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German Pages [472] Year 1991
VÖR
CHRISTOPH KÜNKEL
Totus Christus Die Theologie Georges V. Florovskys
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Forschungen zur systematischen und ökomenischen Theologie Herausgegeben von Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka Band 6 2
Die Deutsche Bibliothek
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CIP-Einheitsaufnahme
Künkel, Christoph: Totus Christus : die Theologie Georges V. Florovskys / Christoph Künkel. — Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1991 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie ; Bd. 62) Zugl.: Erlangen, Nürnberg, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-525-56269-1 NE: GT
© 1991 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Printed in Germany. — Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen.
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die von der Theologischen Fakultät der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg im Sommer 1989 angenommen wurde. Soweit dies möglich war, wurden Quellenverweise ergänzt durch die Angaben zu den Arbeiten G. V. Florovskys, die inzwischen im Rahmen der Edition seiner gesammelten Werke erschienen sind. Die Herausgabe dieser Werke hat sich über mehr als 20 Jahre erstreckt und ist noch immer nicht abgeschlossen. Das mag ein Grund dafür sein, daß die Theologie dieses orthodoxen Theologen und Ökumenikers der ersten Stunde bis heute relativ unbeachtet geblieben ist. Sein theologiegeschichtliches Hauptwerk, die Puti Russkogo Bogoslovija (Wege der russischen Theologie), machte ihn 1937 bekannt und wegen der brillianten Analyse und der scharfen, zuweilen auch ungerechten Kritik zu einem gefürchteten Denker. Mit großer Klarheit stellte er seiner eigenen Kirche und den Kirchen der Ökumene Fragen, die bis heute auf ihre Beantwortung warten. Fragen zu stellen, immer wieder auf ungelöste Probleme aufmerksam zu machen, ist unbequem - und dennoch die vornehme Aufgabe einer Theologie, die sich ihrer Verantwortung für die jeweilige Gegenwart bewußt ist. Georges V. Florovsky wollte in dieser Hinsicht ein zeitgemäßer orthodoxer Theologe sein. Seinem theologischen Gesamtwerk wurde bislang nicht die Aufmerksamkeit zuteil, die es verdient hätte. Zwar dienen einzelne seiner Arbeiten in verschiedenen theologischen Schulen in den USA, Großbritannien oder Rußland als Grundtexte des theologischen Studiums, doch wird dabei die Einbindung einzelner Theologoumena in Florovskys gesamte Theologie nicht hinreichend berücksichtigt. Die vorliegende Studie versucht erstmals, die Grundaussagen dieser Theologie zu erheben und geschlossen zu präsentieren. Angeregt wurde ich dazu während eines Studienjahrs in Durham (GB) durch Dr. G.D. Dragas, der, selbst ein Schüler G. V. Florovskys, es verstand, meine Anfragen und konfessionell bedingten Polemiken gegen diese Theologie einmünden zu lassen in ein ökumenisches Gespräch, das zu verstehen sucht. Bei Prof. Fairy ν. Lilienfeld und Prof. Karl Chr. Felmy wurden diese Anfänge auf eine breitere und historisch fundierte Basis gestellt. Allen drei verdanke ich Einsichten in orthodoxes Denken und Fühlen, die sich nur schlecht aus Büchern erheben lassen. Zudem habe ich Herrn Prof. Felmy zu danken für die großzügige Freistellung von Verpflichtungen während 5
meiner Assistentenzeit am Lehrstuhl für Geschichte und Theologie des Christlichen Osten an der Universität Erlangen. Zu danken habe ich ferner all jenen, die mir über die theologischen Sachfragen hinaus durch die Mitteilung biographischer Details auch einen Zugang zur Person Florovskys ermöglichten. Genannt seien hier Prof. George H. Williams (Cambridge, Mass.), Prof. Kathleen McVey (Boston), Prof. John Meyendorff (New York), Erzbischof Michael Ramsey (Durham, t), Protopresbyter Vitalij Borovoj (Moskau); Reinhilde Ruprecht machte mir Archivmaterial aus Beständen der Universitäten Princeton und Harvard zugänglich. Markus Lesinski hat das Namensregister erstellt und sich der Mühe des abschließenden Korrekturlesens unterzogen. Ohne die Mitarbeit meiner Frau schließlich wäre diese Arbeit nie vollendet worden. Ihr gebührt vor allen anderen mein Dank. Für namhafte Druckkostenzuschüsse danke ich dem Ökumenischen Forschungsfonds des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses, der Zantner-Busch-Stiftung der Universität Erlangen und der EvangelischLutherischen Landeskirche Hannovers. Christoph Künkel Eschede, im Mai 1991
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Inhalt Vorwort I: Ziel, Methode und Ansatz der Untersuchung
5 11
1. Kapitel: Thema, Ziel und Methode der Arbeit 13 1.1 Thema und Ziel 13 1.2 Die Methode 15 1.2.1 Zur Eigenart der Schriften Florovskys 15 1.2.2 Die Methodik anderer Untersuchungen zu Florovsky .. 21 1.2.3 Die Methode der Darstellung 23 2. Kapitel: Die biographische Verankerung des theologischen Denkens Florovskys 2.1 Von Odessa nach Prag: Die Absage an den Determinismus .... 2.1.1 Elternhaus und Universitätsausbildung 2.1.2 Die Ausarbeitung der philosophischen Grundfragen in Sofia 2.1.3 Prag und das Problem der Geschichte 2.2 Paris, die theologische Methode und die ökumenische Frage.. 2.2.1 Die theologische Grundposition: 'Zurück zu den Vätern' 2.2.2 Die Anfänge in der Ökumene 2.3 In den USA: die Bezeugung der Orthodoxie vor der Welt 2.3.1 Von St. Vladimir's nach Harvard 2.3.2 Repräsentant der Orthodoxie in der Ökumene 2.3.3 Die letzten Jahre: Princeton, Ehrungen und Tod 2.4 Zusammenfassung: Wirken für die Identität der Orthodoxie.... 3. Kapitel: Offenbarung und Erfahrung als Grundlage religiöser Erkenntnis 3.1 Die Möglichkeit religiöser Erkenntnis 3.2 Der Gegenstand religiöser Erkenntnis 3.3 Die Unabgeschlossenheit religiöser Erkenntnis 3.4 Der systematische Ausgangspunkt der Theologie
28 28 28 32 49 58 58 68 79 79 83 88 91
95 95 99 103 105 7
II. Die Offenbarung in Christus als Grundlage der Theologie
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4. Kapitel: Die Offenbarung in Christus 4.1 Florovskys Interpretation des Chalcedonense 4.2 Cur Deus homo? 4.3 Die Inkarnation 4.4 Kreuz und Tod 4.4.1 Die Freiheit zum Tod 4.4.2 Der Tod Gottes 4.5 Auferstehung und Himmelfahrt 4.6 Chalcedonensische Christologie als Grundlage aller Theologie
111 114 119 133 141 141 141 151 156
5. Kapitel: Die Kirche als Ort gegenwärtiger Offenbarung 160 5.1 Methodische Vorbemerkungen 160 5.2 Die christologische Verankerung der Ekklesiologie 165 5.2.1 Gemeinschaft mit Christus: die Ekklesia 171 5.2.2 Die Kirche als Leib Christi 179 5.3 Die Katholizität der Kirche 187 5.3.1 Der christologische Zusammenhang von Katholizität und Einheit der Kirche 187 5.3.2 Katholizität als Gabe: die sakramentale Einheit 192 5.3.3 Katholizität als Aufgabe: die Liebe zur Einheit 197 5.3.4 Das katholische Amt als Dienst an der Einheit 202 5.4 Die Identität der Botschaft 208 5.4.1 Der Traditionsbegriff 210 5.4.2 Zeugnisse der Botschaft 215 1. Die Heilige Schrift (215) 2. Der Gottesdienst (229) 3. Das Dogma (238) 5.4.3 Zeugen der Wahrheit der Botschaft 244 1. Die ganze Kirche (244) 2. Die Väter (247) 3. Die Konzile (249) 4. Das lehrende Amt (251) 5.5 Die eschatologische Dimension der Kirche 255
6. Kapitel: Die neopatristische Synthese als Programm orthodoxer Theologie 6.1 Patristik und Katholizität 6.2 Historismus und christlicher Hellenismus 8
261 262 269
III. Heilsgeschichte 7.
8.
9.
im Zeichen der Christusoffenbarung
Kapitel: Kontingenz und Freiheit - Schöpfungslehre 7.1 Der Ansatz der Schöpfungslehre 7.2 Die Kontingenz der Schöpfung 7.3 Die Freiheit Gottes und die Kontingenz des Schöpfungsaktes 7.4 Die Freiheit des Menschen und das Wesen der Geschichte
277 279 280 283 288 298
Kapitel: Sünde und Theosis - Die menschlichen Möglichkeiten 8.1 Grenzen der Freiheit 8.2 Die Verfehlung menschlichen Seins: die Sünde 8.2.1 Der Fall und die tödliche Wirkung der Sünde 8.2.2 Das Wesen des Bösen und Möglichkeiten seiner Überwindung 8.3 Die Erfüllung menschlichen Seins: die Theosis
318 322
Kapitel: Die Erlösung der menschlichen Natur 9.1 Das Ziel der Erlösung: die Auferstehung 9.2 Die Höllenfahrt Christi
328 329 332
10. Kapitel: Die Erlösung der menschlichen Person 10.1 Die Kirche als Ort der Erlösung 10.2 Die Übereignung und Aneignung der Erlösung 10.2.1 Das Sakrament der Taufe 10.2.2 Das Sakrament der Eucharistie 10.2.3 Das Leben im Geist 10.3 Das die Erlösung bezeugende Handeln der Kirche 10.3.1 Die Kirche und die weltliche Kultur 10.3.2 Die Kirche und soziales Handeln 10.3.3 Die Kirche und die Kirchen 1. Der Ausgangspunkt: Einheit in Christus (366) 2. Die Ursache der Kirchenspaltung (369) 3. Das Wesen der Kirchenspaltung (377) 4. Wege zur Überwindung der Kirchenspaltung (383) 10.4 Die Erlösung im Endgericht
308 308 310 311
337 339 340 342 345 352 357 360 363 365
389
9
TV. Kritische Würdigung
399
11. Kapitel: Kritische Würdigung der theologischen Hauptgedanken Florovskys 11.1 Erfahrung und Bekenntnis 11.2 Christologie und Anthropologie 11.3 Ekklesiologie 11.4 Das Programm einer neopatristischen Synthese 11.5 Fazit
401 402 406 413 417 427
V Literaturverzeichnis
431
1. 2. 3. 4. 5.
431 442 444 448 450
Werke Florovskys Von Florovsky verwendete Quellen Quellen zu Biographie und Theologie Florovskys Literatur zu Florovsky Sekundärliteratur
VI. Register
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1. Sachregister 2. Namensregister
455 465
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I. HAUPTTEIL
Ziel, Methode und Ansatz der Untersuchung
1. Kapitel: Thema, Ziel und Methode der Arbeit
1.1 Thema und Ziel Es gibt wohl nur wenige orthodoxe Theologen, auf die man sich ohne nähere Kenntnis ihrer Theologie so häufig beruft wie auf Georges VFlorovsky (1893-1979). Dies ist umso erstaunlicher, als Florovsky zu den profiliertesten Vertretern der orthodoxen Theologie des 20.Jahrhunderts zählt: Innerorthodox erlangte er durch seine Forderung einer 'Rückkehr zu den Vätern' große Berühmtheit, doch beschränkte sich die Rezeption seiner Aussagen fast ausschließlich auf diesen Aufruf zur Begründung einer spezifisch orthodoxen Theologie. Die Art und Weise, wie er selbst dieser Forderung konkreten Ausdruck gegeben hat, blieb weitgehend unberücksichtigt. Über die Grenzen der orthodoxen Kirchen und Theologie hinaus bekannt geworden ist dieser Theologe sodann einerseits durch sein epochales Werk zur russischen Geistes- und Theologiegeschichte, die Puti Russkogo Bogoslovija (Wege der russischen Theologie)1. Andererseits gehörte er zu den "Gründungsvätern" der Ökumenischen Bewegung und war maßgeblich dafür verantwortlich, daß innerhalb dieser ursprünglich vorwiegend reformatorisch und 'protestantisch' freikirchlich geprägten Bewegung der Orthodoxie und damit einer 'katholisch' 2 ausgerichteten Theologie der Platz eingeräumt wurde, der ihr angesichts der geschichtlichen Bedeutung der 1 Auf die Werke Florovskys wird in der gesamten Arbeit ohne Verfasserangabe unter Verwendung von Kurztiteln Bezug genommen. Die exakten bibliographischen Angaben zu diesen Arbeiten finden sich in der alphabetischen Reihenfolge der gewählten Kurztitel am Ende der Arbeit unter V.l: Werke Florovskys S. 431ff. 2 Die Begriffe 'protestantisch' und 'katholisch' sind hier nicht konfessionalistisch zu verstehen, sondern bezeichnen in Aufnahme der auf der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam 1948 verwendeten Terminologie (cf [= confer = vergleiche] den Bericht der Sektion I in D.Gaines: The World Council of Churches 278) in stark vereinfachender Weise zwei verschiedene theologische Denktraditionen. Cf auch Florovskys eigene dem entsprechende Formulierung in Chichester 182.
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Orthodoxie für das Selbstverständnis aller Kirchen und ihrem Anteil an der Weltchristenheit zukommt. Trotz dieser zweifellosen Verdienste Florovskys gibt es bis heute kaum Untersuchungen zu seiner Theologie, obwohl sie es erst ermöglichen, Florovskys Bedeutung von seinen eigenen Voraussetzugen aus sachgerecht zu beurteilen. Denn auch die kirchen- und dogmengeschichtlichen Arbeiten Florovskys wollen keineswegs nur unter historischem Gesichtspunkt verstanden werden, sondern setzen nach Florovskys eigenem Selbstverständnis zugleich ein theologisches Arbeiten des Verfassers voraus.3 Und auch sein ökumenisches Wirken gewinnt erst auf dem Hintergrund einer Kenntnis seiner Theologie sein eigentliches Profil. Und wenn Florovsky schließlich sein theologisches Programm, das unter dem Begriff der 'neopatristischen Synthese' bekannt geworden ist, nicht bis in alle Einzelheiten erläutert und duchgeführt hat, entbindet dies nicht von der Aufgabe, das, was er an verschiedenen Stellen dazu geäußert hat, darzulegen und von da aus einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Das begrenzte Ziel dieser Arbeit ist es somit, die Theologie Georges V.Florovskys aus seinen Schriften zu erheben, zusammenzufassen und systematisch darzustellen. Damit kann nicht nur Florovskys Bedeutung für die orthodoxe Theologie des 20. Jahrhunderts und die Ökumene besser eingeschätzt werden, sondern darüber hinaus auch das theologische Denken eines orthodoxen Theologen bekannter werden, der an seine eigene Theologie den Anspruch hatte, sie könne die Grundlage einer Ost und West verbindenden Theologie darstellen. Wenn diese Darstellung der Theologie Florovskys unter dem Titel 'Totus Christus', einem von Augustin geprägten Terminus, erfolgt, so ist dies nicht nur eine Anspielung auf das von Florovsky am häufigsten herangezogene Dictum eines Kirchenvaters, sondern faßt die Programmatik und den Kern seiner Theologie äußerst knapp zusammen. Programmatisch für sein theologisches Anliegen ist dieser Titel schon von seiner Herkunft her. In dem Bezug auf Augustin kommt Florovskys Anliegen zum Ausdruck, die theologischen Quellen und Ausdrucksmittel gegenwärtiger östlicher und westlicher Theologie in der vereinten Besinnung auf ihre gemeinsamen patristischen Wurzeln zu suchen. Zeitgemäße orthodoxe Theologie muß nach Florovskys4 Verständnis deshalb immer eine Theologie sein, die 3 Cf Authority 93: "Der Kirchenhistoriker ist unausweichlich auch ein Theologe. Er kann gar nicht anders, als seine persönlichen Ansichten und Überzeugungen mit einzubringen." 4 Wie Florovsky selbst schreibe ich seinen Namen nicht in der russischen Transkription, sondern in seiner französischen Form. In dieser Schreibweise drückt sich nicht nur
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gerade auch in Hinsicht auf nichtorthodoxe Kirchen gesprächswillig und -fähig ist. Dies ist sie aber nach Überzeugung Florovskys nur dann, wenn sie auf Denkweisen, die seiner Ansicht nach dem liturgischen Leben und der sich darin ausdrückenden orthodoxen Theologie fremd sind, verzichtet und ihren Ansatz bei der Erfahrung des totus Christus, caput et corpus sucht, d.h. bei ihrer Darlegung von den geschichtlichen Tatsachen der Menschwerdung Gottes in Christus und der Fortsetzung des Heilswerkes Christi in seinem Leib, der Kirche, ausgeht. Ob und inwiefern dieser knapp skizzierte programmatische Ansatz von Florovsky selbst verwirklicht wurde, kann erst im Anschluß an die Darstellung seiner Theologie, die das eigentliche Hauptanliegen der Arbeit ist und damit weitergehende Forschungen zu Florovsky ermöglichen will, beurteilt werden.
1.2 Die Methode Zu einer angemessenen Bearbeitung der gestellten Aufgabe gehört es, sich über Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Unternehmens Rechenschaft abzulegen. Dies soll im folgenden geschehen, indem zuerst der zu behandelnde Stoff in Hinsicht auf die Möglichkeit einer systematischen Darstellung analysiert wird (1.2.1). Sodann werden bereits vorliegende Arbeiten zu Florovskys Theologie auf deren Methode hin untersucht (1.2.2), um abschließend zu einem eigenen Ansatz für die Darstellung zu kommen (1.2.3). 1.2.1 Zur Eigenart der Schriften
Florovskys
Wenn im folgenden von Schriften Florovskys die Rede ist, so handelt es sich dabei um die Arbeiten, in denen er sein eigenes theologisches Denken expliziert s , da das Ziel meiner Untersuchung nicht die Darstellung des literarischen Gesamtwerkes Florovskys ist, sondern sich auf seine Theolo-
Florovskys Weltoffenheit und Zugewandtheit zum jeweiligen Aufenthaltsland (Florovsky lebte nur durch die Kriegsjahre unterbrochen von 1926 bis 1948 in Paris und ließ seinen Vornamen im englischsprachigen Raum zuweilen auch ohne das französiche 's', also 'George' drucken) aus, sondern auch sein Selbstverständnis als Orthodoxer: die orthodoxe Tradition ist universal und nicht auf Nationalitätszugehörigkeiten zu beschränken. 5 Die textliche Grundlage der Arbeit umfaßt, soweit sie zugänglich waren, nahezu alle von Florovsky publizierten Schriften zu spezifisch theologischen Themen.
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gie beschränkt. In der Darstellung seiner Theologie werden seine Aufsätze zu slavistischen oder historischen Fragen deshalb nur dann herangezogen, wenn dies zur Präzisierung oder Einordnung seiner theologischen Gedanken sinnvoll erscheint. Florovskys Schriften sind mit Ausnahme seiner drei historisch orientierten Bücher aus den dreißiger Jahren bzw. deren überarbeiteten und ins Englische übersetzten Editionen durchweg Aufsätze, die jedoch verschiedenen Gattungen zuzurechnen sind. So wurden einige als Vorträge veröffentlicht, die Florovsky vor bestimmten Auditorien gehalten hat; andere sind mit wissenschaftlichem Apparat versehene Spezialuntersuchungen; wieder andere sind allgemeinverständliche Einführungen, Abhandlungen, Editoriais oder Predigten. Und schließlich gibt es einige Untersuchungen, die Florovsky als Vorarbeiten für Bücher, die dann nicht erschienen, kennzeichnete. Mit dieser Sachlage stellen sich in Hinsicht auf das bezeichnete Ziel der Arbeit folgende Fragen: Ist es sachgemäß, die Aussagen dieser verschiedenen Gattungen zu einem theologischen System und das heißt zu einer bestimmten Gattung zusammenzufassen? Und: Kann man Aufsätze, die nicht nur zu verschiedenen Anlässen, sondern auch zu je anderen Zeiten verfaßt wurden, in einer Gesamtdarstellung vereinigen? Nach Durchsicht der Schriften Florovskys erscheint mir, wie im folgenden zu begründen ist, aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs auch verschiedener Gattungen eine systematische Zusammenfassung möglich und sinnvoll. Die skizzierte Gattungsproblematik muß bei der Darstellung in der Art berücksichtigt werden, daß Aussagen, die sich beispielsweise nur in einem Vortrag vor einem nichtorthodoxen Auditorium finden, darauf überprüft werden, wie sie sich zu anderen analogen Aussagen Florovskys verhalten, bzw. muß, falls sich derartige Analogien nicht finden, geklärt werden, ob sich die dargelegte These nicht durch die Vortragssituation erklären läßt. Dies wird bei der Darstellung im einzelnen berücksichtigt. Doch lassen sich die gestellten Fragen über diese methodische Kautel hinaus präziser noch durch einen Blick auf die Arbeitsweise Florovskys beantworten. Bei der Untersuchung seiner Schriften auf Parallelaussagen oder Entwicklungen hin ist nämlich zu beobachten, daß er selbst den unterschiedlichen Gattungen seiner Veröffentlichungen keine Bedeutung beimaß und sich außerdem bei der Erörterung von Problemen, die er bereits Jahre zuvor behandelt hatte, zu keinen wesentlichen formalen wie inhaltlichen Eingriffen in bereits früher Veröffentlichtes genötigt sah. Dies soll an einigen Beispielen exemplarisch verdeutlicht werden. So veröffentlichte Florovsky seine ursprüngliche Predigt über Ez 37 1953 im dritten Heft der von ihm herausgegebenen Zeitschrft' St. Vladimir 's Seminary Quarterly' als Editorial unter dem Titel Ό Ye Dry Bones' und 16
erneut in unveränderter Form im dritten Band seiner Collected Works (CW), der seine spezifisch systematisch-theologisch ausgerichteten Aufsätze enthält. Hier erhält die Arbeit als Aufsatz den Titel 'The Valley and Shadow of Death'. - Die ausführliche Darstellung der Väterausssagen zum Verhältnis von Schrift und Tradition in dem wissenschaftlichen Aufsatz Function aus dem Jahre 1963 faßte Florovsky in der populärwissenschaftlichen Darstellung Scripture bei wörtlicher Aufnahme ganzer Passagen knapp zusammen.6 Diese Beipiele ließen sich leicht vermehren, werden aber noch deutlicher, wenn man bei verschiedenen Aufsätzen zu einer ähnlichen Thematik Textvergleiche anstellt. Florovsky hat nämlich nicht nur bereits in jungen Jahren verfaßte Aufsätze später erneut, manchmal auch unter anderem Titel und in leicht überarbeiteter Form7, veröffentlicht, sondern zitiert sich über Jahre hinweg gern selbst - ohne den Leser darauf aufmerksam zu machen. Dies sei im folgenden exemplarisch an Florovskys Aufsätzen zur Erlösungslehre verdeutlicht. Sein erster Aufsatz dazu stammt aus dem Jahr 1928, der letzte wurde 1976 unter dem Titel Redemption im dritten Band der CW veröffentlicht. Dieser ist durch Zwischenüberschriften in acht Abschnitte gegliedert.8 Der 1928 veröffentlichte Aufsatz Ο Smerti stellt die russische Vorlage für den 1., 2., 5., 6. und 7. Abschnitt dar, wobei 3 kurze Passagen und 12 Sätze bzw. Satzteile sich nicht im englischen Text finden, und die englische Version in diesen Abschnitten gegenüber dem russischen Text um dreizehn Passagen und 29 Sätze bzw. Satzteile erweitert wurde. Der 1935 veröffentlichte Aufsatz Ο Voskresenii bildet die russische Vorlage für die Abschnitte 3. und 4. von Redemption, die in ähnlicher Weise durch Einfügungen bzw. Auslassungen von der Vorlage abweichen. Während der grundsätzliche Textbestand der Vorlagen weitgehend unverändert übersetzt wurde, hat Florovsky in der englischen Version des 3. und 4. Abschnitts von Redemption zugleich Umstellungen ganzer Passagen vorgenommen.9 6 Cf Scripture 290-293 mit Function 76-83, 85-89, 74f. 7 Ein schönes Beispiel dafür stellt der Aufsatz Asceticism dar, den Florovsky 1932 auf einem Treffen des Fellowship of S.Alban and S.Sergius gehalten hat. Zwanzig Jahre später veröffentlichte er ihn, jetzt unter dem Titel Christianity and Civilization, erneut: leicht gekürzt und in stilistisch erheblich geglätteter Form. 8 Cf Redemption 95-159: I: The Incarnation and Redemption (95-104); II: The Meaning of Death and Redemption (104-110); III: Immortality, Resurrection and Redemption (111-125); IV: Time, Eternity and Redemption; V: High Priest and Redeemer (131-142); VI: The Crucifixion, Resurrection and Redemption (143-149); VII: Baptismal Symbolism and Redemptive Reality (149-155); VIII: The Eucharist and Redemption (156-159). 9 Ο Voskresenii ist häufig ausführlicher als Redemption, doch hat auch der englische Aufsatz Passagen, die sich im russischen nicht finden. Sieht man von kleineren
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Den Seiten 17-20 des 1949 veröffentlichten Aufsatzes Lamb entsprechen 10 drei Seiten aus dem 1. Abschnitt von Redemption. Es folgen zwei eigenständige Seiten und sodann eine Kompilation aus Passagen aus Ο Smerti, die in Redemption in den Abschnitten 5-7 zu finden sind. 11 - Auch der Aufsatz Immortality aus dem Jahre 1951 weist ein methodisch ähnliches Arbeiten Florovskys auf. Auch hier sind seitenweise Abschnitte zu finden, die sich wörtlich und um Absätze erweitert auch in Redemption finden.12 Immortality bietet schließlich die ausführlichste Vorlage für den 8.Abschnitt von Redemption. - Der 1951 gehaltene Vortrag Gospel ist eine sehr knappe Kompilation aus Aussagen aus Ο Voslcresenii und Ο Smerti. Die dort anzutreffende Reihenfolge der Gedanken hat Florovsky dann in Redemption, allerdings erheblich erweitert, übernommen. 13 - Der 1953 veröffentlichte Aufsatz Tree stimmt, abgesehen von einer eigenständigen Einleitung S . l l f , meist auf das Notwendigste beschränkten Anmerkungen im fortlaufenden Text, einer dreizeiligen Textpassage auf Seite 13 14 und der Angabe von Bibelzitaten auf Seite 25 sowie anderen Zwischenüberschriften und fehlender griechischer Worte, mit Redemption 131-159 wörtlich überein.
Abweichungen der Texte voneinander ab und vergleicht die Seiten, die gleichen Text bieten, so ergibt sich folgendes Bild (Seitenangaben von Redemption in Klammern): 135f (-); 137 (105); 137-155 (111-125); 155f (108f); 156-158(125 letzter Absatz-127); 158-161 (-); 161-164 (127-130); 164-166 (Teile aus 151). 10 Der Begriff 'entsprechen' bedeutet nicht, daß Florovsky neu formuliert hätte, sondern soll nur anzeigen, daß sich sehr vereinzelt Einfügungen oder Auslassungen von Sätzen oder Satzteilen sowie stilistische Glättungen finden, der Wortbestand ansonsten aber unangetastet geblieben ist. 11 Um der Klarheit willen beziehe ich Veränderungen der Texte auf den umfassendsten Text, d.h. Redemption. Lambs Text der Seiten 23-28 findet sich, wenn man von drei kurzen Passagen absieht, die nicht in Redemption enthalten sind, inhaltlich aber nichts neues bringen, bei Redemption 105,109,132f,135-139,141-147,149f. 12 Im Gegenüber zu Redemption (Seitenangaben in Klammern) ergibt sich bei Immortality folgende auf Seiten bezogene wörtliche Übereinstimmung: 213-222 (-); 222f (105,107f); 224f (96); 226f (132f) 227-229 (136-143 [umfangreiche Erweiterungen]); 230f (147-149); 232f (151f); 234-239 (149-158); 239f (-). 13 Gospel entspricht (s.o.Anm.6) bis auf die Auslassung von drei Sätzen und drei neuen Formulierungen wörtlich Passagen aus Redemption lll,113f,129,139f,143147,130. 14 Dieselben Zeilen wurden übrigens auch aus Ο Smerti nicht mit in Redemption übernommen. Daraus ist jedoch nicht zu folgern, daß Florovsky Tree und nicht Ο Smerti als Vorlage für Redemption genommen hat, da er insbesondere bei den Anmerkungen Passagen aus Ο Smerti in Redemption aufgenommen hat, die sich in Tree nie befunden haben. 18
Bei den redaktionellen Bearbeitungen früherer Aufsätze zur erneuten Veröffentlichung ist eine klare Intention oder redaktionelle Absicht Florovskys - es sei denn in stilistischer Hinsicht - nicht erkennbar. Dafür spricht auch der verwirrende Umstand, daß Passagen, die sich beispielsweise in Ο Smerti, nicht aber in Lamb finden, in Redemption erneut aufgenommen sind, obgleich zugleich zu beobachten ist, daß Passagen, die sich in Lamb, nicht jedoch in Ο Smerti befinden, nicht in Redemption aufgenommen wurden. Angesichts dieser Vielzahl von Bezügen, Abhängigkeiten und Querverbindungen ist eine endgültige redaktionsgeschichtliche Analyse von Redemption nicht möglich. Florovsky hat diesen Aufsatz für die Veröffentlichung in den CW, soviel läßt sich mit Sicherheit sagen, intensiv bearbeitet, was nicht zuletzt an dem Anmerkungsapparat, der in dieser Ausführlichkeit selbst bei Ο Smerti nicht anzutreffen ist, deutlich wird. Für die Frage nach einer angemessenen Methodik der vorliegenden Untersuchung ist dieses geschilderte Vorgehen Florovskys, das sich auch an anderen Aufsatzgruppen aufzeigen läßt15 und hier nur exemplarisch vorgeführt wurde, sehr bedeutsam und läßt folgende Schlüsse zu: 1. Florovskys gedankliche Kontinuität besteht nicht nur, wie die Biographie aufweisen wird, in Grundsatzfragen, sondern ist auch in seinen Veröffentlichungen erkennbar. Er hat sich nicht zu Korrekturen früherer Positionen genötigt gesehen.16 2. Florovsky selbst hat einzelne seiner Aufsätze zu größeren Themenund Sachgebieten zusammengebunden und damit systematisiert. 3. Er hat innerhalb seiner Aufsätze keine feste Ordnung verfolgt, sondern konnte je nach Sinnzusammenhang Passagen umstellen, einfügen und in neue Zusammenhänge einordnen17. In Hinsicht auf das Ziel der vorliegenden Untersuchung folgt aus diesen Einsichten methodisch: Eine geschlossene Darstellung der theologischen
15 Im Verlauf der Arbeit komme ich, soweit sich analoge Beobachtungen machen lassen, jeweils zu Beginn eines neuen Abschnitts auf die Quellenlage zu sprechen. 16 Die Absolutheit dieser Aussage wird durch die ganz unbedeutenden Ausnahmen, die im Verlauf der Darstellung angesprochen werden, m.E. nicht eingeschränkt. G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 12f übersieht diesen Tatbestand, wenn er Florovskys textliche Wiederholungen mit "musikalischen Variationen" über dasselbe Thema vergleicht. Daß es sich dabei um seitenlange wörtliche Selbstzitate handelt, ist ihm - und auch sonst keinem, der sich mit Florovsky beschäftigte - offensichtlich nicht aufgefallen. 17 Ein gutes Beispiel dafür bietet der der Eschatologie gewidmete Aufsatz Pat.Age, der auf den Seiten 73-76 mit Sätzen aus Redemption U l f , 115-120 (Vorlage dieses Redemptionabschnittes: Ο Voskresenii) wörtlich übereinstimmt.
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Aussagen Florovskys ist nicht nur theoretisch möglich, sondern entspricht der Arbeitsweise dieses Theologen selbst. Diese Tatsache legitimiert methodisch, daß Arbeiten Florovskys, die bislang isoliert dastehen, in bereits bestehende Zusammenhänge eingefügt werden, bzw. umgekehrt, daß große Gedankenzusammenhänge Florovskys, wie er sie in den großen Aufsätzen zusammengestellt hat, unterbrochen werden, um sachlich im selben Kontext zu Verhandelndes dort einzufügen. Dies kann natürlich nicht willkürlich geschehen, sondern muß sich dem Denken Florovskys sachgerecht einfügen. Dies ist die Voraussetzung einer systematisierenden Darstellung seiner Theologie. Zugleich nötigt die erstaunliche Tatsache, daß ein Theologe über den Zeitraum von mehr als vierzig Jahren keine wesentliche Revision seiner Aussagen für nötig befunden hat, zu einer sorgfältigen Untersuchung einzelner Aussagen. Zwar hat man, wenn man theologische Schriften Florovskys liest, fast immer das Gefühl, bereits Bekanntes, von anderen Geäußertes zu lesen - was seinem Anspruch an eine der Tradition der Orthodoxie verpflichteten Theologie nur entspricht! - , doch wird bei genauerem Hinsehen sofort deutlich, daß Florovsky jede Formulierung präzise gewählt hat, und sich hinter diesem "Bekannten" theologische Entscheidungen verbergen. 18 Auch wenn bei Veröffentlichungen, die erneut ein bereits erörtertes Thema abhandeln, eine durchgehende redaktionelle Intention Florovskys an keiner Stelle deutlich wird, so zeigen seine Eingriffe in vorliegende Texte doch an, daß es ihm um Einzelfomulierungen ging. Dies wird auch an dem Vokabelreichtum sowohl seiner russischen wie englischen Veröffentlichungen mehr als deutlich. In beiden Sprachen drückte sich Florovsky sehr differenziert und gewählt aus und entwickelte einen klaren und verständlichen Stil.19 Die beobachtete Tatsache, daß Florovsky sich ausführlich selbst zitiert hat, sollte deshalb nicht zu dem Umkehrschluß verleiten, er habe nur wenig zu sagen gehabt. Vielmehr ist angesichts seines ausgefeilten Stils teilweise eine satzweise Auslegung seiner Aussagen vonnöten! 20 Wie dies in systematischer Form im einzelnen geschehen kann,
18 Etwas pathetisch, aber dennoch zutreffend formuliert Bird: In memoriam 344 diesen Sachverhalt folgendermaßen: "Florovsky entwickelte einen kraftvollen Stil. Jede Facette dessen, was er niederschrieb, wurde sorgfältig geschliffen, bevor sie seinen Schreibtisch verließ - mit Hinsicht auf den bleibenden Platz, den sie im Kanon Orthodoxer Literatur haben würde." 19 Dies macht Übersetzungen recht schwierig, wie man z.B. auch an der nicht immer leicht lesbaren englischen Version der Puti sieht. 20 Liegen Textvarianten vor, werden bei der Interpretation deshalb auch mögliche Abweichungen in verwandten Aufsätzen herangezogen.
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soll nach einer Untersuchung der bislang zu Florovsky vorliegenden Arbeiten in einem dritten Schritt überlegt werden. 1.2.2 Die Methodik anderer Untersuchungen zu Florovsky Obwohl Florovsky zu den bedeutendsten orthodoxen Theologen des 20.Jahrhunderts zählt, gibt es bislang nur zwei veröffentlichte Untersuchungen zu seiner Theologie. Die bisher umfassendste Arbeit, die Florovskys Person und seinem Gesamtwerk gewidmet ist, legte 1965 sein langjähriger Freund und Kollege George Hunston Williams in einem knapp hundertseitigen Aufsatz vor. Neben der detaillierten Biographie versucht Williams in einem ersten Teil, Florovskys intellektuelle Entwicklung bis zum Jahr 1948 aufzuzeigen. In einem zweiten Teil stellt er in geraffter Form und unter besonderer Berücksichtigung der in den USA geschriebenen Veröffentlichungen Florovskys Kernaussagen seiner Theologie zusammen. Dabei versucht er weder, Florovskys gesamte Theologie detailliert darzulegen21, noch einen inneren Zusammenhang der Aussagen deutlich zu machen, sondern faßt Einzelaussagen in sieben Komplexen zusammen, so daß sich, wie Williams selbst am Ende seines Aufsatzes schreibt, der Eindruck aufdrängt, Florovsky habe eine "Theologie der Unvollständigkeit" vorgelegt, worin sein Mißtrauen theologischen Systemen gegenüber zum Ausdruck gekommen sei.22 Zwar ist es richtig, daß Florovsky sich zu einigen klassischen Loci der Theologie schriftlich nicht geäußert hat und auch theologischen Systemen gegenüber skeptisch war, da sie die Gefahr in sich bergen, die fundamentale Differenz zwischen lebendiger Glaubenserfahrung und begrifflichem Ausdruck derselben durch den systematisierenden Gebrauch der Vernunft aufzuheben. Wird diese Gefahr methodisch jedoch hinreichend berücksichtigt, so ist der Versuch einer systematischen Darstellung einer Theologie m.E. dann möglich, wenn er sich auf die Darstellung der Eigenaussagen Florovskys beschränkt und auf Ergänzungen bzw. Interpretamente anderer theologischer Systeme verzichtet. Sieht man einmal von der erheblich größeren Textbasis der vorliegenden Arbeit und der weit detaillierteren Darstellung ab, so versuche ich somit in Hinsicht auf die Systematisierung der Gedanken Florovskys das exakte Gegenteil der These Williams' zu erweisen und gehe methodisch deshalb nicht so vor, daß zusammenhängende Sachkomplexe "nur" gebündelt werden, sondern versuche, eine systematische Gesamtdarstellung der Theologie Florovskys vorzulegen. 21 Cf G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 53f 22 Cf ibid.106
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1968, also nach Abschluß des II. Vaticanum, erschien die bisher einzige veröffentlichte Spezialuntersuchung zu Florovsky: Yves Lelouviers Perspectives Russes sur l'Eglise. Sie hatte das durch das auf dem Konzil neu erwachte Interesse an der Ekklesiologie motivierte Ziel, dem römischen Katholizismus eine repräsentative orthodoxe Ekklesiologie vorzustellen. 23 Auf der sehr schmalen Textbasis von nur sieben Aufsätzen Florovskys zur Ekklesiologie stellt Lelouvier, von der Anlage seiner Exposition her unbewußt der Gliederung des Aufsatz Corps folgend, im wesentlichen diese Aufsätze ohne A u f w e i s eines inneren Zusammenhangs nebeneinander dar und kommt zu dem Ergebnis, daß Florovskys Ekklesiologie römisch katholischen Ansätzen nahezustehen scheint 24 , in den Fragen des kirchlichen Lehramtes und des Primats Roms jedoch undeutlich bleibt 2S . Neben drei mir bekannten unveröffentlichten Arbeiten 26 , Nachrufen, Werkbespre23 Cf Y.Lelouvier: Perspektives Russes 27ff und 155 24 Cf ibid. 168. Allerdings verzichtet Y.Lelouvier darauf, die sicher nicht zu Unrecht vermutete Nähe Florovskys zum Katholizismus deutlich zu markieren. 25 Cf ibid. 161. Diese spezifisch römisch katholischen Probleme hat Florovsky in der Tat nicht behandelt, doch kann man dies angesichts des grundsätzlichen Charakters aller seiner Aufsätze zur ökumenischen Problematik auch schlechterdings nicht erwarten: Sie verfolgten alle nur das - in seiner Einseitigkeit sicher auch fragwürdige - eine Ziel: Nichtorthodoxen die Wahrheit der Orthodoxie zu erläutern. Zu dieser Wahrheit zählte Florovsky nicht die Primatsfrage, auch nahm er in Hinsicht auf das kirchliche Lehramt eine typisch russisch orthodoxe Position, dieA.S.Chomjakovs, ein (cf dazu u. S. 251ff). 26 Es handelt sich dabei um die Lizentiatsarbeit Fr.Maurus Dörpinghaus', die Seminararbeit Kathleen McVeys und meine Magisterarbeit. M.Dörpinghaus', OSB, Untersuchung zum Traditionsbegriff bei Florovsky geht methodisch so vor, daß zuerst die Genese des orthodoxen Traditionsverständnisses dargelegt wird. Florovskys Aussagen bilden auf diesem Hintergrund den Versuch, nach mancherlei geschichtlichen Verstellungen und Überlagerungen die Identität der Orthodoxie durch methodische Rückkehr zu den Vätern erneut herzustellen. Bei dieser Untersuchung macht sich allerdings die fehlende Einbindung in das gesamte Denken Florovskys insofern deutlich bemerkbar, als M.Dörpinghaus die Einbindung des Traditionsbegriffes in die Ekklesiologie bei Florovsky zwar angemessen darstellt (cf M.Dörpinghaus: Die Tradition 85ff), jedoch für den Begriff selbst nicht fruchtbar macht, wenn er in der Auswertung zu der irrigen Annahme kommt, Florovskys Traditionsbegriff könnte ähnlich exklusiv verstanden werden wie das protestantische sola scriptum (cf ibid. 119f). Zudem erneuert M.Dörpinghaus den bereits von N.Berdjaev gemachten Vorwurf, Florovskys Methode sei letztlich reiner Historismus (cf ibid.ll7f), was ebenfalls auf ein mangelndes Verständnis für Florovskys Ekklesiologie schließen läßt. - K.McVeys Untersuchung zum Geschichtsbegriff Florovsky bezieht sich überwiegend auf seine frühen, philosophisch ausgerichteten Aufsätze, die immer wieder, wie dies in der Biographie deutlich werden wird (cf u.Kap.2), auch theologische Implikationen haben, auf die K.McVey sehr summarisch eingeht. - Schließlich habe ich 1982 eine Magisterarbeit mit dem Titel
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chungen und Lexikonartikeln gibt es noch einige wenige kleinere Artikel zu Florovskys Theologie27, auf die, sofern sie wesentliches aussagen, an geeigneter Stelle eingegangen wird.28 Damit zeigt sich, daß Florovsky wissenschaftlich kaum untersucht worden ist. Neben der grundsätzlichen Einführung in Leben und Werk Florovskys durch G.H. Williams und der Darstellung seiner Ekklesiologie durch Lelouvier fehlt es an dem Versuch, Florovskys theologisches Denken geschlossen zu präsentieren. Die Methode G.H. Williams', Aussagen Florovskys in Komplexen zu bündeln, entspricht zwar der Intention einer Einführung, kann jedoch, ohne daß der Eindruck gewisser Willkür entsteht, bei einer Gesamtdarstellung der Theologie ebensowenig angewendet werden wie die von Lelouvier selbst nicht reflektierte Vorgehensweise, Florovskys Aufsätze schlicht aneinanderzureihen. 1.2.3 Die Methode der Darstellung Der Versuch, Florovskys Theologie systematisch darzustellen, hat von dem Faktum auszugehen, daß Florovsky selbst seine Gedanken nicht geschlossen präsentiert, sondern in einzelnen Aufsätzen dargelegt hat. Der Verzicht auf ein theologisches System könnte die Vermutung nahelegen, Florovsky habe sich nur zu einzelnen Loci der Theologie geäußert, die man dementsprechend nur je für sich darlegen kann. Seine eigene Arbeitsweise, Aufsätze zu größeren Komplexen zusammenzubinden, belegt jedoch, daß er selbst eine Verknüpfung seiner Aussagen in größere Zusammenhänge nicht nur für möglich hielt, sondern selbst vorgenommen hat.29 Dieses 'The Salvation of Man according to Georges V. Florovsky' geschrieben, die versuchte, seine Aussagen hierzu systematisch darzulegen. Doch wurde dies wegen der mich damals methodisch bestimmenden beständigen Auseinandersetzung mit der Orthodoxie von lutherischer Warte aus dem Anliegen Florovskys sehr häufig nicht gerecht. So erleichterte die geleistete Vorarbeit zwar das hiermit vorliegende Projekt, doch konnte, da die Disposition und Textbasis der Arbeit erheblich erweitert wurde, kaum etwas übernommen werden. 27 Cf die Bibliographie zur bislang veröffentlichten Sekundärliteratur, die sich speziell Florovsky widmet, im Literaturverzeichnis V.4 S. 448ff. 28 Hervorzuheben ist hier einzig der Aufsatz von I.Swiridow: Wege der russischen Theologie, der anhand wesentlicher Aussagen der Puti Florovskys theologisches Programm einer neopatristischen Synthese erläutert. 29 Der Aufsatz Redemption belegt, daß Florovsky nicht nur Aufsätze zu einem theologischen Problem miteinander verbinden konnte, sondern zugleich mit der Christologie auch Grundaussagen zur Anthropologie, Kosmologie und Sakramentenlehre darlegte.
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Vorgehen entspricht sachlich seiner Einsicht, daß sich die Wirklichkeit nicht von unterschiedlichen Blickwinkeln aus verschieden darstellt, sondern es vielmehr Aufgabe der Theologie ist, die Wirklichkeit als das eine Geschehen zwischen Gott und den Menschen zu interpretieren.30 Anders gesagt, es ging ihm mit seiner Theologie um die Ausbildung eines katholischen Bewußtseins der Menschen, die mit dessen Hilfe ihre Welt und Wirklichkeit begreifen sollten. Dieser Ansatz erfordert es geradezu, Florovskys einzelne Aussagen auf die Möglichkeit ihrer inneren Geschlossenheit hin zu überprüfen. Dazu aber ist eine Gesamtdarstellung seiner Theologie vonnöten. Die vorliegende Arbeit vertritt die These, daß eine solche möglich ist. Um dem theologischen Werk Florovskys aber keine Systematisierung aufzunötigen, die seinem Denken nicht entspricht, ist die Methode einer werkimmanenten Interpretation seines Denkens allen anderen vorzuziehen. Das bedeutet abgrenzend, daß bei der Darstellung der Gedanken Florovskys, soweit er selbst dies nicht nahegelegt hat, auf Vergleiche mit anderen Theologen oder anderen Theologoumena weitgehend verzichtet wird, um durch eine solche Suche nach Parallelen oder Abhängigkeiten nicht von Florovskys eigenem Denken abzulenken. Das Ziel einer werkimmanenten Interpretation ist es, den Autor selbst zu Wort kommen zu lassen. Die Zuweisung gedanklicher Abhängigkeiten wird darüberhinaus methodisch durch die Tatsache erschwert, daß Florovsky selbst dafür kaum Anhaltspunkte gibt. Nun könnte man zwar bei einzelnen Gedanken auf mögliche Wurzeln derselben verweisen, doch würde man so nur eine Vielzahl möglicher Abhängigkeiten in Einzelfragen andeuten, die, abgesehen davon, daß sie recht spekulativ sein müßten, in ihrer Vielzahl kein einheitliches Bild ergeben und damit für die Interpretation des gesamten theologischen Werkes Florovskys wenig hilfreich wären. Aus diesem Grund und weil sich keine ihn durchweg prägenden literarischen Einflüsse feststellen lassen, was bei der ungeheuren Belesenheit Florovskys - schon die 54 engbedruckte Seiten umfassende Bibliographie seiner Puti legen dafür ein beredtes Zeugnis ab31 - nicht weiter verwundern kann, wird in der Darstellung seiner Theologie auf Verweise, die nicht von Florovsky selbst angedeutet werden oder aber deutlich auf der Hand liegen, verzichtet.32
30 Cf dazu 2.1 und die Zusammenfassung der Biographie 2.4 S. 91ff. 31 CiPuti 521-574. Dazu kommen noch seine Kenntnis patristischer, byzantinischer und allgemeinkirchengeschichtlicher Quellen sowie seine philosophischen Studien und die Lektüre modernerer theologischer Werke von orthodoxen wie nichtorthodoxen Autoren. 32 Dies gilt auch für die Frage, auf welche Kirchenväter Florovsky sich besonders
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Eine werkimmanente Interpretation der theologischen Aufsätze Florovskys bedeutet positiv, daß sich die Darstellung so weit als irgend möglich an seinen eigenen Gedanken und Gliederungen anlehnt. Bei der Gliederung der einzelnen Kapitel orientiere ich mich deshalb an seinen großen bzw. grundlegenden Aufsätzen, die sowohl durch ihre literarkritisch erhobene Komposition aus einzelnen Arbeiten wie durch in ihnen enthaltene Hinweise auf verwandte oder weiterführende Aspekte Ansätze für eine Gliederung der Gesamtdarstellung bieten. Die so erfolgende Einordnung von Gedanken, die Florovsky nur in einzelnen Aufsätzen dargelegt hat, in einen systematischen Zusammenhang führt dazu, daß manche Aspekte, auf die Florovsky eingehender eingegangen ist, wie z.B. auf die Frage der Tradition, ausführlicher behandelt werden als andere. Die Ausführlichkeit der Darstellung eines bestimmten Problems sagt deshalb nichts über ihren Stellenwert innerhalb des gesamten Systems aus, sondern ist auf Florovskys - biographisch bedingte - intensivere Auseinandersetzung mit einem bestimmten theologischen Problem zurückzuführen. Umgekehrt besagt die Tatsache, daß einzelne Gedanken, die in einem klassischen theologischen System zentrale Bedeutung haben, nicht oder nur skizzenhaft dargelegt werden, nicht notwendig, daß Florovsky selbst sie für unwichtig gehalten hat. Vielmehr sind sie im vorliegenden Zusammenhang Ausdruck der Tatsache, daß Florovsky sich nicht zu ihnen geäußert hat - wobei dieses Faktum an sich natürlich interpretierbar ist.33 In der Darstellung wird j edoch
häufig bezogen hat. Eine von mir durchgeführte Statistik, die die Anzahl der von Florovsky bei bestimmten theologischen Problemen zitierten Kirchenväter bestimmte, ergab in keinem Fall ein derart einheitliches Bild, daß man klare Zuweisungen vornehmen könnte. Soweit gewisse Präferenzen deutlich werden, wird dies angemerkt. Doch lassen auch diese Präferenzen noch keine defintiven Schlüsse darauf zu, daß Florovsky gerade von diesen präferierten Theologen bestimmt wurde, da er, wenn er auf sie Bezug nimmt, zumeist nur eine Aussage, die auch aus dem Kontext gerissen sein kann, aufgreift und für seine Argumentation verwendet. Ein deutliches Beispiel dafür sind z.B. seine in der Ekklesiologie häufigen Bezüge auf Augustin, die zwar die von diesem geprägte Aussage zur Zusammengehörigkeit von Christus und seiner Kirche herausheben, ohne damit aber spezifisch augustinische Theologoumena beispielsweise zur Gnaden- oder Trinitätslehre zu übernehmen. 33 Das Fehlen von systematisch-theologisch orientierten Publikationen beispielsweise zur Trinitätslehre ist innerhalb des Gesamtwerkes Florovskys mehr als auffällig. Auch in seinen Patrologien hat Florovsky den trinitarischen Auseinandersetzungen der Alten Kirche nur wenig Platz eingräumt. M.E. liegt der Grund dieser erstaunlichen Tatsache bei Florovsky in der Zentralität der Christologie und der Aufnahme der palamitischen Unterscheidung zwischen Energien und Wesen Gottes (cf dazu u. S. 288ff, S. 389 Anm. 257 und S. 407f) begründet.
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durchweg darauf verzichtet, Gedankengänge, die Florovsky selbst nicht entwickelt hat, gleichsam kongenial einzufügen, da nur so die Methode einer werkimmanenten Interpretation vor Eigenmächtigkeiten der Interpreten geschützt wird. Die Orientierung an den Gliederungen, die Florovsky selbst vorgenommen bzw. angedeutet hat, führt ferner zu dem unvermeidlichen Umstand, daß einzelne theologische Topoi, wie z.B. die Amts- oder Sakramentenfrage, nicht nur einmal verhandelt werden, sondern wiederholt zur Sprache kommen, durch ihre jeweilige Einfügung in einen neuen Kontext allerdings in einem anderen Licht erscheinen. Es entspricht nämlich der Eigenart nicht nur der Arbeitsweise Florovskys, sondern auch seines Denkens, daß er theologischen Problemen nicht einen festen systematischen Ort zuweist, sondern, manchmal in recht unvermuteten Zusammenhängen, versucht, die einzelnen theologischen Fragen miteinander zu verknüpfen und so stets das Ganze des christlichen Glaubens vor Augen zu haben. Die Methode einer werkimmanenten Interpretation kann ohne eine sachliche Verkürzung der Darstellung des Denkens Florovskys dieser Eigenart nur so entsprechen, daß sie diesen Facettenreichtum ebenfalls aufnimmt und sich dadurch in gewissem Maß auch auf Wiederholungen einläßt. Die Form der Darstellung bemüht sich getreu der gewählten Methode schließlich, Florovsky selbst zu Worte kommen zu lassen. D.h., ich habe mich, auch um dem Leser einen Eindruck von der stilistischen Argumentationsweise Florovskys zu geben, dafür entschieden, seine Aussagen nicht durchweg frei zu paraphrasieren, sondern durch Zitate zu belegen, wobei deren Auswahl und ihre Übersetzung ins Deutsche in j edem Fall bereits eine Interpretation darstellt.34 Verweise auf Quellen werden durchweg verifiziert.35 34 Florovsky in den jeweiligen Originalsprachen zu zitieren, hätte den Lesefluß sehr gehemmt. In Fällen, wo die Übersetzung, die um Wörtlichkeit bemüht ist, um des Sinnzusammenhanges im Deutschen willen eine etwas ungewöhnliche Nuance hat, wird der originalsprachliche Begriff in runden Klammern "0" angegeben. Ergänzungen des Verfassers stehen in eckigen Klammem "[]". Textliche Hervorhebungen Florovskys werden, soweit Änderungen nicht ausdrücklich angemerkt sind, grundsätzlich als Kursivdruck übernommen. Bei den Übersetzungen übernehme ich grundsätzlich auch orthographische Eigenheiten Florovskys, die entweder der Hervorhebung eines Wortes dienen sollen bzw. den Respekt vor der Heiligkeit des Ausgesagten anzeigen. 35 Leider hat auch die Edition der gesammelten Werke Florovskys Fehler, die bei der Erstpublikation seiner Aufsätze entstanden waren, nicht korrigiert. Insbesondere die Belegstellen für patristischeTexte mußten in mehr als 30% aller Fälle korrigiert werden. Diese große Anzahl falscher Belegstellen läßt vermuten, daß Florovsky teilweise aus Sekundärliteratur (cf dazu u. S. 185 Anm. 113) bzw. nach dem Gedächtnis zitiert hat.
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Die Hauptschwierigkeit der gestellten Aufgabe besteht darin, Florovsky nicht ein System aufzunötigen, daß seinem Denken nicht entspricht. Dieser Gefahr kann über die methodischen Einsichten hinaus auch dadurch begegnet werden, daß man theologische Leitmotive erarbeitet, die sich aus den spezifischen Lebensumständen Florovskys ergeben, weil vorausgesetzt werden kann, daß zwischen den gemachten Erfahrungen eines gelebten Lebens und den Themen des Denkens eines Menschen kein grundsätzlicher Widerspruch besteht.36 Neben dem nicht ganz unwichtigen Aspekt, daß eine Biographie eine Person auch anschaulich macht37, dient die Ausarbeitung der 'biographischen Verankerung des theologischen Denkens Florovskys' (Kap. 2) demnach der Erarbeitung von Kriterien seiner Theologie. Gerade so kann die Ausarbeitung der Biographie Florovskys unter methodischen Gesichtspunkten kritische Funktion für die Darstellung seiner Theologie haben. Für die Darstellung der Theologie Florovskys entscheidend ist darüber hinaus die Frage, wo sie ansetzen soll. Dies ist eine inhaltliche Frage, auf die Florovsky selbst eingegangen ist, die aber zugleich seiner Theologie vorgeordnet werden muß (3. Kap.). Ihre Beantwortung entscheidet über die inhaltlichen Kriterien der Theologie Florovskys und begründet zugleich die Zweigliedrigkeit der eigentlichen Darstellung seiner Theologie (II. und III. Hauptteil).
36 Dieser Überzeugung war auch Florovsky selbst, nur hat er sie aus genau entgesetzter Blickrichtung heraus formuliert (Utopizm 28 (engl. 75)): "In gewissem Sinn ist jede Weltanschauung eine autobiographische Erzählung, eine Novelle und ein Rechenschaftsbericht über Gesehenes und Gehörtes, ist eine Beschreibung der durchlebten Erfahrung." 37 Aus diesem Grund und weil sich über die grundlegenden Forschungen von G.H.Williams zur Biographie Florovskys hinaus weiteres Material zum Leben dieses Theologen präsentieren läßt, habe ich mich zu einer ausführlichen Darstellung des Lebens Florovskys entschlossen.
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2. Kapitel: Die biographische Verankerung des theologischen Denkens Florovskys
Da Florovskys theologisches Denken keinen grundsätzlichen Wandlungen unterlag, er vielmehr je nach Lebenssituation verschiedene sachliche Schwerpunkte setzte1, orientiert sich die Darstellung seines Lebens lediglich an den Ortswechseln, die seine Lebenssituation jeweils veränderten: Die Jugend und Ausbildung in Odessa bis zur Tätigkeit in Prag (1893-1926); die Lehrtätigkeit in Paris und die ökumenischen Kontakte bis zur Gründung des Weltrates der Kirchen in Amsterdam (1926-1948); die Lehrtätigkeit an St. Vladimir's und an anderen Universitäten in den USA und die weltweiten ökumenischen Beziehungen (1948-1979).
2.1 Von Odessa nach Prag: Die Absage an den Determinismus 2.1.1 Elternhaus und Universitätsausbildung Für Florovskys Werdegang als umfassend gebildeter Priester, Dozent für Philosophie und Universitätsprofessor an slawistischen und theologischen Fakultäten war seine Prägung im Elternhaus entscheidend, die er hier für alle genannten Lebensbereiche erhielt. So hatte sein Vater Vasilij Antonovic Florovskij (1852-1928) die kirchliche Ausbildung am Geistlichen Seminar in Novgorod und bis 1877 an der Moskauer Geistlichen Akademie absolviert und wurde 18842 zum Priester geweiht. Der Schwerpunkt seiner Arbeit lag auf der Theologenausbildung. So war er nach kurzer Lehrtätigkeit an Schulen Rektor der Geistlichen Akademie in Odessa und ab 1905 Hauptgeistlicher (nastojatel')3 der dortigen Verklärungskathedrale. Auch die Mutter Florovskys, Klavdija Georgievna, kam aus einer kirchlich professoralen Familie. Ihr Vater, der Erzpriester Georgij Ivanovic Popruzenko, war nach seiner Tätigkeit an der Kiever Geistlichen Akademie Dozent für Hebräisch 1 So auch Th.Bird: Georges Florovsky 448 2 Cf Vestnik 92. Nach G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 14 bereits 1883. 3 Vestnik 92
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und Griechisch am Geistlichen Seminar in Odessa, während zwei ihrer Brüder Professoren an der Universität von Odessa wurden. Als das j üngste von vier Kindern4 wurde Georgij Vasil'evii am 23. August 1893 geboren, erhielt im fünften Gymnasium in Odessa eine durchschnittliche Schulbildung, die er 1911 mit einer Auszeichnung im Fach Geschichte abschloß. Mit der Absicht, später Philosophie zu lehren, immatrikulierte er sich noch im selben Jahr in der historisch-philosophischen Fakultät der Novrossijskij Universität in Odessa. Er hörte dort, da man Philosophie nicht als isoliertes Hauptfach belegen konnte5, neben Kursen aus der allgemeinen historischen Abteilung auch naturwissenschaftliche Vorlesungen in Mathematik, Physik, Chemie und Biologie.6 Seine im Rahmen dieser Studien bei Professor B.P.Babkin angefertigte experimentelle Arbeit über die Physiologie der Speichelsekretion wurde von I.P.Pavlov wegen ihrer wichtigen Ergebnisse der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften vorgestellt7 und 1917 veröffentlicht.8 Daß Florovsky diese Arbeit in englischer Sprache verfassen konnte, deutet bereits auf seine enorme Sprachbegabung - er beherrschte später acht lebende Sprachen - wie auch auf seine keineswegs einseitig ausgerichteten wissenschaftlichen Interessen hin. So hatte er bereits 1913 einen Preis für eine Arbeit in vergleichender Literaturwissenschaft9 und 1916 eine Goldmedaille für eine philosophische Arbeit10 erhal4 Sein ältester Bruder Vasilij wurde Chirurg in Odessa und starb in der Hungersnot 1924. Seine nach der Mutter benannte Schwester wurde in St.Petersburg ausgebildet und später Professorin für mittelalterliche Geschichte in Odessa. Zusammen mit ihrem ältesten Bruder blieb sie dort, während die übrige Familie 1920 emigrierte. Der zweite Sohn, Antonij Florovskij, war nach dem Studium an der historisch philosophischen Fakultät der Universität Odessa dort seit 1915 (so Vernadsky: Russian Historiography 348) oder 1917 (so G.H. Williams: Georges Florovsky, Am.Career 14) Professor für russische Geschichte und setzte diese Tätigkeit nach der Flucht nach Prag an der dortigen Karlsuniversität fort. Er starb am 27.3.1968 an Asthma. 5 Cf Vestnik 92 6 Kenntnisse aus dem Biologiestudium sind zum Beispiel in seinem philosophisch ausgerichteten Aufsatz Evolution 241ff verarbeitet. 7 Cf Vestnik 92 8 Georgij Florovskij: On the mechanism of Reflex Salivary Secretion. In: Bulletin de l'Academie Imperiale des Sciences No.2, 119-136. St.Petersburg 1917 [mir nicht zugänglich; bibliographische Angaben nach der Bibliography of the Writings of Father Georges Florovsky]. 9 Die Arbeit behandelte im Rahmen eines Wettbewerbes das Thema: "Mif ob Amfitrione ν drevnej i novoj drame" (Der Amphytrion-Mythos im alten und modernen Drama) (cf Vestnik 93). 10 "Kriticeskij obzorsovremennych uSenij ob ymozakljucenijach" (Kritische Durchsicht zeitgenössischer Lehren über die Schlußfolgerungen). Auch dieser Aufsatz liegt
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ten. Diese Arbeit repräsentiert den philosophischen Standpunkt Florovskys am Ende seiner Universitätsausbildung. Vermittelt durch Professor N.N.Lange, einem Schüler Wilhelm Wundts, geriet Florovsky unter den Einfluß der neukantianischen Marburger Schule11, Georg Cantors und Edmund Husserls. Dadurch war Florovsky zu der Auffassung gekommen, daß Logik nur auf der Grundlage einer kohärenten, in sich geschlossenen, d.h. letztlich deterministischen Weltsicht möglich ist. "Mag auch das System des Wissens durch eine Geschichte der Erkenntnis ersetzt sein, die Geschichte selbst ist in ein System verwandelt, deren Prinzipien keiner Kritik unterliegen."12 Gegenläufig zu diesen philosophischen Studien waren Florovskys erste Einblicke in theologische Literatur, die er sich bereits während des Studiums selbständig erarbeitete. Vermutlich wurde er dazu neben seiner klerikalen Herkunft auch durch die allgemeine religiös kirchliche Lage des zaristischen Rußland zu Beginn dieses Jahrhunderts motiviert. Damals bemühte man sich um eine Reform der Kirchenstruktur wie auch, eng damit verbunden, des kirchlichen Lebens und der kirchlichen Lehre.13 Bereits 1912 hatte Florovsky "Neue Bücher über Vladimir Solov'ev" gesammelt und rezensiert.14 Er hat nach eigener Aussage damals auch "alles", was an Schrifttum der russischen religiösen Renaissance des 19.Jahrhunderts zugerechnet werden kann, "durchgelesen, bin aber infolge ihrer Naivität an ihren Verführungen vorbeigekommen und wurde nicht vergiftet."15 mir leider nicht vor, so daß ich hier auf G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 15 und auf Florovskys kritische Stellungnahme zu dieser Philosphie in seinem Aufsatz Chitrost' aus dem Jahre 1921 angewiesen bin. 11 Zwanzig Jahre später schreibt Florovsky in den Puti 485 (engl.II 268), daß die Neukantianer zu Beginn des 20Jahrhunderts erheblichen Einfluß auf die russische Philosophie und Intelligenz gehabt haben, die die Selbstfindung des Bewußtseins quasireligiös in "unpersönlichen Formen der Vernunft und des Gesetzes" fanden und sich damit in charakteristischer Weise von der persönlichen Erfahrung der Gottesgemeinschaft durch christliche Askese unterschieden. 12 Chitrost' 34 (engl.18). Nach P.Pascal: Strömungen 51, konzentrierte sich die wissenschaftliche Philosophie an russischen Universitäten in den ersten fünfzehn Jahren dieses Jahrhunderts auf die Rezeption der deutschen Neukantianer und der Marburger Schule. 13 CiPuti 470-484 (engl.II 252-267) 14 Novye Knigi ο Vladimire Solov'eve. In: Izvestija Odesskogo Bibliograficeskogo ObSSestva, tom 1,7. Odessa 1911-1912, 237-255. G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 9, vermutet sicher nicht zu unrecht, daß Florovskys erstes ökumenisches Interesse bereits durch seine Solov'evstudien geweckt worden sein kann. Allerdings finden sich in seinen Frühschriften kaum Anhaltspunkte dafür. 15 IzPisem (Florovsky an J.Ivask vom 16.11.1968) 50. Cf auch Florovskys summa-
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Als er im Herbst 1916, vom Abfassen einer Examensarbeit dispensiert16, das Staatsexamen an der historisch philosophischen Fakultät bestanden hatte, wurde er für Forschungen zur Vorbereitung eines Magisterexamens von der Universität übernommen17, lehrte zugleich an einer Mittelschule Geschichte und unterrichtete Pädagogen in Psychologie und Logik18. Zugleich intensivierte er seine theologischen Studien "vom historischen Standpunkt aus"19. Vermutlich wandte er sich erstmals der Lektüre griechischer Kirchenväter zu und lernte damit ein vom Gedanken der Willensfreiheit und Kontingenz geprägtes Weltbild kennen, das ihn in gewisser Weise an die während des Studiums bereits gelesenen amerikanischen Philosophen Josiah Royce und William James20 erinnern mußte. Noch war es allerdings nicht soweit, daß Florovsky sich dieser philosophischen bzw. theologischen Richtung anschloß. Einerseits nämlich war er zwar kirchlich sozialisiert und hatte, familiär bedingt, sicher auch Kontakte zu Dozenten und Professoren des Geistlichen Seminars. Doch hatte er in theologischen Fragen nie eine formelle Ausbildung genossen, sondern war Autodidakt. Andererseits aber blieb er durch seine universitären Tätigkeiten der erlernten Philosophie vorerst treu. Nachdem Florovsky trotz der Revolutionswirren Anfang 1919 die mündlichen Vorexamina zum Magister Philosophiae bestanden hatte und zum Privatdozenten ernannt worden war, hielt er im Herbst desselben Jahres seine erste Vorlesung über das Thema "Die
rische Bewertung der russsischen religiösen Renaissance in Puti 492 (engl.II 275): "Die religiöse' Neugeburt' bei uns [sc.Russen] war eigentlich nur ein Rückfall zur Erfahrung des deutschen Idealismus und Mystizismus." 16 Cf Th.Bird: Georges Florovsky 444 17 Cf ibid. 18 Cf Vestnik 93 19 G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 15 20 W.James' Buch The Varieties of Religious Experience, 1902 in New York erschienen, war bereits 1910 ins russische übersetzt worden (cf Pascal: Strömungen 45) und Florovsky, wie aus Anmerkungen in dem 1921 verfaßten Aufsatz Smysl hervorgeht (cf ibid.187 Anm.l und 189Anm.l), kannte es ebenso wie das 1907 erschienene Buch Pragmatism sowie J.Royce's Abhandlungen William James and other Essays aus dem Jahre 1911 und The World and the Individual aus dem Jahre 1902. Angeregt zu dieser Lektüre amerikanischer Philosophen hatten evtl. die Veröffentlichungen B.VJakovenkos (cf Humbach: Verhältnis 193). Insbesondere in seinen philosophischen Aufsätzen aus den zwanziger Jahren nimmt Florovsky wiederholt Bezug auf diese Philosophen (cf Smysl 186ff, Suzdenija 225f; Ο Tipach 349), kommt aber, obwohl er mit Verweisen auf verwendete Literatur grundsätzlich äußerst sparsam (einzige Ausnahme: die Puti) war, auch später noch auf sie zu sprechen (cf Church of God 339 = CW XII, 197f).
