt, Austausch und Abgrenzung gegenseitig transformieren und wie sich ihre Beziehungen zu Gesellschaft, Politik und Ökonomie gestalten (vgl. Tweed 2006: 60). Tweed bestimmt Religion als räumliche Praxis, die durch zwei zentrale Prozesse geprägt ist. Zum einen handelt es dabei um den aktiven Prozess des sich Niederlassens, des heimisch Werdens und des Schaffens eines neuen Zuhauses, den er dwelling nennt (vgl. Tweed 2006: 80 – 122). Zum anderen handelt es sich um einen Prozess, den Tweed als crossing beschreibt. Crossing bezeichnet hier den aktiven Prozess des Überquerens, des Überschreitens, des sich Bewegens von einem Ort

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zu einem anderen, von einem Lebensabschnitt in den nächsten oder von einer Welt in die andere (vgl. Tweed 2006: 123 – 163). Was die Praktiken des Niederlassens und des Überquerens zu Bestimmungsmerkmalen von Religion macht, sind ihre Bezugnahmen auf übermenschliche Mächte: »Religions are confluences of organic-cultural flows that intensify joy and confront suffering by drawing on human and suprahuman forces to make home and cross boundaries« (Tweed 2006: 54). Auch diese Religionsdefinition vermag es nicht, alle typischen Probleme der Bestimmung von Religion zu umgehen. Sie weist durch den Bezug auf außerhalb des Menschen stehende Instanzen einen essentialistischen Zug auf. Durch die vier beschriebenen Aufgaben von Religion, d. h. Freude zu intensivieren, Leid zu begegnen, ein Zuhause zu schaffen und Grenzen zu überschreiten, ist dieser Religionsdefinition auch einen funktionalistischer Zug zu eigen. Gleichzeitig markieren jedoch Begriffe wie »Zusammenfluss« oder »Strom« und die Formulierungen »to make home« oder »(to) cross boundaries« Bewegung und Prozesshaftigkeit. Außerdem zeigt die Beschreibung als »organic-cultural flow« das Zusammenspiel von organischen (d. h. von körperlichen ebenso wie durch die natürliche Umwelt bedingten) und soziokulturellen Faktoren an (vgl. Tweed 2006: 66). Diese Definitionsanteile verweisen auf Mobilität, Handlung, Veränderung über Raum und Zeit und die komplexen Relationen zwischen dem Menschen und seiner natürlichen und soziokulturellen Umwelt; sie vermeiden dadurch eine statische und rein auf religiöse Vorstellungen bezogene Bestimmung von Religion. Tweed gewann seine Religionsdefinition anhand empirischen Materials. Bisherige Religionstheorien und Definitionen eigneten sich Tweed zufolge nicht, um die Art und Weise, wie kubanische Migranten an einem kubanisch-katholischen Schrein in Miami ihre Religion leben, vollständig zu erfassen (vgl. Tweed 1997; 2011: 20 f). Kritiker haben deshalb darauf verwiesen, dass sich Tweeds Theorie, die Bewegung und Mobilität in den Vordergrund stellt, insbesondere zur Analyse von transnationalen oder transkulturellen Formen von Religion eigne. Finbarr Curtis hat vorgeschlagen, Tweeds Überlegungen zu Religionen eher als »nuancierte und wohlüberlegte Strategien« (Curtis 2009: 432) zur Analyse der Fluidität von Religionen zu betrachten. Bei Tweeds Theorie der Religion handele es sich vielmehr um eine methodologische Reflexion, wie man das konstante In-Bewegung-Sein über Raum und Zeit und die Relationalität von organischen und soziokulturellen Faktoren in der Untersuchung von Religionen berücksichtigen könne (vgl. Curtis 2009: 432). Für die konkrete Untersuchung von Religionen in Bewegung schlägt Tweed daher einen Modus vor, den er als translocative history oder translocative analysis bezeichnet. Entwickelt hatte Tweed diesen Analysemodus im Rahmen seiner Forschung zum kubanisch-katholischen Schrein in Miami sowie bei seiner historischen Studie zu D.T. Suzuki und der Frage, wie Suzuki durch das Gedankengut des schwedischen Mystikers Emanuel Swedenborg beeinflusst wurde

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(vgl. Tweed 1997: 94 – 98; 2005: 269 f). Seine Suche nach Akteuren, mit denen Suzuki in Kontakt stand, und nach Quellen, die ihm zugänglich waren, führte Tweed auf eine »Reise« über drei Kontinente (Asien, Nordamerika und Europa) und in eine verwobenes Netzwerk aus Akteuren, Objekten (Texten) und kursierenden Vorstellungen, das sich über mehrere Länder und Jahre erstreckte. Um die verschiedenen Orte des Geschehens, die beteiligten Akteure, Objekte und Ideen in Beziehung zu setzen, entwarf Tweed seinen Analysemodus als »translocative«. Die Bezeichnung wurde bewusst und in Abgrenzung von Ansätzen gewählt, die sich als international, transnational oder global verstehen. Der Bezug auf den Nationalstaat als bestimmende Untersuchungseinheit, der in den Begriffen international und transnational mitschwingt, soll so überwunden werden. Tweed geht es gerade nicht oder nicht ausschließlich um die Betrachtung von Austauschprozessen zwischen zwei oder mehreren Nationalstaaten oder über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Denkbar sind schließlich auch ganz andere räumliche Bezüge, die sich nicht an politischen Einheiten orientieren und viel kleiner als der Nationalstaat oder wesentlich größer sein können. Das Adjektiv global sei insofern ungeeignet, da es sich nicht immer um Gegenstände handele, die alle Bereiche des Globus gleichermaßen betreffen, auch wenn die analysierten Phänomene in einem globalen Kontext zu verorten sind (vgl. Tweed 2005: 269 f; 2011: 25). Das Attribut »translocative« verweist somit auf breiten und offenen Rahmen für die Analyse komplexer Austauschprozesse auf unterschiedlichen Ebenen, die nicht auf Bewegungen zwischen distinkten Einheiten wie dem Nationalstaat beschränkt sind. Natürlich können auch transnationale Flüsse oder die globale Verbreitung bestimmter Vorstellungen und Praktiken in den Fokus einer »translocative analysis« geraten, sollte der Untersuchungsgegenstand eine solche Rahmung erfordern. Die translocative analysis folgt fünf Axiomen. (1) Das erste Axiom lautet »Folge den Flüssen!« und fordert zunächst dazu auf, die Bewegung und/oder Veränderung auch in Dingen zu sehen, die zunächst statisch scheinen, wie Gebäude oder Landschaften. Darüber hinaus ist es eine Aufforderung den Flüssen von Akteuren, Artefakten, Institutionen und Praktiken zu folgen, durch die ein unbestimmter Raum in einen spezifischen Ort transformiert wurde. (2) Das zweite Axiom besagt, dass man in der Analyse alle Figuren und Elemente, die das Untersuchungsfeld durchkreuzen, berücksichtigen solle. Dazu zählen nicht nur alle offensichtlich Beteiligten, sondern auch die weiteren Personen oder Gruppen und diejenigen, die abwesend sind. (3) Das nächste Axiom verlangt, dass in der Analyse alle Sinne, die in religiöser Praxis angesprochen werden, und alle Komponenten, die mit Religionen verbunden sind, berücksichtigt werden. (4) Das vierte Axiom fordert dazu auf, den Rahmen der Analyse dynamisch den Erfordernissen der untersuchten Flüsse anzupassen und bei Bedarf räumlich und zeitlich zu erweitern bzw. zu verengen. (5) Das letzte Axiom verweist auf die

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

Bedeutung von Macht, sozialer Kontrolle und institutionellen Strukturen in der Regulation religiöser organisch-kultureller Flüsse. Institutionen und Organisationen spielen eine entscheidende Rolle in der Ermöglichung und Verstärkung von bestimmten Flüssen von Menschen, Artefakten und Praktiken sowie bei der Unterbrechung oder Unterbindung von anderen Strömen. Mit dem letzten Punkt verweist Tweed darauf, dass nicht grundsätzlich alles immer fließt – auch wenn seine theoretischen Überlegungen religiöse Traditionen als etwas begreifen, das sich in konstanter Bewegung und Veränderung befinde. Hier soll der Blick darauf gelenkt werden, dass bestimmte Faktoren einzelne Ströme räumlich und zeitlich begrenzen oder stoppen können. In der Analyse ist also auch explizit nach diesen Bedingungen zu fragen. Eine an diesen Axiomen ausgerichtete Analyse habe ihm geholfen, die religiösen Vorstellungen und Praktiken der kubanischen Migranten am katholischen Schrein in Miami besser zu verstehen: »[F]or them religion was translocative, a term I coined to make sense of what I found during fieldwork: religious rituals, stories, metaphors, institutions, and artifacts propelled them back and forth between the homeland and the new land« (Tweed 2011: 20, Hervorhebung im Original). Tweeds translocative analysis richtet sich explizit gegen ein Verständnis von religiösen Traditionsgefügen wie Buddhismus oder Christentum als statisch, homogen oder rein. Sein Ansatz betont dagegen Bewegung, Heterogenität oder »Vielheit« – Tweed nennt es manyness – und Vermischung. Ein solcher Analysehorizont ermöglicht zum einen konkrete Räume religiöser Praxis zu untersuchen und in größere translokale und soziokulturelle Zusammenhänge einzubetten (z. B. der kubanisch-katholische Schrein in Miami, vgl. Tweed 1997). Zum anderen können mit der translocative analysis einzelne religiöse Akteure und ihre Einbettung in organisch-kulturelle Ströme über Raum und Zeit und die daraus erwachsenen Veränderungen und Konsequenzen für die Religionsgeschichte erarbeitet werden (z. B. D.T. Suzukis Rezeption des Swedenborgianischen Mystizismus, vgl. Tweed 2005). Solche Figuren fungierten in der Religionsgeschichte – um in der aquatischen Metaphorik zu bleiben – als Quellwasser für neue religiöse Ströme und damit für religiöse Transformationen und Innovationen: In that sense, [Mary Baker] Eddy, [Martin Luther] King, [John] Winthrop […] functioned as headwaters, the source and upper end of a religious stream. They propelled and redirected devotees through the crisscrossing fissures in the cultural terrain, creating new beds and streams as they went. And to shift the aquatic image again, like aquifers, long after the spiritual flows they propelled had seeped down into subterranean cultural basins, so deep no one seemed to notice anymore, the residue of their efforts conducted groundwater that would surface again in new springs, some of which would emerge as new headwaters. (Tweed 2006: 176)

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Das buddhistische Feld im Westen aus transkultureller Perspektive

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Buddhismus im Westen als fluides und transkulturell verknüpftes Feld Der heuristisch gewählte Ausschnitt gesellschaftlicher Wirklichkeit, der hier mit dem Begriff des buddhistischen Feldes im Westen umrissen wird, ist als ein solches hybrides und fluides Gebilde mit vielfältigen translokalen und transkulturellen Verflechtungen zu konzeptualisieren. Gespeist durch transkulturelle Flüsse von Akteuren, Ideen, Imaginationen, Praktiken und materiellen Objekten, die sich in verschiedenen Richtungen über den Globus bewegen – und nicht nur von Asien in den Westen, wie in der Herausbildung des buddhistischen Modernismus deutlich wird (vgl. McMahan 2008) –, formierte sich eine neue globale Form des Buddhismus, die von einigen Autoren als »TransBuddhismus« (Bhushan/Garfield/Zablocki 2009) oder »globaler Buddhismus«46 (Baumann 2001; McMahan 2008: 259) bezeichnet wird. Sichtbar wird dies in der Etablierung »globaler, pan-buddhistischer Identitäten, die einzelne nationale Traditionen überschreiten« (Bhushan/Zablocki 2009: 2) und deren Identifikationsmodelle unter anderem durch transnationale Netzwerke von buddhistischen Akteuren, international publizierte Werke gegenwärtiger buddhistischer Spezialisten und grenzüberschreitende Medienformate global verbreitet werden (vgl. Baumann 2005; Samuel 2005b). Darüber hinaus hat der Buddhismus im transnationalen öffentlichen Raum eine starke Sichtbarkeit erlangt, die nicht kongruent mit der Zahl derer erscheint, die Kontakt mit buddhistischen Akteuren hatten beziehungsweise haben oder Wissen über buddhistische Lehren und Praktiken besitzen (vgl. Bhushan/Zablocki 2009: 3). Zudem scheint der Buddhismus im öffentlichen Raum mehrheitlich mit positiven Zuschreibungen und Assoziationen belegt zu werden, wie ein Blick in populäre Medienformate – von Frauenzeitschriften über Wissensmagazine, Spielfilme und das Internet – zeigt. Die Anziehungskraft, die von dem als Buddhismus Bezeichneten ausgeht, verdankt sich anhaltenden Prozessen der Imagination und Re-Imagination des Buddhismus im Kontext vielfältiger transkultureller Flüsse, in denen sich dominante Diskursstränge des buddhistischen Modernismus miteinander verschränken (vgl. McMahan 2008: 241ff). Diese Prozesse lassen den Begriff Buddhismus zu einem gleitenden Signifikanten werden, der nicht durch eine konkrete Bestimmung, sondern durch ein flexibles Set von Assoziationen und Konnotationen gekennzeichnet ist (vgl. Bhushan/Zablocki 2009: 3). Gleichzeitig wird diese moderne, globale, transkulturelle Form des Buddhismus im Sinne von Appadurais Ideoscapes durch konkrete Akteure in verschiedene lokale Kontexte und soziale Zusammenhänge getragen, die in ihrer Lebenswelt mit als 46 Siehe auch die gleichnamige Online-Fachzeitschrift Journal of Global Buddhism (http:// www.globalbuddhism.org/dig.html), die u. a. von Charles S. Prebisch, Martin Bauman, Franz A. Metcalf und David McMahan herausgegeben wird.

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Theoretische Perspektiven auf das buddhistische Feld im Westen

buddhistisch verstandenen Lehren, Praktiken und Objekten interagieren und jene in diesem Prozess für sich aktualisieren, adaptieren und transformieren. Ausgehend von der theoretischen Vorannahme, dass kulturelle Formen und Praktiken immer aus hybriden Konstellationen bestehen, kann auch das als Transbuddhismus oder globaler Buddhismus bezeichnete Gefüge nicht als homogen, sondern als vielgestaltig und komplex gedacht werden. Welche konkreten Formen dieses hybride, heterogene Gefüge von Akteuren, Vorstellungen, Praktiken, Materialitäten und Imaginationen in spezifischen sozialen und lokalen Kontexten unter jeweils spezifischen Bedingungen annehmen kann, lässt sich jedoch nur im Rahmen empirischer (historischer wie sozialwissenschaftlicher) Studien ermitteln. Chögyam Trungpa als ein prominenter Akteur im westlichen buddhistischen Feld und die von ihm begründete Gemeinschaft sowie die von ihm vermittelten Lehren und Praktiken des Shambhala-Weges bilden den Kristallisationspunkt der vorliegenden Studie. Anhand einer historisch-biographisch orientierten Mikrostudie werden die verschiedenen transkulturellen Einflussfaktoren und Konstellationen herausgearbeitet, die Trungpas Präsentation des tibetischen Buddhismus und der Shambhala-Lehren beeinflusst haben. Trungpa wurde in Tibet geboren, in einer buddhistischen Klosterinstitution sozialisiert und dort als Abt und inkarnierter Tülku inthronisiert. Nach seiner Flucht lebte er einige Zeit im indischen Exil und traf dort erstmalig auf westliche Interessenten am tibetischen Buddhismus. Er ging zum Studium nach England und siedelte schließlich nach Nordamerika über. In allen geographischen Stationen seines Lebens hatte er zahlreiche Kontakte mit Menschen, verschiedenen kulturellen Vorstellungen und Praktiken (sowohl religiöse als auch nicht-religiöse) und kulturellen Gütern, die auf unterschiedliche Weise Eingang in sein Leben und Wirken gefunden haben. Im Rahmen einer an Tweed angelehnten translocative analysis wird herausgearbeitet, wie diese transkulturellen Verflechtungen im Schaffen Trungpas zur Herausbildung eines neuen Wissens- und Praxisfeldes – eines neuen Stroms durch das westliche buddhistische Feld – geführt haben. Dieser neue Strom hat das westliche buddhistische Feld nachhaltig geprägt und existiert bis heute in der Form eines internationalen Netzwerkes von Praxiszentren, die sich auf Chögyam Trungpa und seine Lehren berufen.

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4.

Religionsgeschichtlicher Hintergrund: Tibetischer Buddhismus und der Mythos von Shambhala

Das geheimnisvolle, hinter den schneebedeckten Gipfeln des Himalaya verborgene Tibet gilt einerseits als Schatzkammer der buddhistischen Kultur und Bewahrer einer vorbildlichen buddhistischen Ethik… Andererseits regt das »Dach der Welt« auch heute noch die Phantasie und Sehnsucht vieler Menschen im Westen an: Bilder unnahbarer, unendlich weiter Landschaften, debattierender Mönche und unermüdlicher Pilger sowie Geschichten von abenteuerlichen Expeditionen, von Heiligen und Weisen beflügeln unser Vorstellungsvermögen. (Jeong-hee Lee-Kalisch 2006: 13)1

In den theoretischen Vorüberlegungen wurde gezeigt, dass die Konzepte Religion und Buddhismus aufgrund ihrer europäisch-christlichen Begriffsgeschichte und ihrer Verwobenheit in orientalisierende Diskurse problematische Implikationen tragen. Die Begriffe bezeichnen keine Phänomene sui generis, sondern stellen soziale Konstrukte dar, die sich im Zuge der westlichen Auseinandersetzung mit nicht-europäischen Kulturen herausgebildet haben. Der Terminus Buddhismus ist das Ergebnis einer Systematisierung heterogener religiöser Vorstellungen und Praktiken in Asien nach einem christlich- protestantischen Modell durch westliche akademische Disziplinen des 19. Jh. im Kontext des Kolonialismus und Imperialismus (vgl. Almond 1988; Lopez 1995c; Masuzawa 2005; Kollmar-Paulenz 2007). Der Begriff tibetischer Buddhismus stellt in diesem Zusammenhang jedoch eine relativ späte Entwicklung dar. Noch im 19. Jh. war es üblich die »Religion Tibets«2 mit dem pejorativen Begriff Lamaismus zu beschreiben, da man diesen als Endpunkt einer langen Degeneration des Buddhismus von seiner reinen, klassischen indischen Form be1 Zitat aus dem Einleitungsartikel zur Konzeption der Ausstellung Tibet: Klöster öffnen ihre Schatzkammern des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin. 2 Diese Wahrnehmung differenzierte nicht zwischen den verschiedenen religiösen Traditionen in Tibet, zu der auch die Bön-Religion und eine muslimische Minderheit gehörten. Zum Bön und den Bönpo (Anhänger der Bön-Religion) siehe die Ausführungen von Per Kværne und Dan Martin (vgl. Kværne 1985; 1993; 1995; Martin 2001).

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Religionsgeschichtlicher Hintergrund

trachtete (vgl. Lopez 1998: 32 – 45). Erst zum Ende des 19. Jh. und vor allem im Laufe des 20. Jh. zeichnete sich eine zunehmende Aufwertung Tibets und des tibetischen Buddhismus ab, die vor allem durch die tibetische Exilsituation seit 1959 und das Wirken zahlreicher tibetisch-buddhistischer Experten im westlichen Ausland beschleunigt wurde. Bekannte tibetisch-buddhistische Akteure verwenden den Begriff heute völlig selbstverständlich zur Beschreibung ihrer eigenen religiösen Tradition, was zeigt, dass der Begriff Einzug in die soziale Realität verschiedener buddhistischer Akteure – tibetischer wie auch westlicher – gehalten hat. Gleichzeitig lässt sich feststellen, dass mit der Verwendung des Begriffs tibetischer Buddhismus vor allem ein modernes, ahistorisches und essentialisiertes Konstrukt rezipiert wird, durch das der tibetische Buddhismus als per se tolerant, gewaltfrei und spirituell präsentiert und naturalisiert wird (vgl. Bergunder 2006b: 155 f). An dieser diskursiven Konstruktion waren und sind westliche wie asiatische Akteure gleichermaßen beteiligt. Das Kapitel beinhaltet einen sozialhistorisch orientierten Abriss der Geschichte des Buddhismus in der zentralasiatischen Region, die gemeinhin als Tibet3 bezeichnet wird. Der Begriff tibetischer Buddhismus wird hier unter Berücksichtigung der Tatsache verwendet, dass damit keine homogene und ahistorische Tradition, sondern ein dynamisches Gefüge aus verschiedenen historischen Entwicklungen, Institutionen, Akteuren, Lehren, Praktiken und materiellen Objekten beschrieben wird.4 Aufgrund des Überblickcharakters der Darstellung bleibt nicht genug Raum, um auf die vielfältigen Ausprägungen des tibetischen Buddhismus sowie seine historischen, politischen und ökonomischen Verflechtungen mit verschiedenen Herrschaftshäusern einzugehen. Dazu 3 Die Bezeichnung Tibet schließt je nach historischem Kontext und Perspektive des Betrachters eine zentralasiatische Region mit sehr unterschiedlichen geographischen Ausdehnungen und Grenzziehungen ein. Zur Großreichszeit vom 7. bis 9. Jh. reichten die Grenzen von Nordchina bis nach Nordindien, während die heutige Tibetische Autonome Region (TAR), die politisch China untersteht, nur einen Teil des tibetischen Kulturraumes umfasst. Für lange Zeiträume der Geschichte gab es keine tibetische Zentralgewalt, sondern verschiedene einflussreiche Fürstentümer. Ab dem 17. Jh. bis zur chinesischen Okkupation 1959 stellte die Regierung des Dalai Lama die politische Zentralgewalt in den zentraltibetischen Regionen sowie in Teilen West- und Osttibets dar, jedoch nicht in allen Bereichen des tibetischen Kulturraumes (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 13 – 17, 190 f). 4 In der tibetischen Sprache findet sich der Terminus Chö (chos), der eine Übersetzung des Sanskrit-Begriffs Dharma (Lehre, Gesetz) darstellt und in Quellen zur Bezeichnung des Buddhadharma verwendet wurde. Buddhistische Chroniken, genannt Chöchung (chos ’byung), beschreiben die Geschichte der buddhistischen Tradition in Tibet. Insofern kann der Begriff tibetischer Buddhismus als funktionelles Äquivalent gesehen werden. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine religiös orientierte Geschichtsschreibung häufig eine idealtypische Schilderung der eigenen Tradition darstellt und somit bestimmten Anliegen folgt. Hier wird jedoch im Sinne Bernhard Faures auf eine kurze, sozialhistorisch und kritisch orientierte Darstellung der Geschichte des tibetischen Buddhismus im Sinne einer »differential tradition« (Faure 1991: 11) abgezielt.

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Tibetischer Buddhismus und der Mythos von Shambhala

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liegen bereits sehr gute Einführungen vor, die jenseits des modernen Mythos Tibet zeigen, wie sich verschiedene tibetische Institutionen in einem dynamischen Wechselspiel aus historisch spezifischen Konstellationen und deren sozialen, politischen und ökonomischen Einflüssen herausgebildet haben und noch heute exiltibetische Entwicklungen beeinflussen.5 Diese Darstellungen brechen mit dem populären Bild eines friedliebenden und dem Zugriff der profanen Welt entzogenen Tibets auf dem »Dach der Welt«, dessen Bewohner sich ganz und gar dem religiös-spirituellen Leben widmen, und zeigen vielmehr die sozialhistorische Komplexität der tibetischen Religionsgeschichte auf (vgl. Kapstein 2000; 2006; Kollmar-Paulenz 2006; Norbu 2001). Das populäre Bild eines exotischen, mythischen Tibets zeigt sich auch in der Rezeption des Shambhala-Mythos. Beide Motive – das mythische Tibet und das mythische Shambhala – erfahren ähnliche Zuschreibungen und verschmelzen in der westlichen Rezeption z. T. miteinander. Im zweiten Teil des Kapitels wird daher genauer auf den Shambhala-Mythos eingegangen, der in Chögyam Trungpas Lehren einen zentralen Bezugspunkt bildete. Der tibetisch-buddhistische Mythos von Shambhala avancierte in der westlichen Hemisphäre zur Chiffre für die Sehnsucht nach einem »spirituellen« oder »geistigen Paradies«. Dieses spirituelle Paradies fungierte als Gegenentwurf zum postulierten Materialismus der modernen industrialisierten Gesellschaften. Bereits lange vor Ankunft der ersten exiltibetischen buddhistischen Lehrer in Europa und Amerika gelangte der Mythos über Missionare und Orientalisten in die westliche Welt. Von dort aus wurde er von verschiedenen Akteuren aufgegriffen, die vorrangig aus theosophischen Kreisen stammten, und in der alternativ-religiösen und spirituell orientierten Literatur des 20./21. Jh. verarbeitet. Als Chögyam Trungpa in den 1960er Jahren nach Europa kam, hatte der Mythos von Shambhala dort bereits westliche Interpretationen und Deutungen erfahren. In den 1970er Jahren präsentierte Trungpa in Nordamerika, inspiriert durch den Shambhala-Mythos, einen neuen Praxisweg, der in einer sehr spezifischen Art und Weise auf die Idee von Shambhala rekurrierte. Trungpa, der aus dem tibetischen Kontext stammte und in der westlichen Welt als buddhistischer Lehrer aktiv war, führte in seiner Präsentation der Shambhala-Lehren unterschiedliche Fäden zusammen. Die Sehnsucht nach einer besseren Welt aufgreifend, kreierte er mit dem Praxisweg des Shambhala Training die Vision einer erleuchteten Gesellschaft, die es im Hier und Jetzt zu verwirklichen gelte. Trungpas Ideen wurden von seinem Sohn und Erben Sakyong Mipham in den letzten Jahren aktualisiert und reinterpretiert. Um die Adaptionen und Transformationen aufzuzeigen, die der Mythos von Shambhala beziehungsweise Elemente des 5 Das zeigte sich beispielsweise in der sog. Dorje Shugden-Kontroverse (vgl. Waterhouse 1997: 154 – 162; Kay 2004: 44 – 52; Kollmar-Paulenz 2006: 176ff).

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Religionsgeschichtlicher Hintergrund

Mythos beim Transfer von Asien in die westliche Welt durchlaufen hat, ist es zunächst notwendig, den Mythos im tibetisch-buddhistischen Kontext näher zu betrachten. So können die spezifischen Konnotationen herausgearbeitet und die verschiedenen Interpretationen des Shambhala-Motivs innerhalb des tibetischen Kontextes im Verlauf der Geschichte nachgezeichnet werden. Daran anschließend werden die modernen westlichen Rezeptionslinien zum ShambhalaMythos skizziert. Der sozialhistorisch orientierte Abriss zum tibetischen Buddhismus und die Darstellung des Shambhala-Mythos und seiner Rezeption im Westen liefern gleichzeitig Hintergrundinformation für die folgenden Kapitel, die auch der Leserin, die mit diesem Feld nicht vertraut ist, eine Kontextualisierung des Lebens und Wirkens Chögyam Trungpas und der von ihm vorgenommenen Rückbezüge auf seine Tradition ermöglichen sollen. In diesem Sinne fungiert die Darstellung als Referenz, auf die in den nächsten Kapiteln entsprechend rückverwiesen wird. Auf diese Weise soll gleichzeitig das Defizit an einer historischkritischen Einordnung Chögyam Trungpas im tibetisch-buddhistischen Feld, durch das einige bisherige Arbeiten gekennzeichnet sind (z. B. Urban 2000; Eldershaw 2004; 2007), ausgeglichen werden.

4.1

Tibetischer Buddhismus – Eine Einführung

Im westlichen Kontext findet man sowohl unter buddhistischen Akteuren als auch unter Akademikern auf dem Gebiet des Buddhismus häufig den synonymen Gebrauch der Termini Vajraya¯na, tantrischer oder esoterischer Buddhismus sowie tibetischer Buddhismus. Sowohl der Begriff Vajraya¯na, als auch die Bezeichnungen tantrischer oder esoterischer Buddhismus können zur Beschreibung der im tibetischen Kulturraum vorherrschenden Form des Buddhismus herangezogen werden, jedoch sind sie nicht mit dem tibetischen Buddhismus gleichzusetzen. Im Folgenden sollen daher die Implikationen, die mit dem jeweiligen Gebrauch der Begriffe einhergehen, geklärt werden. Die Bezeichnung Vajraya¯na leitet sich aus dem Sanskritwort vajra (tib. dorje)6 ab, das sich mit diamanten oder unzerstörbar übersetzen lässt. Im substantivischen Gebrauch bezeichnet Vajra/Dorje auch das Diamantzepter oder den Donnerkeil (vgl. Davidson 2002b: 197). Bei dem Begriff Vajraya¯na handelt es sich um eine retrospektiv angewandte Bezeichnung für eine spezifische Ent6 Die korrekte Transliteration der tibetischen Begriffe findet sich im Verzeichnis im Anhang. Ich verwende hier zumeist eine an der Aussprache orientierte Schreibweise der tibetischen Begriffe um den Text lesbar zu gestalten, da die philologisch korrekte Transliteration der tibetischen Silben nicht jeder Leserin vertraut sein dürfte und so unverständlich sein könnte.

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Tibetischer Buddhismus – Eine Einführung

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wicklung innerhalb des indischen Buddhismus (vgl. Lopez 1995b: 6), die sich seit dem späten 7. Jh. abzeichnete. Diese Entwicklung wurde durch die panindische Strömung des Tantrismus geprägt, die auch die anderen zeitgenössischen nicht-buddhistischen Traditionen beeinflusste (vgl. Davidson/Orzech 2004: 820).7 Der Begriff Tantra8 leitet sich von einer speziellen Textgattung ab, den sogenannten Tantras (tib. rgyud). Die Tantras bilden häufig Systeme oder umfassen ganze Zyklen von Texten, die sich auf einen Haupttext (Wurzeltext) oder eine zentrale Gottheit beziehen. Zu den verschiedenen Textsorten eines Tantras können Wurzeltexte, exegetische Texte, Kommentare, Praxisanleitungen sowie Initiations- und Konsekrationsinstruktionen gehören. Die Tantras unterscheiden sich im buddhistischen Kontext von den Sutren, welche die dem historischen Buddha zugeschriebenen Lehrreden enthalten. Zwar gelten auch die Tantras als Worte Buddhas, doch seien diese, der Überlieferung zufolge, im Geheimen nur einem ausgewählten Kreise gelehrt worden (vgl. Lopez 2001: 213).9 Daher rührt auch die Beschreibung der Texte und der darin vermittelten Vorstellungen und Praktiken als geheim oder esoterisch, die der Initiation des Adepten durch einen Lehrer bedürfen. Der Begriff Vajraya¯na designiert also ein bestimmtes Gefüge von als tantrisch oder esoterisch verstandenen Praktiken und Vorstellungen innerhalb des Maha¯ya¯na-Buddhismus, mit denen der sogenannte Pfad zur Buddhaschaft – dem Vajraya¯na-buddhistischen Narrativ zufolge – schneller zu beschreiten sei, als dies im Maha¯ya¯na idealtypisch gedacht war (vgl. Lopez 2001: 221; Davidson 2005: 34 – 44). Historisch war das Vajraya¯na nicht auf den nordindischen Raum und Zentralasien beschränkt, und wie Textzeugnisse belegen, waren tantrische Gruppen auch in Südasien zu finden (vgl. Decleer 1995; Davidson 2002b). Formen des tantrischen Buddhismus haben sich darüber hinaus auch in Ostasien verbreitet (vgl. Faure 2000; Sørensen 2006; Payne 2006c). Die tantrischen Strömungen des indischen Buddhismus haben besonders in Tibet eine große Popularität sowie eine spezifische Weiterentwicklung und Systematisierung erfahren (vgl. Davidson/Orzech 2004: 822 f). Seit Ende des 8. Jh. stammten die buddhistischen Texte und Quellen, die ins Tibetische übersetzt wurden, zum großen Teil aus dem indisch-buddhistischen Umfeld. Die früheren Chan-buddhistischen Einflüsse aus China endeten in dieser Epoche weitestgehend.10 Zudem wurden die Ausführungen verschiedener 7 Der Begriff Tantrismus ist eine Begriffsschöpfung des 19. Jh. und ist daher als beschreibende Kategorie nicht unproblematisch (vgl. Payne 2006b). 8 Der Begriff Tantra (tib. rgyud) bedeutet zudem wörtlich auch Kontinuum oder Geistesstrom. 9 Siehe als ein Beispiel das Ka¯lacakra-Tantra und dessen Legitimation als buddhavacanam, das heißt als Wort Buddhas (vgl. Newman 1998a; Yoeli-Tlalim 2004). 10 In der tibetisch-buddhistischen Geschichtsschreibung endet der Einfluss des ChanBuddhismus nach der sogenannten »großen Debatte von Samye«, auch wenn sich histo-

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Religionsgeschichtlicher Hintergrund

indischer Gelehrter ins Tibetische übertragen, die in Ostasien weitaus weniger verbreitet waren, in Tibet jedoch das Fundament der religiös-philosophischen Tradition bildeten (vgl. Lopez 1997a: 11). Neben den Tantras spielte eine zweite Textgattung eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung des Buddhismus in Tibet sowie der Herausbildung einer distinktiv tibetischen Form. Dabei handelt es sich um die S´a¯stras, um systematische Abhandlungen, die von tibetischen buddhistischen Gelehrten in großer Zahl verfasst wurden. Die Abhandlungen konnten sich auf tantrische Texte, aber auch auf philosophische Doktrinen des Maha¯ya¯na beziehen und zur Systematisierung und Etablierung bestimmter Lehrmeinungen beitragen. Der tibetische Buddhismus gilt als eine Variante des Vajraya¯na. Die Bezeichnung tibetischer Buddhismus verweist einerseits auf tibetische Spezifika des Buddhismus; andererseits bezieht sich dieser Begriff auf die geographische Region Tibet und impliziert dabei eine regionale Beschränkung auf diesen lokalen Raum. Doch muss berücksichtigt werden, dass sich diese spezifische Form des Buddhismus über die geographischen Grenzen Tibets hinaus verbreitet hat. So gelangte der tibetische Buddhismus im 16. Jh. in die Mongolei und beeinflusste weitere angrenzende Regionen Nordindiens und Zentralasiens (vgl. Kollmar-Paulenz 2003). Seit den 1970er Jahren ist zudem eine zunehmende Verbreitung im westlichen Kontext und in den anderen asiatischen Ländern zu beobachten. Die Frage nach den Spezifika des tibetischen Buddhismus formulierte Karl-Heinz Golzio (2005) als Titel eines Aufsatzes einmal wie folgt: »Was ist tibetisch am tibetischen Buddhismus?« Als tibetisches Charakteristikum lässt sich die Herausbildung spezifischer Institutionen betrachten, die eng mit der Geschichte des Buddhismus in Tibet verknüpft sind.11 Zu diesen Besonderheiten zählen sowohl die Entstehung tibetisch-buddhistischer Lehrtraditionen und Inkarnationslinien (Tülku), die Herausbildung verschiedener Varianten des tibetisch-buddhistischen Kanons (Kanjur und Tenjur), die Entdeckung von Schatztexten (Terma) als auch bestimmte Vorstellungen und Praktiken, die speziell in Tibet und den angrenzenden Regionen prominent waren, wie z. B. das Ka¯lacakra-Tantra, der Shambhala-Mythos und das Gesar-Epos.12 Viele dieser risch noch später Einflüsse des Chan im tibetischen Buddhismus nachweisen lassen (vgl. Kapstein 2000: 75ff). Bei dieser legendären Debatte handelt es sich um die Erzählung von einem Streitgespräch zwischen Kamalas´¯ıla, einem Vertreter der indisch-buddhistischen Schule des »Mittleren Weges« und einem chinesischen Mönch der Chan-Schule. Streitpunkt war die Frage, wie man Erleuchtung erlange. Die Debatte endete laut den tibetischbuddhistischen Quellen mit dem Sieg des indischen Vertreters und der Verbannung des chinesischen Mönches (vgl. Lopez 1997a: 9). Diese Episode fungiert außerdem im Sinne eines Gründungsmythos im Rahmen tibetisch-buddhistischer Identitätskonstruktionen (vgl. Richardson 1998; Bretfeld 2004). 11 Zur Geschichte des Buddhismus in Tibet siehe ausführlicher Kollmar-Paulenz (2006), Davidson (2005), Kapstein (2000), Lopez (1997a) und Samuel (1993). 12 Zum Ka¯lacakra-Tantra und dem damit verbundenen Shambhala-Mythos siehe weiter unten

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Tibetischer Buddhismus – Eine Einführung

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Elemente haben inzwischen durch die globale Verbreitung des tibetischen Buddhismus in anderen Regionen außerhalb Zentralasiens Bedeutung erlangt und werden in der Betrachtung von Leben und Wirken Chögyam Trungpas eine Rolle spielen. Er gilt nicht nur als Inkarnation in der Linie der Trungpa-Tülkus, durch die er seine religiöse Legitimation erfährt, sondern er brachte in den USA neue Schatztexte hervor, die im Zentrum seiner Adaption des Shambhala-Mythos stehen. Darüber hinaus spielt die zentralasiatische Heldenfigur des Kriegerkönigs Gesar von Ling in Trungpas Shambhala-Lehren eine wichtige Rolle.

Die verschiedenen tibetisch-buddhistischen Schulen Die tibetische Geschichtsschreibung folgt einem zentralen Narrativ, das Tibet als das Land beschreibt, in dem die Lehre des Buddhas in seiner Reinheit und Vollständigkeit bewahrt wurde (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 25). Die tibetischbuddhistische Geschichtsschreibung setzt daher mit der Verbreitung des Buddhismus in Tibet ein und unterscheidet drei aufeinander folgende Epochen. Die Epoche der sog. frühen Verbreitung des Buddhismus in Tibet begann unter König Songtsen Gampo (reg. ca. 620 – 649) im frühen 7. Jh. und umfasste die Zeit des tibetischen Großreiches bis zur Mitte des 9. Jh. Während dieser Zeit wurde der Buddhismus vom Königshaus und den adligen Eliten des Landes aktiv gefördert. König Trisong Detsen (reg. 754 – 797) rief beispielsweise buddhistische Gelehrte und den tantrischen Meister Padmasambhava nach Tibet, mit dem Auftrag, die einheimischen Dämonen zu zähmen und den Buddhismus zu verbreiten. Trisong Detsen veranlasste zudem die Gründung des ersten buddhistischen Klosters Samye (ca. 779) und erklärte den Buddhismus per Dekret zur Staatsreligion (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 59). An die Epoche der frühen Verbreitung schloss sich das sog. dunkle Zeitalter an, das laut tibetischen Quellen durch Chaos, Unordnung und die Abwesenheit der buddhistischen Lehre charakterisiert war (vgl. Lopez 1997a: 19; KollmarPaulenz 2006: 26). Das tibetische Großreich zerfiel, gefolgt von militärischen Auseinandersetzungen um Gebiete und Machteinfluss, die auch zur Zerstörung von Klöstern führten. Unter diesen Bedingungen verlor der Buddhismus die Unterstützung des Königshauses und des tibetischen Adels, die für die frühe Verbreitung von zentraler Bedeutung gewesen war. Mitte des 10. Jh. begann die Phase der sog. späten Verbreitung des Buddhismus in Tibet, die im 13. Jh. ihren Abschluss fand. Während dieser Zeit reisten tibetische Mönche in die Gelehrtenzentren des indischen Buddhismus nach Bihar, Bengalen und Kashmir und in diesem Kapitel. Das zentralasiatische Gesar-Epos, das in verschiedenen Versionen vor allem in Tibet und der Mongolei verbreitet ist, zentriert sich um die Hauptfigur des Epos, den Kriegerkönig Gesar von Ling (vgl. Stein 1981; Samuel 2005a).

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buddhistische Gelehrte aus diesen Zentren wurden nach Tibet eingeladen. Viele der sich ab dem 11. Jh. herausbildenden tibetischen Schulen führen ihre Linien auf diese Übersetzer zurück. Die Epoche der zweiten Verbreitung war also vor allem durch eine umfangreiche Übersetzungstätigkeit gekennzeichnet, in deren Folge zahlreiche buddhistische Texte neu oder erneut aus dem Sanskrit ins Tibetische übersetzt wurden. Außerdem kam es zu zahlreichen Tempel- und Klostergründungen. Im Gegensatz zur relativen Homogenität des Buddhismus in der frühen Verbreitung war der Buddhismus in der zweiten Verbreitungsphase, der »Renaissance« (vgl. Davidson 2005), durch eine stärkere Diversifizierung gekennzeichnet. Zunehmend etablierten sich verschiedene religiöse Traditionslinien, die ihre Herkunft von einzelnen tibetischen Übersetzern oder tantrischen Gelehrten der zeitgenössischen tantrisch-buddhistischen Zentren außerhalb Tibets ableiteten. Für die Herausbildung einer eigenständigen Lehrtradition war die Berufung auf eine ununterbrochene Linie vom Lehrer zum Schüler, fortgeführt über mehrere Generationen und gebunden an bestimmte lokale Institutionen wie Klöster, konstitutiv. Die vier bekanntesten Chölug13 oder Lehrtraditionen sind die Nyingmapa, die Kagyüpa, die Sakyapa und die Gelugpa.14 Die einzelnen Schulen unterscheiden sich in dogmatischen Fragen relativ wenig. Ihre klösterlichen Institutionen berufen sich auf ein und denselben monastischen Kodex (Vinaya) (vgl. Lopez 1997a: 24). Es gibt jedoch Differenzen in der Bedeutung der monastischen Disziplin und der Einhaltung des Zölibates, der Bedeutsamkeit klerikaler Strukturen und Hierarchien und dem Stellenwert, der den tantrischen Schriften und Praktiken zugewiesen wird (vgl. Samuel 1993: 271 – 274; KollmarPaulenz 2006: 63 f). Die Rede von einzelnen Schulen oder Lehrtraditionen kann insofern irreführend sein, wenn darunter starr voneinander abgrenzbare Lehrsysteme verstanden werden. Die Beziehungen der verschiedenen Chölug zueinander sind im Laufe der Geschichte Tibets jedoch durch ein flexibles Verhältnis von Inklusion, Exklusion und gegenseitiger Beeinflussung gekennzeichnet. Selbst innerhalb einer Lehrtradition kann es ein weites Spektrum von Positionen und Antagonismen geben. Häufig ist das Verhältnis von Zweigen einzelner Lehrtraditionen sowie der Schulen untereinander auch durch die jeweiligen politischen Bedingungen bestimmt und damit historisch einem kontinuierlichen Wandel unterworfen gewesen. Diese Begriffsverwendung impliziert daher im weiteren Verlauf keine strikt voneinander abgrenzbaren und in

13 Im Tibetischen wird für Schule oder Lehrtradition der Begriff Chölug verwendet, der wörtlich übersetzt Dharma-System bedeutet (vgl. Lopez 1997a: 24). 14 Daneben existierten weitere Lehrtraditionen, die jedoch z. T. nicht bis heute erhalten geblieben sind.

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sich geschlossenen Traditionen, sondern versteht die Schulen eher als Liniengeflechte. Während des 11. Jh. etablierte sich der Begriff Nyingma (alt) für den Buddhismus, der noch aus der Epoche der frühen Verbreitung stammte und das sog. dunkle Zeitalter überlebt hatte. Die Einführung dieser Bezeichnung verweist auf das Spannungsverhältnis, in dem die früheren, alten Überlieferungen und die neuen Übersetzungen philosophischer und tantrischer Systeme und Praktiken standen. Die Schulen, die sich auf diese neuen Übersetzungen berufen, werden daher innerhalb der tibetischen Tradition auch Sarma (neu) genannt (vgl. Davidson 2005: 73). Diese Differenzierung beinhaltet zugleich eine qualitative Unterscheidung zwischen vermeintlich legitimen und illegitimen buddhistischen Tantra-Texten. Viele kleinere Abhandlungen und offene Briefe von Sarma-Gelehrten enthalten Polemiken gegen die Texte, die aus der ersten Verbreitungsphase stammen. Diese frühen Texte wurden als unrein, hybrid und unauthentisch deklassiert und man schrieb ihnen einen eher tibetischen, denn indischen Ursprung zu. Im Gegensatz dazu galten die neuen Übersetzungen von Tantras (Sarjur) der zweiten Verbreitungsepoche, die im Zentrum der sich herausbildenden Sarma-Schulen standen, als unverfälschte buddhistische Tantra-Texte indischen Ursprungs (vgl. Germano 2002a: 201).15 Die Legitimität tantrischer Texte wurde am Vorhandensein eines indischen Gegenstückes festgemacht. Für viele tibetische Texte, die aus der ersten Verbreitungsepoche oder den darauf folgenden Jahrhunderten bis zur Renaissance des tibetischen Buddhismus im 10. und 11. Jh. stammten, existierten jedoch zu diesem Zeitpunkt die indischen Quellentexte nicht mehr. Die Legitimität der alten Tantras wurde somit aufgrund der fehlenden indischen Quellentexte von den Sarma-Vertretern bestritten. Die Entwicklung einer neuen Kategorie von Texten, die sogenannten Termaoder Schatztexte, kann als eine Antwort der Nyingma-Vertreter auf die Auseinandersetzungen um die Authentizität von Texten gesehen werden (vgl. Davidson 2004: 853). Terma sind Texte, die einem Buddha zugeschrieben werden und die von Padmasambhava (oder einem Schüler von ihm) versteckt worden sein sollen, um zu einem späteren Zeitpunkt von einem sogenannten Tertön, einem Schatzentdecker, gefunden zu werden (vgl. Gyatso 1993: 98). So 15 Wie neuere historische Studien zeigen, sind diese dem tibetischen religiösen Diskurs um Authentizität und Legitimität entstammenden Grenzziehungen zwischen alten (Nyingma) und neuen (Sarma) Schulen, sowie alten und neuen – im Sinne von »unauthentischen« und »authentischen« – Texten bei weitem nicht so scharf zu ziehen, wie dies in religiösen Polemiken zum Teil behauptet wird (vgl. Davidson 2002a; Germano 2002b). Davidson gebraucht die Bezeichnung »graue Texte« (gray texts) für Texte, die während der zweiten Verbreitungsphase entstanden sind und weder rein indischen noch rein tibetischen Ursprungs sind, sondern eine Art Mischform aus beidem darstellen (vgl. Davidson 2002a; 2005: 148ff).

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konnten später auftauchende Texte und Lehren durch den Rückbezug auf den tibetischen Kulturheros Padmasambhava nachträglich legitimiert werden. Der Begriff Terma bezieht sich nicht ausschließlich auf Texte, sondern auch auf Gegenstände (Terdzä) der materiellen Religion (z. B. kleine Statuen). Terma können direkt als materielle Objekte, das heißt als Texte oder Gegenstände, aus der Erde, aus Felsen oder aus einer Wand des Klosters geborgen werden (Sater). Sie können sich aber auch in einer Art visionärem Erlebnis im Geistesstrom materialisieren (Gongter) und werden dann von einem Tertön niedergeschrieben (vgl. Gyatso 1996). Terma sind historisch erstmalig im 11. Jh. belegt und stellen damit ein Spezifikum tibetischer Religion dar (vgl. Gyatso 1993: 99). Doch nicht nur unter den Nyingmapa sind diese Schatztexte bis in die Gegenwart weit verbreitet. Ein bekannter Tertön des 20. Jh. ist Dilgo Khyentse Rinpoche (1910 – 1991) (vgl. Gyatso 1993: 100 Fn. 7), der auch als Lehrer von Chögyam Trungpa fungierte. Trungpa selbst war ein Tertön und produzierte neue Schatztexte, zu denen u. a. die Shambhala-Terma zählen. Terma-Texte lassen sich vereinzelt auch in den anderen tibetisch-buddhistischen Lehrtraditionen sowie bei den Bönpo wieder finden (vgl. Dargyay 1981; Smith 2001: 239 f; Kollmar-Paulenz 2006: 74). Durch die Gattung der Terma ist eine gewisse Offenheit des tibetisch-buddhistischen Lehrkorpus gegeben, da diese Texte häufig die Funktion haben neue, zeitgenössische Lehren als authentisches Wort Buddhas zu legitimieren und in den bestehenden Lehrkorpus zu integrieren (vgl. Gyatso 1993).16 Die verschiedenen Editionen des Kanons unterteilen sich jeweils in zwei Bereiche, die Lehrreden oder Worte des Buddha, genannt Kanjur und die Abhandlungen zu den Lehrreden, genannt Tenjur. Beide Teile des Kanons gelten als autoritativ für alle tibetisch-buddhistischen Schulen (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 92). Die Schule der Nyingmapa führt sich ihrem Selbstverständnis nach auf den tantrischen Gelehrten Padmasambhava und sein Wirken in der Epoche der frühen Verbreitung des Buddhismus in Tibet zurück. Die Herausbildung einer eigenen religiösen Identität als Nyingmapa erfolgte jedoch erst im Zuge der Auseinandersetzung mit den neuen Übertragungslinien der Sarmapa ab dem 11. Jh. (vgl. Germano 2002b: 226; Kollmar-Paulenz 2006: 64). Neben der Berufung auf Padmasambhava als wichtigster Gründerfigur ist für die Nyingmapa 16 Zwar gab es Versuche, den tibetisch-buddhistischen Kanon aufgrund der umfangreichen Textproduktion während der späten Verbreitungsphase zu schließen oder zu reglementieren (vgl. Davidson 2002a), jedoch kam es nie zu einer einheitlichen, für alle tibetisch-buddhistischen Schulen verbindlichen und abgeschlossenen Kanonisierung der Schriften (vgl. Germano 2002a: 199). Der tibetisch-buddhistische Kanon ist vielmehr durch die Tatsache gekennzeichnet, dass dieser keinen einheitlichen, geschlossenen systematischen Textkorpus bildet. Es existieren verschiedene, voneinander abweichende Editionen mit unterschiedlichen Bestandteilen und Anordnungen der Texte (vgl. Eimer/Germano 2002).

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der Bezug auf die alten Tantras und Texte aus der ersten Verbreitungsepoche charakteristisch und wird auch in ihrer Bezeichnung deutlich. Viele der sog. alten Übersetzungen tantrischer Texte aus dieser historischen Epoche bilden die Grundlage des eigenständigen Nyingma-Kanons Nyingma Gyübum. Zu diesem Kanon gehören auch Tantras und andere Texte, die als sogenannte Terma- oder Schatztexte gelten (vgl. Gyatso 1993: 101 Fn. 10; Germano 2002a). Das Erscheinungsbild der Nyingmapa ist stark durch die lokale Präsenz tantrischer Praktizierender und Dorflamas, sogenannter Ngagpa, geprägt. Ngagpa sind meist nicht dem Zölibat unterworfen und oft verheiratet. Sie fungieren als religiöse Spezialisten für die Dorfgemeinschaft. Trotz der großen Zahl an religiösen Laienspezialisten, haben die Nyingma auch Klosterinstitutionen hervorgebracht. Die großen bekannten Nyingma-Klöster, wie Mindröling in Zentraltibet sowie die Klöster Päyül, Dzogchen und Sechen in Osttibet wurden erst im Zuge der Nyingma-Renaissance im 17. und 18. Jh. etabliert (vgl. Davidson 2004: 856). Eine erneute Renaissance der Nyingma im 19. Jh. war eng verknüpft mit der Entwicklung der schulübergreifenden Rime-Bewegung in Osttibet (vgl. Samuel 1993: 499).17 Chögyam Trungpa wurde – obwohl er den Kagyüpa angehörte – auch in Nyingma-Institutionen, wie z. B. dem Kloster Sechen, und von Lehrern der Rime-Bewegung ausgebildet. Die Sarma-Schulen berufen sich auf Übersetzer und Gelehrte aus der zweiten Verbreitungsphase des Buddhismus in Tibet und die neuen Tantras. Zu den wichtigsten neuen Lehrtraditionen gehören die Sakyapa, die Kagyüpa und die Gelugpa. Die Sakyapa führen sich auf den Übersetzer Drokmi Shakya Yeshe (993 – 1050) zurück, der unter dem tantrischen Meister Viru¯pa studiert hatte. Die Schule hat ihren Namen dem Sakya-Kloster, der ersten klösterlichen Institution in dieser Linie, zu verdanken. Die Führung der Sakya-Linie wurde durch eine Erbfolge einer adligen Familiendynastie geregelt und die bedeutendsten Sakya-Gelehrten des 12. und 13. Jh. stammten aus dieser Familie. Das SakyaKloster wurde aufgrund dieser Verflechtung von politischer und religiöser Macht zu einer einflussreichen politischen Enklave in Tibet, die mit mongolischer Unterstützung als Regenten über Tibet im 13. und 14. Jh. herrschten (vgl. Lopez 1997a: 27; Kollmar-Paulenz 2006: 65). Das Sakya-Kloster Dzongsar in Osttibet bildete im 19. und 20. Jh. ein Zentrum der schulübergreifenden RimeBewegung und wurde von Chögyam Trungpa während seiner Ausbildungszeit zu Lehr- und Studienzwecken besucht. Die Linie der Kagyüpa, zu der auch Chögyam Trungpa gehört, geht zurück auf den Übersetzer Marpa, der im frühen 11. Jh. gelebt hat. Marpa war nach Indien gereist und soll dort ein Schüler des berühmten Tantrikers Na¯ropa geworden 17 Rime (ris med) bedeutet grenzenlos und unparteiisch. Zur Rime-Bewegung siehe die Ausführungen weiter unten in diesem Kapitel.

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sein.18 Marpa brachte zahlreiche tantrische Lehr- und Praxiszyklen nach Tibet zurück. Sein bedeutendster Schüler war Milarepa (1040 – 1123), der ein berühmter tantrischer Yogin wurde und aufgrund seiner außerordentlichen meditativen Fähigkeiten Erleuchtung innerhalb eines Lebens erlangt haben soll (vgl. Lopez 1997a: 26). Mit Gampopa (1079 – 1153), einem Schüler Milarepas, setzte die Systematisierung und Niederschrift der bisher nur mündlich tradierten Lehren der Kagyü-Linie ein. Um 1120 gründete er das erste Kloster und legte so das Fundament für die monastische Tradition der Kagyüpas. Die Zentralität von tantrischen Praktiken und von Meditationspraktiken wird auch in den Hagiographien der drei bedeutenden Gründerfiguren Marpa, Milarepa und Gampopa deutlich (vgl. Davidson 2005: 282 – 289). Die drei Gründer werden auch heute noch in Rezitationstexten im Rahmen buddhistischer Praxis in Shambhala-buddhistischen Zentren angerufen. Aus den vier wichtigsten Schülern Gampopas gingen die vier Hauptlinien der Kagyüpa hervor.19 Neben den vier Hauptlinien unterteilen sich die Kagyüpa zusätzlich in acht kleinere Linien.20 Die Lehrtradition der Karma Kagyüpa gilt als die wichtigste der KagyüLinien. Die Linie wird durch aufeinander folgende inkarnierte Lamas, die Karmapas, geführt. Die Einführung von aufeinander folgenden Wiedergeburten als Sukzessionsprinzip ist erstmalig bei den Kagyüpa im 13. Jh. historisch belegt und wurde nach und nach von den anderen tibetisch-buddhistischen Schulen übernommen. Die bedeutendste Doktrin der Kagyüpa wird Maha¯mudra¯ (tib. Chag Chen)21 genannt und bedeutet übersetzt großes Siegel oder großes Symbol. Maha¯mudra¯ bezeichnet gleichermaßen die theoretische Grundlage als auch die darauf basierende Meditationspraxis sowie die durch diese Praxis erreichte Erleuchtungserfahrung (vgl. Lopez 1997a: 26). Auch Chögyam Trungpa befasste sich mit den Mahamudra-Lehren und eines seiner ersten Terma, das Sadhana of Mahamudra, das bereits aus seiner Zeit im Exil stammt, ist dieser Doktrin und Praxis gewidmet. Die Lehrtradition, die später von ihren Anhängern Gelugpa (die Tugendhaften) genannt wird, bildete sich erst im frühen 15. Jh. heraus. Die zentrale Figur in diesem Prozess war Tsongkhapa (1357 – 1419), der nur rückwirkend als ihr Begründer betrachtet werden kann. Anders als die bereits genannten Schulen 18 Zumindest behaupten Hagiographien dieses Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen Marpa und Na¯ropa. Davidson weist darauf hin, dass ein solches Verhältnis mehr als unwahrscheinlich ist und eher als Produkt der späteren hagiographischen Bearbeitung der Lebensgeschichte Marpas durch Kagyü-Autoren geschuldet ist (vgl. Davidson 2005: 142 – 148). 19 Die vier Hauptlinien sind: die Karma Kagyüpa (Karmapa), die Pagmodru Kagyüpa (Pagmodrupa), die Barom Kagyüpa und die Tshelpa Kagyüpa. 20 Nicht alle Linien haben sich bis heute als eigenständige Lehrtraditionen erhalten. Die bekanntesten sind die Drigung-Kagyüpa (Drigungpa) und die Drukpa Kagyüpa. 21 Chag Chen (phyag chen) ist die zusammengezogene Kurzform von phyag rgya (Mudra/Geste, Siegel) und chen po (groß).

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des tibetischen Buddhismus, führen sich die Gelugpa nicht in einer direkten Linie auf einen indischen Gelehrten oder tantrischen Meister zurück, auch wenn sie sich als Erben der Tradition Atis´as betrachten (vgl. Lopez 1997a: 28). Die Klöster Drepung und Sera, die zusammen mit Ganden als die drei Residenzen bezeichnet werden und zu den bedeutendsten Gelugpa-Institutionen zählen, wurden durch Schüler Tsongkhapas gegründet. Eine religiös wie politisch bedeutende Institution der Gelugpa ist die Inkarnationslinie der Dalai Lamas. Sönam Gyatso (1543 – 1588), ein Gelugpa-Gelehrter mit Beziehungen zu einflussreichen Adelsfamilien, bekam von dem mongolischen Herrscher Altan Khan im Zuge der tibetisch-buddhistischen Missionierung der Mongolei den Titel Dalai Lama (Meeres-Lama) verliehen.22 Der 5. Dalai Lama, der auch als der »Große« bezeichnet wird, wurde im Jahr 1642 durch den mongolischen Gushri Khan als weltlicher und religiöser Herrscher über Zentraltibet eingesetzt. Von diesem Zeitpunkt an lag der Schwerpunkt der politischen Macht über Zentraltibet bis zur Besetzung durch die Volksrepublik China in den 1950er Jahren in den Händen der Gelugpa (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 109 f).

Tülku – Die tibetische Institution der Inkarnationslinie Bis zum 14. Jh. hatte sich in Tibet eine Sukzessionsfolge für religiöse Ämter entwickelt, die auf aufeinander folgenden Wiedergeburten basierte. Die Institution des inkarnierten Tülku wurde zwar durch die buddhistische Doktrin gestützt, jedoch handelte es sich um eine einmalige Entwicklung in der buddhistischen Welt, welche zudem die politische Geschichte Tibets nachhaltig prägte (vgl. Lopez 1997a: 22; Kollmar-Paulenz 2006: 90). Die bekannteste dieser Wiedergeburtslinien dürfte die Linie der Dalai Lamas sein. Der Dalai Lama gilt jeweils als die Inkarnation seines Vorgängers und zugleich als Emanation des Bodhisattvas Avalokites´vara. In der Inkarnationslinie der Dalai Lamas greifen demnach zwei buddhistische Konzepte ineinander : zum einen die Maha¯ya¯nabuddhistische Lehre der drei Körper (skt. Trika¯ya, tib. sku gsum) und zum anderen die Vorstellung der Wiedergeburt (yangsi) einer historischen Persönlichkeit oder eines religiösen Spezialisten. Solche Inkarnationen verstorbener Lamas werden als Tülku bezeichnet (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 90). Die Lehre der drei Körper (Trika¯ya) runterscheidet zwischen den drei Erscheinungsweisen eines Buddhas. Der dharmaka¯ya, der Körper der Lehre, manchmal auch als 22 Posthum wurde der Titel Dalai Lama auch auf seine beiden Vorgänger übertragen, so dass Sönam Gyatso als der 3. Dalai Lama gezählt wird (vgl. Lopez 1997a: 28; Kollmar-Paulenz 2006: 104ff). Zu den Details und den politischen und religiösen Implikationen, die mit diesem Titel und dem Amt verbunden sind, siehe Kollmar Paulenz (2006: 104 – 114).

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Wahrheitskörper übersetzt, repräsentiert die unwandelbare, formlose und reine Erleuchtung. Der sambhogaka¯ya oder Genusskörper ist der Körper, den Bud˙ dhas und Bodhisattvas annehmen, die in den reinen Ländern residieren. Der nirma¯naka¯ya oder Erscheinungskörper stellt die konkrete Materialisierung dar, ˙ die Buddhas und Bodhisattvas annehmen, wenn sie in dieser Welt erscheinen, um den Dharma zu lehren (vgl. Samuel 1993; Golzio 1995: 111 – 117). Die tibetische Bezeichnung Tülku (sprul sku) ist die Übersetzung des Sanskritbegriffs nirma¯naka¯ya, der die dritte Erscheinungsform designiert. Der Trika¯ya-Lehre ˙ zufolge kann sich ein Buddha oder Bodhisattva zu jeder Zeit in einer menschlichen Form zeigen. Der Sakya-Gelehrte Sachen Künga Nyingpo wurde bereits im 12. Jh. als eine Emanation des Bodhisattvas MaÇjus´ri betrachtet (vgl. Davidson 2005: 294 – 296; Kollmar-Paulenz 2006: 90). In der tibetischen Chronik Bashe23 werden auch die drei tibetischen Religionskönige der Yarlung-Dynastie des 7. bis 9. Jh. als Emanationen von Bodhisattvas beschrieben. Es besteht jedoch ein Unterschied in der Konzeptualisierung der Wiedergeburt (tib. yangsi) bei normalen Wesen, die im Kreislauf der Wiedergeburten (Samsa¯ra) verhaftet sind und der Wiedergeburt von Lamas und anderen be˙ deutenden buddhistischen Persönlichkeiten. Innerhalb der sechs Welten von Samsa¯ra werden Wesen, angetrieben durch Karma, immer wieder in eine der ˙ Welten geboren. Der Prozess der Wiedergeburt gilt als furchterregend und zumindest für den Laien als nahezu unkontrollierbar.24 Im Gegensatz dazu wird die Wiedergeburt eines hohen religiösen Lehrers (welcher der buddhistischen Theorie zufolge mindestens ein Bodhisattva der ersten Stufe sein muss) als freiwilliger Akt betrachtet, der durch das Mitgefühl für andere motiviert ist. In dieser Konzeptualisierung sind inkarnierte Lamas verwirklichte Wesen, das heißt Bodhisattvas oder Buddhas, und daher frei von den Zwängen des Karma. Sie können den Ort und die Umstände ihrer Wiedergeburt selbst wählen (vgl. Lopez 1997a: 23). So ist es zum Teil üblich, dass Lamas noch vor ihrem Tod Hinweise hinterlassen, wo und wie ihre nächste Wiedergeburt zu finden sei. Für das Auffinden und die Bestätigung der Wiedergeburt eines verstorbenen Lamas haben sich komplizierte Verfahren entwickelt. Zumeist wird die Inkarnation in einer offiziellen Zeremonie bestätigt und der Inkarnierte in das Amt des ver23 Die früheste Version der Bashe-Chronik (dba’ bzhed/sba bzhed) stammt wahrscheinlich aus dem 8./9. Jh. und hat im Laufe der Jahrhunderte weitere Überarbeitungen erfahren (vgl. Kapstein 2000: 212ff). Für eine Publikation der Bashe-Chronik siehe Wangdu/Diemberger (2000). 24 In den meisten Fällen bedarf es eines religiösen Spezialisten, der für den Laien tätig wird und so versucht eine gute Wiedergeburt sicherzustellen (vgl. Cuevas/Stone 2007). Mit dem Prozess der Wiedergeburt und der Wanderung durch die Zwischenzustände (Bardo) werden im tibetisch-buddhistischen Kontext furchteinflößende Vorstellungen verbunden (vgl. Rakow 2008).

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storbenen Vorgängers eingesetzt. Dadurch gehen sowohl materieller Besitz als auch das Amt und der Status des Vorgängers auf die neue Inkarnation über. Chögyam Trungpa wurde als Kleinkind ebenfalls anhand bestimmt Merkmale, die sein verstorbener Amtsvorgänger zuvor benannt hatte, als Nachfolger des letzten Trungpa Tülku identifiziert und im Rahmen einer Zeremonie als 11. Trungpa inthronisiert. Das Konzept der Tülku stellt ein Mittel dar, um Autorität und Charisma von einer Generation auf die nächste zu transferieren. Autorität und Prestige werden also nicht mehr über ein meritokratisches System von Gelehrten geregelt, sondern durch eine Abfolge von Inkarnationen. Den Status beziehen die Träger des Amtes nicht mehr vorrangig oder ausschließlich durch persönliche Leistungen, sondern durch das Prestige der Inkarnationsgenealogie, zu der sie gehören (vgl. Dreyfus 2006). Die Institution der inkarnierten Lamas (Tülku) etablierte sich in allen tibetischen Lehrtraditionen und löste so das häufig vorhandene Prinzip der Familiensukzession ab (vgl. Dreyfus 2006; Kollmar-Paulenz 2006: 91).25 Insgesamt vermutet man circa 3.000 solcher Wiedergeburtslinien in Tibet (vgl. Lopez 1997a: 23). Wiedergeborene religiöse Persönlichkeiten, die üblicherweise ein hohes Ansehen genießen und denen mit viel Ehrfurcht begegnet wird, stellen eine zentrale Komponente der tibetischen Gesellschaft dar.

Lama, Trapa, Ngagpa, Nyönpa – Die Vielfalt religiöser Akteure in Tibet Das religiöse Feld des tibetischen Buddhismus ist mit einer Vielzahl verschiedener religiöser Akteure bevölkert, die durch ein einfache Dichotomisierung von Laien versus religiösen Spezialisten, im Sinne von Mönchen und Lamas, nicht ausreichend erfasst werden kann. Es gibt verschiedene Formen von monastischen und nicht-zölibatär lebenden religiösen Spezialisten, tantrischen Praktizierenden und Laien-Akteuren, die durch eine gewisse Fluidität und Flexibilität ihrer Rollen gekennzeichnet sind. Allein der Begriff Lama (bla ma) kann ganz verschiedene Personengruppen umfassen. Ein Lama kann ein Mönch sein; er kann aber auch ein unverheirateter tantrischer Laienpraktizierender, ein verheirateter Familienvater, ein großer gebildeter Gelehrter oder ein des Lesens und Schreibens nicht mächtiger Praktizierender sein. Die Gleichsetzung von Lama und Mönch geht daher nicht auf. Allgemein bezeichnet der Begriff Lama einen religiösen Lehrer und stellt einfach die Übersetzung des Wortes Guru aus dem Sanskrit dar (vgl. Lopez 1997a: 11). Im tibetischen Begriffsgebrauch lassen 25 Leonard van der Kuijp zufolge ist der früheste bekannte Fall eines Tibeters, der als Wiedergeburt eines tibetischen Meisters galt, für die zweite Hälfte des 12. Jh. belegt (vgl. van der Kuijp 2005: 31).

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sich drei Bedeutungsfelder, die einander partiell überlappen, unterscheiden. Zum einen bezeichnet Lama einen religiösen Lehrer. Der Begriff Wurzellehrer (Tsaw¦ Lama) bezieht sich speziell auf den persönlichen religiösen Hauptlehrer, der bei tantrischen Praktizierenden auch den Fokus der persönlichen Praxis darstellt.26 Zum anderen kann der Begriff Lama den Leiter eines Klosters oder des Seminars eines Klosters bezeichnen. In größeren Klöstern kann es demnach auch mehrere Lamas geben. Und schließlich kann Lama als Bezeichnung für jemanden dienen, der qualifiziert ist, tantrische Rituale durchzuführen. Der Begriff Lama ist daher auch auf verheiratete tantrische Laienpraktizierende anwendbar (vgl. Samuel 1993: 280) und bezieht sich nicht ausschließlich auf religiöse Akteure, die das Ordensgelübde abgelegt haben (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 69). Die Klöster werden für gewöhnlich von ordinierten Mönchen (Trapa) oder Nonnen (Ani) bewohnt, die mehrere Gelübde ablegen und das Zölibat einhalten. Vollordinierte Mönche (tib. Gelong, skt. Bhiksu) stellen laut Samuel jedoch eine ˙ Minderheit in den Klöstern dar ; die meisten Mönche haben nur die Laien- und Novizengelübde abgelegt (vgl. Samuel 1993: 286).27 Für Nonnen besteht die Möglichkeit der vollen Ordination in den tibetischen Klosterinstitutionen nicht mehr, da die Ordinationslinie für Nonnen unterbrochen wurde. In einzelnen Fällen kann die Leitung des Klosters einem verheirateten Lama aus einer erblichen Familienlinie obliegen, wie dies beim Oberhaupt der Sakya-Schule der Fall ist (vgl. Davidson 2005: 374). Manchmal sind an ein Kloster auch kleine Gemeinschaften von tantrischen, nicht ordinierten Praktizierenden angeschlossen, die vom Lama des Klosters Belehrungen und Initiationen erhalten (vgl. Samuel 1993: 277). Generell gab es in Tibet vor 1959 weitaus mehr Mönchsals Nonnenklöster und der Status von Nonnen war in der religiösen und sozialen Hierarchie Tibets geringer als der von Mönchen (vgl. von Brück 1999: 123 Fn. 194). Eine weitere wichtige Gruppe religiöser Akteure neben den ordinierten und zölibatär lebenden Mönchen und Nonnen stellen verschiedene tantrische 26 Der Lama als religiöser, tantrischer Lehrer gilt als Emanation von Vajradha¯ra, der tantrischen Form des Buddha. Zum Teil kann er auch als Emanation der jeweiligen tantrischen Gottheit, die im Zentrum der Praxis steht, gesehen werden. Für den Praktizierenden wird er so zum Objekt der Praxis (vgl. Samuel 1993: 281). 27 Das erste Gelübde (Tib. Genyen, Skt. Upa¯saka) ist der reguläre erste Schritt einer monastischen Karriere. Manchmal wird es auch von Laien für begrenzte Zeiträume abgelegt (z. B. für ein Retreat oder bestimmte Rituale) (vgl. Samuel 1993: 286). Für hohe Tülkus, die für die monastische Laufbahn vorgesehen sind, ist das Genyen-Gelübde häufig mit dem Schneiden der Haare verbunden und nur das Vorspiel für das Novizen-Gelübde (Tib. Getschül, Skt. S´ra¯manera) (vgl. Smith 2001: 259). Heute ist die Zahl der Mönche für ein Kloster (in der Autonomen Region Tibet) häufig beschränkt. Viele der jungen Novizen können daher nicht offiziell ordiniert werden (vgl. Goldstein 1999).

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Praktizierende außerhalb der Klöster dar. Dazu zählen die tantrischen Dorflamas (Ngagpa), die häufig verheiratet sind. Sie zeichnen sich für die religiöse Betreuung der Dorfbevölkerung und die Durchführung von Ritualen verantwortlich. Die Yogins (tib. Neljorpa) und Yoginı¯s (tib. Neljorma) sind tantrische Praktizierende, die zölibatär leben können, deren Praxis jedoch auch sexuelle Praktiken einschließen kann. Häufig leben sie in kleineren Gemeinschaften oder wandern von einem religiösen Zentrum zum nächsten. Manchmal führen sie ein zurückgezogenes, der Meditation gewidmetes Leben in Höhlen oder Meditationsklausen (vgl. Samuel 1993: 277). Solche Asketen werden auch Gomchen genannt (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 70). Die indischen Siddhas und Maha¯siddhas, die tantrischen Meister, bilden das Vorbild für diesen Lebensstil (vgl. Davidson 2002b: 169 – 340; 2005: 24 – 60).28 Auch die sog. verrückten Heiligen, genannt Nyönpa29, erinnern mit ihrem provokanten, nonkonformistischen Verhalten an einige der Maha¯siddhas (vgl. Ardussi/Epstein 1978: 337). Die verrückten Heiligen lassen sich durch die Missachtung typischer sozialer Konventionen sowie religiöser und monastischer Vorschriften charakterisieren. Sie kleiden sich in Lumpen, trinken Alkohol, sind für ihr promiskuitives Sexualverhalten bekannt, begehen Diebstahl, widersetzen sich den Autoritäten und spielen Streiche. Sie nutzen populäre Medien, wie Gedichte, Lieder und Geschichten zur Mitteilung ihrer Botschaften und bedienen sich dabei häufig eines obszönen und vulgären Vokabulars. Dennoch wird gerade ihr Verhalten jenseits aller Normen als Ausdruck ihrer Erleuchtung verstanden (vgl. Ardussi/Epstein 1978: 327, 335). Im Hintergrund steht der Ma¯dhyamaka-Gedanke,30 dass kein Unterschied zwischen gut und schlecht bestehe und alles letztlich den »gleichen Geschmack« (ro snyom) habe (vgl. Ardussi/Epstein 1978: 335). Damit verknüpft ist eine Praxis, bei der alles mit dem »gleichen Geschmack« (ro snyom chen po’i brtul zhugs spyod pa) erlebt wird (vgl. Samuel 1993: 306). Der Begriff Tulshug Chödpa (brtul zhugs spyod pa) bezieht sich auf verschiedene Formen tantrischer Praxis. Er kann aber auch speziell die Praxis der Ablehnung konventionellen Verhaltens bezeichnen. Das Ziel dieser Praxis besteht darin, jenseits der Grenzen des Verhaltens, die sozial vorgegeben sind, zu agieren und so zu handeln, wie es die jeweilige Situation und nicht die Konvention erfordere (vgl. Samuel 1993: 307). Bekannte historische Beispiele für tibetische Nyönpa sind Tsangnyön Heruka (1452 – 1507), der Biographien von Marpa und Milarepa verfasst hatte, und Drugpa Künleg (1455 – 1529), der zum Volkshelden und Protagonisten zahlrei28 Die tibetische Entsprechung für Siddha ist Drubthob. Diese Bezeichnung wird jedoch nur in seltenen Fällen auf lebende Personen angewendet (vgl. Samuel 1993: 277). 29 Die Bezeichnung Nyönpa (smyon pa), z. T. auch Drubnyön (grub smyon), enthält die Silbe smyon, die sich mit verrückt übersetzen lässt (vgl. Ardussi/Epstein 1978). 30 Ma¯dhyamaka bezeichnet ein bestimmtes buddhistisches Lehrsystem, das als Lehre des mittleren Weges beschrieben und mit Na¯ga¯rjuna assoziiert wird.

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cher Geschichten avancierte.31 Die sog. verrückten Heiligen sind jedoch nicht nur in der Geschichte, sondern auch im modernen religiösen Leben Tibets und den Einflusssphären des tibetischen Buddhismus zu finden (vgl. Samuel 1993: 304 – 307). Ein modernes Beispiel stellt Khenpo Gangshar (1925 – 1959) dar. Er war ein Schüler von Kongtrül im Kloster Sechen und hatte eine vorbildliche monastische Laufbahn absolviert. Es wird berichtet, dass er nach einer Krankheit plötzlich »erwachte« und fortan den Lebensstil eines verrückten Heiligen führte, der vom Tulshug Chödpa-Prinzip inspiriert war. Er nahm sich eine Gefährtin und gab seine Mönchsgelübde zurück (vgl. Samuel 1993: 307; Ray 2005: 207 f). Chögyam Trungpa, ein Schüler von Khenpo Gangshar, bezog sich auf diese Tradition, die er als »crazy wisdom« (Yeshe Chölwa) bezeichnete (vgl. Gimian 2004b: xiv). Eine Publikation mit gleichnamigem Titel erschien posthum im Jahr 1991.32

Die Rime-Bewegung des 19. Jahrhunderts Die Rime-Bewegung, die im 19. Jh. von einigen einflussreichen Gelehrten Osttibets ausging, hat den tibetischen Buddhismus bis heute nachhaltig geprägt (vgl. Samuel 1993: 274; Kollmar-Paulenz 2006: 133). Sie kann als Reaktion auf einen über Jahrhunderte anhaltenden Prozess der intellektuellen – und häufig auch der politischen – Auseinandersetzung zwischen buddhistischen Schulen und den Bönpo, zwischen den Nyingma- und Sarma-Lehrtraditionen sowie zwischen einzelnen Linien der neuen Schulen betrachtet werden. Ausgangspunkt der Streitigkeiten waren zumeist Legitimationsfragen hinsichtlich der alten (nyingma) und der neuen (sarma) Tantras sowie Rivalitäten zwischen den verschiedenen tibetischen Lehrtraditionen. Die rein intellektuellen Auseinandersetzungen zeigten jedoch auch politische und militärische Konsequenzen, wenn Allianzen zwischen spezifischen Lehrtraditionen und säkularen Herrschern bestanden. So kam es im Verlauf der Geschichte zu Enteignungen von Klöstern oder der Unterdrückung einzelner Lehrtraditionen (vgl. Smith 2001: 237 – 241; Kollmar-Paulenz 2006: 133). Vor diesem Hintergrund ist die Herausbildung der Rime-Tradition zu sehen, die versuchte, Differenzen zwischen den einzelnen Lehrsystemen zu überwinden. Die Bezeichnung Rime (ris med) lässt sich als grenzenlos oder unparteiisch übersetzen und wurde bereits im 11. Jh. verwendet. Die Chö-Lehrtradition, die 31 Drugpa Künleg, auch genannt Drugnyön enthält wie auch Tsangnyön die Silbe nyön (smyon) im Namen, die verrückt bedeutet. Eine der Biographien Drugpa Künlegs hat Andreas Kretschmar (1981) ins Deutsche übersetzt. 32 Trungpas Buch Crazy Wisdom (Trungpa 2004b) basiert auf zwei Seminaren zu Padmasambhava aus dem Jahr 1972.

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heute nicht mehr als eigenständige Schule existiert, verwendete den Begriff zur Kennzeichnung einer universalistischen Haltung, die partikulare Standpunkte überwindet (vgl. Kollmar-Paulenz 1993). Diese Lehre der Nicht-Parteilichkeit (phyogs ris med) war in den frühen Chö-Texten von zentraler Bedeutung (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 133, 184) und spielt in der Rime-Bewegung eine bedeutende Rolle. Zu den bedeutendsten Protagonisten der Rime-Bewegung zählen Jamyang Khyentse Wangpo (1820 – 1892), Jamgön Kongtrül Lodrö Thaye (1813 – 1899) und ihr Schüler Jamgön Mipham Gyatso (1846 – 1922). Khyentse und Kongtrül waren jeweils in mehreren Lehrtraditionen von verschiedenen Lehrern ausgebildet worden (vgl. Smith 2001: 247 f; Davidson 2004: 857). Beide verfolgten das Ziel, die unterschiedlichen tantrischen Traditionen, die sich in Tibet herausgebildet hatten – sowohl die als strukturierte Lehrsysteme vorliegenden als auch die fragilen, mündlichen Übertragungslinien – zusammenzubringen, zu erhalten und wiederzubeleben. Die von ihnen angefertigten umfangreichen Textsammlungen legen ein beredtes Zeugnis über den Erfolg ihrer Sammeltätigkeit ab (vgl. Smith 2001: 236). Kongtrüls Rinchen Terdzö beinhaltete sowohl Terma als auch weitere Texte, wie Kommentare, Instruktionen und Einweihungen der Nyingmapa, Bönpo und Kagyüpa und umfasste ca. sechzig Bände (vgl. Samuel 1993: 541; Davidson 2004: 857). Viele der darin gesammelten Texte basieren auf Initiationen und Belehrungen, die Kongtrül aufwendig gesammelt hatte, um sie vor dem Verschwinden zu bewahren (vgl. Smith 2001: 263). Chögyam Trungpa erhielt im Rahmen seines Studienaufenthaltes im Kloster Sechen eine Einweihung in diesen Textzyklus. Die Rime-Bewegung breitete sich von Osttibet nach Zentraltibet aus. Ihre Wirkung entfaltete die Bewegung vor allem im Kreis der Laien außerhalb der religiösen Institutionen. Durch einen Rekurs auf die Tradition des umherwandernden Tantrikers richtete sie sich vorrangig an nicht-ordinierte Lamas und Tantriker und weniger an den zölibatär lebenden Klerus der Klosterinstitutionen (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 133). Beispielsweise wurde die Powa-Praxis, bei der das Bewusstsein im Moment des Todes in das reine Land eines Buddhas transferiert werden soll, auch Laien gelehrt (vgl. Samuel 1993: 539). Das GesarEpos stellte unter Rime-Vertretern ebenfalls ein beliebtes Mittel dar, um den Rime-Ansatz an Laien zu vermitteln (vgl. Samuel 1993: 540; Kollmar-Paulenz 2006: 134). Der Kriegerkönig Gesar von Ling ist die Hauptfigur im dem zentralasiatischen Epos, das in verschiedenen Versionen vor allem in Tibet und der Mongolei verbreitet ist.33 Gesar gilt als ein von den Göttern gesandter König, der 33 Für eine deutsche Übersetzung einer tibetischen Version des Gesar-Epos siehe Hermanns (1965b). Zum Stand der Foschung zum Gesar-Epos, zur Historizität Gesars und zu verschiedenen Versionen des Epos siehe die Ergebnisse des Sonderforschunsgbereichs Bonn,

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als Mensch geboren wird. In seiner Kindheit wird er als hässlicher Junge beschrieben, der verspottet und verachtet wird, jedoch übernatürliche Kräfte besitzt. Zusammen mit seiner Mutter wird er aus dem Reich verbannt, kehrt später aber zurück und erhebt Anspruch auf den Thron. Dazu muss er ein Pferderennen gewinnen, bei welchem dem Sieger der Thron sowie eine junge Gemahlin winken. Er gewinnt das Rennen gegen seinen Onkel und Widersacher. Der Sieger wird als König von Ling gekrönt. Als Herrscher von Ling erlangt Gesar durch diverse Heldentaten großen Ruhm. Er führt siegreiche Kämpfe gegen die umliegenden, feindlichen Völker und verteidigt sein Volk auch gegen übermenschliche Feinde. In einigen Versionen des Epos stirbt Gesar keinen normalen Tod, sondern gelangt als Buddha in ein Paradies (vgl. Stein 1981: 11), aus dem er eines Tages wiederkommen wird, um die Feinde seines Volkes abzuwehren (vgl. Samuel 2005a: 165). Diese Erwartung erinnert an den Mythos von Shambhala und in einigen Quellen wird Gesar auch als Krieger Shambhalas bezeichnet, der bei der letzten Schlacht unter Raudracakrin kämpfen wird (vgl. Bernbaum 1980: 81). Die großen Taten Gesar von Lings werden noch heute von speziellen Barden besungen. Für viele Tibeter besteht kein Zweifel an der Historizität Gesars (vgl. Kaschewsky/Tsering 1987). Besonders in Ost- und Nordost-Tibet spielt das Gesar-Epos eine bedeutende Rolle. Hier gelten der Kriegerkönig und andere Figuren des Epos als Ahnherren verschiedener Familienstämme und auch Chögyam Trunpa leitete seinen bürgerlichen Nachnamen Mukpo von einer solchen Verbindung her (vgl. Stein 1981: 9; Uray 1985: 542ff; Samuel 1992: 716). Gesar wird häufig als Wiederverkörperung des tibetischen Königs Tri Songdetsen oder Padmasambhavas gesehen und z. T. sogar als Chakravartin oder als Drala34 betrachtet (vgl. Stein 1981: 5; Kaschewsky/Tsering 1987: 391). Zudem gibt es religiöse Praktiken, in denen Gesar angerufen wird und die in manchen Klöstern regelmäßig durchgeführt wurden (vgl. Jiacuo 1994; Samuel 2005a). So findet Gesar in Texten, die in der von Trungpa begründeten Shambhala-buddhistischen Gemeinschaft rezitiert werden, ebenfalls Erwähnung. Trungpa benannte Gesar zudem als eine Quelle der Shambhala-Lehren, die er ab Ende der 1970er Jahre an seine amerikanischen Schüler vermittelte. Nachdem die Rime-Bewegung sich zunächst unter Laien verbreitet hatte, griff sie später verstärkt auch auf die Klosterinstitutionen Osttibets über. Die Hauptzentren der Rime-Bewegung in Osttibet (Derge) bildeten die Klöster publiziert in: Fragen der mongolischen Heldendichtung, den Bd. I – V, herausgegeben von Walther Heisig, Wiesbaden: Harrassowitz, 1981, 1982, 1985, 1987, 1992. 34 Drala (dgra lha), häufig mit der Bezeichnung Kriegsgott übersetzt, ist eine Art Schutzgott gegen Feinde (dgra bedeutet Feind oder Gegner), den jeder Mensch auf seiner rechten Schulter habe (vgl. Nebesky-Wojkowitz 1956: 318). Darüber hinaus gibt es Dralas, die für ganze Völker oder Länder diese Schutzfunktion übernehmen (vgl. Hermanns 1965a: 10).

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Pälpung (Kagyü), Dzogchen und Sechen (Nyingma) sowie Dzongsar (Sakya). Die verschiedenen Inkarnationen von Khyentse und Kongtrül sind eng mit diesen Institutionen verknüpft und fungierten als Lehrer von Chögyam Trungpa, der somit durch die Rime-Bewegung geprägt wurde.

Tibet im Exil Die Verbreitung des tibetischen Buddhismus in den Ländern der westlichen Hemisphäre ab den 1960er Jahren wurde maßgeblich bedingt durch die tibetische Exilsituation als Folge der chinesischen Okkupation und Annexion Tibets. Die Besetzung Tibets durch die Truppen der chinesischen Volksbefreiungsarmee und die damit einhergehenden Oppressionen ab 1951 führten in der tibetischen Bevölkerung zunehmend zu Unruhen, die im März 1959 nach der Flucht des 14. Dalai Lamas nach Indien in einem Volksaufstand in Lhasa gipfelten (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 159 – 166).35 Schon vor der Flucht des Dalai Lama, der obersten politischen und religiösen Instanz Tibets, hatten verschiedene hohe buddhistische Würdenträger und Lehrer das Land verlassen und wurden später auch außerhalb Zentralasiens und Indiens als religiöse Spezialisten aktiv. Die Migration exiltibetischer Akteure nach Indien sowie in viele weitere Nationen lässt sich als transkultureller Fluss von Akteuren im Sinne eines Ethnoscapes beschreiben (vgl. Appadurai 1990; 1999), der zur Globalisierung des tibetischen Buddhismus beigetragen hat. Die chinesische Besatzung bedeutete nicht nur den Verlust der politischen und nationalen Souveränität, sondern auch eine existentielle Bedrohung der kulturellen und religiösen Institutionen sowie der Sozialstrukturen Tibets durch die kommunistischen Reformprozesse,36 die im Zuge der Kulturrevolution in einem Versuch der Zerstörung des tibetischen kulturellen Erbes mündeten. Das Fortbestehen der tibetischen religiösen Traditionen war daher zum einen in materieller Hinsicht prekär, als Kulturgüter wie Klöster, Stupas, Schriften sowie Kunst- und Ritualgegenstände vernichtet wurden, zum anderen war auch die immaterielle Dimension der tibetischen Kultur im Sinne von Wissensvorräten und Wissenstraditionen gefährdet. Viele buddhistische Gelehrte und Mönche hatten das Land verlassen, andere wurden interniert oder während der Aufstände getötet, so dass die Aufrechterhaltung der Weitergabe der tibetisch35 Für einen Gesamtabriss der Geschichte Tibets siehe Kollmar-Paulenz (2006); für eine Darstellung der Geschichte des modernen Tibets bis zur chinesischen Besatzung im Jahre 1951 siehe Goldstein (1989) und für die jüngere tibetische Geschichte ab 1947 siehe Shakya (1999). 36 Eine gravierende Maßnahme war die Landreform, welche die Klöster zwang ihren Landbesitz und damit ihre finanzielle Grundlage aufzugeben (vgl. Goldstein 1999; KollmarPaulenz 2006: 167).

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buddhistischen Lehrtraditionen – in welcher der Vermittlung durch einen Lehrer ein zentraler Stellenwert zukommt – bedroht war. Die Flucht des Dalai Lamas, zahlreicher Lamas sowie Mitglieder des Adels und der Regierung bedeuteten nicht nur das Ende der traditionellen politischen und religiösen Führung des Landes,37 sondern auch eine Verlagerung ihres Wirkens ins Ausland. Dharamsala, ein kleines Städtchen im indischen Bundesstaat Himachal Pradesh in den Vorbergen des Himalaja, wurde zum Sitz der tibetischen Exilregierung und im Selbstverständnis vieler Exiltibeter zu einem Ort der Bewahrung der kulturellen und religiösen Traditionen Tibets. In den Kontext der Bestrebungen zur Bewahrung der tibetischen Tradition sind die Errichtung des Klosters Namgyal38 und des Klosters des Staatsorakels Nechung39 sowie die Gründung des Tibetan Institute for Performing Arts40 einzuordnen (vgl. Baumann 2005). »Little Lhasa«, wie Dharamsala auch bezeichnet wird, avancierte so zum Nabel der tibetischen Welt, einer Welt, die geographisch nicht mehr auf der politischen Weltkarte zu verorten ist. Für Chögyam Trungpa und viele weitere Tibeter und buddhistische Gelehrte im Exil waren Indien, Nepal, Bhutan oder Sikkim nur die ersten Stationen auf einem langen Weg, der sie auch in die verschiedenen westlichen Länder führte.

Zwischenbetrachtung: Der Mythos Tibet als Ideoscape Lange vor der Ankunft der ersten Exiltibeter im Westen hatte Tibet als mythischer Topos bereits einen festen Platz in westlichen Fantasien eingenommen.41 Den Missionaren des 19. und frühen 20. Jh. galt Zentraltibet aufgrund der Unzugänglichkeit42 als letzte Bastion, die es als »Soldaten Christi« einzunehmen 37 Seit dem Niedergang der tibetischen Monarchie der Yarlung-Dynastie Mitte des 9. Jh., verlagerte sich die politische und religiöse Autorität zunehmend auf buddhistische Gelehrte (vgl. Lopez 1997a: 22). 38 Das Kloster wurde vom 3. Dalai Lama im 16. Jh. gegründet und diente als Privatkloster im Potala Palast den Belangen der Dalai Lamas (vgl. http://www.namgyalmonastery.org/, abgerufen am 04. 11. 2013). 39 Das Kloster ist der Sitz des tibetischen Staatsorakels Nechung. 40 Das Tibetan Institute for Performing Arts (TIPA) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die kulturelle Identität der Tibeter zu bewahren, indem es die künstlerischen Traditionen Tibets lebendig hält und diese mit der Welt teilt (vgl. »What is TIPA?« unter http://www.tibetanarts.org/, abgerufen am 04. 11. 2013). 41 Da bereits umfangreiche Auseinandersetzungen mit westlichen Imaginationen und Projektionen in Bezug auf Tibet vorliegen (vgl. Bishop 1989; 1993; Dodin/Räther 1997; Lopez 1998, Brauen 2000), soll an dieser Stelle nicht auf alle Facetten und Diskursebenen, die unter der Chiffre Mythos Tibet verhandelt werden, eingegangen werden. 42 Die vermeintliche Unzugänglichkeit, die Tibet in den westlichen Konstruktionen als weltentrücktes, geheimnisvolles Reich auf dem Dach der Welt erscheinen lässt, ist historisch

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hieß (vgl. Bray 1997: 36). Im Fokus der missionarischen Bestrebungen lagen vor allem die religiösen Aspekte der tibetischen Gesellschaft. Dabei diente die Aneignung der tibetischen Sprache hauptsächlich zum Zwecke der Übersetzung und besseren Verbreitung christlicher Konzepte in Tibet (vgl. Shakya 1994). Mit der Gründung der Theosophischen Gesellschaft (1875) und dem Wirken Helena Petrovna Blavatskys (1831 – 1891) änderte sich die Wahrnehmung Tibets. Die Theosophie verortete die Quelle der Weisheit in den abgelegenen Bergen des Himalaja (vgl. Pedersen 1997) und trug entschieden zur Mystifizierung und Popularisierung Tibets in der westlichen Welt bei. Als Folge dieser Entwicklungen nahm das Interesse an östlichen Religionen in Europa und Nordamerika zu. So wandelte sich das Bild Tibets von einem dunklen Land mit einer zum »Lamaismus« degenerierten Form des Buddhismus (vgl. Lopez 1998: 15 – 45), das der Erlösung durch das Christentum bedürfe, hin zu einer Verklärung Tibets als abgeschiedenen Hort uralten Wissens und Heimstatt einer weisen, universellen Bruderschaft, als spirituelles Zentrum der Welt und Ursprungsort aller Religionen. Die Bezeichnung Shangri-La dient seit James Hiltons Roman Lost Horizon43 von 1933 gleichsam als Chiffre für einen solchen imaginierten Ort. Dabei hat nicht nur die Vorstellung von Tibet wenig mit dem realen Land zu tun, auch spielen die Tibeter als Bewohner dieses Landes in diesen Imaginationen nur eine marginale Rolle. Blavatskys Mahatmas, die Weisen der Bruderschaft des Himalaja, werden als in Tibet lebende indische Meister beschrieben (vgl. Brauen 2000: 38ff) und Hiltons Figur des »Hohen Lama von Shangri-La« war ein belgischer katholischer Missionar mit Namen Perrault, der die Schätze der europäischen Kultur in einem Kloster irgendwo in Tibet gesammelt hatte und bewahrte. Die Tibeter treten in diesen Konstruktionen nur an der Peripherie auf und werden als einfache und glückliche Menschen beschrieben, die ein reines Leben führen, da es frei von den Segnungen der Zivilisation sei (vgl. Pedersen 1997: 169; Brauen 2000: 45 f). Tibet wird damit zu einem Ort, auf den die nicht haltbar. Tibet war über lange Zeiträume kein von der Außenwelt abgeschottetes Land, sondern auf vielfache Weise politisch, kulturell und wirtschaftlich mit China, Zentralasien und Indien vernetzt (vgl. Kollmar-Paulenz 2006). 43 Hiltons Roman erschien 1933 gleichzeitig in England und den USA und wurde schnell zum Bestseller, der bereits 1937 von Frank Capra erstmalig verfilmt wurde (vgl. Brauen 2000: 97ff, 149). Die Geschichte beginnt 1931 als drei Briten, unter ihnen eine Frau, und ein Amerikaner ein kleines Flugzeug besteigen, das sie von Baskul nach Peshawar bringen soll. Nach einem Absturz über den Schneebergen des Himalaja werden die Gestrandeten in ein abgelegenes tibetanisches Lamakloster mit dem Namen Shangri-La geführt, das von einem scheinbar unsterblichen Belgier mit Namen Vater Perrault geführt wird. Das Kloster gleicht einem Ort mit paradiesischen Zügen und alle dort Lebenden altern nicht oder nur sehr langsam und geben sich ganz und gar dem Studium der Weisheit hin. Im Kloster werden die gesammelten Schätze der Menschheit (das heißt in diesem Falle die Schätze der europäischen Kultur), wie Bücher, Kunst und Musik verwahrt. Unter den Klosterbewohnern scheint es nicht einen Tibeter zu geben. Diese leben nur als einfache, friedliche Dorfbewohner im Tal unterhalb des Klosters und dienen lediglich als Kulisse für das Geschehen im Roman (vgl. Hilton 2000).

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Sehnsucht und Hoffnung des Westens auf die Möglichkeit eines irdischen Paradieses projiziert wird; ein Paradies das beinahe unauffindbar irgendwo in den Schneebergen des Himalajas verborgen liegt und der Zeitlichkeit enthoben ist. Ganz im Sinne der Orientalismus-These Edward Saids (1979) entspricht dieses Bild Tibets und seiner Bewohner nicht der sozialen Realität, sondern spiegelt vielmehr die westlichen Imaginationen. Es ist ein Gegenentwurf zum westlichen Selbstbild, das Produkt eines Konstruktionsprozesses, in welchem Tibet mit seiner vermeintlichen Weisheit und Spiritualität gleichsam als Heilmittel für den materialistischen, rationalen und damit als defizitär verstandenen Westen entworfen wird (vgl. Dodin/Räther 2001).44 In den gegenwärtigen Beschreibungen von Tibet und den Tibetern als friedliebend, naturverbunden, ganz dem Studium und der Praxis des Buddhismus hingegeben, wie sie in Hollywoodfilmen und anderen öffentlichkeitswirksamen Publikumsmedien repetiert werden, wirkt der Mythos Tibet weiter. Auch das Bild des tibetischen Buddhismus ist auf das Engste mit diesen Imaginationen verknüpft. Lange Zeit hatten Orientalisten und Asienforscher die tibetische Variante des Buddhismus aus der Perspektive des westlichen Rationalismus als die am meisten degenerierte Form des Buddhismus betrachtet und mit dem entsprechend negativ konnotierten Begriff Lamaismus belegt (vgl. Kværne 1997c; Lopez 1998: 15 – 45). Ab den 1960er Jahren schlug diese Bewertung ins Gegenteil um, als eine neue Generation von Tibetforschern in Tibet den Ort der Bewahrung der reinsten und authentischsten Form des Buddhismus sah (vgl. Lopez 1995a). In dieser Umdeutung werden der tibetische Buddhismus als angeblich »authentischste« buddhistische Tradition, Tibet als Ort dieser Tradition und die Tibeter als Repräsentanten dieses Ortes und dieser Tradition verstanden und in eine untrennbare Einheit miteinander verwoben. So wird der tibetische Buddhismus in der westlichen Wahrnehmung zur signifikanten, wenn nicht sogar einzigen Komponente der Bestimmung Tibets. Dies impliziert eine Identifikation des tibetischen Buddhismus mit der tibetischen Kultur und Gesellschaft bei gleichzeitigem Ausschluss sowohl der Bönpo als auch der tibetischen Muslime aus diesem Konzept (vgl. Dodin/Räther 2001; Pommaret 2003: 24 f). Die religiöse und intellektuelle tibetische Elite im Exil übernimmt Teile des vom Westen geschaffenen Mythos Tibet in ihrer Konstruktion der tibetischen Identität in der Diaspora. In zahlreichen Vorworten des 14. Dalai Lama in westlichen Publikationen wird die Charakterisierung der tibetischen Kultur und 44 Diese Konstruktion ließe sich an vielen Stellen nachweisen. Als Beispiel kann hier der französische Dichter, Schauspieler und Regisseur Antonin Artaud (1896 – 1948) herangezogen werden, der 1925 den 13. Dalai Lama um Errettung von seinen Leiden bat, die ihm Europas Päpste und Gelehrte nicht geben könnten (vgl. Brauen 2000: 91 f).

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Gesellschaft als friedfertig, gewaltfrei, naturverbunden und zutiefst der buddhistischen Lehre verpflichtet perpetuiert. Das exiltibetische Selbstbild, produziert von einer religiösen und intellektuellen Elite, ist dem Tibetologen Huber zufolge ein modernes Konstrukt (vgl. Huber 1997). Es wird retrospektiv auf die gesamte tibetische Geschichte projiziert und verhindert eine kritische Geschichtsschreibung. Die Adressaten dieser exiltibetischen Selbstdarstellungen sind vielfach nicht Tibeter, weder im Exil noch in den politischen Grenzen Chinas,45 sondern im internationalen Kontext angesiedelt. Die idealisierten Darstellungen entfalten ihre Wirkung auch in der Verbreitung des tibetischen Buddhismus im Westen, da sie direkt Bezug nehmen auf die im Mythos Tibet formulierten Sehnsüchte und Fantasien (vgl. Dodin/Räther 2001). Die Imaginationen, die mit dem Mythos Tibet verknüpft sind, bewegen sich als transkultureller Fluss vermittelt durch Akteure, Diskurse, Medien- und Kommunikationsnetze multidirektional über den Globus und formen das Bild Tibets, des tibetischen Buddhismus und tibetischer kultureller Identität. In einem wechselseitigen Austauschprozess greifen Akteure in unterschiedlichen lokalen Kontexten – westliche ebenso wie exiltibetische Akteure in den unterschiedlichen Teilen der Welt – auf das Imaginationsrepertoire dieses Ideoscapes im Sinne Appadurais (1990) zurück und entwerfen durch sie Bilder des Anderen sowie Selbstbilder, wie in exiltibetischen Identitätsbildungen sichtbar wird. Diese Bilder und Vorstellungen beeinflussen auch Akteure im akademischen Feld, die sich mit diesen Themen befassen (vgl. Lopez 1995a; Kværne 1997c). Der erste Teil des vorliegenden Kapitels hat daher versucht zum einen ein differenziertes Bild des tibetischen Buddhismus und tibetischer Geschichte jenseits dieser Idealisierungen zu entwerfen. Zum anderen sollten die kursorischen Ausführungen zeigen, dass der tibetische Buddhismus keine zeitlose, statische Kontrastfolie zu modernen Entwicklungen im Westen bildet, sondern durch die Geschichte hindurch Transformationsprozessen unterworfen war und ist – sei es durch transkulturelle Dynamiken, politische Umbrüche, soziokulturellen Wandel oder ökonomische Veränderungen –, wie jede andere religiöse Tradition auch (vgl. Hock 2002; Tweed 2011).

45 Dafür spricht die Tatsache, so Huber, dass viele dieser neuen Identitätsbilder zuerst in Englisch erscheinen bevor sie in das Tibetische übersetzt werden (vgl. Huber 1997: 309).

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Religionsgeschichtlicher Hintergrund

4.2

Der Shambhala-Mythos im tibetisch-buddhistischen Kontext

Shambhala46 ist tibetischen Quellen47 zufolge der Name eines verborgenen Königreichs, das in der tibetischen Sprache auch als »Quelle des Glücks« (bde ’byung) bezeichnet wird. Laut den Beschreibungen in diesen Quellen liegt das Königreich irgendwo nördlich des Himalaja, nördlich des Flusses Sita¯ und hat die Form eines achtblättrigen Lotus, umrandet von zwei Ketten aus Schneebergen.48 Jedes der acht Lotusblätter beherbergt 120 Millionen Städte von denen jeweils zehn Millionen von einem der 96 Satrapen oder Fürsten regiert werden. Shambhala wird beschrieben als ein Königreich mit blühenden Wiesen, fruchtbaren Wäldern und prachtvollen Städten. Im Zentrum von Shambhala, ebenfalls umringt von Schneebergen, liegt die Hauptstadt Kalapa mit dem Juwelen-geschmückten Palast. Dort findet sich auch der aufwendig verzierte Löwenthron der Könige von Shambhala, welche die Macht und den Reichtum eines Cakravartin49 besitzen (vgl. Bernbaum 1980: 8; Newman 1991: 56). Die Könige, auch als Dharmara¯jas (Chögyel) und Kalkı¯s (Rigden) bezeichnet, gelten als erleuchtete Wesen und stellen jeweils die Manifestation eines Bodhisattva dar (vgl. Newman 1991: 81). Südlich von Kalapa, zwischen zwei Seen, liegt der MalayaHain, ein Sandelholzwald in dessen Mitte das von König Sucandra50, dem ersten König von Shambhala, errichtete dreidimensionale Ka¯lacakra-Mandala gelegen ˙˙ ist. Es heißt, dass die Gesetzte des Königreiches gerecht und physische Sanktionen unbekannt sind. Das Leben in Shambhala wird als glücklich und frei von Hunger, Krankheit und Krieg beschrieben; die Bewohner verbringen ihr Leben in Frieden und Harmonie. Den Quellen ist zu entnehmen, dass die Könige und die ihnen treu ergebenen Fürsten die Untertanen unermüdlich das Ka¯lacakra46 In den tibetischen Quellen finden sich verschiedene Schreibweisen des Begriffs Shambhala. Die Variante shambha la wird von Khedrup Norsang Gyatso (1423 – 1513) in seinem Kommentar zum Ka¯lacakra-Tantra verwendet (vgl. Norsang Gyatso 2004). Weitere Varianten sind sham bha la und sha mbha la (vgl. Newman 1987: 98 Fn. 6). Ich verwende hier einheitlich die inzwischen gängige westliche Schreibweise Shambhala, wie sie auch im Kontext der Shambhala-buddhistischen Gemeinschaft Verwendung findet. 47 Kollmar-Paulenz gibt eine detaillierte Übersicht der tibetischen Quellen zu Shambhala (vgl. Kollmar-Paulenz 1992/93: 88 – 95). 48 Die hier präsentierte Beschreibung Shambhalas orientiert sich an den Ausführungen von Bernbaum (1980: 6 – 12), Newman (1991: 54 – 58) und Kollmar-Paulenz (1992/93: 79ff; 1994: 159 f). 49 Ein Cakravartin ist ein universeller Monarch oder Weltenherrscher, der das buddhistische Ideal des gerechten und weisen Königs oder Kaisers verkörpert, der den Dharma aufrecht erhält und fördert (vgl. Tambiah 1976; Strong 1983; Mohan 2004). 50 Innerhalb der Shambhala-buddhistischen Gemeinschaft wird für Sucandra der tibetische Name Dawa Sangpo verwendet (u. a. in Rezitationstexten, z. B. »Supplication to the Shambhala Lineage«, und in Shambhala-Publikationen Chögyam Trungpas).