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logische Wissenschaft über die Natur".21 Diese noch unausgeglichene Spannung im Denken des jungen Florovsky löste sich erst, als er nach der Flucht in der Analyse der russischen Revolution das Scheitern der deterministischen Philosophie und Geschichtsschau erkannte. 2.1.2 Die A usarbeitung der philosophischen Grundfragen in Sofia Als sich im Januar 1920 die Rote Armee Odessa näherte, emigrierte der sechsundzwanzigj ährige Privatdozent zusammen mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder Antonij nach Sofia. Dort ging er keiner festen Beschäftigung nach, sondern verdiente sich durch Privatstunden und Lektorenarbeit in einem bulgarisch-russischen Verlag seinen Unterhalt. Zugleich setzte er seine begonnenen Arbeiten zu seiner Magisterdissertation fort, die er aber erst drei Jahre später in Prag abschließen sollte.22 Seinen theologischen und philosophischen Interessen kam die 'Russische Religiöse Philosophische Gesellschaft' in Sofia entgegen. Er trat ihr bei und erregte mit Vorträgen schnell Aufsehen unter den zahlreichen Vertretern der russischen Intelligenz.23 Dort Schloß er sich der Gruppe der Eurasier an. Angeregt durch die Schrift des Fürsten Nikolaj S.Trubeckoj "Evropa i celovecstvo" entstand diese Gruppe russischer Emigranten 1920 in Sofia. Neben dem durch philologische Arbeiten ausgewiesenen Trubeckoj und Florovsky gehörten ihr als Gründungsmitglieder der Wirtschaftswissenschaftler Petr Nikolaevic Savickij und der Kulturhistoriker und Musikkritiker P.Suvcinskij an. Mit dem Symposiumsbericht "Ischod k Vostoku"24, in dem Beiträge der vier veröffentlicht sind, traten sie 1921 an die Öffentlichkeit. Es folgten weitere Publikationen, die nicht nur in Emigrantenkreisen Aufmerksamkeit erregten.25 Nach anfänglichen Sympathien für die Anlie21 Cf Vestnik 93 22 Thema der unveröffentlichten Arbeit: "Istoriceskaja filosofija Gercena" (Die Geschichtsphilosophie Herzens). Seine Disputationsgegener waren N.O.Losskij, P.B.Struve und V.V. Zen'kovskij (cf Vestnik 97). Der 1929 deutsch publizierte Aufsatz Sackgassen bildet das Schlußkapitel dieser Untersuchung. 23 Cf Vestnik 93f 24 Ischod k Vostoku. PredZuvstvija i Sversenija. Utverzdenie Evrazijcev. Kniga Pervaja. Sofia 1921. Florovsky s a h - s o G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 17 Anm.19- indieser Zeitschrift in gewisser Weise eine Nachfolge der berühmten Vechi von 1907 (cf dazu Puti 489f (engl.n 273f), deren Verfasser u.a. den Primat der Kultur vor der Politik gefordert hatten, was Florovsky in der veränderten Situation aufnehmen sollte. 25 Florovsky veröffentlichte seine Arbeiten mit Ausnahme der eurasischen Aufsatzsammlung Na Putjach (Utverzdenie evrazijzev. Kniga Vtoraja. Moskau-Berlin 1922)
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gen der Gruppe und einem nicht unbedeutenden europaweiten Mitgliederzuwachs kam es jedoch um die politische Richtung der Gruppe zu erheblichen Auseinandersetzungen, die schließlich nach dem öffentlich verkündeten Austritt Florovskys 1928 und dem Rückzug Trubeckojs in den dreißiger Jahren zur allmählichen Auflösung führten. Ihren anfänglichen Erfolg verdankte die Gruppe ihrem zentralen Anliegen, das insbesondere der emigrierten Intelligenz attraktiv erschien: die Aufarbeitung der kulturellen und geistesgeschichtlichen Faktoren und Umstände, die die russsische Revolution einerseits ermöglicht und verursacht hatten, und deren Erkenntnis andererseits zu ihrer Überwindung beitragen sollte. Auf diese Weise konnten die beteiligten Emigranten zudem angesichts der überwiegend negativen Urteile des Westens über das revolutionäre Rußland den positiven Eigenwert der russischen Kultur herausarbeiten. In ihrer Anfangszeit bestand die Gemeinsamkeit der Eurasier einzig in der Ablehnung politisierender Gruppen und Aktivitäten26 und in dem Streben, die kulturell philosophischen Probleme der russischen Geschichte und Revolution aufzuzeigen und zu schöpferischer Kreativität anzuregen.27 Dieser kleine gemeinsame Nenner erlaubte den einzelnen Mitgliedern, ihre Überzeugungen je individuell darzulegen. Deshalb läßt sich eine einheitliche "Lehre der Eurasier" nicht eruieren. Florovsky hatte dementsprechend als Bezeichnung der Gruppe auch den sehr allgemeinen Begriff 'Liga russischer Kultur'28 vorgeschlagen. An seinen Beiträgen zum 'Ischod k Vostoku' konnte er "nichts spezifisch eurasisches" entdecken.29 Diese aus der Distanz von vierzig Jahren gemachte Aussage darf man zwar nicht nicht mehr in den folgenden eurasischen Publikationen wie dem Evrazijskij Vremmenik. Cf zum Gesamten O.Böss: Die Lehre der Eurasier (Dort besonders: Eurasische Publikationen S.125-127) sowie K.McVey: Georges Vasilievich Florovsky, wo sie auf den Seiten 36-43 die Ergebnisse ihrer (ihr und mir nicht zugänglichen) früheren unveröffentlichten Untersuchung (The Role of Georges Florovsky in the Eurasian Controversy. Cambridge, Mass. 1965) zusammenfaßt. 26 CfIzPisem (Florovsky an Ju.Ivask am 8.4.1965) 45 und Pis 'mo 267 und 269: "Die 'Eurasische Gruppe' ist weder eine politische Partei noch eine Sekte von Fanatikern." 27 Cf Pis 'mo 274 28 Cf Pis'mo 270 29 IzPisem 46. O.Böss' Darstellung der "Lehre der Eurasier" übersieht m.E. genau diesen negativ bestimmten methodischen Ausgangspunkt der Eurasier, wenn er fast durchweg von "den Eurasiern" spricht, und damit Glieder der Gruppe mit von diesen nicht geteilten Anliegen anderer Mitglieder in Zusammenhang bringt. In ihrem Vorwort zum Ischod k Vostoku hatten die vier Verfasser der abgedruckten Beiträge darauf hingewiesen, daß sie zwar eine gemeinsame Basis hätten, in Einzelheiten aber sehr verschiedener Meinung seien. Cf dazu auch Russia in Resurrection 103.
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überbewerten, da Florovsky, hätte er nicht auch inhaltlich gewisse Gemeinsamkeiten mit den übrigen Mitgliedern der Gruppe gehabt, wohl kaum als Gründungsmitglied in Erscheinung getreten wäre. Dennoch weist sie, wie sich zeigen wird, zurecht darauf hin, daß er auch innerhalb dieser Gruppe eine Sonderrolle spielte.30 "Die Eurasier bezeichneten sich als eine nachrevolutionäre Strömung (porevoljucionnoe teSenie), die man nicht verstehen könne, ohne die Tatsache der Revolution mit all ihren Erscheinungen in Betracht zu ziehen." 31 Im Unterschied zu allen anderen Strömungen innerhalb der Emigration, die sich in ihren Ursprüngen auch schon vorrevolutionär nachweisen lassen32, lag der Ausgangspunkt der Eurasier demnach bei der Anerkenntnis der Revolution als eines "historischen Faktums" 33 , auf der Grundlage dessen sich alle Überlegungen zu entwickeln hätten. Die Interventionspolitik der Emigration wie auch der Kampf der Weißen mußten nach Überzeugung der Eurasier gerade deshalb scheitern, weil sie das Faktum der Revolution nur gleichsam rückgängig machen wollten, ohne dabei zugleich auch die Ursachen, die sie herbeigeführt hatten, zu vernichten und eine Vorstellung von einem neuen Rußland zu entwickeln.34 Für Florovsky war deshalb "die kulturgeschichtliche Reflexion heute die wichtigere nationale Tat als der gegenwärtige politische Kampf." 35 Nur eine derartige Reflexion 30 G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 17, sieht in dieser Sonderrolle einen Grundzug des Charakters Florovskys. "Schon seit seinen ersten Tagen an der Universität der Einbindung in irgendeine Organisation, Partei oder Clique gegenüber abgeneigt", habe er sich auch aus der Gruppe der Eurasier zurückgezogen. Diese psychologisierende Beobachtung Florovskys durch seinen sehr guten Freund Williams wird gestützt durch die sachlich feststellbare Tatsache, daß Florovsky kein Mensch der Teamarbeit und in Kommissionen und Gemeinschaftsarbeiten im Umgang nicht immer einfach war. 31 O.Böss: Lehre der Eurasier 8 32 Diese Besonderheit der Eurasier wurde schon früh von westeuropäischen Beobachtern der russischen Intelligenz erfaßt (cf die in Russia in Resurrection 193f wiedergegebenen Äußerungen). Die Entstehung der eurasischen Bewegung war nach Ansicht Riasanovskys (Eurasianism 6f) durch drei im Verhältnis zu Ereignissen des 19 Jahrhunderts analogielose Vorgänge bedingt: durch die Erfahrung der russischen Revolution, den Zusammenbruch der europäischen Staatsordnungen nach dem 1. Weltkrieg sowie durch N.S.Trubeckojs Schrift 'Europa und die Menschheit', die auf der Grundlage einer Analyse des westeuropäischen 'Chauvinismus' dazu aufforderte, die eigene genuin russische Kultur wahrzunehmen. 33 Patriotizm 230. Cf auch BezZuvstvie 132. Die Anerkenntnis der Revolution setzte die Eurasier dem Verdacht aus, probolschewistisch zu sein. 34 Ci Patriotizm 242f. Cf auch RMalevsky-Malevitch: A new Party 37-40. 35 Pis'mo 268
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konnte seiner Ansicht nach das Wesen des Bolschewismus und der Revolution so erfassen, daß deren Wurzeln zugunsten einer Vorstellung von einem reformierten und keineswegs schlicht restituierten zaristischen Rußland überwunden wurden. 36 Florovskys geschichtliches Denken hat demnach das Ziel, sich durch die Wahrnehmung von Vergangenheit Zukunft zu erarbeiten. In diesem Sinn hat nach seiner Überzeugung die Revolution "vor uns neue Wege aufgetan." 37 Florovsky geht davon aus, daß der Bolschewismus nicht eine vorübergehende historische Erscheinung einiger militanter Zeitgenossen ist, wie es die Opponenten der Eurasier bei gleichzeitiger Idealisierung der russischen Vergangenheit darzustellen versuchen 37 , sondern eine "kulturelle Entartung" 39 darstellt, deren Vorläufer und Ursachen sich bis auf die Zeit Peters d.Gr. zurückführen lassen.40 Mit diesem Zaren habe die Europäisierung Rußlands begonnen und damit sei die Voraussetzung dafür geschaffen worden, daß der Bolschewismus, der ideologisch auf westlicher Philosophie aufbaut, in Rußland habe Fuß fassen können. Aus diesem Grunde sei die Revolution kein Phänomen, das auch in anderen Ländern habe stattfinden können, sondern "vor allem anderen eine russische."41 In ihr äußere sich die "ganze Verwicklung der historischen Widersprüche des russischen Lebens." 42 Worin bestehen diese Widersprüche? Es ist kennzeichnend für die Geisteshaltung des jungen, vornehmlich philosophisch interessierten Florovsky, daß er diese Widersprüche primär an der von ihm konstatierten Krise der westlichen Philosophie, die in Rußland Eingang gefunden hatte, festmacht und sich kaum mit den Problemen befaßt, die die übrigen Eurasier bewegten: der Existenz einer euroasiatischen Zivilisation, die auf den zwei ethnischen Elementen der Turkstämme und Ostslawen beruht. 43 Vielmehr kommt er - darin besteht seine 36 Diese doppelte Aufgabe formuliert Florovsky in Patriotizm 264 37 Patriotizm 290 38 Cf Bezcuvstvie 132 39 Pis 'mo 268 40 Cf Patriotizm 266 und O.Böss: Die Lehre der Eurasier 52ff. Nach O.Böss (53 Anm.226 - leider ohne Beleg) ist dies von den Eurasiern allerdings dezidiert anders als bei O.Spengler verstanden, der in Peters Europäisierungspolitk eine 'historische Pseudomorphose' gesehen hatte. Florovsky hatte O.Spenglers 'Untergang des Abendlandes' bereits vor 1921 gelesen, wie aus einer Bemerkung in Chitrost'29 (engl. 14) hervorgeht. Ihm dürften deshalb sowohl Sachgehalt wie auch der von ihm insbesondere in den Puti immer wieder verwendete Begriff der 'Pseudomorphose' (cf dazu u. Kap.6) schon damals nicht unbekannt gewesen sein. 41 Patriotizm 278 42 Pis 'mo 268 43 Cf die eurasischen Selbstzeugnisse Russia in Resurrection 7-69 und P.MalevskyMalevitch: A new Party 18ff sowie O.Böss: Die Lehre der Eurasier 25-66 und S.V.Utechin: Geschichte 241f
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Sonderrolle bei den Eurasiern - aufgrund seiner historischen und philosophischen Analyse zu positiven theologisch philosophischen Aussagen zur Zukunft Rußlands, die bereits grundsätzlich die Positionen vorwegnehmen, die er später als Theologe entwickelte und vertrat.44 Aus diesem Grund ist es für eine geistesgeschichtliche Einordnung der Theologie Florovskys sinnvoll, seine philosophische Kritik und seine ersten theologischen Ansätze an dieser Stelle zu erläutern. Wie die in Sofia verfaßten Aufsätze erkennen lassen, beschäftigten Florovsky damals besonders vier Problemkomplexe: Aus seiner Kritik am philosophischen Rationalismus (1) ergaben sich seine Sicht der Geschichtsphilosophie (2) und seine Aussagen zur schöpferischen Freiheit der Persönlichkeit (3). Diese drei Probleme konkretisierte er an seiner Interpretation der russischen Revolution (4). Mit den Slavophilen, aber auch mit den deutschen Romantikern bezeichnet Florovsky den Rationalismus als die "Ursünde" Europas, da der "Kult 'des Verstandes'", "der Kult der 'abstrakten Prinzipien'" zur, wie Schelling sagte, "Selbstzersetzung und Verzweiflung der Vernunft" geführt habe.45 Dies hat sich nach Florovskys Überzeugung im Irrationalismus der Romantik manifestiert, die jeden Glauben an die Wahrheit der philosophischen Systeme verloren und sich pantheistischen Gefühlen, einer Begeisterung für die Natur hingegeben habe. Dem entspreche sachlich das Entstehen monistischer religiöser Systeme wie der Theosophie und des Freidenkertums, die in ihrem "Aufstand gegen die 'Scholastik' europäischen Denkens nicht weiter als bis zur Gnosis, d.h. als bis zum Ideal religiösen Wissens, vordringen, ohne die wahrhafte Freiheit religiösen Lebens zu erreichen. Die religiösen 'Bekehrungen' im Westen führen ihre Neophyten nicht aus dem Kreis des Naturalismus heraus."46 Darin bestehe ihr monistischer47 Charakter, denn es gelinge ihnen nicht, das menschliche Dasein wirklich zu transzendieren. In diesem Sachverhalt meint Florovsky den Hauptunterschied zur östlichen Religiosität zu erkennen.48 Auch der Versuch Henri Bergsons, des Begründers der Lebensphilosophie, den Rationalismus durch Intuition zu überwinden, scheiterte nach 44 Da es das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, die Theologie Florovskys darzustellen, gehe ich an dieser Stelle nur auf seine philosophischen Analysen ein. Seine insbesondere in Patriotizm dargelegten historischen Analysen nehmen Grundaussagen seines großen theologiegeschichtlichen Werkes, den Puti, vorweg und sind nicht Gegenstand dieser Untersuchung. 45 Chitrost' 28 (engl.13). Florovsky zitiert Schelling mit den deutschen Begriffen. 46 Chitrost' 31 (engl.15) 47 ' Monistisch' bedeutet bei Florovsky die einseitige Festlegung auf in den Grenzen der Vernunft erkennbare Sachverhalte. Cf Chitrost' 30 (engl.14). 48 Cf Chitrost' 32 (engl.16)
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Florovskys Überzeugung, da er die schöpferische Intuition auf den objektiven Beweisen der Psychologie und Biologie und "nicht auf dem unwiderlegbaren Selbstzeugnis der inneren Erfahrung gründete". Damit aber kann auch bei Bergson die Seele die "eisernen Fesseln der Notwendigkeit" des Naturgegebenen nicht durchbrechen. "Die 'europäische' Begrenztheit seiner [sc.Bergsons] Weltanschauung"49 verdeutlicht Florovsky an der Rezeption des amerikanischen Pragmatismus William James' in Europa. Dessen Grunderkenntnis, daß der Wert einer Erkenntnis in ihrer schöpferisch sittlichen Kraft liegt und nicht in ihrer Entsprechung zu einem unveränderlichen Kanon der Vernunft besteht, sei im europäischen Denken als schlichte Identität von Wahrheit und Nützlichkeit verstanden worden und geistesgeschichtlich folgenlos geblieben. Zusammenfassend stellt Florovsky wertend fest: "Und wenn man nun aufmerksam in die philosophische Entwicklung Europas in den letzten Jahrzehnten schaut, so ist es nicht schwierig zu bemerken, daß hinter dem scheinbaren Vorrang des Irrationalismus eine im wahrsten Sinn des Wortes allgemeine Mobilisierung aller rationalistischen Kräfte vor sich geht."50 Diesselbe Beobachtung meint Florovsky auch bei Edmund Husserl feststellen zu können. Zwar erweise dieser die "innere Wurmstichigkeit"51 des Psychologismus, doch führe seine Phänomenologie nicht zu einem "Aufschwung über die Plattheit der Erfahrung. Das Ideal der Erkenntnis bleibe wie früher so etwas wie 'intellektuelle Betrachtung', wenn auch unter dem neuen Namen der 'eidetischen Intuition'."52 Damit belebe Husserl die letztlich platonische Vorstellung eines absoluten Ideensystems, dem, im Unterschied zu Plato, das Element des tremendum gänzlich fehle.53 In der Marburger Schule des Neukantianismus sieht Florovsky schließlich trotz der Bestrebungen, die Unabgeschlossenheit des Erkennens zu behaupten, den Versuch, die Geschichte des Erkennens im Sinne Hegels als Entwicklungsgeschichte und damit letztlich auf der Grundlage eines festgefügten Systems von Ideen zu beschreiben, das die Fesseln des Rationalismus nicht
49 Alle Zitate ibid.(engl.16f). Florovskys Kritik an H.Bergson erkennt zwar das Ungeschichtliche am Irrationalismus des έΐαη vitale, übersieht jedoch, daß das Individuum bei Bergson dialektisch auf den allgemein dahinfließenden Lebensstrom bezogen ist und damit in Grenzen selbständig bleibt. Cf dazu W.Brüning: Geschichtsphilosophie 35-39. 50 Chitrost' 33 (engl.17) 51 Ibid. 52 Chitrost' 34 (engl,17f) 53 Daß der Vorwurf des Piatonimus ein Mißverständnis E.Husserls und infolgedessen auch Piatos ist, zeigt L. Eley: Art. Intuition 751f.
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durchbrechen kann, wie es auf der Grundlage der Philosophie Fichtes möglich gewesen wäre.54 In der philosophischen Ethik manifestiere sich dieser die schöpferischen Fähigkeiten des Menschen beschneidende Rationalismus der Marburger Schule in der Wiederbelebung der Naturrechtsdiskussion durch Rudolf Stammler. Der Rationalismus der sozialistischen Lehren wird von Florovsky nur erwähnt, aber nicht diskutiert, da er nach seiner Überzeugung sofort verständlich ist. Natürlich konnte Florovsky bei diesem Parforceritt durch die damals jüngste Philosophiegeschichte nicht ins einzelne gehen und hat dadurch auch unsachgemäß vereinfacht. Sein Anliegen und damit zugleich seine Abkehr von philosophischen Positionen, die er in Odessa kennen- und schätzengelernt hatte, ist jedoch deutlich: Der rationalistischen Philosophie Westeuropas, insbesondere Deutschlands, gelingt es nicht, den Menschen als wirklich freien und schöpferisch gestaltenden zu denken, wobei Florovskys Freiheitsbegriff hier noch unscharf bleibt. Freiheit heißt bislang nur, nicht den Notwendigkeiten einer wie auch immer bestimmten Natur zu unterliegen, sondern diese zu transzendieren und in ihrer einschränkenden Macht zurückzudrängen. Da es dem von der rationalistischen Philosophie bestimmten und durchdrungenen Europa aber nicht gelinge, diesen Schritt auf die Freiheit des Menschen hin zu tun, hat es, so folgert Florovsky, keine Zukunft mehr. Es finde keine Kraft, sich selbst zu befreien, sondern bleibe den gelegten Schlingen des Rationalismus verhaftet. 55 Aus dieser Einsicht zieht Florovsky nun eine theologisch bedeutsame Konsequenz. Allen rationalistischen Strömungen ist nämlich gemeinsam, daß deren Vertreter in der überwiegenden Zahl Juden gewesen sind. Daraus folgert Florovsky, daß man zwischen Rationalismus und Judentum letztlich ein Gleichheitszeichen setzen könne, da sich im Begriff des Gesetzes alle Formen jüdischen Geistes überschnitten.56 Genau dieses juridische Denken findet sich seiner Ansicht nach auch im römischen Katholizismus, der den "messianischen Theokratismus des alten Israel" übernommen und in der Gestalt des Papstes personalisiert habe. Beherrschend sei auch hier das juridische Denken, das in Gott vornehmlich den Richter sieht, der in den
54 Fichte hat für Florovsky dem Dogmatismus und Dokrinären das "Pathos des Kritzismus" entgegensetzt (Pis'mo 269f) und wird von ihm deshalb positiv als "Adogmatiker" gegen Hegel abgesetzt (Chitrost' 34 (engl.18)). 55 CiPatriotkm 271 und O.Böss: Die Lehre der Eurasier 76ff 56 Cf Chitrost' 36 (engl.19). Florovskys 1923 verfaßter Aufsatz Dva Zaveta stellt denn auch den Bund des Gesetzes dem Bund der Freiheit alternativ gegenüber, ohne allerdings auf eine spezifisch jüdische Komponente dieses Gedankens zu rekurieren. Seine Aussagen zur Bedeutung des Judentums an dieser Stelle sind singular.
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Kategorien von Gut und Böse Heil oder Strafe zumißt. Indem auf diese Weise Religion kategorial systematisiert werde, sei auch sie den Grenzen des Rationalismus unterworfen. "Hier ist wirklich 'der Westen in den Armen des Ostens', nur des Ostens des Xerxes, nicht aber Christi'." S7 Diese rationalistische Grundtendenz westeuropäischer Philosophie bedeute allerdings nicht, daß ihr generell jeder Enthusiasmus und jede Begeisterung abgesprochen werden könnte. Vielmehr zeige gerade das Beispiel Hegels, daß es wirkliches Pathos in der Philosophie gibt. "Den Kern dieses Enthusiasmus bildet [jedoch] die Idee der allgemeinen Zugänglichkeit des Wissens" 58 , das um seiner Allgemeinheit willen die Individualität einebnet, denn nur die unpersönliche und überindividuelle Wahrheit kann auch allgemein sein. "So wird die Erkenntnis im Namen der allgemeinen Zugänglichkeit der personalen Lebendigkeit, ihrer moralisch schöpferischen Kraft beraubt und dadurch in das notwendige Spiel der Elemente der Naturwelt einbezogen." 59 Auch der Enthusiasmus in der Philosophie werde damit in der rationalistischen Analyse letztlich den Gesetzmäßigkeiten der Natur bzw. Materie unterworfen. Genau in dieser Handlungsweise des Menschen, der in freier Selbstbestimmung sich selbst den Gesetzmäßigkeiten der Natur einordnet und damit den ihm schöpfungsmäßig gegebenen Sinn seines Seins, die Selbsttranszendierung seines natürlichen Seins auf den übernatürlichen Schöpfer hin, willentlich verfehlt, hat V.Nesmelov, auf den sich Florovsky an dieser Stelle beruft, das Wesen des Sündenfalls gesehen.60 Dieser sei nicht, wie in westlicher Theologie, mit juridischen Kategorien zu erfassen oder, wie bei Solov'ev, in der Behauptung der Selbstheit des Menschen gegenüber der Alleinheit 61 zu sehen, sondern bestehe darin, "daß die Menschen dieses Ziel nicht auf dem Weg einer schöpferischen Überwindertat (podviga), eines freien Suchens, eines lebensvollen Gottesdienstes erreichen wollten, sondern auf magischem Weg, mechanisch. 'Sie kamen im wesentlichen dahin, daß ihr Leben und Schicksal nicht durch sie selbst bestimmt wurde, sondern durch äußere materielle Bedingungen.'" 62 Mit dieser theologischen Inter57 Chitrost' 37. Florovsky spielt hier auf die letzte Strophe aus V.Solov'evs berühmtem Gedicht Ex Oriente Lux an: "Du mußt, ο Rußland dich entscheiden: Zwei Osten gibt's - sie sind nicht gleich. Was willst du sein von diesen beiden: des Xerxes oder Christi Reich?" (Zitiert in der Nachdichtung L.Müllers aus ders.: SolowjewsLeben 218) 58 Chitrost' 37 (engl.20) 59 Ibid. 60 Cf zu V.Nesmelov Chitrost' 38 (engl.21), Puti 445-447 (engl.II 221-223) sowie zur Anthropologie u.8.2. 61 Cf Puti 314ff (engl.II 83ff) 62 Chitrost' 38 (engl.21)
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pretation der Lage der europäischen Philosophie hat Florovsky den Unglauben als eigentliche Wurzel der Krise der europäischen Kultur identifiziert. Ausdruck dieses Unglaubens ist für Florovsky die Verdinglichung der Personalität in Hinsicht auf das Verständnis von Geschichte, dem zweiten Florovsky in Sofia besonders beschäftigenden Problem. In seinem Aufsatz Der Sinn der Geschichte und der Sinn des Lebens (Smysl) schließt Florovsky mit der unbeantworteten Frage, ob die Menschheit sich von Vorstellungen einfangen lasse, die den Menschen als unmündiges Glied eines evolutiven Geschichtsprozesses begreifen, oder aber ob sie auf die Freiheit und Schöpferkraft der Person setze, die sich Geschichte schafft. "Davon werden Licht und Schatten der Zukunft abhängen."63 Indem, so führt Florovsky aus, die idealistische Geschichtsphilosophie im Gefolge Hegels den Gedanken der schöpferischen Personalität des Individuums mit dem Thema der kosmischen Entwicklung verbindet und so die Selbstbestimmung des Individuums zur Quelle kosmischer Entwicklung wird, ist "für die schöpferische Person kein Platz mehr."64 Doch liegt das eigentliche Problem dieser Vorstellung "nicht in der Erschließung der Persönlichkeit in der Natur, sondern darin, die ganze Natur im Inneren des Selbst wie in einem autonomen 'Mikrokosmos' zu ermitteln."65 Darin sieht Florovsky den Versuch, die Welt vollendet zu verstehen und ihr im Sinne eines logischen Providentialismus einen Sinn zuzusprechen, der sich der Vorstellung einer schöpferischen Persönlichkeit gegenüber als Notwendigkeit manifestiert. Den Grund dafür sieht Florovsky in der Identifikation von menschlicher Individualität mit dem Kosmos und damit auch mit der Gottheit schlechthin. Diese Identifikation führe zu dem Ergebnis, daß die Geschichte als vernünftiger Prozeß verstanden werde, der seine Rechtfertigung in sich selbst hat. Individuelles Handeln habe in dieser Vorstellung nur noch mittelbare, die zugrundeliegende Vorstellung vom Ziel der Geschichte verwirklichende Bedeutung.66 Florovsky unterstreicht, daß das Böse in der Geschichte dann dem erfaßten Ziel der Geschichte dienlich sei und damit letztlich als "Teil des Guten"67 erscheine. Die Deduktion und Behauptung eines Sinnes in der Geschichte führt deshalb nach Florovskys Überzeugung zugleich zu einer Reduktion bzw. Negation der sittlichen
63 Smysl 194 64 Smysl 176 65 Smysl 177. Die Kritik an der Vorstellung vom Menschen als Mikrokosmos berührt sich mit der Kritik Ch.Renouviers und W.James' an der idealistischen Philosophie. Cf K.McVey: Georges Vasilievich Florovsky 46. 66 Ci Smysl 178 67 Smysl 178
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Verantwortlichkeit der Persönlichkeit.68 Da dies jedoch weder sein kann noch darf, sieht er die Lösung des Problems nur darin, der Geschichte einen ihr innewohnenden Sinn abzusprechen. Dies hatten, wie Florovsky weiter darlegt, auf ihre Weise bereits Herzen und Tolstoj getan. Der "radikale Individualist"69 Herzen bestreite um der Bedeutung des konkreten individuellen Lebens willen, das sich schöpferisch selbst ein Lebensziel setzt, einen abstrakten Sinn der Geschichte der Menschheit. Für ihn sei die Geschichte ein offenes, in ihrem Ausgang unbestimmtes Geschehen individueller Vollzüge, die sich nicht in der Idee eines alles Geschehen umfassenden Prozesses vereinigen lassen. Auch Tolstoj bestreite im Namen der schöpferischen Freiheit der Persönlichkeit den Prozeßgedanken in der Geschichte. Deren Sinn lasse sich nur in der Retrospektive erkennen und systematisieren. Man könne ihn jedoch wegen der grundsätzlichen Verschiedenheit individuellen Handelns nie vollkommen erfassen.70 Er wie auch Herzen übersah jedoch nach Florovskys Ansicht die erst von Dostoevskij, der ebenfalls keinen allgemeingültigen Sinn in der Geschichte erblicken konnte, erfaßte Tragik der Geschichte des Einzelnen, der die Aufgabe, sein Leben in gottgeschenkter Freiheit selbst zu gestalten, verfehlt und sich Notwendigkeiten ausliefert. Nach Florovskys Überzeugung gilt es sich hier zu entscheiden: "Entweder ein Sinn der Geschichte der Menschheit, oder ein Sinn des Leben des Menschen. Tertium non datur!"71 Diese Alternative hat, worauf Florovsky kurz hinweist, bereits William James aufgezeigt, der im Anschluß an Stuart Mills Ausführungen zum schöpferischen Charakter der Persönlichkeit die Welt als Zufallsgeschehen menschlicher Willensbetätigungen verstand. Auf James' philosophischen Ansatz ist kurz einzugehen, da er Florovsky stark beeinflußt hat. James' häufig als schlichter Utilitarismus mißverstandener Pragmatismus untersucht Erkenntnistheorien darauf, was deren praktische Anwendung impliziert.72 Anders gesagt: es geht ihm um die Verständnisbemühung des 68 Cf Smysl 178: "Die sittliche Bedeutung der Geschichte verschlang die sittliche Bedeutung der Persönlichkeit." 69 Smysl 180. Cf auch V.Zenkovsky: History 290ff. 70 Cf das Tolstojs Werk Krieg und Frieden entnommene Zitat in Smysl 181: "Wenn man einräumt, daß das menschliche Leben vom Verstand geführt werden kann, bedeutet dies die Vernichtung der Möglichkeit des Lebens." 71 Smysl 185. Diese Alternative entspricht exakt der unten (2.1.3) bei Ch.Renouvier aufgezeigten notwendigen Entscheidung zwischen zwei Philosophietypen und belegt, warum Florovsky seine eigenen, hier noch nicht voll entfalteten Gedanken bei diesem Philosophen wiederentdeckte. 72 Cf W.James: Der Pragmatismus 28
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Ereignisses der Wahrheit, die klassisch als adaequatio intellectus et rei definiert wird. Wie, so lautet seine Grundfrage, ist das Ereignis der adaequatio zu verstehen? Seine Antwort: Wahrheit entsteht, wenn sich die Erkenntnis im Lebensvollzug bewährt. Sie wird demnach nicht als bereits bestehende entdeckt, sondern kreativ erfunden. Sie ist damit je individuell und als allgemeine nur durch Konsens, nicht aber absolut herstellbar. Damit aber unterliegt sie Veränderungen und ist je nach Ereigniszusammenhang verschieden und vielfältig.73 Eine Gottesvorstellung kann dementsprechend nicht monistisch sein, da ihre praktische Bedeutung in der Lebensbewältigung und im moralischen Handeln des Einzelnen verschieden ist. Eine monistische, an einer Offenbarung oder an einem pantheistisch verstandenen Evolutionsbegriff orientierte Religion verhindert nach James geradezu, daß der Mensch sich immer neu der Bewährung seiner Vorstellungen an der Wirklichkeit seiner Erfahrungen und damit der Wahrheitsfrage stellt. Gerade der Verzicht auf eine in einer monistischen Religion ausgesagte Heilsvorstellung ermöglicht erst, daß man z.B. das Böse in der Welt erkennt und sich um seine Überwindung bemüht. James tendiert deshalb stark zum Polytheismus, obwohl ihm die existentielle Absicherung des menschlichen Seins in einer monistischen Religion psychologisch durchaus verständlich ist. Die prinzipielle EntSicherung menschlichen Seins im je neu gewagten und an der Praxis bewährten Glauben an Wahrheit erscheint ihm jedoch die dem Wesen der Wahrheit entsprechende existentielle Haltung zu sein.74 Dieser Gedanke der EntSicherung menschlichen Seins, das sich ohne Rückhalt an Systemen an die Freiheit wagt, wurde für Florovskys Denken zentral. Es bestimmt seine Geschichtsphilosophie ebenso wie seine Vorstellung von der menschlichen Persönlichkeit, dem dritten in Sofia besonders behandelten Problemkomplex. Zwar hat nach Florovskys Überzeugung der westliche philosophische Rationalismus die gesteckten Grenzen seiner Vorstellung von menschlicher Freiheit gespürt, konnte sie jedoch nicht durchbrechen. Dazu, so stellt Florovsky thetisch fest, "ist es nötig, 'durch Wasser und Geist wiedergeboren zu sein'. Und eben diese Wiedergeburt geschieht im Westen nicht."75 Freiheit und Schöpferkraft der Person, die sich über die in der rationalistischen Philosophie bestimmten Grenzen menschlichen Daseins erheben kann, finden sich nach Florovskys Überzeugung nur im "nationalen Genius
73 Cf ibid.123-150, die sechste Vorlesung über: Der Wahrheitsbegriff des Pragmatismus. 74 Cf W.James: Der Pragmatismus 174-194 und ders.: The Meaning of Truth 228f 75 Chitrost' 39 (engl.21)
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des russischen Volkes"76 - und bei dem amerikanischen Philosophen Josiah Royce, der im Anschluß an Fichte eine Philosophie der Freiheit und der Person formulierte und damit die Verführungen einer gesetzlichen Weltund Selbstwahrnehmung, die letztlich als Verführungen des Teufels selbst verstanden werden müßten 77 , zu überwinden suchte. Mit diesem Bezug auf die amerikanische Philosophie sprengt Florovsky die Grenzen einer streng eurasischen Weltanschauung, die sich denkerisch auf den euroasiatischen Kulturraum beschränkte. 78 Zentral war für ihn weniger das nationale Denken, als vielmehr die Notwendigkeit, den Menschen als mit freier Schöpferkraft begabten und beauftragten und damit als Person zu denken. "Die Persönlichkeit muß das eigentliche Kriterium und leitende Thema der kulturellen Kreativität sein, und zwar die 'durchschnittliche' Persönlichkeit, so wie sie in intuitiven Lichtblicken 'gegeben' wird, nicht aber so, wie die wissenschaftliche Psychologie, Soziologie, Anthropologie - die 'Wissenschaft' insgesamt sie hervorbringt." 79 Denn Kriterium dessen, was Florovsky unter Persönlichkeit versteht, ist deren Schöpferkraft, d.h. deren aus Vorausgegangenem, z.B. leiblichen oder psychischen Anlagen, äußeren Voraussetzungen und Bedingungen, gerade nicht ableitbares Handeln, das damit allen Erklärungsversuchen der Vernunft gegenüber überschießend ist. Die Schöpferkraft der Person ist deshalb für Florovsky auch weniger Vernunftsache, als vielmehr "mystisches Gefühl", das intuitiv den inneren Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft begreift "als unaufhörlichen Kampf Gottes" mit dem Antichristen 80 und auf diese Weise den Bedingungen des immanent Erklärbaren enthoben wird. "Im mystischen Gefühl wird [z.B.] das 'gottragende Volk', die 'heilige Rus", der 76 Ibid. Cf auch Ο Narodach 66. Florovsky übernimmt hier andeutungsweise russisch messianisches Gedankengut F.Dostoevskijs und V.Solov'evs, das bei den Eurasiern weit verbreitet war. Cf O.Böss: Die Lehre der Eurasier 71. 77 Florovsky sieht im Anschluß an Vorstellungen V.Solov'evs und unter Aufnahme der Versuchungsgeschichte Mt 4,1-11 in den philosophischen Versuchen der deutschen idealistischen Philosophie, einen erfolgreichen Versuch des Teufels, mit dem Versprechen, Macht über die Weltelemente zu erlangen, über die Menschen Gewalt zu erlangen. 78 Schon Herzen hatte die USA als "Land der Zukunft" bezeichnet und setzte seine Hoffnung auf Rußland und die USA im Gegenüber zum gescheiterten Europa (cf Ο Narodach 64). Für Florovsky formulierte der Begründer des amerikanischen Pragmatismus, W.James, das amerikanische Selbstbewußtsein, dessen Wesen nicht im Kapitalismus, sondern im "Weg des Lebens und der Behauptung individueller Freiheit" bestehe, auf gleichsam 'prophetische Weise' (ibid. 68). Cf auch Smysl 186. 79 Pis'mo 271. Cf auch Ο Narodach 70. Dieser personalistische Ansatz war kennzeichnend für alle Eurasier. Cf O.Böss: Die Lehre der Eurasier 69. 80 Ο Narodach 69
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'orthodoxe Osten' und der 'gottlose Westen' empfunden und bewußt."81 Indem der Mensch auf diese Weise sein natürliches Dasein transzendiert und ihm das Ziel des Seins offenkundig vor Augen tritt, eignet er sich seine Zukunft an. "Die in den innersten (intimnych) Betrachtungen aufgedeckten Ideale und Ahnungen des Zukünftigen werden der eigentliche Stimulus kulturellen Schöpfertums und Lebens - nicht aber in der Eigenschaft eines erledigten Programms einer Handlung oder einer unfehlbaren regula vitae, sondern in der Gestalt eines begeisterten Glaubens."82 Damit ist das Schöpfertum der Person im Denken Florovskys je neues unvorhersehbares Ereignis, das programmatisch nicht gefaßt oder gar gefordert werden kann. Es ist deshalb in gewissem Sinne "immer ein Geheimnis [...] und in ihm ist immer ein Element des Risikos, des Wagnisses und der Vermutung."83 Es ist die Manifestation radikaler, weil die Grenzen natürlichen Seins transzendierender Freiheit aus Glauben an Gott. Mit dieser Anthropologie, die er später theologisch entfaltete, setzte sich Florovsky auch im Kreis der Eurasier, die durchweg - zumindest in ihrer Anfangszeit - einen personalistischen Freiheitsbegriff vertraten, heftigen Vorwürfen aus. "Man nennt mein Konzept 'anarchistisch' und man wirft mir die Vernachlässigung objektiver Werte der 'sozialen' Ordnung, das destruktive Pathos von der Art Michail Bakunins vor."84 Diesem Vorwurf begegnete Florovsky mit zwei für ihn zeitlebens kennzeichnenden Argumenten85: 1. Die Wirklichkeit ist eine einzige und läßt sich nicht mit verschiedenen Wahrheiten erfassen. 2. Die Scheu, die schöpferische Freiheit zu betätigen, ist letztlich aus der Furcht vor der ungewissen Zukunft herrührender Unglaube. Auf diese beiden Argumente und ihren inneren Zusammenhang muß hier wegen ihrer zentralen Bedeutung für Florovskys spätere theologische Argumentation kurz eingegangen werden. Das Versagen der westeuropäischen Philosophie hat Florovsky an deren monistischem Rationalismus festgemacht, der Erkenntnis allein innerhalb der 'Grenzen der Vernunft' zulasse. Damit habe er das Gespür für die gegenüber Vorigem wirklich Neues setzende menschliche Freiheit verloren. Folgenschwere theologische Konsequenz eines derartigen Denkens sei es, daß die Wirklichkeit und Wirksamkeit Gottes, der als Person allen menschlichen Systemen jenseitig, prinzipiell unfaßbar und deshalb überlegen ist, nur als eine Wahrheit neben der philosophisch behaupteten Wahrheit 81 Ibid.
82 Ο Νarodach IQ 83 Patriotizm 291 84 Pis'tno 271. Florovsky 85 CfPis'mo 272 44
gibt nicht zu erkennen, wer diese Vorwürfe erhoben hat.
gedacht werden könne. Beispielsweise werde das Ereignis der Inkarnation, das sich mit Kategorien ausschließlich menschlicher Vernunft nicht fassen läßt, "als Realität [...nur] als unüberbrückbarer Widerspruch" zweier Erkenntnisweisen vorgestellt und bleibe damit rein gedankliche Wirklichkeit.86 Für Florovsky stellt sich deshalb die Frage, ob man die Wirklichkeit begreift als vernunftmäßig erfaßbares System, in dem Widersprüche keinen Platz haben bzw. sich im hegelschen Sinne aufheben, oder aber als freies und unvorhersehbares Wirken der Menschen, das mit Widersprüchen und Antinomien und damit zugleich auch mit geschichtlicher Tragik und geschichtlichem Heil rechnet. "Entweder die Welt ist amorph und chaotisch, 'an und für sich' ohne jede Beschaffenheit und Struktur, und verändert sich nur zufällig, ordnet sich keiner Führung unter; oder aber die Welt ist ein System, gleichlautend bestimmt, 'gleichförmig' aufgebaut, nach genauem Plan, und im selben Fluß und ihrer Unveränderlichkeit eröffnen sich nur Einzelheiten und Folgen dieses von Anfang an vorherbestimmten Plans. Anders gesagt, entweder anarchistische Freiheit oder despotische Unausweichlichkeit; entweder Leben oder Tod."*1
Menschliche Freiheit aber bedeutet in diesem Zusammenhang für Florovsky die verwirklichte Möglichkeit, die bewußten Grenzen kreatürlichen Seins im mystischen Gefühl auf ihren transzendenten Urgrund hin zu durchstoßen und so die Wirklichkeit neu zu sehen und zu bewältigen. Seine schroffe Alternative zwischen 'Leben' und 'Tod' mündet nicht in radikale Anarchie ein, sondern versteht sich als "Synthese von 'Freiheit' und 'Notwendigkeit'"88, die zu erkennen der menschlichen Vernunftweisheit allerdings unmöglich ist. "Die 'Weisheit' der Welt erkennt nicht zugleich deren logische Bestimmtheit, denn die Sophia (Sofija) ist keine menschliche Weisheit (mudrost'), sondern die Göttliche Allweisheit (Premudrost'), die nicht in der Kontinuität eines dialektischen Aufschwungs 'reinen Denkens', sondern in der 'anschaulichen' und konkreten mystischen Betrachtung offenbart wird."89 In ihr begreife der Mensch die unlösliche Zusammengehörigkeit vonpraedestinatioDei aeterna und menschlichem liberum arbitrium90. Diese zu denken und als einheitliches Wirklichkeitsverständnis zur Geltung zu bringen, ist nach Florovskys Auffassung "Aufgabe einer neuen orthodoxen Philosophie".91 Diese zu formulieren und zu vertreten, war sein weiteres Interesse. Seine Ende 1921 gewonnenen Einsichten markieren damit den Beginn einer Wen86 88 90 91
Cf Patriotkm 287 87 Ibid. Patriotkm 288 89 Patriotizm 288f Die lateinischen Begriffe verwendet Florovsky. Patriotizm 289
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de vom Philosophen Florovsky zum Theologen Florovsky, auch wenn man sich angesichts der russischen Laientheologie und insbesondere Religionsphilosophie des 19.Jahrhunderts, deren Kennzeichen geradezu die Verbindung von philosphischen und theologischen Denken war, diese Wende nicht als radikalen Einschnitt vorstellen darf. Er gewann im Verlauf der Diskussionen bei den Eurasiern die Überzeugung, daß zeitgemäße Philosophie, die auch in der Lage ist, die Gegenwart zu deuten und kreativ zu bewältigen, nur auf der Grundlage der orthodoxen Theologie vollzogen werden kann. Konkret zeigte er dies an der auf der Grundlage des Ausgeführten möglichen Interpretation der russischen Revolution. Da Florovsky die Wirklichkeit als die Synthese aus göttlicher Prädestination und menschlichem Freiheitshandeln begreift, muß auch Geschichte in dieser zweifachen Perspektive interpretiert werden. Demnach ist die Revolution einerseits "nicht Tat menschlicher Hände, [...] sondern in Wirklichkeit 'Gericht', aber nicht 'Gericht der Geschichte', sondern 'Gericht Gottes'." Als solches ist sie "unvermeidliche Folge [!] historischer Fügungen Rußlands und des russischen Volkes"92, das mit seiner Europäisierung den theologisch betrachtet illusorischen und heillosen Versuch einer Verselbständigung des Menschen gegenüber seinem Daseinszweck unternahm und sich so in die Fesseln des Rationalismus einband. Andererseits stellt sich dieser 'unvermeidliche' Vorgang des göttlichen Gerichts zugleich als Tragik menschlicher Freiheit dar, da die Europäisierung Rußlands keineswegs blindes Schicksal war, sondern Ergebnis freier Wahl gewesen ist.93 Beide Aspekte sind, wie Florovsky unter Bezug auf Mt 26,24 herausstellt, nicht voneinander zu trennen. Die Unvermeidlichkeit des Geschehens hebt die Verantwortlichkeit für die frei gewählte Unterstützung des Verderbens nicht auf.94 Weil aber die willentliche Verfehlung schöpferischer Freiheit, zu der Gott den Menschen bestimmt hat, ein tragisches Fehlverhalten ist, charakterisiert Florovsky in der Zusammenschau beider Einsichten die Geschichte als Tragödie. Diese Qualifikation der Geschichte 92 Ibid. 93 Patriotkm 290 94 O.Böss: Die Lehre der Eurasier 16, hat diesen zumindest bei Florovsky deutlich formulierten Gedanken übersehen, wenn er daraufhinweist, daß für die Eurasier typisch gewesen sei, daß sie einerseits in der Revolution eine unausweichliche Konsequenz historischer Irrtümer gesehen, und andererseits, gegen jede Form deterministischer Geschichtsschau gewendet, die personale Schöpferkraft und Freiheit des Menschen betont haben, diesen gedanklichen Widerspruch jedoch nicht auflösten. Daß Florovsky dieser Unausgewogenheit in der Argumentation seiner Mitstreiter entgangen zu sein scheint, kann man m.E. auf seine theologischen Kenntnisse zurückführen, da das Verhältnis von menschlicher Freiheit und göttlicher Prädestination ein klassisches theologisches Problem darstellt.
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des Menschen angesichts des göttlichen Willens hat er sein Leben lang beibehalten. "Die Tragödie der Freiheit - das ist das grundsätzliche Problem einer neuen Philosophie."95 Wo die menschliche Freiheit, wie in der Europäisierung Rußlands geschehen, den Weg der Einbindung des Menschen in die selbstgesetzten Grenzen seiner Natur oder Vernunft einschlägt, manifestiert sich nach Florovsky der Verzicht auf das Transzendieren dieser Grenzen auf Gott hin, das erst die wahre Vorstellung von menschlicher Wirklichkeit als Tragödie vermittelt. Theologisch interpretiert zeigt sich dort der fehlende Glaube an den Heilswillen Gottes und die wahre menschliche Freiheit. Den einzigen Ausweg aus dieser Verwicklung Rußlands in die gescheiterte europäische Philosophie sieht Florovsky in der Rückbesinnung auf die schöpferischen Möglichkeiten des Menschen, die sich ihm als einzige Möglichkeit einer wirklich russischen Kultur darstellt. Zur Unterstützung seiner Argumentation zieht Florovsky interessanterweise den 'Philosophen der Freiheit und Person', Johann Gottlieb Fichte, heran: "Alles bloß bindende Verhalten ist gerade das Gegenteil der Kultur; Bildung geschieht durch Selbstthätigkeit [...]. Kein Plan der Kultur kann also angelegt sein, daß seine Erreichung notwendig sei; er wirkt auf Freiheit und hängt vom Gebrauche der Freiheit ab."96 Konsequenz dieser Einsicht ist für Florovsky, daß eine Wiedergeburt Rußlands "nur mit dem Pathos religiösen Schöpfertums"97 gelingen kann. Nur durch eine Besinnung auf die christlichen Aussagen zur Synthese von Freiheit und Notwendigkeit und in der freien Schöpfertätigkeit der menschlichen Persönlichkeit könne die Ausbildung einer Kultur gelingen, die den zur Revolution führenden Irrweg nicht beschreitet. Dem Bolschwismus mit seinem westlichen "Dogmatismus", seiner "Objektphilosophie" und Behauptung von geschichtlicher "Notwendigkeit", die theologisch als katastrophisches Hereinbrechen des Reiches Gottes gedeutet wird, stellt Florovsky alternativ den "Kritizismus", "Personalismus" und die "Freiheit", die theologisch als "das Reich Gottes in uns" verstanden wird, gegenüber.98 Mit diesen Schlagworten umreißt Florovsky allerdings keine Ideologie, die 95 Patriotizm 290. Florovsky deutet hier an, daß dies auch das zentrale Thema Dostoevskijs gewesen sei und stellt bei der Einordnung dieses Dichters in seinen Puti [295f(engl.II 65f)] diesen Aspekt besonders heraus. 96 Zitiert nach Pis'mo 273, wo Florovsky auf einen Quellenbeleg verzichtet. 97 Patriotizm 279. Bei den Petersburger religiös philosophischen Versammlungen von 1902-1903 wurde von A.Ternavcev bereits die These vertreten: "Eine Wiedergeburt Rußlands kann sich nur auf einer religiösen Grundlage vollziehen." (Zapiski Petersburgskich Religiozno-filosofiskich Sobranij (1902-1903ff) 7; zitiert nach R.Slenczka: Lehre undBekenntnis 542). Daß Florovsky sie gekannt hat, ist mehr als wahrscheinlich. 98 Pis'mo 271
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damit nur an die Stelle der westlichen Philosophie treten sollte. Vielmehr zielt Florovskys Rekurs auf das 'religiöses Schöpfertum' auf die Hinwendung zur religiösen Erfahrung. Diese Erfahrung aber ist nicht nur wie bei einigen Slawophilen und noch bei Solov'ev kirchlich vermittelt, sondern als kirchliche Ausgangspunkt des neuen philosophischen Denkens. "Eines ist wichtig: von der kirchlichen Erfahrung auszugehen, in ihr eingegebene Weisung für die Lösung der Fragen, die das fortlaufende Leben vor unser Bewußtsein stellt, zu suchen."99 Inhaltliches Charakteristikum der orthodoxen kirchlichen Erfahrung aber ist es, daß in ihr nicht das philosophische Gedankengut des Westens, sondern die theologischen Einsichten der altkirchlichen Väter zum Ausdruck kommen. Für Florovsky steht deshalb fest, daß nur der, der die patristische Überlieferung, wie sie in der orthodoxen Kirche lebendig ist, begreift und in ihrem Geist zu denken beginnt, die geforderte 'neue Philosophie' im Sinne einer neuen Begründung einer russischen Kultur unabhängig von den gescheiterten westlichen Einflüssen entwickeln kann.100 Der Glaube an eine kulturelle Wiederbelebung Rußlands ist für Florovsky deshalb identisch mit dem Glauben an die "schöpferische Kraft der Orthodoxen Kirche."101 Einzig in der Rückkehr zum ursprünglichen Leben der russisch orthodoxen Kirche, wie es sich trotz der Europäisierung durch die Jahrhunderte hindurch im russischen Volk erhalten hat102, sieht Florovsky nach dem Ereignis der Revolution eine Möglichkeit der Besinnung und der Umkehr. "Das Alte Rußland ersteht nur wieder, nachdem man begonnen hat, die russische orthodoxe Kultur zu erkennen, - und nur orthodoxes Handeln, Schöpfertum im Geist und unter dem Schutz der Kirche ist in unseren Tagen rechtschaffendes russisches Handeln."103 Florovskys rege literarische Tätigkeit in Sofia104 markiert den Beginn 99 Patriotizm 285. Cf zur genauen Bestimmung des Erfahrungsbegriffes u.2.1.3 und Kap.3. 100 Cf Patriotizm 285f. Florovsky nimmt damit den Ansatz des Slavophilen LKireevskij auf, den er später in seinen Puti [258f(engl.II 25f)], was angesichts der zahlreichen negativen Urteile durchaus etwas besonderes ist, irenisch beurteilt. Dessen Forderungen nach einer kreativen Aneignung der patristischen Quellen im Unterschied zu einer bloßen Wiederholung der Aussagen der Väter sowie nach einer Beantwortung der Fragen des Westens auf der Grundlage der patristischen Theologie stimmt mit Florovskys Grundthesen der von ihm skizzierten Methode einer 'neopatristischen Theologie' (cf u.Kap.6) überein. 101 Patriotizm 291f 102 CiONarodach 68 und Patriotizm 274f. 103 Patriotizm. 292f 104 Die Jahre 1921/22 gehören zu Florovskys kreativsten. Er veröffentlichte neben kleineren Arbeiten sechs große Aufsätze.
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seiner Abwendung von der Philosophie und seiner Hinwendung zur orthodoxen Theologie. Seine Kritik am philosophischen Rationalismus, die Erkenntnis der Sinnlosigkeit der Geschichte und der freien Schöpferkraft der Persönlichkeit bestimmten fortan sein Denken, das sich nun der Aufgabe gewidmet hatte, eine 'neue orthodoxe Philosophie' zu formulieren. Zwar wurde seine philosophische Entwicklung, die Abkehr von der in Odessa gelehrten deterministischen Philosophie der Marburger Schule, durch die Erfahrung der Revolution, die Emigration und sein Engagement bei den Eurasiern befördert. Maßgeblichen Einfluß auf seine Hinwendung zur Theologie dürfte aber auch seine Herkunft aus einem orthodoxen Elternhaus und die Verwurzelung im orthodoxen Glauben gehabt haben. Die Orthodoxie erschien Florovsky und mit ihm den Eurasiern angesichts der alle Lebensbereiche revolutionierenden Vorgänge in Rußland der Garant genuin russischer Kultur und Lebensweise. 2.1.3 Prag und das Problem der Geschichte Im Dezember 1921 wurde Florovsky in das Russische Akademische Kollegium nach Prag berufen105 und verließ Sofia. In Prag war eine sehr große russische Flüchtlingskolonie entstanden, die im Unterschied zu den Gruppen, die sich auf dem Balkan und im Fernen Osten zusammengefunden hatten und überwiegend eine Restitution des zaristischen Rußland anstrebten, politisch zumeist liberal und in kirchlichen Fragen reform willig eingestellt war.106 An der juristischen Fakultät der von Emigranten gegründeten Russischen Universität in Prag wurde er zum Privatdozenten für historische Rechtsphilosophie ernannt. Mit einer Vorlesung über "Die Philosophie Solov'evs" 107 begann er seine Lehrtätigkeit und setzte diese bis 1926 fort. Ob er seine Magisterdissertation108 über Herzens Geschichtsphilosophie bereits vor der Ernennung zum Privatdozenten oder erst danach, nämlich 1923, erfolgreich verteidigt hat, ist nicht eindeutig zu erheben.109 Wahrscheinlicher ist letzteres, da Florovsky bereits in Odessa aufgrund seiner mündlichen Qualifikationen in der Lehre tätig sein konnte. 105 Cf Th.Bird: Georges Florovsky 343 106 Cf N.Massalsky: Die religiösen Strömungen 667ff und Zernov: Significance 315 107 Cf Reason and Faith 295 Anm.38 108 Dem Schwierigkeitsgrad nach entspricht ein russischer Magister nicht ganz dem einer deutschen Habilitationsarbeit, steht aber über einer Doktordissertation. 109 Für ersteres: G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 23. Für letzteres: Th.Bird: Georges Florovsky 343 und Vestnik 94. Da die Arbeit selbst nicht publiziert wurde und über die russische Universität in Prag keine Unterlagen existieren, bleibt man hier auf die angegebenen widersprüchlichen Zeugnisse angewiesen.
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Am 27.April 1922 heiratete Florovsky, nun materiell halbwegs abgesichert, Ksenij a Ivanovna Simonova, die Tochter eines russischen Lehrers aus Finnland. Sie war mit Petr Savickij, einem der Mitbegründer der Eurasischen Gruppe verwandt110 - möglicherweise hat Florovsky sie über ihn kennengelernt. Als sie am 5.11.1977 starb, bedeutete dies für Florovsky das Ende einer kinderlosen und sehr glücklichen Ehe.111 1923 kam auch Florovskys Bruder Antonij nach Prag. Neben seiner Lehrtätigkeit, die den jungen Dozenten sehr in Anspruch nahm, war Florovsky eine Zeit lang Sekretär der Religiös Philosophischen Gesellschaft, deren Präsident P.I.Novgorodcev war, und beteiligte sich weiterhin an den Zusammenkünften der Eurasier. Doch zog er sich bereits 1923 von deren Kollegs zurück, nachdem es auf einer Versammlung im August desselben Jahres in Berlin zu einer heftigen Kontroverse um eine angemessene Geschichtsphilosophie gekommen war. Dort hatten sich einflußreiche Mitglieder der eurasischen Bewegung geweigert, Florovskys vernichtende Kritik zu N.S.Trubeckojs Werk'Europa und die Menschheit' zu drucken.112 Florovsky wiederum wehrte sich gegen den nationalistischen 'Hurrapatriotismus' Mistislav Sachmatovs, die zunehmende politische wie kirchliche Rechtswendung der Eurasier113 und die einsetzende "systematische Hetzjagd auf Vater Sergius Bulgakov".114 110 Cf G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 25 111 Cf G.H.Williams: Memorial Minute 6. Ksenija Ivanovna war Ikonenmalerin und hatte nach übereinstimmenden mündlichen Berichten großen Einfluß auf ihren Mann. Er hat ihren Tod nach fünfundfünfzigjähriger Ehe nur sehr schwer verwunden. 112 Cf IzPisem (Florovsky an J.Ivask vom 8.4.1965) 47. Leider teilt Florovsky nicht mit, wer seine Opponenten waren. 113 Die Abkehr von der historisch philosophischen Analyse der russischen Revolution und ihrer Vorgeschichte sowie die Hinwendung zu politisch praktischem Denken vollzog sich bei den Eurasiern nach dem Bericht eines eurasischen Anonymus in Russia in Resurrection 186f im Jahre 1924. Waren die meisten Eurasier zu Beginn der zwanziger Jahre antisozialistisch eingestellt (cf N.Riasanovsky: Eurasianism 13), so gewannen nur wenige Jahre später prosowjetische Gedanken in dieser Gruppe die Oberhand. Florovsky war an den damit verbundenen Auseinandersetzungen nicht mehr beteiligt und hat sie nach eigenen Aussagen nicht weiter verfolgt. Er sah in der politischen Linksorientierung der Gruppe in den ausgehenden zwanziger Jahren '"eine taktische Anpassung'" an die politischen Gegebenheiten (cf IzPisem (Florovsky an J.Ivask vom 8.April 1965) 47), obwohl dieses Urteil angesichts der Sympathien einiger Eurasier für die sowjetische Organisationsstruktur und Staatsauffassung bei gleichzeitiger Ablehnung der bolschewistischen Ideologie (cf O.Böss: Die Lehre der Eurasier 90ff) nur bedingt zutreffend ist. 114 Cf IzPisem (Florovsky an J.Ivask vom 8.April 1965) 46f. S.Bulgakov war am 1.1.1923 aus der UdSSR ausgewiesen worden, so daß sich die unmittelbare Auseinan-
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Für die Annahme, daß die unterschiedlichen Auffassungen zur Geschichtsphilosophie der Grund für Florovskys Zerwürfnis mit den Eurasiern gewesen sind, spricht auch, daß sein u.a. v o m amerikanischen Pragmatismus bestimmtes Denken den euroasiatischen Bezugsrahmen eurasischen Denkens verlassen hatte. Zum Abschluß seiner Prager Jahre, 1925 oder 1926, vertiefte er seine Sicht der Geschichte durch Einblicke in das Werk des neukantianischen französischen Philosophen Charles Bernard Renouvier (1815-1903), auf das er 1928 in einer ausführlichen Rezension hinwies. 1 1 5 Wie Renouvier in seinem WerkEsquisse d'une classification116 dargelegt hat, besteht zwischen einer Philosophie, die sich vornehmlich der abstrakten Erkenntnisproblematik, den Vernunftgesetzen und daraus abgeleiteten Notwendigkeiten widmet, und einer, die sich v o m Gedanken schöpferischer Freiheit und Verantwortlichkeit leiten läßt, ein unüberbrückbarer Gegensatz, der nicht durch empirische Einsicht, sondern nur durch willentliche Entscheidung, durch la croyance, gelöst werden kann. Freiheit gibt es nur in und durch die willentliche Entscheidung - durch la croyance. Wer sich dersetzung mit seinen philosophisch theologischen Thesen in den westlichen Bereich verlagerte. 115 Der erste Beleg für Florovskys Kenntnis der Philosophie Ch.Renouviers ist diese 1928 aus Anlaß des 25jährigen Todestages des Franzosen erschienene Rezension Renouvier, die zwar im Untertitel eine Reihe von Publikationen zu Renouvier aufführt, auf sie jedoch mit keinem Wort eingeht, sondern vielmehr eine knappe Darstellung der Gedanken und eine abschließende Wertung des Philosophen bringt. Aus folgenden Gründen ist es jedoch wahrscheinlich, daß Florovsky sich schon früher mit ihm beschäftigt hat: 1. William James war nicht nur mit Josiah Royce, sondern auch mit Renouvier befreundet (cf J.E. Williams: ArtJames 241). Er wie auch J.Royce sind von Renouviers Gedanken zur Freiheit der Person und Nichtdeterminiertheit der Geschichte beeinflußt, was an Bezügen auf den Franzosen in ihren Werken deutlich wird. Da Ch.Renouvier in der westlichen Philosophie kaum eine Rolle gespielt hat, wird Florovsky deshalb durch die Lektüre der Amerikaner auf den Franzosen aufmerksam geworden sein und ihn wegen seiner im Vergleich mit den Amerikanern größeren Affinitäten zum genuin christlichen Gedankengut herangezogen haben. 2. In seinem bereits 1927 abgeschlossenen und 1928 publizierten Aufsatz Tvar' sind grundsätzliche Aussagen zur Schöpfungslehre wie z.B. der Kontingenzgedanke, die sich in ganz ähnlicher Weise auch bei Ch.Renouvier finden, verarbeitet (cf dazu unten Kap.7). Dies macht es mehr als wahrscheinlich, daß Florovsky Renouvier bereits vor seiner Übersiedlung nach Paris 1926 oder aber kurz danach gelesen hat. Er zählt ihn zu den herausragenden Denkern des vergangenen Jahrhunderts (cf Renouvier 116 (engl.132)). 116 Florovsky hält dieses Werk sicher auch deshalb für dessen wichtigste Veröffentlichung (cf Renouvier 113 (engl.l29f)), weil es seiner eigenen Interpretation der Philosophiegeschichte besonders nahekommt. 51
zum Glauben an die Freiheit entscheidet, tut dies nicht, weil er der Möglichkeit eines Determinismus mißtraut, sondern weil er gewiß ist, daß absolute Gewißheit mit dem Geist der Freiheit inkompatibel ist. Renouvier begründet diese Aussage mit seiner grundsätzlichen, aus dem Wesen der natürlichen Zahlen gewonnenen Einsicht, daß es nur endliches, begrenztes Seiendes gibt, das unverwechselbar und individuell ist, aber in je spezifischen Beziehungen auf andere existiert. Diese Relationen seien jedoch individuell variabel gestaltbar, so daß der Mensch durch sie nur aufgrund seiner willentlichen Entscheidung bestimmt, nie aber fatalistisch determiert werde. "Streng genommen gibt es keine Gewißheit, es gibt nur Menschen, die gewiß sind."117 Geschichtliche Wandlungen sind für Renouvier demnach das Ergebnis moralischer Taten bzw. Vergehen des Menschen aus freier Willensentscheidung, nicht aber die Selbstbekundungen des pantheistisch verstandenen absoluten Geistes der idealistischen Philosophie. Geschichte könne deshalb auch nicht als determiniertes System, als Evolution oder als nach Gesetzen ablaufend verstanden werden, da darin nicht nur der Gegensatz zwischen Gut und Böse seine praktische Bedeutung in den Lebensvollzügen verliert und - dialektisch - eingeebnet, sondern auch die Freiheit der Person aufgehoben wird. Eine Überwindung des realen Bösen, das sich nicht in einem evolutiven Prozeß der Geschichte selbst aufheben wird und damit überhaupt erst den menschlichen Kampf gegen das Böse erforderlich macht, kann demnach nur als schöpferisches Geschehen gedacht werden. Die Frage nach dem Geschichtsverständnis hat demnach unmittelbare moralische Implikationen. Die Ethik ist eine Ethik des praktischen Willens und der Tat und nicht, wie noch bei Kant, eine der urteilenden Vernunft. Für Florovsky wurde besonders wichtig, daß Renouvier unter dem bestimmenden Einfluß seines römisch katholischen Freundes J.Leker diese Aussagen religiös gedeutet hat, indem er der Vorstellung geschichtlicher Notwendigkeiten die Vorstellung der göttlichen Kontingenz der Schöpfung gegenüberstellte. Weil die Welt mit der freien Schöpfung Gottes einen Anfang hat, ihre Existenz demnach an und für sich nicht notwendig ist, ist sie den Einflüssen eines unabwendbaren Schicksals entzogen. Insofern Geschichte aber die Unzähligkeit immer neuer schöpferischer Augenblicke individuellen menschlichen Handelns ist, setzt sich die Schöpfung der Welt immer weiter fort. "Der Mensch," so faßt Florovsky Renouviers Gedanken 117 Ch.B.Renouvier: TraM depsychologie rationelle Vol.l Paris 1912,366; zitiert nach P.Edwards: Art. Renouvier 181. Zu Renouviers grundsätzlichen Positionen cf auch K.McVey: Georges Vasilievich Florovsky 13f und Florovskys Rezension Renouvier 114f (engl.l30ff).