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Tantra lehren und so das Streben der Einwohner Shambhalas trotz ihres Reichtums und Wohlergehens auf Tugendhaftigkeit und Erleuchtung ausgerichtet ist. Daher erlangen viele von ihnen bereits während ihres Lebens in Shambhala die Erleuchtung. Doch auch wer die Buddhaschaft nicht erlangt, kann, einmal in Shambhala geboren, nie wieder eine niedere Existenzform annehmen. Die Quellen weisen zudem auf die besondere Rolle Shambhalas in einer apokalyptischen Zukunftsvision hin: Zu einer Zeit, da die Welt und die Lehre Buddhas von äußeren nicht-buddhistischen Feinden (Lalo) bedroht sein werden, wird der 25. Kalkı¯ von Shambhala, König Raudracakrin, mit seinem Heer aus Shambhala kommen, die Feinde besiegen und ein neues Zeitalter des Friedens unter der weltweiten Verbreitung des Buddhismus einleiten. Der Mythos von Shambhala trägt in diesem Kontext eschatologische Züge. Auf die enge Verknüpfung des mythischen Königreiches mit dem Ka¯lacakra-Tantra verweist bereits das in Shambhala errichtete Ka¯lacakra-Mandala und die Praxis dieses ˙˙ Tantras durch die Bewohner des verborgenen Landes.

Shambhala im Kontext des Ka¯lacakra-Tantras Das Ka¯lacakra, ein tantrischer Lehr- und Praxiszyklus, stellt eines der komplexesten tantrischen Systeme des Vajraya¯na dar. Die tibetische Entsprechung zum Sanskrit-Begriff Ka¯lacakra lautet dus kyi ’khor lo und lässt sich mit Rad der Zeit oder Zeitzyklus übersetzen. Der tibetischen Überlieferungstradition zum Ka¯lacakra-Tantra zufolge begab sich König Sucandra von Shambhala mit seinem Gefolge von 96 Satrapen zur Stupa von S´ri Dhanyaka¯taka und ersuchte Buddha ˙ S´a¯kyamuni um Übertragung dieses tantrischen Lehrzyklus. Der Buddha, in der Manifestation von Ka¯lacakra, weihte auf Sucandras Gesuch hin alle Anwesenden in das Ka¯lacakra-Tantra ein (vgl. Hoffmann 1973: 137 f; Newman 1987: 93). König Sucandra schrieb die Belehrungen in einem zwölftausend Verse umfassenden Band, genannt Wurzeltantra (skr. Ka¯lacakra mulatantra, tib. rtsa rgyud), nieder und kehrte nach Shambhala zurück (vgl. Newman 1987). Der Überlieferungstradition zufolge fertigte Sucandra auch einen ausführlichen, sechzig Verse umfassenden Kommentar zum Wurzeltext an und ließ das große Ka¯lacakra-Man. d. ala südlich von Kalapa, der Hauptstadt Shambhalas, errichten. In Shambhala wurde das Ka¯lacakra-System gelehrt und bewahrt und an die sechs nachfolgenden Könige, die Dharmara¯jas, weitergegeben. Der siebente Dharmakönig Yas´as vereinte die verschiedenen nicht-buddhistischen51 Klane 51 In den Quellentexten findet sich die Bezeichnung r. s. i (drang srong) für die vorrangig brahmanischen Klane in Shambhala, denen König Yas´as prophezeit, dass binnen achthundert

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von Shambhala in einer großen vajra-Familie und erhielt daher den Titel Kalkı¯52. Anlässlich der Einweihung der anderen Klane in das Ka¯lacakra-Tantra lehrte er seine Untertanen eine gekürzte Version des Wurzeltextes, die unter dem Titel S´rı¯ Ka¯lacakra bekannt ist. Auf Yas´as’ Anweisung hin soll sein Sohn Pun. d. arika einen Kommentar zum gekürzten Wurzeltantra verfasst haben, der den Titel Vimalaprabha¯ trägt. Das Ka¯lacakra-Tantra wird der Klasse der Anuttara Yoga Tantras, der höchsten Tantra-Stufe, zugerechnet. Die bereits erwähnte gekürzte Version des Wurzel-Tantras (S´rı¯ Ka¯lacakra) und Pun. d. arikas Kommentar (Vimalaprabha¯) gelten als früheste literarische Zeugnisse und Basistexte zum Ka¯lacakra-Tantra, die bis heute im tibetisch-buddhistischen Kanon überliefert sind. Beide Texte wurden im 11. Jh. aus dem Sanskrit in das Tibetische übertragen. Das ursprüngliche Wurzeltantra und der Kommentar, die innerhalb des Überlieferungszusammenhanges Sucandra zugeschrieben werden, gelten als verloren. In verschiedenen Texten und Kommentaren finden sich jedoch einzelne Passagen und Verweise auf den Wurzeltext (vgl. Sfera/Merzagora 2006: 7). Das »Rad der Zeit«-Tantra besteht aus drei Zeitzyklen, die in fünf Kapiteln abgehandelt werden. Das sog. »Äußere Ka¯lacakra« (phyi’i dus ’khor) befasst sich mit den Zeitzyklen des Kosmos und der Welt und enthält unter anderem Ausführungen zu Astronomie, Astrologie, Geographie und Geschichte. In diesem ersten Kapitel werden der Shambhala-Mythos und die damit verbundene Eschatologie behandelt. Das zweite Kapitel, das sog. »Innere Ka¯lacakra« (nang gi dus ’khor), bezieht sich auf die Zeitzyklen im Inneren der lebenden Wesen, die in den äußeren Zeitzyklen leben. Es behandelt Themen wie den Lebenszyklus von Tod, Bardo53 und Wiedergeburt, die Beschreibung der Stufen des Lebens sowie eine Beschreibung der Zusammensetzung des menschlichen Körpers und der Zyklen, die er täglich durchläuft. Das sog. »Andere Ka¯lacakra« oder »Alternative Ka¯lacakra« (gzhan gyi dus ’khor) umfasst die verbleibenden drei Kapitel. Im dritten Kapitel wird die Ermächtigung oder Übertragung (skr. Abhiseka, tib. ˙ Wangkur) verhandelt, Fragen der Qualifikation des tantrischen Meisters als auch des Schülers erörtert und das Ka¯lacakra-Mandala beschrieben. Die Kapitel vier Jahren ihr Dharma verfallen werde und ihre Nachkommen das »Dharma der Barbaren« (kla klo’i chos) verbreiten werden, wenn sie nicht Initiation in die vajra-Familie (rdo rje rigs) erhalten (vgl. Khedrup Norsang Gyatso 2004: 14ff). 52 Der Sanskrit-Begriff Kalkı¯ steht für Besitzer des Klans; Anführer (vgl. Kollmar-Paulenz 2001: 18) und verweist auf die zahlreichen indischen Bezüge des Ka¯lacakra-Tantras und des Shambhala-Mythos (vgl. Newman 1991: 83 Fn. 4; Kollmar-Paulenz 1992/93: 81 Fn. 12). Nach König Yas´as trugen alle Könige von Shambhala diesen Titel. Die tibetische Entsprechung rigs ldan ist unter der Bezeichnung Rigden oder Rigden-König eine zentrale Figur in den Shambhala-Lehren. 53 Der inzwischen im westlichen tibetisch-buddhistischen Diskurs verbreitete Begriff Bardo ist abgeleitet aus dem Tibetischen Wort bar do und lässt sich mit Zwischenzustand übersetzen. Gemeint ist zumeist der Zustand zwischen Tod und Wiedergeburt.

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und fünf widmen sich den Praktiken der sog. Erzeugungsstufe (bskyed rim) und der Vollendungsstufe (rdzogs rim), die schließlich zur Erleuchtung führen sollen. Ein Charakteristikum des Ka¯lacakra-Tantras ist die Entsprechung von äußerer und innerer Ebene, in der sich die äußere Welt und ihre Zeitzyklen in der inneren Welt der lebenden Wesen und ihren Zeitzyklen spiegeln. Diese Analogie von Makrokosmos und Mikrokosmos ist nicht nur für die Praktiken der Erzeugungs- und Vollendungsstufe des alternativen Ka¯lacakra, sondern auch für den eschatologischen Horizont des Ka¯lacakra-Tantras relevant. Die im ersten Kapitel, dem »Äußeren Ka¯lacakra«, geschilderte Rolle Shambhalas und Kalkı¯ Raudracakrins in der apokalyptischen Schlacht gegen die »heidnischen Barbaren« (Lalo)54 als Feinde des Dharma, wird in der exoterischen Deutung als in der äußeren Welt, dem Makrokosmos, stattfindend vorgestellt. Der 25. und letzte Kalkı¯, König Raudracakrin, werde mit seiner Armee, zu der auch Hindu-Götter gehören, aus Shambhala kommen, die barbarischen Horden besiegen und ein goldenes Zeitalter des Buddhismus einleiten. In der esoterischen Deutung wird diese Schlacht dann in den Mikrokosmos des Körpers des Praktizierenden übersetzt: Die Schlacht zwischen dem Kalkı¯ und den feindlichen Kräften des Islam stehe für die richtige Erkenntnis der Wirklichkeit des tantrischen Praktizierenden, die über die Unwissenheit siege (vgl. Newman 1995: 285).55 In der Überlieferungstradition zum Ka¯lacakra-Tantra sind historische Fakten und Legende eng miteinander verknüpft. Das Ka¯lacakra-Tantra stammt aus dem 10./11. Jh. und stellt das letzte in Indien eingeführte tantrische System dar (vgl. Kollmar-Paulenz 1995: 43).56 Tsilupa, so die Überlieferung, reiste nach Shambhala und erhielt dort Einweihung in das Ka¯lacakra-Tantra und brachte es nach Indien, wo er es an Na¯ropa¯ weitergab, der zu dieser Zeit der indischen Universität Na¯landa¯ vorstand (vgl. Chandra 1966: 7). So wird erklärt warum das Ka¯lacakra erst im Indien des 10./11. Jh. historisch in Erscheinung tritt und 54 Der tibetische Terminus Lalo (kla klo, skr. mleccha) steht sowohl für Barbaren aber auch für Muslime; Laloi Chö (kla klo’i chos) bedeutet in diesem Zusammenhang Dharma oder Religion der Lalo (kla klo). Im Kontext des Ka¯lacakra-Tantras bezieht sich der Begriff kla klo fast ausschließlich auf Muslime (vgl. Newman 1998b: 317 Fn. 11). Die Verse des ersten Kapitels des S´rı¯ Ka¯lacakra nennen zudem explizit Adam, Noah, Abraham, Moses, Jesus und Mohammed u. a. und die »barbarische Religion« aus dem Lande ma kha (vgl. Newman 1995: 288 f). Es ist möglich, dass diese Auflistung von den Autoren des S´rı¯ Ka¯lacakra aus einer schiitischen Quelle übernommen wurde (vgl. Newman 1998b: 321). 55 Die Ka¯lacakra-Texte gelten als Hauptquellen für buddhistische Interpretationen des Islam. Die darin zu findenden Beschreibungen muslimischer Vorstellungen und Bräuche portraitieren den Islam – hier bezeichnet als »Dharma der Barbaren« – als Gegenstück des Buddhadharma, als ein »barbarisches«, »unzivilisiertes« System der Gewalt und des Ikonoklasmus (vgl. Newman 1998b). 56 Zur zeitlichen Einordnung des Ka¯lacakra-Tantras gibt es verschiedene Positionen; manche datieren es auf das späte 10. Jh. (vgl. Kollmar-Paulenz 1995: 41), andere auf das frühe 11. Jh. (vgl. Grönbold 1983: 27 f; Newman 1987: 97ff; 1991: 65).

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dennoch als buddhavacanam, als Wort Buddhas, gilt (vgl. Newman 1998a: 319; Yoeli-Tlalim 2004: 231). Das mythische Königreich Shambhala und seine Herrscher werden in der Überlieferung zu Empfängern und Bewahrern der höchsten tantrischen Lehre. Sie bewahren diese bis zu dem Moment, da die Zeit gekommen ist, das Tantra zu verbreiten. Im 11. Jh. gelangten die Texte des Ka¯lacakra-Tantras auf verschiedenen Wegen auch nach Tibet. Das 11. Jh. war in Bezug auf den indischen Buddhismus durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet: zum einen durch die wachsende Konkurrenz verschiedener indischer nicht-buddhistischer Strömungen und zum anderen durch zunehmend bedrohlicher werdende muslimische Invasionen im Nordwesten Indiens (vgl. Newman 1998b: 316). Diese historischen Umstände machen den eschatologischen Ausblick des »Rad der Zeit«-Tantras verständlich. Die prophetische Dimension des Mythos von Shambhala – und hier insbesondere die Figur des Raudracakrin, des letzten Kalkı¯ von Shambhala – aber auch die Beschreibung des verborgenen Königreiches im Norden, verweisen auf die indischen Bezüge des Mythos. Die Darstellung Shambhalas scheint von dem Konzept des indischen Uttarakuru, des nördlichen Landes der Glückseligkeit, beeinflusst zu sein (vgl. Kollmar-Paulenz 1992/93: 83). In dem indischen Epos Maha¯bha¯rata wird Uttarakuru als im Norden des Berges Meru gelegenes irdisches Reich mit paradiesischen Zügen beschrieben, in dem weise Menschen leben (vgl. Bernbaum 1980: 89). Auch die Figur des Kalkı¯ findet sich bereits im Maha¯bha¯rata und etwas später auch in den Pura¯nas als zehnter und letzter ˙ Avatar des Gottes Vis. n. u am Ende des Kali Yuga. Der Kalkı¯ wird am Ende des Zeitalters des Niederganges in einem Dorf namens Shambhala geboren und er wird, auf einem weißen Pferd reitend, mit einem flammenden Schwert Fremde, Feinde und Diebe zerschlagen, um ein neues Zeitalter des Friedens und der Ordnung einzuläuten (vgl. O’Flaherty 1982: 237; Parrinder 1997: 26 f, 222). Zum Teil wird der indische Kalkı¯ auch in theriomorpher Gestalt als weißes Pferd oder mit einem Pferdekopf dargestellt (vgl. Schleberger 1997: 84; vgl. Michaels 1998: 332). In beiden Fällen trägt die Figur des Kalkı¯ eschatologische Züge und ist Protagonist in einer apokalyptischen Schlacht, welche in der Zerstörung der alten Ordnung und der Errichtung eines neuen Zeitalters mündet. Auch in der Ikonographie lassen sich Ähnlichkeiten finden: Raudracakrin wird auf einem Pferd aus Stein und stark wie der Wind in die Schlacht reiten (vgl. KollmarPaulenz 1994: 172). Folgt man der allgemeinen Datierung des Ka¯lacakra-Tantras auf das späte 10. bzw. frühe 11. Jh., so könnte man ein Aufgreifen des indischen Kalkı¯-Motivs und eine Integration in das neu entstehende tantrische System des Ka¯lacakra annehmen (vgl. Newman 1995).57 Der prophetische Aspekt des 57 Da die Pura¯nas nur schwer genau zu datieren sind, und insbesondere das Kalkı¯-Pura¯na ˙ ˙ jüngeren Datums zu sein scheint, kann es sich dabei nur um eine mögliche Annahme

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Ka¯lacakra-Tantras und die Inkorporation brahmanischer und hinduistischer Elemente kann als eine Reaktion auf die religiösen, sozialen und politischen Spannungen der Entstehungszeit gesehen werden, deren Lösung in eine idealisierte Zukunft verlagert wird (vgl. Newman 1995). Der tantrische Lehr- und Praxiszyklus des »Rad der Zeit«-Tantras spielt in allen vier Haupttraditionen des tibetischen Buddhismus eine Rolle. In der Gelugpa-Tradition war das Ka¯lacakra-Tantra seit ihrer frühen Herausbildung von Bedeutung: Sowohl bei den Panchen Lamas als auch bei einzelnen Dalai Lamas (einschließlich des derzeitigen 14. Dalai Lamas) spielte dieser Lehr- und Praxiszyklus eine wichtige Rolle, wobei die Panchen Lamas sich in einer besondere Verbindung zu Shambhala sahen (vgl. Jackson 1991: 40; Newman 1991: 77; Kollmar-Paulenz 1995: 44 f). Neben diesen Gelehrten hat jede der vier Haupttraditionen des tibetischen Buddhismus ihre eigenen Ka¯lacakra-Meister hervorgebracht. Aufgrund der Vielfältigkeit der Übertragungslinien können das Ka¯lacakra-Tantra und die dazugehörigen Interpretationen und Praktiken in den verschiedenen Traditionen unterschiedliche Akzentuierungen erfahren (vgl. Kilty 2004: 14). Viele der auf den »Rad der Zeit«-Zyklus spezialisierten tibetischen Gelehrten der verschiedenen Schulen waren in den letzten Jahren auch außerhalb Tibets aktiv und haben Einweihungen in das Ka¯lacakra-Tantra in unterschiedlichen Teilen der Welt gegeben. Der 14. Dalai Lama ist sicherlich der prominenteste Vertreter. Er hat unter dem Titel »Kalacakra für den Weltfrieden« zahlreiche öffentliche Einweihungen vor westlichem Publikum vorgenommen (vgl. Rakow 2012). Eine öffentliche Einweihung vor einem großen westlichen Publikum, welches mehrheitlich keine tibetisch-buddhistischen tantrischen Praktiken ausübt, mag widersprüchlich zu der Behauptung erscheinen, dass es sich bei dem Ka¯lacakra-Tantra um eines der höchsten tantrischen Systeme handele. Üblicherweise sind tantrische Einweihungen einem bestimmten, zumeist monastisch geprägtem Publikum vorbehalten, auch wenn es einige historisch belegte Gegenbeispiele dafür gibt, dass Laien in größerer Zahl teilnehmen können (vgl. Kapstein 1998). Sowohl der Dalai Lama als auch andere tibetische Lehrer haben darauf hingewiesen, dass es in der heutigen schwierigen Zeit sinnvoll sei, die Einweihung vielen Menschen im Sinne eines »Segens« zukommen zu lassen und so eine »starke karmische Verbindung« (Gyatso 1991: xix) zum Ka¯lacakra zu schaffen. Die höheren Praktiken des Ka¯lacakra-Tantras seien jedoch noch immer nur einigen wenigen Auserwählten vorbehalten (vgl. Gyatso 1991: xviii – xix). Derartige Masseneinweihungen sind kein Spezifikum des späten 20. Jh., lassen sich doch historische Vorläufer für solche großen Einweihungen in das Ka¯lacakra finden. So hatte beispielsweise der 9. Panchen handeln. Für den Hinweis auf die Problematik der Datierung danke ich Kar¦nina KollmarPaulenz und Istv‚n Keul.

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Lama (1883 – 1937) in den Jahren 1926 – 1936 insgesamt neun Ka¯lacakra-Einweihungen in China vor tausenden von Teilnehmern durchgeführt, u. a. um finanzielle Mittel für sein Kloster einzuwerben (vgl. Hammar 2004: 10; Jagou 2004: 117 – 126). Das Ka¯lacakra-Tantra wurde von ihm als besonders wirkungsvolle Initiation und deshalb als finanziell besonders ertragreiche Einweihungspraxis betrachtet (vgl. Jagou 2004: 124ff). Eine große Masseneinweihung mit ca. 60.000 chinesischen und mongolischen Teilnehmern und mit dem speziellen Anliegen den Frieden in der Region zu fördern, führte er 1932 in Peking durch.58 Im Zuge der öffentlichen Masseneinweihungen der letzten Dekaden in das »Rad der Zeit«-Tantra wird der Mythos von Shambhala heute einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Die Schriften und Kommentare zum Ka¯lacakra-Tantra stellen jedoch nicht die einzigen Texte zum Shambhala-Mythos aus dem tibetisch-buddhistischen Kulturraum dar. Eine weitere wichtige Quelle sind die Reiseführer nach Shambhala, die im Folgenden näher betrachtet werden.

Reiseführer nach Shambhala Unter Tibetern gibt es verschiedene Auffassungen darüber, ob Shambhala sich innerhalb der geographischen Grenzen der bekannten Welt befindet oder nicht und wie man in das verborgene Königreich gelangen kann. Nach Tenzin Gyatso, dem 14. Dalai Lama, liegt Shambhala zwar irgendwo in dieser Welt, kann aber nur von einigen wenigen, deren Geist und »karmische Tendenzen« rein sind, gesehen werden (vgl. Gyatso 1991). Ähnliche Äußerungen zur Sichtbarkeit von Shambhala finden sich auch in anderen Quellen: Wer zufällig nach Shambhala gelangen sollte und nicht die Fähigkeit besitze wirklich zu sehen, werde statt eines blühenden Landes mit goldenen Pagoden nur ein ödes, wüstes Tal vorfinden (vgl. Bernbaum 1980: 38). Dieser Topos der Beschränkung auf einige Wenige, die Shambhala je gesehen oder besucht haben, findet sich in vielen Aussagen über das verborgene Königreich. Zumeist ist der Weg denjenigen vorbehalten, die mit der tantrischen Praxis vertraut sind beziehungsweise diese schon gemeistert haben, den sog. Siddhas (vgl. Newman 1996: 486). Hin und wieder findet man Berichte von Einzelnen, die im Traum nach Shambhala gereist sind.59 Ein solches Erscheinen von Shambhala im Traum wird auch als Zeichen

58 Im September 1931 hatte Japan einen Angriff auf die Mandschurei und Teile der Inneren Mongolei gestartet und diese Region okkupiert. 59 Siehe zum Beispiel die Erzählung eines solchen Traumes von Khamtrul Rinpoche, abgedruckt in Lotusblätter. Zeitschrift für Buddhismus, 04/2000, S. 33 ff.

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gedeutet, die Reise nach Shambhala antreten zu dürfen, während ein Antritt der Reise ohne dieses Zeichen voller Gefahren und zudem erfolglos sei.60 In den tibetischen Quellen gibt es eine spezifische Literaturgattung der Reiseführer oder Wegbeschreibungen (tib. Lamyig), z. B. zu bestimmten buddhistischen Stätten und Pilgerorten.61 Auch für die Reise nach Shambhala existieren solche Texte. Der Shambhalai Lamyig (Reiseführer nach Shambhala) von Manlungpa aus dem 13. Jh. beschreibt den Weg nach Shambhala als physisch begehbare Route, die von jedem Reisenden ohne besondere Schwierigkeiten absolviert werden könne (vgl. Newman 1996: 485ff). Der Reiseführer präsentiert zwei verschiedene Wegbeschreibungen, die jeweils zahlreiche reale Ortsangaben enthalten, und gibt zwei bis drei Jahre als Reisedauer an. Der Autor behauptet zudem, selbst in Shambhala gewesen und Zeuge einer Belehrung des Königs von Shambhala geworden zu sein (vgl. Newman 1996: 488). Aus dem 17. Jh. stammt die Übersetzung eines Reiseführers mit dem Titel Kalapar Jugpa62, der den Weg nach Kalapa als gespickt mit zahlreichen Hindernissen beschreibt. Der Reiseführer ist für die Zeit des Niederganges des Dharmas gedacht, in der diejenigen, die zum Wohle aller Wesen nach Erleuchtung streben, bei den Weisen in Kalapa die bewahrten Lehren empfangen können (vgl. Bernbaum 1980: 187). Der Reisende, der den Weg nach Kalapa beschreiten möchte, um die höchsten Siddhis zu erlangen, sowohl für sich als auch für andere, muss dafür seine Schutzgottheit um Erlaubnis ersuchen und zahlreiche Riten durchführen. Die Reise beginnt am Ort der Erleuchtung Buddhas (Bodh Gaya¯) und von dort aus muss der Reisende weitere Hindernisse überwinden, indem er die im Reiseführer vorgeschriebenen Riten praktiziert und die richtige Haltung entwickelt, um letztlich nach Kalapa zu gelangen (vgl. Bernbaum 1985: 187 – 194). War der Weg nach Shambhala in Manlungpas Reiseführer noch für jeden zu beschreiten und orientierte er sich an real gegebenen geographischen Fixpunkten, so spielen reale geographische Gegebenheiten in diesem Reiseführer nach Kalapa eine untergeordnete Rolle. Nicht genauer bestimmbare eisige Flüsse, hohe Berge und weite Wüsten dienen dem tantrischen Praktizierenden als Hindernisse, die er mithilfe ritueller Handlungen und der Entwicklung einer Haltung des Mitgefühls überwinden soll (vgl. Newman 1996: 489ff). Hier zeichnet sich eine Verschiebung des Motivs »Reise« ab: eine Ver60 Dies ist dem Reiseführer nach Kalapa (Kalapar Jugpa) zu entnehmen. Eine gekürzte Übersetzung findet sich bei Bernbaum (1980: 187 – 194). 61 Newman gibt einige Beispiele für diese Literaturgattung an (vgl. Newman 1996: 485 f). Bei Kollmar-Paulenz findet sich eine Auflistung von Reiseführern, die sich speziell mit Shambhala befassen (vgl. Kollmpar-Paulenz 1992/93: 91 f). 62 Die Übersetzung stammt von Ta¯rana¯tha (1575 – 1634) und ist Teil des Tenjur (vgl. Newman 1996). Die Text geht wahrscheinlich auf das 11. oder 13. Jh. zurück (vgl. Kollmar-Paulenz 1992/93: 79).

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schiebung weg von einem rein physisch-beschreitbaren Weg hin zu einem religiös-rituellen Weg (vgl. Kollmar-Paulenz 1992/93: 82). Der berühmteste und bekannteste Reiseführer unter den Tibetern ist der Shambhalai Lamyig des 3. Panchen Lama Lobsang Palden Yeshe (1738 – 1780) aus dem Jahre 1775 (vgl. Bernbaum 1980: 182). Er erlangte durch die Übersetzung Albert Grünwedels von 1915 bereits zu Beginn des 20. Jh. auch Bekanntheit im westlichen Kontext.63 Nur ein kleiner Teil des Textes befasst sich jedoch mit Shambhala, da das Hauptaugenmerk auf einer Beschreibung der politischen und religiösen Angelegenheiten Indiens liegt (vgl. Vostrikov 1970: 232). Der Text orientiert sich weitgehend am Kalapar Jugpa und beschreibt den Weg nach Shambhala in gleicher Weise als eine religiös-rituelle Reise. Er nimmt zudem Bezug auf den Shambhalai Lamyig von Manlungpa, der jedoch als »falsch« deklariert wird (vgl. Newman 1996: 491 f). Der Text von Ringpung Ngawang Jigdag von 1557 mit dem Titel Bote des Wissens enthält ebenfalls eine Wegbeschreibung nach Shambhala.64 Der Reiseführer ist Teil eines Briefes von Ringpungpa an seinen Vater, der in Shambhala wiedergeboren worden sein soll. Um den Brief nach Shambhala gelangen zu lassen, visualisiert er einen weisen Boten, welchen er den Weg, entsprechend seiner Beschreibung, beschreiten lässt. Anders als im Kalapar Jugpa und dem Reiseführer des 3. Panchen Lama wird hier, neben der Beschreibung ritueller Handlungen an verschiedenen Stationen der Reise, noch stärker die geistige Haltung des Reisenden betont. Er soll den Gefahren, Ungeheuern und Hindernissen mit einer Haltung des Mitgefühls für alle Wesen begegnen und all seine Anstrengungen dem Nutzen aller Lebewesen widmen, um nach Shambhala zu gelangen (vgl. Bernbaum 1980: 197 – 202). Allen Reiseführern ist gemein, dass sie eine Reise innerhalb einer physischen Geographie beschreiben. Doch mit Ausnahme von Manlungpas Shambhalai Lamyig erfolgt in den Texten parallel eine Beschreibung religiös-ritueller Handlungen, die der Reisende auszuführen hat, um sein Ziel zu erreichen. Zudem muss der Reisende bestimmte Qualifikationen (z. B. die Einweihung in die tantrische Praxis) und spezielle Eigenschaften (z. B. Mitgefühl mit allen fühlenden Wesen) aufweisen, um die Reise nach Shambhala antreten zu können, beziehungsweise er muss diese erwerben, um die Reise erfolgreich absolvieren zu können. Die landschaftlichen Beschreibungen in den Reiseführern dienen demnach nur als Hintergrund und Rahmen für die rituelle oder geistige Reise. Der Weg nach Shambhala ist, wie viele der Reiseführer deutlich machen, nur 63 Hier ist auf die Fehlerhaftigkeit der Übersetzung Grünwedels hinzuweisen (vgl. KollmarPaulenz 1992/93: 92 Fn. 71). Ein Heranziehen dieser Version als Primärquelle scheint daher ungeeignet. 64 Eine Übersetzung findet sich bei Bernbaum (1980: 197 – 202).

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einigen wenigen Eingeweihten vorbehalten. Die Schilderungen der Reise nach Shambhala gleichen von der Konzeption her einem tantrischen Übungsweg, auf dem sich der Geist und der Körper des Reisenden, d. h. des Praktizierenden, transformieren und an dessen Ende die Erkenntnis des reinen Geistes beziehungsweise die Erleuchtung steht.65

Der Shambhala-Mythos im Kontext buddhistischer Vorstellungen von »reinen Ländern« und »verborgenen Tälern« Das verborgene Königreich Shambhala, wie es zum Teil in den Texten zum Ka¯lacakra und auch in den Reiseführern dargestellt ist, trägt idealisierte, paradiesische Züge:66 Die Landschaft ist geprägt von fruchtbarer Vegetation, die Städte sind reich geschmückt mit Juwelen und goldenen Dächern. Krankheit, Hunger und Gewalt sind unbekannt in Shambhala. Alle Bewohner des Königreiches führen ein glückliches Leben, widmen sich den höchsten buddhistischen Praktiken und Lehren und haben somit die besten Voraussetzungen, um Erleuchtung zu erlangen. Shambhala weist damit Ähnlichkeiten zu anderen buddhistischen Konzepten und Vorstellungen von Orten auf, denen paradiesische Züge im oben angeführten Sinne zugeschrieben werden.67 Die Beeinflussung des Mythos von Shambhala durch das indische Uttarakuru, das als irdisches Land der Glückseligkeit nördlich des Berges Meru beschrieben wird, wurde bereits im Zusammenhang mit den spezifisch indischen Zügen des Ka¯lacakra-Tantras angesprochen. Uttarakuru fungiert hier als Stereotyp, auf den die Beschreibungen Shambhalas zurückgreifen (vgl. Kollmar-Paulenz 1992/93: 83). Nach dem 13. Jh. ist die Idee von Shambhala zusätzlich beeinflusst durch das buddhistische Konzept eines buddhaksetra68 (vgl. Kollmar-Paulenz 1992/93). Ein ˙ 65 Auch tibetische Gelehrte des 20. Jh. vertreten eine solche Ansicht bezüglich der Reiseführer (vgl. Bernbaum 1980: 241). 66 Dies trifft jedoch nicht auf die Vimalaprabha¯ und Manlungpas Reiseführer aus dem 13. Jh. zu. In diesen Texten wird Shambhala weniger als ein paradiesischer Ort auf Erden beschrieben, da die spirituellen Qualitäten des Ortes und der Bewohner stärker im Vordergrund stehen (vgl. Kollmar-Paulenz 1992/93: 86). 67 Die buddhistischen Konzepte von reinen Ländern, wie z. B. Sukha¯vatı¯ (tib. Dewachen), werden in der buddhologischen Fachliteratur häufig als Paradiese bezeichnet (vgl. Gûmez 1996: 112; Lopez 2001), auch wenn die Differenzen zu christlichen Konzeptionen eines Paradieses hervorgehoben werden (vgl. Gûmez 2004b: 703). Auf die Problematik des Begriffs Paradies als komparatistische Kategorie für religionswissenschaftliche Arbeiten wurde verschiedentlich hingewiesen (vgl. Stolz 1993; Ahn 1997a). Ein Vergleich buddhistischer und tibetischer Konzepte, die dem gleichen kulturellen Kontext und diskursiven Feld entstammen, scheint hier jedoch gerechtfertigt. 68 Der Sanskritbegriff buddhaksetra steht für Buddhafeld, d. h. für einen Raum oder ein Reich, ˙ Präsenz des reinen Geistes eines Buddhas oder Bodhisattvas das durch das Wirken und die

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Buddhafeld, ein Reich oder eine Welt, welche durch die Präsenz eines Buddhas rein und schön ist, bietet den darin lebenden Wesen ideale Voraussetzungen zur Erlangung des Nirva¯na (vgl. Gûmez 2004b). Auch Shambhala wird beschrieben als ein reines, schönes Land mit idealen Voraussetzungen für die Bewohner, die Erleuchtung zu verwirklichen. Darüber hinaus lassen sich Ähnlichkeiten in der Darstellung Shambhalas und der von Sukha¯vatı¯69 und Potala70 finden (vgl. Kollmar-Paulenz 1992/93: 83). Sukha¯vatı¯, das sog. reine Land im Westen des Buddhas Amita¯bha, wird als paradiesisches, gartengleiches Reich geschildert, in dem das Dharma gelehrt wird und in welchem durch die Präsenz des Buddha Amita¯bha das Nirva¯na für jeden erreichbar sei (vgl. Gûmez 1995: 704). Ähnliche Qualitäten werden auch Shambhala zugeschrieben. Der Potala ist der Sitz des Bodhisattvas Avalokites´vara im reinen Land von Sukha¯vatı¯ (tib. Dewachen) und weist damit Parallelen zu Kalapa auf, dem Sitz der Könige Shambhalas, die jeweils die Verkörperung eines Bodhisattvas darstellen. Insbesondere die im tibetisch-buddhistischen Kulturraum bekannten Wunschgebete (tib. Mönlam) um Wiedergeburt in Shambhala zeigen diese Ähnlichkeiten auf (vgl. Kollmar-Paulenz 1992/93: 86).71 Das Konzept der verborgenen Täler (tib. Beyül), das im tibetischen Raum weit verbreitet ist, weist ebenfalls Parallelen zu den Charakteristika des verborgenen Königreiches Shambhala auf. Beyül sind verborgene Regionen, zumeist Täler mit reicher unberührter Vegetation, die erst von geeigneten Personen, z. B. Schatzentdeckern (tib. Tertön), gefunden werden können, wenn die Menschen und die Lehre Buddhas von äußeren Umständen bedroht sind.72 Sind diese Täler einmal »gefunden« und »geöffnet«, so bieten sie eine Zufluchtsstätte in Zeiten äußerer Bedrohung (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 93). Zu einigen dieser Beyül existieren Reiseführer, die als sog. Schatztexte (tib. Terma) ebenfalls verborgen sind und erst gefunden werden müssen. Das bekannteste Beispiel ist das ver-

69 70

71 72

für die Lebewesen geschaffen wird. Das sog. reine Land (Sukha¯vatı¯) des Buddhas Amita¯bha ist eine solche gereinigte Welt beziehungsweise das Buddhafeld des Amita¯bha (vgl. Gûmez 2004b). Sukha¯vatı¯ ist das reine Land im Westen, das glückliche Land des Buddha Amita¯bha, in dem all jene wiedergeboren werden, die seinen Namen hören und an ihn glauben (vgl. Gûmez 1995: 704). Der Potala, der vor allem als Winterpalast des Dalai Lama in Lhasa und seit dem 17. Jh. als Regierungssitz bekannt ist, bezeichnet nach der Überlieferung des tibetischen Buddhismus den Sitz des Bodhisattvas Avalokites´vara im reinen Land von Dewachen. Da die Dalai Lamas als Verkörperung Avalokites´varas gelten, verwundert es nicht, dass der Palast diesen Namen trägt (vgl. Bishop 1999; Gûmez 2004b: 706). Kollmar-Paulenz führt einige Beispiele an (vgl. Kollmar-Paulenz 1992/93: 93ff; 1994). So finden sich auch Wunschgebete um Wiedergeburt im reinen Land des Buddhas Amita¯bha (vgl. Getz 2004: 701). Zum Teil ist in den Reiseführern zu den Beyül auch angegeben, welchen Namen derjenige tragen wird, der das Tal finden und öffnen kann (vgl. Bernbaum 1980: 67).

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Der Shambhala-Mythos im tibetisch-buddhistischen Kontext

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borgene Tal Khenpalung, zu dem es verschiedene Reiseführer gibt.73 Wie schon bei den Wegführern nach Shambhala können nur Personen mit den entsprechenden Voraussetzungen, das heißt zumeist mit einem bestimmten Karma ausgestattet, die verborgenen Orte finden. Auch spielen hier die äußeren Umstände der Bedrohung des Dharmas und der Menschen eine ähnliche Rolle, wie sie auch in der prophetischen Vision zur zukünftigen Rolle Shambhalas zum Tragen kommen. Im Unterschied zu Shambhala bieten die Beyül jedoch nur Rückzugsorte in Zeiten äußerer Gefahren, während von Shambhala aus ein apokalyptischer Krieg geführt werden wird, der in der Errichtung eines goldenen buddhistischen Zeitalters münden soll. Es ist dieser eschatologische Zug, der die Konzeption Shambhalas von anderen buddhistischen Vorstellungen idealisierter Orte unterscheidet, die durch paradiesische Zustände charakterisiert sind (vgl. Kollmar-Paulenz 1992/93: 83).

Zwischenbetrachtung: Der Shambhala-Mythos in tibetischen Quellen Der Mythos von Shambhala steht, wie gezeigt wurde, im tibetisch-buddhistischen Kontext in einem engen Zusammenhang mit dem Ka¯lacakra-Tantra, das gemeinhin als eines der höchsten tantrischen Systeme gilt. Shambhala wird hier zu einem mythischen Ort der Bewahrung der Lehren und Praktiken, die mit diesem System verbunden sind. Neben den Praxistexten und der umfangreichen Kommentarliteratur befassen sich auch Wegführer (Lamyig) und Wunschgebete (Mönlam) mit Shambhala. In den Schilderungen der Quellentexte wird Shambhala mit idealen, paradiesischen Attributen als ein fruchtbares Land mit reichen Städten beschrieben, in dem Frieden herrscht und dessen Bewohner den Dharma praktizieren und nach Erleuchtung streben. Da sich die Lage dieses Ortes nicht konkret bestimmen lässt und nur wenigen Auserwählten der Zugang zu diesem verborgenen Reich möglich scheint, trägt der Mythos von Shambhala Züge einer geographischen Utopie (vgl. Kollmar-Paulenz 1992/93). Der Shambhala-Mythos spielt jedoch nicht nur im tibetischen Kulturraum eine Rolle, sondern ist auch in den angrenzenden Einflussgebieten des tibetischen Buddhismus in Zentralasien, wie z. B. der Mongolei, verbreitet (vgl. KollmarPaulenz 1992/93; 1994). Mit dem Wirken tibetischer religiöser Spezialisten im westlichen Kontext und aufgrund großer öffentlicher Einweihungen in das Ka¯lacakra-Tantra dringt der Mythos von Shambhala gegenwärtig in das Bewusstsein vieler Menschen außerhalb Tibets. Dennoch fand dieser Mythos nicht 73 Bernbaum erwähnt zwei verschiedene Reiseführer nach Khenpalung, das in der Region des heutigen Nepals vermutet wird (vgl. Bernbaum 1980: 275 Fn. 1, 2; vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 93).

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erst seit den 1960er Jahren durch tibetische Lehrer im Exil Eingang in die westliche Welt, sondern war schon Jahrhunderte vorher im Gepäck von Missionaren, Asienreisenden und Orientalisten nach Europa und Amerika gelangt. Seitdem haben ihn verschiedene Akteure aufgegriffen und (neu-)gedeutet; für viele ist Shambhala zum Sinnbild eines irdischen, spirituellen Paradieses geworden. Wie die westliche Rezeption des Mythos von Shambhala verlief, soll im Folgenden anhand einiger ausgewählter Protagonisten und Beispiele gezeigt werden.

4.3

Shambhala in der westlichen Rezeption

Eine Rezeptionsgeschichte des Shambhala-Motivs im westlichen Kontext müsse noch geschrieben werden, merkte Donald Lopez in seinem Buch Prisoners of Shangri-La an (vgl. Lopez 1998: 267). Seitdem sind zumindest im deutschsprachigen Raum einige Ausführungen dazu erschienen. Die Tibetologin und Religionswissenschaftlerin Kar¦nina Kollmar-Paulenz ist in ihren Artikeln zu Shambhala als tibetisch-buddhistischer Utopie kursorisch auf die westliche Rezeptionsgeschichte eingegangen. So finden Helena P. Blavatsky, Nicholas Roerich und Agvan Dordjiev Erwähnung (vgl. Kollmar-Paulenz 1997; 2001), wie auch der Einfluss des Shambhala-Mythos auf die westlichen Vorstellungen eines irdischen Paradieses, genannt Shangri-La (vgl. Kollmar-Paulenz 2001). Der Ethnologe Martin Brauen betitelt in seinem populärwissenschaftlich ausgerichteten Buch Traumwelt Tibet sogar ein ganzes Kapitel mit Shambhala: »Auf der Suche nach ›Shambha-La‹ und den arischen Lamas« (Brauen 2000). Darin legt er die Tibetbilder der Theosophie, des Okkultismus, der Nazis und Neonazis offen, die sich für ihn mit der Chiffre »Shambha-La« (in Anlehnung an das westlich konstruierte »Shangri-La«) zum Ausdruck bringen lassen. Hier wird jedoch ein breites Spektrum von rezipierten Vorstellungen unter dem Titel Shambha-La verhandelt, das nur sehr begrenzt mit der Rezeption des Shambhala-Motivs zu tun hat und eher im weiteren Kontext der Rezeption eines mythischen Tibets anzusiedeln ist. Im Folgenden soll nun der Versuch unternommen werden, anhand ausgewählter Protagonisten kursorisch die Rezeption von Shambhala im westlichen Kontext nachzuzeichnen und so die Bedeutungsverschiebungen und Neuinterpretationen der Chiffre »Shambhala« zu umreißen. Die von mir vorgenommene Skizze der Rezeptionslinien basiert also nicht auf der Annahme einer vermeintlich zeitlosen und unveränderlichen Substanz des Shambhala-Topos und daraus resultierenden »falschen« und »richtigen« Lesarten.74 Vielmehr erfolgt 74 Siehe zum Beispiel Alexander Berzins Abhandlung über »Falsche fremdländische Mythen

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Shambhala in der westlichen Rezeption

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die kursorische Nachzeichnung der Rezeptionslinien auf Basis der theoretischen Vorannahme, dass Rezeptionsprozesse immer Re-Interpretationen und Aktualisierungen der Konzepte und Topoi beinhalten, die sich vor dem jeweiligen Lebens- und Wissenshorizont des Rezipienten vollziehen.75

Die frühe Kenntnisnahme in Berichten von Missionaren und Tibetreisenden Im westlichen Kontext fand das sagenumwobene Königreich Shambhala unter der Bezeichnung »Xembala« erstmalig 1627 in den Briefen der Jesuiten Estevao Cacella und Joao Cabral Erwähnung (vgl. Kollmar-Paulenz 1997: 536; Lopez 1998: 267 Fn. 1). Zwei Jahrhunderte später berichtet der ungarische Tibetforscher Alexander Csoma de Ko˝ rös (1784 – 1842) zum ersten Mal in englischer Sprache über Shambhala. Er war während seiner Reisen auf Texte zum Ka¯lacakra-Tantra und dem verborgenen Königreich Shambhala gestossen (vgl. Bernbaum 1980: 20). In einem Aufsatz beschreibt er ein sagenhaftes Land im Norden mit der prächtigen Hauptstadt »C‚lapa«, das im Tibetischen »Ursprung oder Quelle des Glücks« genannt werde (vgl. Csoma de Ko˝ rös 1833: 57). Einige Jahre später reisten die französischen Vinzentiner R¦gis-Evariste Huc und Joseph Gabet von der Inneren Mongolei nach Lhasa. In dem Reisebericht Souvenirs d’un voyage dans la Tartarie, le Thibet et la Chine, der 1850 in Paris erschien (vgl. Bray 1997: 32), berichtet Huc von einer Prophezeiung, die den prophetischen Aspekten des Mythos von Shambhala sehr nahe kommt, ohne jedoch Shambhala zu erwähnen. Laut Hucs Beschreibung werden in einer nicht näher bestimmten Zukunft, wenn der Panchen Lama in einem Land nördlich von Tibet zwischen dem Altai-Gebirge und den Bergen des Tien-Shan wiedergeboren wird, die Chinesen Tibet erobern. Dann werde, so erfährt der Leser weiter, der Buddhismus schwinden und nur noch in den Herzen der sogenannten »Kelans« (Huc 2005: 257), der Anhänger des Panchen Lamas, überleben, bis ihre Armee unter der Führung des Panchen Lamas die Chinesen besiege. Nach der siegreichen Schlacht werde der Panchen Lama zum Cakravartin und über Shambhala«, die ein solches Anliegen verfolgt (vgl. Berzin 1996/2003). In seinen »abschließenden Betrachtungen« kommt er zu folgendem Schluss: »Die Kalachakra-Darstellung von Shambhala hat die Vorstellungen zahlreicher ausländischer politischer Persönlichkeiten und okkultistischer Autoren angeheizt. Indem sie die ursprüngliche Legende verdrehten und mit Fantasievorstellungen vermischten, haben sie diesen Mythos in ihre Schriften eingefügt, um ihren eigenen Zwecken zu dienen. Es ist eine Ungerechtigkeit dem Buddhismus gegenüber, ihm diese Verdrehungen der ursprünglichen Absicht der Kalachakra-Lehren zuzusprechen. Weiterführende Forschung wird mehr von der Wahrheit herausarbeiten« (Berzin 1996/2003). 75 Diese Überlegung erfolgt im Anschluss an die Ausführungen von Hans Robert Jauss zur Rezeptionsästhetik (vgl. Jauss 1967: 29ff).

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unter seiner Herrschaft erfahre der Buddhismus eine große Verbreitung (vgl. Huc 2005: 257). Die Parallelen zwischen den zentralen Motiven der Prophetien in Shambhala-Texten und in Hucs Reisebericht scheinen nahezu offenkundig und haben Bernbaum veranlasst, in Hucs Bericht eine weitere Version des Mythos von Shambhala zu sehen (vgl. Bernbaum 1980: 19). Hucs Souvenirs d’un voyage avancierte im 19. Jh. zu einem der meistgelesenen Reiseberichte über Tibet und hatte somit großen Einfluss auf die frühe TibetRezeption in der westlichen Welt. Von Bedeutung – zumindest für einen ausgesuchten Kreis an Orientalisten – war auch Albert Grünwedels deutsche Übersetzung des Reiseführers des 3. Panchen Lamas nach Shambhala, die 1915 unter dem Titel Der Weg nach Shambhala erschien. Wenn auch angemerkt wurde, dass seine Übersetzungsleistung aus heutiger Sicht aufgrund von zahlreichen Fehlern zu kritisieren ist (vgl. Kollmar-Paulenz 1992/93), so trug sie doch zu einer Kenntnisnahme des mythischen Königreiches im westlichen Kontext bei. Bereits vor Grünwedels Übersetzung veröffentlichte Berthold Laufer Auszüge aus Manlungpas Reiseführer nach Shambhala (vgl. Laufer 1907). Diese Arbeiten bildeten – zunächst beschränkt auf einen Kreis von Orientalisten und interessierten Laien – die erste Ausgangsbasis für die westliche Rezeption des Shambhala-Mythos. Reiseberichte und erste wissenschaftliche Abhandlungen und Textübersetzungen bildeten eine Grundlage für die Rezeption Tibets und des Shambhla-Mythos im Rahmen der Theosophie, die maßgeblich an der Popularisierung beider Themen beteiligt war.

Die Rezeption Shambhalas im Kontext der Theosophie Die moderne Theosophie als historische Erscheinung ist eng verknüpft mit der Person Helena Petrovna Blavatskys (1831 – 1891) und der Gründung der Theosophischen Gesellschaft im Jahre 1875 in New York. Ziel und Anliegen der Theosophischen Gesellschaft waren sowohl die »Vereinigung von Wissenschaft, Religion und Philosophie«76 als auch die Versöhnung aller Religionen auf der Basis einer allen zugrunde liegenden »ewigen Wahrheit«, der esoterischen »Weisheits-Religion« (Blavatsky 1889). Bewahrer der »ewigen Wahrheit« und Vermittler der »Weisheits-Religion« waren die sog. Meister, die Mitglieder einer weisen Bruderschaft, die Blavatsky zu ihrem Sprachrohr erwählt und sie mit der Gründung der Theosophischen Gesellschaft beauftragt haben sollen. Im theosophischen Verständnis sind diese Meister Menschen, die mit besonderen Kräften und Fähigkeiten ausgestattet sind. Nach eigenen Angaben hat Blavatsky 76 So lautet auch der Untertitel zu The Secret Doctrine, einem der Hauptwerke Blavatskys, das im Deutschen unter dem Titel Die Geheimlehre erschien.

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Shambhala in der westlichen Rezeption

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einige Jahre in Tibet verbracht, unter anderem auch zwei Jahre in der Nähe des Klosters Tashilhunpo bei Shigatse. Dort habe sie von den Mahatmas77 der »Bruderschaft des Himalaya« (Blavatsky 1968: 421)78 Einweihungen erhalten, die sie in ihren Schriften aufbereitete. Die Idee eines verborgenen Ortes mit besonderen Eigenschaften fließt bereits in Blavatskys frühes Werk Isis Unveiled (1877) ein und findet auch in verstreuten Schriften und ihrem späteren Hauptwerk The Secret Doctrine (1888) Erwähnung. Shambhala wird hier charakterisiert als eine märchenhafte, fruchtbare Oase von unvergleichlicher Schönheit, die irgendwo in einem geographisch kaum zugänglichen und unerforschten Gebiet verborgen liege. Dort lägen unzählige Schätze und Geheimnisse vergangener großer Zivilisationen, die ihrer großen Aufgabe, der Führung der Menschheit, harren würden (vgl. Blavatsky 1968: 402, 421 f; 1988a: 319; 1998: 589 – 598). Dabei erfolgt an verschiedenen Stellen eine Verknüpfung von Shambhala und Tibet: Zum einen erfährt der Leser, dass die Legende von Shambhala noch unter den Tibetern lebendig sei, zum anderen wird diese Oase im Nordwesten Tibets vermutet und schließlich verweist auch die Erwähnung der »großen Lehrer aus den Schneebergen« auf die Region Tibets. Shambhala wird zudem in dieser Passage zum regelmäßigen Schauplatz des Zusammentreffens der Erben des geheimen Wissens. In dieser Zusammenführung ist bereits die Verschmelzung des Ortes Shambhala mit den Trägern des Wissens zu der Idee von Shambhala als Quelle des Wissens angedeutet, die in der späteren theosophischen Rezeption explizit hervortritt. Innerhalb der Hauptwerke Blavatskys lässt sich eine Verlagerung der »Quelle des geheimen Wissens« von Ägypten nach Indien und von dort nach Tibet beobachten (vgl. Pedersen 1997: 168 f). Tibet wird in diesem Prozess zum zentralen Bezugsort, da es sowohl den Sitz der tibetischen Bruderschaft darstellt, als auch den Ort, an welchem das geheime Wissen aufbewahrt werde, das die Basis für Blavatskys »Geheimlehre« gebildet habe. Tibet und die dort verortete Quelle des Wissens werden konstitutiv für die Theosophie, obwohl es sich laut Pedersen bei dem Tibet und den Tibetern der Theosophie um »vollständig imaginäre Objekte« (Pedersen 1997: 170) handele. Folgt man den Ausführungen von Pedersen und Brauen, so hat Blavatsky Tibet nie betreten und daher keinen Kontakt mit realen Tibetern und deren religiöser Praxis im Tibet der damaligen Zeit gehabt (vgl. Pedersen 1997: 167 f; Brauen 2000: 38). Blavatsky bezog ihr Wissen über Tibet und die religiösen Traditionen aus der Lektüre westlicher, orientalisierender Forschungsliteratur. Ein Streifzug durch ihre umfangreichen 77 Der Begriff maha¯tma¯ bedeutet große Seele und wird im indischen Kontext als Titel für Lehrer und wichtige Persönlichkeiten verwendet. 78 Interessanterweise waren die in Tibet lebenden Mahatmas der Bruderschaft des Himalaja keine Tibeter. Nach Blavatsky war Meister Morya ein Rajput und Meister Koothoomi ein Brahmane aus Kaschmir (vgl. Johnston 1990: 399).

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Veröffentlichungen offenbart zahlreiche Bezüge und Verweise auf damals aktuelle Publikationen zu naturwissenschaftlichen Debatten,79 zu anderen Religionen und Kulturen sowie auf Reiseberichte und Literatur zu okkultem und esoterischem Gedankengut (vgl. Campbell 1980: 33 f; Zander 2007: 98). Obwohl Shambhala in Blavatskys Schriften insgesamt keine zentrale Stellung einnimmt und nur an einzelnen Stellen Erwähnung findet, gibt es doch offensichtliche Parallelen zu der Konstruktion Tibets in den gleichen Quellen: Zum einen werden sowohl Tibet als auch Shambhala als schwer zugängliche Orte dargestellt (vgl. Blavatsky 1968: 421 f; Blavatsky 1988b: xxxii). Zum anderen seien beide Orte Heimat beziehungsweise Ort der Zusammenkunft auserwählter, geistig hochentwickelter Meister, die im Besitz geheimen Wissens seien (vgl. Blavatsky 1968: 421; 1988a: 319). Und so werden schließlich Tibet und Shambhala zu Stätten der Bewahrung des geheimen Wissens, aus deren Quellen ausgewählte westliche Schüler wie Blavatsky schöpfen dürften. Bei Blavatsky haben beide Orte die gleichen Attribute und sind gleichermaßen Utopie: Hier treffen die Legende von Shambhala und ein imaginäres Tibet aufeinander und verschwimmen miteinander, werden nahezu identisch oder gegenseitig austauschbar. Blavatsky und die Theosophie hatten einen großen Wirkungskreis, bedingt durch ihre zahlreichen Kontakte zu verschiedenen internationalen Persönlichkeiten ebenso wie durch ihre umfangreiche Schreib- und Publikationstätigkeit. Sie dürfte eine der ersten Akteure gewesen sein, welche die Idee eines verborgenen Reiches oder Paradieses namens Shambhala einem breiten Publikum zugänglich gemacht hat (vgl. Lopez 1998: 267 Fn. 3). Innerhalb der Theosophie wurde der Shambhala-Mythos auch von weiteren Akteuren aufgegriffen und wesentlich stärker und zum Teil systematischer ausgebaut, als dies in Blavatskys Werken der Fall gewesen war. Der theosophische Einfluss und insbesondere die Popularisierung und Verbreitung asiatischen Gedankengutes waren nicht nur im westlichen Kontext von nachhaltiger Wirkung. Auch die gebildeten asiatischen Eliten waren von den theosophischen und somit westlichen Interpretationen asiatischer Traditionen beeinflusst (vgl. Pedersen 1997; Bergunder 2005b; 2006a). Selbst wenn dieser Umstand auf die tibetischen Eliten weniger zutrifft als auf die Bildungseliten des kolonialen Indiens und Sri Lankas,80 so

79 In den Fußnoten zu The Secret Doctrine findet man sowohl den Namen Charles Darwins als auch die Namen weiterer Vertreter darwinistischer Theorien (z. B. John Fiske, Ernst Haeckel, Thomas Henry Huxley, u. a.). Für die naturwissenschaftlichen Einfügungen in The Secret Doctrine war nicht Blavatsky sondern Ed Fawcett verantwortlich (vgl. Zander 2007: 98). 80 Erwähnt sei hier nur die herausragende Rolle, die sowohl der Bengale Swa¯mi Viveka¯nanda (1863 – 1902) für die Herausbildung des modernen Hinduismus advaita-vedantischer Prägung (vgl. Bergunder 2006b) und Anaga¯rika Dharmapa¯la (1864 – 1933) für den sogenannten

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Shambhala in der westlichen Rezeption

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wurde der Diskurs über asiatische Religionen und Philosophie durch Blavatsky und die Theosophie nachhaltig westlich geprägt. Sie beeinflusste zudem bedeutende Tibet- und Buddhismusforscher wie Alexandra David-Neel, W.Y. Evans-Wentz, Edward Conze und andere (vgl. Pedersen 1997: 169 f). Zu den weiteren theosophisch inspirierten Akteuren, die sich mit Shambhala befassten, gehört der russische Maler und Schriftsteller Nicholas Roerich (1874 – 1947), der ein Anhänger Blavatskys war. In seinem Leben und Werk spielte der Mythos von Shambhala eine wichtige Rolle. Er malte nicht nur zahlreiche Bilder, die Motive des Mythos aufgriffen und verfasste Texte, die Shambhala thematisierten, sondern Roerich machte zudem verschiedene Expeditionen nach Zentralasien, die unter anderem dem Auffinden des legendären Königreiches dienen sollten (vgl. Roerich 1990). Das Shambhala-Motiv wurde zu einer zentralen Idee seines Lebens und Gesamtwerkes. Obwohl als geheimer Ort stilisiert, gewinnt Shambhala in seinem Werk zunehmend an Konturen, nicht zuletzt auch durch die bildlichen Darstellungen Roerichs, inspiriert durch seine ausgedehnten Reisen in Zentralasien. Blavatskys Schriften waren daher sicherlich nicht die alleinige Quelle für Roerichs Shambhala-Rezeption. Vermutlich kam Roerich auch über den burjat-mongolischen Mönch Agvan Dorjiev (1854 – 1938) mit dem Shambhala-Mythos in Kontakt als er 1909 Teil des Baukomitees für einen Ka¯lacakra-Tempel in St. Petersburg war (vgl. Brauen 2000: 49).81 Roerich gehörte zum Baukomitee und soll in diesem Zusammenhang erstmals von Shambhala erfahren haben (vgl. Decter 1989: 140). Shambhala avancierte für Roerich zum Sinnbild einer allen Kulturen zugrunde liegenden und vereinenden Kraft (vgl. Decter 1989: 132; Stasulane 2005: 155). Die verschiedenen Kulturen gingen für ihn alle auf eine gemeinsame Basis zurück und im neuen, kommenden Zeitalter sei es die Aufgabe, eine gemeinsame Kultur aller Menschen zu begründen (vgl. Stasulane 2005: 155). In diesem Kontext greift Roerich den Mythos von Shambhala auf, der für ihn zum Symbol des neu anbrechenden Zeitalters großer Umwälzungen wird. Daher treten sowohl Shambhala als auch die Figur des »Rigden Djapo« als Sujet seines malerischen Schaffens in Erscheinung.82 Sein künstlerischer Erfolg in Nordamerika »Protestantischen Buddhismus« spielten (vgl. Gombrich 1997: 177ff). Beide waren westlich und insbesondere theosophisch geprägt. 81 Dorjiev soll bei einem Besuch des 9. Panchen Lamas die Kopie eines Textes über Shambhala erhalten haben, der auf den 3. Panchen Lama zurückgehen soll (vgl. Meyer/Brysac 1999: 454; Rakow 2012). Der wurde bereits 1919 von der Roten Armee zum Teil zerstört und in den folgenden Jahren zu verschiedenen Zwecken genutzt. Erst 1990 erfolgte die Rückgabe an die Leningrader Buddhistische Vereinigung. Zur Geschichte siehe auch die Website des Tempels: http://www.dazan.spb.ru/ (abgerufen am 04. 11. 2013). 82 So weisen verschiedene Tempera-Gemälde Bezüge zu Shambhala auf. Die Gemälde »Path to Shambhala« und »Command of Rigden Djapo«, beide aus dem Jahr 1933, sind im Nicholas Roerich Museum in New York ausgestellt. Der Titel »Rigden Djapo« steht für Rigden König,

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und die damit verbundene Bekanntheit unterstützten seine Bestrebungen zum Schutz und Erhalt von kulturellen und wissenschaftlichen Errungenschaften in Kriegszeiten und brachten ihm 1929 eine Nominierung für den Friedensnobelpreis ein. Am 15. April 1935 wurde schließlich der »Roerich Pact« zum Schutz des kulturellen Erbes der Welt in Anwesenheit von Präsident Franklin Roosevelt und zwanzig weiteren Vertretern der pan-amerikanischen Nationen im Weißen Haus unterzeichnet. Der Friedenspakt war maßgeblich durch Roerichs Idee von Shambhala beeinflusst (vgl. Bernbaum 1980: 21; Decter 1989: 132). Nicholas Roerich, der tausende Bilder – viele davon mit asiatisch-religiösen Motiven – malte und zahlreiche Bücher schrieb, wurde vor allem im Kreise von künstlerisch sowie alternativ-religiös und spirituell interessierten Akteuren rezipiert. Seine Interpretation von Shambhala hat damit auch Eingang in diese Kreise gefunden und einige Ideen finden sich in der späteren Rezeption im Spektrum der alternativ-religiösen und spirituell orientierten Literatur wieder. Alice A. Bailey (1880 – 1949) ist eine weitere, in der Tradition der Theosophie stehende Protagonistin, in deren Werk die Idee von Shambhala einen zentralen Platz einnahm. Nachdem Bailey den Kampf um mehr Einfluss in der Theosophischen Gesellschaft an Annie Besant verloren hatte, gründete sie den Lucius Trust als ihre eigene theosophisch inspirierte Gesellschaft, der bis heute den Vertrieb ihrer zahlreichen Schriften betreibt. In Baileys Werk ist »Shamballa«83 nicht einfach nur ein vager, geheimer Ort, an dem man großes Wissen und große Schätze vermutet, wie dies noch bei Blavatsky der Fall gewesen war. »Shamballa«, das in ihren zahlreichen Schriften immer wieder Erwähnung findet, wird zu einem konkreten Ort, dessen Protagonisten und Aufgaben in dieser Welt von Bailey genau benannt werden. Shambhala avanciert zum Zentrum der gesamten Welt, von wo aus die Geschicke der Menschheit hin zu einer fortschreitenden spirituellen Evolution von großen weisen Wesen gelenkt werden. In diesem Prozess spielt eine spezielle Kraft, die sog. »Shamballa-Kraft«, eine entscheidende Rolle. Ohne deren Einwirkung wäre das von Bailey beschriebene Ziel, nämlich die Höherentwicklung der Menschheit, nicht erreichbar (vgl. Bailey 2002: 715 f). Bailey stellt gleichsam die Schnittstelle zwischen Theosophie und dem sog. New Age dar. Sie führt viele Linien der Theosophie fort, verknüpft diese mit zeitgeschichtlichen Elementen und bindet diese in ihre »New Age«-Konzeption ein. Bailey war von großem Einfluss für die moderne Esoterik (vgl. Santucci 2005: 160). Sie gilt als eine der zentralen Figuren in der Propagierung eines New Age im Sinne einer »eschatologischen Zukunft, einer kommenden Welt« (vgl. Sutcliffe 2003: 120). Zwar gab es neben Bailey bis in die 1940er Jahre hinein wobei »Djapo« die klangliche Anlehnung an das tibetische Wort rgyal po ist, das König bedeutet. 83 Bailey verwendete in ihren Schriften die Schreibweise »Shamballa«.

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Shambhala in der westlichen Rezeption

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weitere wichtige Einflussgrößen, die eine geschlossene Konzeption einer esoterischen Kosmologie vorlegten, wie z. B. wie Rudolf Steiner (1861 – 1925), Aleister Crowley (1875 – 1947) oder George I. Gurdjieff (1866? – 1949), dennoch war es ein Vorteil Baileys gegenüber diesen zeitgenössischen Akteuren, dass sie durch die Einrichtung des Lucis Trust über ein eigenständiges Publikationsorgan mit großem Wirkungskreis verfügte. Zudem hatte sie ein geschlossenes, verständliches Werk geschaffen, das in ästhetisch ansprechender Form in mitternachtsblauen Buchcovern vorlag, während andere derweil nur privat publizierten, noch nicht in einer englischen Übersetzung erhältlich waren oder noch kein zusammenhängendes Gesamtwerk vorgelegt hatten (vgl. Sutcliffe 2003: 53). Baileys Ideen und Schriften wurden auch im religiös-spirituellen Flügel der Counterculture rezipiert, die einen Kontext für Trungas Wirken in Europa und den USA in den 1970er Jahren bot. Ein Beispiel dafür stellt Andrew Tomas (1906 – 2001) dar, der 1977 ein Buch mit dem Titel Shambhala: Oasis of Light publizierte.84 Darin greift er auf bereits bekannte Topoi der westlichen Shambhala-Rezeption zurück: Eine verborgene Gemeinschaft vollkommener, weiser Wesen aus dem Himalaja wacht über die Menschheit und fördert deren Evolution (vgl. Tomas 1977: 11, 13). Das Buch ist zudem Meister Morya, einem Weisen von Shambhala, gewidmet, auf den sich bereits Blavatsky und Roerich bezogen hatten. Diese weisen Meister bilden eine kosmische Bruderschaft, deren Sitz auf dem Planeten Erde der geheime Ort Shambhala sei (vgl. Tomas 1977: 66, 91, 137). Laut Tomas stehe die Erde und mit ihr die Menschheit vor einem »Krieg der Welten« (Tomas 1977: 148), in dem kosmische, übermenschliche Kräfte aus Shambhala die dunklen und bösen Mächte dieser Erde, die das gesamte Sonnensystem vergiften würden, bekämpfen werden. Zur rechten Zeit werde Shambhala eingreifen und eine Veränderung in der Planetenkonstellation bewirken. Die Folge wäre ein Strahlen, das alles Leben auf dem Planeten Erde transformieren werde (vgl. Tomas 1977: 151). In Tomas Ausführungen kann Shambhala diese negativen Mächte bekämpfen, da es über geheime Technologien verfügen würde (vgl. Tomas 1977: 39 f). Wie schon bei Blavatsky und Bailey ist auch hier das Motiv der Höherentwicklung der Menschheit zentraler Bestandteil der Ausführungen. Alle entscheidenden Fortschritte in der Menschheitsgeschichte sind bei Tomas durch Gesandte Shambhalas bewirkt worden. Die Quelle des Wissens und der Sitz der 84 Tomas war Mitglied der australischen UFO-Bewegung und hatte zuvor über Themen aus diesem Kontext (We Are Not the First, London: Souvenir Press, 1971; Beyond the Time Barrier, London: Little, Brown Book Group, 1974) und über Atlantis (Atlantis: From Legend to Discovery, London: Scientific Book Club, 1972) geschrieben. Er lebte 21 Jahre in China und 20 Jahre in Australien. Außerdem reiste er auch nach Europa, Amerika und unternahm drei Reisen in den Himalaja (vgl. Chalker 2002).

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Meister ist hier, wie schon bei Bailey, der geheime Ort Shambhala. Das Topos der bevorstehenden großen Umwälzung auf dem Planeten Erde tritt hier ebenso in Erscheinung und wie Shambhalas Besitz geheimer Technologien und Kräfte. War es bei Bailey ein auf die Menschheit gerichteter Ausstoß der »ShamballaKraft«, der die Transformation bewirken werde, so ist es bei Tomas ebenfalls die Einwirkung Shambhalas, welche die Geschehnisse im »Krieg der Welten« zum Guten wenden werde.

Abschließende Betrachtungen zur westlichen Rezeption des Shambhala-Motivs Die vorangegangenen kursorischen Darstellungen zeigten, dass sich einzelne Erwähnungen von und Verweise auf Shambhala bereits in den Schriften von Missionaren und Orientalisten finden lassen. Dennoch wird Helena P. Blavatsky häufig als eine der zentralen Figuren in der Rezeptionsgeschichte des Shambhala-Topos angesehen, obwohl Shambhala nur eine relativ untergeordnete Rolle in ihrem Werk spielt. Ihre entscheidende Bedeutung für die Verbreitung der Idee von Shambhala lag vor allem in der breiten Resonanz, die ihr Wirken und ihre Schriften erfuhren. Über weitere theosophisch inspirierte Akteure, wie Nicholas Roerich, Alice A. Bailey und Andrew Tomas, gelangten Ideen und Motive, die mit der verschiedenen Shambhala-Interpretationen der genannten Autoren verknüpft sind, in das Diskursfeld des alternativ-religiösen oder spirituellen Spektrums, das in der Fachliteratur häufig mit den Begriffen Esoterik und New Age beschrieben wird. Shambhala fungiert in den angeführten Beispielen als Chiffre, die von verschiedenen Akteuren mit unterschiedlichen Interpretationen und Schnittmengen dieser Deutungsmuster gefüllt werden kann. Diese Chiffre trägt zum Teil Konnotationen eines mythischen und idealtypischen Ortes: Shambhala wird beschrieben als ein Ort, an dem paradiesische Zustände herrschen; als Hort geheimer Technologien; als Ort, an dem sich weise Meister aufhalten; als Reservoir eines alten, geheimen Wissens, das durch diese Meister gepflegt und bewahrt wird und als Ort, von dem aus die Geschicke der Menschheit gelenkt werden beziehungsweise ihre Weiter- und Höherentwicklung angeregt wird. Sind die Bedeutungszuschreibungen auch verhältnismäßig vage und nicht zwangsläufig miteinander identisch, so scheint Shambhala als Chiffre jedoch mehrheitlich positive Attribute zu transportieren und als Projektionsfläche für zeitgenössische Akteure und deren entsprechende Sehnsüchte zu fungieren. Die Rezeption des Shambhala-Motivs muss zudem im Kontext der westlichen, orientalisierenden Tibet-Rezeption gesehen werden, erfahren beide Motive doch häufig ähnliche Bedeutungszuschreibungen. Vor dem Wirken exiltibetischer buddhistischer Experten im westlichen

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Shambhala in der westlichen Rezeption

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Kontext war die Shambhala-Rezeption von prominenten Vertretern aus dem theosophischen und später aus dem alternativ-religiösen Spektrum bestimmt. Von dort aus gelangten das Motiv Shambhala und die damit verknüpften vielfältigen Assoziationen zu einer breiteren Kenntnisnahme bei Akteuren in diesem Feld. Sichtbar wird diese Entwicklung unter anderem an der Verwendung des Begriffs und den Rekursen auf das Motiv außerhalb schriftlich verfasster Werke. In den 1960er Jahren betrieben Samuel Bercholz and Michael Fagan in Berkeley, Kalifornien, ein Buchgeschäft, das vor allem esoterisch und spirituell orientierte Literatur vertrieb. Kalifornien bildete damals ein Zentrum des alternativ-religiösen, spirituell interessierten Spektrums der amerikanischen Counterculture der 1960/70er Jahre. Das Buchgeschäft trug den Namen »Shambhala Booksellers«. Bercholz und Fagan begannen auch als Verleger tätig zu werden. Das erste Buch, das sie 1969 herausgaben, war Chögyam Trungpas Meditation in Action. Aus dem Buchgeschäft ging in den folgenden Jahren einer der erfolgreichsten Verlage in den USA für religiöse, spirituelle und vor allem buddhistische Literatur hervor : Shambhala Publications.85 Der Verlag publiziert und vertreibt bis heute die Schriften Trungpas. Anzumerken ist hier, dass das Buchgeschäft »Shambhala Booksellers« die Chiffre Shambhala bereits in den 1960er Jahren im Namen trug, bevor Chögyam Trungpa in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre seine Shambhala-Lehren präsentierte. Ein Buchgeschäft mit einer solchen Angebotspalette fungierte in der alternativ-religiösen Szene Berkeleys als Anlaufstelle für Akteure mit entsprechenden Interessen und somit als Multiplikator für Ideen und Publikationen. Ein weiteres Beispiel vom Anfang der 1970er Jahre weist ebenfalls auf eine gewisse Verbreitung und Popularisierung der Chiffre Shambhala in den USA hin. Im Jahr 1973 veröffentlichte der Sänger B. W. Stevensen einen Song mit dem Titel »Shambala«, der auf Platz 66 der amerikanischen Billboard-Charts landete. Geschrieben wurde der Song von dem texanischen Sänger und Songschreiber Daniel Moore.86 Eine Woche später brachte die Band Three Dog Night eine Cover-Version des gleichen Songs heraus, die auf Platz drei der Charts stieg. Three Dog Night waren zu dieser Zeit äußerst populär und bekannt für ihre Cover-Versionen großer, bekannter amerikanischer Künstler. Die Band hatte es im Laufe ihrer Karriere auf 12 goldene Schallplatten gebracht.87 Der Song

85 Zum Programm des Verlages gehören u. a. auch Titel von Ken Wilber und Fritjof Capra. Zur Geschichte des Verlags Shambhala Publications siehe die Angaben auf der Verlags-Website unter : http://www.shambhala.com/about-shambhala (abgerufen am 04. 11. 2013). 86 Siehe die Informationen auf der Seite von DJM Records http://www.djmrec.com/artists.html (abgerufen 04. 11. 2013). 87 Die Informationen stammen von der Webseite der Band Three Dog Night (siehe die URL: http://www.threedognight.com/band.html, abgerufen am 04. 11. 2013).

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»Shambhala« wurde auf ihrem zehnten Album mit dem Titel Cyan, erschienen bei dem Label Dunhill, veröffentlicht. Im Songtext heißt es: Wash away my troubles, wash away my pain/With the rain in Shambala/ Wash away my sorrow, wash away my shame/With the rain in Shambala/ Everyone is helpful, everyone is kind/On the road to Shambhala/ Everyone is lucky, everyone is so kind/On the road to Shambala/ How does your light shine, in the halls of Shambala/ I can tell my sister by the flowers in her eyes/On the road to Shambala/ I can tell my brother by the flowers in his eyes/On the road to Shambala. (Songtext »Shambala«, Daniel Moore 1973)

In den Versen dieses Songs wird offenbar, dass mit der Chiffre Shambhala bestimmte Zuschreibungen verknüpft sind, die sich auch in den bereits erwähnten Rezeptionszusammenhängen finden lassen. Shambhala wird beschrieben als ein Ort, an dem man seine Sorgen sowie seinen Schmerz verliert und an dem Sorglosigkeit und Glück herrschen. Auf dem Weg dorthin wird man begleitet von freundlichen und glücklichen Menschen, welche die gleiche Sehnsucht nach einem besseren Ort teilen, an dem ihr Licht scheinen werde. Woher auch immer Daniel Moore seine Inspiration für diesen Song bezogen haben mag, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Durch den Erfolg der Cover-Version von Three Dog Night erlangte die Chiffre Shambhala und die mit ihr verknüpften Assoziationen eine breitere Bekanntheit im amerikanischen Kontext der 1970er Jahre. Die angeführten Beispiele zeigen, dass von einer gewissen Präsenz des Shambhala-Motivs und des damit assoziierten Spektrums positiver Zuschreibungen – zumindest in alternativ-religiösen Kreisen der amerikanischen Counterculture – ausgegangen werden kann. Ein Großteil der frühen Schüler Trungpas, die später zur Führungsriege der von ihm begründeten Gemeinschaft avancierten, entstammte diesem Segment der amerikanischen Kultur der 1970er Jahre. Trungpas Präsentation der Shambhala-Lehren und des Shambhala-Pfades, die auf die Verwirklichung einer erleuchteten Gesellschaft im Hier und Jetzt zielten, konnte so von den im Feld vorhandenen positiven Assoziationen profitieren, die sich an die Chiffre Shambhala knüpften. Möglicherweise wurde auf diese Weise auch die Akzeptanz der neuen Lehren bei vorhandenen Schülern und potentiellen neuen Interessenten erhöht.

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5.

Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

Born a monk, Died a king – Such thunderstorm does not stop. We will be haunting you, along with the dralas. Jolly good luck! (Chögyam Trungpa 1984)1

Das Leben und Wirken Chögyam Trungpas wird im Folgenden phasenweise chronologisch dargestellt. Als Quellen dienen zum einen autobiographische und biographische Materialien zum Leben und Schaffen Trungpas und zum anderen Veröffentlichungen von ihm selbst.2 Die Schilderung der ersten zwanzig Lebensjahre von Chögyam Trungpa orientiert sich an seiner 1966 erschienen Autobiographie Born in Tibet. Diese hatte Trungpa während seines Aufenthaltes in England in Zusammenarbeit mit der Editorin Esm¦ Cramer Roberts in englischer Sprache verfasst. Darin beschreibt er seine Kindheit, seine Jugend, seine monastische Erziehung und Ausbildung als hochrangiger, wiedergeborener buddhistischer Lehrer sowie seine Flucht aus Tibet im Jahr 1959. Für die Neuauflage 1977 fügte Trungpa den nachträglich verfassten Epilog mit dem Titel »Planting the Dharma in the West« hinzu, in welchem die Jahre 1960 bis 1976 umrissen werden (vgl. Gimian 2003). Die Darstellung der jeweiligen Lebensabschnitte anhand autobiographischer beziehungsweise biographischer Mate1 Gedicht aus Trungpas »spirituellem Testament«, verfasst 1984 und abgedruckt in Mukpo/ Gimian (2006: 394). 2 Dazu zählen die Autobiographie Born in Tibet (Trungpa 2003a), Fabrice Midals umfangreiches biographisches Buch Chögyam Trungpa: His Life and Vision (2004) zum Leben und Wirken Trungpas, der von Midal herausgegebene Sammelband Recalling Chögyam Trungpa (2005b), die Schilderungen seiner Frau in ihrer Autobiographie Dragon Thunder : My Life with Chögyam Trungpa (Mukpo/Gimian 2006) sowie Warrior-King of Shambhala (2008), die Biographie von Jeremy Hayward, einem langjährigen Schüler Trungpas. Die von Trungpa verfassten Werke sind in acht Bänden unter dem Titel The Collected Works of Chögyam Trungpa erschienen und wurden von Carolyn Rose Gimian (2003 – 2004) herausgegeben.

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

rialien wird durch zusätzliches Material zur Kontextualisierung der Ereignisse ergänzt. Insofern folgt die Struktur des biographischen Kapitels diachron dem Verlauf des Lebens Chögyam Trungpas und bezieht synchron die jeweils relevanten historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ein. Es gilt zu bedenken, dass Chögyam Trungpa als Person nicht unmittelbar zugänglich ist, sondern sein Leben, Handeln und Wirken sich nur über größtenteils textförmige Dokumente erschließen lässt. In den biographischen Materialien sieht man ihn durch die Augen seiner Gefährten, Angehörigen, Schüler, Zeitgenossen und Kritiker. Die Beschreibungen, Erinnerungen und Analysen in diesen Publikationen erfolgen jeweils aus spezifischen Perspektiven und verfolgen unterschiedliche Anliegen. Jeremy Haywards Buch Warrior-King of Shambhala: Remembering Chögyam Trungpa (2008) ist nicht nur eine Biographie seines Lehrers Chögyam Trungpa, sondern zugleich die Autobiographie seines eigenen Lebenswegs als Schüler Trungpas. Die Narration des eigenen Lebens dient als Kontext für die Darstellung des Lebens Trungpas und umgekehrt. Ähnlich verhält es sich mit der Biographie seiner Frau Diana Mukpo, Dragon Thunder : My Life with Chögyam Trungpa (2006), die letztlich die Verflechtung beider Lebenswege zum Thema hat. Auch Veröffentlichungen von Trungpa selbst geben nur bedingt sein ›unmittelbares Wort‹ wieder, handelt es sich doch zumeist um Vorträge von ihm, die aufgezeichnet und für die Publikation zum Teil aufbereitet und redigiert wurden. Auch die von mir vorgenommene Darstellung und Kontextualisierung des Lebens und Wirkens Chögyam Trungpas durch zusätzliches religionshistorisches Material bildet in dieser Hinsicht nicht einfach Wirklichkeit ab, sondern ist eine Konstruktion, die einer spezifischen Perspektive geschuldet ist, nämlich meiner Perspektive als Religionswissenschaftlerin auf den Gegenstand meiner Untersuchung:3 Dieser Gedanke, dass die Beschreibung einer Lebensform bedeutet, sie in einem gewissen Licht, nett abgestimmt, darzulegen, sieht einigermaßen harmlos, ja banal aus. Doch er hat einige schwierige Implikationen, von denen vielleicht die schwierigste die ist, dass das Licht, so wie es ist, und die Abstimmung ebenfalls, der Beschreibung entstammt, nicht dem, was die Beschreibung beschreibt […] Die Dinge sind ohne Zweifel das, was sie sind: was könnten sie anders sein? Doch das, womit wir handeln, sind Darstellungen – die unserer Informanten, unserer Kollegen, unserer Vorgänger, unsere eigenen –, und das sind Konstrukte. Geschichten über Geschichten, Ansichten über Ansichten. (Geertz 1997: 75)

3 Die Problematik der Konstruktion von Geschichte ist in der Geschichtswissenschaft ausführlich thematisiert worden und lässt sich auch auf Religionsgeschichtsschreibung übertragen (vgl. Droysen 1958; White 1991; Rüsen 1997).

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Exkurs: Namtar – Das tibetische Genre der Hagiographie4 In der tibetischen Literatur gibt es eine lange Tradition der Hagiographie, die sowohl Biographien als auch Autobiographien religiöser Gelehrter (sowie einiger Laien) umfasst und Namtar (rnam thar)5 genannt wird (vgl. Gyatso 1992; Templeman 2002). Tibetische hagiographische Erzählungen orientieren sich in ihrer Gestaltung am Leben des Buddhas, der Maha¯siddhas oder sind nach dem Vorbild der Biographien großer tibetischer Gelehrter modelliert (vgl. Templeman 2002: 141). Sie schildern die Stationen des Lebens, die absolvierten Studien, die durchgeführten Rituale, Belehrungen und Reisen sowie die religiösen Errungenschaften der Protagonisten und dienen so als didaktische Beispielerzählung für die Schüler eines buddhistischen Lehrers. Die Abgrenzung einer Biographie von einer Autobiographie ist im tibetischen Genre der Namtar nicht immer eindeutig gegeben. Große Teile einer Autobiographie können die Hagiographien der Gelehrten und Meister einer Lehrtradition enthalten, in deren Linie sich der autobiographische Verfasser verortet (vgl. Templeman 2002). Namtar weisen damit eine gewisse Nähe zu Ursprungserzählungen und Genealogien auf, die sich in der tibetischen Literatur für fast alles – vom Ursprung eines Brauches über die Genealogie von Klanen/ Familien und Königsgeschlechtern bis zur ungebrochenen Linie von indischen Gelehrten zum gegenwärtigen Linienhalter einer tibetischen Lehrtradition – finden lassen (vgl. Gyatso 1998). Eine detaillierte Darstellung der Geschichte der eigenen Linie und der virtuosen Errungenschaften ihrer Meister kann verschiedene Funktionen erfüllen. Zum einen wird der religiöse Status des autobiographischen Erzählers als rechtmäßiger und würdiger Linienhalter bestätigt. Zum anderen können durch hagiographische Beschreibungen dieser Art die besonderen religiösen Errungenschaften der eigenen Linie gegenüber anderen konkurrierenden Linien hervorgehoben werden (vgl. Gyatso 1998). Ein Unterschied zwischen biographischen und autobiographischen Erzählungen lässt sich in der Haltung gegenüber dem Gegenstand der Erzählung erkennen: Während aus den Biographien eine deutliche Verehrung für den Portraitierten spricht, sind autobiographische Erzählungen zumeist durch eine 4 Die folgenden generellen Anmerkungen zum tibetischen Genre religiöser Autobiographien und Biographien, genannt Namtar (rnam thar), dienen einem besseren Verständnis der Schilderung der frühen Lebensjahre Trungpas. 5 Beide Genres werden mit dem euphemistischen Ausdruck rnam thar bezeichnet, der sich mit »[Geschichte der] Befreiung« wiedergeben lässt (vgl. Gyatso 1992: 469). Vermutungen über die Entwicklung des Begriffs namtar (im Sinne von Befreiung) zur Bezeichnung des literarischen Genres religiöser Biographien stellt Roberts (2007: 4ff) an. Für Autobiographien findet sich zusätzlich der Ausdruck Rangnam (rang rnam oder auch rang gi rnam thar, dt.: eigene [Geschichte der] Befreiung) (vgl. Gyatso 1992: 469; Gyatso 1998: 106ff).

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ebenso deutliche Zurückhaltung und Bescheidenheit der eigenen Person gegenüber gekennzeichnet (vgl. Gyatso 1998: 105). In den Namtar wird bestimmten Erscheinungen bei der Empfängnis, der Geburt, dem Auffinden und der Inthronisierung des Tülku, dem Tod und der Kremation eines hohen tibetischen Lehrers große Bedeutung beigemessen. Dazu zählen spezifische Träume der Mutter oder das Auftauchen von Regenbögen und andere meteorologischen Erscheinungen vor und bei der Geburt, die als verheißungsvolle Zeichen gedeutet werden. Das Auftreten ähnlicher Phänomene beim Tod und der späteren Verbrennung gilt als Ausdruck und Bestätigung der religiösen Verwirklichung des Verstorbenen (vgl. Garratt 2002). Unter den zahlreichen tibetischen religiösen Autobiographien finden sich viele Lebensgeschichten von Tertöns (Schatzentdecker). In diesen spielen Berichte über Träume und Visionen des Schatzentdeckers häufig eine bedeutsame Rolle. Es sind u. a. diese Elemente einer autobiographischen Erzählung, welche den neu entdeckten Terma-Texten Legitimation und Autorität verleihen (vgl. Gyatso 1992: 470; 1993; 1998). Das Genre der Namtar folgt also einerseits bestimmten stilistischen und inhaltlichen Konventionen und andererseits erfüllt es spezifische Funktionen, wie die beispielhafte Darstellung eines vorbildlichen religiösen Weges und die Legitimierung oder Bestätigung eines religiösen Status. Die Autobiographie Trungpas entspricht in vielerlei Hinsicht den geschilderten Merkmalen klassischer tibetischer (Auto-)Biographien. Auch die Mitwirkung eines Editors ist nicht ungewöhnlich, zumal tibetische Autobiographien häufig auf nachdrücklichen Wunsch von Schülern angefertigt und diesen zur Niederschrift diktiert wurden. Die Niederschrift implizierte zum Teil auch editorische Eingriffe durch die Schüler (vgl. Gyatso 1992). Die Zusammenarbeit mit einer englischen Editorin dürfte jedoch großen Einfluss auf die stilistische und formale Gestaltung des Textes der Autobiographie Trungpas gehabt haben, die von einem englischen Verlag publiziert und daher dezidiert für ein westliches Publikum aufbereitet wurde. Insofern weichen der Textaufbau und die narrative Struktur der Autobiographie von tibetischen Namtar ab. Deutlich wird dieser Unterschied im Vergleich zu anderen Autobiographien bekannter tibetischer Gelehrter.6 Häufig finden sich in den Namtar detaillierte Aufzählungen von Lehrern, mit denen der Autor studierte, und den zahlreichen Texten und Übertragungen, die der Autor von diesen erhalten hatte. Für einen Leser, der mit dem tibetisch-buddhistischen Feld nicht vertraut ist, können diese Auflistungen unverständlich und ermüdend sein. Die Aufgabe eines Editors ist es demnach, den Text so zu gestalten, dass er auch für einen westlichen Leser ansprechend und gut verständlich ist. Die Übersetzerin und Editorin der Autobiographie von Dilgo Khyentse beispielsweise berichtet, dass sie den tibetischen Originaltext bei 6 Siehe als Beispiel die Autobiographien von Jigme Lingpa (vgl. Gyatso 1998).

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Der 11. Trungpa Tülku: Die frühen Jahre in Tibet (1939/40 – 1960)

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der Übersetzung aus diesen Gründen mit Erzählungen Dilgo Khyentses aus anderen Quellen aufgelockert und bereichert habe (vgl. Palmo 2008). Auch bei der Autobiographie von Chögyam Trungpa ist davon auszugehen, dass diese ein Produkt der Zusammenarbeit zwischen einer englischen Editorin und einem tibetischen Tülku darstellt und somit gleichermaßen einige Merkmale tibetischer Namtar als auch deutliche Konzessionen an einen westlichen Leserkreis aufweist. Viele Elemente der Autobiographie Trungpas werden in den anderen biographischen Schriften über seine Person repetiert. Die folgende Darstellung der frühen Lebensjahre Chögyam Trungpas basiert auf seiner Autobiographie. Die Passagen über die Darstellung der Entstehung der Surmang-Linie und die Biographien des Begründers Trung Mase und des vorletzten 10. Trungpa Tülkus werden dabei ausgelassen.

5.1

Der 11. Trungpa Tülku: Die frühen Jahre in Tibet (1939/40 – 1960)7

Chögyam Trungpa wurde im Februar des Jahres 1939/408 im Nordosten Tibets, in Geje als Kind von Nomaden geboren. Der Name Chögyam ist eine zusammengezogene Kurzform, die sich aus dem vollständigen Namen Chökyi Gyamtso zusammensetzt. Trungpas Autobiographie zufolge wurden sowohl seine Empfängnis als auch seine Geburt von verheißungsvollen Zeichen begleitet, zu denen ein bedeutsamer Traum seiner Mutter in der Nacht der Empfängnis, das Erblühen von Blumen während des Winters und das Erscheinen eines Regenbogens gezählt werden. Seine ersten Worte sollen das Mantra OM MANI PADME HUM des Bodhisattvas Avalokites´vara gewesen sein. Im Alter von 13 Monaten wurde er als Tülku, d. h. als eine wiedergeborene Verkörperung eines verstorbenen buddhistischen Lehrers, erkannt. Er wurde vom 16. Karmapa, dem Kopf der Karma Kagyü-Schule, als Reinkarnation des 10. Trungpa identifiziert. Als Hinweise zur Identifikation der Wiedergeburt dienten dem Karmapa Visionen, die er im Traum erhalten haben soll. In diesen Visionen, so wird berichtet, sah er den Ort der Wiedergeburt und erfuhr die Namen der Eltern des Kindes. Nachdem Trungpa als dieses Kind identifiziert worden war, wurde er verschiedenen Tests zur Bestätigung seiner Identität als Wiedergeburt unterzogen. Dazu wurden dem Jungen einige gleiche Gegenstände vorgelegt, unter denen er das Ei7 Die Ausführungen beziehen sich sofern nicht anders angegeben auf Trungpa (2003a). 8 Zum genauen Geburtsjahr Trungpas gibt es widersprüchliche Angaben. In der Autobiographie wird das Jahr des Erd-Hasen (1939) genannt (vgl. Trungpa 2003a: 21). Andere Quellen, auch autobiographische, geben das Jahr des Eisernen Drachens (1940) als sein Geburtsjahr an (vgl. Gimian 1988; Mukpo/Gimian 2006: 57).

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

gentum des verstorbenen 10. Trungpa erkennen sollte.9 Außergewöhnliche Verhaltensweisen für ein knapp einjähriges Kind, wie die richtige Platzierung des zeremoniellen Schals (Khatak) und segnende Gesten, wurden zusätzlich als Bekräftigung betrachtet. Mit 13 Monaten verließ Chögyam Trungpa in Begleitung seiner Mutter sein Heimatdorf, um im Dütsi Tel-Kloster des Surmang-Klosterkomplexes, dem Sitz der Trungpas, zu wohnen. Der Klosterkomplex von Surmang umfasste mehrere Klöster, unter anderem die Klöster Namgyal Tse und Dütsi Tel, die vom 1. Trungpa Künga Gyaltsen, einem Schüler Trung Mases, im 15. Jh. begründet wurden.10 Surmang liegt in Nordosttibet in der Region Kham Nangchen nördlich von Chamdo und südlich von Jyekundo und somit unmittelbar in der Grenzregion zwischen dem von der Zentralregierung in Lhasa verwalteten Gebieten und den Teilen von Amdo und Kham, die nominell unter chinesischer Herrschaft standen, de facto aber von tibetisch-stämmigen lokalen Klanfürsten (Pön) regiert wurden (vgl. Shakya 1999: 33).11 Nach eigenen Angaben wurde Trungpa in Surmang Dütsi Tel vom 16. Karmapa in Anwesenheit von über zwölftausend Mönchen und Laien aus ganz Osttibet zeremoniell als 11. Trungpa inthronisiert. Im Rahmen der Inthronisierung erfolgten die Upa¯saka-Ordination (tib. Genyen), das Schneiden der Haare und das Anlegen der Roben. Während dieser Zeremonie sollen sich Naturerscheinungen wie Donner, Regen und ein Regenbogen ereignet haben, die wiederum als gute Zeichen gedeutet wurden. Das Leben als zukünftiger Abt des Surmang-Klosterkomplexes und als hoher Tülku bedeutete fortan den Verzicht auf ein Privatleben, wie es für uns in gegenwärtigen westlichen Gesellschaften selbstverständlich scheint, war Trungpa doch ständig umgeben von Tutoren, Lehrern und Dienern, die jeden seiner Schritte begleiteten. Im Alter von fünf Jahren begann die intensive und langwierige Ausbildung des jungen Trungpas, die in dieser Zeit vor allem aus dem Erlernen des Lesens und Schreibens sowie dem Memorieren von Texten bestand. Mit sieben Jahren 9 Diese Beschreibung des Vorgehens zum Auffinden und zur Identifikation einer Wiedergeburt ist recht typisch und hat in Biographien buddhistischer Lehrer auch legitimatorische Funktionen, wie z. B. der Bestätigung der richtigen Wahl und Echtheit einer Inkarnation (vgl. Garratt 2002: 204ff). 10 Häufig gehören zu einem Haupt- oder Mutter-Kloster mehrere kleinere Filialklöster (dgon lag) (vgl. Goldstein/Tsarong 1985: 17; Wangchuk 2005/2006: 218). 11 Diese Grenzen wurden auf der Simla-Konferenz 1914 festgelegt (vgl. Goldstein 1997: 30 – 34; Shakya 1999: 466 Fn. 1). Die Gebiete Amdo und große Teile von Kham fielen damit nicht unter die administrative Gewalt der tibetischen Zentralregierung in Lhasa. Dennoch zählen Tibeter diese Regionen nach wie vor zu Tibet, da sie ethnisch, kulturell und sprachlich zum Großraum Tibet zu rechnen sind. Tibeter zeichnen sich ihrem Selbstverständnis nach dadurch aus, dass sie Tsampa (Gerstenmehl) essen (vgl. Shakya 1999: 210; Pommaret 2003: 24; Trungpa 2003a: 109).

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Der 11. Trungpa Tülku: Die frühen Jahre in Tibet (1939/40 – 1960)

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wurde er rituell autorisiert, die Schriften des Kanjur zu studieren und im achten Lebensjahr begann er die korrekte Durchführung von Ritualen (Intonierung, Verwendung der Ritualgegenstände wie Trommel, Glocke, etc.) einzuüben. Im gleichen Jahr wurde er während eines Besuches von Jamgön Kongtrül von Pälpung12 als Novize (skr. Sra¯manera, tib. Getschül) ordiniert. In diese Zeit fällt auch das erste dreimonatige Retreat, welches Trungpa in Begleitung seines Tutors und eines Koches absolvierte. Weitere Belehrungen und Initiationen wurden dem Neunjährigen durch Jamgön Kongtrül von Sechen und Dilgo Khyentse zuteil, während diese zeitweilig in Surmang weilten. Dazu gehörte unter anderem die Übertragung13 der Textsammlung Damgag Dzö von dem Rime-Gelehrten Jamgön Kongtrül Lodrö Taye. Diese Schriftensammlung aus dem 19. Jh. beinhaltete Lehren der verschiedenen tibetisch-buddhistischen Schulen. Im Alter von zehn Jahren hielt Trungpa erste kurze Predigten14 für Mönche und Laien. Mit elf Jahren legte er das Bodhisattva-Gelübde ab und begann mit dem Ngöndro15, den so genannten vorbereitenden Übungen. In dieser Zeit, so berichtet Trungpa, habe er visionäre Träume von Flugzeugen und anderen technischen Errungenschaften des Westens gehabt, ohne jemals zuvor ein Bild von etwas derartigem gesehen zu haben. In der Autobiographie findet auch die beginnende Präsenz chinesischer Regierungsbeamter und chinesischer Truppenbewegungen in Osttibet ab 1950 Erwähnung. Im Oktober 1950 hatten chinesische Truppen der Volksbefreiungsarmee den Drichu-Fluß (Yangtse) überquert (vgl. Goldstein 1989: 690ff), der die Grenzlinie zwischen den Gebieten unter der Verwaltung der Zentralregierung in Lhasa und den ethnisch-tibetischen Gebieten Amdo und Kham (heute Sichuan) unter der Regierung Chinas markierte. Chamdo und Umgebung wurde von den chinesischen Besatzern erobert und zur »befreiten Zone« erklärt, die damit nicht mehr unter dem Einfluss der tibetischen Zentralregierung Lhasas stand (vgl. Shakya 1999: 128). Mit zwölf Jahren begab sich Trungpa auf eine erste kürzere Rundreise durch die Surmang-Region, während der er kurze Predigten, Rituale und Segnungen 12 Von dem große Rim¦-Meister Jamgön Kongtrül Lodrö Taye (1813 – 1899) gab es mehrere zeitgleiche Wiederverkörperungen. Zwei davon waren für den jungen Trungpa von Bedeutung: Jamgön Kongtrül von Pälpung, im Folgenden Pälpung Kongtrül genannt, sowie Jamgön Kongtrül von Sechen, im Folgenden Sechen Kongtrül genannt, der Trungpas Wurzellehrer wurde (vgl. Smith 2001: 235ff; Kaptstein 2006: 166). 13 Übertragung meint in diesem Zusammenhang die Vermittlung der in der Textsammlung enthaltenen Lehren und Praktiken vom Lehrer an den Schüler. 14 Im englischen Text wird der Ausdruck sermon ohne weitere Spezifizierung verwendet (vgl. Trungpa 2003a: 52). 15 Ngöndro (tib. sngon ’gro, wörtlich übersetzt: vor gehen) ist innerhalb des tantrischen Buddhismus ein Komplex von Übungen, die den höheren Unterweisungen vorangehen und die eine bestimmte Anzahl (z. B. 100.000) von Rezitationen, Niederwerfungen, Visualisierungen, Meditationen, Opferungen u. a. umfassen.

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durchführte. Rundreisen dieser Art dienten vor allem dem Generieren von Gaben an und Einkommen für das Kloster. Anschließend begab er sich in das Sechen-Kloster, eines der Hauptklöster der Nyingmapa (vgl. Wangchuk 2005/ 2006: 217), und lernte dort unter Sechen Kongtrül, der eine der Reinkarnationen von Jamgön Kongtrül Lodrö Taye (1813 – 1899) war. Sechen Kongtrül wurde der Hauptlehrer von Trungpa, den man auch als Wurzellehrer (Tsaw¦ Lama) bezeichnet. Während seines Aufenthaltes nahm Trungpa an der Übertragung und Einweihung in das Rinchen Terdzö durch Jamgön Kongtrül teil. Das Rinchen Terdzö ist eine Sammlung von Terma-Texten, die von dem Rime-Meister Jamgön Kongtrül Lodrö Taye im 19. Jh. zusammengestellt wurde. Am Ende der sechsmonatigen Übertragung erfolgte die Ermächtigungszeremonie, bei der ein anwesender Schüler ausgewählt und ermächtigt wurde, diesen Lehrzyklus zukünftig zu lehren. Die Wahl fiel auf Trungpa, der mit 13 Jahren einer der jüngsten anwesenden Schüler war. Er befand sich in einem besonderen Lehrer-SchülerVerhältnis mit Sechen Kongtrül. Jamgön Kongtrül Lodrö Taye war der Lehrer des 10. Trungpa Tülkus gewesen, der wiederum der Lehrer der beiden Jamgön Kongtrül Tülkus von Pälpung und von Sechen war. Indem nun Sechen Kongtrül der Lehrer des 11. Trungpa Tülkus war, wurde dieses Lehrer-Schüler-Verhältnis fortgesetzt. Die Linie der Trungpas gehörte zur Kagyü-Schule, stand aber zudem in der Rime-Tradition des 19. Jh., wie sie vor allem von Jamgön Kongtrül Lodrö Taye und Jamyang Khyentse Wangpo verkörpert wurden. Chögyam Trungpa wurde daher innerhalb dieser Tradition ausgebildet. Sein Hauptlehrer, Jamgön Kongtrül, stand sowohl in der Linie der Nyingmapa als auch der Kagyüpa und setzte den Rime-Ansatz seines Vorgängers fort. So vereinen sich in der Person Chögyam Trungpas ebenfalls diese zwei Linien des tibetischen Buddhismus und der Einfluss der Rime-Bewegung. Trungpa musste seinen Aufenthalt in Surmang und seine Schulung unter Sechen Kongtrül unterbrechen, um gemeinsam mit anderen hohen Lamas die Bestattungs- und Totenrituale für den inzwischen verstorbenen Pälpung Kongtrül im Kloster Thrangu in der Nähe von Jyekundo durchzuführen. Kurze Zeit später wurde Trungpa in das Kloster Drölma Lhakhang bei Chamdo eingeladen und gebeten, dort die umfangreiche Übertragung des Rinchen Terdzö zu geben. Bei dieser Gelegenheit lernte er den 2. Akong Tülku, den Abt von Drölma Lhakhang kennen. Akong war im gleichen Alter wie Trungpa und zwischen beiden entspann sich eine Freundschaft. Weitere Reisen in andere Klöster folgten, bis Trungpa 1954 wieder nach Surmang zurückkehrte, um in der klösterlichen Tanztradition (Cham) ausgebildet zu werden. Anschließend ging er zurück nach Sechen, um seine Studien unter Sechen Kongtrül abzuschließen. In Sechen nahm er an der Übertragung der Sieben Schätze (Dzö Dün) teil, einem Werk des Nyingma-Gelehrten Longchen Rabjampa aus dem 14. Jh. (vgl. Smith 2001: 241, 330 Fn. 820). Während des Sommers reiste Trungpa zum Sakya-

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Kloster Dzongsar in der Nähe von Derge, um unter dem bekannten Khyentse Chökyi Lodrö (auch genannt Dzongsar Khyentse) zu studieren. Von ihm erhielt Trungpa eine Einweihung in das Ka¯lacakra-Tantra. Die Veränderungen durch die stetige Präsenz der chinesischen Armee in Osttibet waren zwischenzeitlich unübersehbar geworden (vgl. Shakya 1999: 133). Seit 1950 hatten tausende Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee zusammen mit im Straßenbau angestellten Tibetern über 2.000 km Straße gebaut (vgl. Shakya 1999: 121). Trungpa reiste mittlerweile auf diesen neuen Straßen und passierte dabei auch Baustellen für zukünftige Flugplätze.16 Während des Aufenthaltes in Dzongsar sah Trungpa seinen ersten Film. Dabei handelte es sich um einen kommunistischen Propagandafilm, der die neuen Errungenschaften durch die chinesische Volksbefreiungsarmee pries. Zu Propagandazwecken hatten die chinesischen Besatzer speziell ausgebildete Gruppen in die Städte und Dörfer geschickt, um durch die Vorführung von solchen Filmen und die Unterhaltung durch Musik und Tanz die Bevölkerung für sich zu gewinnen (vgl. Shakya 1999: 95ff). Seit 1954 verschlechterte sich die Situation in Osttibet rapide. Die Regionen Amdo und Kham standen nicht unter dem Einfluss der tibetischen Administration in Lhasa und wurden von der chinesischen Regierung als Provinzen der Volksrepublik betrachtet, die nicht von den Reglementierungen des 17-PunkteAbkommens betroffen waren.17 Die sozialistischen Reformen wurden hier ohne Aufschub durchgesetzt,18 was zum Widerstand der lokalen Bevölkerung führte (vgl. Shakya 1999: 136ff). Trungpas Ausführungen ist zu entnehmen, dass die Surmang-Region ebenfalls davon betroffen war (vgl. Trungpa 2003a: 108 f). In Osttibet brachen zunehmend einzelne Kämpfe zwischen Khampas19 und chinesischen Truppen aus, die sich Ende 1955 zu einem Aufstand der Khampas auswuchsen. Als die Krise sich zuspitzte, schwoll der Flüchtlingsstrom aus den osttibetischen Regionen in Richtung Zentraltibet an. Die Flüchtlinge berichteten von Angriffen auf buddhistische Akteure und Institutionen in den osttibeti16 Die erste reguläre Flugverbindung zwischen Tibet und China wurde im April 1956 eingeweiht (vgl. Shakya 1999: 160). 17 Das »17-Punkte-Abkommen zur friedlichen Befreiung Tibets« wurde am 23. Mai 1951 von einer tibetischen Delegation ohne das Wissen und die explizite Zustimmung des amtierenden 14. Dalai Lamas und des Kabinetts (Kashag) in Beijing unterzeichnet (vgl. Goldstein 1989: 763 – 770; 1997: 46). Der Dalai Lama (und der Rest der Welt) erfuhr am 26. Mai 1951 von der Unterzeichnung des Abkommens durch eine Verlautbarung der chinesischen Regierung über das Radio (vgl. Goldstein 1989: 770 f). Am 24. Oktober 1951 wurde das Abkommen schließlich in einem offiziellen Schreiben an Mao Tsetung vom 14. Dalai Lama bestätigt und beendete die bis dahin bestehende de facto Unabhängigkeit Tibets (vgl. Goldstein 1989: 812). 18 Zu den sozialistischen Reformprogrammen gehörten eine umfassende Landreform und Versuche, die Nomaden fest anzusiedeln (vgl. Shakya 1999: 139). 19 Khampa ist die Bezeichnung für die Bewohner der osttibetischen Region Kham.

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schen Gebieten (vgl. Shakya 1999: 126). Das Chatreng Sampheling-Kloster, das tausende Flüchtlinge und Bauern aus Kham aufgenommen hatte, und das Lithang-Kloster, das ein Zentrum des Khampa-Widerstands bildete, wurden von der Volksbefreiungsarmee bombardiert und zerstört (vgl. Shakya 1999: 140 f). Dennoch reiste Trungpa auch in den folgenden Jahren viel umher, um unter anderem den 16. Karmapa, den 14. Dalai Lama20 und Phüntsok Photrang Rinpoche21, das damalige Oberhaupt der Sakya-Linie, zu treffen. Es ist gut möglich, dass sich das Zusammentreffen mit dem 16. Karmapa im Rahmen einer Rundreise in die aufständischen Gebiete in Osttibet ereignete, die der Karmapa sowie andere hohe tibetische Beamte und religiöse Führer im Auftrag der tibetischen Zentralregierung durchführten, um die Widerstandskämpfer zum Aufgeben zu motivieren und so ein Übergreifen des Aufstandes nach Zentraltibet zu verhindern (vgl. Shakya 1999: 161).22 Die Nachrichten aus Osttibet über die Zerstörung von Klöstern und die Ermordung von Mönchen schürten die Angst vor ähnlichen Zuständen in Zentraltibet, wo die buddhistischen Institutionen und das religiöse Alltagsleben durch die Bindung an das 17-PunkteAbkommen relativ unbeeinträchtigt funktionierten.23 Solche politisch motivierten Rundreisen religiöser Führungspersönlichkeiten oder entsprechende Schreiben des Dalai Lamas an lokale Persönlichkeiten in den Reihen der Khampa-Kämpfer zielten im Bewusstsein der Bedrohung der buddhistischen Institutionen und der praktizierten Religion auf einen Erhalt des status quo in Zentraltibet (vgl. Shakya 1999: 161). Auch die Aufforderung des Sakya-Führers Photrang Rinpoche, der den Dalai Lama auf seiner Reise nach China begleitet hatte,24 an die jungen Kagyü-Tülkus Trungpa und Akong, in diesen schwierigen Zeiten zusammenzuhalten, unabhängig davon, welcher Schule des tibetischen Buddhismus man angehöre, lässt sich in diesem Kontext verstehen. 20 Wahrscheinlich ereignete sich das Treffen mit dem Dalai Lama auf dessen Reise durch Kham auf dem Rückweg von Beijing im Jahr 1955. 21 Der Phüntsok Photrang Rinpoche, Dagchen Jigdal Künga Sönam (geb. 1928), war Schüler der Rime-Meister Dzongsar Khyentse Chökyi Lodrö und Dilgo Khyentse. 22 Zentraltibet hatte aufgrund der Bindung an das 17-Punkte-Abkommen bisher eine recht moderate Reformpolitik der chinesischen Besatzer erlebt und man befürchtete, dass sich diese Situation grundlegend ändern würde, wenn der Khampa-Aufstand nach Zentraltibet übergreife (vgl. Shakya 1999: 141, 163). 23 Punkt 7 des Abkommens sicherte das unbeeinträchtigte Fortbestehen des religiösen Alltagslebens zu: »Point 7. The policy of freedom of religious belief laid down in the Common Programme of the Chinese People’s Political Consultative Conference shall be carried out. The religious beliefs, customs, and habits of the Tibetan People shall be respected, and lama monasteries shall be protected. The central authorities will not effect a change in the income of the monasteries« (Goldstein 1989: 766). 24 1954 wurden der Dalai Lama, Vertreter der Zentralregierung Lhasa und bedeutende Vertreter der verschiedenen buddhistischen Schulen nach Beijing eingeladen. Der Aufenthalt in China dauerte bis zum Frühsommer 1955 (vgl. Shakya 1999: 122ff).

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Trungpa kehrte nach Dütsi Tel in Surmang mit dem Vorhaben zurück, ein Studien-Seminar (Shedra) für Mönche aufzubauen. Namgyal Tse, ein weiteres Kloster des Surmang-Klosterkomplexes, besaß ein solches Seminar, das Lehrer verschiedener Schulen und viele Mönche anzog. Zur Leitung des Seminars in Dütsi Tel konnte Trungpa einen Schüler von Sechen Kongtrül, Khenpo Gangshar, gewinnen (siehe Abb. 5).25 Trungpa nahm ebenfalls an den Kursen des Seminars teil, um seine Studien zu vervollkommnen. Zusätzlich ging er seinen umfangreichen Aufgaben als Abt von Surmang nach. Zu diesen Aufgaben gehörte es, den Riten im Kloster vorzustehen, die lokale Bevölkerung zu betreuen, Predigten und Riten für sie abzuhalten, Ratschläge zu erteilen und an Toten- und Inthronisierungszeremonien anderer Lehrer und Tülkus teilzunehmen. Zudem begann Trungpa selbst an seinem Seminar zu lehren. 1957 verschlechterte sich die Situation in Osttibet weiter und der Widerstand der Khampas begann sich systematisch zu organisieren. Bis zum Ende des Jahres erwuchs aus dem Aufstand eine landesweite Rebellion unter der Führung der Khampa (vgl. Shakya 1999: 165 f). In Folge der Kämpfe zwischen Khampas und chinesischer Volksbefreiungsarmee wurde das Kloster Pälpung zerstört, das Kloster Dzongsar besetzt und Mönche gefangen genommen. Nachdem bereits Dzongsar Khyentse das Land verlassen hatte, flüchtete nun auch Sechen Kongtrül Richtung Lhasa. Im Jahr 1958 bezogen chinesische Truppen vorübergehend Station in Dütsi Tel. Die stetige Präsenz der chinesischen Truppen und chinesischer Funktionäre zählte inzwischen zum Alltag in Osttibet. Aufgrund der bedrohlichen Umstände beschloss Khenpo Gangshar das Seminar in Dütsi Tel für alle zu öffnen und Belehrungen nicht nur für Mönche, sondern auch für Laien zu geben. Im gleichen Jahr legte Trungpa seine Prüfungen ab und erhielt die Titel Kyorpön und Khenpo, die ihn selbst in den Rang eines Lehrmeisters erhoben. Danach erhielt er im Alter von 19 Jahren die Vollordination als Mönch (skr. Bhikshu, tib. Gelong).26 Obwohl sich die Umstände verschlechterten und weitere bedeutende Lehrer das Land verließen, reiste Trungpa auch weiterhin zu anderen Klöstern, um Belehrungen und Einweihungen zu geben. Als die chinesischen Besatzer nach einer längeren Abwesenheit Trungpas von Surmang nach ihm zu suchen begannen,27 ging Trungpa nicht zurück, sondern in ein 25 Khenpo Gangshar galt als sog. verrückter Heiliger (Nyönpa). Siehe dazu auch das vierte Kapitel. 26 Bei verschiedenen Ordinationen erhält man jeweils einen Namen (vgl. Smith 2001: 258ff). Anlässlich der Vollordination erhielt Trungpa den Namen Tenzin Trinle Palden Sangpo. 27 In der chinesischen Rhetorik der Volksbefreiung – zumindest in den Regionen Amdo und Kham – galten religiöse Führer als »reaktionäre« und »ausbeuterische« Elemente, von denen es das tibetische Volk zu befreien galt (vgl. Shakya 1999: 142). Diese »reaktionären« religiösen Lehrer wurden daher auch verdächtigt, die Widerstandskämpfer zu unterstützen, wodurch das Vorgehen gegen diese und ihre Institutionen begründet wurde (vgl. Shakya

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

Abb. 5: Khenpo Gangshar (l.) und Chögyam Trungpa (r.), Tibet ca. 1958

entlegenes Versteck in den Bergen in der Nähe von Drölma Lhakhang. Dort verbrachte er nach eigenen Angaben mehrere Monate mit dem Studium von

1999: 140). Ähnliche Verdächtigungen zog Trungpa durch seine lange Abwesenheit von Surmang auf sich.

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Schriften, Meditation und dem Verfassen eines Buches über Meditation.28 Von dort brach Trungpa zusammen mit Akong und weiteren Gefährten im April 1959 auf, um Osttibet zu verlassen. Im März 1959 hatte sich der Volksaufstand in Lhasa und die Flucht des Dalai Lamas nach Indien ereignet. Die Nachricht von der Flucht des Dalai Lamas erreichte Trungpa während seiner eigenen Flucht aus Osttibet, gefolgt von der Nachricht, dass Lhasa von der chinesischen Armee eingenommen wurde und daher als Fluchtziel nicht mehr in Frage kam. Unter der Führung von Trungpa wuchs die Gruppe von Flüchtlingen auf der langen und beschwerlichen Reise auf dreihundert Personen an. Auf dem Weg nach Zentraltibet wurde die Situation durch die anhaltenden Unruhen und Aufstände immer prekärer. Weitere Nachrichten von geflohenen, hohen religiösen Lehrern, wie dem 16. Karmapa, Dilgo Khyentse Rinpoche und der neu entdeckten Inkarnation von Pälpung Kongtrül, veranlassten Trungpa schließlich, sich für eine Flucht nach Indien zu entscheiden. Im Dezember erreichte die Gruppe die Ufer des Tsangpo (Brahmaputra). Bei der Überquerung des Flusses wurde der Tross von Chinesen angegriffen und die Gruppe zerstreute sich. Einige wurden gefangen genommen und andere versuchten, auf anderen Wegen nach Indien zu gelangen. Trungpa und eine kleine Gruppe von Flüchtlingen überquerte Mitte Januar 1960 die Grenze nach Indien.

Zwischenbetrachtung Trungpas Schilderungen seiner Kindheit und Jugend beschreiben die klassische monastische Ausbildung eines inkarnierten Lamas, der als oberster Abt eines umfangreichen regionalen Klosterkomplexes der Karma Kagyü-Linie fungieren sollte und dessen Aufgaben sowohl die Durchführung von Ritualen und Segnungen für die umliegende Bevölkerung, die Ausbildung, Belehrung und Initiation von Mönchen und insbesondere Tülkus sowie die Administration des Klosters umfassen sollten. Zu seinen Lehrern gehörten bedeutende Vertreter der Rime-Bewegung und auch die Klöster von Sechen, Dzongsar und Surmang, in denen er Unterweisungen erhielt, standen in dieser Tradition. Die Erziehung und Ausbildung zielten unverkennbar darauf ab, den jungen Trungpa mit allen notwendigen Ämtern und Funktionen auszustatten und als religiöse Autorität zu etablieren. Mit der offiziellen Anerkennung als Inkarnation des 10. Trungpa Tülku und der öffentlichen Inthronisierung als 11. Trungpa Tülku wurden der 28 Genauere Angaben sind der Autobiographie nicht zu entnehmen. In späteren Aussagen berichtet Trungpa in dieser Zeit auch ein Buch über Shambhala geschrieben zu haben. Beide Bücher mussten während der Flucht nach Indien zurückgelassen werden. In der Autobiographie findet das Buch über Shambhala jedoch keine Erwähnung.

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Status und die Ehrerbietung, die einem hohen religiösen Lehrer in Tibet entgegengebracht werden und die mit dieser Position verbunden sind, auf Chögyam Trungpa transferiert, noch bevor die eigentliche Schulung begonnen hatte. Durch diesen Sozialisationsprozess erwarb Chögyam Trungpa den spezifischen Habitus eines hohen tibetischen religiösen Würdenträgers, der die Orientierungen, Haltungen und Handlungsweisen hervorbringt, die für seine Position angemessen sind. Diese Schulung stattete ihn mit den entsprechenden Dispositionen aus, um im Handlungsfeld eines tibetischen religiösen und rituellen Experten tätig zu werden, sowohl in Tibet als auch später im westlichen Kontext. Erzählungen von Träumen, Visionen und verschiedenen anderen Begebenheiten deuten in den autobiographischen Schilderungen Trungpas bereits die anstehenden Umbrüche in seinem Leben, in dem der tibetischen Bevölkerung und der religiösen Institutionen an. Solchen Träumen, Visionen und Naturerscheinungen wird im tibetischen Kontext große Bedeutung als gute oder schlechte Omen beigemessen (vgl. Gyatso 1992: 470; 1993; 1998; Garratt 2002). Ein Erdbeben am Vorabend der chinesischen Invasion in Chamdo 1950, eine Flutkatastrophe in Gyantse 1954 und andere Vorfälle wurden als Zeichen der Warnung gedeutet, dass die Lehre Buddhas in Tibet der Zerstörung anheimfallen und der Buddhismus sich in einer Phase des Niedergangs befinden würde (vgl. Shakya 1999: 165, 210). Die Zerstörung von Klöstern in Osttibet, die Tötung oder Inhaftierung von Mönchen und religiösen Lehrern sowie die Flucht zahlreicher hoher buddhistischer Gelehrter schienen diese Deutung der Ereignisse zu bestätigen. Die Worte Khyentse Rinpoches an Trungpa während eines Aufenthaltes im Sakya-Kloster Dzongsar im Jahr 1954 lassen sich innerhalb dieses Deutungshorizonts verorten und scheinen als Konsequenz direkt auf die zukünftige Aufgabe Trungpas zu verweisen: You must look after and guide yourself, as in the future there will be no further teachers. A new era has begun in which the pure doctrine of the Lord Buddha lies in the hands of individuals; each one is separately responsible, for I do not think that we can carry on in the way we have done up till now. We can no longer rely on groups and communities. The situation is very serious, many of us are old, perhaps it is young people like you, the new generation, who shall bear the burden. (Trungpa 2003a: 97)

In Tungpas Erinnerungen an diese Situation verleiht Dzongsar Khyentse der Befürchtung Ausdruck, dass die Lehre Buddhas zukünftig nicht mehr durch die großen monastischen Institutionen, die von der Gesellschaft getragen werden, erhalten und bewahrt werden wird. Er vermutet, dass die Verantwortung zukünftig in den Händen einzelner buddhistischer Gelehrter der neuen Generation liegen wird. Ähnliche Worte richtete Jigme Tülku mit der Aufforderung zu fliehen an Trungpa im Jahr 1959, als die Situation in Osttibet immer unruhiger

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Der 11. Trungpa Tülku: Die frühen Jahre in Tibet (1939/40 – 1960)

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wurde und viele bedeutende Lehrer und Tülkus bereits auf der Flucht waren. Trungpa erinnert sich an den Ratschlag Jigmes in seiner Autobiographie: He thought that I should escape […] He said I must understand that a tulku like myself who has received such deep spiritual instruction has a duty to pass it on to others, so that I might have to consider escaping, not to save my own life, but to save the spiritual teaching of which I had become the repository. (Trungpa 2003a: 144)

Die Interpretation, dass Trungpa sich als Gefäß der wertvollen buddhistischen Lehren zu verstehen habe und eine Flucht dem Erhalt der Lehren und nicht der Rettung der eigenen Person diene, schließt an ein bekanntes Narrativ tibetischbuddhistischer Geschichtsschreibung und dem daraus abgeleiteten Selbstverständnis als Bewahrer der »reinen Lehre des Buddha« an (vgl. Bretfeld 2004: 19 f; Kollmar-Paulenz 2006: 25). In diesen exemplarischen Äußerungen wird deutlich, in welcher besonderen Situation sich Trungpa Ende der 1950er Jahre als junger Tülku in Tibet und ausgebildeter Linienhalter bedeutender Lehrtraditionen befand. An vielen Stellen der Autobiographie berichtet Trungpa von dem Tod und der Flucht bedeutender Lehrer, die einst Schüler seines Vorgängers, des 10. Trungpas, gewesen waren und unter denen er selbst gelernt hatte. Er bildete damit das vorläufig abschließende Glied in einer langen Kette von Linienhaltern. Trungpas autobiographische Schilderungen zeigen deutlich seine Wahrnehmung einer Gesellschaft im Umbruch, in der die Stellung der traditionellen religiösen Institutionen (d. h. die Stellung der Klöster, der inkarnierten Tülkus und der Mönche) bedroht war, die eine tragende Säule des tibetischen Selbstverständnisses als buddhistische Gesellschaft ausmachten (vgl. Goldstein 1999: 19). Wie aus den oben angeführten Zitaten hervorgeht, wurde es als seine Verantwortung erachtet, für den Erhalt und den Fortbestand der buddhistischen Lehre durch die Weitergabe des Wissens Sorge zu tragen. Unabhängig davon, ob es sich um Erinnerungen an tatsächliche Ereignisse oder retrospektive Konstruktionen handelt, ist hier von Bedeutung, welche formative Kraft Aussagen dieser Art für das eigene Selbstverständnis eines sozialen Akteurs bilden können. Die monastische Sozialisation ermöglichte eine Deutung der eigenen Person als Linienhalter, das heißt als Verkörperung einer ungebrochenen religiösen Lehr- und Praxistradition, die es weiterzugeben galt. Die an diese Identität geknüpften Aufgaben und Verpflichtungen eröffneten Handlungsoptionen, die sowohl im vertrauten tibetischen religiösen Feld als auch in der Fremde ausführbar waren. Zahlreiche Biographien großer tibetischer Lehrer bieten Beispiele für allein umherwandernde religiöse Spezialisten, die in neue Regionen aufbrechen, Schüler um sich scharen und dort neue religiöse Zentren begründen. Eine dieser Geschichten, die von Trung Mase, dem

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

Begründer des Surmang-Klosters, ist in Trungpas Biographie wiedergegeben. Auch diese boten Deutungsrahmen für die eigenen Erfahrungen sowie Handlungsanregungen für eigene Lebenssituationen.

5.2

Abt ohne Kloster: Chögyam Trungpa im indischen Exil (1960 – 1963)

Nach einer mehrmonatigen Flucht über die Berge des Himalaja-Gebirges gelangte Trungpa Anfang 1960 nach Indien. Indien wird von Trungpa im Kontrast zu dem Tibet, das er kannte, als sehr modern beschrieben (vgl. Trungpa 2003a: 261). Hier hatte er erstmalig Kontakt mit einer nichtbuddhistischen, säkularen Kultur und mit Menschen aus westlichen Ländern (insbesondere Großbritannien). In Neu-Dehli ging er hin und wieder ins Kino und gelegentlich traf er sich abends mit Freunden, um etwas zu trinken, obwohl der Genuss von Alkohol eine Übertretung der monastischen Disziplin bedeutete. Auf einer Veranstaltung des British Women Club hörte er erstmalig Gedichte von T.S. Eliot (vgl. Mukpo/ Gimian 2006: 71 f). Durch die Begegnung mit Westlern, die am tibetischen Buddhismus und am tibetischen Volk interessiert waren, gelangte Trungpa, wie er schreibt, zu der Auffassung, dass es notwendig sei, deren Sprache zu erlernen, um den Dharma in der Welt zu verbreiten (vgl. Trungpa 2003a: 262). Von besonderem Einfluss auf Trungpa waren die Engländer Freda Bedi (geb. Freda Marie Houlston) und John Driver. Freda Bedi war mit einem indischen Aristokraten verheiratet und lebte seit 1934 in Indien. Nachdem sie in Burma Anfang der 1950er Jahre mit dem Buddhismus in Kontakt gekommen war, wurde sie 1953 die Schülerin von Sayadaw U Thittila Aggamahapandita (1896 – 1997), dem damaligen Vizepräsidenten der World Fellowship of Buddhists. Freda Bedi arbeitete im Central Welfare Board der indischen Regierung und war für die Belange der tibetischen Flüchtlinge zuständig. 1960 hatte sie zusammen mit Muriel Lewis die Tibetan Friendship Group (TFG) gegründet, die westliche (vor allem amerikanische) Sponsoren für tibetische Flüchtlinge suchte.29 Später wurde diese Non-Profit-Organisation von Diana Peron als eine Unterorganisation des Theosophical Order of Service geleitet.30 Im Jahr 1963 legte Freda Bedi vor dem 29 Die indische Regierung gab dem Dalai Lama und den tibetischen Flüchtlingen Asyl auf der Basis humanitärer Hilfe, vermied jedoch eine eindeutige politische Stellungnahme und unterband diese auch für den Dalai Lama und seine Regierung im Exil, um nicht in Konflikt mit China zu geraten. Da die indische Wirtschaft zu diesem Zeitpunkt schwach war, waren die Flüchtlinge auf zusätzliche Hilfe von nationalen und internationalen NGOs sowie auf das private Engagement von Einzelnen angewiesen (vgl. Saklani 1984: 223ff; Shakya 1999: 212ff). 30 Diese Informationen stammen aus dem Leserbrief im Yoga Journal einer amerikanischen

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Abt ohne Kloster: Chögyam Trungpa im indischen Exil (1960 – 1963)

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16. Karmapa das Bodhisattva-Gelübde ab und drei Jahre später ließ sie sich von ihm zur buddhistischen Nonne mit dem Namen Karma Khechog Palmo ordinieren. John Driver war ein Schüler Dilgo Khyentse Rinpoches. Von John Driver wurde Trungpa in der englischen Sprache unterrichtet und ermuntert, nach Europa zu gehen. In Indien lernte Trungpa auch den Deutschen Lama Govinda (geboren Ernst Lothar Hoffmann, 1898 – 1985) kennen, der als einer der Pioniere der Propagierung des tibetischen Buddhismus im Westen galt, lange bevor tibetischbuddhistische Akteure wie Trungpa selbst im westlichen Kontext aktiv waren. Govinda gehörte der frühen Generation westlicher buddhistischer Enthusiasten an, die nach Asien gereist waren. In Sri Lanka hatte er sich für den Therava¯daBuddhismus begeistert. Seit seiner Begegnung mit einem tibetischen Lama der Gelugpa auf einer Konferenz indischer Buddhisten in Darjeeling 1931 verlagerte sich sein Interesse auf den tibetischen Buddhismus. In den 1930/40er Jahren hatte Govinda Kontakt zu tibetisch-buddhistischen Lehrern verschiedener Schulen. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass Govinda sich einem systematischen Studium tibetisch-buddhistischer Lehren und Praktiken unterzog; sein Werk Grundlagen tibetischer Mystik (erstmals erschienen 1957) speiste sich vorrangig aus der westlichen Sekundärliteratur und stellte eher den Entwurf seines eigenen Weltbildes als eine fundierte Einführung in die bedeutendsten Lehren und Praktiken der tibetisch-buddhistischen Schulen dar. Dass es sich bei diesem Werk um eine sehr individuelle Interpretation des als tibetischen Buddhismus Bezeichneten handelt, wird besonders deutlich im Rückgriff auf westliche Autoren wie Rainer Maria Rilke und Friedrich Nietzsche, die von Govinda zur Erläuterung buddhistischer Konzepte herangezogen werden (vgl. Zotz 2000: 193 – 201). Anfänglich lebte Trungpa in einem Camp für tibetische Flüchtlinge31 und konnte später durch die Hilfe von Freda Bedi nach Kalimpong (im indischen Bundesstaat Westbengalen) ziehen, wo er in unmittelbarer Nähe des 16. Karmapas und Dilgo Khyentses wohnte. In Kalimpong hatten sich tibetische Flüchtlinge, vor allem Teile der tibetischen Aristokratie und wohlhabende Händler, bereits seit Anfang der 1950er Jahre angesiedelt (vgl. Bitter 1988: 20; Shakya 1999: 111). Im Jahr 1961 richtete Freda Bedi eine Schule für junge tibetische Mönche in Dalhousie (im indischen Bundesstaat Himachal Pradesh) Sponsorin eines tibetischen Tülkus über die Tibetan Friendship Group aus dem Jahr 1986. Weitere Hinweise auf eine Verbindung zu theosophischen Organisationen konnten bisher nicht gefunden werden. Auch ist nicht klar, ob die TFG administrativ von Anfang an mit dem Theosophical Order of Service in Ojai, Kalifornien, in Verbindung stand (vgl. Shultz 1986). 31 Aufgrund der großen Fluchtwelle vom März 1959 bis Anfang 1960 wurden zwei Flüchtlingscamps eingerichtet (Missamari in Assam und Buxa Duar in West-Bengalen), in denen die Flüchtlinge, die über verschiedene Wege nach Indien gelangten, erst einmal gesammelt und mit dem Nötigsten versorget wurden (vgl. Saklani 1984: 224; Subba 1990: 20).

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

ein, die Young Lama’s Home School, und bat Trungpa, dort als Lehrer tätig zu werden. Mit dem Segen des 14. Dalai Lama wurde Trungpa zum Lehrer ernannt und konnte in dieser Position sein Wissen an die jungen tibetischen Mönche weitergeben (vgl. Trungpa 2003a: 261; Mukpo/Gimian 2006: 71). Zum Curriculum der Young Lama’s Home School gehörte auch Unterricht in der englischen Sprache. Während seines Aufenthaltes in Indien hatte Trungpa eine geheime und nach dem monastischen Kodex verbotene Affäre mit der tibetischen Nonne Könchok Paldrön, die er auf der Flucht nach Indien kennen gelernt hatte. 1962 gebar sie ihm einen Sohn. Vor der Geburt, so wird berichtet, habe Trungpa vorausgesehen, dass das Kind die Inkarnation eines buddhistischen Erleuchtungswesens sein würde. Trungpa hatte die werdende Mutter daher gebeten, sich auf eine Pilgerreise zu den heiligen buddhistischen Orten in Indien zu begeben. Als Ösel Rangdröl Mukpo, der erste Sohn Trungpas, geboren wurde, weilte seine Mutter in Bodhgaya, welcher als Ort der Erleuchtung Buddhas gilt (vgl. Shambhala Europe o. J.: 20). Durch Freda Bedi, John Driver und die Tibet Society of the United Kingdom erhielt Trungpa 1963 ein Stipendium als »Spalding Visiting Fellow in Comparative Religion« (Simmer-Brown 2005: 73)32 an der Universität Oxford. Um die Reise nach England anzutreten, benötigte Trungpa die Genehmigung der ExilRegierung des Dalai Lamas. Da die Gefahr bestand, das Stipendium zu verlieren, wenn die sexuelle Indiskretion Trungpas bekannt würde, beschlossen Trungpa und Könchok Paldrön, Stillschweigen über diese Angelegenheit zu bewahren (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 72). Anfang des Jahres 1963 brach Trungpa über den Seeweg nach England auf und wurde auf der Reise von Akong Rinpoche begleitet.

Zwischenbetrachtung Der Aufenthalt in Indien bedeutete für Trungpa Einblicke in eine neue Welt. Zwar war er schon während der letzte Jahre in Tibet durch die Okkupation der Chinesen mit verschiedenen technischen Entwicklungen der Moderne in Berührung gekommen, in Indien jedoch lebte er in einer vergleichsweise modernen Umgebung, einschließlich ihrer Möglichkeiten zur vergnüglichen Freizeitgestaltung. In der Flüchtlingssituation bewegte sich Trungpa nicht mehr in dem 32 In der Literatur finden sich unterschiedliche Schreibweisen für den Titel des Stipendiums: »Spalding« als auch »Spaulding«. Es liegt jedoch durchaus im Bereich des Möglichen, dass Trungpa vom Spalding Trust (gegründet in den 1920er Jahren von H. N. Spalding) finanziert wurde.

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Abt ohne Kloster: Chögyam Trungpa im indischen Exil (1960 – 1963)

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ihm bekannten Kontext der monastischen Institution mit den entsprechenden Pflichten und Verantwortlichkeiten eines Abtes. Er hatte nicht wie früher ständig Berater oder Tutoren um sich, die ihm zwar mit Ehrfurcht begegneten, ihm gleichzeitig jedoch auch vermittelten, was von ihm in seiner Position erwartet wurde. Im Flüchtlingscamp spielte auch seine Position als hochrangiger Tülku aufgrund der schwierigen Umstände und der großen Anzahl von Flüchtlingen eine weniger bedeutende Rolle (vgl. Mukpo/Gimian 2006:70).33 Dadurch entstand ein gewisser Freiraum, der ihm andere Bereiche eröffnete, wie gesellschaftliche Veranstaltungen, Kino- oder Barbesuche. Hier trafen zwei verschiedene Lebensformen aufeinander : das Leben eines Mönches und Abtes eines Klosters, das bestimmten Regeln zu folgen hatte, und der säkular orientierte Lebensstil seiner neuen Umgebung. In Indien begegnete Trungpa erstmalig dem Interesse westlicher Menschen am (tibetischen) Buddhismus. Sowohl Freda Bedi, John Driver als auch Lama Govinda waren bereits vor dem Kontakt mit Trungpa am Buddhismus interessiert und Schüler buddhistischer Lehrer. Ihre jeweiligen individuellen Vorverständnisse spielten in die Begegnung mit Trungpa ein wichtige Rolle: Sie sahen ihn nicht nur als einen einfachen tibetischen Flüchtling, sondern brachten ihm ein eindeutiges Interesse in seiner Funktion als tibetischer Tülku entgegen. Durch diese Begegnungen und Verbindungen wurde Trungpa erstmals mit westlichen Vorstellungen und Annahmen über den tibetischen Buddhismus konfrontiert. Die Vermittlung englischer Sprachkenntnisse spielte in diesen Beziehungen eine zentrale Rolle und ermöglichte Trungpa frühzeitig die Kommunikation mit westlichen buddhistischen Enthusiasten in ihrer eigenen Sprache. Die ihm übertragene Aufgabe, die Lehren und Praktiken des tibetischen Buddhismus zu wahren und weiterzugeben, fand hier – vermittelt durch das Interesse westlicher Akteure an ihm als religiösen Spezialisten – ein neues Betätigungsfeld. Ein weiterer Beweggrund für Trungpa, nach England zu gehen, mag der Umstand gewesen sein, dass die militärische Auseinandersetzung zwischen China und Indien über Fragen der Grenzziehung (MacMahon-Linie) 1962 in einer Niederlage für Indien endete und für die indische Regierung wie auch für viele Flüchtlinge die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr nach Tibet zunichtemachte (vgl. Saklani 1984: 228; Alam 2000: 45 f).

33 Allein zwischen April und Mai 1959 passierten ca. 7.000 tibetische Flüchtlinge die Grenze nach Indien (vgl. Shakya 1999). Nach der Flucht des Dalai Lamas kam es zu einem »Massenexodus« und ca. 80.000 tibetische Flüchtlinge gingen noch 1959 ins Exil nach Indien, Nepal und Bhutan (vgl. Pommaret 2003: 108; Funk 2006: 8). Ein Großteil der Flüchtlinge waren einfache Mönche, hohe religiöse Lehrer, Mitglieder der Aristokratie und osttibetische Flüchtlinge aus Kham (vgl. Kapstein 2006: 288).

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

Vom Mönch zum Ehemann: Chögyam Trungpa in England (1963 – 1970)

Die Ankunft Trungpas und Akongs in England bedeutete eine Besonderheit. Zu dieser Zeit gab es in westlichen Ländern trotz der Flüchtlingssituation kaum Tibeter. Nach der Ankunft in England verbrachte Trungpa einige Zeit in London, bevor er im Oktober 1963 an die Oxford Universität ging. In London knüpfte Trungpa als tibetischer Lama schnell Kontakte zu Vertretern der englischen buddhistischen Gemeinschaft und hielt Vorträge vor der Buddhist Society. Die Buddhist Society war für die Verbreitung des Buddhismus im damaligen Großbritannien von zentraler Bedeutung, wobei eher die philosophische Rezeption im Vordergrund stand und die Ausübung buddhistischer Praktiken kaum eine Rolle spielte. Die Buddhist Society propagierte eine westliche Orientierung in einem weltweiten Buddhismus, in dem verschiedene buddhistische Einflüsse aus dem Therava¯da-Buddhismus Südasiens, dem Zen-Buddhismus und dem tibetischen Buddhismus zum Tragen kamen (vgl. Bluck 2006: 8ff). In England traf Trungpa nicht nur auf die eher konservativ orientierten Vertreter der Buddhist Society, die der älteren Generation westlicher buddhistischer Enthusiasten angehörten und vor allem an philosophischen Fragestellungen interessiert waren. Er traf hier auch auf die junge Generation, die von der Jugendbewegung der 1960er Jahre beeinflusst war, gesellschaftliche Konventionen in Frage stellte und größeres Interesse an alternativen Lebensformen hatte (vgl. Sutcliffe 2003; Bluck 2006: 10). Trungpa, selbst erst Anfang 20, kam mit der jüngeren Generation bald besser zurecht (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 74). Trungpa besuchte die Universität in Oxford als »Spalding Visiting Fellow in Comparative Religion« (Simmer-Brown 2005: 73) von 1963 bis 1967 und belegte Kurse in englischer Geschichte, Philosophie, Religion und Politik. In dieser Zeit hatte Robert Charles Zaehner (1913 – 1974) die Spalding-Professur für Östliche Religionen und Ethik in Oxford inne. Diese Professur wurde von H. N. Spalding in der Hoffnung gestiftet, dass das Studium und der Vergleich der »großen Religionen und ethischen Systeme«, »die großen Religionen der Welt in Verständnis, Harmonie und Freundschaft«34 enger zusammenbringen würde (vgl. Parrinder 1976: 67). Zaehner war der Nachfolger von Sarvepalli Radhakrishnan, der diese Stiftungsprofessur bis 1952 bekleidete. Zaehner etablierte das vergleichende Studium der Religionen (Comparative Religion) als Schwerpunkt seiner Lehrtätigkeit und beschäftigte sich insbesondere mit dem Thema Mystik.35 Entgegen zeitgenössischen Positionen, die in mystischen Erfahrungen das 34 »…the world’s great religions in closer understanding, harmony, and friendship,« zitiert nach Parrinder (1976: 67). 35 Zaehners Professur ist daher manchmal auch als »Spalding Professor of Comparative Reli-

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Vom Mönch zum Ehemann: Chögyam Trungpa in England (1963 – 1970)

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einende Element der verschiedenen Religionen sahen,36 vertrat Zaehner die Ansicht, dass es verschiedene Formen mystischer Erfahrungen gäbe und sprach sich so explizit gegen ein universalistisches Verständnis der Religionen aus. Die höchste Form der Mystik stellte Zaehner zufolge die theistische Mystik dar, die im Christentum und zum Teil auch im Islam und im Hinduismus (vor allem in der Bhagavad Gı¯ta¯) zu finden sei.37 Da Trungpa ein Spalding-Stipendium besaß, liegt es nahe, dass er zu den Studenten am Spalding-Lehrstuhl für Östliche Religionen und Ethik gehörte und bei Zaehner Kurse in vergleichender Religionskunde besuchte. Zu Beginn des Studiums hatte Trungpa Probleme mit seinem Englisch, doch John Driver reiste an, um ihm behilflich zu sein. Zusammen lasen sie Platon und andere abendländische Philosophen. Trungpa besuchte außerdem Abendkurse in Englisch, um die Sprache besser zu beherrschen. Auf diese Weise wurde Trungpa zum einen mit den Wissensbeständen vertraut, die zum westlichen, humanistischen Bildungskapital gehören, und zum anderen lernte er die zeitgenössischen akademischen Positionen im Feld der Orientalistik und Religionswissenschaft kennen. Trungpas Tutor in Oxford war ein Jesuit, mit dem er nicht nur sein Wissen über das Christentum erweiterte, sondern der ihn zusätzlich mit Vertretern des interreligiösen Dialogs in Kontakt brachte (vgl. Simmer-Brown 2005: 73 f). Ein weiteres Gebiet, welches bei Trungpa auf großes Interesse stieß, war die Kunst. So besuchte Trungpa während der Zeit in Oxford häufig die Museen Londons und nahm an Kursen zur Kunst des Blumensteckens (ikebana) bei Stella Cor an der Sogetsu School of Japanese Flower Arrangement teil, die von dem Japaner Teshigahara Sofu (1900 – 1979) begründet wurde. Diese Praxis des Blumensteckens sollte später in Trungpas Vermittlung buddhistischer Lehre und Praxis an westliche Schüler noch eine wichtige Rolle spielen. Bei der von Trungpa besuchten Sogestsu-Schule handelte es sich um einen avantgardistischen Ikebana-Stil (zen’eibana), der sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hatte. Die moderne Form des Blumensteckens bildete sich nach der japanischen gion and Ethics« (King 2007: 318) bezeichnet worden. Sein Arbeitsschwerpunkt bildete Mystik. Seine Publikation Mysticism, Sacred and Profane. An Inquiry into some Varieties of Praeternatural Experience (Oxford, Clarendon Press, 1957) stellt eine Replik auf Aldous Huxleys Rechtfertigung von drogeninduzierten mystischen Erfahrungen in seinem Buch The Doors of Perception (London, Chatto & Windus, 1954) dar. Hindu and Muslim Mysticism (London, Athlone Press, 1960) und der Kommentar in seiner Übersetzung der BhagavadGita (Oxford, Clarendon Press, 1969) befassen sich ebenfalls mit Zaehners Typologie der Mystik. 36 Ein Vertreter dieser Position ist Aldous Huxley, der in der Mystik eine philosophia perennis sah. Siehe dazu Huxleys gleichnamiges Buch The Perennial Philosophy (London, Chatto & Windus, 1944). 37 Zur Kritik an Zaehners Typologie der Mystik, die einen christlich-apologetischen Zug aufweist, und zur historischen Einordnung siehe King (2007).

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

Meiji-Restauration (1868) heraus und wurde bis 1930, vermittelt durch private Instruktoren, ausschließlich in den oberen Gesellschaftsschichten praktiziert. Erst in der Nachkriegsperiode entwickelten sich Stile, die auf eine breitere Klientel aus allen Gesellschaftsschichten zielten. Das Blumenstecken wurde vom 20. Jh. an bis heute fast ausschließlich von Frauen praktiziert. Durch die Ehefrauen von in Japan stationierten Offizieren der Alliierten, die häufig den Grad einer zertifizierten Lehrerin in einer der modernen Ikebana-Schulen erworben hatten, gelangte diese Form des Blumenstecken nach Europa und Amerika und verbreitete sich dort seit den 1960er Jahren mit zunehmendem Erfolg. Der Sogetsu-Stil gehört zu den drei erfolgreichsten Schulen der modernen Blumensteckkunst (vgl. Noma 1999). Trungpa erwarb in dem britischen Zweig der Sogetsu-Schule einen Abschluss als Ausbilder für die Kunst des Blumensteckens (vgl. Midal 2004: 286 f),38 die er später als kontemplative Kunst interpretierte und als Praxis in die Vermittlung seiner Lehren einbezog.39 Offen bleiben muss an dieser Stelle inwiefern die nach Europa und Amerika transplantierte Variante des japanischen Blumensteckens durch die Praxis westlicher Schüler und ihre möglichen orientalisierenden Zuschreibungen und Annahmen über asiatische und insbesondere japanische Ästhetik und buddhistische Kultur transformiert wurde. Trungpas spätere Interpretation des Ikebana als meditative Kunstform scheint keine expliziten Vorläufer im japanischen Kontext vor dem 19. Jh. gehabt zu haben, so dass diese Interpretation möglicherweise durch westliche orientalisierende Diskurse beeinflusst wurde Trungpa suchte weiterhin nach Möglichkeiten, sein buddhistisches Erbe weiterzugeben. Durch Vermittlung von Ananda Bodhi vom English Sangha Vihara wurde ihm Johnstone House, ein buddhistisches Zentrum in Dumfriesshire, Schottland, zur Verfügung gestellt. Trungpa und Akong zogen 1967 in dieses Zentrum und benannten es in Samye Ling Meditation Centre um (vgl. Trungpa 2003a: 262 f). So entstand das erste tibetisch-buddhistische Zentrum in England. Der Name Samye ist in Erinnerung an die Gründung des ersten buddhistischen Klosters Samye in Tibet im 8. Jh. gewählt worden. Der Zusatz »Meditation Centre« verweist auf die praxisorientierte Ausrichtung des Zentrums, welches sich anders als die Buddhist Society nicht vornehmlich auf die philosophisch-intellektuelle Beschäftigung mit buddhistischen Lehren beschränkte, sondern auch buddhistischer Praxis einen entsprechenden Ort ein38 Siehe auch Angaben der »Chronology« der Chronicles of Chögyam Trungpa Rinpoche unter der URL: http://www.chronicleproject.com/chronology.html (abgerufen am 05. 11. 2013). 39 Trungpas spätere Interpretation des Blumensteckens als kontemplative Kunst mag einen Vorläufer in der Verknüpfung von Ikebana und Zen-Gedankengut gehabt haben, die vor allem im 20. Jh. prominent propagiert wurde (vgl. Yamada 2009: 33). Im 20. Jh. wurden verschiedene japanische Kunstformen und Praktiken als vom Zen-Geist durchdrungen reinterpretiert (vgl. Kato 2004; Cross 2009; Prohl 2009; Yamada 2009).

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Vom Mönch zum Ehemann: Chögyam Trungpa in England (1963 – 1970)

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räumte. Wie Robert Bluck ausführt, waren in den 1960er Jahren junge Briten mit einem Interesse an Buddhismus eher auf dem Weg nach Asien oder in einem der entstehenden, englischen buddhistischen Zentren zu finden, die sich um einen Bikkhu oder Lama organisierten, als in der Buddhist Society (vgl. Bluck 2006: 10).40 Das neue Meditationszentrum mit zwei tibetischen Lamas wurde zu einem dieser neuen Ziele junger buddhistisch interessierter Engländer. Bereits bei der Übernahme des Zentrums sollen Differenzen zwischen Trungpa und Akong bestanden haben, was die richtige Lebensführung in der westlichen Umgebung betraf. Während Akong am tibetischen Lebensstil als Mönch und Lama festhielt, fühlte sich Trungpa in dieser Rolle zunehmend unwohl. Er empfand die Wahrnehmung seiner Person als tibetischer Mönch und die Exotisierung, die damit einherging und zusätzlich durch die Mönchsroben verstärkt wurde, als störend für sein Anliegen, die buddhistischen Lehren und Praktiken an westliche Interessierte zu vermitteln.41 Im Jahr 1968 wurde Trungpa von der königlichen Familie Bhutans eingeladen, da er in England als buddhistischer Lehrer für den bhutanesischen Kronprinzen fungiert hatte. In Bhutan unternahm Trungpa ein zehntägiges Retreat in Tagtsang, das rückblickend von großer Bedeutung für seine Zukunft als buddhistischer Lehrer im Westen sein sollte. Tagtsang soll ein Ort gewesen sein, an dem der tantrische Gelehrte Padmasambhava im 8. Jh. die dämonischen Kräfte unterworfen haben soll, um den Buddhismus nach Tibet zu bringen. In diesem Retreat hatte sich Trungpa, wie er schreibt, mit der Frage beschäftigt, wie er den Buddhismus im Westen angemessen verbreiten könne. Er rief Padmasambhava und die Linienhalter der Kagyu-Tradition um Inspiration an und erhielt, wie er berichtet, eine Eingebung, die zur Niederschrift des Sadhana von Mahamudra führte:

40 Martin Baumann beschreibt für den Buddhismus der 1960er Jahre in Deutschland eine ähnliche Entwicklung, die mit einer Interessenverlagerung hin zum sog. Meditations-Buddhismus einhergeht und vor allem im Zen-Boom sichtbar wurde (vgl. Baumann 1995: 78). Vergleichbare Veränderungen, die zunehmend die Praxis betonten, vollzogen sich auch in Nordamerika, insbesondere im Zen-buddhistischen Milieu (vgl. Fields 1986: 225ff; Coleman 2001: 64ff). 41 Ähnliches berichtet David Chadwick über das sehr ehrfurchtsvolle Verhalten amerikanischer Zen-Praktizierender gegenüber japanischen Priestern, insbesondere verglichen mit ihrem Verhalten gegenüber ordinierten Amerikanern: »American students had always treated Japanese priests with the yellow and brown robes of transmission as if they were semi-celestial beings. It irritated Richard [Baker Roshi, Anm. K.R.] when, as soon as Kobun arrived, Suzuki’s students treated him with immense respect and asked him questions about the dharma. Richard would point out that many of Suzuki’s [American, Anm. K.R.] students had been studying longer than Kobun« (Chadwick 1999: 355).

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

Its purpose was to bring together the two great traditions of the Vajrayana42 as well as to exorcise the materialism which seemed to pervade spiritual disciplines in the modern world. The message that I had received from my supplication was that one must try to expose spiritual materialism and all its trappings, otherwise true spirituality could not develop. I began to realize that I would have to take daring steps in my life. (Trungpa 2003a: 264)

Das Sadhana von Mahamudra gilt als das erste Terma (Schatztext), das Trungpa außerhalb von Tibet erhalten hat (vgl. Midal 2004: 18; Hayward 2008: 139). In seiner Autobiographie wird seine Rolle als Tertön (Schatzentdecker) nicht erwähnt; allerdings waren einige seiner Lehrer bekannte zeitgenössische Tertöns und Trungpa soll bereits in Tibet verschiedene Terma entdeckt bzw. als großer Schatzfinder gegolten haben (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 222; Hayward 2008: 139). Das Thema »Überwindung des spirituellen Materialismus«, das im Sadhana von Mahamudra angesprochen wird, sollte später großen Raum in Trungpas Schaffen einnehmen. Unter spirituellem Materialismus verstand er einen materialistisch orientierten Zugang zu spirituellen und religiösen Traditionen und Formen, der lediglich der Selbstversicherung und Selbstbestätigung diente. Für dieses Phänomen, das in den 1960/70er Jahre so häufig zu finden gewesen sei, gebrauchte er u. a. den Begriff »spirituelles Shopping« (Trungpa 2003a: 271). Trungpa zufolge, so sein langjähriger Schüler Sherab Chödzin Kohn, stünde diese »egozentrische Version von Spiritualität« (Kohn 2005: 57) dem eigentlichen Ziel spiritueller Praxis entgegen. Das Sadhana von Mahamudra befasst sich mit dieser Situation, die jedoch nicht auf den westlichen Kontext beschränkt wird, sondern auch auf den Buddhismus in Asien und speziell in Tibet bezogen wird (vgl. Trungpa 2004 h: 303). Der vollständige Titel des Textes, lautete: Sadhana of Mahamudra Which Quells the Mighty Warrings of the Three Lords of Materialism and Brings Realization of the Ocean of Siddhas of the Practice Lineage. Das Sadhana von Mahamudra wird noch heute jeden Neu- und Vollmond von tantrisch-buddhistischen Praktizierenden der von Trungpa begründeten Gemeinschaft rezitiert. Auch am Shambhala Tag (am tibetischen Neujahr) gehört die gemeinsame Rezitation dieses Textes zur regulären Praxis an diesem Tag.43 Das Anliegen der Überwindung des spirituellen Materialismus wurde

42 Hier sollten die Traditionen der Nyingmapa (verkörpert durch Padmasambhava) und der Kagkyüpa (verkörpert durch Karma Pakshi, den zweiten Karmapa) zusammengebracht werden, die hier als die beiden großen Traditionen des Vajrayana bezeichnet werden. 43 Ein Auszug aus dem Sadhana von Mahamudra befindet sich in The Collected Works of Chögyam Trungpa, Vol. V, herausgegeben von Carolyn Rose Gimian, Shambhala Publications: Boston & London: 303 – 309.

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Vom Mönch zum Ehemann: Chögyam Trungpa in England (1963 – 1970)

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später Gegenstand des Buches Cutting Through Spiritual Materialism (1973), das zu einem der erfolgreichsten Bücher Trungpas zählt. Jeremy Hayward, ein langjähriger Schüler Trungpas, berichtet, dass Trungpa während seines Retreats in Tagtsang von zwei englischen Schülern begleitet und zudem von einer australischen Touristin aufgesucht wurde, die von dem tibetischen Lama in der Höhle gehört hatte. Sie verbrachte ebenfalls einige Tage in Tagtsang. In ihrem Gepäck hatte sie das Buch The Sane Society von Erich Fromm, das sie einem der Schüler Trungpas überließ, der es wiederum an Trungpa weiterreichte.44 Trungpa las das Buch und führte, angeregt durch die Lektüre, Diskussionen mit den anderen Anwesenden über die Prinzipien einer neuen Gesellschaft. Hayward sieht in diesen Diskussionen bereits die ideellen Vorläufer, die sich später in Trungpas Entwurf einer erleuchteten Gesellschaft niederschlugen (vgl. Hayward 2008: 9 f). Sowohl auf der Reise nach Bhutan als auch auf dem Rückweg machte Trungpa einen Zwischenstopp in Indien, wo er sich nicht nur mit dem 16. Karmapa und dem 14. Dalai Lama traf, sondern außerdem dem katholischen Trappistenmönch Thomas Merton (1915 – 1968) begegnete, der für sein kontemplatives Leben bekannt geworden war. Bei dieser Begegnung entstand die Idee, gemeinsam ein Buch zur katholischen und buddhistischen Tradition zu schreiben, was jedoch durch den plötzlichen Tod von Merton nicht umgesetzt wurde (vgl. SimmerBrown 2005). In Indien lernte Trungpa auch den Kanadier James George kennen, der damals Botschafter in Indien war. Diese Begegnung ist insofern von Bedeutung, als sie im Nachhinein häufig als Referenz zitiert wird, wenn es um Trungpas Beschäftigung mit dem Thema Shambhala geht (vgl. Gimian 1988: 14; Midal 2004: 219; Hayward 2008: 9). James George, der großes Interesse am Buddhismus hatte, fragte Trungpa nach Shambhala. George berichtet, dass Trungpa einen kleinen Taschenspiegel hervorholte, in diesen hineinblickte und Shambhala in einem Detailreichtum beschrieb als sähe er das Königreich direkt vor sich: Within a circular range of high snow-peaked mountains there was a green valley with a beautiful city where extraordinary people lived, cut off from the outside world by their own volition. In the middle of the city there was a little palace or temple on the top of a hill composed of terraces. Around this hill there was a square walled enclosure, and around this again other enclosures where people lived and where there were temples and gardens, chortens and other sacred monuments. It sounded »out of this world.« But

44 Das Buch The Sane Society (dt. Wege aus einer kranken Gesellschaft) erschien 1955 beim Verlag Rinehart in New York. In dem Buch formuliert Fromm seine Gesellschaftskritik, die sich vor allem auf den Kapitalismus und den Kommunismus bezieht und entwirft als Alternative einen humanistischen Sozialismus.

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

there was Trungpa in our study describing what he saw as if he were looking out of the window.45 (George 1976)

Trungpas Beschreibung von Shambhala, von der James George hier berichtet, ist eine Reminiszenz der klassischen Beschreibungen des verborgenen Königreiches, wie sie auch in den tibetischen Quellen zu finden sind, die im vierten Kapitel besprochen wurden. Trotz dieser Episode Ende der 1960er Jahre sollte das Thema Shambhala vorerst jedoch keinen zentralen Stellenwert in Trungpas Leben und Wirken einnehmen. Zurück in England beschäftigte sich Trungpa weiterhin mit der Frage, wie er den Buddhismus im Westen angemessen lehren und den spirituellen Materialismus überwinden könne. Einige Zeit später verursachte er einen Autounfall, der ihn halbseitig lähmte. Der Autounfall wurde von Trungpa rückblickend als eine entscheidende Wende in seinem Leben beschrieben, insbesondere im Hinblick auf die sich selbst gestellte Aufgabe, den Buddhismus im Westen zu verbreiten: In spite of the pain, my mind was very clear ; there was a strong sense of communication – finally the message had got through – and I felt a sense of relief and even humor. […] When plunging completely and genuinely into the teachings, one is not allowed to bring along one’s deceptions. I realized that I could no longer attempt to preserve any privacy for myself, any special identity or legitimacy. I should not hide behind the robes of a monk, creating an impression of inscrutability, which, for me, turned out to be only an obstacle. With a sense of further involving myself with the sangha, I determined to give up my monastic vows. More than ever I felt myself given over to serving the cause of Buddhism. (Trungpa 2003a: 265)

Trungpa legte kurze Zeit nach dem Unfall seine Mönchsroben ab, die er als Hindernis in der Vermittlung des Buddhismus in einem säkularen, westlichen Kontext empfand. Dieser drastische Schritt wurde weder von seinen englischen Schülern noch von seinem tibetischen Weggefährten Akong verstanden. Es widersprach dem Bild, das seine Schüler in Schottland von ihm als einem tibetisch-buddhistischen, »heiligen Mann« hatten, den sie verehren konnten (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 26). In den Worten des Tibetologen Donald S. Lopez 45 In der publizierten Version von 1979 lautet der Passus wie folgt: »Within a vast circle of high snow-capped mountains lay a green valley and a beautiful city, in the center of which rose a terraced hill with a small palace or temple on top of it. Around this hill was a square, walled enclosure, and around this again were other enclosures containing temples, gardens and sacred monuments. The most singular thing about the inhabitants of the city was that they were of all faiths, races and nations and appeared to come from the four corners of the earth« (George 1979: 14 f).

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Vom Mönch zum Ehemann: Chögyam Trungpa in England (1963 – 1970)

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ausgedrückt, war auch Trungpa ein »Gefangener Shangri-Las«, gefangen in den westlichen Vorstellungen und Zuschreibungen, wie ein tibetischer Mönch zu sein habe: heilig, entrückt, erleuchtet und unberührt von den Trivialitäten des alltäglichen Lebens (vgl. Lopez 1998). Wie Trungpa in dem obigen Zitat herausstellt, war die Entscheidung, die Mönchsgelübde zurückzugeben und das Leben eines religiösen Laien zu führen, jedoch aus der Idee geboren, auf diese Weise den Buddhismus besser in die westliche Welt tragen zu können. Im tibetisch-buddhistischen Kontext bis 1959 bedeutete das Mönchsgelübde für einen normalen Mönch ein lebenslanges Dasein als Mönch im Zölibat, vor allem da ein Übertritt in den Mönchsstand den Verlust aller familiären Erbrechte mit sich brachte (vgl. Goldstein/Tsarong 1985: 16; Goldstein 1999: 15). Anders verhält es sich mit den inkarnierten Tülkus, die nicht zwangsläufig monastisch und zölibatär leben müssen, da das tibetische religiöse Feld auch eine Vielzahl von religiösen Rollen und Positionen für verheiratete Laienpraktizierende bereithält, wie die Ausführungen im vierten Kapitel gezeigt haben. Außerdem wird dem Zölibat in den verschiedenen Schulen des tibetischen Buddhismus ein unterschiedlicher Stellenwert beigemessen (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 63). Selbst wenn ein Tülku seine Mönchsgelübde zurückgibt, bleibt sein Status als inkarnierter Lama davon unberührt. Trungpa hatte unter seinen Lehrern einige, die nicht zölibatär lebten, wie zum Beispiel Dilgo Khyentse (vgl. Khyentse 2008: 96), oder ihre Gelübde zurückgegeben hatten, wie Khenpo Gangshar (Samuel 1993: 307; Ray 2005: 207 f). Das Unverständnis, mit dem seine unmittelbare Umgebung auf die Niederlegung seiner Mönchsroben reagierte, führte Trungpa daher zunehmend in eine persönliche Krise. Die Reaktionen seiner Schüler und tibetischen Gefährten auf seine Entscheidung schienen in seinen Augen die Diagnose des spirituellen Materialismus, der eine genuine spirituelle Einsicht verhindere, zu bestätigen. Die Situation im Samye Ling Meditation Centre verschärfte sich zusätzlich durch verschiedene Verbindungen mit Frauen, die Trungpa in Schottland hatte. Das Ablegen der Roben und intime Beziehungen mit Frauen führten zu dauerhaften Konflikten in der Gemeinschaft. Eine dieser Frauen, eine 16-jährige englische Adlige mit Namen Diana Pybus, heiratete Trungpa am 3. Januar 1970 unmittelbar nachdem in Schottland ein neues Gesetz in Kraft getreten ist, das die Heirat ab 16 Jahren ohne Zustimmung der Eltern erlaubte (vgl. Mukpo/Gimian 2002; 2006: 29ff). Dieses Ereignis führte dazu, dass die Differenzen in der Samye Ling-Gemeinschaft unüberbrückbar wurden und man Trungpa schlicht für verrückt erklärte (vgl. Trungpa 2003a: 265) und seine Lehrtätigkeit unterband. Die Zeit nach der Hochzeit verbrachten Trungpa und seine Frau unter anderem in der Findhorn-Gemeinschaft. Die Findhorn-Gemeinschaft, eine Kommune mit starker gegenkultureller und alternativ-religiöser Ausrichtung, wurde 1962 im Nordosten Schottlands gegründet (vgl. Heelas 1996: 52; Sutcliffe 2003: 55).

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Bis in die 1970er Jahre stelle diese Kommune eines der bedeutendsten »New Age«-Zentren in der westlichen Welt dar (vgl. Sutcliffe 2003: 150). Nach dem Aufenthalt in Findhorn ermöglichten amerikanische Schüler, die Trungpa in Großbritannien kennen gelernt hatten, seine Reise in die USA. Noch im März des gleichen Jahres brachen Trungpa und seine Frau nach Nordamerika auf.

Zwischenbetrachtung Die Zeit in England bedeutete für Trungpa vor allem die Akkomodation an eine westliche Gesellschaft und die Suche nach einem Platz in dieser Umgebung. Die Begegnung mit der westlichen Welt in England beschrieb Trungpa später mit folgenden Worten: Coming to the Western World, I encountered the makers of the clocks, big and small, and the makers of other machines that do wondrous things – such as airplanes and motor cars. It turned out that there was not so much wisdom in the West, but there was lots of knowledge. (Trungpa 2001: 73 f; Mukpo/Gimian 2006: 73)

Diese Zeilen spiegeln den Einfluss eines »sekundären Orientalismus« (Faure 2004: 5) auf das Selbstbild des Tibeters Chögyam Trungpa und seiner religiösen Tradition durch den Kontakt mit westlichen buddhistischen Enthusiasten wider.46 Hier bringt er zum Ausdruck, dass der westlichen Welt trotz ihres umfangreichen technischen Wissens etwas Entscheidendes – nämlich Weisheit – fehlen würde und greift so Elemente des romantisierenden Orientalismus auf, der die zugeschriebene Rationalität und das als einseitig und materiell angesehene Weltbild der westlichen Moderne kritisiert und einen möglichen Ausgleich dieser Defizite in der Aneignung östlicher Weisheit sieht.47 In England bewegte sich Trungpa fast ausschließlich unter westlichen Menschen, mit Ausnahme von Akong Tülku und einigen tibetischen Mönchen im Samye Ling Meditation Centre, und befand sich daher in einer soziokulturell fremden Umgebung. Es ist davon auszugehen, dass er sich in einem gewissen finanziellen Abhängigkeitsverhältnis zu seinen westlichen Unterstützern, För46 Während der »primäre Orientalismus« eine reduktionistische Sicht des Ostens als das Andere bezeichnet, verweist der Begriff »sekundärer Orientalismus« auf eine exotisierende Idealisierung des asiatischen Anderen, die häufig in asiatische Selbstbehauptungsdiskurse einfließt, welche als Reaktion auf westliche orientalisierende Diskurse entstanden (vgl. Faure 2004). 47 Ähnliches war auch bei anderen asiatischen Vertretern zu beobachten, die aktiv an der Verbreitung des Buddhismus im Westen beteiligt waren, wie z. B. dem Japaner D.T. Suzuki und seine Ausführungen zum Zen-Buddhismus (vgl. McMahan 2008: 122ff).

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Vom Mönch zum Ehemann: Chögyam Trungpa in England (1963 – 1970)

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derern und Schülern des Samye Ling Meditation Centre befand und diese daher bestimmte Ansprüche an ihn als buddhistischen Mönch und Lehrer stellten.48 Insbesondere im Kontrast zu Akong, der den Erwartungen der westlichen Schüler an einen tibetischen Lama mehr zu entsprechen schien und der Trungpas Verhalten offen missbilligte, wurde das Benehmen Trungpas als unangepasst und verrückt betrachtet. In diesem kulturell spezifischen Kontext des schottischen Meditationszentrums kollidierten verschiedene Vorstellungen miteinander : Zum einen wurden die Erwartungshaltungen westlicher Schüler an einen tibetischen Lehrer von Trungpa nicht erfüllt; gleichzeitig entsprach Akong jedoch diesem Bild. Zum anderen bestand zwischen Trungpa und Akong Uneinigkeit darüber, wie sich ein tibetischer, monastisch lebender Tülku in dieser soziokulturell neuen Umgebung angemessen zu verhalten habe. Die Dynamik in der Gemeinschaft verlagerte sich zunehmend zugunsten Akongs. Die Förderer und Schüler des Zentrums sahen sich schließlich im Recht, Trungpas Verhalten zu sanktionieren, indem sie seine Möglichkeiten, in der Gemeinschaft zu Lehren und Kontakt mit Schülern zu haben, einschränkten und später gänzlich unterbanden. Trungpas Schritt, seine Roben abzulegen, bedeutete in diesem Zusammenhang einen offenen Widerspruch zu und Bruch mit den an ihn herangetragenen Erwartungen. Das Ablegen der Roben hat somit zumindest innerhalb der Samye LingGemeinschaft zu einem Verlust an symbolischem Kapital für Trungpa als religiösen Experten geführt. Während der Zeit in England wurden jedoch die ersten beiden Bücher von Trungpa (Born in Tibet und Meditation in Action) publiziert, die seine Wahrnehmung als tibetischen religiösen Experten im westlichen Kontext förderten und diesen Verlust an symbolischem Kapital weitestgehend kompensierten. Viele Leser seiner Bücher und Schüler, die das Samye Ling Meditation Centre aufsuchten, kamen aus dem Umfeld der neuen jungen Alternativkultur der 1960er Jahre, hatten ein Interesse an Spiritualität und Buddhismus und könnten durchaus als »spirituelle Wanderer« (vgl. Gebhardt/ Engelbrecht/Bochinger 2005) charakterisiert werden. Aufgrund des Kontakts und regen Austauschs mit diesen Schülern sowie des Aufenthalts in der Findhorn-Gemeinschaft ist davon auszugehen, dass Trungpa durchaus mit Ideen und 48 Eine Begebenheit während meiner Feldforschung soll zur Illustration eines solchen möglichen Abhängigkeitsverhältnisses und daraus resultierender Ansprüche auf und an einen tibetischen Mönch oder Lehrer dienen. Einer meiner Sprachlehrer war ein junger tibetischer Mönch Ende 20, der zusammen mit einem älteren tibetischen Geshe in einem deutschen buddhistischen Zentrum wohnte, das von westlichen buddhistischen Akteuren und Unterstützern betrieben und finanziert wird. Pälden (Name geändert) mochte Sport und spielte regelmäßig mit anderen jungen Menschen in seinem Bezirk Fußball oder ging ins Freibad. Während einer Teepause ermahnte eine der Kursteilnehmerinnen unseren Lehrer, dass er doch vielleicht etwas weniger Sport treiben und sich mehr seinen buddhistischen Studien widmen sollte.

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Konzepten vertraut wurde, die damals in alternativ-religiösen und gegenkulturellen Kreisen populär waren. Zudem lernte Trungpa durch den Aufenthalt in Findhorn eine alternativ-religiöse und spirituelle Gemeinschaft kennen, die sein nonkonformistisches Verhalten tolerierte. Dies zeigte ihm, dass in anderen sozialen Kontexten weiterhin Möglichkeiten bestanden, als religiöser Spezialist zu wirken. In England hatte Trungpa vielfältige Kontakte geknüpft und verschiedenste Menschen kennen gelernt, von denen einige ihm auch in Zukunft neue Möglichkeiten eröffnen sollten. Trungpa durchlief einen Teil des britischen Bildungssystems, als er drei Jahre an der Universität Oxford studierte. In dieser Zeit lernte er die englische Sprache perfekt zu beherrschen, was ihm ermöglichte, die ihn umgebende Welt besser zu verstehen und in der Sprache seiner Schüler zu kommunizieren. Durch den Besuch der britischen Sogetsu School of Japanese Flower Arrangement erlernte Trungpa eine moderne Variante des Blumenstecken im japanischen Stil, welche später – dann bezeichnet als meditative Kunstform – größeren Raum in seinem Schaffen einnehmen sollte. Trungpas Ikebana-Rezeption stellt ein Beispiel für den Einfluss vielfältig verschränkter transkultureller Flüsse auf die Herausbildung seines spezifischen Vermittlungsstils im westlichen Kontext dar. Die Erfahrungen in Samye Ling, die Erwartungshaltung seiner westlichen Schüler ihm als tibetischem Lama gegenüber und die Diskrepanzen zwischen ihm und Akong Tülku über die richtige Lebensweise in der westlichen Umgebung bestärkten Trungpa in seinen Überlegungen, einen anderen Weg als den bisherigen finden zu müssen, um den Buddhismus im Westen zu lehren.

5.4

»The Rimp« – Chögyam Trungpa und die amerikanische Counterculture: Die ersten Jahre in Nordamerika (1970 – 1974)

Einige Schüler Trungpas, die ihn in Samye Ling kennen gelernt hatten, erwarben ein Grundstück in Vermont, dem sie den Namen Tail of the Tiger (TOTT) gaben und welches das erste buddhistische Zentrum Trungpas in den USAwurde. Seine Ankunft in Nordamerika lag einige Monate nach der Veröffentlichung seiner ersten zwei Bücher Born in Tibet (1968) und Meditation in Action (1969) in den USA. Er war daher nicht mehr gänzlich unbekannt und wurde zu Vorträgen eingeladen. Bereits im Mai 1970 brach Trungpa zu einer ersten Vortragsreise nach New York und Kalifornien auf, wo er zahlreiche Bekanntschaften machte und neue Schüler um sich sammelte. Bei Chögyam Trungpas Ankunft in den USA hatte die amerikanische Counterculture gerade ihrem Höhepunkt erreicht

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»The Rimp« – Chögyam Trungpa und die amerikanische Counterculture

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und bildete in den ersten Jahren den Hintergrund für sein Wirken als tibetischer religiöser Lehrer. Der Terminus Counterculture wurde 1968 von Theodore Roszak popularisiert und avancierte schnell zum Inbegriff für alle politischen, sozialen oder kulturellen Formen des Dissens der 1960er Jahre, die vom Marihuana- und LSDKonsum, über Demonstrationen, Rock-Konzerte und das Leben in einem Ashram reichen konnten (vgl. Braunstein/Doyle 2002: 5 f).49 Die Gleichsetzung der amerikanischen Counterculture mit den 1960er Jahren ist jedoch nicht unproblematisch, da die historischen Vorbedingungen ausgeblendet werden, wie zum Beispiel die Beat-Generation in den 1950er Jahren und die historischen Nachwirkungen, die bis in die 1970er Jahre hinein wirkten (vgl. Ellwood 1994; 1997).50 Unangemessen ist es zudem, die Counterculture als ein geschlossenes oder einheitliches Phänomen zu betrachten (vgl. Oppenheimer 2003). Vielmehr wird mit diesem Begriff ein äußerst differenziertes Feld umrissen, welches das Civil Rights Movement, das Human Potential Movement, Feminismus, soziale Bewegungen, die für die Rechte Homosexueller, die sexuelle Befreiung oder gegen den Vietnamkrieg kämpften, gleichermaßen umfasst wie die Hippie- und Drogenkultur sowie alternativ-religiöse Orientierungen und Gruppierungen. Die Idee, dass eine Änderung der Gesellschaft nicht durch eine Wandlung der politischen Strukturen oder der sozialen Verhältnisse erreicht werden könne, sondern nur über eine Transformation des Einzelnen als Individuum, wurde insbesondere vom Human Potential Movement vertreten, obwohl sie auch in anderen Bereichen der amerikanischen Counterculture populär war (vgl. Stone 1976; Braunstein/Doyle 2002: 10; Michals 2002). Im Human Potential Movement wurde die Transformation des Selbst als persönliches Wachstum durch eine Ausweitung oder Steigerung des Bewusstseins gedacht. Der Bewusstwerdungsprozess sollte durch verschiedene transformative Techniken der Selbsterfahrung und Körperarbeit erreicht werden. In diesem Zusammenhang spielten spezifische Erfahrungen, die als transpersonal, spirituell oder mystisch verstanden wurden, eine zunehmend wichtige Rolle (vgl. Stone 1976). Aus sozialstruktureller Perspektive war das Interesse an religiösen Alternativen jenseits der christlichen Denominationen vornehmlich in liberalen Kreisen 49 Roszaks Verwendung des Begriffs Counterculture verweist auf J. Milton Yingers Konzept der contraculture, das eine vollständige Oppositionsbewegung bezeichnet, welche mit einem eigenständigen separaten Set an Normen und Werten ausgestattet ist, die in Abgrenzung zur dominanten Kultur entwickelt wurden. Im Unterschied zur Subkultur, die einen relativ neutralen kulturellen Unterbereich innerhalb der Gesamtgesellschaft bezeichnet, strebe eine contraculture danach, die Werte und Normen der Gesellschaft insgesamt zu transformieren (vgl. Yinger 1960). 50 Die Counterculture lässt sich zeitlich etwa ab Mitte der 1950er bis zur Mitte der 1970er Jahre ansetzen, bis sie schließlich zur »culture« wurde (vgl. Oppenheimer 2003: 2ff).

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mit höherer Bildung zu finden (vgl. Oppenheimer 2003: 12 f). Dennoch hatten nur verhältnismäßig wenig Menschen tatsächlich Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt, wie eine Studie in der kalifornischen Bay Area, einer »Hochburg« der neuen alternativ-religiösen Szenerie, zeigt: Von eintausend Befragten im Jahr 1973 wussten nur 1 Prozent »eher viel« über Hare Krishna und 61 Prozent wussten »gar nichts« darüber ; 3 Prozent gaben an »eher viel« über Zen-Buddhismus zu wissen, 27 Prozent »eher wenig« und 70 Prozent wussten »gar nichts« darüber. Darüber hinaus ergab die Studie, dass 8 Prozent bereits Yoga praktiziert hatten, 5,3 Prozent hatten Erfahrungen mit Transzendentaler Meditation gemacht und 2,6 Prozent hatten bereits Zen ausgeübt (vgl. Glock/ Bellah 1976: 270 f). Jeremy Haywards Beschreibung der Studenten Trungpas in den ersten Jahren in den USA als »intelligent hippies, drop-out-intellectuals, avant-garde poets, and ex-druggies« (Hayward 2008: 89) erinnert an Rick Fields Charakterisierung der ersten Zen-Interessierten der 1960er Jahre (vgl. Fields 1986: 247 – 253) und spricht dafür, dass die Schüler Trungpas aus dem gleichen, oben beschriebenen Segment der amerikanischen Bevölkerung stammten. Unter den ersten Schülern Trungpas waren daher einige, die zuvor bereits anderen zeitgenössischen spirituellen Lehrern gefolgt waren. Viele kamen aus Gurdjieff-Gruppen, vom Integral Yoga Institute in Los Angeles, das von Swami Satchidananda begründet wurde, oder hatten erste Erfahrungen im Zazen bei japanischen Roshis in den inzwischen entstandenen amerikanischen Zen-Zentren gemacht (vgl. Schneider 2005: 382; Hayward 2008: 63). Nachfolgend sollen diese verschiedenen Einflüsse, die den Kontext der ersten Wirkungsjahre Trungpas in Nordamerika bilden, kurz skizziert werden.

Erste Begegnungen und alternativ-religiöse Einflüsse der amerikanischen Counterculture Gurdjieff-Gruppen und andere Ansätze, die auf transformativen Techniken basierten, gehörten zum Spektrum der alternativ-religiösen Szene in den 1960/ 70er Jahren. Georges Ivanovitch Gurdjieff (1866? – 1949), ein griechisch-armenischer Autor, Choreograph, Komponist und »holistischer Philosoph« (Moore 2005: 445), gilt als einer der einflussreichsten Esoteriker des 20. Jh. (vgl. Heelas 1996: 44ff; Moore 2005: 450). Obwohl seine Biographie einige Lücken aufweist und Belege für die in seinen autobiographischen Quellen angegebenen zahlreichen Reisen, u. a. nach Ägypten, Persien, ins »Heilige Land« und nach Tibet, zum Teil fehlen, gilt er in seinen Schülerkreisen als jemand, der die esoterischen Schulen des Christentums, des Sufismus und des tibetischen Bud-

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dhismus besucht hatte (vgl. Moore 2005: 445 f; Hayward 2008: 19).51 Gurdjieff schuf einen Komplex aus Lehren und Praktiken, welcher der inneren Entwicklung des Menschen dienen sollte und sowohl eine psychologische als auch eine kosmologische Seite aufwies (vgl. Cescato 2007: 147). Er beschrieb den Menschen als mechanisches Wesen, als einen Gefangenen äußerer Einflüsse und Umstände, der sich eigentlich in einem Zustand des Schlafes befände, selbst wenn er wach sei. Das Ziel sei es daher, diesen Zustand zu erkennen, das heißt aus dem »unvermuteten hypnotischen Schlaf zu Bewusstsein« (Moore 2005: 449) zu erwachen.52 Dieses Ziel könne man durch Selbstbeobachtung und Selbstgewahrsein erreichen. Die von Gurdjieff initiierten Praktiken zur Verwirklichung des angestrebten Ziels umfassten Gruppentreffen, Tänze, Bewegungsabfolgen und kontemplative Techniken. Gurdjieffs Komplex aus Lehren und Praktiken wird auch als »Arbeit« (the work) bezeichnet, da er vom Einzelnen die beständige Arbeit an sich selbst innerhalb des Alltagslebens erfordere, die nicht in religiöser Abgeschiedenheit erfolgen könne (vgl. Moore 2005: 449; Needleman 2005: 450; Cescato 2007: 147). Zur Vermittlung und Weiterentwicklung seiner vielfältigen Ansätze begründete Gurdjieff 1922 das Institute for the Harmonious Development of Man in Frankreich, das bis 1933 bestand. Die von Gurdjieff vermittelten Lehren und Praktiken stellen kein geschlossenes System dar und haben durch seine Schüler unterschiedliche Betonungen, Systematisierungen und Organisationsformen erfahren (vgl. Needleman 2005). Da Gurdjieff Praktiken etablierte, die auf eine Transformation des Selbst zielten, gilt er als einer der ersten und wichtigsten Vorläufer des sog. New Age (vgl. Heelas 1996: 47). Sein Erbe zeigt sich in populären Ansätzen, wie sie unter anderem im Kontext von Encounter Groups,53 Transactional Analysis,54 Erhard Seminar Trainings (est)55 und Synanon Games56

51 Gurdjieff soll insgesamt zehn Jahre in Zentralasien verbracht haben und im Sarmoung Kloster in Tibet initiiert worden sein, wofür sich jedoch in zeitgenössischen Berichten anderer Zentralasien- und Tibetreisender keine Belege finden lassen (vgl. Moore 2005: 446). 52 »[…] awake from your unsuspected hypnotic sleep to consciousness« (Moore 2005: 449). 53 Encounter Groups (Begegnungsgruppen) sind eine Entwicklung innerhalb der humanistischen Psychologie der 1960er Jahre, die von Carl Rogers (1902 – 1987) ab 1964 in Kalifornien etabliert wurden. Dabei wurde insbesondere auf Selbsterfahrung, Selbsterforschung und persönliches Wachstum gesetzt, die in einem Gruppenkontext durch gegenseitige Wertschätzung gefördert werden sollten. 54 Die Transactional Analysis (TA), ein psychotherapeutischer Ansatz, der auf persönliches Wachstum und persönliche Veränderung zielte, wurde in den 1950er Jahren von Eric Berne (1910 – 1970), einem in Kalifornien ansässigen Psychologen entwickelt. Seine bekannteste Publikation dazu war Games Peoples Play : The Psychology of Human Relations (New York: Grove, 1964). 55 Erhard Seminars Training (est), das von Werner Erhard (geb. John Paul Rosenberg, 1935) Anfang 1971 als zweiwöchiges Intensivtrainingsprogramm begründet wurde, zielte auf eine

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Verwendung fanden. Viele dieser Ansätze seien – größtenteils ohne dies zu realisieren – geprägt gewesen von Gurdjieffs Ansichten über menschliche Beziehungen und persönliches Wachstum und die von ihm verwendeten transformativen Praktiken, die an seinem Institute for the Harmonious Development of Man gelehrt und entwickelt wurden (vgl. Roszak 1976: 139). Jeremy Hayward war zuvor – wie auch andere frühe Schüler Trungpas – in die Gurdjieff-Arbeit involviert gewesen (vgl. Hayward 2008: 19 – 23). Da Gurdjieffs Ansatz, so Hayward, seine Wurzeln sowohl in christlichen, sufischen und tibetischen spirituellen Traditionen habe, hätten viele Schüler entsprechende Literatur dieser Traditionen konsultiert und seien auf diesem Wege u. a. zu Trungpas Gemeinschaft gekommen. Hayward selbst hatte über das Buch Meditation in Action zu Trungpa gefunden und viele Parallelen zwischen Gurdjieffs Ansätzen und buddhistischen Lehren und Praktiken, wie sie von Trungpa vermittelt wurden, gesehen. Während einige der frühen Trungpa-Schüler aus der Gurdjieff-Tradition stammten, kamen andere Schüler, die später zur Kerngemeinschaft um Trungpa zählen sollten, vom Integral Yoga Institute in Los Angeles. Die verschiedenen Integral Yoga Institutes in den USA wurden von dem Inder Swami Satchidananda (1914 – 2002) begründet, der Ende der 1960er Jahre in die USA ausgewandert war. Satchidananda war ein Schüler Swami Sivanandas (1887 – 1963), der in der Advaita-Vedantischen-Tradition Swami Vivekanadas (1863 – 1902) stand. Vivekanada war für die Herausbildung des gegenwärtigen Verständnisses von Yoga als einer alten, klassischen indischen Tradition von besonderer Bedeutung.57 Seine Präsentation von Yoga vor einem westlichen Publikum auf dem Weltparlament der Religionen 1893 und seine Re-Präsentation von Yoga wenige Jahre später vor seinen indischen Zeitgenossen markierte den Wendepunkt im Verständnis von Vorstellungen und Praktiken, die als Yoga bezeichnet werden (vgl. Singleton 2008: 77; Strauss 2008: 49). In diesem Reinterpretationsprozess, der sich im Kontext des Kolonialismus im 19. Jh. ereignete, verknüpften sich antikoloniale Emanzipationsdiskurse nationalistischer und neo-hinduistischer Provenienz mit orientalisierenden und romantischen Diskursen westlicher Prägung.58 Sivananda gründete 1936 die Divine Life Society (DLS) in Rishikesh, Transformation des Selbst der Teilnehmer und wird dem Human Potential Movement zugerechnet. 56 Als Synanon Games bezeichnet man Gruppensitzungen, bei denen die Teilnehmer im Kreis sitzen und verpflichtet sind, sich gegenseitig die Wahrheit zu offenbaren. Synanon wurde 1958 von Charles E. Dederich (1913 – 1997) in Kalifornien ursprünglich als Drogenrehabilitationsprogramm begründet und entwickelte sich in den 1960er Jahren jedoch zu einer alternativen Gemeinschaft. 57 Nach Mark Singleton ist die Idee eines »klassischen Yoga« als ein kulturelles Produkt der Moderne zu betrachten (vgl. Singleton 2008: 78). 58 PataÇjalis Yogasutra wurde in diesem Reinterpretationsprozess als »Ur-Text« des Yoga in-

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die nach dem Vorbild der von Vivekananda ins Leben gerufenen Organisationen modelliert war.59 Die Gesellschaft strebte nach der Überwindung des Gegensatzes von Religion und Wissenschaft und propagierte Yoga als geeignetes Mittel zur Erreichung dieses Anliegens. Die Divine Life Society richtete sich dezidiert an die »aufgewühlte, mit Konflikten geplagte und psychologisch traumatisierte Persönlichkeit des modernen Menschen«60 und wollte als Rückzugsort für den gebildeten Weltbürger dienen, der dort sein Sein physisch, mental, moralisch und spirituell erneuern und erholen könne (vgl. Strauss 2008: 51). In den 1950er Jahren schickte Sivananda einige seiner Schüler in den Westen um Yoga zu lehren. Einer dieser Schüler war Satchidananda, der das Integral Yoga Institute und Yogaville in den USA begründete und zahlreiche amerikanische Schüler und Anhänger um sich scharte. 1969 war er einer der Eröffnungsredner auf dem Woodstock-Festival. Die modernen Reinterpretationen des Yoga bei Vivekananda und Sivananda ließen sowohl eine nationalistische Orientierung, die vor allem in neohinduistischen Kreisen rezipiert wurde, als auch eine universalistische Orientierung, die vorrangig unter westlichen Anhängern populär war, erkennen (vgl. Strauss 2008: 71). In Satchidanandas Vermittlung des sog. Integral Yoga in Nordamerika rückt der universalistische Gedanke ins Zentrum. Deutlich wird das in seiner Überzeugung, dass es eine »spirituelle Einheit hinter der Vielfalt« gebe und jedes Individuum als Mitglied »einer universalen Familie« zu begreifen sei.61 In dieser Perspektive wird Yoga zu einem Weg, der kulturelle und religiöse Grenzen transzendiert. Ein nicht unerheblicher Teil der frühen Schüler Trungpas kam aus dem Kontext des Integral Yoga Institutes (vgl. Hayward 2008: 63). Thomas F. Rich und stalliert, welcher das »klassische Yoga« repräsentiere und so zur Legitimation der Authentizität der modernen Yoga-Formen diente (vgl. Singleton 2008: 77). Von zentraler Bedeutung für diesen Prozess war die innovative Übersetzung und der Kommentar Vivekanadas in seinem 1896 erschienenen Werk Ra¯ja Yoga, das quasi als prototypische Vorlage für alle nachfolgenden englischsprachigen Publikationen zu Yoga im 20. Jh. fungierte. Vivekanandas Präsentation von PataÇjali in seinem Ra¯ja Yoga ist vor dem Hintergrund einer bereits bestehenden breiteren Reinterpretation und Aufwertung des Yogasutra in Orientalistenkreisen und neohinduistischen, nationalistischen Kontexten zu sehen (vgl. Singleton 2008: 78). Hier lassen sich eindeutige Parallelen zur Aufwertung und Umdeutung der Bhagavadgita im 19. Jh. innerhalb kolonialer Identitätsdiskurse sowie orientalistischer und theosophischer Diskurse finden (vgl. Bergunder 2006a). 59 Zu diesen Organisationen gehören der Ramakrishna Orden in Indien und die Vedanta Societies in westlichen Ländern (vgl. Jackson 1994). 60 »…troubled, conflict-ridden and psychologically traumatized personality of the modern man« (zitiert nach Strauss 2008: 51). 61 Deutlich wird diese Haltung in dem folgenden Statement Satchidanadas: »The goal of Integral Yoga, and the birthright of every individual, is to realize the spiritual unity behind all the diversities in the entire creation and to live harmoniously as members of one universal family« (vgl. http://www.yogaville.org/integral-yoga/about-integral-yoga/, abgerufen am 12. 11. 2013).

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Ken Green waren enge Schüler Satchidanadas im Integral Yoga Institute gewesen und dort noch unter den Namen Narayana und Krishna bekannt. Im Februar 1971 hatten sie auf Satchidanadas Wunsch Chögyam Trungpa in Boulder aufgesucht und zum World Enlightenment Festival eingeladen (vgl. Midal 2004: 437). Diese Begegnung schien so eindrucksvoll gewesen zu sein, dass beide zu Schülern Trungpas wurden.62 Trungpa ernannte Narayana (Thomas F. Rich) später sogar zu seinem Regenten, d. h. er machte ihn zu seinem Dharma-Erben und Linienhalter, der die Gemeinschaft in seiner Abwesenheit und im Falle seines Todes weiterführen sollte. Zen-Buddhismus bildete die dritte Einflussgröße in den ersten Jahren der Entwicklung der Gemeinschaft um Trungpa. Auf der ersten Vortragsreise 1970 nach Kalifornien begegnete Trungpa dem japanischen Soto-Priester Shunryu Suzuki, dem Begründer des San Fransisco Zen Centers und Tassajara Zen Mountain Centers. Mit ihm verband ihn sofort eine innige Freundschaft (vgl. Schneider 2005; Mukpo/Gimian 2006: 112).63 Trungpa bezeichnete Shunryu Suzuki als seinen »versehentlichen Vater, ein Überraschungsgeschenk von Amerika, dem Land der Verwirrung« (Fields 1986: 269)64, seinen »ersten spirituellen Freund im Westen« (Schneider 2005: 358), welcher ihn an seinen Wurzellehrer in Tibet, Jamgön Kongtrül, erinnere. Suzuki wiederum sagte in Bezug auf Trungpa, er sei »wie ein Sohn« (Chadwick 1999: 374). Trungpa hängte sogar in allen seinen amerikanischen Zentren Bilder von Suzuki auf, die er neben denen seines Wurzellehrers über dem Schrein platzierte (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 113). Trungpa kannte Suzukis einflussreiche Publikation Zen Mind, Beginner’s Mind (1970) und Suzuki wiederum war vertraut mit Trungpas Buch Meditation in Action (vgl. Chadwick 1999: 373). Beide tauschten sich ausführlich darüber aus, wie man Buddhismus am Besten in Amerika lehren sollte. Sie schmiedeten gemeinsam Pläne für zukünftige Projekte, wie z. B. die Gründung einer buddhistischen Universität auf amerikanischen Boden. Diese Pläne wurden jedoch durch den frühen Tod Suzukis Ende 1971 durchkreuzt. Trotz der kurzen Zeit, die Trungpa und Suzuki gemeinsam verbrachten, ist der Zen-Einfluss in ästhetischen Elementen und Praxisformen, wie der Sitz- und Gehmeditation, in der von Trungpa begründeten Gemeinschaft nachhaltig spürbar. Der Poet Allen Ginsberg, den Trungpa ebenfalls auf dieser ersten Vortragsreise kennen gelernt hatte (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 115), sah die Gemeinsamkeiten zwischen beiden buddhistischen Lehrern vor allem in ihrer Art, sich vollkom62 Narayanas Erinnerung an die erste Begegnung mit Trungpa ist in einem Brief an Trungpa geschildert, der in Midal (2004: 438 f) abgedruckt ist. 63 Shunryu Suzuki spielte eine wichtige Rolle in der Etablierung des Zen-Buddhismus in Nordamerika (vgl. Fields 1986: 225ff; Seager 1999: 90ff; Chadwick 1999). 64 »[A]ccidental father, presented as a surprise from America, the land of confusion« (zitiert nach Fields 1986: 269).

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men auf den amerikanischen Kontext einzulassen und nicht dogmatisch in ihrer Herkunftstradition verhaftet zu bleiben. Suzuki und Trungpa, so Ginsberg in einem Interview mit David Chadwick, dem Biographen Suzukis, »burned their bridges. They gave all their energy to trying to enlighten America, rather than depending on their older companions and monasteries. They both gave themselves completely to American karma« (zitiert nach Schneider 2005: 386). Allen Ginsberg gehörte zum Kreis der Beat-Poeten, die eine entscheidende Rolle in der Popularisierung des Buddhismus in der breiteren amerikanischen Kultur spielten (vgl. Seager 1999: 34). Neben Allen Ginsberg gehörten Gary Snyder, Jack Kerouac, Alan Watts, Philip Whalen und andere zu den Beat-Poeten. Bekannte Publikationen waren Jack Kerouacs Dharma Bums65 und Alan Watts Beat Zen, Square Zen, and Zen66 (vgl. Fields 1986: 195ff; Tonkinson 1995). Bei ihrem zufälligen Aufeinandertreffen in New York 1970 verfassten Ginsberg und Trungpa spontan zusammen Gedichte (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 115). Trungpa hatte sich bereits in Oxford für Poesie begeistert und später faszinierte ihn insbesondere die japanische Form der Haiku (vgl. Trungpa 2004 f: 432), die auch unter den Beat-Poeten auf Interesse stieß (vgl. Fields 1986: 211; Tonkinson 1995: 74 f; McDarrah/McDarrah 2002: 81).67 Trungpa veröffentlichte einige Jahre danach einen Gedichtband mit dem Titel First Thought Best Thought: 108 Poems (1983).68 Für Trungpa war Poesie – und hier vor allem die Form der Haiku – ebenso ein Mittel, um die »Natur des Geistes« zu erkennen, wie die Sitzmeditation: It’s a question of writing your own mind on a piece of paper. Through poetry, you could find your own state of mind. That’s precisely the concept of haiku: writing your mind. You learn how to express that. That’s how we try to work with poetics at Naropa Institute. People shouldn’t be too dilettantish or artistic, but they should write their own state of mind on a piece of paper. That’s why we say : »first thought best thought.« (Trungpa 2004 f: 432)

Dieser Moment des Erkennens des eigenen Geistes, des Denkens vor dem Denken, der hier als »first thought« bezeichnet wird, wird von Allen Ginsberg wie folgt näher erläutert:

65 Jack Kerouac, The Dharma Bums, New York: The Viking Press, 1958. 66 Alan Watts, Beat Zen, Square Zen, and Zen, San Francisco: City Light Books, 1959. 67 Auch Jack Kerouacs Novelle The Dharma Bums (1958), die als eine der Beat-Texte schlechthin gilt, finden sich Verweise auf Haiku. 68 Viele der in diesem Band enthaltenen Gedichte wurden später in dem Band Timely Rain: Selected Poetry of Chögyam Trungpa (1998) nachgedruckt. Der Band wurde von David I. Rome herausgegeben, der lange Zeit der persönliche Assistent von Trungpa war. Zusätzlich enthält der Gedichtband ein Vorwort von Allen Ginsberg.

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I was writing a spontaneous chain poem with Chögyam and he said, and we finally agreed, »First thought is best thought.« That was sort of the formula: first thought, best thought. That is to say, the first thought you had on your mind, the first thought you thought before you thought, yes, you’d have a better thought, before you thought, before you should have a more formal thought – first thought, best thought. If you stick with first flashes, then you’re all right. But the problem is, how do you get to that first thought – that’s always the problem. The first thought is always the great elevated, cosmic, noncosmic, shunyata thought. And then, at least according to the Buddhist formulation, after that you begin imposing names and forms and all that. So it’s a question of catching yourself at your first open thought. (Ginsberg 1995: 106, Hervorhebung im Original)

Trotz des vorzeitigen Todes Shunryu Suzukis im Jahr 1971 begann Trungpa die gemeinsame Idee, eine buddhistische Universität zu begründen, langsam in die Tat umzusetzen. Eine weitere Motivation mögen viele seiner Schüler gewesen sein, die gerade das College absolviert hatten und mit der Bildung, die sie dort erhalten hatten, unzufrieden waren (vgl. Midal 2004: 251). Den Anfang markierte das erste Sommerprogramm 1974 in Boulder, Colorado, unter dem Namen Naropa Institute. Das Projekt war inspiriert von der alten indischen Klosteruniversität Nalanda und wurde nach Na¯ropa benannt, der in Nalanda studiert hatte und auf den die Kagyü-Linie des tibetischen Buddhismus zurückgeführt wird. Das Programm umfasste Poesie, Kunst, Tanz, Psychologie sowie Kurse und Vorträge zum Buddhismus und anderen »spirituellen Traditionen« (Midal 2004: 254). Im ersten Jahr war Baba Ram Dass (Richard Alpert)69 neben Trungpa die Hauptattraktion. Während Trungpa Einführungen in den tibetisch-buddhistischen Weg und die tibetisch-buddhistische Meditation gab, präsentierte Ram Dass »Das Yoga der Bhagavad Gita« (vgl. Midal 2004: 257). Auch Allen Ginsberg, inzwischen ein Schüler Trungpas, war an diesem ersten Sommerprogramm beteiligt und sollte in den folgenden Jahren zu einem festen Bestandteil des Naropa Institutes werden (siehe Abb. 6). Zusammen mit Anne Waldman organisierte er die Jack Kerouac School of Disembodied Poetics am Naropa Institute (vgl. Bye 2005: 156). Weitere bekannte zeitgenössische Persönlichkeiten, wie der Schriftsteller Gary Snyder, der Buddhologe Herbert Guenther, der Anthropologe Gregory Bateson und der Psychiater Stanislav Grof, waren in das Programm involviert (vgl. Bye 2005: 144). Bateson und Grof waren 69 Richard Alpert war einige Zeit Professor für Psychologie in Harvard und hatte mit LSD experimentiert, das er als ein Mittel zur Bewusstseinserweiterung betrachtete und dessen therapeutische Effekte er eruieren wollte. Zusammen mit Timothy Leary und Ralph Metzner veröffentlichte er The Psychedelic Experience: A Manual Based on the Tibetan Book of the Dead, Seacaucus, New Jersey : Citadel Press, 1964 (vgl. Lopez 1998: 71ff; Rakow 2011). Später gab er sich den Namen Baba Ram Dass und interessierte sich vor allem für indische Mystik und war in die alternativ-religiöse Gemeinschaft Esalen in Big Sur, Kalifornien, involviert.

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Rezipienten der neuen alternativ-religiösen Szenerie; gleichzeitig wirkten sie durch ihre Fachpublikationen und Vorträge als Produzenten und Ideengeber für dieses Feld. Ihr Einfluss zeigte sich auch in ihrer Rolle als Lehrende am Esalen Institute (vgl. Bochinger 1995: 34).

Abb. 6: Allen Ginsberg (l.) und Chögyam Trungpa (r.), Dichterlesung Boulder 1972

Das Esalen Institute war für die nordamerikanische Countercululture und die Herausbildung dessen, was in der Fachliteratur als »New Age Movement« bezeichnet wird, das was die Findhorn-Gemeinschaft für die englische Counterculture und die alternativ-religiöse Szenerie der 1960/70er Jahre gewesen war : eine Art »path finder« (Heelas 1996: 51) für Ideen und Akteure des alternativreligiösen und gegenkulturellen Spektrums. Esalen wurde 1962 von den Psychologieabsolventen Michael Murphy und Richard Price in Big Sur, Kalifornien, begründet. Beide hatten nicht nur Psychologie studiert, sondern bereits vorher auch ein deutliches Interesse für asiatische Religionen und Spiritualität gezeigt (vgl. Erickson 2005; Kripal 2005; 2007: 47 – 82). Das Esalen Institute galt seit den Anfängen 1962 als Begegnungsstätte zwischen Ost und West und als Vermittler asiatischer Religionen in den amerikanischen Kontext. Die Idee von Esalen als einem »growth center« (Kripal/Shuck 2005: 8) bestand darin, »eine ideale Entwicklungsumgebung durch die Kombination von Abgeschiedenheit und erprobten oder experimentellen psychologischen Methoden zusammen mit Techniken orientalischer Herkunft«70 anzubieten (vgl. Henderson 1975). So 70 »[T]o provide an ideal growth environment by combining a remote setting and proven or

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verschieden die Ansätze und Techniken waren, einte sie doch weitestgehend ein psychologisch orientierter Zugang zu als religiös interpretierten Erfahrungen: From the beginning, Esalen’s was a deeply psychological culture, informed by the basic principle that religious experiences of all kinds were essentially psychological in nature and so could be approached as more or less unified expressions of a shared human psyche. (Kripal/Shuck 2005: 2)

Das Institut war das erste Zentrum dieser Art und fand großen Zuspruch. Mitte der 1970er Jahre besuchten jährlich circa 10.000 Personen die angebotenen Workshops und Programme (vgl. Heelas 1996: 52). In Esalen trafen die einflussreichen Größen der alternativen Szenerie Nordamerikas aufeinander : Neben den bekannten Beat-Poeten Gary Snyder und Alan Watts waren auch die Psychologen Richard Alpert (Baba Ram Dass), Stanislav Grof (Transpersonale Psychologie), Carl Rogers (Begründer der Encounter Group-Idee), Fritz Perls (Entwickler der Gestalttherapie), Abraham Maslow (Gründer der Humanistischen Psychologie) und zahlreiche weitere Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler involviert (vgl. Kripal/Shuck 2005: 2). Viele Entwicklungen der 1960/70er Jahre wie das Human Potential Movement, die Transpersonale Psychologie und gegenwartsreligiöse Entwicklungen, die oftmals unter den Termini New Age und Spiritualität verhandelt werden, stehen in einem engen Zusammenhang mit Akteuren, Ansätzen und Impulsen des Esalen Institutes (vgl. Heelas 1996: 53; Kripal/Shuck 2005: 14; Kripal 2007; Wood 2008). Esalen war die erste Institution dieser Art; in den folgenden Jahren sollten viele weitere Institute und Kommunen mit vergleichbaren Zielsetzungen und Programmen in Nordamerika entstehen. Ähnlich wie das Esalen Institute sollte auch das Naropa Institute, der Vision Trungpas entsprechend, zu einer Schnittstelle zwischen westlichen und östlichen Kulturen in ihren verschiedenen Facetten werden.71 1976, zwei Jahre nach dem ersten Naropa Institute-Sommerprogramm, wurden bereits die ersten B.A.und M.A.-Studiengänge angeboten und 1985 wurde die Institution als Universität akkreditiert, die heute unter dem Namen Naropa University bekannt ist (vgl. Midal 2004: 259). Ebenfalls Mitte 1970 während der bereits erwähnten ersten Vortragsreise Trungpas in den USA traf er auf Jean-Claude van Itallie, einen amerikanischen experimental psychological methods along with techniques of Oriental origin« (Henderson 1975: 37). 71 Trungpa berichtet in Great Eastern Sun von seinem Besuch im Esalen Institute und kritisiert den dort vorgefundenen spirituellen Materialismus (vgl. Trungpa 2001: 162). Er sah demnach das Naropa Institute als eine Einrichtung, die dieser Haltung keinen Vorschub leisten sollte und sich somit in seiner Konzeptualisierung vom Esalen Institute unterschied.

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Dramatiker, der einen Vortrag Trungpas auf dem Actors Workshop in New York organisierte (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 107).72 Van Itallie führte Trungpa in die New Yorker Theater- und Kunstszene ein. Diese Begegnungen markierten den Beginn einer langen Zusammenarbeit zwischen Trungpa und verschiedenen westlichen Künstlern. Trungpas Begeisterung für die Bühnenkunst schlug sich später in der Gründung der Mudra Theater Group (1972) und im Verfassen von Bühnenstücken nieder (vgl. Midal 2004: 185 – 200; Worley 2005). Wie die angeführten Beispiele zeigen, haben bereits die frühen Kontakte, die Trungpa während der ersten Wochen und Monate in den USA knüpfte, ihn in vielen Bereichen seines Schaffens inspiriert und der Nachhall ist noch Jahre später erkennbar. Innerhalb kurzer Zeit sammelte Trungpa viele Schüler um sich und unter seiner Schirmherrschaft entstanden weitere Zentren in den USA. Allein im Jahr 1970 gründete Trungpa mit Hilfe seiner Schüler nicht nur Tail of the Tiger (heute Karme Chöling) in Vermont, sondern auch eine weitere Gemeinschaft, Karma Dzong, in Boulder, Colorado. Im darauf folgenden Jahr kam noch das Rocky Mountain Dharma Center (heute Shambhala Mountain Center) in Colorado hinzu. Trungpa lebte bis zu seinem Tode 1987 in Nordamerika und hat während dieser 17 Jahre viele weitere Kontakte geknüpft und weitere Entwicklungen angestoßen, die mit Hilfe seiner Schüler umgesetzt wurden. Eine umfassende Darstellung seines Werkes und seines Wirkens als religiöser und kultureller Innovator würden den Rahmen sprengen. Im Folgenden sollen nur die wichtigsten Entwicklungslinien nachgezeichnet werden.73

Die wichtigsten Entwicklungslinien in Trungpas frühen Jahren in den USA Ende 1972 traf Trungpa die Entscheidung, eine Dachorganisation zu gründen, die seine vielfältigen Aktivitäten und lokalen Zentren organisatorisch zusammenführen sollte. Er gab der Organisation den Namen Vajradhatu74 und unter dieser Bezeichnung war die von Trungpa begründete Gemeinschaft lange Zeit bekannt. Das von Trungpa eingesetzte Vajradhatu Board of Directors, bestehend aus seinen engsten Schülern, war für alle organisatorischen Belange verant72 Jean-Claude van Itallie verfasste das Stück The Tibetan Book of the Dead, or How Not to Do It Again für die Bühne, das von Steve Gorn 1983 vertont und aufgeführt wurde (vgl. van Itallie 1999). Der Text von van Itallie diente auch Ricky Ian Gordon als Libretto für die Komposition seiner Oper The Tibetan Book of the Dead, die 1996 im Rice Theatre Houston, Texas, uraufgeführt wurde. 73 Für eine umfassende Darstellung verweise ich auf die sehr detaillierten Ausführungen von Midal (2004; 2005b), Hayward (2008), Mukpo/Gimian (2006) sowie die von Trungpa verfassten Werke, erschienen in den Collected Works of Chögyam Trungpa (Bd. 1 – 8). 74 Vajradha¯tu (skr.) bedeutet in diesem Kontext unzerstörbarer oder diamantener Raum.

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wortlich. Die einzelnen Zentren unter dem Dach von Vajradhatu nannte Trungpa Dharmadhatus75. Im Herbst 1973 fand erstmals ein durchgehendes dreimonatiges Intensivseminar statt, das Trungpa als Vajradhatu Seminary bezeichnete. Bisher hatte er bei der Vermittlung des tibetischen Buddhismus den Fokus auf Vorträge und die einfache Variante der Sitzmeditation gelegt. Bevor seine Schüler sich in tantrisch-buddhistischen Praktiken übten, sollten sie eine solide Grundlage in der Achtsamkeits-Gewahrseins-Meditation (Shamatha-Vipashyana)76 erworben haben. Dieses Vorgehen Trungpas in den USA unterschied sich von der Präsentation des tibetischen Buddhismus in England im Samye Ling Meditation Centre. Praxis und Alltag in Samye Ling waren – sofern das in der fremden Umgebung möglich war – an die Abläufe in tibetisch-buddhistischen Klöstern angelehnt. Niederwerfungen, morgendliche und abendliche tibetische Rezitationen gehörten zur alltäglichen Praxis (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 6ff). Diese Ausrichtung mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass in Samye Ling eine kleine Gemeinschaft von tibetischen Tülkus und Mönchen wohnte, die einem ihnen vertrauten Tagesablauf folgten.77 Trungpa begründete das veränderte Vorgehen in den USA damit, dass die fremde und exotische Seite dieser Praktiken dazu führen könne, dass sie nur zur Stärkung des eigenen Egos ausgeübt werden und damit letztlich zur Selbsttäuschung führen (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 103, 112). Eine solche Haltung gegenüber religiösen Praktiken oder Angeboten auf dem »spirituellen Supermarkt« hatte Trungpa als »spirituellen Materialismus« kritisiert. Durch die Konzentration auf die einfache Sitzmeditation, ohne das Versprechen oder Ziel, einen bestimmten Zustand zu erlangen, sollte die Haltung des spirituellen Materialismus durchbrochen werden. In den Erinnerungen eines langjährigen Schülers von Trungpa heißt es dazu: [D]isappointment – not expecting to get anything out of our sitting practice of meditation – and cutting through the solid wall of ego-centeredness. Rinpoche spoke frequently in those early years about disappointment and hopelessness – not expecting anything, giving up our »trip,« coming down to earth, just being ordinary, having »no way out.« A very significant theme throughout his teachings in the first few years was cutting through spiritual materialism, which is the tendency of ego to grasp on to even spiritual techniques and twist them around to boost an even greater ego. (Hayward 2008: 32 f)

Trungpas Überlegungen – hier in den Worten seines Schülers – erinnern an Shunryu Suzukis Ausführungen in Zen Mind, Beginner’s Mind (1970). Als An75 Dharmadha¯tu (skr.) lässt sich in diesem Kontext mit Dharmaraum übersetzen. 76 Shamatha-Vipashyana ist die in der Gemeinschaft gebräuchliche Bezeichnung. 77 Zu den täglichen Tätigkeiten tibetisch-buddhistischer Mönche im Kloster siehe auch Goldstein/Tsarong (1985).

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fänger-Geist (beginner’s mind) bezeichnet Suzuki eine Geisteshaltung, die für die Praxis des Zazen notwendig sei. Diese Geisteshaltung sei nicht auf die Erlangung eines bestimmten Ziels ausgerichtet, knüpfe keine Erwartungen an die Praxis des Zazen und ziehe keine Bestätigung aus dem Gefühl durch Praxis bereits etwas erreicht zu haben: In the beginner’s mind there is no thought, »I have attained something.« All selfcentered thoughts limit our vast mind. When we have no thought of achievement, no thought of self, we are true beginners. Then we can really learn something. […] So the most difficult thing is always to keep your beginner’s mind. There is no need to have a deep understanding of Zen. Even though you read much Zen literature, you must read each sentence with a fresh mind. You should not say, »I know what Zen is,« or »I have attained enlightenment.« This is also the real secret of the arts: always be a beginner. (Suzuki 1995: 22)

Inspiriert von Zen-Sesshins, die einen ganzen Tag oder sogar mehrere Tage hauptsächlich aus der Praxis des stillen Sitzens (Zazen) bestanden, führte Trungpa 1971 einen regelmäßigen Praxistag pro Woche für die Sitzmeditation ein, genannt Nyinthün78. Einige Zeit später fügte Trungpa ein einmonatiges Meditationsretreat, genannt Dathün79, hinzu (vgl. Hayward 2008: 75 f). Anfangs ließ er seine Schüler »einfach nur sitzen« ohne konkrete Anleitungen für die Sitzmeditation (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 103). Durch den Kontakt mit Shunryu Suzuki begann sich Trungpa jedoch, an dessen Ansatz zu orientieren. Schüler von Suzuki kamen nach Vermont und führten die ersten eintägigen intensiven Meditationsretreats durch. Bei dem ersten Dathün wurde die Schweigeregel nur einmal am Tag aufgehoben, wenn Passagen aus Suzukis Buch Zen Mind, Beginner’s Mind gelesen wurden (vgl. Schneider 2005: 386).80 Trungpa ermunterte seine Schüler zudem, in das San Francisco Zen Center und Tassajara Zen Mountain Center von Suzuki zu gehen, um dort die Sitzmeditation zu erlernen (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 112).