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zusammen, "entwickelt sich nicht, sondern er schafft sich selbst; und in dieser schöpferischen Freiheit wird er - er wird das, was er sein kann, aber er kann auch nicht sein, was ihm zu sein gebürt, sondern das werden, wozu er überhaupt nicht gezwungen wird."118 - Dieser religiöse Aspekt spielt im Denken Renouviers nur eine untergeordnete Rolle, doch wird er für Florovskys Geschichtsverständnis entscheidend. Obwohl er selbst schreibt, daß Renouvier "nicht nur kein Christ, sondern dem Christentum gegenüber geradezu feindlich gesonnen war und in ihm ein historisches Unglück und eine Verirrung sah"119, hält er ihn für einen Zeugen der intelligiblen Wahrheit des Christentums, der sich selbst nicht verstanden hat. In dieser Einschätzung ist auch der Grund dafür zu sehen, daß Florovsky auf diesen in Europa kaum rezipierten Philosophen in seiner ausführlichen Besprechung einging. Renouviers Vorstellungen brachten gleichsam die positive Ergänzung zu Florovskys Geschichtsvorstellung, die er in seinem Aufsatz Smysl abgrenzend dargelegt hatte. Zu dem bereits bei W.James erläuterten Gedanken der Entsicherung menschlichen Seins, das sich ohne Systemrückhalt, Renouviers la croyance, an die Freiheit wagt, tritt bei Florovsky nun die Behauptung grundsätzlicher Kontingenz des Seins. Für das Verständnis von Geschichte bedeutet dies, daß sie die Summe individuellen schöpferischen Handelns freier Personen, die Summe nicht vorhersehbarer Ereignisse ist. Sie läßt sich deshalb erst und ausschließlich im Rückblick interpretieren. Eine solche Interpretation muß nach Florovskys Überzeugung auch und gerade das historische Faktum der Inkarnation Gottes in Christus und die Wirksamkeit Gottes in seiner Kirche berücksichtigen120, denn erst so kann die von ihm in den hier referierten Aufsätzen zu Beginn der zwanziger Jahre immer wieder aufgezeigte Alternative zwischen einer Gott letztlich pantheistisch auflösenden idealistischen Philosophie, deren Problematik James und Renouvier aufzuzeigen gelungen ist, und einer die Freiheit des Menschen in den Mittelpunkt rückenden Philosophie, die nur noch für einen theistischen Gottesbegriff Platz läßt, überwunden werden. "Der Pantheismus vergißt den Menschen, der Gott werden will, aber auch Gott nicht findet. Der Theismus vergißt Gott in seinem leidenschaftlichen Bemühen um die Verteidigung des menschlichen Prinzips und verliert auch den Menschen. Weder im Infinitismus, noch im Finitismus liegt die ganze Wahrheit. Denn die Wahrheit liegt darin, daß Gott Mensch wurde."121 Der Einfluß des 118 Renouvier 114 (engl.131) 119 Renouvier 116 (engl. 132) 120 So Florovskys Grundthese zu einer möglichen christlichen Geschichtsauffassung in Ο Tipach, die er später in Predicament erneut vorlegte. 121 Renouvier 116 (engl.132)
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geschichtsphilosophischen und anthropologischen Denkens James' und Renouviers auf Florovsky hat demnach seine Grenze bei deren Theologie. Neigte James zum anthropologisch begründeten Pantheismus, so zeigte sich nach Ansicht Florovskys bei Renouvier die im Kontingenzdenken begründete Neigung zum Deismus. Den Ausweg aus dieser Alternative weist nach Florovskys Überzeugung das Christusereignis, das für ihn den Ansatz und die Grundlage einer 'neuen orthodoxen Philosophie' darstellt. Diese christologische Wahrheit zu denken, hat allerdings, so beschließt Florovsky seine Bemerkungen zu Renouvier, zur Voraussetzung, daß man sich nicht in der Abstraktheit des Denkens verliert, sondern an der in der Kirche lebendigen christlichen Glaubenserfahrung orientiert.122 Damit weist er von der Erörterung einer angemessenen Geschichtsvorstellung her hinüber zum Ansatz der Theologie bei der kirchlichen Erfahrung. Ohne daß dieser Ansatz an dieser Stelle bereits erläutert wird - Florovsky hat sich detailliert dazu erst in seiner Pariser Zeit geäußert-, lassen sich schon jetzt Aussagen über die geistesgeschichtliche Herkunft desselben im Denken Florovskys machen. Die Forderung nach dem Ansatz der Theologie bei der kirchlichen Erfahrung zeigt nämlich einerseits das pragmatistische Erbe des Denkens Florovskys, das jede Theorie an der erfahrenen Praxis bewähren will und deshalb erkenntnistheoretisch auch immer die Bewegung von der Erfahrung zur Theorie beinhaltet. Andererseits aber wurde diese Forderung nach einer Rückkehr zur Erfahrung und zum Wissensschatz der Orthodoxen Kirche bei gleichzeitiger Abweisung der westlichen Philosophie keineswegs nur von Florovsky erhoben. Sie läßt sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei den religiös philosophischen Versammlungen in St. Petersburg, in den damals Aufsehen erregenden Publikationen Problemy Idealizma, den Vechi und Iz Glubiny, in denen sich Philosophen und Laientheologen zu einer Erneuerung Rußlands aus eigenen Wurzeln äußerten, ausmachen123 und bis in die Anfänge des 19Jahrhunderts zu den Slavophilen zurückverfolgen. Als sich um die Jahrhundertwende ein Teil der russischen Intelligenz im weiteren Sinne religiös theologischem Gedankengut zuwandte, bedeutete jedoch nicht notwendigerweise auch eine Hinwendung zur orthodoxen Kirche.124 An diesem Punkt aber wird der 122 Ibid. 123 Cf dazu auch R.Slenczka: Lehre und Bekenntnis 546 - P.Pascal: Strömungen 21, interpretiert die gesamte geistige Entwicklung innerhalb Rußlands im 19. und 20.Jahrhundert als Auseinandersetzung zwischen deterministischen und auf individuelle Freiheit gerichteten und darin religiösen Philosophien. 124 Cf P.Pascal: Strömungen 21
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Unterschied zu Florovsky deutlich. Spezifisch und für die Entwicklung der Orthodoxen Theologie im 20Jahrhundert folgenreich ist seine Betonung der kirchlichen Erfahrung als Ausgangspunkt einer religiösen Philosophie oder philosophischen Theologie. Mit dieser Forderung konnte Florovsky an gewisse Denktraditionen innerhalb der russischen Theologie anknüpfen. So hatte bereits A.S.Chomjakov (1804-1860) behauptet, gerettet würde der, der an Christus, die Kirche und die Sakramente glaube, und damit den rechten Christusglauben in Abhängigkeit zur Kirchlichkeit verstanden.125 Doch bedeutete dies für diesen kaum fundamentaltheologisch argumentierenden Laientheologen nicht, daß der Ansatz der Theologie bei der kirchlichen Erfahrung zu suchen sei. In slawophilen Kreisen trat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Gedanke der religiösen Erfahrung und ihrer Vermittlung durch die Kirche in der Vordergrund. Allerdings ist hier, wie auch in den Frühschriften V.Solov'evs, die persönliche religiöse Erfahrung gegenüber der kirchlichen primär. Sie wird durch den Gottesdienstbesuch und die Teilnahme am kirchlichen Leben intensiviert und bestärkt.126 Bei V.Solov'ev (1853-1900) begegnet der Gedanke der Vermittlung religiöser Erfahrung durch die Kirche häufiger erst in den Schriften aus seiner mittleren (1882-1889) und späten Phase. In ihnen vertrat er die Auffassung, daß die kirchlich vermittelte Glaubenserfahrung Kriterium und Vollendung der individuellen religiösen Erfahrung sei.127 Der Gedanke der Kirchlichkeit religiöser Erfahrung stand dennoch keineswegs im Mittelpunkt seines Nachdenkens über die mystische und religiöse Erfahrung des Menschen. Erst P.Florenskij (1882-ca.l943) hat 1914 Kirche und Erfahrung derart eng miteinander verbunden, daß 'Kirchlichkeit' (cerkovnost'),'Leben im Geist' und 'Erfahrung' synonym verwendet werden.128 Kirchlichkeit bildet für ihn die unabdingbare Grundbefindlichkeit des Theologen und Philosophen. Sie ist Voraussetzung und Grundlage der Theologie. Genau dies ist auch Florovskys Standpunkt. Es ist mehr als unwahrscheinlich, daß er Florenskijs Werk Der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit, das 1914 in Moskau erschien, nicht gekannt hat, als er erstmals
125 Cf A.S.Chomjakov: Die Einheit der Kirche 20f 126 So z.B. Erzbischof Amvrosij von Char'kov (1820-1901)zitiert in: K.Chr.Felmy: Predigt 165f. 127 Cf M.George: Mystische und religiöse Erfahrung 204-208 128 Cf P.Florenskij: Stolp 7f: "Was ist diese Kirchlichkeit? Sie ist neues Leben, Leben im Geist [...] Der orthodoxe Stil, das orthodoxe Wesen kann empfunden werden, aber es unterliegt nicht arithmetischer Kalkulation; die Orthodoxie wird aufgezeigt, aber nicht bewiesen. Deshalb gibt es für jeden, der die Orthodoxie begreifen will, nur eine Weise: die unmittelbare orthodoxe Erfahrung."
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1921129 und seitdem immer wieder diesen Ansatz einer Theologie bzw. Philosophie postulierte. Eindeutige Abhängigkeiten lassen sich angesichts der in seiner Prager Zeit nicht sonderlich detaillierten Aussagen Florovskys zum Ansatz der Theologie bei der kirchlichen Erfahrung und seinem Verzicht auf Verweise auf andere Denker nicht feststellen.130 Schließlich ist auch denkbar, daß Florovskys theologischer Ansatz über die aufgezeigten Einflüsse des amerikanischen Pragmatismus und die Denktradition der russischen Theologie und Religionsphilosophie hinaus auch durch seine Kenntnisse der geistesgeschichtlichen Hinwendung zum Erfahrungsbegriff in der Neuzeit beeinflußt worden ist.131 Durchgeführt und im einzelnen begründet hat er ihn jedoch erst, als er 1926 Prag verließ und in Paris Theologieprofessor geworden war. In den vor dieser Zeit verfaßten Schriften aber war sein theologischer Ansatz "nur" das Ergebnis der Auseinandersetzungen um eine rechte Geschichtsphilosophie in der Gruppe der Eurasier. Da Florovsky mit den übrigen Gliedern der Gruppe in der Auffassung von Geschichte keine Übereinstimmung erzielen konnte, und die Lösung dieses Problem weitreichende Konsequenzen für die Anthropologie, Kosmologie und nicht zuletzt auch für die Theologie hat, ist es verständlich, daß die fehlende Übereinstimmung in dieser Frage zum Bruch mit den Eurasiern führen mußte. Sie vollzog sich nach Florovskys eigenen Aussagen bereits 1923.132 Dennoch hielt Florovsky das grundsätzliche Anliegen der Gruppe, die Analyse der russischen Kultur, auch weiterhin für die einzige Möglichkeit, die russische Revolution zu verstehen und den Bolschwismus wirksam zu bekämpfen. Das geht insbesondere aus seinem Aufsatz Okamennoe Bez129 Cf Patriotizm 285 130 Dies gilt, auch wenn an dieser Stelle der Arbeit Florovskys Aufenthalt in Prag bedacht wird, auch für später verfaßte Aufsätze. Ausführlich wird Florovskys Ansatz der Theologie in Kap.3 zur Sprache kommen. 131 Dies bezieht sich keineswegs nur auf den bis heute ungeklärten Erfahrungsbegriff in der Philosophie, und auch nicht nur auf die Wiederentdeckung der Erfahrungsdimension in der deutschen Theologie des 18. und 19 Jahrhunderts, sondern auch auf die Florovsky aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Ausbildung geläufige Anwendung des Erfahrungsbegriffs auf die Methodik der Naturwissenschaften. Cf A.Kessler u.a.: Art. Erfahrung. 132 Cf Iz Pisem (Florovsky an J.Ivask vom 8.April 1965) 46. Gestützt wird diese Aussage durch die bemerkenswerte Tatsache, daß die von einem Anonymus, der sich selbst als englischer Eurasier bezeichnet, 1920 verfaßte Darstellung der eurasischen Lehre Florovskys Gründungsmitgliedschaft bei den Eurasiern stillschwiegend übergeht (cf Russia in Resurrection 182) und ihn auch sonst an keiner Stelle erwähnt.
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custvie hervor, den er am 29.9.1925 abschloß. Er trägt den bezeichnenden Untertitel: Über die Polemik gegen dasEurasiertum. Auch wenn Florovsky explizit schreibt, daß er die Lehre der Eurasier weder darlegen noch verteidigen wolle133, so stellt er mit zahlreichen polemischen Seitenhieben auf die Gegner erneut die von 'uns Eurasiern'134 behauptete Notwendigkeit einer unvoreingenommenen Interpretation der neuesten geschichtlichen Fakten der russischen Geschichte heraus. Allgemein sichtbar wurde sein Bruch mit den Eurasiern allerdings erst 1928, als er unter dem Titel Evrazijskij Soblazn (Die eurasische Versuchung) seine ursprünglich Trubeckojs Schrift Europa und die Menschheit zugedachte Kritik in umgearbeiteter Form135 veröffentlichte. Gleich der erste Satz macht seine vollständige Abkehr von dieser Gruppe deutlich: "Das Schicksal des Eurasiertums ist die Geschichte geistiger Fehlschläge."136 Zwar seien, so fährt Florovsky fort, die Fragen der Eurasier richtig gewesen, nicht jedoch die gegebenen Antworten. Dies im einzelnen nachzuweisen, ist das Ziel des Aufsatzes.137 Hervorzuheben ist, daß Florovskys vormals dem Westen gegenüber grundsätzlich kritisches bis ablehnendes Denken jetzt einen anderen Akzent erfahren hat. Er wirft den Eurasiern vor, ihre Aversion gegen Europa und alles Europäische würde den historischen Wurzeln, die bis in die Gegenwart von Bedeutung seien, auch nicht annähernd gerecht. Zwar gebe es "eine tiefe und schwergewichtige Grenze zwischen Rußland und Europa, aber sie beseitigt nicht deren innere mystisch-metaphysische Verbundenheit und wechselseitige christliche Bürgschaft. Rußland als lebendige Nachfolgerin von Byzanz bleibt als orthodoxer Osten für den nichtorthodoxen, aber christlichen Westen innerhalb eines einheitlichen kulturell-historischen Bereichs."13*
133 Ci BezZuvstvie 129 134 Cf derartige Formulierungen, in denen sich Florovsky explizit den Eurasiern zurechnet, ibid.l30f. 135 Cf Iz Pisem (Florovsky an J.Ivask vom 8.April 1965) 45 136 Soblazn 312 137 Es ist angesichts der leitenden Fragestellung der vorliegenden Arbeit hier nicht der Ort, Florovskys Argumente im einzelnen nachzuzeichnen. Seine Hauptkritik wendet sich, knapp zusammengefaßt, gegen die geographisch biologistische Bestimmung des russischen Wesens durch die Eurasier (cf Soblazn 603), die damit in Wiederholung früherer Fehler der russischen Intelligenz (cf ibid.325f) keinen Sinn für die schöpferischen Kräfte des Menschen bewiesen hätten (cf ibid.326) und ihren Geschichtsbegriff letztlich vom Begriff des Territoriums (cf ibid.329) herleiteten. Wie berechtigt diese Kritk ist, wird bei RMalevsky-Malevitchs Begründung der Unabhängigkeit der russischen Kultur vom Westen in eindrücklicher Weise deutlich (cf P.Malevsky-Malevitch: Α New Party 18ff). 138 Soblazn 335
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Florovsky erweiterte also bereits vor 1928139 die kulturhistorische Fragestellung nach dem Schicksal Rußlands, die eigentlicher Anlaß seiner Äußerungen in seiner Prager Zeit gewesen ist, in Richtung auf die eine, letztlich alle Christen verbindende Kultur der Orthodoxen Kirche. Diese Fragestellung wurde für sein innerorthodoxes wie für sein ökumenisches Handeln die leitende Frage schlechthin. Die Wende vom Philosophen zum Theologen, die sich bereits in Sofia angebahnt hatte, kam am Ende der Prager Zeit Florovskys zum Abschluß. Seine Kritik an der Philosophie des Westens und seine Forderungen nach einer 'neuen Philosophie', die sich auf die Fragestellungen, Methoden und Antworten des christlichen Glaubens, wie er in der Orthodoxen Kirche gelebt wird, besinnt, machten eine theologische Konzentration seines Denkens geradezu unausweichlich. Es war für seine Entwicklung deshalb nur konsequent, daß er, obwohl er nie eine formale theologische Ausbildung genossen hatte, 1926 den Ruf an das neugegründete Orthodoxe Theologische Institut in Paris annahm und dort Patristiker wurde.
2.2 Paris, die theologische Methode und die ökumenische Frage 2.2.1 Die theologische Grundposition: 'Zurückzu den Vätern' Mit dem Dekret der Volkskommisssare vom 23.Januar 1918 über die 'Trennung der Kirche vom Staat und der Schule von der Kirche'140 hatte die Russisch Orthodoxe Kirche neben angestammten Rechten und ihrem gesamten Besitz auch ihre Schulen und Hochschulen verloren. Damit galt der Frage nach Ausbildungsmöglichkeiten für den Priesternachwuchs sowohl in kirchlichen Kreisen der UdSSR wie auch unter den Exulanten ein gesteigertes Interesse. Da unter der neuen sowjetischen Herrschaft in naher Zukunft kaum Aussichten auf reguläre Bildungsmöglichkeiten gegeben sein würden, lag die Verantwortung hier besonders bei den Exulanten. Bereits im Frühjahr des Jahres 1922 hatten L.N.Liperovskij, L.A.Zander und A.I.Nikitin dem Generalsekretär des internationalen YMCA und des Christlichen Studentenweltbundes, John Mott, auf einer Konferenz in Peking den Vorschlag unterbreitet, unter den russsischen Exulanten einen Russischen Christlichen Studentenbund sowie ein Orthodoxes Theologi-
139 Bereits in seinem Aufsatz Utopizm 52f aus dem Jahre 1926 hatte sich Florovskys Konzentration auf die spezifische Aufgabe des russischen Volkes verlagert auf die Frage, wie die Orthodoxie die Wunden des Ostens heilen könne. 140 Abgedruckt bei P.Hauptmann/G.Stricker: Die Orthodoxe Kirche 648f
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sches Seminar ins Leben zu rufen, das die Arbeit der geschlossenen theologischen Seminare und Akademien fortsetzen sollte. Ahnliche Pläne wurden zur gleichen Zeit in Berlin, Sofia, Paris und Belgrad entwickelt. Mott brachte das in Peking vorgelegte Memorandum zu einer Konferenz mit, die im Sommer desselben Jahres in Prag tagte. An ihr nahmen neben Florovsky und anderen bedeutenden Prager Russen auch Vertreter aus Paris und Sofia teil. Zusammen entwickelte man konkrete Vorstellungen in Hinsicht auf das neu zu gründende Institut und faßte diesbezügliche Beschlüsse. 141 Dabei ging es neben Fragen nach der Finanzierung des Projektes auch um die Frage, wo das Institut gegründet werden sollte. Nachdem man anfangs für Prag votiert hatte, weil sich dort eine sehr große Kolonie russischer Intellektueller aufhielt, entschied man sich doch für Paris, weil dort der von Patriarch Tichon im April 1921 zum Metropoliten für Westeuropa ernannte Evlogij residierte, dem das theologische Institut unterstellt werden sollte. 1925 zog auch die Religiös Philosophische Akademie unter der Leitung Berdjaevs sowie der russsiche YMCA von Berlin nach Paris, so daß es dort zu einer weiteren Konzentration russischer Kultur kam.142 Entscheidender als die Frage nach dem Ort war allerdings die Frage nach dem zukünftigen Charakter des Institutes. Die Beratungen in Prag waren zu dem Entschluß gekommen, daß die künftigen Dozenten zwar in kirchlicher Verantwortung lehren sollten, diese Verantwortung ihre akademische Freiheit jedoch nicht einschränken dürfte. Die Freiheit von Forschung und Lehre sollte institutionell nicht behindert sein.143 Diese grundsätzliche Ausrichtung des Instituts war für Florovskys spätere Haltung Sergij Bulgakov gegenüber entscheidend. Zwar lehnte er dessen Sophiologie entschieden ab, doch beteiligte er sich nicht an der "Hetzjagd auf Bulgakov in den 30-iger Jahren"144 und konnte sich, als er der von Metropolit Evlogij 141 Cf D.A.Lowrie: S.Sergius in Paris 14f, der an diesem Gespräch selbst teilgenommen hat, und Y.Lelouvier: Perspectives Russe 17 142 Cf N.Zernov: Russian Theologians 360 143 Cf D.A.Lowrie: S.Sergius in Paris 52,62,90,106 144 Iz Pisem (Vorbemerkung J.Ivasks zu Florovskys Briefen) 43. Mit Ausnahme seiner Stellungnahme zu S.Bulgakov in seinen Puti 493 (engl.II 276) hat sich Florovsky durch Publikationen nur indirekt mit dessen Sophiologie auseinandergesetzt: 1930 nahm er am 5.Internationalen Kongreß Russischer Akademikerorganisationen in Sofia mit einem Vortrag über die ikonographische Darstellung der Sophia teil (cf Vestnik 94). 1938 hatte er einen ausführlichen Vortrag zum Thema 'Christus, die Weisheit Gottes, in der byzantinischen Theologie' für den 6. Internationalen Byzantinistenkongreß 1939 in Algier vorbereitet, der jedoch wegen des ausbrechenden Krieges erst 1948 in Paris abgehalten werden konnte. Von diesem Vortrag existieren nur zwei Kurzfassungen:
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eingesetzten Kommission zur Überprüfung der Rechtgläubigkeit der sophiologischen Lehren Bulgakovs angehörte, nicht zu einer Verurteilung des Theologen entschließen. 145 Dies läßt sich zwar auch mit Florovskys Respekt vor dem Charisma und der eindrucksvollen Persönlichkeit des allgemein verehrten Direktors des Instituts begründen. 146 Entscheidender ist jedoch m.E. Florovskys Interesse an der Wissenschaftlichkeit der Theologie und damit auch an der Freiheit zum theologischen Irrtum gewesen. 1 4 7 S o kritisierte er Bulgakovs sophiologische Theologoumena 1 4 8 , hatte aber an den aufrichtigen Motiven Bulgakovs und dessen Willen, die Orthodoxie zeitgemäß zur Sprache zu bringen, keinen Zweifel. 1 4 9 Für die immer wieder Wisdom und Hagia Sophia, die beide zu dem Ergebnis kommen, daß in der byzantinischen Theologie und Kunst die Sophia immer Christus selbst bezeichne, während die Darstellung derselben in der späten russischen Ikonographie des ausgehenden 15 Jahrhunderts als weibliche Person ursprünglich eine Deesis war, die unter Einfluß der byzantinischen Darstellung der göttlichen Weisheit in Gestalt einer Jungfrau Christus mit einem weiblichen Gesicht abbildete. 145 Cf G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 28 146 So G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 28. Zur Rolle S.Bulgakovs im Institut cf die Erinnerungen von Alexis Kniazeff und Elie Melia: Le P.Serge Boulgakov sowie Lowrie: S.Serge in Paris 62ff. Gegen ausschließlich "diplomatische" Gründe für eine Zurückhaltung Florovskys spricht allerdings, daß er 1933 auf einem Treffen des Fellowship ofSAlban and S.Sergius öffentlich und vehement gegen Bulgakovs Vorschlag zur Interkommunion aufgetreten ist und demnach, wenn es um die Wahrheit ging, Kompromisse oder falsche Rücksichtnahmen ablehnte. Beredtes Zeugnis dafür sind auch seine teilweise verletzenden Polemiken in den Puti, in denen er ja keineswegs nur die Theologie bereits Verstorbener diskutierte, sondern auch auf die seiner Kollegen bzw. Zeitgenossen einging. 147 In Vaters Haus 37 (Dom 81 (engl.75)) spricht Florovsky gar von der "gesegnete[n] Existenz 'theologischer Meinungen'". 148 Daß die Kritik an S.Bulgakovs Theologie in den Puti 493 (engl.n 276) trotz offenkundiger Parallelen zur Sophiologie Pavel Florenskijs, die Florovsky einer vernichtenden Kritik unterzieht, geradezu harmlos zu nennen ist, läßt sich damit erklären, daß er zur Zeit der Publikation der Puti im Jahre 1937 der am 7.September 1935 erfolgten Verurteilung Bulgakovs durch den Metropoliten und späteren Patriarchen Sergius sowie durch den Karlovitzer Metropolit Antonij und den damit verbundenen Angriffen auf das Institut überhaupt keine weitere Nahrung geben wollte. 149 Cf Legacy 69: Nach Ansicht Florovskys hat sich in die theologischen Versuche V.Solov'evs, S.Bulgakovs, P.Florenskijs "und vielleicht am stärksten von allen beim späten Berdjaev" der vom deutschen Idealismus inspirierte "unpassende Mystizismus" eingeschlichen. "Es besteht keine Notwendigkeit, ihre Ergebnisse und Spekulationen gutzuheißen. Aber es ist höchste Zeit in ihre Fußstapfen zu treten", d.h. Theologie so zu betreiben, daß sie dem heutigen Menschen verständlich und relevant erscheint. Diese um der Freiheit der Wissenschaft willen vollzogene Unterscheidung zwischen richtiger
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zu hörende Meinung, Florovskys Theologie habe sich maßgeblich aus der Ablehnung der Sophiologie Bulgakovs definiert und sei darüberhinaus durch die persönliche Feindschaft zwischen beiden Theologen genährt worden, sehe ich kaum Anhaltspunkte. Florovsky hatte den Ansatz seiner Theologie bereits in Sofia und in den ersten zwei Prager Jahren formuliert, zu einer Zeit also, als er Bulgakov noch gar nicht begegnet war. An der genannten These, die bezeichnenderweise noch nie schriftlich begründet wurde, ist allein richtig, daß Florovsky und Bulgakov in der Ausführung ihrer theologischen Überzeugungen grundsätzlich verschiedene Wege einschlugen, und es aufgrund ihrer unterschiedlichen Charaktere im Verlauf ihrer Zusammenarbeit am theologischen Institut auch zu heftigen persönlichen Auseinandersetzungen gekommen ist.150 Noch aber war es nicht so weit. Es war nämlich Bulgakov, der als Dekan des 1925 eröffneten Institut de Theologie Orthodoxe de Paris Florovsky, als dieser 1926 dorthin berufen wurde, aufforderte, Patristik zu lehren.151 Das deutet daraufhin, daß er dem grundsätzlichen Anliegen Florovskys, die von diesem in seinen bislang publizierten Aufsätzen geforderte 'neue christliche Philosophie' auf der Grundlage der Theologie der Kirchenväter, positiv gegenüberstand und dem jungen Privatdozenten der Rechtsphilosophie, der weder eine formelle theologische Ausbildung genossen noch sich literarisch theologisch ausgewiesen hatte, diese im orthodoxen Lehrkorpus sehr zentrale Aufgabe zutraute. Möglicherweise spricht auch der Umstand, daß Florovsky zwar an den ursprünglichen Planungen zur Gründung einer theologischen Akademie beteiligt gewesen ist, nicht jedoch zu den bereits mit der Gründung berufenen Professoren gehörte, sondern ihm erst ein Jahr nach der Eröffnung des Instituts ein Lehrangebot gemacht wurde, für Bulgakovs Einflußnahme auf die Berufung Florovskys. Die Arbeitsbedingungen in dem unter größten finanziellen Schwierigkeiten152 neugegründeten theologischen Institut waren für Lehrer wie StudenIntention und falschem Ergebnis konnten offenbar viele Zeitgenossen Florovskys nicht nachvollziehen. So sehen Archimandrit Chrysostomos und Erzpriester Auxentios in ihrem Nachruf auf Florovsky A Tragedy 239 in dessen fehlender Bereitschaft zur Verurteilung S.Bulgakovs nur den Ausdruck seines "intellektuellen Stolzes". 150 Cf dazu die Wertung eines Kenners der damaligen Situation, A. Schmemann: Roll of honour 6: "Die Auseinandersetzungen zwischen beiden Richtungen [der im Institut gelehrten Theologie...] sind viel wichtiger als die persönlichen Schwierigkeiten, die die Angelegenheit häufig verkomplizierten und von den Beteiligten manchmal bedrängender erlebt wurden als der bestehende Wert der Streitfragen selbst." 151 Cf G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 28 152 Die Finanzsituation wurde durch die kommende Weltwirtschaftskrise noch ver-
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ten gleichermaßen erbärmlich. Die Räumlichkeiten auf dem ehemaligen Fabrikgelände, das Friedrich von Bodelschwingh, damals lutherischer Pfarrer in Montmatre, in der Mitte des letzten Jahrhunderts gekauft hatte und mit provisorischen Gebäuden sowie einer Kirche bebaut hatte, waren seit 1914 unbenutzt und in einem desolaten Zustand. Es fehlte am Notwendigsten. Zugleich brachten die Emigranten kaum mehr mit als das, was sie bei der Flucht auf dem Leibe trugen. Dementsprechend fehlte es an Lehrmaterial wie Arbeitsbüchern und Fachliteratur. Sicher trug diese Kargheit der Anfänge des Instituts erheblich zu der geistigen und geistlichen Atmosphäre und Ausstrahlung bei, die Bewohner wie Besucher an monastisches Leben orthodoxer Tradition erinnerten.153 Offenkundiger Ausdruck dessen war die gelebte Einheit von gemeinsam gefeierten Gottesdiensten und Lehre, die das tägliche Leben im Institut bestimmte.154 Als Professor für Patristik konnte sich Florovsky seinen theologischen Interessen widmen und die Arbeit an einer 'neuen orthodoxen Philosophie' beginnen. Daß ihm die dazu notwendige Literatur angesichts der 1926 nur 150 Bände umfassenden Institutsbibliothek zugänglich wurde155, und daß er angesichts der kärglichen äußeren Möglichkeiten geeignete Arbeitsbedingungen und neben seiner Dozententätigkeit noch Zeit für eigene Forschungen fand, läßt einerseits aufbereite vorhandene Vorarbeiten aus Prag und andererseits auf einen enormen Fleiß und ein großes Interessse an seiner neuen Aufgabe schließen. Neben zahlreichen kleineren Veröffentlichungen zur Philosophie- und Theologiegeschichte und allgemeinverständlichen theologischen Artikeln veröffentlichte er bereits 1926 einen Aufsatz zur
schärft und blieb ein zentrales Problem des gesamten Unternehmens. Cf dazu D.A.Lowrie: S.Sergius in Paris 8-10 und 71-89. Florovsky verdiente nach der Budgetaufstellung für das gesamte Institut (cf ibid.77) im gesamten akademischen Jahr 1926/27125 englische Pfund, doch wurde dieses Gehalt wegen der anhaltenden Geldnot kontinuierlich gesenkt. Für Bücher und Reisen war er demnach grundsätzlich auf Spenden bzw. Vortragshonorare angewiesen. 153 Cf den aufschlußreichen Bericht V.Korenchevskys: My Visit zum täglichen Leben im Institut aus dem Jahr 1927. Gegen den monastischen Charakter des täglichen Lebens erhoben sich damals allerdings auch Proteste der Studenten (cf ibid.41f). 154 Cf D.A.Lowrie: S.Sergius in Paris 49f 155 Cf D.A.Lowrie: S.Sergius in Paris 57. 1929 war der Bestand auf 2000 Bände angewachsen und wurde 1931 auf Initiative Florovskys durch eine Dauerleihgabe einer Sammlung russischer Bücher aus Prag um weitere 1500 Bände ergänzt (cf ibid.). Da das Orthodoxe Theologische Institut 1927 von der Sorbonne als Ausbildungsstätte anerkannt wurde (cf ibid.22), ist anzunehmen, daß Florovsky dort patristische Texte zugänglich waren.
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Ekklesiologie 1 5 6 , der die Grundzüge seiner Aussagen zum Verständnis der Offenbarung, zum Verhältnis von Schrift und Tradition und zur Sakramentenlehre enthält. 1928 legte er zwei Aufsätze zur Schöpfungslehre 157 vor, 1929 die Arbeit Evcharistija i Sobornost', die in Grundzügen die eucharistische Ekklesiologie N.Afanas'evs vorwegnahm, 1930 schließlich neben zwei größeren Arbeiten zum GeschichtsbegrifP S8 seine grundsätzlichen Gedanken zur Erlösungslehre 159 . Durch die Vermittlung Prof. Fritz Liebs, der eine Zeitlang am Orthodoxen Institut in Paris studiert hatte 160 , wurde Florovsky 1931 zu einem Vortrag im Seminar Karl Barths nach Bonn eingeladen. Allerdings waren die Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Theologen weit größer als ihre Übereinstimmung. 161 Ebenfalls 1931 legte er das erste seiner insgesamt drei Bücher vor: die Patrologie über die Östlichen Väter des 4. und 5. Jahrhunderts.162 Schon zwei Jahre später veröffentlichte er, erneut als Edition seines Vorlesungsmanuskripts, Die Byzantinischen Väter des 5. -8. Jahrhunderts.163 Metropolit Antonij (Chra-
156 Sein Aufsatz Dom erschien zugleich in serbisch, russisch und deutsch (Vaters Haus). Die deutsche Fassung ist von Florovsky zwar nicht selbst übersetzt, aber redigiert worden (cf Vaters Haus 6). Ich zitiere überwiegend den deutschen Text, nehme allerdings in den Fällen auf den russischen Bezug, wo dieser präziser ist oder Erweiterungen gegenüber dem deutschen hat. 157 Tvar' und Idie 158 Krise und Evolution. Außerdem publizierte er in deutsch das Schlußkapitel seiner Magisterdissertation über Herzen (Sackgassen). 159 OSmerti 160 Cf D.A.Lowrie: S.Sergius in Paris 27 161 Cf die bei W.Staehelin: Das Glaubensgespräch 129 zitierte Äußerung Florovskys zu diesem Seminar. Die Meinungsverschiedenheiten kreisten im Kern um die Frage, ob das, was Florovsky unter den eschatologischen Gaben der kirchlich vermittelten Glaubenserfahrung verstand, nicht erst, wie Barth behauptete, eschatologische Gaben der Zukunft seien (cf G.Steck-.Protokoll 88 und 94f und u. 5.4.3 Anm.48). Barth veröffentlichte Florovskys Vortrag mit dem Titel Offenbarung, Philosophie und Theologie in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Zwischen den Zeiten. 162 Es wurde 1972 neu aufgelegt und um ein Vorwort Florovskys in englisch erweitert und erschien 1987, nachdem grobe maschinenschriftliche Übersetzungen ins Französische und Englische bereits seit Jahren im Umlauf waren, in englischer Übersetzung. In ihrer Besprechung der englischen Ausgabe weisen Chrysostomos und Telepneff (Besprechung von CW VII) darauf hin, daß Florovsky dieses Werk, das er für die englische Publikation noch hatte überarbeiten wollen, für sein bedeutendstes gehalten hat. 163 Auch dieses Buch erschien 1972 in unveränderter Neuauflage und 1987 in erheblich erweitertem Umfang in englischer Übersetzung (Byzantine Fathers V und Byzantine Fathers VI). - Noch heute dienen, wie man mir mitteilte, die russischen 63
povickij), der wegen der theologischen Spekulationen Bulgakovs dem theologischen Institut in Paris gegenüber bereits äußerst reserviert war164, lobte die Werke in einem Brief an Florovsky: "Ihr [sc. Florovskys] besonderes Verdienst ist Ihre strikte Loyalität der Lehre und dem Glauben der Orthodoxen Kirche gegenüber und doch geht dies nicht zum Nachteil der historischen Unvoreingenommenheit, da Sie rigoros und treu die Tradition der Kirche von allen fremden Einflüssen unterscheiden."165 Florovsky sei deshalb in gleichem Atemzug mit dem bedeutendsten russischen Kirchenhistoriker des 19. Jahrhunderts, V.V.Bolotov, zu nennen.166 Zwischen 1926 und 1936 veröffentlichte Florovsky mehr als 55 Aufsätze und Artikel und seine zwei Patrologien. Inhaltlich beschränkte er sich in diesen Publikationen keineswegs auf spezifisch patristische Themen.167 Vielmehr finden sich neben kirchenhistorischen Arbeiten Untersuchungen zur russischen Geistesgeschichte, allgemeinverständliche Vorträge zu theologischen Themen, Predigten und schließlich solche dogmatisch ausgerichteten Arbeiten, die den Anforderungen dessen, was er sich unter einer 'neuen orthodoxen Philosophie' vorstellte und was er später unter dem Begriff einer 'neopatristischen Synthese' subsumieren sollte, genügen.168 Einen Großteil davon stellte er in einem ökumenischen Gesprächskreis
Editionen der Patrologien in Ermangelung neuerer Alternativen als Vorlage patristischer Vorlesungen an den Geistlichen Seminaren der Russisch Orthodoxen Kirche in der UdSSR. 164 Cf D.A.Lowrie: S.Sergius in Paris 54 165 Zitiert bei A.Schmemann: Roll of honour 7. Die Exilrussen, die sich zur Karlovitzer Synode und damit zu Metropolit Antonij hielten, warfen den Pariser Theologen Verrat an der orthodoxen patristischen Tradition vor (cf N.Zernov: Russian Theologians 360). 166 Ibid. 167 Auch in der Lehre beschränkte er sich nicht auf patristische Themen, sondern unterrichtete die Studenten darüberhinaus auch in Griechisch, gab Einführungen in die Philosophie und Homiletik (cf Vestnik 94). 168 Diese Arbeiten (zum Begriff der 'neopatristischen Synthese' cf u. Kap.6) bilden, neben später verfaßten, die Textgrundlage für den von mir unternommenen Versuch einer Gesamtdarstellung der Theologie Florovskys. Zu ihnen zählen beispielsweise die bereits erwähnten Aufsätze zur Ekklesiologie, Erlösungs- und Schöpfungslehre. Sie sind, wie A.Schmemann zutreffend schreibt (Roll of honour 7), "Musterbeispiele dessen, was Vater Georges selbst als 'neopatristische Synthese' zu beschreiben liebt." Nicht zu dieser Gattung gehören die ausschließlich historisch ausgerichteten Patrologien, die gleichsam die Grundlage seiner eigenständigen theologischen Arbeit bildeten (so zurecht G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 29 und gegen ibid.56f. Cf zu diesem Widerspruch bei Williams u. S. 262 Anm. 6).
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unter Leitung Nikolai Berdjaevs zur Diskussion.169 Dort hatte er die Gelegenheit, den methodischen Ansatz seiner Theologie bei der kirchlichen Erfahrung und damit auch bei der Lehre der Kirchenväter an konkreten inhaltlichen Beispielen vorzuführen und auf seine Tragfähigkeit hin überprüfen zu lassen. Auf dem ersten Kongreß für Orthodoxe Theologie, der vom orthodoxen Vorkämpfer der ökumenischen Bewegung, Hamilcar S.Alivisatos, vorbereitet worden war und vom 29.11. bis 6.12.1936 in Athen stattfand, konnte Florovsky seinen Ansatz einem breiten orthodoxen Publikum170 vorstellen und verteidigen. Das zentrale Thema des Kongresses, die Rolle der theologischen Wissenschaft in der Kirche, entsprach genau seinem Anliegen, die Aussagen der Theologie aus der orthodoxen kirchlichen Erfahrung zu schöpfen und an ihr zu messen. Sein erster dort gehaltener Vortrag über das Thema Westliche Einflüsse in der russischen Theologie, der nahezu eine Kurzfassung seines 1937 erschienenen umfangreichen geistes- und theologiegeschichtlichen Werkes, der Puti Russkogo Bogoslovija, ist, geht von der Frage aus, ob man angesichts der konstatierbaren westlichen Überfremdung der orthodoxen Theologie der letzten drei Jahrhunderte die Ergebnisse dieser Theologie nicht schlicht übergehen sollte, um zur "reinen" Orthodoxie der Patristik zurückzukehren.171 In der folgenden Analyse der russischen Theologiegeschichte weist Florovsky auf, daß die eigentliche Wurzel der Tragik der russischen Theologie und Kirche in der typisch westlichen Spaltung zwischen wissenschaftlicher Theologie und kirchlichem Leben bestanden hat.172 Bei solch einer Loslösung des Gedankens von seinem Objekt könne die Theologie das kirchliche Leben weder verstehen noch sachgerecht 169 Nikolai Berdjaev hatte diesen ökumenischen Gesprächskreis 1926 ins Leben gerufen. An ihm nahmen u.a. Jacques Maritain, Gabriel Marcel, Marc Bogner, Winfried Monod und Sergij Bulgakov, hin und wieder auch Pere Libreton, Etienne Gilson und Edouard Leroy teil. Nach zwei Jahren schieden die Protestanten aus und die teilweise sehr kontrovers geführten Debatten fanden nur noch zwischen den römisch katholischen und orthodoxen Gesprächsteilnehmern statt (ciDialogue 39 = CW XIV, 169). 170 In Athen waren acht orthodoxe Fakultäten durch 39 Delegierte vertreten (cf R.Slenczka: Lehre und Bekenntnis 556). Zu den Vertretern des Orthodoxen Theologischen Instituts in Paris gehörten neben Florovsky S.Bulgakov, A.V. KartaSev und V. V. Zenkovskij. Durch die Einladung zu diesem Kongreß war das Institut faktisch als offizielle orthodoxe Fakultät anerkannt worden (cf D.A.Lowrie: S.Sergius in Paris 25 und Y.Lelouvier: Perspectives Russes 34). 171 CiEinflüsse 212. Florovsky verweist auf Metroploit Antonij (Chrapovickij), der diese Forderung 1906 aufgestellt hatte. 172 Cf ibid.229
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bezeugen, wie umgekehrt das lebendige kirchliche Leben, das die Rechtgläubigkeit unverändert bewahrt habe173, dann nicht in der Lage sei, sich in den abstrakten Gedanken der Theologie wiederzuentdecken. "Die Gefahr lag nicht so sehr in den Irrungen als in der Losgelöstheit des theologischen Gedankens und seiner Wissenschaft vom Volk."174 Die Konsequenz dieser historischen Analyse kann nach Ansicht Florovskys deshalb nicht in einer unhistorischen Loslösung von den mit den konstatierten Verirrungen gestellten Fragestellungen bestehen, sondern nur der Versuch sein, diese auf der Grundlage der orthodoxen kirchlichen Erfahrung zu beantworten und ihnen "die unveränderliche Wahrheit der väterlichen [sc.patristischen] Orthodoxie gegenüberzustellen,"175 Das aber ist nur möglich, so stellt es Florovsky in seinem zweiten, Patristics and modern theology betitelten Vortrag heraus, wenn man die Texte der Patristik weder als antiquierte theologische Traktate versteht, die dem modernen Bewußtsein nicht standhalten können, noch als theologische Spekulationen begreift, die wegen ihres spekulativen Charakters keiner kirchlichen Erfahrung gerecht werden können.176 Vielmehr müsse es um eine kreative Aneignung der Denkbewegung der Kirchenväter, die die kirchliche Erfahrung bis heute bestimmt, gehen. "Die erste Aufgabe der gegenwärtigen Generation Orthodoxer Theologen würde darin bestehen, in sich selbst dieses aufopfernde Vermögen zu erneuern, nicht so sehr ihre eigenen Ideen und Vorstellungen zu entwickeln, sondern einzig für den unbefleckten Glauben der Mutter Kirche Zeugnis zu geben. Cor nostrum sit semper in Ecclesial"177 Florovsky untermauerte diesen Ansatz einer zeitgemäßen orthodoxen Theologie zur selben Zeit mit dem wohl bedeutendsten Werk zur russischen Theologiegeschichte dieses Jahrhunderts: den Puti Russkogo Bogoslovija (Wege der russischen Theologie). Zwar beschreibt er darin eingehend die geistes- und theologiegeschichtliche Entwicklungen in Rußland und deren jeweilige Vertreter, doch verfolgte er damit nicht primär das Interesse, die Geschichte möglichst exakt darzustellen. Vielmehr sollten, wie er im
173 Dieses Axiom theologisch einsichtig zu machen, ist die der gesamten Ekklesiologie Florovskys zugrundeliegende, aber unausgesprochene Intention.
174 Einflüsse HO 175 Ibid. 231 176 Cf Patristics 239: "Es gibt eine überraschende Übereinstimmung zwischen denen, die jeglicher theologischen Spekulation mißtrauen, und solchen, die nach einer neuen oder modernen theologischen Synthese suchen. Beide schätzen die traditionelle Synthese, die patristische Lehre gering. Für die einen ist sie noch immer Spekulation, für die anderen ist sie eine Spekulation vergangener Tage und deshalb antiquiert." 177 Patristics 241
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Vorwort schreibt, seine historischen Untersuchungen der Einsicht dienen, daß eine genuine orthodoxe Theologie nur auf dem Boden einer kreativen Verarbeitung der patristischen Theologie entstehen könne.178 Dementsprechend stellt sich ihm die gesamte russische Theologiegeschichte von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen als Geschichte des Versagens an dieser Aufgabe dar. Allerdings verhinderte Florovskys sehr scharfe und teilweise auch ungerechte Kritik an vielen Theologen der Vergangenheit bis hin zu seinen eigenen Zeitgenossen179 in gewisser Weise, daß das eigentliche Anliegen seines Werkes hinreichend berücksichtigt wurde. Noch 1968 schrieb er: "Bei unseren Theologen [...] fand es nur wenig Interesse, es sei denn, jemand sei jüngst aus einem westlichen Bekenntnis zur Orthodoxie übergetreten."180 Auch bei seinen damaligen Kollegen und Freunden wurde das Werk sehr kritisch aufgenommen. So beschuldigte N.Berdjaev Florovsky in einer Besprechung des Buches der "Gnadenlosigkeit" seiner Urteile181, und S. Cetverikov beklagte sich in einem Brief an Florovsky darüber, daß angesichts der durchweg vernichtenden Urteile zur russischen Theologie nun nur noch der Rückzug in die Einsiedelei und der Verzicht auf jede Form von Theologie bliebe.182 G.H.Williams berichtet gar davon, daß Florovskys Kollegen nach Erscheinen des Buches, den Kontakt der Studenten zu ihrem Lehrer zu beschneiden suchten.183 Möglicherweise war dies 1938 der Grund für Florovskys sechmonatige Reise nach Griechenland, auf den Berg Athos
178 Cf Puti XV (engl.I XVII). Das letzte Kapitel der Puti widmet sich, getreu der eingangs aufgestellten These, deshalb erneut der Frage nach einer sachgerechten Methode orthodoxer Theologie. 179 Eine Zusammenstellung von Beispielen dafür bietet K.Chr.Felmy: Die Orthodoxe Theologie in kritischer Selbstdarstellung58-62. Daß Florovsky sich auch später nicht scheute, seinen Dissens offen kundzutun, belegt u.a. auch sein in der Festschrift für Henry Wieman veröffentlichter Aufsatz Church of God, der heftige Kritik am Geehrten übt. 180 IzPisem (Florovsky an J.Ivask vom 16.11.1968) 51 181 N.Berdjaev: Ortodoksija 53. Berdjaevs Hauptvorwurf richtete sich gegen den Historismus Florovskys und sein mangelndes Verständnis für den religiösen Neuaufbruch in der russischen Philosophie und Theologie um die Jahrhundertwende. Florovsky meinte zum letzteren Vorwurf, daß die geschichtlich ablesbare Entwicklung zeige, daß keiner Berdajev und anderen aus der religiösen Renaissance gefolgt sei, und seinem harten Urteil damit im Nachhinein Recht gegeben werden müsse (cf IzPisem (Florovsky an J.Ivask vom 16.11.1968) 50). 182 So Florovsky in Iz Pisem (Florovsky an J.Ivask vom 16.11.1968) 50 183 Cf G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 31
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und nach Sofia.184 Andererseits wirkte das Werk für viele auch "befreiend", da es sich in schonungsloser Offenheit mit der russischen Vergangenheit auseinandersetzte und so Wege für die Zukunft wies.18S Doch waren solche Stimmen, wie Florovsky dreißig Jahre nach Erscheinen des Buches resignierend feststellte, in der Minderheit, so daß er sich selbst wie 'die Stimme des Predigers in der Wüste' vorkam.186 DiePuti markieren damit in Florovskys theologischer Entwicklung seine Abkehr von spezifisch russischen Fragen. Es ging ihm primär nicht mehr, wie noch in Prag, um das Problem einer Erneuerung der russischen Kultur und Theologie, sondern um eine sachgerechte orthodoxe Theologie überhaupt als deren Folge es dann auch zu einer erneuerten russischen Kultur und Theologie kommen könnte. Der Horizont seines theologischen Arbeitens hatte sich damit erheblich erweitert: Seine Argumentation, die er bereits grundsätzlich in Sofia und Prag aufgrund der Frage nach der Bedeutung und den Auswirkungen der russischen Revolution ausgebildet hatte, verlagerte sich über den nationalen Rahmen hinaus auf eine allgemeinere Ebene hin. 2.2.2 Die Anfänge in der Ökumene Eine ähnliche Horizonterweiterung läßt sich noch auf einem anderen, für Florovskys Zukunft immer wichtigeren Gebiet feststellen: der Ökumene. Denkbar ist gar, daß die Abkehr von spezifisch russischen Problemen seine zunehmende Konzentration auf ökumenische Fragen befördert hat. Florovsky ist der ökumenischen Frage zwar sicher nicht erst in Paris begegnet, sondern beschäftigte sich damit möglicherweise bereits in Odessa bei der Lektüre der Schriften A.S.Chomjakovs und V.Solov'evs. Doch machte neben der allgemein zunehmenden Bedeutung ökumenischer Konferenzen und Begegnungen in den zwanziger Jahren bereits das gesamte Setting des Pariser Instituts eine intensivere Auseinandersetzung mit der Ökumene unausweichlich. So gehörte die ökumenische Perspektive, nicht zuletzt auch bedingt durch die sehr irdische Dimension der finanziellen Unterstützung des Instituts durch andere Kirchen bzw. christliche Verbände, zu den Konstitutiva des Lebens an diesem Institut.187 Neben den Gesprächen in der
184 Cf D.A.Lowrie: S.Sergius in Paris 24 und Bird: Georges Florovsky 445, die als Motiv der Reise nur Forschungsinteressen angeben. 185 So A.Schmemann: Roll of honour 8 186 Cf IzPisem (Florovsky an J.Ivask vom 16.11.1968) 51 187 Cf D.A.Lowrie: S.Sergius in Paris 97
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von N.Berdjaev geleiteten interkonfessionellen Arbeitsgruppe188 hatte Florovsky nicht zuletzt wegen seiner guten englischen Sprachkenntnisse schon bald internationale ökumenische Kontakte, insbesondere mit Anglikanern. Diese wurden von Metropolit Evlogij, der die Gründung des Pariser Instituts maßgeblich betrieben und gegen mancherlei Widerstände durchgesetzt hatte189, nicht nur gefördert, sondern möglicherweise sogar mit initiiert. In seiner Funktion als Bischof von Cholm hatte er bereits 1912 "mit dem Segen des Heiligen Synods der Russischen Orthodoxen Kirche die 'Gesellschaft zur Annäherung der Anglikanischen und der Orthodoxen Kirche' eröffnet" und war deren erster Vorsitzender.190 Allerdings mußte er diesen Vorsitz wegen diözesaner Verpflichtungen bereits 1913 wieder abgeben.191 Dennoch bezeugt dieses Engagement sein frühes Interesse an Beziehungen mit der anglikanischen Kirche. Später begründete Florovsky das Engagement der Exilrussen in der Ökumene mit dem Beschluß des russischen Landeskonzils vom 20.9.1918, das in seiner letzten Sitzung die Bildung einer Kommission, die die Frage einer Vereinigung mit den Altkatholiken und Anglikanern untersuchen sollte, beschlossen hatte.192 Als sich in den ökumenischen Laienbewegungen westlicher Kirchen der Gedanke durchzusetzten begann, daß die orthodoxen Kirchen als gleichberechtigte Mitglieder der Weltchristenheit anzusehen seien, traten die Beziehungen zu den orthodoxen Kirchen auf eine neue Ebene. So kam es nach einem vorbereitenden Treffen 1927 in S.Albans zwischen der britischen und der exilrussischen christlichen Studentenbewegung schon ein Jahr später zur Gründungsversammlung des anglikanisch-orthodoxen Fellowship of SAlban and S.Sergius.193 Florovsky hat an dieser Versammlung zwar noch nicht teilgenommen, wurde aber ab 1929 neben S.Bulgakov und N.Zernov eine der orthodoxen Stützen dieser Vereinigung, die durch gemeinsame Gottesdienste und wechselseitige Vorträge über Leben, Lehre und Spiritual tät die jeweils andere Konfession kennenlernen wollte. In dem vom Fellowship herausgegebenen Journal, das in den ersten Jahren nur als Typo188 Später urteilte Florovsky über diese Gruppe sehr positiv. Cf Dialogue 40 = CW XIV, 170: Gerade weil man sich dort "in vollkommener christlicher Freiheit" begegnete, "wurde ich gezwungen so etwas wie 'ökumenische Geduld' zu entwickeln." Diese war für Florovsky, wie mansich angesichts seines Temperaments und der möglichen Schärfe seiner Äußerungen gut vorstellen kann, die "höchste und verheißungsvollste ökumenische Tugend" (Encounter 76). 189 Cf D.A.Lowrie: S.Sergius in Paris 7ff und 60ff 190 G.Seide: Geschichte 373. 191 Cf R.Rouse/ S.C.Neill: Geschichte der Ökumenischen Bewegung 2.Teil 324f 192 Cf Ecumenisml9 272 193 Cf dazu R.Rouse/S.C.Neill: Geschichte der ÖkumenischenBewegung 2.Teil 341
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skript Verbreitung fand, veröffentlichte Florovsky in den kommenden Jahren einige wichtige Arbeiten zum orthodoxen Verständnis des christlichen Lebens, der Offenbarung und des Bischofsamtes194. Wichtiger als dies waren jedoch seine vom Fellowship organisierten Vortragsreisen durch Großbritannien und Irland, die ihn von 1932 bis zum Kriegsausbruch mindestens einmal im Jahr an verschiedene Colleges führten.195 Vermutlich hängt die Aufnahme regelmäßiger Vortragsreisen im Jahre 1932 auch damit zusammen, daß Florovsky in diesem Jahr den Laienstatus aufgab und von Metropolit Evlogij, dem seit 1924 bereits die russischen Exilgemeinden in der Tschecheslowakei unterstellt waren196, zum Priester geweiht wurde. Das westeuropäische Exarchat des Moskauer Patriarchats unter Metropolit Evlogij trennte sich erst 1930 vom Patriarchatsverweser, dem Metropoliten Sergij197, konnte sich aber nicht zu einer erneuten Vereinigung mit dem Karlovitzer Synod der russisch-orthodoxen Kirche im Ausland entschließen198, sondern unterstellte sich und mit ihm den größten Teil der Pariser Emigration, das theologische Institut eingeschlossen, 1931 unter Hinweis auf den 28.Kanon des 4.Ökumenischen Konzils von Chalcedon, der vorsieht, daß Gemeinden außerhalb einer Landeskirche in der Diaspora der Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchats unterstehen, dem Patriarchen von Konstantinopel199. Florovsky blieb, auch als Metropolit Evlogij sich nur drei Jahre später mit dem Karlovitzer Synod wieder versöhnte200 und sich 1945 erneut dem Moskauer Patriarchat unterstellte201, 194 Zu nennen sind hier besonders: High Calling (1931), Asceticism, Holy Spirit (beide 1932) und Pentecost (1934). 195 Vestnik 95 196 Cf G.Seide: Geschichte 35 197 Cf J.Chrysostomus: Kirchengeschichte Rußlands Bd.II 288ff 198 Zum Bruch zwischen Evlogij und dem Karlovitzer Synod war es bereits 1926 gekommen (cf J.Chrysostomus: Kirchengeschichte Rußlands Bd II 132f und Bd III 180). Cf dazu auch G.Seide: Geschichte 38f. Die Jurisdiktionsfrage der russischorthodoxen Gemeinden außerhalb der UdSSR war zwischen dem Moskauer Patriarchat, der russisch-orthodoxen Auslandskirche unter Leitung des Metropoliten Antonij (Chrapovickij) und den Gemeinden, die dem westeuropäischen Exarchat des Metropoliten Evlogij angehörten, auch über das Ende des Zweiten Weltkrieges hinaus immer wieder Gegenstand heftiger Kontroversen und führte zu immer neuen Koalitionen und daraus erwachsenen Komplikationen. Cf dazu: J.Chrysostomus: Kirchengeschichte Rußlands Bd II 295f und P.Plank: Die geschichtliche Entwicklung 198-202. 199 Cf dazu J.Chrysostomus: Kirchengeschichte Rußlands Bd II 291ff 200 Allerdings hatte dies keine jurisdiktioneile Bedeutung (cf J.Chrysostomus: Kirchengeschichte Rußlands Bd II 294). 201 Eine Entlassung aus der Jurisdiktion Konstantinopels war allerdings nicht erfolgt, so daß der jurisdiktioneile Status des Pariser Exarchats vorübergehend ungeklärt
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auch dann noch bei der Jurisdiktion Konstantinopels, als er in die USA übersiedelte und erschien bei ökumenischen Versammlungen wiederholt als direkter Delegierter des Ökumenischen Patriarchats. Äußeres Zeichen dieser Haltung zur Jurisdiktionsfrage war, daß Florovsky nach seiner Priesterweihe anstelle der russischen die griechische Form des Priestergewands trug.202 Bereits 1936 wurde er von Metropolit Evlogij zum Erzpriester erhoben. 1946 verlieh ihm der Ökumenische Patriarch das Recht, die Mitra zu tragen.203 Nachdem Florovsky sich bereits 1923 sehr allgemein mit der Frage der Kirchentrennung beschäftigt hatte204, stellte er 1933 in zwei Aufsätzen, die aufeinander aufbauen, erstmals seine Position zur ökumenischen Problematik aus orthodoxer Sicht vor. Das Problem einer Vereinigung der Christen setzt nach seinem Verständnis die Frage nach dem Wesen der Grenzen der Kirche voraus.20S Diese Grenzen aber sind nicht abstrakt bestimmbar, sondern nur durch eine Besinnung auf das Wesen der Kirche selbst, wie es sich sakramental ereignet und so im Glauben erfahrbar wird, zu erkennen.206 Das ökumenische Problem erforderte somit eine genauere Bestimmung der Ekklesiologie. Einen ersten Versuch dazu legte Florovsky 1934 auf einem anglikanisch-orthodoxen Symposium vor. Nach dem einleitenden Satz "Christus hat die Welt erobert" folgt unmittelbar die Aussage, die sein gesamtes ekklesiologisches Denken bestimmt und als Auslegung des ersten zu verstehen ist: "Dieser Sieg besteht darin, daß Er Seine eigene Kirche geschaffen hat."207 Auf dem Hintergrund seines Geschichtsverständnisses ist unmittelbar einsichtig, daß diese Kirche Jesu Christi historische Wirklichkeit geworden ist. Sie ist mit der orthodoxen Kirche identisch. Allerdings ist für Florovsky damit noch nicht entschieden, ob und inwiefern man auch Aussagen über die wirkliche Kirche j enseits der Grenzen der Orthodoxie machen kann. Diese wenigen Sätzen skizzieren Florovskys ökumenische Grundüberzeugung. Die erste Gelegenheit, sie auf einem offiziellen Forum zu bewähren, bot sich, als er 1937 als Delegierter der Russischen Kirche im Exil unter Metropolit Evlogij an der zweiten Weltkonferenz für Glauben und Kirchenwar, bis man sich, von wenigen Moskautreuen abgesehen, im September 1946 erneut offiziell Konstantinopel unterstellte. Cf zum Ganzen J.Chrysostomus: Kirchengeschichte Rußlands Bd III 163-176 202 CfE.L.Mascall, R.Williams: 69 203 Cf Th.Bird: Georges Florovsky 445 204 CiDva Zaveta 205 Cf Problematika 13 206 So die Kernthese seines zweiten Aufsatzes Limits. Cf dazu u.10.3.3. 207 Catholicity 37
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Verfassung in Edinburgh teilnahm. Dort leitete er die Untersektion zur Amtsfrage, in der seiner Ansicht nach deshalb die fruchtbarste Arbeit geleistet wurde, weil an der Amtsfrage "die äußerste Verschiedenheit offenkundig wurde. [...] Das gesamte ökumenische Problem trat in seiner Komplexität und paradoxen Spannung zutage: das starke Drängen auf die christliche Einheit hin und die ausweglose Lage faktischer Verschiedenheit und Trennung."208 Gerade in der Erfahrung und dem Eingeständnis offenkundiger Verschiedenheit sah Florovsky den größten Fortschritt der Versammlung von Edingburgh209, denn nur, so machte Florovsky in einem Diskussionsbeitrag deutlich210, wo dieses Scheitern an einer Einigung eingestanden und der Ausweg nicht in einem Verzicht auf die theologische Diskussion gesucht werde, bestehe die Chance für eine Einheit in der Wahrheit. Aus diesem Grunde meinte Florovsky im Unterschied zu Bulgakov, der im gemeinsamen Rekurs auf die Terminologie altkirchlicher Dogmen den Weg zur Einheit der Kirchen sah, darauf beharren zu müssen, daß man auch die den zeitgenössischen Theologien zugrundeliegenden Philosophien oder Ausdrucksweisen kritisch darauf untersuchen müsse, ob sich in ihnen die allen gemeinsame Wahrheit Christi, das Dogma, ausspricht. Damit forderte Florovsky auch auf ökumenischem Gebiet eine theologische Methode, die sachlich dem entspricht, was er ein Jahr zuvor in Athen auch für eine zeitgemäße orthodoxe Theologie postuliert hatte: Die Wahrheit läßt sich nicht abstrakt an Begriffen festmachen, demnach auch nicht an den altkirchlichen Dogmen, weil man von ihrem Interpretationszusammenhang in der Gegenwart nicht absehen kann.211 Die theologische Reflexion habe deshalb, so folgert Florovsky, jeder gemeinsamen ökumenischen Praxis vorauszugehen. Andernfalls täuscht die gemeinsame Praxis über bestehende Differenzen hinweg. "Eine durchdachte Theologie ist die einzig sichere Grundlage für die Christliche Einheit; sie ist das einzige Mittel, um wirkliches Verstehen zu ermöglichen."212 Man solle deshalb 208 Dialogue 41 = CW XIV, 170 209 Ibid. 210 Cf W.Staehelin: Das Glaubensgespräch 74f 211 Florovsky verweist in diesem Zusammenhang (ibid. 129) auf den entscheidenden Einfluß, den die dialektische Theologie auf die westlichen Kirchen ausübe, obwohl Karl Barths Lehren sicher nicht Grundbestandteil des christlichen Glaubens seien. - Logisch stellt sich damit die Frage, ob bei solchem Ansatz Einheit in der Lehre überhaupt denkbar ist. Florovsky bestritt dies ausdrücklich (cf Dialogue 41 = CW XIV, 170). Warum er dennoch das ökumenische Engagement für eine wesentliche Aufgabe der orthodoxen Kirche hielt, dazu cf u.10.3.3 und meine Skizze: "The true church...". 212 So in dem bezeichnender Weise School of Patience betitelten Rückblick auf die Konferenz von Edinburgh (School 559 = CW XIII,21).
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Gegensätze klar fomulieren und benennen sowie eine Einheit weder auf einem dogmatischen Minimalkonsens noch unter Übergehung historisch gewachsener Unterschiede zu errichten suchen.213 Mit diesen Aussagen stand Florovsky weitgehend in Übereinstimmung mit der auch von ihm unterzeichneten Erklärung aller orthodoxen Delegierten, die Erzbischof Germanos, der Leiter der orthodoxen Delegation in Edinburgh, zwei Tage vor Ende der Konferenz verlas.214 Allerdings hat er den in diesem Dokument ausgesprochenen und bereits auf der ersten Weltkonferenz in Lausanne 1927 vorgebrachten orthodoxen Vorschlag, daß es in Hinsicht auf eine Einheit der Kirchen geraten erscheine, wenn sich zuerst einander ähnliche Kirchen vereinigen, so nie geteilt, da es ihm jetzt und in Zukunft um das gemeinsame Suchen nach Wahrheit ging. Trotz dieser Differenz in Hinsicht auf das praktische Vorgehen wurde Florovsky neben Erzbischof Germanos als Vertreter der orthodoxen Kirchen in den Vierzehnerausschuß gewählt2is, der mit der Aufgabe betraut worden war, die verfassungsmäßige Grundlage eines Ökumenischen Rates der Kirchen auszuarbeiten. Grund dieser Wahl war sicher auch die Tatsache, daß Florovsky im Unterschied zu den meisten anderen orthodoxen Delegierten nicht nur jede der Konferenzsprachen beherrschte216, sondern aufgrund
213 Cf ibid. 558 = CW ΧΠΙ.20. Noch in Lund 1952 setzte sich Florovsky für eine klare und ausdrückliche Benennung der trennenden Elemente und deren Verteter ein (cf O.Tomkins: Lund 244). 214 Cf W.Staehelin: Das Glaubensgespräch 251-255 215 Cf D.Gaines: The World Council 163. Erzbischof Germanos war Vertreter für Life and Work. 216 Cf Florovskys ein Jahr vor seinem Tod geäußerte Selbsteinschätzung in: Personalakte Florovsky :NotedRussian Scholar in Prineton 1978: "Meine eigene Beteiligung [an ökumenischen Gesprächen] wurzelte zum Teil auch in meiner Freude an Sprachen. [...] Ich war einer der wenigen, die Englisch insoweit beherrschten, daß sie eingeladen wurden, in anglikanischen Kirchen zu predigen." Sprachlich kam ihm seine Lektüre englischer Novellen und Romane, die er schon als Jugendlicher gelesen hatte (cf G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 8), zugute. Über die Qualität seines Englisch äußern sich E.Mascall und R.Williams: George Florovsky 69: "Für englische Hörer war er [sc. Florovsky] als Vorlesender schwierig, da er, obwohl seine englische Ausdrucksweise sehr fließend wurde, die englische Aussprache nie vollkommen beherrschte." Hört man Tondokumente, so ist Florovskys Bemühung um eine Aussprache nach den Regeln des Oxford-English unverkennbar, was ein Verständnis für nicht muttersprachlich englisch sprechende Hörer m.E. durchaus erleichtert, zumal der russische Akzent nicht sehr ausgeprägt war. Das amerikanische Idiom hat Florovsky auch später nicht angenommen.
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seiner philosophischen Schulung auch Verständnis für westliches Denken mitbrachte.217 Auf der vom Vierzehnerausschuß für Mai 1938 nach Utrecht einberufenen Konferenz, die sich mit der Erarbeitung eines Verfassungsentwurfs für den zu bildenden ORK befaßte, nahm Florovsky nicht teil, da er zu dieser Zeit zu Studienzwecken auf dem Balkan und in Griechenland weilte. Auf dem Treffen des Fortsetzungsausschusses von Faith and Order im August 1939 in Ciarens bei Genf, an der Florovsky als Vertreter S.Bulgakovs teilnahm218, war diese Verfassungsarbeit bereits im wesentlichen abgeschlossen. Doch konnte Florovsky zur Frage nach dem Wesen der Kirche das spezifisch orthodoxe Verständnis zum Ausdruck bringen.219 Die dabei konstatierten Differenzen führten zu dem Beschluß, spezielle Kommissionen zur Frage der Kirche, des Gottesdienstes und der Interkommunion zu bilden. Zu diesen drei Themen legte Florovsky in den kommenden Jahren die orthodoxe Position dar.220 Wegen der drohenden Kriegsgefahr mußte das Treffen in Ciarens bereits am 23.August 1939 vorzeitig aufgelöst werden, um den Mitgliedern die Möglichkeit zur Heimreise zu geben.221 Über Florovskys Tätigkeit während der Kriegsjahre ist fast nichts bekannt. Als im Mai 1940 der Westfeldzug der deutschen Armee begann, floh er zunächst nach Genf und 1941 nach Jugoslawien.222 Dort unterrichtete er in der großen russischen Kolonie östlich von Belgrad in Bela Crkva an einer russischen Emigrantenschule und später am russisch serbischen Gymnasium in Belgrad.223 Als sich im Sommer 1944 die russischen Truppen 217 Auf diesen nichttheologischen Faktor von größter Bedeutung bei den Bestrebungen um Einheit macht zurecht N.Zernov aufmerksam. Cf R.Rouse/ S.Neill: Geschichte der Ökumenischen Bewegung 2.Teil 338. 218 Cf Faith and Order Paper (Old Series) No.92 4 219 Cf seine Diskussionsbeiträge ibid. 39f, 69f 220 Cf Worship und Responsibility (beide 1947), Church und Corps (beide 1948), Loyalty (1950) und Undivided Church (1952. Vorlage dafür war evtl. ein 1949 bei der Faith and Order Kommissionssitzung in Chichester gehaltener Vortrag. Cf Faith and Order Commission Paper No.2,6). Diese Aufsätze wurden jeweils für die ökumenische Diskussion dieser drei Kommissionen verfaßt bzw. teilweise - z.B. Prayer auf der Sitzung des Fortsetzungsausschusses von Faith and Order im August 1947 (cf Faith and Order Paper (Old Series) No.102, 43-49) - dort auch vorgetragen und diskutiert. 221 Cf R.Rouse/ S.C.Neill: Die Geschichte der Ökumenischen Bewegung 2.Teil 43 222 Cf I.Swiridow: Wege 40 und G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 40. Das theologische Institut in Paris, 1940 in 'Theologische Akademie S.Sergius' umbenannt, erhielt auch während des Krieges seinen Lehrbetrieb aufrecht. Cf D.A.Lowrie: S.Sergius in Paris 42ff. Warum Florovsky nicht in Paris blieb, ist unklar. 223 Cf Vestnik 95
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Jugoslawien näherten224, floh er zu seinem Bruder Antonij nach Prag225 und erlebte dort das Ende des Krieges. Durch Intervention alter Freunde aus dem YMCA gelang es im Dezember 1945, ihn mit seiner Frau nach Paris zurückzuholen.226 Dort nahm er im Frühjahr 1946 seine Lehrtätigkeit wieder auf und unterrichtete nach dem Tod Sergij Bulgakovs 1944 nun auch systematische und dogmatische Theologie. 1946 konnte er seine Vortragsreisen erneut beginnen. So hielt er im ersten Semester des im September 1946 eröffneten ökumenischen Instituts in Bossey eine ekklesiologische Vorlesung und gab 1947 in Oxford und Dublin Seminare.227 Auch sein ökumenisches Wirken setzte Florovsky unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Paris fort. Bereits im Februar 1946 fuhr er zur ersten Nachkriegssitzung des Vierzehnerausschusses, der bereits in Utrecht zum 'Vorläufigen Ausschuß des Ökumenischen Rates der Kirchen' umbenannt worden war, nach Genf. Dort wurde beschlossen, im August 1948 den ORK in Amsterdam zu gründen. Ein Jahr später beriet man in Buck Hill Falls, Pennsylvania, - Florovsky kam auf diese Weise das erste Mal in die USA - Details der zu verabschiedenden Verfassung des ORK sowie mögliche Inhalte der Versammlung und beschloß, nachdem man den Bericht über die Einladungsreise zu den orthodoxen Kirchen zur Kenntnis genommen hatte, diesen auf der Versammlung 85 Sitze zuzugestehen.228 Damit sollte dem Anteil der Orthodoxie an der Weltchristenheit entsprochen werden, was Florovsky und die wenigen anderen orthodoxen Teilnehmer an den ersten Beratungen der Ökumenischen Bewegung in ihrer Verantwortung, die Orthodoxie zu Gehör zu bringen, entlastet hätte. Weil sich aber auch in Amsterdam die Hoffnung auf ein verstärktes Engagement der orthodoxen Kirchen, insbesondere der russisch-orthodoxen Kirche, nicht erfüllte, und Florovsky gleichzeitig weitere Ämter übertragen wurden, nahm seine Verantwortung für die Repräsentanz der Orthodoxie innerhalb der Ökumene noch zu.229 Dies führte einerseits zu einer 224 Cf G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 40. In Belgrad wurde eine bereits im Druck befindliche Ausgabe seiner Puti bei einem Bombardement vernichtet (cf ibid.). 225 Cf J.Mejendorfs Vorwort zur Neuauflage der Puti 1983 IX. 226 Cf G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 40 227 Cf Vestnik 95 228 Cf D.Gaines: The World Council 200 229 Cf die zutreffende Beurteilung der Rolle Florovskys in diesen Anfangsjahren der Ökumene durch D.Gaines: The World Council 260: "Da er [sc. Florovsky] mehrere Sprachen fließend beherrschte und wegen seiner wissenschaftlichen Kompetenz, wurde er oft dazu bestimmt, die Ansichten der Orthodoxie vorzubringen."
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großen zeitlichen Belastung durch zahlreiche Ausschußsitzungen. Andererseits aber erschien Florovsky die geringe zahlenmäßige Repräsentanz der Orthodoxie innerhalb der Ökumene insofern vertretbar, als nach seiner theologischen Überzeugung die Tradition der Orthodoxie nicht durch Lokal- oder landeskirchliche Traditionen definiert wird, sondern ihrem Wesen nach prinzipiell eine ist. Eine zahlenmäßige Unterrepräsentanz der Orthodoxie könne demnach der Wahrheit ihres Zeugnisses keinen Abbruch tun.230 Diese theologische Überzeugung erscheint nach Auffassung W.Visser't Hoofts im Rückblick auch faktisch gerechtfertigt: "Die außerordentlich große Bedeutung seines [sc. Florovskys] Handelns bestand darin, daß er zu einem Zeitpunkt, als nur wenige orthodoxe Kirchen aktiv am Leben des Weltrates teilnahmen, sicherstellte, daß der Weg für eine weit größere Beteiligung der orthodoxen Kirchen offen blieb."231 A.Schmemann behauptete gar, die zahlenmäßig höhere Repräsentanz der Orthodoxie im ORK seit 1961 hätte deren sachliches Gewicht gegenüber der Bedeutung, die Florovsky zugemessen wurde, eher verringert.232 Nachdem sich einige Teilnehmer unmittelbar vorher bereits in Woudschoten getroffen hatten233, wurde am 22.August 1948 die Gründungsversammlung des ORK in Amsterdam eröffnet. Florovsky nahm als Delegierter des Ökumenischen Patriarchats234 an den Beratungen teil und war angesichts der nur geringen Zahl orthodoxer Repräsentanten235 Mitglied 230 Cf Vue 17 = CW XIV,176f 231 W.Visser't Hooft: George Florovsky's Role 138. Diese Einschätzung der Bedeutung Florovskys für das ökumenische Handeln der Gesamtorthodoxie wird uneingeschränkt von A.Schmemann geteilt (cf A.Schmemann: In memoriam 133). 232 CfA.Schmemann: In memoriam 133. Florovsky hat diese Einschätzung übrigens geteilt (cf Vue 19 = CW XIV,177f). Bei diesem Urteil ist allerdings zu beachten, daß gerade eine zahlenmäßige Minorität zugleich auch immer den Charakter des Exotischen hat und damit besonderes Interesse in Anspruch nimmt. 233 Von dieser Vorkonferenz, die vom 19.-21.8.1948 stattfand, schrieb Karl Barth am 19.8. an seine Familie, daß er unter seinen "Freunden und Bekannten" auch Florovsky wiedertraf. "Auch mit Florovsky und einem Bischof von Odessa (mit Haar und langem Bart) [wahrscheinlich Metropolit Panteleimon von Edessa] bin ich auf gutem Fuß." Einen Tag später berichtet Barth vom Abendgebet tags zuvor: "Nach dem Nachtessen gab es wieder ein langes kompliziertes worship (Chichester, Florovsky und ein Koreaner zusammen) mit unendlichen Lesungen, Gebeten und silent prayers. Das wird mir leicht etwas zu viel, und so werde ich mich heute morgen wieder enthalten." (Unveröffentlichte Briefe K.Barths aus dem Karl-Barth-Archiv, Basel) 234 Cf Oekumenischer Rat der Kirchen: Amsterdam V 325 235 Neben Vertretern des Ökumenischen Patriarchats hatten nur noch die Orthodoxe Kirche Griechenlands und einige kleinere orthodoxe Kirchen Delegierte entsandt.
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mehrerer Gremien. So engagierte er sich im Ausschuß für Gottesdienste, im Auschuß für die Formulierung der Botschaft von Amsterdam und im Komittee für Programm- und Verwaltungsfragen.236 Sein eigentliches Interesse aber galt der Arbeit in der Sektion I der Versammlung, die sich mit dem Thema 'Die allgemeine Kirche in Gottes Heilsplan' auseinandersetzte. Florovsky hatte sich unmittelbar vor der Versammlung in zwei Aufsätzen zu diesem Thema geäußert.237 Beide Aufsätze sind in bewußter Abgrenzung gegen die protestantische Definiton der Kirche als coetusfidelium verfaßt238 und stellen ihr die Vorstellung von der Kirche als Leib Christi, der sich als Organismus sakramental realisiert, gegenüber. In diesen zwei Modellen erkannte Florovsky den Hauptwiderspruch zwischen den ekklesiologischen Vorstellungen der in der Sektion I arbeitenden Theologen, zu denen als Widerpart Florovskys u.a. Karl Barth und Michael Ramsey gehörten. Florovsky war der Überzeugung, daß dieser Gegensatz letztlich auf die Frage nach dem Verständnis der apostolischen Sukzession reduziert werden könnte.239 Doch konnte er sich mit dieser Position gegen den Reformierten und den Anglikaner nicht durchsetzen. Sie beharrten darauf, daß der Kernpunkt des Dissenses im Gegensatz zwischen einer protestantischen und einer katholischen Ekklesiologie liege.240 Daß dieser Gegensatz allerdings offen benannt und nicht durch verschwommene Formulierungen verdunkelt wurde, hielt Florovsky im Rückblick auf die Versammlung, getreu seiner bereits in Edinburgh geäußerten Überzeugung, für einen wichtigen Fortschritt, da dies "keinen Platz für die utopische Hoffnung ließ, die unlösbaren Fragen beiseitelegen zu können."241 Allerdings bedauerte 236 Cf Oekumenischer Rat der Kirchen: Amsterdam V 326 237 Der Aufsatz Church wurde im Vorbereitungsband für Amsterdam veröffentlicht. In seinem zweiten, im Februar 1948 verfaßten Aufsatz Corps stellt Florovsky den größten Teil seiner ekklesiologischen Aussagen zusammenfassend dar. 238 Cf Church 60 und Corps 16 sowie u.5.2. 239 Cf Vue 22 = CW XIV, 179. An dieser Frage entscheidet sich letztlich, wie Gottes irdische Gegenwart und, darauf aufbauend, die Christologie und die Ekklesiologie zu verstehen sind. 240 Cf W.Visser't Hooft: GeorgesFlorovsky'sRole 136. In seinem zwei Jahre nach Amsterdam verfaßten Aufsatz Loyalty hat Florovsky die von Barth und Ramsey durchgesetzte Terminologie übernommen, was zeigt, daß er durchaus kompromißfähig war, auch wenn er diese Terminologie von der Sache her für unangemessen hielt (cf Loyalty 198). 241 Vue 23 = CW XIV,179 241 Cf Vue 23 = CW XIV,180. Florovsky hatte zu bedenken gegeben (ibid.): "Der Name Ökumenischer Rat der Kirchen selbst impliziert eine Situation, die nicht sein dürfte; wir stimmen darin überein, daß wir Konfessionen in einem Sinn 'Kirchen' nennen, den das Neue Testament niemals erlauben könnte."
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Florovsky, daß sein Einwand, bereits der Plural im Namen 'Ökumenischer Rat der Kirchen' sei ein Widerspruch in sich, da es nach der Aussage des NT diesen Plural nicht geben kann, die Konfessionen mithin gar nicht Kirchen genannt werden dürften, in der Beratungskommission zur Formulierung der Botschaft von Amsterdam, der u.a. K.Barth, E.Schlink, H.Lilje, M.Ramsey und O.Tomkins angehörten, nicht aufgenommen wurde.242 Aus diesen Aussagen geht bereits hervor, was Florovsky auch in seiner Ansprache vor dem Plenum der Versammlung ausführte: Ziel der ökumenischen Bemühungen müsse sein, einander kennen- und verstehen zu lernen. Die angestrebte Einheit sei demgegenüber aber ein eschatologisches Ziel.243 Da sich jedoch kein Christ der Sorge um seinen Nächsten entziehen könne, sei das ökumenische Arbeiten göttliches Gebot.244 Amsterdamer Äußerungen Florovskys zur Aufgabe der Orthodoxie innerhalb der Ökumene sind zwar nicht überliefert, doch ist bereits aus diesen Aussagen das zu folgern, was er vier Monate nach Abschluß der Versammlung zur Rolle der Orthodoxie in der Ökumene auch schriftlich veröffentlichte. Aufgabe der Orthodoxie sei es, den anderen Christen die Fülle der Wahrheit zu bezeugen und in diesem Sinne ihrem missionarischen Auftrag gerecht zu werden.245 Florovsky wurde in Amsterdam in das Zentralkomittee der ORK gewählt und in der ersten Sitzung dieses Gremiums im unmittelbaren Anschluß an die Gründungsversammlung in Amsterdam auch in das Exekutivkomittee des Zentralkomittees. Florovsky war damit neben Metropolit Panteleimon von Edessa der einzige Orthodoxe in diesem Zukunft, Gestalt und Wirkung des ORK faktisch gestaltenden Komittee. Davon war seine Arbeit der kommenden Jahre maßgeblich bestimmt.
243 Cf Aims 131 = CW XIII,26. In einem Interview (A.Finet: Huit hommes 4) stellte Florovsky in Amsterdam unumwunden fest, daß er keineswegs der Überzeugung sei, "daß es jemals zu einer Verständigung kommen wird." Priorität innerhalb der ökumenischen Bewegung müsse deshalb, so äußerte sich Florovsky in einem Kurzstatement in der Versammlung in bereits bekannter Weise, die christliche Geduld haben (cf D. Gaines: The World Council 270). 244 Cf Aims 129 = CW ΧΙΠ.24 245 Cf Vue 9. G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 44 berichtet, daß diese Aussage Florovskys im ökumenischen Pressedienst unter Schlagzeile 'Florovsky unterstreicht die Notwendigkeit orthodoxer Mission an Protestanten' verbreitet wurde und verständlicherweise für erhebliche Unruhe sorgte.
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2.3 In den USA: die Bezeugung der Orthodoxie vor der Welt 2.3.1 Von St. Vladimir 's nach Harvard Nur wenige Wochen nach der Amsterdamer Versammlung zog Florovsky mit seiner Frau nach New York. Metropolit Leontij (1876-1965) hatte ihn als Professor für Patristik und dogmatische Theologie an das St. Vladimir's Orthodox Theological Seminary der Amerikanischen Metropolie246 in New York berufen. Am 4.November 1948 legte Florovsky bei der offiziellen Eröffnungsfeier247 mit seinem Vortrag The Legacy and Task of Orthodox Theology seine Vorstellungen über die Rolle der Orthodoxie dar. Insbesondere ging es ihm darum, daß sich die Orthodoxie nicht als von der westlichen Kultur losgelöste Tradition verstehen dürfe, da der Osten und der Westen gemeinsame Wurzeln hätten. Aufgabe der Orthodoxie sei es mithin, diese gemeinsamen Wurzeln kenntlich zu machen und mit ihnen und auf ihrer Grundlage den Westen herauszufordern. Auf dem Weg dorthin aber sind nach Florovskys Ansicht nationale oder lokale Traditionen orthodoxer Landeskirchen zu überwinden. "Sind wir orthodox," so fragte er 1949 sein orthodoxes Publikum in Philadelphia, "weil wir den orthodoxen Glauben für die einzig authentische Darstellung der Ewigen Botschaft Gottes halten, oder einfach deshalb, weil wir zufälligerweise Russen, Griechen, Albaner sind? Diese Frage ist von größter Wichtigkeit, weil wir andauernd in der Versuchung stehen, unsere Orthodoxie auf unsere Nationalität zu reduzieren. Aber das Christentum ist eine universale Wahrheit."248 Florovsky forderte und vertrat damit in theologischer Form das, was dem uramerika-
246 Zu Genese und Geschichte dieser orthodoxen Kirche in den USA, der nach Verhandlungen mit der russisch-orthodoxen Kirche 1971 von dieser die Autokephalie verliehen wurde, was wiederum zu bis heute andauernden Spannungen zwischen dem Moskauer und dem Ökumenischen Patriarchat geführt hat (cf Documents 55-80), cf D.Grigoreff: The Orthodox Curch in America (besonders 209-216); J.Chrysostomus: Kirchengeschichte Rußlands Bd ΙΠ, 178-195; F.Heyer: Geschichte der orthodoxen Kirche in Amerika 49f und ders.: Konfessionskunde 79ff sowie C.Tarasar: Orthodox America. 247 Das Seminar war bereits 1938 gegründet worden, hatte jedoch während des Krieges enorme Schwierigkeiten, so daß 1948 ein erneuter Anlauf zu seiner festen Etablierung als Ausbildungsstätte unternommen wurde. Cf dazu A.Schmemann: Thoughts for the Jubilee 99-101. 248 People 175. A.Schmemann: In memoriam 133, bezeichnet Florovskys Eintreten gegen nationalistische orthodoxe Interessen für eines seiner größten Verdienste um die amerikanische Orthodoxie.
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nischen Ideal vom Schmelztiegel aller Nationen entspricht249, mit dem spezifischen Unterschied allerdings, daß die gemeinsame Kultur aller die bereits bestehende Orthodoxie sein und werden muß. Dieser programmatische Ansatz kennzeichnet und begründet Florovskys weitreichende und vielfältige Aktivitäten in den USA. So war er neben seiner Tätigkeit an St. Vladimir's bereits 1948 kooptierter Professor für Geschichte und Theologie der Östlichen Orthodoxie am Union Theological Seminary, lehrte zugleich auch an der Columbia University, zuerst als Gast-, später ebenfalls als kooptierter Professor250 und wurde im akademischen Jahr 1954/55 Gastprofessor für östliches Christentum an der Boston University.251 Zugleich gab er an den verschiedensten amerikanischen Universitäten und Colleges Gastvorlesungen und Seminare über theologische, kirchenhistorische und slawistische Themen und besuchte zahlreiche orthodoxe und nichtorthodoxe Gemeinden, um neben der Abhaltung von Gottesdiensten auch das Anliegen der Orthodoxie zu erläutern.252 Mit der 1952 begonnenen Herausgabe des St. Vladimir 's Seminary Quarterly begründete er eine Zeitschrift, die die Orthodoxie der englischsprachigen Wissenschaft verständlich machen sollte.253 In ihr veröffentlichte er in den kommenden Jahren einen Großteil seiner mehr als dreißig Aufsätze aus der Zeit zwischen 1952-56.254 Seine Bemühungen in diesen Jahren wurden damit belohnt, daß Metropolit Leontij Florovsky 1951 zum Dekan des Seminars ernannte. Allerdings führte sein hoher Anspruch an die missionarische Kompetenz der amerikanischen Orthodoxie, der eine gründliche Ausbildung der Studenten und künftigen Priester nicht nur in Bereichen orthodoxer Theologie, sondern darüberhinaus auch ein Verstehen westlicher Denkkategorien und westlichen Problembewußtseins verlangte, schon 1955 dazu, daß die Bis249 Er sprach deshalb auch summarisch von 'uns, sei es nun durch Geburt oder Adoption Westlichen' (cf Legacy 65). 250 Cf Th.Bird: Georges Florovsky 346f 251 Cf G.H. Williams: Georges Florovsky, Am. Career 46 252 Es ist hier nicht der Ort, diese Reisen im einzelnen aufzuführen. Die Sparte Chronicle of St. Vladimir's Seminary in den ersten 5 Jahrgängen des St.Vladimir's Seminary Quarterly geben einen guten Einblick in Florovskys rege Vortragstätigkeit in den USA. 253 Bis 1956 bleibt er deren Herausgeber. Neben der GOTR ist es, 1968 in St. Vladimir 's Theological Quarterly umbenannt, die theologische Zeitschrift für orthodoxe Theologie in den USA. 254 Cf die Bibliography of writings 445-448. Florovskys literarische Produktion hatte bereits 1948 wieder die durchschnittliche Veröffentlichung von ca.zehn Arbeiten pro Jahr (Übersetzungen und erneute Veröffentlichungen alter Artikel eingeschlossen) erreicht.
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chofssynode der russischen-orthodoxen Kirche der Amerikanischen Metropolie Florovsky um ein Ausscheiden aus seinen Ämtern an St. Vladimir's ersuchte. Neben dem Versuch Florovskys, einen sehr hohen akademischen Standard durchzusetzen255, waren sein Eintreten für eine in Englisch gefeierte Liturgie, die er um der Verständlichkeit256 und des amerikanischen Charakters der von ihm angestrebten Orthodoxie257 willen für notwendig erachtete, sowie unüberwindliche Differenzen mit den Kollegen und verwaltungstechnische Probleme die Gründe für diese Kündigung.258 Mehr als wahrscheinlich ist auch, daß Florovskys Ökumeneverständnis nicht von allen Orthodoxen geteilt wurde und deshalb ebenfalls mitausschlagebend für sein erzwungenes Ausscheiden war.2S9 Dieses Zerwürfnis mit der Amerikanischen Metropolie führte dazu, daß Florovsky seinen jurisdiktionellen und kanonischen Status änderte. Zwar war er auch nach der Übersiedlung in die USA dem Ökumenischen Patriarchat unterstellt, doch hatte er diesen Status gleichsam ruhen lassen und sich der jurisdiktionellen Gewalt der Amerikanische Metropolie assoziiert, doch "reaktivierte" er jetzt seinen ursprünglichen Status als dem Ökumenischen Patriarchat unterstellter Priester.260 Kurz zuvor, im Novem255 Cf People 178. G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 49f, referiert Florovskys mit dem Titel 'The duty to learn' überschriebenes Editorial (mir leider nicht zugänglich), in dem Florovsky sich über den niedrigen wissenschaftlichen Standard der Ausbildung und der Studenten beklagt. 256 Cf Prayer Λ 9 257 Nach G.H. Williams: Memorial Minute hat Florovsky sich zeitlebens für eine autokephale orthodoxe Kirche in Amerika eingesetzt. Ob er deshalb allerdings die durch das Moskauer Patriarchat ausgesprochene Autokephalieerklärung für die Amerikanische Metropolie 1971 gutgeheißen hat, ist mir nicht bekannt. 258 Cf G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 49f 259 Dafür spricht der an eine orthodoxe Leserschaft gerichtete Aufsatz Orthodox Church aus dem Jahre 1954, in dem Florovsky nahezu defensiv und zugleich außerordentlich werbend das Anliegen der Ökumene verdeutlicht, für die Notwendigkeit orthodoxer Beteiligung an dieser Bewegung eintritt und dieses mit Verweisen auf (u.a.russisch) orthodoxe Hierarchen, die dasselbe Anliegen vertraten, rechtfertigt. Über sein internationales ökumenisches Wirken hinaus war Florovsky von 1954-57 auch Vizepräsident im amerikanischen Kirchenrat (cf Th.Bird: Georges Florovsky 447 und C.Tarasar: OrthodoxAmerica 248). Daß ihm sein ökumenisches Engagement auch nach seinem Tod nicht verziehen wurde, davon legen Chrysostomos/Auxentios: A Tragedy 240, beredtes Zeugnis ab. 260 Cf G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 45 und 50. Wie man sich im Falle Florovskys eine jurisdiktionelle 'Assoziation' mit der Amerikanischen Metropolie im einzelnen vorzustellen hat, wird weder aus den Aussagen G.H.Williams' deutlich, noch aus den Faith and Order Papers, in denen Florovsky bis 1952 einschließlich als
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ber 1954, nahm der vormals staatenlose Florovsky zusammen mit seiner Frau die amerikanische Staatsbürgerschaft an.261 Mit seinen diversen Gastprofessuren, zu der 1955 noch die an der Holy Cross Greek Orthodox Theological School in Brookline, Mass., kam262, konnte Florovsky seinen Lebensunterhalt verdienen, bis er schließlich im Frühjahr 1956 insbesondere durch Vermittlung G.H.Williams'263 als Lecturer an die Harvard Divinity School berufen wurde, wo er im Herbst 1957 Professor für die Geschichte der Ostkirchen wurde.364 Darauf angesprochen, daß damit seine Existenz endlich gesichert sei, soll Florovsky geantwortet haben: "Ja, aber das ist zu spät gekommen."265 Er konnte damals nicht wissen, daß noch weitere zwanzig Lebensjahre vor ihm lagen. Wie aus dem Vorlesungsverzeichnis der Divinity School hervorgeht, hat Florovsky dort nicht nur ostkirchenkundliche Kurse angeboten, sondern hielt darüber hinaus auch Vorlesungen über patristische Themen, über christliche Spiritualität und russische Geistesgeschichte.266 Von 1961 -1964 veranstaltete Florovsky im Auftrag des Slavistischen Fachbereichs in Harvard ferner einmal jährlich ein Seminar über Tendenzen in der russischen Literatur und gab so seine von Jugend auf erworbenen Kenntnisse auf Delegierter des Ökumenischen Patriarchats geführt wird (Ausnahme: bei der Sitzung des Zentralausschusses der ORK in Toronto 1950 erscheint Florovsky (cf WCC (Hg.): Toronto 60) als Delegierter der Russisch Orthodoxen Kirche, wobei unklar ist, ob damit die Amerikanische Metropolie oder aber, was ein verwaltungstechnischer Fehler sein könnte, die Russen im Exil gemeint sind, die dem Ökumenischen Patriarchat unterstanden.). Von 1953 bis 1956 wird er als Delegierter der Russian Orthodox Greek Catholic Church of North America, d.h. der Amerikanischen Metropolie, geführt, was nicht zuletzt auch durch Florovskys Stellung als Dekan von St. Vladimir's auch auf eine jurisdiktioneile Zugehörigkeit zu dieser Kirche schließen läßt. Ab 1957 erscheint er in den Faith and Order Papers als Delegierter der dem Ökumenischen Patriarchat unterstellten Greek Orthodox Archdiocese of North and South America. - Die Ungeklärtheit des jurisdiktionellen Status Florovskys damals entspricht der der Kirche russischer Herkunft in Amerika überhaupt. 261 CfTh.Bird: Georges Florovsky 445 262 Von 1955-1959 und erneut von 1963-1965. CfTh.Bird: Georges Florovsky 347. 263 So G.H.Williams in einem Brief an mich vom l.November 1983. 264 Cf G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 50. Die Verbindung nach Harvard war bereits 1951 geknüpft worden, als Florovsky zur Ingersoll Lecture eingeladen worden war. Er hielt sie unter dem Titel The Resurrection of Life am 10. April und ließ sie nach einer anschließenden Veröffentlichung später auch in den CW unter dem Titel The Immortality of the Soul erneut abdrucken. 265 E.Mascall/R. Williams: George Florovsky 70. 266 Cf die von der Harvard Divinity School herausgegebenen General Information and Announcements of Courses für die akademischen Jahre 1956/57 bis 1963/64.
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diesem Gebiet weiter.267 Bei Erreichen der Altersgrenze wurde Florovsky, inzwischen 70 Jahre alt, 1964 mit dem Ehrentitel eines professor emeritus von Harvard entlassen. Er stand in diesen Jahren auf dem Höhepunkt seines akademischen Ruhms. Einladungen zu Gastvorträgen führten ihn nicht nur durch die USA, sondern beispielsweise auch nach Beirut und Rom268. Regelmäßig war Florovsky Teilnehmer des Internationalen Patristikerkongresses in Oxford.269 Offenkundige Anerkennung fand seine akademische Leistung 1965 durch die Aufnahme in die theologische Beratungskommission der orthodoxen Bischofskonferenz in Amerika und die Amerikanische Akademie der Wissenschaften. 2.3.2 Repräsentant der Orthodoxie in der Ökumene Während dieser mehr als 16 Jahre in den USA setzte Florovsky jedoch nicht nur seine akademische und innerorthodoxe Arbeit fort, sondern engagierte sich seit der Gründung des ORK in Amsterdam in noch stärkerem Maße in der Ökumene, als dies bereits vor 1948 der Fall gewesen war. Als Mitglied des Zentralkomittees des ORK fuhr er bis 1961 nicht nur jährlich zu dessen Sitzungen270, sondern traf sich auch halbjährlich mit den Mitgliedern des Exekutivkomittees. Außerdem gehörte er bis 1974 der Kommission für Faith and Order und einigen in deren Auftrag gebildeten Arbeitsausschüssen271 an, so daß er auch für diese Aufgaben noch einmal
267 Cf Th.Bird: Georges Florovsky 347. Zu den Früchten dieser slavistischen Arbeit, die er später in Princeton fortsetzen würde, zählen die in diesen Jahren erschienenen Aufsätze zur frühen russischen Kultur und insbesondere zu Solov'ev (ciBibiliography of Writings 449-451). 268 Cf Iz Pisem (Florovsky an J.Ivask vom 13.5.1968) 48 269 1955 mit dem Vortrag Pat.Age (cf auch Florovskys eigenen Bericht von dieser Konferenz Oxfordl955), 1959 mit dem Vortrag Athanasius, 1967 mit einem Vortrag zum Programm der neopatristischen Synthese (cf I.Swiridow: Wege 41). Außerdem nahm Florovsky 1958 mit dem VortragAnthropomorphites am Byzantinistenkongreß in München teil. 270 Florovsky fehlte, wie aus den jeweiligen Sitzungsprotokollen hervorgeht, während seiner Mitgliedschaft im Zentralkomittee in den Jahren 1948-1961 nur auf den Sitzungen in Lucknow (1953) und im ungarischen Galyatetö (1956). 271 Genannt seien hier nur die Ausschüsse: 'Interkommunion', 'das Wesen des Gottesdienstes', 'Christus und die Kirche', 'die Tradition und die Traditionen', der Ausschuß über Anträge zur Veränderung der christologischen Basis des ORK, der Ausschuß über die Zukunft von Faith and Order.
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mehr als zwei Wochen jährlich unterwegs war. 272 An der Vorbereitung und Durchführung der Vollversammlungen des ORK - Evanston 1954, Neu Dehli 1961, Uppsala 1968 - und der Weltkonferenzen für Faith and Order - Lund 1952, Montreal 1963 - war Florovsky selbstverständlich ebenfalls maßgeblich beteiligt. Dieses zeitraubende ökumenische Engagement, das einerseits sicher zu Lasten seiner theologischen Forschungsmöglichkeiten ging bzw. deren Thematik bestimmte 273 , zeigt andererseits - neben einer gewissen Freude an Kommissionsarbeit - auch, w i e wichtig Florovsky diese Aufgabe nahm, was auch durch die bereits erwähnte dünne Personaldecke orthodoxer Ökumeniker bis zum Beitritt der russisch-orthodoxen und in deren Gefolge auch anderer orthodoxer Kirchen 1961 bedingt war. 274 Es ist hier nicht der Ort, Florovskys protokollierte Diskussionsbeiträge 275 auf diesen Versammlungen im einzelnen zu würdigen, da dies nur im Kontext einer Geschichte der Ökumenischen Bewegung möglich wäre und, was im vorliegenden Kontext wichtiger ist, sich m.E. keine direkten Auswirkungen der in diesen Gesprächen gemachten Erfahrungen auf Florovskys Theologie nachweisen lassen. 276 Auf drei Aspekte seiner Mitarbeit, 272 Aus den Sitzungsprotokollen geht hervor, daß Florovsky bis auf die Sitzungen in Genf (1961) und Zagorsk (1966) bis 1968 an allen Treffen teilgenommen hat. Er hatte sich nach langem Zögern erst recht kurzfristig dazu entschlossen, nicht in die UdSSR nach Zagorsk zu reisen (cf G.H.Williams: Memorial Minute 6), wo man ihm, wie mir mündlich mitgeteilt wurde, die Ehrendoktorwürde hatte verleihen wollen. Obwohl seine antisowjetischen Resentiments mit zunehmendem Alter abgenommen haben sollen, mögen auch, wie man mir von kundiger Seite mitteilte, Befürchtungen, die Annahme der Ehrendoktorwürde könne zu Differenzen mit dem Ökumenischen Patriarchat führen, bei der Entscheidung, 1966 und auch später nicht nach Zagorsk zu fahren, eine Rolle gespielt haben. Das letzte Mal nahm Florovsky 1971 in Louvain an einer Kommissionssitzung von Faith and Order teil. 273 Überblickt man die Publikationen aus den Jahren der stärksten Belastung durch ökumenische Verpflichtungen zwischen 1950 bis 1961, so bilden die Arbeiten, die sich mit der ökumenischen Problematik befassen oder aus von dort vorgegeben Themen entstanden sind, mehr als die Hälfte aller Aufsätze. 274 Cf die Aussage des ehemaligen Generalsekretärs des ORK, Eugene Carson Blake, zur Bedeutung Florovskys (Personalakte Florovsky: Noted Russian Scholar in Princeton 1978): "Ich erinnere die Tage, als der Weltrat nahezu ausschließlich von seinen Einsichten in bezug auf das ortodoxe Verständnis theologischer Fragen der ökumenischen Bewegung abhängig war. All die Jahre hindurch war er eine der großen ökumenischen Persönlichkeiten." 275 Die dort gehaltenen Vortrage gehen selbstverständlich in die Darstellung seiner Theologie im 2. und 3. Hauptteil dieser Arbeit ein. 276 Für diese Tatsache spricht, daß Florovsky alle wirklich wesentlichen theologischen Überzeugungen bereits vor 1948 entwickelt und auch publiziert hat. In den danach
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die Torontoerklärung, die Kommission zur Frage der Tradition und die Aufnahme von Gesprächen zwischen orthodoxen und nichtchalcedonischen Kirchen, ist allerdings kurz einzugehen. Auf dem Treffen der Zentralkomittees des ORK 1950 in Toronto gelang es Florovsky, den von Orthodoxen gegen eine Beteiligung der Orthodoxie an der Ökumenischen Bewegung immer wieder vorgebrachten Einwand hinsichtlich des ekklesiologischen Charakters des ORK zur Geltung zu bringen. Mit sehr deutlichen Worten beharrte er unter Androhung eines Rückzugs der orthodoxen Kirchen aus dem ORK darauf, daß diesem keine ekklesiologische Bedeutung zukomme und es Mitgliedskirchen, auch wenn sie in der Minderheit seien, gestattet bleiben müsse, andere Mitgliedskirchen "als ihrem Wesen nach defizient" anzusehen.277 Mit der in Toronto verabschiedeten Erklärung278 trug man diesen Bedenken voll Rechnung und erleichterte so, wie immer wieder hervorgehoben wird, eine orthodoxe Teilnahme an den künftigen Aktivitäten des ORK.279 Auf der Zweiten Weltkonferenz von Faith and Order 1952 in Lund waren die Grenzen einer die verschiedenen konfessionellen Standpunkte nur vergleichenden und auflistenden ökumenischen Methode deutlich formuliert und der Weg hin zur gemeinsamen theologischen Bemühung eingeschlagen worden.280 Beim Treffen des Arbeitsausschusses von Faith and Order im unmittelbaren Anschluß an die Weltkonferenz wurde, dem neuen veröffentlichten Arbeiten werden diese ausgeweitet (cf dazu u.2.2), und Florovsky geht nur in ganz wenigen Fällen auch auf Theologoumena anderer Konfessionen ein. Auf Beiträge, dieer während der jeweiligen Konferenzen gemacht hat, nehme ich im Verlauf der Darstellung seiner Theologie Bezug. 277 WCC (Hg.): Toronto 15f. Florovsky war neben Erzbischof Germanos der einzige orthodoxe Teilnehmer an dieser Versammlung. 278 Cf ibid. 82-90. Erneut abgedruckt in D.Gaines: The World Council 374-379. 279 Cf dazu H.Fey: Geschichte 47ff, V.T.Istavrides: EcumenicalPatriarchate 20 und zur Rolle Florovskys bei diesen Beratungen W.Visser't Hooft: Georges Florovsky's Role 136 280 Cf z.B. E.Schlinks Redebeitrag in Lund in D.Gaines: The World Council of Churches 471f und das Vorwort zum Bericht von Lund ibid. 484. Die Suche nach einer neuen Methode entsprach zwar auch Florovskys Anliegen, der schon früher eine gemeinsame ökumenische Theologie gefordert hatte (cf Loyalty 203), doch stand er damit in gewissem Gegensatz zu den 1952 vom Ökumenischen Patriarchat herausgegebenen Richtlinien für eine orthodoxe Beteiligung am ökumenischen Gespräch. Sie sahen vor, die Mitarbeit auf Hinweise und orthodoxes Zeugnis zu beschränken, sich keinesfalls an der Unterzeichnung von Schlußdokumenten und möglichst auch nicht an gemeinsamen Gottesdiensten zu beteiligen (cf V.T.Istravrides: EcumenicalPatriarchate 20f). Äußerlich schien Florovsky ihnen zu entsprechen, doch ging sein Verständnis ökumenischer Arbeit über gegenseitige Abgrenzungen hinaus.
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Ziel entsprechend, Florovsky zusammen mit Professor Outler beauftragt, ein Memorandum zum Thema 'Tradition und Traditionen' zu erarbeiten, da inzwischen deutlich geworden war, daß dieses Thema implizit bei allen Kontroversfragen gegenwärtig war.281 Wie Florovsky ein Jahr später auf der Sitzung des Arbeitsausschusses in Bossey darlegte, müsse es das Ziel der Frage nach dem Wesen der Tradition sein, daß jede Konfession ihre eigene Geschichte auf dem Hintergrund der ehemals gemeinsamen Geschichte der einen Kirche formuliert. Dies hätte den enormen Vorteil, daß man auf diese Weise zu einer gemeinsamen ökumenischen Sprache kommen könne.282 Mit diesem Ansatz hat Florovsky letztlich seine eigene theologische Methode, die er schon beim Athener Kongreß 1936 dargelegt hatte, auf die Ökumene angewandt. 1954 wurde entschieden, die großen theologischen Probleme zuerst durch verschiedene kleinere Kommissionen untersuchen zu lassen und deren Ergebnisse zu einem späteren Zeitpunkt im großen Kreis zu diskutieren. Im Rahmen dieser Aufgabendelegation wurde Florovsky zum Vizepräsidenten der amerikanischen Sektion der theologischen Kommission zur Frage der Tradition gewählt.283 Nach zahlreichen Sitzungen dieser Kommission in den kommenden zehn Jahren stand auf der 4. Weltkonferenz von Faith and Order in Montreal 1963 u.a. das Thema 'Tradition' zur Debatte. Auf der Grundlage der vorgelegten Arbeitsberichte284 verabschiedete man einen Text, der Florovskys eigener Theologie sehr nahekam.285 Ohne seine Einflußnahme wäre in der vorangegangenen Kommissionsarbeit der typisch orthodoxe bzw. römisch-katholische Standpunkt zur Frage von Schrift und Tradition nicht zur Geltung gekommen. Bereits in Montreal war der Vorschlag geäußert worden, sich eingehender mit der Interpretation des Chalcedonense zu beschäftigen.286 Dies hing sicher mit dem zurückliegenden 1500. Jubiläum dieses Ökumenischen
281 Cf Faith and Order Commission Paper No.4 8 283 Cf Faith and Order Commission Paper No.17 33. In ähnlicher Weise schlug Florovsky diese Methode auch dem Zentralkomittee des ORK auf seiner Sitzung in Rhodos 1959 vor (cf WCC (Hg.): Rhodos 11). 283 Cf Faith and Order Commission Paper No.2113f und 29. Florovsky nahm auch an den Sektionssitzungen der Amerikaner zum Verhältnis von 'Christus und die Kirche' teil. 284 Cf Faith and Order Commission Papers Nos.37-39 285 Cf L.Vischer: Die Einheit der Kirche 196 und den Abschlußbericht der amerikanischen Sektion zur Traditionsproblematik: Faith and Order Commission Paper No.39 (= Arbeitsheft Montreal II) 7ff. 286 Cf Faith and Order Commission Paper No.41 20.
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Konzils zusammen287, entsprach aber auch zunehmenden Bestrebungen, Gespräche zwischen den Orthodoxen und den nichtchalcedonisch-orthodoxen Kirchen aufzunehmen. Im August 1964 kam es in Aarhus zum ersten inoffziellen Treffen von 15 Theologen beider Kirchen. Als man bereits nach überraschend kurzer Zeit große Übereinstimmungen feststellte, was durch Florovskys asymmetrische Interpretation der Formel von Chalcedon wesentlich erleichtert wurde288, widersetzte sich Florovsky vehement in der Diskussion aufkommenden Tendenzen, sich auf Kosten der westlichen Kirchen mit den orientalischen Kirchen zu vereinigen. "Östlicher Ökumenismus ist ein Selbstwiderspruch. Denn auch der Westen gehört zur Ökumene."289 Florovsky beharrte demnach auf seiner schon in den zwanziger Jahren formulierten Überzeugung, daß eine Einheit der Kirche nur auf der Grundlage der historisch identifizierbaren Einheit der Kirche aus Ost und West möglich sei. Aufgabe der Gespräche zwischen den Orthodoxen und nichtchalcedonisch-orthodoxen Kirche müsse es sein, dem Westen die Problematik des Schismas innerhalb der Ostkirchen verständlich zu machen und so sein historisches Bewußtsein für die mit dem Chalcedonense gegebene Einheit zu schärfen.290 Ganz auf dieser Linie lag auch Florovskys Bemühen, um eine Verständigung zwischen Rom und Konstantinopel.291 Die Früchte der damals in Aarhus begonnenen Verständigung mit den Altorientalen, die Aufnahme eines offiziellen Dialogs, hat Florovsky nicht mehr miterlebt.
287 Florovsky hatte bereits 1958 in der amerikanischen Sektion zu' Christus und die Kirche' ein Papier zur chalcedonensischen Christologie der Väter vorgelegt, das zum 1500. Jubiläum dieses Bekenntnisses publiziert werden sollte, was allerdings nicht geschehen ist (cf Faith and Order Commission Paper No. 26 10). 288 Cf dazu u. 4.1. Florovsky hatte bereits 1933 die Unterschiede zu den nichtchalcedonischen Kirchen als nicht sehr wesentlich empfunden und behauptet, sie seien nur "aus historischer Trägheit" noch nicht überwunden worden (cf Problematika 6). 289 Diskussionsbeitrag Florovskys in J.Romanides: Unofficial Consultation 80 290 Cf Diskussionsbeitrag Florovskys in N.Nissiotis: Third Unofficial Consultation 16 291 Cf Personalakte Florovsky: Town Topics 19.1.1967: Florovsky soll die Begegnung zwischen dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras und Papst Paul VI im Dezember 1964 und die gegenseitigen Bannaufhebungen 1965 im Hintergrund maßgeblich mitbetrieben haben. "Florovsky war die eigentliche Schlüsselfigur, die 'in theologischer Weise' das 900-jährige Schisma in der Christentheit abmilderte und so den Schritt für zukünftige Dialoge zwischen Rom und Istanbul setzte." - Im selben Jahr war Florovsky vom römischen Papst in das Akademische Direktorat des von Paul VI begründeten Ökumenischen Instituts in Jerusalem berufen worden.
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Mit dem Beitritt der russisch-orthodoxen und anderer orthodoxer Kirchen zum ORK292 1961 konnte sich Florovsky, inzwischen 68 Jahre alt, aus der Verantwortung für die Repräsentanz der Orthodoxie im ORK zurückziehen. Er hatte durch sein beharrliches und sicher auch unbequemes Auftreten dem überwiegend protestantisch ausgerichteten ORK die katholische Tradition der Orthodoxie erläutert und dadurch nicht nur den Weg für eine breitere orthodoxe Repräsentanz gebahnt, sondern auch Fragestellungen zur Geltung gebracht, die, wie z.B. in der Sakraments- oder Amtstheologie, die ökumenische Diskussion bis heute maßgeblich bestimmen und damit der Tradition der Orthodoxie wie auch des römischen Katholizismus Rechnung tragen. Zwar verfolgte Florovsky den Fortgang der Entwicklung mit regem Interesse, doch hegte er in Hinsicht auf mögliche Übereinstimmungen keine großen Erwartungen. Entscheidend, so äußerte er sich 1965, seien nicht die großen offiziellen Versammlungen, sondern die persönlichen Gespräche. "Es gibt auf einer persönlicheren Ebene und in nichtoffizieller Weise viel zu tun. Und genau das muß getan werden."293 Darin sah Florovsky spätestens seit seinem Ausscheiden aus den Leitungsgremien des ORK 1961 den eigentlichen Sinn seiner ökumenischen Arbeit.
2.3.3 Die letzten Jahre: Princeton, Ehrungen und Tod Als Florovsky im Juni 1964 als fast Siebzigjähriger aus Harvard entlassen wurde, war das Ende seiner akademischen Laufbahn noch nicht erreicht. Noch im selben Jahr wurde er an die Universität Princeton berufen und dort zum Gastprofessor an der historischen Fakultät, an der theologischen sowie an der Fakultät für slavische Sprachen und Literatur ernannt. Dies gab ihm zwar auch die Möglichkeit, Kurse für Undergraduates zu geben, doch beschränkte er sich ganz auf den Unterricht von Graduierten.294 Während er an den ersten beiden Fakultäten bis 1972 nur je eine kirchengeschichtliche Vorlesung anbot, gab er an der Fakultät für slavische Sprachen
292 Wesentlich auf Florovskys Drängen hin war 1952 bereits die Amerikanische Metropolie dem ORK beigetreten (cf G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 47). 293 Dialogue 45 = CW XIV,173 294 Wie mir George D.Dragas mitteilte, der in diesen Jahren bei Florovsky studierte, nahm sich dieser sehr viel Zeit für die Betreuung seiner Studenten. Angesichts seiner Belesenheit - sein wöchentliches Lektürepensum soll bis an sein Lebensende enorm gewesen sein - sollen gerade diese Privatissima sehr gewinnbringend gewesen sein. Seine Publikationstätigkeit nahm hingegen in den siebziger Jahren rapide ab.
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mehrere Seminare über russische Literatur.295 Unabhängig von seiner akademischen Reputation war Florovsky schon recht bald wegen seiner "wehenden schwarzen Roben, die man oft Nassau Street entlanghuschen sieht"296, ein bekannter Mann auf dem Campus. 1972 trat er offiziell zwar endgültig in den Ruhestand, wurde jedoch vom theologischen Seminar der Universität Princeton weiterhin als Gast-Lecturer verpflichtet.297 Bis zu seinem Tod gab Florovsky hier jährlich ein Seminar zu patristischen Themen. Seine letzte Lehrveranstaltung galt den großen Kappadokiern.298 Neben seiner Universitätstätigkeit in Princeton widmete sich Florovsky insbesondere der Herausgabe seiner Gesammelten Werke.299 Dazu stellte er eine Auswahl aus seinen Aufsätzen zusammen, überarbeitete sie teilweise und setzte sich für die sachgemäße Übersetzung seiner russischen Bücher ein, von denen rohe Übersetzungen seit langem im Umlauf gewesen waren. Seine Patrologien überarbeitete Florovsky erheblich, so daß deren englische Ausgabe nahezu doppelt so lang ist wie die ursprünglich russischen Ausgaben von 1930 bzw.1933.200 Die ersten vier Aufsatzbände erschienen von 1972-1975, doch dann verzögerte sich die weitere Herausgabe seiner Gesammelten Werke erheblich, da es finanzielle Schwierigkeiten und Unregelmäßigkeiten gab. Seit man einen neuen Verlag gefunden hat, erscheinen seit 1987 pro Jahr mehrere Bände der auf insgesamt 20 Bände angelegten Gesamtausgabe. Nach seinen theologischen Ehrendoktorwürden, verliehen durch die Universitäten von St.Andrews (1937), Boston (1950), Thessaloniki (1959)301
295 So von 1967 bis 1971 die Seminare über Tolstoj und altrussische Literatur, von 1969 bis 1972 das Seminar über Dostoevskij und seine Zeit (cf Princeton University: The Graduate School Announcement 1965/66 -1971/71). 296 Personalakte Florovsky -.Town Topics vom 19.1.1967. Dazu trug Florovsky übrigens meist ein blaues Barrett, was Chrysostomos/Auxentios: A Tragedy 242 zu der bissigen Bemerkung veranlaßte: "Vater Florovskys Erscheinung [...] war ein perfekter Ausdruck dieser Tragik: Kirchlich gewandet war sein Kopf ununterbrochen in der Gewalt modischer Gedanken und akademischer Vernunft." 297 Cf J.Rexine: The Collected Works 73 298 Cf Princeton Theological Seminary: The Princeton Seminary Bulletin 1973/74 bis 1978/79 299 Cf die den CW Bänden VIff auf Seite II vorangestellte Bemerkung zum Gesamtprojekt der CW. 300 Cf das den CW Bänden VII-IX vorangestellte Author 's Preface Florovskys vom September 1978 und Puti (engl.II XI). 301 Aus Anlaß der Feierlichkeiten zum 600-jährigen Todestages von Gregor Palamas in Thessaloniki, wo Florovsky den Festvortrag (Palamas) hielt.
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und vom St. Vladimir's Seminary (1968)302, dem Ehrendoktor der Rechte von der Universität Notre Dame (1968)303 und der Ehrenmitgliedschaft in der Königlichen Akademie von Athen304, wurden Florovskys Verdienste insbesondere nach seinem Eintritt ins neunte Lebensjahrzehnt durch weitere Ehrentitel gewürdigt. 1973 erhielt er von der Yale University Divinity School und 1974 auch von der Universität Princeton den Ehrendoktor. Letztere führte in der Verleihungsurkunde aus: "In der Jugendlichkeit und Kraft seines Verstandes steht er [sc. Florovsky] heute vor uns als Brücke zwischen dem verehrungswürdigen Erbe der alten Welt und der Zukunft der neuen, zwischen Östlichen Kirchen und denen des Westens."305 Ein Jahr zuvor war ihm aus Anlaß seines 80.Geburtstages durch das Princeton Theological Seminary in Verbindung mit dem von Jesuiten geführten Boston College die Festschrift The Heritage of the Early Church, die von einer Lutheranerin und einem jüdischen Rabbiner herausgegeben wurde, überreicht worden. Neben den Beiträgen von Autoren aus zahlreichen Ländern und Kirchen verdeutlicht gerade auch diese Verbindung verschiedener Konfessionen und Religionen bei den Herausgebern die Ausstrahlung des weitgefächerten Wirkens Florovskys. Neben dieser wurde ihm auch noch eine von Andrew Blane und Thomas Bird auf drei Bände projektierte Festschrift überreicht, von der jedoch nur zwei erschienen.306 1976 schließlich wurde er als korrespondierendes Mitglied in die Britische Akademie der Wisenschaften aufgenommen. Am 11. August 1979, kurz vor seinem 86.Geburtstag, starb Georges V.Florovsky in Princeton. Von der St. Vladimir's Orthodox Catholic Church in Trenton aus, wo er neben seiner professoralen Tätigkeit lange Jahre als Priester gewirkt hatte, wurde er neben seiner zwei Jahre zuvor verstorbenen Frau auf dem St. Vladimir's Friedhof in Hamilton beigesetzt.307 Über die Reaktionen auf das Ableben Florovskys berichten Archimandrit Chrysostomos und Erzpriester Auxentios: "Das kürzliche Hinscheiden von Vater Georges Florovsky ging, sogar in traditionell orthodoxen Kreisen, für die meisten ohne weitere Kenntnisnahme und in einigen Fällen mit einer
302 Verliehen im Zusammenhang mit den Feiern zum 30-jährigen Jubiläum des Seminars. Cf Thirtieth Anniversary Commemoration Issue 113. 303 Cf Vestnik 97 304 Sie wurde ihm zugleich mit Albert Schweitzer und Kardinal Bea am 26.7.1965 verliehen (cf G.H.Williams: Memorial Minute 7). 305 Personalakte Florovsky: News Bureau Princeton University Tuesday June 11 1974 2 306 Cf A.Blane/Th.Bird: FS Florovsky 307 Cf G.H. Williams: Memorial Minute 7
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bedauerlich negativen Aufmerksamkeit vorüber."308 Diese Beobachtung stimmt in bedrückender Weise mit einem Urteil überein, das Florovsky bereits 16 Jahre zuvor über seine Rolle innerhalb der russischen Literatur und Theologie geäußert hatte: "Aus der 'russischen Literatur' bin ich längst herausgefallen [...und] - in russischen Kreisen - bereits ein vergessener Autor."309 Diese bittere Selbsteinschätzung, die in der zurückgezogenen Lebensweise seines Alters ihren äußeren Ausdruck fand, steht in einem denkwürdigen Gegensatz zur Bedeutung, die Florovsky innerhalb der Orthodoxie zugemessen wurde. In seinem Nachruf auf Florovsky schrieb sein Schüler und Nachfolger im Amt des Dekans von St. Vladimir's, A.Schmemann: Florovsky "war es, der die Fragen formulierte, von denen die Zukunft der Orthodoxen Theologie abhängen. Er war es, der die grundsätzliche Perspektive vorgab."310 Daß Florovsky trotz seiner theologischen Bedeutung, die in seinem Wirken für die Ökumene und die Identität einer zeitgemäßen orthodoxen Theologie ihren Ausdruck fand, innerorthodox kaum gewürdigt wurde, macht die Tragik seines Lebens aus. Eine Tragik, die ihre Wurzeln sicher auch in der komplizierten Persönlichkeitsstruktur dieses Menschen hatte, die zugleich jedoch immer wieder das Leben solcher Menschen bestimmt, deren Wirken den Anspruch erhebt, reformatorisch zu sein. 2.4 Zusammenfassung: Wirken für die Identität der Orthodoxie Überblickt man das Leben Georges Florovskys und stellt, wie es das Ziel dieses Kapitels ist, die Frage nach der biographischen Verankerung seines theologischen Denkens, so ist zuerst zu bemerken, daß sich dieses als ein Weg zunehmender geistiger Entschränkung darstellt. Vom Nachdenken über Ursachen und Folgen der russischen Revolution kommt er zur grundsätzlichen Bestimmung einer 'neuen Philosophie', die sich auf der Grundlage der Orthodoxie zu entwickeln hat. Als theologischer Lehrer im Kontext einer orthodoxen Ausbildungsstätte versucht er ab 1926, diese neue Philosophie für Orthodoxe zu formulieren. Dabei durchstößt er den engen nationalen Rahmen russisch orthodoxen Denkens und setzt sich programmatisch für eine orthodoxe Theologie ein, die, von westlichen Einflüssen gereinigt, auf der Grundlage ihrer patristischen Herkunft kreativ entwickelt werden soll. Bedingt durch seine kaum zu überschätzende Rolle in der Ökumene und seine 1948 erfolgte Übersiedlung in die USA entgrenzt er 308 Chrysostomos/Auxentios: A Tragedy 238 309 Iz Pisem (Florovsky an J.Ivask vom 28.5.1968) 45 310 A.Schmemann: In memoriatn 133
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diesen Ansatz in seiner Forderung nach einer ökumenischen Theologie, die in der gemeinsamen Suche nach den alle verbindenden Traditionen der Väter und einer darauf fußenden Theologie die Wurzeln der konfessionellen Unterschiede aufdecken und alle Kirchen verbinden kann. Diesem Weg der Entschränkung des Bezugshorizontes entspricht nun allerdings nicht in demselben Maße eine Fortentwicklung oder Veränderung der Grundgedanken Florovskys.311 Vielmehr bleibt er, sieht man einmal von seiner Ausbildungszeit ab, spätestens seit 1923 seiner Grundthese, die er später unter verschiedenen Gesichtspunkten entfalten würde, treu: Eine orthodoxe Theologie, die sich ausschließlich aus den Quellen ihrer Herkunft speist, ist das einzig gegeignete Mittel, die Vergangenheit und die Gegenwart zu deuten und die Zukunft zu bewältigen. Zur Zeit seines Engagements bei den Eurasiern sah er in einer solchen Theologie das geeignete Mittel, um die Fesseln des westlichen Rationalismus zu lösen und demzufolge auch den Atheismus der bolschewistischen Revolution in Rußland zu überwinden. Zur Zeit seiner Pariser Lehrtätigkeit sah er in ihr das einzige Mittel, die orthodoxe Theologie aus den Bindungen an Denkkategorien, die der kirchlichen Erfahrung der Orthodoxie fremd sind, zu befreien. Zur Zeit seiner intensiven ökumenischen Arbeit und der notwendigen Repräsentanz der Orthodoxie in einem überwiegend nichtorthodoxen Kontext sah er in einer solchen Theologie das einzige Mittel, das Spezifische der orthodoxen Tradition, die für ihn die alle Konfessionen vereinende Tradition darstellt, bei anderen Kirchen zur Geltung zu bringen. Keine dieser Zielbestimmungen orthodoxer Theologie hat Florovsky je aufgegeben. Vielmehr hat er sie je nach Lebenssituation unterschiedlich gewichtet. Ohne behaupten zu wollen, daß zwischen Lebenssituation und formulierten Einsichten eine notwendige Korrelation besteht, läßt sich die angegebene Grundthese des Denkens Florovskys mit folgenden Thesen, denen biographisch greifbare Umstände aus dem Leben Florovskys zugeordnet werden, zusammenfassend präzisieren: Die Universitätsausbildung in Philosophie sowie das Ereignis der russischen Revolution, das sich Florovsky als Auswirkung eben dieser vornehmlich westlichen Philosophie darstellte, machte eine Auseinandersetzung mit dieser Art der Wirklichkeitswahrnehmung notwendig. In Auseinandersetzung mit dem westlichen Rationalismus und seinen an der Geschichte Rußlands aufweisbaren Wirkungen bis hin zur Revolution gewann Florovsky in den frühen zwanziger Jahren die negative Einsicht: 311 Cf Florovskys eigene Einschätzung aus dem Jahre 1978 in der Personalakte Florovsky: NotedRussian Scholar in Princeton: "meine Studien, meine Schriften und meine Lehre sind immer dieselben geblieben - nur auf verschiedenem Hintergrund."
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1. Die Wurzeln der 'neuen orthodoxen Philosophie' liegen nicht in dem abstrakten, nur der menschlichen Vernunft verpflichteten Denken, das die Wirklichkeit gesetzlich systematisiert und damit vergewaltigt, weil es das menschliche Sein auf seine vernunftgemäßen Möglichkeiten reduziert und auf diese Weise in seinen freien Wechselwirkungen und schöpferischen Momenten nicht erfassen kann. Der Ablehnung westlicher Philosophie mußte die Suche nach anderen Quellen für eine neue Philosophie folgen. Der Wechsel von Negativaussagen hin zu positiven Thesen über die Methodik der neuen orthodoxen Philosophie begann bereits in Sofia, nahm jedoch in der Prager Zeit konkrete Züge an. Bei ihrer Ausarbeitung griff Florovsky insbesondere auf den amerikanischen Pragmatismus zurück: 2. Quelle ihres Denkens ist die kirchlich vermittelte Erfahrung, daß die Wirklichkeit eine ist, in der der Mensch frei und dazu bestimmt ist, die Grenzen seines Seins auf die die Kontingenz alles Seins begründende Schöpferkraft Gottes hin zu überwinden. Das Problem der Geschichte bedurfte nach der Ablehnung der deterministischen Philosophie eines neuen Ansatzes. Florovsky formulierte ihn beim Übergang von Prag nach Paris unter dem Eindruck der Lektüre der Werke Renouviers: 3. Aufgabe dieser Philosophie ist es, das das Sein notwendig bestimmende Handeln Gottes mit dem freien und persönlichen Handeln menschlicher Individuen so zusammenzudenken, daß die Geschichte als die Summe des geglückten oder mißlungenen Zusammenwirkens Gottes mit den in ihrem Handeln autonomen Menschen verständlich wird. Als theologischer Lehrer am Orthodoxen Theologischen Institut in Paris konnte Florovsky erstmals seinen bereits in Sofia postulierten Ansatz der ' neuen orthodoxen Philosophie' auch aus der konkreten Lebenssituation am theologischen Institut heraus formulieren und exemplarisch durchführen: 4. Insofern sich diese 'neue orthodoxe Philosophie' der kirchlichen Erfahrung der Orthodoxie verdankt, hat sie sich bei ihrer zeitgemäßen Formulierung der Übereinstimmung mit den die Erfahrung der Orthodoxie bestimmenden patristischen Aussagen zu vergewissern. Florovskys Vorträge auf dem orthodoxen Fakultätenkongreß in Athen 1936 und insbesondere sein theologiegeschichtliches Opus Magnum, die Puti Russkogo Bogoslovija, dienten der Identitätsklärung orthodoxer Theologie: 5. Indem die 'neue orthodoxe Philosophie' die Aussagen der Väter zeitgemäß zur Geltung bringt, kehrt sie zur genuinen Theologie der orthodoxen 93
Kirche zurück, die im Lauf der Geschichte durch ihr fremde Einflüsse überlagert worden war. Florovskys 1929 beginnendes ökumenisches Engagement, das spätestens seit 1948 einen Großteil seiner Arbeitskraft und Zeit beanspruchte, erforderte vor ihm selbst und angesichts der geringen orthodoxen Beteiligung an der ökumenischen Bewegung auch vor der Gesamtorthodoxie Rechtfertigung und Begründung: 6. Als Theologie der einen wahren Kirche ist die 'neue orthodoxe Philosophie' verpflichtet, anderen Kirchen die volle Wahrheit des Christentums, wie sie sich in der orthodoxen Kirche geschichtlich bis heute erhalten hat, zu bezeugen. Nicht erst als Bürger der USA war der Russe Florovsky jedem falschen Nationalismus gegenüber abgeneigt, sondern setzte sich für die alle Menschen verbindende Wahrheit der Orthodoxie ein: 7. Der Anspruch, die Wahrheit zu bezeugen, darf nicht dazu führen, durch das Beharren auf nationalen oder historisch gewachsenen Lokal traditionen die Einsicht für die ursprüngliche Einheit der Kirche zu verstellen. Diese sieben Thesen erläutern Florovskys sein Leben lang beibehaltene Grundüberzeugung, daß die orthodoxe Theologie nur dann ihre Identität wahrt, wenn sie sich ausschließlich aus den Quellen ihrer Herkunft speist. Sie bilden damit zugleich die Kriterien für Florovskys eigene Theologie, wobei an dieser Stelle noch nicht entschieden werden kann, ob sie diesen Kriterien standhält. Dies zu untersuchen ist erst auf der Grundlage ihrer Darstellung möglich.
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3. Kapitel: Offenbarung und Erfahrung als Grundlage religiöser Erkenntnis
Ziel dieses Kapitels ist es, den systematischen Ausgangspunkt für das theologische Werk Florovskys herauszuarbeiten, um von da aus Anhaltspunkte für das weitere Vorgehen in der Darlegung seiner theologischen Gedanken zu erarbeiten. Wenn dabei von 'religiöser Erkenntnis' geredet wird, so soll dieser Terminus einerseits weiter greifen als der der 'dogmatischen' bzw. 'systematisch-theologischen Erkenntnis', denn es geht Florovsky, wie noch zu zeigen sein wird, bei der Dogmatik immer um die begriffliche Darlegung des in der religiösen Erfahrung bereits Erkannten. Andererseits bezeichnet er nicht das allgemeine Phänomen 'Religion', sondern bezieht sich einzig auf die christliche Religion.1 Somit ist in diesem Kapitel zu fragen nach der Möglichkeit (3.1) und dem Gegenstand religiöser Erkenntnis (3.2) Ferner ist, wie dies in 1.2 bereits angedeutet wurde, die Möglichkeit ihrer vollständigen Darstellbarkeit (3.3) zu untersuchen. Bei allem Gesagten ist jedoch zu beachten, daß es sich hier nur um erste Überlegungen handeln kann, deren Explikation die folgenden Kapitel dienen sollen.
3.1 Die Möglichkeit religiöser Erkenntnis Für Florovsky gibt es religiöse Erkenntnis nur in der Kategorie von Offenbarung, die per definitionem die Heterogenität religiöser Erfahrung impliziert. Dabei spielt die Offenbarung durch die Natur in Florovskys Denken nahezu keine Rolle. Es findet sich nur die knappe Aussage, daß es sich dabei nicht eigentlich um "Offenbarung, sondern um Gottes Manifestation" in der Natur handelt, um 'vestigia dei naturalia', die nur zur vernunft-
1 Es wurde dieser und nicht der sachlich durchaus angebrachte Begriff der Glaubenserkenntnis gewählt, da Florovsky selbst ihn verwendet (cf z.B. Offenbarung 462,468). Zur Präzision sind die genannten Abgrenzungen allerdings notwendig.
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mäßig erschlossenen Existenz Gottes und zu einer Suche nach ihm anleiten, nicht aber ein Wissen um den persönlichen Gott ermöglichen.2 Offenbarung in ihrer eigentlichen und genauen Bedeutung ist allein die Offenbarung des Wortes Gottes an die Menschen.3 Da sie diese "in der Sprache der Menschen adäquat ausgedrückt" erreicht4, ist die Offenbarung kein dem Menschen fremdes, ihn überforderndes Geschehen. Vielmehr gehören nach Florovskys Überzeugung zur Offenbarung grundsätzlich zwei Seiten: der sich offenbarende Gott und der dieser Offenbarung zugleich ganz natürlich antwortende Mensch5. Das Ereignis der den Menschen immer schon beteiligenden Offenbarung Gottes nennt Florovsky in anthropologischer Hinsicht Glaube. Dieser beinhaltet als Offenbarungswiderfahrais zugleich die Möglichkeit religiöser Erkenntnis. "Der Glaube als reale Theophanie und reale Theosis ist seinem Wesen nach definierend und dogmatisch. Der Glaube ist Erfahrung, Gottesoffenbarung: und deshalb behauptet der Glaubende mit Freimut: 'Dies ist der wahre Glaube!'."6 Insofern sich der Glaube der Offenbarung verdankt und zugleich religiöse Erkenntnis impliziert, kann er nach Florovskys Überzeugung nicht stumm bleiben, sondern ist explizite Antwort des Menschen. Diese kommt neben der Anbetung darin zum Ausdruck, "daß die Wahrheit der göttlichen Offenbarung sich im menschlichen Denken zu einem ganzheitlichen 2 Holy Spirit 5. Die deutliche Distanzierung von der natürlichen Theologie entspricht zwar patristischen Auffassungen zu diesem Problem (cf Idea 54 und Athanasius 40), doch geht Florovsky auf diese Frage nur in diesem 1932 verfaßten Aufsatz sowie auch in High Calling (1931) mit sehr knappen Aussagen und deutlich ablehnend ein: "Die sogenannte 'natürliche Theologie' ist keine Theologie im wahren Sinn des Wortes [...] Nur durch Offenbarung wird wahre Theologie möglich." (Holy Spirit 7) Gerade darin unterscheide sich die Offenbarungstheologie von Religion. "Wir haben das Recht zu behaupten, daß die Offenbarung generell nicht Religion, sondern größer als Religion ist. Sie ist etwas anderes, etwas von Religion getrenntes." (ibid.5) Zwar erinnern diese leider nicht näher ausgeführten Gedanken an spätere Aussagen Karl Barths, doch ist trotz der Begegnung zwischen diesen beiden Theologen im Jahr 1931 eine Abhängigkeit Florovskys vom damaligen Bonner Kollegen nicht anzunehmen, da er dieser Argumentationslinie entsprechend bereits in dem 1926 verfaßten Aufsatz Utopizm darauf verwiesen hatte, daß eine natürliche Gotteserkenntnis mit der Gründung der Kirche überholt sei, da sich dort die Offenbarung zueigne (cf Utopizm 47). 3 Cf z.B. Holy Spirit 6 und Offenbarung 463 4 Offenbarung 464 5 Cf Offenbarung 463. Der Mensch antwortet nach Florovskys Auffassung insofern seiner Natur entsprechend, als ihm als Geschöpf die imago Dei und somit die Fähigkeit zum Hören und Antworten auf das Wort Gottes gegeben ist. Cf dazu Holy Spirit 6 und Interpretation 27 (dt 196). 6 Dva Zaveta 158. Cf auch Offenbarung 468.