78 Nyinthün setzt sich aus dem tibetischen nyin (Tag) und thun (Dosis, Behandlung, Praxis, Sitzung) zusammen. 79 Dathün ist eine Zusammensetzung aus dem tibetischen da (Monat) und thun (Dosis, Behandlung, Praxis, Sitzung). 80 Das Buch Zen-Geist, Anfänger-Geist wird auch heute noch in Zentren gelesen. Während meiner teilnehmenden Beobachtung in der Shambhala-buddhistischen Meditationsgruppe wurde montags immer nach der ersten Phase der Sitzmeditation und der ersten Runde Gehmeditation, die schweigend absolviert werden, eine Passage aus einem Buch gelesen, unter anderem aus Suzukis Zen Mind, Beginner’s Mind.

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Das erste von Trungpa durchgeführte dreimonatige Intensivseminar, genannt Vajradhatu Seminary, dauerte vom Oktober bis Dezember 1973 und bestand aus drei Studienperioden zu den drei buddhistischen Fahrzeugen (Hinaya¯na, Maha¯ya¯na und Vajraya¯na)81, die jeweils unterbrochen wurden von zwei Wochen Sitz- und Gehmeditation. Um den Anforderungen dieses intensiven Seminarprogramms gerecht zu werden, war es von Vorteil, wenn die Schüler bereits eine regelmäßige Sitzpraxis etabliert hatten, wie sie während der Dathüns und Nyinthüns praktiziert wurde. Das Vajradhatu Seminary verfolgte einen als »three wheels approach« (Hayward 2008: 85) bezeichneten Ansatz, der Studium, religiöse Praxis und Arbeit umfasste und bis heute in allen Programmen der Gemeinschaft Anwendung findet. Diese Struktur des Seminars wurde bis zum Tode Trungpas beibehalten. Trungpa merkte selbst an, dass eine solche Form der Praxis in Tibet unüblich war und diese demzufolge von ihm für seine westlichen Schüler entwickelt wurde (vgl. Hayward 2008: 84 f). Nach dem ersten erfolgreichen Vajradhatu Seminary wählte Trungpa eine kleine Gruppe seiner engsten Schülern aus, der er zum einen eine erste tantrische Transmission gab und die er zum anderen zu den vorbereitenden Übungen (Ngöndro) ermächtigte (vgl. Trungpa 2003a: 273; Hayward 2008: 106ff). Damit vermittelte er erstmalig in den USA tantrische Praktiken an westliche Praktizierende. Der erfolgreiche Abschluss des Vajradhatu Seminary galt fortan als Voraussetzung zum Einstieg in die tantrische Praxis, die mit dem Ngöndro (vorbereitende Übungen) begann.82

Zwischenbetrachtung Die ersten Jahre in den USA waren durch zwei Merkmale gekennzeichnet. Zum einen hatte Trungpa ein sehr offenes und enges Verhältnis mit seinen Schülern, die z. T. mit ihm, seiner Frau und seinen Kindern83 in ein und demselben Haus wohnten und einen recht informellen Kontakt mit ihm pflegten, was wenig Privatsphäre für beide Seiten bedeutete (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 123ff). Gleichzeitig bot diese Form des Zusammenlebens jedoch viele Möglichkeiten, die Bedürfnisse, Anliegen, Vorstellungen und Erwartungen seiner westlichen 81 Das sind die Begriffe, die innerhalb der Gemeinschaft verwendet werden. 82 Ngöndro (tib. sngon ’gro, wörtlich vor gehen) ist innerhalb des tantrischen Buddhismus ein Komplex von Übungen, die den höheren Unterweisungen vorangehen und die eine bestimmte Anzahl (z. B. 100.000) von Rezitationen, Niederwerfungen, Visualisationen, Meditationen, Opferungen u. a. umfassen. 83 1971 wurde Tendzin Lhawang Taktruk, Trungpas erster gemeinsamer Sohn mit Diana Pybus, und 1973 ihr zweiter gemeinsamer Sohn Gesar Tsewang Arthur geboren. Seit 1972 lebte auch sein erster Sohn Ösel, der im indischen Exil geboren worden war, bei ihm in den USA.

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Schüler kennen zu lernen. Ganz anders dagegen verhielt es sich im Samye Ling Meditation Centre in Schottland, wo Trungpa, Akong und die anderen tibetischen Mönche ihre Räume auf einer eigenen Etage hatten, die für westliche Schüler nicht zugänglich war. Deutlich wird dieses informelle Verhältnis zu seinen amerikanischen Schülern, das besonders für die ersten Jahre in den USA kennzeichnend war, auch in der Nutzung der saloppen Anrede »the Rimp« (Hayward 2008: 118) statt dem üblichen tibetischen Ehrentitel Rinpoche (manchmal auch Rimpoche) sowie den gemeinsamen Feiern und Trinkgelagen. Das informelle, persönliche Verhältnis, welches Trungpa zu seinen Schülern pflegte, wird in den Erinnerungen seiner Frau und denen seines Schülers Jeremy Hayward anschaulich beschrieben (vgl. Mukpo/Gimian 2006; Hayward 2008). Einen weiteren illustrativen Hinweis liefert Thomas F. Rich (Narayana). Nach einer ersten Begegnung mit Trungpa wollte er diesen gern wiedersehen. Von einer Schülerin Trungpas erhielt er den Tipp, nicht nach einem offiziellen Interview mit Trungpa zu fragen (was einer eher klassischen Schüler-LehrerKommunikationssituation entsprochen hätte), sondern stattdessen zu sagen, dass er mit Trungpa zusammen »abhängen« (to hang out) wolle (vgl. Tendzin 1980). Von einem Schüler Trungpas wurde die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler in dieser Zeit als ein Verhältnis auf Augenhöhe beschrieben (vgl. Hayward 2008: 41). Damit unterscheidet sich dieser Umgang miteinander fundamental von dem Umgang tibetischer Laien mit hohen religiösen Lehrern im tibetischen Kontext, der von großer Ehrfurcht gegenüber den inkarnierten Tülkus geprägt ist (vgl. Mills 2003: 265). Das zweite kennzeichnende Merkmal dieser ersten Jahre war der beginnende Prozess der Institutionalisierung, der nicht nur in der Einführung und Etablierung der verschiedenen Seminar-Programme und des Naropa Institutes deutlich wird, sondern auch in der sich herausbildenden Organisationsstruktur mit der Dachorganisation Vajradhatu und dem Board of Directors, dem die einzelnen Zentren administrativ unterstellt waren. Bei der Ankunft Trungpas in Amerika war die Counterculture gerade auf ihrem Höhepunkt und bildete den Kontext für sein Wirken in den ersten Jahren in den USA. Seine ersten Schüler entstammten mehrheitlich diesem Setting und viele der Kontakte, die Trungpa in den ersten Jahren knüpfte und die Einfluss auf sein Wirken hatten, waren Protagonisten oder Schlüsselfiguren der neuen kulturellen und religiösen Alternativszene der 1960/70er Jahre. In dieser Zeit hatte Trungpa scheinbar nur wenig Kontakt mit anderen tibetischen Lehrern oder Mönchen und war demnach fast ausschließlich von westlichen Anhängern umgeben, mit denen er einen sehr offenen und persönlichen Umgang pflegte.84 84 Zumindest ließen sich in dem von mir gesichteten Material kaum Verweise auf regelmäßige oder intensive Kontakte zu anderen tibetischen Lamas in Nordamerika finden.

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Es kann davon ausgegangen werden, dass Trungpa durch den regen Austausch mit Schülern und durch seine vielfältigen Aktivitäten mit den Protagonisten und Denkansätzen vertraut wurde, die in dem gegenkulturellen und alternativ-religiösen Kontext der damaligen Zeit populär waren. Entsprechende konkrete Verweise – manchmal auch nur in Form euphemistischer Bezüge – auf Personen, Ideen, Praktiken und Institutionen finden sich an verschiedenen Stellen in seinem Werk: Trungpa berichtet über seinen Besuch im Esalen Institute (vgl. Trungpa 2001: 162); er äußert sich über Anthroposophie und Rudolph Steiners Ausführungen zu Bildung und Erziehung (vgl. Trungpa 2001: 134), über Gurdjieff (vgl. Trungpa 2003e: 458), über Carlos Castanedas Don Juan-Bücher (vgl. Trungpa 2003 f), über Rosenkreuzer, den Golden Dawn, Aleister Crowley und den O.T.O. (Ordo Templi Orientis) (vgl. Trungpa 2003b: 511); außerdem macht er Bemerkungen über Werner Erhard und Erhard Seminar Training (est) (vgl. Trungpa 2003d: 564), über Encounter Groups (vgl. Trungpa 2004c: 39) sowie über die Rolle der Theosophie und Anagarika Dharmapalas bei der Popularisierung östlichen und buddhistischen Gedankengutes im Westen (vgl. Trungpa 2003b: 512). Gurdjieff und die Theosophie finden sogar in Trungpas Gedichten Erwähnung (vgl. Trungpa 1998: 32, 81). Die große und schnell ansteigende Zahl der Schüler Trungpas spricht dafür, dass Trungpa trotz des Status eines verheirateten Laien von seinen Schülern als legitimer, tibetischer religiöser Spezialist wahrgenommen wurde. Diese Wahrnehmung mag durch die damalige Konfiguration des alternativ-religiösen Feldes bedingt gewesen sein, das vorrangig aus Akteuren bestand, die aus liberalen Kreisen kamen, mit einem höheren Bildungsgrad ausgestattet waren und asiatische Religiosität und Spiritualität präferierten. Sein tibetischer Name und seine Bekanntheit als tibetische religiöse Autorität, forciert durch seine erfolgreichen Buchpublikationen sowie sein schnell wachsendes soziales Netzwerk im Kontext der amerikanischen Counterculture und künstlerischen Avantgarde, statteten ihn, zusätzlich zu seinem symbolischen Kapital als tibetischer religiöser Spezialist, mit einem umfangreichen sozialen Kapital aus. Durch das Beherrschen der englischen Sprache und einem Gefühl für die Bedürfnisse seiner westlichen Schüler hatte Trungpa einen weiteren strategischen Vorteil, um sich erfolgreich im damaligen alternativ-religiösen Feld zu positionieren. In den USA ändert sich Trungpas Lehr- und Praxisstil bei der Vermittlung seines tibetisch-buddhistischen Erbes. Dies wird zum einen deutlich im Einfluss Zen-buddhistischer Elemente auf die konkrete Praxis, die Trungpa lehrte. Zum anderen wird diese Veränderung in den von ihm neu entwickelten Programmund Praxisformen für seine westlichen Schüler (Dathün, Nyinthün, Vajradhatu Seminary, Naropa Institute) sichtbar, die bis in die Gegenwart existent sind. In diesen frühen Entwicklungen wird bereits das innovative Potential transkultureller Flüsse von Vorstellungen und Praktiken sichtbar, die sich in Trungpas

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Lehr- und Praxisstil auf vielfältige Art und Weise verknüpfen. Dass diese Verschmelzung verschiedener Elemente zu neuen Formen durch Trungpa erfolgreich war und das westliche buddhistische Feld nachhaltig geprägt hat, zeigt sich einerseits daran, dass die von ihm begründete Gemeinschaft zu einer der ersten und größten tibetisch-buddhistischen Netzwerke im westlichen Kontext zählt. Andererseits zeigt sich die Nachhaltigkeit der Herausbildung neuer Praxisformen daran, dass die von ihm begründeten Lehren und Praktiken in der Gemeinschaft über seinen Tod hinaus bis heute existent sind.

5.5

Vajracharya Chögyam Trungpa: Die Etablierung des Vajraya¯na-Buddhismus in Amerika (1974 – 1976)

Im Herbst 1974 besuchte der 16. Karmapa auf Einladung von Trungpa das erste Mal die USA und machte eine Tour durch alle Zentren der Gemeinschaft. Der Karmapa war mit einem Großteil seines Gefolges und seines Besitzes noch vor dem Dalai Lama aus Tibet geflohen und hatte das Hauptkloster der Karma Kagyüpa in Rumtek im indischen Bundesstaat Sikkim wieder aufgebaut. Rumtek zählt zu einem der umfangreichen und sehr gut ausgestatteten Exil-Klöster (vgl. Bitter 1988: 23). Dort hatte ihn Trungpa 1968 auf seiner Reise nach Bhutan das letzte Mal besucht. Trungpa stand also kurz davor, das religiöse Oberhaupt seiner Linie nach Jahren im westlichen Exil wieder zu sehen. Wie sich seine Frau erinnert, war er – vor allem nach dem Zerwürfnis mit Akong Tülku im Samye Ling Meditation Centre – durchaus unsicher, wie der Karmapa seine Arbeit als buddhistischer Lehrer im Westen beurteilen würde: Rinpoche was nervous about the visit because he knew that His Holiness had heard stories about what Rinpoche was up to, and the version he had been told had been heavy on the outrageous, wild side and light on the »working for the dharma« side. Rinpoche did not know whether His Holiness would fully appreciate what he was trying to do in America. (Mukpo/Gimian 2006: 177)

Jeremy Hayward schildert in seiner Autobiographie ähnliche Bedenken darüber, wie andere tibetische Lehrer und Tülkus über Trungpa urteilten, nachdem er seine Roben abgelegt hatte, Gerüchte über seinen Alkoholkonsum und seine Verhältnisse mit Frauen bekannt geworden waren und er die höchsten Vajraya¯na-Lehren an Westler vermittelt hatte (vgl. Hayward 2008: 119). Im Zuge der Vorbereitungen auf den Besuch initiierte Trungpa einige Veränderungen in der Gemeinschaft. Die Räumlichkeiten der Zentren wurden renoviert und aufwendig im tibetischen Stil verziert. Für den neuen Schreinraum in Karma Dzong, dem Zentrum in Boulder, ließ Trungpa einen Thron für den

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Karmapa bauen, wie er für hohe tibetische Lehrer üblich war. Außerdem versuchte Trungpa, seinen Schülern, deren bisheriger Umgang mit einem tibetischen Tülku sich lediglich auf ihn beschränkte, den richtigen Umgang mit einem hohen tibetischen Lehrer zu vermitteln (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 177). Dass sich dieses Unterfangen in einer Gemeinschaft, die vorrangig aus Hippies und gesellschaftlichen Aussteigern bestand, schwierig gestaltete, wird in einer Erinnerung an diese Situation deutlich: In 1974, His Holiness the Sixteenth Gyalwa Karmapa, the head of the Karma Kagyü lineage of Buddhism to which I belong, was to arrive for his first visit to North America. A group of us had a meeting, and we talked about protocol and other arrangements. Quite a number of people said, »Couldn’t we just take His Holiness to a disco and feed him a steak? Do we really have to vacuum the floor? Maybe he should sleep on a waterbed. Couldn’t he just come along and see what America is like?« In the end, that wasn’t the approach we decided to take! That would have been the opposite of letting go, which is not taking pride in one’s crudeness. That approach is bloated with arrogance. (Trungpa 2001: 38)

Außerdem verlangte Trungpa von seinen Schülern, dass sie während des Besuches angemessen gekleidet und frisiert erschienen und führte damit einen wesentlich formelleren Stil in die Gemeinschaft ein (vgl. Midal 2004: 298; Mukpo/ Gimian 2006: 179; Hayward 2008: 118). Um den organisatorischen Aufwand zu bewältigen und dem Karmapa einen gebührenden Empfang zu bieten, wurden viele Schüler einbezogen und für die verschiedensten Aufgaben als Fahrer, Diener, Köche, Sicherheitsverantwortliche, Gärtner etc. geschult. Die Gruppe von Schülern, die während des Besuches als Sicherheitsverantwortliche fungierte, genannt Vajra Guards, wollten diesen Dienst auch nach dem Besuch für Trungpa übernehmen. Aus ihnen gingen die Dorje Kasung hervor, die später unterteilt wurden in Kusung und Kasung. Kusung waren die persönlichen Servicekräfte für Trungpa, den Regenten85 und ihre Familien; Kasung übten einen eher generellen Service für die Gemeinschaft aus und kamen auch bei vielen weiteren Besuchen tibetischer Lehrer zum Einsatz (vgl. Hayward 2008). Der Karmapa reiste mit einem Gefolge von tibetischen Mönchen und führte in allen Städten, die er besuchte, Rituale und Segnungen in tibetischer Sprache durch – sowohl vor großem Publikum als auch vor kleineren Gruppen von Praktizierenden. Die amerikanische Presse berichtete ausführlich über den ersten offiziellen Besuch eines hohen tibetischen Lamas in den USA (vgl. Midal 85 Der Regent ist der von Trungpa formell ernannte und eingesetzte Linienhalter und DharmaErbe, der ihn in seiner Abwesenheit vertreten und im Falle seines Todes die Gemeinschaft weiterführen sollte. Thomas F. Rich wurde von Trungpa 1976 als Vajra Regent Ösel Tendzin eingesetzt.

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2004: 296). Für viele Amerikaner und Schüler Trungpas war der Besuch des 16. Karmapas die erste Konfrontation mit dem tibetischen Buddhismus in seiner als »traditionell« wahrgenommenen Form.86 In jeder Stadt führte der Karmapa die »Schwarze-Krone-Zeremonie« aus, bei der er eine schwarze Krone über seinen Kopf hielt, das Mantra des Bodhisattvas Avalokites´vara rezitierte und für diesen Moment als die Verkörperung des unendlichen Mitgefühls des Bodhisattvas galt.87 Außerdem benannte der Karmapa das erste Zentrum von Trungpa in den USA, bisher genannt Tail of the Tiger, in Karme Chöling (wörtlich: Ort der Karma Kagyü-Lehren) um und erkannte Tendzin Lhawang (geb. 1971), den ersten Sohn von Trungpa und seiner Frau, als Inkarnation seines eigenen Lehrers Surmang Tendzin Rinpoche an (vgl. Trungpa 2003a: 270). Anlässlich der Segnung des neuen Schreinraumes in Karma Dzong in Boulder würdigte der Karmapa in einer offiziellen Zeremonie die Arbeit Trungpas in den USA und verlieh ihm den Titel Vajracharya88 (vgl. Hayward 2008: 119): Chökyi Gyamtso, Trungpa Rinpoche, supreme incarnate being, has magnificently carried out the vajra holder’s discipline in the land of America, bringing about the liberation of students and ripening them in the dharma. This wonderful truth is clearly manifest. Accordingly, I empower Chögyam Trungpa Vajra Holder and Possessor of the Victory Banner of the Practice Lineage of the Karma Kagyü. Let this be recognized by all people of both elevated and ordinary station.89 (zitiert nach Midal 2004: 302)

Mit diesem offiziellen Akt erkannte der Karmapa, das religiöse Oberhaupt der Karma Kagyüpa, das Wirken Trungpas als buddhistischer Lehrer im Westen an. 86 Der Dalai Lama besuchte die USA das erste Mal 1976. 87 Dieses Ritual wird zurückgeführt auf die Begegnung des 5. Karmapa (15. Jh.) mit dem chinesischen Herrscher Yung-lo, der dem Karmapa die schwarze Krone als Geschenk überreicht haben soll. Die Karmapa besaßen die besondere Gunst der chinesischen MingKaiser, die durch Titelverleihungen und Geschenke zum Ausdruck gebracht wurde (vgl. Kapstein 2006: 123ff; Kollmar-Paulenz 2006: 100 f). 88 »Vajra holder« ist hier mit dem Titel Vajracarya (skr. für Meister des Vajra, tib. rdo rje slob dpon) übersetzt worden. Eigentlich entspricht »Vajra holder« dem Sanskrit-Begriff Vajradhrik (tib. rdo rje ’dzin pa). Trungpa habe aufgrund von Ausspracheschwierigkeiten seiner englischen Schüler und eventuellen unerwünschten Assoziationen (dhrik klingt im Englischen wie dick) die Bezeichnung Vajracarya bevorzugt. Erst als später ein Schüler den Titel Dorje Loppön (tib. rdo rje slob dpon, skr. Vajracarya) erhielt, nutzte Trungpa nicht mehr den Titel Vajracarya sondern Vidyadhara (skr. für Besitzer des Wissens, tib. rig ’dzin) für sich (vgl. Midal 2004: 445 Fn. 24). 89 Bei Hayward ist eine geku¨ rzte Version mit ähnlich klingendem Wortlaut wiedergegeben: »Chokyi Gyatso, Trungpa Rinpoche, has carried out the vajra holder’s discipline in the land of America, establishing his students in liberation and ripening them in the dharma. This wonderful truth is clearly manifest« (Hayward 2008: 119).

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Für viele Schüler Trungpas war dieser Besuch der erste Kontakt mit elaborierten tibetisch-buddhistischen Ritualen einschließlich tibetisch-sprachigen Rezitationen, musikalischer Untermalung durch tibetische Instrumente und vollem Ornat der beteiligten Mönche. Im Kontrast zu dem Auftreten Trungpas in seiner Gemeinschaft wurde der Besuch des Karmapas z. T. als befremdlich und exotisch von den westlichen Schülern wahrgenommen: His Holiness finally arrived in Boulder, with his entourage of monks blowing their gyalings, instruments like Tibetan oboes. Rinpoche, wearing a Tibetan outer garment, lead His Holiness in Karma Dzong carrying burning incense in the traditional way. His Holiness gave many teachings and abhishekas – blessings or empowerments. […] It was all in Tibetan and was altogether very foreign to me; it was the first time that I had seen any other Tibetan teacher, or any other Tibetan situation at all. My contact with Tibetan Buddhism up until then had been totally through Rinpoche, with his simple naturalness, his fluent English language, and his eye-to-eye relationship with us. Now we were experiencing this other Tibetan teacher, who sat on a throne, gave teachings in Tibetan, and performed elaborate Tibetan rituals we didn’t understand. (Hayward 2008: 114, Hervorhebung im Original)

Die aufwendigen Vorbereitungen in der Vajradhatu-Gemeinschaft für den Besuch des 16. Karmapas erinnern an ein ähnliches Ereignis 1994 in dem kleinen Gelugpa-Kloster Kumbum in Lingshed, Ladakh, das in einen Feldforschungsbericht von Martin Mills beschrieben wird (vgl. Mills 2003: 263ff). Auch hier kam ein hoher Tülku, Dagon Rinpoche, zu Besuch. Anlässlich des Besuches wurde das Kloster aufwendig herausgeputzt und geschmückt und alle Versammelten trugen ihre beste Kleidung und verhielten sich streng nach Protokoll. Der aufsichtsführende Lama empfing Dagon Rinpoche und führte ihn, brennende Räucherstäbchen haltend, in das Kloster. In den separaten Gemächern für Tülkus, die das Kloster besuchen, gab es einen Schreinraum, der mit einem Thron für den inkarnierten Lama ausgestattet war (vgl. Mills 2003: 37). Die von Trungpa initiierten Vorbereitungen und Veränderungen in der Gemeinschaft im Hinblick auf den Besuch des 16. Karmapas folgten offenbar einem Muster, das Trungpa aus dem tibetischen Kontext bekannt war und das hier in einem fremden kulturellen Kontext umgesetzt wurde. Für Trungpa mögen diese Vorbereitungen selbstverständlich gewesen sein, für viele seine Schüler stellten sie jedoch eine völlig neue Erfahrung dar. Hinzu kam der Umstand, dass die Schüler Trungpas zum ersten Mal erlebten, wie er sich an die tibetische Etikette im Umgang mit hochgestellten Lehrern hielt und z. B. auf dem Flughafen in New York vor dem Karmapa Niederwerfungen ausführte und ihm generell mit sehr viel Ehrfurcht begegnete. Trungpas verändertes Auftreten gegenüber dem Karmapa als dem Oberhaupt seiner Linie und seine tibetische Kleidung führten scheinbar bei dem einen oder anderen

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Schüler auch zu einer veränderten Wahrnehmung ihres Lehrers. Baird Bryant, ein Schüler Trungpas, der an der Produktion des Films The Lion’s Roar beteiligt war, in dem der Besuch des Karmapas dokumentiert wird, erinnert sich an die Veränderung in seiner Wahrnehmung von Trungpa: Then came the visit of His Holiness, the sixteenth Karmapa, and shooting for The Lion’s Roar. First, the Black Hat ceremony on the pier in San Francisco. Shopping, playing Pong at the amusement pier, going to the zoo where the animals all became very excited by the vibes of this Dharma King. I remember the shift in my consciousness about Rinpoche. Until that time, he was always somehow fundamentally, it seemed, a Lama who had taken off his robes and dressed in western clothes … a powerful being, yes with all kinds of esoteric knowledge, but still, one of the boys who liked to drink, smoke cigarettes, and get it on with the ladies … my kind of guru. But then, when His Holiness arrived, suddenly there he was in all his glory, in magnificent brocades, probably the uniform of a Tibetan general, with the whole weight of the lineage stacked on his head like hundred Buddhas and Bodhisattvas one on top of the other. The glory of it left you no choice but to bow as deeply as you could before such splendor. (zitiert nach Gimian 2004c: li – lii)

Formalisierung innerhalb der Gemeinschaft Mit dem Besuch des Karmapas hatte also ein neuer Grad an Formalität in die Gemeinschaft und den Umgang miteinander Einzug gehalten (vgl. Midal 2004: 295) – eine Entwicklung, die Jeremy Hayward mit den folgenden Worten beschreibt: »The era of casualness was over« (2008: 118). In formellen und offiziellen Situationen wurde Trungpa nun von seinen Schülern mit dem Titel Vajracharya angesprochen. Im Jahr 1976 schuf Trungpa eine Neuregelung für die Zulassung von Schülern zum Vajradhatu Seminary : Fortan waren nur noch Schüler zugelassen, die durch Studium und Praxis in der Gemeinschaft entsprechend vorbereitet waren und mindestens ein Dathün, das einmonatige Meditationsretreat, absolviert hatten. Außerdem führte Trungpa Verhaltensregeln für das Vajradhatu Seminary ein (vgl. Hayward 2008: 98). Im April 1976 besuchte Dilgo Khyentse, ein hochrangiger Nyingma-Lama, die USA.90 Er bereiste die verschiedenen Dharmadhatus, hielt Belehrungen und führte Rituale durch. Außerdem inthronisierte er Gesar Arthur, den zweiten Sohn von Trungpa und seiner Frau, als Inkarnation von Jamgön Kongtrül von Sechen, dem Wurzellehrer Trungpas. Wiederholte Besuche des Karmapas (siehe Abb. 7) und Dilgo Khyentses sowie weiterer hoher tibetisch-buddhistischer 90 Dilgo Khyentse gilt als eine der Inkarnationen (Tülku) von Jamyang Khyentse Wangpo (1820 – 1892), einem bedeutenden Rime-Gelehrten aus Osttibet.

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Lehrer, wie Dudjom Rinpoche, Jamgön Kongtrül von Pälpung und dem Dalai Lama folgten in den nächsten Jahren.

Abb. 7: Besuch des 16. Karmapa 1980; Jamgön Kongtrül (l.), 16. Karmapa (m.) und Chögyam Trungpa (r.)

Die Besuche angesehener Tülkus der Kagyü- und der Nyingma-Linie zeigen, dass Trungpa von diesen als einer der ihren betrachtet wurde, auch wenn andere tibetische Lamas Anstoß an seiner Lebensweise genommen hatten (vgl. Hayward 2008: 119). Die Akzeptanz und Anerkennung seiner Arbeit als buddhistischer Lehrer in Nordamerika wurde exemplarisch in der Erklärung des 16. Karmapas deutlich, die er anlässlich seines ersten Besuches verfasst und verlesen hatte. Der Besuch stärkte zusätzlich Trungpas Bande mit seiner eigenen buddhistischen Tradition, speziell der Karma Kagyü-Linie und seinem Nyingma-Erbe. Im Sommer 1975 machte er auf einer Versammlung der Angestellten des Naropa Institutes deutlich, dass er das Institut nicht als ein weiteres amerikanisches »New Age Zentrum«, sondern als eine buddhistische Institution innerhalb der Karma Kagyü-Linie sehe (vgl. Hayward 2008: 124). Im Jahr 1976 ernannte Trungpa einen Schüler von sich zu seinem Linienhalter und Regenten. Thomas F. Rich (1943 – 1990) war in der Gemeinschaft auch als Narayana bekannt und seit einigen Jahren ein enger Schüler Trungpas. Anlässlich der buddhistischen Zufluchtnahme einige Jahre früher hatte Narayana von Trungpa den Namen Ösel Tendzin erhalten. In einer Zeremonie im August 1976 wurde Thomas F. Rich vor 600 Teilnehmern als Vajra Regent (Dorje Gyaltsap) inthronisiert, der fortan von allen in der Gemeinschaft als Regent be-

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zeichnet und angesprochen wurde (vgl. Hayward 2008: 132 f). Damit wurde erstmalig ein westlicher Praktizierender als Linienhalter und Dharma-Erbe der Karma Kagyü-Linie eingesetzt. Organisatorisch bedeutete diese Position die Übernahme von vielen administrativen Aufgaben und Lehrverpflichtungen in der stetig wachsenden Gemeinschaft und damit eine Entlastung für Trungpa. Langfristig wollte Trungpa dadurch den Fortbestand und die Weitergabe seiner eigenen Lehrtradition sichern. Die Berufung und Einsetzung eines Regenten als Dharma-Erben für die Zeit, in der Trungpa selbst die Gemeinschaft nicht leiten konnte, weil er sich im Retreat befand, oder gar für die Zeit nach seinem Tode, greift auf eine tibetische Institution zurück. Durch die Inkarnationslinien, die vielen der tibetischen Klosterinstitutionen vorstehen, ergibt sich für die Zeit zwischen dem Tod und der Einsetzung einer neuen Inkarnation sowie dem Erreichen des notwendigen Alters, in dem die neue Inkarnation offiziell die Leitung übernimmt, sowie für Zeiten der Abwesenheit des Tülkus einer klösterlichen Institution die Notwendigkeit einer Interimsregelung. Für diese Phasen wird eine Regent (Gyaltsap) berufen, der diese Aufgaben übernimmt. Da Trungpas Söhne noch zu jung waren, fiel die Wahl auf einen seiner engsten Schüler, dem er diese Aufgabe zutraute. Für den westlichen Kontext hielt er es für angemessen, einen westlichen Schüler als Linienhalter und Dharma-Erben einzusetzen und entsprechend auszubilden (vgl. Trungpa 2003a: 274 f; Mukpo/ Gimian 2006: 220). Mitte der 1970er Jahre hatte Trungpas Gemeinschaft bereits eine große Anzahl von Schülern um sich gesammelt und in verschiedenen Teilen von Nordamerika Zentren etabliert (vgl. Eldershaw 2007: 77 f). Die Phase der fortschreitenden Institutionalisierung des Netzwerks von Organisationen und die zunehmende Formalisierung innerhalb der Gemeinschaft wurden begleitet von einer stärkeren Betonung des »Wirkens in der Welt«. In die Mitte der 1970er Jahre fiel die Gründung verschiedener Unternehmen, die sowohl von Schülern als auch von Trungpa selbst unterstützt und geführt wurden: 1974 wurde die Nalanda Foundation als gemeinnützige Organisation gegründet, die Programme im Bereich Bildung, Psychologie und Kunst unterstützen sollte, sowie das bereits erwähnte Naropa Institute als Bildungseinrichtung. Im Jahr 1976 wurde in Boulder eine buddhistische Bank, die Ashoka Credit Union, zur Unterstützung und Finanzierung der vielfältigen Tätigkeiten und Organisationen der Gemeinschaft und ihrer Mitglieder ins Leben gerufen, bei der Trungpa als Präsident fungierte. Im gleichen Jahr ging aus einer informellen Initiative von Schülern zur Betreuung ihrer Kinder die Alaya Preschool hervor. Die Betonung eines aktiven Lebens und Wirkens in der Welt und die Mitgestaltung der Gesellschaft statt einer Abwendung von der Welt nahm in den folgenden Jahren einen zunehmend größeren Raum in den von Trungpa vermittelten Lehren und Praktiken ein. Die weltzugewandte Haltung führte dazu, dass die Schüler er-

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folgreich eigene Unternehmen und Geschäfte gründeten und ein Teil der Mitglieder der Gemeinschaft zur wohlhabenden Mittelschicht aufstiegen (vgl. Khalsa 1986). So gelangte auch die Gemeinschaft als solche und die Führungsriege – allen voran Chögyam Trungpa und seine Familie – zu einem Wohlstand, der ihnen einen exklusiven Lebensstil ermöglichte (vgl. Mukpo/Gimian 2006; Hayward 2008). Trungpa hatte aus gesellschaftlichen Aussteigern und Avantgardisten erfolgreiche mittelständische Bürger gemacht: Trungpa’s first American students included large numbers of counterculture dropouts, refugees of the collapsing New Left, student mystics, amateur yogis in rebellion against the materialism of their parents, and hippies who liked the idea of gathering in a remote rural farmhouse to grow vegetables and be weird. By the time I met these students, Trungpa had changed them into ordinary citizens wearing suits and ties, or dresses. They drank, smoked cigarettes and ate meat. (Butterfield 1994: 38)

Skandal und Krise: Die »Snowmass-Affaire« In den Zeitraum der zunehmenden Institutionalisierung und Etablierung der von Trungpa begründeten Organisationen und Netzwerke fällt die sog. »Snowmass-Affaire«, die in der öffentlichen Wahrnehmung ein kritisches Licht auf die Gemeinschaft um Trungpa warf. Während des Vajradhatu Seminary im Herbst 1975 in Snowmass, Colorado, kam es zu einem Zwischenfall. Der Dichter und Pulitzer-Preisträger William Stanley Merwin und seine damalige Lebensgefährtin Dana Naone waren Teilnehmer am dreimonatigen Seminar. Merwin, der Pazifist und aktiver Gegner des Vietnamkrieges war, sei bereits aufgefallen, so wird berichtet, weil er über die blutrünstigen tantrischen Darstellungen entrüstet gewesen sei, die während des Seminars Verwendung fanden (vgl. Melton 1986: 204; Lewis 1998: 518). Zudem sollen Merwin und seine Begleitung unter sich geblieben sein, was ebenfalls auf Missbilligung in der Gemeinschaft der anderen Seminary-Teilnehmer gestoßen sei (vgl. Marin 1979: 51 f). An einem späteren Abend veranstaltete Trungpa eine Halloween-Party, die wahrscheinlich wie viele andere dieser Partys auch mit exzessivem Alkoholkonsum einherging. Trungpa forderte seine Schüler auf, alle ihre Masken und Kleidung abzulegen und nackt weiter zu feiern, statt sich hinter Masken und Verkleidungen zu verstecken. Der Poet und seine Freundin hatten die Party frühzeitig verlassen und als ihre Abwesenheit auffiel, beauftragte Trungpa seine Schüler, beide zurückzuholen. Gegen ihren Widerstand wurden sie aus ihrem Zimmer geholt und nach unten geführt, wo sie von Trungpa aufgefordert wurden, sich ebenfalls zu entkleiden. Merwin sei dieser Aufforderung nachgekommen, doch

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seine Gefährtin habe sich geweigert und verlangt, dass man die Polizei rufe. Gegen ihren Willen wurde sie durch die anderen Anwesenden gewaltsam ihrer Kleider entledigt. Ein Schüler, der ihnen zu Hilfe eilte und versuchte, dem Treiben Einhalt zu gebieten, sei von Trungpa daraufhin geschlagen worden (vgl. Marin 1979: 51 f; Urban 2000: 284 f; Eldershaw 2004: 215ff). Der Vorfall wurde von Trungpa und seinen Schülern anschließend als Lehr- und Lernsituation interpretiert. Am Tag nach der Party ließ Trungpa einen offenen Brief aushängen, der jedoch keine Entschuldigung, sondern eine legitimierende Erklärung für sein Verhalten enthielt, das er als Teil seiner Lehren erklärte. Als weitere Lehre für seine Schüler fügte er hinzu: »You must offer your neurosis as a feast to celebrate your entrance into the Vajra teachings« (zitiert nach Marin 1979: 52). In einem Gespräch habe Trungpa dem Dichter und seiner Gefährtin versichert, dass sich der Vorfall nicht wiederholen werde. Beide spielten mit dem Gedanken, das Seminar vorzeitig zu verlassen, sie entschieden sich jedoch zu bleiben, da Merwin nicht die Einweihung in die tantrischen Lehren verpassen wollte (vgl. Marin 1979: 52). Der Vorfall gelangte erst einige Jahre später an die Öffentlichkeit, ist jedoch weithin publik gemacht worden: 1979 erschien ein kritischer Artikel von Peter Marin mit dem Titel »Spiritual Obedience« in der Februarausgabe des Harper’s Magazine und die Märzausgabe des Boulder Monthly befasste sich ebenfalls ausführlich mit der Snowmass-Affaire. Bereits 1977 hatte Ed Sanders, Lehrer am Naropa Institute, zusammen mit einer Gruppe von Studenten im Rahmen des Kurses »Investigative Poetry« den Vorfall von 1975 recherchiert und die Ergebnisse in dem Bericht The Party : A Chronological Perspective on a Confrontation at a Buddhist Seminary dargelegt, der jedoch – wie auch die anderen Artikel – erst 1979 anlässlich des Massenselbstmordes einer religiösen Kommune in Jonestown publiziert wurde.91 Die 1970er Jahre waren neben alternativreligiösen Ausläufern der Counterculture auch durch den aktiven Widerstand des sog. Anti Cult Movements geprägt, den »cult wars« (Melton 1986: vii) gegen neue, alternativ-religiöse Gemeinschaften, die als Gefahr für die amerikanische Gesellschaft wahrgenommen wurden (vgl. Melton 1986: 228ff).92 In der öffentlichen Wahrnehmung sah man die Gefahr, die man neuen religiösen Gruppen zuschrieb, durch den Massenselbstmord von über 900 Mitgliedern des Peoples Temple bestätigt. Der Peoples Temple war eine Gemeinschaft unter Führung von Jim Jones, deren Mitglieder mit ihm von den USA nach Jonestown in Guyana, 91 Ein erster Abdruck erfolgte in dem bereits erwähnten Boulder Monthly im März 1979. 92 Der Begriff cult trägt im amerikanischen Kontext eindeutig negative Konnotationen, auch wenn er verschiedentlich als neutrale, deskriptive Kategorie im religionswissenschaftlichen Kontext verwendet wird (vgl. Lewis 1998: 21 f). Gerade die negativen Zuschreibungen und Wertungen, die mit der Verwendung des Begriffs einhergehen, machen ihn als vermeintlich neutrales Beschreibungsinstrument für religionswissenschaftliches Arbeiten unbrauchbar.

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

Südamerika, ausgewandert waren, um dort eine alternative sozialistische Kommune zu begründen. Im November 1978 begingen die 900 Mitglieder der Kommune gemeinschaftlich Selbstmord (vgl. Chidester 2003). Die Vorfälle in Jonestown haben sich als unbegreifliche Katastrophe in das kulturelle Gedächtnis Amerikas eingeschrieben (vgl. Hall 2001). Der Artikel im Harper’s Magazine (1979) und das Buch zu den Ereignissen in Snowmass von Tom Clark (1980) erschienen nach diesem signifikanten Datum, als man sich in der amerikanischen Öffentlichkeit besorgt fragte, welche Gefahr durch Führer von Kulten und Sekten ausgehe, wenn deren Mitglieder diesen hörig seien. Auf den Vergleich Trungpas mit Jim Jones und der Vajradhatu-Gemeinschaft mit Jonestown in einem Interview zur Snowmass-Affaire reagierte Allen Ginsberg (der selbst bei dem Vorfall nicht anwesend war) ziemlich wütend und ergriff Partei für Trungpa (vgl. Falk 2009: 120): In the middle of that scene, to yell »call the police« – do you realize how vulgar that was? The Wisdom of the East was being unveiled, and she’s going, »call the police!« I mean, shit! Fuck that shit! Strip ’em naked, break down the door! Anything – symbolically. I mentioned privacy before – the entrance to Vajrayana is the abandonment of all privacy. And the entry onto the Bodhisattva path is totally – you’re saying, »I no longer have any privacy ever again.« (Ginsberg 1980: 60)

Allen Ginsbergs Verteidigung Trungpas schien eine typische Reaktion seiner Schüler auf den Vorfall zu sein, folgt man den Berichten zeitgenössischer Beobachter (vgl. Marin 1979; Clark 1980). In der Unfähigkeit des spirituellen Lehrers, einen Fehler als solchen anzuerkennen, und der Bereitschaft der Schüler, über einen solches Fehlverhalten hinwegzusehen bzw. es zu legitimieren, zeige sich die »spirituelle Hörigkeit«, die typisch sei für die Anhänger von Gurus (vgl. Marin 1979; Falk 2009). Infolge der Snowmass-Affaire spaltete sich die amerikanische Lyriker-Gemeinschaft entlang der Frage »für oder gegen Chögyam Trungpa« bzw. »für oder gegen die Jack Kerouac School of Disembodied Poetics« unter der Leitung von Allen Ginsberg und Anne Waldman am Naraopa Institute (vgl. Schumacher 1999: 522 – 551). Das Naropa Institute verlor dadurch zum Teil seine finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Förderprogrammen. Die Auseinandersetzungen sind von Tom Clark in seinem Buch The Great Naropa Poetry Wars (1980) als »Lyriker-Krieg« bezeichnet worden. War Ed Sanders noch um eine möglichst ausgewogene Darstellung der Vorfälle bemüht, so kann Tom Clarks Buch eindeutig als polemisches Statement gegen Chögyam Trungpa und die von ihm begründete Gemeinschaft sowie gegen Allen Ginsberg und das Naropa Institute gelesen werden. Auf dem Klappentext des Buches ist ein Kommentar des Poeten

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Vajracharya Chögyam Trungpa

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Kenneth Rexroth abgedruckt, der Trungpa mit Aleister Crowley vergleicht und proklamiert: »Ein Aleister Crowley war genug für das 20. Jahrhundert.«93 Hatte Trungpas unkonventionelles Verhalten, sein Konsum von Fleisch, Alkohol und Zigaretten bereits zu Kritik geführt – da sie als ungebührlich für einen buddhistischen Lehrer galten (vgl. Melton 1986: 203; Lewis 1998: 518) – so geriet nun nicht mehr ausschließlich Trungpa als buddhistischer Führer dieser Gemeinschaft, sondern die Gemeinschaft als solche in das Kreuzfeuer der Kritik, wie in der Verwendung des Begriffs »Kult« deutlich wird (vgl. Schumacher 1999: 539). Ein Auszug aus »To Avoid the Name, Shed the Disguise«, dem Leitartikel der Boulder Daily Camera vom 20. Januar 1979, zeigt die damalige ambivalente Wahrnehmung der Gemeinschaft um Trungpa: Some of Boulder’s Buddhist Community was stung this week with the news that Chögyam Trungpa, Rinpoche, was pointed to as an example of a »cult« leader, demanding total submission from his followers. That opinion appears in the February issue of Harper’s Magazine. […] The Vajradhatu community within our city has shown itself to be very active in business. Naropa Institute, under an educational foundation linked to Vajradhatu, has become a part of the fabric of our town. Interesting persons have come here and been available to the whole community because Naropa brought them here. Naropa’s ability to attract the interesting people is not equalled, pound for pound, in institutionalized education. […] Good works. The interaction with the community doesn’t sound like a cult. But there are things about Rinpoche and his Buddhist followers that do bring the word »cult« to mind. The use of guards to surround Rinpoche resembles the kind of thing a cult leader might do. […] A successful thug might need to stand behind guards. It shouldn’t be necessary for a guru. Arriving in a big limousine is almost as wasteful as it is egotistical. And there is the drinking. We all know about alcohol because we use so much of it. Rinpoche drinks to the point where it is obvious to the community. It has figured in several incidents. […] That Buddhism is not a cult is a valid point. But personally worship is. Ego on horseback is. Childishness is. To avoid being called a cult, it might help not to act like one. (zitiert nach Clark 1980: 47 f)

Die Snowmass-Affaire führte dazu, dass der Begriff Kult auch auf die von Trungpa begründete Vajradhatu-Gemeinschaft Anwendung fand und Trungpa in der öffentlichen Wahrnehmung mehr denn je die stereotype Figur des »notorischen Gurus« denn des »genuin buddhistischen Lehrers« repräsentierte:94

93 »One Aleister Crowley was enough for the Twentieth century« (zitiert nach Klappentext Clark 1980). 94 Dass die Gemeinschaft um Trungpa auch die folgenden Jahre in diesem Kontext gesehen

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

»He drinks, he smokes, he makes things even more confusing, which is not what Buddhists do. On the contrary, their aim is to let everyone reach peace and inner calm« (zitiert in Midal 2004: 156). In diesen Zeilen kommt eine Erwartungshaltung an einen buddhistischen Lehrer zum Ausdruck, die von westlichen, orientalisierenden Fantasien und Sehnsüchten geprägt ist. Das wahrgenommene Abweichen Trungpas vom westlichen Idealbild eines tibetisch-buddhistischen Lamas stellte für manche Zeitgenossen und Beobachter der alternativ-religiösen Szenerie der 1970er Jahre die Legitimität seiner Person als buddhistischer Spezialist und die von ihm vertretenen Lehren und Praktiken in Frage. Trungpa selbst berief sich auf die tantrische Tradition der indischen Maha¯siddhas (vgl. Gimian 2004b: xiv), die häufig durch unkonventionelle Methoden und die Transgression sozialer Normen und Verhaltensweisen als Ausdruck ihrer Erleuchtung charakterisiert wurden (vgl. Davidson 2002b: 169 – 340; 2005: 24 – 60). Im tibetischen Kontext hatte sich eine Kategorie religiöser Spezialisten herausgebildet, die als verrückte Heilige (Nyönpa oder Drubnyön) bezeichnet wurden und an die Tradition der Maha¯siddhas anknüpften (vgl. Ardussi/Epstein 1978). Populäre historische Beispiele für Nyönpa waren Tsangnyön Heruka (1452 – 1507) und Drugpa Künleg (1455 – 1529), die den klassischen Beschreibungen zufolge in Lumpen gekleidet waren, Alkohol tranken, Unzucht trieben, Diebstahl begingen, religiöse und politische Autoritäten beleidigten und ihnen Streiche spielten sowie ein obszönes und vulgäres Vokabular benutzten (vgl. Ardussi/Epstein 1978). Trungpa berief sich auf den Tantriker Padmasambhava sowie auf Marpa und Milarepa aus der Linie der Kagyüpa, die als Maha¯siddhas angesehen werden. Er übersetzte den Ansatz der verrückten Heiligen, der darin bestand sich, jenseits der sozial vorgegebenen Grenzen konventionellen Verhaltens zu bewegen und so zu handeln, wie es die jeweilige Situation und nicht die Konvention erfordere, als »verrücktes Wissen« (crazy wisdom, tib. yeshe chölwa).95 Er schuf damit eine alternative Lesart des tibetischen religiösen Spezialisten, die den Aspekt der tantrischen, transgressiven Praxis betonte und den Aspekt der asketischen Lebensweise eines buddhistischen Lehrers, welcher dem westlichen Ideal zu entsprechen schien, ausblendete. In diesem Sinne wurde auch der Vorfall in Snowmass von Trungpas Schülern als Lektion des tantrischen Lehrers interpretiert: He had an extraordinary talent for finding ways of getting messages through to his students, very gentle ways, very forceful ways, very sweet ways, very cutting ways. My sense of what happened that evening was that that was exactly what he was doing […] I wurde, zeigen Aussagen von Mitgliedern (vgl. Khalsa 1986: 242; Eldershaw/Dawson 1995: 42; Bell 1998: 73). 95 Siehe dazu auch die Publikation verschiedener Vorträge Trungpas zu Padmasambhava aus dem Jahr 1972 unter dem Titel Crazy Wisdom (Trungpa 2004b). Zu den verrückten Heiligen siehe außerdem ausführlicher das vierte Kapitel.

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Vajracharya Chögyam Trungpa

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understood he was saying something beyond take your clothes off. You know, »Don’t hide out in your private world.« At the same time I had my own doubts, hesitation about what was going on, and it was very painful to go through. But when it was all over and they had gone back to their room, unscathed other than having had their clothes taken off, I found myself just crying away, tears streaming down my face and Rinpoche calls me over and said, »What’s the matter?« And I said, »Nothing, I’m just so moved by what you’re willing to do to teach us something.« That’s how I felt. That was my heart feeling. (zitiert nach Eldershaw 2004: 215)

Durch den Rückgriff auf die tibetische Tradition der Nyönpa gelang es Trungpa, seinen Lehransatz und sein Verhalten innerhalb einer tibetisch-buddhistischen Tradition zu verorten, auch wenn dieser Anspruch auf Authentizität von anderen Akteuren im gegenwartsreligiösen Feld Nordamerikas umstritten war.96

Zwischenbetrachtung Der Besuch des 16. Karmapas, des Oberhauptes der Karma Kagyü-Linie, kann in dreifacher Hinsicht als Zäsur in der frühen Geschichte und Entwicklung der Vajradhatu-Gemeinschaft und dem Wirken Chögyam Trungpas in Nordamerika gesehen werden. Zum einen begann mit dem Besuch eine neue Formalisierung der Gemeinschaft im Umgang miteinander. Sichtbar wird die zunehmende Formalisierung in der Verwendung von Titeln (Vajracharya und Rinpoche statt »Rimp« für Trungpa; Vajra Regent bzw. Regent für Thomas Rich), in der formellen Kleidung (Anzüge und Kostüme), die zunehmend zu offiziellen Anlässen getragen wurde, der Gründung der Dorje Kasung, die für Ordnung und Sicherheit innerhalb der Gemeinschaft Sorge trugen. Diese zunehmende Formalisierung einer ehemals aus Hippies und Vertretern der Counterculture bestehenden Gemeinschaft zeigt sich zudem in der Veranstaltung eleganter Abendessen durch Trungpa und seinen engsten Schülerkreis, die perfekte Tischmanieren und einen ganzen Stab an entsprechend instruiertem Dienstpersonal erforderten, die wiederum aus dem Kreis der Schüler rekrutiert wurden. Zum Zweiten zeigte der Besuch des 16. Karmapas, dass Trungpas Status als tibetisch-buddhistischer Tülku innerhalb eines bedeutenden Bereiches des religiösen Feldes der tibetisch-buddhistischen Exilgemeinschaft trotz seiner unkonventionellen Lebensumstände für einen tibetischen Tülku nach wie vor 96 Von dem Bestreben der Gemeinschaft und der Mitglieder in der öffentlichen Wahrnehmung als etablierte religiöse Gemeinschaft und nicht als Kult gesehen zu werden, berichten Khalsa (1986) und Bell (1998) in ihren Studien.

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anerkannt war.97 Die Erklärung des Karmapas anlässlich der Schreinraumeinweihung in Karma Dzong, Boulder, bestätigte und befürwortete darüber hinaus Trungpas Wirken als tibetisch-buddhistischer Lehrer in den USA, der erstmalig Vajraya¯na-Praktiken an westliche Schüler vermittelte. Die Verleihung des Titels Vajracharya kann gleichermaßen als Bestätigung für die bereits geleistete Arbeit gesehen werden sowie als Aufforderung, diese weiter fortzuführen. Der Besuch bedeutete eine ideelle und materiell sichtbare Rückbindung an die tibetischbuddhistische Herkunftstradition, wodurch Trungpas Identität und Autorität als buddhistischer Lehrer legitimiert wurde, dessen Aufgabe darin gesehen wurde, die buddhistischen Lehren weiterzugeben. In den folgenden Jahren wurde seine Arbeit durch weitere Besuche hochrangiger Lehrer der Kagyü- und der Nyingma-Linie anerkannt, wodurch Trungpas symbolisches Kapital weiter gestärkt wurde. Schließlich bedeutete der Besuch des Karmapas auch die sichtbare Etablierung des Vajraya¯na-Buddhismus in Nordamerika. Trungpa hatte kurz zuvor die erste tantrische Praxisgruppe unter seinen Schülern ins Leben gerufen. Mit dem Besuch des Oberhaupts der Karma Kagyüpa erlebten die meisten amerikanischen Schüler Trungpas erstmalig das offizielle tibetische Zeremoniell, das mit dem Empfang und der Beherbergung eines hohen tibetischen Lehrers verbunden war. Gleichzeitig bot dieses Ereignis die Möglichkeit, sich zu einer größeren, d. h. über den nordamerikanischen Kontext hinausgehenden und alten, etablierten Tradition des tibetischen Buddhismus zugehörig zu empfinden. Die Rituale und Segnungen des Karmapas, einschließlich der »Schwarzen-KroneZeremonie«, brachten die rituelle und ästhetische Seite des Vajraya¯na-Buddhismus nach Amerika, die fortan neben Trungpas Dharma-Vorträgen und Seminaren sowie der Sitz- und Gehmeditation (im japanischen Zen-Stil) zum Praxisrepertoire der Gemeinschaft gehörten. Die Verknüpfung von tibetischbuddhistischen und Zen-buddhistischen Elementen kann einerseits als innovative Entwicklung, die durch transkulturelle Flüsse bedingt wurde, betrachtet werden. Andererseits kann die Zusammenführung von Elementen aus verschiedenen buddhistischen Kontexten als eine weitere symbolische Aufwertung der von Trungpa vermittelten Lehren und Praktiken gesehen werden, die durch den gleichzeitigen Rückgriff auf zwei bereits etablierte buddhistische Traditionen möglich wurde. Diese Phase der Etablierung des Vajraya¯na-Buddhismus durch Trungpa in Nordamerika Mitte der 1970er Jahre war gleichzeitig durch eine fortschreitende 97 Hier ist darauf hinzuweisen, dass die tibetische Exilgemeinschaft kein homogenes Gefüge darstellt. So war der 16. Karmapa mit seinem Sitz und Gefolge in Rumtek, Sikkim, relativ unabhängig von der tibetischen Exilgemeinschaft in Dharamsala und der Exilregierung unter der Führung des 14. Dalai Lamas.

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Dorje Dradul von Mukpo: Chögyam Trungpas Shambhala-Vision (ab 1976)

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Institutionalisierung und Ausdehnung der Organisation sowie durch eine neue Formalisierung der Umgangsformen innerhalb der Gemeinschaft gekennzeichnet. In dieser Phase wurde der Grundstein für das Wachstum und den Wohlstand der Gemeinschaft gelegt,98 die zu einem der größten Netzwerke von Praxiszentren in der tibetisch-buddhistischen Tradition im westlichen Kontext avancierte (vgl. Dawson 2004: 209; Eldershaw 2007: 72). Trotz der Bestätigung und Autorisierung durch andere tibetische religiöse Experten wurde Trungpas Legitimität als buddhistischer Lehrer und die von ihm gelehrte Version des tibetischen Buddhismus in verschiedenen Bereichen des amerikanischen gegenwartsreligiösen Feldes in Frage gestellt. Diese Infragestellung war durch sein als kontrovers wahrgenommenes Verhalten und die Ereignisse in Snowmass im Oktober 1975 bedingt, welche ihn und die Gemeinschaft in einem kritischen Licht erscheinen ließen. Die medienvermittelte Kritik von außen kann als zusätzlicher Impuls verstanden werden, der zu einer langfristigen Transformation der Gemeinschaft führte. Die zunehmende Betonung eines Wirken in der Welt, welche die Mitglieder anhielt, ihren Beitrag für die Gesellschaft zu leisten und sich als vorbildliche Bürger durch geordnete Lebensverhältnisse hervorzutun, verstärkte sich in den folgenden Jahren und bot eine Möglichkeit, die vorgebrachten Vorwürfe zu entkräften. Gleichzeitig konnten die Mitglieder von Vajradhatu durch einen derart ausgerichteten Lebensstil die ökonomischen Ressourcen der Gemeinschaft und dadurch langfristig ihre Stellung in der nordamerikanischen Gesellschaft als legitime Institution im westlichen buddhistischen Feld stärken.

5.6

Dorje Dradul von Mukpo: Chögyam Trungpas Shambhala-Vision (ab 1976)

Im Herbst des Jahres 1976 erhielt Trungpa das erste Shambhala-Terma, das den Beginn eines komplett neuen Lehrzyklus darstellte und in den nächsten Jahren großen Raum in seinem Schaffen einnehmen sollte. Mit den Shambhala-Lehren, basierend auf den Shambhala-Schatztexten, und den mit ihnen verbundenen Praktiken begründete Trungpa einen neuartigen Weg der Vermittlung buddhistischer Lehren und Praktiken, der jedoch den religiösen Charakter und die ritualistische Seite des tibetischen Buddhismus hinter sich ließ und sich an den modernen, aktiv in der Welt lebenden Menschen richtete (vgl. Midal 2004: 238). Bei der Präsentation der Shambhala-Lehren verwendete Trungpa daher auch 98 Bereits in den 1980er Jahren gehörten viele Mitglieder der Gemeinschaft zu den einkommensstarken Bewohnern von Boulder, Colorado (vgl. Khalsa 1986; Kane 1994: 328; Bell 1998: 67).

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nicht seinen buddhistischen Titel Chögyam Trungpa, sondern den Namen Dorje Dradul von Mukpo.99 Dieser neuartige Vermittlungsweg, genannt Shambhala Training, beinhaltete ein spezifisches Set buddhistisch inspirierter Konzepte, Praktiken und Ästhetiken, die wiederum weitere kulturelle Einflüsse sowohl asiatischen als auch westlichen Ursprungs integrierten. Die Vorstellung einer erleuchteten Gesellschaft (enlightened society) – beeinflusst von dem zentralasiatischen Mythos eines geheimen Königreiches, genannt Shambhala, in dem Frieden, Glück und Wohlstand herrschen sollen – war von zentraler Bedeutung für diesen Weg. Shambhala Training wurde als ein Meditationsprogramm konzipiert, das in mehreren Stufen im Rahmen von Wochenendseminaren absolviert werden konnte. Dem Selbstverständnis nach richtete sich das Programm an jeden, unabhängig von der jeweiligen religiösen Zugehörigkeit des Teilnehmers. Den Hintergrund für diese Ausrichtung von Shambhala Training bildete Trungpas universalisiertes Verständnis von Meditation. Die Praxis der Meditation und die Körperhaltung während der Sitzpraxis sind Trungpa zufolge nicht an eine bestimmte Kultur oder Zeit gebunden: By meditation here we mean something very basic and simple that is no tied to any one culture. We are talking about a very basic act: sitting on the ground, assuming a good posture, and developing a sense of our spot, our place on this earth. […] You can see this pose in some Egyptian and South American sculptures, as well as in Oriental statues. It is a universal posture, not limited to one culture or time. (Trungpa 1988: 36, 39)

Meditation wird hier also nicht mehr als spezifisch buddhistische Praxis, sondern als eine allgemeine Methode verstanden. Diese sei nicht nur unabhängig von einem spezifischen kulturellen und historischen Kontext, sondern könne zudem von jedem erlernt und ausgeübt werden.100 Aufgrund des universalen Anspruchs wurde Shambhala Training als säkularer spiritueller Weg zur Erleuchtung verstanden, welcher sich vom buddhistischen Zugang unterscheidet und nicht auf eine spezifische Religion oder Kultur reduzierbar ist: The Shambhala teachings are founded on the premise that there is basic human wisdom that can help to solve the world’s problems. This wisdom does not belong to any one culture or religion, nor does it come only from the West or the East. (Trungpa 1988: 25) 99 Dorje Dradul von Mukpo wird übersetzt als »unzerstörbarer Krieger von Mukpo«. Mukpo war der Familienname Trungpas. Siehe dazu ausführlicher das sechste Kapitel. 100 Ein ähnlicher Prozess der Universalisierung (tibetisch-)buddhistischer Lehren und Praktiken lässt sich bei Sogyal Rinpoche im Kontext des Spiritual Care Program beobachten, wo diese als universelle spirituelle Prinzipien und Techniken vermittelt werden (Rakow 2008: 95ff).

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Dorje Dradul von Mukpo: Chögyam Trungpas Shambhala-Vision (ab 1976)

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In Trungpas Shambhala-Vision spielte die Figur des Shambhala-Kriegers, der durch die Praxis der Meditation seine Aggression überwindet und seine inhärente grundlegende Gutheit (basic goodness) und die Heiligkeit der Welt (sacredness of the world) entdeckt, eine zentrale Rolle. Der Shambhala-Krieger lebt sein Leben aktiv in der Welt, nicht abgewandt von ihr. Er setzt die ShambhalaLehren in den Situationen des Alltagslebens um mit dem Ziel, auf die Verwirklichung einer erleuchteten Gesellschaft hinzuarbeiten. Noch im Jahr 1976 etablierte Trungpa die Bezeichnung Kalapa Court für seinen Wohnsitz in Boulder, Colorado, wo er und die Familie des Regenten wohnten. Kalapa ist der Name der Hauptstadt des Königreiches von Shambhala. Der Kalapa Court bildete fortan das organisatorische und religiöse Zentrum der gesamten Vajradhatu-Gemeinschaft und der »Shambhala-Welt« (vgl. Mukpo/ Gimian 2006: 353). In den folgenden Monaten und Jahren erhielt Trungpa weitere Shambhala-Terma und entwickelte ein ganzes Set an Texten, Kommentaren, Praktiken, Hymnen, Flaggen, Titeln und Positionen, die seine Shambhala-Vision eines erleuchteten Königreiches, das es im Hier und Jetzt zu verwirklichen galt, zum Ausdruck brachten. Eine detaillierte Untersuchung der Genese und Struktur dieses neuen Praxisfeldes in Trungpas Wirken erfolgt im nächsten Kapitel. Die wichtigsten Ereignisse dieser Zeit sollen im Folgenden daher nur kursorisch dargestellt werden. Nachdem Trungpa den Varja Regenten Ösel Tendzin eingesetzt hatte, begab er sich 1977 für ein Jahr ins Retreat in Charlemont, Massachusetts, und zog sich damit vorübergehend von allen administrativen und lehrenden Aufgaben in der Gemeinschaft zurück. Begleitet wurde er dabei von einigen Schülern, die für ihn sorgten und mit ihm zusammen in einem Haus in Charlemont lebten. In dieser Zeit entwickelte Trungpa viele der für den Shambhala-Pfad typischen Designs für Flaggen, Anstecknadeln und Orden, schrieb die Shambhala-Hymne und entwickelte eine Court Vision für den Kalapa Court, in der Verhaltensvorschriften und Rollenbeschreibungen der verschiedenen Mitglieder und Positionen am Hof beschrieben wurden (vgl. Hayward 2008: 163 f). Während des Sommers reiste er erstmalig nach Nova Scotia an die Ostküste Kanadas. Dieser Ort sollte später die neue Heimat des Kalapa Courts und das administrative und spirituelle Zentrum von Vajradhatu werden. Im Jahr 1978 etablierte Trungpa zwei neue Programme, die fortan jährlich durchgeführt wurden: zum einen das Dorje Kasung Encampment, ein Zeltlager und Outdoor-Trainingsprogramm für die Dorje Kasung und zum anderen das Kalapa Assembly, ein Seminar für fortgeschrittene Schüler der ShambhalaLehren, auf dem die höchsten Shambhala-Lehren und Praktiken vermittelt wurden und auch heute noch vermittelt werden. Im Februar 1979 wurde Ösel Rangdröl Mukpo, der erste Sohn Trungpas, als

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

Sawang (Erdherr)101 zeremoniell eingesetzt. Der Sawang gilt als Thronfolger des Sakyongs (Erdbeschützer), der Verkörperung des Rigden-Königs102 von Shambhala auf der Erde (vgl. Hayward 2008: 191). Trungpa sah sich selbst seit einiger Zeit als Sakyong und seine Frau als Sakyong Wangmo (Gemahlin des Sakyongs) und nutzte diesen Titel für sich. Seinem Selbstverständnis nach war er nicht nur Vajracharya, der mit der Aufgabe betraut war, die Lehren des Vajraya¯na-Buddhismus im Westen zu verbreiten, sondern auch Sakyong, dessen Aufgabe darin bestand, die Shambhala-Lehren zu etablieren (vgl. Hayward 2008: 164). Der Sawang hatte damit gewissermaßen die Position eines Kronprinzen von Shambhala inne und wurde durch diese Zeremonie als zukünftiger Sakyong und König von Shambhala inthronisiert. Durch diesen Schritt wollte Trungpa eine Familienlinie oder Erblinie zur Weitergabe der Shambhala-Lehren begründen, die zusätzlich zur buddhistischen Linie, in der er stand, existierte (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 318). Trungpa war somit der erste Sakyong in dieser Linie und sein ältester Sohn sollte ihm als zweiter Sakyong nachfolgen. Heute spricht man zur Differenzierung zwischen diesen beiden Sakyongs auch von Trungpa als dem Druk Sakyong (Drachen Erbbeschützer). Als Dharma-Erben seiner buddhistischen Linie hatte Trungpa 1976 den Vajra Regenten Ösel Tendzin eingesetzt. Die offizielle Einsetzung von Trungpas Sohn als Sawang und Erbe der Shambhala-Lehren ereignete sich zwei Monate nach einer ernsthaften Krise mit dem Vajra Regenten, dessen selbstgerechte Attitüde in der Gemeinschaft beklagt wurde. Die Krise ist in der Gemeinschaft als »Big NO affair« (Mukpo/Gimian 2006: 319) bekannt geworden, nachdem Trungpa nachdrücklich mit einem lauten »No!« versuchte hatte, dem Vajra Regenten Einhalt zu gebieten. Trungpa hatte außerdem eine Kalligraphie mit einem großen NO für den Varja Regenten als Ermahnung angefertigt.103 Diese Episode wurde von Trungpa später in eine Lektion über Anstand und Respekt verwandelt, die er im Rahmen des Shambhala Trainings lehrte (vgl. Trungpa 2001: 136 – 146). Die Einsetzung des Sawang kann demnach als zusätzliche Absicherung der Zukunft der Gemeinschaft durch Trungpa verstanden werden. Dieser hatte in Bezug auf andere bekannte Lehrer der alternativ-religiösen Szenerie, wie z. B. Gurdjieff, angemerkt, dass sie nicht rechtzeitig für die Zukunft vorgesorgt hätten, da sie keinen Nachfolger bestimmt hätten (vgl. Hayward 2008: 64). Durch 101 Der tibetische Begriff Sawang (sa dbang) lässt sich als König, Herrscher, Regent übersetzen. Innerhalb des Shambhala-buddhistischen Kontextes wird Sawang mit Erdherr (earth lord) übersetzt. 102 Rigden (rigs ldan) ist die Bezeichnung für die Könige Shambhalas, die in den tibetischen Quellen, vor allem zum Ka¯lacakra Tantra, genannt werden. 103 Eine ausführliche Schilderung der Vorfälle aus der Sicht von Trungpas Ehefrau findet sich in ihrer Autobiographie, einschließlich eines von der Situation inspirierten Gedichtes und einer Abbildung der Kalligraphie von Trungpa (Mukpo/Gimian 2006: 309 – 316).

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Dorje Dradul von Mukpo: Chögyam Trungpas Shambhala-Vision (ab 1976)

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die Einführung der Position des Sawang und die offizielle Einsetzung seines ältesten Sohnes als solchen hatte Trungpa nun zwei Erben: einen buddhistischen Dharma-Erben und einen Shambhala-Erben (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 319; Hayward 2008: 204). Im Mai 1982 führte Dilgo Khyentse bei einem weiteren Besuch der Vajradhatu-Gemeinschaft die offizielle Inthronisierung von Trungpa als Sakyong und seiner Frau als Sakyong Wangmo durch. Die Zeremonie trug den Titel »The Blazing Jewel of Sovereignty« und ist innerhalb der Gemeinschaft als »Sakyong abhisheka« bekannt.104 Die Zeremonie basiert auf einem der Texte aus dem Zyklus des Rinchen Terdzö, der von dem Rime-Meister Jamgön Kongtru¨ l Lodrö Taye im 19. Jh. zusammengestellt wurde und zu dem Trungpa in jungen Jahren eine Ermächtigung erhalten hatte. Der betreffende Schatztext, der Tertön Rigzin Gödem (1337 – 1408) zugeschrieben wird, behandelt Ritualanweisungen für die Inthronisierung eines Königs, der das Buddhadharma beschützt. Das dazugehörige Ritual werde normalerweise zur Inthronisierung von Dharma-Königen (skr. Dharmara¯ja; tib. Chögyel) durchgeführt und so soll Dilgo Khyentse die gleiche Zeremonie zur Einsetzung des Königs von Bhutan abgehalten haben (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 351). Neben der Inthronisierung Trungpas als Sakyong von Shambhala bestätigte Dilgo Khyentse bei diesem Besuch auch die Shambhala-Texte offiziell als Terma-Texte und ließ sich von Trungpa zum Studium dieser Terma ermächtigen (vgl. Hayward 2008: 281). Das Selbstverständnis Trungpas als Sakyong, d. h. als Verkörperung des Rigden-Königs in dieser Welt, und seiner Shambhala-Lehren als genuine Terma wurde somit durch einen anderen angesehenen tibetischen Tülku und Tertön offiziell bestätigt und anerkannt.

Zwischenbetrachtung Die Entwicklung und Propagierung der Shambhala-Lehren stellte einen weiteren Wendepunkt in Chögyam Trungpas Wirken als tibetisch-buddhistischer Lehrer in Nordamerika und der Entwicklung der von ihm begründeten Gemeinschaft dar. In den folgenden Jahren bis zu seinem Tod hat Trungpa der Umsetzung der Shambhala-Vision, d. h. der Realisierung einer erleuchteten Gesellschaft im Hier und Jetzt, großen Raum in seinem Schaffen eingeräumt. Wie bereits für die Sicherung der zukünftigen Weitergabe der buddhistischen Lehren und Praktiken geschehen, schuf Trungpa eigenständige Programme und Institutionen, welche auch die Weitergabe der Shambhala-Lehren für die Zukunft sichern 104 Der Titel des Textes mnga’ dbang rin chen ’bar ba wird hier als »Blazing Jewel of Souvereignity« übersetzt.

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sollten (Shambhala Training, Kalapa Assembly, die Rolle des Sawang als Shambhala-Erben). Seit seiner Ankunft in der westlichen Welt suchte Trungpa eigenen Aussagen zufolge nach einem geeigneten Weg, sein buddhistisches Erbe an westliche Schüler zu vermitteln. Als Hindernis für einen erfolgreichen Vermittlungsprozess betrachtete er die Geisteshaltung des sog. spirituellen Materialismus, die seiner Ansicht nach durch die exotische Seite tibetisch-buddhistischer Praxis verstärkt werden könne. Mit einem weitgehenden Verzicht auf die religiösen und rituellen Komponenten des tibetischen Buddhismus schuf Trungpa mit Shambhala Training ein geeignetes Mittel, sein buddhistisches Erbe in eine neue Form zu gießen, um dieses nach seinem Verständnis angemessen im modernen, westlichen Kontext zu etablieren. In der Entwicklung der Shambhala-Lehren und der dazugehörigen Praktiken lässt sich eine Herauslösung von Konzepten (z. B. Heiligkeit) und Praktiken (z. B. Meditation) aus einem konkreten religiösen Kontext beobachten. Heiligkeit (sacredness) und Spiritualität wurden von Trungpa nicht als spezifisch religiös verstanden und bedurften daher nicht der eindeutigen Anbindung an eine religiöse Tradition. Dieses Deutungsmuster ist charakteristisch für das Verständnis von Spiritualität, das sich seit der Nachkriegszeit herausgebildet hat und in den 1960/70er Jahren popularisiert wurde.105 Dabei hat der Begriff Spiritualität einen Prozess der Psychologisierung durchlaufen, in dessen Folge Spiritualität in das innere Erleben des individuellen Selbst verlagert wurde.106 Im Gebrauch des Begriffs Spiritualität zeigt sich seitdem ein zunehmendes Verständnis als nicht-religiös. Das Attribut religiös wird dabei mit institutionell verfasster Religion verknüpft, während das Adjektiv spirituell eine persönliche Erfahrung des Heiligen oder Mystischen im Inneren des individuellen Selbst, unabhängig von einer spezifischen Religion, bezeichnet. Richard King spricht daher auch von einer »Privatisierung ›des Mystischen‹« (King 2007: 320).107 Durch die Re-Formulierung und Re-Konzeptionalisierung vormals als religiös verstandener Vorstellungen und Praktiken in psychologischen Termini werden diese aus einem spezifischen 105 Zu den historischen Vorläufern und Bedingungen dieses Umdeutungsprozesses siehe Carrette und King (2005). Zur Geschichte des Begriffs Spiritualität siehe Principe (1983) und Bochinger (2000). 106 Ein gutes Beispiel dafür sind die Schriften von Baba Ram Dass (Richard Alpert), der in der alternativ-religiösen Szenerie der Counterculture populär war und auch am ersten NaropaSommerprogramm mitwirkte. Ram Dass betrachtete beispielsweise die Meditation als beste Methode, sich dem »inneren Selbst« (Dass 1978: 5) zu nähern. 107 Die Begriffe Mystik und Spiritualität haben beide einen Prozess der Psychologisierung durchlaufen und durch den Rekurs auf individuelle, innere Erfahrung überlappen sich Spiritualitätsdiskurs und Mystikdiskurs zeitweilig. Der Begriff Mystik bleibt jedoch weiterhin assoziiert mit religiösen Traditionen, während der Begriff Spiritualität diese verliert (vgl. Carrette/King 2005: 43; King 2007).

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Dorje Dradul von Mukpo: Chögyam Trungpas Shambhala-Vision (ab 1976)

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religiösen Kontext herausgelöst (vgl. Roof 1999: 109). Diesen Prozess beschreiben Carrette und King als De-Traditionalisierung und De-Mythologisierung von Vorstellungen und Praktiken, die vorher einer spezifischen religiösen Tradition zugerechnet wurden (vgl. Carrette/King 2005: 43). Als Folge wird Spiritualität zunehmend eher als säkulares denn als religiöses Phänomen verstanden.108 Vor diesem Hintergrund konnte Trungpa seine Idee von Shambhala Training als einem säkularen, spirituellen Pfad der Erleuchtung formulieren, in dem Praktiken und Konzepte aus verschiedenen kulturellen Feldern zusammenfließen. Hier wird der Einfluss des modernen Spiritualitätsdiskurses auf die Genese der von Trungpa vertretenen Lehren sichtbar. Mit verschiedenen Elementen dieses Diskurses war Trungpa sowohl durch seine Involvierung in die amerikanische Counterculture und speziell das zeitgenössische alternativ-religiöse Spektrum (z. B. Esalen Institute, Human Potential Movement, Sommerprogramme am Naropa Institute), wie auch durch seine religionswissenschaftlichen und philosophischen Studien in Oxford (z. B. zu religiöser Erfahrung und Mystik) vertraut geworden. Der moderne Spiritualitätsdiskurs ermöglichte durch seine Popularisierung und breite Streuung (vor allem im alternativ-religiösen und gegenkulturellen Kontext der damaligen Zeit) gleichzeitig eine Akzeptanz und breite Rezeption der so formulierten Lehren und damit verknüpften Praktiken bei den betreffenden Akteuren. Die Shambhala-Lehren können als Brückenschlag zwischen verschiedenen Traditionen und Einflüssen betrachtet werden. Im Sinne einer Hybridbildung, bedingt durch verschiedene transkulturelle Flüsse, verband Trungpa im Shambhala Training-Programm auf kreative Weise Wissensbestände und Deutungsmuster, die aus dem westlichen, alternativ-religiösen Kontext stammten, mit transformierten, adaptierten Konzepten und Praktiken aus dem asiatischen Kontext. Trungpa war durch seine Sozialisation und Ausbildung als religiöser Experte im Umfeld der Rime-Bewegung in Osttibet und durch sein Exil-Leben in verschiedenen kulturellen Kontexten zudem mit den entsprechenden Dispositionen ausgestattet, die ihm einen kreativen Umgang mit verschiedenen Ansätzen, Vorstellungen und Praktiken sowie den Freiraum für Aktualisierungen und Neusynthetisierungen ermöglichten. Gleichzeitig bot dieser transkulturelle Hintergrund und sein Status als tibetisch-buddhistischer Lehrer – im Sinne eines spezifischen symbolischen Kapitals, welches ihm auch im westlichen buddhistischen Feld per Anerkennung durch Akteure mit einer dominanten Position im Feld versah – eine Ressource, seine Adaptionen und Innovationen zu legitimieren. 108 Dieses Verständnis wird z. B. deutlich in Abraham Maslows humanistischer Psychologie, die von großem Einfluss auf die alternativ-religiöse Szene der 1960/70er Jahre war (vgl. Carrette/King 2005: 75ff).

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

Die Kunst des Alltags: Chögyam Trungpas Dharma Art (ab 1974)

Trungpa hatte sich bereits in England und in den ersten Jahren in Nordamerika für Kunst interessiert. In England hatte er, wie bereits erwähnt, eine moderne Variante des japanischen Blumensteckens erlernt und neben dem Verfassen von Gedichten und Theaterstücken praktizierte Trungpa Kalligraphie nach japanischem Vorbild (mit japanischen Pinseln und Sumi-Tinte), wie er es bei verschiedenen Zen-Lehrern in den USA erlebt hatte.109 Trungpa fertigte Kalligraphien als Geschenke für seine Schüler zum Geburtstag, zur Hochzeit oder anlässlich ihrer buddhistischen Gelübde an. Viele seiner Kalligraphien dienten als Dekorationen in den zahlreichen Meditations- und Retreatzentren der Gemeinschaft. Die meisten Kalligraphien zeigen Buchstaben und Begriffe in Tibetisch oder Sanskrit, einige Kalligraphien enthalten Kanji110 – insbesondere dann, wenn Trungpa zentrale Begriffe und Konzepte der Shambhala-Lehren darstellte. Außerdem fertigte Trungpa einige wenige kalligraphische Darstellungen englischer Begriffe an (vgl. Gimian 2004c: lxvii – lxviii). Auch in seinen Kalligraphien wird also die für Trungpa typische Fusion verschiedener kultureller Einflüsse deutlich. Im Jahr 1974 erwarben mehrere Schüler Trungpas in Kalifornien ein Grundstück, das sie zu einem Retreatzentrum und einer Wohn- und Arbeitsgemeinschaft für Künstler ausbauten. Das Zentrum wurde von Trungpa auf den Namen Padma Jong getauft. Dort führte er 1974 und 1975 Seminare durch, bei denen er seine Überlegungen zur Kunst und die Praxis der Sitzmeditation zusammenbrachte.111 Trungpa unterschied dabei zwischen zwei Formen von Kunst. Zum einen handelte es sich dabei um Kunst, die geschaffen wird, um gezeigt und ausgestellt zu werden. Diese nannte er »beabsichtigte Kunst«.112 Davon unterschied er zum anderen die »Kunst der meditativen Erfahrung«.113 Diese bezeichnete er als genuine Kunst, da sie nicht zum Zwecke der Präsentation oder Ausstellung geschaffen wurde. Letztere sah er als einen Wachstums-

109 Dazu zählten u. a. Shunryu Suzuki, Kobun Chino und Taizan Maezumi (vgl. Gimian 2004c: lxvii – lxviii). Zahlreiche Abbildungen der Kalligraphien sind in dem Band The Art of Calligraphy : Joining Heaven & Earth von Chögyam Trungpa, editiert von Judith L. Lief (1994), erschienen in Boston bei Shambhala Publications, enthalten. 110 Kanji ist die Bezeichnung für chinesische Schriftzeichen, die in der japanischen Schrift verwendet werden. 111 Das Programm 1974 trug den Titel »Art in Everyday Life« und das Seminar 1975 hieß »The Dance of Enlightenment«. Auszüge der Vorträge Trungpas aus diesen Seminaren sind in dem Band Dharma Art (Trungpa 2004c) enthalten. 112 »[D]eliberate art« (Trungpa 2004c: 37). 113 »[A]rt of meditative experience« (Trungpa 2004c: 39).

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Die Kunst des Alltags: Chögyam Trungpas Dharma Art (ab 1974)

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prozess, bei dem man sein Leben und sein Umfeld mehr und mehr wertschätzen und die Einzigartigkeit der alltäglichen Erfahrung sehen lerne: Every moment we might be doing the same things – brushing our teeth every day, combing our hair every day, cooking our dinner every day. But that seeming repetitivenes [sic!] becomes unique every day. A kind of intimacy takes place with the daily habits that you go through and the art involved in it. That’s why it is called art in everyday life. (Trungpa 2004c: 39)

Trungpas Idee einer »Kunst des Alltags« bzw. »Kunst im Alltagsleben« betont die Integration von Achtsamkeit in den Alltag, wodurch man Wertschätzung für das Leben und den eigenen Alltag entwickeln könne. Auf dieser Basis könne schließlich die Haltung der Aggression überwunden werden, denn von einem »nicht-aggressiven Standpunkt aus gesehen, sei das Alltagsleben ein Kunstwerk.«114 Überlegungen zur Kunst im Alltag hatte Trungpa 1973/74 auf verschiedenen Vorträgen und Seminaren präsentiert.115 Diese Ansätze führte er im Kontext der Dharma Art-Seminare ab 1978 am Naropa Institute weiter. Den Begriff Dharma Art verwendete Trungpa 1974 erstmalig in einem Brief anlässlich des ersten Sommerprogramms am Naropa Institute, wo Kunst von Anfang an einen großen Raum eingenommen hatte: The term dharma art does not mean art depicting Buddhist symbols or ideas, such as the wheel of life or the story of Gautama Buddha. Rather, dharma art refers to art that springs from a certain state of mind on the part of the artist that could be called the meditative state. It is an attitude of directness and unself-consciousness in one’s creative work. (Trungpa 2004c: 13, Hervorhebung im Original)

Dharma Art bezeichnet für Trungpa also nicht buddhistische Kunst im Sinne einer Kunst, die buddhistische Motive und Konzepte vergegenständlicht, sondern eine Kunst, die durch eine bestimmte Geisteshaltung hervorgebracht wird, die er als »meditativ« charakterisiert. Die grundlegende Voraussetzung, um Kunst zu schaffen, ist Trungpa zufolge die Praxis der Sitzmeditation, in der diese Geisteshaltung kultiviert werde:

114 »[E]veryday life is a work of art if you see it from a point of view of nonaggression« (Trungpa 2004c: 42). Die Überwindung von Aggression hängt bei Trungpa unmittelbar mit der Wertschätzung des Lebens generell und des eigenen Lebens im Besonderen zusammen. Befinde man sich nicht in einer aggressiven Geisteshaltung, so fühle man sich reich und inspiriert. 115 Der Vortrag 1973 auf dem Vajradhatu Seminary sowie die Seminare 1974 in Padma Jong und in Karme Chöling trugen jeweils den Titel »Art in Everyday Life« (vgl. Trungpa 2004c).

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But what do we mean by the sitting practice of meditation? For instance, Beethoven, El Greco, or my most favourite person in music, Mozart – I think they all sat. They actually sat in a sense that their minds became blank before they did what they were doing. Otherwise, they couldn’t possibly do it. Just coming out of the market and plopping down at the dining-room table and writing a play – that’s impossible. Some kind of mind-less-ness in the Buddhist sense has to take place. (Trungpa 2004c: 32)

Wie schon bei Shambhala Training wird auch bei der Dharma Art die Praxis der Sitzmeditation aus ihrem explizit buddhistischen Kontext gelöst und, durch den Verweis auf bekannte abendländische Künstler, als eine universelle Technik dargestellt. Deutlicher wird die Negation eines konkreten Bezugs auf eine religiöse Tradition in den folgenden Worten Trungpas: Dharma is a Sanskrit word that means »basic norm.« It’s not a particularly religious term. Dharma is said to mean »that which creates harmony,« »that which makes things workable,« in other words what favours harmony and dignity. So we are not necessarily talking about religion. (Trungpa 2004d: 691, Hervorhebung im Original)

Eine ähnliche Position findet sich in Trungpas Verständnis von Heiligkeit (sacredness), das ebenfalls nicht an einen spezifisch religiösen Kontext geknüpft ist. Jedem guten Kunstwerk sei eine Idee von Heiligkeit inhärent. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass ein Kunstwerk heilig sei, weil es von einem Künstler geschaffen wurde, der Ideen einer bestimmten religiösen Tradition, in der er stand, verwirklicht oder abgebildet habe. Heiligkeit sei die Entdeckung und Wertschätzung des grundlegend Guten im Leben und somit die Grundlage, auf der ein Künstler ein Kunstwerk schaffe, unabhängig von seinen eigenen spezifischen religiösen Überzeugungen (vgl. Trungpa 2004c: 142). Dieses Verständnis von Heiligkeit ist auch in Trungpas Shambhala-Lehren präsent (vgl. Trungpa 1988; 2001). Die konzeptuelle Nähe zwischen Shambhala-Lehren und Dharma Art zeigte sich auch bei der Durchführung der Dharma Art-Seminare. Hier verwendete Trungpa das gleiche Vokabular und dieselben Konzepte, die er zur Präsentation der Shambhala-Lehren nutzte, wodurch er auch hier weitgehend auf buddhistische Begriffe verzichtete (vgl. Midal 2004: 376ff). Die Verbindung von Dharma Art mit den Shambhala-Lehren beschränkt sich bei Trungpa jedoch nicht auf die Verwendung eines ähnlichen Vokabulars in der Beschreibung und Vermittlung dieser Ansätze. Für Trungpa stellte Dharma Art vielmehr ein Werkzeug mit außerordentlich transformativer Kraft dar, durch das Kultur und Gesellschaft verändert und so schließlich die Shambhala-Vision einer erleuchteten Gesellschaft realisiert werden könne (vgl. Trungpa 1994: 47):

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Dharma art is the principle way we are trying to create enlightened society, which is a society where there is no aggression, and where people could discover their innate basic goodness and enlightened existence, whether it is in a domestic or political or social situation. (Trungpa 2004a: 686)

In seinen Dharma Art-Seminaren nutzte Trungpa die japanisch inspirierte Kunst des Blumensteckens, das Arrangieren von Objekten und die Kalligraphie sowohl für die Präsentation seiner Ansätze als auch in Übungen mit seinen Schülern (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 346). Später komplettierte er die Seminare jeweils mit einer abschließenden Ausstellung. Die erste Ausstellung mit Blumenarrangements erfolgte im Denver Art Museum im Sommer 1979 (vgl. Midal 2004: 379; Hayward 2008: 242). In den folgenden Ausstellungen erweiterte er das Repertoire auf vollständige Rauminstallationen, die z. B. im September 1980 im Los Angeles Institute of Contemporary Art unter dem Titel »Discovering Elegance« und im Dezember 1981 im Visual Arts Center in Boulder unter dem Titel »Winter Beauty : An Environmental Installation« gezeigt wurden (vgl. Midal 2004: 381; Mukpo/Gimian 2006: 347). Die Installationen zeigten sechs Räume, die durch eine Kombination von asiatischen, westlichen und modernen Möbeln, Objekten und Blumenarrangements gestaltet waren. Dazu zählten eine Küche, ein Wohnzimmer, ein Studierzimmer, ein Meditationsraum (manchmal auch als Buddha room bezeichnet), das Kriegerzimmer (warrior room) und das Tenno¯116-Zimmer (auch room of the Emperor genannt). Im Kriegerzimmer waren antike japanische Waffen und die Rüstung eines Samurai117 ausgestellt. Das Tenno¯-Zimmer war mit Tatami118- Matten, japanischen Kalligraphien und Teeschalen gestaltet (vgl. Gimian 2004c: lxx – lxxi; Midal 2005a: 440). Das Durchschreiten der Räume sollte den idealtypischen Entwicklungsweg des Shambhala-Kriegers abbilden. Dieser Weg beginne im Küchen- und Wohnbereich, wo das Alltagsleben als Basis stattfinde, verlaufe dann über das philosophische und künstlerische Studium im Studierzimmer weiter fort in den Meditationsraum, wo der Krieger durch die Praxis der Meditation seine grundlegende Gutheit erkenne und die Heiligkeit der Welt entdecke. Im Kriegerzimmer begegne der werdende Krieger anderen Meisterkriegern, welche ihre Aggression durch Furchtlosigkeit und Mitgefühl bereits besiegt hätten. Schließlich gelange der Krieger in das 116 Tenno¯ ist ein japanischer Herrscher- und Adelstitel für den japanischen Kaiser. 117 Trungpa benutzt den Begriff Samurai und rezipiert somit eine moderne populäre Vorstellung der japanischen Krieger, die als bushi bezeichnet werden (vgl. Schwentker 2004; Bierwirth 2005). 118 Tatami sind japanische Reisstrohmatten, mit denen der Fußboden eines Raumes bedeckt wird.

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Tenno¯-Zimmer oder Zimmer des Kaisers, der als universeller Monarch für die Verwirklichung von Harmonie und Frieden stehe (vgl. Hayward 2008: 242 f).119 Durch die Gestaltung von Räumen, in denen sich das tägliche Leben abspielt, nahm Trungpas Idee der Kunst im Alltag eine konkrete Form an. Design sah Trungpa nicht als bloßes dekoratives Beiwerk, sondern als ein Hilfsmittel in der Vermittlung seiner Lehren an seine westlichen Schüler und als Unterstützung bei der Umsetzung und Realisierung dieser Lehren (vgl. Lief 2004: 8). Gina Etra Stick, die mit Trungpa in vielen Design-Projekten zusammengearbeitet hat, beschreibt sein Ziel wie folgt: The Goal of the Vidyadhara120 was not to create a perfect world. The goal was to create an environment that could accommodate and nurture the waking state of mind of the student warrior. The goal, as has been said, was the path: to include everything we usually discard as »not spiritual« into practice. Dharma art is an ongoing journey to recover our ability to see the extraordinary beauty and meaning within ordinary life. (zitiert nach Gimian 2004c: lxxix, Hervorhebung im Original).

In der Gestaltung der Ausstellung »Discovering Elegance« wird die Verknüpfung von Dharma Art und Shambhala-Lehren deutlich sichtbar, die für Trungpas Lehr- und Vermittlungsstil seit Ende der 1970er Jahre prägnant war. Für die Ausstellungen, die Trungpa unter der Mitwirkung zahlreicher Schüler realisierte, wurde kein Eintritt verlangt. Er betrachtete die Installationen vielmehr als Geschenk von Shambhala an die Besucher, die im Rahmen der Ausstellung die »Würde und Zuversicht des Königreichs von Shambhala«121 erfahren könnten.

Die Integration japanischer Kunstformen in Trungpas kontemplative Kunst 1980, im gleichen Jahr wie die erste große Rauminstallation in Los Angeles, lud Trungpa einen japanischen Meister des Bogenschießens nach Boulder ein. Kanjuro Shibata-Sensei wurde ihm von Kobun Chino-Roshi vom San Francisco Zen Center, einem Schüler Shunryu Suzukis, empfohlen. Shibata soll der 20. Generation einer Familie von Bogenmachern angehört haben, die im Dienst des japanischen Kaisers gestanden hatten (vgl. Midal 2004: 317; Hayward 2008: 236). Shibata klagte, so wird in den Darstellungen der Geschichte der Gemein119 Die hier verwendeten Begriffe und Konzepte wie Krieger (warrior), grundlegende Gutheit (basic goodness), die Heiligkeit der Welt (sacredness of the world/sacred world) und der universelle Monarch (universal monarch) entstammen den Shambhala-Lehren. Siehe dazu ausführlicher das sechste Kapitel. 120 Vidya¯dhara (skr. Besitzer des Wissens; tib. rig ’dzin) ist ein weiterer Titel, den Trungpa ab ca. 1985 verwendete (vgl. Midal 2004: 444 f). 121 »[E]xperience the dignity and confidence of the Kingdom of Shambhala« (Midal 2004: 381).

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schaft berichtet, dass in Japan niemand mehr Interesse an der Kunst des Bogenschießens habe und diese »zu einem bloßen Sport verkommen« sei und nicht mehr als eine der »höchsten spirituellen Disziplinen« betrachtet werde (vgl. Midal 2004: 317). In diesem Vorwurf Shibatas kommt eine modernistische und von orientalisierenden sowie selbstorientalisierenden Diskursen geprägte Sichtweise auf die japanische Form des Bogenschießens zum Ausdruck. Das Bogenschießen hatte sich in den mittelalterlichen Bürgerkriegen Japans zu einer elaborierten Kriegstechnik entwickelt und wurde in der Friedensperiode ab dem 17. Jh. in privaten Schulen unterrichtet. In diesem Kontext wandelten sich die verschiedenen Kampftechniken (Bogenschießen, Ringen, Schwertkampf) zu Kunstformen um, die als Unterhaltung und Zeitvertreib von den Angehörigen der Kriegerklasse ausgeübt wurden. Die Klasse der Krieger verlor jedoch im Zuge der Modernisierung Japans Ende des 19. Jh. ihre Privilegien und damit ihre ökonomische Basis sowie den zeitlichen Freiraum, solchen Aktivitäten nachzugehen. Der Bedarf an derartigen Schulen ging zurück und erforderte eine Umorientierung der Angebote, die sich nun als Sport und Zeitvertreib an ein breiteres Publikum richteten (vgl. Yamada 2009: 44). Unter dem Einfluss der nationalistisch ausgerichteten »Japaner-Diskurse«122 wurden im 20. Jh. Kampftechniken und andere kulturelle Praktiken (z. B. Poesie, Teezeremonie, Blumenstecken u. a.) als Kunstformen interpretiert, die den zeitlosen Geist und die Schönheit der japanischen Kultur und Nation zum Ausdruck brachten (vgl. Cross 2009: 20ff). Der deutsche Philosoph Eugen Herrigel (1884 – 1955), der sich für Mystik interessierte und im japanischen Zen den Zugang zur Mystik zu finden hoffte, reiste in den 1920er Jahren nach Japan, wo er bei einem Bogenschießlehrer diese Technik erlernte. Er interpretierte das japanische Bogenschießen als eine Kunstform, die vom Zen-Geist durchdrungen sei, und brachte damit eine Sichtweise auf das Bogenschießen zum Ausdruck, die im japanischen Kontext zu diesem Zeitpunkt nahezu unbekannt war.123 Sein Buch Zen und die Kunst des Bogenschießens avancierte zu einer der einflussreichsten frühen Publikationen zum Zen und zur dominanten Interpretationsfolie für das japanische Bogenschießen im westlichen Kontext.124 Durch eine japanische Überset122 Die sog. Japaner-Theorien (nihonjinron) sind Selbstbehauptungsdiskurse, welche die Einzigartigkeit der japanischen Kultur propagieren (vgl. Sharf 1993: 34ff; Prohl 2000: 116ff). 123 Diese Interpretation Herrigels basierte zum einen auf seinem Wunsch, in Japan das Zen als lebendigen Buddhismus zu erfahren und dadurch einen Zugang zur Mystik zu finden. Zum anderen ergaben sich Verständigungsprobleme durch die Übersetzungstätigkeit eines Dritten, der zwischen Herrigel (der kaum Japanischkenntnisse besaß) und seinem Lehrer Awa (der weder Deutsch noch Englisch sprach) vermittelte. Dadurch entstand eine Lücke, die Herrigel den Freiraum für die eigene Interpretation ließ (vgl. Yamada 2009). 124 Die deutsche Erstausgabe erschien 1948. Die englische Übersetzung erschien 1953 mit einem wohlwollenden Vorwort von D.T. Suzuki, der im englischsprachigen Raum bereits als

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zung des Textes 1956 wurde diese Interpretation in den 1960/70ern in Japan rezipiert und die Kunst des Bogenschießens vor diesem Hintergrund reinterpretiert (vgl. Yamada 2009: 4). Wenn Shibata also vor Trungpa klagte, dass die Kunst des Bogenschießens in Japan »zum bloßen Sport verkommen sei« (Midal 2004: 317 f), dessen Zweck nur darin bestünde, »das Ziel zu treffen und Wettkämpfe zu gewinnen« (Schneider 2005: 390), so erfolgte diese Beurteilung vor dem Hintergrund der durch Herrigels einflussreiche Publikation angeregten Neudeutung. In diesem Reinterpretationsprozess transformierte sich das Bogenschießen von einer sportlich orientierten Kunstform in eine Zen-Kunst, die den Geist des Zen verkörpere.125 Bei der ersten Begegnung mit Trungpa soll Shibata gesagt haben: »Ich habe meinen Kaiser wiedergefunden.«126 Trungpa räumte Shibata die Möglichkeit ein, Bogenschießen (kyudo)127 als »kontemplative Praxis« in der Vajradhatu-Gemeinschaft zu unterrichten (vgl. Midal 2004: 318; Hayward 2008: 237). Somit erhielt Shibata einen Raum, in dem er das Bogenschießen nicht als Sport, sondern als »spirituelle Disziplin« praktizieren und unterrichten konnte (vgl. Schneider 2005: 390). Shibata besuchte die Gemeinschaft ab 1980 in jedem Jahr für mehrere Monate und zog schließlich 1984 ganz nach Boulder um. Seine Frau Kyoko Shibata unterrichtete Blumenstecken (Ikebana oder kado) und die japanische Teezeremonie (chado) am Kalapa Court (vgl. Midal 2004: 319).128 Die Teezeremonie hatte, wie auch die Praxis des Blumensteckens und des Bogenschießens, durch die Modernisierung Japans seit der Meiji-Restauration 1868 und die damit verknüpfte Herausbildung eines japanischen Nationalverständnisses in Auseinandersetzung mit dem Westen eine Reinterpretation als traditionelle Kunstform erfahren. Diese traditionellen Kunstformen verkörperten im japanischen Nationaldiskurs die zeitlose, authentische Kultur sowie die Schönheit Japans (vgl. Sharf 1993: 6; Cross 2009: 17 – 41). Eine deutliche Verbindung zwischen der Teezeremonie und einer zugeschriebenen Spiritualität

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Autorität des Zen-Buddhismus galt, wodurch Herrigels Interpretation und Verknüpfung von Bogenschießen und Zen zusätzliche Legitimation erhielt. Diese Publikation hatte einen enormen Einfluss auf das alternativ-religiöse Spektrum der amerikanischen und britischen Counterculture und den Zen-Boom ab den 1960er Jahren (vgl. Yamada 2009: 207ff). Bereits während der Tokugawa-Zeit (17. – 19. Jh.) gab es eine Form des Bogenschießens, die ausschließlich zum Zwecke des Wettkampfes praktiziert wurde (vgl. Yamada 2001: 6). »I have met my Emperor again« (zitiert nach Hayward 2008: 237). Der Begriff kyudo, dt. Weg des Bogens, wird in der Gemeinschaft für diese Praxis verwendet. Dabei handelt es sich um die Übernahme eines modernen japanischen Begriffs, der sich vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg im japanischen Sprachgebrauch verbreitet hat. Davor fand der ältere Terminus kyujutsu (dt. Technik des Bogens) zur Bezeichnung des Bogenschießens Verwendung (vgl. Yamada 2009: 3). Die Begriffe kado und chado werden innerhalb der von Trungpa begründeten Gemeinschaft für diese Praktiken verwendet. Die Silbe -do verweist auf das Verständnis dieser Praktiken als Weg (ka-do = Weg der Blume, cha-do = Weg des Tees). Der japanische Begriff für die Teezeremonie lautet chanoyu.

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Japans findet sich in dem 1906 auf Englisch publizierten Buch The Book of Tea von Okakura Kakuzo (vgl. Cross 2009: 101 – 108).129 In diesem Buch, das sich an ein westliches Publikum richtete und von großem Einfluss auf die westliche Wahrnehmung Japans war, stellte Okakura Kakuzo Japan anhand der Tradition der Teezeremonie als ein geheimnisvolles und exotisches Land dar. Es enthält zudem eine idealisierende Beschreibung des als Begründer der Tradition geltenden Sen no Rikyu¯ (16. Jh.) als ideale Verkörperung des Zen. Dieses Buch lässt sich daher im Kontext japanisch-nationalistischer Selbstbehauptungsdiskurse in Auseinandersetzung mit dem Westen einordnen (vgl. Sharf 1993: 6). Durch die englischen Publikationen D.T. Suzukis erfuhr diese Interpretation, die Spiritualität, Zen-Buddhismus sowie die Kultur und Kunst Japans miteinander verband, bei westlichen Rezipienten eine weitere Verifikation.130 D.T. Suzukis Deutung verschiedener japanischer Kunstformen als Ausdruck der »Zen-Erfahrung« gilt jedoch als moderne Interpretation, die historisch nicht haltbar ist (vgl. Bodiford 1992: 147ff; Sharf 1993: 134 f). Im späten 20. Jh. fiel die Teezeremonie in Japan, ähnlich wie die Praxis des Blumensteckens, fast ausschließlich in das Ressort von Frauen, die einen Großteil der Praktizierenden und semi-professionellen, zertifizierten Lehrer und Lehrerinnen stellen (vgl. Kato 2004). Insofern verwundert es nicht, dass Kyoko Shibata, die ihren Ehemann in die USA begleitete, diese Kunstformen innerhalb der von Trungpa begründeten Gemeinschaft unterrichtete. Speziell für das Studium und die Praxis der Teezeremonie gründete Trungpa die Vereinigung Kalapa Cha. Für den Garten des Kalapa Courts wurde extra ein Teehaus angefertigt, in dem die Teezeremonie unterrichtet wurde. 1982 rief Trungpa außerdem Kalapa Ikebana als eine spezielle Schule des Blumensteckens ins Leben, die sich am Sogetsu-Stil orientierte, den er in England erlernt hatte. Bei Kalapa Ikebana handelte es sich um eine Form, die seine spezifischen Adaptionen des Sogetsu-Stils verkörperte (vgl. Hayward 2008: 245). Entsprechende Ikebana-Blumenarrangements gehörten nun zur täglichen Dekoration des Kalapa Courts (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 347) und bilden bis heute ein zentrales Element der Dekoration in den Zentren anlässlich von Vorträgen und Programmen. Die Teezeremonie, das Bogenschießen und das Arrangieren von Blumen wurden von Trungpa als kontemplative Praktiken betrachtet (vgl. Hayward 129 Eine japanische Übersetzung von The Book of Tea von Okakura Tenshin erschien 1929 (vgl. Cross 2009: 100). 130 Zu nennen sind hier u. a. Zen Buddhism and Its Influence on Japanese Culture (Kyoto, Eastern Buddhist Soc., 1938), das später unter dem Titel Zen and Japanese Culture (1959) vom dem renommierten Verlag Princeton University Press neu aufgelegt wurde sowie Japanese Spirituality (Tokyo: Japan Soc. for the Promotion of Science), das 1971 auf Englisch erschienen ist (vgl. Sharf 1993: 25).

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

2008: 245). Diese Betrachtungsweise, die ein spezifisches Verständnis von Kunst und Kontemplation miteinander verbindet, hatte bereits ideelle Vorläufer in der westlichen Buddhismusrezeption, insbesondere in der Rezeption des Zen im alternativ-religiösen Spektrum der Counterculture. Sowohl D.T. Suzuki als auch Alan Watts hatten durch ihre Publikationen und Vorträge das künstlerische Schaffen mit dem Geist von Zen in Verbindung gebracht und diese Interpretation nachhaltig popularisiert (vgl. Bodiford 1992: 147; McMahan 2008: 122 – 134; Yamada 2009: 209 – 223). Insbesondere Suzuki hatte das Zen aus dem religiösen Kontext des japanischen Tempel-Buddhismus herausgelöst und zu einem persönlichen Erfahrungsweg stilisiert, den man durch die Praxis der Meditation beschreiten könne (vgl. Sharf 1995: 250). Suzuki interpretierte Zen als meditative Erfahrung. Für Suzuki sei die Spiritualität des Zen aus der menschlichen Seele und nicht aus der japanischen Seele erwachsen (vgl. Sharf 1993). Zen wurde von Suzuki nicht als spezifisch buddhistisch oder per se religiös verstanden und transzendierte daher verschiedene Kulturen beziehungsweise lag allen Religionen zugrunde, auch wenn es seinen höchsten Ausdruck im japanischen Zen gefunden habe (vgl. Sharf 1993: 18ff; Ives 2001: 42; McMahan 2008: 186 f). Die als kontemplativ bezeichneten Praktiken des Blumensteckens, des Bogenschießens und der Teezeremonie, die Trungpa in ihrer modernistischen Variante aus dem japanischen Kontext übernommen hatte, boten nach seinem Verständnis – unabhängig von ihrer kulturellen Herkunft oder religiösen Verortung im Zen-buddhistischen Kontext –131 eine Möglichkeit, die »ShambhalaKultur« (Mukpo/Gimian 2006: 346) im Alltag umzusetzen und zu leben: In some sense it is not so much talking about the art itself, the product, but it’s training one’s perception, how to rearrange your sitting room or what tie to buy, what jacket to buy. Even on that level, there is some sense of perception and also respect, sacredness to everything you do, including how to drink a cup of tea… So that’s the basic point, the idea of how to appreciate your life in a very deliberate, mindfulness sense, so that your sense perceptions begin to click into the sacredness of it – which is not necessarily a religious one, but a sacred, good. (Trungpa zitiert nach Midal 2004: 374)

Ein wichtiger Bestandteil der Shambhala-Lehren war die Entwicklung eines Gefühls für die ursprüngliche Heiligkeit der Welt und des Lebens in ihr (vgl. Trungpa 1988: 125ff). Dharma Art, manchmal auch als »Shambhala Art« (Hayward 2008: 245) bezeichnet, stellte für Trungpa eine Möglichkeit zur Realisierung der Shambhala-Lehren dar. 131 Dass diese Praktiken als vom Zen beeinflusste Künste wahrgenommen wurden und werden, wird an dem Artikel »Trungpa Rinpoche and Zen« von David Schneider sichtbar (vgl. Schneider 2005: 398).