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System religiöser Anschauungen, - man darf sagen - zu einem System religiöser Philosophie und zu einer Philosophie der Offenbarung entfalten muß."7 Die in einer Theologie formulierten Wahrheiten sind somit Wahrheiten der Glaubenserfahrung. Sie in vollem Maß - Florovsky verweist auf Eph.4,13 - zu verstehen, gelingt nur der Persönlichkeit, die ihr Denken durch den Glauben verwandeln läßt.8 Die Offenbarung Gottes zielt damit auf eine Umformung und Erneuerung der menschlichen Vernunft. Dies ist ein individuelles Geschehen. Insofern es sich jedoch der Offenbarung Gottes verdankt und damit heteronom ist, bleibt es jedem Subjektivismus entzogen.9 Zwar wird religiöse Erkenntnis je subjektiv formuliert, doch kann eine die Glaubenserfahrung reflektierende Theologie nach Florovskys Überzeugung sachgerecht nicht "ohne ein vorhergehendes [!] spirituelles Engagement"10 ausgeführt werden. Unter 'spirituellem Engagement' versteht er die Einbindung der individuellen Glaubenserkenntnis in die lebendige Tradition der Kirche. "Offenbarung ist der Kirche und nicht Individuen geschenkt worden [...] und nur in der Kirche ist sie uns zugänglich."11 Für Florovsky ist religiöse Erkenntnis demnach immer an die Erfahrung der Kirche gebunden, wie umgekehrt eine vom Glaubensleben der Kirche getrennte Theologie in der Gefahr steht, sich in wirklichkeitsfremden Abstraktionen zu verlieren.12 Entfernt sie sich von der den Christen gemeinsamen spirituellen Erfahrung, wie sie schriftlich fixiert für Florovsky vornehmlich in der Theologie der Kirchenväter zum Ausdruck gekommen ist, so steht sie aufgrund ihrer veränderten spirituellen Erfahrung auf dem Sprung zum Schisma.13 Die Möglichkeit religiöser Erkenntnis aus der Erfahrung des Glaubens ist bei Florovsky demnach weder in Analogie zur pietistischen persönlichen Glaubenserfahrung, noch in Analogie zum Erfahrungsbegriff Schleiermachers und auch nicht in Analogie zur Erfahrungstheologie der Erlanger Schule zu verstehen.14 Erfahrung bezieht sich in seinem Denken vielmehr 7 Offenbarung 468 8 Cf ibid.467 9 Cf ibid. 10 Ethos 17. Dieser Ansatz ist insofern sachgerecht, als die Kirche selbst Teil des Offenbarungs- und Erlösungsgeschehens ist. Cf dazu u.3.2. 11 Holy Spirit 8f. Zur erkenntnistheoretisch bedeutsamen Differenz zwischen der kirchlichen Glaubenserfahrung und ihrem Ausdruck cf u.3.3. 12 So Florovskys durchgängige Kritik an vielen Richtungen der russischen Theologiegeschichte in seinen Puti. Cf dazu auch K.Chr.Felmy: Die orthodoxe Theologie 73f. 13 Cf Terminology 123. In der Loslösung von der gemeinsamen spirituellen Erfahrung sieht Florovsky eine Hauptursache für die Kirchentrennungen. Cf dazu u. 10.3.3. 14 Cf dazu J.Track: Art. Erfahrung 120-123
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grundsätzlich auf die durch Gottesdienst, Askese, Gebet usw., d.h. auf die durch und in der Kirche gemachten Erfahrungen und wird von ihm deshalb wie schon bei P.Florenskij synonym mit dem Begriff 'Kirchlichkeit' gebraucht.15 Damit zugleich aber ist ein Leben in der spirituellen Erfahrung der Kirche "existentielle Voraussetzung allen Lehrens und Predigens".16 "Durch asketische Übung und Konzentration muß der Theologe lernen, seine Ausrichtung immer in der Kirche zu finden: Cor nostrum sit semper in Ecclesia Mit dieser Verhältnisbestimmung hat Florovsky den theologischen Grundsatz 'lex orandi statuat legem credendi' aufgenommen und ihn zugleich eng an kirchliches Leben gebunden. Denn die lex orandi, die in der Liturgie des Gottesdienstes erklingt, ist die erste Tradition der Kirche und geht der begrifflich definierenden Theologie voraus. Dennoch aber sind lex orandi und lex credendi reziprok aufeinander bezogen, insofern sich nämlich in der lex orandi bereits die lex credendi ausdrückt, und umgekehrt die "Frömmigkeit immer durch das Dogma geleitet und überprüft werden muß."18 Möglich und wirklich geworden sind beide erst durch die Offenbarung des Wortes Gottes. Insofern sind sie beide auf die Offenbarung in Christus ausgerichtet.19 Da diese jedoch nur im Glauben, und das heißt für Florovsky, in und durch die Kirche zugänglich ist, verwirklicht sich die Fülle religiöser Erkenntnis nur in der Kirche selbst. Nun kann man vermuten, Florovsky sehe die Möglichkeit religiöser Erkenntnis sowohl in Christus wie auch in der Kirche begründet. Dies ist zweifellos richtig, doch wäre es falsch, dies als Gegensatz zu interpretieren. oder von zwei verschiedenen Quellen des Glaubens zu reden. Denn die Quelle jedes theologischen Redens, die Offenbarung in Christus, wird nur 15 Cf Puti z.B. 222 (engl.I 257f [gegen M.Bulgakov]); 492 (engl.II 275 [gegen N.Berdjaev]); 494 (engl.II 277 [gegen P.Florenskij]). Weitere Belege bei K.Chr.Felmy: Die orthodoxe Theologie 73f. Dort auch Hinweise darauf, daß Florovskys Ansatz keineswegs singulär ist, sondern auf Kritiken der historischen Schule zurückgreift und auch in der gegenwärtigen orthodoxen Theologie aufgenommen wird. 16 His Church 162 = CW XIV, 11. Aus diesem Grund spricht Florovsky auch wiederholt von der existentiellen Dimension patristischer Theologie. Cf z.B. Palamas 113 und Lost 16 und u.Kap.6. 17 Puti 507 (engl.II.295) 18 Mother 173. Cf auch Elements 53 = CW ΧΠΙ.86, wo Florovsky aus dem aufgezeigten Zusammenhang folgert: "Es ist eine einleuchtende Hypothese, daß das Wort 'Orthodoxie' im östlichen Gebrauch nicht zuerst 'richtige Meinung' (wie es gemeinhin im Westen verstanden wird), sondern vielmehr 'richtige Verehrung' (right glory), d.h. exakt richtiger Gottesdienst bedeutet." Cf auch Function 84. 19 Cf Ethos 24
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in der Kirche erfahren.20 Für Florovsky ist sie deshalb nicht nur "Fortsetzung", sondern Bestandteil der Offenbarung Christi.21 Ziel eines sich der Erfahrung der Kirche verdankenden und diese ausdrückenden Denkens kann es somit nicht sein, "die Dogmatik mit Hilfe der gegenwärtigen Philosophie zu überprüfen".22 Eine solche Methode würde durch die Einführung der Kirche fremder Kategorien ihre spirituelle Erfahrung nur verfälscht ausdrücken können. Vielmehr ist "die Philosophie aus der Erfahrung des Glaubens selbst aufzubauen, sodass die Erfahrung des Glaubens zum Quell und Massstab [sie.] der philosophischen Betrachtung wird."23 Kriterium rechter Theologie ist ihre Kirchlichkeit. Auf dem Hintergrund dieser Einsichten fragt Florovsky, "ob eine systematische Darlegung des christlichen Glaubens nicht gerade mit einem, zumindest einem vorläufigen Abschnitt über die Kirche beginnen sollte, denn in der Kirche wurde der Schatz des Glaubens durch all die Jahre ihrer historischen Existenz bewahrt, und um der Autorität der Kirche willen wurden und werden alle christlichen Lehren und Glaubensüberzeugungen von einer Generation zur nächsten weitergegeben."24
3.2 Der Gegenstand religiöser Erkenntnis Ist die Möglichkeit religiöser Erkenntnis allein in der Offenbarung in Jesus Christus begründet, wie sie an die Kirche ergangen ist und nur in ihr erfahrbar wird, so ist der Gegenstand religiöser Erkenntnis nicht durch philosophisches Spekulieren zu eruieren, sondern als Ausdruck der Erfahrung des spirituellen Lebens in der Kirche zu bedenken. Da nach Florövskys Meinung die "orthodoxe Spiritualität wesentlich und grundsätzlich (essentially and basically) christozentrisch und christologisch" ist25, hat sich die Theologie auf die Erfahrung Christi zu konzentrieren und diese auszulegen. Die intensivste Erfahrung Christi ereignet sich in der sakramentalen Komm20 Cf Corps 48f: "Das Faktum der Offenbarung selbst impliziert zwei Beteiligte: den Sprechenden und den Hörenden. Es gibt überhaupt keine Offenbarung, wenn der zweite fehlt. Die Offenbarung ist immer irgendwie ein Dialog [...] Die äußerste Offenbarung in Christus wird durch die Kirche ergriffen. Doch ist die Kirche selbst keine [Offenbarungs-] Quelle. Aber in der Kirche ist die göttliche Quelle verwirklicht worden." Ähnlich auch Interpretation 21 (dt 188f). 21 Cf dazu Corps 20f und u.5.2. 22 Westl.Einflüsse 228 23 Ibid. 24 His Church 161f = CW XIV,10 25 Ethos 23
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union, denn die Sakramente sind wegen ihrer Ausrichtung auf Christus hin 'soziale' Sakramente, d.h. Sakramente der Inkorporation.26 Durch die communio in sacris wird die communio sanctorum, die Kirche, als der eine Leib Christi konstituiert.27 Damit aber ist die Erfahrung Christi immer auch Inkorporationserfahrung, d.h. von der Kirchlichkeit nicht zu trennen. Insofern die Kirchlichkeit Ausdruck der Erfahrung des lebendigen Christus, und die Kirche als sakramentaler 'Leib Christi' die Fülle seiner Gegenwart28 repräsentiert, ist sie ebenfalls Gegenstand religiöser Erkenntnis, ja "der entscheidendste Aspekt eines [...] neuen spirituellen Realismus".29 Konsequenz dieser Behauptung einer notwendigen Komplementarität von Christus und seiner Kirche ist die methodische Forderung: "Die Theologie von der Kirche ist ein, wenngleich fundamentales Kapitel der Christologie. Ohne dieses Kapitel würde die Christologie selbst unvollständig sein."30 Für die Frage nach dem Gegenstand religiöser Erkenntnis ergibt sich damit: Zentrum religiöser Erkenntnis ist das Heilsereignis in Jesus Christus, wie es die Kirche bezeugt und in ihr gegenwärtig ist, indem sie durch die Sakramente als Inkorporation in den Leib Christi selbst Teil des Heilsereignisses ist. Damit aber ist es bei einer Darstellung der Theologie Florovskys notwendig, die Christologie als Grund- und Ausgangspunkt jeder religiösen Erkenntnis auszulegen31 und ihr die Ekklesiologie beizuordnen. Die Ekklesiologie ist somit nach Florovskys Überzeugung nicht pneumatologisch, sondern von der Christologie her zu entwickeln. Dieser Alterna26 Cf Social Problem 131 27 In Communion 20 = CW ΧΠΙ.83 vermutet Florovsky, daß der Genetiv Plural ursprünglich auch ein auf die Sakramente bezogenes Neutrum gewesen sein könnte. Die Frage der Konstitution der Kirche als Leib Christi wird in Kap. 5.2, die der Aneignung des Heils durch die sakramentale Kommunion in 10.2 erörtert. Es geht hier vorerst nur um das Aufzeigen der Grobstruktur. 28 Sein Hauptaufsatz zur Ekklesiologie trägt nicht zufällig den Titel "Le Corps du Christ vivant". 29 Lost 15 30 Corps 12. Cf auch Lost 16: '"In einer Zeit wie dieser' muß man den 'ganzen Christus' predigen, Christus und die Kirche - totus Christus, caput et corpus." (Terminus nach Augustin; cf z.B.: Ders.: In Evang.Ioannis tract. XXI,8 PL, XXXV 1568). In eine etwas andere Richtung zielend, aber sachlich ähnlich und ebenso pointiert schreibt er in Obedience 64f: "Höhepunkt und eigentliches Ziel des Credo ist in gewissem Sinne die Kirche." Cf zur Verhältnisbestimmung von Ekklesiologie und Christologie u.5.2. 31 Cf Ethos 24: "Eine Synthese muß mit der zentralen Erscheinung des christlichen Glaubens beginnen: Christus Jesus, als Gott und Erlöser".
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tive widmete Florovsky 1954 einen längeren Aufsatz mit dem bezeichnenden Titel 'Christ and His Church'. Darin kommt er zu dem Ergebnis, daß der christologisch verankerten Ekklesiologie vor einer mit der Pneumatologie begründeten der Vorrang zu geben sei, da bereits bei Paulus das Sein im Geist immer zugleich verstanden sei als Sein und Inkorporation in Christus, "der die letzte Realität christlicher Existenz ist"32. Mit dieser Grundentscheidung bleibt Florovsky seinem christozentrischen Ansatz bei der Offenbarung in Jesus Christus treu, ohne damit allerdings seine Forderung nach der Verwurzelung der Theologie in der Erfahrung der Kirche aufzugeben. Doch ist diese kirchliche Erfahrung für Florovsky primär Erfahrung des gegenwärtigen Christus. Dahinter tritt die Offenbarungswirksamkeit des Hl.Geistes in Florovskys Theologie nahezu vollständig in den Hintergrund.33 Durch den von Florovsky behaupteten Zusammenhang von Christologie und Ekklesiologie bestimmt sich der Gegenstand religiöser Erkenntnis zugleich als unlöslicher Zusammenhang von Gott und Mensch, als Einheit von Gottes- und Welterkenntnis. Die Theologie, die der Offenbarung antwortet und sie begrifflich faßt, ist für Florovsky deshalb immer auch eine Philosophie, die alle Bereiche menschlichen Lebens umfaßt und im Licht der Christusoffenbarung bedenkt. Denn erst der Glaubende vermag die Welt recht, d.h. als Schöpfung Gottes zu erkennen. "Dogmatische Theologie, als Darlegung der gottgeoffenbarten Wahrheit in der Sphäre des Denkens ist eben die Grundlegung einer christlichen Philosophie, einer heiligen Philosophie, einer Philosophie des Heiligen Geistes".34 Allerdings kann sich eine solche Philosophie nicht in der Abstraktheit des Denkens verlieren, wenn sie mit den Kirchenvätern ihre Aussagen streng soteriologisch faßt und so dem Sinn und Ziel der Offenbarung Gottes entspricht. Denn "Christus kam, um das Problem des menschlichen Schicksals zu lösen."35 Nach Florovskys Überzeugung gehört deshalb zur Christo32 His Church 165 = CW XIV, 12 33 M.E. ist es unmöglich, eine von der Christologie gesonderte Pneumatologie Florovskys darzulegen, weil er nirgends einen spezifischen Unterschied zwischen der Wirksamkeit Christi in und durch die Kirche und der Wirksamkeit des Hl.Geistes macht. Dem Hl. Geist werden in der Theologie Florovskys keine Werke appropriiert. Es ist sogar zu beobachten, daß die wenigen Aussagen, in denen Florovsky in seinen frühen theologischen Aufsätzen pneumatologisch argumentiert, später fast durchweg durch christologische Aussagen ersetzt werden. Auf diese Verlagerungen, die für die Theologie Florovskys schon von ihrer Anzahl her keineswegs entscheidend sind, wird an gegebener Stelle aufmerksam gemacht. Ein eigenständiges Kapitel zur Pneumatologie Florovskys ist jedoch nicht möglich. 34 Offenbarung 475. Cf auch Legacy 69.
35 Ethos 25
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logie die Rede von der neuen Schöpfung des Menschen, die sich in der Kirche verwirklicht, hinzu, ja es "wird die ganze Tiefe der Christologie nur in der Lehre vom Ganzen Christus - totus Christus, caput et corpus erschlossen."36 Diese soteriologische Zielrichtung theologischen Nachdenkens und der Ansatz bei der spirituellen Erfahrung der Kirche verhindert fruchtlose scholastische Spekulationen im Bereich der Theologie. In Hinsicht auf den Ansatz der Darstellung der Theologie Florovskys ergibt sich aus diesem grundlegenden Gedankengang: Nach der Darstellung der Christologie Florovskys (4. Kapitel) ist auch seine Ekklesiologie darzulegen (5. Kapitel). Und beide Lehren sind, da sie einzig die Offenbarung in Jesus Christus begrifflich auslegen wollen, als Grundlage seiner Theologie (Titel des II. Hauptteils) zu begreifen. Aus dieser Grundlegung ergibt sich zugleich der grundsätzliche Charakter der ganzen Theologie Florovskys: sie ist eine Theologie der Heilsgeschichte. Da religiöse Erkenntnis für Florovsky nicht Ausdruck und Ergebnis spekulativen Denkens und somit ein Ideengebäude ist, sondern durch die Offenbarung in Jesus Christus ermöglicht wurde und diese zum Inhalt hat, verdankt sie sich einer Tat Gottes in der Geschichte. "Die Kirche erkennt und bekräftigt dogmatische Ereignisse als Tatsachen der Geschichte [...] In der Kirche Theologie zu betreiben, bedeutet im Element der Geschichte theologisch zu arbeiten. Denn Kirchlichkeit ist Tradition [...] Nur in einer geschichtlichen Perspektive ist die theologische Bemühung selbst gerechtfertigt."37
Da Gott sich in der Geschichte offenbart und vom Menschen eine Antwort auf diese Offenbarung erwartet, ist Geschichte für Florovsky Bundesgeschichte, Geschichte des Bundes zwischen Gott und den Menschen, die mit den Vätern des Alten Testaments begann, in Jesus Christus ihren Höhepunkt und ihr Zentrum fand und in der Kirche bis heute andauert.38 Im Gottesdienst wird diese Geschichte nicht nur erinnert, sondern repräsentiert, denn die Offenbarung Christi lebt in der Kirche und erfüllt sie mit seiner Gegenwart. Damit aber hat der Gottesdienst einen auf das historische Faktum der Offenbarung Gottes in Jesus Christus bezogenen geschichtlichen Charakter.39 Wenn sich die Theologie dieser kirchlichen Glaubenserfahrung verdankt, dann kann sie die menschliche Geschichte nur in der Perspektive dieses Heilsereignisses verstehen. Der dritte Hauptteil dieser Untersuchung trägt deshalb die Überschrift: 'Theologie als Heilsgeschichte im Zeichen der Christusoffenbarung'. Seine Gliederung ergibt sich jedoch erst aus der Christologie, die für Florovsky die Grundlegung der heilsgeschichtlichen Theologie bildet.40 36 Ibid. 38 Cf Holy Spirit 7f
102
37 Puti 508 (engl.II 296) 39 Cf Worship 268 = CW XIII,97
3.3 Die Unabgeschlossenheit
religiöser
Erkenntnis
Eine weitere Konsequenz, die Florovsky aus der Geschichtlichkeit der Theologie zieht, betrifft die bereits im ersten Kapitel angesprochene Frage nach der Möglichkeit einer vollständigen Systematisierbarkeit der Theologie.41 Religiöse Erkenntnis verdankt sich der Offenbarung in Jesus Christus und wird auf der Grundlage der in der Kirche gemachten Erfahrungen des Glaubens und als deren Ausdruck von der Kirche selbst in der Sphäre des Denkens als dogmatische Theologie entfaltet. Doch besteht zwischen der Glaubenserfahrung und ihrem begrifflichen Ausdruck eine Differenz. Dies gilt in zweifacher Hinsicht: einerseits für die Kirche als ganze und andererseits für jeden einzelnen Glaubenden. Das in Dogmen formulierte Wissen der Kirche kann und will nach Florovskys Überzeugung angesichts des Fortgangs der Geschichte nicht vollkommen sein. "Die Heilige Geschichte der Erlösung geht noch immer weiter. Jetzt ist es die Geschichte der Kirche, die der Leib Christi ist [...] Da die Kirche aber immer noch auf ihrer Pilgerfahrt ist, ist auch noch kein vollständiges System des christlichen Glaubens möglich."42 Sie kann deshalb z.B. noch keine defintiven, dogmatischen Aussagen über das noch ausstehende Gericht Gottes machen. Doch unternimmt sie auch keine Versuche, die verschiedenen Glaubenserfahrungen ihrer Glieder in den engen und notwendig schematischen Bahnen eines dogmatischen Begriffs zu definieren, sondern beschränkt sich in ihren dogmatischen Formeln auf die Zurückweisung von Versuchen, die Fülle der in ihr lebendigen Glaubenserfahrung einzugrenzen.43 Um diese Differenz zwischen fomulierter Dogmenwahrheit und der Wahrheit der kirchlichen Glaubenserfahrungen zu verdeutlichen, verweist Florovsky auf ein Gleichnis von B.M.Melioranksij: "Die Kirche gibt ihren Gliedern keinen gezeichneten Plan der Stadt Gottes, aber den Schlüssel zu ihr. Und wer in sie eingeht, ohne einen Plan zu haben, wird vielleicht auch vom Wege abkommen; doch alles, was er sehen wird, wird er wahrhaftig und wirklich schauen. Wer aber die Stadt nach dem Plane studieren wird und den Schlüssel zur wirklichen Stadt nicht hat, wird auch nie dahin gelangen."44
40 Die Struktur des III. Hauptteils wird deshalb in der Zusammenfassung des 4. Kapitels, 4.6, entwickelt und begründet. 41 Cf 0.1.2 42 Interpretation 36 43 Cf Vaters Haus 37 (Dom 81 (engl.75)) 44 Zitiert nach Florovskys recht freier Übersetzung aus B.M.Melioranksijs Iz Lekcij 931 in Offenbarung 476.
103
Die Unabgeschlossenheit dogmatischer Aussagen beeinträchtigt demnach nicht die Fülle und Validität der kirchlichen Glaubenserfahrungen. Vielmehr entspricht die Kirche damit nach Florovskys Ansicht der apostolischen Überzeugung (IKor 13,12: Jetzt erkenne ich stückweise...), daß die Fülle der mit der Offenbarung gegebenen Inhalte erst am Ende der Geschichte umfassend zugänglich ist. Allerdings gilt es hier sorgsam zu unterscheiden zwischen der Vollkommenheit der in Jesus Christus erstellten und in der Kirche fortgesetzten Erlösung, die keines Zusatzes mehr bedarf noch fähig ist, und dem angesichts des Fortgangs der Geschichte dogmatisch unvollkommenen begrifflichen Ausdruck für die Erfahrung der Teilhabe an dieser Geschichte der Erlösung. Die Unvollkommenheit der dogmatischen Formeln und Bekenntnisse der Kirche besagt jedoch auf der Grundlage des in 3.1 zum Offenbarungsverständnis Florovskys Ausgeführten nicht, daß ihr nicht die Fülle allen Wissens und der Erkenntnis gegeben sei. "Erfahrung und Wissen der Kirche sind umfassender und gefüllter als ihr dogmatisches Wort."45 Aus diesem Grund haben kirchliche Dogmen nur ein bedingtes Recht. Sie drücken bereits gemachte Glaubenserfahrungen nur teilweise aus, können sie gegebenenfalls auch kritisieren und als häretisch verurteilen, doch bleiben sie immer hinter der umfassenden Glaubenserfahrung der ganzen Kirche zurück und ermöglichen damit zugleich, daß Glaubende ihre eigenen Glaubenserfahrungen ausdrücken.46 Nach Florovskys Überzeugung kann sich eine eigene Theologie ausschließlich als Ausdruck der persönlich gemachten, in jedem Falle aber kirchlichen Glaubenserfahrung entwickeln. Die gemachte Glaubenserfahrung ist demnach Ermöglichungsgrund jeder Theologie und zugleich deren Grenze. "Rechtgläubige und rechtmäßige 'theologische Meinungen' und Urteile sollen [deshalb] nicht aufSchlußfolgerungen, sondern auf direktem Schauen, auf Betrachtung basieren"*1 Die Ausarbeitung einer Theologie hängt demnach vom "Geistlich-Werden der gläubigen Persönlichkeit"48 ab und ist ein geschichtlicher Prozeß, der, insofern er lebendig fortschreitet, nicht abgeschlossen sein kann. Für Florovsky ist vielmehr umgekehrt "das Streben nach einer logischen Ausschöpfung des Glaubens, nach einem quasi Ersatz der lebendigen Gottesgemeinschaft durch eine lehrhaft religiös-philosophische Spekulation über das Leben charakteristisch" für ein Glaubensbewußtsein, das sich von der lebendigen Erfahrung kirchlicher
45 46 47 48
104
Offenbarung 475 Cf Vaters Haus 36f (Dom 80f (engl.74f)) Vaters Haus 38 (Dom 82 (engl.75f)) Ibid.
Überlieferung getrennt hat und damit in der Gefahr steht, zu irren.49 Eine nur an der Glaubenserfahrung ausgerichtete Theologie kann demnach nicht mehr ausdrücken, als sie erfahren hat. Dieses 'mehr' kann sich aber über die Grenzen der in den Dogmen formulierten Wahrheiten hinaus erstrecken soweit es damit innerhalb der kirchlichen Glaubenserfahrung bleibt, deren Fülle unaussprechlich ist.50 Diese Aussagen Florovskys führen zu einem paradoxen Ergebnis: Einerseits ist die kirchliche Glaubenserfahrung Kriterium rechter Theologie und begründet ihre prinzipielle Unabgeschlossenheit. Andererseits aber scheint sich dieses Kriterium, da nicht definiert ist, was kirchliche Glaubensüberlieferung ist, jeder praktischen Anwendung zu entziehen. Wie aber ist dann eine kirchliche Theologie möglich? Diese Frage ließe sich sachgerecht erst auf dem Hintergrund der Aussagen Florovskys zur Ekklesiologie beantworten, da dort geklärt wird, was der Begriff 'kirchlich' bedeutet. Setzt aber die Darstellung der Ekklesiologie nicht Aussagen über die Kriterien einer Theologie voraus? Auf diese Frage ist abschließend einzugehen.
3.4 Der systematische Ausgangspunkt der Theologie Ziel dieses Kapitels war es, den systematischen Ausgangspunkt für das theologische Denken Florovskys zu erarbeiten, um so Anhaltspunkte für das weitere Vorgehen in Hinsicht auf die Darlegung seiner Gedanken zu gewinnen. Anders ausgedrückt, es wurde nach dem gefragt, was man in der dogmatischen Theologie klassisch unter den 'Prolegomena' versteht. Dabei fällt auf, daß Florovsky sich dieser Frage letztlich verweigert, d.h. keine Aussagen über die im Westen klassischen Fragen nach der Sagbarkeit und Denkbarkeit Gottes, nach dem Wesen der Offenbarung oder nach der Empfänglichkeit des Menschen für religiöse Erkenntnis o.ä. macht. Vielmehr setzt er unmittelbar mit dogmatischer Theologie ein und zieht daraus Konsequenzen in Bezug auf die Darstellbarkeit religiöser Erfahrung. Dieses Vorgehen darf nicht vorschnell als einer heutigen dogmatischen Theologie unangemessen zurückgewiesen werden, auch wenn es die genannten Fragestellungen westlicher Theologie weder ausdrücklich beantwortet noch überhaupt thematisiert. Der Grund für den Verzicht Florovskys auf die Auseinandersetzung mit diesen Grundsatzproblemen liegt jedoch m.E. 49 Ibid.37 50 Cf Vaters Haus 39 (Dom 82 (engl.76)). Für Florovsky zeugt auch noch die Gegensätzlichkeit einzelner Theologien "nur von der Unaussprechlichkeit, von dem logisch unfaßbaren Maß der Geheimnisse des Glaubens" (ibid.).
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nicht in der Scheu vor diesen Fragen bzw. Antworten. Vielmehr ergibt sich dieses Vorgehen aus dem skizzierten Ansatz seiner Theologie bei der kirchlichen Erfahrung: Diese Erfahrung ist konkret und redet von Gott, Offenbarung, Kirche etc. als von Realitäten, deren Erfahrung an sich einerseits Grund und Anlaß genug ist, über sie nachzudenken, und andererseits die systematisch spekulative Bezweiflung oder auch Bestreitung ihrer Wirklichkeit nicht in sich enthält. Auf der Grundlage dieses Ansatzes erscheint es deshalb weder notwendig noch möglich, nach der Bedingung der Möglichkeit der Rede von Gott, Offenbarung, Kirche etc. zu fragen.51 Dieser für orthodoxe und patristische Theologie typische Zug mag angesichts der Fragen, die spätestens mit der Aufklärung an die Theologie gestellt sind, befremden. Obwohl Florovsky diese die theologischen Aussagen grundsätzlich problematisierenden philosophischen Fragestellungen gut gekannt hat - immerhin hat er sich in seinen frühen stärker philosophisch ausgerichteten Aufsätzen detailliert mit dieser Philosophie auseinandergesetzt - , muß man aus dem Fehlen von Aussagen zu diesen Fragen schließen, daß Florovsky gerade in seinem Ansatz das erfüllt sieht, was er von orthodoxer Theologie allgemein verlangt: "Die Orthodoxe Theologie ist dazu berufen, die Fragen der Heterodoxen aus der Tiefe ihrer katholischen und ungebrochenen Erfahrung zu beantworten und der westlichen Heterodoxie weniger eine Widerlegung als ein Zeugnis, ja die Wahrheit der Orthodoxie entgegenzusetzen."52 Es soll an dieser Stelle nicht entschieden werden, ob es Florovsky damit tatsächlich gelingt, die Fragen des Westens zu überwinden. Vielmehr will dieser Hinweis den z.T. thetischen Charakter der Ausführungen dieses Kapitels, das nur erste und später noch eingehender zu behandelnde Problemstellungen aufzeigte, begründen und auf den grundsätzlich assertorischen Charakter der Theologie Florovskys aufmerksam machen. Auf die klassisch ebenfalls in den Prolegomena einer Dogmatik abgehandelten Fragen nach den Quellen der Dogmatik, nach dem Verhältnis von Schrift und Tradition etc. gehe ich deshalb nicht losgelöst von der Ekklesiologie ein, sondern, hierin Florovsky folgend53, erst bei der Darstellung seiner Aussagen zur Identität der Botschaft der Kirche (5.4).
51 Cf Lost 16: "Ich [sc. Florovsky] möchte die Behauptung wagen, daß der Hl. Athanasius und der Hl. Augustin mehr auf der Höhe der Zeit sind als viele unserer theologischen Zeitgenossen. Der Grund dafür ist sehr einfach: Sie behandelten Tatsachen und keine Pläne, sie beschäftigten sich nicht so sehr damit, was der Mensch glauben kann, sondern damit, was Gott für den Menschen getan hat." 52 Puti 513 (engl.n 301). 53 Zwar hat Florovsky sich häufig auch ohne ekklesiologischen Bezug zu den Fragen von Schrift und Traditon etc. geäußert, doch stellt er diesen Problemkomplex in seinem
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Zugleich entspricht es diesem prolegomenalosen Denken Florovskys, wenn seine programmatischen Aussagen zu den Kriterien einer zeitgemäßen orthodoxen Theologie erst im Anschluß an deren Grundlegung durch die Christologie (Kap. 4) und die Ekklesiologie (Kap. 5) dargestellt werden. Die Aussagen Florovskys zur 'neopatristischen Synthese als Programm orthodoxer Theologie' (Kap. 6) sind damit als methodische Konsequenz seiner theologischen Grundlegung zu verstehen, obgleich sie sachlich die hermeneutische Voraussetzung derselben sind.
ekklesiologischen Hauptaufsatz Corps, dessen Aufbau auch die Grobstruktur des 5.Kapitels folgt, erst im Anschluß an seine ekklesiologischen Hauptthesen dar.
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II. HAUPTTEIL
Die Offenbarung in Christus als Grundlage der Theologie
4. Kapitel: Die Offenbarung in Christus
Aus dem Studium der christologischen Streitigkeiten der Alten Kirche lassen sich nach Florovskys Auffassung grundsätzlich zwei Richtungen herauskristallisieren, die beide kein sachgerechter Ausdruck der Erfahrung der Wirksamkeit Christi in der Kirche sind, da sie den Bekenntnissen der Kirche widersprechen. Sachgerecht ist nach Florovsky Überzeugung nur die Christologie, die das Ereignis der Offenbarung Gottes in Christus so reflektiert, wie dies in der Glaubenserfahrung der Kirche seinen Niederschlag gefunden hat: im Bekenntnis und dabei insbesondere im Bekenntnis von Chalcedon. Diese These ist zu explizieren. Bei den zwei Ausprägungen der Christologie, die es zu vermeiden gilt, handelt es sich um Erlösungslehren, die eng mit zwei verschiedenen anthropologischen Konzepten verwoben sind. Beide Typen haben zwar altkirchliche Wurzeln, lassen sich nach Florovskys Ansicht aber auch in der heutigen Theologie ausmachen: ein neuer Nestorianismus, der auf einem 'anthropologischen Maximalismus' basiert, und ein neuer Monophysitismus, der eng mit einem 'anthropologischen Minimalismus' verknüpft ist.1 Beide Konzepte haben ein dezidiertes, aber gänzlich verschiedenes soteriologisches Interesse. So wollte Apollinaris, der für Florovsky die Richtung des anthropologischen Minimalismus repräsentiert, das göttliche Wirken in der Erlösungstat Christi betonen, wenn "Christus für ihn der mit den Äußerlichkeiten der menschlichen Natur bekleidete Logos war." 2 Die 1 Cf zur Terminologie Problematika 6, Terminology 122 und Lost 14f. 2 Terminology 122. Als Vertreter eines 'anthropologischen Minimalismus', der als "pessimistische Anthropologie einer 'maximalistischen Christologie' bedarf' (J.Romanides: Unofficial Consultation 34), sieht Florovsky auch Augustin (ibid.), den er ansonsten als Kirchenvater außerordentlich schätzt. Die angedeuteten Extreme sind für Florovsky demnach nicht notwendigerweise Häresien. In ihnen kommt vielmehr, so muß man diese Haltung Florovskys verstehen, eine Fehlinterpretation des Chalcedonense zum Ausdruck, die ihren Grund in einem unterschiedlichen Verständnis über die Beteiligung des Menschen am Heilswerk hat.
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Eigenbedeutung und der Anteil der Menschen an ihrer Erlösung ist damit minimalistisch verstanden. Umgekehrt wollten Nestorius und in der Folge auch Pelagius die Bedeutung der menschlichen Natur trotz ihrer Sündhaftigkeit wahren, wenn sie Christus als menschlichen Erlöser für die Menschen verstehen, die unter der Macht der Sünde nicht gänzlich verloren sind (anthropologischer Maximalismus).3 Für Florovsky lassen sich diese beiden Verirrungen der Christologie bei einer rechten Verhältnisbestimmung von Inkarnation und Erlösungstat Christi, wie sie z.B. Maximus Confessor vorgenommen hat, und wie sie im nächsten Abschnitt dargelegt werden soll, vermeiden. Eine solche Verhältnisbestimmung ist j edoch nur dann möglich, wenn man die in beiden Typen zu Recht intendierte Ausrichtung auf ihre soteriologischen Implikationen, und d.h. letztlich auf ihren existentiellen Charakter, ernst nimmt und produktiv verarbeitet. Existentielle Voraussetzung einer rechten Theologie und damit auch der Christologie aber ist die Glaubenserfahrung im Raum der Kirche. Diese wiederum drückt sich u.a. im Bekenntnis aus. Und so kommt Florovsky zu dem für seine gesamte Theologie höchst bedeutsamen Satz: "Man kann das Ganze der orthodoxen Glaubensüberlieferung (belief) aus dem Dogma von Chalcedon entfalten."4 Die Bedeutung dieser Aussage für Florovskys ganze Theologie kann kaum überschätzt werden und soll deshalb, bevor wir seinen Gedankengang weiter verfolgen, etwas näher untersucht werden. Es mag befremden, daß hier ein einziges Bekenntnis zum Ausgangspunkt der Theologie erhoben wird. Bei einem orthodoxen Theologen hätte man eher den Hinweis auf die sieben ökumenischen Konzile oder auf die gesamte Vätertradition erwartet, nicht aber diese Beschränkung auf eine Entscheidung. Doch würde man Florovsky mißverstehen, wollte man seine Aussage in diesem engen Sinne exklusiv auslegen. Vielmehr umschließt dieses Bekenntnis von Chalcedon "die ganze Erfahrung und den ganzen Glauben der frühen Kirche"5 und soll, wie jede theologische Aussage der Tradition, nicht als bloßer Buchstabe gelesen werden, sondern muß im Kontext der spirituellen Erfahrung der Kirche verstanden werden. Damit aber umgreift es implizit die übrigen ökumenischen Konzilsentscheidungen ebenso wie die diese Lehren aussa3 Cf ibid. Florovskys Sicht der Theologie des Nestorius läßt sich nach den bahnbrechenden Untersuchungen A. Grillmeiers so nicht mehr aufrecht erhalten. Cf A. Grillmeier: Jesus der Christus Bd 1 652ff. 4 Lost 24. Cf auch Ιάέβ 4: "Und weil Christus der zentrale Gegenstand der dogmatischen Erfahrung ist, kann man sagen, daß die christliche Philosophie nichts anderes als eine spekulative Interpretation des christologischen Dogmas ist, des Dogmas von Chalcedon." Ähnliche auf die Zentralität des Dogmas von Chalcedon konzentrierte Aussagen auch in Offenbarung 475 und Ethos 28. 5 Lamb 15
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gende Tradition der Kirche. Die scheinbare Begrenzung auf das Bekenntnis von Chalcedon hat also inklusive Bedeutung. Weiter kann dieses Bekenntnis nicht als "metaphysische Behauptung (statement)" verstanden werden, die "durch die Logik einer in sich selbst verschlossenen Vernunft"6, d.h. in den Grenzen der reinen Vernunft, überzeugt. Vielmehr gilt aufgrund des im vorhergehenden Kapitel ausgeführten: "Allein der Glaube verlebendigt Formeln. [...] Entscheidendes Zeugnis in Glaubensangelegenheiten ist aber gerade das testimonium Spiritus Sancti internum", das es nur in und durch die Kirche gibt.7 Florovsky will demnach das Chalcedonense als ein den Menschen unbedingt angehendes Wort Gottes begreifen und kann es aus diesem Grund auch als hermeneutischen "Schlüssel sowohl für die im Neuen Testament erzählte Geschichte (the New Testament story) als auch für die existentielle Situation der Kirche"8 verstehen. Wegen dieser überragenden hermeneutischen Bedeutung kommt diesem Bekenntnis seine fundamentale Rolle in der Theologie zu. Dabei ist sich Florovsky völlig darüber im klaren, daß den heutigen Menschen ein existentielles Verständnis der Formel von Chalcedon schwerfällt, da sie in ihrer Terminologie heute wenig einladend wirkt und zur Alltagsbewältigung in der heutigen Zeit keine Hilfe zu geben scheint.9 Dies liegt seiner Ansicht nach am falschen Zugang zu diesem Bekenntnis: es geht nicht um eine logische Formel, sondern um den begrifflichen Ausdruck einer gemachten Erfahrung. Mit anderen Worten, das Chalcedonense ergibt nur dann einen Sinn, wenn es als Bekenntnis mitgesprochen wird und so seine existentielle Dimension zum Tragen kommt. Aus diesem Grund will Florovsky, auch wenn er sich dem Vorwurf der Antiquiertheit oder des Fundamentalismus ausgesetzt sieht, dieses Bekenntnis zum Ausgangspunkt seiner Theologie machen, denn "ich glaube, daß es gerade die Lehren der Bekenntnisse sind, die eine hoffnungslose Generation wie die unsrige in die Lage versetzen, christlichen Mut und Weitblick (vision) wiederzugewinnen."10 Diese Zuversicht aber verdankt sich dem streng soteriologischen Charakter des Bekenntnisses von Chalcedon, der für Florovsky offen zutage liegt. Ja "jedes geringe Andere würde das apostolische Kerygma unserer Erlösung zerstören."11 Dieser hohe hermeneutische Stellenwert des Chalcedo-
6 Ibid. Cf auch Lost 12 7 Lamb 16 8 Ibid. 9 CiLamb 15. In Lost 11 führt Florovsky eine gewisse Hilflosigkeit im heutigen Umgang mit dem Chalcedonense auch auf die Entfremdung von der Ausdrucksweise der Bibel zurück, die sich seiner Ansicht nach auch im Bekenntnis niedergeschlagen hat. 10 Lost 12 11 Terminology 123
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nense für die ganze Theologie, dessen formale Bedeutung darin besteht, daß es jeden in das Zeugnis der vom Heiligen Geist erfüllten Kirche stellt und so den Zugang zum Heilsmysterium eröffnet, verdankt sich somit dem, was es bezeugt. Nur daraus, aus seinem Zeugnis für Gottes Heilstat in Jesus Christus, ergibt sich überhaupt erst der nun auch sachlich gerechtfertigte hermeneutische Stellenwert des Bekenntnisses. Damit ist es aber letztlich die Christologie, die Florovskys Theologie bestimmt, so daß man seinen oben zitierten Fundamentalsatz, nun inhaltlich gefaßt, auch so formulieren kann: "Man kann (und muß) das Ganze der orthodoxen Glaubensüberzeugung aus der Heilstat Gottes in Christus entwickeln." Damit aber ist es das Ziel dieses Kapitels, Florovskys Interpretation des Heilsereignisses durch das Bekenntnis von Chalcedon darzulegen. Dies soll so geschehen, daß zuerst Florovskys Interpretationsansatz beim und in Hinsicht auf das Chalcedonense vorgeführt wird (4.1). Sodann wird die Beantwortung der Frage 'CurDeushomo?' zeigen, daß die Christologie in der Tat die gesamte Theologie Florovskys begründet und zusammenfaßt (4.2). In den folgenden Abschnitten zur Inkarnation (4.3), zu Passion und Tod Christi (4.4) und zur Himmelfahrt (4.5) werden die christologischen Aussagen ausführlich behandelt und abschließend als Auslegung des Bekenntnisses von Chalcedon zusammengefaßt (4.6).
4.1 Florovskys Interpretation des Chalcedonense Hat Florovsky mit der Rede vom 'neuen Monophysitismus' und vom 'neuen Nestorianismus' die beiden Extreme gekennzeichnet, zwischen denen sich eine sachgerechte Christologie als Auslegung des Chalcedonense anzusiedeln hat, so ergibt sich aus dieser Grundlegung, daß er dezidiert die in diesem Bekenntnis formulierte Zweinaturenlehre oder, besser, den dort bekannten Dyophysitismus (ομοούσιος Οεω και ήμΐν) vertritt. Doch will er diesen Dyophysitismus in deutlicher Abgrenzung zu seiner Auffassung der Christologie des Nestorius12 als einen 'asymmetrischen' Dyophysitis12 In den inoffziellen Konsultationen zwischen den orthodoxen und den nichtchalcedonensischen orientalischen Kirchen finden sich wichtige Diskussionsbeiträge Florovskys zu dem hier zu verhandelnden Problem. So auch zu seiner Nestoriusinterpretation. Cf J.Romanides: UnofficialConsultation 34f: "Hier [sc.bei Nestorius] gibt es einen genauen und vollkommenen Parallelismus der zwei Naturen, der unvermeidlich zur Dualität derprosopa oder Subjekte führt, die nur als Funktionseinheit [unity of function] eine Einheit bilden können - d i e s bedeutet das nestorianischeprosopon tes heneseos, das die zwei natürlichen prosopa miteinander koordiniert."
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mus verstanden wissen. Hatte Nestorius nach Florovskys Verständnis in Christus die Einheit der zwei Naturen und zwei Hypostasen gesehen und so einen 'symmetrischen Dyophysitismus' gelehrt, so prägte Florovsky durch sein Insistieren auf der einen und zwar göttlichen Hypostase in Christus den Begriff der 'asymmetrischen Christologie'.13 Die Asymmetrie ergibt sich daraus, daß die menschliche Natur Christi keine menschliche Hypostase hat. "Als Marien Sohn empfangen und geboren wurde, trat keine neue Person ins Dasein, sondern der ewige Sohn Gottes wurde Mensch."14 Florovsky sieht in bezug auf die Anhypostasie der menschlichen Natur Christi im Bekenntnis von Chalcedon etwas "paradox Unausgesprochenes. Für den Gedankengang ist [nämlich] sofort klar, daß die Göttlichkeit des Wortes als hypostatisches Zentrum der gottmenschlichen Einheit verstanden wird - 'ein und derselbe Christus, Sohn, Herr, Einziggeborener, in zwei Naturen erkannt... ein und derselbe Sohn und Einziggeborener' ... Aber, direkt ist darüber nichts gesagt, die Einheit der Hypostasen ist nicht direkt definiert als die Hypostase des Wortes."15
Demnach ist Florovsky der Überzeugung, daß die Formel von Chalcedon in enger Nähe zur Christologie Kyrills16 asymmetrisch zu interpretieren sei. Die anhypostatische menschliche Natur wird durch die zweite Person der Trinität enhypostasiert. Florovsky drückt diese Enhypostasie wiederholt dadurch aus, daß er betont, die "einzig zulässige Antwort" auf die Frage, wer Jesus Christus sei, laute: "Er ist Gott, der einziggeborene Sohn Gottes, jedoch inkarniert und 'Mensch geworden'. Seine Person oder Hypostase ist eine, und es die göttliche Person, die zweite Person der Heiligen Trinität. Der Sohn Gottes selbst ist auch Person oder Subjekt menschlichen Lebens. Zwei Naturen, göttlich und menschlich, sind in der Einheit der Person zusammengefügt und aufeinander bezogen (joined and correlated) - und beide Naturen sind vollständig und ursprünglich."17
Trotz der Enhypostasie der menschlichen Natur durch den Logos "ist sie ihrem Charakter nach 'wesensgleich' ('consubstantial') mit der menschlichen Natur (humanity) der Menschen. Aber Christus ist nicht ein Mensch, obwohl er kata ten anthropeta homoousios hemin ist."18 Ziel dieser in der Tat paradox anmutenden Interpretation der Anhypostasie bzw. Enhypostasie 13 Cf Vizantijskie Otcy 26: "Die Anerkenntnis der menschlichen Anhypostasie bedeutet die Anerkenntnis der Asymmetrie der gottmenschlichen Einheit." 14 Mother 174 15 Vizantijskie Otcy 25f (englByzantine Fathers V 297) 16 Cf F.Loofs: Leitfaden 233f, 239f 17 Lamb 15 18 Diskussionsbeitrag Florovskys in: J.Romanides: Unofficial Consultation 34
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der menschlichen Natur Christi ist die Unterscheidung zwischen der menschlichen Natur, die der Logos enhypostasiert, und der den Menschen eigenen menschlichen und durch den Fall verdorbenen Natur. Mit anderen Worten, die von Florovsky gelehrte asymmetrische Christologie verfolgt durch die Betonung der einen göttlichen Hypostase als Personzentrum Jesu Christi das für die Soteriologie entscheidend wichtige Interesse, den Status der menschlichen Natur Jesu Christi vom Status der allgemeinen menschlichen Natur zu unterscheiden. Konkret geht es um die Sündlosigkeit der menschlichen Natur des Logos, die ihn der naturhaften Notwendigkeit, sterben zu müssen, enthebt, so daß der Kreuzestod Christi Ausdruck der freiwilligen und somit liebenden Lebenshingabe Gottes ist. Daß die sündlose menschliche Natur Christi dennoch eine vollkommene menschliche Natur ist, ergibt sich aus Florovskys Sündenbegriff, den es später19 detailliert zu erötern gilt, doch sei schon jetzt angemerkt: "Sünde gehört nicht zur menschlichen Natur, sie ist vielmehr ein parasitärer und unnormaler Zuwachs [...] In der Inkarnation nimmt das Wort die ursprünglich geschaffene (first-formed) menschliche Natur an."20, der die Potenz innewohnt, nicht sterben zu müssen, wohl aber sterben zu können.21 So wie hier in bezug auf das Verständnis des Zusammenhangs von Sünde und Natur "alles von unseren anthropologischen Voraussetzungen abhängt"22, so hat diese Konzeption für die Anthropologie und somit auch für die Soteriologie erhebliche Konsequenzen. Wenn Christi Lebenshingabe ein Akt selbstloser und das bedeutet freier Liebe ist, der nicht durch ein mit
19 Cfu.8.2. 20 Redemption 98 21 Florovsky reflektiert mit dieser Unterscheidung die zwei Bedeutungen des Begriffs φθορά, wie sie Johannes Damascenus gegeben hat. Einerseits bezeichnet der Begriff die ανθρώπινα πάθη wie Hunger, Durst, Ermüden etc. und ist in dieser Bedeutung auch von Christi menschlicher Natur auszusagen. Andererseits aber bezeichnet φθορά auch die mit dem Fall als Konsequenz der Sünde gegebene Auflösung der menschlichen Natur im Tod, was sich von Christi menschlicher Natur selbstverständlich nicht ausssagen läßt. Cf Johannes Damascenus: De fide Orthodoxa 111,28 PG XC, 1097-1100. 22 Redemption 301 Anm.101. Diese 'anthropologischen Voraussetzungen'beziehen sich auf den Status der menschlichen Natur nach dem Fall und werden im 8.Kapitel detailliert dargestellt werden. Zum besseren Verständnis sei jedoch schon hier angemerkt: Für Florovsky unterliegt die menschliche Natur nach dem Fall der Notwendigkeit zu sterben, da sich an ihr die zersetzenden Kräfte der Sünde tödlich manifestieren. Sie hat damit zugleich die Fähigkeit verloren, sich die Unsterblichkeit, zu der sie geschaffen ist, zu erwerben. Natur und Sünde auf der einen Seite und kreatürliche Freiheit auf der anderen sind somit in Florovskys Denken Korrelate, die sich gegenseitig beeinflussen.
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der sündigen Natur gegebenes und notwendig einhergehendes non posse non moriri erzwungen ist, so ist einerseits der Mensch aufgrund seiner durch die Sünde verdorbenen Natur gezwungen zu sterben, wie andererseits die menschliche Sünde ein Akt selbstsüchtiger, aber ebenfalls freier Selbstliebe ist. Hier ist die Unterscheidung zwischen Natur und Person sorgfältig zu beachten. Ist Christi menschliche Natur sündlos und seine Person mit der göttlichen Freiheit begabt, so ist die menschliche Natur der Menschen sündig und deshalb dem Tode verfallen, die menschliche Person jedoch in einer der göttlichen Freiheit freilich nur entsprechenden Weise frei. Ohne damit den Menschen in zwei Bestandteile zerlegen zu wollen, läßt sich der angegebene Sachverhalt auch durch ein von Florovsky in diesem Zusammenhang wiederholt angeführtes Zitat Gregors von Nazianz verdeutlichen. "Was nicht angenommen ist, ist auch nicht erlöst."23 Wenn Christus also eine anhypostatische menschliche Natur angenommen hat und durch seinen Kreuzestod die gesamte menschliche Natur errettet hat, er sich aber nicht mit einer menschlichen Hypostase vereinigte, dann folgt daraus, daß die menschlichen Hypostasen durch Christi Tod noch nicht erlöst sind und einer "gesonderten" Erlösung bedürfen, deren 'Wie' hier noch nicht interessiert. Festzuhalten bleibt somit, daß Florovsky mit der Betonung der Sündlosigkeit der menschlichen Natur Jesu Christi das Ziel verfolgt, den Freiheitsaspekt in Hinsicht auf Christi Heilstat und ebenso das Sündigsein der Menschen herauszuarbeiten. Diesen Zusammenhang zwischen Sünde bzw. Sündlosigkeit und eingeschränkter, weil sündiger Freiheit bzw. Gottes Willen in Liebe erfüllender Freiheit gilt es für die gesamte Theologie Florovskys immer wieder zu bedenken, denn in diesem Spannungsfeld entwickelt er seine Soteriologie, die sich somit an der Unterscheidung des Chalcedonense zwischen Natur (φύσις) und Person (ύπόστασις) zu orientieren hat. Die sich aus Florovskys Interpretation des Chalcedonense ergebende asymmetrische Christologie und die Lehre von der An- bzw. Enhypostasie der sündlosen menschlichen Natur Jesu Christi legt besonderes Gewicht auf die göttliche Hypostase des Erlösers und unterstreicht damit das Gewicht, das der Freiheitsapekt in dieser Christologie hat. Diese steht damit alexandrinischer Theologie weitaus näher als einer antiochenischen. Dies wird z.B. deutlich, wenn Florovsky schreibt: "Die Vollkommenheit der menschlichen Natur drückt nur [!] die Adäquatheit und Wahrheit der erlösenden
23 Gregor v. Nazianz: Epistola CI ad Cledonium. PG XXXVII, 181C (Angabe korrigiert). Florovsky zitiert den Satz z.B. in Redemption 96 und stellt den dargelegten Sachverhalt ibid. 147f dar.
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Identifikation mit den Menschen aus."24 Und doch verwahrt sich Florovsky zurecht dagegen, in der menschlichen Natur nur ein Instrument des Handelns Gottes zu sehen, wenn er fortfährt: "Gott betritt die menschliche Geschichte und wird eine historische Person." 25 Diese starke Emphase auf dem historischen Aspekt der Christologie macht deutlich, daß in Jesus Christus nicht Gott als Mensch verkleidet handelt, vielmehr Gott als Mensch dem Menschen entgegentritt.26 "Die Einzigartigkeit, das Wunder dieser historischen Person besteht darin, daß der, der sichtbar wurde, den wir gesehen haben, der Sohn Gottes war, der Heiland der Welt."27 Indem Florovsky dem apophatischen Charakter seiner Theologie treu bleibt und zugleich Tendenzen vorbeugt, die das Geheimnis der Menschwerdung in humanistischen Kategorien meinen vollkommen erfassen zu können, fügt er, die Ambivalenz des Chacedonense beachtend, jedoch hinzu: "Deshalb aber können menschliche Grenzen, die der zweidimensionalen Welt angehören, dieses Bild nicht umschließen. Es ist ihnen transzendent; und innerhalb der geschichtlichen (historical) Begrenzungen sehen wir, was übergeschichtlich, über der Erde ist."28 Florovsky nimmt also die der Patristik geläufige Auffassung auf, daß die göttliche Natur den Kategorien von Raum und Zeit nicht unterworfen sein kann. Kraft der hypostatischen Union mit der menschlichen Natur ist Gott jedoch in Zeit und Raum, d.h. in der Geschichte. Aufgrund dieser Union wird Gott, dessen Wesen per definitionem unsichtbar, unbegreifbar, unumschließbar etc. ist, sichtbar, begreifbar etc. So aber finden Zeit und Ewigkeit, Raum und Überräumlichkeit, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in der hypostatischen Union der Person Jesu Christi ihre Einheit, ohne jedoch, wie es das Chalcedonense in seinen bekannten vier Aprivativa zu beschreiben versuchte, miteinander vermischt oder voneinander getrennt zu werden. Damit rückt die Christologie in der Interpretation des Chalcedonense über die rein anthropologische Bedeutsamkeit in die weltumfassende Heilsbedeutung ein. Florovsky ist deshalb der Auffassung, es gelte in der heutigen Zeit die Glaubensbekenntnisse zu predigen. Allein eine sachgerechte Interpretation des Chalcedonense kann nach seiner Überzeugung auf die Fragen und Probleme der heutigen Zeit antworten.29 Denn gerade dieses Bekenntnis 24 Lost 13 25 Ibid. 26 Kennzeichnend für diese Herausstellung des historischen und damit antidoketischen Aspekts der Christologie ist der erste Satz aus seinem christologischen Aufsatz Lamb 13: "Das Christentum ist wesentlich eine historische Religion." 27 Holy Spirit 10 28 Ibid. 29 Cf Lost l l f
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verdeutlicht, daß das ganze menschliche Leben mit all seinen weltlichen Bezügen im Licht der liebenden Zuwendung Gottes steht. "Unser Erlöser ist nicht ein Mensch, sondern Gott selbst. Hierin liegt das existentielle Gewicht (emphasis) des Bekenntnisses (statement). Es ist unser Erlöser, der 'herabkam' und, Mensch geworden, sich mit den Menschen in der Gemeinschaft eines wahren menschlichen Lebens und einer wahren menschlichen Natur identifizierte. Nicht nur die Initiative war göttlich, sondern der Herr (captain) der Erlösung war eine göttliche Person."30 Dieser von Florovsky in seiner Interpretation des Chalcedonense so deutlich herausgestellte Konnex von göttlicher Inititiave zugunsten der Menschen und der ganzen Welt muß als Grundzug seiner Christologie nun auch bei der Beantwortung der Frage 'Cur Deus homo?' zum Ausdruck kommen, wenn es denn stimmt, daß sich aus dem Chalcedonense die gesamte orthodoxe Theologie entwickeln läßt.
4.2 Cur Deus homo? "Die Frage nach dem letztgültigen Sinn der Inkarnation wurde im patristischen Zeitalter nie ausdrücklich (formally) diskutiert"31, denn dieser lag für die Kirchenväter mit der am Kreuz geschehenen Erlösung der Menschen vom Tod offen zutage. Florovsky stimmt dieser Grundüberzeugung, die ja nur präziser Ausdruck der gemachten Glaubenserfahrung ist, ohne Einschränkung zu.32 Wenn er der Frage 'Cur Deus homo?' dennoch einen ganzen Aufsatz widmet und sich wiederholt auf das darin gewonnene Ergebnis bezieht33, so drückt dies nicht den Willen zu einer die Glaubenserfahrung vernachlässigenden spekulativen Theologie aus. Vielmehr geht es ihm bei der Behandlung dieses Problems darum, das Ereignis der Menschwerdung Gottes in seinen zahlreichen Implikationen auszuloten, um so der gemachten Glaubenserfahrung einen weiteren Horizont zu eröffnen. Dabei ist er der festen Überzeugung, daß es keineswegs eine illegitime Erweiterung der Tradition der Väter ist, neben der Erlösung des Menschen auch noch andere Inhalte als Sinn der Inkarnation anzunehmen, denn implicite haben die Väter dieses Problem sehr wohl durchdacht34, so daß
30 31 32 33 34
Lost 13 Cur 164 Cf z.B. Christ 2, Ikons 210 und Pat.Age 67 Cf z.B. Terminology 122 Florovsky verweist in Cur 164 auf AugustinDe Trinitate XIII,17 PLXLII, 1031f.
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eine mögliche Antwort, die über die geteilte Auffassung hinausginge, nicht in einen Gegensatz zur Glaubensüberlieferung der Kirche geraten muß. "Wir können dogmatisch nicht darauf insistieren, daß die Erlösung das einzige 'Motiv' oder der einzige Grund für die Inkarnation war. Dennoch müssen wir mit der Tatsache der Inkarnation umgehen und nicht mit einer Idee davon."35 Was aber ist dann ein weiteres 'Motiv' für die Menschwerdung, das nicht durch freischwebende Spekulation, sondern durch die Offenbarung Gottes im Gottmenschen Jesus Christus auf Erden begründet ist? Obwohl er selbst diese Kategorien nicht benutzt, kann man bei Florovsky ein supralapsarisches und ein infralapsarisches Motiv unterscheiden. Geht letzteres von der Perspektive des in Sünde und Sterblichkeit gefangenen Menschen aus, so bedenkt das erste den Zusammenhang von Gott und Welt, Schöpfer und Vollender in der Perspektive des in seinem Handeln freien Gottes zu dem ihm antwortenden Geschöpf. Insbesondere diesem Aspekt wenden sich Florovskys Überlegungen zuerst zu. Um seine im Anschluß an Maximus Confessor formulierte Antwort auf die Frage 'Cur Deus homo?' in ihrer Zielrichtung klar zu profilieren, referiert Florovsky interessanterweise erst die Antworten der westlichen Tradition von der Frühscholastik bis zum heutigen Tage. So behauptete Duns Scotus, und ihm folgte ein Großteil der westlichen Theologen, ein supralapsarisches Motiv für die Inkarnation, um so der Erlösungstat Christi jeden akzidentellen Charakter absprechen und die absolute Freiheit Gottes behaupten zu können. An diesem an sich richtigen und Florovskys theologische Interessen treffenden Gedanken kritisiert er, daß hier rein logisch mit der Reihenfolge von Absichten, erst Inkarnationsgedanke, dann Schöpfungsgedanke, argumentiert wird.36 Dadurch sieht Florovsky die soteriologische Dimension des Problems nicht hinreichend berücksichtigt. Gerade um die Soteriologie aber ging es Maximus Confessor in seiner Beantwortung der gestellten Frage. Er hält es jedoch methodisch für bedenklich, durch eine Sammlung verschiedener aus dem Kontext gerissener Einzelaussagen aus patristischen Texten ableiten zu wollen, "daß die Idee einer vom Fall unabhängigen Inkarnation mit dem allgemeinen Tenor griechischer Theologie harmonisiert", wie dies B.F.Westcott in The Gospel of Creation (in: Ders.; The Epistle of StJohn. The Greek text with notes and essays. 3 1892 S.288 und ausführlich 319ff-Angaben nach Cur 164) behaupte. Aus diesem Grund bezieht sich Florovsky in Cur nicht auf einzelne patristische Quellen sondern auf Theologen, die das Problem detailliert behandelt haben: auf die großen westlichen [!] Scholastiker [!] (cf Cur 165-167) und, für ihn allerdings wichtiger, auf Maximus Confessor (cf Cur 167169). 35 Lamb 21 36 Cf Florovsky Bemerkungen zu Duns Scotus in Cur 165f.
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Als einziger mit dem Problem explizit befaßter Kirchenvater stellt Maximus die Inkarnation in den denkbar weitesten Kontext: den der Schöpfung. Maximus kommentiert IPetr 1,20 (Christus ist vor Grundlegung der Welt ausersehen worden): "Um Christi willen oder um des Christus betreffenden Geheimnisses willen fand alle Zeit und das, was zeitlich existiert, in Christus Anfang und Ende seines Seins. Denn vor aller Zeit war geheimnisvoll vorherbestimmt die Einheit von Bestimmtem und Unbestimmtem, von Meßbarem und Nichtmeßbarem, von Begrenztem und Unbegrenztem, von Schöpfer und Schöpfung, von Ruhe und Bewegung [sc. in dem ewigen Christus incarnandus]. Dies ereignete sich [dann] in dem offenbaren Christus in der letzten Zeit."37
Wird Christus so als der göttliches und menschliches Sein von Ewigkeit her Vereinende verstanden, so folgt daraus, "daß die Inkarnation als absoluter und ursprünglicher Sinn des Schöpferaktes Gottes verstanden werden sollte."38 Diese christozentrische Konzeption verweist auf die christologischen Grundlagen der Schöpfungslehre, die sich damit, wie es bereits oben für jede theologische Lehre gefordert war, ebenfalls an der chalcedonischen Unterscheidung der göttlichen von der menschlichen Natur zu orientieren hat. Zugleich aber müssen drei Abgrenzungen vorgenommen werden. 1. Behauptet man, die Inkarnation sei der eigentliche Sinn der Schöpfung, so kann man zu der falschen Auffassung gelangen, es sei für Gott um der Vollständigkeit seines Seins willen notwendig, die menschliche Welt auch tatsächlich zu schaffen. Eine derartig irrige Annahme würde Gottes Freiheit einschränken, weswegen Maximus bemerkt, das Geheimnis des ewigen Ratschlusses Gottes bestände gerade darin, daß die Schöpfung zwar um Jesu Christi willen, er jedoch nicht um der Schöpfung willen existiere.39 Diese Behauptung hat ihre Begründung in der zweiten notwendigen Abgrenzung. 2. Behauptet man die Inkarnation als Sinn der Schöpfung ohne damit zugleich die Notwendigkeit des Geschaffenen für Gott aussagen zu wollen, so darf dennoch vom Sohn kein Werden oder eine Veränderung ausgesagt werden, denn man muß streng "zwischen dem ewigen Sein des Logos im Schöße der Heiligen Trinität und der 'Ökonomie' seiner Inkarnation unterscheiden."40 Die Erörterung der Frage 'Cur Deus homo?' führt somit in der Theologie Florovskys, der Maximus'Aussagen hier für sich übernimmt, in 37 38 39 40
Maximus Confessor: Quaestio ad Thallasium 60, PG XC, 621 B-C Cur 168 Cf ibid. und u.Kap.7. Cur 169
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die Gotteslehre, d.h. präzise: zur Unterscheidung von immanenter und ökonomischer Trinität, auf die hier um des besseren Verständnisses willen kurz eingegangen werden soll.41 In seinen Aufsätzen äußert sich Florovsky meines Wissens nur einmal explizit zu dieser Frage, was, gerade auch bei dem hier vorgeführten traditionellen Verständnis, daraufhindeutet, daß hier nichts von orthodoxer Lehre abweichendes zu erwarten ist. "Gott kann nur als Dreiheit der Personen sein. Die Triade der Hypostasen liegt jenseits des göttlichen Willens und ist sozusagen eine 'Notwendigkeit' oder 'Gesetzmäßigkeit' der göttlichen Natur"42, die durch die Rede von der Konsubstantialität, Gleichewigkeit und Perichorese etc. ausgedrückt wird, nicht jedoch durch die ontologisch geringerwertige Kategorie des Willens, denn die innertrinitarischen Relationen sind durch das Sein der Hypostasen bestimmt. Unterscheidet man aber auf diese Weise 'Sein' und 'Akt', 'Natur' und 'Willen' bei gleichzeitiger Aufnahme des Korrespondenzverhältnisses zwischen Natur bzw. Sein und Notwendigkeit, so wird deutlich, daß mit der Behauptung der Inkarnation als Sinn der Schöpfung keinesfalls eine Veränderung des Seins der göttlichen Natur des Sohnes gegeben sein kann. Vielmehr gilt es hier umgekehrt zu folgern, daß die Inkarnation ein gemeinsamer Akt des dreieinigen Gottes war, gegründet in seinem einen, freien und ewigen Willen.43 Damit unterstreicht Florovsky der Sache nach den klassischen Grundsatz der Trinitätstheologie 'opera trinitatis ad extra sunt indivisa' und verteidigt zugleich die apophatische Theologie, um damit die Inkarnation und Christi gesamtes Erlösungswerk als einen dem Schöpfungswerk 'vorausgehenden' Willensakt des dreieinigen Gottes zu verdeutlichen. Ziel dieser bei Florovsky mit großer Strenge durchgeführten Unterscheidung zwischen der Lehre vom Sein des dreieinigen Gottes (Theologie) und 41 Da Florovsky in seinen Aufsätzen auf die Trinitätslehre nur in ganz vereinzelten Bemerkungen zu sprechen kommt, ist ihre geschlossene Darstellung unmöglich. Es kann deshalb immer nur um eine aus Einzelbemerkungen abgeleitete Behandlung von Einzelproblemen der Trinitäslehre gehen, die ich, hierin Florovskys Methode folgend, dort einfüge, wo dies notwendig erscheint. Im vorliegenden Zusammenhang beziehe ich mich überwiegend auf Aussagen aus dem grundlegenden Aufsatz Tvarder die meisten Aussagen zur Gotteslehre innerhalb des Gesamtwerkes Florovskys bietet. 42 Tvar' 204 (engl.69). Man beachte die bei Florovsky geläufige Identifikation von 'Person' und 'Hypostasis', die ich entsprechend übernehme. 43 Es ist hier anzumerken, daß Florovskys gesamte Theologie von dem Korrespondenzverhältnis zwischen Natur und Notwendigkeit einerseits sowie Akt und Freiheit andererseits geprägt ist und darin seine Interpretation des Chalcedonense zum Ausdruck kommt. Ausgesprochen kritisch habe ich mich damit in meiner Magisterarbeit (Schlußkapitel S.120-140) auseinandergesetzt.
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der Lehre von seinem Wirken ad extra (Ökonomie) "ist nicht nur eine subjektive Unterscheidung unseres analytischen Denkens, vielmehr hat sie eine objektive und ontologische Bedeutung, indem sie die absolute Freiheit der göttlichen Kreativität und Wirksamkeit ausdrückt" und deshalb, so folgert Florovsky, "fallen die Prädikate, die sich auf die Heilsökonomie beziehen, nicht mit den Prädikaten zusammen, mit denen das hypostatische Sein der zweiten Person definiert wird."44 Aufgrund dieser Unterscheidung interpretiert er Bibelverse, die auf die ewige Prädestination des Sohnes verweisen (wie z.B. Eph 3,9.11; IPetr l,11.19f; Apk 13,8) als Belegstellen dafür, daß Gottes Heilsökonomie ein Willensakt ist, dessen Ewigkeit eine andere ist als die Ewigkeit des Seins des dreieinigen Gottes.45 Damit aber kann man weder behaupten, die Inkarnation sei ein für Gottes Sein notwendiges Ereignis gewesen (1. Abgrenzung), noch aussagen, das Sein des Sohnes unterliege in der Inkarnation einer Veränderung (2. Abgrenzung). Damit kommt Florovsky zu seiner dritten Abgrenzung gegen mögliche Mißverständnisse seiner Maximus folgenden Antwort auf die Frage 'Cur Deus homo?'.
3. Am Ende seines Aufsatzes Cur fragt Florovsky nach dem Gewicht, das die theologische Antwort Maximus' in der orthodoxen Theologie haben kann. Um seine knappe Stellungnahme dazu jedoch recht einordnen zu können, ist es notwendig, die mit dem Vorschlag des Kirchenvaters gegebenen theologischen Implikationen und Spitzen hervorzuheben. Was also heißt es, wenn die Inkarnation der Sinn der Schöpfung ist, und wenn die Menschwerdung des Sohnes Gottes auch ohne den Fall geoffenbart hätte, was das eigentliche Ziel Gottes mit der Welt ist? Maximus antwortet auf diese Fragen sehr präzise. Da Gott die Inkarnation als letztgültigen Sinn der Schöpfung vorherbestimmt hat, "ließ Gott die Natur des Seienden [ins Sein] einziehen. Dies ist tatsächlich die Erfüllung der Providenz und des Vorher44 Tvar' 206 (engl. 71). Will man nicht vorschnell Kritik an dieser logisch völlig korrekten Konsequenz anmelden, wie ich dies in meiner Magisterarbeit getan habe, muß man beachten, daß es Florovskys Argumentationsziel ist, die Behauptung einer Veränderung der göttlichen Natur zu widerlegen. 45 Cf Tvar' (engl.56) [Tvar* 188 ist etwas unpräziser], wo Florovsky in bezug auf Gottes Sein und seinen dem aktualen Schöpfungsakt transzendenten Schöpfungsplan schreibt: "Die Idee der Welt [...] ist offensichtlich ewig, aber in gewissem Sinne nicht gleichewig (co-eternal) und nicht mit Wim für immer verbunden, weil sie durch seinen Willensakt sozusagen von Seinem 'Wesen' unterschieden und getrennt ist. Man sollte eher sagen, daß die göttliche Idee von der Welt durch eine andere Art von Ewigkeit ewig ist als das göttliche Wesen." Da für Florovsky die Inkarnation ebenso wie die Schöpfung ein Willensakt Gottes ist, kann man das Gesagte für den hier zu verhandelnden Zusammenhang ohne weiteres übernehmen.
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bestimmten. Dadurch geschieht die Rekapitulation des von ihm Geschaffenen auf ihn hin."46 Die Rekapitulationslehre, die bereits Irenaus im Anschluß an Eph 1,10 formuliert hatte, bildet somit den zentralen Gedanken dieser supralapsarischen Antwort auf die Frage 'Cur Deus homo?'. Mit diesem Gedanken liegt auch die über die westliche Tradition hinausgehende soteriologische Dimension der Antwort vor, die Florovsky nun, Maximus' Intention weiterführend, scheinbar tautologisch formuliert: Der Sinn der Inkarnation "war, genau genommen, die Inkarnation selbst und darum unsere Inkorporation in den Leib des Inkaraierten."47 Die Tautologie löst sich auf, wenn deutlich ist, daß mit der Inkarnation sachlich die Vereinigung, nicht Vermischung, von göttlicher und menschlicher Natur in der Person Jesu Christi ausgesagt ist. Ziel und Sinn der Schöpfung ist somit diese Vereinigung in und durch Jesus Christus, ist es, mit den Worten Florovskys, "diese geheimnisvolle, erschreckende und unaussprechliche Zweinaturenhaftigkeit (suguboestestvennost', doublenaturedness) [zu empfangen] , um deretwillen die Welt gemacht wurde."48 Die Person des menschgewordenen Christus ist somit Urbild dessen, was die Welt werden soll durch ihre Eingliederung in den Leib Christi, die Kirche, so daß Florovsky diesen Gedanken pointiert mit den Worten zusammenfassen kann: die Welt ist geschaffen worden, "um Kirche, der Leib Christi, zu sein und zu werden."49 Damit ist erneut deutlich geworden, daß die Christologie und mit ihr die Ekklesiologie im Denken Florovskys jedes theologische Reden umgreift. Aufgrund dieser Aussagen läßt sich aber nun auch verstehen, warum die Schöpfung einerseits Ermöglichungsgrund der Inkarnation, die Inkarnation aber andererseits Ermöglichungsgrund der Schöpfung ist. Material drückt Florovsky dies durch die Bestimmung der Heilsbedeutung der Inkarnation aus. Mit der Menschwerdung des Sohnes "ist das menschliche Schicksal erfüllt- der ursprüngliche und ewige Plan für das menschliche Leben... Mit der Inkarnation des Wortes ist die Erlösung bereits geschehen."50 Bei dieser reziproken Verhältnisbestimmung von Inkarnation und Schöpfung darf jedoch keinesfalls übersehen werden, daß letztlich Gott der Herr der Heilsökonomie ist, denn auch der Tod Christi, der mit der Providenz der Inkarnation unlöslich verbunden ist51, "war keine Nötigung [sc.Gottes]
46 Maximus Confessor: Quaestio ad Thallasium 60 PG XC, 621 A. Zitiert in Cur 168. 47 Cur 168 48 Tvar' 211 (engl.77). Zur Frage, wie der Mensch und durch ihn die Welt dieser Zweinaturenhaftigkeit teilhaftig wird, cf u.8.3 (Theosislehre). 49 Ibid. 50 High Calling 31 51 Cf High Calling 32
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durch die Welt, sondern eine Notwendigkeit der göttlichen Liebe. Das Geheimnis des Kreuzes beginnt in der Ewigkeit, im Heiligtum der Heiligen Trinität, für Kreaturen unerreichbar."52 Die freie Selbstbestimmung Gottes zur Erlösung der Schöpfung zu betonen, ist Florovsky wichtig, um eine Überbewertung der Kenose zu vermeiden. Zwar "ist die göttliche Providenz nicht nur die allmächtige Herrschaft der göttlichen Majestät über das Universum aus einer erhabenen Entfernung, sondern Kenose, 'Selbsterniedrigung' der Ehre Gottes"", doch bleibt Gott auch in seiner Selbsterniedrigung der freie Herr, dessen Heilsökonomie nicht durch menschliche Konzeptionen ethischer oder juridischer Art erklärt und eingeschränkt werden kann.S4 Damit ist aber in bezug auf die am Beginn dieses Kapitels gestellte Frage nach der Verhältnisbestimmung von Inkarnation und Heilswerk für die Welt, die in den christologischen Streitigkeiten der Alten Kirche von bestimmten anthropologischen Voraussetzungen geprägt war, ebenfalls beantwortet. Da das Ziel der Schöpfung wie das der Inkarnation in Gottes Vorherbestimmung seines Sohnes zur Vereinigung von menschlicher und göttlicher Natur begründet sind, finden die Inkarnation und die Erlösung der Welt durch Christus in Gott eine Einheit - nämlich in Christus. Sie hängen damit nicht von vorausgehenden anthropologischen Konzeptionen ab.55 Kehren wir nun zur Ausgangsfrage nach dem Gewicht der Ausagen Maximus' zum Problem 'Cur Deus homo?' zurück, die zugleich Florovskys dritte Abgrenzung gegen mögliche Mißverständnisse seiner Antwort auf diese Frage ist, so verwundert es nicht, daß er von dieser Konzeption sehr fasziniert ist. "Es scheint, als ob die 'Hypothese' einer vom Fall unabhängigen Inkarnation in einem System orthodoxer Theologie zumindest erlaubt ist und sich ziemlich gut in die Hauptlinie patristischer Lehre einfügt."56 Die Vorsichtigkeit und Zurückhaltung dieser Aussage hat zwei Gründe. Der erste Grund orientiert sich an der Faktizität der Offenbarung. "Wir dürfen nicht abstrakt Möglichkeiten, die in Wahrheit nicht verwirklicht sind und vereitelt wurden, behandeln und auch eine dogmatische Synthese nicht als Analyse von Wahrscheinlichkeiten aufbauen, de facto auf einer causa irrealis."57 Mit dieser Aussage wird erneut deutlich, daß Florovsky, obwohl von ihm selbst angeführte neutestamentliche Belegstellen wie IPetr 1,20; Apk 13,8, Eph 1,4 etc. eine autoritative Legitimation der 52 Redemption 100. Cf auch 96. 53 Lost 13 54 Cf Redemption 101 und u.4.3 55 Die These stimmt nur vordergründig, weil man zur Bestimmung der Person Christi einen - anthropologischen - Begriff davon braucht, was die menschliche Natur ist. 56 Cur 170 57 Lamb 21
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Fragestellung sind, unter keinen Umständen theologisch spekulieren und so eventuell das Zeugnis der Offenbarung und der Kirche, das mit dem Faktum der gefallenen Kreatur rechnen muß, verletzen will, auch dann nicht, wenn die gemachten Aussagen für das gesamte System einer orthodoxen Theologie wegen der Ausweitung des christologischen Horizontes ungemein hilfreich sein, ja "Wahrscheinlichkeit" für sich in Anspruch nehmen können.58 Der andere Grund für Florovskys zurückhaltende Beurteilung der Bedeutung der Ausagen Maximus' ist eher kirchenrechtlicher Natur. Im Anschluß an Bolotovs Unterscheidung zwischen 'Dogma' und 'Theologoumenon'59 bezeichnet Florovsky Maximus' Konzeption als Theologoumenon60 und fügt in einer Anmerkung hinzu: "Kein Theologoumenon sollte anerkannt werden, wenn es von einer autoritativen oder 'dogmatischen' Verlautbarung der Kirche klar verworfen wurde "61, wobei unklar bleibt, ob er dies auf die Position Maximus' bezogen wissen will. Wie dem auch sei, Florovsky will mit diesem Argument den Boden der offiziellen Kirchenlehre weder verlassen noch in seiner Ansicht nach illegitimer Weise erweitern. Damit kommt dem supralapsarischen Motiv der Inkarnation in Florovskys Theologie eine ambivalente Rolle zu. Einerseits hat es für sein gesamtes theologisches Denken eine große Bedeutung, weil es einige grundsätzliche und fundamentale Beziehungen zwischen Gott und seiner Schöpfung, zwischen Jesus Christus und den Menschen aufzeigt und christologisch verankern kann. Andererseits schränkt das Glaubenszeugnis sowie der Theologoumenoncharakter der gemachten Aussagen ihre Tragweite ein. Florovskys abschließender Satz zu dieser Fragestellung zeigt, daß er, obwohl theologisch dem supralapsarischen Konzept zugeneigt, letztlich dem status quo der sündigen Welt und der in dieser Welt lebendigen Glaubenserfahrung verpflichtet bleibt. "Eine adäquate Antwort auf die Frage nach dem 'Motiv' der Inkarnation kann nur im Kontext einer allgemeinen Schöpfungslehre gegeben werden"62, denn die Schöpfungslehre, in der auch die Anthropologie entfaltet wird, beschreibt den geschichtlichen Ort, an dem Gott Mensch wurde. Dieser abschließende Satz wirft zugleich jedoch die kritische Frage auf, ob nicht auch die Christologie letztlich von der Schöpfungslehre abhängt. Darauf wird zurückzukommen sein, wenn nun das infralapsarische Motiv der Inkarnation dagestellt wird.
58 Cf Cur 315 Anm.18 59 Cf V. V.Bolotov: Thesen über dasfilioque, und zu Bolotov R.Slenczka: Ostkirche und Ökumene 218ff. 60 Cur 170 61 Cur 314 Anm.18 62 Cur 170
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Dafür wird nämlich auf anthropologische Grunddaten vorgegriffen werden müssen, die hier zwar noch nicht detalliert zu erläutern sind, sich aber nicht unmittelbar aus der christologischen Lehre ergeben.63 Um das infralapsarische Motiv der Inkarnation bestimmen zu können, ist es notwendig, nochmals daran zu erinnern, daß Christi sündlose menschliche Natur der menschlichen Natur Adams vor dem Fall entspricht. "Er ist dazu in der Lage, überhaupt nicht zu sterben, potens non mori, obwohl er dennoch offensichtlich immer noch sterben kann, potens autem mori."64 Um den Menschen aus dieser Ambivalenz, die mit seinem geschöpflichen Sein gegeben ist - denn nur Gott ist 'von Natur aus' unsterblich - , zu erlösen, wäre folglich Jesus Christus auch ohne den Fall Mensch geworden, denn nur "was mit Gott vereint ist, das wird auch gerettet."65. Die Verbindung zwischen Gott und Mensch sollte von einer möglichen Beeinträchtigung durch sündiges Verhalten des Menschen befreit und zu einer unvergänglichen Gemeinschaft geführt werden, was in ontologischen Kategorien die Gabe der Unsterblichkeit an die Menschen bedeutet. Nur auf diesem Hintergrund wird verständlich, wenn Florovsky ausführt: "In der Inkarnation wird nicht nur die ursprüngliche Fülle der menschlichen Natur wiederhergestellt und erneut manifestiert [...] Die Inkarnation ist auch eine neue Offenbarung, ein neuer und weiterer Schritt."66 Dieser 'weitere Schritt' bezieht sich auf die der Theologie Florovskys zugrundeliegende heilsgeschichtliche Konzeption, die kurz zu erläutern ist. Sie gliedert sich in vier Phasen, die einander zugeordnet werden können. 1. Gott schuf in völliger Selbstbestimmung eine von ihm grundsätzlich verschiedene Wirklichkeit: το είναι. 2. In seinem Heilswerk in Jesus 63 Liest man Florovskys Ausführungen zu diesem Aspekt, so stellt man schnell fest, daß auch er genötigt ist, die für die Frage notwendigen anthropologischen Voraussetzungen kurz und thetisch einzuführen, ohne die präzisen Begründungszusammenhänge darzustellen. Mein Vorgehen entspricht in dieser Hinsicht also dem Florovskys, kann aber selbstverständlich erneut Anlaß für die kritische Frage sein, ob die Behauptung, daß die Theologie von der im Bekennntis von Chalcedon dargelegten Christologie aus entwickelt werden soll, nicht genau dort ihre Grenze findet, weil man, um das Bekenntnis zu verstehen, bereits einen Begriff von den dort verwendeten Begriffen haben muß. 64 Redemption 98. Über die menschliche Urstandsnatur schreibt Florovsky an anderer Stelle: '"Von Natur aus' ist der Mensch weder 'unsterblich' noch 'sterblich', vielmehr 'zu beidem befähigt', δεκτικόν άμφοτέρων." {Immortality 217). Zur Begründung dieser anthropologischen Voraussetzung cf u. Kap. 8. 65 Gregor von Nazianz: Epistola CI ad Cledonium. PG XXXVII, 181 C. 66 Redemption 98
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Christus erlöste Gott seine Schöpfung von der ihr von Beginn innewohnenden und durch die Sünde zugleich menschlicherseits irreversibel realisierten Möglichkeit im Tod zu vergehen: τό αεί είναι. Diesen zwei Akten sola gratia Dei korrespondieren zwei Akte, die Gott und Mensch in synergistischer Weise vollbringen: 3. Da der Mensch aufgrund seiner ontologischen Verfaßtheit der Möglichkeit zur Sünde unterliegt, ist es seine Aufgabe, bei der gleichzeitigen Unterstützung durch die im Glauben geschenkte Gnade in Übereinstimmung mit dem göttlichen Heilsplan zur Erlangung seiner Zweinaturenhaftigkeit zu streben: τό εύ είναι. Darin lag vor dem Fall die Bestimmung des Menschseins, die durch die Sünde keineswegs aufgehoben, aber nicht mehr verwirklichbar war. 4. Erst durch das in Jesus Christus dem Menschen zuteil gewordene Heilswerk ist es im Vollzug der fortschreitenden Theosis dem Menschen möglich, sein in Jesus Christus gnadenhaft verliehenes τό αεί εΤναι in eine immerwährende Gemeinschaft mit Gott ohne Sünde zu überführen: τό άεί εύ είναι. Diese heilsgeschichtliche Konzeption67, die sich auch aus dem bereits zur Christologie Ausgeführten ergibt, muß bei der nun folgenden Erörterung des infralapsarischen Motivs der Inkarnation ständig mitbedacht werden, denn sie bildet formal die Verbindung zwischen der supra- und der infralapsarischen Konzeption, die sich demnach nicht als einander ausschließend gegenüberstehen. Vielmehr ist durch den Fall und die damit verbundene Verderbtheit der menschlichen Natur, die die potentielle Sterblichkeit für sie zur Notwendigkeit machte, eine Spekulation über die supralapsarische Bedeutung der Inkarnation eine causa Irrealis geworden. Florovsky unterstreicht deshalb: "Die Erlösung der Menschen ist vor allem die Befreiung aus der 'Knechtschaft der Verderbtheit' (Rom 8,21), d.h. die Wiederherstellung der ursprünglichen Ganzheit und Stabilität der menschlichen Natur, oder die Auferstehung."68 Und noch pointierter: "Der erlösende Tod ist der letztgültige Sinn der Inkarnation."69 Der Mensch war von sich aus nicht in der Lage, etwa durch Buße, die aus der Sünde resultierende Sterblichkeit seiner Natur zu überwinden, denn auch Buße
67 Cf OSmerti 179f in Ver b i nd u ng m i t Äedemption 147f sowie meine Magisterarbeit Creation and Redemption 19. Auf die ontologischen Voraussetzungen und theologischen Begründungszusammenhänge kann erst im Rahmen der Schöpfungslehre detailliert eingegangen werden. 68 Lamb 23. Da Auferstehung die Überwindung des Todes bedeutet, der Tod aber als Trennung von Leib und Seele die Zerstörung der menschlichen Natur bewirkt, kann Florovsky hier den Begriff 'Auferstehung' univok mit dem der 'Wiederherstellung der menschlichen Natur' gebrauchen. 69 Redemption 99
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bedeutet nur eine Unterbrechung der Sünde, nicht jedoch die Vernichtung der tödlichen Verderbtheit. 70 Warum nun allerdings gerade der Tod des menschgewordenen Sohnes Gottes am Kreuz zur Erlösung der Menschen geschehen mußte, bleibt nach Florovskys Meinung ein Geheimnis, das nicht durch irgendwelche menschliche Konstruktionen erklärt werden sollte, die letztlich doch nur die Freiheit Gottes und die Freiwilligkeit des Todes Jesu als Notwendigkeit behaupten wollen. Aus diesem Grund lehnt er "moralische und erst recht gesetzliche oder juridische Konzeptionen" w i e die einer iustitia vindicativa, iustitia restnbutiva oder die einer satisfactio vicaria ab, da sie "nie mehr als farblose Anthropomorphismen sein können. Dies gilt ebenso von der Opfervorstellung" 71 , denn Christus wurde nicht 70 Cf Redemption 109 71 Redemption 101. Mit diesen Aussagen steht Florovsky in der Tradition der russisch orthodoxen Theologen, die um die Jahrhundertwende der Christologie und Soteriologie der orthodoxen Schuldogmatik vorwarfen, daß durch die Aufnahme der westlichen juridischen Kategorien in die Soteriologie die subjektive Seite der Erlösung und die Ethik, der Zusammenhang von Dogmatik und religiösem Leben nicht hinreichend zur Geltung gekommen seien (cf Puti 424-439 (engl.II, 199-215)). Zwar teilte Florovsky grundsätzlich dieses Anliegen, doch verurteilte er zugleich den bei diesen Theologen zum Ausdruck kommenden Moralismus und Psychologismus, der bei ihnen der Interpretationsschlüssel der kirchlichen Dogmen zu sein schien. So trat bei Antonij Chrapovickij (1864-1936) der Gedanke der Liebe, die die Menschen vereint, derart in den Vordergrund, daß er das Zentrum des Erlösungswirkens Christi in dem alle Sünder umgreifenden Gebetsgeschehen von Gethsemane - Metropolit Antonij berief sich auf Joh 17 - erblickte (cf Puti 430f (engl.n,206) und R.Slenczka: Lehre und Bekenntnis 540f), das Kreuzesereignis als Sühnegeschehen aber demgegenüber ganz in den Hintergrund trat (et Puti 434f (engl.II,210)). Er verstehe es als Ausdruck des seelischen Leidens Christi und interpretiere es damit nach Florovskys Überzeugung ausschließlich moralisch. Damit aber werde zugleich, so wirft er A.Chrapovickij vor, die kirchlich ontologische Interpretation der Dogmen moralisch gedeutet und damit elementar verkürzt (ibid.435 (engl.II,212); cf auch P.Evdokimov: Christus 144-148). Auch P.Svetlov (1862-1945) war bestrebt, das juridische Denken in der Soteriologie auszuschalten, doch ist es ihm trotz seines Rekurses auf die Patristik nach Überzeugung Florovskys nicht gelungen, das Christusgeschehen mit einer angemessenen ontologisch gefaßten Anthropologie zu verbinden, so daß er dem psychologisch moralischen Gedanken verhaftet geblieben sei, das Kreuz sei ein Opfer der Liebe gewesen und die Erlösung der Menschen geschehe mithin in der mitfühlenden Nachahmung dieser göttlichen Liebe als moralische Erneuerung (cf Puti 437f (engl.n,212f) und P.Evdokimov: Christus 149-151). Auf der Argumentationslinie Antonij Chrapovickijs und P.Svetlovs sah Florovsky schließlich auch Sergij Stragorodskij (1867-1944), den späteren Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche (cf ibid.438f (engl.II,213-215)). - Florovskys Christologie teilt mit diesen Theologen die Ablehnung der juridischen Soteriologie und die Hinwendung zum Gedanken der Liebe Gottes, die sich im Erlösungsgeschehen den
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passiv geopfert, sondern er hatte sich selbst den Weg zum Kreuz bestimmt und ihn freiwillig übernommen. Wenn man überhaupt einen notwendigen Grund für den Kreuzestod angeben kann, dann, so meint Florovsky, nur den der Liebe Gottes, die sich in freier Selbstbestimmung zum Tode bestimmt hat. "Gerechtigkeit wurde dadurch erstellt, daß die Erlösung durch Herabkunft (condescension), durch eine 'Kenose' gebracht wurde, und nicht durch eine allmächtige Gewalt."72 Es geht somit auch bei dem infralapsarischen Motiv der Inkarnation um Gottes freie und, insofern sie zielgerichtet und den Menschen zugutekommend ist, liebende Selbsterniedrigung. Aber auch hier macht sich Florovsky gegen eine Überbetonung des kenotischen Aspektes in der Christologie stark. Auch wenn die Kenose Gottes "im Kreuz Christi ihren Höhepunkt erreicht"73, so schützt gerade die kirchlich-liturgische Tradition zu den Passionsgottesdiensten vor einer Überbewertung der Selbsterniedrigung Gottes, die leicht verkennt, daß die Kirche das Kreuz "nicht nur als Triumph von Demut und Liebe, sondern auch als Sieg der Unsterblichkeit und des Lebens" feiert74. Letzter Grund für diese stärkere Betonung der Herrlichkeit des Sieges Christi aber ist seine Inkarnation, die sich am Kreuz "nur" vollendet, denn mit der Annahme der menschlichen Natur wurde "der Sohn Gottes [...] Mensch - für ewig. Der Sohn Gottes, 'Einer der Heiligen Trinität', ist kraft der Inkarnation Mensch für alle Ewigkeit. Die hypostatische Union ist eine bleibende Tatsache (permanent accomplishment)."75 Damit feiert und verherrlicht die Kirche letztlich den liebenden Gott, denn es ist dieser Gott selbst, der "so sehr und so eng (internately) um das Schicksal der Menschen besorgt war [...], daß er als Person in das Chaos und Elend des verlorenen Menschen eingriff' 76 , so daß Florovsky, die Menschen mitteilt. Doch lehnte er den Moralismus, mit dem diese die Liebe interpretierten, strikt ab. 72 Redemption 102. Es ist für die Entwicklung der Ausführungen Florovskys interessant, daß dieser letzte Gedanke in seinem ersten Aufsatz zur Erlösungslehre Ο Smerti aus dem Jahr 1930 fehlt und erst später in die vorliegende englische Fassung eingefügt worden ist. Sachlich bedeutet dies jedoch keine Veränderung der Theologie Florovskys, da sich diese Explikation aus der starken Betonung der Freiheit Gottes und der Freiwilligkeit der Todesübernahme Jesu logisch bereits nahegelegt hat. 73 Last Things 246 74 Redemption 137 75 Pat.Age 65 76 Lost 13. Etwas verfänglich, doch auf dem Hintergrund der Liebe Gottes zur Welt zutreffend formuliert, schreibt Florovsky an anderer Stelle (Tenebrae 254 (engl.83)): "Gottes absolute Antwort auf das Böse war das Kreuz Jesu, der leidende Gottesknecht, der Tod des inkarnierten Sohnes [...] Das Böse verursachte [!], daß Gott selbst leidet."
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Karfreitagspredigt Filaret Drozdovs aus dem Jahre 1816 zitierend, schreibt: "Das Kreuz Christi [...] ist in der Tat nichts anderes als Abbild und Schatten des himmlischen Kreuzes der Liebe."77 Damit aber kommen wir zu dem Ergebnis, daß für Florovsky letztlich die Liebe Gottes beide Motive der Inkarnation miteinander verbindet und damit einmal mehr die Christozentrik seiner Theologie unterstreicht. Wie aber versteht Florovsky diese Liebe Gottes? Gott hätte das Böse auch durch eine allmächtige Gewalttat aus der Welt verdrängen und die Wirksamkeit des Todes durch einen Befehl beenden können.78 Abgesehen davon, daß dies eine causa irrealis ist, sieht Florovsky im Absehen von einem Machterweis Gottes den Erweis seiner Liebe, denn "der göttliche Wille zerstört nicht den ursprünglichen Status der menschlichen Freiheit".79 Vielmehr bedeutet gerade diese Selbstbegrenzung Gottes, in der Florovsky den präzisen Ausdruck der göttlichen Kenose sieht, seine "äußerste Erniedrigung".80 Florovsky setzt damit voraus, daß es keine gratia irresistibilis gibt, d.h. daß die göttliche "Liebe das Heil nicht unter Zwang aufdrängt, wie sie es getan haben könnte."81 Der Mensch kann sich durch seinen freien Willen dem Heil verweigern, ja sich letztlich selbst zur Verdammnis bestimmen. Dieses Beharren auf der menschlichen Freiheit, welches ein Grundmotiv der Theologie Florovskys ist, wird jedoch mißverstanden, wenn man meint, dadurch sei die Göttlichkeit Gottes reduziert. Gottes Göttlichkeit kann nur durch ihn selbst begrenzt werden. Genau dies ist mit der Inkarnation geschehen, denn mit ihr kommt es in der Person Jesu Christi zur ewigen Verbindung von göttlicher und menschlicher Natur, so daß letztere vergöttlicht wird. Mit diesem die Rekapitulationslehre des Irenäus verarbeitenden Gedanken verdeutlicht Florovsky somit auf die Theosislehre bezogen einen weiteren Aspekt der sich im Ereignis der Inkarnation
77 Zitiert in Redemption 100. Wörtlich heißt es bei Filaret [Drozdov]: Slova Tom.I 94: "Das Kreuz Jesu ..." 78 Cf Redemption 97 und den von Florovsky hier angeführten Athanasius: De Incarnatione 44 PG XXV, 126 79 Ibid. 80 Ibid. Innerhalb der russischen Kontroverse über die Soteriologie (s.o.Anm. 71) nimmt Florovsky damit eine Mittelstellung ein. Es wäre allerdings ein Mißverständnis seines hier explizierten Liebesverständnisses, wenn man dieses nur als Moralismus oder Psychologismus verstehen wollte. Liebe ist für Florovsky grundsätzlich Ausdruck von sich auf andere beziehender Freiheit, deren ontischer Ermöglichungsgrund die Gabe kreatürlichen bzw. das Faktum göttlichen Seins ist (cf dazu u.7.2f). 81 Ibid. Dieser Satz fehlt in Ο Smerti, obgleich er sachlich auch dort enthalten ist. Dennoch unterstreicht diese Einfügung, wie wichtig Florovsky dieser Aspekt ist.
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ausdrückenden Liebe Gottes. Nur durch die von Gott selbst in Freiheit gewählte Bestimmung zur Inkarnation konnte und "sollte die menschliche Natur für die Gemeinschaft mit Gott erneuert werden, die durch den Fall zerstört und aufgehoben war. Die Heilige Menschheit Jesu sollte die Brücke über den Abgrund der Sünde bilden."82 Die Respektierung und Behauptung der menschlichen Freiheit, die nicht durch eine Machttat Gottes vergewaltigt wird, sowie der Bezug auf die Rekapitulationslehre des Irenaus sind somit materiale Explikation der Liebe Gottes, die letztlich die einzige Antwort auf die Frage 'Cur Deus homo?' ist. Beide Konzepte, das infra- wie das supralapsarische, stehen im Denken Florovskys nicht in einem Gegensatz zueinander. Vielmehr verdeutlichen beide zusammen die gegenseitige Verschränkung von infra- und supralapsarischem Motiv der Inkarnation. Wenn Jesus Christus als vere Deus und vere homo der Sinn der Schöpfung ist, so zeigt die Rekapitulationslehre auf, daß Gott diesem von ihm gewählten Sinn der Schöpfung die Treue hält, wenn er die Gemeinschaft mit den Menschen auch nach dem von diesen verschuldeten Fall von Grund auf erneuern und vertiefen will. Wenn aber andererseits Jesus Christus Sinn und Ziel der Schöpfung ist, so ergibt sich, daß das Gegenüber von Gott und Mensch nicht zugunsten einer Vermischung aufgelöst werden darf. Der Mensch bleibt Gottes freies Gegenüber, dessen freier Wille sich trotz objektiv geschehener Heilstat gegen die Gemeinschaft mit Gott aussprechen kann. Ohne daß man die zwei Momente, die für das Motiv der Inkarnation herausgearbeitet wurden, in ein strenges Korrespondenzverhältnis zu den Kategorien von 'Natur' und 'Person' stellen kann, vielmehr ihre enge Verschränkung wahrnehmen muß, ist dennoch deutlich, daß Florovsky diese Grundunterscheidung des Chalcedonense für seine theologische Beantwortung der Frage 'Cur Deus homo?' fruchtbar gemacht hat. Er konnte nämlich die Christologie mit ihrem Bekenntis der Einheit der zwei Naturen in der einen göttlichen Hypostase als Grundlage der Schöpfungslehre und der Anthropologie hervorheben und somit den Zusammenhang von Gott und Mensch in den weitest möglichen Kontext rücken. Hierin liegt der Sinn dieser extensiven Behandlung einer Frage, die in der Patristik nur in geringem Maße explizit verhandelt wurde. Die Stärke der Ausführungen Florovskys liegt sicherlich darin, daß sich die Beantwortung der gestellten Frage nicht in freischwebenden Spekulationen verliert, sondern die soteriologische Ausrichtung theologischer Rede sowie deren Verankerung in der lebendigen Glaubenserfahrung kirchlichen Lebens voll zum Tragen kommt. 82 Mother 176. Das Gesagte hat man selbstverständlich ontologisch zu verstehen.
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4.3 Die Inkarnation Man mag sich fragen, was eine spezielle Behandlung der Frage der Inkarnation nach dem bereits Ausgeführten an weiteren Erkenntnissen bringen kann. Mit der Interpretation des Chalcedonense durch Florovsky wurde ja bereits beschrieben, was den Inkarnierten auszeichnet: die eine göttliche Hypostase in zwei vollkommenen Naturen (asymmetrischer Dyophysitismus), die Sündlosigkeit der angenommenen menschlichen Natur, die daraus folgende Betonung der personalen Freiheit Jesu Christi sowie das Motiv für die Inkarnation mit den darin enthaltenen anthropologischen Voraussetzungen. Würde man ausschließlich Florovskys Aufsätze zur Erlösungslehre betrachten, so wäre in der Tat nach wenigen Bemerkungen zu Kreuz und Passion Jesu überzugehen, doch würde man dann übersehen, daß Florovsky mit einer Abhandlung, die von ihm selbst allerdings "nicht als theologischer Aufsatz im strengen Sinn" bezeichnet wird, die These vertreten hat, "daß die Mariologie zum wesentlichen Inhalt der christlichen Lehre gehört"83, ja daß "die christologische Lehre nie genau und adäquat dargestellt werden kann, wenn darin keine fest umrissenen Aussagen (very definite teaching) über die Mutter Christi enthalten sind."84 Angesichts dieser 1949 aufgestellten These verwundert es, daß Florovsky in anderen Passagen über die Inkarnation die Mariologie mit keinem Wort berührt.85 Diese auffallende Divergenz läßt sich nicht erklären, doch wird sich an den folgenden Ausführungen zeigen, wie Florovsky bereits eingeführte Gedanken konkret verarbeitet, so daß seine mariologischen Aussagen "als letzter Test christologischer Rechtgläubigkeit (orthodoxy)"86, wie er es für jede Theologie fordert, betrachtet werden können. Auf der Grundlage der vorangegangenen Abschnitte wird deshalb im folgenden seine Mariologie dargestellt und sodann nach der Heilsbedeutung der Inkarnation und deren Verhältnis zum Kreuzesgeschehen gefragt.
83 Mother 171. An Wissenschaftlichkeit und Gehalt unterscheiden sich diese als "occasional address" (ibid.) bezeichneten Ausführungen allerdings nur wenig von anderen Aufsätzen. 84 Mother 172 85 Eventuell ist dies mit Florovskys Auseinandersetzung um S.Bulgakovs Sophiologie, in der Maria eine zentrale Rolle spielt, zu erklären. Florovsky wollte sich zur Mariologie nicht gesondert von einer geplanten (cf Tree 11) ausführlichen Darlegung der Christologie äußern, denn "Mariologie ist nichts anderes als ein Kapitel in der Behandlung der Inkarnation und sollte nie in einer abgelösten Abhandlung untersucht werden." (Mother 173) 86 Mother 172
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"Unglücklicherweise wurde das Geheimnis der Inkarnation in der heutigen Zeit zu oft in gänzlich abstrakter Art und Weise behandelt, als ob es gelte, ein metaphysisches Problem oder ein dialektisches Rätsel zu lösen [...] Dann ist man in der Gefahr, die Hauptsache zu übersehen und zu verfehlen: die Inkarnation war genau genommen eine Machttat des lebendigen Gottes, seine personale Intervention in das geschöpfliche Sein, ja das 'Herabkommen' einer göttlichen Person, Gott in Person."87 Es geht Florovsky somit um den personalen Aspekt der Inkarnation. Erst die Erkenntnis, daß in Jesus Christus Gott zur Welt kam, was der Begriff 'Theotokos' gerade unterstreichen will, verdeutlicht die Tiefe dieses Ereignisses. In der Menschwerdung der zweiten Person der Trinität geht es nicht um das Erscheinen eines abstrakten Prinzips von Liebe und Vergebung, sondern um die personale Begegnung von Gott und Mensch. Die Mariologie aber kann dies in hervorragender Weise explizieren, da sich im Zusammentreffen von Gott und der Frau Maria, vom Sohn Jesus Christus und seiner Mutter, der Theotokos, die Begegnung zwischen Gott und 'Altem Adam', zwischen 'Zweitem Adam' und der 'Neuen Kreatur' exemplarisch manifestiert. Mit dem Ereignis der Inkarnation ist somit ein neuer Abschnitt in der personalen Begegnung zwischen Gott und Mensch erreicht, der die Heilsbedeutung der Inkarnation verdeutlichen kann. Wegen dieser Implikationen kann Florovsky schreiben: "Als Ereignis ist die Inkarnation der Wendepunkt der Geschichte - und der Wendepunkt ist unausweichlich antinomisch: er gehört zugleich zum Alten und zum Neuen."88 Diese Antinomie repräsentiert die historische Person der Mutter Jesu, deren Bedeutung für die Inkarnation Florovsky in zwei Schritten entwickelt. Vom personalen Aspekt der Inkarnation ausgehend expliziert er am Begriff 'Theotokos' die christologischen Aussagen über den Gottmenschen, denn "dieser Name stellt das ganze Geheimnis der Heilsökonomie dar."89 Sodann geht er näher auf die Funktion Marias im Kontext der Erlösungslehre ein und beschreibt damit zugleich anthropologische Grundzüge seiner Theologie. Der Begriff 'Theotokos' unterstreicht nochmals, daß es in Christus keine menschliche Hypostase gibt, aber dennoch von ihm eine doppelte Zeugung ausgesagt werden muß. Mit Bezug auf Johannes Damascenus betont Florovsky, daß es der Irrtum des Nestorius gewesen sei, aus der zweifachen Zeugung auch auf eine doppelte Sohnschaft zu schließen. Gerade weil der Sohn Marias kein anderer als der Sohn Gottes war, muß über die Person der 87 Mother 174 88 Mother 182f 89 Johannes Damascenus: Defi.de Orthodoxa 111,12 PG XCIV, 1029 C. Florovsky: Mother 172, übersetzt οικονομία frei aber sachlich korrekt mit 'Incarnation'.
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Gottesgebärerin gesprochen werden. "Denn wir können die Inkarnation nicht bloß als ein metaphysisches Wunder ansehen, das in keiner Beziehung zum persönlichen Schicksal und Dasein der daran beteiligten Personen steht."90 Würde dieses theologische Nachdenken vernachlässigt, kommt man einer doketischen Christologie sehr nahe, die sich in den Augen Florovskys gerade dadurch auszeichnet, daß sie die personale Begegnung zwischen Gott und den Menschen zugunsten eines Aufeinandertreffens von Prinzipien und Ideen aufhebt. Gegen diese doketische Gefahr, die an der Mutterschaft Marias nur "das bloße Faktum einer physischen Ausbildung (precreation)"91 der menschlichen Natur wahrnimmt, stellt Florovsky die personale Beziehung zwischen Mutter und Sohn. "Für den menschgewordenen Herrn gibt es eine einzelne menschliche Person, zu der er in einer speziellen Beziehung steht, - genau gesagt, eine, für die er nicht nur Herr und Erlöser, sondern auch Sohn ist. Andererseits war Maria die wahre Mutter ihres Kindes - die Wahrheit ihrer menschlichen Mutterschaft hat keinen geringeren Stellenwert und keine geringere Bedeutung als das Geheimnis ihrer göttlichen Mutterschaft."92
Mit dieser Betonung der menschlichen Beziehung zwischen dem göttlichen Sohn und der Mutter, über deren Einzelheiten man nach Meinung Florovskys nicht spekulieren sollte, die aber dennoch sicherlich von gegenseitiger menschlicher Zuneigung und Liebe geprägt gewesen sei, hat Florovsky erneut herausgestellt, daß es sich bei der Menschwerdung Jesu Christi um eine personale Begegnung Gottes mit den Menschen handelt. Die Annahme der menschlichen Natur ist somit keineswegs als ein "technischer Akt" zu verstehen, denn Christus kam nicht ώς διά σωλήνος, "wie durch einen Kanal"93, sondern nahm die mit der der Menschen wesensgleiche menschliche Natur von Maria an. Betrachtet man diese Bedeutung des Naturaspektes in der Theologie Florovskys, so wird deutlich, daß man bei ihm von 'Natur' nie reden kann, wenn man das persönliche Moment menschlicher Existenzweise davon ausschließt. 'Natur' wird erst erfahrbar in und durch die sie verwirklichende Hypostase und ist ohne diese unbeschreibbar und unwirklich. Legt man diesen Naturbegriff zugrunde, so ist zugleich klar, warum Florovsky einer Theologie, die die Mariologie vernachlässigt, vorwirft, sie müsse letztlich auch die Heilsbedeutung der Inkarnation, die in der Annahme der menschlichen Natur durch Jesus Christus beschlossen liegt, übersehen. Nämlich: "unsere Adoption in die wahre Sohnschaft Gottes in [und durch] den menschgewordenen Herrn"94, 90 91 93 94
Mother 177 Mother 175 92 Ibid. Cf auch 179. Johannes Damascenus: De Fide Orthodoxa 111,12 PG XCIV, 1028 C Mother 175
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die gerade die personale Begegnung der Menschen mit Gott, nicht jedoch ein abstraktes Zusammentreffen des Göttlichen mit dem Menschlichen ausdrücken will. Von daher sieht Florovsky in der das Geheimnis der Inkarnation ausdrückenden Beziehung zwischen Mutter und Kind "die letztgültige Sicherung gegen jeglichen abstrakten Doketismus. Sie ist eine Sicherung evangelischer Konkretheit"9S, die gerade an den orthodoxen Ikonendarstellungen der Inkarnation manifest wird: "Die Jungfrau ist immer mit dem Kind."96 Hat Florovsky mit diesen Aussagen den streng christologischen Aspekt der Inkarnation an der Mariologie expliziert, so beschäftigt er sich im folgenden mit der umgekehrten Perspektive. Was ist über die Person Mariens auszusagen, wenn sie, da Christi menschliche Natur ihren Ursprung in ihr hat, "am Geheimnis der erlösenden Wiederherstellung der Welt Anteil hat"97? Da die Person Mari ens die personale Begegnung zwischen Gott und den Menschen exemplarisch repräsentiert, zugleich jedoch Personalität immer ein Geheimnis bleibt, weist Florovsky am Ende seines Aufsatzes über die Mariologie daraufhin, daß man über Maria keine Aussagen machen könne, die das Geheimnis der Inkarnation bis in die letzten Ήβίβη erklären wollen. Vielmehr sei man auf die devotionale Erfahrung der Kirche angewiesen, die auf logische Erklärungen zur Auflösung des Geheimnisses um der Wahrheit des Christusereignisses willen verzichte.98 Aus diesem Grund wollen Florovskys Ausführungen zur Person Mariens nur den Charakter von Aussagen zur Christologie bzw. zum Ereignis der Inkarnation sein, die auf Fragen antworten, die sich aus dem bislang Gesagten ergeben. Der erste Fragenkomplex dreht sich um das Problem der menschlichen Natur Jesu Christi. Wie kann diese sündlos sein, wenn Maria eine Repräsentantin der gefallenen Menschheit, des 'Alten Adam' war? Florovskys erste Antwort ist positiv. Indem Jesu menschliche Natur mit der Mariens wesensgleich ist, sichert Maria die "Kontinuität des menschlichen Geschlechts"99, so daß Christus, wie es die Rekapitulationslehre des Irenäus und die Genealogien der Evangelien beschreiben, "longam hominum expositionem in seipso recapitulavit"100. Doch wäre es nach Meinung Florovskys falsch, mit 95 Mother 179 96 Ibid. Auch die Darstellungen der Gottesgebärerin als Orantin, auf denen der Sohn fehlt, weisen durch die Gebärde der Hände auf ihn hin. 97 Mother 177 98 CfMother 183 und Florovskys Aufnahme der diesbezüglichen Aussagen Kardinal J.H.Newmans in Mother 185f. 99 Mother 178 100 Irenäus: Adversus haereses III 18,1 PG VII, 932 Β
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der Dogmatisierung einer Immaculata conceptio die Sündlosigkeit der menschlichen Natur Jesu sichern zu wollen, denn damit würde man sich erstens von einem bedenklichen Konzept der Erbsündenlehre abhängig machen, zweitens die Bedeutung der Fülle der Gnade, die Maria geschenkt worden war, einschränken und schließlich drittens verdunkeln, daß "die Sünde einzig am Stamm des Kreuzes vernichtet wurde, und keine 'Ausnahme' möglich gewesen ist, da sie schlicht die gemeinsame und allgemeine Verfassung des ganzen menschlichen Daseins war."101 Vielmehr ist davon auszugehen, daß Maria wie alle anderen Menschen der Erlösung bedurfte. Jedoch war sie dazu prädestiniert, dem Zweck der Inkarnation zu dienen. "Sie war zugleich eine Repräsentantin der Menschheit und ausgewählt."101 Diese göttliche Wahl ist unlöslich an den ewigen göttlichen Ratschluß zur Inkarnation des Sohnes gebunden, so daß mit den Worten des Troparions zum Tage der Ankündigung der Geburt Jesu durch den Engel Gabriel diese Verkündigung an Maria "der Anfang unserer Erlösung und die Offenbarung des Geheimnisses von Ewigkeit her ist."103 Florovsky führt diesen Gedanken dahingehend aus, daß er dieser Verkündigung die Bedeutung eines "antizipierten Pfingsten" für Maria zumißt104, denn in diesem Ereignis wurde sie mit dem Heiligen Geist erfüllt. Dennoch bedeutet die ihr damit verliehene "Fülle des Geistes" noch nicht die vollkommene Erlösung. Vielmehr findet die ihr verliehene Gnade Ausdruck in ihrer freien Hingabe an Gott, die mit dem Begriff 'Jungfrau' beschrieben wird und bereits in der unerlösten Menschheit möglich war.105 Prädestination bedeutet für Florovsky demnach nicht, daß Gott seinen Willen ohne die aktive Kooperation der Menschen durchsetzt. Vielmehr respektiert er den freien Willen des Einzelnen bzw. verlangt den freien Glaubensgehorsam zur Erfüllung seines Planes. Damit ist, und dies wird besonders bei der Ankündigung der Geburt Jesu an Maria deutlich, die Initiative zu einer Heilstat grundsätzlich göttlich106, "die gehorsame und freudige Annahme des erlösenden Zieles
101 Mother 182 102 Mother 176 103 Zitiert in Mother 179 104 Mother 177 105 CfdazuA/ofAerl82. Hier bildet unausgesprochen erneut das Florovskys Denken zugrundeliegende das heilsgeschichtliche Schema die Grundlage der Argumentation. 106 Gegen lutherische Mißverständnisse orthodoxer Theologie gerade in diesem Punkt wendet sich Florovskys ausführliche Untersuchung zum asketischen Ideal des Mönchtums in Byzantine Ascetic Kap.l u.2, wo sich auch eine überaus interessante Interpretation Luthers und dessen Rechtfertigungslehre im Verhältnis zum orthodoxen Synergismusverständnis findet (ibid.l79ff).
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Gottes, so schön im Magnificat formuliert, [...aber] ein Freiheitsakt"107. Für Florovsky ist somit der Glaubensgehorsam Mariens "Freiheit aus Gehorsam, nicht aufgrund von Eigeninitiative (initiative) - und doch wahre Freiheit, Freiheit aus Liebe und Anbetung, Demut und Vertrauen - und Freiheit der Zusammenarbeit (co-operation) [...] Genau dieses aber bedeutet menschliche Freiheit."108 Gerade diese, auch der gefallenen Kreatur mögliche Freiheit beschreibt der fälschlich als rein physische Kategorie verstandene Begriff 'Jungfräulichkeit'. Er bezeichnet "vor allem eine spirituelle und innere Einstellung."109 Die Virginität als Ausdruck wahrer menschlicher Freiheit auf diese Weise verstanden bedeutet konkret, daß Maria nicht von Leidenschaften und Begierden, sondern allein von Gott bestimmt war, sich ihm allein hingab und diese Hingabe ihr ganzes Leben hindurch bewahrte. Die Pointe dieser Argumentation Florovskys zeigt nun deutlich seine Ablehnung der augustinischen Erbsündenlehre, wenn er folgert: diese "spirituelle Jungfräulichkeit ist Sündlosigkeit, wenn auch noch nicht 'Vollendung' ('perfection') und Befreiung von Anfechtung"110, die erst durch die Erlösungstat am Kreuz geschehen konnte. Diese Schlußfolgerung verdeutlicht Florovskys Anliegen. "Die Gnade Gottes kann nie sozusagen mechanisch einfach übergestülpt (superadded) werden. Sie muß in freiem Gehorsam und in Unterwerfung angenommen werden."111 Damit aber bleibt die Sündlosigkeit der menschlichen Natur Jesu Christi letztlich ein Geheimnis, das sich in logisch diskursiver Form nicht erklären läßt. Vielmehr gilt es zu beachten, daß diese Frage ein Problem göttlicher Wahl ist. Diese prädestinierte Maria dazu, ihren aktiven und damit eigenen Anteil am Geheimnis der Inkarnation zu haben. Dazu verlieh Gott ihr die Gnade, die Theotokos zu werden.112 Damit aber präfiguriert Maria sozusagen die Erlösung. Denn in ihrer Kooperation mit der Gnade Gottes ist sie die erste, der durch die Heilstat Christi ermöglichten neuen Schöpfung. "Als Mutter des Neuen Menschen hat Maria ihren antizipierten Anteil an eben dieser Neuheit."113 Florovsky bezieht sich zur Verdeutlichung dieses Sachverhalts auf Irenäus' Rede von der recirculatio. Wie durch eine Jungfrau, Eva, die Sünde in die Welt kam,
107 108 109 110 111 112 113
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Mother 181 Ibid. Mother 184 Mother 184f Mother 181 Ci Mother 182 Mother 178
so kam durch die Jungfrau Maria das Heil der Welt. "In diesem Sinn ist die Jungfrau Maria die zweite Eva, wie ihr Sohn der zweite Adam ist."114 Diese alte Analogie dient Florovsky nun erneut dazu, die Kooperation Mariens am Geheimnis der Inkarnation scharf zu profilieren, wenn er einen Spitzensatz des Metropoliten Filaret Drozdovs zitiert: "An dem Tage, einzigartig im Dasein der Welt, als Maria ihr demütiges und gehorsames 'es soll geschehen' aussprach - ich wage kaum auszudrücken, was danach geschah bewirkte das Wort einer Kreatur, daß der Schöpfer in die Welt hinabkam."115 Allerdings ist auch hier zu beachten, daß die göttliche Prädestination die Initiative hat. Indem Maria aber dieser göttlichen Wahl in freiem Gehorsam entspricht, ist sie nach Florovskys Verständnis des recirculatio-Gedankens "Repräsentantin der ganzen Menschheit"116, denn an ihr wird exemplarisch die Möglichkeit und Wirklichkeit des Glaubensgehorsams, der, wie noch zu zeigen sein wird, zur Theosis führt, deutlich. Insofern gehört sie zugleich zum Geschlecht des Alten Adam wie auch zur neuen Schöpfung. Diese soeben genannte Antinomie, von der dieser Abschnitt ausgegangen war, und die Florovsky mit den Vorstellungen von der recapitulatio und der recirculatio erklärte, führt nun abschließend zu der Frage nach dem Verhältnis von Inkarnation und Kreuz, kurz: zur Frage nach der Heilsbedeutung der Inkarnation. Mit Johannes Damascenus unterscheidet Florovsky drei Implikationen aus dem Inkarnationsgeschehen. 1. Durch die Annahme der menschlichen Natur wurde dem Menschen die Kindschaft Gottes ermöglicht, wie sie bereits oben erläutert wurde. 2. Weil die Union der beiden Naturen in der Hypostase Jesu Christi ewig ist117, ist die Unsterblichkeit, die ewige Existenz der menschlichen Natur erlangt, was allerdings erst durch die Auferstehung vom Tod erkennbar wird, in der Inkarnation j edoch bereits gegeben ist. 3. Durch die Vereinigung der menschlichen Natur mit der göttlichen in der Hypostase des Sohnes wird die menschliche Natur gnadenhaft118 vergöttlicht. Diese drei mit der Inkarnation bereits verwirklichten 114 Mother 179 115 Zitiert nach Mother 180. Dortige Quellenangabe: Choix de Sermons et Discours de S.Em.Mgr.Philaröte, M6tropolite de Moscow, traduits par A.Serpinet. Paris 1866 Tom.1187. 116 Mother 181. Wie F.v.Lilienfeld: Maria im liturgischen Gebet 58f gezeigt hat, fehlt in der orthodoxen Hymnographie sowohl der Gedanke der Zustimmung Mariens als auch der des Zusammenwirkens Gottes mit der Gottesmutter wie auch der ihrer Prädestination völlig. Florovsky überträgt hier, unter besonderer Betonung des ihm wichtigen Freiheitsgedankens, Aussagen der Kirchenväter zum Synergismus auf die Gottesmutter. 117 Cf Year 2f und o. 4.2 118 Würde man die Vergöttlichung als naturhaften Vorgang verstehen, so müßte die
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soteriologischen Implikationen, πρόσληπσις, υπαρξις, θέωσις n9 , lassen sich unmöglich voneinander trennen, sondern geschehen zugleich. Andererseits kann man diese Aussagen, wie es bereits bei der Erlösungsbedürftigkeit Mariens anklang, nicht vom eigentlichen Heilswerk am Kreuz trennen. Denn "die Inkarnation war nur die Grundlage und der Ausgangspunkt des Erlösungswerkes des Herrn"120, das nach Florovskys Auffassung j edoch wesentlich eines ist, da die einzelnen Momente im ewigen Ratschluß Gottes beschlossen sind. "Im ewigen Plan zusammengeschlossen werden sie in der zeitlichen Anordnung je für sich reflektiert, und die endgültige Erfüllung ist bereits in all den früheren Momenten (stages) vorgebildet und anrizipiert. In der Geschichte der Erlösung gab es einen wirklichen Fortschritt (progress)."121 Florovsky greift damit auf die im Abschnitt 'Cur Deus homo ?' verhandelte Problematik der Prädestination der Inkarnation, die das Kreuz miteinschließt, zurück. Beachtet man diese Geschlossenheit seiner Argumentation, dann wird verständlich, warum er der Beschreibung des Heilswerkes Christi am Kreuz grundsätzliche Aussagen zur Inkarnation voranschickt. "Das schreckliche Geheimnis des Kreuzes ist nur in der weiteren Perspektive einer integralen Christologie verständlich; d.h. nur wenn wir glauben, daß der Gekreuzigte in Wahrheit der 'Sohn des lebendigen Gottes' war."122 'Integrale Christologie ' bedeutet somit in diesem Zusammenhang, daß sich eine Theologie über das Kreuz Christi der Aussagen des Glaubens der Kirche vergewissern muß. Die Erfahrung der Kirche aber drückt sich im Bekenntnis und den daraus folgenden Erkenntnissen über das Motiv der Inkarnation sowie über das Ereignis der Menschwerdung aus. Es ist deshalb bezeichnend, daß Florovsky in diesem und dem vorigen Abschnitt zur Darlegung des zu diskutierenden Sachverhalts vermehrt auf liturgische Texte zurückgegriffen hat. Da er insofern nicht immer deduktiv stringent argumentieren konnte, kamen in den vorangegangenen Abschnitten schon einige noch nicht näher erläuterte Grundzüge der Theologie Florovskys vor, die er auch selbst in den gegenwärtigen Kontext nur affirmativ einbringen konnte. Christologie von der im Bekenntnis von Chalcedon ausdrücklich negierten Vermischung der beiden Naturen in Christus ausgehen. Für die Menschen ereignet sich die Vergöttlichung somit nur durch Gnade, nicht durch Union mit der göttlichen Natur. 119 Cf Johannes Damscenus: De Fide Orthodoxa 111,12 PG XCIV, 1032. Florovsky geht auf diese Dreiteilung in Redemption 97 ein und übersetzt υπαρξις frei mit "existence" im Sinne von 'ewiges Sein'. 120 Mother 182 121 Ibid. Hervorhebungen von Florovsky. 122 Lost 13
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4.4 Kreuz und Tod 4.4.1 Die Freiheit zum Tod Trotz der mit dem Ereignis der Inkarnation bereits gegebenen soteriologischen Implikationen bedeutet diese "noch nicht die Übernahme des menschlichen Leidens oder der leidenden Menschheit."123 In der gegenseitigen Abgrenzung von Inkarnation und dem zentralen Heilsereignis des Kreuzes wird für Florovsky die Asymmetrie seiner Christologie bedeutsam. Da Christi menschliche Natur sündlos war, muß man mit Johannes Damascenus und Maximus Confessor zwischen der Annahme der menschlichen Natur, die nicht der Notwendigkeit zu sterben unterliegt, und der Übernahme der Sünde durch Christus streng unterscheiden.124 Zwar unterliegt der Gerechte in einer sündigen Welt notwendig der Repression und Verfolgung, so daß "das ganze Leben unseres Herrn ein Kreuz ist. Aber das Leiden ist noch nicht das ganze Kreuz. Das Kreuz ist mehr als bloß das Leiden des Guten."125 Letztlich hätte jedoch auch die sündige Welt den Gottmenschen nicht überwinden können, wenn er dies nicht selbst gewollt hätte. Denn für Florovsky gehört, wie bereits gezeigt, zum Gedanken der Enhypostasie der menschlichen Natur in die eine Hypostase des Logos notwendig der Gedanke der Freiheit hinzu. Diese Freiheit des Gottmenschen, die hier als Freiheit sein Leben hinzugeben oder zu behalten in Betracht kommt, ist das eigentliche Motiv und zugleich die eigentliche Wirkmächtigkeit des Heilsereignisses am Kreuz. Die freie Wahl, sein Leben am Kreuz hinzugeben, darf nicht verstanden werden "im Sinne eines freiwilligen Duldens oder eines Sich-nicht-widersetzens, nicht einfach in dem Sinn, daß Er es zuließ, daß Sünde und Ungerechtigkeit an Ihm ihre Wut ausließen. Er ließ es nicht nur zu, sondern wollte es. Er mußte nach dem Gesetz der Wahrheit und der Liebe sterben."126 Der von Florovsky zugrundegelegte Freiheitsbegriff hängt demnach eng mit dem Gedanken der ewigen Liebe Gottes zu den Menschen, die er vor aller Zeit zur Gemeinschaft mit ihm in seinem Sohn, zur Theosis, berufen hatte, zusammen. Damit aber ist Jesu Tod am Kreuz Ausdruck seiner von nichts als von seiner liebenden Freiheit bedingten Tat. Aus dieser Grundlegung seines Verständnisses des Kreuzes ergeben sich für Florovsky zwei Konsequenzen. Erstens ist Christi Kreuzestod als Sieg zu verstehen und, zweitens, wollte Christus seinen Tod, um Leben zu schenken. 123 Redemption 98 124 Ibid. 125 Redemption 99
126 Redemption
100
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Da Christus aufgrund seiner sündlosen menschlichen Natur nicht der Notwendigkeit zu sterben unterlag, aber dennoch den Kreuzestod gewählt hat, war er "nicht passives Opfer, sondern Eroberer, auch in seiner größten Erniedrigung. Er wußte, daß diese Erniedrigung kein bloßes Dulden oder Gehorsam war, sondern genau der Weg der Herrlichkeit und der des letztgültigen Sieges."127 Damit aber hat Christi Tod, obwohl ein gänzlich menschlicher Tod, einen anderen Charakter als der Tod, der nach Rom 6,23 der Sünde Sold ist. Denn die Macht des Todes konnte sich an ihm nur als Sündlosem manifestieren, wenn er es wollte128, so daß Christus schon vor seinem Tod der Herr desselben gewesen ist. Dies wird für Florovsky gerade auch am letzten Abendmahl deutlich, da Jesus in Brot und Wein seinen eigenen Tod vorwegnimmt.129 Trotz dieser starken Betonung der Freiwilligkeit des Kreuzes und der Sieghaftigkeit Christi weist Florovsky jeglichen doketischen Irrtum zurück, wenn er, zwei einander notwendig korrigierende Aspekte des Kreuzes anführt. So versteht er unter dem Kreuz "zugleich ein Geheimnis von Kummer und ein Geheimnis von Freude, ein Geheimnis von Schande und Herrlichkeit"130, denn nur durch Christi Leiden - Florovsky verweist auf Jes 53,5 - geschieht die Erlösung. Mit Hinblick auf IKor 1,17 darf man deshalb die Realität des Leidens nicht doketisch unterschätzen. Andererseits darf auch das kenotische Element nicht überbewertet werden, denn, gerade weil Christus bereits in seiner Inkarnation Sieger über den Tod ist, ist das Kreuz das "Siegel der Erlösung - ein Zeichen der Macht und des Sieges."131 Indem er den westlichen Vorwurf, orthodoxe Theologie sei immer theologia gloriae, zurückweist, bringt Florovsky dieses angegebene Spannungsverhältnis auf die pointierte Formel: "Orthodoxe Theologie ist betontermaßen eine Theologie der Herrlichkeit, theologia gloriae, aber nur, weil sie vordringlich Theologie des Kreuzes ist."132 Wird Christus demnach schon vor seinem Kreuzestod als Sieger über den Tod verstanden, so fragt sich, warum er überhaupt noch sterben mußte. Hier ist an die bereits dargelegte heilsgeschichtliche Konzeption Florovskys zu erinnern, die sich bei seiner Beantwortung der Frage 'Cur Deus homo?' ergab. In der Bestimmung Jesu Christi als letztem Sinn der Schöpfung
127 Redemption 101 128 CfJohannes Chrysostomus: Homilia 85,2 inloannem PG LIX, 462: Ubique enim satagebat ostendere harte novam esse mortem: siquidem in potestate morientis sita omnia erant, neque prius mors corpori advenit, quam ipse vellet. 129 Cf Redemption 135 130 Redemption 137 131 Redemption 138 132 Ethos 26
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erweist sich die ewige Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen, die Theosis, als Ziel menschlicher Existenz. Durch den Fall hat sich der Mensch jedoch vom Spender des Lebens losgesagt und ist damit dem Tod verfallen, der der Sünde Sold ist (Rom 6,23). "Die Last der Sünde bestand nicht nur in der Selbstanklage durch das menschliche Gewissen, nicht nur im Schuldbewußtsein, sondern in der grundsätzlichen Auflösung des ganzen Gefüges (fabric) der menschlichen Natur. Der gefallene Mensch war kein Mensch mehr, er war existentiell 'degradiert'. Und das Zeichen dieser 'Degradierung' war des Menschen Sterblichkeit, des Menschen Tod."133
Aufgrund dieser Konzeption kann Erlösung aber "nicht bloß Vergebung der Sünde, auch nicht bloß Rechtfertigung des Menschen oder auch Satisfaktion einer abstrakten Gerechtigkeit"134 sein, denn ein derartiges Verständnis des Kreuzes - Florovsky hat Luther und Anselm vor Augen verkennt, daß das Ziel der Inkarnation letztlich die Überwindung der Macht des Todes selbst ist, um so die ewige Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen, die Unsterblichkeit der Kreatur, zu ermöglichen. Wenn diese Gemeinschaft bereits mit der Inkarnation begonnen hat, dann muß sie auch das für den sündigen Menschen unausweichliche Schicksal seines Todes teilen, um so die Verderbtheit der menschlichen Natur, die necessitas moriri, zu überwinden. Aus diesem Grund ist für Florovsky der Tod Christi "sozusagen eine Ausweitung (extension) der Inkarnation"135. Diesen Gedanken konsequent verfolgend, zitiert Florovsky wiederholt Athanasius' Formulierung, die sich analog auch bei Tertullian und Grogor von Nyssa findet: "Um den Tod anzunehmen, brauchte er einen Leib."136 Dennoch ist aus diesem Gedankengang keine Notwendigkeit für Gottes Heilswerk abzuleiten, denn die Übernahme des Todes ist eine Entscheidung Christi, keine Naturnotwendigkeit. Mit dieser bereits angedeuteten Unterscheidung reflektiert Florovsky im Anschluß an Johannes Damascenus das Chalcedonense. Die Annahme der sündlosen menschlichen Natur ist der die Natur betreffende Aspekt des Heilswerkes, während die Übernahme des Todesflu133 Immortality 22M 134 Redemption 104 135 Immortality 226. Cf auch Lamb 22: In der Annahme des menschlichen Todes "wurde die Inkarnation, d.h. Gottes Identifikation mit der menschlichen Situation, vollendet." 136 Zitiert in Redemption 110 (Quellenangaben 286 Anm. 29) nach Athanasius: De Incarnatione 9 PG XXV, 112 A, und 21 PG XXV, 133C. Cf auch Gregor von Nyssa: Oratio catechetica magna 32 PG XLV, 77-83, und Tertullian: De Carne Christi 6 PL II, 764 A: At Christus mori missus, nasci quoque necessario habuit, ut mori posset [...] Forma moriendi caussa [sie] nascendi est.
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ches nicht eine die Natur Jesu betreffende Sache ist, so daß er wesenhaft einer Veränderung unterworfen gewesen wäre, sondern der die Hypostase betreffende Aspekt des Heilswerkes. Christus tritt an die Stelle der Menschen und stellt sich aus freiem Willen den Menschen gleich, indem er sich dem Tod unterwirft.137 Mit diesen beiden Konsequenzen aus der Behauptung der Freiwilligkeit des Kreuzestodes Jesu - als Sieg und als Erlösung vom Tod - hat Florovsky "das paradoxe Geheimnis des christlichen Glaubens: Leben durch den Tod als Auferstehung durch den freiwilligen Tod"138 als Ausgangspunkt der materialen Aussagen zum Ereignis des Kreuzes selbst dargelegt und begründet, warum das Kreuz Zeichen des Sieges Christi über den Tod zugunsten der Sünder und somit letztlich Ausdruck der freien Liebe Gottes zu den Menschen ist. 4.4.2 Der Tod Gottes Eine zentrale Kategorie, um den Tod Jesu am Kreuz zu verstehen, ist für Florovsky die des Opfers. "Durch den ewigen Geist bringt Er sich selbst Gott dar, opfert sein Blut zur Vergebung der menschlichen Sünden."139 Damit wird Christus als Mittler des Neuen Bundes kraft seines Blutes vorgestellt, der die ewige Gemeinschaft der Menschen mit Gott etabliert. Diese eschatologische Dimension des Christusereignisses, die sich im Himmel durch die Fürsprache Jesu Christi bei Gott in seiner Funktion als himmlischer Hohepriester fortsetzt, ist Florovsky nicht zuletzt wegen ihrer Bedeutung für die Ekklesiologie wichtig, denn dadurch wird das neue "Leben der zukünftigen Welt" schon auf Erden manifest.140 Trotz der aus dem Hebräerbrief entliehenen Terminologie entwickelt Florovsky die Heils137 Cf Johannes Damascenus: De Fide Orthodoxa 111,25 PG XCIV, 1093 (Angabe korrigiert). Florovsky zitiert den ganzen Abschnitt in Redemption 282 Anm 11 und kommentiert ihn 98. Mithilfe dieser Unterscheidung gelingt es ihm im selben Aufsatz lOOff, auf der Grundlage der Behauptung der freien Liebe Gottes andere Erlösungsvorstellungen zur Erklärung der Nichtnotwendigkeit des Kreuzestodes zurückzuweisen. 138 OSmerti 149. In Redemption 96 findet sich der gleiche Satz in gekürzter Fassung. 139 Redemption 131. Das englische Begriffspaar 'sacrifice* und 'offering' läßt sich im Deutschen nicht präzise wiedergeben. In meinen Übersetzungen wird 'sacrifice' mit Opfer' und 'offering' bzw. 'to offer' mit (als Gabe) 'darbringen' und 'opfern' übersetzt. - Der im Zitat zum Ausdruck kommende Bezug auf die trinitarische Problematik des Todes Jesu Christi ist bei Florovsky singulär und spielt in seinem theologischen Denken ansonsten keine Rolle. 140 Cf ibid. Gegenüber Ο Smerti 164 fügte Florovsky hier zur näheren Erläuterung drei Zeilen hinzu.
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bedeutung des Kreuzestodes nun nicht in Kategorien der Opfersprache, sondern kennzeichnet die Wirkkraft des Opfers als "Kraft der Liebe", die jedoch "nicht nur Sympathie oder Mitleid und Barmherzigkeit den Gefallenen und Mühseligen gegenüber ist. Christus gibt sich selbst nicht nur 'zur Vergebung der Sünden', sondern auch für unsere Verherrlichung"141, so daß das Kreuz nicht nur als Ort der Erniedrigung sondern auch als Zeichen des Sieges in den Blick kommt. Damit interpretiert Florovsky auch den Opfertod im bereits erläuterten Spannungsfeld zwischen Kenose und Verherrlichung, zwischen - anthropologisch gewendet - Sünde und vollkommener Theosis. Da diese Spannung jedoch eine eindeutige Richtung aufweist, die Auferstehung nämlich, kann Florovsky schreiben: "Die Kraft des Opfers am Kreuz besteht darin, daß das Kreuz der Weg der Verherrlichung ist."142 Mit diesem Spannungsverhältnis, das die Unterscheidungen des Chalcedonense reflektiert, hat Florovsky die Ausgangsposition seines Kreuzesverständnisses angegeben. "Der Herr starb am Kreuz. Dies war ein tatsächlicher (true) Tod. Dennoch nicht gänzlich wie der unsrige, einfach deshalb, weil dies der Tod des Herrn war, der Tod des fleischgewordenen Wortes."143 Aus diesem Grund schreibt Florovsky die Heilsbedeutung des Todes nicht der Unschuld des Getöteten zu, was den Opferbegriff in die Nähe der Satisfaktionstheorie anselmscher Prägung bringen würde. Vielmehr unterstreicht er auf der Grundlage seiner asymmetrischen Christologie mit aller wünschenswerten Klarheit, daß am Kreuz kein Mensch starb, sondern Gott in seiner Menschheit, so daß "dies ein Tod innerhalb der Hypostase des Wortes war, der Tod der 'enhypostasierten' Menschheit."144 Angesichts dieser Formulierungen ist es verständlich, wenn Jean Meyendorf als Beleg für die korrekt verstandene theopaschitische Formel auch Florovsky als Beispiel heranzieht: Der Satz 'Gott selbst stirbt' sei dann unvollständig, wenn er nicht dahingehend erläutert werde, daß Gott nur gemäß seiner menschlichen Natur sterben kann; da dieser Tod jedoch grundsätzlich der Tod einer Person sei, in Christus jedoch nur eine Hypostase existiere, müsse und könne man in der Tat vom Tod des menschgewordenen Gottes sprechen.145 Die Heilsbedeutung dieser göttlichen Hingabe seiner menschlichen Natur in seinem Tod erläutert Florovsky nun einerseits anhand der Sakramente und andererseits durch das Verständnis des menschlichen Todes als Trennung von Leib und Seele. 141 142 143 144 145
Redemption 132 Ibid. Redemption 135f Redemption 136 Cf J.Meyendorfs Beitrag in J.Romanides: Unofficial Consultation
23f
145
Für die logische Gedankenführung etwas unvermittelt kommt Florovsky in seinen Aufsätzen zur Christologie auf die Interpretation des Kreuzes durch die Sakramente und hier zuerst als Bluttaufe zu sprechen, obwohl er zumindest in Lamb, Tree, Redemption, und Immortality eine längere Ausführung zum Thema 'Taufe und die Realität der Erlösung' an die Erklärung des Erlösungsgeschehens anschließt. Das gleiche gilt auch für die Behandlung der Eucharistie. In beiden Fällen setzt er bereits ein gewisses Verständnis dessen voraus, was Taufe und Eucharistie bedeuten, was angesichts der notwendigen Verwurzelung der theologischen Erläuterungen in der Erfahrung der Kirche durchaus verständlich ist. Warum aber unterbricht er dennoch seine Explikation des Kreuzestodes in einer Weise, die ihn dazu zwingt, nach diesen eingeschobenen Passagen mit bereits Erklärtem erneut einzusetzen? Nachlässige Systematik ist in diesem Fall angesichts der z.T. wortwörtlichen Wiederholung derselben Passagen über Jahrzehnte hinweg nicht anzunehmen. Vielmehr will Florovsky zum einen mit Hilfe des vorausgesetzten jeweiligen Sakramentsverständnisses das Heilsereignis des Kreuzes erläutern und andererseits diese beiden Sakramente im Kreuzesgeschehen verankern und so ihre strenge Christozentrik herausstellen. Wegen der angesprochenen Verknüpfungsschwierigkeiten kann dieser Ansatz nur bedingt produktiv sein, gibt jedoch einen guten Einblick in die Arbeitsweise dieses Theologen. Es geht ihm weniger um eine logisch geschlossene deduktiv vorgehende Argumentation als vielmehr um die Explikation eines zentralen im Glauben erfahrenen Sachverhalts unter verschiedenen einander ergänzenden Blickwinkeln. So geht Florovsky bei der Erläuterung des Kreuzesgeschehens mit Hilfe der Taufsymbolik davon aus, daß die Taufe grundsätzlich Reinigung bedeutet146, so daß er den Tod am Kreuz selbst angesichts des vergossenen Blutes Jesu Christi als Taufe bezeichnen kann. Die "Taufe des Kreuzes [...] ist die Reinigung der menschlichen Natur, die in der Hypostase des fleischgewordenen Wortes den Weg der Wiederherstellung durchläuft. Dies ist die Waschung der menschlichen Natur in dem vergossenen Opferblut des Göttlichen Lammes. Und vor allem anderen eine Waschung des Leibes: nicht ein Abwaschen der Sünde, sondern ein Abwäschen menschlicher Schwächen (infirmities) und der Sterblichkeit selbst."147
In der Bluttaufe der menschlichen Natur Jesu geschieht demnach präfigurativ die Erneuerung der menschlichen Natur. Sie wird, da ihr in der Taufe auf den Tod Christi die Unsterblichkeit verliehen wird, für die allgemeine 146 Ci Redemption 133 147 Ibid. Die Bemerkung über das Abwaschen der Sünde vom Leib, die in Ο Smerti noch fehlt, kann sich nicht auf den Leib Christi beziehen, da dieser sündlos war und auch
146
Auferstehung zur ewigen Gemeinschaft mit Gott bereitet. Damit aber ist die Bluttaufe des Kreuzes für Florovsky zugleich die Taufe der ganzen Kirche, und, insofern als der Mensch als Mikrokosmos die ganze Welt, den Makrokosmos, in sich beschließt, die Taufe der ganzen Welt, so daß "die ganze Schöpfung geheimnisvoll an der tödlichen Passion des fleischgewordenen Meisters und Herrn teilhat." 148 Bei diesen insgesamt nicht sehr klaren Ausführungen bleibt offen, warum gerade das auch nur menschliche Blut Christi die der menschlichen Natur seit dem Fall anhaftende Sterblichkeit und auch die Möglichkeit zu sterben, abwäscht. Florovsky bezieht sich mit seiner Argumentation jedoch auf Mk 10,39 (Mit der Taufe, mit der ich getauft bin, werdet auch ihr getauft werden) und auf Gregor von Nazianz. 149 Natürlich können für diese befremdliche realistische Taufsymbolik auch Bibelstellen w i e IPetr 1,19; lJoh 1,7 und Hebr 9 im Hintergrund stehen, dennoch bleibt es für Florovskys Theologie bezeichnend, daß er zwar mit den aus der Tradition vorgegebenen Motiven, hier dem der Bluttaufe, argumentiert, nicht aber auf die Sühne bzw. Opfertheologie rekurrieren will, die zumindest beim neutestamentlichen
die als Willensakt vorgestellte Übernahme der Sünden aller Menschen durch Christus "die Reinheit Seiner Natur und Seines Willens nicht verletzte" (Redemption 98). Hier liegt eine logische Schwierigkeit der Erläuterungen Florovskys, die aus der Betonung der Freiheit Jesu zum Tode mit Hilfe der Unterscheidung zwischen der Annahme der menschlichen Natur und der Übernahme der menschlichen Sünden aller Menschen resultiert. Hatte Johannes Damascenus, den Florovsky in diesem Zusammenhang zustimmend zitiert (Ibid. u. 282 Anm. 10), unter der willentlichen Übernahme der Sünden auch die Übernahme des Fluchtodes verstanden, so bleibt bei dieser Konzeption doch unklar, wie Gal 3,13 interpretiert werden kann. Gerade auch Florovskys Ablehnung der von Calvin gelehrten Verfluchung des Gekreuzigten (cf Redemption 142 und 304 Anm.121) zeigt, daß hier Probleme sind, die Florovsky allerdings mit gewissem Recht mit dem Argument zurückweist: "Diese Interpretation [der Höllenfahrt Christi als Manifestation der Verfluchung Jesu durch Gott] hängt offensichtlich von einem Konzept der Erlösung auf der Grundlage von Schuld und Strafe (depends upon the penalconception of Atonement) ab." (Redemption 304). 148 Redemption 134. K.Chr.Felmy: Deutung 402f, hat darauf hingewiesen, daß S. Bulgakov die Bluttaufe des Kosmos durch Christi Kreuzestod als Ermöglichungsgrund dessen versteht, daß materielle Dinge des Kosmos als mit der eschatologischen Gegenwart Christi erfüllt gedacht werden können. Hier liegen Analogien vor. Wer der Schöpfer dieser Vorstellung war, läßt sich nicht mehr erheben, da Bulgakov zur selben Zeit wie Florovsky in Paris lehrte. Letzterer hat diesen Gedanken in Ο Smerti vier Jahre vor Bulgakov öffentlich vorgelegt. 149 Cf ibid. und Gregor von Nazianz: Oratio 39,17 PG XXXVI, 356 A. Gregor unterscheidet hier vier unterschiedliche Taufgattungen und rechnet die Bluttaufe Jesu Christi dem vierten Typus zu.