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Die Kunst des Alltags: Chögyam Trungpas Dharma Art (ab 1974)

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Zwischenbetrachtung Kunst – im weitesten Sinne – spielte im Leben Chögyam Trungpas eine wichtige Rolle. Bereits in Tibet hatte er die klösterliche Tanztradition (Cham) und das Verfassen von Doha¯s132 erlernt. In Indien begegnete er zum ersten Mal Gedichten von T.S. Eliot und japanischen Haikus. In England besuchte er die Museen in London und Kurse an der Sogetsu School of Japanese Flower Arrangement. In Nordamerika lernte er über Allen Ginsberg die Gedichte der Beat-Poeten kennen und durch japanische Zen-Lehrer wurde sein Interesse an der Kalligraphie geweckt. Trungpa war auf vielfältige Art und Weise selbst als Künstler tätig: als Poet, als Autor, als Maler, als Kalligraph, als Photograph und als Designer. Die verschiedenen Kunstformen galten Trungpa als Werkzeug, um sein buddhistisches Erbe und die Shambhala-Vision an seine amerikanischen Schüler zu vermitteln. Kunst stellte für ihn also keinen gesonderten Bereich des Lebens dar. Auch in seinem eigenen Leben lassen sich die vielfältigen Tätigkeiten als Künstler nicht von seinem Wirken als buddhistischer und spiritueller Lehrer trennen. Die von Trungpa geschaffenen Formen – vom Design der Meditationshalle, der Banner und Kalligraphien an den Wänden über die Gestaltung der Sitzkissen133 und des Schreins bis hin zu den von ihm vermittelten Praktiken und der Choreographie von Zeremonien – sollten eine ideale Umgebung und Atmosphäre schaffen, welche die Schüler in ihrer Praxis und Entwicklung unterstützen und inspirieren (vgl. Trungpa 2004c: 105). Beim Design der Praxisräume, der Schmuckelemente (z. B. Banner) und vor allem des Shambhala-Schreins ist die – im Vergleich zu den bunten Hallen und Schreinen in tibetisch-buddhistischen Klöstern – zurückhaltende, puristisch anmutende Gestaltung auffallend, die eher von der Ästhetik Zen-buddhistischer Meditationszentren, die Trungpa in den USA kennen gelernt hatte, inspiriert zu sein scheint als von tibetisch-buddhistischen Tempeln und Klöstern. Trungpas pragmatisch-integrative Haltung, die sich in seiner Bereitschaft zur Kombination von Formen und Methoden aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten zeigt, wird auch in seinem Kunstverständnis sichtbar, das sich für ihn auf die Formel »Kunst im Alltagsleben«134 beziehungsweise »Alltagsleben als Kunstwerk«135 bringen ließ. 132 Doha¯ sind die sog. Lieder der Verwirklichung, die zur Unterweisung der Schüler von tantrischen Meistern verfasst wurden. 133 In den ersten Jahren nutzte Trungpa runde, japanische Sitzkissen (Zafu), die auf quadratischen Matten (Zabuton) platziert waren. Zu Beginn der 1980er Jahre entwickelte er ein Sitzkissen, genannt Gomden, das speziell auf westliche Praktizierende zugeschnitten war. Es ist rechteckig, stabiler und höher als die üblichen japanischen Sitzkissen (vgl. Midal 2004: 326). 134 »Art in everyday life« in Anlehnung an den Titel eines Seminras in Padma Jong 1974. 135 In Anlehnung an das Zitat: »[E]veryday life is a work of art« (Trungpa 2004c: 42).

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

Trungpa sah in jeder Situation des Alltags die Möglichkeit gegeben, zu lernen, Achtsamkeit zu praktizieren, seine Geisteshaltung zu transformieren und so die von ihm vermittelten Lehren zu realisieren. Wie schon in der Entwicklung von Shambhala Training zeigt sich auch bei der Dharma Art ein Prozess der Universalisierung bestimmter Ideen und Techniken, die aus spezifischen religiösen Kontexten gelöst werden und als grundlegend für die menschliche Kultur erachtet werden. In Trungpas Deutung sind Heiligkeit und Sakralität somit nicht mehr den Religionen vorbehalten oder auf diese beschränkt, sondern können in jeder Situation des Alltags erfahren werden und sind jedem Kunstwerk inhärent.

5.8

Chögyam Trungpa, der Sakyong von Shambhala: Die letzten Jahre (1980 – 1987)

Im Jahr 1980 stürzte Trungpa die Treppe hinunter und obwohl er sich scheinbar schnell zu erholen schien, übertrug er seine Aufgaben zunehmend auf den Vajra Regenten. Seine Frau ebenso wie sein langjähriger Schüler Jeremy Hayward betrachten dieses Ereignis im Nachhinein als einen Wendepunkt im Leben Trungpas, der fortan verändert erschien (vgl. Hayward 2008: 240): »After the accident, I sometimes felt that he was no longer 100 percent in this realm« (Mukpo/Gimian 2006: 339). Ein Jahr später erkrankte Trungpa schwer an einer Entzündung des Zwölffingerdarms, von der er sich das ganze Jahr über nicht erholte. Er bestand weiterhin darauf, Sake zu trinken, obwohl sein immenser Konsum von Alkohol mitverantwortlich für seinen schlechten gesundheitlichen Zustand war (vgl. Hayward 2008: 260, 274). In den folgenden Jahren konnte Trungpa aufgrund seiner schlechten körperlichen Verfassung nicht mehr alle Seminare und Vorträge selbst geben, sodass nach und nach die engsten Schüler seine Lehrtätigkeit übernahmen. Trungpa hatte Nova Scotia im Nordosten Kanadas erstmals 1977 besucht und erklärt, dass sich das Königreich von Shambhala in 20 Jahren dort manifestieren werde. 1979 besuchte er Nova Scotia ein zweites Mal, wo er auf einer Fahrt durch die Landschaft einen Ort entdeckte, den er Kalapa Valley taufte und von dem er verkündete, dass dieser zukünftig von Bedeutung für die Verwirklichung des erleuchteten Königreiches von Shambhala sein werde (vgl. Hayward 2008: 248). Das Stück Land wurde daraufhin von Mitgliedern der Gemeinschaft erworben und mehr als zwanzig Jahre später zu einem Retreat-Platz umgewandelt. Zwischenzeitlich hatten sich auch Zentren der Gemeinschaft in Kanada etabliert und Trungpa plante langfristig den Umzug der Gemeinschaft und des Kalapa Courts nach Halifax, Nova Scotia. So nahm er trotz angeschlagener Gesundheit

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Chögyam Trungpa, der Sakyong von Shambhala

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im Jahr 1980 in Kanada an der ersten Dharmadhatu-Konferenz teil, welche rückblickend als erste Manifestation der Vajradhatu-Organisation in Kanada gesehen wird (vgl. Hayward 2008: 248). Bei dieser Gelegenheit ernannte Trungpa Dr. Jim Sacamano zum Ambassador Plenipotentiary für Kanada und überreichte ihm ein japanisches kaiserliches Zepter (Nyo-I), welches die Autorität Trungpas repräsentierte. Sacamano galt als Stellvertreter Trungpas, bis dieser selbst nach Kanada gezogen war. Im Sommer 1983 fordert er das Vajradhatu Board of Directors nachdrücklich auf, den Umzug nach Nova Scotia zügiger umzusetzen. Im Jahr 1983 wurde von Trungpa der Grundstein für die Etablierung der monastischen Seite seines buddhistischen Erbes in Nordamerika gelegt, als er Gampo Abbey in Cape Breton, Nova Scotia, gründete. Ein Jahr später sollte eine internationale Sangha-Konferenz in Halifax den Mitgliedern der Gemeinschaft die Möglichkeit geben, Nova Scotia, den zukünftigen Sitz der Gemeinschaft, zu besichtigen (vgl. Hayward 2008: 312). Außerdem wurde ein Standing Committee unter der Leitung des Botschafters Sacamano eingerichtet, das für die Vorbereitungen des Umzuges nach Halifax verantwortlich war und die Mitglieder der Gemeinschaft mit der sozialen und ökonomischen Situation vor Ort vertraut machte. In den Jahren 1981 und 1985 ging Trungpa nach Europa, wo er öffentliche Vorträge hielt, Seminare und das Vajrayogini Abhisheka136 durchführte. In Europa ermächtigte er den Sawang, seinen Sohn Ösel Rangdröl, als Vajrameister, d. h. als jemanden, der zukünftig das Vajrayogini Abhisheka selbst lehren und übertragen darf. Diese Ermächtigung hatte er bisher nur dem Vajra Regenten zukommen lassen. Sein Sohn wurde somit sein zweiter Linienhalter in der Karma Kagyü-Linie (vgl. Hayward 2008: 352 f). 1984 begab sich Trungpa für ein Jahr ins Retreat nach Mill Village in Nova Scotia. Während des Retreats zeigte er ein zunehmend unkonventionelles und irritierendes Verhalten, das – ähnlich wie Padmasambhavas Kampf mit den dämonischen Mächten bei der Einführung des Buddhismus in Tibet – als Kampf mit den Feinden des Dharma gedeutet wurde, welche die Errichtung des Königreiches von Shambhala verhindern wollten (vgl. Hayward 2008: 338 f). Sein Verhalten wurde auch als Manifestation des yeshe chölwa137-Konzepts gesehen und Trungpa galt als Verkörperung eines verrückten Yogis und Maha¯siddhas (vgl. Hayward 2008: 275). Im August 1986 traf Trungpa die Entscheidung, sofort und permanent nach Halifax in Nova Scotia zu ziehen und das administrative Zentrum der Ge136 Ein Abhisheka ist die rituelle Übertragung und Ermächtigung eines Schülers durch den Lehrer zur Ausübung einer tantrischen Praxis; in diesem Falle einer Praxis, die sich um die tantrische Gottheit Vajrayogini zentriert. 137 Yeshe chölwa bedeutet wörtlich übersetzt »wild gewordene Weisheit«.

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

meinschaft damit nach Kanada zu verlagern. Einige Wochen nach dem Umzug erlitt er einen Herzinfarkt, von dem er sich nicht mehr richtig erholte. Während seiner Zeit auf der Intensivstation besuchten ihn verschiedene Kagyü-Lehrer, die auch Vorträge vor der Gemeinschaft in Halifax hielten und so den Lehrbetrieb aufrechterhielten. Sie führten außerdem Praktiken für ihn durch, die zur Verlängerung seines Lebens führen sollten (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 380). Nach einiger Zeit konnte Trungpa zwar an den Kalapa Court zurückkehren, bedurfte jedoch der ständigen Pflege durch eine Krankenschwester, da er bettlägerig war und nicht sprechen konnte. Im März 1987 verschlechterte sich sein Zustand zunehmend und Trungpa musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Er starb schließlich am 4. April 1987 in Halifax, Nova Scotia – an dem Ort, an dem sich Trungpas Vision zufolge zukünftig das Königreich von Shambhala manifestieren sollte (vgl. Hayward 2008: 154). Zum Zeitpunkt seines Todes besaß die Gemeinschaft in Nova Scotia circa 80 Mitglieder. Nur zwei Jahre später waren bereits mehrere hundert Mitglieder nach Halifax und Umgebung umgezogen. Heute befindet sich in Nova Scotia die größte Shambhala-buddhistische Gemeinschaft innerhalb des internationalen Netzwerkes. Trungpa starb als Sakyong, als irdischer König von Shambhala, der einige Monate vor seinem Tod das Zentrum der Gemeinschaft, den Kalapa Court, in Halifax etabliert hatte und somit die Grundlage für den Auf- und Ausbau des Königreiches von Shambhala schuf: Death or Life: I still grind the sun and moon. Whether your kingdom is established or not, I will be the ghost that will manifest Tiger and Garuda Whether it is a joke or serious business I will hang around as a ghost or anger Until you succeed in accomplishing the Kingdom of Shambhala. Joy for you. Nonetheless, powerful haunting cloud should hover in your household and on your head: The Dorje Dradul138 as misty clouds or brilliant sun. I will be with you until you establish your kingdom.139 (Trungpa 1995 zitiert nach Hayward 2008: 395)

In diesem Gedicht macht Trungpa deutlich, dass seine Vision der Umsetzung einer erleuchteten Gesellschaft, die Errichtung des Königreichs von Shambhala, über seinen Tod hinausreicht. Mit dem Umzug nach Halifax hatte er das ad138 Dorje Dradul von Mukpo war der Name, den Trungpa benutzte, wenn der die ShambhalaLehren präsentierte und lehrte. 139 Dieses Gedicht hatte Trungpa im Sommer 1985 verfasst.

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Chögyam Trungpa, der Sakyong von Shambhala

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ministrative Zentrum der Gemeinschaft nach Kanada verlagert und so den Grundstein für die Realisierung seiner Vision und das weitere Wachstum der von ihm begründeten Organisation gelegt. Unmittelbar nach dem Tod Trungpas hielten sich seine Schüler an das tibetisch-buddhistische Protokoll im Umgang mit dem Körper eines verstorbenen Tülkus (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 383ff; Hayward 2008: 371ff). Sie standen, was die Organisation der Bestattung betraf, in regelmäßigem Austausch mit Dilgo Khyentse. Trungpa wurde zuerst einige Tage in der Meditationshaltung auf seinem Thron im Schreinraum des Kalapa Courts positioniert. Seine Schüler, die zahlreich nach Kanada eingeflogen waren, praktizierten rund um die Uhr im Schreinraum. Schließlich wurde Trungpas Körper in einem speziellen Sarg nach Karme Chöling in Vermont geflogen und dort in einem extra angefertigten Schrein bis zur Bestattung Ende Mai aufbewahrt. Während der Wochen bis zur Kremation besuchten viele weitere Schüler und buddhistische Lehrer den aufgebarten Sarg. Neben zahlreichen im Exil lebenden Kagyü- und NyingmaLamas waren über dreitausend Schüler während der rituellen Kremation des Leichnams am 26. Mai 1987 anwesend, die unter der Leitung von Dilgo Khyentse durchgeführt wurde. Einige Tage nach der Kremation wurde der Purkhang140 geöffnet und die Knochen und Asche entnommen. Diese wurden als Reliquien, z. B. in Form von tsa-tsas, kleinen Statuen, die aus der Asche geformt werden, an die verschiedenen, von Trungpa begründeten Meditationszentren gegeben, wo sie auf dem Schrein aufbewahrt werden. Auch der Stupa of Enlightenment in dem von Trungpa begründeten Kloster Gampo Abbey in Cape Breton, Nova Scotia, enthält Asche und Knochen Trungpas als Reliquien (siehe Umschlagbild des Buches). Der Stupa wurde 1996 vom Abt des Klosters, Thrangu Rinpoche, in Auftrag gegeben. Mit der Unterstützung von Sakyong Mipham, dem Sohn und Erben Trungpas, wurde der Bau 1999 begonnen. 2001 wurde der Stupa konsekriert und dem Weltfrieden gewidmet. Das materiale Objekt ist gleichzeitig ein Symbol dafür, dass das Dharma in Nova Scotia, Kanada, Wurzeln geschlagen habe.141 Teile von Trungpas Knochen und Asche wurden später ebenfalls als Reliquien in dem Großen Stupa von Dharmakaya (ebenfalls konsekriert im August 2001) im Shambhala Mountain Center in Colorado, USA,142 aufbewahrt. Dilgo Khyentse beschrieb das Erbe Trungpas nach seiner Bestattung vor den versammelten Schülern der Gemeinschaft wie folgt:

140 Der Purkhang ist eine gemauerte bzw. steinerne Kammer, in welcher der Leichnam zur Verbrennung platziert wird. Das Feuer wird unter dieser Kammer entzündet. Meist ist der Purkhang mit Verzierungen versehen. 141 Vgl. http://www.gampoabbey.org/stupa-history.php (abgerufen am 06. 11. 2013). 142 Das Shambhala Mountain Center hieß früher Rocky Mountain Dharma Center.

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

Trungpa Rinpoche was not an ordinary person. He is a being who came to this earth knowing what he was going to do, how to handle beings according to their capacity. He was born in Tibet, but he spent most of his life in the West to plant the seed of his vision to create a new society. To further this vision, Trungpa Rinpoche gave many teachings and put them into practice. In order to create a new society which shines forth the light of great peace, it’s important that each one of us develop this vision from within. The moment we can create this among us, then it will be easy to manifest it throughout the world. (zitiert nach Hayward 2008: 374)

Interessanterweise hebt Dilgo Khyentse in diesen Worten nicht Trungpas Wirken als buddhistischer Lehrer hervor, sondern Trungpas Streben nach der Vermittlung und Umsetzung seiner sozialen Vision einer neuen Gesellschaft, zu deren Umsetzung es seiner versammelten Schüler bedürfe.

Zwischenbetrachtung Die 1980er Jahre standen im Leben und Wirken Chögyam Trungpas vor allem im Lichte der Realisierung seiner Shambhala-Vision, was in der Institutionalisierung und Etablierung von Shambhala Training sowie anderen organisatorischen und administrativen Umstrukturierungen erkennbar wird. Zwar wirkte Trungpa weiterhin als buddhistischer Lehrer, indem er Vajrayana-Einweihungen gab und Vorträge zu buddhistischen Themen hielt, doch schien die Präsentation der Shambhala-Lehren im Vordergrund zu stehen. Da es sich bei der ShambhalaVision um eine soziale Vision der Transformation der Gesellschaft zu einer erleuchteten Gesellschaft handelte, ließen sich die Shambhala-Lehren mit seinen anderen Tätigkeitsfeldern als Künstler (Dharma Art) und buddhistischer Lehrer verbinden. Seit Ende der 1970er Jahre war eine zunehmende geographische Umorientierung Trungpas nach Kanada erkennbar, die schließlich in den Plänen für einen Umzug des administrativen Zentrums der Organisation und des KalapaHofes nach Nova Scotia, Kanada, mündete und ab 1983 in die Tat umgesetzt wurde. Die Entscheidung, in den Nordosten Kanadas zu ziehen, mag mehrere Gründe gehabt haben. Zum einen schien Trungpa fasziniert von der Landschaft, die ihn an Tibet erinnerte: When I first landed in Nova Scotia, I couldn’t touch the ground even – it felt too shaky. This time I stepped out on the road, knelt down, and felt the soil – a slightly papal approach maybe: feeling the earth. It was a well-paved road – still, it felt very good: gentleness coming through my palms, inviting and good. […] So it was a very grounding experience. Very moving, although outside of the airport it wasn’t moving. I was very moved nonetheless. Very good and real.

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Chögyam Trungpa, der Sakyong von Shambhala

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You can’t feel this anywhere else – except that I would feel the same thing if I went back to Tibet and touched the side of a mountain, but I never had such an experience outside of Tibet before. Throughout our journey, I found the island (Nova Scotia) is connected with Tibet… (Trungpa zitiert in Swick 1996: 26)143

Zum anderen war Trungpa der Auffassung gewesen, dass sich seine Vision der Verwirklichung einer erleuchteten Gesellschaft in einer großen Stadt wie Boulder nur bedingt umsetzen ließe und eine kleine städtische Gemeinschaft wie Halifax mehr Interaktions- und Gestaltungsmöglichkeiten für das soziale Zusammenleben zwischen der Gemeinschaft und der umgebenden Gesellschaft bieten würde (vgl. Midal 2004: 474 – 481). Schließlich hatte die Gemeinschaft in Boulder in den 1980er Jahren zudem mit den Nachwehen des SnowmassSkandals und der Stigmatisierung als Kult zu kämpfen (vgl. Khalsa 1986), sodass ein Ortswechsel auch dadurch motiviert gewesen sein könnte. Trungpas Umzugspläne für Vajradhatu wurden nicht überall in der Gemeinschaft positiv aufgenommen, bedeuteten sie doch für viele Mitglieder einen Neuanfang in einem anderen Land und einer anderen Stadt, der auch verbunden war mit sozialen und finanziellen Unwägbarkeiten. Dass Trungpa kurz vor seinem Tode darauf drängte, endlich nach Halifax umzuziehen und diesen Entschluss trotz des Widerstandes einiger Schüler in die Tat umsetzte, wird von einigen retrospektiv mit großer Bedeutung versehen: Trungpa habe so das Siegesbanner des Dharma und der Shambhala-Lehren in die Erde Nova Scotias gepflanzt und den Grundstein für das Wachstum der Gemeinschaft dort gelegt. Hayward bezweifelt, dass sich Trungpas Vision von Shambhala in Kanada jemals realisiert hätte, wäre er nicht dort gestorben (vgl. Hayward 2008: 364). Die zahlreichen Besuche und Aufwartungen tibetisch-buddhistischer Würdenträger (vorrangig aus der Kagyüpa- und der Nyingmapa-Tradition) sowie anderer buddhistischer Lehrer – vor allem aus dem Zen-Kontext –, die in Nordamerika tätig waren und Trungpa während seiner Krankheit besuchten und zu seiner Bestattung kamen, deuten auf seine relativ hohe Stellung innerhalb des buddhistischen Feldes in Nordamerika und in bestimmten Bereichen des exiltibetischen Feldes hin. Ein weiterer Indikator dafür sind die zahlreich nach Karme Chöling in Vermont strömenden Schülern und Anhänger anlässlich der Kremation ihres Lehrers. Trungpa war als Akteur mit einem entsprechenden symbolischen Kapital, einem umfangreichen und einflussreichen sozialen Netzwerk sowie einer Sprecherposition innerhalb des Feldes ausgestattet. Dies ermöglichte ihm, eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung und Institutiona143 Die gleiche Passage aus einer anderen unveröffentlichten Quelle ist zitiert in Midal (2004: 476).

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

lisierung des tibetischen Buddhismus in Nordamerika zu spielen und innovative, transkulturelle und transbuddhistische Formen, Lehren und Praktiken zu entwickeln und diese zu etablieren. Das von Trungpa im Laufe seines Wirkens und Schaffens entwickelte diversifizierte Angebot an Lehren und Praktiken deckte ein weites Spektrum an möglichen Bedürfnissen und Interessen westlicher Schüler ab. Diese konnten sich sowohl in einem als traditionell verstandenem tibetischen Buddhismus als auch in kontemplativen Künsten sowie in Shambhala Training, einem als säkular verstandenen spirituellen Pfad, üben oder diese drei Wege miteinander verknüpfen.

5.9

Abschließende Betrachtungen: Chögyam Trungpa als religiöser Innovator

Chögyam Trungpa wurde in Osttibet geboren und dort als Kleinkind als die Inkarnation des 10. Trungpa Tülku entdeckt und im Klosterkomplex von Surmang als Abt und 11. Trungpa Tülku inthronisiert. Er erhielt eine Ausbildung zum religiösen Experten in verschiedenen tibetisch-buddhistischen Klöstern und von verschiedenen Lehrern. Diese Ausbildung sollte nicht nur seinem Status als wiedergeborener Lama und Abt eines Klosters gerecht werden, sondern ihm auch ermöglichen, Belehrungen und Einweihungen an andere religiöse Akteure weiterzugeben. Die Situation änderte sich grundlegend mit dem Einmarsch der chinesischen Volksbefreiungsarmee Anfang der 1950er Jahre in Osttibet. Die folgenden Umwälzungen bedrohten den Betrieb der buddhistischen Institutionen und führten schließlich zu Aufständen, die 1959 in einer großen Flüchtlingswelle mündeten. Auch Trungpa ging wie viele andere tibetischbuddhistische Gelehrte ins Exil nach Indien. Dort erlernte er die englische Sprache, die sich als vorteilhafte Fähigkeit in der Kommunikation mit westlichen Schülern erwies. Seine Sprachkenntnisse erwiesen sich somit neben seinem buddhistischen Erbe und seinem religiösen Status als Tülku als strategisch wichtiges, soziales Kapital im Aufbau eines Netzwerkes von Zentren und Schülern im westlichen Kontext. Dieses Netzwerk bot ihm die Möglichkeit, weiter als religiöser Spezialist aktiv zu sein und das während seiner religiösen Sozialisation und Ausbildung in Tibet erlernte Wissen weiterzugeben – wenn auch nicht primär an tibetische Mönche, sondern an westliche Praktizierende. Seine Tätigkeiten als tibetisch-buddhistischer Lehrer führten ihn von Indien über England schließlich nach Nordamerika. Im Zuge seiner exilbedingten Mobilität und seines Lebens außerhalb monastischer Institutionen auf verschiedenen Kontinenten durchquerte Trungpa gewissermaßen verschiedene kulturelle Einflusszonen, die sich in der Art und Weise der Vermittlung seines

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Abschließende Betrachtungen: Chögyam Trungpa als religiöser Innovator

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religiösen Erbes niederschlugen. Er studierte an einer britischen Eliteuniversität, legte seine Mönchsroben nieder und heiratete; er trank, rauchte und hatte außereheliche Affären; er verkehrte in alternativ-religiösen Kreisen und Künstlerzirkeln der Counterculture, in denen unkonventionelles Verhalten und Normbrüche zu einem gewissen Grad akzeptiert waren. Zudem kam er in England und Nordamerika in Kontakt zu Lehrern anderer religiöser Traditionen, insbesondere aus dem Zen-buddhistischen Feld. Die von ihm entwickelten und vermittelten Lehren, Praktiken und Ästhetiken zeigen daher Elemente, die aus diesen verschiedenen kulturellen Kontexten stammten und durch ihre spezifische Kombination mit seinem tibetisch-buddhistischen Erbe zu einem innovativen Wissens- und Praxiskomplex innerhalb des westlichen buddhistischen Feldes avancierten. Diese Neukombination und Innovation von Lehren und Praktiken durch Chögyam Trungpa war durch seinen Wunsch motiviert, zeitgemäße Formen zur Weitergabe des Buddhismus in der Gegenwart zu entwickeln. Über die Zeit erwuchs aus einem losen Konglomerat von Schülern, die sich einst aus der Hippie- und Counterculture speisten, und ersten verstreuten Zentren eine feste nationale und später internationale Organisationsstruktur, die sich im Laufe der Jahre stärker formalisierte. Mit der Unterstützung durch zahlreiche Schüler gelang es Trungpa, seine vielfältigen Lehren und Praktiken in verschiedene institutionalisierte Strukturen zu überführen, die bis heute die westliche buddhistische Landschaft prägen. In der Etablierung seines Netzwerkes von Meditationszentren unter dem Namen Vajradhatu und dem Naropa Institute schuf sich der ehemalige Mönch und Abt ohne Kloster im Exil eine neue Institution, der er als religiöser Experte vorstand und die der Vermittlung tibetisch-buddhistischer Lehre und Praxis in der Gegenwart diente. Jegliche Form, die ihm geeignet erschien, konnte dafür zum Einsatz kommen – egal ob es sich dabei um britischen Reitsport, japanisches Bogenschießen oder Marschieren als kontemplative Disziplin handelte. Trungpa experimentierte daher bereitwillig mit allem was ihm begegnete; manche dieser Einflüsse haben sich erhalten, andere wurden wieder verworfen. Für Trungpa selbst spielte es keine Rolle, woher die jeweilige Praxis ursprünglich stammte, entscheidend für ihn war, ob sie den angestrebten Zweck, z. B. die Übung von Achtsamkeit, die Entdeckung der grundlegenden Gutheit etc., erfüllte. Nicht alle Innovationen stießen von Anfang an auf Wohlwollen unter seinen Weggefährten und Schülern; manche führten auch zu kritischen Äußerungen außenstehender Beobachter. Insbesondere die Interpretation seiner Organisation als Manifestation des Königreichs von Shambhala, des Hauptsitzes als Kalapa-Hof und seiner Rolle als Sakyong und König von Shambhala zeigen gleichermaßen Parallelen zu tibetischen Feudalstrukturen wie auch Affinitäten zum westlichen Konsumkapitalismus. Die ostentative Zuschaustellung seines

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Leben und Wirken Chögyam Trungpas (1939 – 1987)

Wohlstandes und seiner höfischen Hierarchie samt Dienern, Bodyguards und Limousinen, sein unkonventionelles Verhalten sowie die Verehrung seiner Person durch seine Schüler führten dazu, dass er im Kontext der nordamerikanischen Gesellschaft von manchen Akteuren als suspekt, als Guru und Kultführer wahrgenommen wurde, während er für andere gerade dadurch seine Authentizität als hoher tibetischer Tülku und »verrückter Heiliger« demonstrierte: Trungpa is certainly no fraud; prepared from childhood on to be the abbot of several monasteries in Tibet, he fled the country when the Communists took it over in 1959 and later came to America in 1970. He is believed by his followers to be the incarnation of Trungpa Tulku, an earlier Tibetan master, and to be heir to a tradition of »crazy wisdom« dating back 1,800 years to Milarepa and Padmasambhava, revered Tibetan saints. […] (Marin 1979: 45) To someone who sees Trungpa – as I do – as simply an ordinary man dressed in the chimerical robes of a mystical king, his behavior is not particular surprising. Power and alcohol go to most men’s heads, and if you raise a man from childhood to believe in his own power, it is not surprising that he sometimes abuses it. (Marin 1979: 53)

In Trungpas Konventionsbrüchen und Innovationen liegt seine Wahrnehmung als »extravaganter« oder »unkonventioneller« tibetischer Lama begründet, der den tibetischen Buddhismus »verwestlicht« oder »amerikanisiert« habe. Damit stellt sich für manche die Frage nach der Authentizität der von Trungpa gelehrten Konzepte und Praktiken. Vermeintliche Authentizität wird dabei moralisch höher bewertet als Aneignung, Abwandlung oder Anpassung, ohne zu berücksichtigen, dass Authentizität selbst eine diskursive Konstruktion ist. Die Zuschreibung und Negation von Authentizität durch Akteure und Institutionen ist somit Teil eines dynamischen Prozesses der Legitimation und Delegitimation von religiösen Transformationen und Innovationen, welche die Religionsgeschichte durchziehen. Transformationen und Innovationen müssen durch die Rückbindung an eine »authentische Tradition« legitimiert werden und im aktuellen Umfeld »Sinn« für die Akteure ergeben. Im Fall von Chögyam Trungpa spielten sein eigenes symbolisches Kapital als tibetischer Tülku und das anderer hochrangiger tibetisch-buddhistischer Experten, wie z. B. des 16. Karmapas und Dilgo Khyentses, eine entscheidende Rolle in der Bestätigung der Authentizität der von ihm vermittelten innovativen Lehren und Praktiken und der Anerkennung seiner Organisationen als legitime buddhistische Institutionen. Trungpas Universalisierung und Säkularisierung buddhistischer Konzepte und Praktiken, wie z. B. Erleuchtung, Buddha-Natur und Meditation, durch die Herauslösung aus einem spezifischen religiösen Kontext und die Stilisierung zu allgemeinen

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Abschließende Betrachtungen: Chögyam Trungpa als religiöser Innovator

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menschlichen Idealen und Zielen, halfen ihm, seine Neukombinationen und Innovationen für potentielle Interessenten sowie Mitglieder seiner Gemeinschaft »sinnhaft« zu gestalten. Sie wurden anschlussfähig an bestehende zeitgenössische Diskurse, die einen gewissen religionskritischen Impetus gegenüber tradierten (abendländischen) Institutionen hatten und die Spiritualität und Sakralität als Dimension der menschlichen Erfahrung unabhängig von spezifischen historischen Religionen propagierten. Gleichzeitig spielten asiatische oder östliche Traditionen eine besondere Rolle in dieser Diskursformation, da ihnen die Bewahrung besonderer Weisheiten und Techniken zugeschrieben wurde, die dieser Form menschlicher Erfahrung von Spiritualität und Sakralität besonders dienlich seien. In dieser Hinsicht bedurften Trungpas neue »säkulare«, universalisierte Shambhala-Lehren der Legitimation durch seinem Status als inkarnierter tibetischer Lama, auch wenn er an verschiedenen Stellen betonte, dass dieses Wissen und die kontemplativen Praktiken keiner spezifischen Kultur oder Religion zu eigen seien.

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6.

Shambhala Training: Struktur, Inhalt und Genese eines neuen Wissens- und Praxisfeldes

Student: Do you think the Kingdom of Shambhala will manifest again on a worldwide scale as a Golden or Enlightened Age? Dorje Dradul of Mukpo: You bet. Student: Do you have any time frame for that, say a hundred years or two hundred years from now? Dorje Dradul of Mukpo: Right now. It is possible. (Trungpa 2001: 193 f)

6.1

Shambhala Training – Verortung im Wirken Chögyam Trungpas

Innerhalb des vielfältigen Spektrums der von Chögyam Trungpa vermittelten Vorstellungen und Praktiken nimmt der Bereich mit dem Titel Shambhala Training eine besondere Stellung ein. Trungpa hatte seit seiner Ankunft in den USA als buddhistischer Lehrer gewirkt. In den ersten sechs Jahren hatte er unter Mitwirkung seiner Schüler bereits rund fünfzig Meditationszentren begründet, die unter dem Dach von Vajradhatu organisiert waren.1 Außerdem hatte er das Naropa Institute ins Leben gerufen, hunderte Seminare zu buddhistischen Lehren und Meditation unterrichtet und circa 500 öffentliche Vorträge gehalten (vgl. Gimian 2005: 337). In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre begann Trungpa, einen Komplex von Vorstellungen zu entwickeln und mit spezifischen Praktiken zu verknüpfen, 1 Der Sankskrit-Begriff vajradha¯tu bedeutet Diamantraum bzw. unzerstörbarer Raum und fungierte als Bezeichnung für das von Chögyam Trungpa begründete Netzwerk von buddhistischen Meditations- und Studienzentren. Die von Trungpa gegründete Organisation trug ab 1973 diesen Namen, bis sie von seinem Sohn Sakyong Mipham im Jahr 1992 administrativ und inhaltlich neu strukturiert wurde. Im Zuge der Umstrukturierung wurden die Bereiche Vajradhatu und Shambhala Training unter einem gemeinsamen Dach mit dem Titel Shambhala International vereint (vgl. Hayward 2008: 411 f).

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Shambhala Training

welcher sich nicht dezidiert an Menschen richtete, die am Buddhismus interessiert waren, sondern auf ein breiteres Publikum zielte. Diese neuen Ideen und Konzepte bezogen sich auf die erleuchtete Gesellschaft Shambhalas und wurden daher als Shambhala-Lehren bezeichnet. Das Programm zur Vermittlung der Shambhala-Lehren, das innerhalb des buddhistischen Vajradhatu-Netzwerkes angesiedelt war, nannte sich Shambhala Training. In einer Broschüre von Shambhala Europe wird Shambhala Training wie folgt beschrieben: Shambhala Training is a secular path of spiritual training which develops fearless and gentle action in the world. This action arises out of trusting in innate human goodness and connecting with the inherent power and sacredness of the world. Shambhala Training welcomes people of all religious traditions as well as those who do not follow a particular spiritual path. (Shambhala Europe o. J.: 5)

Bei der Entwicklung von Shambhala Training kamen verschiedene kulturelle Einflüsse zum Tragen: Neben tibetischen Elementen waren Einwirkungen der amerikanischen Counterculture, Bezüge auf die britische Monarchie sowie Anleihen beim japanischen Zen-Buddhismus erkennbar. Von zentraler Bedeutung ist die Vorstellung einer erleuchteten Gesellschaft, die es im Hier und Jetzt zu errichten gelte. Diese Idee wurde beeinflusst von dem zentralasiatischen Mythos des geheimen Königreiches Shambhala, in dem Frieden, Glück und Wohlstand herrschen sollen und alle Bewohner nach Erleuchtung streben.2 Shambhala Training wurde als ein Meditationsprogramm konzipiert, das sich dem Selbstverständnis nach an jeden richtet, unabhängig von der jeweiligen religiösen Affiliation oder Nicht-Affiliation. Daher wurde dieses Programm auch als säkularer und dennoch heiliger Weg zur Erleuchtung verstanden, welcher sich vom buddhistischen Zugang unterscheidet (vgl. Gimian 2001a). Die Praxis der Sitzmeditation, bei der man Achtsamkeit und Gewahrsein übt – in der Gemeinschaft als Shamatha-Vipashyana bezeichnet –, steht dabei im Zentrum und nimmt während der Wochenendseminare einen großen Raum ein. Die Entstehung von Shambhala Training ist zum Teil gut dokumentiert. Als Quellenmaterial für die vorliegende Studie werden vor allem die Arbeiten und Erinnerungen von Schülern und Weggefährten Trungpas herangezogen, wie die Trungpa-Biographie Fabrice Midals (2004), die Autobiographie von Diana Mukpo, der Ehefrau Trungpas (vgl. Mukpo/Gimian 2006), und Ausführungen von Carolyn Rose Gimian (2001a; 2005) sowie Jeremy Hayward (2008), die langjährige Schüler Trungpas waren. Von Trungpa selbst liegen zu diesem Bereich seines Wirkens ebenfalls Schriften und Vorträge vor (vgl. Trungpa 1988; 2 Siehe dazu die Ausführungen im vierten Kapitel.

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2001; 2004i).3 Alle Titel sind bei Shambhala Publications erschienen, einem Verlag, der sich auf Bücher spezialisiert hat, die sich mit Religion, Spiritualität und Philosophie im Allgemeinen und mit Buddhismus im Besonderen befassen.4 Der Verlag ging Ende der 1960er, als die amerikanische Counterculture im Zenit stand, aus dem spirituell orientierten Buchgeschäft Shambhala Booksellers hervor, das von Samuel Bercholz und Michael Fagan in Berkeley, Kalifornien, betrieben wurde. Die erste Publikation des Verlages war im Jahr 1969 das Buch Meditation in Action von Chögyam Trungpa, der damals noch in Schottland lebte. Dieses Buch markierte den Beginn der Zusammenarbeit zwischen Trungpa und dem Verlag, der bis heute Trungpas Bücher verlegt.5 Der Verlag trug den Namen »Shambhala« schon bevor Trungpa Ende der 1970er Jahre Shambhala Training entwickelte. Shambhala Publications ist ein unabhängiges Unternehmen und nicht mit der von Trungpa ins Leben gerufenen Gemeinschaft, die damals noch den Namen Vajradhatu trug und erst seit 1992 unter Shambhala International bekannt ist, organisatorisch verknüpft. Dennoch zählt Samuel Bercholz, einer der beiden Verlagsgründer, zu den ersten Schülern Trungpas in Nordamerika. Er hatte unter anderem 1970 die Reise Trungpas in die USA mitfinanziert und im Laufe der Jahre verschiedene Positionen sowohl innerhalb von Vajradhatu als auch dem Naropa Institute inne.6 Da der Verlag 1976 nach Boulder, Colorado, zog, wo sich der damalige Hauptsitz von Vajradhatu befand und das Naropa Institute angesiedelt war, konnte Trungpa für die Publikation seiner Bücher auf eine gute Infrastruktur zurückgreifen. Die Shambhala-Lehren wurden in zwei Büchern publiziert: Shambhala: The Sacred Path of the Warrior (1984) und Great Eastern Sun: The Wisdom of Shambhala (1999). Beide Bücher sind Kompilationen aus Vortragsmaterialien Trungpas und wurden von seiner langjährigen Schülerin Carolyn Rose Gimian editiert.7 Darüber hinaus sind die Shambhala-Lehren in den von Trungpa nie3 Für die biographischen Quellen und die Schriften Trungpas gelten auch in diesem Zusammenhang die gleichen Probleme, die bereits im vorangegangenen biographischen Kapitel erörtert wurden. Diese Quellen bieten keinen unmittelbaren Zugriff – weder auf das historische Geschehen noch auf das Denken Trungpas –, sondern verschiedene Sichtweisen, die von beteiligten Akteuren retrospektiv beziehungsweise editorisch für eine Buchpublikation aufbereitet wurden. 4 Zum Programm des Verlages gehören u. a. auch Titel von Ken Wilber und Fritjof Capra. Zur Geschichte des Verlags Shambhala Publications siehe die Angaben auf der Verlags-Website unter : http://www.shambhala.com/about-shambhala (abgerufen am 10. 11. 2013). 5 Vgl. dazu den aktuellen Gesamtkatalog von Shambhala Publications unter folgender Webadresse: https://www.shambhala.com/books.html (abgerufen am 10. 11. 2013) sowie das Autorenverzeichnis des Verlages unter http://www.shambhala.com/authors.html (abgerufen am 10. 11. 2013). 6 Vgl. http://www.shambhala.org/teachers/acharya/sbercholz.php (abgerufen am 10. 11. 2013). 7 Für Anmerkungen der Herausgeberin zum Editionsprozess, den Entscheidungen zur Auswahl und Gestaltung des Materials siehe Carolyn Rose Gimian (1988; 2001a; 2004a).

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dergeschriebenen Shambhala-Terma-Texten dargelegt, die nicht öffentlich zugänglich sind und nur von eingeweihten Schülern gelesen und studiert werden können, die diese im Rahmen des zweiten Zyklus von Shambhala Training, »The Sacred Path«, von einem autorisierten Lehrer übertragen bekommen haben. Zudem existieren zahlreiche Seminar- und Vortragstranskripte Trungpas in den Shambhala-Archiven, die ebenfalls nur von autorisierten Mitgliedern der Gemeinschaft genutzt werden können und daher nicht ohne weiteres frei verfügbar sind. Das erste Buch mit dem Titel Shambhala: The Sacred Path of the Warrior erschien 1984 noch zu Lebzeiten Trungpas und hatte das von ihm entworfene Shambhala-Siegel auf dem Cover. Anfängliche Überlegungen sahen als Titel »Great Eastern Sun: The Wisdom of Shambhala« vor, jedoch wurde dieser für die Drucklegung in Shambhala: The Sacred Path of the Warrior geändert (vgl. Gimian 2001a: 215). Die Struktur des Buches folgt der Logik des Shambhala Training-Programms, das in zwei Zyklen, die jeweils aus mehreren Stufen bestehen, unterteilt ist. Das Buch gliedert sich in drei Teile, die insgesamt 21 Kapitel umfassen, in denen die Fundamente der Shambhala-Lehren dargelegt werden. Der erste Teil »How to be a Warrior« erläutert die Grundlagen der ShambhalaLehren. Dazu gehören die Idee der grundlegenden Gutheit (basic goodness), die jedem Menschen inhärent sei, und die Vision der Großen Östlichen Sonne (Great Eastern Sun), die eine affirmative Haltung gegenüber dem Leben und der Welt beschreibt.8 Diese Grundlagen muss der Shambhala-Krieger auf seinem individuellen Weg entdecken und verwirklichen.9 Im zweiten Teil »Sacredness: The Warrior’s World« wird der individuelle Weg des Kriegers mit dem größeren Ziel der Transformation der Gesellschaft ver8 Da Chögyam Trungpa mit englischen Begriffskompositionen arbeitet, die meist mit einer sehr spezifischen Bedeutung versehen werden und sich nicht ohne weiteres deutsche Äquivalente dazu finden lassen, habe ich jeweils die von Trungpa verwendeten englischen Termini in Klammern angegeben, um Missverständnissen vorzubeugen. Dieses Problem wird auch in der Übersetzung der Bücher Trungpas und seines Sohnes Sakyong Mipham in die deutsche Sprache sichtbar. Zum Teil werden die von Trungpa verwendeten Begriffe auf eine Art und Weise übersetzt, die nicht dem Sprachgebrauch der Akteure in den deutschen Zentren entsprechen. Das mag in der Tatsache begründet sein, dass die Übersetzer zumeist keine Schüler Trungpas oder Mitglieder der von ihm begründeten Gemeinschaft waren und daher mit dem Sprachgebrauch und den zugeschriebenen semantischen Feldern nicht vertraut waren. Für die Praxistexte der Gemeinschaft gibt es jeweils nationale Komitees, die an der Übersetzung der Texte für die nationalen Zentren arbeiten. Zum Teil verwenden einzelne Praktizierende auch die englischen Termini, da sie die deutschen Entsprechungen als zu ungelenk empfinden. Außerdem ist hier der Umstand zu berücksichtigen, dass es sich um eine transnationale Gemeinschaft handelt und deutsche Praktizierende an Programmen im Ausland teilnehmen und Englisch somit als Verkehrssprache innerhalb der internationalen Gemeinschaft fungiert. 9 Eine ausführliche Darstellung von Trungpas Shambhala Vision sowie der von ihm verwendeten Konzepte und Begriffe erfolgt weiter unten.

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knüpft. Dazu muss der Krieger die Heiligkeit der Welt wahrnehmen und erfahren sowie eine positive Haltung gegenüber dem Leben und der Welt entwickeln. Auf dieser Basis ist er in der Lage, zum Wohle anderer zu wirken und so seinen Beitrag zur Errichtung einer erleuchteten Gesellschaft zu leisten. Der dritte und letzte Teil »Authentic Presence« beschreibt, wie der Shambhala-Krieger authentische Präsenz erlangt und ausstrahlt, indem er die vier Tugenden (four dignities) des Kriegers auf seinem Pfad der Kriegerschaft realisiert. Die vier Tugenden des Shambhala-Kriegers sind Sanftmut (meekness), Munterkeit (perkiness), Unerhörtheit (outrageousness) und Unergründlichkeit (inscrutability). Der Weg der vier Tugenden kulminiert in der Geburt des universellen Monarchen (universal monarch). Das Konzept des universellen Monarchen und die Verortung in der Shambhala-Linie werden ebenfalls im dritten Teil des Buches erörtert. Das Buch basiert auf einer Zusammenstellung von Vorträgen, die Trungpa im Rahmen von Shambhala Training-Programmen und einem Seminar am Naropa Institute im Sommer 1979 sowie vor den Direktoren und Lehrern des Shambhala Training-Programms gehalten hatte. Zusätzlich hat Trungpa einige ergänzende Materialien für die Publikation diktiert. Dazu zählen die drei ersten Abschnitte zu den Tugenden des Shambhala-Kriegers. Die Passage über die vierte Tugend der Unergründlichkeit basiert auf einem Essay, den Trungpa 1977 im Retreat verfasst hatte (vgl. Gimian 1988: 15). Das Buch enthält außerdem verschiedene Abbildungen und vermittelt so auch die visuell-ästhetische Seite der ShambhalaLehren. Zu den abgebildeten Darstellungen gehören die vier Tugenden versinnbildlicht durch vier Tiere (Tiger, Schneelöwe, Garuda und Drache),10 der Abdruck eines Thangkas11 von Dawa Sangpo, dem ersten König von Shambhala, das Shambhala-Siegel und die Große Östliche Sonne sowie kalligrafische Werke und Verse von Trungpa (sowohl in tibetischer als auch in englischer Sprache). In der deutschen Übersetzung lautet der Titel Das Buch vom meditativen Leben, wodurch sowohl der Begriff Shambhala als auch die Figur des Kriegers im Titel völlig unerwähnt bleiben. Die deutsche Version weicht nicht nur in der Titelwahl von der englischsprachigen Ausgabe ab; auch in der Gestaltung lassen sich Differenzen finden. Auf den ersten beiden und den letzten beiden Seiten der englischen Ausgabe ist jeweils ein Tier abgebildet, welches für eine der vier Tugenden des Shambhala-Kriegers steht. Diese Abbildungen fehlen in der deutschsprachigen Ausgabe ebenso wie ein vierzeiliger Vers, welcher der englischen Edition vorangestellt ist. Die anderen Verse sind nur in deutscher 10 Darstellungen von Tiger, (Schnee-)Löwe, Garuda (oder Adler) und Drache (in dieser Reihenfolge in Trungpas Buch abgebildet) finden sich im tibetisch-buddhistischen Kulturkreis häufig auf Gebetsfahnen (vgl. Karmay 1998b). 11 Thangkha (thang kha) ist die Bezeichnung für tibetische Rollbilder.

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Sprache wiedergegeben; die tibetischen Verse wurden weggelassen. Seit der ersten deutschen Ausgabe, erschienen 1986 bei Verlag O.W. Barth in München, sind weitere Ausgaben auch bei anderen deutschen Verlagen erschienen.12 Die zweite wichtige Publikation zu den Shambhala-Lehren mit dem Titel Great Eastern Sun: The Wisdom of Shambhala erschien erstmals 1999 bei Shambhala Publications und damit 12 Jahre nach dem Tod von Trungpa. Das Buch beinhaltet zwei öffentliche Vorträge sowie eine Reihe von Shambhala Training-Vorträgen, die Trungpa vor Teilnehmern der Stufe fünf gehalten hatte (vgl. Gimian 2001a: 221). Zu Trungpas Lebzeiten bestand Shambhala Training aus fünf Wochenendseminaren, die den fünf Stufen von Shambhala Training entsprachen und jeweils wie folgt aufgebaut waren: Das Programm begann Freitagabend mit einem Eröffnungsvortrag; Samstag und Sonntag bestanden aus Perioden der Sitz- und Gehmeditation, Interviews mit den Instruktoren und Gruppendiskussionen. Am Abend gab es jeweils einen weiteren Vortrag mit der Möglichkeit zur anschließenden Diskussion. Das Programm endete üblicherweise am Sonntagabend nach dem letzten Vortrag mit einer festlichen Zusammenkunft.13 Die Stufen eins bis vier wurden von langjährigen Schülern Trungpas unterrichtet, während Stufe fünf von Trungpa selbst präsentiert wurde. Zu dieser Zeit trug Stufe fünf den Titel »Offener Himmel/Uranfänglicher Strich« (Open Sky/Primordial Stroke). Die drei abendlichen Vorträge verschiedener Wochenendseminare der Stufe fünf, die Trungpa in den Jahren 1979 bis 1982 in den USA und Kanada gehalten hatte, bilden die Grundlage für die Publikation Great Eastern Sun (vgl. Gimian 2001a).14 Da es sich um verschiedene Vorträge zu ein und derselben Stufe handelt, folgt das Buch gewissermaßen einer zirkulären Struktur in der Präsentation der Materialien. Das räumt dem Leser die Möglichkeit ein, das Buch nicht chronologisch lesen zu müssen, sondern erlaubt ihm, an jedem Abschnitt des Buches mit der Lektüre zu beginnen und sich von dort aus das präsentierte Material in seiner Gesamtheit zu erschließen. Das verwendete Material verleiht dem Buch eine spezifische Struktur, die sich damit vom Aufbau des ersten Buches Shambhala: The Sacred Path of the Warrior unterscheidet. Die erste Publikation stellt die Grundlagen des Shambhala-Pfades, den Weg des Kriegers und das Ziel dieses Weges gleichsam in einer Art Stufenpfad dar, dem man beim Lesen der einzelnen Kapitel folgen kann. Trungpa hatte auch an anderen Stellen 12 Die zweite Auflage erschien 1988, die dritte Auflage kam 1989 heraus. Seit 1991 wird das Buch auch bei Rowohlt in Reinbek bei Hamburg als Taschenbuch verlegt. Seit 2007 wird es zusätzlich vom Fischer-Verlag Frankfurt als Taschenbuch herausgegeben. 13 Diese Struktur der Wochenendprogramme ist bis heute üblich, wie ich durch die Teilnahme an zwei Seminaren in der Gemeinschaft erfahren konnte. 14 Eine Ausnahme bilden die Vorträge aus New York im Januar 1982, von denen nur Vortrag zwei und drei abgedruckt wurden (vgl. Trungpa 2001: 243).

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mit dem aus dem tantrischen Buddhismus bekannten Konzept von Grund, Pfad und Frucht gearbeitet, um die Shambhala-Lehren zu präsentieren (vgl. Trungpa 2004i: 381, 394ff). Die zweite Publikation, die von der Editorin als Fortsetzung und Ergänzung des ersten Buches von 1984 betrachtet wird (vgl. Gimian 2001b: xvii), folgt dagegen der oben beschriebenen zirkulären Struktur. Das Buch gliedert sich in einen Prolog und fünf Abschnitte, die jeweils mit einem Attribut versehen sind, welches die Qualität von Ash¦15, des uranfänglichen Strichs (primordial stroke), beschreibt: 1. tiefgründig (profound), 2. funkelnd (brilliant), 3. gerecht (just), 4. machtvoll (powerfull), 5. alles besiegend (all-victorious).16 Jeder der fünf Abschnitte besteht aus drei Teilen, die jeweils die drei abendlichen Vorträge eines Shambhala Training-Seminars der Stufe fünf enthalten. Die einzelnen Vorträge kreisen um die Idee des uranfänglichen Punkts (primordial dot), der einen Moment der menschlichen Erfahrung, einen offenen Raum im Bewusstsein vor jedem Gedanken bezeichnet. Von diesem unbedingten Punkt aus, der wie ein Punkt in einem offenen Himmel sei, könne man die grundlegende Gutheit erfahren und verwirklichen, indem man dem Weg des Kriegers folge. Stufe fünf des Shambhala-Weges stellt die Verknüpfung zwischen dem individuellen Pfad des Shambhala-Kriegers und der sozialen Vision einer Transformation der Gesellschaft dar. Um in der Welt zu wirken und anderen zu helfen, muss der Krieger Vertrauen, Entsagung und Loslassen erlernen. Die einzelnen Beiträge des Bandes befassen sich jeweils mit diesen Prozessen. Da Trungpa für die erste Publikation ursprünglich den Titel Great Eastern Sun: The Wisdom of Shambhala vorgesehen hatte, der jedoch nicht verwendet wurde, wählte man diesen Titel für das zweite Buch (vgl. Gimian 2001a: 215). Die deutsche Ausgabe trug die wörtliche Übersetzung Große Östliche Sonne: Die Weisheit von Shambhala und wurde 2004 vom Arbor-Verlag in Freiamt verlegt. Das zweite Buch enthält ebenfalls verschiedene Fotos und Abbildungen, unter anderem von den vier Tieren, welche die vier Tugenden des Kriegers symbolisieren, sowie Kalligraphien und Gedichte von Trungpa. Literatur ist für viele Akteure im westlichen buddhistischen Feld ein erster Zugang zu buddhistischen Vorstellungen und Praktiken.17 Auch für verschie15 Ash¦ (tib. a shad), dargestellt als einzelner senkrechter Strich, gilt im Kontext der Shambhala-Lehren Trungpas als Symbol der Wachheit, der Furchtlosigkeit und der Sanftheit des menschlichen Herzens. 16 Der Begriff Ash¦ wird außer im Vorwort der Herausgeberin (vgl. Gimian 2001b) in den abgedruckten Vorträgen nicht weiter erwähnt. Jedoch wird der Begriff Ash¦ in den Aufzeichnungen und Notizen Trungpas zu den Vorträgen, die im Anhang beigefügt sind, genannt. Da die Stufe fünf des Shambhala Training-Programms jedoch anfänglich den Titel »Offener Himmel/Uranfänglicher Strich« (open sky/primordial stroke) trug, befassen sich die Vorträge mit den Qualitäten von Ash¦, dem uranfänglichen Strich, ohne diesen explizit zu erwähnen. Heute heißt Stufe fünf nur noch »Offener Himmel«. 17 Bei einer Befragung im Raum Berlin gaben 55 % der Befragten an, dass ihr Interesse für das

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dene Akteure, in der von mir im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung untersuchten Shambhala-buddhistischen Gemeinschaft ging die Lektüre dem Besuch und der Praxis in der Gemeinschaft voraus. Vor allem Trungpas Das Buch vom meditativen Leben hatte für viele eine initiatorische Funktion, wie Gespräche und Interviews mit Akteuren ergeben haben. Für den deutschsprachigen Kontext scheint der Umstand, dass der Titel der Publikation Das Buch vom meditativen Leben und nicht Shambhala: The Sacred Path of the Warrior lautete, von nicht unerheblicher Bedeutung zu sein. Die Formulierung »Shambhala: Der heilige Pfad des Kriegers« dürfte beim potentiellen Leser andere Assoziationen wecken als ein Buch, das einen »meditativen Zugang zum Leben« verspricht und so innerhalb der dominanten Deutungsmuster des modernistischen Buddhismusdiskurses interpretiert werden kann. Dennoch korrespondiert auch der deutsche Titel durchaus mit den Inhalten des Buches, beschreibt der Autor mit den Shambhala-Lehren doch den meditativen Weg des Kriegers im alltäglichen Leben. Im Folgenden werden zum einen die grundlegenden Konzepte und Begriffe der Shambhala-Lehren vorgestellt. Um eine Reduktion auf die Ebene reiner Ideen zu vermeiden, werden zum anderen die strukturelle und die materiellästhetische Gestaltung des Shambhala Training-Programms zur Sprache kommen, die neben den ideellen Konzepten den Rahmen für die Praktiken darstellen. Shambhala Training wird hier als ein Wissens- und Praxisfeld verstanden, dessen Genese im Verlauf dieses Kapitels herausgearbeitet und nachgezeichnet wird.

6.2

Chögyam Trungpas Shambhala-Vision

Innerhalb des Kontextes von Shambhala Training wird mit bestimmten Begriffen und Vorstellungen operiert, die hier in Grundzügen dargestellt werden sollen, um die nachfolgenden Ausführungen zur Genese und Struktur von Shambhala Training nachvollziehbar zu gestalten. In der Darstellung der elementaren Konzepte beziehe ich mich, sofern nicht anders angegeben, vor allem auf die publizierten Ausführungen Chögyam Trungpas in den beiden Hauptwerken zu diesem Themenfeld Shambhala: The Sacred Path of the Warrior (1988) und Great Eastern Sun: The Wisdom of Shambhala (2001) sowie auf ausgewählte Schriften zum Thema aus The Collected Works of Chögyam Trungpa, Vol. 8 (vgl. Trungpa 2004i). Bei der folgenden Exploration handelt es sich um eine von mir vorgenommene selektive Zusammenstellung, die nicht zwangsThema Buddhismus über die Lektüre von Büchern geweckt wurde (vgl. Prohl/Rakow 2008: 11 f). Die Ergebnisse der empirischen Studie decken sich mit den Ergebnissen anderer Studien (vgl. Saalfrank 1997; Coleman 1999; 2001).

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Chögyam Trungpas Shambhala-Vision

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läufig mit den Wissensbeständen individueller Akteure im Feld übereinstimmt. In der von mir im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung besuchten Shambhala-buddhistischen Meditationsgruppe war ein weites Spektrum divergierender Wissensbestände zu beobachten, die durch verschiedene Faktoren bedingt waren. Abhängig von der Dauer der Zugehörigkeit zur Gruppe, vom Grad des Involvements in die Gruppenaktivitäten, der Auswahl der Lektüre und der besuchten Programme und Seminare sowie der individuellen Interessenlage waren die Wissensbestände der einzelnen Akteure sehr unterschiedlich zusammengesetzt. Dieses Vorgehen ist dennoch gerechtfertigt, da es an dieser Stelle primär um die Darstellung der von Trungpa formulierten ShambhalaVision geht. Gleichzeitig sollen an den entsprechenden Stellen die verschiedenen Einflüsse auf die inhaltliche Gestaltung der Shambhala-Lehren in der Präsentation durch Trungpa aufgezeigt werden.

Das Königreich von Shambhala: Ideal einer erleuchteten Gesellschaft Der Begriff Shambhala steht bei Trungpa als Metapher für eine erleuchtete Gesellschaft (enlightened society), die im Hier und Jetzt realisiert werden soll und kann, wie dem zu Beginn des Kapitels angeführten Zitat zu entnehmen ist. Wie Trungpa hervorhebt, geht es ihm nicht um eine Präsentation der tantrischen Lehren über Shambhala oder das Ka¯lacakra-Tantra (vgl. Trungpa 1988: 19), auch wenn er sich an einzelnen Stellen auf Narrative des zentralasiatischen Mythos von Shambhala bezieht. In Trungpas Interpretation repräsentiert das legendäre Königreich Shambhala das Ideal einer säkularen erleuchteten Gesellschaft, die nicht durch strikte religiöse Praxis, sondern durch eine angemessene Lebensführung und Bewältigung des Alltags gekennzeichnet sei: According to tradition, the Kingdom of Shambhala was a kingdom in Central Asia where this wisdom was taught and an excellent society was created. […] The Kingdom of Shambhala could be said to be a mythical kingdom or a real kingdom – to the extent that you believe in Atlantis or in heaven. It has been said that the kingdom was technologically advanced and that the citizens had tremendous intelligence. Spirituality was secularized, meaning that day-to-day living situations were handled properly. Life was not based on the worship of a deity or on vigorous religious practice, as such. Rather, that wonderful world of Shambhala was based on actually relating with your life, your body, your food, your household, your marital situations, your breath, your environment, your atmosphere. (Trungpa 2001: 4)

Trungpas skizzenhafte Beschreibung des legendären Königreichs Shambhala erinnert stark an Darstellungen, die aus modernen, westlichen Interpretationen

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des Shambhala-Motivs bekannt sind (vgl. Bailey 2002; Tomas 1977). Durch die verwendeten Attribute zur Beschreibung Shambhalas, wie z. B. technologisch, fortschrittlich, intelligent, säkular, und den Verweis auf den ebenso legendären, versunkenen Kontinent Atlantis weicht diese Darstellung Shambhalas von jener ab, die Trungpa gegenüber James George bei ihrer Begegnung in Indien 1968 geäußert hatte. In seiner Beschreibung Shambhalas gegenüber James George erwähnte Trungpa schneebedeckte Berge, grüne Täler, eine wunderschöne Stadt inmitten des geheimen Königreichs, in dem außergewöhnliche Menschen leben würden, sowie Tempel, Chörtens und andere sakrale Monumente (vgl. George 1976). Diese Schilderung Shambhalas wies wesentlich größere Parallelen zu den klassischen Beschreibungsmustern in tibetischen Quellen auf. Im Vergleich dazu betonte Trungpa in späteren Darstellungen die säkularen Aspekte Shambhalas, das nicht mehr nur die ideale buddhistische Gesellschaft verkörpert, wo die höchsten buddhistischen Lehren praktiziert und bewahrt würden, sondern das für eine ideale säkulare Gesellschaft steht, die keiner bestimmten Religion verpflichtet ist. Nach Trungpa bauen die Shambhala-Lehren zwar auf einem buddhistischen Fundament auf, zugleich sind sie jedoch eigenständig und übergreifend, da sie sich auf das Menschsein und die Frage beziehen, wie man ein guter Mensch ist und ein angemessenes Leben führt: Over the past seven years, I have been presenting a series of »Shambhala teachings« that use the image of the Shambhala kingdom to represent the ideal of secular enlightenment, that is, the possibility of uplifting our personal existence and that of others without the help of any religious outlook. For although the Shambhala tradition is founded on the sanity and gentleness of the Buddhist tradition, at the same time, it has its own independent basis, which is directly cultivating who and what we are as human beings. With the great problems now facing human society, it seems increasingly important to find simple and nonsectarian ways to work with ourselves and to share our understanding with others. (Trungpa 1988: 27)

Trungpa nutzte das Bild des Königreiches von Shambhala, das zwar dem zentralasiatischen Kontext entstammt, hier jedoch vor einem modernen, westlichen Hintergrund aktualisiert wird, um seinen breiten und inklusiven Ansatz einer säkularen erleuchteten Gesellschaft als Vision für die Gegenwart zu vermitteln. In diesem Verständnis richtet sich die Shambhala-Vision an den modernen Menschen. Das einende Element ist die Berufung auf das Menschsein, wodurch religiöse Differenzierungen möglich sind, jedoch nicht den primären Referenzrahmen bilden: Shambhala vision applies to people of any faith, not just people who believe in Buddhism. Anyone can benefit from the Shambhala training and Shambhala vision, without its undermining their faith or relationship with their minister, their priest,

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their bishop, their pope, whatever religious leaders they may follow. The Shambhala vision does not distinguish a Buddhist from a Catholic, a Protestant, a Jew, a Moslem, a Hindu. That’s why we call it the Shambhala kingdom. A kingdom should have lots of different spiritual disciplines in it. (Trungpa 2001: 133, Hervorhebung im Original)

Die Shambhala-Vision einer erleuchteten Gesellschaft wird in der Metapher der »Großen Östlichen Sonne« (Great Eastern Sun, tib. Sharchen Nyima) zum Ausdruck gebracht. Die Große Östliche Sonne wird von Trungpa als eine aufgehende Sonne beschrieben, die für die menschliche Wertschätzung des Lebens und der Welt stehe. Die Welt wird als heilig betrachtet, sei voller Schönheit und bedürfe der Bewahrung und Pflege durch den Menschen. Die Shambhala-Vision der Großen Östlichen Sonne bringe ein natürliches Interesse für die Welt mit sich und richte sich damit gegen eine »Sonnenuntergangsmentalität« (setting sun mentality) des bedingungslosen Materialismus, der Verschwendung, Verantwortungslosigkeit und Angst (vgl. Trungpa 1988: 55ff).18 Das Attribut »groß« steht hier für ein Gefühl der Erhabenheit, für Stärke, Energie und Furchtlosigkeit. »Östlich« repräsentiere die Morgendämmerung, das Konzept der Wachheit und stehe nicht notwendigerweise für eine geographische Richtung oder Region.19 Die »Sonne« als drittes Element der Formel gleiche einem alles durchdringenden Strahlen und absoluter Klarheit, ungetrübt von Zweifeln (vgl. Trungpa 2001: 151 f; 2004c: 21; 2004i: 382). Die Vision der Großen Östlichen Sonne beschreibe eine Geisteshaltung, die durch Wachheit, Offenheit und Furchtlosigkeit charakterisiert sei (vgl. Trungpa 2004c: 26) und kreiere eine Atmosphäre, in der diese Eigenschaften entwickelt werden können (vgl. Trungpa 1988: 63). Gleichzeitig wird die Idee der Großen Östlichen Sonne nicht als etwas dem Menschen Äußerliches konzeptualisiert, sondern als etwas, dass jeder Mensch in seinem Sein aus sich heraus kultivieren und verwirklichen könne (vgl. Trungpa 1988: 58, 62). Die Zentralität der Vision der Großen Östlichen Sonne für die ShambhalaLehren wird auch in ästhetischen Formen sichtbar : In den von Trungpa entworfenen Insignien, wie dem Shambhala-Banner und dem Shambhala-Siegel, nimmt die Darstellung einer Sonne bzw. einer Sonnenscheibe eine zentrale Position ein. Auf dem Cover des Buches Great Eastern Sun: The Wisdom of Shambhala sind die stilisierten Strahlen einer goldenen Sonne abgebildet, in 18 Die Große Östliche Sonne kann hier als Analogie zum buddhistischen Konzept der Erleuchtung gelesen werden und die untergehende Sonne (setting sun) als Äquivalent für das buddhistische Konzept von Samsara (vgl. Butterfield 1994: 96). 19 Trungpa spricht hier von einem »unbedingtem Osten«, der unabhängig ist von den Richtungen Süd, West und Nord und der das Konzept grundlegender Wachheit repräsentiert (vgl. Trungpa 2004c: 21).

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Shambhala Training

deren Mitte sich der achtfache Knoten, ein Symbol aus dem buddhistischen Kontext, befindet. Diese Darstellung wurde von Trungpa entworfen und findet häufig Verwendung sowohl in den Publikationen und Materialien der Gemeinschaft als auch in den Schriften Trungpas.

Grundlegende Gutheit und die Heiligkeit der Welt Die Shambhala-Lehren sollen den modernen Menschen des Industriezeitalters auf einen heiligen Weg des Kriegers (sacred path of the warrior) führen. Die Figur des Kriegers ist für Trungpas Shambhala-Vision von zentraler Bedeutung. Der Krieger wird ausdrücklich nicht im Kontext von Aggression und Krieg gesehen (vgl. Trungpa 1988: 28; 2001: 6), sondern steht sinnbildlich für Mut, Furchtlosigkeit, Sanftheit, Wahrhaftigkeit und die Überwindung von Aggression. Trungpa verweist für sein Verständnis des Kriegers auf den tibetischen Begriff Pawo, dessen wörtliche Bedeutung er mit »einer, der mutig ist« (Trungpa 1988: 28) wiedergibt.20 Mut bedeutet hier nicht im herkömmlichen Sinn, keine Angst vor dem Feind zu haben oder die Bereitschaft für eine Sache zu sterben. Im Kontext der Shambhala-Vision steht Mut für die Bereitschaft, sich dem Leben mit Sanftmut und Offenheit zu stellen und zum Wohle anderer zu wirken (vgl. Trungpa 1988: 109). Furchtlosigkeit und Sanftmut beziehungsweise die Abwesenheit von Feigheit und Aggression werden daher als die charakteristischen Eigenschaften des Kriegers benannt. Das Prinzip der Kriegerschaft, das Trungpa im Rahmen der ShambhalaLehren vorstellt, basiert ihm zufolge auf dem Ideal des Kriegers, wie es in den alten Kulturen Tibets, Chinas, Japans und Koreas zu finden gewesen sei (vgl. Trungpa 1988: 19). An anderer Stelle erwähnt Trungpa das Vorkommen einer solchen Kriegertradition auch in weiteren kulturellen Kontexten und nennt unter anderem nordamerikanische, südamerikanische, jüdische und christliche Traditionen (vgl. Trungpa 1988: 28; 2004i: 386 f). Das Shambhala-Prinzip der Kriegerschaft, das auf dem Fundament der grundlegenden Gutheit (basic goodness) des Menschen basiert, sei jedoch weder spezifisch östlich noch westlich, sondern verkörpere eine umfassende Philosophie und Weisheit, die in vielen Traditionen zu finden sei (vgl. Trungpa 2004i: 386 f): The Shambhala teachings are founded on the premise that there is basic human wisdom that can help to solve the world’s problems. This wisdom does not belong to any one culture or religion, nor does it come only from the West or the East. Rather it is a 20 Pawo (dpa’ bo) bezeichnet u. a. eine mutige Person, einen Helden oder Krieger. Pawo wird auch gebraucht zur Bezeichnung von tantrischen Praktizierenden und Medien oder Orakelpriestern (vgl. Samuel 1993).

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tradition of human warriorship that existed in many cultures at many times throughout history. (Trungpa 1988: 25)

Die Eigenschaften des Kriegers, wie Furchtlosigkeit und Sanftmut, sollen durch das Erkennen und Verwirklichen der grundlegenden Gutheit manifestiert werden. Diese grundlegende Gutheit bestehe in jedem Menschen unbedingt und von Anbeginn und könne daher durch nichts verdorben werden oder verloren gehen. Diese Idee zeigt Parallelen zum buddhistischen Konzept der BuddhaNatur,21 die in jedem Menschen wohne und nur realisiert werden müsse.22 Trungpa selbst verweist sowohl auf die Verbindung der grundlegenden Gutheit zur buddhistischen Idee von bodhicitta23 als auch auf die Analogie zum Konzept der Buddha-Natur (vgl. Trungpa 1988: 44; 2004i: 390). Die Entdeckung der grundlegenden Gutheit in einem selbst und in der Welt führe zur Entwicklung einer positiven, offenen Haltung zu sich selbst, seinem Leben und der Welt. Der Krieger entwickle auf dieser Grundlage Würde (dignity) und Zuversicht (confidence). Mit der Realisation von grundlegender Gutheit gehe die Erfahrung der Ichlosigkeit24 einher, das heißt der Krieger überwinde seine Selbstzentriertheit und sei offen für andere Menschen und seine Umgebung (vgl. Trungpa 1988: 70, 154). Das Erkennen und Verwirklichen der grundlegenden Gutheit werde durch die Praxis der Sitzmeditation ermöglicht. Trungpa erwähnt, dass diese Technik durch den Buddha vor 2500 Jahren gelehrt und seitdem als orale Tradition von Mensch zu Mensch weitergereicht und lebendig gehalten wurde. In Trungpas Perspektive ist Meditation etwas sehr Basales und Einfaches, das nicht an eine einzelne Kultur geknüpft ist (vgl. Trungpa 1988: 36). Die Sitzmeditation, bei welcher der Fokus auf den Atem gerichtet wird, stellt die fundamentale Disziplin des Shambhala-Weges dar und nimmt daher bei den Wochenendprogrammen von Shambhala Training eine bedeutende Stellung ein (vgl. Trungpa 2001: 60, 21 Die Buddha-Natur (skr. buddhadhatu/buddhagotra, tib. sangs rgyas kyi khams/sangs rgyas kyi rigs) bezeichnet das inhärente Potential aller fühlenden Wesen, Buddhaschaft zu erlangen. Dieser Gedanke wird im Nirva¯na Sutra, dem Kerntext des Maha¯ya¯na Maha¯parinirva¯na ˙ ˙ Su¯tra (ca. 3. Jh.) formuliert. Diese Vorstellung ist eng verknüpft mit dem Tatha¯gatagarbhaKonzept (tib. bde gshegs snying po), welches ebenfalls das Potential zur Buddhaschaft aller fühlenden Wesen beschreibt (vgl. Lopez 2001: 97 – 101; Blum 2004; Grosnick 2004). 22 Midal verweist in seinen Erläuterungen zur grundlegenden Gutheit auf die Verbindung zu den Dzogchen-Lehren der Nyingmapa, in denen dieses Konzept im Begriff kadak zum Ausdruck gebracht werde (vgl. Midal 2004: 209). Der tibetische Begriff ka dag wird als ursprüngliche Reinheit übersetzt und bezeichnet die grundlegende Natur eines fühlenden Wesens, die ursprünglich frei von jeglicher Beschmutzung sei. 23 Bodhicitta (skr.) bedeutet wörtlich Erleuchtungsgeist. Die Entwicklung von Bodhicitta ist zentral für den Weg des Bodhisattvas (vgl. Lopez 2001: 72ff). 24 Trungpa nutzt den Begriff egolessness, der auf die buddhistische Lehre von der Illusion des Selbst und dem Erkennen, dass es kein Selbst gibt (ana¯tman), verweist.

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157). Durch die Praxis der Sitzmeditation und das Training von Achtsamkeit und Gewahrsein (shamatha-vipashyana) lernt der Krieger die Synchronisation von Körper und Geist und erlangt so einen Zustand der Entspanntheit und Zuversicht als Grundlage für sein Handeln in der Welt und im Alltag (vgl. Trungpa 1988: 101): When you realize that you don’t have to separate mind and body, then you can eat properly, sleep properly, get your hair cut properly – do anything properly. You can experience tremendous sacredness in ordinary activities. What is ordinarily regarded as casual activity, we regard as the sacredness of Shambhala. (Trungpa 2001: 196)

Die Welt, in welcher der Krieger lebt, wird als heilig betrachtet und der Weg des Kriegers gilt – wie auch im Titel des Buches The Sacred Path of The Warrior deutlich wird – als heiliger Pfad. Dennoch bedeute das Beschreiten dieses Weges nicht, dass der Krieger ein weltabgewandtes Leben führe. Im Gegenteil: Der Shambhala-Krieger agiere in der Welt. Mit dieser Betonung setzt sich Trungpa von Vorstellungen ab, bei denen Menschen, die einen religiösen Weg wählen, sich von einem weltlichen Leben zurückziehen. Als Beispiele gelten ihm der Buddha und die ihm nacheifernden Mönche und Nonnen. Für die Gegenwart sei jedoch ein Weg von Nöten, der ein Agieren in der Welt ermögliche (vgl. Trungpa 2001: 45). Im Rahmen von Shambhala Training soll der heilige Pfad der Kriegerschaft unabhängig von spezifischen religiösen oder spirituellen Zugehörigkeiten vermittelt werden (vgl. Trungpa 2001: 83). Die Idee der Heiligkeit (sacredness) ist für Trungpa daher nicht notwendig mit dem Konzept von Religion/ Religiosität verknüpft, sondern wird als grundlegende, unbedingte, inhärente Qualität der Welt und des Seins beschrieben (vgl. Trungpa 1988: 127): You’re not just an ordinary Joe Schmidt or Suzie Jones trying to lead a reasonable life. According to the Shambhala vision, you are sacred, and your environment is also very sacred. The sacredness is not from the point of view of religiosity. Rather, because you pay so much attention to your environment and because you as well as the general pattern of your life, therefore, the environment and the discipline that you have are extremely sacred. (Trungpa 2001: 89)

Jeder Bereich der Welt und des menschlichen Lebens, jede Handlung in der Welt und jede Erfahrung wird als heilig betrachtet (vgl. Trungpa 1988: 126; 2001: 113). Die Praxis des Kriegers und die Manifestation seiner Tugenden solle daher innerhalb des alltäglichen Lebens und nicht separiert davon erfolgen. Um diese umfassende Vision der Heiligkeit der Welt und die damit verknüpfte positive und affirmative Sichtweise auf die Welt und die menschliche Gesellschaft zu entwickeln, müsse der Einzelne zuerst den individuellen Weg des Kriegers be-

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schreiten. Erst auf der Basis des Erkennens und der Verwirklichung der eigenen grundlegenden Gutheit könne eine Perspektive entwickelt werden, in welcher der Krieger die grundlegende Gutheit des Lebens und der Welt und damit ihre Heiligkeit wahrnehmen und wertschätzen lerne, wie sie in der Vision der Großen Östlichen Sonne zum Ausdruck komme. In Trungpas Shambhala-Lehren verknüpft dieser Realisationsprozess den individuellen Weg der Kriegerschaft mit der größeren Vision einer erleuchteten Gesellschaft und bildet so die Grundlage für ein Wirken in der Welt und eine Transformation der menschlichen Gesellschaft.25 Auf seinem Weg müsse der Krieger bedingungsloses Vertrauen in die grundlegende Gutheit seiner Existenz und der Welt entwickeln. Auf dieser Grundlage könne er gut, freundlich und liebevoll sowohl zu sich selbst als auch zu anderen sein. Ausgehend von diesem Vertrauen könne er dann Disziplin aufbauen, die schließlich zu Entsagung führe. Entsagung meint in diesem Zusammenhang, dass der Krieger eine Unterscheidungsfähigkeit herausbildet, die es ihm ermöglicht, die Dinge klar und präzise zu sehen und so zu wissen, was er im Dasein akzeptieren und annehmen könne und was er zurückweisen sollte (vgl. Trungpa 2001: 27 f, 92). Die notwendige Klarheit erwachse aus der Disziplin der Sitzmeditation, durch die Achtsamkeit und Gewahrsein trainiert werden und der Krieger Körper und Geist synchronisiert (vgl. Trungpa 2001: 104 f). Trungpas Verständnis der Entsagung durch die Fähigkeit zur Unterscheidung basiert auf dem buddhistischen Konzept von prajÇa¯ (tib. shes rab), das auch als unterscheidendes Gewahrsein bezeichnet wird (vgl. Trungpa 2001: 64; Jackson 2004).26 Durch die gewonnene Unterscheidungsfähigkeit sei der Krieger nun in der Lage, sich im Loslassen zu üben. Loslassen bedeutet im Kontext der Shambhala-Lehren, sich von der Geisteshaltung und den Verhaltensweisen der Sonnenuntergangswelt (setting sun world), wie z. B. Selbstzweifel und Selbsttäuschungen, zu befreien und Wagemut zu entwickeln (vgl. Trungpa 2001: 38). Durch das gewonnene Vertrauen auf die grundlegende Gutheit und die Disziplin der Entsagung durch Unterscheidungsfähigkeit baue der Krieger eine Verbindung zur ursprünglichen, grundlegenden Weisheit auf, die seine Handlungen auf den drei Ebenen von Körper, Rede und Geist anleite und ihm ermöglich, unheilsame Vorstellungen und Handlungen loszulassen (Trungpa 2001: 42ff).27 Trungpa verweist hier auf das buddhistische Verständnis von ursprünglicher 25 Ähnliche Überlegungen finden sich in den Ausführungen von Gimian (2004a: xxxii). 26 Der buddhistische Gelehrte Kamalas´¯ıla äußerte sich zum Zusammenhang von ´samatha- und vipas´yana¯-Praxis und zur Entwicklung unterscheidenden Gewahrseins (vgl. Meinert 2004: 75ff). 27 Die drei Ebenen von Handlungen, die unter der Formel Körper, Rede und Geist zusammengefasst werden, nehmen Rekurs auf das buddhistische Konzept des Menschen, der durch seine guten wie schlechten Handlungen von Körper, Rede und Geist Karma verursacht.

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Weisheit im Sinne von jÇa¯na (tib. ye shes) (vgl. Trungpa 2001: 39 f; Almogi 2009: 160ff). Dabei greift er auf die dreifache Logik von Grund, Pfad und Frucht zurück, die er häufiger verwendet (vgl. Gimian 2004a: xx; Midal 2004: 242; Hayward 2008: 277 f). In diesem Sinne bildet das Vertrauen in die grundlegende Gutheit den Grund; Entsagung stellt den Pfad dar, auf dem man Disziplin und die Fähigkeit zu unterscheiden entwickelt; Loslassen schließlich entspricht der dreifachen Logik zufolge der Frucht, da Loslassen nur auf der Basis der gewonnenen Unterscheidungsfähigkeit erfolgen kann, die wiederum auf dem Vertrauen in die grundlegende Gutheit basiert. Durch Vertrauen, Entsagung und Loslassen könne der Shambhala-Krieger ein gutes und angemessenes Leben führen und komme auf diese Weise mit einer erhebenden Energie in Berührung.28 Im Kontext der Shambhala-Lehren wird diese bedingungslose und immer verfügbare Energie der grundlegenden Gutheit als Windpferd (windhorse, tib. Lungta) bezeichnet. Das Windpferd ist ein Motiv aus dem tibetischen Kontext, das häufig auf Gebetsfahnen abgebildet ist (vgl. Karmay 1998b). Trungpa nutzt das Bild des Windpferdes hier, um die Energie der grundlegenden Gutheit näher zu charakterisieren: Der Wind beschreibe die luftige, frische, kraftvolle und reichhaltige Qualität der Energie; das Pferd verweise auf die Möglichkeit, dass man sich von dieser Energie nicht nur passiv tragen oder treiben lassen könne, sondern dass man sie nutzen könne, in dem man gleichsam auf ihr reite (vgl. Trungpa 1988: 84; 2001: 110). Im Rahmen der höheren Stufen des Shambhala-Pfades wird die Windpferd-Praxis (raising windhorse) gelehrt, durch die der Krieger lernt, diese Energie anzurufen bzw. hervorzubringen und zu nutzen. Der Weg des Kriegers wird auch als Pfad der vier Tugenden (four dignities) bezeichnet. Die vier Tugenden, die der Krieger Schritt für Schritt verwirklichen muss, sind: Sanftmut (meekness), Munterkeit (perkiness), Unerhörtheit (outrageousness) und Unergründlichkeit (inscrutability) (vgl. Trungpa 1988: 161 – 172; 2001: 196 f). Die vier Tugenden werden durch vier Tiere symbolisiert, die ebenfalls oft auf tibetischen Gebetsfahnen abgebildet sind: Tiger, Schneelöwe, Garuda29 und Drache. Die Tugend der Sanftmut, symbolisiert durch einen Tiger, stehe für eine würdevolle und gütige Haltung des Kriegers sowohl gegenüber sich selbst als auch gegenüber anderen Menschen und der Welt. Der Krieger solle 28 Ein gutes und angemessenes Leben zu führen, heißt in diesem Kontext, ein Leben auf Grundlage der Shambhala-Prinzipien zu führen, in dem der Shambhala-Krieger Achtsamkeit und Gewahrsein trainiert und auf die Details des Alltagslebens anwendet. Außerdem muss er eine zuversichtliche, furchtlose, sanftmütige und offene Haltung gegenüber sich selbst und anderen sowie gegenüber dem Leben und der Welt entwickeln. 29 Dem Garuda, ein mythisches Mischwesen, das halb Mensch, halb Adler ist, werden bestimmte Eigenschaften zugesprochen, die mit buddhistischen Konzepten korrespondieren (vgl. Beer 2003: 47ff).

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zudem Wachheit ausstrahlen sowie voll jugendlicher, frischer Energie und Neugier sein und so die zweite Tugend der Munterkeit erfüllen, deren Sinnbild der Schneelöwe ist. Die dritte Tugend der Unerhörtheit, dargestellt durch einen Garuda, realisiere sich durch einen gewissen Wagemut und die Bereitschaft, sich furchtlos auf alle Situationen des Lebens einzulassen. Die Unergründlichkeit,30 symbolisiert durch einen Drachen, könne nur auf der Basis der drei anderen Tugenden entwickelt werden und repräsentiere schließlich den Zustand des verwirklichten Shambhala-Kriegers. Wenn der Krieger Sanftheit, Munterkeit und Furchtlosigkeit realisiert habe, sei sein Dasein durch bedingungsloses Selbstvertrauen, Zuversicht, Stabilität und ein Gefühl der Gesundheit und Ganzheit gekennzeichnet. Aus dieser Haltung heraus wende sich der Krieger dem Leben und der Welt zu, um in ihr zu wirken und zum Aufbau einer erleuchteten Gesellschaft beizutragen. Trungpas Konzeption des heiligen Wegs des Kriegers weist somit durchaus Parallelen und Analogien zum Weg des Bodhisattvas auf. Der Weg des Bodhisattvas beschreibt eine Person auf dem Weg zur Erleuchtung, die zum Wohle aller fühlenden Wesen wirkt und danach strebt, andere aus dem Kreislauf der Wiedergeburten zu befreien (Lopez 2001: 70ff).

Natürliche Hierarchie: Das Zusammenspiel von Himmel, Erde und Mensch Der Weg des Kriegers beginne mit der Realisierung der grundlegenden Gutheit und führe ihn weiter zur Entdeckung einer natürlichen Hierarchie (natural hierarchy), welche das Leben und die Welt ordne. Diese natürliche Hierarchie lasse den Krieger seinen Platz innerhalb dieser natürlichen Ordnung der phänomenalen Welt finden (vgl. Trungpa 1988: 141). Der Begriff Hierarchie trägt in Trungpas Verwendungsweise keine negativen Konnotationen, wie sie häufig mit der Vorstellung eines vertikalen Machtgefälles verknüpft sind, bei dem sich Macht an der Spitze konzentriert. Vielmehr beschreibt Trungpa mit dem Begriff eine natürlich gegebene Struktur, die als positiv und produktiv gesehen wird. Zur Erläuterung seines Verständnisses von Hierarchie nutzt Trungpa den Vergleich mit dem natürlichen Kreislauf der vier Jahreszeiten, bei dem eine Jahreszeit jeweils die nachfolgende hervorbringe (vgl. Trungpa 1988: 128; 2004i: 437 f). Zur Beschreibung der natürlichen Hierarchie greift er auf das dreifache Prinzip von Himmel, Erde und Mensch zurück, das er, eigenen Angaben zufolge, den alten, kaiserlichen Traditionen Chinas und Japans entlehnt habe. Innerhalb dieses Prinzips stehe der Himmel für Weite und Heiligkeit, die Erde repräsen30 Trungpa benutzt den Begriff Unergründlichkeit nicht im herkömmlichen Sinne zur Bezeichnung einer Haltung der Verschlossenheit, Doppeldeutigkeit/Uneindeutigkeit oder Vagheit, die keine klare Intentionen erkennen lasse (vgl. Trungpa 1988: 169).

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tiere den Boden, der Leben hervorbringe, und der Mensch sei zwischen diesen beiden Elementen positioniert. Himmel und Erde stehen hier in einer sympathetischen Beziehung zu einander, die mit dem folgenden Bild erläutert wird: Der Himmel ist die Quelle, aus welcher der Regen auf die Erde fällt; auf den Regen reagiert die Erde weich und nachgiebig und bringt Pflanzen hervor ; die Pflanzen wiederum können vom Menschen kultiviert werden. Das dreifache Prinzip von Himmel, Erde und Mensch beschreibt im Idealfall ein harmonisches Verhältnis, das aus dem Gleichgewicht gerate, wenn der Mensch seine Verbindung zu den beiden anderen Elementen störe oder verliere. In der Gegenwart werde dieses gestörte Verhältnis des Menschen zur natürlichen Ordnung von Himmel und Erde in der Schädigung der Umwelt erkennbar. Durch die Zerstörung der Umwelt würden die Menschen ihre Lebensgrundlage und damit schließlich sich selbst ruinieren. Eine Transformation und Heilung der Gesellschaft müsse daher mit einer erneuerten persönlichen, grundlegenden Verbindung mit der phänomenalen Welt einhergehen. Diese Verbindung wird in der natürlichen Hierarchie von Himmel, Erde und Mensch gesehen, die ein ideales Modell für die Führung des Lebens repräsentiere (vgl. Trungpa 1988: 129ff). Das zentrale Element im dreifachen Prinzip von Himmel, Erde und Mensch stelle die Vereinigung von Himmel und Erde (joining heaven and earth) dar. Auch hier greift Trungpa auf den ostasiatischen Kontext zurück, um diese Vereinigung zu erläutern: Das chinesische Schriftzeichen für König bestehe aus einer vertikalen Linie, die drei horizontale Linien, die Himmel, Erde und Mensch repräsentieren, miteinander verbinde.31 Der weise König oder Herrscher sei also derjenige, in dem sich diese Vereinigung von Himmel und Erde vollziehe und der so zum Aufbau und Erhalt einer guten menschlichen Gesellschaft beitrage (vgl. Trungpa 1988: 130). Innerhalb der Shambhala-Vision verkörpert der Monarch einen weisen Herrscher, der die Fähigkeit besitzt, Himmel und Erde zu vereinen und die Welt auf Basis der grundlegenden Gutheit zu regieren. Der Monarch zeichne sich durch Sanftheit, Sensibilität und die Bereitschaft aus, sein Herz gegenüber anderen zu öffnen. Trungpas Verständnis des Monarchen ist inspiriert von den alten Kaisern Indiens, Chinas und Japans und repräsentiert das buddhistische Ideal des Cakravartin oder universellen Monarchen.32 Auf dem Weg des Kriegers könne jeder die Fähigkeit verwirklichen, Himmel 31 In der englischsprachigen Ausgabe ist eine Kalligraphie des Schriftzeichens abgebildet. Diese Abbildung fehlt in der deutschen Ausgabe. 32 Deutlich wird dies auch in der »Huldigung« und der »Anrufung« (das sind die Titel von speziellen Shambhala-Chants, die Trungpa verfasst hat), in welcher der tibetische Kriegerkönig Gesar von Ling, der indische Kaiser As´oka sowie die Kaiser von Japan und China als Herrscher-Ahnen der Shambhala-Linie angerufen werden. Der Cakravartin oder universelle Monarch stellt ein buddhistisches Ideal des Herrschers dar (vgl. Tambiah 1976; Strong 1983; Mohan 2004).

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und Erde zu vereinen, um König beziehungsweise Königin seiner/ihrer Welt zu werden und sein Leben zu regieren (vgl. Trungpa 1988: 141ff; 2001: 97ff).33 Schreitet der Krieger auf seinem Weg kontinuierlich voran, entwickelt er authentische Präsenz (authentic presence).34 Mit dem Konzept der authentischen Präsenz wird eine menschliche Qualität beschrieben, die sich mit fortschreitender Verwirklichung der grundlegenden Gutheit und der Shambhala-Vision der Großen Östlichen Sonne im Wesen des Kriegers manifestiere und in seiner Präsenz reflektiert werde. Hat der Krieger die vollständige Verwirklichung der grundlegenden Gutheit erlangt, erreicht er den Zustand des universellen Monarchen (universal monarch). Auf seinem Weg bedürfe der Krieger jedoch der Anleitung durch einen spirituellen Freund oder Gefährten, einen Meister-Krieger, der diesen Zustand bereits verwirklicht hat (vgl. Trungpa 1988: 173). In dieser Konzeption ist der Meister-Krieger das vermittelnde Element zwischen der kosmischen Sphäre der uranfänglichen, unveränderlichen Weisheit und der Ebene der phänomenalen Welt; er ist derjenige, der Himmel und Erde vereint. Die kosmische Ebene der primordialen Weisheit wird bei Trungpa als kosmischer Spiegel (cosmic mirror) beschrieben, der den unbedingten Zustand des Seins als unerschöpflich weit und frei von Befleckungen und Verzerrungen repräsentiere. Wie ein Spiegel reflektiere der kosmische Spiegel alles und bleibe selbst unverändert (vgl. Trungpa 1988: 100). Der Krieger sei in der Lage, diese Weite und Unbedingtheit des Seins durch die Hilfe und Anleitung eines Lehrers – des Meister-Kriegers – zu erfahren. Im Kontext der Shambhala-Lehren übernimmt diese Funktion der Sakyong (wörtlich: Erdbeschützer), der Herrscher von Shambhala (vgl. Trungpa 2001: 207; 2004i: 437 f). Der Sakyong als universeller Monarch symbolisiere das Führungsprinzip innerhalb der natürlichen Hierarchie (vgl. Trungpa 2004i: 437; 2004c: 144). Er stelle die Verbindung dar zur kosmischen Kraft der primordialen Weisheit, welche durch die Rigden-Könige verkörpert werde (vgl. Trungpa 1988: 174ff; 2004i: 437). In diesem Zusammenhang beruft sich Trungpa auf das Prinzip der ununterbrochenen Linie, wie es aus dem buddhistischen Kontext bekannt ist und Lehren sowie Lehrer dieser Linie als authentisch legitimiert (Trungpa 1988: 173ff).35 33 Das wird auch in der Formel »ruling your world« (Trungpa 1988: 141) zum Ausdruck gebracht. 34 Trungpa bezieht sich auf das tibetische Wort wangthang, dass er wörtlich mit Kraftfeld (field of power) übersetzt. Er zieht jedoch die freiere Übersetzung im Sinne einer »authentischen Präsenz« vor, die für ihn als Bezeichnung für eine menschliche Qualität, die man entwickeln kann, fungiert (vgl. Trungpa 1988: 159). 35 Siehe zu Trungpas Verständnis der Linie auch die Publikation The Mishap Lineage: Transforming Confusion into Wisdom (Trungpa 2009), die auf dem Seminar »The Line of the Trungpas« aus dem Jahr 1975 basiert. Eine ununterbrochene Linie vom Buddha zu den

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Shambhala Training

Der kosmische Spiegel als Manifestation der uranfänglichen, unbedingten und unbegrenzten Weisheit sei das Reich der Rigden-Könige und der Ursprungsort der Shambhala-Lehren (vgl. Trungpa 1988: 174). Der Meister-Krieger sei in der Lage, in anderen Menschen die Erfahrung der unbedingten Weisheit und die Entdeckung der grundlegenden Gutheit hervorzurufen und sie auf dem Weg des Kriegers anzuleiten, da er selbst grundlegende Gutheit realisiert und die unbedingte kosmische Weisheit erfahren habe. Auf diesem Weg könne Trungpa zufolge jeder schließlich König oder Königin von Shambhala werden, so wie jeder Mensch Erleuchtung erlangen und ein Buddha werden könne (vgl. Trungpa 2001: 78).

Die Shambhala-Lehren als zeitgemäße Antwort auf die Probleme der Gegenwart Der Erhalt der Shambhala-Terma wurde von Trungpa als zeitgemäße Antwort auf die historischen Umstände und Probleme der modernen Gesellschaften im 20. Jh. verstanden.36 Trungpa betrachtete das 20. Jh. trotz seiner technischen Errungenschaften als ein Zeitalter, in dem die Menschen ihre Würde und ihre Zuversicht verloren hätten und die Welt gefährdet sei (vgl. Trungpa 1988: 28, 33, 130ff, 145 f). Ein weltabgewandter oder asketischer Lebensstil sei diesem Zeitalter jedoch nicht angemessen. Es bedürfe vielmehr eines Weges, der die Möglichkeit biete, sich einzubringen in die Welt, in der man lebt, statt sich von ihr zurückzuziehen: The current state of world affairs is a source of concern to all of us: the threat of nuclear war, widespread poverty and economic instability, social and political chaos, and psychological upheavals of many kinds. The world is in absolute turmoil. The Shambhala teachings are founded on the premise that there is basic human wisdom that can help to solve the world’s problems. This wisdom does not belong to any one culture or religion, nor does it come only from the West or the East. Rather, it is a tradition of human warriorship that has existed in many cultures at many times throughout history. (Trungpa 1988: 28)

Die Shambhala-Lehren und der Weg des Kriegers werden als eine Möglichkeit gesehen, die gegenwärtigen Probleme der Welt gemeinsam anzugehen, unabhängig von der kulturellen oder religiösen Zugehörigkeit des Einzelnen (vgl. gegenwärtigen Lehrern einer Schule ist in verschiedenen buddhistischen Schulen von Bedeutung (vgl. Davidson 2002a; Germano 2002b; Welter 2004). 36 Auf diese Position wird auch heute noch Bezug genommen, wie in dem folgenden Statement von der offiziellen Shambhala-Website deutlich wird: »These teachings contain the essence of ancient wisdom, yet are tailored to the specific challenges of modern living.« Zitiert nach http://www.shambhala.org/buddhism.php, Absatz 20 (abgerufen am 11. 11. 2013).

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Chögyam Trungpas Shambhala-Vision

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Trungpa 2001: 132ff). Sie zielen in Trungpas Verständnis nicht nur auf eine Transformation des Einzelnen, sondern auf eine Änderung der Gesellschaft im Sinne der Verwirklichung einer erleuchteten Gesellschaft, wie sie in der Shambhala-Vision zum Ausdruck kommt (vgl. Trungpa 1988: 34; 2001: 166 f).

Zwischenbetrachtung In der Präsentation der Shambhala-Lehren griff Trungpa sowohl auf Elemente aus dem tibetischen Kontext als auch auf Motive aus der westlichen Rezeption zurück und verknüpfte diese zu einer neuen Interpretation. Das legendäre Königreich Shambhala repräsentiert für Trungpa das Ideal einer erleuchteten Gesellschaft, die von ihm jedoch als säkular charakterisiert wird. Die RigdenKönige Shambhalas gelten als Quelle der Shambhala-Lehren. Interessanterweise bezieht Trungpa sich hier nur auf die Rigden-Könige von Shambhala. In den tibetischen Quellen werden zusätzlich die Dharmara¯jas (Chögyel), die sieben ersten Dharma-Könige von Shambhala, genannt.37 Der siebte Dharmakönig erhielt der Überlieferungstradition des Ka¯lacakra-Tantras zufolge den Titel Kalkı¯, der in tibetischen Quellen mit Rigden übersetzt ist und »Besitzer des Klans« bedeutet. Über die Gründe für Trungpas Bevorzugung des Titels Rigden gegenüber dem Titel Chögyel kann hier nur spekuliert werden. Möglicherweise empfand Trungpa den Begriff Rigden aufgrund seines semantischen Gehaltes für die Vision einer säkularen erleuchteten Gesellschaft passender als den deutlich buddhistisch konnotierten Titel Dharmakönig. Im Gegensatz zur Darstellung Shambhalas in den tibetischen Texten zum Ka¯lacakra-Tantra und in den Reiseführern (Lamyig) ist Shambhala in Trungpas Entwurf jedoch nicht irgendwo verborgen, sondern kann im Hier und Jetzt als erleuchtete Gesellschaft verwirklicht werden. In dieser Neudeutung transformiert sich der Ort Shambhala von einer geographischen Utopie, wie sie in den tibetischen Reiseführern formuliert wurde, zu einer Vision, die als eine soziale Utopie betrachtet werden kann. Wie bereits bei einigen westlichen Interpreten (z. B. bei Alice A. Bailey, Nicolas Roerich und Andrew Tomas) beobachtet werden konnte, wird Shambhala auch in Trungpas Neudeutung aus einem dezidiert buddhistischen Kontext gelöst, behält jedoch seine positiven und idealistischen Konnotationen. In seiner Beschreibung von Shambhala finden sich sogar Begriffe (z. B. technologisch entwickelt, säkularisiert), die eher an westliche Neudeutungen denn an ältere tibetische Texte zu Shambhala erinnern. In Trungpas Konzeption sind Shambhala und die Erleuchtung nicht einigen wenigen Auserwählten vorbehalten, wie dies in den tibetischen Reiseführern zum Ausdruck kam. Vielmehr 37 Siehe dazu das vierte Kapitel.

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Shambhala Training

ist Shambhala in Trungpas Entwurf für jeden Menschen zugänglich – unabhängig von seiner religiösen oder kulturellen Zugehörigkeit. Dazu müsse der Einzelne nur den Weg des Shambhala-Kriegers beschreiten, der zur Erleuchtung führe. Somit ist auch in Trungpas Shambhala-Vision das Motiv des Erleuchtungsweges enthalten, in dessen Verlauf der Einzelne transformiert wird. Dieses Motiv war bereits in den tibetischen Reiseführern vorhanden, wenn auch mit anderen, eindeutig tantrisch-buddhistischen Vorzeichen. In der Präsentation der Shambhala-Lehren verzichtete Trungpa weitestgehend auf eine buddhistische Terminologie und verwendet stattdessen andere Begriffe, die jedoch deutliche Analogien zu buddhistischen Konzepten aufweisen. In seiner Konzeption der Shambhala-Lehren und des Shambhala-Weges lassen sich darüber hinaus weitere Deutungsmuster herausarbeiten, die auf eine Verschränkung seines Ansatzes mit Elementen zeitgenössischer Diskurse um Religion und Gesellschaft verweisen: So werden zum einen die Shambhala-Lehren als universal beziehungsweise inklusiv und Shambhala Training als säkular interpretiert; zum anderen erfolgt eine Sakralisierung und positive Affirmation des Menschen und der Welt durch die Shambhala-Lehren ohne Rückgriff auf eine spezifische religiöse Tradition und schließlich erfolgt der Rekurs auf das autonome Selbst als zentraler Handlungsinstanz, der sich in der Vision einer Transformation der Gesellschaft zeigt, die beim einzelnen Individuum ansetzt.

6.3

Entstehung und Entwicklung von Shambhala Training38

Mit dem Shambhala Training-Programm schuf Trungpa in Zusammenarbeit mit seinen Schülern einen Rahmen zur Vermittlung der Shambhala-Lehren. Im Folgenden werden die Ereignisse und Einflüsse nachgezeichnet, die für die Herausbildung dieses Bereichs seines Schaffens und Wirkens von Bedeutung waren.

Die Begegnung mit Werner Erhard von Erhard Seminars Training (est) Im Sommer des Jahres 1976 erhielt Trungpa während eines Wochenendprogramms, das er unterrichtete, Besuch von Werner Erhard, dem Leiter von Erhard Seminars Training (est). Das von Erhard Anfang 1971 begründete Trainingsprogramm zielte auf eine Transformation des Selbst und wird dem Human Potential Movement zugerechnet (vgl. Heelas 1996: 58). Ein Kennzeichen des 38 Der folgende Abschnitt bezieht sich, sofern nicht anders angegeben, auf die Ausführungen von Fabrice Midal (2004: 201 – 247).

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Human Potential Movements war die Vorstellung, dass eine Änderung der Gesellschaft nicht durch eine Wandlung der politischen Strukturen oder der sozialen Verhältnisse erreicht werden kann, sondern ebenfalls nur über eine Transformation des Einzelnen als Individuum (vgl. Stone 1976). Diese Einstellung ließ sich auch in anderen Bereichen der amerikanischen Counterculture finden (vgl. Braunstein/Doyle 2002: 10; Michals 2002). Im Human Potential Movement wurde die Transformation des Selbst als persönliches Wachstum durch eine Ausweitung oder Steigerung des Bewusstseins gedacht. Der Bewusstwerdungsprozess sollte durch verschiedene Techniken der Selbsterfahrung und Körperarbeit erreicht werden. Die Betonung von spezifischen Erfahrungen, die als transpersonal, spirituell oder mystisch verstanden wurden, geriet dabei zunehmend in den Vordergrund (vgl. Stone 1976). Diese Techniken und Erfahrungen wurden üblicherweise auf Intensiv- oder Wochenendseminaren vermittelt, weshalb der britische Religionswissenschaftler Paul Heelas zur Beschreibung dieses Phänomens den Begriff »seminar spirituality« (1996: 58) geprägt hat. Für Heelas ist Erhard Seminars Training (est) ein prägnantes Beispiel dieser neuen Vermittlungskultur. Das Programm von Werner Erhard war so erfolgreich, dass 1974 bereits 30.000 Personen das viertägige Seminar absolviert hatten (vgl. Stone 1976: 100). Der Besuch Werner Erhards bei Trungpa war durch den 16. Karmapa initiiert worden. Erhard hatte den Karmapa um eine Audienz ersucht. Dieser bestärkte ihn in seinem Vorhaben, Menschen durch seine Trainingsprogramme zu helfen und erteilte ihm den Ratschlag, sich mit Chögyam Trungpa zu treffen. Im Sommer 1976 reiste Erhard zum Rocky Mountain Dharma Center (Red Feather Lakes, Colorado), wo Trungpa ein Seminar abhielt. Während seines Besuches, so wird berichtet, habe Erhard kubanische Zigarren an Trungpa und seine anwesenden Schüler verteilt – eine deutliche Demonstration seines Erfolges und enormen Wohlstandes, wenn man das U.S.-amerikanische Embargo gegen Kuba zu dieser Zeit bedenkt. Er habe darüber hinaus erklärt, dass seine Arbeit vergleichbar mit der Trungpas sei, jedoch habe er, Werner Erhard, einen schnelleren Weg zur Erleuchtung entdeckt. Auf diese Behauptung wiederum habe Trungpa kurz nach der Abreise Erhards mit folgenden Worten reagiert: »We could do better than that! We should get people who go to est, put them in a room, then just quite simply make them sit down until their discursive chattering dissolves« (zitiert nach Midal 2004: 238). In diesen überlieferten Worten Trungpas wird die Idee artikuliert, die Praxis des stillen Sitzens an einen breiteren Kreis von Menschen zu vermitteln. Die Begegnung mit Werner Erhard hatte dabei offensichtlich eine initiatorische Funktion. Wie Hayward berichtet, führte dieses Ereignis bei Trungpa in der Diskussion mit seinen engsten Schülern zu der Erkenntnis, dass eine Vermittlung der einfachen Meditationspraxis, losgelöst vom buddhistischen Kontext,

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potentiell ein viel größeres Publikum erreichen könnte (vgl. Hayward 2008: 143). Mit einem solchen Programm könnten, auch Menschen angesprochen werden, so die Schlussfolgerung, die ihr normales Leben mit Familie und Beruf nicht für einen anspruchsvollen religiösen Weg aufgeben wollten und die eventuell sogar von der Fremdartigkeit des Buddhismus, seinem religiösen Charakter und seiner Ritualistik abgeschreckt wurden. Daran schlossen sich erste Überlegungen an, wie ein derartiges Einführungsprogramm in die Meditation gestaltet werden müsste, um bei der Präsentation auf buddhistische Begriffe verzichten zu können (vgl. Hayward 2008: 142).

Die Entdeckung der ersten Shambhala-Terma Einige Zeit nach der Begegnung mit Werner Erhard, während des dreimonatigen Vajradhatu Seminary in Land O’Lakes, Wisconsin, mit circa 200 Schülern, erhielt Trungpa die ersten Shambhala-Lehren als Terma (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 221).39 Die Shambhala-Terma gelten als die ersten Schatztexte, die Trungpa im Westen übermittelt wurden. Seit seiner Flucht aus Tibet hatte er nur ein Terma, das Sadhana von Mahamudra, während eines Retreats 1968 in Buthan erhalten (vgl. Gimian 2004b: xxi).40 Die Entdeckung der Shambhala-Lehren stellte in Trungpas Wirken in Nordamerika einen wichtigen Wendepunkt dar (Hayward 2008: 141). Bis zu seinem Tod 1987 sollte er diesen Lehren in seinem Schaffen eine besondere Aufmerksamkeit widmen (vgl. Gimian 2005: 338). Bei dem ersten Terma, das sich den Berichten zufolge im Geist Trungpas in der Nacht des 25. Oktober 1976 manifestiert habe, handelte es sich jedoch nicht um einen Text, sondern um eine Kalligraphie, die einen schwarzen senkrechten Strich zeigte. Trungpa hatte bereits seit längerer Zeit nach einem Symbol gesucht, das Erleuchtung zum Ausdruck bringen könne (vgl. Midal 2004: 220). Am Abend des 25. Oktober veranstaltete er eine Teezeremonie mit einigen seiner engsten Studenten. Dabei hörten sie japanische Koto-Musik. Bei einem bestimmten Ton soll Trungpa ausgerufen haben: »Das ist der Klang der Erleuchtung!«41 Den Rest der Nacht hörte er wieder und wieder Händels Wassermusik. Gegen Morgen ließ er sich Papier, Pinsel und Tinte bringen und führte mehrmals hintereinander 39 Zu Terma (gter ma) siehe auch die Erläuterungen in Kapitel 4. 40 Unterschiedliche Quellen enthalten verschiedene Jahresangaben zur Entdeckung des Sadhana von Mahamudra als Terma. In der Autobiographie Diana Mukpos findet sich die Jahresangabe 1969 (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 222); von C.R. Gimian und in der Autobiographie Trungpas wird jeweils das Jahr 1968 genannt (vgl. Gimian 2004b: xxi; Trungpa 2003a: 263). 41 »That’s the sound of enlightenment!« (Zitiert nach Midal 2004: 220).

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immer die gleiche Kalligraphie aus, die einen schwarzen senkrechten Strich zeigte (vgl. Midal 2004: 220; Hayward 2008: 140).42 Einige Tage später erhielt Trungpa ein weiteres Terma, das er in Form eines Textes in Tibetisch niederschrieb. Der Text trägt den englischen Titel The Golden Sun of the Great East und gilt als der Wurzel-Text der Shambhala-Lehren (vgl. Gimian 2004a: xiii). Dieser Text beschrieb die Kalligraphie, die Trungpa einige Tage vorher erhalten hatte, erklärte ihre Bedeutung als unbedingtes, uranfängliches Symbol, welches das Herz der Kriegerschaft repräsentiere, und gab ihr einen Namen: »Der Ash¦-Strich« (The Stroke of Ashe) (vgl. Gimian 2004a: xiii; Mukpo/Gimian 2006: 222). Eine Woche später, während eines Seminars in Karme Chöling in Vermont, verfasste Trungpa einen Kommentar zum Wurzeltext, der als »Auto-Commentary« bezeichnet wird (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 222; Hayward 2008: 141). Im Rahmen von zehn Vorträgen zum Ende des Vajradhatu Seminary stellte Trungpa die Shambhala-Lehren über Kriegerschaft vor und weihte seinen engeren Schülerkreis in die Praxis von Ash¦ ein, bei der mit japanischen KalligraphiePinseln und sumi-Tinte die Ash¦-Kalligraphie gezeichnet wird.

Ein Meditationsprogramm für Nicht-Buddhisten Im Herbst 1976 wurde das erste öffentliche Wochenendseminar durchgeführt, bei dem die Einführung in die Meditation ohne Rückgriff auf buddhistische Begriffe und die Präsentation der Shambhala-Lehren im Zentrum standen (vgl. Hayward 2008: 142). Wie sich Carolyn Rose Gimian erinnert, war es zur damaligen Zeit recht typisch für die Schüler Trungpas, sich mit dem elaborierten buddhistischen Vokabular über ihre Praxis zu verständigen: At that time, a lot of Buddhist and vajrayana jargon had caught on with Rinpoche’s Buddhist students. We talked about becoming bodhisattvas, developing maitri and karuna, practicing shamatha and vipashyana, experiencing mahamudra, maha ati, sampannakrama, and you-name-it Sanskritisms. If we were asked why we practiced or what Buddhism was about, a stream of foreign words often issued from our lips. (Gimian 2004a: xviii)

Trungpa hatte eine Gruppe langjähriger Schüler mit der Durchführung der neuen Wochenendseminare beauftragt und sie aufgefordert, bei der Vermittlung der Meditationspraxis auf buddhistische Termini zu verzichten und stattdessen in ihrer eigenen vertrauten Alltagssprache, das hieß in Englisch, zu unterrichten. 42 Die japanische Koto-Musik und Händels Wassermusik wurden später häufiger bei Shambhala-Anlässen gespielt (vgl. Hayward 2008: 140).

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So sollten die Schüler in die Lage versetzt werden, jenseits exotischer Begriffe und Konzepte, die in den Augen Trungpas der Haltung des spirituellen Materialismus Vorschub leisten, in ihrer eigenen vertrauten Sprache zu kommunizieren. Auf diese Weise sollten sie ein Publikum erreichen, dass nicht dezidiert am Buddhismus interessiert oder buddhistisch vorgebildet war. Der Titel des Programms lautete »Weekend Intensive Meditation Program« (WIMP). Eine Werbekampagne sollte die großen angemieteten Hallen füllen, doch nur wenige Interessenten nahmen das Angebot wahr. Dieser Umstand mag darin begründet gewesen sein, dass diese Programme von Schülern Trungpas und nicht von ihm selbst unterrichtet wurden, hatten sich doch Vorträge Trungpas bisher als Publikumsmagneten erwiesen. Unter den Schülern Trungpas, die das Programm ausrichteten, gab es Überlegungen, die den augenscheinlichen Misserfolg auf den Namen des Programms zurückführten, und man wechselte erst auf die Bezeichnung »Shambhala Intensive Training« und später auf die kürzere Form »Shambhala Training«. So wie der Name Erhard Seminars Training (est) enthielt nun auch die Bezeichnung für das ShambhalaWochenendprogramm den Begriff Training, obwohl Trungpa diesen nicht sehr geschätzt haben soll (vgl. Midal 2004: 239; Hayward 2008: 143). Wie es dazu kam, dass der Begriff Shambhala scheinbar plötzlich als Bezeichnung für das neue Wochenendprogramm und den neuen Komplex von Lehren in Erscheinung trat, lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren. Inhaltlich fanden sich in Trungpas Vorträgen und Schriften vor 1976 einige gedankliche Vorläufer, die im Kontext der Shambhala-Vision deutlicher ausformuliert wurden. Dazu gehörten die Idee, dass die Meditation in alle Bereiche des Lebens und damit auch in die Alltagspraxis integriert werden müsse sowie Überlegungen – inspiriert durch die Lektüre von Erich Fromms The Sane Society in Bhutan 1968 –, wie eine ideale Gesellschaft aussehen könnte. Der Gebrauch des Begriffs Shambhala und Bezüge auf den Shambhala-Mythos waren in den Jahren zuvor in Trungpas Wirken kaum vorhanden – zumindest lassen sich keine deutlichen Belege dafür finden. Eine Ausnahme bildet der Bericht von einer Begegnung zwischen Trungpa und dem Kanadier James George, die sich 1968 auf Trungpas Rückreise aus Bhutan ereignete.43 George, der damals Botschafter in Indien war und sich selbst als »spirituellen Sucher« beschrieb, hatte Trungpa bei dieser Begebenheit nach dem legendären Königreich von Shambhala gefragt. Trungpa, in einen kleinen Taschenspiegel schauend, soll daraufhin das Königreich von Shambhala in einem Detailreichtum beschrieben haben, als sähe er es direkt vor sich (vgl. George 1979). Für die nächsten Jahre nach 1968

43 Vergleiche die Angaben auf http://www.chronicleproject.com/stories_15.html (abgerufen am 11. 11. 2013).

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lassen sich jedoch keine konkreten Verweise auf eine Beschäftigung Trungpas mit dem Thema Shambhala finden. Acht Jahre später berichtete James George von seiner Begegnung mit Trungpa in einem Essay mit dem Titel »Searching for Shambhala«, den er am 13. Januar 1976 in Teheran verfasste und Trungpa mit der Bitte zuschickte, diesen Bericht veröffentlichen zu dürfen. Trungpa gab seine Genehmigung und der Artikel erschien in dem Buch Search: Journey on the Inner Path, herausgegeben von Jean Sulzberger (1979). Ebenfalls im Jahr 1976 zog auch der Verlag Shambhala Publications von Kalifornien nach Boulder, Colorado, wo Trungpas Gemeinschaft ihren Hauptsitz hatte und das Naropa Institute angesiedelt war. Beide Ereignisse – das Schreiben von James George und der Umzug von Shambhala Publications nach Boulder – könnten dazu geführt haben, dass der Begriff Shambhala und die mit ihm verbundenen semantischen Felder wieder in Trungpas Gedächtnis gerufen wurden. Im Herbst des gleichen Jahres erhielt Trungpa die ersten beiden Shambhala-Terma (Ash¦-Kalligraphie und TermaText The Golden Sun of the Great East). Der erste Terma-Text enthielt bereits alle prominenten Elemente der Shambhala-Lehren, wie beispielsweise den Verweis auf das Königreich von Shambhala, die Rigden-Könige und die Vision der Großen Östlichen Sonne. Diese Begebenheiten mögen dazu geführt haben, dass der Terminus Shambhala nun auch als Bezeichnung für das neue Programm Verwendung fand. Trungpa kündigte bereits 1976 an, dass er sich im folgenden Jahr in ein längeres Retreat zurückziehen würde, und übergab die Planung und Durchführung von Shambhala Training an eine Gruppe langjähriger Schüler und Schülerinnen, welche die Shambhala Training Director’s Group bildeten und die Verantwortung für das Programm trugen. Da die berufenen Schüler jedoch kaum konkrete Anweisungen hatten und sich unsicher fühlten, wie sie ihre Aufgabe richtig und angemessen zu erfüllen hätten, war das Unterfangen nur mäßig von Erfolg gekennzeichnet, wie sich eine der verantwortlichen Programmdirektoren erinnert (vgl. Gimian 2005). Während eines Treffens des Vajradhatu Board of Directors im Juni 1977 wurde über die Zukunft von Shambhala Training gesprochen. Trungpa hatte am Ansatz von Erhard Seminars Training (est) kritisiert, dass es die Teilnehmer nach dem Programm ohne weiteres Handwerkszeug oder einen möglichen Weg zur Weiterführung zurücklasse. Auch in Bezug auf Shambhala Training wurde auf dieser Versammlung die Frage gestellt, was die Teilnehmer nach dem ersten Seminar für weitere Möglichkeiten hätten. So entstand die Idee, Shambhala Training zukünftig als ein Programm mit fünf Wochenendseminaren zu gestalten. Zu diesem Zeitpunkt war noch jedoch nicht klar, welche konkreten Inhalte die einzelnen Wochenendseminare behandeln würden, da viele der ShambhalaLehren, die später auf den einzelnen Shambhala-Stufen vermittelt werden soll-

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ten, noch nicht bekannt beziehungsweise entdeckt worden waren.44 Damit wird auch in der strukturellen Gestaltung von Shambhala Training der Einfluss von Erhard Seminars Training (est) deutlich, selbst wenn est hier als negative Gegenfolie diente, von der man sich abgrenzte.

Der Ausbau der Shambhala-Lehren Die von Trungpa beauftragten Shambhala Training-Direktoren, die mit der Durchführung der Wochenendseminare betraut waren, hatten Probleme bei der Umsetzung. Trotz der Investition von 40.000 Dollar, um das Programm in ganz Nordamerika zu propagieren, blieb der erhoffte Erfolg aus. Die Ursache dafür wurde in einem mangelhaften Verständnis der Shambhala-Vision bei den Durchführenden gesehen, die daher nicht in der Lage gewesen seien, die Vision selbst zu verkörpern und auf dieser Basis zu vermitteln (vgl. Gimian 2005: 340 f; Midal 2005a: 239; Hayward 2008: 162 f). Während seines Retreats wurde Trungpa über die Entwicklungen informiert. In einem Brief vom November 1977 legt er seine Sichtweise der aufgetretenen Probleme wie folgt dar : People have been told to create Shambhala Training but instead they are just groping about and mimicking Shambhala Training… As we know, the term »confidence« doesn’t mean anything if we can’t be sane in accordance with the Buddhist doctrine. The term »dignity« doesn’t mean anything if we can’t observe the English table manners. It is useless to talk about the Great Eastern Sun unless we know how to make our own beds and be cheerful about the day’s work ahead of us… We should pause for a moment and think about how fortunate we are to have the opportunity to bring about the Great Eastern Sun vision. We shouldn’t constantly worry about our presentation of Shambhala Training. First we should appreciate how fortunate we ourselves are; then we will have something to say, some message to proclaim to the world… Shambhala Training can become a very powerful landmark in history only if we have a message to proclaim – and so far we don’t have any message. All that we have said is that we are going to be secular rather than spiritual. This is a weak point which will cause us to cultivate jerks, artificial people who don’t want to sit, who instead want to proclaim their personalities and say that they have ultimate confidence because their ambition to be powerful and sybaritic people is accommodated by their pseudo-spirituality… Buddhism going secular is the best possible way news for those people who just want to indulge themselves… (zitiert in Gimian 2005: 342)

44 Weitere Shambhala-Terma erhielt Trungpa in den folgenden Monaten.

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In diesem Brief kritisiert Trungpa die Tendenz einiger seiner Schüler, sich durch die Vermittlung der Shambhala-Lehren selbst zu wichtig zu nehmen und eine arrogante, überhebliche Haltung zu entwickeln, statt die Vision der Großen Östlichen Sonne im eigenen Leben zu realisieren. Trungpa bemängelt außerdem das Fehlen einer wirklichen Botschaft, die auf den Seminaren vermittelt werden könne. Als er aus dem Retreat zurückkehrte, hielt er von Januar bis März 1978 eine Reihe von zwölf Vorträgen vor den Direktoren von Shambhala Training, um die aufgetretenen Probleme zu bearbeiten (vgl. Midal 2004: 240; Hayward 2008: 176ff). Im Rahmen dieser Vorträge sprach Trungpa erstmals über die grundlegende Gutheit, die jedem Menschen von Geburt an innewohne.45 Weiteren Aspekten der Shambhala-Lehren schenkte er in diesen Vorträgen ebenfalls besondere Aufmerksamkeit, wie z. B. dem Erkennen der grundlegenden Gutheit sowie der Entwicklung von Sanftmut und liebender Güte. Während dieses Zeitraumes erhielt Trungpa am 15. Januar 1978 zudem das dritte ShambhalaTerma, das den englischen Titel The Letter of the Black Ashe trägt.46 Auszüge daraus sind in Shambhala: The Sacred Path of the Warrior in Tibetisch und in englischer Übersetzung abgedruckt. Der Terma-Text behandelt die vier Tugenden des Kriegers, die jeder Mensch besitze. Diese Tugenden seien jedoch unter dem Mantel der Angst verborgen und sollen erst durch den Weg des Kriegers entdeckt und verwirklicht werden können. Außerdem wird in dem Text die Natur der Windpferd-Energie dargelegt. Zum Ende der Vorträge sprach Trungpa viel über die Anrufung und Nutzung dieser Energie und vermittelte einigen seiner engsten Schüler die Windpferd-Praxis (vgl. Hayward 2008: 178). Die Vortragsreihe endete am 12. März 1978 mit dem ersten öffentlichen Vortrag Trungpas zu den Shambhala-Lehren im Auditorium der Universität von Colorado, den mehr als tausend Teilnehmer besuchten (vgl. Midal 2004: 240). Von Oktober bis November 1978 führte Trungpa ein neues Programm für seine engsten Schüler durch, auf dem er die Shambhala-Terma-Texte lehrte. Das neue Programm nannte er Kalapa Assembly. Kurz zuvor erhielt er das vierte Terma, das den Titel The Letter of the Golden Key Which Fulfills Desire trug und den Zyklus der Shambhala-Terma abschloss (vgl. Gimian 2004a: xxxii). Das letzte Terma zeigte einen weiteren Weg auf, Himmel und Erde zu vereinen und die Reichhaltigkeit der Welt – gleich einem goldenen Ozean, in dem man baden könne – zu erfahren (vgl. Midal 2004: 228).47 45 Viele der Vorträge aus dieser Reihe bildeten die Materialgrundlage für die erste Publikation der Shambhala-Lehren in Shambhala: The Sacred Path of the Warrior. 46 Dieser Text wird als das dritte Terma betrachtet, da auch die Ash¦-Kalligraphie als Terma gilt, selbst wenn es sich nicht dezidiert um einen Text handelte. 47 Midal weist darauf hin, dass mit Reichhaltigkeit in diesem Zusammenhang nicht materieller Reichtum gemeint sei, sondern eine Geisteshaltung, die den Reichtum und die Schönheit der Welt wertschätzen könne (vgl. Midal 2004: 228).

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Die Quellen der Shambhala-Terma Die von Trungpa erhaltenen Terma werden der Kategorie Geist-Terma (Gongter) zugeordnet. Diese seien ihm von Padmasambhava (Padmakara) in der Gestalt des Kriegerkönigs Gesar von Ling und durch die Rigden-Könige Shambhalas übermittelt worden und Trungpa habe gleichermaßen nur als Werkzeug fungiert, der sie lediglich niederschrieb (vgl. Mipham 2005b; Mukpo/Gimian 2006: 223; Hayward 2008: 141). Gesar gilt als eine der Hauptquellen der ShambhalaTerma und als oberster Heerführer des legendären Königreiches: When we asked the Vidyadhara whether these texts originated with Padmakara, the source of the vast majority of treasure teachings, at that time we didn’t know that other teachers also hid dharma as termas. So when Rinpoche replied that these texts were more likely from Gesar, we were understandably puzzled. But after a long pause Rinpoche added, »And of course Gesar was an emanation of Padmakara, so that should take care of things for you!« When we asked about what meaning Gesar had in terms of the Shambhala teachings, Rinpoche exclaimed: »Gesar is the vanguard of Shambhala.« (It should be noted that in other contexts, the Vidyadhara indicated that the Shambhala terma had originated with the Rigden kings, Shiwa Ökar, or Gesar of Ling.)48 (Na¯landa¯ Translation Committee 2006)

Daher wurden Gesar von Ling sowohl die erste Publikation Shambhala: The Sacred Path of The Warrior als auch das spätere zweite Buch zu den ShambhalaLehren Great Eastern Sun: The Wisdom of Shambhala gewidmet. Trungpa selbst schien zu Lebzeiten etwas zögerlich, seine neuen Texte und Lehren öffentlich als Terma zu deklarieren, auch wenn Schüler und Weggefährten an verschiedenen Stellen berichten, dass diese von ihm durchaus aus als übermittelte Schatztexte gesehen wurden (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 223; Hayward 2008: 141). Anerkannt und damit offiziell authentifiziert als Terma wurden seine Shambhala-Texte posthum durch Dilgo Khyentse, einen bedeutenden Nyingma Lama des 20. Jh. (vgl. Mipham 2005b): At the first Kalapa Assembly in the fall of 1978, during one of our translation sessions with the Vidyadhara, Larry Mermelstein engaged him in an interesting discussion about the nature of the Shambhala texts he was presenting to us. When asked whether they were terma (»treasure teachings« hidden long ago to be discovered at an appropriate time in the future), he replied, »Yes, sort of.« When we asked whether we should include the terma mark to indicate terma in our translations, his response was, »Not yet; maybe later.« In fact, this did not come to pass until after his death, when Dilgo 48 Neben Gesar von Ling und den Rigden-Königen wird zusätzlich auch Shiwa Ökar als Ursprung der Shambhala-Terma genannt (vgl. Mipham 2005b; Na¯landa¯ Translation Committee 2006). Shiwa Ökar, auch genannt Shenlha Ökar, ist zudem eine Figur, die im Bön eine bedeutende Rolle spielt.

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Khyentse Rinpoche instructed us to include this in our future publications of these texts, and he confirmed with no hesitation that they were indeed authentic terma. (Na¯landa¯ Translation Committee 2006)

Trungpa zufolge wurden die Handlungen und Taten von Gesar durch die RigdenKönige und die Weisheit von Shambhala inspiriert (vgl. Trungpa 1988: 7). In einem Vorwort zu einer Ausgabe von Alexandra David-Neels The Superhuman Life of Gesar of Ling legt Trungpa exemplarisch seine Vision eines idealen Shambhala-Kriegers dar, welcher für ihn durch Gesar verkörpert wurde (vgl. Trungpa 2004e: 412): [W]e can regard the entire story as a display of how the warrior’s mind works. Gesar represents the ideal warrior, the principle of all-victorious confidence. As the central force of sanity he conquers all his enemies, the evil forces of the four directions, who turn people’s minds away from the true teachings of Buddhism, the teachings that say it is possible to attain ultimate self-realization. (Na¯landa¯ Translation Committee 2006)

Trungpa stellte durch seine Zugehörigkeit zum Mukpo-Klan (Mukpo ist der Name der Familie Trungpas)49 eine Verwandtschaftsbeziehung zwischen sich und Gesar von Ling her, der ebenfalls diesem Klan angehört habe (vgl. Trungpa 2001: 198). Der Mukpo-Klan (tib. Mukpo Dong)50 ist einer Genealogie der tibetischen Stämme zufolge unterteilt in sechs Sippen (vgl. Uray 1985: 543 f). Auf Trungpas persönlichem Shambhala-Banner, das von ihm selbst entworfen wurde, finden sich an der rechten Seite sechs Punkte, die für die sechs ursprünglichen tibetischen Familienstämme stehen sollen (vgl. Trungpa 2001: 197). Durch die beiderseitige Zugehörigkeit zur Mukpo-Familie wird Gesar von Ling als Vorfahre von Trungpa betrachtet. Bei der Präsentation der ShambhalaLehren verwendete Trungpa nicht seinen religiösen Namen Chögyam Trungpa Rinpoche sondern den Titel Dorje Dradul von Mukpo. Das zeigt sich besonders deutlich in der Verwendung der Signatur »Dorje Dradul of Mukpo« unter Vorworten oder Praxistexten, die in Zusammenhang mit der Präsentation der Shambhala-Lehren stehen. Dorje Dradul steht dabei für »unzerstörbarer« oder »diamantener Krieger« und Mukpo verweist auf die Familienzugehörigkeit zum Mukpo-Klan und somit auch auf die Verbindung zu Gesar als einem Ideal dieses Kriegers. Die Shambhala-Lehren und Trungpas Position als Vermittler dieser Lehren werden daher nicht nur über das Konzept der Schatztexte und des 49 Auf seinem britischen Pass benutzte Trungpa den Namen C. T. Mukpo. Seine englische Ehefrau hat bei der Heirat diesen Namen angenommen und auch seine Kinder tragen diesen Nachnamen (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 63). 50 Das tibetische Wort mukpo (smug po) bedeutet dunkel oder braun.

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Shambhala Training

Schatzfinders sondern zusätzlich durch die Konstruktion einer durchgehenden Familienlinie zwischen Gesar und Trungpa legitimiert (vgl. Mipham 2005b).

Aufbau von Shambhala Training Shambhala Training als fünfstufiges Wochenendprogramm ging, wie bereits ausgeführt, aus der Überlegung hervor, die Praxis der Meditation in einem säkularen Rahmen ohne Rückgriff auf buddhistische Konzepte und Termini zu vermitteln. Zeitgleich mit der Entwicklung der Idee eines nicht-buddhistischen Meditationsprogramms erhielt Trungpa die Shambhala-Lehren in Form der Shambhala-Terma. Die Entwicklung, Gestaltung und Ausführung dieses säkular orientierten Meditationsprogramms überließ Trungpa weitgehend seinem engsten Schülerkreis. Während des Retreats von Trungpa im Jahr 1977 entwickelten die Shambhala Training-Direktoren die Idee, das einfache Wochenendseminar zu einem fünfstufigen Programm auszubauen (vgl. Midal 2004: 241; Hayward 2008: 180). Zu dieser Zeit waren Trungpas engste Schüler alle in die Vajrayana-Praxis involviert und befassten sich zusätzlich mit den neuen, von Trungpa vermittelten, Shambhala-Lehren. Im Herbst 1978 führte Trungpa das zuvor erwähnte Kalapa Assembly durch, ein neues einmonatiges Seminar- und Praxisprogramm, das den Namen der Hauptstadt Shambhalas im Titel trug. Im Rahmen von Kalapa Assembly präsentierte und erläuterte Trungpa die Shambhala-Terma und führte seine Schüler in das Studium der ShambhalaLehren ein (vgl. Hayward 2008: 188). Da nicht alle Schüler an diesem Seminar teilnehmen konnten, entstand die Idee, das Shambhala Education Program als ein weiterführendes Studienprogramm ins Leben zu rufen, in dessen Rahmen die fortgeschrittenen Schüler die Shambhala-Terma studieren konnten (vgl. Midal 2004: 243). Im November 1979 lehrte Trungpa erstmalig Stufe fünf von Shambhala Training. In den nächsten Jahren absolvierte eine große Zahl von Schülern die fünfte Stufe. Die meisten davon waren buddhistische Praktizierende aus Trungpas Organisation. Zunehmend kamen jedoch auch Teilnehmer zu den Shambhala Training-Wochenenden, die nicht aus dem buddhistischen Spektrum der Gemeinschaft stammten und sich vor allem von dem säkularen Zugang des Programms angesprochen fühlten (vgl. Swick 1996: 60 f). Für die Schüler aus Trungpas Vajradhatu-Gemeinschaft gab es neben den fünf Stufen von Shambhala Training vielfältige andere Möglichkeiten der Einbindung in die Organisation sowie des weiteren Studiums und der Praxis durch den buddhistischen Vajrayana-Pfad. Dennoch bestand die Frage, was nach dem Abschluss von Stufe fünf kommen sollte, insbesondere da Trungpa die Shambhala-Lehren als einen vollständigen Pfad begriff und nicht nur als ein begrenztes Programm von

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Wochenendseminaren zur Einführung in die Meditation (vgl. Midal 2004: 243). Das Shambhala Education Program wurde daher nun als Möglichkeit gesehen, interessierten Schülern nach Stufe fünf eine Art Programm für Fortgeschrittene (graduate program) anzubieten. Die Konzeption des zweiten Zyklus von Wochenendseminaren zu einem kohärenten Programm gestaltete sich inhaltlich schwieriger als der erste Zyklus von Shambhala Training. In den folgenden Jahren – auch nach Trungpas Tod – experimentierten die Shambhala TrainingVerantwortlichen mit verschiedenen Gestaltungen des Programms (vgl. Midal 2004: 244; Hayward 2008: 407). Zu Trungpas Lebzeiten waren die sechs Stufen des zweiten Zyklus nicht nummeriert, sondern mit den Buchstaben A bis F versehen. Auf Stufe F übermittelte Trungpa die Praxis des Zeichnens des Ash¦Strichs und die Anrufung der Windpferd-Energie. In den nächsten Jahren nahm die Teilnehmerzahl an Shambhala Training kontinuierlich zu und für viele Mitglieder von Vajradhatu/Shambhala International führte der Weg in die Gemeinschaft nun vorrangig über die ShambhalaWochenendprogramme und nicht mehr primär über den buddhistischen Zugang (vgl. Swick 1996: 16, 61). Dem trägt in gewisser Hinsicht auch der heutige Aufbau von Shambhala Training Rechnung. Die ersten fünf Stufen werden vor allem als eine nicht religiös-orientierte Einführung in die Mediationspraxis gesehen. Die Wochenenden machen die Teilnehmer vertraut mit der Praxis und den basalen Vorstellungen des Programms, wie der Entdeckung der grundlegenden Gutheit, der Überwindung von Furcht und Angst, der Entwicklung von Sanftmut sowie die Integration und Umsetzung dieser Aspekte im alltäglichen Leben. Nach Stufe fünf kann man entweder aufhören und zur »eigenen spirituellen Tradition« (Midal 2004: 244) zurückkehren, oder den zweiten Zyklus absolvieren. Möchte man dem Shambhala-Pfad über Stufe fünf hinaus weiter folgen, ist eine Mitgliedschaft in der Gemeinschaft erforderlich.51 Der zweite Zyklus von Shambhala Training heißt »Sacred Path« und wird als ein Einweihungsweg betrachtet, auf dem die Shambhala-Terma und die ShambhalaPraktiken (Anrufung der Windpferd-Energie, die Ash¦-Kalligraphie-Praxis und die Rezitation spezieller Shambhala-Texte) vermittelt werden. Der ShambhalaWeg gilt als eine Familientradition beziehungsweise Familienlinie und wer in dieser Linie praktizieren möchte, muss sich der Gemeinschaft – im Sinne eines Beitritts zur Familie – anschließen (vgl. Midal 2004: 244). In den letzten Jahren gestaltete sich der Aufbau von Shambhala Training etwa folgendermaßen:52 Der 51 Informationen aus einem Gespräch mit Acarya David Schneider am 26. 02. 2006. 52 Das Programm bzw. die Programmtitel haben sich in den letzten Jahren z. T. verändert. So ist es mittlerweile üblich – zumindest ist es mir aus dem deutschsprachigen Raum so bekannt –, dass neben dem Titel ein weiterer erläuternder Untertitel hinzugefügt wird. Stufe eins des ersten Zyklus trägt in verschiedenen Publikationsorganen und Medien (z. B. Broschüren, Flyer, Einladungsschreiben) den Titel »Die Kunst Mensch zu sein« (Flyer Shambhala Trai-

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erste fünfstufige Zyklus trägt den Titel »Das Herz der Kriegerschaft« (The Heart of Warriorship): 1. Die Kunst Mensch zu sein (The Art of Being Human) 2. Die Geburt des Kriegers (Birth of the Warrior) 3. Der Krieger in der Welt (Warrior in the World) 4. Erwachtes Herz (Awakened Heart) 5. Offener Himmel (Open Sky). Zwischen dem ersten und dem zweiten Zyklus ist das Programm »Große Östliche Sonne« eingeschoben. Danach folgt der zweite Zyklus aus sechs Stufen, welcher als »Der heilige Weg des Kriegers« (The Sacred Path of the Warrior) bezeichnet wird: 1. (A) Drala (Drala) 2. (B) Windpferd (Windhorse) 3. (C) Sanftmütig (Meek) 4. (D) Munter (Perky) 5. (E) Unerhört und Unergründlich (Outrageous and Inscrutable) 6. (F) Goldener Schlüssel (Golden Key). Im Rahmen der sechs Stufen des »Sacred Path« wird der Terma-Text The Letter of the Black Ash¦ studiert, welcher den vollständigen Pfad des ShambhalaKriegers darlegt. Am zweiten Wochenende wird die Praxis der Anrufung der Windpferd-Energie (raising windhorse) vermittelt, die ebenfalls Gegenstand des zweiten Shambhala-Terma-Textes ist. Den Abschluss bildet die Übertragung und Vermittlung des dritten Terma-Textes The Letter of the Golden Key im Rahmen des sechsten Seminars des zweiten Zyklus. Der zweite Zyklus bildet die Voraussetzung zur Teilnahme an dem weiterführenden zweiwöchigen Programm Warrior Assembly. Im Rahmen dieses Programms werden weitere Shambhala-Praktiken vermittelt und der Terma-Text The Golden Sun of the Great East sowie der von Trungpa verfasste Kommentar zu diesem Terma übertragen und studiert. Dieser Text beschreibt die Prinzipien, die durch Ash¦, den uranfänglichen Strich, verkörpert werden, und die Ash¦-Praxis. Im Anschluss an die weiteren Stufen besteht die Möglichkeit zur Teilnahme an verschiedenen aufeinander aufbauenden Assembly-Programmen (z. B. Enlightened Society Assembly, Warrior Assembly, Sacred World Assembly etc.).53 ning, Köln, o. J., 2006 erhalten), »Magie des Alltags – Shambhala: Einführung in die Meditation und Lehren für den Alltag« (Flyer Shambhala Meditationszentrum München, o. J., 2006 erhalten); »Magie des Alltags – Die Freude, ein Mensch zu sein« (Einladung des Shambhala Meditationszentrums Hamburg 2007), »Ordinary Magic« (Shambhala International Broschüre, o. J., 2005 erhalten). 53 Siehe Broschüre Shambhala: A Guide to Programs, Activities, and Ressources, herausgegeben

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Wie der gegenwärtige Aufbau von Shambhala Training zeigt, vermittelt der erste Zyklus »Das Herz der Kriegerschaft« eine Einführung in die Sitzmeditation und die grundlegenden Konzepte des Shambhala-Pfades. Der zweite Zyklus »Der heilige Weg des Kriegers« dagegen stellt einen Einweihungsweg dar, bei dem die Shambhala-Terma und die damit verbundenen spezifischen Shambhala-Praktiken, wie die Praxis des Ash¦-Striches und die Hervorbringung der Windpferd-Energie, übertragen und gelehrt werden. Die Shambhala-Terma sind demnach nicht allgemein zugänglich und können nur im Rahmen des Shambhala-Einweihungswegs des zweiten Zyklus erworben und studiert werden. Die Konzeption des zweiten Zyklus von Shambhala Training als Einweihungsweg weist Parallelen zu tantrischen Einweihungswegen auf, bei denen entsprechend vorbereiteten Schülern als esoterisch designierte Lehren und die Ermächtigung zur Ausübung bestimmter geheimer Praktiken übertragen werden.

Zwischenbetrachtung In der Entwicklung und Präsentation der Shambhala-Vision lassen sich zwei verschiedene initiatorische Momente ausmachen, die langfristig zusammenwirkten. Zum einen formulierte Trungpa nach der Begegnung mit Werner Erhard (est) den Gedanken, dass man die Praxis der Sitzmeditation aus dem buddhistischen Kontext herauslösen und so an einen potentiell breiteren Kreis von Interessierten vermitteln könnte. Im Rahmen eines Wochenendseminars sollte die einfache Sitzpraxis ohne Rückgriff auf buddhistische Begriffe gelehrt werden. Aus dieser Idee ging das Weekend Intensive Meditation Program (WIMP) hervor, das später in Shambhala Training umbenannt wurde. Zum anderen suchte Trungpa nach Wegen und Möglichkeiten, sein buddhistisches Erbe zeitgemäß an seine westlichen Schüler zu vermitteln, die in einer modernen, sich selbst als religiös-plural und säkular verstehenden Gesellschaft lebten. Dieses Anliegen wurde bereits in seinem Bestreben deutlich, die als kontemplativ bezeichneten Kunstformen (Dharma Art) in die Angebotspalette seiner Zentren zu integrieren. Die Vermittlung der Achtsamkeits-Gewahrseins-Meditation als universale Technik stellte einen ersten Schritt dar, buddhistische Konzepte und Praktiken als säkular zu präsentieren. Daran anknüpfend wurde von Trungpa in Form der Shambhala-Lehren ein vollständiger Erleuchtungsweg dargelegt, der deutlich als säkular deklariert wurde, auch wenn er in der Konzeption klare Parallelen zu buddhistischen Vorstellungen und Praktiken aufweist. von Shambhala Europe Köln (o. J.: 14) sowie die Internetseite des Office of Practice and Education Programs: https://apas.shambhala.info/ (abgerufen am 21. 11. 2013).

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Zur Legitimation der neuen Lehren griff Trungpa auf ein im tibetischen Kontext etabliertes Konzept zurück: Die Shambhala-Lehren wurden ihm als Terma durch den tibetischen Kulturheros Padmasambhava in Gestalt des Krieger-Königs Gesar von Ling und die Rigden-Könige Shambhalas übermittelt (vgl. Swick 1996: 62; Mukpo/Gimian 2006: 223; Hayward 2008: 141). Dadurch gilt Trungpa nicht als Urheber der Texte, sondern nur als ein qualifiziertes Medium, das heißt als Tertön (Schatzentdecker), der diese Lehren als Schatztexte in einem visionären Akt empfangen und niedergeschrieben hat. Die ShambhalaLehren stammen somit aus einer transzendenten Quelle, die nur dem berufenen religiösen Spezialisten zugänglich ist. Die Vermittlung der in den Terma dargelegten Lehren und Praktiken erfolgt deshalb erst im zweiten Zyklus des Shambhala Training-Programms, der explizit als Einweihungsweg gilt. Der erste Zyklus von Shambhala Training ist im Gegensatz dazu wesentlich allgemeiner und offener gehalten und unterweist die Teilnehmer vor allem in der Praxis der Sitzmeditation und den grundlegenden Konzepten der Shambhala-Vision. Im tibetischen Kontext gelten Terma-Texte und die in ihnen enthaltenen Lehren und Praxisanleitungen als zeitgemäße Antworten auf gegenwärtige Probleme und Situationen, die genau dann von einem qualifizierten Tertön gefunden würden, wenn die Zeit reif sei für die Offenbarung dieser Lehren und Praktiken (vgl. Gyatso 1996: 152). Die Tibetologin Janet Gyatso charakterisiert die Funktion neuer Zyklen von Terma-Texten in der tibetischen Geschichte wie folgt: »Such cycles of related texts function in their religious milieu as authoritative sets of teachings which amount to challenging alternatives to existing textual systems« (Gyatso 1996: 148). Die Shambhala-Lehren, die eine säkularisierte Version buddhistischer Lehren und Praktiken präsentieren, und der darauf basierende »heilige Pfad des Kriegers«, der einen vollständigen Erleuchtungsweg analog zum buddhistischen Weg umfasst, können als ein solcher herausfordernder, alternativer Ansatz gesehen werden, der von den bisherigen Varianten der Vermittlung des Buddhismus durch andere (tibetische) Akteure im westlichen Kontext abweicht beziehungsweise neue Wege beschreitet. Die Struktur von Shambhala Training orientierte sich an bereits etablierten Vermittlungsformen der Vajradhatu-Gemeinschaft. Trungpa hatte den Vajraya¯na-Buddhismus bisher im Rahmen von Vorträgen und Seminaren präsentiert. Einige Programme umfassten dabei mehrere Wochen oder gar Monate und setzten bei den Teilnehmern daher ein dezidiertes Interesse und Engagement sowie vorhandene finanzielle Mittel und zeitliche Verfügbarkeit im Sinne einer Freiheit von anderen Verpflichtungen (z. B. Berufstätigkeit, Familie) voraus. Das säkulare Meditationsprogramm (WIMP, später Shambhala Training) sollte sich vorrangig an eine Klientel richten, die kein spezifisches Interesse am Buddhismus aufwies und sich wahrscheinlich aus dem breiteren Spektrum der zeitgenössischen alternativ-religiösen Landschaft speiste. Die Gestaltung des neuen

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Angebots in Form eines Wochenend- oder Intensivseminars zeigt Parallelen zu der in diesem Kontext bereits etablierten und typischen Seminarstruktur (vgl. Heelas 1996: 58ff). Als Vorlage diente dabei gewissermaßen Erhard Seminars Training (est), das als ein 60-stündiges Intensivprogramm konzipiert war. Ein einzelnes Intensivseminar kann als ein einmaliges Angebot von den Teilnehmern konsultiert werden, die sich danach wieder anderen Angeboten auf dem religiösen Markt zuwenden. Der Ausbau von Shambhala Training zu mehreren, aufeinander aufbauenden Stufen und die gleichzeitige Erweiterung der Shambhala-Lehren durch neue Terma-Texte boten jedoch einen Rahmen, der die Teilnehmer längerfristig an die von Trungpa begründete Gemeinschaft binden konnte. Dadurch wurde ein Angebot geschaffen, das sich von anderen einmaligen Offerten auf dem religiösen Markt unterschied und aus temporären Klienten und Konsumenten mögliche Langzeitmitglieder der Organisation rekrutierte. Andere Anbieter auf dem zeitgenössischen alternativ-religiösen Markt Nordamerikas offerierten inhaltlich ähnliche ausgerichtete Seminare, die auf eine Transformation des Selbst, das Erkennen der »wahren Natur« des Menschen und schließlich auf eine Transformation der Gesellschaft zielten (vgl. Heelas 1996: 58). Im Vergleich dazu bot Shambhala Training durch die Anbindung an die von Trungpa begründete Gemeinschaft den Vorteil eines institutionalisierten Settings mit einem diversifizierten Angebot (Shambhala Training, Vajraya¯na-Buddhismus, kontemplative Künste), das gleichermaßen den Rahmen für die Praxis des Einzelnen und die Umsetzung der Vision in einer Gemeinschaft bildete.

6.4

Die physische Manifestation des Königreiches von Shambhala

Das Königreich von Shambhala diente Trungpa als Modell einer erleuchteten Gesellschaft, zu deren Verwirklichung es einer vollständigen Transformation der gesamten Gesellschaft bedürfe, mit der jedoch bei dem Einzelnen und seinem persönlichen Leben begonnen werden müsse. Trungpa vermittelte seine Vision einer erleuchteten Gesellschaft nicht nur auf der konzeptuellen Ebene von Ideen und Lehren. Wie bereits am Beispiel der Dharma Art-Seminare gezeigt wurde, bezog er sich häufig dezidiert auf das Alltagsleben, um seinen Schülern Anregungen für die praktische Umsetzung der Shambhala-Lehren zu geben. Die Rede von der »Ebene der Küchenspüle« (Trungpa 2001: 33) ist in dieser Hinsicht fast

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so etwas wie ein geflügeltes Wort, um den alltagspragmatischen Ansatz der Shambhala-Vision zu beschreiben:54 These and other ideas may have value, but they must be integrated with an individual human being’s experience of domestic life. Otherwise you have a huge gap between your grand vision for society and the reality of everyday existence. To use one model of family life: a man and a woman meet, they fall in love and marry, they set up a household and then they may have children. Then they have to worry about whether the dishwasher is working or whether they have the money to buy a new stove. As the children grow up, they go to school to learn to read and write. Some children may have an ideal relationship with their parents, but the family has money problems. Or there may be lots of money but a very difficult family relationship. We go back and forth between those problems. We should respect life on that mundane level, because the only way to implement our vision for society is to bring it down to the situation of a single household. (Trungpa 1988: 92)

Die Umsetzung der Vision einer erleuchteten Gesellschaft und die Verwirklichung der Tugenden des Shambhala-Kriegers begannen für Trungpa im individuellen Leben des Einzelnen und den Details des Alltags – wie man seine Haare kämme, sein Kleidung auswähle, sein Essen koche, seinen Haushalt in Ordnung halte und insbesondere wie man mit den Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung umgehe (vgl. Trungpa 2001: 88 f). Durch Achtsamkeit für die kleinen, alltäglichen Dinge erreiche man eine Art positiven Auftrieb, der von Trungpa als »upliftedness« bezeichnet wurde: »When we pay attention to everything around us, the overall effect is upliftedness« (Trungpa 2001: 110). Mit dieser alltagspragmatischen Haltung bringt Trungpa zum Ausdruck, dass die Praxis nicht auf den Schreinraum oder das Meditationskissen beschränkt bleibe, sondern auf alle Bereiche des Lebens appliziert werden solle. Dieser Ansatz wird bereits in früheren Publikationen wie Meditation in Action deutlich und kommt auch im Kontext der Shambhala-Vision zur Anwendung. Das Königreich von Shambhala beginnt für Trungpa also bereits im eigenen Haushalt (vgl. Trungpa 2001: 165). Zusätzlich zu den alltagspragmatischen Ansätzen der Shambhala-Lehren schuf Trungpa innerhalb seiner Organisation verschiedene soziale Formen und Normen, welche die Realisierung seiner Vision des Königreichs von Shambhala im Sinne einer erleuchteten Gesellschaft im Hier und Jetzt unterstützen sollten. Einige davon werden im Folgenden detaillierter dargestellt. 54 So beschrieb es Carolyn Rose Gimian: »Overall, the Shambhala teachings present a view of life as sacred existence. They show Chögyam Trungpa’s brilliance in joining together the biggest and the smallest moments in life: showing us how the transformation of society is related to the kitchen sink« (Gimian 2004a: xxxiii).

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Die Organisation des Kalapa-Hofes Der Wohnsitz Trungpas wurde seit Mitte 1976 in Anlehnung an die Hauptstadt Shambhalas als Kalapa-Hof (Kalapa Court) bezeichnet. Trungpa war auf seinem Wohnsitz ständig von einer großen Zahl seiner Schüler umgeben, die verschiedene Aufgaben und Funktionen wahrnahmen und nun als Butler, Haushaltsführung (Leader of Household), Privatsekretär, Köche (Machen) sowie Dienst- und Servicepersonal (Dorje Kusung, das persönliche Dienstpersonal für Trungpa und seine Frau, Shabdu,55 allgemeines Dienstpersonal am Hof, und die Dorje Kasung als Bodyguards, Fahrer und Servicekräfte bei öffentlichen Angelegenheiten) in die Vision eines monarchischen Hofes integriert wurden (vgl. Midal 2004: 353 – 360). Der Vajra Regent und seine Familie zogen ebenfalls in den Kalapa-Hof ein. Für das Leben am Kalapa-Hof etablierte Trungpa ein formelles Hof-Zeremoniell. In seiner Court Vision56 umriss er die gesellschaftlichen Umgangsformen und die Rollen der Hauptfiguren am Hof, einschließlich Verhaltensvorschriften für den Schreinraum, den Audienzraum sowie Kleidervorschriften. Trungpa als Sakyong, d. h. als König von Shambhala und Erdbeschützer, und seine Frau, die Sakyong Wangmo, wurden mit »Eure Hoheit« angesprochen und waren immer von persönlichen Assistenten und Servicekräften umgeben. Trungpa machte Mitglieder des Vajradhatu Board of Directors zu Ministern von Shambhala, ernannte langjährige Schüler zu Generälen (Dapön)57 der Dorje Kasung und der Dorje Kusung (vgl. Midal 2004: 451ff; Mukpo/Gimian 2006: 297). Berichte über das Leben am Kalapa-Hof sprechen von dem aufwendigen Interieur des Hofes, dem eleganten Dekor der Tafeln bei den zahlreichen Dinnerpartys und Empfängen, dem förmlichen Protokoll in Anrede und Umgang miteinander. Fotos aus dieser Zeit zeigen festlich gekleidete Menschen in Abendgarderobe: Männer im schwarzen Anzug und Fliege, Frauen in langen Abendroben (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 302 – 308; Hayward 2008: 155 f, 171 – 199).58 Die Idee seinen großen Haushalt im Stile eines adligen Hofes zu organisieren, sei Trungpas Frau zufolge durch die großen Haushalte inspiriert gewesen, die der 16. Karmapa, Dilgo Khyentse und andere hohe tibetische Lehrer im Exil etabliert hatten. Trungpa habe jedoch das Model der Höfe europäischer Mon55 Der Begriff Shabdu, der hier für das allgemeine Dienstpersonal am Kalapa-Hof verwendet wurde, ist wahrscheinlich vom tibetischen zhabs ’bring du abgeleitet, was sich übersetzen lässt mit »einen Dienst verrichten«. 56 Die Court Vision hatte Trungpa während seines Retreats 1977 verfasst. 57 Die hier verwendete Bezeichnung Dapön enthält die Silbe pön (dpon), die einen Führer oder General bezeichnet. Depön (sde dpon) steht im Tibetischen für den Anführer einer Armee. 58 Einen Eindruck des Hoflebens vermitteln die Fotos in Midal (2004: 349, 423), Mukpo/Gimian (2006: 249, 252) sowie Hayward (2008: 173, 176, 275).

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archien für den Kalapa-Hof vorgezogen (vgl. Mukpo/Gimian 2006: 216). Wie Jeremy Hayward berichtet, sei jeder, der in der Shambhala-Vision unterrichtet wurde, automatisch zum Bürger in dem von Trungpa kreierten ideellen Königreich von Shambhala geworden (vgl. Hayward 2008: 154). Gleichzeitig gab es unter den Bewohnern dieses Shambhala-Königreiches eine klar erkennbare Hierarchie, die feudalen Strukturen glich und zum einen in den Titeln, Rangbezeichnungen und Aufgabenbereichen am Hof ihren Ausdruck fand und zum anderen in den Abzeichen deutlich sichtbar wurde, welche die jeweils absolvierten Stufen von Shambhala Training markierten (vgl. Butterfield 1994: 90 f, 101). Diese neue Entwicklung der sog. Manifestation des Königreichs von Shambhala wurde nicht in gleichem Maße von allen Beteiligten geschätzt, beziehungsweise bedurfte es für einige Betroffene einer Zeit der Gewöhnung an diese neue Situation. Trungpas Ehefrau erinnert sich an ihren ersten offiziellen Empfang nach der Einführung der Kalapa-Hof-Etikette: So at the beginning of the first assembly, I was quite uncomfortable. Actually, a lot of participants were having quite a hard time adjusting to this new Shambhala world. I was certainly not the only one. Everybody was calling me »Your Highness.« I had Dorje Kasung members accompanying me wherever I went, and Rinpoche wanted me to have my own personal attendants and all the rest of it. I found it incredibly awkward and unsettling to land in the middle of this heightened environment and to have to function in that world. I trusted him fundamentally, but I thought things had gone crazy. (Mukpo/Gimian 2006: 303)

Die Etablierung des Kalapa-Hofes wurde auch als Möglichkeit betrachtete, eine große Anzahl von Schülern der stetig wachsenden Gemeinschaft in das Alltagsleben Chögyam Trungpas zu integrieren und ihnen so einen Kontakt mit ihm zu ermöglichen. Wie Trungpa auch schon in Bezug auf die Dharma Art betont hatte, seien Kunst und Alltag, Dharma und Alltag und auch die Shambhala-Vision und das Alltagsleben nicht voneinander getrennt, sondern die praktische Anwendung und Umsetzung der Lehren müsse im Alltagsleben erfolgen. In diesem Sinne sollte das Leben am Hof und das Teilhaben an diesem Leben als Lehr- und Lernsituation für alle Beteiligten verstanden werden. In einer Ansprache vor einigen Mitgliedern der Gemeinschaft, die als Dienst- und Servicepersonal am Kalapa-Hof tätig waren, erklärte Trungpa die Situation wie folgt: As far as we [my wife and I] are concerned, even when we are at home, we don’t take time off at all. We are constantly working. From the moment when we wake up to when we go to sleep, there is always a working basis, working with others, being involved in working with you people, working with the community at large, and working with ourselves. We don’t regard this place [the Kalapa Court] as a place to flop or relax. As far

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as we are concerned, being at home is also discipline for us. […] We are trying to create a different kind of court situation altogether, which is very important. To make that possible, your participation is wonderful, and your help is needed very much. It is a question of helping each other : us helping you and you helping us. So it’s teamwork, in that way. The purpose of the Court is to manifest and realize the notion of enlightened society. (Trungpa zitiert in Gimian 2004a: xv–xvi)

Der Kalapa-Hof wurde als geeignete Umgebung betrachtete, die Lehren Trungpas direkt im Alltag und im gemeinsamen Zusammenleben der Beteiligten in die Tat umzusetzen (vgl. Midal 2004: 363 – 368). Dieses »Monarchie-Experiment« (Clark 1980: 32) ist von zeitgenössischen Beobachtern eher kritisch beurteilt worden: The poets [at Naropa Institute, Anm. K.R.] have chosen metaphysics, magic, and the mumbo-jumbo of a spiritual kingdom ruled over by a witty Oriental whose unashamed contempt for democratic institutions is starting to invade their poetics. »Experiment in monarchy,« indeed! He’s a smart one, all right, the little king of kindergarden – he knows his business, and gives you the business, too. (Clark 1980: 43)

Kritiker sahen in der Etablierung des Kalapa-Hofes eine unangemessene Zurschaustellung von Trungpas Wohlstand und Exaltiertheit sowie eine Verherrlichung feudaler Strukturen, die im Zeitalter der Demokratie unangemessen seien. Diese Entwicklung wurde als ein Anzeichen für die Unaufrichtigkeit Trungpas als buddhistischer oder spiritueller Lehrer gesehen (vgl. Clark 1980: 545; Schumacher 1999: 539; Falk 2009: 119). Durch die Etablierung der feudalen Hierarchie des Kalapa-Hofes wurde eine Variante des tibetischen theokratischen Systems in den westlichen Kontext transferiert. Gleichzeitig brachte Trungpa damit seine Skepsis gegenüber dem westlichen demokratischen System zum Ausdruck. Wie Steven Butterfield sich erinnert, soll ein Schüler bei einem Programm gefordert haben, dass alle Anwesenden darüber abstimmen sollten, wie lange die Vorträge Trungpas – die häufig bis spät in die Nacht oder sogar in die frühen Morgenstunden reichten – höchstens dauern dürften. Trungpa soll diese basisdemokratischen Bestrebungen mit dem Ausdruck »democratic farts« (Butterfield 1994: 77) kommentiert und den Saal daraufhin verlassen haben. Dennoch habe das strenge hierarchische Gefüge in Trungpas Organisation – insbesondere im Vergleich zu Programmen anderer tibetischer Lehrer, die nicht auf diese Weise strukturiert und organisiert waren – zu einem geordneten Praxisumfeld beigetragen, wie sich ein Schüler, der diesem System durchaus kritisch gegenüber stand, nach einem Ausflug zu einem Programm von Kalu Rinpoche erinnert:

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When I returned to Trungpa’s mandala after that experience, I could see how the gravitational force of his hierarchy imported order, clarity, and cleanliness to his system, and held it together as a supportive practice environment, even though individuals within it might be irritated and provoked. (Butterfield 1994: 91)

Trungpa sah in der von ihm etablierten Struktur eine Verwirklichung seines Konzeptes der natürlichen Hierarchie. Dabei verkörperte er als Sakyong von Shambhala und Repräsentant der Rigden-Könige auf Erden das Ideal des universellen Monarchen, der seinen Sitz im Zentrum des Königreiches von Shambhala (häufig auch als Mandala bezeichnet) am Kalapa-Hof hatte. Ausgehend von diesem Zentrum strukturierte Trungpa in den folgenden Jahren die gesamte Gemeinschaft nach diesem Gesellschaftsmodell um.

Vajradhatu: Transformation zur Regierung der erleuchteten Gesellschaft Die Präsentation der Shambhala-Lehren und der Wandel des Lebensstils um Chögyam Trungpa durch die Etablierung des Kalapa-Hofes markieren eine Phase des Übergangs für die gesamte Gemeinschaft (vgl. Gimian 2004a: xvi). Die inhaltlichen Verlagerungen, die im Zuge der Präsentation der Shambhala-Lehren erfolgten, wirkten sich auch auf die organisatorischen Strukturen aus. Im Zuge dieser Entwicklungen gestaltete Trungpa die internationale Dachorganisation Vajradhatu um, welche die einzelnen Meditationszentren (Dharmadhatus) administrativ vereinte. Vajradhatu wurde 1973 als gemeinnützige religiöse Organisation im Sinne des U.S.-amerikanischen Rechts von Trungpa gegründet, um seine vielfältigen Aktivitäten und die nach und nach entstehenden Meditationszentren organisatorisch zusammenzuschließen.59 Vajradhatu als Dachorganisation zusammen mit dem Vajradhatu Board of Directors als oberstem Verwaltungsorgan im Sinne eines Aufsichtsrats wurden von Trungpa mehr und mehr im Sinne einer Regierung verstanden und organisiert. Diese »Regierung« wurde schließlich in verschiedene Abteilungen oder Ämter aufgegliedert. So gab es beispielsweise ein Amt für Außenangelegenheiten und ein Amt für Inneres (vgl. Gimian 2004a: xxxvii; Midal 2004: 447).60 Die Vajradhatu-Direktoren waren

59 1972 bestanden zwei parallele Verwaltungen in den beiden damaligen Hauptzentren Tail of the Tiger (Vermont) und Karma Dzong (Boulder), die durchaus miteinander konkurrierten. Durch die Gründung von Vajradhatu sollte auch der Konkurrenz untereinander entgegengewirkt werden (vgl. Midal 2004: 390). 60 Im Englischen wird der Begriff department benutzt (z. B. Department of External Affairs, Department of Internal Affairs), der sowohl Abteilung als auch Amt bedeuten kann. Die deutsche Übersetzung Abteilung ist in Unternehmen gebräuchlicher, während Amt eher in

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Die physische Manifestation des Königreiches von Shambhala

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jeweils für eine Abteilung der Organisation zuständig und wurden als Minister bezeichnet, die ein Kabinett bildeten. Fortgeschrittene Schüler wurden zu Botschaftern (Ambassadors) und Gesandten (Emissaries) ernannt, die mit der Führung und Entwicklung der größeren und kleineren Zentren außerhalb von Boulder, dem Hauptsitz der Gemeinschaft, beauftragt wurden. Trungpa selbst war nominell Vorsitzender des Board of Directors, obwohl der größte Teil des Tagesgeschäfts von seinem Privatsekretär David Rome ausgeübt wurde. Die Aufgaben umfassten die finanzielle Verwaltung sowie die strukturelle Administration der Organisation. Dazu zählten sowohl der Ausbau und die Entwicklung einzelner Zentren sowie der Gemeinschaft als ganzer, als auch die Organisation der Reisen und Seminare Trungpas und seines Haushaltes (vgl. Midal 2004: 447). Mit der Umstrukturierung und Umbenennung der einzelnen Posten und Bereiche von Vajradhatu war nicht primär eine Veränderung der Aufgabenfelder der Organisation verknüpft. Vielmehr stellte diese Umstrukturierung eine ideelle Transformation Vajradhatus von einer bloßen Administrationsstruktur zur Verwaltung von Meditationszentren zu einer Regierung des erleuchteten Königreiches von Shambhala dar.

Das Delek-System: Die Basisorganisation einer erleuchteten Gesellschaft Anfang der 1980er Jahre gründete Chögyam Trungpa das Delek-System als eine Art Basisorganisation auf der Ebene der Mitglieder der Gemeinschaft in Boulder.61 Das tibetische Wort Delek (bde legs) wurde in diesem Kontext übersetzt als »Ort, an dem Frieden und Freude herrschen« (vgl. Midal 2004: 418). Die Mitglieder der Gemeinschaft in und um Boulder wurden in Anlehnung an ihre lokale Wohnlage in 37 Deleks unterteilt, die jeweils aus durchschnittlich 25 Mitgliedern und deren Familien bestanden. Die Delekpa, also die Mitglieder eines Deleks, wählten aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden oder Vertreter, der als Dekyong (bde skyong), hier übersetzt als »Beschützer der Freude«, bezeichnet wurde. Die Dekyongs der einzelnen Deleks bildeten eine parlamentarische Organisation, den »Rat der Dekyongs« (Dekyong Council), dessen Aufgabe in einer Vermittlerposition zwischen der Basis der Gemeinschaft und den höheren Führungsebenen der Vajradhatu-Organisation bestand (vgl. Gimian 2004a: xl). In einer Ansprache anlässlich der »Dekyong Oath Ceremony« am 15. Juni 1982 beschrieb Chögyam Trungpa die Aufgabe des Delek-Systems: staatlichen Behörden Verwendung findet. Department ist hier eher im Sinne eines Amtes gemeint (vgl. Gimian 2004a: xxxvii). 61 Von dort aus verbreitete sich das Delek-System auch in anderen Regionen der Gemeinschaft (vgl. Midal 2004).

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The delek system cuts down the extraordinary hypocrisy of dictatorship, as well as the idea of too much democracy. It brings us a middle path, which is somewhat democratic: your individual contributions could become very positive and excellent through the delek system, and the dictatorial aspect of society could be cut down. Our notion of hierarchy is more like a flower than a lid. It is more like a waterfall than a volcano. Hierarchy can help people organize their lives in such a way that they can contribute individually – every one of them. (Trungpa zitiert in Midal 2004: 419)

Das Delek-System bot eine Form der parlamentarisch-orientierten Basisorganisation, die in gewisser Hinsicht eine ausgleichende Funktion zum monarchischen Prinzip des Kalapa-Hofes und der Vajradhatu-Führung hatte. Die Einrichtung dieser Struktur kann daher auch als Reaktion auf den Vorwurf der diktatorischen Führung der Gemeinschaft durch Trungpa und den Regenten gesehen werden. Für die Mitglieder an der Basis bot das Delek-System zum einen die Möglichkeit, ihre Ideen und Vorstellungen für die Gemeinschaft über das Dekyong Council zu kommunizieren. Zum anderen wurde durch die Schaffung dieser Organisationsstruktur der Aspekt der Gemeinschaft gestärkt, indem dem einzelnen Mitglied seine Verantwortung für die Gemeinschaft aufgezeigt wurde: All members of the deleks, not just the dekyongs, should understand the importance of cultivating a strong neighbourhood identity and a commitment to working together as a group with a sense of mutual purpose, cooperating and caring. The deleks should take it as their role to sort out many kinds of issues – spiritual, social and economic – and to deal with various difficulties and details by themselves. They should understand that their contribution to our work is important and, in fact, essential. (Trungpa zitiert in Gimian 2004a: xli)

Durch das Delek-System wurde ein Rahmen geschaffen, in dem die Mitglieder der Gemeinschaft nicht nur an ihrer persönlichen Entwicklung als Vajrayanaund Shambhala-Praktizierende arbeiten, sondern die Lehren in einem sozialen Umfeld praktisch umsetzen konnten, um gemeinsam zur Realisation der Vision einer erleuchteten Gesellschaft beizutragen (vgl. Gimian 2004a: xli).

Die Einführung von Feiertagen und die Gestaltung sozialer Anlässe Mit dem Beginn der Vermittlung der Shambhala-Lehren begann Trungpa auch verschiedene feierliche Anlässe im Jahres- und Lebenszyklus zu gestalten, sodass sie die Ideen der Lehren zum Ausdruck brachten und eine Möglichkeit boten, diese in der Praxis umzusetzen. Bereits im Dezember 1977 fand die erste Shambhala-Hochzeit statt, deren Ablauf von Trungpa gestaltet wurde. Braut und Bräutigam trugen dabei japanische Kleidung und führten die Ash¦-Kalligraphie

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Die physische Manifestation des Königreiches von Shambhala

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aus. Die Zeremonie wurde durch japanische Koto-Musik begleitet und das Hochzeitsgelübde wurde mit einem Schluck Sake besiegelt (vgl. Hayward 2008: 171). Das Hochzeitszeremoniell gestaltete sich damit völlig anders als die bisher durchgeführten buddhistischen Hochzeiten in der Vajradhatu-Gemeinschaft (vgl. Midal 2004: 334 f). Im Jahr 1978 wurde der erste gemeinschaftsweite Shambhala-Tag (Shambhala Day) gefeiert. Der Shambhala-Tag fällt seitdem immer auf das tibetische Neujahr (Losar) und wird in den einzelnen lokalen Zentren begangen. Trungpa hatte anlässlich des ersten Shambhala-Tages ein großes Frühstücksbuffet geordert. Nach dem Frühstuck hielt er im Schreinraum seine Shambhala-TagAnsprache (im Sinne einer Neujahrsansprache), die zum festen Bestandteil der Festivitäten an diesem Tag wurde und noch heute vom Sakyong zu diesem Anlass gehalten wird. Über den Tag waren weitere Aktivitäten verteilt, wie die gemeinsame Rezitation des Sadhana von Mahamudra. Am Abend gab es ein großes Dinner und einen anschließenden Ball am Kalapa-Hof, zu denen die »Einwohner von Shambhala« geladen waren (vgl. Midal 2004: 332; Hayward 2008: 174). Abends wurde das I Ching62 geworfen, um Voraussagen für das kommende Jahr und die Entwicklung des Shambhala-Königreiches zu erhalten (vgl. Hayward 2008: 175). Auch die Praxis des Werfens des I Ching am Shambhala-Tag besteht bis heute in der Gemeinschaft. Nach dem formellen Abendessen verlieh Trungpa verschiedene Preise und Orden an Mitglieder der Gemeinschaft in Anerkennung ihrer Dienste für die Verwirklichung der Shambhala-Vision einer erleuchteten Gesellschaft (vgl. Hayward 2008: 175). Trungpa bestimmte und gestaltete weitere Feiertage, die den sozialen Aspekt der Shambhala-Lehren hervorbringen und die Gemeinschaft stärken sollten (vgl. Midal 2004: 330). Dazu gehören die sogenannten »Nyida Days«,63 welche jeweils den Übergang der Jahreszeiten markieren.64 Diese vier Termine galten als Familientage. Der »Mittsommer-Tag« (Midsummer’s Day) wurde erstmalig 1978 im großen Rahmen zelebriert. Die Festivitäten umfassten Tanz, Theateraufführungen, sportliche Wettkämpfe und eine große Parade der verschiedenen Unterorganisationen der Vajradhatu-Gemeinschaft. Ein spezielles Unterhaltungsprogramm richtete sich an die Kinder und sollte diese in die Gemeinschaft und die Feierlichkeiten integrieren und so ihre Wertschätzung als Teil der Gemeinschaft betonen (vgl. Midal 2004: 331). Weitere Nyida-Tage, die diesen Aspekt betonen, sind der Kindertag (Children’s Day) zur Wintersonnenwende und die Feierlichkeiten anlässlich des Übergangsritus (Rite of Passage) für achtjäh62 Das I Ching ist eine chinesische Divinationstechnik, die auf dem sogenannten Buch der Wandlungen beruht. 63 Nyida ist abgeleitet von dem tibetischen Worten nyima für Sonne und dawa für Mond. 64 Gemeint sind damit die Winter- und Sommersonnenwende sowie Frühjahrs- und Herbstäquinoktium.

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rige Kinder zur Herbsttagundnachtgleiche. Die Feierlichkeiten im Herbst heißen heute Harvest of Peace und der Shambhala Day gilt als der vierte Feiertag im Jahreskreis, der im Februar gefeiert wird.

Zwischenbetrachtung Zur Präsentation von Shambhala Training und zur Vermittlung der ShambhalaLehren griff Trungpa weitestgehend auf die bereits von ihm etablierten Infrastrukturen der Vajradhatu-Gemeinschaft zurück, die durch dieses neue Betätigungsfeld zusätzlich ausdifferenziert wurden. Wie bereits in anderen Bereichen seiner Organisation (Vajradhatu, Naropa Institute u. a.) erprobt, übertrug er administrative Aufgaben und einen Teil der Vermittlung der Lehren auf fortgeschrittene Schüler. Shambhala Training bedeutete jedoch nicht mehr nur ein zusätzliches Angebot der Vajradhatu-Gemeinschaft, sowohl für buddhistische Praktizierende als auch für Akteure, die nicht dezidiert am Buddhismus oder einem religiösen Weg interessiert waren. Die Shambhala-Lehren avancierten im Laufe der Zeit vielmehr zu einem umfassenden Ansatz, der von Trungpa in die gesamte Gemeinschaft integriert wurde und so zu einer Transformation der Organisation führte. Sichtbar wird dieser grundlegende Wandel der Gemeinschaft in der Etablierung des Kalapa-Hofes mit seinen feudalen, hierarchischen Strukturen und der Hofetikette, dem Verständnis des Vajradhatu Board of Directors als Regierungskabinett von Shambhala, Chögyam Trungpas Position als Sakyong und König von Shambhala sowie der Stilisierung der Mitglieder der Gemeinschaft zu Bewohnern des Königreichs. Trungpas Vision einer erleuchteten Gesellschaft blieb damit nicht auf einer rein konzeptuellen oder visionären Ebene, sondern nahm konkrete Strukturen an, die eine praktische Integration der Shambhala-Lehren im Alltagsleben der Gemeinschaft anstrebten. Durch das Delek-System wurde auch die Mitgliederbasis mehr in das Gemeinschaftsleben integriert und das Verantwortungsbewusstsein für die Gemeinschaft beim Einzelnen gestärkt. Die Jahreskreisfeste und Feierlichkeiten anlässlich bestimmter Lebensabschnitte boten zudem Möglichkeiten, das Sozial- und Familienleben der Mitglieder stärker in die Gemeinschaft und ihre Visionen einzubinden. Dadurch schuf Trungpa ein Setting zur Verwirklichung seiner Ideen. Diese Ideen schlugen sich in der Sprache, den Titeln, den Umgangsformen, den religiösen Praktiken, den sozialen Anlässen und der materiellen Kultur der Gemeinschaft nieder.

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Die materielle und sinnliche Seite der Shambhala-Vision

Chögyam Trungpas Vermittlung der Shambhala-Vision beschränkte sich nicht auf die verbale Präsentation der Shambhala-Lehren im Rahmen von Vorträgen und Seminaren, die später auch in schriftlicher Form publiziert wurden, sondern er goss seine Vision einer erleuchteten Gesellschaft auch in materielle und ästhetische Formen, wie die Beschreibung des Lebens am Kalapa-Hof und der Feierlichkeiten gezeigt hat. Wie bereits im vorangegangenen Kapitel fünf dargestellt wurde, verstand Trungpa seinen Ansatz der Dharma Art als einen möglichen Weg, Kultur und Gesellschaft zu verändern, der somit zur Realisation seiner Vision einer erleuchteten Gesellschaft beitrug (vgl. Trungpa 2004a: 686). Die Dharma Art-Rauminstallationen stellen ein eindrucksvolles Beispiel für das Verschmelzen von Lehren, visuellen Repräsentationen und körperlichen Handlungen dar. In der Konzeption der Ausstellungen entwickelten Trungpa und die beteiligten Schüler materielle Ausdrucksformen und räumliche Gestaltungen, welche die Shambhala-Vision und den Stufenweg des Kriegers repräsentieren sollten. Im Durchschreiten der Räume konnte der Besucher der Ausstellungen den idealtypischen Weg des Kriegers Schritt für Schritt mit allen Sinnen erfahren. Das Betrachten der exotischen Raumgestaltung konnte beim Besucher natürlich auch einfach nur ein ästhetisches Erlebnis auslösen, das möglicherweise völlig unabhängig von der inhaltlichen Konzeption der räumlichen Installationen war. Im Folgenden sollen einige Beispiele für die von ihm entwickelten materiellen und ästhetischen Formen erörtert werden, welche die Shambhala-Lehren nicht nur auf einer kognitiven, sondern auch auf einer die menschlichen Sinne ansprechenden Ebene vermitteln.

Die Shambhala-Hymne Während des knapp einjährigen Retreats in Charlemont im Jahr 1977 verfasste Trungpa eine eigene Shambhala-Hymne (Shambhala Anthem), die er zuerst in Tibetisch niederschrieb und anschließend mit Hilfe seines Privatsekretärs ins Englische übersetzte. Die Hymne wurde zu der irischen Marschmusik »Let Erin Remember the Day of Old« eingespielt (vgl. Hayward 2008: 165). Dabei handelt es sich um ein Stück, das regelmäßig anlässlich der Parade »Trooping the Colour« zum Geburtstag der englischen Queen gespielt wird. Trungpa besaß eine Aufnahme davon, die zu seinen Lieblingsplatten gehörte (vgl. Midal 2004: 346). Obwohl die Hymne laut Fabrice Midal bereits zuvor zu vielen Anlässen gesungen worden sei, sei sie erst ab 1983 bei allen öffentlichen Auftritten Trungpas von ihm, zusammen im Duett mit einer weiblichen Sängerin, gesungen worden (vgl. Midal 2004: 345 f). Die »Shambhala-Hymne« ist abgedruckt in Great Eastern

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Sun: The Wisdom of Shambhala und enthält die zentralen Elemente der Shambhala-Vision Chögyam Trungpas: In heaven the turquoise dragon thunders, The tiger’s lightning flashes abroad. The lion’s mane spreads turquoise clouds, Garuda spans the threefold world. Fearless the warriors of Shambhala, Majestic the Rigdens on vajra thrones. The Sakyong king joins heaven and earth. The Sakyongwangmo harvests peace. The trumpet of fearlessness resounds, The all-victorious banner flies. Temporal and spiritual glory expand. Rejoice, The Great Eastern Sun arises! (Trungpa 2001: 207)

Die erste Strophe beschreibt die vier Tiere – Drache, Tiger, Löwe und Garuda –, welche für die vier Tugenden des Shambhala-Kriegers stehen: Unergründlichkeit, Sanftmut, Munterkeit und Unerhörtheit. Die zweite Strophe gibt eine Beschreibung der zentralen Figuren des Shambhala-Königreiches. Genannt werden zum einen die furchtlosen Shambhala-Krieger, welche die idealen Mitglieder der erleuchteten Gesellschaft repräsentieren, da sie auf ihrem Pfad der Kriegerschaft das Ziel der Überwindung der Aggression und die Entwicklung von Furchtlosigkeit erreicht haben. Zum anderen werden die Rigden-Könige auf dem Vajra-Thron angeführt, welche die unbedingte und unbegrenzte Weisheit des Shambhala-Königreiches verkörpern. Und schließlich werden der Sakyong und die Sakyong Wangmo erwähnt. Der Sakyong, als Repräsentant der RigdenKönige in der Gegenwart, hat den Status eines universellen Monarchen, der über die Fähigkeit verfüge, Himmel und Erde zu verbinden und so das Prinzip der natürlichen Hierarchie realisiere. Unterstützt wird er dabei von der Sakyong Wangmo, der Königin von Shambhala, die das weibliche Prinzip von Loyalität, Kommunikation und Harmonie symbolisiere (vgl. Midal 2004: 433; Mukpo/ Gimian 2006: 294). Die dritte Strophe preist noch einmal die Tugend der Furchtlosigkeit, den Sieg über die Aggression und die daraus resultierende zeitliche und spirituelle Herrlichkeit, welche die aufgehende Große Östliche Sonne ankündigen und die Vision einer erleuchteten Gesellschaft repräsentieren. Trungpa verfasste weitere Lieder zu den Melodien von Marschmusik und englischen Volksliedern. Laut Gimian stellen diese Lieder eine Möglichkeit dar, die Lehren Trungpas von Generation zu Generation weiterzugeben, indem sie innerhalb der Gemeinschaft und der Familien zu den verschiedensten Anlässen

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gemeinsam gesungen werden.65 Da sich Trungpa, wie bereits vorher erwähnt, bei der Gestaltung des Kalapa-Hofes von britischen Monarchien inspirieren ließ, mag es nicht verwundern, dass er Gefallen an irischen oder englischen Marschund Volksliedern fand und diese hier als musikalische Grundlage verwendete.

Shambhala-Siegel, Flaggen, Uniformen und Anstecknadeln Trungpa entwarf eine Reihe von Flaggen und Anstecknadeln, die verschiedene Aspekte der Shambhala-Lehren und der unterschiedlichen Organisationen der Gemeinschaft repräsentierten (vgl. Midal 2004: 328). Die Flaggen schmücken meist die Wände eines Zentrums der Gemeinschaft und bieten zudem die Möglichkeit, auch in nur zeitweilig angemieteten Räumlichkeiten innerhalb kurzer Zeit und mit wenig Aufwand eine Atmosphäre herzustellen, die typisch ist für die Zentren. Durch die Anstecknadeln, die zu besonderen Anlässen wie Feierlichkeiten und Programmen getragen werden, lassen sich zudem Mitgliedschaften und Zuständigkeiten der Träger dieser Anstecknadeln ablesen. Midal zufolge galten die Anstecknadeln für Trungpa nicht nur als äußerlich sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit, sondern sie enthielten die Lehren selbst (vgl. Midal 2004: 328). Das von Trungpa entworfene Shambhala-Siegel versinnbildlicht die verschiedenen Elemente der Shambhala-Lehren. Es besteht aus einem Garuda, der sich in einem gelben Kreis befindet. Der gelbe Kreis stellt eine Sonnenscheibe dar und steht für die Große Östliche Sonne. Der Garuda hält ein rechteckiges Banner, auf dem die vier Tugenden in Form der vier Tiere abgebildet sind: oben links vor einem roten Hintergrund ist der Garuda dargestellt; oben rechts vor einem blauen Hintergrund ist der Drache angeordnet; unten links vor einem weißen Hintergrund befindet sich der Schneelöwe; unten rechts vor einem orangefarbenen Hintergrund ist der Tiger abgebildet. Der Garuda hält mit seinen Krallenfüßen ein Banner, das die Inschrift »tiefgründig, strahlend, wahr, kraftvoll, vollkommen siegreich« auf Tibetisch enthält, welche die Qualitäten des uranfänglichen Striches von Ash¦ beschreibt (vgl. Gimian 2001b: xvii).66 Über dem Banner ist die aufgehende Sonne angedeutet. Das Shambhala-Siegel hängt häufig als großes Stoffbanner in den Zentren. Es ist außerdem auf dem Cover von Shambhala: The Sacred Path of the Warrior abgebildet. Ein weiteres Banner, das sich häufig in den Praxisräumen der Gemeinschaft finden lässt, ist das Shambhala-Banner. Es enthält in abstrakterer Form die 65 So Gimian in dem Begleitheft zu der CD Dragon’s Thunder : Songs of Chögyam Trungpa, Dorje Dradül of Mukpo (Halifax: Vajradhatu Publications, 2000) (vgl. Midal 2004: 347). 66 Die tibetische Inschrift lautet: zab gsal srong btsan kun du rgyal.

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Abb. 8: Offizielles Foto von Chögyam Trungpa als Druk Sakyong für die Zentren; abgebildet mit Fächer und verschiedenen Anstecknadeln (die u. a. das Shambhala Siegel und das Shambhala Banner zeigen)

gleichen Grundelemente. Im Zentrum vor einem weißen Hintergrund befindet sich ein gelber Kreis, der für die Sonne steht. Am oberen Ende des Banners befinden sich vier Streifen, welche die vier Tugenden, die der Krieger nach und nach verwirklichen soll, repräsentieren: Die Farbe Orange versinnbildlicht die Sanftmut, die Farbe Weiß bedeutet Munterkeit, die Farbe Rot symbolisiert das

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Unerhörte und die Farbe Blau steht für Unergründlichkeit.67 Das Banner stellt Midal zufolge die Erfüllung der Shambhala-Vision dar, die jeder verwirklichen könne (vgl. Midal 2004: 328). Trungpas persönliches Shambhala-Banner zeigt ebenfalls die vier symbolischen Tiere, welche die Tugenden des Shambhala-Kriegers repräsentieren und einen schwarzen senkrechten Streifen an der rechten Seite. Auf dem schwarzen Streifen befinden sich sechs weiße Punkte, welche die sechs ursprünglichen tibetischen Stämme symbolisieren sollen (vgl. Trungpa 2001: 198). Zusätzlich entwarf Trungpa eine Reihe von Medaillen, Abzeichen und Orden, die auf dem britischen System der adligen Titel (Lord, Ritter etc.) basierten (vgl. Hayward 2008: 165ff). Er kreierte außerdem eigene Uniformen, z. B. für die Dorje Kasung, und – inspiriert von den Schuluniformen der britischen Privatschulen – für die Kinder der Vidya Elementary School (vgl. Hayward 2008: 221).

Der Shambhala-Schrein Die Schreinräume der Vajradhatu-Zentren waren vor der Einführung der Shambhala-Lehren durch buddhistische beziehungsweise Vajrayana-buddhistische Schreine dominiert. Mit der Verbreitung der Shambhala-Lehren Ende der 1970er Jahre, die als säkularer und heiliger Pfad zur Erleuchtung verstanden wurden, bedurfte es einer entsprechenden neuen Raumgestaltung für die Meditationspraxis im Rahmen der Shambhala-Programme. Über viele Jahre konnte man daher in den Zentren einen gesonderten Shambhala-Schrein finden.68 Während des ersten Zyklus von Shambhala Training »Das Herz der Kriegerschaft« gab es anstelle eines Schreins zumeist ein Blumenarrangement auf einem einfachen Podest (vgl. Butterfield 1994: 97). Der Shambhala-Schrein wurde erst mit Beginn des zweiten Zyklus »Der Pfad des Kriegers« (Sacred Path) eingeführt. Im Zentrum über dem Schrein hing eine Reproduktion der Kalligraphie des Ash¦-Strichs. Auf dem Schrein waren Pfeil und Bogen, sowie ein Kalligraphie-Pinsel platziert. Pfeil und Bogen stellen in gewisser Hinsicht die Insignien des Shambhala-Kriegers dar. Der Kalligraphie-Pinsel repräsentiert die Praxis des Ash¦-Striches, die eine der zentralen Praktiken des ShambhalaKriegers bildet und im Rahmen des zweiten Zyklus von Shambhala Training vermittelt wird. Der Pfeil steht für die Intelligenz und den Scharfsinn des Kriegers, die er auf seinem Weg verwirklicht, und der Bogen versinnbildlicht die 67 Die Streifen sind in dieser Reihenfolge von unten nach oben auf dem Banner angeordnet. 68 Inzwischen gibt es durch Änderungen in der Gemeinschaft, die Sakyong Mipham in den letzten Jahren vorgenommen hat, keine getrennten buddhistischen Schreine und Shambhala-Schreine mehr, sondern einen neuen Shambhala-buddhistischen Schrein.

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hilfreichen Mittel (skillful means, skr. upa¯ya), die dem Krieger helfen, seinen Scharfsinn im alltäglichen Leben und bei der Umsetzung der Shambhala-Lehren zur Anwendung zu bringen (vgl. Trungpa 1988: 72ff). Zusätzlich befanden sich fünf kleine Schalen im vorderen Bereich, welche die fünf Sinne repräsentieren; Kerzen und Räucherstäbchen rundeten das Ensemble auf dem Schrein ab.

Die reguläre Praxis des Shambhala-Kriegers69 Die grundlegende Praxis des Shambhala-Weges ist die Sitzmeditation, die auf einer regulären Basis ausgeübt werden soll und in allen Shambhala-Programmen einen großen Raum einnimmt. Die Praxis in der Gemeinschaft erfolgt üblicherweise in einem Schreinraum oder einer Meditationshalle mit entsprechender Ausstattung. Zu dieser Ausstattung gehören Sitzkissen auf Matten, ein Schrein und ein Gong sowie die Shambhala-typischen Banner und Flaggen an den Wänden. Trungpa hatte spezielle Sitzkissen, genannt Gomden, für westliche Praktizierende entworfen. Diese waren rechteckig und mit einer stabilen Füllung versehen. Durch ihre Quader-Form ist es möglich, zwei Kissen übereinander zu stapeln und so eine größere Sitzhöhe zu erreichen, was vor allem für Teilnehmer mit Knie- oder Rückenproblemen vorteilhaft ist. Die Sitzkissen waren entweder in rot mit einem gelben Rechteck auf der Oberseite oder in blau gestaltet und lagen auf farblich korrespondierenden, quadratischen Matten, Zabuton genannt. Der Schreinraum wird ohne Schuhe betreten. Beim Betreten führt man die Verbeugung des Kriegers (warrior’s bow) aus. Dabei liegen die Hände an den Hüften, die Arme bilden einen leichten Bogen und der Oberkörper wird geneigt.70 Die Verbeugung kann im Stehen aber auch im Sitzen, z. B. auf dem Meditationskissen, ausgeführt werden. Üblicherweise erhebt man sich von seinem Sitzkissen, wenn der Lehrer oder Meditationsleiter (Umdze) den Raum betritt und setzt sich erst, wenn dieser seinen Platz eingenommen hat. Die Haltung auf dem Sitzkissen ist aufrecht mit gekreuzten Beinen vor dem Kissen. Die Hände werden mit den Handflächen nach unten auf den Oberschenkeln platziert. Der Beginn der Meditation wird mit einem Gong angekündigt. Bei der Sitzmeditation wird der Fokus auf den Atem gerichtet. Auftauchende Gedanken sollen nicht weiter verfolgt und nicht beurteilt, sondern lediglich wahrgenom69 Die Beschreibung basiert, sofern nicht anders angegeben, auf meinen Beobachtungen im Feld. Eine korrespondierende Beschreibung findet sich bei Butterfield (1994), der von 1979 an ein Schüler Trungpas war, was darauf schließen lässt, dass die grundlegende Praxis bis heute recht unverändert existiert. 70 Siehe auch die Beschreibung der Praxis der Verbeugung des Kriegers bei Trungpa (2001: 173).

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men und bewusst in einem mentalen Sprechakt als »Denken« bezeichnet werden, um anschließend wieder zum Atem zurückzukehren. Die Phasen der Sitzmeditation werden von kurzen Perioden der Gehmeditation unterbrochen. Die einzelnen Praxisabschnitte werden mit einem Gongschlag begonnen und beendet. Die Sitzpraxis wird zu Beginn und am Ende durch die Rezitation von sog. Shambhala-Chants (»Huldigung« und »Anrufung«) gerahmt. Am Ende der Praxis führt man ebenfalls die Verbeugung des Kriegers aus. Die Shambhala-Chants basieren auf der Eröffnungssektion des ersten TermaTextes The Golden Sun of the Great East, den Trungpa im Oktober 1976 erhalten hatte. Sie sind mit Trungpas Shambhala-Titel Dordje Dradül von Mukpo unterzeichnet und enthalten, ähnlich wie die Shambhala-Hymne, die typischen Elemente der Shambhala-Lehren. Die »Huldigung« (Homage) und die »Anrufung« (Invocation) bestanden ursprünglich jeweils aus drei Strophen, die nacheinander den Rigden-Königen, den Herrscher-Ahnen und der Großen Östlichen Sonne gewidmet waren. Der Textaufbau und der Rhythmus weisen Parallelen zu tantrisch-buddhistischen Rezitationstexten auf. Heute enthalten diese Texte eine zusätzliche, an dritter Stelle eingeschobene Strophe, die dem Mukpo-Klan sowie dem Sakyong und der Sakyong Wangmo gewidmet ist. Beide Texte gleichen sich mit Ausnahme der jeweils letzten Zeile der einzelnen Strophen, in der entweder eine Huldigung (»I pay homage at/to…«) oder eine Anrufung (»May the goodness of … be present«) ausgesprochen werden. Die erste Strophe der »Huldigung« ist in Shambhala: The Sacred Path of the Warrior abgedruckt (vgl. Trungpa 1988: 7): He who has neither beginning nor end Who possesses the glory of Tiger Lion Garuda Dragon Who possesses the confidence beyond words I pay homage at the feet of the Rigden King

Die erste hier zitierte Strophe ist den Rigden-Königen gewidmet. Sie stellen die uranfängliche Quelle der Weisheit der Shambhala-Lehren dar und verkörpern das Ideal des Shambhala-Kriegers und repräsentieren die Vervollkommnung der vier Tugenden von Tiger, Löwe, Garuda und Drache. Die zweite Strophe befasst sich mit den Herrscher-Ahnen (ancestral sovereigns), die als weise, gütig und gerecht gegenüber ihren Untertanen und als ihren Feinden überlegen beschrieben werden. Genannt werden vier historische Figuren, die als ideale Verkörperung des universellen Monarchen gelten: der tibetische Kriegerkönig Gesar von Ling,71 der indische Kaiser Ashoka72 und die Herrscher von China und Japan. Angespielt wird 71 Für viele Tibeter besteht kein Zweifel an der Historizität Gesars (vgl. Kaschewsky/Tsering 1987). 72 Der indische Kaiser As´oka (274 – 232 v.u.Z.) gilt als Ideal eines Cakravartin (vgl. Tambiah 1976: 54).

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hier auf den chinesischen Kaiser Yung-Lo73 und den japanischen Prinz Shotoku74 (vgl. Cashman 2008: 38). Die ursprünglich dritte und abschließende Strophe befasst sich mit der Großen Östlichen Sonne, die Zuversicht ausstrahlt und den Weg des Kriegers erhellt. Sie wird als Herrscherin über die drei Welten des Himmels, der Erde und der Menschen beschrieben. Die Praxis der Rezitation der Shambhala-Chants wurde zu Trungpas Zeiten im Rahmen des Warrior AssemblyProgramms eingeführt. Heute werden sie im Rahmen der regulären morgendlichen und abendlichen Rezitationen gesprochen. Die in der Gemeinschaft verwendeten Texte (Terma und Rezitationstexte) erfordern einen besonderen Umgang. Zum einen gelten sie als geheim, d. h. Mitglieder der Gemeinschaft sind angehalten, diese nicht mit Außenstehenden zu diskutieren.75 Außerdem sind die Texte nicht einfach käuflich zu erwerben, sondern können nur über die Gemeinschaft bezogen werden. Zum Teil sind sie auf Mitglieder beschränkt, die bestimmte Stufen und Programme absolviert haben. Zum anderen wird ihnen ein besonderer Status zugeschrieben; so sollen sie beispielsweise nicht auf dem Boden abgelegt oder anderweitig unachtsam behandelt werden. Die Texte sind ästhetisch ansprechend in rote stabile Leinencover eingebunden und haben auf dem Deckblatt eine goldene Prägung.

Zwischenbetrachtung Trungpa schuf verschiedene materielle Ausdrucksformen und Shambhala-spezifische Praktiken und er kreierte ästhetische Settings für die Ausübung dieser Praktiken, die einen Rahmen für die Vermittlung seiner Shambhala-Vision bildeten. Über die materiellen Formen, die körperbezogenen Praktiken (z. B. die Sitzmeditation, die Rezitation von Praxistexten, das Singen der Shambhala-Hymne, die Verbeugung sowie der Ruf des Shambhala-Kriegers) und die ästhetische Gestaltung von Praxisräumen werden die Shambhala-Lehren nicht nur kognitiv vermittelt, sondern für Akteure zugleich sinnlich erfahrbar gemacht. Hier lässt sich an Überlegungen zur Religionsästhetik76 von Daniel Münster und Inken Prohl sowie 73 Der chinesische Ming-Kaiser Yung-Lo (oder Yongle, 14./15. Jh.) soll eine besondere Verbindung zum 5. Karmapa, dem Oberhaupt der Karma Kagyü-Linie besessen haben, der auch Trungpa angehörte (vgl. Kapstein 2006: 125). Yung-Lo soll dem Karmapa die schwarze Krone als Geschenk überreicht haben, die noch heute in der Schwarze-Krone-Zeremonie rituell auf dem Kopf des Karmapas platziert wird. 74 Prinz Shotoku Taishi (574 – 622) gilt als Herrscher, der den Buddhismus in Japan per Edikt gefördert und den Bau von Tempeln unterstützt hat. 75 Dieser Umstand trifft nach wie vor auf die Shambhala-Terma zu. Lange Zeit galt das auch für die Shambhala-Huldigung und die Anrufung, die heute meinen eigenen Beobachtungen zufolge bei jeder Praxis gemeinsam mit allen Anwesenden rezitiert werden. 76 Einen aktuellen Überblick über den recht heterogenen Forschungszweig der Religionsästhetik

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zur materiellen Religion77 von Colleen McDannell und David Morgen anknüpfen (vgl. McDannell 1995; Morgen 1998; Münster 2001; Prohl 2004a; 2006). Diese Ansätze tragen der Erkenntnis Rechnung, dass Religionen ihre Anhänger nicht nur und nicht primär durch die bloße intellektuelle Überzeugungskraft religiöser Botschaften an sich binden, sondern durch einen ganzen Komplex von Praktiken, die den Körper und die Sinne der Akteure aktivieren und so ihre Wirkung entfalten: Religion is not considered a merely abstract engagement in doctrine or dogma, nor a rote recitation of creeds and mantras. In other words, religion is not regarded as something one does with speech or reason alone, but with the body and the spaces it inhabits. Religion is about the sensual effects of walking, eating, meditating, making pilgrimage, and performing even the most mundane of ritual acts. Religion is what people do with material things and places, and how these structure and color experience and one’s sense of oneself and others. (Meyer/Morgan/Paine 2005: 5)

Religion wird hier nicht nur als geistiges Wissenssystem begriffen, sondern als Handlung und Praxis (vgl. McDannell 1995: 1 f; Morgan 2005: 2 – 21; Prohl 2006: 39 – 43). Damit schließen diese religionswissenschaftlichen Ansätze an den sog. practical turn in den Kulturwissenschaften an,78 in dessen Zuge das Soziale nicht mehr ausschließlich auf der Ebene kollektiver Wissensordnungen, in Texten und Symbolen oder in einem Konsens von Normen verortet wurde. Praxistheoretische Entwürfe betonen dagegen die Körperlichkeit sozialer Praktiken. Diese werden als Verhaltensroutinen verstanden, die von einem praktischen Wissen abhängen und von einem praktischen Verstehen zusammengehalten werden.79 geben Inken Prohl (2010) und die weiteren Beiträge in der 2. Ausgabe 2010 von Material Religion (2010, Vol. 6, Nr. 2). Der hier rezipierte Ansatz geht auf den Ethnologen Daniel Münster (2001) zurück. Eine praktische Umsetzung dieses Ansatzes hat Inken Prohl in ihrer Studie zur japanischen Modernen Religiösen Organisation World Mate vorgelegt. Nach Prohl untersucht die Religionsästhetik, »wie in Religionen mittels verbaler und nonverbaler Bedeutungsträger ein angenommenes Transzendentes, sich dem Zugriff Entziehendes, anschaulich gemacht wird. Sie fragt danach, wie Religionen dabei den Körper und seine Sinnesorgane aktivieren, an sich binden und Transformationsprozesse in Gang setzen« (Prohl 2006: 41). 77 Der Ausdruck »materielle Religion« bezieht sich auf den englischen Terminus material religion, der die Bedeutung der materiellen Kultur, d. h. der stofflichen, dinglichen, gegenständlichen und körperlich greifbaren Dimension, für die Analyse von Religionen hervorhebt und konzeptualisiert. Bekannte Vertreter dieses Ansatzes sind u. a. David Morgan und Colleen McDannell, die jeweils zur materiellen Kultur christlicher Traditionen in den USA gearbeitet haben. Seit 2005 erscheint eine Fachzeitschrift mit gleichnamigem Titel: Material Religion. The Journal of Objects, Art and Belief, die ein breiteres Feld von möglichen Ansätzen und Untersuchungsgegenständen umfasst. 78 Siehe auch den programmatischen Sammelband The Practice Turn in Contemporary Theory (vgl. Schatzki/Knorr Cetina/von Savigny 2001). 79 Zu einer ausführlichen Darstellung praxistheoretischer Ansätze siehe Andreas Reckwitz

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Die sozialen Praktiken sind in die Körper der handelnden Akteure eingelassen und haben die Form von routinisierten Beziehungen zwischen Subjekten und den von ihnen verwendeten materiellen Artefakten. Wie Andreas Reckwitz ausführt, sind Artefakte in dieser theoretischen Konzeption von Praxis weder allein durch ihren materiellen noch allein durch ihren kulturell-symbolischen Wert bestimmt: Die Artefakte erscheinen weder ausschließlich als Objekte der Betrachtung noch als Kräfte eines physischen Zwangs, sondern als Gegenstände, deren sinnhafter Gebrauch, deren praktische Verwendung Bestandteil einer sozialen Praktik oder die soziale Praktik selbst darstellt. In diesem sinnhaften Gebrauch behandeln Akteure die Gegenstände mit einem entsprechenden Verstehen und einem know-how, das nicht selbst durch die Artefakte determiniert ist. Andererseits und gleichzeitig erlaubt die Faktizität eines Artefakts nicht beliebigen Gebrauch und beliebiges Verstehen. (Reckwitz 2008d: 115, Hervorhebung im Original)

Soziale Praktiken basieren demzufolge auf einem, durch Praxis erworbenen, methodischen Wissen (know-how) im Umgang mit Objekten, anderen Akteuren und auch mit sich selbst (z. B. im Sinne von Foucaults »Technologien des Selbst«, vgl. Foucault 1993). Sozialen Praktiken sind »sozial konventionalisierte, implizite Motiv/Emotionskomplexe« (Reckwitz 2008d: 119) inhärent, die sich durch die Praxis in Akteure einschreiben. Der Stellenwert, welcher der Materialität und Körperlichkeit von sozialen Praktiken in diesen Ansätzen zugeschrieben wird, zeigt sich auch in der zunehmenden Berücksichtigung ästhetischer Komponenten, die eine Gegenbewegung zur früheren soziologischen Marginalisierung des Ästhetischen und einer damit verknüpften »konsequenten Entsinnlichung der Praxis« (Reckwitz 2008c: 262) bildet.80 Der Fokus wird dabei auf eine Analyse der sinnlich-affektiven Dimensionen von Praktiken gerichtet. Dazu bedarf es einer Untersuchung des materiellen Settings und des Arrangements von Objekten und Artefakten, in deren Kontext sich Formen der sinnlichen Wahrnehmung, des Erlebens und Empfindens ausbilden (vgl. Reckwitz 2008c: 277). Soziale Praktiken organisieren nicht nur das Handeln von Akteuren auf der Basis ihres inkorporierten und z. T. routinisierten praktischen Wissens, sondern auch Erleben, Affekte und sinnliche Wahrnehmung auf jeweils spezifische, durch den kulturellen Kontext bedingte Weise: (2008d). Der hier skizzierte praxeologische Ansatz basiert auf den Ausführungen von Reckwitz. 80 Siehe dazu den Entwurf einer Soziologie des Ästhetischen von Andreas Reckwitz (2008c). Ästhetik wird dabei nicht als eine Philosophie der Schönheit verstanden, sondern als eine Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis und der Wahrnehmung konzipiert (vgl. Münster 2001: 30).

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Vielmehr ist jede Praktik auch und zugleich immer als eine spezifische Form des Erlebens, des sinnlichen Wahrnehmens und der affektiven Verhaftetheit/Gestimmtheit zu rekonstruieren, welche die Praktik jeweils produziert und voraussetzt. (Reckwitz 2008c: 278)

Diese praxistheoretischen Überlegungen lassen sich auch auf die Untersuchung von Religionen übertragen. Religionen und religiöse Praktiken werden aus dieser Perspektive nicht nur als moralische oder theologische Systeme begriffen, sondern als »Perzeptions- und Affektgenerierungsnetzwerke« (Reckwitz 2008c: 279) verstanden im Umgang mit transzendenten Instanzen, der eigenen »Seele« und dem Körper (vgl. Reckwitz 2008c: 279). Diese Perzeptions- und Affektgenerierungsnetzwerke strukturieren das Wahrnehmen, Empfinden und Erleben von sozialen Akteuren. Religiöse Handlungen, d. h. der Umgang mit materieller und visueller Kultur, konstituieren auf der Basis von Kognitions- und Perzeptionsprozessen sowie vermittelt über den Körper und die Sinne des Akteurs, religiöse Haltung und Praxis (vgl. Prohl 2006: 42 f): Kognitive und sinnliche Bedeutungen verschmelzen in der religiösen Praxis. Sie führen zu intellektuellem und sensitivem Erkennen und induzieren Wirkungen und Transformationen, die von den religiösen Akteuren als von ihrer religiösen Praxis herbeigeführte Veränderungen erfahren und aufgefasst werden. (Prohl 2006: 43)

Religiöse Praxis ermöglicht demnach eine Vielfalt kognitiver und sensitiver Erkenntnisprozesse, die zu einem breiten Spektrum sowohl positiv als auch negativ konnotierter Wahrnehmungen und Empfindungen führen können, wie z. B. Ekstase, Tranquilität, Gefühle der Erhabenheit und der Harmonie aber auch der Verpflichtung oder des Ausgeliefertseins. Die Gesamtheit dieser Prozesse konstituiert aus der Perspektive der Akteure den Sinn religiöser Praktiken, der nicht allein durch die kognitiv-deutenden Funktionen von Religion verbürgt wird. Vielmehr fungieren in Religionen »die Sinne als Gewähr von Sinn« (Prohl 2004a: 293). Die materielle Dimension religiöser Praxis und die nonverbalen Kommunikationsformen werden von Münster als »religiöse Medien« (Münster 2001: 77) bezeichnet, die keine intrinsische Bedeutung haben (vgl. McDannell 1995: 3; Morgan 2005: 6 – 13), sondern mehrdeutig und deutungsoffen sind (vgl. Meyer/ Morgan/Paine 2005: 7). Ihre Bedeutung erhalten sie erst durch die Einbindung in den Handlungskontext von Akteuren und deren Umgang mit und Gebrauch von materieller Kultur. Somit erschöpft sich die Bedeutung religiöser Objekte nicht in der symbolischen Repräsentation bestimmter Lehren, die bei den Akteuren ein entsprechendes Wissen voraussetzen, um von ihnen im Sinne eines solchen normativen Verständnisses gelesen werden zu können. Bedeutung

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konstituiert sich erst im Akt des Betrachtens und des Agierens mit der materiellen Kultur. In diesem Akt spielen nicht nur das Sehvermögen, sondern auch die anderen Sinne des Körpers und der Körper selbst eine wichtige Rolle.81 Darüber hinaus ist der Kontext zu berücksichtigen, in dem die Praxis und der Umgang mit Objekten erfolgen. Die Handlungen sind in spezifische Paradigmen eingebettet (Erwartungen, Regeln, moralische Bewertungen, kulturell spezifische Erkenntnisweisen oder interpretative Rahmungen) und werden durch das konkrete Setting (den Ort, z. B. zu Hause oder im Schreinraum eines Zentrums, die räumliche Umgebung und die architektonische Gestaltung) mitbestimmt. Außerdem kann es eine Rolle spielen, ob ein Akteur beim Vollzug der Handlungen allein ist oder sich in einer Gruppe befindet und der einzelne Akteur so von anderen dabei beobachtet werden oder andere dabei beobachten kann. Demnach ist die Praxis nicht isoliert, sondern also Teil eines vielfältigen Beziehungsgefüges zu betrachten. Den Handlungen und Objekten kommt, in Anlehnung an Überlegungen von Gregory Levine, eine multivalente Funktionalität zu (vgl. Levine 2005: 224). Diese Multivalenz zeigt sich darin, dass sowohl die Praxis und als auch einzelne Objekte für Akteure gleichzeitig oder auch nacheinander verschiedene Funktionen und Zwecke erfüllen können. Beispielsweise kann die Ausübung der Sitzmeditation in der Gemeinschaft sowohl als entspannende Technik, als transformative Kraft auf dem Weg zur Erleuchtung und als Ausdruck der Zugehörigkeit zur Shambhala-Gemeinschaft verstanden werden. Objekte des Schreinraums können als symbolische Repräsentationen der Shambhala-Lehren, als Identitätsmarkierungen oder auch als Gegenstände fungieren, die bei der Betrachtung ein ästhetisches Erlebnis hervorrufen. Wie Daniel Münster nahe legt und Inken Prohl in ihrer Studie eindrucksvoll gezeigt hat, lassen sich religionsästhetische Fragestellungen nur im Rahmen einer ethnographischen Forschung bearbeiten (vgl. Münster 2001: 14; Prohl 2006). Zwar konnten während der teilnehmenden Beobachtung sowie in Gesprächen und Interviews mit Akteuren einer Shambhala-buddhistischen Meditationsgruppe in Deutschland auch Daten zu den zugeschriebenen Wirkungsweisen religiöser Praktiken und den Interpretationen von Akteuren gesammelt werden, doch verbietet es sich, diese einfach auf einen anderen historischen und kulturellen Kontext – hier auf den nordamerikanischen Kontext der 1970/80er Jahre – zu übertragen. Aussagen von Akteuren aus dieser Zeit über

81 Die folgenden Ausführungen orientieren sich an David Morgan und seinem Konzept des Blicks (gaze) und seinen Überlegungen zur Beschaffenheit des visuellen Feldes (visual field), in dem sich Sehen als Praxis vollzieht (vgl. Morgan 2005).