147
Gebrauch des Begriffes 'Blut' im Kontext der Erlösungslehre erst die Plausibilität der Gedanken herstellt.150 Bei der Erläuterung des Kreuzesgeschehens durch das Sakrament der Eucharistie hebt Florovsky die Freiwilligkeit des Todes Jesu hervor, indem er die Gabe des Leibes und Blutes Jesu Christi an die Jünger am Vorabend der Kreuzigung als Antizipation der freiwilligen Lebenshingabe interpretiert. "Indem Er Seinen Leib als Speise hingibt, zeigt Er klar, daß die Opfergabe des Lammes bereits vollzogen war [...] Mit anderen Worten: Die freiwillige Trennung der Seele vom Körper, der geheimnisvolle Todeskampf (sacramental agony) sozusagen, des Fleischgewordenen hatte gleichsam schon begonnen."151 Indem Christus seinen Leib, der durch den Tod hinweg den Weg zur Auferstehung und zur Unsterblichkeit in der ewigen Hypostase des Sohnes Gottes geht, seinen Jüngern gibt, wird er für diese zur Gabe der Unsterblichkeit, da sie so Teil des Leibes Christi werden. Die Interpretation des Kreuzes als Sakrament152, das die beiden anderen Sakramente gleichsam aus sich herausetzt, verdeutlicht in Florovskys Theologie die Heilsbedeutung des Kreuzes als Opfer, das den Menschen zugute kommt. Dabei geht es ihm nicht um ein Sühnopfer, das Gott geleistet werden muß. Diese biblische Spitze des Sühnopfergedankens, die man nicht einfach mit dem Vorwurf, er sei ein Anthropomorphismus, zurückweisen kann153, läßt Florovsky weg. Daraus erklärt sich die gewisse systematische Unklarheit seiner Ausführungen zu diesem Punkt, die er vermutlich jedoch deshalb zuließ, weil er die mit der Tradition gegebene Interpretation des Kreuzes als Opfer aufnehmen wollte. Die zweite Interpretation der Heilsbedeutung des Kreuzestodes mit Hilfe der Definition des menschlichen Todes als Trennung von Leib und Seele bildet das eigentliche Zentrum der Argumentation Florovskys. Grundlegend dafür ist seine Unterscheidung zwischen der Annahme der menschlichen Natur und der Übernahme der Sünden aller Menschen durch Jesus
150 Dies ist umso erstaunlicher, als Florovsky sich auch um neuere exegetische Erkenntnisse bemüht hat. Cf als Beleg für derartige Bemühungen z.B. Redemption 300 Anm.95 151 Redemption 135. Der Gedanke, daß in der Stiftung des Abendmahles die Freiwilligkeit der Lebenshingabe Jesu zum Ausdruck kommt, entstammt der Göttlichen Liturgie (cf Die Göttliche Liturgie 64R und 104R). 152 CiRedemption 134: "Der Tod am Kreuz ist ein Sakrament und hat nicht nur eine moralische, sondern auch eine sakramentale und liturgische Bedeutung. Er ist das Passah des Neuen Testamentes. Und seine sakramentale Bedeutung wird im Letzten Abendmahl offenbart." 153 Cf Redemption 101
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Christus. Beide Aspekte unterstreichen die Freiwilligkeit seines Todes in Hinsicht auf die Unterscheidung zwischen Natur und Person, wie dies bereits erläutert worden ist.154 Sein Tod ist Ausdruck der personalen Freiheit, die Menschen zu lieben. Kern der Aussagen Florovskys ist es nun, daß sich im menschlichen Tod die Gewalt der Sünde manifestiert, so daß Christi Tod und die Übernahme der Sünden der Menschen durch Christus miteinander identifiziert und als zwei Seiten desselben Ereignisses verstanden werden. Beachtet man diese Identifikation, dann wird verständlich, daß Florovsky den Kreuzestod weniger durch Begrifflichkeiten aus einer juridischen Soteriologie interpretiert als vielmehr das ontologische Verständnis des Todes in den Mittelpunkt seiner Eröterungen stellt. Dies aber bringt es notwendig mit sich, daß das Geheimnis des Kreuzestodes Jesu ein bestimmtes Verständnis des menschlichen Todes voraussetzt.155 "Der menschliche Tod ist 'der Sünde Sold' (Rom 6,23), denn die Sünde ist selbst der geistliche Tod, eine Entfremdung und Trennung des Menschen von der einzigen Quelle wahren Lebens, die Gott ist."156 Wird der Tod hier also in biblischer Tradition als Trennung von Gott und d.h. zugleich als Gegenteil des Lebens verstanden, so wird diese Definition in Aufnahme der klassischen Philosophie und patristischen Traditon durch die Defintion des Todes als Trennung von Leib und Seele näherhin expliziert. Wenn der Mensch aus Leib und Seele komponiert existiert, "neque enim e[s]t anima ipsa secundum se homo sed anima hominis, et pars hominis"157, dann bedeutet der Tod des Menschen als "Entleiblichung (disincarnation) der Seele [...] das Verschwinden (disappearence) des Menschen"158. Damit aber läßt sich zugleich Auferstehung positiv bestimmen als "die Wiederherstellung der ursprünglichen Ganzheit und Stabilität der menschlichen Natur"159, was sachlich nichts anderes bedeutet als die Erlösung aus den Fesseln der in den Tod führenden Sünde (Rom 8,21). Auf der Grundlage dieses Verständnisses des Todes interpretiert Florovsky den Tod Christi folgendermaßen: "Der springende Punkt ist, daß dies der Tod innerhalb der Hypostase des Wortes, der Tod der enhypostasierten Menschheit war [...] Aber die eine Hypostase des inkarnierten Wortes war
154 Cf 0.4.3. 155 Cf Redemption 104: "Der Schlüssel zu diesem Geheimnis kann nur durch eine kohärente Lehre vom menschlichen Tod gefunden werden." 156 Lamb 23 157 Irenäus: Adversus haereses V,6,l PL VII, 1138 Α (Zitat und Beleg korrigiert) 158 Lamb 23 159 Ibid.
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nicht zerteilt, die 'hypostatische Union' war nicht zerbrochen und zerstört. Mit anderen Worten, obgleich im Tod getrennt bleiben die Seele und der Leib durch die Göttlichkeit des Wortes, von der keiner von beiden jemals entfernt war, immer vereint."160 Mit Hilfe seiner asymmetrischen Christologie kann Florovsky hier somit den anthropologischen Charakter des Todes bewahren, so daß Christus tatsächlich einen menschlichen Tod starb, denn auch bei ihm trennten sich Leib und Seele voneinander. Dennoch offenbart sich an diesem Tod zugleich der neue Charakter des Todes. Denn obgleich Christus starb, war doch in seinem Tod diepotentia resurrectionis offenbar, denn vereint in der Hypostase des göttlichen Wortes konnte die Trennung von Leib und Seele weder total noch ewig sein. Vielmehr manifestiert sich gerade im Tod Jesu Christi die Machtlosigkeit des Todes selbst, insofern er Leib und Seele der menschlichen Natur Christi nicht endgültig auseinanderreißen kann, da diese durch die überlegene Kraft der göttlichen Hypostase in ihrer Trennung vereint bleiben. Dieses Paradox versucht Florovsky im Anschluß an Johannes Damascenus mit dem Begriff des 'unverdorbenen Todes' (incorrupted death) zu erklären, der sich dadurch vom 'Tod durch Verderbtheit' (corrupted death) unterscheidet, daß die Trennung von Leib und Seele keine endgültige Zerstörung der menschlichen Natur bedeutet.161 Damit aber ist die Macht des Todes über die gesamte menschliche Natur gebrochen. Diese Überwindung des Todes erläutert Florovsky nun in bezug auf die den Tod 'betreffenden Elemente' der menschlichen Natur Jesu Christi als Gang seiner Seele in die Hölle und Verherrlichung seines Leibes, was jedoch hier noch nicht dargestellt werden kann162, da dazu zuviele anthropologische Voraussetzungen erläutert werden müßten und die Pointe der Interpretation des Kreuzestodes Christi durch die Todesvorstellung schon j etzt deutlich ist. "Der Tod am Kreuz ist der Sieg über den Tod nicht nur, weil ihm die Auferstehung als Krönung folgte. Die Auferstehung offenbart und setzt den bereits am Kreuz errungenen Sieg nur fort. Die Auferstehung ist bereits mit dem Entschlafen des Gottmenschen erreicht."163, denn Auferstehung bedeutet in der Folge des vorgelegten ontologischen Todesverständnisses die Wiederherstellung der Einheit von Leib und Seele. Dadurch aber 160 Redemption 136 161 Cf Redemption 140. Florovsky verweist neben Johannes Damascenus: De fide Orthodoxa 111,28 PG XCIV, 1097Aauch auf das erste Troparion aus der vierten Ode des Kanons des Morgengottesdienstes zum zweiten Sonntag nach Ostern sowie auf das Synaxarion vom Karsamstag (Redemption 303 Anm.114; beide nicht verifizierbar). 162 Cf dazu u.9.2. 163 Redemption 138
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identifiziert Florovsky letztlich das Heilsgeschehen des Kreuzes mit der Auferstehung und kann deshalb folgern: "Somit ist der Tod selbst in Auferstehung verwandelt."164 "Und in der Auferstehung ist die Inkarnation vollendet, eine siegreiche Manifestation des Lebens innerhalb der menschlichen Natur, eine Verankerung der Unsterblichkeit in dem menschlichen Gefüge (composition)."165 Mit diesem Rekurs auf die Inkarnation ist zugleich auch die soteriologische Bedeutung des Kreuzestodes bzw. seiner Auferstehung deutlich. Da durch Christi Tod die Machtlosigkeit des Todes offenbart wurde, ist die Hoffnungslosigkeit des Todes überwunden, weil es keine ewige Trennung der menschlichen Natur von Gott mehr gibt, seitdem durch Christi Tod die Vereinigung von menschlicher und göttlicher Natur in der Hypostase des Wortes ewig ist. "Es ist wahr, wir sterben immer noch wie vorher", zitiert Florovsky in diesem Zusammenhang deshalb Johannes Chrysostomus, "aber wir bleiben nicht im Tod; und das heißt, nicht zu sterben."166 Da Christus in freier Übernahme der menschlichen Sünden den menschlichen Tod gestorben ist, gibt es den Tod, der der Sünde Sold ist und zur ewigen Trennung von Gott, zur Zerstörung der menschlichen Komposition aus Leib und Seele führt, nicht mehr, so daß der menschliche Tod durch Christi Kreuzestod eine neue Bedeutung erhält. Gleichwie "die großen 'drei Tage des Todes' (triduum mortis) [sc.Jesu Christi] die geheimnisvollen sakramentalen Tage der Auferstehung sind"167, so ist der menschliche Tod nur der der Auferstehung vorausgehende Zwischenzustand der menschlichen Natur. "Von nun an ist jede Entleiblichung (disembodiment) nur vorübergehend."168
4.5 Auferstehung und Himmelfahrt Florovsky hat zu diesem Problemkomplex drei Aufsätze169 geschrieben, die sich dadurch auszeichnen, daß sie häufiger als andere Aufsätze auf Bibelstellen, liturgische Texte zum Fest der Himmelfahrt und patristische Texte, insbesondere auf Predigten Johannes Chrysostomus', rekurrieren. 164 Redemption 142 165 Redemption 144f 166 Redemption 145. Das Zitat ist entnommen aus: Johannes Chrysostomus: Homilia 17,2 in epistula adHebraeos PG LXIII, 129. 167 Redemption 139 168 Redemption 146 169 1928 verfaßte Florovsky den ersten Aufsatz zum Thema mit dem Titel Βogatsvo Slavy, der in leicht gekürzter Fassung 1930 unter dem Titel "Abundance of Glory" auf
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Dies führt dazu, daß die gesamte Argumentation eher eine Meditation als eine strenge dogmatische Abhandlung darstellt. In seinen großen Aufsätzen zur Christologie kommt Florovsky nur knapp auf die Auferstehung und die Himmelfahrt zu sprechen bzw. läßt sie ganz unberücksichtigt, was sich aus seinem Auferstehungsverständnis ergibt: Sie offenbart nur, was am Kreuz bereits geschehen ist. Wenn mit seinen Ausführungen zu diesem Problemkomplex hier dennoch die Christologie abschlossen werden soll, so geschieht dies aus dem Grund, daß sie die Christologie rekapitulieren und zugleich einen Ausblick auf die weiteren christologisch begründeten Lehren zulassen. Florovskys Interesse am Problem der Auferstehung gilt nicht der Frage des' Wie' der Auferstehung oder der Himmelfahrt. Er beginnt seine Ausführungen zu diesem Themenkomplex vielmehr mit der Frage nach dem Unverständnis der Auferstehung gegenüber, von dem die Evangelien als erster Reaktion der Jünger Jesu nach dessen Tod berichten, um so die soteriologischen Aussagen über das Kreuz zu erläutern. Um das Ereignis der Himmelfahrt zu verstehen, muß deshalb zuerst auf die Auferstehung eingegangen werden, denn, so lautet Florovskys Ausgangsthese, "in der Himmelfahrt findet sich die Bedeutung und Fülle der Auferstehung."110 Zum Verständnis dieses Satzes ist es notwendig, nochmals kurz auf Florovskys Verständnis von der bereits im Tod Jesu angelegten Auferstehung einzugehen. Er unterscheidet beim Tod zwei Aspekte. Einerseits ist er der Sünde Sold und zerstört die menschliche Komposition aus Leib und Seele, indem die Seele die Kraft verliert, den Körper zu beleben. "Demzufolge ist die Frage des Todes zuerst die Frage nach dem menschlichen Leib,
englisch erschien. 1954 erschien mit Ascension schließlich der dritte Aufsatz zum Thema. Ein literarkritischer Vergleich ergibt jedoch folgendes Bild: 1. Abundance ist von wenigen Ausnahmen abgesehen mit Ascension identisch. 2. Diese Ausnahmen beziehen sich auf folgende Einzelheiten: a) Ascension wurde an einigen Stellen sprachlich überarbeitet und geglättet; b) Bibel- und Väterzitate wurden in Ascension mit Stellenangaben versehen; c) Ascension weist vier längere Bibel- bzw. Väterzitate auf, die in Abundance fehlen, sachlich aber nichts neues ergeben; d) Abundance hat gegenüber Ascension vier Sätze mehr, die sachlich ebenfalls nichts wesentliches hinzufügen. Aus diesen Beobachtungen folgt, daß Florovsky die Gelegenheit zu erneuten Veröffentlichung seiner schwerer zugänglichen Aufsätze Abundance, welcher nur maschinenschriftlich vorhanden ist, und Bogatstvo Slavy, der auf russisch gedruckt war, nutzte, um seine Gedanken einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sich dabei aber nicht genötigt sah, einschneidende Veränderungen vorzunehmen. Dieses Phänomen begegnet auch bei anderen Aufsätzen Florovskys. 170 Ascension 25
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nach der Körperlichkeit des Menschen." 171 Andererseits aber ist der Tod auch ein Heilungsprozeß, denn im Tod hat Gott von Ewigkeit her die Möglichkeit bereitgestellt, daß der durch die Sünde verderbte Leib von dieser Verderbtheit gereinigt und zur Unsterblichkeit verherrlicht wird. In diesem zweiten Sinn ist der Tod eine Wohltat für den Menschen. 172 Demnach limitiert Florovsky die Kraft des Todes auf die Tatsache, daß es unmöglich ist, Leib und Seele wieder zu einer Einheit zusammenzufügen. Andererseits aber ist mit diesem Todesverständnis auch gegeben, daß jeder menschliche Tod die theoretische Möglichkeit der Auferstehung in sich birgt.173 Florovsky wendet diese anthropologischen Voraussetzungen auf Jesu Tod an: Jesu menschlicher Leib, der aufgrund der der menschlichen Natur Christi eigenen Sündlosigkeit keiner Reinigung mehr bedurfte, wurde in den drei Tagen seines Todes "umgestaltet in einen Leib der Herrlichkeit und mit Kraft und Licht bekleidet."174 Diese Herrlichkeit des Leibes Christi bedeutet vor allen Dingen, daß "Christus für immer, für die Ewigkeit auferstand. Er erstand in einem Leib der Herrlichkeit, unsterblich und nicht verderbbar (incorruptible)."175 Dies unterscheidet seine Auferstehung von Totenauferweckungen, denn mit der Auferstehung hat Christus eine neue, "höhere Existenzweise" 176 erreicht, die bei der allgemeinen Auferstehung allen Menschen zuteil werden wird. In dieser neuen Herrlichkeit des Leibes kehrte Jesus zum Vater zurück, so daß mit der Himmelfahrt "sein Werk auf der Erde vollbracht war."177 Florovsky sieht demnach in der Himmelfahrt den Abschluß des Wirkens Jesu Christi, da im Rahmen seiner bereits dargelegten heilsgeschichtlichen Konzeption die Rückkehr zum Vater das Erlösungswerk Christi zusammenfaßt. Vom Vater von Ewigkeit her dazu bestimmt, die unlösbare Gemeinschaft von Gott und Mensch auch unabhängig vom Fall - durch die Gabe der Unsterblichkeit zu verwirklichen, hat Jesus Christus diese Aufgabe mit der Auferstehung und 171 Redemption 105. Zu den anthropologischen Voraussetzungen cf u. 8.2.1. 172 Cf Redemption 108 (u. 285 Anm. 25), wo Florovsky Gregor von Nyssa, Methodius, die kleinasiatische Tradition und Basilius als Zeugen dieser Vorstellung heranzieht. 173 CiRedemption 108: "Der Tod ist nicht nur die Selbstoffenbarung der Sünde. Der Tod ist bereits sozusagen eine antizipierte Auferstehung." 174 Redemption 144. Florovsky umschreibt auf diese Weise den verherrlichten Leib Christi und führt in Ascension 25 lKor 15,42-44 als biblischen Beleg dieser Vorstellung an. Daß Paulus eine derart dualistische, auf die anthropologische Unterscheidung von Leib und Seele bezogene Position vertreten kann, versucht C.F.D.Moule: S.Paul and Dualism zu zeigen. 175 Ascension 25 176 Ibid. 177 Ibid.
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der Himmelfahrt, beide als Ermöglichung einer höheren, d.h. unsterblichen Existenzweise der Menschen verstanden, vollendet, denn sitzend zur Rechten des Vaters ist diese Gemeinschaft in der Person Jesu Christi 'als dem ersten der Entschlafenen' realisiert. Dies in seinen soteriologischen Implikationen zu interpretieren ist das Ziel der Rede von der Himmelfahrt als "Sinn und Fülle der Auferstehung Christi".178 Florovsky erläutert dies in vier Schritten, die zugleich aufzeigen, daß die Christologie als Grundlage seiner Theologie zu verstehen ist. 1. Mit der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi wurde auch seine menschliche Natur, die in ewiger Einheit dem göttlichen Logos enhypostasiert ist, "auf den königlichen Thron Gottes" gehoben, wie es Florovsky in Anspielung auf Ps 24,7-10 ausdrückt. Damit aber "eröffnete der Herr durch seine Himmelfahrt dem Menschen nicht nur den Zutritt zum Himmel, erschien er nicht nur um unseretwillen und zu unserem Heil vor dem Angesicht Gottes, sondern 'transferierte den Menschen' ebenfalls auf hohe Plätze."179 Dies bedeutet nichts anderes als die Vergöttlichung der menschlichen Natur durch Jesu Heilstat am Kreuz. Damit wird, berücksichtigt man die zur Frage 'Cur Deus homo?' entwickelten Gedanken, die Theosis als letztes Ziel menschlichen Daseins angegeben. Dabei ist jedoch zwischen der Vergöttlichung der menschlichen Natur und der menschlichen Person bzw. ihrem Willen zu unterscheiden180, denn Christi Heilstat bezieht sich ausschließlich auf die menschliche Natur. - Die Gliederung des III. Hauptabschnitts bringt dies so zur Geltung, daß Kap. 8 die Thesosislehre als ursprünglichen Sinn der Schöpfung (Kap .7) behandelt und die folgenden beiden Kapitel nach der Heilung der Natur (Kap. 9: Christologie) und der Person (Kap. 10: Ekklesiologie) untergliedert werden.
178 Ibid. Im Text kursiv. 179 Ascension 26. Florovsky verweist hier auf Eph 2,6, während er in Abundance 13 so argumentiert: "Die Gnade des Verdienstes, den Christus durch seine Auferstehung und Himmelfahrt erworben hatte, ist in gleicher Weise auf uns übertragen worden [is extended to us]:" Der Gedanke einer 'extension' war bereits bei der Zusammengehörigkeit von Inkarnation und Kreuz begegnet (cf o. 4.3 und Immortality 226), so daß man sagen kann: Wie das Kreuz eine Erweiterung der Inkarnation ist, so ist die durch das Kreuz geschenkte Heilstat Jesu für die Menschen eine Erweiterung der Auferstehung bzw. Himmelfahrt. Dieser 'extension'-Gedanke in der Theologie Florovskys zeigt, wie stark die Soteriologie in der Prädestination der Schöpfung zur Gemeinschaft mit Gott verankert ist, Florovsky also ständig in der Spannung von Schöpfung und Eschatologie denkt. - Der zitierte Verdienstgedanke spielt bei Florovsky ansonsten keine Rolle. 180 CiRedemption 147: "Man muß außerordentlich sorgfältig zwischen der Heilung der Natur und der Heilung des Willens unterscheiden."
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2. In Aufnahme der johanneischen Rede von der Sendung des Parakleten durch Christus nach seiner Rückkehr zum Vater interpretiert Florovsky die Freude der Himmelfahrt als Freude über das Kommen des Geistes, denn "Himmelfahrt ist das Angeld des Pfingsten, das Zeichen seines Eintreffens."181 Durch die Überwindung der Macht des Todes und der Sünde, durch "die Erneuerung und Verherrlichung in dem aufgefahrenen Christus wurde die menschliche Natur für den Geist empfänglich."182 Damit aber ist allein das Werk Christi Voraussetzung und Ermöglichung des christlichen Glaubens, der Theosis und der ewigen Gemeinschaft mit Gott. - Der Vorrang der Christologie muß sich demnach in den übrigen Lehren erweisen. 3. In Aufnahme von Eph l,22f bestimmt Florovsky sodann die Kirche als den Ort, "an dem die menschliche Natur tatsächlich in göttliche Höhen emporsteigt"183, denn in der Kirche wirkt der von Christus gesandte Geist, so daß die Kirche als Leib Christi zugleich seine Völlendung bedeutet, denn "in der Kirche, durch die Annahme des Heiligen Geistes in der Gemeinschaft der Sakramente, setzt sich die Himmelfahrt noch immer fort."184 Diese strenge Anbindung der Kirche an Christus ist für Florovsky eine soteriologische Auswirkung der Himmelfahrt.185 Damit aber wird der Sieg Christi am Kreuz zum Zentrum und Ausgangspunkt der Kirche, des Lebens in Christus, in der sich das Christusereignis, als göttliches Heilsereignis keiner Ergänzung mehr fähig oder bedürftig, fortsetzt. - Dies auszuführen wird Aufgabe der im nächsten Kapitel zu verhandelnden Ekklesiologie sein. 4. In Aufnahme lukanischer Aussagen über die Parusie Christi wie z.B. Lk 22,29f und Act 1,11 versteht Florovsky die Himmelfahrt schließlich als "Zeichen und Angeld auf das Zweite Kommen"186 Jesu Christi und verdeutlicht damit zugleich die eschatologische Dimension des Christusereignisses, das erst dann vollendet ist, wenn der am Kreuz bereits errungene Sieg über Sünde und Tod an allen Menschen und überall manifest sein wird. Diese Dimension im Denken Florovskys kommt naturgemäß bereits in seiner Ekklesiologie zum Tragen, da sich Christus in der Kirche, die in der noch nicht erlösten Welt existiert, gegenwärtig macht. Sie durchzieht aber auch alle andere Lehren, insofern das Christusereignis Implikationen für das gesamte Weltverständnis hat.
181 Ascension 26 182 Ascension 27 183 Ibid. 184 Ascension 28. Cf detailliert dazu u. 5.2. 185 CiAscension 27: "Gerade die Existenz der Kirche ist eine Frucht der Himmelfahrt." 186 Ascension 28
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4.6 Chalcedonensische Christologie als Grundlage aller Theologie Wenn es stimmt, daß für Florovsky die Christologie die Grundlage aller Theologie ist, dann muß sich aus dem bislang Ausgeführten die grundlegende Struktur für die folgenden Kapitel entwickeln lassen. Die Aussagen zur Ekklesiologie (Kap. 5), die, wie oben gezeigt, noch zur Grundlage seiner Theologie gehören, ja zur Christologie streng genommen dazugehören, können dabei unberücksichtigt bleiben, da sie die Rahmenbedingungen der christologischen Aussagen klären und näher definieren, ihren grundsätzlichen Inhalt jedoch nicht beeinflussen. Florovskys Theologie will beim Bekenntnis von Chalcedon ansetzen. Man könnte deshalb behaupten, seine Theologie sei insofern nicht sachgerecht oder gar voraussetzungslos, als sie eben von diesem zeitbedingten Bekenntnis und seinen Kategorien ausgehend sich von diesem bestimmen läßt. Insofern dieses Bekenntnis aber die dem Glauben geschenkte Wahrheit der Offenbarung Gottes in Christus auf den Begriff zu bringen sucht und somit als göttliche Wahrheit, die dem einzelnen in der Verkündigung der Kirche gegenübertritt und zugeeignet wird, ein testimonium spiritus sanctum internum et externum ist, ist das Bekenntnis von Chalcedon als Erfahrungswahrheit zugleich Glaubenseindruck wie -ausdruck, zugleich Folge des Glaubens wie die Voraussetzung seines begrifflichen Ausdrucks. In diesem hermeneutischen Zirkel gilt es zu verstehen, daß Florovsky von den fundamentalen Unterscheidungen, wie sie im Chalcedonense zum Ausdruck kommen, ausgeht. Seinem eigenen Selbstverständnis nach sind die Aussagen über die göttliche bzw. menschliche Natur ebenso wie die über die Hypostase und Natur somit Auslegungen, die sich direkt der Erfahrung der Wahrheit dieses Bekenntnisses verdanken. Der einer Theologie, die bei den genannten Unterscheidungen ansetzt, immer wieder gemachte Vorwurf, sie könne mit ihrem Proprium erst beginnen, wenn sie ihre Kategorien - göttliche bzw. menschliche Natur, Physis und Hypostasis - definiert hätte, was sachfremden Begrifflichkeiten und Denkstrukturen Tor und Tür öffne, würde Florovsky demnach nicht treffen. Allerdings wurde bereits deutlich, daß er aus der Bestimmung der Sündlosigkeit der menschlichen Natur Jesu Christi Konsequenzen in Hinsicht auf den Freiheits- und den Sündenbegriff zieht187, die sich nicht notwendig aus der Christologie herleiten. Dennoch ist zu beachten, daß Florovsky die Fundamentalunterscheidungen von Chalcedon als Struktur seiner Theologie zur Geltung bringt. Sieht man in diesen Strukturen und ihrer konsequenten Durchführung den permanenten Ver-
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C f 0.4.1
weis auf die Christologie, die immer auch soteriologisch zu verstehen ist anders hätte das Chalcedonense nicht den Charakter einer Glaubens - und d.h. Erfahrungswahrheit so ist die Theologie dieses orthodoxen Theologen durch und durch christologisch orientiert. Wie aber sieht diese Grundausrichtung auf die Fundamentalunterscheidungen dieses Bekenntnisses faktisch aus? Es soll kurz versucht werden, dies aufzuzeigen und damit einen Vorausblick auf die Gliederung des dritten Hauptteils zu geben. Beim Versuch einer Antwort auf die Frage 'Cur Deus homo?' hatte Florovsky zwischen einem supralapsarischen und einem infralapsarischen Motiv für die Inkarnation unterschieden. Supralapsarisch gesehen ist die Inkarnation der Sinn der gesamten Schöpfung, rückt damit in den größten denkbaren Zusammenhang ein, ja begründet ihn überhaupt. Soll das Bekenntnis von Chalcedon Strukturprinzip der Theologie sein, so muß sich die Rede von der Schöpfung und der grundsätzlichen Beziehung zwischen Gott und Mensch an diesem Bekenntnis, konkret an seinen Fundamentalentscheidungen bewähren. Die Schöpfungslehre (Kap. 7) wird somit insbesondere die Unterscheidung zwischen göttlicher und menschlicher Natur bedenken. Wie bereits oben angemerkt wurde, impliziert der Gedanke der Unterscheidung der zwei Naturen für Florovsky notwendig den Gedanken der Freiheit. Gott wurde nicht zur Inkarnation gezwungen. Einziges Motiv dafür war seine Liebe. Die Kategorie, die das Verhältnis zwischen Gott und Mensch bestimmt, ist für Florovsky damit die Freiheit, die im Idealfall als gegenseitige Liebe konkret ist. Dieser Idealfall der Freiheit ist jedoch kein natürlich gegebener, sondern Aufgabe für den Menschen, denn "Gottes unveränderlicher Befehl und seine Gestaltung ist der geschöpflichen Existenz nicht einfach aufgezwungen. Die Gestaltung selbst ist zugleich ein machtvolles und wirksames (effective)/?«; wie auch eine Berufung und ein Appell an die geschöpfliche Freiheit."188 An dieser Stelle greift für Florovsky die zweite chalcedonensische Fundamentalunterscheidung zwischen Physis und Hypostasis. Gott schenkt die Natur, die Freiheit und zugleich die Potenz, damit kreativ umzugehen. Es ist die freie Entscheidung der Person, die die ihr gegebene Natur realisiert, sich von Gott ab- oder aber sich ihm zuzuwenden. Die Schöpfungslehre weist somit hinein in die Hamartiologie und in die Lehre von der Theosis (Kap. 8). Letztere greift unter besonderer Akzentuierung des Personaspektes menschlicher Existenz - denn die Person ist der Sitz der Freiheit - den bereits dargestellten Gedanken auf, daß die Vereinigung der zwei Naturen in der einen Hypostase Jesu Christi das Vorbild und Ziel der Geschichte zwischen Gott und den Menschen bildet. 188 Idea 85. Cf auch Mother 181: "Im Akt der Schöpfung selbst war ein Appell an die Freiheit enthalten, bei der Schöpfung vernunftbegabter Wesen nämlich."
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Durch der Menschen Fall aber kann die Theosis nur erreicht werden, wenn zuvor die Fesseln der Sünde und des Todes gelöst werden. Hier aber "muß man außerordentlich sorgfältig zwischen der Heilung der Natur und der Heilung des Willens unterscheiden. Die Natur wird mit einem gewissen Zwang (compulsion) geheilt und erneuert [...] man kann sogar sagen: durch die 'Gewalt der Gnade'"189, die am Kreuz Jesu Christi und in seinem Sieg über den Tod Gestalt gewann. Die Unterscheidung des Chalcedonense zwischen Hypostase und Natur will Florovsky demnach in der Erlösungslehre strenger durchführen als in seiner Schöpfungs- und Theosislehre. Die durch Christi Tod allen Menschen zugeeignete "Unsterblichkeit der Natur, die Ewigkeit (permanence) der Existenz, muß in ein Leben im Geist verwandelt werden."190 Dies wiederum ist Aufgabe der menschlichen Freiheit, so daß letztendlich "das Schicksal der Menschen im menschlichen Herzen entschieden wird."191 Denn Gott handelt nur aus und in Liebe mit den Menschen, die zur Liebe berufen aber nicht gewungen sind.192 Die Erlösungslehre gliedert sich somit in zwei Teile: Kapitel 9 behandelt die Erlösung der menschlichen Natur durch Christus, Kapitel 10 die Möglichkeit der Erlösung der Person durch Christus in kreatürlicher und synergistischer Freiheit: die Ekklesiologie und, insofern die menschliche freie Entscheidung für oder gegen Gott Ewigkeitsbedeutung hat, die Eschatologie. Demnach entsprechen sich die Kapitel 7 und 9 in besonderer Akzentuierung des Naturaspektes menschlicher Existenz und des einseitigen Handelns Gottes am bzw. für den Menschen. Die Kapitel 8 und 10 entsprechen sich in ähnlicher Weise, insofern sie den Personaspekt menschlicher Existenz und das synergistische Handeln von Gott und Mensch hervorheben.
189 Redemption 147. In Ο Smerti fehlen interessanterweise die deutlichen Begriffe wie 'healed with a certain compulsion' und der Satz "Die Ganzheit wird der menschlichen Natur in gewisser Weise auf gezwungen." (Hervorhebungen von mir) Sachlich ändert das nichts, zeigt aber wie wichtig Florovsky gerade dieser Aspekt geworden ist. 190 Redemption 153. Florovsky expliziert diesen Zusammenhang ausführlich auf den Seiten 151f, die in Ο Smerti noch fehlen. Ihm selbst schien somit die immer schon vertretene Unterscheidung zwischen der Erlösung der Natur und der der Person zumindest für seinen englischsprachigen Leserkreis noch nicht hinreichend deutlich zu sein. 191 Valley Π 192 Cf dazu High Calling 34: "Es ist unmöglich, in Gott zu leben und in Knechtschaft, von Furcht und Zwang getrieben. In Gott zu leben bedeutet wie Gott zu leben. Erstes Merkmal dieses Lebens wie Gott (likeness to God) ist die Freiheit - 'selbstbestimmt', wie die alten Väter sagten. D.h.: kreative Kraft und Entscheidung des Willens." Cf dazu u.7.4 u.8.
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Diese unterschiedliche Akzentuierung bedeutet bei Florovsky nun allerdings nicht, daß die Unterscheidung zwischen Natur und Person letztendlich als Trennung verstanden werden könnte. Die Kategorien von 'Natur' und 'Person' sind keine Denotationen verschiedener Seiender, sondern eher zu verstehen, als Bezeichnungen verschiedener Seinsaspekte desselben Seienden. Als Aspekte desselben Seienden aber gehören sie notwendig zusammen, sind für sich betrachtet deshalb unvollständig und erfordern eine Synthese ihrer selbst, weil eine Person ohne Natur und eine Natur ohne eine sie verwirklichende Person nicht gedacht werden können. Aus diesem Grund überschneiden sich in den Kapiteln die Aspekte, lassen sich also nicht prinzipiell und strukturell voneinander trennen und entsprechen damit sachlich der Bekenntnisaussage von Chalcedon. Auch in der Beschreibung Christi kann man nicht unter Absehung der Hypostase von der Natur oder umgekehrt sprechen. Dabei gilt es nun aber auch zu berücksichtigen, daß Florovsky mit der Anwendung dieser Kategorien nicht ein logisches System aufbauen, sondern aus der Erfahrung des Glaubens heraus dessen Wahrheit mit Hilfe dieser Kategorien, die Teil derselben sind, deduzieren will. Als Deduktion aus Erfahrung aber kann eine Kategorie nur dann ein strenges Strukturprinzip sein, wenn man Anhänger eines empiristischen Erfahrungsbegriffs ist. Dies ist jedoch für Florovsky ausgeschlossen, da es sich bei der Glaubenserfahrung immer um eine dem Menschen zukommende, ihn selbst in ein Geschehen, das größer als er selbst und insofern empirischen Methoden nicht zugänglich ist, hineinstellende Erfahrung handelt. Demnach gilt, was am Ende des dritten Kapitels über die sachgemäße Unabgeschlossenheit religiöser Erkenntnis gesagt ist, in gleicher Weise auch für die Implikationen, die sich aus der dargelegten Grundlegung der Theologie Florovskys ergeben: Die Auslegung der Erfahrung der Wahrheit des im Bekenntnis von Chalcedon Ausgesagten kann nur ein Versuch sein, diese Erfahrung sachgemäß auszusagen, nicht aber die Versuchung, aus und mit Kategorien logische Verknüpfungen und Strukturen herzustellen.
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5. Kapitel: Die Kirche als Ort gegenwärtiger Offenbarung
Ungefähr die Hälfte aller Aufsätze Florovskys beschäftigt sich mit Themen, die der Ekklesiologie zuzurechnen sind. Sie war sein Hauptthema1, was nicht zuletzt durch das ökumenische Interesse an der ekklesiologischen Frage bedingt ist, das ihm oft abverlangte, die orthodoxe Position darzustellen. Dieser Umstand führt dazu, daß eine ganze Reihe von Aufsätzen vorliegt, die das gleiche Thema behandeln und nur geringfügig voneinander abweichen. Zwar hatte Florovsky schon 1929 seinen Aufsatz Evcharistija als Vorveröffentlichung eines Teils aus einem Buch zur Ekklesiologie bezeichnet2, doch ist es nie zu diesem Buch gekommen. Angesichts der Tatsache einer fehlenden Gesamtschau der Ekklesiologie durch Florovsky stehe ich somit vor dem Problem, wie die Darstellung seiner Ekklesiologie sachgemäß zu gliedern ist.
5.1. Methodische Vorbemerkungen Ziel des Gesamtabschnitts II dieser Arbeit ist es, die Offenbarung in Christus als Grundlage der Theologie Florovskys darzustellen. Wie bereits oben (3.2.) deutlich wurde, bildet die Ekklesiologie für Florovsky nur ein Unterkapitel der Christologie3. "Die Lehre von der heiligen Kirche [...] ist die direkte Fortsetzung und Enthüllung des christologischen Dogmas im
1 Es ist zumindest mißverständlich, wenn P.Chamberas: Some Aspects 422 schreibt: "Wenn es ein zentrales Anliegen der Lehre gibt, das Vater Florovskys Denken vereinigt [!], so ist dies zweifellos die Lehre von der Kirche." Grundlegend auch für Florovskys Ekklesiologie und für seine ganze theologische Lehre ist auch angesichts der Fülle von Aufsätzen zu ekklesiologischen Themen die Christologie! 2 Cf Evcharistija 3 3 Cf auch Ethos 25: "Die Lehre von der Kirche ist kein 'Appendix* zur Christologie und auch nicht nur eine Extrapolation des christologischen Prinzips [...] Nach orthodoxer Auffassung ist die Ekklesiologie integraler Bestandteil der Christologie." Florovsky kann sogar von einer "Christologie der Kirche" sprechen (cf Kirche 56).
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Geiste und Sinn der Glaubensdefinition von Chalcedon" 4 . Es wird deshalb das erste Ziel sein, diesen Zusammenhang von Christologie und Ekklesiologie detailliert darzustellen (5.2.), w i e dies auch Florovsky selbst in seinen großen Aufsätzen zur Ekklesiologie, Dom, Catholicity, Church und Corps, jeweils zu Beginn tut. Wie aber sind Florovskys übrige disparate Aussagen zu gliedern? Vergleicht man die Grobstruktur der ekklesiologischen Texte Florovskys miteinander, so ergibt sich ein annähernd gleicher Aufbau, der seine Vollendung in dem größten ekklesiologischen Aufsatz Corps gefunden hat. In einer Anmerkung weist Florovsky selbst darauf hin, daß er in dieser Darstellung bereits anderweitig vorgelegte Gedanken aufgreift. 5 Auch zitiert er sich hier selbst, entsprechend seiner Arbeitsweise ohne dies anzugeben, gleich absatzweise. 6 Ich habe mich deshalb entschieden, die
4 Vaters Haus 21 (Dom 67 (engl.ölf)) 5 Cf Corps 54 Anmerkung 1. Dort Verweise auf: Vaters Haus, Offenbarung, Holy Spirit, Pentecost, Catholicity und Church. Der These von G.H.Williams: Georges Florovsky; Am.Career 41, die Aufsätze Church und Corps seien in stärkerem Maße patristisch angelegt als der Aufsatz Catholicity aus dem Jahr 1934, der stärker vom Kontrast zwischen dem protestantischen Begriff des coetus fidelium und einer orthodoxen Ekklesiologie geprägt sei, vermag ich nur bedingt zuzustimmen. In Catholicity erscheint kaum ein grundlegender patristisch belegter Gedanke, den Florovsky nicht bereits früher (in Dom) oder auch später wieder veröffentlicht hat. Zudem stimmt auch hier die Grobgliederung mit den anderen großen ekklesiologischen Aufsätzen überein. 6 Ein literarkritischer Vergleich der Aufsätze Responsibility, Church und Kirche mit Corps ergibt folgendes verwirrendes Bild: Der erstgenannte Aufsatz ist ein beim Vorbereitungsausschuß zur Bildung des ORK eingereichter und im März 1947 zur Diskussion gestellter Aufsatz, der die Grundlage für den 1948 veröffentlichten Aufcatz Church bildet, der 177 Zeilen mehr Text als seine ansonsten wörtlich übernommene Vorlage aufweist, sieht man einmal von drei zusammen 49 Zeilen umfassenden Veränderungen in der Einleitung ab (Die Auslassung von 5 Zeilen in Church S.69 Zeile 1, die zu einem unsinnigen Satz geführt hat, ist als Haplographie bei Drucklegung zu erklären, da sie \n Kirche S.57 2.Zeile von unten bis S.58 3.Zeile vorhanden ist.). Kirche schließlich ist die deutsche Übersetzung von Church, allerdings in der Einleitung um 28 Zeilen ergänzt. Gegenüber Responsibility verschieben die beiden letztgenannten Aufsätze zudem einen 11 Zeilen umfassenden Absatz an eine andere Stelle, ohne diesen ansonsten zu verändern. Unterstellt man, daß alle diese Eingriffe von Florovsky selbst vorgenommen wurden, und ich sehe keinen Grund, dies nicht zu tun, so fällt eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn dieser Ergänzungen bzw. Veränderungen sehr schwer, denn diese sind nicht unbedingt notwendige Erläuterungen, sondern erscheinen teilweise recht willkürlich. Eine hinter ihnen stehende Systematik oder ein spezifisches Interesse ist nicht erkennbar. Dies wird auch an der Komposition des Aufsatzes Corps aus dem Jahr 1949 deutlich, der in seiner Einleitung (S.9-24) und seinem Schluß (S.55161
Grobstruktur dieses ekklesiologischen Hauptaufsatzes Corps für die Gliederung dieses Kapitels fruchtbar zu machen. Da Florovsky selbst die Ekklesiologie für ein noch nicht zu Ende gedachtes theologisches Problem hält7, geht er methodisch so vor, daß er sie unter verschiedenen Aspekten untersucht. Dadurch kann es in einem Aufsatz auch zu einer wiederholten Behandlung eines Problems kommen. Insofern entspricht es der Methode dieses Theologen, wenn ich in der folgenden Darstellung nicht versuche, eine künstliche Systematik herzustellen, sondern, wie er selbst, auf die zu behandelnden Probleme in ihren Teilaspekten eingehe. Das schließt selbstverständlich eine Bündelung nicht aus, wird aber auch, da ich alle Aufsätze zu berücksichtigen versuche, und zu einzelnen Fragen, z.B. der der Tradition, mehr Material vorhanden ist als zu anderen, zu einem gewissen Ungleichgewicht in der Darstellung führen. Untersucht man nun die Grobstruktur der großen ekklesiologischen Aufsätze auf ihre zentralen Fragestellungen hin, die Florovsky wie mir als Gliederungspunkte dienen, so sind dies die Fragen a) nach dem Wesen und der Natur der Kirche als Leib Christi (5.2); b) nach dem Wesen der Katholizität der Kirche, die bei ihm auf das engste mit der Frage nach den Konstitutiva der Einheit der Kirche verknüpft ist (5.3); c) nach der Identität der Botschaft, d.h. nach dem Wesen von Apostolizität und Tradition (5.4) und d) nach der eschatologischen Dimension des Seins der Kirche in der Welt (5.5.). Man könnte die Fragestellungen a-c auch den vier notae ecclesiae des Nicaenums zuordnen, wobei dann der erste Abschnitt die Heiligkeit der Kirche erläuterte, doch unterscheidet Florovsky diese Prädikate nicht derart präzise voneinander, als daß eine solche Gliederung sinnvoll erschiene. Die abschließende Fragestellung nach der eschatologischen Dimension des Seins von Kirche gehört für Florovsky zum Wesen der Kirche, da, geht man von ihrer Bestimmung als Leib Christi aus, in dem Christus gegenwärtig ist, 57) passagenweise die drei genannten Aufsätze schlicht übernimmt, wobei allerdings offen ist, welchen Aufsatz Florovsky zugrundegelegt hat. Denn teilweise finden sich neben den weiterführenden und neuen Erläuterungen die gleichen Ergänzungen von Church gegenüber Responsibility, umgekehrt aber fehlen teilweise exakt die Passagen, die Florovsky in Responsibility ein Jahr später zur Veröffentlichung von Church eingefügt hatte. Hier ist eine redaktionsgeschichtliche Klärung nicht möglich. 7 Er zitiert, Kirche 45, in diesem Zusammenhang den Satz R.Grosches (Pilgernde Kirche. Freiburg i.Brsg.1938 S.27): "Die Kirche hat sich selbst bis heute noch nicht definiert."
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"das ganze Sein der Kirche eschatologisch ist"8. Dieser Einsicht entsprechend beschließt Florovsky z.B. jeden Abschnitt in Corps mit einem expliziten Verweis auf die eschatologische Dimension des Seins der Kirche.9 Das entspricht seinem grundsätzlichen Verständnis von Theologie: Wie diese Christus für die Welt auszulegen hat, so hat die Erfahrung des in der Welt gegenwärtigen Gottes Einfluß auf das gesamte Wirklichkeitsverständnis eines Christen. Mit dieser eschatologischen Dimension der Kirche, die sich der Gegenwart Christi in seinem Leib verdankt, hängt es nun auch zusammen, daß die Ekklesiologie nach Auffassung Florovskys nie genau definiert werden kann. Wenn "das entscheidende und eigentliche Problem der Ekklesiologie genau darin besteht, das Wie und den Charakter dieser 'Gegenwart' [sc.Christi] zu beschreiben"10, dann kann eine solche Ekklesiologie nie ausformuliert werden, da sie sich einem Ereignis verdankt, das immer noch andauert Ereignis war, ist und bleibt. Umgekehrt folgt aus diesem Ansatz bei der Gegenwart Christi aber auch, daß "das Geheimnis der Kirche nur von innen her begriffen werden kann, indem man in ihr lebt, an ihr teilhat."11 Was für die gesamte Theologie gilt, gilt erst recht für die Ekklesiologie: "Zu genuinem Verstehen kommt es nur durch Erfahrung"12 des Glaubens, wie er in der Kirche lebendig ist. Die Ekklesiologie kann also nicht ohne existentielle Bindung an ihren Gegenstand, die Glaubenswirklichkeit der Kirche13, formuliert werden. Präziser noch: erst in diesem hermeneutischen Zirkel trifft eine beschreibende Ekklesiologie auch das, was sie beschreiben will. Florovsky sieht deshalb in dem erst in jüngerer Zeit unternommenen Versuch, die Kirche genau zu definieren, zugleich ein Zeichen dafür, daß die 8 Doctrine 156. Zur näheren Begründung s.u.5.2. 9 Cf Corps 24, 40, 53ff 10 His Church 168 = CW XIV, 14 11 Eucharist 38. Cf auch Corps 12: "Die wahre Natur der Kirche kann eher geschildert und beschrieben als genau definiert werden. Dies kann sicherlich nicht anders als von innerhalb der Kirche erfüllt werden. Und diese Beschreibung selbst wird wahrscheinlich nur die, die zur Kirche gehören, überzeugen. Das Geheimnis kann überhaupt nur durch den Glauben erfaßt werden." Daraus mag zwar folgen, daß ein Nichtorthodoxer keine rechte Ekklesiologie vorlegen kann, nicht aber, daß er auch die Ekklesiologie eines orthodoxen Theologen nicht darlegen kann. 12 Eucharist 38. S.o.3.3 und ciDvaZaveta 152: "Nur in Symbolen und Gleichnissen haben sie [sc.die Apostel und Kirchenväter] das erschlossen, was ihnen in der von Gott inspirierten Erfahrung des Glaubens mit unmittelbarer Selbstevidenz erschien." 13 Florovsky zählt die Kirche selbst zu den Objekten des Glaubens: "Und dadurch, daß wir im Symbolum unter der Zahl der Objekte des Glaubens die Kirche neben Gott, den Herrn selbst stellen, bezeugen wir ihre Göttlichkeit, ihre Heiligkeit." Vaters Haus 20 (Dom 66 (engl.61)).
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gelebte Glaubenswirklichkeit der Kirche nicht mehr unmittelbar gegenwärtig und selbstverständlich ist. Solche Defintionen waren und sind immer darauf ausgerichtet, bestimmte Krisen zu überwinden, und sind deshalb zeitbedingt.14 "Wenn wir es nun unternehmen, über diese üblichen Definitionen hinauszugehen, wollen wir dadurch keine Revision der Lehre, sondern nur eine neue theologische Anpassung unserer Formeln an die Erfordernisse einer vertieften spirituellen Erfahrung. Man kann stattdessen auch von einer Rückkehr zu der Tradition der Väter sprechen. In unserer Zeit muß man die modernen Diskussionen und Kontroversen überwinden, [...] um die wahre 'katholische', d.h. vollständige (integral),'Geisteshaltung' (esprit) neu zu entdecken, die die ganze Erfahrung umfassen würde, die die Kirche auf ihrer Pilgerschaft durch die Zeit gesammelt hat."15
Florovsky verweist gerade hier auf die Theologie der Kirchenväter, weil er die Entdeckung gemacht hat, daß sie keine in sich geschlossene Ekklesiologie vorgelegt haben, obwohl sich zahlreiche allerdings verstreute Äußerungen zu dieser Problematik bei ihnen finden. Dies spricht jedoch nicht für die Annahme, sie hätten nur verschwommene ekklesiologische Vorstellungen gehabt. Im Gegenteil: "Offensichtlich haben sich die Kirchenväter mit der Lehre von der Kirche deshalb nicht so eingehend befaßt, weil die herrliche Wirklichkeit der Kirche für ihre geistliche Schau klar war."16 Diese Perspektive, diesen Zugang zur Ekklesiologie - wie zur Theologie überhaupt— gilt es nach Florovskys Auffassung neu zu gewinnen. Das bedeutet für ihn zugleich, daß man eine lehr- und formelhafte theologische Schulsprache durch die eher metaphorische und symbolische Sprache der Bibel und des Gottesdienstes ersetzen muß17. Dies kann j edoch bei Florovskys grundsätzlichem Interesse an einer Verständigung mit den nichtorthodoxen Kirchen nicht bedeuten, daß seine Ekklesiologie letztlich nur für Orthodoxe verständlich ist. Doch deutet er selbst an, daß sein hier referierter hermeneutischer Ansatz auch Kommunikationsprobleme mit sich bringen kann: "Vermutlich wird auch diese hier gegebene Beschreibung nur auf diejenigen überzeugend wirken, die zur Kirche18 gehören."19 Dies wird man erst am Schluß der Darstellung beurteilen können, in deren Verlauf man die hier gemachten methodischen Vorbemerkungen allerdings stets vor Augen haben sollte. 14 Cf Corps 10 15 Corps Iii 16 Kirche 44 17 Cf Corps 12 18 Florovsky versteht hier unter "Kirche", wie auch sonst häufig, ausschließlich die orthodoxe Kirche. Cf hierzu die an Klarheit kaum zu überbietende Passage in Loyalty 203f. 19 Kirche 46
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5.2 Die christologische Verankerung der Ekklesiologie "Christus hat die Welt erobert. Dieser Sieg besteht darin, daß Er Seine eigene Kirche gegründet hat [...Sie] ist Christi Werk auf Erden, das Bild und der Ort (abode) Seiner Heiligen Gegenwart in der Welt."20 Mit diesen Sätzen leitet Florovsky seinen 1934 verfaßten Aufsatz "The Catholicity of the Church" ein und gibt darin implizit bereits seinen ekklesiologischen Ansatz zu erkennen, dem wir uns nun detailliert zuwenden wollen: Es geht bei der Kirche um den unlöslichen Zusammenhang von Christus, seinem Sieg über den Tod, und der Welt, die fortan im Zeichen dieser Tat Christi steht, insofern sich nämlich die Gegenwart des Siegers Christus auf der Welt in der Kirche fortsetzt. Ziel der Ekklesiologie Florovskys ist es, diese Gegenwart Christi in der Welt zu beschreiben.21 Mit dieser Zielangabe werden zugleich andere mögliche ekklesiologische Ansätze abgewiesen, auf die zur Profilierung des Ansatzes kurz eingegangen sei. In seiner äußerst scharfen Auseinandersetzung mit den ekklesiologischen Vorstellungen des amerikanischen Theologen Henry N. Wieman wird diesem von Florovsky der Vorwurf gemacht, weder Historiker noch Theologe zu sein22, da er in Hinsicht auf die Ekklesiologie diese beiden Wissenschaften nicht zum Zuge kommen läßt. So sei die Kirche bei Wieman nur Versammlungsort bzw. die Möglichkeit zum Austausch gemachter Erfahrungen, die man allgemein als religiös, nicht jedoch als spezifisch christlich einstufen könne. Auch gehöre in seinem Denken das, was sich als Dogmatik, Hierarchie und Regeln im Lauf der Geschichte herausgebildet hat, nicht eigentlich zum Wesen der Kirche, deren genuiner und von Jesus selbst bestimmter Sinn eben darin bestanden habe, die Möglichkeit zu gemeinsamer Freude und Austausch zu geben23. Diesem polemisch verkürzten Ansatz Wiemans stellt Florovsky nun seinen eigenen gebündelt gegenüber: "Glaubensvorstellungen in Hinsicht auf die Kirche sind denen über Christus Jesus proportional."24 Anders ausgedrückt: Was über Christus theologisch zu sagen ist, muß und kann man auch über die Kirche aussagen. Das heißt aber zuerst, daß es im kirchlichen Glauben nicht um eine irgendwie geartete Erfahrung des einzelnen Menschen mit dem "Göttlichen" geht, die von der Konkretheit und Geschichtlichkeit des Heilsereignisses in Christus absehen kann. Auch handelt es sich bei der Kirche nicht um eine Möglichkeit zum
20 21 22 23 24
Catholicity 37 Cf His Church 168 = CW XIV, 14 Cf Church of God 336 = CW XIII, 195 Ibid. 332f = CW XIII, 193f Ibid. 335 = CW ΧΙΠ, 195
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Austausch gemeinsamer Überzeugungen und Gefühle, sondern um die Begegnung mit der Person Christi. Dies ist nach Florovskys Überzeugung schon bei den ersten Christen so gewesen, denn deren "Glaube war definitv, konkret und historisch [...] entschiedenermaßen christozentrisch. Er war kein vages religiöses Gefühl [...] Sicher, er war in einer Erfahrung verwurzelt. Aber dies war die Erfahrung der ständigen Gegenwart Christi. Diese 'Gegenwart' war nicht nur eine Sache des Glaubens, sondern eine unmittelbaren Wissens."25 Gegenwart Christi ist für Florovsky demnach nicht nur leere religiöse Erfahrung, sondern inhaltlich gefüllte personale Begegnung. Mit diesen soeben zitierten Sätzen wendet sich Florovsky zugleich gegen die Definition der Kirche als coetus fidelium, obgleich er zugesteht, daß "eine solche Beschreibung [...] sicherlich für den Anfang bereits hilfreich sein"26 kann. Dennoch greift sie zu kurz, da sie die Frage nach dem Konstitutionszusammenhang der Kirche nicht hinreichend zu beantworten vermag. Diese "Frage lautet: Worin ist diese Einheit und Zusammengehörigkeit der vielen denn nun tatsächlich begründet und verwurzelt?"27 Man könnte dies mit einem Verweis auf den Heiligen Geist beantworten28, insofern er als Geber des Glaubens der Gläubigen in Betracht kommt. Und doch - hier setzt Florovskys zweite Abgrenzung an - liegt gerade hier die Gefahr, bei der Konzeption einer Ekklesiologie die Pneumatologie gegenüber der Christologie überzubewerten, wie dies nach seiner Auffasung bei J.A.Moehlers Werk Die Einheit der Kirche sowie bei Chomjakov und seinen Schülern zu beobachten ist. Zwar haben auch diese Theologen die Christologie nicht außer Acht gelassen, doch birgt ihr Ansatz nach Florovskys Überzeugung die Gefahr, daß die Lehre von der Kirche "eine Art 'charismatischeSoziologie "'29 wird, was sich letztlich an der Frage nach der
25 Ibid. 334 = CW XIII, 194f 26 Kirche 48. Cf auch Christ 2: "Die Kirche ist nicht nur eine Sammlung von Gläubigen, nicht nur eine Gemeinschaft von Menschen, die durch dasselbe Treueverhältnis und dieselben Überzeugungen vereint sind, sondern genau der Leib Christi, der Ort Seiner beständigen Gegenwart und Seines fortdauernden 'Dienstes der Versöhnung'." 27 Ibid. 28 Cf His Church 164 = CW XIV, 12 29 Ibid. Florovsky lehnt trotz dieses Vorbehalts die ekklesiologischen Versuche dieser Theologen keinesfalls ab, vielmehr reiht er sie in die Reihe derer ein, die unter Aufnahme der patristischen Theologie die Perspektive für die organische Natur der Kirche, wie sie sich nach Meinung Florovskys dem Glaubenden darstellt, neu ins Blickfeld der ekklesiologischen Versuche stellten. "Aber schon lange vor Chomjakov und mit tieferer Einsicht und größerer Autorität verstand es der große Metropolit Philaret [Drozdov] von Moskau, in seinen Predigten eine sehr viel breitere und
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Perspektive, in der und auf die hin eine Ekklesiologie abgfaßt wird, entscheidet. "Sollten wir einfach mit dem Faktum (oder 'Phänomen') beginnen, daß die Kirche eine 'Gemeinschaft' oder κοινωνία ist, und sodann ihre 'Struktur' und 'Merkmale* (notes) untersuchen? Oder aber sollten wir vielmehr mit Christus, dem fleischgewordenen Gott, beginnen und die Implikationen des gesamten Dogmas von der Inkarnation, einschließlich der Herrlichkeit des auferstandenen und in den Himmel aufgefahrenen Herrn, sitzend zur Rechten des Vaters, untersuchen? Es ist keineswegs irrelevant, was der Ansatzpunkt unserer ekklesiologischen Erläuterungen ist."30
Eine Ekklesiologie, die bei der vorfindlichen Gemeinschaft der Gläubigen und damit zugleich bei der Pneumatologie ansetzt, läßt sich nach Ansicht Florovskys also nicht nahtlos mit der Christologie vereinen bzw. aus ihr entwickeln. Das bedeutet in Hinsicht auf die hermeneutische Fragestellung zugleich, daß man die Fülle der Aussagen der Kirchenväter, die diesen Zusammenhang von Christologie und Ekklesiologie immer zur Geltung brachten, da sie eben das eine nicht ohne das andere besprechen konnten, nicht auszuschöpfen vermag31. Falsch wäre es allerdings auch, wollte man das Werk Christi in der Kirche von dem des Heiligen Geistes nicht nur unterscheiden, sondern nahezu trennen, wie dies Vladimir Lossky vorgeschlagen hat. "Das Werk Christi bezieht sich auf die menschliche Natur, die Er in seiner Hypostase zusammenfaßt. Das Werk des Heiligen Geistes hingegen bezieht sich auf die Personen und richtet sich an jede einzelne von ihnen."32 Florovsky vermutet hier, m.E. nicht zu Unrecht, daß in der Ekklesiologie Losskys die menschliche Person nur durch und im Heiligen Geist, nicht aber in Christus geheilt wird, und formuliert demgegenüber sehr pointiert: "Man sollte nicht vergessen, daß die Kirche Kirche Christi ist, und Er ist ihr Haupt und Herr. Der Geist [aber] ist der Geist des Sohnes [...] In jedem Fall sollte die 'Ökonomie des Geistes' nicht so erklärt werden, daß sie die 'Ökonomie des Sohnes' begrenzt oder einschränkt."33 Die Zuordnung der Unterscheidung zwischen Natur und Person zum Werk des Sohnes und dem des Heiligen Geistes darf also nicht dazu führen, daß in der Kirche eine direkte persönliche Beziehung zu Christus, die auch für Florovsky selbstverständlich durch den Heiligen Geist vermittelt ist, nicht mehr gedacht werden kann. Florovsky lebensnahe (pleine de vie) Sicht [der Kirche] zu geben." (Corps 11) Auf ihn bezieht sich Florovskys ekklesiologisches Denken immer wieder. 30 His Church 165 = CW XIV, 12 31 Ibid. 32 V.Lossky: Die mystische Theologie 210 33 His Church 168 = CW XIV, 14f
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erkennt deutlich Losskys Interesse an dieser Zuordnung: die Universalität der Heilung der menschlichen Natur durch Christus soll die personhafte Freiheit, Freiwilligkeit und Verantwortung einer Teilhabe am Mysterium der Kirche und damit am Prozeß der Vergöttlichung nicht einschränken. Deshalb wird die Heilung der menschlichen Natur allein Christus, die der menschlichen Person allein dem Heiligen Geist zugeordnet, auch wenn Lossky wiederholt betont, daß diese zwei Aspekte notwendig zusammengehören. Zwar kann nun auch Florovsky selbst von der einer gewissen unentrinnbaren "Gewaltsamkeit" der Heilung der menschlichen Natur durch Christi Kreuzestod sprechen34, und er meint damit dasselbe wie Lossky, wenn dieser in Hinsicht auf Christi Wirken in der Kirche vom "Akzent von Notwendigkeit"35 spricht. Dennoch möchte er den Person- und Freiheitsaspekt, den Lossky dem Heiligen Geist zuordnet, gerade nicht pneumatologisch sondern ebenfalls christologisch verankern, weil sonst die Gegenwart Christi in der Kirche nur statisch, nämlich im Sinne einer gewaltsamen Notwendigkeit der Heilung der menschlichen Natur, in Betracht käme, nicht aber als dynamische und persönliche Relation zwischen Christus und den Glaubenden, wie sie sich sakramental vermittelt. Es geht für Florovsky bei der Erläuterung der Gegenwart Christi in der Kirche somit um ein personales Verhältnis zwischen Christus und den Glaubenden, das durch den Heiligen Geist vermittelt wird, ohne daß man die Werke der beiden göttlichen Hypostasen hier, wie bei Lossky geschehen, den beiden Existenzaspekten menschlichen Seins zuordnet. Betont Lossky fortwährend die Eigenständigkeit der Wirksamkeit des Heiligen Geistes - für ihn eine Konsequenz des Hervorgehens des Geistes aus dem Vater36 (ohne filioque!) - neben der Wirksamkeit Christi in der Kirche, so hat Florovsky eher eine dynamistische Auffassung vom Heiligen Geist37. Das kann bei ihm dann auch dazu führen, daß Christus und der Heilige Geist miteinander identifiziert werden38. Dabei nimmt Florovsky in Kauf, daß dies auch als
34 CiRedemption 147 35 V.Lossky: Die mystische Theologie 235 36 Cf ibid.: "Die Gnade zerstört die Freiheit nicht, denn sie ist keine vereinheitlichende Kraft, die vom Sohn, dem hypostatischen Haupt unserer Natur ausgeht, sondern sie entstammt einer anderen vom Sohn unabhängigen Quelle: vom Heiligen Geist, der vom Vater ausgeht." 37 Cf Kirche 48: "Die Mitte der Einheit [der Kirche] ist der Herr, und die Kraft, die die Einheit bewirkt und einsetzt, ist der Geist." 38 Cf ibid.: "Christen [...] sind nur eins in Christus, als Menschen, die in ihm aufs neue geboren wurden [...] (Kol 2,7), die durch einen Geist 'zu einem Leibe getauft' worden sind (l.Kor.12,13)." Dieser Absatz fehlt in Corps. Cf aber dort Seite 19: "Und im Geist ist es zweifellos der verherrlichte Herr selbst, der an die Seite der Seinen
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Subordination des Geistes verstanden werden könnte, denn es geht ihm darum, "daß keine kohärente Ekklesiologie ausgearbeitet werden kann, wenn nicht die Zentralität Christi, des fleischgewordenen Herrn und Königs der Herrlichkeit, ohne j egliche Vorbehalte anerkannt wird."39 Damit hat Florovsky seine These erneuert, daß die Ekklesiologie letztlich nur ein Unterkapitel der Christologie sei. Die ausführliche Begründung dieser These steht nach den hier zusammengefaßten Abgrenzungen allerdings noch aus. Sie soll jetzt folgen. Das Ziel der Ekklesiologie Florovskys ist die Beschreibung der Gegenwart Christi in der Kirche. Die Gegenwart Christi auf Erden wurde im vorangegangenen Kapitel auf der Grundlage des Bekenntnisses von Chalcedon dargestellt. Für die Ekklesiologie ist, eben weil es in ihr um die Gegenwart Christi geht, deshalb ebenfalls auf dieses Bekenntnis zurückzukommen.40 Denn wie in Christus so kommen auch in der Kirche menschliche und göttliche Natur zusammen und werden vereinigt. "Die Kirche besitzt eine menschliche, den Geschöpfen eigentümliche Natur, hat ein geschichtliches Fleisch, denn sie ist eine verwandelte Welt [...] Aber sie hat auch eine göttliche Natur, denn in ihr weilt der Herr Jesus Christus."41 Bei der Bestimmung der Gegenwart Christi in der Kirche, wird es demnach um eine Verhältnisbestimmung zwischen Menschlichem und Göttlichem in ihrer unvermischten Einheit gehen42. Nur wenn die Ekklesiologie bei dieser
zurückkehrt, um für immer bei ihnen zu bleiben (Joh 14,18.28) [...] Der Heilige Geist ist der Geist der Kindschaft in Christus Jesus, 'die Kraft Christi'(2.Kor.l2,9)" 39 His Church 170 = CW XIV, 16 40 Cf Vaters Haus 21 (Dom 67 (engl.61f)): "Die Lehre von der hl.Kirche, sowohl von der sichtbaren als auch von der unsichtbaren zu gleicher Zeit, wie auch von ihrer Größe und dem geschichtlich Gegebenen, von ihrer Heiligkeit, d.h. Göttlichkeit, ist die direkte Fortsetzung und Enthüllung des christologischen Dogmas im Geiste und Sinne der Glaubensdefinition von Chalcedon." Cf gleiche Aussagen in His Church 165f = CW XIV, 14 und Corps 13. Es fällt allerdings auf, daß Florovsky trotz dieser Eingangsthese im Verlauf seiner Ausführungen nur selten erneut auf diese Aussage zurückkommt, so daß es seinem Leser überlassen bleibt zu prüfen, inwieweit Chalcedon in der Ekklesiologie tatsächlich ausgelegt wird. 41 Vaters Haus 21f (Dom 67 (engl. 62)). Cf auch Corps 13: "Das Geheimnis der Kirche hat eine ausgesprochen paradoxe Struktur, wie das Geheimnis Christi, das Paradox, das im Geheimnis von Chalcedon impliziert ist. Zwei Wirklichkeiten, göttlich und menschlich, ohne Vermischung, aber in einer unsichtbaren und vollkommenen Einheit." 42 Cf Florovskys Diskussionsbeitrag in N.Nissiotis: Unofficial Consultations III 19f: "Die Hauptsache der Christologie ist es zu verstehen, daß die Menschheit durch die Inkarnation erlöst wurde. Die Unterscheidung zwischen Menschheit und Gottheit macht
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Verhältnisbestimmung ihren Ausgang nimmt, entwickelt sie sich organisch aus der Christologie.43 Anders gesagt: Nur wenn die Theologie das Dogma von der Inkarnation auch auf die Kirche anwendet, bleiben nach Florovskys Auffassung Ekklesiologie und Christologie auf das engste miteinander verschränkt. "Die Grundvoraussetzung der Existenz der christlichen Kirche ist diese neue und wesentliche Einheit zwischen Gott und Mensch, die in der Inkarnation Wirklichkeit geworden ist."44 Das bedeutet allerdings nicht, daß die Inkarnation dem Sein der Kirche zeitlich vorgeordnet wäre. Vielmehr geht Florovsky davon aus, daß "es nur eine unteilbare Tat Gottes gibt"45: die Inkarnation, die sich in der Kirche kontinuierlich fortsetzt. "In der Kirche, d.h. im Leib Christi, in seinem theandrischen Organismus verwirklicht sich kontinuierlich das Geheimnis der Inkarnation, das Geheimnis der zwei Naturen, die unlöslich miteinander verbunden sind."46 Nach dem, was Florovsky gegen Lossky vorgebracht hat, dürfte allerdings auch deutlich sein, daß die Inkarnation und damit auch das Wesen der Kirche nicht allein durch Termini der 'Natur' zu erklären ist, sondern die personale Relation ebenfalls ausdrücken müssen.47 Florovsky unternimmt genau dies durch Aufnahme des Erwählungsgedankens, mit dem er seine materiale Ekklesiologie beginnt. Er verdeutlicht ihn am Begriff der 'Ekklesia'.
die Einheit der beiden soteriologisch bedeutsam. Allein daraufkommt es an! Die Formel [sc.von Chalcedon] ist nichts anderes als ein Versuch, dies auszudrücken." 43 Cf Kirche 56: Erst mit der Christologie "wird der einzig haltbare und positive Grund für eine sachgemäße theologische Besinnung gelegt. Die Lehre von der Kirche findet dabei den ihr zukommenden und organischen Platz im Gesamtrahmen der göttlichen Heilsveranstaltung." 44 His Church 167 = CW XIV, 14 45 Ibid. 46 Catholicity 38. Cf auch Mother 186: "Das Geheimnis der Inkarnation wird noch immer, sozusagen fortwährend in der Kirche dargestellt." 47 Darauf weist Florovsky explizit hin (His Church 167). Ich hatte dies bereits oben 4.2 und 4.3 vesucht deutlich zu machen: Letztes Motiv der Inkarnation war die Liebe Gottes, diesich nur personal verstehen läßt. Auch war am Begriff der Theotokos deutlich geworden, daß Florovsky den Naturbegriff nicht ohne eine personale Dimension denken kann. Cf.o.4.3. Durch seinen Rückgriff auf die Aussagen der Väter kommt Florovsky hier zu anderen Ergebnissen als andere orthodoxe Theologen, denn, so stellt VMehedintu: Offenbarung 110, fest, es sei eine "Tatsache, daß auch in der orthodoxen Theologie die Offenbarung weniger als personale Mitteilung Gottes denn als göttliche Wahrheitenmitteilung gesehen wurde."