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ihre Praxis und die von ihnen zugeschriebenen Wirkungen liegen kaum vor,82 sodass sich an dieser Stelle nur erste, tentative Überlegungen formulieren lassen. Auf Grundlage der oben dargestellten theoretischen Vorannahmen zur materiellen und ästhetischen Dimension von Praktiken ist davon auszugehen, dass in der Vermittlung der Shambhala-Vision die kognitive Aneignung durch sinnliche Wahrnehmungsprozesse begleitet und verstärkt wird. Auf dieser Basis lassen sich folgende Überlegungen zur Wirkungsweise der Praktiken skizzieren (vgl. Prohl 2004a): Der Eintritt und der Aufenthalt im Schreinraum verlangen vom einzelnen Akteur bestimmte Handlungen (z. B. das Ausziehen der Schuhe, das Verbeugen bei Betreten und Verlassen des Raumes), die er mit seinem Körper ausführt und die zugleich ein Gefühl für die Besonderheit dieses Raumes vermitteln. Durch seine spezifische Gestaltung, die den Schrein, die Flaggen an den Wänden sowie die farblich abgestimmten Matten und Sitzkissen auf dem Boden einschließt, ist der Schreinraum leicht als solcher erkennbar. Während der als Sitzmeditation bezeichneten Praxis positioniert der Teilnehmer seinen Körper auf eine bestimmte Art und Weise, die sich von anderen Formen des Sitzens im Alltag unterscheidet. Für einen festgelegten Zeitraum befindet sich der Akteur in einem Setting, in dem die alltäglichen visuellen und auditiven Reize auf ein Minimum reduziert sind. Die Körperhaltung, angelehnt an den Lotussitz, ist festgelegt und der Ablauf der Praxis durchstrukturiert. Der Akteur verharrt möglichst bewegungslos und schweigend in der eingenommenen Position und fokussiert seinen Atem. Wie Akteure berichten, sei es nicht das erklärte Ziel, keine Gedanken zu haben – vielmehr rufe die erzwungene Bewegungslosigkeit und fehlende Ablenkung durch andere Tätigkeiten geradezu einen Strom von Gedanken hervor (vgl. Butterfield 1994: 45ff). Die Praktizierenden sind angehalten, ihre Gedanken nicht zu bewerten oder diesen weiter nachzugehen. Stattdessen sollen sie ihre Gedanken lediglich in einem mentalen Akt als »Denken« markieren und danach wieder auf ihren Atem fokussieren. Auf diese Weise kann die Praxis des stillen Sitzens zu einer Reflexion über sowie zu einer Distanzierung und Modifikation von herkömmlichen Denkmustern führen, die durch eine regelmäßige Sitzpraxis trainiert und verstetigt werden können. Die bewusst eingenommene aufrechte Haltung auf dem Sitzkissen und die Körperhaltung bei der Verbeugung des Kriegers ermöglichen es dem ausführenden Akteur, sprachliche Konzepte wie Würde und Zuversicht körperlich zu erfahren und zu fühlen. Änderungen im persönlichen Verhalten und in der Wahrnehmung des Selbst können von den Akteuren als erfolgreiche Effekte der Praxis gedeutet werden (vgl. Butterfield 1994: 101). Die transformative Kraft, die Akteure der Sitzpraxis zuschreiben, kann durch das ästhetische Gesamtsetting 82 Eine der wenigen Ausnahmen bildet die Beschreibung der Praxis und der wahrgenommenen Wirkungen durch Steven Butterfield (1994).

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verstärkt werden. Verschiedene Töne, hervorgerufen durch das Schlagen eines Gongs, signalisieren Beginn und Ende der Sitzphasen und ermöglichen darüber hinaus eine wortlose Verständigung der Teilnehmenden über die auszuführenden Handlungen. Der vorstrukturierte Ablauf entlastet die Partizipierenden für die Dauer der Praxis von eigenen Entscheidungen oder individuellen Anforderungen und Verpflichtungen, die in anderen Kontexten an sie herangetragen werden. Der so entstehende Freiraum lässt einzelne Akteure die Praxis als entspannend oder rekreativ erfahren. Die von Chögyam Trungpa vermittelten Lehren und Praktiken und die von ihm kreierten ästhetischen Settings gewinnen die ihnen zugeschriebene Wirksamkeit auch über seinen Tod hinaus durch seine Urheberschaft. So erinnert sich Steven Butterfield nach der Kremation Trungpas: »He was the teachings and practices he had given us, down to the colors and designs of the meditation cushions we sat on« (Butterfield 1994: 3). Es lässt sich also festhalten, dass Trungpa ein komplexes Gefüge aus Lehren, visueller Kultur, Praxis sowie sozialen Formen und Normen geschaffen hat, das seine Vision einer erleuchteten Gesellschaft zum Ausdruck bringen und den Rahmen für die Realisierung dieser Vision bieten sollte. Dieses komplexe Gefüge spricht den Intellekt, den Körper und die Sinne von Akteuren gleichermaßen an und vermag die Akteure nicht nur durch die intellektuelle Überzeugungskraft der Shambhala-Lehren, sondern auch durch die ästhetische Dimension an die Gemeinschaft zu binden.

6.6

Das Verhältnis von Buddhismus und Shambhala

In der Entwicklung von Shambhala Training, insbesondere in der Differenz zwischen den fünf Stufen des ersten Zyklus (»Heart of the Warrior«) und dem darauf folgenden Einweihungsweg (»The Sacred Path«), wird deutlich, dass die ursprüngliche Intention – die darin bestand, die einfache Meditationspraxis außerhalb eines buddhistischen Kontextes zu vermitteln – im Laufe der Zeit von einem eigenständigen, weit darüber hinausgehenden Ansatz überlagert wurde. Durch die Shambhala-Terma und die Shambhala-Praktiken entwickelte Chögyam Trungpa diesen Weg zu einem vollständigen Pfad, der zur Erleuchtung führen soll und zudem die soziale Vision einer transformierten Gesellschaft enthielt. Verschiedene Stellen in Trungpas Präsentation der Shambhala-Lehren weisen Bezüge und deutliche Parallelen zu buddhistischen Konzepten auf. Die Vision der aufgehenden Sonne und die Idee der untergehenden Sonne lassen sich als Analogien zu den buddhistischen Vorstellungen von Nirva¯na und ˙ Samsa¯ra lesen. In der Idee der grundlegenden Gutheit sind Bezugnahmen auf ˙ buddhistische Konzepte wie die der Buddha-Natur und des Erleuchtungsgeistes (Bodhicitta) erkennbar (vgl. Trungpa 1988: 44; 2004i: 390). Als Ziel des

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Das Verhältnis von Buddhismus und Shambhala

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Shambhala-Weges werden das Erkennen der Ichlosigkeit und die Verwirklichung der Erleuchtung beschrieben, die schließlich in der Errichtung einer erleuchteten Gesellschaft kulminieren sollen (vgl. Trungpa 1988: 70, 154). Auch hierbei handelt es sich um Ideen, die aus dem buddhistischen Kontext vertraut sind. In der Präsentation der Shambhala-Lehren greift Trungpa zudem auf die aus dem tantrischen Buddhismus bekannte dreifache Logik von Grund, Pfad und Frucht zurück, z. B. wenn er von Vertrauen, Entsagung und Loslassen spricht, die der Shambhala-Krieger auf seinem Pfad verwirklichen müsse (vgl. Trungpa 1988: 162 f; Trungpa 2001). In diesem Zusammenhang findet sich in seinen Ausführungen ein deutlicher Rekurs auf die buddhistischen Konzepte von unterscheidendem Gewahrsein (prajÇa¯) und ursprünglicher Weisheit (jÇa¯na) (vgl. Trungpa 2001: 39 f, 64). Parallelen zwischen Buddhismus und Shambhala werden auch an anderen Stellen sichtbar : So wie in buddhistischer Perspektive jeder Mensch die Buddha-Natur besitzt, die er nur verwirklichen muss, so ist den Shambhala-Lehren zufolge jedem Menschen die grundlegende Gutheit inhärent, die er nur realisieren muss (vgl. Trungpa 1988: 44; 2004i: 390). Trungpa zufolge kann jeder Mensch Erleuchtung erlangen und ein Buddha werden, ebenso wie jeder Mensch König oder Königin von Shambhala werden kann (vgl. Trungpa 2001: 78). Trungpa betonte, dass die Shambhala-Lehren zwar auf einem buddhistischen Fundament basieren, jedoch gleichzeitig auf einer unabhängigen und eigenständigen Basis stehen würden, nämlich der des Menschseins (vgl. Trungpa 1988: 27). Die Shambhala-Vision richte sich nicht nur an »Buddhisten«, sondern an Menschen jeglichen Glaubens, religiöser Zugehörigkeit und spiritueller Orientierung (vgl. Trungpa 2001: 133). Er sah das Königreich von Shambhala als einen Raum, in dem Platz für alle »spirituellen Disziplinen« (Trungpa 2001: 133) sei, da die Shambhala-Vision nicht zwischen den einzelnen religiösen Orientierungen unterscheide, sondern sich an alle Menschen gleichermaßen richte. Fabrice Midal benutzt das folgende Gleichnis, um das Verhältnis von Buddhismus und Shambhala zu beschreiben: Siddhartha habe seinen Thron aufgegeben und sein Königreich verlassen, um Buddha zu werden. Der König von Shambhala dagegen bleibe auf seinem Thron, um anderen Menschen zu helfen und eine erleuchtete Gesellschaft zu realisieren (vgl. Midal 2004: 246). Bei einem öffentlichen Vortrag am 12. März 1978 in Boulder, Colorado, hat Trungpa das Verhältnis zwischen Shambhala-Praxis und buddhistischem Weg wie folgt beschrieben: When one enters the Shambhala world there are certain things one deals with – identification with the Rigden fathers, the Rigden aspects, and a relationship with that. The way one identifies with the Rigdens is by actually becoming a warrior oneself. Not copying the Rigdens, not mimicking them, but actually those qualities become the warrior, and the warrior becomes those qualities. The warrior takes on the same

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qualities as the Rigdens. So there is total identification. There is a parallel in Buddhism – our Buddhist practice is total identification with Buddha, or awakening; Shambhala practice is total identification with the Rigdens, or earthholders. Even in the Buddhist tradition, when Shakyamuni became Buddha, he was known as the world-renowned one, the ruler of the earth. (Trungpa zitiert nach Cashman 2008: 37)

Wie Trungpa ausführt, ist der Shambhala-Pfad analog zur buddhistischen Praxis gestaltet. Der Shambhala-Praktizierende muss sich mit dem Rigden-König identifizieren. Der Identifikationsprozess verläuft analog zu der Identifikation des Praktizierenden mit Buddha im tantrischen Buddhismus. Für Trungpa waren der Shambhala-Pfad des Kriegers und die Praxis des Buddhismus zwei parallele Wege: So Rigden and Buddha are the secular and spiritual side of awakenment. And the path of the Rigdens and Buddha’s path are parallel paths. They go hand in hand but have their own particular practices […] with one thing in common. Do you want to guess what the one thing in common is? Shamatha-vipashyana practice. (Trungpa zitiert nach Shambhala Europe/Shambhala International 2006: 65)

Buddhismus stelle hier einen spirituellen Weg dar ; Shambhala repräsentiere einen säkularen Weg zur Erleuchtung. Beide Wege teilen die Sitzmeditation als ein gemeinsames Element und besitzen darüber hinaus ihre je spezifischen Lehren und Praktiken. In der Gestaltung folgt vor allem der zweite Zyklus von Shambhala Training dem Konzept des tantrischen Einweihungsweges, der Texte und Praktiken beinhaltet, die als geheim designiert sind und von einem Lehrer auf einen Schüler übertragen werden. In seinem letzten öffentlichen Seminar, das Trungpa im Februar 1986 in Karme Chöling in Vermont abhielt, betonte er die Untrennbarkeit der Shambhala-Vision vom Buddhadharma (vgl. Trungpa 2004 g: 444). Die Lehren des Buddhismus würden, ähnlich wie ein weißes Blatt Papier, den Hintergrund bilden, vor dem die Shambhala-Vision gleich einer Kalligraphie zu ihrer Wirkung gelange. Somit seien Shambhala-Vision und Buddhadharma zwar untrennbar miteinander verbunden, aber dennoch nicht mit einander identisch (vgl. Trungpa 2004 g: 444; Hayward 2008: 356).

Shambhala-Buddhismus In den letzten Dekaden haben sich unter der Führung von Sakyong Mipham, dem Sohn und Erben Chögyam Trungpas, inhaltliche und strukturelle Veränderungen in der Gemeinschaft vollzogen. Zum einen hat Sakyong Mipham die

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Vajradhatu-Organisation im Jahr 1992 in Shambhala International umbenannt. Zum anderen lässt sich eine Zusammenführung von buddhistischer Praxis und Shambhala-Weg beobachten, die von einer zunehmenden Verwendung der Bezeichnung Shambhala-Buddhismus seit 2000 begleitet wird. In einem Positionspapier vom Mai 2000 äußert sich Sakyong Mipham wie folgt: Who are we? What kind of a group are we? Are we Buddhist? Are we Shambhalian? Are we both? Or are we neither? I think we often ask ourselves who we are, exactly. […] So what is at the heart of our organization, our society? What are we? We are the lineage of Shambhala Buddhism. That is what we are. (Mipham 2000)

Diese Zusammenführung beider Bereiche ist für einen Teil der Gemeinschaft in der Natur der Sache begründet, haben beide Wege doch in der persönlichen Praxis vieler Mitglieder über Jahre dicht beieinander gelegen und sich gegenseitig beeinflusst beziehungsweise bereichert. Neben der Modifikation in der Bezeichnung wurden von Sakyong Mipham weitere Änderungen initiiert, die darin münden, dass Mitglieder nun den buddhistischen Weg einschlagen müssen, um den Shambhala-Pfad bis zum Ende gehen zu können. Für einige Mitglieder, vor allem für Akteure, die ausschließlich Shambhala praktizieren, scheint dieser Schritt nicht nachvollziehbar. So äußerte sich eine Akteurin auf Radio Free Shambhala, einer von Shambhala International unabhängigen Plattform im Internet, die Informationen rund um die Gemeinschaft zur Verfügung stellt und Raum für Diskussionen und Austausch bietet, wie folgt: And isn’t the entire Shambhala path meant to be open to all people regardless of religion? However, according to the Sakyong’s changes a Shambhalian must now take Buddhist refuge vows (and accept the Sakyong as their teacher?) in order to complete the entire Shambhala path. How is this inclusive and true to the vision of Shambhala? It is my understanding that the study and practice of the Shambhala path and Buddhism can really enhance each experience, but Shambhala is NOT Buddhism. Then why Shambhala Buddhism? I will even give you that, perhaps, there is value in combining the two paths, but not to the exclusion of the original Shambhala path that CTR83 set out to be accessible to anyone regardless of religion. (Yeshe Tsomo 2010)84

Trungpa hatte in seiner Präsentation der Shambhala-Vision die Untrennbarkeit der Shambhala-Lehren vom Buddhismus hervorgehoben und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass keine Identität zwischen beiden bestehen würde. Zusätzlich hatte Trungpa seine Shambhala-Vision in die gesamte Gemeinschaft 83 CTR steht für Chögyam Trungpa Rinpoche. 84 Zitiert nach http://radiofreeshambhala.org/2010/01/vajradhara/comment-page-5/ (abgerufen am 21. 11. 2013).

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Shambhala Training

integriert, die sich bis dahin mehrheitlich als buddhistische Organisation verstand. Diese Entwicklungen ließen einen gewissen Interpretationsspielraum und verschiedene Möglichkeiten der Differenzierung und Identifikation auf Seiten der Akteure zu: Man konnte Buddhist und Shambhala-Praktizierender sein; man konnte Buddhist sein und am Aufbau einer erleuchteten Gesellschaft teilhaben, ohne dezidiert den Shambhala-Weg beschreiten zu müssen; oder man konnte Shambhala-Praktizierender sein, ohne Buddhist zu sein oder zu werden. Innerhalb der Gemeinschaft lassen sich, trotz des Versuches von Sakyong Mipham, eine größere Einheit herzustellen, auch heute noch verschiedene Positionierungen finden. Während der teilnehmenden Beobachtung in einer Shambhala-buddhistischen Meditationsgruppe in Deutschland begegneten mir verschiedene Aussagen über das Verhältnis von Buddhismus und Shambhala, die sich in dem oben skizzierten Spektrum verorten lassen: »Shambhala und Buddhismus sind voneinander nicht trennbar« war eine Auskunft, die ich erhielt. »Shambhala und Buddhismus sind zwei unterschiedliche Wege« war eine andere Antwort, die mir gegeben wurde. »Shambhala ist die Basis für buddhistische Praxis« lautete eine weitere Aussage, die mir gegenüber gemacht wurde. Wie legitim einzelne Akteure die jeweiligen Aussagen beurteilen, hängt unter anderem von ihrem Standpunkt ab, aber auch von ihren jeweiligen individuellen Wissensständen, Interessenlagen, ihrem Grad der Integration in die Gemeinschaft und ihrer Dauer der Mitgliedschaft. Shambhala-Buddhismus wird von Sakyong Mipham jedoch nicht lediglich als die Verschmelzung des buddhistischen Pfades mit der Shambhala-Praxis gesehen, sondern als eine integrative Basis betrachtet, die all die verschiedenen Traditionen und Linien, die sein Vater übermittelt, gelehrt und etabliert hat, vereinen soll. Diese Traditionen und Linien speisen sich aus verschiedenen asiatischen und westlichen Einflüssen gleichermaßen und spiegeln die unterschiedlichen kulturellen Felder wider, durch die sich Trungpa im Laufe seines Lebens und Wirkens bewegte. Dazu zählen die verschiedenen tibetisch-buddhistischen Linien der Kagyü und Nyingma, die Shambhala-Lehren, Bön-Elemente, Zen-buddhistische Praktiken, shintoistische Schreine, japanische Kunstformen sowie westliche Einflüsse, die sich in Dekor und Praktiken zeigen: We have a unique culture. Our Buddhist teachings, originating from the great teachers of India and Tibet and in particular from the Kagyu and Nyingma lineages, are influenced by Japanese culture in the way we practice the way of the bow, eat oryoki and arrange our shrine. The way that we educate ourselves in the dharma and our unique etiquette and manners draw inspiration from both the West and the East. By performing the lhasang, we participate in the rituals of Bon, and we include Shintoism by having shrines to the kamis. We also practice the Chinese and Japanese arts of calligraphy, Zen archery, and the equestrian arts. (Mipham 2000)

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Das Verhältnis von Buddhismus und Shambhala

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Miphams Vereinigung der diversen Vorstellungen, Praktiken und Ästhetiken unter dem Label »Shambhala-Buddhismus« strebt also danach, diese als wesentliche Bestandteile der Geschichte der Organisation und ihrer Lehren und Praktiken anzuerkennen und sie trotz ihrer Diversität auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Dieser gemeinsame Nenner liegt im angestrebten Ziel und Zweck der Praktiken: At times we may feel overwhelmed or confused, but we see now that our Shambhala heritage is rich. What we call Shambhala is a union of many different traditions, wisdom, and knowledge, all for the purposes of either uplifting our physical environment, applying discipline or exertion to our body, or developing mindfulness and awareness of mind. We have many Kagyü practices and many Nyingma practices. We even have elements of Zen, as well as art forms that come from a variety of traditions. After thousands of years of Shambhala as inspiration, what makes this Shambhala are the terma revelations, the mind treasures, of the Druk Sakyong, Chögyam Trungpa Rinpoche. This terma is the heart of our Shambhala lineage. It was the wish of the Druk Sakyong, as it is my own wish, that these teachings become a binding principle for Shambhala, since they have already seeped into many aspects of our life. These teachings initially inspired the Shambhala training course of study, as well as the Dorje Kasung. Even in the early stages of seminary, the Druk Sakyong wanted to design it as a self-contained Buddhist kingdom. (Mipham 2005b)

Als definierendes Element der Gemeinschaft wird hier trotz der Diversität das Shambhala-Erbe Trungpas in Form der von ihm übermittelten ShambhalaTerma und zugehörigen Praktiken benannt. Unter Sakyong Mipham wird die Shambhala-Vision Trungpas zur namensgebenden Instanz für die gesamte Gemeinschaft und zur integrativen Basis der verschiedenen Traditionen unter dem Dach der Organisation. Auf diese Weise wurden Trungpas ShambhalaLehren und Praktiken weiter verstetigt und sie bilden auch nach seinem Tod in der zweiten Generation das Alleinstellungsmerkmal der von ihm begründeten Gemeinschaft innerhalb des (tibetisch-)buddhistischen Feldes im westlichen Kontext.

Zwischenbetrachtung Trungpas Entwicklung der Shambhala-Vision und der damit verknüpften Lehren und Praktiken bewegte sich von Anfang an in einem dialogischen Verhältnis zwischen seinem Wirken als buddhistischer Lehrer und seinem buddhistischen Hintergrund einerseits und seinem Leben in einer westlichen, säkularen und religiös-pluralen Umgebung andererseits. Die ersten Schüler Trungpas, denen die Shambhala-Lehren vermittelt wurden, entstammten seiner buddhistischen

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Shambhala Training

Organisation und folgten daher der von ihm gelehrten buddhistischen Praxis. Sie konnten sich die Shambhala-Lehren auf Basis ihrer Vertrautheit mit buddhistischen Lehren und Praktiken aneignen. Gleichzeitig war es für Trungpa möglich, zur Vermittlung seiner Vision auf buddhistisches Vokabular zu rekurrieren. Die inhaltlichen und strukturellen Ähnlichkeiten erlaubten dem Einzelnen, Verknüpfungen zwischen buddhistischen Konzepten und Praktiken herzustellen beziehungsweise die Shambhala-Vision vor diesem Hintergrund zu deuten und in die eigene Praxis zu integrieren. Nicht alle, die den buddhistischen Pfad innerhalb von Vajradhatu praktizierten, hatten jedoch ein Interesse an den neuen Shambhala-Lehren. Manchen Akteuren erschienen sie im Vergleich zu ihrer (tantrisch-)buddhistischen Praxis weniger elaboriert oder gehaltvoll (vgl. Butterfield 1994: 95). Für Mitglieder, die im direkten Umfeld des Hauptsitzes der Gemeinschaft in Boulder lebten, war es jedoch nur bedingt möglich, sich den neuen Einflüssen zu entziehen. Wie gezeigt wurde, hatten die Entwicklung und Präsentation der Shambhala-Vision einer erleuchteten Gesellschaft durch Trungpa auch Auswirkungen auf die administrative und strukturelle Ebene der Vajradhatu-Organisation. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Schüler über das Shambhala Training Program zur Vajradhatu-Gemeinschaft (vgl. Midal 2004: 245). Die Aneignung der Shambhala-Lehren und Praktiken erfolgte hier weniger vor dem Hintergrund bereits bestehender Kenntnisse und Erfahrungen mit (tantrisch-)buddhistischer Praxis, wie das noch bei den ersten Schülern der Fall gewesen war. Erleichtert wurde der Zugang für diese Akteure durch den Verzicht auf dezidiert buddhistisches Vokabular (vor allem Sanksrilt-Termini). Der Shambhala-Pfad des Kriegers konnte von diesen Akteuren explizit als säkularer Erleuchtungsweg rezipiert werden, der kein religiöses Bekenntnis erforderte. Einige der neuen Mitglieder der Gemeinschaft schlugen anschließend den Vajraya¯na-buddhistischen Pfad ein, andere praktizierten ausschließlich den Shambhala-Weg. Über die Zeit entwickelten sich so zwei distinkte und jeweils für sich genommen vollständige Praxiswege, die sich überkreuzen konnten, jedoch nicht mussten (vgl. Midal 2004: 245; Hayward 2008: 418). Die Rezeption und Wahrnehmung der Shambhala-Lehren konnte demnach in den zwei beschriebenen Akteursgruppen – d. h. bei bestehenden Vajradhatu-Mitgliedern und neuen ShambhalaPraktizierenden – mit unterschiedlichen Akzentuierungen erfolgen. Diese unterschiedlichen Akzentuierungen waren unter anderem durch die heterogenen Wissensbestände und Interessenlagen der Akteure bestimmt. Sakyong Miphams Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Organisation unter dem Label »Shambhala-Buddhismus« zielen darauf, Fraktionsbildungen aufgrund der verschiedenen Lehr- und Praxiskomplexe innerhalb der Gemeinschaft zu verhindern und eine gemeinsame Basis für den Fortbestand der Organisation zu sichern. Seine darin begründeten Umstrukturierungen sowohl

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Abschließende Betrachtungen

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der Organisation als auch der Lehr- und Praxiskomplexe erhoben Trungpas Shambhala-Lehren zum vereinenden und identitätsstiftenden Merkmal eines dennoch dezidiert tibetisch-buddhistischen Netzwerkes von Meditationszentren.

6.7

Abschließende Betrachtungen: Die Institutionalisierung und Verstetigung der Shambhala-Lehren

In einem Brief an die Shambhala Training-Direktoren im November 1977 schrieb Trungpa, dass Shambhala Training das Potential habe, ein »bedeutender Meilenstein der Geschichte«85 zu werden, wenn Shambhala Training eine tatsächliche Botschaft zu verkünden hätte (vgl. Gimian 2005: 342). Zu diesem Zeitpunkt sah Trungpa dieses Kriterium als noch nicht erfüllt an. Shambhala Training war in der zweiten Hälfte des Jahres 1976 aus dem Bestreben hervorgegangen, die grundlegende Meditationspraxis an ein breites, nicht buddhistisch orientiertes Publikum zu vermitteln. Zeitgleich hatte Trungpa die ersten beiden Shambhala-Terma (Ash¦-Kalligraphie und Wurzeltext) erhalten und erste Belehrungen zu den Shambhala-Lehren im engeren Schülerkreis gegeben. Der ausbleibende Erfolg von Shambhala Training während Trungpas Rückzug ins Retreat im Jahr 1977 wurde von ihm nicht nur auf die mangelnde Fähigkeit seiner Schüler, Shambhala Training zu entwickeln und zu vermitteln, sondern auch auf das Fehlen einer Botschaft zurückgeführt. Nach seiner Rückkehr aus dem Retreat führte Trungpa Anfang 1978 eine Vortragsreihe zu den ShambhalaLehren durch und erhielt zwei weitere Shambhala-Terma, welche die Lehren weiter ausführten. In das Jahr 1978 fallen auch die Einführung der ersten Shambhala-Feiertage und die Umstrukturierung von Vajradhatu zur Regierung von Shambhala mit ihren verschiedenen Ämtern. Nach Trungpas Feststellung im November 1977, dass Shambhala Training noch die richtige Botschaft fehlen würde, ließen sich in den folgenden Jahren ein inhaltlicher und struktureller Ausbau der Shambhala-Lehren sowie eine Integration der Vision in das Alltagsleben der Vajradhatu-Organisation beobachten. Ab 1978 zielten Trungpas Bestrebungen zum Auf- und Ausbau seiner Shambhala-Vision eines erleuchteten Königreichs auf eine Etablierung und langfristige Institutionalisierung der von ihm vermittelten Lehren, Praxiskomplexe und materiellen Formen. Durch die Entwicklung von Shambhala Training zu einem eigenständigen Angebot neben dezidiert buddhistischen Angeboten und kontemplativen Künsten unter dem Dach der Vajradhatu-Organisation 85 »[A] very powerful landmark in history« (Trungpa zitiert nach Gimian 2005: 342).

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Shambhala Training

wurde eine ausdifferenzierte Angebotspalette geschaffen, die auf verschiedene Zielgruppen ausgerichtet war und so ein breites Spektrum von Akteuren mit unterschiedlichen Orientierungen und Interessenlagen ansprach. Dadurch baute Chögyam Trungpa für seine Organisation Vajradhatu eine Art Markenidentität auf, die ihn von anderen Anbietern auf dem Markt unterschied und dennoch im größeren tibetisch-buddhistischen Spektrum in Nordamerika verortete (vgl. Twitchell 2004; Einstein 2008). Auch die Demonstration von Wohlstand und die damit verknüpfte Ästhetik des Kalapa-Hofes und Trungpas Rolle als »spiritual King« (Marin 1979: 45) dürften auf ihre Weise eine gewisse Anziehungskraft auf potentielle Interessenten der konsumkapitalistischen, weißen Mittelschicht gehabt haben (vgl. Marin 1979: 47ff). Die Gestaltung von Shambhala Training als säkulares Meditationsprogramm, das in einzelnen aufeinander aufbauenden Wochenendseminaren angeboten wurde, griff auf eine in der alternativ-religiösen Szene der 1970er Jahre bereits etablierte Vermittlungsform zurück. Diese Seminarform war attraktiv für alternativ-religiös interessierte Akteure, die sich solche Angebote leisten konnten, da sie im Berufsleben standen und so über eine gewisse finanzielle Sicherheit verfügten. Eine Integration der Mitglieder in den Auf- und Ausbau der Gemeinschaft erfolgte durch die Einbindung von Schülern in die Lehrvermittlung, in die Verwaltung der Organisation sowie in das nähere Umfeld von Chögyam Trungpa durch die Schaffung von Positionen am Kalapa-Hof. So konnten einzelne Akteure längerfristig an die Gemeinschaft gebunden und ihnen ein Gefühl der Verantwortung für das Projekt »Verwirklichung einer erleuchteten Gesellschaft« im Rahmen der Vajradhatu-Organisation vermittelt werden. Durch die Begründung einer Vorschule (1976, Alaya Preschool) und einer Grundschule (1979, Vidya Elementary School) sowie der Shambhala-Feiertage (z. B. Children’s Day am 21. Dezember) und Lebensabschnittsfeste (z. B. Rite of Passage für achtjährige Kinder/Harvest of Peace im September) wurden auch die Kinder der Mitglieder als fester Bestandteil der Gemeinschaft integriert. Trungpas Umsetzung der Shambhala-Vision im Rahmen der von ihm begründeten Organisation bot den Mitgliedern ein breites Spektrum an Aktivitäten, Lehren und Praktiken, die in ein ästhetisches Gesamtsetting eingebettet waren. Auf diese Weise konnten Mitglieder nicht nur durch die intellektuelle Überzeugungskraft der von ihm vermittelten Lehren, sondern auch über das gesamte Setting aus Lehren, Praktiken und materiellen Formen an die Gemeinschaft gebunden werden. So wurden Strukturen geschaffen, um neue Mitglieder zu gewinnen und diese langfristig in die Vorstellungen und Praktiken der Gemeinschaft hinein zu sozialisieren sowie den Fortbestand der Gemeinschaft für die Zukunft zu sichern. Obwohl Shambhala Training ursprünglich als säkulares Zusatzangebot gedacht war, um ein größeres Publikum für die Mediationspraxis zu gewinnen,

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Abschließende Betrachtungen

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schienen die Shambhala-Lehren im Laufe der Zeit mehr und mehr ins Zentrum von Trungpas Schaffen zu rücken. Dies zeigt sich in der Umstrukturierung der Gemeinschaft zu einer Art »spirituellem Königreich« mit einer Regierung bestehend aus Trungpa, seiner Frau, seinem Regenten, seinem Sohn und Erben sowie den zahlreichen Schülern als Administratoren, Botschaftern und Dienstpersonal. Die »Regierung« des spirituellen Königreiches – der Kalapa-Hof – wurde zum administrativen und hierarchischen Zentrum der Organisation und damit zur integralen Plattform für alle Aktivitäten der Gemeinschaft. Mit dieser Entwicklung mag der Grundstein gelegt worden sein für die spätere Zusammenführung der vormals als distinkt voneinander betrachteten Praxiswege, die sich unter Sakyong Mipham ereignete. Der zentrale Stellenwert der Shambhala-Lehren wird nun auch im neuen Namen der Gemeinschaft ersichtlich, die heute unter der Bezeichnung Shambhala International agiert. Das von Trungpa neubegründete Wissens- und Praxisfeld, das mit der Shambhala-Vision verknüpft ist, bleibt selbst in der Neukombination des Begriffs ShambhalaBuddhismus zu Beginn des 21. Jh. durch seinen Sohn und Erben evident. Auch wenn Buddhismus und Shambhala hier enger miteinander verwoben sind, als zu Trungpas Lebzeiten ersichtlich war, bleibt das definierende und damit von anderen tibetisch-buddhistischen Gemeinschaften unterscheidende Element der Bezug auf die von Trungpa übermittelten Shambhala-Lehren und Praktiken. Die Shambhala-Lehren und die damit verknüpften Praktiken bilden somit das Alleinstellungsmerkmal der Organisation innerhalb des westlichen buddhistischen Feldes. Der Fortbestand und die Reichweite des Netzwerkes zeigen, dass es sich um eine Organisation innerhalb des westlichen buddhistischen Feldes handelt, die von Bedeutung für die Vermittlung tibetisch-buddhistischer Lehren in der Gegenwart ist. In dieser Hinsicht mag sich Trungpas Hoffnung, dass Shambhala Training einen »Meilenstein« in der Geschichte der Vermittlung des tibetischen Buddhismus im Westen bilden möge, durchaus erfüllt haben.

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7.

Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert in transkultureller Perspektive

I came to see how scholars of American religious history are at a disadvantage for at least two reasons when studying the Americanization of Buddhism. First, we rarely understand the Asian background for groups before they arrive in the United States. Second, we do not necessarily look beyond the limited horizon of our own culture to locate the American experience in the broad contours of globalization. (Seager 2006: xi)

Die chinesische Okkupation Tibets in der zweiten Hälfte des 20. Jh. löste eine Fluchtwelle aus. Für einige Tibeter und buddhistische Gelehrte führte der Weg über Indien auch nach Europa und Nordamerika. Chögyam Trungpa war unter den ersten buddhistischen Lehrern, die den tibetischen Buddhismus an europäische und nordamerikanische Schüler vermittelten. Dabei war er stets auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, um sein religiöses Erbe in zeitgemäße Formen zu übersetzen, die seine westlichen Schüler verstehen und in ihren Alltag integrieren konnten. Aus diesem Bestreben heraus entwickelte und lehrte Trungpa in den 1970/80er Jahren einen säkularen, aber heiligen Meditationsund Erleuchtungsweg, den er Shambhala Training nannte. Die Transformationen des tibetischen Buddhismus, die sich in Shambhala Training abzeichnen, sind durch komplexe transkulturelle Einflüsse geprägt. Daher lässt sich die Entwicklung nicht lediglich als erfolgreiche Adaption an westliche Verhältnisse sehen, sondern vielmehr als Innovation betrachten, die aus einer Situation kultureller Hybridität hervorgegangen ist. Trungpa war durch seine Sozialisation als religiöser Experte in Tibet und durch die Exilsituation in Indien, die Migration nach England und die anschließende Umsiedlung nach Nordamerika mit heterogenen kulturellen Kontexten, verschiedenen Wissensordnungen, Sinnhorizonten und Handlungsmustern konfrontiert. Die Bereitschaft zur Kombination von Formen und Methoden aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten zeigt seine pragmatischintegrative Haltung in der Vermittlung seines tibetisch-buddhistischen Erbes an seine vorrangig westlichen Schüler. Trungpa nutzte eine vom japanischen Zen

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Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert

beeinflusste Form der Sitz- und Gehmeditation und ließ seine Schüler spontane Gedichte verfassen, die der dreizeiligen Kompositionsform japanischer Haiku entsprachen. Er führte das japanisch inspirierte Blumenstecken, das Bogenschießen und die Teezeremonie als kontemplative Praktiken ein. In die Shambhala-Praxis integrierte er die tibetische Form des Rauchopfers, bei der Wacholder verbrannt wird (lhasang), und den Ruf »ki ki so so lha gyel lo«1. Die Shambhala-Terma lagen zweisprachig (in Tibetisch und Englisch) vor. In der Gemeinschaft von Trungpa war es üblich, die Praxistexte nicht auf Tibetisch, sondern in der Sprache der Schüler zu rezitieren. Zu diesem Zweck wurde das Na¯landa¯ Translation Committee eingesetzt. Um die Aufmerksamkeit und Achtsamkeit auf ihre Sprache und ihre Kommunikation zu lenken, entwickelte Trungpa Sprachübungen, bei denen seine amerikanischen Schüler die britische Aussprache im Oxfordstil trainierten. Trungpa entwarf Uniformen, die sich am britischen Militär orientierten, und die Mitglieder der Dorje Kasung übten das militärische Marschieren als eine Form der kontemplativen Praxis aus, bei der Körper und Geist synchronisiert und Aggression überwunden werden sollen. Die Melodie eines irischen Marschliedes diente als Grundlage für die Shambhala-Hymne. An diesen zahlreichen Beispielen zeigen sich die für Trungpa typischen Hybridbildungen verschiedener kultureller Einflüsse, insbesondere aus Tibet, Japan und dem angloamerikanischen Raum. Die Integration westlicher Traditionen und kultureller Formen war für Trungpa einerseits ein Weg, seine Wertschätzung für die westliche Kultur, aus der seine Schüler stammten und in der er lebte, zum Ausdruck zu bringen, und andererseits ein praktisches Mittel, um sein buddhistisches Erbe im westlichen Kontext zu etablieren: I think we have to emphasize the Western tradition as well as the Eastern. In order to inspire American students, I’ve been working with them in all kinds of ways. I’ve been telling them how to buy a good tie, a good suit, cuff links, shoes, how to say »Yes, sir« and »Please, may I?« I’ve been training them to behave as good human beings. And it’s the same with art. We have to have some understanding of Buddhist Oriental composure, but at the same time we should also have the vision of the Western world, which in itself is quite remarkable. […] I myself have been inspired by great artists, painters, and musicians of the West. Therefore I’m here: I’m living in the Western world, and I appreciate my world tremendously. (Trungpa 2004c: 24 f)

Trungpas Kombination von Formen und Praktiken aus unterschiedlichen Kontexten und Epochen erfolgte aus der Überzeugung heraus, dass die von ihm 1 Ki ki so so (ki ki bwso bwso) ist ein tibetischer Ruf, manchmal auch als Kriegerschrei bezeichnet, mit dem man die Götter anruft und den man z. B. beim Überqueren von Bergpässen ausruft. Der Nachsatz lha gyel lo (lha rgyal lo) lässt sich übersetzen als: Mögen die Götter siegreich sein!

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Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert

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vermittelte Lehre und Weisheit nicht an ein spezifisches kulturelles und soziales Umfeld gebunden ist. Er wählte ästhetische und materielle Formen und Praktiken danach aus, ob sie ihm geeignet erschienen, die Wertschätzung des Alltags und des Lebens sowie Würde und Zuversicht bei seinen Schülern zu fördern oder die Idee der grundlegenden Gutheit jedes Menschen und der Heiligkeit der Welt zu vermitteln. In seiner Perspektive stellten sie Werkzeuge zur Realisierung seiner Vision einer erleuchteten Gesellschaft dar. Trungpas transkultureller und transbuddhistischer Ansatz wird vor allem in der Inklusion japanischer Kunstformen in ihrer modernisierten und transformierten Fassung sichtbar, durch welche er an populäre Interpretationen buddhistischer Elemente anknüpfte, die bereits an Denkweisen der Moderne adaptiert waren.2 Durch den Rückgriff auf diese, bereits durch bekannte, im Westen aktive Zen-Lehrer, etablierten Formen und Deutungen buddhistisch inspirierter Praktiken konnte Trungpa seine Innovationen legitimieren. Gleichzeitig ermöglichte die Anknüpfung an die populären Deutungen, nach denen diese kontemplativen Praktiken auf eine kulturunabhängige spirituelle Geisteshaltung und Erfahrung zielen sollen, eine Akzeptanz bei den Akteuren der Gemeinschaft, die mit diesen Deutungsmustern bereits vertraut waren. Das Angebot an kontemplativen Künsten stellt einen möglichen ersten Zugang zu der von Trungpa begründeten Gemeinschaft dar, der für viele Akteure aufgrund seiner Ästhetik von besonderer Attraktivität ist. Angebote zur Praxis der kontemplativen Künste sind bis heute fester Bestandteil der Gemeinschaft. Die kontemplativen Künste – zusammengefasst unter dem Titel Nalanda – gelten neben Vajradhatu (dem buddhistischen Pfad) und Shambhala Training (dem säkularen, spirituellen Pfad) als eines der sog. drei Tore zur Gemeinschaft. Daran wird sichtbar, dass Trungpa seinen transkulturellen und transbuddhistischen Ansatz, der verschiedene Elemente miteinander verband, erfolgreich etablieren konnte und die Konfiguration des westlichen buddhistischen Feldes nachhaltig prägte. Dennoch sind es seine Innovationen und die mit seiner Person verknüpften Konventionsbrüche, die ihn nach wie vor zu einem umstrittenen Akteur im westlichen buddhistischen Feld machen. Die Beurteilung seiner Person und Rolle bei der Verbreitung des tibetischen Buddhismus im Westen ist eingebunden in orientalisierende Diskurse und Imaginationen, die zunächst beleuchtet werden sollen, bevor die soziostrukturellen Faktoren seiner Innovationen und Transformationen genauer diskutiert werden.

2 Als »TransBuddhismus« bezeichnen Bhushan und Zablocki die Verschmelzung zwischen dem Realen und dem Imaginierten, zwischen Asien und dem Westen im Prozess der Transmission, Übersetzung und Transformation der verschiedenen Buddhismen aus der eine neue Form des Buddhismus hervorgehe, die globale, pan-buddhistische Identitäten ermögliche, welche nationale Traditionen transzendieren (vgl. Bhushan/Zablocki 2009).

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7.1

Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert

Chögyam Trungpa als transkultureller Akteur

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Person Chögyam Trungpa zu beschreiben. Eine häufige Charakterisierung lautet, dass Chögyam Trungpa ein »exil-tibetischer Mönch« (Dawson/Eldershaw 1996: 199), einer der bekanntesten »tibetischen Lamas« (Bell 1998: 56), ein »tibetischer Meister« (Urban 2000: 270) beziehungsweise »tibetisch-buddhistischer Meditationsmeister« (Eldershaw 2004: 2) war, der in die USA emigrierte, dort eine schnell wachsende Gemeinschaft aus Meditationszentren begründete und den Buddhismus an die gegenwärtige westliche Gesellschaft anpasste (vgl. Bell 1998; Lavine 1998; Dawson 2004; Baumann 2007). Der Hinweis auf Trungpas ethnische Herkunft und Zugehörigkeit sowie seine monastische Ausbildung findet sich in vielen Arbeiten, die sich mit der Geschichte des Buddhismus im Westen und insbesondere mit der Verbreitung des tibetischen Buddhismus befassen. Durch diesen Hinweis wird Trungpa einerseits als genuiner und damit authentischer Vertreter charakterisiert, der legitim im Namen des tibetischen Buddhismus sprechen darf. Andererseits wird er durch diesen Verweis auf sein ›TibetischSein‹ reduziert und auf seine Identität als tibetischer religiöser Spezialist festgeschrieben. An diese Identitätszuschreibung knüpfen sich bestimmte Imaginationen, wie ein tibetischer Lama ist, und Erwartungen, wie ein tibetischer Lama zu sein hat. Exemplarisch sei hier die Beschreibung Chögyam Trungpas durch die buddhistische Autorin Ulli Olvedi3 wiedergegeben: [J]edenfalls war er eines der letzten zauberischen, verzauberten Wesen aus dem geheimnisvollen Land der Leidenschaft des Geistes, jener großen Weisen und Poeten mit der Gabe des Löwengebrülls vom Dach der Welt, aufgewachsen und ausgebildet im behüteten Schoß der Klostertradition des alten Tibet, bevor sie vor dem mörderischen Zugriff der chinesischen Besatzer fliehen mussten und den Dharma in den Westen trugen… (Olvedi 2004: 27)

Olvedi greift hier auf das gesamte schillernde Imaginationsrepertoire des Mythos Tibet4 zurück, um Chögyam Trungpa als authentischen Vertreter des tibetischen Buddhismus zu charakterisieren, der mit außergewöhnlichen Eigenschaften und Fähigkeiten ausgestattet war. Entgegen dieser Stilisierung Trungpas zu einem der ›letzten großen Weisen mit der Gabe des Löwengebrülls vom 3 Ulli Olvedi beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Lehre und Praxis des tibetischen Buddhismus und betrachtet Chögyam Trungpa, dem sie persönlich begegnet ist, als ihren WurzelLehrer. Sie ist bekannt als Autorin verschiedener Beiträge in buddhistischen Zeitschriften wie z. B. Ursache & Wirkung sowie von tibetisch-buddhistisch inspirierten Romanen, wie z. B. Der Schrei des Garuda (erschienen 2003 im Verlag O.W. Barth). 4 Siehe zum Mythos Tibet auch das vierte Kapitel.

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Chögyam Trungpa als transkultureller Akteur

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Dach der Welt‹, die das Ideal des inkarnierten Lamas repräsentieren, erschien Trungpas Leben, Handeln und Wirken anderen jedoch eher als unkonventionell, »unorthodox« (Dawson 2004: 210) oder »kontrovers« (Eldershaw 2007: 73) und die von ihm begründete Gemeinschaft wurde verschiedentlich als »cult« (Melton 1986) oder »imported cult« (Eldershaw/Dawson 1995: 1 f) klassifiziert. Mit der Verwendung des Begriffs cult gehen im nordamerikanischen Kontext negative Konnotationen einher, die verknüpft sind mit der öffentlich wirksamen Debatte der 1970er Jahre um die Konfliktträchtigkeit sog. Neuer Religiöser Bewegungen bzw. Kulte und die ihnen zugeschriebene potentielle Gefahr für die amerikanische Gesellschaft (vgl. Lewis 1998: 22).5 Gemeinschaften, die mit diesen Begriffen belegt werden, gelten als in Lehre, Ethos und Praxis abweichend von den tradierten, als anerkannt geltenden Religionen und werden als »falsche Religionen« betrachtet, die von »Kultführern« autoritär geleitet werden und ihre Mitglieder ausbeuten (vgl. Chryssides 1997; Lewis 1998: 22). In diesem Zusammenhang ist es auffallend, dass in den 1970/80er Jahren vor allem die Soka Gakkai6 und Vajradhatu als Beispiele für Kulte und »unkonventionelle religiöse Bewegungen« (Melton 1986: vii) aus dem buddhistischen Spektrum genannt werden.7 Verweise auf andere Organisationen, die gemeinhin als buddhistisch klassifiziert werden – wie zum Beispiel Zen-buddhistische oder weitere tibetisch-buddhistische Gruppen –, fehlen.8 So scheint es auch für den Religions5 Die Debatte ist vergleichbar mit der medienwirksamen Diskussion um die sog. Jugendsekten im deutschsprachigen Raum, die in 1970/80er Jahren erfolgte (vgl. Usarski 1988). Die negativen Konnotationen, die sich im deutschsprachigen Raum an den Begriff Sekte knüpfen und vor allem eine ethische Devianz der so bezeichneten Gruppen festschreiben (vgl. Rakow 2004), ähneln den Zuschreibungen an cults im nordamerikanischen Kontext (vgl. Lewis 1998: 22). 6 Die Soka Gakkai wird häufig auch als Neue Religiöse Bewegung klassifiziert (vgl. Dawson 2001). Die Bezeichnung Neue Religiöse Bewegung sollte in der Religionswissenschaft und Religionssoziologie als neutrale analytische Kategorie Anwendung finden (vgl. Chryssides 1997), dennoch scheint auch diese Bezeichnung nur als Substitut für den Begriff cult zu fungieren und transportiert so ebenfalls negative Konnotationen. 7 Chögyam Trungpa und die von ihm begründeten Organisationen werden unter dem Titel »Vajradhatu, Naropa Institute and the Tibetan Buddhism of Chögyam Trungpa, Rinpoche« in Gordon Meltons Encyclopedic Handbook of Cults in America (1986) unter der Rubrik »IV. The Newer Cults« aufgeführt. Behandelt werden in dieser Sektion außerdem: A. Christian Foundation, B. The Church of Scientology, C. The Church Universal and Triumphant (Summit Lighthouse), D. Divine Light Mission, E. ECKANKAR, F. Family of Love (Children of God), G. The International Society for Krishna Consciousness (Hare Krishna), H. The Local Church (Watchman Nee and Witness Lee), I Nichiren Shoshu Academy, Soka Gakkai, J. Rajneesh Foundation International, K. Sikh Dharma (Healthy, Happy, Holy Organisation), L. Transcendental Meditation and The World Plan Executive Council, M. The Unification Church, N. Vajradhatu, O. The Way International Inc., P. Witchcraft (Wicca), Neopaganism and Magick (vgl. Melton 1986). 8 Don Morreale hat in seinem The Complete Guide to Buddhist America gezeigt, dass die buddhistische Landschaft in Nordamerika in den 1960 – 1980er Jahren vielfältig war und aus

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Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert

wissenschaftler George Chryssides (1997) intuitiv nahe liegend zu sein, So¯ka Gakkai International aufgrund ihrer relativ rezenten Entstehungsgeschichte unter der Rubrik Neue Religiöse Bewegung einzuordnen, den Therava¯da Buddhismus jedoch nicht, da dieser von Chryssides als Teil einer der großen Weltreligionen betrachtet wird und somit als »mainstream form« gelte.9 Als abweichend vom »mainstream« werden Organisationen betrachtet, die innovativ sind und bewusst versuchen, eine an den westlichen Kontext angepasste Version des Buddhismus zu propagieren und darüber hinaus hauptsächlich westliche Konvertiten anziehen, die nicht dem indigenen buddhistischen Herkunftskontext entstammen (vgl. Chryssides 1997). Eine solche Einordnung zeugt davon, dass auch Trungpa und die von ihm begründete Gemeinschaft in diesem Sinne als »weniger traditionell« (Metcalf 2002: 356) und »unorthodox« (Dawson 2004: 210) wahrgenommen werden und damit als abweichend von einer wie auch immer gearteten »klassischen tibetischbuddhistischen Tradition« gesehen wurden und zum Teil auch noch werden. Trungpa galt als jemand, der den tibetischen Buddhismus geschickt und bewusst »amerikanisiert« und »verwestlicht« hat (Bell 1998; Lavine 1998; Dawson 2004; Baumann 2007). In seiner Rolle als tibetischer religiöser Spezialist, das heißt als Lama, Tülku und Guru, stellte er für manche Beobachter eine »widersprüchliche« (Melton 1986: 203) und »paradoxe« (Bell 1998: 62) Figur dar, die in ihrem Verhalten vom angenommenen Ideal des tibetischen Lamas abwich (vgl. Lewis 1998: 518; Urban 2000; Dawson 2004; Eldershaw 2007). Kritisiert wurden unter anderem sein Konsum von Fleisch, Alkohol und Zigaretten (vgl. Melton 1986: 203; Lewis 1998: 518), seine zahlreichen sexuellen Beziehungen und sein opulenter Lebensstil (vgl. Schumacher 1999: 539). Hugh Urban charakterisiert Chögyam Trungpa sowie auch Bhagwan Shree Rajneesh (Osho) als »neo-tantrischen Guru«10 (Urban 2000: 271), der den (buddhistischen) Tantrismus für die spätkapitalistische consumer culture aufbereitet habe und mit teuren Autos, guten Anzügen und Dienstpersonal einen hedonistischen und verschwenderischen diversen Gruppen, Organisationen und Zentren der verschiedenen buddhistischen Traditionen bestand: Zwischen 1965 und 1974 entstanden 117 neue buddhistische Zentren und zwischen 1975 und 1984 kamen weitere 308 dazu (vgl. Morreale 1998). 9 Chryssides führt dazu folgende Überlegung an: »First, I would suggest that an NRM is a ›recent‹ phenomenon. By ›recent‹ I mean recent in inception, not in its arrival in Britain or in any other country in the world. Thus mainstream forms of Hinduism, Buddhism, Islam and Sikhism do not count as new religions, even though they may be new to the West« (Chryssides 1997). 10 Auch der Begriff Guru trägt in diesem Falle bestimmte Konnotationen, die über die reine Bezeichnung eines religiösen oder spirituellen Lehrers hinausgehen. Kirin Narayan führt zum gegenwärtigen Gebrauch des Begriffs Guru in der amerikanischen Alltagssprache an: »While the word acknowledges a person’s prestige and capacity to sway followers in the traditional sense of guru as ›teacher,‹ it also carries derogatory edge, evoking irrational and unquestioning ›cultish‹ acceptance« (Narayan 1993: 496).

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Lebensstil pflegte, der so gar nicht den westlichen Erwartungen an einen reinkarnierten Lama – den Inbegriff des tibetischen religiösen Experten – entsprach (z. B. Feuerstein 1991: 73; Urban 2000: 282). Die Verwirklichung »des amerikanischen Traumes«11 durch einen tibetischen Lama wird hier nicht als typisch amerikanische Aufstiegsgeschichte erzählt, sondern zu einer Geschichte der Dekadenz stilisiert. Diese Umwertung der amerikanischen Erfolgsgeschichte basiert auf einer orientalisierenden Perspektive: Wurde der Osten als spirituelles Heil des vermeintlich materialistisch-rationalistischen Westens gesehen, so scheint die Ankunft des Tibeters Chögyam Trungpa in der westlichen Welt für manche mit dieser Hoffnung auf das »Heil aus dem Osten« verknüpft gewesen zu sein. Exemplarisch findet diese Hoffnung Ausdruck in den Worten Allen Ginsbergs, als er sich an die ersten Begegnungen mit Trungpa erinnert: Mich interessierte mehr und mehr, was er wohl sonst noch zu bieten hatte, und ich liebte ihn von Tag zu Tag mehr. Er schien mir eher wie ein guter Lehrer, ein lustiger Kerl, eine tiefe Seele oder eine tiefe Nicht-Seele oder was auch immer. Ich begann ihn zu respektieren, wie ich Kerouac oder Burroughs oder sonst einen engen Freund respektierte, sah dabei aber auch, dass er eine phantastische klassische Basis an Weisheit aus dem Himalaja hatte. Da ich schon als Beatnik auf die Weisheit aus dem Himalaja stand, dachte ich mir, das siehst du dir mal näher an. (zitiert nach Schumacher 1999: 487)

Für viele mag sich diese Hoffnung auf die eine oder andere Weise erfüllt haben, für andere wurde diese Hoffnung scheinbar enttäuscht, entsprach Chögyam Trungpa doch in vielen Aspekten nicht ihrem Bild eines tibetischen, weisen Lamas.12 Die Entwicklung seines Lebens im britischen und vor allem im nord-

11 Die Formel »der amerikanische Traum« verweist auf die bekannten Narrative »from rags to riches« und vom »self made man«, die den Aufstieg von Armut zu Reichtum beschreiben und deren bekannteste Beispiele der schottische Auswanderer Andrew Carnegie (1835 – 1919) und John D. Rockefeller (1839 – 1937) sein dürften. In seinem einflussreichen Artikel »Wealth« (1889) schreibt Carnegie über die »sacredness of property« und greift damit zeitgenössische Perspektiven auf, die unter den Schlagwörtern »social darwinism« und »gospel of wealth« im damaligen U.S.-amerikanischen Diskurs bereits vorhanden waren (vgl. Hughes 2004: 126 – 152). Weltlicher Erfolg (d. h. ökonomischer Wohlstand) und religiöse Werte schlossen sich dabei nicht aus, sondern standen in enger Verbindung insofern wirtschaftlicher Erfolg zunehmend als Indikator für ein anständiges Leben nach christlicher Ethik galt (vgl. Bellah 1975: 61 – 86). 12 Siehe zum Beispiel das Buch The Double Mirror : A Skeptical Journey into Tibetan Buddhism von Stephen T. Butterfield, einem Schüler Trungpas, der sich nach dem HIV-Skandal des Regenten von der Gemeinschaft abgewendet hat und seine Jahre in der Gemeinschaft in diesem Buch kritisch aufarbeitet (vgl. Butterfield 1994). Ein weiteres bekanntes Beispiel (wenn auch keine Schüler von Chögyam Trungpa) stellen die Autoren Viktor und Viktoria Trimondi (Herbert und Maria Röttgen) dar, die sich enttäuscht vom tibetischen Buddhismus abwandten, als sie nicht fanden, was sie imaginiert hatten. Heute zählen sie zu den aktivsten

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amerikanischen Exil erscheint aus dieser Perspektive gleichsam »befleckt« durch die Profanität seiner Handlungen und seines erworbenen Wohlstandes.13 Seine Identität als inkarnierter tibetisch-buddhistischer Lama erscheint somit kontaminiert oder korrumpiert durch die materialistische Kultur des Westens.

Der tibetische Lama im Spiel orientalisierender Imaginationen Wirkmächtige orientalisierende Imaginationen hatten bereits lange vor der Ankunft der ersten tibetischen Exilanten das Bild von Tibet in der westlichen Wahrnehmung geprägt (vgl. Bishop 1989; 1993; Lopez 1998). Das Objekt der orientalisierenden Konstruktion des Anderen muss – um erfolgreich als Projektionsfläche für westliche Fantasien und Sehnsüchte zu funktionieren – aus seinem realhistorischen Kontext raum-zeitlich entkoppelt werden. Arjun Appadurai identifiziert drei Denk- und Sichtweisen, welche den orientalisierenden Diskurs charakterisieren: den Drang zur Essentialisierung, die Tendenz zur Exotisierung und die Neigung zur Totalisierung des Anderen (vgl. Appadurai 1988). Übertragen auf das hier dargestellte Fallbeispiel der westlichen Wahrnehmung Tibets als das Land des tibetischen Buddhismus mit seinen monastischen Institutionen und religiösen Spezialisten werden diese drei Konstruktionsmechanismen gut sichtbar : Im 20. Jh. wird der tibetische Buddhismus zur essentiellen Komponente der Charakterisierung Tibets und der tibetischen Kultur: »Even among the partisans of the Tibetan cause, the focus remains largely on the unsited, on the ethereal and transhistorical, on Tibetan religion as the sole legacy, even the irreducible essence, of Tibetan culture« (Lopez 1998: 44 f). In historischer Perspektive wird die Tendenz zur Essentialisierung Tibets durch den ausschließlichen Bezug auf die Religion Tibets bereits im Gebrauch des Begriffs Lamaismus deutlich, der ab dem 19. Jh. im europäischen Diskurs als Substitut für Tibet fungierte (vgl. Lopez 1998: 16). Mit dem Begriff Lamaismus wurde auf die wahrgenommene Außergewöhnlichkeit und Bedeutung der tibetischen Institution der reinkarnierten Lamas als religiöse und politische Autorität in der tibetischen Gesellschaft verwiesen. Im 17. Jh., als im europäischen Diskurs nur zwischen vier Religionen unterschieden wurde – d. h. zwischen Christentum, Judentum, Islam und allem Übrigen, das unter die Rubrik Kritikern des tibetischen Buddhismus und des Dalai Lamas im deutschsprachigen Raum (vgl. Dehn 2006; Schlieter 2008; Rakow 2012). 13 Hier mag zusätzlich die weit verbreitete Annahme ins Spiel kommen, dass die etablierten Religion im Gegensatz zu den Neuen Religiösen Bewegungen/Kulten, die gewissermaßen als falsche Religionen gelten, nicht auf finanziellen Gewinn und Bereicherung ausgerichtet sind. Eine solche Annahme blendet aus, dass Religionen immer gezwungen sind, sich durch geeignete Maßnahmen zu finanzieren (vgl. Moore 1994; Prohl 2006: 46 f).

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Heidentum/Idolatrie subsumiert wurde – und die Idee eines Buddhismus als Weltreligion noch nicht existierte, gab es keine eigene Bezeichnung für die Religion Tibets (vgl. Lopez 1998: 21; Masuzawa 2005: 122). In Berichten von Missionaren, Asienreisenden und in den Texten europäischer Philosophen des 18. Jh. wurde die Religion der zentralasiatischen Region Tibets als »Religion der Lamas« beschrieben,14 in deren Zentrum die gottgleiche Verehrung des Dalai Lamas als höchsten Priesters stehe und die im hierarchischen Aufbau sowie im Ritual Ähnlichkeiten mit dem römisch-katholischen Christentum aufweise. Trotz dieser Ähnlichkeiten beziehungsweise aufgrund dieser Ähnlichkeiten wurde die »Religion der Lamas« als Idolatrie, Zerrbild oder schlechtes Plagiat des Katholizismus eingestuft (vgl. Lopez 1998: 21ff).15 Erst im 19. Jh., als letzter Ausläufer des romantischen Orientalismus, bildete sich der Buddhismus als Erkenntnisobjekt im europäischen Diskurs heraus (vgl. Almond 1988; Lopez 1995c). Durch das philologische Studium von Sanskrit- und Pali-Texten wurde, basierend auf den vorrangig scholastischen Quellen einer kleinen monastischen Elite, ein ursprünglicher und reiner Buddhismus konstruiert (vgl. Schopen 1991), der als vollständiges philosophisches und psychologisches System frei von Aberglauben, leerem Ritual und Priestertum dargestellt wurde und somit dem viktorianischen Ideal einer »Religion der Vernunft« entsprach (vgl. Lopez 1995c). So wurde im europäischen Diskurs das Ideal eines klassischen Buddhismus als transhistorische und selbstidentische Essenz naturalisiert. Im Vergleich zum klassischen Buddhismus mussten alle gelebten Formen des modernen zeitgenössischen Asiens als Degeneration des ursprünglichen Ideals gelten (vgl. Masuzawa 2005: 127). Der Buddhismus Tibets – der Lamaismus – bildete mit seiner extensiven Ritualistik, seinen tantrischen Doktrinen und seiner priesterlichen Hierarchie der reinkarnierten Lamas den Endpunkt dieser Geschichte des Verfalls und wurde als die am wenigsten authentische und die am stärksten degenerierte Variante des ursprünglichen Buddhismus identifiziert (vgl. Lopez 1998: 32ff). In diesem komplexen Spiel orientalisierender Ideologien 14 Hier sei exemplarisch verwiesen (1) auf Jean-Jacques Rousseau, der die »Religion der Lamas« in Der Gesellschaftsvertrag oder Die Grundsätze des Staatsrechts (erschienen 1762) im vierten Buch im achten Kapitel über »Die bürgerliche Religion« erwähnt, (2) auf Johann Gottfried Herders Verweis auf die »lamaische Religion« in seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (erschienen 1784) im elften Buch im dritten Teil sowie (3) auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der den »Lamaismus« an verschiedenen Stellen in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (erschienen 1830 – 33) diskutiert. 15 Katholische Missionare betrachteten die wahrgenommenen Ähnlichkeiten entweder als mögliche degenerierte Überbleibsel eines ursprünglich christlichen Einflusses (zum Beispiel durch den legendären Priesterkönig Johannes, dessen christliches Königreich irgendwo im Osten gelegen haben soll) oder als dämonisches Plagiat, das heißt als das Werk des Teufels. Protestantische Autoren wiederum sahen sich durch die wahrgenommenen Parallelen zwischen römisch-katholischer Kirche und Lamaismus in ihrer Annahme bestätigt, dass es sich bei beiden Systemen gleichermaßen um Idolatrie handeln würde (vgl. Lopez 1998: 26ff).

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wird dem Tibetologen Donald Lopez zufolge der tibetische Buddhismus als das »doppelte Andere« (Lopez 1998: 37) konstruiert: Durch die Erfindung des reinen, klassischen Buddhismus im romantischen Orientalismus wird dieser zum »mimetischen Anderen« (Lopez 1998: 37) – zum Anderen, das wie das Ideal des viktorianischen Selbst ist: rational, moralisch und intellektuell ohne die Notwendigkeit einer Bindung an eine dogmatische Institution Kirche und ihre leeren Rituale. Der tibetische Buddhismus – bezeichnet und klassifiziert als Lamaismus – mit seinen Hierarchien und Ritualen wurde so zum vollständig Anderen des Anderen. Das heißt der Lamaismus wurde zum vollständig Anderen des ursprünglichen Buddhismus; der Lamaismus stand für priesterliche Hierarchie, Rituale und Aberglauben, während der ursprüngliche Buddhismus mehr als rationale und moralische Philosophie denn als eigentliche Religion begriffen wurde (vgl. Lopez 1995c: 6; Masuzawa 2005: 127). Der Lamaismus, dem man durch die Verwendung dieser Bezeichnung die Anerkennung als Buddhismus verweigerte, repräsentierte demnach all die Elemente, die man im viktorianischen Selbst negierte oder als längst überwunden betrachtete. Die Exotisierung des Anderen erfolgt nach Appadurai durch die Festschreibung einer Differenz zwischen dem Eigenen und dem Anderen, die zum einzigen Kriterium für die Wahrnehmung des und den Vergleich mit dem Anderen wird (vgl. Appadurai 1988: 41). In der Verwendung des Begriffs Lamaismus für die tibetische Variante des Buddhismus vollzieht sich diese Differentsetzung des Anderen im europäischen Diskurs des 19. Jh. Es ist die stereotypisierte Figur des Lamas, die das tibetische monastische System und die religiös-politische Autorität dieses Systems repräsentierte, die den Kristallisationspunkt dieser Differentsetzung und Exotisierung bildete: Lamas and priests in their role as Church or political administrators were generally viewed with distaste. Their position seemed dictatorial, almost totalitarian in its fusion of political power and absolute spiritual control. The situation was referred to as one of »spiritual terrorism« […] Lamas were called »frauds«, »incarnations of vice and corruption« […] To an era in which individual democratic freedom was increasingly becoming an exemplary idea, if not a practice, Tibetan Lamaist power was anathema. (Bishop 1993: 38)

Durch die Essentialisierung Tibets über den tibetischen Buddhismus, mit der die Exotisierung des Lamaismus als das vollständig Andere einhergeht, wird ein spezifisches Merkmal einer Gesellschaft oder Kultur zu einem Charakteristikum stilisiert, das diese Kultur in ihrer Gesamtheit, d. h. in ihrer Totalität, charakterisiert – diesen Prozess beschreibt Appadurai als Totalisierung (vgl. Appadurai 1988: 41). Das System des Lamaismus, verkörpert durch die Figur des inkarnierten Lamas, wird im viktorianischen orientalistischen Diskurs zum Ort, an

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dem sich die Essentialisierung, Exotisierung und Totalisierung Tibets und des tibetischen Buddhismus vollzog. Im 20. Jh. zeichnete sich eine zunehmende Aufwertung Tibets, des tibetischen Buddhismus und seiner monastischen Institutionen und religiösen Spezialisten ab, die ab 1959 durch die chinesische Okkupation Tibets und die daraus resultierende Exilsituation beschleunigt wurde. Diese positive Umdeutung Tibets hatte ihre Vorläufer bereits im 19. Jh. Zu nennen ist hier der Einfluss der frühen Theosophie, vor allem in Form der Schriften Helena Petrovna Blavatskys, in denen Tibet zur Quelle des geheimen Wissens und zur Heimat weiser Meister stilisiert wurde. Tibetisch-buddhistische Schriften galten im Anschluss daran als Repositorium des esoterischen Wissens, die von weisen Lamas niedergeschrieben und bewahrt wurden.16 Die Wahrnehmung Tibets als unzugängliches Land auf dem Dach der Welt, das bis 1959 weitestgehend frei von westlichen Einflüssen und europäischer Kolonisation geblieben war, verstärkte die Annahme, dass dort die Lehren des Buddhismus in ihrer Authentizität bewahrt wurden.17 In den 1960er Jahren gelangten im Gepäck tibetisch-buddhistischer Gelehrter zahlreiche tibetische Texte in das indische Exil und später in den Westen, wo sie von westlichen Studenten, meist in Zusammenarbeit mit einem exiltibetischen Lama, übersetzt und studiert wurden. Erst durch die tibetische Exilsituation und die damit verbundene Zugänglichkeit von Texten und tibetisch-buddhistischen Gelehrten begann sich die Tibetologie als eigenständig wahrnehmbare akademische Disziplin zu etablieren (vgl. Strickmann 1977). Tibetischer Buddhismus – fast ausschließlich in Form seiner scholastischen Schriften, die größtenteils dem Gelugpa-Curriculum entstammten –18 gehörte zunehmend zum Kanon der Fächer Religious Studies oder Buddhist Studies (vgl. Lopez 1998: 156 – 180). Die Übersetzung tibetisch-buddhistischer Texte und das Studium unter tibetischen Gelehrten erfolgten und erfolgen noch heute mit der Absicht, die tibetischbuddhistische Tradition vor ihrer Auslöschung zu bewahren (vgl. Lopez 1995a: 268; Kværne 1997c; Seager 1999: 113). Für dieses Unterfangen waren und sind die tibetischen Lamas und ihr Wissen von eminenter Bedeutung. Mit ihnen und ihrem Wissen kamen jedoch nur ein spezifischer Teil des tibetischen Gesell16 Das wohl bekannteste Beispiel stellt die westliche Wahrnehmung und Rezeption des sog. Tibetischen Totenbuches dar, das erstmals 1927 in englischer Sprache erschienen ist und seitdem mehrere Auflagen und Neueditionen erfahren hat (vgl. Rakow 2008; 2011). 17 Westliche Zuschreibung und tibetisch-buddhistisches Selbstverständnis fallen in dieser Annahme zusammen: In der tibetisch-buddhistischen Geschichtsschreibung findet sich das machtvolle Narrativ, das Tibet als das Land beschreibt, in dem die Lehre des Buddhas in seiner Reinheit und Vollständigkeit bewahrt wurde (vgl. Kollmar-Paulenz 2006: 25). 18 Dazu gehören Texte zur Meditation, zum Pfad des Bodhisattvas und Schriften der Madhyamaka-Philosophie. Texte aus anderen Genres der tibetischen Literatur sowie Texte, die sich mit Themen befassten, die nicht dem westlichen Bild des tibetischen Buddhismus entsprachen, blieben dabei zumeist völlig unberücksichtigt (vgl. Lopez 1998: 166ff).

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schaftssystems, nur ein Bruchteil der religiösen Struktur und der zahlreichen Aufgabenfelder eines religiösen Experten in den Westen. Im westlichen Kontext hat sich bisher kein ausgeprägtes Klosterwesen etabliert und tibetische Mönche und Gelehrte fungieren entweder als religiöse Experten in kleineren tibetischen Exilgemeinschaften oder als spirituelle Lehrer und Leiter in westlichen DharmaZentren, wo sie ihre Schüler in Meditationspraktiken anleiten und in komplexe buddhistische Lehrsysteme einweihen. Der tibetische Lama stellt den Zugang zu den Lehren des tibetischen Buddhismus dar, die laut Überlieferungstradition in einer direkten Linie auf den Buddha zurückzuführen seien und so ihre Authentizität und Autorität gewinnen. Die Figur des tibetischen Lamas repräsentiert das, was Tibet in der westlichen Wahrnehmung im 20. Jh. ausmacht, nämlich die Annahme, das Repositorium einer uralten spirituellen Weisheit zu sein, die dem Westen durch Entzauberung, Industrialisierung und den vorherrschenden Materialismus verloren gegangen sei: When the exiled lamas arrived in the West an imaginative place had long been prepared for them […] The Tibetan lamas promised authenticity, purity and a direct connection with the symbol of Tibet, with all its connotations of ancient wisdom teachings, a mystical science, an archaic transmission of divine energy […] (Bishop 1993: 97)

In der westlichen Imagination wird Tibet zum spirituellen Anderen; zum Anderen, das im Besitz eines alten Wissens und spiritueller Techniken sei, mit denen die empfundenen Defizite der eigenen Kultur ausgeglichen werden sollen (vgl. Lopez 1998: 181ff). Anders als im 19. Jh. wird Tibet nun über die ihm zugeschriebene Spiritualität und Weisheit, verkörpert durch die »reine Lehre des Buddhas«, different gesetzt und exotisiert. Der tibetische Buddhismus als uralte Weisheit und spirituelle Methode wird zur signifikanten Komponente der Bestimmung Tibets. Die Essentialisierung und Totalisierung Tibets erfolgt auch im transformierten orientalisierenden Diskurs des 20. Jh. über die implizite Identifikation von tibetischem Buddhismus mit tibetischer Kultur. Da durch die chinesische Okkupation Tibet als vermeintlicher »Hort der reinen buddhistischen Lehre« nur noch in der Imagination existiert und die Klöster, welche die physische Seite des tibetischen Buddhismus repräsentierten, in Tibet zu großen Teilen zerstört wurden und im westlichen Kontext fast völlig fehlen, wird diese Essenz nun fast ausschließlich durch den tibetischen Lama verkörpert. Auch hier ist es die Figur des tibetischen Lamas – wenn auch unter anderen Bedingungen und verknüpft mit anderen Zuschreibungen – an der sich die Essentialisierung, Exotisierung und Totalisierung Tibets und des tibetischen Buddhismus vollzieht. Auf diese Weise wird das komplexe, heterogene Gefüge religiöser Traditionen, das zudem eine Vielzahl

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verschiedener religiöser Rollen und Experten aufwies, homogenisiert und historisch, sozial und kontextuell entflochten. Chögyam Trungpa, als tibetischer inkarnierter Tülku, wurde von westlichen Akteuren im buddhistischen Feld und im akademischen Feld häufig in den oben beschriebenen Deutungsmustern wahrgenommen, an die sich wiederum spezifische Erwartungen und Wertungen knüpften. Bereits im indischen Exil erfuhr er Unterstützung durch westliche buddhistische Enthusiasten, die ihn sicherlich auch aufgrund seines Status als inkarnierter Lama förderten. Sichtbar wird dieser Umstand in der Einrichtung der Young Lama’s Home School 1961 durch Freda Bedi in Dalhousie, für die sie Trungpa als Lehrer gewann. Der spezifischen Ausrichtung auf junge Lamas – und nicht etwas junge geflüchtete Tibeter im Allgemeinen – wird auch im Namen der Einrichtung Rechnung getragen. Im englischen Exil war Trungpa ebenfalls vor allem in seiner Rolle als tibetisch-buddhistischer Lama gefragt und zu Vorträgen in der englischen Buddhist Society eingeladen. Wie die in der schottischen Samye Ling-Gemeinschaft aufgetretenen Konflikte zeigen, war dies die einzige Rolle, die man ihm von Seiten seiner damaligen westlichen Schüler und tibetischen Gefährten zugestand. Der »imaginative Ort« (Bishop 1993: 97), der bereits vor Ankunft der exiltibetischen buddhistischen Gelehrten im westlichen Denken geschaffen worden war, glich gewissermaßen einem goldenen Käfig, aus dem Trungpa gleichsam durch das Ablegen seiner Roben und das Tragen westlicher Kleidung auszubrechen schien: Kleidung und Identität sind auf das Engste miteinander verknüpft. Zum einen erfüllt Kleidung die Aufgabe, Gruppenzugehörigkeiten sichtbar zu machen. Sie visualisiert die gefühlte Gemeinschaft und macht damit eine rasche Identifikation durch Fremde möglich. Zugleich verstärkt sie wie jedes Symbol die Vorstellung, dem Symbolisierten müsse eine Realität innewohnen. […] Zum zweiten wirkt Kleidung auf die persönliche Identität ihres Trägers zurück, indem sie seinen Körper und damit sein Selbstbild formt. (Pernau 2008: 349)

Die Überlegungen Margrit Pernaus zu Kleidung und Identität lassen sich auch auf die Roben eines tibetischen Lamas übertragen, die zu einem Symbol gerinnen, dem eine innewohnende Realität zugeschrieben wird. Sie stellen die materielle Projektionsfläche für die westlichen Sehnsüchte und Fantasien dar und repräsentieren die Weisheit und Reinheit Tibets, das Heilmittel für den materialistischen Westen. Das Ablegen der Roben erscheint nicht nur wie eine Zurückweisung dieser Zuschreibungen, sondern auch wie ein Abstreifen seiner »tibetischen Identität«, die sich in diesen Roben materialisierte. Nach seiner umstrittenen Entscheidung zur Rückkehr in den Laienstatus schrieb Trungpa in einem Brief an Bob Copley im Oktober 1969: But my role is a far deeper one than a mere cultural mission, a representative of the East in the West. I am not a Tibetan but Human and my mission is to teach others as

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effectively as I can in the world in which I find myself. Therefore, I refuse to be bound by any »national« considerations whatsoever. (zitiert nach Mukpo und Gimian 2006: 30, Hervorhebung im Original)

Gegen die häufig erfahrene Festlegung und Beschränkung auf sein »TibetischSein«, das sich in seinem Status als Mönch und Lama mit entsprechender Kleidung kristallisierte, beruft sich Trungpa in diesen Zeilen auf sein »Menschsein« als einer Kategorie, die ethnische und nationale Grenzen transzendiert. Trungpa kam als verheirateter Laie nach Nordamerika, zu einer Zeit, da die amerikanischen Counterculture auf ihrem Höhepunkt stand, und er verkehrte vor allem im Milieu der kulturellen Dissidenten und der Avantgarde. Sein Ruf als tibetisch-buddhistischer Lehrer und reinkarnierter Lama eilte ihm jedoch in Form seiner Buchpublikationen voraus, so dass er bei seiner Ankunft in Nordamerika kein Unbekannter war und Publikum sowie potentielle Schüler anzog, was ihm half, ein umfangreiches Netzwerk von buddhistischen Zentren zu etablieren. Insofern konnte Trungpa von seinem kulturellen und symbolischen Kapital als tibetisch-buddhistischer Lama profitieren und befand sich gleichzeitig in einem sozialen Umfeld, das nonkonformistisches Verhalten tolerierte. Sein Erfolg, sein opulenter und unkonventioneller Lebenswandel sowie die Wahrnehmung der von ihm gelehrten Vorstellungen und Praktiken als verwestlichte oder amerikanisierte Form des Buddhismus rufen häufig die Frage hervor, wie »tibetisch« Trungpa denn eigentlich noch gewesen sei. Dieser Frage liegt eine implizite Werteskala zugrunde, die zwei mögliche Lesarten zulässt (siehe Abb. 9):

Abb. 9: Bewertungsskala

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Die erste Variante zeigt eine negative Bewertung Chögyam Trungpas, da er durch die Adaption an den westlichen Kontext als abweichend von einem vermeintlich authentischen tibetischen Ideal wahrgenommen wird.19 Diese Beurteilung ist geprägt von einer orientalistischen Wahrnehmung der Figur des tibetischen Lamas. Die zweite Variante zeigt eine positive Bewertung Trungpas als innovativen religiösen Experten, der zwar auf das kulturelle und symbolische Kapital und den Status als tibetischer Lama zurückgreifen kann und dennoch als modern und zeitgemäß gilt, da er die »zeitlose Essenz der buddhistischen Lehren« an den modernen Kontext westlicher Gesellschaften adaptiert und von den volkstümlichen tibetischen Überfrachtungen befreit hat. Die erfolgte Adaption an amerikanische beziehungsweise westliche Verhältnisse kann hier im Sinne einer erfolgreichen Integration in die moderne, westliche Gesellschaft auf Kosten seiner kulturellen Identität als Tibeter gelesen werden.20 Daran zeigt sich, dass die Frage, wie tibetisch Trungpa denn noch gewesen sei – ebenso wie die mögliche Umkehrung der Frage wie westlich Trungpa gewesen sei – auf problematischen Vorannahmen über kulturelle Identität basiert, die den verwendeten Beschreibungsmustern zugrunde liegen. Um diese Vorannahmen offen zu legen, sollen zunächst die gängigen Konzeptionen von Kultur und Identität betrachtete werden.

Überlegungen zur Konzeption von Identität und Kultur Identität – personale als auch kulturelle Identität – wurde lange Zeit als einmal erworben, stabil, dauerhaft, kohärent und damit als weitestgehend statisch gedacht (vgl. Hall 1994b: 27; Keupp/Ahbe/Gmür et al. 2006: 28ff; Reckwitz 2008a: 54ff).21 Diese Konzeptualisierung von Identität basiert auf einem essentialistischen Verständnis von Mensch und Kultur, d. h. auf der Annahme eines festen Wesenskerns. Diese Positionen waren und sind nicht auf wissenschaftliche Spezialdiskurse zur Identität beschränkt, sondern haben Eingang in das lebensweltliche Alltagswissen von Akteuren gefunden. Martuccelli beschreibt die lang gehegte Annahme eines personalen Wesenskerns gar als das grundlegende 19 Zur negativen Bewertung von westlichen Adaptionen, denen Authentizität abgesprochen wird, siehe auch Bhushan/Zablocki (2009: 5ff). 20 Dass eine erfolgreiche und aktive Integration in die aufnehmende Kultur im gesellschaftlichen Diskurs als positiv bewertet wird, zeigt die Diskussion um Parallelgesellschaften und die beklagte mangelnde Integration von Migranten in die aufnehmende Gesellschaft. 21 Ein klassisches Beispiel hierfür ist Erik Eriksons Definition von Ich-Identität, die nachhaltig den Fachdiskurs über Identität geprägt hat. Für Erikson besteht das »Kernproblem der Identität in der Fähigkeit des Ichs, angesichts des wechselnden Schicksals Gleichheit und Kontinuität aufrechtzuerhalten« (Erikson 1964: 87).

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Postulat des abendländischen Individuums, von dem sich auch wissenschaftliche Disziplinen nur schwer trennen könnten (vgl. Martuccelli 2002: 404). Ähnlich verhält es sich mit dem Verständnis von Kultur als einer geschlossenen, klar abgrenzbaren und von anderen Kulturen differenten Einheit, die zumeist als mit ethnischen oder nationalen Grenzen übereinstimmend gedacht wird (vgl. Welsch 1994: 85ff; Reckwitz 2008e: 71ff). Auf dieser Basis wird kulturelle Identität im Sinne einer gemeinsamen Kultur, einer gemeinsamen Geschichte und einer gemeinsamen Abstammung bestimmt, die alle Mitglieder dieser Gemeinschaft teilen. Kulturelle Identitäten stellen dann einen von historischen Veränderungen unabhängigen, konstanten und stabilen Referenz- und Bedeutungsrahmen für die Mitglieder dieser Kultur zur Verfügung. Die implizierte Deckungsgleichheit von Kultur und Gesellschaft des »totalitätsorientierten Kulturbegriffs«22 (Reckwitz 2008b: 22) legt ein spezifisches Modell von Multikulturalismus nahe. Multikulturalismus wird hier als Vielfalt homogen gedachter Einzelkulturen konzeptualisiert, die jeweils durch eine spezifische gemeinsame Lebensform sowohl in der Selbst- als auch in der Fremdwahrnehmung von anderen Kulturen different sind. Moderne Entwicklungen, wie zunehmende Migrationsmobilität, die innere Komplexität und äußere Vernetzung moderner Kulturen im Kontext der Globalisierung, zeigen die Unzulänglichkeit eines homogenen, statischen und totalitätsorientierten Kulturverständnisses (vgl. Welsch 1994: 86ff).23 Im Zuge des cultural turn wandelt sich der Kulturbegriff von einem totalitätsorientierten zu einem bedeutungsorientierten, sozialkonstruktivistischen Konzept von Kultur (vgl. Hock 2002: 70 f; Reckwitz 2008b: 25 f). Hier wird Kultur auf der Ebene kontingenter symbolischer Ordnungen der Weltinterpretation und der Wissensbestände angesiedelt, welche die handlungskonstitutive Voraussetzung sozialer Praktiken bilden. Kultur gilt als sozial konstruiert, als diskursiv geschaffen, als etwas, das in sozialen Interaktionen reproduziert und transformiert wird. In der Folge der (post-)strukturalistischen »Dezentrierung des Subjekts«24 22 Wolfgang Welsch spricht hier von Kultur als einem Generalbegriff, einem Kollektivsingular mit dem vereinheitlichend sämtliche Tätigkeiten einer Gemeinschaft, eines Volkes oder einer Nation umrissen werden (vgl. Welsch 1994: 85 f). 23 Wobei hier nicht nur zu fragen wäre, ob ein solcher totalitätsorientierter Kulturbegriff modernen Verhältnissen gerecht werden kann, sondern auch, ob die Heterogenität vormoderner Verhältnisse damit abgebildet werden kann. 24 Die »Dezentrierung des Subjekts« verweist auf einen veränderten Stellenwert des Subjekts in philosophischen und humanwissenschaftlichen Diskursen (insbesondere bei Michel Foucault und Jacques Derrida). Das Subjekt gilt nicht mehr als unabhängig von seinem historischen und kulturellen Kontext, sondern als geprägt durch jeweils historisch-spezifische soziale und kulturelle Strukturen, die ihm nicht äußerlich sind, sondern den Rahmen für seine jeweiligen Subjektivierungsweisen bilden (vgl. Reckwitz 2008 f: 12 f).

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Chögyam Trungpa als transkultureller Akteur

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wird zudem die bisherige Identifikation von Kultur und Gemeinschaft aufgelöst. Das Subjekt gilt als Träger von unterschiedlichen Komplexen sozialer Praktiken und den damit korrespondierenden verschiedenen Ordnungen des Wissens, ohne dass eine eindeutige Übereinstimmung zwischen einer Wissensordnung und einem einzelnen Subjekt beziehungsweise einer Gemeinschaft von Subjekten besteht. Die Grenzen zwischen Komplexen sozialer Praktiken und deren Ordnungen des Wissens dürfen also weder als identisch mit den Grenzen zwischen Gemeinschaften noch als identisch mit den physischen Grenzen zwischen Individuen angenommen werden. Vor diesem Hintergrund wird eine hybride oder multikulturelle Konstellation von Subjekten und Kollektiven denkbar. Multikulturalität wird nicht länger als kulturelle Heterogenität zwischen monokulturellen Kollektiven konzeptualisiert, sondern als ein Modell »kultureller Interferenzen«25 gedacht, das von der Überlagerung unterschiedlicher Wissensordnungen innerhalb von Kollektiven ausgeht und Akteure mit einer Situation kultureller Hybridität konfrontiert: Es gilt, mit einer kulturellen Pluralisierung in dem Sinne zu rechnen, dass Akteure in ihrer Lebensführung gleichzeitig unter den Einfluss verschiedener grundlegender Sinnhorizonte und kultureller Traditionen geraten können, die sich miteinander auf unberechenbare Weise kombinieren. Insbesondere jene Akteure, die an den globalen Migrationsbewegungen teilhaben, sind mit einer derartigen Konstellation hybrider Kulturen konfrontiert, die folgenreich für die Identitätsbildung auf individueller wie auf kollektiver Ebene wird. (Reckwitz 2008e: 82 f, Hervorhebung im Original)

Eine multikulturelle Konstellation ist laut Reckwitz gekennzeichnet durch die gleichzeitige Wirksamkeit – im Sinne einer kulturellen Interferenz – von unterschiedlichen Sinnhorizonten innerhalb des lebensweltlichen Wissens von Akteuren, auf dem die Definition ihrer Lebensführung und ihrer Identität basiert (vgl. Reckwitz 2008e: 86). Die Transformation des Kulturbegriffs von einem essentialistischen Verständnis hin zu einem hybriditätsorientierten Konzept von Kultur erforderte eine theoretische Überarbeitung des Identitätsbegriffs, der die essentialistische Setzung eines inneren Identitätskerns und den Gedanken der Konsistenz und Kontinuität personaler Identität hinter sich lässt (vgl. Kraus 2006: 145). In theoretischer Perspektive wird Identität nicht mehr als gelungene, dauerhafte Balance zwischen einem konstanten Ich und sozialen Rollenanforderungen gedacht, die im Laufe der Sozialisation erworben wurde. Identität wird nun als unabschließbarer Prozess, als »alltägliche Identitätsarbeit«, als subjektiver Konstruktionsprozess vor dem Hintergrund heterogener, kollektiver Bedeu25 Zum Konzept kultureller Interferenzen siehe ausführlicher Reckwitz (2006: 617 – 643).

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tungshorizonte, als Passungsarbeit zwischen inneren und äußeren Welten konzeptualisiert (vgl. Keupp/Ahbe/Gmür et al. 2006: 30): Das Subjekt, das vorher so erfahren wurde, als ob es eine einheitliche und stabile Identität hätte, ist nun im Begriff, fragmentiert zu werden. Es ist nicht aus einer einzigen, sondern aus mehreren, sich manchmal widersprechenden oder ungelösten Identitäten zusammengesetzt. […] Dadurch entsteht das postmoderne Subjekt, das ohne eine gesicherte, wesentliche oder anhaltende Identität konzipiert ist. Identität wird ein »bewegliches Fest«. Sie wird im Verhältnis zu verschiedenen Arten, in denen wir den kulturellen Systemen, die uns umgeben, repräsentiert oder angerufen werden, kontinuierlich gebildet und verändert. […] In dem Maße, in dem sich die Systeme der Bedeutung und der kulturellen Repräsentation vervielfältigen, werden wir mit einer verwirrenden, fließenden Vielfalt möglicher Identitäten konfrontiert, von denen wir uns zumindest zeitweilig mit jeder identifizieren können. (Hall 1994a: 182 f)

Die Überlegungen zur theoretischen Neukonfiguration des Subjekts und personaler Identität erfolgten vorrangig im Angesicht einer beobachteten Entgrenzung individueller und kollektiver Lebensformen, einer Pluralisierung der Lebensstile und -milieus sowie einer Fragmentierung der Erfahrung in spätmodernen Gesellschaften.26 Diese Beobachtung trifft aber nicht nur auf Akteure innerhalb spätmoderner gesellschaftlicher Kontexte zu, sondern auch und insbesondere auf Akteure, die an globalen Migrationsprozessen partizipieren und mit verschiedenen lokal spezifischen, hybriden Lebensverhältnissen und Sinnhorizonten im Sinne kultureller Interferenzen konfrontiert sind, in deren Kontext ihre beständige Identitätsarbeit erfolgt (vgl. Kraus 2006: 149 f; Reckwitz 2008e: 82). Chögyam Trungpa war durch seine Sozialisation in Tibet, die Exilsituation in Indien, die Migration nach Großbritannien und die anschließende Umsiedelung nach Nordamerika mit heterogenen kulturellen Kontexten, verschiedenen Wissensbeständen, Sinnhorizonten und Handlungsmustern im Sinne hybrider Kulturen konfrontiert. Im Rückgriff auf die Ausgangsfrage, wie tibetisch Chögyam Trungpa noch gewesen sei, müsste man die Frage eigentlich um weitere Komponenten erweitern. Es wäre nicht nur zu fragen wie tibetisch im Sinne seiner ethnischen und nationalen Prägung, sondern auch wie exiltibetisch, wie britisch, wie amerikanisch und wie kanadisch Trungpa gewesen sei. Ebenso ließe sich fragen, wie tibetisch-buddhistisch, Zen-buddhistisch, gegenkulturell, 26 Dabei entsteht vor allem in den Arbeiten von Heiner Keupp u. a. der Eindruck der Kontrastierung von vormodernen Gesellschaften und ihren angenommenen statisch-hierarchisch geordneten Sozialstrukturen mit einer radikalen Enttraditionalisierung und Individualisierung der Lebensformen in spät- bzw. postmodernen westlichen Gesellschaften (z. B. Keupp 1988; Keupp 1994; Keupp,/Ahbe/Gmür et al. 2006).

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alternativ-religiös oder säkular Trungpa gewesen sei. Eine Bestimmung seiner Identität in diesem Sinne scheint jedoch fragwürdig, berücksichtigt man die Überlegungen zu »hybriden« oder »beweglichen« Identitäten im Anschluss an Andreas Reckwitz (2008 f: 103) und Stuart Hall (1994a: 182 f). Das Leben und Wirken in verschiedenen heterogenen kulturellen Kontexten, wie es für Chögyam Trungpa kennzeichnend war, kann im Sinne eines Lebens im Bereich kultureller Interferenzen konzeptualisiert werden. Die von Trungpa vermittelten Lehren und Praktiken – und hier vor allem die Shambhala-Vision und ihre Umsetzung – lassen sich so als ein innovatives Wissens- und Praxisfeld begreifen, das aus der Situation kultureller Interferenz hervorgegangen ist und Elemente der verschiedenen kulturellen Kontexte gleichermaßen umfasst.

7.2

Kulturelle Interferenzen und die Innovation neuer Wissensund Praxisordnungen

Kulturelle Interferenzen konfrontieren den Akteur mit einer Situation interpretativer Ambivalenz. Durch die Überlagerung unterschiedlicher Wissensordnungen scheinen Handlungssituationen, die eigene Person und die soziale Zugehörigkeit nicht eindeutig bestimmbar. Abhängig davon, auf welche lebensweltlichen Wissensordnungen ein Akteur zurückgreift, sind unterschiedliche Sinnzuweisungen und Handlungsoptionen möglich. Akteure können mit verschiedenen Strategien auf die durch kulturelle Interferenzen hervorgerufene interpretative Un- oder Unterbestimmtheit reagieren.27 Die erste Strategie besteht in der Innovation im Sinne einer Rekombination von Elementen verschiedener lebensweltlicher Wissensordnungen zu neuartigen lebensweltlichen Wissensordnungen und Komplexen von sozialen Praktiken, in die verschiedene alte Sinnelemente in veränderter Bedeutung eingehen.28 Eine zweite mögliche Strategie läuft auf eine Kompartmentalisierung der unterschiedlichen lebensweltlichen Wissensvorräte und ihre geregelte Anwendung in jeweils spezifischen separaten Bereichen sozialer Praxis hinaus. Die dritte mögliche Variante des Umgangs mit kulturellen Interferenzen, die nicht notwendig einer bewusst intendierten Strategie der Akteure entspricht, ist die Stabilisierung von interpretativer Ambivalenz und Handlungsunsicherheit, die sich in der diffusen, un-

27 Reckwitz entwirft hier heuristisch drei mögliche Szenarien des Umgangs von sozialen Akteuren mit kulturellen Interferenzen (vgl. Reckwitz 2008e: 87). 28 Dieser Vorgang ist von anderen Theoretikern als »Kreolisierung« (Hannerz 1987) und »Hybridisierung« (Nederveen Pieterse 1994) bezeichnet worden.

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geregelten Anwendung unterschiedlicher Sinnhorizonte in sozialen Situationen und Interaktionen zeigt (vgl. Reckwitz 2008e: 87).29 Die erstgenannte Variante des Umgangs mit interpretativer Ambivalenz im Kontext kultureller Interferenzen im Sinne einer Innovationsstrategie geht nicht davon aus, dass ein sozialer Akteur de novo neue Sinnmuster kreiert, die in keinerlei Beziehung zu schon bestehenden Wissensordnungen stehen. Wie Reckwitz betont, sind Sinninnovationen – und damit verknüpfte mögliche innovative Wissensordnungen und neue kulturelle Praktiken – nur als Rekombination verschiedener, bereits bestehender und dem Akteur gleichermaßen verfügbarer, sich mental überlagernder Sinnmuster verstehbar (vgl. Reckwitz 2006: 640). Kulturelle Interferenzen und die damit einhergehende interpretative Unterbestimmtheit sozialer Situationen können zu kultureller Destabilisierung, Handlungskrisen und zu Sinninnovation qua Rekombination alter Sinnelemente führen und stellen somit die Bedingungen für kulturellen Wandel her. Ob sich dieser Wandel tatsächlich vollzieht und die innovativen Sinnelemente den Status übersubjektiver und übersituativer Wissensordnungen und Handlungsmuster erlangen, ist abhängig von verschiedenen sozialen Selektionsmechanismen. Mögliche selektionsfördernde oder selektionshemmende Faktoren sind das Vorhandensein einschränkender beziehungsweise dynamikfördernder sozialer Normen, die Ausstattung mit Ressourcen und Machtpositionen der Wandlungsträger sowie der Zugang zu und die Verfügbarkeit über Kommunikationsmedien (vgl. Reckwitz 2006: 642).

Shambhala Training als innovatives Wissens- und Praxisfeld Im Anschluss an Andreas Reckwitz Überlegungen zu kulturellen Interferenzen als möglichen Faktor für kulturelle Dynamik kann Chögyam Trungpas Shambhala-Vision und ihre Umsetzung im Kontext der von ihm begründeten Gemeinschaft als ein solches innovatives Wissens- und Praxisfeld betrachtet werden (vgl. Reckwitz 2006: 617 – 643; 2008e: 86 f). Es ist aus einer Situation kultureller Dynamik hervorgegangen – bedingt durch transkulturelle Flüsse von Akteuren, Vorstellungen, Praktiken und materiellen Formen – und hat den Status übersubjektiver und übersituativer Wissensordnungen und Handlungsmuster erlangt. Welche strukturellen Faktoren dabei eine Rolle gespielt haben, soll im Folgenden eingehender analysiert werden. Wie oben dargestellt, hat 29 Reckwitz Ausführungen zu kulturellen Interferenzen sind innerhalb seines Entwurfes einer Kulturtheorie zu verorten, die kulturelle Reproduktion und kulturelle Dynamik gleichermaßen berücksichtigt (vgl. Reckwitz 2006: 617 – 643).

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Reckwitz drei mögliche Szenarien für den Umgang von Akteuren mit einer Situation kultureller Interferenz skizziert. Eine mögliche Reaktion auf eine solche Situation war die Innovation qua Rekombination von Elementen verschiedener lebensweltlicher Wissensordnungen zu neuartigen Wissensordnungen und Praxiskomplexen, in die verschiedene Sinn- und Praxiselemente aus bestehenden Zusammenhängen in veränderter Form eingehen. Eine solche Neusynthetisierung von verschiedenen Elementen und Sinninnovationen durch Neudeutungen alter Sinnmuster konnte in der Herausbildung von Shambhala Training und der Deklaration desselben als säkularen heiligen Erleuchtungsweg für den modernen Menschen der Gegenwart beobachtet werden. Im Sinne von Arjun Appadurais Konzept der Ethnoscapes lässt sich Trungpa als ein transkultureller Akteur begreifen (vgl. Appadurai 1990), der mit einer Situation kultureller Interferenz konfrontiert war. Wie gezeigt wurde, vereinen die Lehren und Praktiken des Shambhala-Pfads Elemente aus verschiedenen kulturellen Kontexten und können somit als ein Produkt transkultureller Flüsse betrachtet werden: In der Darstellung der Shambhala-Vision finden verschiedene tibetische Termini Verwendung (z. B. Sakyong, Rigden, Dorje Kasung, Dekyong etc.), auch wenn der Rückgriff auf buddhistische Begriffe weitestgehend vermieden wird. Die Shambhala-Lehren weisen deutliche Parallelen und Analogien zu buddhistischen Konzepten auf, die als säkularisierte Variationen in neuen Begriffen und Metaphern vermittelt werden. Zum Beispiel wird der buddhistische Weg des Bodhisattvas hier als säkularer, aber heiliger Pfad des Kriegers präsentiert. Dieser führe zur Transformation des Selbst und bilde so die Voraussetzung zu einer Transformation der Gesellschaft. Dabei handelt es sich um einen Ansatz, der vor allem im alternativ-religiösen Kontext der 1960/70er Jahre weit verbreitet war. Die hierarchische Struktur und das Konzept des KalapaHofes orientieren sich an der britischen Monarchie. Diese Ausrichtung wird sogar in ästhetischen Formationen, wie z. B. Anstecknadeln und Uniformen, sichtbar. Die Shambhala-Terma und die Shambhala-Chants erinnern in Stil und Struktur an liturgische Texte des tantrischen Buddhismus, während die Shambhala-Hymne zur Melodie eines irischen Marschliedes gesungen wird. Der Aufbau von Shambhala Training als mehrstufiges Wochenendprogramm, das in einen Einweihungsweg mündet, weist ebenfalls Parallelen zu tantrischen Einweihungspraktiken auf. Gleichzeitig greift Shambhala Training durch die Gestaltung als Wochenendseminare eine Vermittlungsform auf, die sich seit den 1960/70er Jahren zunehmend im alternativ-religiösen Spektrum etabliert hat. Die Praxis der Sitz- und Gehmeditation wird in Anlehnung an Zen-buddhistische Praktiken aus Japan gestaltet, während der Schrei des Shambhala-Kriegers an den tibetischen Ruf ki ki so so lhal gyel lho angelehnt ist. Diese Aufzählung von Elementen aus verschiedenen kulturellen Kontexten, die in die Lehren und Praktiken sowie die ästhetische Dimension von Shambhala Training Eingang

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gefunden haben, ließe sich um zahlreiche weitere Beispiele erweitern. Aus dieser Rekombination von vorhandenen Wissens- und Praxismustern resultiert jedoch nicht zwangsläufig ein Prozess kulturellen Wandels, der sich auf einer übersubjektiven und übersituativen Ebene von Wissensordnungen und Komplexen von sozialen Praktiken manifestiert und verstetigt. Wie Reckwitz betont, hänge der tatsächliche Vollzug von kulturellen Wandlungsprozessen von verschiedenen sozialen Selektionsmechanismen ab. Drei mögliche selektionsfördernde oder selektionshemmende Faktoren wurden von ihm benannt: (1) das Vorhandensein einschränkender oder dynamikfördernder sozialer Normen, (2) die Verfügbarkeit von Ressourcen und die daraus resultierenden Machtpositionen der Wandlungsträger und schließlich (3) die Existenz und der Zugang zu Kommunikationsmedien (vgl. Reckwitz 2006: 642). Im Folgenden sollen die selektionsbegünstigenden Faktoren bei der Genese und Etablierung von Shambhala Training herausgearbeitet werden. (1) Chögyam Trungpa und die Mitglieder seiner Gemeinschaft lassen sich dem alternativ-religiösen Segment der nordamerikanischen Counterculture zurechnen. Dieses Milieu war durch verschiedene Formen des kulturellen Dissens und eine Offenheit gegenüber nonkonformistischem Verhalten und alternativen Ansätzen jenseits der christlichen Denominationen geprägt. Die in diesem Feld agierenden Akteure zeigten somit eine gewisse Disposition zu neuen Ansätzen, insbesondere zu östlich inspirierten Lehren und Praktiken, wie sie von Trungpa präsentiert wurden. Das gegenkulturelle Umfeld der 1970er Jahre war demnach durch dynamikfreundliche soziale Normen geprägt, die Innovationen potentiell positiv sanktionierten. Trungpas Shambhala-Lehren zeigten zudem an vielen Stellen deutliche Verschränkungen mit zeitgenössischen Diskursen zu Religion. Dazu zählte die Präsentation von Shambhala Training als säkularen Pfad, dessen Lehren und Praktiken auf einem universalen Fundament basieren und der den Menschen, sein Selbst, sein Leben und die Welt sakralisiert. Zudem setzte die Shambhala-Vision beim einzelnen Individuum an, um eine Transformation des Selbst und der Gesellschaft zu ermöglichen. Damit griff Trungpa verschiedene Elemente und Deutungsmuster auf, die im gegenkulturellen und alternativ-religiösen Milieu eine gewisse Popularität besaßen. Durch diesen Rekurs auf verbreitete und naturalisierte Deutungsmuster dominanter Diskurse konnten Trungpas Innovationen von seinem Umfeld akzeptiert und schließlich etabliert werden. (2) Trungpa befand sich durch sein symbolisches Kapital als tibetisch-buddhistischer religiöser Spezialist in einer privilegierten Position. Dieser Umstand traf bereits auf seine Rolle als Tülku und Abt eines Klosterkomplexes in Tibet zu. Auch im westlichen Kontext konnte Trungpa von dieser Ressource zehren, galten asiatische und buddhistische Gelehrte doch vor allem im alternativ-religiösen Spektrum der 1960/70er Jahre als authentische Vertreter und Bewahrer einer

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östlichen Spiritualität und Weisheit, die dem als rational und materialistisch stigmatisierten Westen abhanden gekommen sei. In diesem Sinne hatte Trungpa einen gewissen symbolischen »Kapitalvorschuss«, der ihm Zugang zu prominenten Akteuren des gegenkulturellen Feldes in Nordamerika eröffnete und ihm so die Herausbildung eines umfangreichen sozialen Netzwerkes ermöglichte. Seine Position als tibetisch-buddhistischer Experte wurde zudem durch seine Bekanntheit als Autor einschlägiger Publikationen wie Meditation in Action (1969) gestärkt, was sich auch in dem regen Zulauf zeigte, den Trungpas öffentliche Vorträge erfuhren. Trungpa kann hier also als Akteur mit einer Sprecherposition in der Diskursarena zu den Themen Religion, Buddhismus und Meditation betrachtet werden. Zusätzlich profitierte Trungpa von seinen guten Kenntnissen der englischen Sprache und der westlichen Lebensweise, die sich als eine Form des kulturellen Kapitals betrachten lassen. Das Beherrschen des Englischen erlaubte es ihm, ohne Übersetzer direkt mit seinen Schülern in ihrer eigenen Sprache zu kommunizieren. Unter diesen Voraussetzungen war es Trungpa möglich, innerhalb kurzer Zeit einen Kreis von engagierten Schülern und Förderern um sich zu sammeln, die ihn beim Aufbau eines ausgedehnten Netzwerks von Meditationszentren und weiteren Angeboten und Organisationen (z. B. Naropa Institue, Ashoka Credit Union u. a.) unterstützten. Im Zuge der Institutionalisierung von Vajradhatu war ab Mitte der 1970er Jahre auf der Ebene der Mitglieder eine Transformation von der gegenkulturellen Hippie- und Drogenkultur zum mittelständischen Bürgertum zu beobachten. So konnte eine solide ökonomische Grundlage für die Finanzierung der Gemeinschaft und die zahlreichen Aktivitäten Trungpas geschaffen werden. Der finanzielle Wohlstand zeigte sich auch an der materiellen Ausstattung und typischen Statussymbolen wie teuren Autos und maßgeschneiderter Kleidung. Trungpas Status als tibetisch-buddhistischer Experte, seine Bekanntheit als Autor und Vortragsredner, seine Kenntnisse der englischen Sprache, seine zahlreichen Kontakte zu Persönlichkeiten der amerikanischen Counterculture, sein Netzwerk aus verschiedenen Organisationen sowie seine breite Gefolgschaft aus engagierten Schülern zeigen Trungpa als einen sozialen Akteur, der über eine umfangreiche Ausstattung mit ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital verfügte. Pierre Bourdieu zufolge transformieren sich diese drei Kapitalformen in der sinnhaften Wahrnehmung durch Akteure in symbolisches Kapital (vgl. Bourdieu 2006b: 151), das mit Machtwirkungen versehen ist (vgl. Kajetzke 2008: 59 – 64). Symbolisches Kapital lässt sich als soziale Legitimation betrachten, die Akteure einem anderen Akteur und seinen Handlungen oder seinem Besitz in einem Feld entgegenbringen, weshalb Bourdieu symbolisches Kapital auch als »Kapital an Ehre und Prestige« (Bourdieu 1979: 348) beschrieben hat. Das hohe symbolische Kapital, über das Trungpa mittels der

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Anerkennung durch seine Schüler, Förderer und Weggefährten verfügte, ermöglichte es ihm, Neusynthetisierungen vorzunehmen und diese mit Legitimation zu versehen. Trungpas Ressourcenausstattung – d. h. sein kulturelles, ökonomisches, soziales und symbolisches Kapital – gewährte ihm eine Machtposition innerhalb des buddhistischen Felds im Westen, die von zahlreichen Akteuren in diesem Feld als legitim anerkannt wurde. Diese Stellung im Feld garantierte die Legitimation für Trungpas Innovationen in Lehre und Praxis. Im Sinne von Andreas Reckwitz dynamikfreundlichen sozialen Selektionsmechanismen lässt sich Chögyam Trungpa als Wandlungsträger betrachten, der mit entsprechenden Ressourcen und der daraus resultierenden Machtposition ausgestattet war und so Reinterpretationen und Innovationen initiieren, legitimieren und verstetigen konnte. (3) Der Prozess der Verstetigung von Innovationen, d. h. der tatsächliche Vollzug von Wandlungsprozessen auf übersubjektiver und übersituativer Ebene, ist Reckwitz zufolge abhängig von der Existenz und dem Zugang zu Kommunikationsmedien, durch die eine breite Streuung von Wissens- und Praxisformationen ermöglicht wird. Bei der Vermittlung und Verbreitung der ShambhalaLehren und Praktiken konnte Trungpa auf das bereits bestehende Netzwerk aus Meditationszentren und weiteren Organisationen zurückgreifen. Die Distribution von Informationen und Angeboten erfolgte über die etablierten internen Informationskanäle, wie beispielsweise Mitgliederzeitschriften und Mitteilungsblätter. Darüber hinaus hatte Trungpa Verbindungen zu Shambhala Publications, ein Verlag der u. a. von einem Förderer und Schüler seiner Gemeinschaft mitbegründet worden war. Der Verlag war von 1976 bis 1985 in Boulder, Colorado, und damit in unmittelbarer Nähe zum Hauptsitz von Vajradhatu und dem Naropa Institute angesiedelt. Diese personelle und lokale Verbindung zum Verlag ermöglichte Trungpa Zugang zu einem etablierten Publikations- und Distributionsorgan für seine Schriften und Bücher. Trungpas Status als tibetischer religiöser Spezialist und seine zahlreichen Kontakte zu Künstlern, Wissenschaftlern und anderen Kulturschaffenden öffneten ihm die Türen zu Hörsälen von Universitäten sowie Ausstellungsräumen in Museen und Galerien, um seine Ideen und künstlerischen Arbeiten vor einem breiten Publikum zu präsentieren. Damit scheint auch das dritte Kriterium, die Existenz von und der Zugang zu Kommunikationsmedien, im Falle von Trungpas Präsentation der Shambhala-Lehren erfüllt gewesen zu sein. Trungpas Versuch der Vermittlung der Shambhala-Lehren und die Etablierung von Shambhala Training waren also durch dynamikfreundliche und selektionsfördernde Faktoren gestützt. Den drei von Reckwitz benannten Faktoren lässt sich ein vierter Faktor hinzufügen, der die übersituative und übersubjektive Verstetigung von Trungpas Innovationen begünstigte, nämlich die Anschlussfähigkeit an dominante zeitgenössische Diskursformationen. In

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Trungpas Konzeption der Shambhala-Lehren und des Shambhala-Weges lassen sich Deutungsmuster herausarbeiten, die auf eine Verschränkung seines Ansatzes mit Elementen zeitgenössischer Diskurse um Religion und Gesellschaft verweisen, wie exemplarisch an vier Beispielen aufgezeigt werden soll. Dabei handelt es sich (1) um die Interpretation der Shambhala-Lehren als universal beziehungsweise inklusiv, (2) um die Deutung von Shambhala Training als säkular, (3) um eine Sakralisierung und positive Affirmation des Menschen und der Welt durch die Shambhala-Lehren und (4) um den Rekurs auf das autonome Selbst als zentraler Handlungsinstanz, der verknüpft ist mit einer Vision der Transformation der Gesellschaft, die beim einzelnen Individuum ansetzt. (1) In Trungpas Entwurf der Shambhala-Lehren erfolgt eine Herauslösung von Vorstellungen und Praktiken aus spezifischen religiösen beziehungsweise kulturellen Kontexten, die mit einer Universalisierung dieser Vorstellungen und Praktiken einhergeht. Dabei handelt es sich um einen Prozess der (Re-)Interpretation vorhandener Wissensbestände und Praktiken, der sich auch in anderen Bereichen der religiösen Landschaft der zweiten Hälfte des 20. Jh. beobachten lässt.30 Laut Trungpa basiert die Weisheit der Shambhala-Lehren auf einem Wissen, das von ihm nicht als partikular im Sinne einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Kultur bestimmt wird, sondern die ShambhalaLehren fußen nach seinem Verständnis auf einem Wissen, das als universal gedacht wird. Die Universalisierung erfolgt hier durch den zentralen Bezug auf die kultur- und religionsübergreifende Kategorie des Menschen (vgl. Trungpa 1988: 27; 2001: 133). Tendenzen zur Universalisierung religiöser Wahrheiten, die als geheimes Wissen gedeutet wurden, das hinter den religiösen Lehren und Dogmen institutionalisierter Religionen verborgen sei, fanden sich bereits in theosophischen Kreisen und haben durch die breite Streuung theosophischer Ansätze und Ideen in alternativ-religiösen Kreisen des 20. Jh. nachhaltige Wirkungen entfaltet (vgl. Bochinger 1995: 385ff; Heelas 1996: 27 f). Durch diese Deutung wird die so verstandene universale Basis der Weisheit dem alleinigen Zugriff einer religiösen Institution beziehungsweise der Inanspruchnahme durch eine bestimmte Kultur entzogen. So können die Lehren, die auf diesem als universal gedachtem Wissen basieren, sich inklusiv an ein breiteres Spektrum von potentiellen Akteuren richten und auf diese Weise auch Akteure einschließen, die bereits religiös gebunden sind oder kein dezidiertes Interesse an Reli-

30 Wie Christoph Bochinger zeigt, finden sich ähnliche Prozesse der (Re-)Interpretation auch bei Akteuren, die in der Forschung im sog. New Age-Kontext verortet werden (vgl. Bochinger 1995: 389). Für ein weiteres prominentes Beispiel siehe die modernistischen Varianten der Interpretation des sog. Tibetischen Totenbuches und der damit verknüpften Universalisierung tibetisch-buddhistischer Praktiken (vgl. Rakow 2008).

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gion haben.31 Sie stellen somit ein Angebot speziell für Akteure dar, die einer säkularen beziehungsweise einer religiös-pluralen Gesellschaft entstammen. (2) Der Rekurs auf eine universale Weisheit, die den Shambhala-Lehren zugrunde liegt und auf die Kultivierung des Menschseins zielt, lässt sich innerhalb des modernen, westlichen Religionsdiskurs des 19. und 20. Jh. verorten, für den eine Dichotomisierung zwischen den sich gegenseitig ausschließenden Polen »religiös« und »säkular« kennzeichnend war (vgl. King 2002: 35ff).32 Deutlich wird der Einfluss des modernen Religionsdiskurses im Selbstverständnis von westlichen Staaten und deren Trennung zwischen religiöser und säkularer Sphäre und der damit verknüpften Verortung von Religion im Privatleben (vgl. Zinser 2010: 127ff). Diese Positionen sind insbesondere in den 1970er Jahren im Zuge der Debatte um eine zunehmende Säkularisierung auch öffentlich thematisiert worden (vgl. Fox 2007: 291ff). In Trungpas Konzeption stellt Shambhala Training einen säkularen Weg dar, der sich von einem religiösen beziehungsweise hier speziell dem buddhistischen Weg unterscheidet und sich an den modernen Menschen der Gegenwart richtet, unabhängig von seiner religiösen Zugehörigkeit (vgl. Trungpa 1988: 27 f; 2001: 133). Offensichtlich wird dieser Ansatz in den Worten Trungpas, als er die Ausrichtung von Shambhala Training in einem Brief an die Programmdirektoren von Shambhala Training wie folgt charakterisierte: »[W]e are going to be secular rather than spiritual« (Trungpa zitiert nach Gimian 2005: 342). Im gleichen Brief forderte Trungpa jedoch auch, dass die Botschaft von Shambhala Training mehr bieten müsse als einen »säkularisierten Buddhismus.«33 An anderer Stelle beschreibt Trungpa das legendäre Königreich von Shambhala als Ideal einer »säkularen Erleuchtung« (Trungpa 1988: 27).34 In einem gesellschaftlichen Kontext, in dem die Trennung zwischen religiöser und säkularer Sphäre positiv sanktioniert wird, können die Lehren und Praktiken durch das Verständnis als säkular ohne weiteres als relevant für und integrierbar in das gesamte Alltagsleben dargestellt werden. Die Lehren und Praktiken des Shambhala-Weges richten sich demnach nicht auf eine spezifische Sphäre des Lebens des modernen Menschen, die mit dem Attribut religiös umrissen wird, und sie verlangen daher auch keine Abwendung vom weltlichen Leben beziehungsweise eine Separierung vom All-

31 Ähnliche Überlegungen gibt es zum Verständnis von Wissen als inklusiv im sog. New Age (vgl. Heelas 1996: 219). 32 Mit der Dichotomisierung von religiös und säkular sind weitere binäre Trennungen verknüpft wie z. B. heilig/profan und privat/öffentlich (vgl. auch McDannell 1995: 4). 33 »Buddhism going secular« (Trungpa zitiert nach Gimian 2005: 342). 34 So äußerte sich Trungpa auch 1982 in New York: »The world is not going to be saved by religion alone, but the world can be saved also by secular enlightenment as well. So that is the meaning of Shambhala« (zitiert nach Shambhala 2003: 36).

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tagsleben.35 Hier wird ein sehr spezifisches Verständnis des Begriffs Religion bei Trungpa offenbar : Religion scheint in Trungpas Verwendung eng verknüpft zu sein mit dem Bezug auf religiöse Institutionen und benennbare historische Traditionen, wie dies im modernen, westlichen Konzept der Weltreligionen der Fall ist. Trungpas Sichtweise eines religiösen Lebens scheint vor allem im Sinne eines Lebens als religiöser Experte verstanden zu werden, der sich außerhalb des gesellschaftlichen Alltagslebens bewegt. Diese Trennung von religiöser und säkularer Lebensorientierung beziehungsweise von religiöser und säkularer Sphäre des Lebens sowie das Verständnis von Religion als tradierter Institution zeigen den Einfluss des westlichen Diskurses um Religion auf Trungpas Konzeption von Shambhala Training. Wenn Peter L. Berger als zeitgenössischer Beobachter der religiösen Landschaft in den USA im Jahr 1967 bemerkte, dass »[a]lle religiösen Institutionen, die sich an dem Markt des oberen Mittelstands in den Vereinigten Staaten orientieren, […] einem Zwang zur Säkularisierung und Psychologisierung ihrer Produkte« (Berger 1973: 141) unterliegen würden, um erfolgreich zu sein, so lässt sich Trungpas Strategie der Interpretation und Präsentation der Shambhala-Vision als säkular vor diesem breiteren Kontext eines religiösen Marktes verorten. Trungpas Shambhala-Lehren verkünden eine säkularisierte Variante des Buddhismus, die weitestgehend auf Termini verzichtet, die mit buddhistischen Konzepten und Lehren verbunden sind. Hier lässt sich der Einfluss des modernen Diskurses westlicher Staaten vermuten, der zwischen religiös und säkular differenziert, Religion im Privatleben verortet und diese Trennung naturalisiert. Um Relevanz nicht nur für einen beschränkten, vor allem privaten Bereich im Leben eines modernen, nordamerikanischen Bürgers beanspruchen zu können, muss an vorhandene bekannte und positiv sanktionierte Deutungsmuster angeknüpft werden. Daher kann es vorteilhaft sein, die Ansätze und Praktiken nicht dezidiert als religiös zu designieren. Trungpa griff alternativ auf Begriffe zurück, die häufig eine Nähe zu psychologischen Konzepten aufweisen. So spricht er beispielsweise an verschiedenen Stellen von der Überwindung von Neurosen, Aggression und Furcht im Sinne einer Selbstmodifikation, die durch Shambhala Training möglich sei (vgl. Trungpa 1988: 47ff, 118; 2001: 64 f, 118, 128ff). Auch in dieser Hinsicht entspricht Trungpas Entwurf den Kriterien, die Peter L. Berger Ende der 1960er Jahre als Beobachter der Szene als notwendige Bedingung erachtete, um auf dem religiösen Markt Nordamerikas erfolgreich zu sein. (3) In Trungpas Shambhala-Vision lässt sich trotz des Selbstverständnisses als säkular eine Sakralisierung der Welt und des Lebens beobachten, die nicht an Religion oder Religiosität rückgebunden wird. Heiligkeit wird von ihm universal 35 Ein ähnliches Verständnis des Alltagslebens findet sich auch bei anderen Akteuren des alternativ-religiösen Spektrums (vgl. Sutcliffe 2003: 217).

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Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert

als grundlegende, unbedingte inhärente Qualität des Lebens und der Welt beschrieben (vgl. Trungpa 1988: 127; 2001: 89, 196). Die Charakterisierung der Shambhala-Vision als säkular und heilig schließt sich bei Trungpa demnach nicht aus: »In Shambhala Vision, we don’t separate the secular from the sacred at all.«36 Die Deskription und Deutung des Lebens, der Welt, der Natur oder des Selbst als sakral, unabhängig von konkreten Bezügen auf tradierte, historische Religionen, hat Vorläufer und Parallelen in der westlichen alternativ-religiösen Kultur des 19. und 20. Jh. (vgl. Lynch 2007: 53ff).37 Robert Wuthnow verortet die Verschiebungen im Verständnis und Sprachgebrauch des Begriffs »heilig« im Kontext des modernen Säkularisierungsdiskurses: »Over a longer period, scholars have talked about the decline of the sacred, seeing it being replaced by secularity, but have failed to see fully how understandings of the sacred were changing« (Wuthnow 1998: 3). Ähnlich äußert sich der britische Religionsphilosoph und Theologe Don Cupitt als Beobachter der zeitgenössischen religiösen Landschaft. Cupitt zufolge geht der Prozess, der von Forschern als »Säkularisierung von Religion« beschrieben wurde, mit einem gleichzeitig erfolgenden Prozess der »Sakralisierung des Lebens« (Cupitt 1999: 2) einher. Auch Gordon Lynch beobachtete ab den 1960/70er Jahren eine Rückkehr der Begriffe »Spiritualität« und »heilig« in den öffentlichen Diskurs (vgl. Lynch 2007: 30). Die Sakralisierung des Selbst, des Lebens und der Welt, die sich vor allem im religiösprogressiven Milieu38 und im alternativ-religiösen Spektrum finden lässt, ist mit einer affirmativen Haltung gegenüber sich selbst, dem Leben und der Welt verknüpft (vgl. Heelas 1996: 29ff; Lynch 2007: 53ff). Trungpas ShambhalaVision zeigt hier ebenfalls Parallelen zu zeitgenössischen Ansätzen. Die affirmative Seite der Shambhala-Lehren kommt nicht nur in der Vorstellung des Selbst und der Welt als heilig zum Ausdruck, sondern auch im Konzept der grundlegenden Gutheit, die jedem Menschen inhärent sei und nur von ihm entdeckt und verwirklicht werden müsse (vgl. Trungpa 1988: 29ff). (4) Trungpas Shambhala-Vision setzt beim einzelnen Individuum an, dessen grundlegende Natur gut und heilig sei. Der Ansatz der Shambhala-Lehren, der auf einem Erkennen und Verwirklichen dieser grundlegenden Gutheit des Einzelnen basiert, knüpft an moderne Vorstellungen des autonomen Selbst als zentrale Handlungs- und Deutungsinstanz an. Die Deutung des Selbst, des Le36 So Trungpa laut einem Hinayana Mahayana Seminary Transcript »Exertion and Meditation« von 1978; zitiert nach Shambhala Europe und Shambhala International (2006: 8). 37 Dieses Deutungsschema ist bereits in der Romantik und bei den amerikanischen Transzendentalisten zu finden (vgl. Heelas 1996: 41 f). 38 Als religiös-progressives Milieu bezeichnet Gordon Lynch eine Spektrum, das verschiedene religiöse Traditionen in der Moderne sowie das alternativ-religiöse Milieu durchziehe und sich somit auch im Bereich des institutionellen Christentums finden lasse (vgl. Lynch 2007: 19 f).

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Kulturelle Interferenzen

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bens und der Welt als heilig ohne Rückbezug auf eine konkrete religiöse Tradition lässt sich zudem als ein Effekt des modernen Diskurses um Religion verstehen, der vor allem im alternativ-religiösen Spektrum mit einer Abwendung von einem spezifischen Konzept von Religion verbunden ist. Der Begriff Religion wird hier vorrangig auf historisch tradierte und institutionalisierte Formen von Religion und deren Dogmen bezogen. Gleichzeitig ist dieses kulturelle Milieu durch eine Kritik an und Ferne zu den etablierten religiösen Institutionen und tradierten Dogmen gekennzeichnet (vgl. Sutcliffe 2003: 200ff; Knoblauch 2005; Lynch 2007: 63 f). Der Begriff Religion wird von Akteuren in diesem Spektrum z. T. negativ belegt und zunehmend durch den Rekurs auf Konzepte wie persönliche Erfahrung, Mystik, Heiligkeit und Spiritualität ersetzt (vgl. Bochinger 1995: 385ff; King 2007; Lynch 2007: 111 f).39 Diese Differenzierung zwischen tradierter, institutionalisierter Religion und subjektiver, auf das Selbst und die eigenen Erfahrung bezogener Spiritualität beschreiben die britischen Religionswissenschaftler Linda Woodhead und Paul Heelas als »lifeas religion« und »subjective-life spirituality« (Woodhead/Heelas 2005: 5 f). Während die Orientierung der eigenen Lebensführung im Sinne eines »life-as« durch ein Leben nach externen Regularien, wie den religiösen Dogmen tradierter Institutionen, charakterisiert wird, sei eine subjektiv orientierte Lebensführung im Sinne eines »subjective-life« durch den Bezug auf das eigene Selbst als autoritative Quelle gekennzeichnet. Mit diesem Beschreibungsmuster knüpfen Heelas und Woodhead an Narrative an, die einerseits von Akteuren im alternativ-religiösen Spektrum genutzt werden und andererseits auf breitere kulturelle Trends verweisen.40 Die in der Moderne zu beobachtende verstärkte Betonung des eigenen Selbst als wichtigstem Referenzrahmen und der Rekurs auf die Autonomie des Individuums sind von dem Soziologen Nikolas Rose als »Regime des Selbst« (Rose 1996: 1) und von Charles Taylor als »massive subjective turn of modern culture« (Taylor 1991: 26) beschrieben worden. Der zentrale Bezug auf das eigene Selbst wird auch in Trungpas Shambhala-Vision 39 In Trungpas Sprachgebrauch scheinen die Begriffe Spiritualität und spirituell noch eng verknüpft mit den Begriffen Religion und religiös. Die deutliche Differenzierung zwischen Religion – verstanden als historischer, tradierter Institution mit vorgeschriebenen Dogmen und Ritualen – und Spiritualität – verstanden als eine Dimension des menschlichen Lebens und Erfahrens, die losgelöst ist von institutionalisierter Religion –, die heute häufig von Akteuren relativ selbstverständlich gemacht wird, scheint bei Trungpa in den 1970/80er Jahren noch nicht gegeben zu sein. Heute ist es innerhalb der Gemeinschaft üblich, Shambhala Training als säkularen, spirituellen Weg zu beschreiben, wie in Broschüren und Dokumenten deutlich wird (z. B. Shambhala o. J.: 5). 40 Die von Woodhead und Heelas genutzten Kategorien »life-as religion« und »subjective-life spiritualities« bieten gute Beschreibungsmuster für die von Akteuren verwendeten Deutungen. Als analytische Kategorien halte ich sie jedoch nicht für geeignet, schreiben sie doch auf der analytischen Ebene die im religiösen Diskurs konstruierten Deutungsmuster als faktisch gegeben fort.

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Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert

deutlich, die beim einzelnen Individuum ansetzt, das seine grundlegende Gutheit entdecken und verwirklichen muss, um authentische Präsenz zu erlangen. Diese Ausrichtung verschiedener Ansätze und transformativer Praktiken auf das Selbst des Einzelnen in der alternativ-religiösen Kultur ab den 1960er Jahren hat Paul Heelas als »self spirituality« bezeichnet (vgl. Heelas 1996: 15 – 40). Erst auf der Basis der Selbsterkenntnis und Selbsttransformation wird der Einzelne ermächtigt, ein gutes und angemessenes Lebens zu führen und in die Gesellschaft hinein zu wirken. Die Transformation des Selbst ist damit die Voraussetzung, um als Einzelner zu einer Veränderung der Gesellschaft beitragen zu können. Ein Wandel der Gesellschaft wird als notwendig konstatiert, da die Gegenwart als defizitär und krisenhaft wahrgenommen und beschrieben wird (vgl. Trungpa 1988: 28, 33, 130ff, 145 f). Das Narrativ der Krise und der sich daraus ergebenden notwendigen Transformation der Gesellschaft ist im alternativ-religiösen Kontext stark verbreitet und von zentraler Bedeutung (vgl. Bochinger 1995: 448ff, 502 f, 506 f). Damit weist Trungpas Konzeption des Shambhala-Weges auch hier deutliche Parallelen zu anderen zeitgenössischen Ansätzen auf. Trungpas Präsentation von Shambhala Training lässt also eine deutliche Verschränkung mit bereits etablierten, zeitgenössischen Deutungsmustern und Diskursen zu Religion und Gesellschaft erkennen. Deutlich wurde dies in der Interpretation von Shambhala Training als säkularer Pfad, dessen Lehren und Praktiken auf einem universalen Fundament basieren und der den Menschen, sein Selbst, sein Leben und die Welt sakralisiert. Darüber hinaus setzt dieser säkulare Erleuchtungsweg beim einzelnen Individuum an, um eine Transformation des Selbst und der Gesellschaft zu ermöglichen, worin sich ebenfalls der Rückgriff bereits vorhandene Deutungsmuster zeigt. Auch in dieser Anschlussfähigkeit an bestehende Diskursfelder zeigt sich die Transkulturalität Trungpas als religiöser Akteur und der von ihm vermittelten Lehren und Praktiken Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass durch diese vier dynamikfreundlichen und selektionsfördernden Faktoren eine Situation geschaffen wurde, die eine Etablierung von Trungpas Lehren und Praktiken wie auch der materiellen Formen auf einer übersituativen und übersubjektiven Ebene begünstigte. Für einen bestimmten Kreis von Akteuren haben die von ihm etablierten Wissensordnungen und Komplexe von sozialen Praktiken lebensweltliche Relevanz erlangt. Sie können von den betreffenden Akteuren als Handlungsanleitungen sowie als Deutungsmuster der Selbst- und Weltinterpretation herangezogen werden. Zudem etablierte Trungpa eine institutionelle Struktur und ein soziales Netzwerk von Organisationen, Gruppen und Akteuren, in dem diese Wissens- und Handlungsmuster bis heute weiter tradiert werden.

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Shambhala International als transkulturelle Organisation

7.3

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Shambhala International als transkulturelle Organisation

Die von Trungpa begründete Gemeinschaft existiert heute als internationale Organisation mit mehr als 170 Praxiszentren und Meditationsgruppen in verschiedenen Teilen der Welt.41 Auch wenn ein Großteil der Zentren in Nordamerika und Europa angesiedelt ist, lassen sich einzelne Zentren und Gruppen auch in Südamerika, Asien, Südafrika und sogar im Iran finden. Shambhala Training ist neben der buddhistischen Praxis und den kontemplativen Künsten bis heute eine der tragenden Säulen der Organisation.42 Wie einzelne Beobachter bestätigen, kommen gegenwärtig viele Akteure vor allem über die Shambhala Training-Programme zur Gemeinschaft (vgl. Swick 1996: 16, 61). Chögyam Trungpas Bücher – darunter seine Veröffentlichungen zu den Shambhala-Lehren – werden in immer neuen Auflagen in verschiedenen Sprachen publiziert, was zu einer weltweiten Vermittlung seiner Ideen – zumindest in bestimmten Akteurskreisen – und zur Gewinnung neuer Interessenten für die Gemeinschaft beizutragen vermag.43 Aus einer nordamerikanischen Organisation, begründet von einem transkulturell geprägten Akteur, ist in den letzten 25 Jahren eine international agierende, transkulturelle Gemeinschaft erwachsen. Shambhala Training – und insbesondere der Teil, der die ersten fünf Stufen umfasst – stellt durch die Konzeption als reines Meditationsangebot ohne das Erfordernis eines eindeutig religiösen Bekenntnisses bis heute für viele Akteure ein attraktives Angebot dar. Auch in der Umbenennung der Organisation in Shambhala International durch Sakyong Mipham 1995 wird der hohe Stellenwert sichtbar, der den Shambhala-Lehren innerhalb der Gemeinschaft beigemessen wird. Sie sind nicht nur ein zusätzliches Angebot neben buddhistischer Praxis und kontemplativen Künsten, sondern zum Fundament und distinktiven Alleinstellungsmerkmal der Organisation avanciert. Aus der Organisation heraus haben sich zusätzliche Kommunikationswege entwickelt, über die ein weitaus größeres Publikum jenseits der Gemeinschaft angesprochen werden kann. Im Jahr 1992 gründeten Mitglieder von Vajradhatu/ Shambhala International eine unabhängige und gemeinnützige Publikationsund Medien-Gesellschaft mit dem Namen Shambhala Sun Foundation, die von 41 Die Angabe stammt von der offiziellen Homepage von Shambhala International (http:// www.shambhala.org/about_shambhala.php, abgerufen am 21. 11. 2013). Für eine Liste aller Zentren und Gruppen von Shambhala International siehe http://www.shambhala.org/centers/ (abgerufen am 21. 11. 2013). 42 Siehe dazu auch die Angaben auf http://www.shambhala.org/shambhala-training.php und http://www.shambhala.org/path.php (abgerufen am 21. 11. 2013). 43 Trungpas Veröffentlichungen zu den Shambhala-Lehren sind u. a. ins Japanische übersetzt worden. Darüber hinaus haben englische Übersetzungen buddhistischer Texte und englischsprachige Publikationen zum Buddhismus im asiatischen Raum einen großen Einfluss (vgl. Garfield 2009).

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Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert

Trungpas Shambhala-Vision inspiriert ist. Anfänglich gab Shambhala Sun Foundation eine Gemeinschaftszeitung heraus, inzwischen vertreibt sie zwei hochwertige Zeitschriften mit großer Reichweite: Shambhala Sun und Buddhadharma: The Practitioner’s Quarterly. Während sich Buddhadharma speziell an buddhistische Praktizierende richtet, zielt Shambhala Sun eher auf einen weiteren Leserkreis. In der Selbstbeschreibung finden sich zahlreiche Elemente von Trungpas Shambhala-Vision wieder : The Shambhala Sun offers authentic teachings from the Buddhist and other contemplative traditions, and applies the wisdom born of meditative practice to all the important issues in life – from livelihood, parenting, and relationships to politics, social action, and the arts. […] Inspired by the wisdom and compassion of Buddhist practice, the Shambhala Sun is devoted to the principle that true human wisdom is not the property of any one religion or culture. Beyond distinctions of secular and sacred, the Shambhala Sun is the place where ancient wisdom shares the stage with some of today’s finest writers and thinkers. […] For us, quality writing and beautiful art are core values, expressing the sanity, clarity, and upliftedness at the heart of the wisdom traditions.44

Auch die Zeitschrift Shambhala Sun vertritt demnach einen inklusiven und universalen Ansatz, der bereits die Shambhala-Lehren Chögyam Trungpas charakterisierte. Die Verbindung zu Trungpas Shambhala-Vision wird auch auf der visuellen Ebene deutlich: Auf der Shambhala Sun-Webseite prangt direkt neben dem Titel Trungpas Design der stilisierten Sonne mit dem achtfachen Knoten im Zentrum. Die Zeitschrift Shambhala Sun gilt mit einer Auflage von ca. 70.000 Exemplaren alle zwei Monate als größte buddhistisch inspirierte Zeitschrift im englischsprachigen und internationalen Raum.45 Dadurch findet eine breite Streuung von Trungpas Ideen und Visionen auch außerhalb der von ihm begründeten Gemeinschaft statt. Der Begriff Shambhala ist somit zu einem weithin bekannten Label innerhalb des westlichen buddhistischen Feldes avanciert.

Verbindungen zur Heimatregion Chögyam Trungpas und zum exiltibetischen Feld Aus dem Kreis der Schüler Trungpas und der von ihm begründeten Organisation haben einige Akteure verstärkt Kontakt zur osttibetischen Heimat Chögyam 44 http://www.shambhalasun.com/index.php?option=com_content& task=view& id=16& Itemid=215 (abgerufen am 21. 11. 2013). 45 Die zweitgrößte buddhistische Zeitschrift mit ähnlicher Reichweite und einer Auflage von ca. 60.000 Exemplaren alle drei Monate ist Tricycle: The Buddhist Review (vgl. Tweed 2002: 20).

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Shambhala International als transkulturelle Organisation

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Trungpas gesucht. Lee Weingrad, ein langjähriger Schüler Trungpas, besuchte Surmang erstmalig 1987 einige Monate nach Trungpas Tod, um einiges von dem Salz, in das Trungpas Körper bis zur Kremation eingelagert war, als Reliquie dorthin zu bringen. Bei weiteren Besuchen etablierte er Kontakte mit Bewohnern vor Ort und verfolgte das Ziel, dort eine gemeinnützige Klinik zu bauen. Heute ist er Vorstandsvorsitzender der Surmang Foundation, einer gemeinnützigen Organisation, die ein Krankenhaus in Surmang betreibt und so kostenlose medizinische Hilfe in der Region leistet.46 Die Surmang Foundation, die von Sakyong Mipham, dem derzeitigen Leiter von Shambhala International, unterstützt wird, richtet sich vor allem auf die Belange der Laien in der Region. Speziell auf die Bedürfnisse der religiösen Experten ausgerichtet ist die Konchok Foundation, die von Sakyong Mipham, der Witwe Trungpas und Acharya Mitchell Levy gegründet wurde. Sakyong Mipham und Diana Mukpo, Trungpas Ehefrau, unternahmen mehrere Reisen nach Surmang und haben so die Kontakte mit der Herkunftsregion der Trungpa Tülkus revitalisiert. Bei dieser Gelegenheit wurden im Jahr 2002 Chögyam Trungpas Shambhala-Lehren durch seine Frau auf den neuen 12. Trungpa Tülku (geb. 1989) übertragen.47 Sie war somit die erste Frau, die auf dem Lehrerthron in Surmang saß und Belehrungen sowie Einweihungen gab.48 Bei diesen Besuchen wurde außerdem beschlossen, dass der neue Trungpa, der bisher in verschiedenen Kloster- und Lehrinstitutionen unterrichtet wurde, zumindest zeitweilig in Surmang Dütsi Tel, dem traditionellen Sitz der Trungpa Tülkus, leben sollte und dort die Surmang-Tradition von den älteren Mönchen erlernen sollte. Um dieses Unterfangen zu unterstützen, wurde die Konchok Foundation gegründet. Das Ziel der Stiftung ist zunächst die Ausbildung des 12. Trungpa Tülkus in Surmang Dütsi Tel und der Bau eines Shedra zur Ausbildung der Mönche in Surmang. Darüber hinaus sollen langfristig weitere Klöster in der Region unterstützt werden und Bildung für Laien, das GesarWaisenhaus sowie eine bessere medizinische Versorgung gesichert werden.49 Zum Curriculum des Shedra werden auch die Schriften und Lehren Chögyam Trungpas gehören, die zu diesem Zwecke aus der englischen in die tibetische Sprache übersetzt werden. Die Surmang-Klöster in Osttibet werden als spirituelle Heimat der Shambhala-Linie gesehen und daher sei es ein Ziel, die Lehren Trungpas dorthin zurückzubringen, wie Diana Mukpo äußerte: »I hold fewer aspirations dearer in my heart than the rebuilding of Surmang, the spiritual home of the Shambhala mandala.«50 Trungpas erster Sohn, Sakyong Mipham, hat unter namhaften tibetischen 46 47 48 49 50

Siehe http://www.surmang.org/index.php (abgerufen 21. 11. 2013). Vgl. http://www.konchok.org/visit-2002.html (abgerufen 21. 11. 2013). Vgl. http://www.konchok.org/sakyong-statement.html (21. 11. 2013). Vgl. http://www.konchok.org/about.html (abgerufen 21. 11. 2013). http://sfshambhala.org/surmang.php (abgerufen 21. 11. 2013).

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Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert

Lamas wie Dilgo Khyentse und Penor Rinpoche im Exil studiert und durch die Heirat mit der Tibeterin Khandro Tseyang Palmo aus der Ripa-Familie, der Erblinie des Rigon Tashi Chölin Klosters in Osttibet,51 auch die Kontakte zur tibetischen Exilgemeinschaft weiter ausgebaut. Ein weiterer Sohn Trungpas, Gesar Mukpo (geb. 1973), wurde im Alter von drei Jahren von Dilgo Khyentse als Inkarnation von Jamgön Kongtrül von Sechen erkannt. Er wuchs in den USA auf und studierte später zeitweilig in einem tibetischen Exilkloster in Indien unter Dzongsar Khyentse. Inzwischen lebt er jedoch ein säkulares Leben als Filmemacher in Halifax, Kanada.52 Auf der Reise nach Surmang im Jahr 2002 besuchte Gesar Mukpo das Sechen Kloster, wo er einem Tülku angemessen empfangen wurde und Belehrungen gab. Es gibt heute also zahlreiche Rückbindungen über Familienmitglieder Trungpas aus Nordamerika nach Tibet und an dortige monastische Institutionen. Seine im Westen entwickelten Lehren und Praktiken werden somit zurück in seine Heimatregion getragen. Chögyam Trungpas Einfluss bleibt damit nicht auf das westliche (tibetisch-)buddhistische Feld beschränkt, sondern wirkt auch in die exiltibetische Gemeinschaft und die religiösen Institutionen seiner Heimat in Osttibet hinein.

7.4

Abschließende Betrachtungen: Religionsgeschichtliche Transformationsprozesse im Kontext transkultureller Flüsse

Transkulturalität, verstanden als ein immerwährender dynamischer Prozess, der durch Kontakt, Austausch, Mobilität und Überlagerung unterschiedlicher kleinerer und größerer kultureller Felder bedingt wird, lässt sich in der diskutierten Fallstudie auf drei Ebenen beobachten: erstens auf der Ebene der Akteure, zweitens auf der Ebene der Diskurse und Praktiken sowie drittens auf der Ebene der Institutionen. Chögyam Trungpa als tibetischer religiöser Akteur bewegte sich durch vielfältige kulturelle Einflusszonen – sowohl geographisch als auch 51 Khandro Tseyang Palmo ist die Tochter von Namkha Drimed Rabjam Rinpoche (geb. 1938), dem aktuellen Linienhalter der Ripa-Erblinie, die sich selbst der yogischen Tradition der Nyingmapa und Kagyüpa zuordnen (vgl. http://www.ripaladrang.org/index.php?pid= 78& wid=4, abgerufen am 31. 08. 2008). Namkha Rinpoche gilt als Tertön und ist ein Schüler Chögyam Trungpas, Dudjom Rinpoches und Dilgo Khyentses. Nach der Flucht aus Tibet 1959 wurde das Kloster Rigon Thubten Mindrolling von Namkha Rinpoche im Exil in Orissa als Sitz der Gemeinschaft aufgebaut. 52 Gesar Mukpo ist ein Filmproduzent, der über sein Leben als westlicher Tülku und über weitere westliche Akteure, die im Kindesalter als Tülkus erkannt wurden, einen Film mit dem Titel Tulku (2009, National Film Board of Canada) gemacht hat. Der Film bietet tiefe Einblicke in sein eigenes Leben und seine innere Zerrissenheit zwischen diesen beiden Lebenswelten wie auch die der anderen Akteure.

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Abschließende Betrachtungen

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soziokulturell –, die sich in seinem Leben und Schaffen überlagerten und ihn im besonderen Maße mit einer hybriden, fluiden Identität ausstatteten. Sein Leben im Feld kultureller Interferenzen führte zur Transformation tibetisch-buddhistischer Vorstellungen und Praktiken, die in den Shambhala-Lehren als einem innovativen Wissens- und Praxisfeld mündeten. Zur Legitimation und Verstetigung der von Trungpa initiierten Innovationen im buddhistischen Feld im Westen trugen sein symbolisches Kapital als tibetischer religiöser Spezialist sowie sein weitreichendes soziales Netzwerk bei. Auch in der Konzeption der Shambhala-Lehren und der dazugehörigen Praktiken lassen sich ebenfalls transkulturelle Faktoren ausmachen. Hervorgegangen aus einer Situation kultureller Hybridität und Dynamik zeigen sich in den Shambhala-Lehren und Praktiken verschiedene westliche wie auch asiatische Einflüsse und Elemente, die zu etwas Neuem verschmolzen und verstetigt wurden. Gleichzeitig wird eine Verschränkung mit populären zeitgenössischen Diskursfeldern sichtbar, die einzelne Vorstellungen und Techniken aus einem spezifischen kulturellen Kontext herauslösen und diese universalisieren. Dass die Shambhala-Lehren Chögyam Trungpas bis heute existieren und weiter tradiert werden, ist der frühzeitigen Schaffung einer festen Organisationsstruktur und somit der Institutionalisierung anzurechnen. Zudem verfügte Trungpa über zahlreiche Möglichkeiten seine Lehren zu kommunizieren – sei es in Form von Büchern, dem Zugang zu Publikationsorganen und durch Vorträge vor großem Publikum an verschiedenen Orten. Darüber hinaus zeigt auch die von Trungpa begründete Organisation transkulturelle Züge, da sie – obwohl in Nordamerika begründet – inzwischen als Netzwerk aus Zentren und Einrichtungen in verschiedenen Teilen der Welt besteht. Gleichzeitig gibt es Verbindungen dieses Netzwerkes zu anderen Akteuren und Organisationen des globalen tibetisch-buddhistischen und buddhistischen Feldes. Diese haben inzwischen dazu geführt, dass Trungpas innovative Shambhala-Lehren auch in seine Heimatinstitution, die Surmang-Klöster in Osttibet, vermittelt werden. Auch die Bewahrung des Erbes Trungpas, die Digitalisierung von alten Videoaufnahmen und Mitschnitten sowie der globale Vertrieb seiner Werke tragen dazu bei, dass seine Lehren und Praktiken nicht nur in Form von reisenden Lehrern in verschiedenen Zentren zugänglich sind, sondern auch als materiale Objekte und Warengüter zirkulieren. Die vorliegende biographische Detailstudie zum Leben und Wirken Chögyam Trungpas und dem von ihm begründeten Shambhala Training verfolgte eine differenzierte Annäherung an Prozesse der Adaption und Transformation buddhistischer Vorstellungen und Praktiken im westlichen Kontext. Dabei wurde argumentiert, dass die Fokussierung auf einen lokal begrenzten Raum die vielfältigen transkulturellen Verflechtungen ausblendet, die in den Prozessen der Adaption und Transformation religiöser Vorstellungen und Praktiken in ande-

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Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert

ren kulturellen Kontexten zum Tragen kommen. Hier wurde das Untersuchungsfeld des Buddhismus im Westen, in dem Chögyam Trungpa bisher verortet wurde, daher nicht als homogener und klar umrissener Bereich betrachtet, der unabhängig von anderen gesellschaftlichen und religiösen Feldern oder transkulturellen Verflechtungen untersucht werden kann. Stattdessen wurde der Gegenstandsbereich als buddhistisches Feld im Westen konzeptualisieret, das hier als heuristisch gewählter, lokaler Ausschnitt gesellschaftlicher Wirklichkeit verstanden wurde. Dieser heuristisch gewählte Ausschnitt gesellschaftlicher Wirklichkeit weist – vermittelt über soziale Akteure, Diskurse und Praktiken – vielfältige Interdependenzen mit anderen religiösen und gesellschaftlichen Feldern sowie translokale und transkulturelle Verknüpfungen auf. Zudem wurde das westliche buddhistische Feld als ein Feld gedacht, das durch Familienähnlichkeiten strukturiert ist. Die Elemente des Feldes werden also nicht allein durch ihre Designation als buddhistisch als zum Feld zugehörig bestimmt, sondern auch durch sich überlappende Ähnlichkeitsbeziehungen und über ihre Relationen zu dem fließenden Signifikant Buddhismus. Damit geraten auch Elemente in den Untersuchungsfokus, deren Deutung als buddhistisch im gesellschaftlichen Diskurs umstritten ist oder von einzelnen Akteuren oder Akteursgruppen dezidiert verneint wird. Dieser Zugang zum Untersuchungsfeld geht demnach nicht von einer Setzung des Gegenstandsbereiches durch den Wissenschaftler aus, sondern orientiert sich an der sozialen Praxis von Akteuren. Auf Basis dieser Überlegungen wurden Chögyam Trungpas ShambhalaLehren und die von ihm etablierten Vorstellungen, Praktiken und materiellen Formen nicht lediglich als Produkt einer erfolgreichen Adaption des tibetischen Buddhismus an westliche Verhältnisse begriffen, sondern als ein innovatives Wissens- und Praxisfeld konzeptualisiert, das aus einer Situation kultureller Dynamik und Hybridität hervorgegangen ist. Dieses neue Feld von Vorstellungen und Praktiken basierte auf einer Rekombination von verschiedenen Elementen bereits vorhandener Wissensbestände, Praxiskomplexe und Deutungsmuster aus unterschiedlichen kulturellen und religiösen Kontexten, wobei sich die verwendeten Elemente nicht mehr eindeutig einer bestimmten religiösen Tradition, wie z. B. dem Buddhismus, zuordnen ließen. Diese Situation kultureller Dynamik und Hybridität wurde durch multidirektionale transkulturelle Flüsse von Akteuren, Ideen, Vorstellungen, Praktiken und Materialitäten bedingt. Chögyam Trungpa wurde als hybrider sozialer Akteur verstanden, der durch seine räumliche Mobilität ein Leben im Bereich kultureller Interferenzen führte. Er bewegte sich in heterogenen kulturellen Feldern und war dadurch mit verschiedenen Wissensordnungen, Sinnhorizonten und Handlungsmustern konfrontiert. Im Kontext kultureller Interferenzen können sich komplexe Interaktionsprozesse vollziehen, in denen Akteure verschiedene kulturelle Ele-

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Abschließende Betrachtungen

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mente übersetzen, sich aneignen, (re)interpretieren, synthetisieren und transformieren. Chögyam Trungpas Etablierung von Shambhala Training kann als hybrides Produkt eines solchen komplexen Austauschprozesses im Kontext kultureller Interferenzen betrachtet werden. Das hier vorgestellte Fallbeispiel führt vor Augen, dass eine transkulturell orientierte Perspektive im Sinne einer »translocative analysis« (Tweed 2011) auf religiöse Transformations- und Innovationsprozesse in der Lage ist, die Komplexität der Austauschvorgänge angemessen zu berücksichtigen. Die Analyse religionsgeschichtlicher Dynamiken aus transkultureller Perspektive macht zugleich die Unmöglichkeit einer scharfen Grenzziehung offenbar, weder zwischen verschiedenen religiösen Traditionen noch zwischen religiösen und nichtreligiösen Bereichen. Das als Religion Bezeichnete stellt sich vielmehr als schon immer hybrides Phänomen dar, das stetigen Transkulturationsprozessen unterliegt und in diesen wechselseitigen Austauschprozessen von Akteuren auf vielfältige Weise konstruiert, reproduziert und transformiert wird. In der Analyse wurde auf theoretische Entwürfe aus den Kultur- und Sozialwissenschaften zurückgegriffen, um die aufgetreten religionsgeschichtlichen Dynamiken zu konzeptualisieren. Hier tritt die Relevanz kultur- und sozialwissenschaftlicher Ansätze für religionswissenschaftliches Arbeiten deutlich hervor. Dabei ist zu bedenken, dass auch Disziplingrenzen konstruierte Grenzen sind und das religionswissenschaftliche Feld ebenso hybrid ist, wie die in ihm untersuchten Gegenstände. In Zeiten einer zunehmenden Bedeutung von Verbundforschung – und der damit einhergehenden Forderung nach Interdisziplinarität – bieten sich im Rückgriff auf kultur- und sozialwissenschaftliche Ansätze zahlreiche Anknüpfungspunkte für die zukünftige Erforschung religionsgeschichtlicher Transformationsprozesse im Kontext transkultureller Flüsse.

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8.

Anhang

8.1. Zeittafel Die Zeit in Tibet 1939 1940

1944 1947 1948 1949 1950

1951 ab 1951

1954 1955

1957

1958

Chögyam Trungpa wird im Nordosten Tibets (Kham) geboren. Identifizierung als 11. Inkarnation der Trungpa Tu¨ lkus; Inthronisierung als 11. Trungpa Tu¨lku und Abt des Surmang-Klosterkomplexes durch den 16. Gyelwa Karmapa; Upa¯saka-Ordination. Beginn der monastischen Ausbildung. Novizen-Ordination (Sra¯manera) durch Jamgön Kongtru¨ l von Pälpung. Belehrungen und Initiationen durch die Rime-Gelehrten Dilgo Khyentse und Jamgön Kongtru¨ l von Sechen. Trungpa fu¨ hrt erste Predigten fu¨ r Mönche und Laien durch. Ablegen des Bodhisattva-Gelu¨ bdes und Beginn des Ngöndro (der vorbereitenden Übungen fu¨r die tantrische Praxis). Einmarsch der chinesischen Volksbefreiungsarmee in Osttibet. Erste Rundreise durch die Surmang-Region als 11. Trungpa Tu¨ lku. Trungpa fu¨ hrt kurze Predigten, Rituale und Segnungen durch. Studienaufenthalte in verschiedenen Rime-Klöstern, u. a. in Sechen (Nyingma) unter Jamgön Kongtru¨ l und in Dzongsar (Sakya) unter Khyentse Chöki Lodrö. Ausbildung in der klösterlichen Tanztradition (Cham). Trungpa wird zunehmend als Abt der Surmang-Klöster tätig. Aufstand der Khampas in Osttibet. Trungpa baut ein Seminar fu¨ r Mönche in Du¨ tsi Tel (Teil des Surmang-Klosterkomplexes) auf. Landesweite Rebellion der Khampas; Zerstörung des Klosters Pälpung und Besetzung des Klosters Dzongsar; chinesische Truppen beziehen vorübergehend Stellung in Du¨ tsi Tel (Surmang). Öffnung des Seminars in Du¨tsi Tel auch fu¨ r Laien. Trungpa schließt seine Studien ab und erhält die Titel Kyorpön und Khenpo, die ihn in den Rang eines Lehrmeisters heben. Vollordination als Mönch (Bhikshu).

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354

1959

Anhang

Nach einer Rundreise Trungpas durch die Surmang-Region suchen die chinesischen Behörden nach ihm. Trungpa kehrt nicht nach Surmang zurück, sondern versteckt sich in Drölma Lhakhang. Volksaufstand in Lhasa. Trungpa flüchtet aus Tibet nach Indien mit einem Gefolge von ca. 300 Menschen.

Die Zeit im indischen Exil 1960

1961 1962 1963

Ankunft im indischen Exil. Trungpa fu¨hrt erstmals ein Leben in einer nichtbuddhistischen, säkularen Kultur und genießt die Freizeitangebote, wie Kino- und Barbesuche; Trungpa hat erstmals Kontakt zu westlichen buddhistischen Enthusiasten wie Freda Bedi, John Driver und Lama Anagarika Govinda. Trungpa erhält Unterricht in englischer Sprache. Trungpa fungiert mit dem Segen des 14. Dalai Lamas als Lehrer in der von Freda Bedi gegru¨ ndeten Young Lama’s Home School in Dalhousie. Geburt des ersten Sohnes, Ösel Rangdröl Mukpo (Sakyong Mipham), den er mit der tibetischen Nonne Könchok Paldrön gezeugt hatte. Über Freda Bedi und die Tibet Society of the United Kingdom erhält Trungpa ein Stipendium als »Spalding Visiting Fellow in Comparative Religion« fu¨ r die Universität Oxford.

Die Zeit in England 1963

Ankunft in England in Begleitung von Akong Rinpoche. Kontakte zur Buddhist Society in London. 1963 – 1967 Studium an der Universität Oxford; Besuch von Kursen zu englischer Geschichte, Philosophie, Religion und Politik. Besuch zusätzlicher Abendkurse fu¨r englische Sprache. Kurse an der Sogetsu School of Japanese Flower Arrangement; Abschluss als Ausbilder fu¨ r Ikebana. 1966 Trungpas Autobiographie Born in Tibet erscheint. 1967 Chögyam Trungpa und Akong Rinpoche u¨ bernehmen Johnstone House in Dumfriesshire, Schottland, und begru¨nden das erste tibetische Meditationszentrum im Westen: Samye Ling Meditation Centre. 1968 Einladung Trungpas nach Bhutan; Retreat in Tagtsang; Trungpa erhält das Terma Sadhana of Mahamudra Trungpa besucht den Dalai Lama und den Karmapa in Indien. Begegnung mit Thomas Merton; Begegnung mit James George, ein »spirituell Suchender« und damals kanadischer Botschafter in Indien, der ihn nach dem mythischen Königreich Shambhala fragt. 1969 Trungpa erhält als erster Tibeter die britische Staatsbürgerschaft. Trungpa verursacht einen Autounfall und ist fortan halbseitig gelähmt. Ablegen der Roben und Rückgabe des Mönchsgelübdes.

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355

Zeittafel

1970

Trungpas Buch Meditation in Action erscheint. Die US-amerikanische Ausgabe stellt die erste Zusammenarbeit zwischen Trungpa und Samuel Bercholz von Shambhala Booksellers (später Shambhala Publications) dar. Heirat mit Diana Pybus, einer 16-jährigen englischen Adligen. Endgültiges Zerwürfnis mit Akong Rinpoche und der Gemeinschaft im Samye Ling Meditation Centre, Schottland. Einladung in die USA; die Reise wird von amerikanischen Schu¨ lern Trungpas finanziert, die ihn in Samye Ling kennengelernt hatten.

Die Zeit in Nordamerika 1970

1971

1972

1973

1974

Ankunft in Kanada; Einreise in die USA. Gru¨ ndung des Meditationszentrums Tail of the Tiger in Barnet, Vermont. Das Zentrum wird später in Karme Chöling umgenannt. Erste Vortragsreise in den USA; Begegnung mit Shunryu Suzuki (San Francisco Zen Center), Allen Ginsberg (Beat-Poet), Jean-Claude van Itallie (Dramatiker), u. a. Gru¨ ndung des Meditationszentrums Karma Dzong in Boulder, Colorado. Gru¨ ndung des Meditationszentrums Rocky Mountain Dharma Center bei Fort Collins, Colorado. Einfu¨ hrung eines Praxistags pro Woche, genannt Nyinthu¨ n, an dem eine intensive Form der Sitzpraxis ausgeu¨ bt wird. Einfu¨ hrung des einmonatigen Retreats fu¨ r intensive Sitzpraxis, genannt Dhatu¨ n. Tendzin Lhawang Taktruk, Trungpas erster gemeinsamer Sohn mit Diana Pybus, wird geboren. Gru¨ ndung der Dachorganisation Vajradhatu zur administrativen Zusammenfu¨ hrung der verschiedenen Aktivitäten und lokalen Zentren. Die einzelnen Zentren unter dem Dach von Vajradhatu werden Dharmadhatus genannt. Mudra, ein Band mit Trungpas Dichtungen, erscheint. Durchfu¨hrung des ersten dreimonatigen Intensivseminars, genannt Vajradhatu Seminary, zur Vorbereitung auf und Einfu¨ hrung in tantrisch-buddhistische Lehren und Praktiken. Trungpa weiht erste Schu¨ ler in die vorbereitenden Übungen (Ngöndro) fu¨r die tantrische Praxis ein. Trungpas Publikation Cutting Through Spiritual Materialism erscheint. Gru¨ ndung der Mudra Theater Group, die in Theater-Workshops und der Auffu¨ hrung von Bu¨ hnenstu¨ cken tibetische Elemente integriert, wie z. B. den klösterlichen Tanz (Cham). Gesar Tsewang Arthur, Trungpas zweiter gemeinsamer Sohn mit Diana Pybus, wird geboren. Trungpa gru¨ ndet die Nalanda Foundation, eine gemeinnützige Organisation, deren Bildungsangebote verschiedene Elemente aus dem Feld der Psychologie, Bildung und Kunst zusammenbringen.

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1975

1976

1977

1978

Anhang

Das erste Sommerprogramm unter dem Titel Naropa Institute in Boulder, Colorado, setzt den Grundstein fu¨ r die spätere Naropa Universität. Das Programm umfasst Kurse zu Poesie, Kunst, Tanz, Psychologie, Buddhismus und weiteren spirituellen Traditionen. Am Programm beteiligt sind bekannte Persönlichkeiten wie z. B. Baba Ram Dass, Gary Snyder, Allen Ginsberg, Herbert Guenther, Gregory Bateson, Stanislav Grof, u. a. Erste Seminare zu Kunst und Meditation in Padma Jong (Kalifornien), einer Arbeits- und Wohngemeinschaft von kunstschaffenden Schu¨ lern Trungpas. Chögyam Trungpa organisiert den ersten Besuch des 16. Karmapas in den USA. Die Vajra Guards, rekrutiert aus Mitgliedern der Vajradhatu-Gemeinschaft, fungieren als Fahrer, Service- und Sicherheitspersonal während des Besuches. Daraus entsteht später die Organisation der Dorje Kasung. Trungpas Übersetzung und Kommentar von tibetischen Bardo-Texten in Zusammenarbeit mit Francesca Fremantle erscheint unter dem Titel The Tibetan Book of the Dead. Außerdem erscheinen The Dawn of Tantra zusammen mit Herbert Guenther sowie Glimpses of Abhidharma. Trungpa gru¨ ndet das Na¯landa¯ Translation Committee zur Übersetzung buddhistischer Texte aus dem Tibetischen und dem Sanskrit. Gru¨ ndung der Ashoka Credit Union. Auf dem Vajradhatu Seminary in Snowmass, Colorado, ereignet sich der Vorfall mit dem Dichter W.S. Merwin, der später als »Snowmass Affair« bekannt wird. Trungpas Publikation The Myth of Freedom and the Way of Meditation erscheint. Chögyam Trungpa organisiert den ersten Besuch von Dilgo Khyentse in den USA. Besuch von Dudjom Rinpoche, einem hohen Lama der Nyingmapa. Berufung von Thomas F. Rich (Ösel Tendzin) zum Vajra Regenten, d. h. zum Dharmaerben Chögyam Trungpas. Brief von James George an Trungpa, der Georges Essay u¨ ber Shambhala und einen Bericht u¨ ber die Begegnung mit Trungpa 1968 in Bhutan enthält. Shambhala Publications zieht von Kalifornien nach Boulder, Colorado. Trungpas Wohnsitz wird zum Kalapa-Hof. Trungpa ruft ein säkular orientiertes Meditationsprogramm ins Leben, das sich dezidiert an Menschen richtet, die nicht am Buddhismus interessiert sind. Erhalt der ersten Shambhala-Terma. Gru¨ ndung der Alaya Preschool in Boulder, Colorado. Umbenennung des säkularen Meditationsprogramms in Shambhala Training. Einfu¨ hrung des Shambhala Day (Februar) als Feiertag der Gemeinschaft. Trungpa geht ins Retreat nach Charlemont, Massachusetts. Trungpa verfasst die Court Vision mit den Verhaltensvorschriften, den Positionen, Formen und Normen fu¨ r das Leben am Kalapa-Hof. Erste Reise Trungpas nach Nova Scotia, Kanada. Vortragsreihe zu den Shambhala-Lehren vor den Shambhala Training-Direktoren.

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Zeittafel

1979

1980

1981

1982

Erhalt weiterer Shambhala-Terma. Erster öffentlicher Vortrag Trungpas zu den Shambhala-Lehren. Einführung des Dorje Kasung Encampment (Magyal Pomra Encampment) als Trainingsprogamm für die Dorje Kasung und dem Marschieren als kontemplativer Form. Das Kalapa Assembly als Studienprogramm fu¨ r fortgeschrittene Schu¨ler der Shambhala-Lehren wird eingefu¨ hrt. Trungpa führt die ersten Dharma Art-Seminare durch. Einführung des Midsummer’s Day (Juni) und des Children’s Day (Dezember) als weitere Feiertage der Gemeinschaft. Ermächtigung seines ältesten Sohnes Ösel Rangdröl als Erbe der ShambhalaLinie und zeremonielle Einsetzung als Sawang. Gründung der Vidya Elementary School in Boulder Colorado. Erste Ausstellung von Blumenarrangements im Denver Art Museum. Zweite Reise Trungpas nach Nova Scotia, Kanada. Trungpa entdeckt ein Tal, das er »Kalapa Valley« tauft. Das Stück Land wird später von Schülern erworben. Die »Snowmass Affair« von 1975 wird publik gemacht und löst im Nachgang des Selbstmordmassakers in Jonestown z. T. große öffentliche Entrüstung aus. Der Begriff Kult wird auf die Gemeinschaft angewendet. The Rain of Wisdom erscheint, eine Sammlung von Dichtungen bekannter Kagyu¨ -Meister, die Trungpa zusammen mit dem Na¯landa¯ Translation Committee übersetzt hatte. Einladung des japanischen Bogenschießlehrers Kanjuro Shibata nach Boulder. Shibata unterrichtet Bogenschießen als kontemplative Kunst in Trungpas Gemeinschaft. Trungpa gründet Kalapa Cha als Organisation zur Vermittlung der Teezeremonie als kontemplative Kunst. Ausstellung »Discovering Elegance« mit Blumenarrangements und Rauminstallationen im Los Angeles Institute of Contemporary Art. Trungpa gru¨ ndet Ryuko Kyudo in Boulder, eine Organisation zur Vermittlung der Kunst des Bogenschießens unter Leitung von Shibata. Trungpas Publikation Journey without Goal: The Tantric Wisdom of the Buddha erscheint. Besuch des 14. Dalai Lamas in Trungpas Vajradhatu-Gemeinschaft in Boulder, Colorado. Trungpa und das Naropa Institute sind Gastgeber der ersten Buddhist Christian Conference in Boulder, die in den 1980er Jahren jährlich durchgeführt wurde. Vortragsreise Trungpas nach Europa. Ausstellung »Winter Beauty : An Environmental Installation« im Visual Arts Center in Boulder. Inthronisierung von Chögyam Trungpa als Sakyong von Shambhala und seiner Frau als Sakyong Wangmo durch Dilgo Khyentse. The Life of Marpa the Translator, eine Übersetzung der Lebensgeschichte Marpas von Trungpa und dem Na¯landa¯ Translation Committee, erscheint.

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1983

1984/85

1986

1987

Anhang

Trungpa gründet Kalapa Ikebana, eine Organisation zur Vermittlung des Blumensteckens als kontemplative Kunst. First Thought Best Though: 108 Poems, ein Band mit Trungpas Gedichten, erscheint. Gru¨ ndung von Gampo Abbey in Cape Breton, Nova Scotia, als Kloster der Karma Kagyu¨-Linie fu¨ r westliche Schu¨ler, die der monastischen Tradition folgen wollen. Trungpa kreiert Ausspracheu¨ bungen für eine »achtsame Aussprache«, die sich am Oxford-Englisch orientieren. Trungpas Buch Shambhala: The Sacred Path of the Warrior erscheint. Vortragsreise Trungpas nach Europa. Trungpa erteilt seinem ersten Sohn Ösel Rangdröl das Vajrayogini-Abhisheka und macht ihn damit zu seinem zweiten Dharmaerben neben dem Vajra Regenten. Einjähriges Retreat Trungpas in Mill Village, Nova Scotia, Kanada. Umzug nach Halifax, Nova Scotia. Trungpa verlagert den Sitz des KapalaHofes und des Hauptsitzes von Vajradhatu nach Kanada. Viele Schu¨ ler gehen mit ihm beziehungsweise folgen in den nächsten Monaten und Jahren. Trungpa erleidet einen Herzinfarkt, von dem er sich nicht wieder erholt. Am 4. April 1987 stirbt Chögyam Trungpa in Halifax, Kanada. Trungpas Leichnam wird nach Karme Chöling in Vermont überführt und für die traditionellen Zeremonien im Zentrum aufgebahrt. Am 26. Mai 1987 erfolgt die rituelle Kremation von Trungpas Leichnam in Anwesenheit von u¨ ber 3.000 Schu¨ lern und zahlreichen exiltibetischen buddhistischen Lehrern.

Die Zeit nach Trungpas Tod 1987 1988

1990

1992

Der Vajra Regent Ösel Tendzin u¨bernimmt die Fu¨ hrung der Vajradhatu-Gemeinschaft und aller dazugehörigen Organisationen. Die AIDS-Erkrankung des Vajra Regenten und die Tatsache, dass er einen Schu¨ ler angesteckt hatte, wird bekannt und führt zu einem öffentlich wirksamen Skandal sowie zu einer erneuten Erschütterung der Gemeinschaft. Es kommt zu einer Spaltung der Gemeinschaft. Der Vajra Regent zieht sich nach Kalifornien zurück. Das Vajradhatu Board of Directors u¨ bernimmt vorläufig die administrative Führung der Gemeinschaft. Dilgo Khyentse fordert den Vajra Regenten auf, ins Retreat zu gehen und sich vorübergehend von allen Führungsaufgaben zurückzuziehen. Der Vajra Regent stirbt im selben Jahr. Dilge Khyentse erklärt den Sawang, den ersten Sohn Trungpas, zum Dharmaerben und Linienhalter der Kagyu¨ - und Nyingma-Linien. Der Sawang übernimmt den administrativen Vorsitz und besetzt das Vajradhatu Board of Directors neu. Umbenennung der Organisation von Vajradhatu in Shambhala International.

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Transliteration tibetischer Begriffe

1994 1995 2000

2003 2005 2006 2010

8.2

Penor Rinpoche erkennt in Ösel Rangdröl, dem Sawang, eine Inkarnation von Mipham dem Großen. Formelle Inthronisierung von Ösel Rangdröl als Sakyong von Shambhala. Seitdem Änderungen in der Verwaltungsstruktur der Organisation. Sakyong Mipham fu¨hrt den Begriff Shambhala-Buddhismus ein, der die Bereiche Buddhismus und Shambhala enger zusammenführt und verbindet. Seitdem Einführung zusätzlicher neuer Lehren und Praktiken, Umgestaltung der Schreine. Sakyong Miphams Buch Turning the Mind into an Ally erscheint. Hochzeit mit Semo Tseyang, einer tibetischen Prinzessin der Ripa-Erblinie. Sakyong Miphams Buch Ruling Your World: Ancient Strategies for Modern Life erscheint. Geburt der Tochter von Sakyong Mipham und Semo Tseyang.

Transliteration tibetischer Begriffe

Personen Chögyam (Chöki Gyatso) Trungpa Chökyi Gyatso/Chökyi Gyamtso Dagchen Jigdal Ku¨ nga Sönam Dawa Sangpo Dilgo Khyentse Dorje Dradul Dorje Gyaltsap Dorje Loppön Dorje Shugden Drokmi Shakya Yeshe Drugnyön Drugpa Ku¨ nleg Dudjom Dzongsar Khyentse Gampopa Gendu¨ n Chöpel Gesar von Ling Gyalwa Karmapa Jamgön Kongtru¨ l Lodrö Thaye Jamgön Mipham Gyatso Jamyang Khyentse Wangpo Jigme Lingpa Jigme Tu¨ lku Khamtrul Karma Pakshi Khedrup Norsang Gyatso Khenpo Gangshar Khyentse Chökyi Lodrö Könchok Paldrön Lobsang Palden Yeshe Longchen Rabjampa

chos-kyi rgya-mtsho drung-pa chos-kyi rgya-mtsho bdag-chen ’jigs-bral kun-dga bsod-nams zla-ba bzang-po dil-mgo mkhyen-brtse rdo-rje dgra-’dul rdo-rje rgyal-tshab rdo-rje slo- dpon rdo-rje shugs-ldan ’brog-mi Shakya ye-shes ’brug-smyon ’brug-pa kun-legs bdud-’joms rdzong-gsar mkhyen-brtse sgam-po-pa dge-’dun chos-’phel gling ge-sar rgyal-ba kar-ma-pa ’jam-mgon kong-sprul blo-gros mtha’-yas ’jam-mgon mi-pham rgya-mtsho ’jam-dbyangs mkhyen-brtse’i dbang-po ’jigs-med gling-pa ’jigs-med sprul-sku khams-sprul karma pak-shi mkhas-grub nor-bzang rgya-mtsho mkhan-po gang-shar mkhyen-brtse chos-kyi blo-gros kon-mchog dpal-sgron blo-bzang dpal-dan ye-shes klong-chen rab-’byams-pa

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360

Anhang

Lungshar Manlungpa Marpa Milarepa Naropa Pälpung Kongtru¨l Penor (Pema Norbu) Phu¨ ntsok Photrang Rinpoche Ringpung Ngawang Jigdag Sachen Ku¨ nga Nyingpo Sakyong Mipham Sechen Kongtru¨l Shenlha Ökar Shiwa Ökar Sönam Gyatso Songtsen Gampo Tenzin Gyatso Tenzin Trinle Palden Sangpo Trisong Detsen Trungpa Trungpa Ku¨nga Gyaltsen Trung Mase Tsangnyön Heruka Tsilupa

lung-shar man-lungs-pa mar-pa mi-la ras-pa na-ro-pa dpal-spungs kong-sprul pad-ma nor-bu phun-tshogs pho-brang rin-po-che rin-spungs ngag-dbang ’jigs-grags sa-chen kun-dga’ snying-po sa-skyong mi-pham zhe-chen kong-sprul/ze-chen kong-sprul gshen-lha ’od-dkar zhi-ba ’od-dkar bsod-nams rgya-mtsho srong-btsan sgam-po bstan-’dzin rgya-mtsho bstan-’dzin phrin-las dpal-ldan bzang-po khri-srong lde-btsan drung-pa drung-pa kun-dga’ rgyal-mtshan drung rma-se gtsang-smyon he-ru-ka tsi-lu-pa

Orte Amdo Chamdo Chatreng Sampheling Derge Dewachen Drepung Drichu Drölma Lhakhang Du¨tsi Tel Dzogchen Dzongsar Ganden Ling Jyekundo Kalapa Kham Khenpalung Lhasa Lithang Mindröling Nangchen Namgyal Namgyal Tse Päyu¨ l Pälpung Potala

a-mdo chab-mdo cha-phreng bsam-’phel-gling sde-dge bde-ba-can ’bras-spungs ’bri-chu sgrol-ma lha-khang bdud-rtsi mthil rdzogs-chen rdzong-gsar dga’-ldan gling skye-rgu-mdo ka-la-pa khams mkhan-pa-lung lha-sa li-thang smin-grol-gling nang-chen rnam-rgyal rnam-rgyal rtse dpal-yul dpal-spungs po ta la

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361

Transliteration tibetischer Begriffe

Sakya Samye Sechen Sera Shambhala Shigatse Surmang Tashilhunpo Thrangu Tsangpo

sa-skya bsam-yas zhe-chen/ze-chen se-ra sham-bha-la gzhis-kha-rtse zur-mang bkra-shis-lhun-po khra-’gu rta-mchog gtsang-po

Sachbegriffe Ani Ash¦ Bardo Barom Kagyu¨ pa Beyu¨ l Bön Bönpo Chag Chen Cham Chö Chö Chögyel Chölug Chörten Dalai Lama Dawa Dekyong Delek Delekpa Dorje Dorje Kasung Dorje Kusung Drala Drala (Shambhala-Kontext) Drigung Kagyu¨ pa Drigungpa Drubnyön Drubthob Druk Sakyong Drukpa Kagyu¨ pa Dzogchen Gelong Gelugpa Genyen Geshe Getschu¨ l Gomchen Gongter Gyaltsap Gyewa Rinpoche

a-ni a-shad bar-do ’ba’-rom bka’-brgyud-pa sbas-yul bon bon-po phyag-chen ’chams chos gcod chos-rgyal chos-lugs mchod-rten ta-la’i bla-ma zla-ba bde-skyong bde-legs bde-legs-pa rdo-rje rdo-rje sku-srung rdo-rje kha-srung dgra-lha dgra-bla ’bri-gung bka’-brgyud-pa ’bri-gung-pa grub-smyon grub-thob ’brug sa-skyong ’brug-pa bka’-brgyud-pa rdzogs-chen dge-slong dge-lugs-pa dge-bsnyen dge-shes dge-tshul sgom-chen dgongs-gter rgyal-tshap rgyal-ba rin-po-che

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362

Anhang

Kadampa Kadak Kagyu¨ pa Karma-Kagyu¨pa Karmapa Kashag Kasung Khampa Khatak Khenpo Ki ki so so Ki ki so so lha gyel lo Kusung Kyorpön Lalo Laloi Chö Lama Lamyig Lhasang Losar Lungta Machen Mönlam Mukpo Dong Namtar Neljorma Neljorpa Ngagpa Ngöndro Nyima Nyingmapa Nyönpa Pagmodru Kagyu¨pa Pagmodrupa Panchen Lama Pön Powa Pawo Rangnam Rigden Rime Rinpoche Sakyapa Sakyong Sakyong Wangmo Sarjur Sarma Sater Sawang Sharchen Nyima Shedra Terdzä

bka’-gdams-pa ka-dag bka’-brgyud-pa kar-ma bka’-brgyud-pa kar-ma-pa bka’-shag kha-srung khams-pa kha-btags mkhan-po ki ki bswo bswo ki ki bswo bswo lha rgyel lo sku-srung skyor-dpon kla-klo kla-klo’i chos bla-ma lam-yig lha-bsang lo-gsar rlung-rta ma-chen smon-lam smug-po ldong rnam-thar rnal-’byor-ma rnal-’byor-pa sngags-pa sngon-’gro nyi-ma rnying-ma-pa smyon-pa phag-mo-gru bka’-brgyud-pa phag-mo-gru-pa pan-chen bla-ma dpon ’pho-ba dpa’-bo rang-rnam rigs-ldan ris-med rin-po-che sa-skya-pa sa-skyong sa-skyong dbang-mo gsar-’gyur gsar-ma sa-gter sa-dbang shar-chen nyi-ma bshad-grwa gter-rdzas

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363

Transliteration tibetischer Begriffe

Terma Tertön Thangka Trapa Tsaw¦ Lama Tshelpa Kagyu¨ Tu¨ lku Tulshug chödpa Wangkur wangthang Yeshe Chölwa Yangsi

gter-ma gter-ston thang-ka/thang-kha grva-pa rtsa-ba’i bla-ma tshal-pa bka’-brgyud-pa sprul-sku brtul-zhugs spyod-pa dbang-bskur dbang-thang ye-shes ’chol-ba yang-srid

Werktitel Bashe Chöchung Damgag Dzö Dzö Du¨ n Kalapar Jugpa Kanjur Longchen Nyingthig Nyingma Gyu¨ bum Rinchen Terdzö Shambhalai Lamyig Tenjur

sba-bzhed/dba’-bzhed chos-’byung gdam-ngag mdzod mdzod bdun ka-la-par ’jug-pa bka’-’gyur klong-chen snying-thig rnying-ma rgyud-’bum rin-chen gter-mdzod sha-mbha-la’i lam-yig bstan-’gyur

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Abkürzungsverzeichnis

BThZ est FWBO HrwG MBSR MThZ NIAS NKT RGA SGI TFG TRE WHO WIMP ZfR ZfS

Berliner Theologische Zeitschrift Erhard Seminar Trainings Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe Mindfulness-Based Stress Reduction Münchner Theologische Zeitschrift Nordic Institute of Asian Studies New Kadampa Tradition Reallexikon der Germanischen Altertumskunde So¯ka Gakkai International Tibetan Friendship Group Theologische Realenzyklopädie World Health Organization Weekend Intensive Meditation Program Zeitschrift für Religionswissenschaft Zeitschrift für Soziologie

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Balkendiagramme »Varianten der persönlichen praktischen Beschäftigung mit Buddhismus«, S. 51 Abb. 2: Kreisdiagramm »Selbstbeschreibung als Buddhist/Buddhistin«, S. 52 Abb. 3: Balkendiagramm »Interesse am Buddhismus geweckt über…«, S. 93 Abb. 4: Balkendiagramm »Selbstbeschreibung der Praxis als religiös oder spirituell«, S. 97 Abb. 5: Foto: Khenpo Gangshar (l.) und Chögyam Trungpa (r.), Tibet ca. 1958 (Fotograf unbekannt, Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Collection of the Shambhala Archives), S. 168 Abb. 6: Foto: Allen Ginsberg (l.) und Chögyam Trungpa (r.), Dichterlesung Boulder 1972 (Foto: Bob Morehouse, Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Collection of the Shambhala Archives), S. 195 Abb. 7: Foto: Besuch des 16. Karmapa 1980; Jamgön Kongtrül (l.), Karmapa (m.) und Chögyam Trungpa (r.) (Foto: Ray Ellis, Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Collection of the Shambhala Archives), S. 208 Abb. 8: Foto: Offizielles Foto von Chögyam Trungpa als Druk Sakyong für die Zentren (Fotograf unbekannt, Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Collection of the Shambhala Archives), S. 294 Abb. 9: Grafik: Bewertungsskala, S. 328

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Personenregister

Akong Tülku 164, 166, 169, 174, 176, 178 – 179, 182, 184 – 186, 201, 203 Alpert, Richard (Baba Ram Dass) 194, 196, 222 Appadurai, Arjun 19, 99 – 102, 107, 133, 322 – 325, 335 Baba Ram Dass siehe Alpert, Richard Bailey, Alice A. 152 – 154, 254, 265 Bateson, Gregory 194 – 195 Bedi, Freda 172 – 175, 327 Bercholz, Samuel 155, 247 Blavatsky, Helena Petrovna 131, 146, 148 – 154, 325 Bourdieu, Pierre 20 – 21, 67 – 75, 78, 96, 337 Butterfield, Stephen 285 – 286, 296, 303 – 304, 321 Castaneda, Carlos 202 Conze, Edward 30, 44, 151 Cor, Stella 177 Crowley, Aleister 76, 153, 202, 213 Dalai Lama 34, 36, 45, 91, 97, 121, 129 – 130, 132, 139 – 140, 166, 169, 174, 181, 203, 208, 323 – Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama 45, 129, 132, 139 – 140, 166, 174, 181 David-Neel, Alexandra 151, 275 Derrida, Jacques 42, 330 Dharmapala, Anagarika 202 Driver, John 172 – 175, 177

Dudjom (Rinpoche)

208, 348

Erhard, Werner (John Paul Rosenberg) 189, 202, 266 – 268, 279 Evans-Wentz, Walter Y. 151 Fagan, Michael 155, 247 Foucault, Michel 20 – 21, 67, 69, 78 – 88, 94, 95, 300, 330 Fromm, Erich 181, 270 Gangshar, Khenpo 126, 167 – 168, 183 George, James 181 – 182, 254, 270 – 271 Gimian, Carolyn Rose 157, 180, 246, 269, 282 Ginsberg, Allen 192 – 195, 212, 233, 321 Govinda, Lama Anagarika (Ernst Lothar Hoffmann) 173, 175 Green, Ken (Krishna) 192 Grof, Stanislav 194 – 195 Guenther, Herbert 194 Gurdjieff, George Ivanovitch 153, 188 – 190, 202, 220 Hall, Stuart 42 – 43, 332 – 333 Hayward, Jeremy 12, 158, 181, 188, 190, 201, 203, 207, 234, 239, 246, 267, 284 Jigme Tulku

170

Karmapa 120, 180, 205, 298 – 16. Karmapa 161 – 162, 166, 169, 173, 181, 203 – 208, 215 – 216, 242, 267, 283

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400

Personenregister

Kategorisierung 20, 40, 49, 54, 55, 57, 76 Keller, Reiner 78, 86 – 89 Khampas 165 – 167 Khyentse, Dilgo (Rinpoche) 118, 160 – 161, 163, 166, 169, 173, 183, 207, 221, 237 – 238, 242, 274, 283, 348 Khyentse, Dzongsar (Khyentse Chökyi Lodrö) 165, 167, 170, 348 Khyentse Wangpo, Jamyang 127, 164 Klassifikation 42, 56, 60, 84 Kongtrül Lodrö Thaye, Jamgön 127, 163 – 164 Kongtrül von Pälpung, Jamgön 163 – 164, 208 Kongtrül von Sechen, Jamgön 163 – 164, 192, 207, 348 Kunleg, Drugpa 125, 214 Levy, Mitchell 347 Lopez, Donald 31, 146, 182 – 183 Maslow, Abraham 196 Merton, Thomas 181 Merwin, William Stanley 210 – 211 Mipham Gyatso, Jamgön 127 Mipham, Sakyong 17, 91 – 92, 111, 237, 245, 248, 295, 306 – 310, 313, 345, 347 – Mukpo, Ösel Rangdröl 174, 219, 235 – Sawang 220 – 222, 235 Mukpo, Diana siehe Phybus, Diana Judith Mukpo, Gesar Tsewang Arthur 200, 207, 348 Mukpo, Ösel Rangdröl siehe Mipham, Sakyong Mukpo, Tendzin Lhawang Taktruk 205 Naone, Dana 210 Narayana siehe Rich, Thomas F. Paldrön, Könchok 174 Palmo, Khandro Tseyang 348 Panchen Lama 139, 142, 147 – 148 – 3. Panchen Lama (Lobsang Palden Yeshe) 139 Perls, Fritz 196 Penor (Rinpoche) 348

Photrang, Phüntsok (Rinpoche) 166 Prebish, Charles 13, 26 Pybus, Diana Judith 11, 12, 15, 183 – Diana Mukpo 158, 246, 347 – Sakyong Wangmo 220 – 221, 283, 292, Reckwitz, Andreas 19, 22, 299 – 301, 330 – 338 Rexroth, Kenneth 213 Rich, Thomas F. 16 – 17, 40, 191 – 192, 201, 208, 215 – Narayana 192, 201, 208 – Tendzin, Ösel 40, 204, 208, 219 – 220 – Vajra Regent (Dorje Gyaltsap) 204, 208, 215, 220, 234, 235, 283 Roerich, Nicholas 146, 151 – 152, 153, 154, 265 Rogers, Carl 196 Sakyong Wangmo siehe Phybus, Diana Judith Sanders, Ed 211 – 212 Satchidanada 188, 190 – 192 Sawang siehe Mipham Sakyong Schneider, David 232, 277, Shibata, Kanjuro 228 – 231 Sivananda 190 – 191 Snyder, Gary 193 – 194, 196 Sogyal (Rinpoche) 91, 93, 97 – 98, 218 Steiner, Rudolf 153, 202 Suzuki, D.T. 104 – 106, 184, 229, 231 – 232 Suzuki, Shunryu 18, 192 – 194, 198 – 199, 224, 228 Swick, David 14 Tendzin, Ösel siehe Rich, Thomas F. Thrangu (Rinpoche) 237 Tomas, Andrew 153 – 154, 254, 265 Trungpa, Chögyam (Rinpoche) 7, 11 – 19, 22, 33, 38 – 41, 75 – 77, 92, 97 – 98, 108, 111 – 112, 115, 118 – 120, 123, 126 – 127, 129 – 130, 155, 157 – 243, 245 – 313, 315 – 321, 327 – 329, 332 – 351 – Dordje Dradül von Mukpo 217 – 218, 236, 245, 275, 297 – Druk Sakyong 220, 294, 309

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401

Personenregister

– Sakyong von Shambhala 221, 234, 286, 357, 359 – Trungpa Tülku (11.) 15, 115, 123, 161 – 172, 240, 242 Tsangnyön Heruka 125, 214 Tweed, Thomas A. 18 – 19, 26, 48, 56 – 57, 67, 99, 103 – 106, 108 Vajra Regent siehe Rich, Thomas F.

Van Itallie, Jean-Claude 196 – 197 Vivekanada 150, 190 – 191 Waldman, Anne 194, 212 Watts, Alan 193, 196, 232 Wittgenstein, Ludwig 58 – 62 Zaehner, Robert Charles

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176 – 177

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Sachregister

Adaption 7, 18 – 19, 26 – 31, 35, 36, 38, 41, 47, 74 – 75, 87, 101, 111, 115, 223, 231, 329, 349 – 350 advaita-vedantisch 150, 190 Akkulturation 26 Alaya Preschool 209, 312, 356 alternativ-religiös 12, 22, 76, 111, 152, 154 – 156, 183, 186 – 197, 202, 211, 214, 220, 223, 241, 28 – 281, 312, 333, 335 – 336, 339, 342 – 344 Amdo 162 – 163, 165 Anthroposophie 202 Anti Cult Movement 211 Ash¦ 251, 269, 271, 273, 277 – 279, 288, 293, 295, 311 Ashoka Credit Union 209, 337, 356 Asien 21, 29, 30, 33, 35, 43, 44, 46, 47, 62, 76, 105, 107, 109, 112, 173, 179, 180, 317, 323, 345 – Ostasien 29, 113 – 114 – Südasien 113, 176 – Südostasien 29, 45 Avalokites´vara 121, 144, 161, 205 Beat-Poeten 193, 196, 233 Blumenstecken 17, 177 – 178, 186, 224, 227, 229, 230 – 231, 232, 316 Bogenschießen (kyudo) 17, 228 – 230, 231, 232, 241, 316 Bön 109, 118, 126 – 127, 132, 274, 308 Born in Tibet (Chögyam Trungpa) 11, 157, 185, 186 Boulder 13, 76, 192, 194 – 195, 197, 203,

205 – 206, 209, 213, 216 – 217, 219, 227 – 228, 230, 239, 247, 271, 286, 287, 305, 310, 338 britische Elemente 16, 178, 241, 246, 293, 295, 316, 335 Buddhismus – im Westen 18, 20, 21, 26, 29, 35, 39, 41, 54, 56, 67, 68, 75, 77, 78, 90, 98, 99, 107, 179, 182, 186, 318, 350 – esoterischer 112 – 113 – Essentialisierung des 46 – 47, 85 – Signifikant 46, 62, 74, 107, 305 – tantrischer 40, 112 – 113, 335 – tibetischer 21, 30, 31 – 41, 109 – 110, 112 – 133, 325 – Zen 63, 176, 188, 192, 231, 246 Buddhist Society 11, 26, 176, 178 – 179, 327 Cakravartin (siehe auch universeller Monarch) 147, 262, 297 Chamdo 162 – 164, 170 Counterculture 12, 15, 76, 153, 155 – 156, 186 – 203, 210, 211, 215, 222, 223, 230, 232, 241, 246 – 247, 267, 328, 336 – 337 crazy wisdom 39, 126, 214, 242 Crazy Wisdom (Chögyam Trungpa) 126 cult wars 211 Cutting Through Spiritual Materialism (Chögyam Trungpa) 13, 15, 18, 181 Das Buch vom meditativen Leben (Chögyam Trungpa) 93, 249, 252

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Sachregister

Das Tibetische Buch vom Leben und vom Sterben (Sogyal Rinpoche) 91, 93 Dawa Sangpo 134, 249 De-Essentialisierung 59 Deterritorialisierung 89, 100 – 1901 Dezentrierung des Subjekts 330 Dharma Art 224 – 234, 238, 279, 281, 284, 291 Dharmara¯ja (Chögyel) 134 – 135, 221, 265 diskurstheoretischer Ansatz 20 – 21, 67, 77 – 98 Disposition 19, 69 – 70, 72, 74, 77, 170, 223, 336 Dispositionssystem (Habitus) 68 – 70, 72 Dragon Thunder : My Lifewith Chögyam Trungpa (Diana Mukpo) 157 – 158 Drölma Lhakhang 164, 168 Dutsi Tel 162, 167, 347 dynamikfördernde Faktoren 334, 336, 338, 344 Dzogchen (Kloster) 119, 129 – 130 Dzongsar 119, 129, 165, 167, 169 – 170 Encounter Groups 189, 196, 202 England 11, 22, 26 – 27, 29, 108, 157, 174 – 176, 178 – 179, 182, 184 – 186, 198, 224, 231, 233, 240 – 241, 315 Erhard Seminar Trainings (est) 189, 202, 266 – 268, 270 – 272, 279, 281 erleuchtete Gesellschaft 16, 11, 156, 181, 218 – 219, 221, 226, 234, 236, 238, 239, 246, 249, 253 – 256, 259, 261, 265, 281, 282, 286 – 292, 304 – 305, 308, 310, 311, 312, 317 Esalen 194 – 196, 202, 223 Essentialisierung 46 – 47, 85, 103, 322, 324 – 326 Ethnoscape 19, 100, 129, 335 Europa 14, 18, 25, 33, 36, 97, 105, 111, 131, 146, 153, 173, 178, 235, 283, 315, 322 – 325, 345 exiltibetisch 33, 35 – 36, 111, 129, 133, 154, 239, 325, 327, 332, 346 – 348 Exotisierung 179, 322, 324 – 326 Familienähnlichkeiten

58 – 62, 350

Feld – alternativ-religiöses Feld 202 – buddhistisches Feld im Westen 20, 21, 25 – 65, 67 – 108, 203, 217, 223, 241, 251, 309, 313, 317, 327, 338, 346, 348, 350 – exiltibetisches Feld 239, 346 – 348 – Feldbegriff 70 – 72, 74 – Feldtheorie 68 – 77 – gegenwartsreligiöses Feld 49, 96 – 97, 215, 217 – religiöses Feld 72 – 74 Findhorn-Gemeinschaft 183 – 186, 195 First Thought Best Thought: 108 Poems (Chögyam Trungpa) 193 Fluidität 20 – 21, 40, 99 – 104, 107 – 108, 123 Gampo Abbey 34, 235, 237 Gegenkultur (siehe auch Counterculture) 183, 186, 195, 202, 223, 332, 336 – 337 Gelug 30, 40, 116, 119, 120 – 121, 139, 173, 206, 325 Genealogie 83, 159, 275 Gesar-Epos 114 – 115, 127 – 128 Gesar von Ling 115, 127 – 128, 262, 274 – 276, 280, 297 Gestalttherapie 196 global flows 100 Globalisierung 33 – 34, 100, 102, 129, 330 Gomden 233, 296 Gongter 118, 274 Great Eastern Sun: The Wisdom of Shambhala (Chögyam Trungpa) 196, 247, 248, 250 – 252, 255, 274 Große Östliche Sonne (Great Eastern Sun) 248 – 249, 251, 255, 259, 263, 271 – 273, 278, 292, 293, 297, 298 Große Stupa von Dharmakaya 16, 237 grundlegende Gutheit (basic goodness) 91, 219, 227, 228, 241, 248, 251, 256 – 261, 261 – 264, 273, 277, 304 – 305, 317, 342, 344 Habitus 68 – 70, 72, 170 Halifax 234 – 236, 239, 348 Heterogenisierung 102

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Sachregister

Hinaya¯na 43, 200 Hinduismus 37, 150, 177 Hippies 188, 204, 210, 215 Hippie-Kultur 187, 241, 337 Homogenisierung 102 – 103 Human Potential Movement 187, 190, 196, 223, 267 Hybridität 7, 18, 20 – 22, 54 – 55, 99 – 103, 107 – 108, 315, 331 – 333, 349 – 351 Identität 22, 30, 39, 54 – 55, 87, 94, 102, 107, 114, 161, 171, 191, 216, 302, 311, 312, 317, 318 – 329, 329 – 333 – fluide Identität 55, 349 – hybride Identität 18, 54, 333, 349 Ideoscape 100, 107, 130, 133 Ikebana (siehe Blumenstecken) Indien 22, 33, 119, 129 – 130, 137 – 138, 142, 149, 150, 169, 172 – 175, 181, 191, 233, 240, 254, 262, 270, 315, 332, 348 Inkarnation (siehe auch Wiedergeburt) 15, 77, 115, 121 – 123, 123, 129, 16, 169, 174, 205, 207, 209, 240, 348 Innovation 16, 19, 22, 40, 77, 106, 223, 241 – 243, 315, 317, 333 – 344, 349, 351 Jack Kerouac School of Disembodied Poetics 194, 212, japanische Elemente 16, 216, 224, 227, 228 – 232, 233, 241, 246, 268, 269, 288 – 289, 298, 308, 315 – 316, 317 Jyekundo 162, 164 Johnstone House 178 Jonestown 16, 211 – 212 Kagyü 15, 33, 38, 116, 119 – 120, 127, 129, 161, 164, 166, 169, 179, 194, 203 – 205, 208 – 209, 14 – 216, 235 – 237, 239, 298, 308, 309, 348 Ka¯lacakra-Tantra 113, 114, 134 – 140, 143, 145, 147, 151, 165, 220, 253, 265 Kalapa 134 – 135, 141, 144, 219 Kalapa Hof (Kalapa Court) 219, 230 – 231, 234, 236 – 238, 241, 283 – 286, 288 – 291, 293, 312 – 313 Kalapa Valley 234

Kalkı¯ (siehe auch Rigden) 134 – 138, 265 Kalligraphie 220, 224, 227, 233, 249, 251, 262, 268 – 269, 295, 306 – Ash¦-Kalligraphie 269, 271, 273, 277, 288, 295, 311 Kanada 16, 34, 219, 234 – 239, 250, 348 Kapital 68, 70 – 72, 75, 100, 101, 177 – kulturelles Kapital 70, 328 – 329, 337 – 338 – ökonomisches Kapital 70, 77, 337 – 338 – religiöses Kapital 73, 76 – 77 – soziales Kapital 70, 77, 202, 240, 337 – 338 – symbolisches Kapital 70, 71, 73, 78, 185, 202, 216, 223, 239, 242, 328 – 329, 336, 337 – 338, 349 Karma Dzong 197, 203, 205 – 206, 216 Karme Chöling (siehe auch Tail of the Tiger) 197, 205, 237, 239, 269, 306 Kham 162 – 163, 165 – 166 Khampa-Aufstand 165 – 167 Konchok Foundation 347 Kultur 21, 22, 38, 63, 72, 99 – 103, 109, 150, 151, 218, 226, 229 – 234, 243, 316, 324, 326, 329 – 333, 333 – 344 – materielle 290, 291 – 304, 312, 317, 334, 344, 350 – tibetische 31, 32, 110, 112, 129, 140, 130 – 133, 144, 145, 322, 326 – visuelle 291, 301 – 304, 346 kulturelle Dynamik 18, 22, 29, 133, 334, 336, 338, 344, 349 – 351 kulturelle Interferenz 19, 22, 331 – 344, 349 – 352 Lama 11, 16, 28, 31, 33 – 36, 77, 119 – 123, 123 – 126, 146, 164, 169, 176, 181, 183, 185 – 186, 201, 204, 206 – 208, 214, 240, 243, 318 – 322, 322 – 329 Lamaismus 31 – 32, 109, 131, 132, 323 – 324 Lhasa 129 – 130, 147, 162 – 163, 165, 167, 169 Maha¯siddha

125, 159, 214, 235

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406

Sachregister

Maha¯ya¯na 43, 113 – 114, 121, 200 Manlungpa 141 – 142, 148 Marpa 119, 120, 125, 214 Meditation 12 – 14, 30, 38, 44, 50, 92, 120, 125, 163, 169, 192 – 194, 198 – 199, 200, 216, 218, 219, 222, 224 – 227, 232, 242, 245 – 246, 250, 257 – 259, 268, 269 – 270, 276 – 280, 295 – 298, 302, 303, 304, 306, 311, 316, 326, 335, 337 Meditation in Action (Chögyam Trungpa) 13, 155, 185, 186, 190, 247, 282, 337 Milarepa 120, 125, 214, 242 Nalanda 194, 209, 317 Na¯landa¯ Translation Committee 274, 316 Namgyal Tse 162, 167 Naropa Institute 12, 13, 15, 193, 194, 196, 201, 202, 208, 209, 211 – 213, 222, 223, 225, 241, 245, 247, 249, 271, 285, 290, 319, 337, 338 Naropa University 15, 76, 77, 196 Nordamerika 7, 12, 14 – 15, 18 – 19, 22, 33 – 34, 39, 76, 105, 108, 111, 131, 151, 184, 186 – 217, 221, 224, 233, 235, 239 – 241, 247, 268, 272, 281, 312, 315, 328, 332, 337, 341, 345, 348 – 349 Nyingma 116 – 119, 126, 127, 129, 164, 180, 207 – 208, 216, 237, 239, 257, 274, 308, 309, 348 Orientalismus 36, 45, 62, 132, 184, 323, 324 – primärer und sekundärer 184 – Selbst-Orientalismus 45 Oxford Universität 15, 174, 176 – 177, 186, 193, 223, 316 Padmasambhava 115, 117 – 118, 128, 179, 214, 235, 274 Pälpung 129, 164, 167, 208 Poesie 193, 194, 229 Populärkultur 32 praxistheoretische Ansätze 299 – 301 Prisoners of Shangri-La (Donald S. Lopez) 31, 146

Psychologie 15, 74, 90 – 95, 189, 194 – 196, 209, 223 – Humanistische Psychologie 196 – Transpersonale Psychologie 196 Psychologisierung 74, 95 – 96, 222, 341 Raudracakrin 128, 135, 137 – 138 Regime des Selbst 94, 96, 343 Reinkarnation (siehe Inkarnation und Wiedergeburt) Religion 20, 21, 27, 38, 41, 49 – 50, 54, 57 – 64, 67, 73 – 74, 90, 96, 99, 103 – 106, 109, 131, 148, 150, 151, 176 – 177, 191, 195, 218, 222, 226, 232, 234, 243, 247, 254, 256, 258, 264, 266, 299, 301, 307, 319, 322 – 324, 336, 337, 339 – 344, 346, 351 – asiatische 37, 41, 151, 195, 202 – Essentialisierung von 103 – materielle 118, 299, 301, 303 – tibetische 109, 322, 323 – Weltreligionen 320, 323, 341 Religionsästhetik 298 – 299, 302 religionsgeschichtliche Dynamik 19, 58, 77, 351 Religiosität 49, 99, 202, 258, 341 Reterritorialisierung 100 – 101 Rigden-König (siehe auch Kalkı¯) 151, 220, 221, 263 – 264, 265, 271, 274 – 275, 280, 286, 292, 297, 306 Rime 119, 126 – 129, 163 – 164, 166, 169, 207, 221, 223 Rinchen Terdzö (Textsammlung) 127, 164, 221 Rocky Mountain Dharma Center (siehe auch Shambhala Mountain Center) 197, 267 Ruling Your World: Ancient Strategies for Modern Life (Sakyong Mipham) 91 Sadhana of Mahamudra (Terma-Text) 120, 180 Sakralisierung 266, 339, 341, 342 Sakya 116, 119, 122, 124, 129, 164 – 165, 166, 170 Säkularisierung 36, 242, 340 – 342

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407

Sachregister

Samye Ling Meditation Centre 12, 178, 183 – 186, 198, 201, 203, 327 San Francisco Zen Center 199, 228 Schottland 12, 15, 178, 182 – 183, 201, 247, 354 – 355 Schwarze-Krone-Zeremonie 205, 298 Sechen 119, 126 – 127, 129, 163 – 164, 169, 207, 348, self spirituality 344 Sera 121 Shambhala 15, 17, 22, 92, 134 – 146, 146 – 156, 169, 181, 217 – 223, 245 – 313, 334 – 344 – Reiseführer (Lamyig) 140 – 143, 144, 145, 148, 265 – 266 – in der Theosophie 149 – 154 – Wunschgebete (Mönlam) 144 – 145 – Könige 134 – 137, 141, 144, 220, 221, 236, 241, 249, 263 – 264, 265, 271, 274 – 275, 280, 283, 286, 290, 292, 297, 305 – 306 Shambhala Art 232 Shambhala-Banner 255, 275, 293 – 296 Shambhala Booksellers 155, 247 Shambhala-Buddhismus 17, 306 – 313, 359 Shambhala-buddhistische Gemeinschaft 120, 128, 134, 199, 220, 236, 252, 253, 302, 308 Shambhala-Chants 262, 297, 298, 335 Shambhala Europe 246 Shambhala-Gemeinschaft 35, 302 Shambhala-Hymne 219, 291 – 292, 297, 298, 316, 335 Shambhala International 14, 17, 33, 38 – 40, 43, 44, 91, 245, 247, 248, 277, 307, 313, 345 – 348 Shambhala-Königreich 147, 182, 218, 219, 228, 234 – 236, 241, 246, 253 – 256, 265, 270, 271, 281 – 282, 284, 286, 287, 289, 292, 305, 340 Shambhala-Krieger 219, 227, 248, 249, 251, 258, 260, 261, 266, 275, 282, 292, 295, 296 – 298, 305, 335 Shambhala-Kultur 232 Shambhala-Lehren 13, 21, 22, 108, 111,

115, 128, 136, 155, 156, 217 – 223, 224, 226, 228, 232, 238, 239, 243, 245 – 313, 335 – 336, 338 – 342, 345, 346, 347, 349, 350 Shambhala-Linie 134, 249, 262, 347 Shambhala-Motiv 21, 22, 112, 146 – 156, 254 Shambhala Mountain Center (siehe auch Rocky Mountain Dharma Center) 16, 197, 237 Shambhala-Mythos 16, 21, 109, 111 – 112, 114, 115, 128, 134 – 146, 147, 148, 150 – 151, 180 – 181, 218, 270 Shambhala-Pfad 108, 156, 219, 250, 251, 257, 260, 266, 277, 279, 296, 305, 306, 307, 308, 310, 335, 339, 344 Shambhala-Praxis 277 – 279, 288, 304 – 306, 308, 316 Shambhala Publications 155, 247, 250, 271, 338 Shambhala: The Sacred Path of the Warrior (Chögyam Trungpa) 247 – 248, 250, 252, 258, 273, 274, 293, 297 Shambhala-Schrein 233, 295 – 296 Shambhala-Siegel 248,249, 255, 293 – 294 Shambhala Sun (Zeitschrift) 346 Shambhala Day 180, 289, 290 Shambhala Terma 118, 217, 219, 221, 248, 264, 268 – 269, 271 – 279, 298, 304, 309, 311, 316, 335 Shambhala Training 13, 16 – 19, 22, 92, 111, 218, 220, 222, 223, 226, 234, 238, 240, 245 – 313, 315, 317, 334 – 336, 338 – 341, 344, 345, 349, 351 Shambhala-Vision 22, 217 – 223, 226, 233, 238, 239, 248, 252 – 266, 270, 272, 279, 280, 282, 284, 289, 291 – 313, 333 – 336, 341 – 343, 346 Shambhala-Weg (siehe Shambhala-Pfad) Shangri-la 31, 131, 146, 183 Shigatse 149 shintoistische Elemente 308 Shiwa Ökar 274 Snowmass-Affaire 16, 210 – 215, 217, 239 Sogetsu School of Japanese Flower Arrangement 177, 186, 233,

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408

Sachregister

Songtsen Gampo 115 Spiritualität 49, 90 – 97, 132, 180, 185, 195, 196, 202, 222 – 223, 230 – 232, 243, 247, 326, 337, 342, 343 Sukha¯vatı¯ (Dewachen) 143 – 144 Surmang 15, 17, 161 – 169, 172, 205, 240, 347 – 349 Tail of the Tiger (siehe auch Karme Chöling) 186, 197, 205 Tantras (Texte) 113 – 114, 117, 119, 126, 136 tantrisch 40, 112 – 133, 134 – 146, 163, 179, 180, 198, 200, 210, 211, 214, 216, 233, 235, 251, 253, 256, 266, 279, 297, 305, 306, 310, 320, 323, 335 Tashilhunpo 149 Technologien des Selbst 95, 300 Teezeremonie (chado) 229, 230 – 231, 232, 268, 316 Terma 114, 117 – 120, 127, 144, 160, 164, 180, 217, 219, 221, 248, 264, 268 – 281, 297, 298, 304, 309, 311, 316, 335 Tertön 117 – 118, 144, 160, 180, 221, 280, 248 The Double Mirror : A Skeptical Journey into Tibetan Buddhism (Stephen Butterfield) 321 The Golden Sun of the Great East (TermaText) 269, 271, 297 The Great Naropa PoetryWars (Tom Clark) 16, 212 The Sane Society (Erich Fromm) 181, 270 Theosophie 32, 37, 131, 111, 146, 148 – 155, 173, 191, 202, 325, 339 Tibet 30, 40, 45, 115, 121, 161 – 175 – chinesische Okkupation 7, 35, 110, 129, 174, 315, 325 – 326 – Osttibet (Derge) 119, 126 – 128, 162 – 163, 165 – 167, 169 – 170, 223, 240, 347 – 349 – Tibet im Exil 129 – 130 – tibetischer Buddhismus 21, 30, 31 – 41, 109 – 110, 112 – 133, 325 – tibetischer Buddhismus im Westen 31 – 38

– tibetische Identität 30 – 32, 130 – 133, 318 – 329 – Mythos Tibet 21, 32, 36, 111, 130 – 133, 146 – 156, 318 – Zentraltibet 119, 121, 127, 166, 169 Totalisierung 322, 324 – 326 TransBuddhismus 107 – 108, 317 Transkulturalität 23, 344, 348 transkulturelle Flüsse 19, 21, 99 – 103, 103 – 106, 107 – 108, 186, 202, 216, 218, 223, 224, 315 – 316, 334 – 335, 348 – 352 Translocative analysis 18, 19, 67, 99, 103 – 106, 108, 351 Transplantation 26 – 27 Transzendentale Meditation 188, 319 Trisong Detsen 115 Trung Mase 161 – 162, 171 Tülku 15, 34, 108, 114, 115, 121 – 123, 160, 161 – 172, 175, 183 – 186, 201, 204, 206, 208, 209, 215, 221, 237, 240, 242, 320, 327, 336, 347 Universalisierung 96, 218, 234, 242, 339 Universeller Monarch (siehe auch Cakravartin) 134, 228, 249, 262 – 263, 286, 292, 297 Vajradhatu 15, 33, 38 – 40, 43, 197 – 198, 201, 206, 212 – 219, 221, 230, 235, 239, 241, 245, 246, 247, 276, 277, 280, 286 – 289, 290, 295, 307, 310 – 312, 317, 319, 337, 338, 345 Vajradhatu Board of Directors 197, 201, 235, 271, 283, 286, 290 Vajradhatu Seminary 198, 200, 202, 207, 210, 225, 268 – 269 Vajrayana/Vajraya¯na 34 – 35, 43, 112 – 113, 135, 180, 203 – 210, 212, 215 – 217, 220, 238, 269, 276, 280 – 281, 288, 295, 310 verrückte Heilige 14, 125 – 126, 167, 214, 235, 242 Wandlungsträger 19, 77, 334, 336, 338 Warrior-King of Shambhala (Jeremy Hayward) 157 – 158

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Sachregister

Wiedergeburt (siehe auch Inkarnation) 15, 34, 120, 121 – 123, 136, 144, 161 – 162, 261 Wissenssoziologie 21, 67, 78, 85 – 89 Wissens- und Praxisfeld 7, 18, 22 – 23, 46, 79, 108, 241, 245, 252, 313, 333, 334 – 344, 349 – 350 Yoga

188, 190 – 192, 194

– Integral Yoga Institute

188, 190 – 192

Zabuton 233, 296 Zafu 233 Zazen 53, 56, 188, 199 Zen (siehe Buddhismus) Zen Mind, Beginner’s Mind (Shunryu Suzuki) 18, 192, 198 – 199

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