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5.2.1 Gemeinschaft mit Christus: die Ekklesia Der von den ersten Christen übernommene Begriff der Ekklesia unterstreicht nach Auffassung Florovskys zwei wesentliche Aspekte: zum einen die Kontinuität zwischen den beiden Bundesschlüssen Gottes und zum anderen den gemeinschaftlichen Charakter christlicher Existenz.48 Diese beiden Aspekte sind sachlich durch den ihnen zugrundeliegenden Gedanken der Erwählung der Menschen zur Gemeinschaft mit Gott verbunden, wie dies bereits oben bei der Beantwortung der Frage 'Cur Deus homo?' (4.2.) zum Ausdruck gekommen ist. Der erste Aspekt, die Kontinuität des Neuen Bundes zum Alten Bund, spielt bei Florovsky nur eine untergeordnete Rolle.49 Im Zentrum steht auch nicht die Frage nach der Kontinuität zwischen Israel und dem neuen Volk Gottes, sondern die für Florovskys Theologie grundsätzlich entscheidendere Frage nach der Geschichtlichkeit des christlichen Glaubens. "Von Anfang an wurde die christliche Existenz in der heiligen Perspektive messianischer Vorbereitung und Erfüllung gedacht. Darin einbegriffen war eine sehr bestimmte Theologie der Geschichte."50 Insofern die ersten Christen in Jesus den erwarteten Messias erkannt hatten und glaubten, hatte sich für sie die messianische Hoffnung Israels erfüllt, so daß sie sich als das neue, präziser noch: als das wahre Israel begriffen, als "der 'gläubige Rest', der aus dem alten ungehorsamen Volk ausgewählt wurde".51 Verstand sich nach Meinung Florovskys die judenchristliche Ekklesia Jerusalems zu Anfang als dieser gläubige Rest, so umfaßte er schon bald die Gemeinschaft der Glaubenden aus "Juden und Heiden [...] eine vollkommen neue Rasse, ein geistliches Geschlecht, tertium genus."52 Entscheidend für dieses neue Volk ist sein Konstitutionszusammenhang. Nicht gemeinsame Rassemerkmale, Nationalität oder auch gemeinsame Überzeugungen vereinen diese Menschen zu einem Volk, sondern die Erwählung durch Gott, wie sie sich am Einzelnen in der Taufe sakramental manifestiert.53 In diesem Punkt sieht 48 Ci Corps \3i 49 In Dom 65f ist dieser Gedanke nicht expliziert und nur bei Kenntnis der übrigen späteren ekklesiologischen Aufsätze Florovskys auch hier in nuce zu erkennen. In Interpretation 33 (dt 201) findet sich die singulare Aussage: "Auf alle Fälle war Israel eine von Gott gesetzte Gemeinschaft von Gläubigen, geeint durch das Gesetz Gottes, durch den rechten Glauben, durch heilige Riten und eine Hierarchie, - wir finden hier alle Elemente der traditionellen Definition der Kirche." 50 Corps 14 51 Kirche 46. Eine gegenüber dem Text von Corps 14 leicht geänderte Fassung. 52 Corps 14 53 Darauf macht besonders Dom 66 (engl.61; Vaters Haus 19f) aufmerksam, indem
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Florovsky die Kontinuität zwischen Israel und der Kirche. "Es gibt quer durch beide Bundesschlüsse eine Identität in dieser erlösenden Erwählung."54 Dieser Gedanke der Identität unterstreicht seine heilsgeschichtliche Sicht der Kirche. Er kann deshalb sogar sagen: "Eine 'Kirche' existierte bereits, als Jesus Seinen Dienst begann. Das war Israel, das Volk des Bundes [...] Der Bund war der beständige Hintergrund Seiner Predigt."S5 Dieser letzte Satz weist bereits hinüber zum zweiten Aspekt des Begriffs der Ekklesia, dem Florovsky nun weit mehr Raum widmet. War der Alte Bund Hintergrund der Predigt Jesu, so folgt daraus, daß sie sich nicht so sehr an Individuen als vielmehr an eine Gemeinschaft, das Volk Israel, wandte.56 Der griechische Begriff der Ekklesia weist - darin dem hebräischen qahal analog - zugleich aber auch auf die Einheit der versammelten und erwählten Menschen hin. Dementsprechend gehört für Florovsky allein schon vom Begriff her zum Christsein unabdingbar das In-der-Kirche-Sein. Zu beachten ist bereits hier die im folgenden immer wieder zutage tretende Betonung von Gemeinschaftlichkeit und gleichzeitiger Einheit des Christentums, präziser noch: der Kirche. Beides sind für Florovskys Ekklesiologie nur zwei Seiten derselben Medaille. "Christsein bestand exakt in der Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft. Keiner konnte für sich selbst Christ sein, gleichsam als isoliertes Individuum, sondern nur 'mit den Brüdern', in Solidarität und mit ihnen vereinigt. Unus Christianus - nullus Christianus."51 Diesen vorerst nur etymologisch begründeten Gedanken führt Florovsky nun in vier Schritten aus, die alle die enge Anbindung der Ekklesiologie an die Christologie verdeutlichen.58
es eine längere Passage über die Bedeutung der Taufe als Initiationssakrament der Kirche folgen läßt. 54 Corps 14. Ohne daß Florovsky dies hier anspricht, muß man an dieser Stelle an die Antwort Maximus' auf die Frage 'Cur Deus homo?' (cf ο. 4.2) denken: In Christus ist die Schöpfung dazu erwählt und bestimmt, durch und in der Kirche die Zweinaturenhaftigkeit allen Seins zu erlangen. Obwohl Florovsky Cur erst 1957, also neun Jahre nach Corps abgefaßt hat, hatte er den Gedanken, daß die Zweinaturenhaftigkeit des Inkarnierten der göttliche Zweck der Schöpfung sei, bereits 1936 in seinem Aufsatz Eucharist (44) geäußert. 55 Church of God 333 = CW XIII, 194 56 Cf ibid. 333f = CW ΧΠΙ, 195. Ebenso Corps 15. 57 Corps 15. Diese Formel Augustins (sachlich enthalten in Augustins In Evang.Ioannis tract. XXI,8 PL XXXV 1568) läßt sich in nahezu jedem der Aufsätze Florovskys zur Ekklesiologie nachweisen und gehört zu seinen Lieblingsformulierungen, um den gemeinschaftlichen Charakter der Kirche kurz und prägnant anzusprechen. 58 Diesen inneren Zusammenhang übersieht Y.Lelouvier in seiner Darstellung der Ekklesiologie Florovskys.
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Zuerst präzisiert Florovsky die Gemeinschaftlichkeit der Kirche als apostolische Gemeinschaft, d.h. als von Jesus beauftragte und gesandte Jüngerschar, die gerade in diesem Akt der Erwählung und Beauftragung ihre Einheit findet und hat. "Ihre Einheit kommt aus der Höhe. Sie ist vollkommen geistlich und ihnen [sc. den Gläubigen] von Gott in Christus Jesus, dem Herrn, gegeben."59 Subjekt der Einheit ist deshalb Christus selbst. Sein erwählendes Handeln und nur dieses bildet in der Wahl der zwölf Apostel aus dem Volk Israel zugleich die Kontinuität der Kirche zu diesem ab, so daß das Subjekt der Kontinuität zwischen Kirche und Israel ebenfalls Christus ist.60 Florovsky betont dies deshalb so stark, um gegen andere mögliche Ansätze erneut die enge Anbindung der Ekklesiologie an die Christologie zu unterstreichen. Das bedeutet aber zugleich, daß die Initiative des Handelns auch in Hinsicht auf die Ekklesiologie bei Gott liegt und nicht beim Menschen. "Die Kirche Gottes ist durch einen Akt der Souveränität (souverainement) gestiftet und gegründet worden."61 Folgt im ersten Gedankengang aus der Apostolizität - im vorerst ganz schlichten Sinn der Sendung und Beauftragung durch Jesus - die Einheit der Kirche, so stellt Florovsky im zweiten Gedankengang dit Liebe als das von Christus gestiftete Band der Gemeinschaft in das Zentrum seiner Überlegungen. Auch hier wird die Initiative Christi herausgestellt. Denn nach Florovskys Meinung versammeln sich die Gläubigen nicht, weil sie sich untereinander als Brüder (und Schwestern) erkennen, sondern "es ist der Herr, der sie versammelt und zu sich zieht, er selbst ist es, der ihnen diese Einheit gibt. Und ohne ihn würde keine Einheit, keine wirkliche Übereinstimmung möglich sein."62 Wenn die kirchliche Gemeinschaft durch das Band der Liebe Gottes vereint wird, dann ist die Liebe untereinander, ganz im Sinne des 1.Johannesbriefes, auf den er an anderer Stelle anspielt, nicht Voraussetzung, sondern Folge der Liebe Christi zu den Menschen, wie sie in seiner Offenbarung zum Ausdruck gekommen ist. "Die organische Einheit der Kirche wird nicht durch christliche Barmherzigkeit geschaffen. Sicher, sie wird durch Liebe geschaffen, aber eher durch die Liebe Gottes, durch seine vergebende αγάπη [...] Er hat uns zu Brüdern gemacht, indem er uns in seinem Sohn adoptierte. Auf diese Weise ist der Leib Christi schon 59 Corps 16 60 Ibid. 61 Ibid. Hier liegt eine deutliche Analogie zur Souveränität Christi bei der freiwilligen Übernahme des Kreuzesleidens vor, die Florovsky besonders herausstellt. Cf Redemption 100 und oben 4.4.2. 62 Ibid.17. Dieser Gedanke fehlt in den vorangegangenen Aufsätzen zur Ekklesiologie. Florovsky widmet ihm eine ganze Seite - möglicherweise unter dem Eindruck der ersten Vollversammlung des ORK in Amsterdam.
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durch die Inkarnation geschaffen und ausgebildet worden, die auch selbst die höchste Manifestation der schöpferischen Liebe Gottes war."63 Der Verweis auf den Zusammenhang von Leib Christi und Inkarnation zeigt nun aber zugleich, daß die Liebe als Band der Gemeinschaft der Kirche nicht nur eine Beziehung aussagt, sondern ontologische Qualität hat. Liebe ist für Florovsky nur denkbar als leibhaftige Gegenwart Gottes, die konkret, d.h. sakramental erfahrbar sein muß. "Wahrer gemeinschaftlicher Geist ist nur durch die mystische Teilhabe an der Menschheit des fleischgewordenen Wortes möglich."64 Damit leitet Florovsky zum dritten Merkmal des gemeinschaftlichen Aspektes des Wesens der Kirche über, das nun den unlöslichen Zusammenhang von Christologie und Ekklesiologie am schärfsten profiliert. Hat Florovsky bislang von der Beauftragung der Ekklesia durch Christus und seiner Gabe der Liebe gesprochen, so fragt er nun, drittens, nach der Weise, wie der Glaubende an der Menschheit Christi teilhat. Florovskys Antwort lautet: durch die Sakramente. "Die Sakramente wurden eingesetzt, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, an Christi erlösendem Tod teilzuhaben und dadurch die Gnade seiner Auferstehung zu gewinnen."65 Die Liebe Gottes, von der im vorangegangenen Absatz die Rede war, ist somit als Teilgabe am Sterben und Wiederauferstehen Christi zu verstehen, die in den realistisch verstandenen Sakramenten66 dem Christen zugänglich werden. "Im gesamten sakramentalen und geistlichen (devotional) Leben der Kirche werden Kreuz und Auferstehung durch vielgestaltige Symbole und Riten 'nachahmend dargestellt' (are 'imitated') und bedacht. Dieser gesamte Symbolismus ist realistisch. Die Symbole erinnern nicht nur an irgendetwas Vergangenes. Durch diese heiligen Symbole erschließt sich in Wahrheit die letzte Wirklichkeit und wird übereignet."67 "Und in diesem Sinn sind sie eine Ausweitung der Inkarnation: in ihnen ist diese neue Vereini-
63 Ibid. 34f. Hier auch der Verweis auf lJoh 4,10. 64 Ibid. 17 65 Redemption 156 66 'Realistisch' ist hier im Sinn der alten Kontroverse als Gegensatz zu einem symbolisch anamnetischen Verständnis der Sakramente zu verstehen. Cf Vaters Haus 23 {Dom 69 (engl.63)): "In allen Sakramenten, die doch das wahre Mark des kirchlichen Lebens bilden, ist Gott wirksam und wirklich im Geschöpf gegenwärtig... Dem kirchlichen Bewußtsein ist jeder Doketismus und Phänomenismus absolut fremd." Cf auch Corps 18: "Allgemein sind die Sakramente nicht nur Zeichen des Glaubens, sondern vielmehr die wirkmächtigen Zeichen der Gnade, der freien Gabe Gottes - und nicht Symbole menschlicher Sehnsucht, sondern äußerliche (exterieurs) Symbole göttlichen Handelns." 67 Redemption 156
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gung (union) von Gott und Mensch, die mit der Inkarnation begonnen wurde, für immer gegenwärtig und für die Glaubenden verfügbar gemacht."68
Über den Gedanken der Inkarnation versucht Florovsky demnach erneut, die organische Verbindung zwischen Christologie und Ekklesiologie herauszuarbeiten. Insofern die Sakramente Christi Heilstat sakramental darstellen, beteiligen sie die sakramental Kommunizierenden am Geheimnis Christi, d.h. an der Union von göttlicher und menschlicher Natur. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine Wiederholung des Opfers Christi durch Menschen69, sondern auch hier ist es Christus selbst, der sich durch den Heiligen Geist gibt. "Alle Sakramente sind heiligende Taten, in denen der Heilige Geist atmet. Durch sie wird die Vereinigung mit Christus und der Kontakt zu Gott Wirklichkeit."70 War bereits bei den Ausführungen zur Inkarnation deutlich geworden, daß diese letztlich auch der Sinn und das Telos der Schöpfung ist (4.2.), so folgt daraus und aus dem hier in bezug auf die Sakramente Dargelegten, daß die Partizipation an der Vereinigung der zwei Naturen in Christus auch der Sinn und das Wesen der Kirche ist. Denn "die Sakramente konstituieren die Kirche. Gerade in den Sakramenten verläßt die christliche Gemeinschaft die rein menschlichen Dimensionen und wird zur Kirche",71 die eben von der Gegenwart Christi in ihr lebt. Insofern es somit in der Kirche um die Partizipation an der Union von göttlicher und menschlicher Natur geht, kurz: um Inkorporation in Christus72, ist die Ekklesia für Florovsky immer "geweihte oder sakramentale Gemeinschaft"73. Insofern sie dies aber nur durch die Gegenwart des einen Christus in den Sakramenten ist, kann diese Gemeinschaft nicht voneinander getrennt oder in gegenseitiger Feindschaft leben, sondern immer nur 68 Dieser außerordentlich wichtige Zusatz steht nur in Lamb 28, das abgesehen von einer vierseitigen eigenständigen Einleitung (13-17) und einem ebenfalls eigenständigen Mittelteil (20-23) OSmerti, allerdings mit einschneidenden Kürzungen und einigen wenigen Erweiterungen, folgt. Gerade diese umfangreichen Textänderungen machen es mehr als wahrscheinlich, daß Florovsky an dieser Erweiterung gelegen war, auch wenn er sie im Aufsatz Immortality, der 1951, also zwei Jahre nach Abfassung von Lamb, vorgetragen wurde, nicht aufgenommen hat. Sachlich findet sich derselbe Gedanke dann in Redemption 159. 69 Cf Evcharistija 5 (engl.47) 70 High Calling 33 71 Corps 18. Cf auch Redemption 159: "Das sakramentale Leben der Gläubigen ist der Außau der Kirche. Durch die Sakramente und in ihnen wird das neue Leben Christi auf die Glieder Seines Leibes ausgedehnt und auf sie übertragen." 72 Cf Mother 187: "Inkorporation in Christus, die das Wesen der Kirche und der gesamten christlichen Existenz ausmacht..." 73 Corps 18
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eine sein. Florovsky verbindet hier also erneut den Gedanken der Gemeinschaftlichkeit mit dem der Einheit. Am deutlichsten wird dies an der Bezeichnung der Sakramente als "sacraments sociaux"74. Mit diesem Begriff verbindet Florovsky drei Dimensionen sakramentaler Gnade, die für ihn "immer eine Gnade der Vereinigung" ist: In der Kraft des Heiligen Geistes vereinigen die Sakramente die Kommunikanten erstens mit der Menschheit Christi, zweitens untereinander75 und drittens jeden einzelnen mit sich selbst76. Durch ihre Bezogenheit auf Christus77 begründen die Sakramente somit die für das Sein der Ekklesia konstitutive Zusammengehörigkeit von Gemeinschaft und Einheit. In Aufnahme der Begrifflichkeit aus CA VII78 formuliert Florovsky deshalb, daß "die korrekte Verwaltung der Sakramente {rede administrantur) zum Wesen der Kirche (zu ihrem 'esse') gehört"79, wobei deutlich geworden sein dürfte, daß der bei Florovsky zugrundegelegte Sakramentsbegriff ein anderer als der Melanchthons ist, nicht zuletzt deshalb, weil er nicht vollkommen definiert ist. Beide stimmen allerdings darin überein, daß die Sakramente Christus vergegenwärtigen - in der Kraft des Heiligen Geistes, auf den Florovsky trotz seiner ablehnenden Haltung der pneumatologisch geprägten Ekklesiologie Loss-
74 Ibid. Die Übersetzung ist nicht ganz leicht. Im Englischen spricht Florovsky von "social sacraments" (z.B. in Church 61) und in Kirche 49 übernimmt er bezeichnenderweise den englischen Begriff und fügt in Klammern "verbindende Sakramente" hinzu, was zwar den Aspekt der Verbindung von Göttlichem und Menschlichem durch die Sakramente auszudrücken vermag, zugleich auch den der Verbindung der Gläubigen untereinander durch ihre gemeinsame communio in sacris, nicht jedoch die im Begriff des 'social' [man denke an das Verb 'to socialize'] ebenfalls mitschwingende affektive Dimension. Ich werde im folgenden den Begriffje nach Kontext entweder gar nicht oder mit 'verbindend' bzw. 'gemeinschaftlich' übersetzen. 75 In Mother 187 vereinigt Florovsky den Gedanken der Sakramente mit dem oben dargestellten Motiv der Liebe: "Inkorporation in Christus [...] ist zu allererst Inkorporation in seine hingebende Liebe (sacrificial love) zu den Menschen." 76 Cf Corps 27f 77 Cf Ethos 23: "Alle Sakramente sind tatsächlich Sakramente des gläubigen Lebens in Christo." Cf auch Redemption 156 u.159. 78 Derartige Zitate sind sicherlich nicht zufällig. Gerade der Aufcatz Corps zeichnet sich neben vielem anderen auch dadurch aus, daß er davon eine Menge aufweist. So spielt z.B. das in Anm. 19 gegebene Corpszitat auf den scholastischen Begriff des signum efficax gratiae an. Florovsky wollte dadurch die Nähe seiner Position zu der seiner westlichen Gesprächspartner herausstellen bzw. das Gespräch eröffnen, ohne dabei allerdings Unterschiede zu verwischen. Zugleich wird an derartigen Zitaten deutlich, daß sich Florovsky mit den grundlegenden konfessionellen Schriften auseinandergesetzt hat. 79 Ibid. 18
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kys gegenüber in spezifischer Weise Bezug nimmt. Diesem Aspekt widmet sich der vierte und abschließende Gedankengang Florovskys zum gemeinschaftlichen Charakter der Ekklesia. Ich hatte bereits oben daraufhingewiesen, daß Florovsky eine dynamistische Vorstellung v o m Heiligen Geist hat. Der Geist ist für ihn die Kraft, die Christus in den Gläubigen und in der Kirche vergegenwärtigt. Die Kirche "ist eine Gemeinde derer, die in Ihm [sc.Christus] bleiben und wohnen und in denen Er selbst bleibt und wohnt, durch den Geist.'m Oder: "Durch den Geist sind die Christen mit Christus und in Ihm vereint." 81 Man kann bei solchen Aussagen vermuten, daß in Hinsicht auf das Resultat ihres Wirkens Christus und der Heilige Geist letztlich nicht voneinander zu unterscheiden sind, da Christus immer durch den Geist wirkt. 82 Und in der Tat bringt der Heilige Geist gegenüber der Tat Jesu nichts Neues. 8 3 Aber er besiegelt und
80 Kirche 49. Hervorhebung von mir. Die Passage fehlt in Corps 18, ist jedoch durch eine analoge Aussage ersetzt, allerdings ohne Hinweis auf den Geist. 81 Corps 19. Zwar hätte sich Florovsky gegen ein ausschließlich dynamistisches Verständnis des Hl. Geistes gewehrt, doch lassen seine pneumatologischen Aussagen keinen anderen Schluß zu. 82 Daß diese Vermutung nicht ganz falsch ist, belegt ein Diskussionsbeitrag Florovskys auf dem Treffen des Continuation Committees von Faith and Order in Ciarens 1939 (Faith and Order Paper No.92). Dort (S.40) gesteht Florovsky zu, daß man statt des mißverständlichen 'sakramental', das in seiner eigenen Theologiechristologisch ausgerichtet ist, auch 'charismatisch' sagen könne, da beide Begriffe für ihn gleichbedeutend seien! Cf auch His Church 165 = CW XIV, 12: "Offenkundig besteht zwischen den beiden Formeln' in Christus' und 'im Geist' kein Widerspruch. Aber es macht etwas aus, welcher von beiden der Vorrang oder Vorzug gegeben wird. Unsere 'Einheit im Geist' ist gerade unsere 'Inkorporation' in Christus, welches die letzte Wirklichkeit christlicher Existenz ist." - G.H.Williams These, Florovskys Ekklesiologie sei zu Beginn stärker von der Pneumatologie bestimmt gewesen und hätte sich erst später ganz dem christozentrischen Denken zugewandt (cf G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 34), versucht dieses Problem der Theologie Florovskys durch zeitliche Nachordnung zu lösen. Zwar stimmt es, daß Florovsky am Beginn seiner Karriere Aufsätze mit einem spezifisch pneumatologischen Thema veröffentlichte (z.B.High Calling, Veneration, Holy Spirit, Pentecost etc.), doch weisen auch diese bereits deutlich die strenge Vorordnung der Christologie vor der Pneumatologie auf, insbesondere durch die Rede vom Leib Christi, z.B. in dem 1927 veröffentlichten Aufsatz Dom. Außerdem übersieht Williams, daß Florovsky zur gleichen Zeit auch grundsätzliche Arbeiten zur Christologie (z.B. Ο smerti, Ascension) verfaßte, die seine Christozentrik bereits deutlich erkennen lassen. 83 Cf Corps 19: "Und zweifelsohne kehrt im Geist der verherrlichte Herr selbst zu den Seinen zurück, um allezeit bei ihnen zu bleiben." Derartige Aussagen belegt Florovsky u.a. mit Hinweisen auf die Parakletensprüche im Johannesevangelium, bei 177
bezeugt den Sieg Christi, der vor Jesu Himmelfahrt in der Kirche noch nicht realisiert war. Denn, so unterscheidet Florovsky und begründet dies mit zahlreichen Bibelzitaten: "Genau genommen war die messianische Gemeinde, die Jesus Christus versammelt hatte, vor Seinem Kreuzesleiden und Seiner Auferstehung noch nicht die Kirche. Sie konnte es nicht sein, bevor 'die Verheißung des Vaters' an ihr erfüllt und sie 'mit der Kraft aus der Höhe angetan' und bevor sie durch das Geheimnis des Pfingsttages 'mit dem Heiligen Geist getauft' worden war (vgl. Luk. 24,49 u. Apgsch. 1,4-5) [...] 'Die Kraft von oben' war in den Bereich der Geschichte eingetreten. Der 'neue Äon' war wahrhaftig offenbar geworden und hatte nun begonnen. Das sakramentale Leben der Kirche aber ist die Fortsetzung dessen, was Pfingsten geschehen ist."84 Die Wirkung des Heiligen Geistes besteht demnach nicht in einer der Tat Christi gegenüber neuen Heilstat, sondern er erfüllt die Kirche mit der göttlichen Kraft gerade des Sieges Christi. Damit wird die Kirche zugleich von der Welt abgesetzt und unterschieden. Sie ist aufgrund der sakramentalen Gegenwart Christi, die der Heilige Geist vermittelt, Ort der Heiligkeit, der von der profanen Welt getrennt ist. "Dabei begründen gerade die Sakramente die Trennungslinie." 85 Florovsky denkt die Gegenwart des Heiligen Geistes nun jedoch nicht als je neue und punktuelle Wirksamkeit, sondern als beständige Gegenwart. "Der Heilige Geist kam ein für alle Mal herab. Dies ist ein schreckliches und unvorstellbares Geheimnis. Er lebt und bleibt ohne Ende in der Kirche. In der Kirche empfangen wir den Geist der Kindschaft (Spirit of adoption)." 86 Deshalb ist die Kirche bereits eine Entität, von der sich - in Aufnahme des Bekenntnisses von Chalcedon - immer Göttliches und Menschliches aussagen läßt. Pfingsten ist deshalb für Florovsky der Beginn und die Quelle des kirchlichen und insbesondere des sakramentalen Lebens 87 . Es war "der
denen allerdings bezeichnenderweise der aus Joh 16,13 fehlt, der vom Geist ein über Christus hinausgehendes Werk aussagt: "Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten.". 84 Kirche 50. Es gibt in Florovskys Schriften nur wenige Stellen, wo er so viele Bibelzitate in derartiger Länge aneinanderreiht wie in dem Kontext, aus dem dieses Zitat stammt. 85 Corps 28 86 Catholicity 37. Cf auch Vaters Haus 26 {Dom 71 (engl.66)): "Aber die Gnade Gottes wird sichtbar in den Sakramenten und nicht etwa so, als ob jedesmal von neuem und besonders die Gaben des Heiligen Geistes von oben herabgesandt würden, sondern durch Mitteilung aus dem einen Schatz, der einmal gegeben wurde, in der Herabkunft des Heiligen Geistes - auf die Kirche." Die Anspielung auf das Theologoumenon vom thesaurus ecclesiae findet sich sonst nicht mehr bei Florovsky. 87 Cf Corps 28 und Pentecost 189
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höchste Offenbarungsakt"88. Denn mit der Anwesenheit des Heiligen Geistes in der Kirche, der Christus seit dem Pfingstwunder vergegenwärtigt, "ist das sakramentale Leben der Kirche die Fortsetzung der Pfingsten"89, so daß "das Bleiben und Leben in der Kirche eine Partizipation an Pfingsten impliziert."90 Florovsky kann demnach Pfingsten, das sakramentale Leben, den Heiligen Geist und Christus miteinander identifizieren, wenn es ihm darum geht, die soteriologische Dimension der Christologie, von der die Ekklesiologie nur ein Unterkapitel sein soll, als Partizipation an der Vereinigung von göttlicher und menschlicher Natur zu erläutern. Gerade hier aber ist zu fragen, wo die von ihm bei Lossky vermißte personale Relation der Gläubigen auf Christus zu finden ist.' Christus' scheint in dem dargelegten Zusammenhang nur die Chiffre für die Vereinigung von göttlicher und menschlicher Natur zu sein. Auf diese Frage wird zurückzukommen sein. Florovskys Anliegen war es bislang, vier Aspekte des gemeinschaftlichen Charakters der Ekklesia herauszuarbeiten, die jeder für sich den organischen Zusammenhang von Christologie und Ekklesiologie verdeutlichten. Von Christus gesandt und von Christus geliebt ist die Ekklesia die Gemeinschaft, in der sich Christus so in den Sakramenten den Menschen mitteilt und im Heiligen Geist vergegenwärtigt, daß die Glaubenden in der Gemeinschaft vereint werden. Mit Rekurs auf die paulinische Rede vom Leib Christi kommt Florovsky nach diesen grundsätzlichen Vorbemerkungen nun zum christologischen Zentrum seiner Ekklesiologie.
5.2.2 Die Kirche als Leib Christi Bereits die Bezeichnung der Kirche als Ekklesia zielt auf den gemeinschaftlichen Charakter des Christseins. So ist die Kirche "eine heilige Gemeinschaft, eine Gemeinschaft der Heiligen"91. Florovsky versteht den Begriff der communio sanctorum vordringlich jedoch im Sinne einer communio in sacris.92 Durch die Teilhabe an den Sakramenten wird die Kirche zur Gemeinschaft mit Christus und untereinander. Dieses Ereignis
88 Corps 19 89 Ibid. 90 Pentecost 189 91 90 Communion 18. Da 'heilig' im Neuen Testament fast immer pluralisch gebraucht wird, deutet nach Florovskys Auffassung (ibid. 21) dieser Gebrauch bereits auf die sozietäre Struktur des Christseins hin. Dementsprechend kann man Christ nur in der Gemeinschaft, nie aber allein sein. 92 Cf Communion 20
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umschreibt Florovsky mit dem für seine Ekklesiologie zentralen Begriff des Leibes Christi. "Das Bild vom Leib erwuchs dem christlichen Bewußtsein gerade aus der eucharistischen Erfahrung."93 Denn gerade in der Eucharistie manifestiert sich die Gegenwart Christi für die Kommunikanten94. "In diesem Sinn einer furchterregenden und letztgültig nicht definierbaren eucharistischen Wandlung, welche sich durch die geheimnisvolle Wirkung des Heiligen Geistes vollzieht, der durch den Sohn vom Vater in die Welt gesandt wird, erfüllt sich unaussprechlich der allerreinste Leib Christi. Darin besteht das Sakrament."95 Aus diesem Grund ist die Rede vom 'Leib Christi' für Florovsky auch weit mehr als eine bloße Metapher, nämlich "die allergenaueste und prinzipiellste Definition der hl. Kirche, die alle anderen und weiteren, die dann nur noch ergänzend und erläuternd sind, möglich macht."96 Florovsky benutzt diese Superlative, weil er einerseits den Ansatz der Ekklesiologie bei anderen biblischen Bildern für die Kirche für unzureichend hält. So sei die Bezeichnung der Kirche als "Neues Volk Gottes" oder "Neues Israel" deshalb nur teilweise sachgemäß, weil darin der konstituive Bezug auf Christus fehlt. "Die fortwährende Existenz der 'Kirche' über das Ganze der biblischen 'Heilsgeschichte' hinweg sollte so gedacht werden, daß die einzigartige 'Neuartigkeit' Christi, des fleischgewordenen Herrn, darin enthalten ist."97 Andererseits weist er den exegetischen Einwand ab, daß sich 'Leib Christi' bei Paulus vornehmlich auf den Leib des erhöhten Christus bezieht und deshalb nicht mit der Inkarnation in Verbindung zu bringen ist, wie dies für Florovskys ekklesiologisches Denken wegen der Betonung des sakramentalen Charakters der neuen Existenz konstitutiv ist. Hier, so Florovsky, sollte man die Differenz zwischen dem status exinanitionis und exaltationis nicht überbewerten, denn schließlich sei auch der aufgefahrene Christus der
93 Eucharist 40. Florovsky begründet dies mit einem Verweis auf IKor 10,17. 94 Cf Vaters Haus 24 (.Dom 70 (engl.64)): "Die Frucht der Loskaufung durch den Heiland und Seiner Auferstehung besteht nicht in einer Veränderung der Natur, sondern im Sieg über Verwesung und Tod, durch welchen Sieg die Gottheit, ehedem nicht erreichbar vonseiten des Geschöpfs, aufnehmbar und zugänglich wurde." 95 Evcharistija 5 (engl.47) 96 Vaters Haus 18f (Dom 65 (engl.60)). Cf auch Corps 20. 97 His Church 166 = CW XIV, 13). Hier kommt erneut Florovskys Bestreben deutlich zum Ausdruck, die Ekklesiologie in der Christologie zu verankern. Die in diesem Aufsatz zum Ausdruck kommende Ablehnung anderer neutestamentlicher Begriffe stellt gegenüber Corps, verfaßt 1949, eine geringfügige Veränderung dar, als Florovsky dort (S.20) in diesen ebenfalls das Interesse ausgedrückt findet, "die organische Einheit, die zwischen dem Herrn und seinen Gläubigen besteht, zu akzentuieren". Doch "ist unter ihnen das Bild des Leibes das stärkste und ausdrucksvollste."
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neue Adam, d.h. der Gottmensch, so daß die sakramentale Kommunion immer eine Inkorporation in die Menschheit Christi sei. "Wie dem auch sei", so beendet Florovsky diese Diskussion um die biblische Grundlegung der Ekklesiologie etwas abrupt, "die Katholische Lehre von der Kirche kann nicht nur auf Schriftbelegen aufgebaut werden, die selbst nur im Kontext der lebendigen Tradition [der Kirche] genau bewertet werden können."98 Weil aufgrund ihrer unmittelbaren spirituellen Erfahrung die alte Tradition in Ost und West die Kirche als Leib Christi erfuhr und beschrieb, soll man nach Auffassung Florovskys auch heute zu dieser Beschreibung zurückkehren." Denn "von Anfang an fand das Selbstverständnis und Denken in dieser Metapher [sc.'Leib Christi'] den zutreffenden Ausdruck (slogan), um diesem neuen Gefühl Ausdruck zu verleihen: dem gemeinschaftlichen (corporate)100 Charakter der neuen Existenzweise eines Christen [...] In unserer modernen Sprache muß 'Leib Christi' mit 'Organismus' übersetzt werden. Er ist etwas, in dem die Vielfältigkeit der Mitglieder durch ein Leben vereinigt wurde."101 In dem Begriff 'Leib Christi' fallen somit zwei für Florovsky wesentliche Interessen zusammen: zum einen die strenge Anbindung der Ekklesiologie an die Christologie, zum anderen die Bindung theologischer Aussagen an die Erfahrung der Kirche, was für Florovsky 98 Ibid. Zum Verhältnis von Schrift und Tradition cf u.5.4.2 (2.). 99 Cf Corps 22. Florovsky wirft in diesem Zusammenhang der modernen theologischen Wissenschaft vor, sich an diesem Begriff vorbeimogeln zu wollen (cf His Church 166 =CW XIV, 13f), obwohl er doch, auch wenn er in der neueren Theologie kaum eine Rolle gespielt hat, "immer die existentielle Grundlage ihres [sc. der Kirche] gesamten sakramentalen und spirituellen Lebens über alle Zeiten hinweg geblieben ist." (Corps 22) 100 Wie beim Begriff 'social sacrament' ist auch hier die Übersetzung ins Deutsche u.a. auch deshalb schwierig, weil dieser Begriff so eng mit dem des 'social sacrament' zusammenhängt. Mit 'corporate' gelingt Florovsky im Englischen eine Anspielung auf 'Leib Christi', die im Deutschen nicht durch 'leiblich' oder 'körperlich' wiedergegeben werden kann. Die Übersetzung durch 'gemeinschaftlich* muß deshalb immer in der doppelt ausgerichteten Bedeutung verstanden werden als Gemeinschaft mit Christus und untereinander. Cf dazu Church ofGod335 = CW ΧΙΠ, 195: "Dieses die Gläubigen überwältigende Bewußtsein der Gemeinschaft mit dem Lebendigen Herrn, eine koinonia, hat der Hl. Paulus in seinem wunderbaren Begriff, der fast eine Definiton der Kirche geworden ist, zusammengefaßt: die Sein Leib ist. Das gemeinschaftliche (corporate) Bewußtsein war das Hauptunterscheidungsmerkmal der Alten Kirche. Aber man wußte, daß die Kirche weit mehr als nur eine menschliche Gesellschaft war, in der die Mitglieder durch gemeinsame Überzeugungen zusammengebunden sind. Der entscheidende Faktor der Einheit war die Begegnung zwischen Gott und Mensch (divine-human encounter)..." 101 Faith and Order Paper No.92: 69f
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konkret bedeutet, daß man die Traditon der Kirchenväter neu nachzuvollziehen und zu bedenken versucht. Mit seinem Vorschlag, 'Leib' mit Organismus' zu übersetzen, deutet Florovsky zugleich an, daß sich die Inkorporation in Christus nicht allein auf die menschliche Natur der Menschen bezieht, sondern die menschliche Personalität zumindest nicht ausschließt. Denn die menschliche Natur ist allen Menschen gemeinsam, ihre Personalität aber macht sie zu verschiedenen Individuen, die dennoch zusammen - durch ihre Inkorporation in Christus - den Leib Christi bilden. "In der heiligen Menschheit des Heilands ist die gesamte menschliche Natur integriert und alle Individuen, entzweit und voneinander getrennt, sind zur Einheit eines Leibes, eines einzigartigen Organismus zurückgeführt, der durch den Ewigen Geist belebt wird, in der Gemeinschaft mit dem Haupt, das zugleich göttlich und menschlich ist."102 Damit aber stellt sich die Frage, wie das Verhältnis zwischen Christus und den Menschen über den Begriff 'Leib Christi' hinaus exakt bestimmt werden kann. Wie soll das Verhältnis der Menschheit Christi zur menschlichen Natur der Kirche gedacht werden? Florovsky verweist zunächst auf die Begriffe des Geheimnisses und des Paradoxes. "Spricht man von der Kirche, so ist es unvermeidlich beides zusammen zu erwähnen, das Paradox und das Geheimnis, denn das Sein der Kirche ist paradox [...] Die Kirche ist zugleich eine Gruppe bedauernswerter Schwächlinge und die Wirklichkeit göttlicher Herrlichkeit, und dabei handelt es sich um dieselbe Kirche. Darin besteht das Paradox."103 Mit diesen Sätzen meint Florovsky genau das, was die Väter von Chalcedon auszudrücken versucht hatten: die geheimnisvolle und gnadenhafte Vereinigung von menschlicher und göttlicher Natur. Diese Vereinigung ist nur erfahrbar und allenfalls noch beschreibbar, aber nicht vollkommen auszudeuten. Denn "das Geheimnis der Kirche besteht genau darin, daß Christus in den Gläubigen wohnt (dwells) und bleibt, und diese durch den Glauben in Ihm wohnen und bleiben."104 Diese reziproke Verschränkung Gottes mit den Menschen macht das Wesen der Kirche aus. Dennoch bedeutet dies getreu den Aussagen des Chalcedonense - keine Veränderung der menschlichen Natur.
102 Corps 29 103 Ephesians 93. Cf auch Dva Zaveta 153: "Der Sieg Christi, seine erlösende Vollendung besteht auch darin, daß Er seine Kirche, seinen mystischen [!] Leib erschaffen hat, in dem sich alles Himmlische und Irdische in der unaussprechlichen Gemeinschaft mit Gott verbunden hat und unaufhörlich verbindet." 104 Elements 60
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"Eben darum, weil die heilige Kirche der 'Leib Christi' ist, weilt in ihr auch - aus Gnaden - 'die Fülle der Gottheit' leiblich gegenwärtig. Doch die kreatürliche Natur bleibt kreatürlich. Die Frucht der Loskaufung durch den Heiland und Seine Auferstehung besteht nicht in einer Veränderung der Natur, sondern im Sieg über Verwesung und Tod, durch welchen Sieg die Gottheit, ehedem nicht erreichbar von Seiten des Geschöpfe, aufnehmbar und zugänglich wurde." 105
Florovsky versucht damit die Formulierungen des Chalcedonense für die Bestimmung des Wesens der Kirche fruchtbar zu machen. Doch geht er über eine rein negative Bestimmung der Behauptung der Unveränderlichkeit der Naturen hinaus, wenn er nun präzisiert, daß das Ereignis der Inkarnation noch nicht abgeschlossen, vielmehr die Kirche die Fortsetzung der Inkarnation sei.106 Denn durch die leibliche Gegenwart Christi in der Kirche und die Inkorporation der Gläubigen in ihn hat auch die Kirche zwei Naturen.107 Da mit dem Ereignis der Inkarnation Christi die Inkorporation aller Menschen in Christus aber bereits gnadenhaft vorweggenomen wurde, kann Florovsky einerseits sagen, daß die Kirche bereits mit der Inkarnation geschaffen worden108 bzw. deren letzter Sinn sei109, denn als Haupt der 105 Vaters Haus 24 (Dom 70 (engl.64)) 106 Wird die Kirche als Fortsetzung der Inkarnation verstanden, die Inkarnation aber ihrerseits maßgeblich unter mariologischen Gesichtspunkten behandelt (cf Ο.4.3.), so verwundert es nicht, wenn Florovsky fordert: "In der Abhandlung über die Kirche muß es ein mariologisches Kapitel geben." (Mother 173). Denn so wie Maria die Mutter des fleischgewordenen Wortes wurde, so wird die Kirche Mutter der Neuen Menschheit (cf ibid.186). In seinen ekklesiologischen Aufsätzen hat Florovsky diesen Gedanken allerdings nie ausgeführt oder auch nur berührt. Eine Begründung hierfür kann ich nicht entdecken. Auszuschließen ist allerdings die Möglichkeit, Florovsky habe dieses Theologoumenon, das sich bereits bei Cyprian findet und sodann in der westlichen Theologiegeschichte eine erhebliche Rolle spielte, nur wegen seiner westlichen Provenienz nicht herangezogen. Hier hatte Florovsky keinerlei Beriihrungsängste, was man schon daran sieht, daß er immer wieder Augustin als Hauptzeugen seiner Ekklesiologie heranzieht. 107 CiHigh Calling 33: "Die Kirche ist der Leib Christi, der geheimnisvolle Leib des fleischgewordenen Wortes - deshalb verbindet und vereint er in sich selbst ebenfalls zwei Naturen. Er ist der lebendige Organismus des Gottmenschen." 108 Cf Corps 35 109 Cf Ethos 25: "Letzter Sinn der Inkarnation war es, daß der Inkarnierte einen Leib haben sollte, der die Kirche ist, die neue Menschheit, erlöst und wiedergeboren im Haupt [...] In der gewagten Formulierung des Hl.Joh.Chrysostomus, die von Eph 1,23 inspiriert wurde: Christus wird nur vollständig sein, wenn sein Leib vervollständigt wird." In Corps 21 verweist Florovsky auf Chrysostomus' Homilia III in Epistula ad Ephesios, PG LXII, 29, doch läßt sich diese Stellenangabe nicht verifizieren. Möglicherweise dachte er an ibid.26: "Wie die Vollendung des Hauptes der Leib ist, so ist die Vollendung des Leibes das Haupt."
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Kirche braucht Christus einen Leib, um überhaupt Haupt zu sein. 110 Andererseits aber ist die Kirche eben wegen dieses wesentlichen Zusammenhangs von Haupt und Leib zugleich die Ergänzung (complement) der Inkarnation Christi, oder, wie Florovsky in seiner Exegese von Eph 1,23 immer wieder sagen kann, die Vollendung der Inkarnation. 111 "Die Inkarnation setzt sich in der Kirche fort und wird in ihr vollendet. In einem gewissen Sinn ist die Kirche sogar Christus selbst in seiner Fülle, die alle Dinge umfaßt ( l . K o r 12,12). Diese Identifikation impliziert übrigens das gesamte von den Kirchenvätern gelehrte Verständnis der Inkarnation: die gesamte menschliche Natur wurde in der Vereinigung mit Gott angenommen." 112 110 Florovsky bezieht sich für diese Aussagen immer wieder auf Chrysostomus' Auslegung des Eph. So auch in Catholicity 38 und Ascension 28. 111 Hier tritt nun ein entscheidender, exegetisch begründeter Dissens zu V.Lossky zutage, der den unterschiedlichen ekklesiologischen Ansatz dieser beiden Theologen, die sich ansonsten häufig sehr nahe stehen, erneut deutlich machen kann. Sowohl Lossky wie Florovsky berufen sich bei ihrer Ekklesiologie wiederholt auf Eph 1,23. V.Lossky will diesen Vers trinitarisch verstanden wissen: Die Kirche werde "als Erfüllung der trinitarischen Ökonomie hingestellt, in der sich der Vater im Werk des Sohnes und des Heiligen Geistes offenbart." (V.Lossky: Die mystische Theologie 233). Dementsprechend exegesiert er diesen Vers gemäß seiner bereits oben dargelegten Zuordnung des Werkes Christi zur menschlichen Natur der Menschen und des Werkes des Heiligen Geistes zu den menschlichen Hypostasen folgendermaßen: "Die Kirche ist Leib, insofern Christus ihr Haupt ist; sie ist Fülle, insofern der Heilige Geist sie beseelt und mit seiner Gottheit erfüllt." (V.Lossky: a.a.O. 199) Aus diesem Gedankengang folgert er weiter, daß Pfingsten "keine 'Fortsetzung' der Menschwerdung" (ibid.202) ist. Sein berechtigtes Interesse besteht darin, die Eigenständigkeit des Heiligen Geistes zu wahren und ihn nicht dem Sohn zu subordinieren. Gerade an dem letzten Zitat ist aber auch die Differenz zu Florovsky deutlich abzulesen: Dessen christologische Exegese von Eph 1,23 (cf Ephesians 92f oder auch Corps 20f) sowie die daraus folgende christologische Prävalenz in seinem ekklesiologischen Ansatz läßt für ein von Christus unabhängiges Wirken des Heiligen Geistes keinen Raum, ohne dabei allerdings die Eigenständigkeit und Verantwortung der menschlichen Hypostasen aufzuheben. Denn Ziel seiner christologischen Konzentration ist ja gerade, die personale Begegnung zwischen Christus und den Gliedern seines Leibes herauszuarbeiten, was schon darin zum Ausdruck kommt, daß er das πλήρωμα aus Eph 1,23 einerseits christologisch verankert - die Kirche ist Vollendung bzw.Ergänzung (complement) Christi - und andererseits ganz als menschliche Gemeinschaft - die Kirche ist "eine Gruppe bedauernswerter Schwächlinge" (Ephesians 93) - versteht. 112 Corps 21. Unmittelbar vorher hatte Florovsky geschrieben: "Die Kirche ist die Erweiterung und die 'Fülle' der Inkarnation oder vielmehr das fleischgewordene Leben des Sohnes (la vie incarnee du Fils)." Daß hier dennoch keine vollständige Identität zwischen der Kirche und Christus vorliegt, sondern Christus das Subjekt der Erlösung bleibt, zeigt Elements 60 = CW XIII, 90: "Die Kirche führt den Dienst der Erlösung aus 184
Hauptzeuge Florovskys für diese Auffassung ist der gemeinhin für westlich gehaltene 113 Augustin. Bei ihm findet Florovsky die präzisen Formulierungen für seine Konzeption von der Inkorporation der Gläubigen in Christus: Non solum nos christianos factos esse, sed Christum [...] totus homo, ille et nos.114 Der Zielrichtung seiner Theologie auf die im Chalcedonense ausgesagte Vereinigung der zwei Naturen gemäß kann für Florovsky nun jedoch nicht die Formel v o m totus homo das Wesen der Kirche schlagwortartig zusammenfassen, sondern die ebenfalls augustinische Formel vom totus Christus: Non enim Christus in capite et non in corpore, sed Christus totus in capite et in corpore.115 In der Formel totus Christus spricht und setzt ihn fort, oder vielmehr: Christus führt ihn aus und setzt ihn fort durch die Kirche und in ihr." Insofern ist die Kirche "als solche der Ort und das Mittel der versöhnenden Gegenwart des auferstandenen Herrn in der versöhnten Welt." (Kirche 53. Hervorhebungen von mir). Ihr kommt somit keine Gnade zu, die ihr nicht geschenkt wäre. 113 Bereits in dem 1936 verfaßten Aufsatz Eucharist führt Florovsky die größte Anzahl seiner später immer wieder angeführten Augustinzitate zu ekklesiologischen Fragen an. In einer Diskussion mit Studenten 1939 in Lincoln soll Florovsky auf die Frage nach seinem Verhältnis zu Augustin geantwortet haben: "Ich würde sagen, daß Augustin in Wirklichkeit ein Kirchenvater des Ostens gewesen ist." (G.Mascall/ R.Williams: George Florovsky 70). In analoger Weise äußert sich Florovsky auch in Doctrine 156, obwohl Augustin von manchen Orthodoxen "nicht selten [...] aus dem orthodoxen Kalender unter dem Titel eines Seligen gestrichen" worden war (Konzil 176). Wie noch zu zeigen sein wird, spielt Augustin für Florovskys Ekklesiologie und insbesondere für seine Antwort auf die Frage nach den Grenzen der Kirche eine erhebliche Rolle (cf u.Kap.10.3.3). - Quelle seiner die Ekklesiologie betreffenden Augustinzitate ist offensichtlich das 1933 in erster Auflage erschienene Werk Emile Merschs Le corps mystique (2. Auflage 1936) gewesen, auf das er in Eucharist 40 und im Faith and Order Paper No.92 S. 69 hinweist. Vier der sechs von Florovsky in dem hier verhandelten Zusammenhang immer wieder herangezogenen Augustinzitate sind dort auf S. 89 und 121 auf französisch zitiert, die beiden übrigen erscheinen als Stellenverweise S.87 und 89. Da Florovsky lateinisch zitiert, hat er den Text offenbar noch einmal selbst verglichen, ohne dabei zu anderen Belegen zu kommen. - Die Nähe zu Augustin erklärt sich möglicherweise aber zugleich aus einer zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu beobachtenden Augustinrenaissance in der russisch orthodoxen Theologie (Diesen Hinweis verdanke ich F.v.Lilienfeld). So erschienen 1912Augustins Confessiones in russischer Übersetzung (cf RPascal: Strömungen 46) und 1916 eine zweibändige Monographie zu "Person und Werk des Hl. Augustin" von I. V.Popov. Auch S.Bulgakovs Dva Grada ist hier zu nennen. 114 Augustin: In Ioannis Evang.tract. XXI, Caput V,8 PL XXXV, 1568. Cf auch ders :En-narratioinPsalmumXCsermo 1,9PLXXVII, 1155: Dominus enim Jesus, non solum in se, sed et in nobis. 115 Ders.: In Ioannis Evang.tract. XXVIII,1 PL XXXV, 1622. 185
sich die Vereinigung von Mensch und Gott als Tat Gottes aus, zugleich wird in ihr aber auch die für Florovsky so wichtige Frage nach der Einheit der Kirche erneut thematisiert: Cumplures christianos appello, in uno Christo unum intellego.116 Die Rede vom totus Christus faßt damit das, was bislang zur Grundlegung der Ekklesiologie Florovskys ausgeführt wurde, knapp und präzise zusammen. Es verwundert deshalb nicht, wenn diese Formel in fast jedem seiner ekklesiologisch ausgerichteten Aufsätze auftaucht. Am Schluß seiner Ausführungen zum ekklesiologischen Begriff 'Leib Christi' warnt Florovsky davor, dieses Realbild zu pressen. Zum einen soll die Inkorporation in Christus nicht so verstanden werden, daß die Personalität der Glaubenden dabei verlorengeht. "Die Kirche wird aus menschlichen Persönlichkeiten gebaut, die man nie als Elemente oder Zellen eines Ganzen ansehen sollte, weil jede einzelne in direkter unmittelbarer Vereinigung mit Christus und seinem Vater steht; das Personhafte darf dem Gemeinschaftlichen (corporate) nicht geopfert oder darin aufgelöst werden."117 Daß hier ein Problem besteht, war bereits oben angesprochen worden und läßt auch diese Bemerkung Florovskys erkennen. Inkorporation in den Leib Christi bedeutet für ihn demnach immer auch bewußte, d.h. zugleich personhafte Anteilhabe am Leben der Kirche, konkreter noch: an ihrer Katholizität, die Gegenstand des nächsten Abschnitts sein wird. Was in der Konzeption Vladimir Losskys somit beinahe schon formalistisch den beiden göttlichen Hypostasen, dem Sohn und dem Heiligen Geist zugeordnet wurde, sind bei Florovsky zwei verschiedene Sichtweisen, die enger miteinander verschränkt werden. Inkorporation in Christus erschöpft sich für ihn nicht im dargestellten Sachverhalt der sakramentalen Anteilgabe Christi an sich selbst, sondern muß in Hinsicht auf die kommunizierende Person erneut untersucht werden118. Die Veränderung der Perspektive bedeutet aber nicht, daß man den christologischen Ausgangspunkt und die damit gegebene Perspektive der Ekklesiologie verläßt. Die christologische Grundperspektive verhindert nämlich zugleich, daß die Personalität des Einzelnen in einer ausgewogenen Leib-Christi-Vorstellung nun ins Extrem eines Personalismus gesteigert wird, der in der Gefahr steht, die Zentralität der Person Christi in seinem Leib zu übersehen. "Christus, der Herr, ist das einzige Haupt, der einzige Meister und Herrscher (Chef) der Kirche."119 Er allein läßt seinen Leib wachsen.
116 Ders.: Ennarratio in Psalmum CXXVII,A PL XXXVII, 1679. Cf auch ders.: EnnarratioIIinPsalmumXXIX 11,5 PLXXXVI, 219: quia omnishomo in Christo unus homo est, et unitas Christianorum unus homo. 117 Corps 22. Cf auch Worshipping 21. 118 Cf dazu u.10.2.2 119 Ibid.
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Florovsky stellt damit am Ende seines ersten ekklesiologischen Gedankengangs erneut die bereits am Anfang aufgeworfene Frage nach dem Konstitutionszusammenhang von Kirche. Sie ist sein Kriterium für die rechte Perspektive einer Ekklesiologie. Seine Antwort auf diese Frage faßt zugleich die christologische Grundlegung der Ekklesiologie und damit das Wesen der Kirche zusammen: Die Kirche ist der Leib Christi, von dem nur dann sachgerecht geredet wird, wenn man zugleich vom totus Christus spricht.
5.3 Die Katholizität der Kirche Am Begriff der Ekklesia ist bereits deutlich geworden, daß Florovsky Gemeinschaftlichkeit und Einheit der Kirche christologisch zusammendenkt. Beides sind voneinander nicht zu trennende Aspekte. Deshalb wird die Kirche am besten durch die Rede vom Leib Christi beschrieben. Dieser Leib aber ist nur einer, wie auch Christus, das Haupt, nur einer ist. "Die Kirche ist eine. Es gibt nur eine Kirche Christi. Denn die Kirche ist sein Leib. Und Christus ist nie geteilt."120 Diese Sätze stehen nun allerdings nicht am Beginn eines Abschnitts über die Einheit der Kirche, sondern Florovsky eröffnet mit ihnen seine Darlegungen zur Katholizität der Kirche. Einheit und Katholizität scheinen damit ebenfalls in einem spezifischen Zusammenhang zu stehen, den es zu untersuchen gilt. Bedenkt man Florovskys Postulat einer christologischen Grundlegung der Theologie und insbesondere der Ekklesiologie, dann ist es nicht verwunderlich, daß er diesen Zusammenhang christologisch begründet. 5.3.1 Der christologische Zusammenhang von Katholizität und Einheit der Kirche Einheit ist für Florovsky keineswegs ein bloßes Prädikat sekundären Charakters der Kirche, gleichsam ein Akzidens. Aus seiner Bestimmung der Kirche als Leib Christi, d.h. als Ort der beständigen Gegenwart des einen Christus in der Kraft des Heiligen Geistes, folgt, daß die Einheit zum Wesen der Kirche gehört. Florovsky führt diesen Gedanken aus, indem er auf die universale Inklusivität der menschlichen Natur Jesu Christi abhebt. "In der heiligen Menschheit des Heilands ist die gesamte menschliche Natur integriert und alle Individuen, entzweit und voneinander getrennt, sind zur Einheit eines Leibes, eines einzigartigen Organismus zurückgeführt, der 120 Corps 24
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durch den Ewigen Geist belebt wird, in der Gemeinschaft mit dem Haupt, das zugleich göttlich und menschlich ist."121 Diese Einheit, die als in sich einige Gemeinschaft konkret ist, ist wegen ihrer göttlichen Konstitution schlechterdings unüberbietbar. Sie repräsentiert und präsentiert den Weg zur wahren Einheit der Menschheit überhaupt.122 Voraussetzung dieser Maximalvorstellung ist, daß in der Einheit der Kirche die Liebe, genauer die Liebe Gottes, die das Motiv für sein erlösendes und in der Kirche gegenwärtiges Handeln darstellt, das bestimmende Prinzip ist. Die Einheit der Kirche hat ihr Maß in der liebenden Einheit, die zwischen den drei göttlichen Personen waltet123. "Die Mitte der Einheit ist der Herr, und die Kraft, die die Einheit bewirkt und einsetzt, ist der Geist."124 Quelle und Ursprung der Taten des Sohnes und des Geistes aber ist die Liebe des Vaters. Florovsky bezieht sich mit diesen Gedanken auf die oben dargestellte Dimension der Liebe in Hinsicht auf die Ekklesia zurück und macht sie in Bezug auf die wesenhafte Einheit der Kirche erneut fruchtbar. Übereignet wird diese Einheit sakramental in Taufe und Eucharistie.125 Da aber noch nicht alle Menschen sakramental kommunizieren, "ist die Einheit der Kirche beides zugleich, der Anfang und die Bestimmung ihrer Existenz, die absolute Grundlage und das Ziel, etwas grundsätzlich Gegebenes und ein zu lösendes Problem."126 Einheit ist für Florovsky damit nur in der eschatologischen Spannung zwischen dem schon jetzt und dem noch nicht zu verstehen. Denn Christi Gegenwart in der Kirche ist zwar vollkom-
121 Corps 29. Cf auch Catholicity 39: "Das Leben der Kirche ist Einheit und Vereinigung. Und selbstverständlich ist diese Einheit nicht äußerlich, sondern innerlich, wesentlich und organisch. Es ist die Einheit des lebendigen Leibes, die Einheit des Organismus." (Hervorhebungen von mir). Cf auch Doctrine 152. 122 Cf Doctrine 152: "Und nur in der Kirche ist die wahre Vereinigung (union) der Menschen möglich - im Geheimnis der erlösenden Liebe des Vaters, durch das Opfer des fleischgewordenen Sohnes und durch die neuschaffende Kraft des Heiligen Geistes, im Bild und Abbild der ungeteilten Trinität." Cf auch Pentecost 189. 123 Dieser Gedanke setzt voraus, daß zwischen den opera trinitatis ad intra et extra entweder kein Motivationsunterschied oder aber ein Entsprechungsverhältnis besteht. Beides hätte Implikationen für die Trinitätslehre. Da Florovsky sich dazu jedoch nicht geäußert hat, ist eine Lösung nicht möglich. Die Behauptung, daß sich die Einheit der Kirche an der innertrinitarischen Einheit zu orientieren habe bzw. darin ihr Vorbild hat, findet sich in den frühen wie auch in Florovskys späteren Schriften (cf z.B. Evcharistija 8f (engl.49), Corps 27f, Doctrine 152). In Offenbarung 478 beruft sich Florovsky dabei auf Antonij Chrapovickijs Nravstvennaja ideja dogmata Cerkvi 17f. 124 Kirche 48 125 Cf o. 5.2.1 und Eucharist 38f 126 Corps 24
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men - anders wäre die Kirche nicht die wirkliche Ergänzung (complement) der Inkarnation aber er ist noch nicht in allen gegenwärtig, da noch nicht alle die in, von und durch ihn gegebene Möglichkeit der Vereinigung mit der göttlichen Natur ergriffen haben bzw. immer wieder verfehlen. Einheit ist deshalb für Florovsky immer ein "dynamisches Prinzip, ein Prinzip des Lebens und Wachstums"127, das nur im Synergismus zwischen göttlicher Vorgabe und menschlichem Mittun und Ergreifen gelingt. In dieser Einsicht liegt einerseits das Motiv für Florovskys ökumenisches Engagement, denn die Einheit der Kirche ist Gabe und Aufgabe.128 Andererseits folgt aus dieser Einsicht zugleich auch seine Ablehnung der Anerkennung der anderen Kirchen als Kirche, denn Kirche, deren Wesen die Einheit ist, kann, da Christus ungeteilt ist, nur eine, für Florovsky natürlich die orthodoxe Kirche, sein. Eine Anerkennung anderer Vereinigungen als Kirchen würde diesen auf das Wesen bezogenen Zusammenhang von Kirche und Einheit als realen Größen verleugnen. "Die Kirche ist eine gemäß ihrer gottmenschlichen Natur, und ihrer Natur nach ist sie ökumenische Kirche. Ein und dieselbe, identisch sind die sichtbare und die unsichtbare Kirche."129 Da es nach Florovskys Auffassung Ziel der Ekklesiologie sein muß, die Gegenwart Christi in der Kirche zu beschreiben, und diese nicht als nur punktuelles Eingreifen, sondern als beständige Gegenwart in der Kraft des Heiligen Geistes zu denken ist, ist zu fragen, wie sich diese auf die Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit von Kirche bezogenen Aussagen zu den Darlegungen zur wesentlichen Einheit der Kirche verhalten. Florovsky versucht diesen Zusammenhang durch den Begriff der Katholizität zu erläutern: "'Eins' und 'katholisch' sind zwei Aspekte derselben lebendigen Wirklichkeit."130 Leider überläßt er es seinen Lesern, eine Begründung für diese These zu finden. Es ist jedoch zu beobachten, daß, wie dies bereits im vorangegangenen Kapitel nur in anderer Begrifflichkeit deutlich wurde, auch Einheit und Katholizität von Florovsky als komplementäres Begriffspaar verwendet werden. Um dies zu belegen muß zunächst Florovskys Begriff von Katholizität herausgearbeitet werden. Florovsky geht vom etymologischen Befund aus. Danach kommt κ α θ ο λική von καθ' δλσυ, was soviel wie '"das Ganze', 'in eins' und vielleicht sogar 'alles zusammen' (tout entier)" bedeutet und in den alten Urkunden 127 Ibid. Cf auch Pentecost 189: "Die Kirche wieine im Heiligen Geist, und der Geist 'baut' sie zu einem vollständigen und vollkommenen Leib Christi." (Hervorhebungen von mir) 128 Cf dazu u.10.3.3. 129 Vaters Haus 26 {Dom 71 (engl.66)) 130 Corps 24
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und Zeugnissen "nie in einem quantitativen Sinn gebraucht wurde".131 Erst mit Augustin und seinen antidonatistischen Bemühungen erhielt der Begriff 'katholisch' die bis heute überwiegend angenommene Bedeutung geographischer Umfassenheit und Universalität. Gegen diese Bedeutung richtet sich Florovskys auf Cyrill rekurrierendes132 Verständnis. "Katholike bedeutet nicht universal, was im Griechischen oikoumenike ist. Katholike bedeutete Ganzheit, Zusammengehörigkeit (togetherness). Die Menschen führten das Wort 'Sobornost' ein, um genau dies zu bezeichnen, denn sie hatten die wahre Bedeutung von katholike vergessen."133 Florovsky bleibt allerdings beim Begriff 'katholisch', den er nun betont als Qualitäts- und nicht als Quantitätsbegriff verstanden wissen will. Katholisch bezog sich im Denken der Väter nämlich "eher auf die Integrität des Glaubens oder der Lehre, auf die Treue 'der Großen Kirche' zur vollständigen und ursprünglichen Tradition [...] und bedeutete damals eher 'orthodox' als 'universal'."134 Diese Bedeutung des Wortes wahrt den Konstitutionszusammenhang der Kirche, konkret die Beziehung zu Christus. Denn Ort und Hort der Wahrheit und in diesem Sinn katholisch ist die Kirche durch Christi Gegenwart in ihr, nicht aber durch ihre geographische Verbreitung. "Am Pfingsttag selbst, als sie als Ganze in der kleinen Kammer in Jerusalem eingeschlossen war, ist die Kirche um nichts weniger katholisch gewesen."135 Dementsprechend ist auch die Katholizität ein von ihrem Wesen nicht abzulösendes Prädikat der Kirche. "Wahre Katholizität ist Katholizität von innen, eine wesenthafte (intrinsöque) Qualität der Kirche, von der die Katholizität nach außen nur eine Manifestation ist."136 Und wie schon das Prädikat der Einheit so ist auch die Katholizität im Denken Florovskys christologisch verankert. Sie ist Teilhabe am Leib Christi, die als sakramentale Teilgabe übereignet wird. "Nur in der eucharistischen Erfahrung verwirklicht und erkennt die Kirche ihre mystische Einheit. Und deshalb [! ] 131 Ibid. 132 In Corps 25 verweist Florovsky auf Cyrills Catechesis 18,23 PG XXXIII, 1044
A-B. 133 Diskussionsbeitrag Florovskys in: Faith and Order Papers No.92 S.40. Der Begriff sobornost' steht in engem Zusammenhang mit A.S.Chomjakovs Ekklesiologie und bezeichnet, ohne daß er den Begriff selbst benutzte, sowohl die Katholizität wie die Konziliarität der Kirche. Cf dazu H.J.Ruppert: Das Prinzip Sobornost und R. Slenczka: Ostkirche und Ökumene 133-149. 134 Corps 24 135 Corps 26. Florovsky hält deshalb die geographische Verbreitung der Kirche für die Folge der qualitativ verstandenen Katholizität, nicht aber für ihre Grundlage. Cf ibid. und Dom 73 (engl.67; Vaters Haus 28) 136 Ibid.
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ist die Eucharistie ein katholisches Sakrament, ein Sakrament derKatholizität - mysterium pacis et unitatis nostrae. "137 Gerade in der Anteilgabe Christi und Anteilhabe an Christus wird die Einheit und damit zugleich die Katholizität der Kirche Wirklichkeit. Fragt man jedoch nach der Einheit auch auf dem Hintergrund der Zeitlichkeit, so wird klar, warum Florovsky das Wesen der Katholizität, die ja Komplementärbegriff zur Einheit ist, vor allem als Überzeitlichkeit der Kirche beschreibt. Denn nur wenn die Dimension der Zeit in der Kirche überwunden ist, sind in ihr tatsächlich die Menschen aller Zeiten vereinigt, nur dann ist die Kirche eine und 'ein Ganzes', d.h. katholisch. Dabei ist jedoch das Mißverständnis auszuschließen, als ersetze Florovsky nun die geographische Bedeutung von 'katholisch' durch eine temporale. Entscheidend ist auch hier der Konstitutionszusammenhang. Christus vereint die Menschen aller Zeiten, "insofern nämlich zum Leibe Christi in gleicher Weise die Gläubigen aller Zeiten gehören, ob sie nun in der ersten oder in der elften Stunde gerufen sind."138 Die Qualität der Katholizität liegt somit in der Berufung aller Menschen über alle Zeitgrenzen hinweg durch und zu Christus. Das "Merkmal der Allzeitlichkeit"139 der Kirche bringt damit Florovskys christologisch verankerten Begriff der Katholizität weit besser zum Ausdruck als das diesen Zusammenhang verkürzende Merkmal der geographischen Gesamtheit aller Lokalkirchen. Zudem vermag diese Konzeption einleuchtend zu begründen, warum die Kirche auch dann noch katholisch ist und bleibt, wenn sie rein quantitativ eine verschwindend kleine Größe sein oder werden sollte, denn die Katholizität "ist eine Gabe, die ihr von außen zukommt."140 Insofern aber die Katholizität als gegebene Gabe zum Wesen der Kirche gehört, "ist sie [sc. die Kirche] in all ihren Elementen, in all ihren Taten und in jedem Moment ihres Lebens katholisch."141 Diesem katholischen Wesen der Kirche wird der Einzelne integriert. Zugleich aber muß er diese Gabe realisieren. "Die ganze christliche Existenz muß organisch 'katholisiert' werden, d.h. wieder [in die Union mit Gott] eingegliedert, [auf das Zentrum Christus] konzentriert und innerlich
137 Eucharist 41. Cf auch die ganz ähnliche Formulierung in Evcharistija 8 (engl.49): "Die Eucharistie ist das katholische Sakrament, das Sakrament des Friedens und der Liebe und deshalb [!] der Einheit. Mysterium pacis et unitatis nostrae." 138 Vaters Haus 28 (Dom 73 (engl.67)) 139 Ibid. Cf auch a.a.O. 29 (engl.68): "Und man kann wohl sagen - in der Kirche werden geheimnisvoll die Schranken der Zeit überwunden." 140 Corps 27 141 Ibid.
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gesammelt werden. Das Ziel und Kriterium dieser katholischen Einheit [!] besteht darin, 'daß die Menge der Gläubigen ein Herz und eine Seele sein sollten' (Act 4,32), wie das in der entstehenden Gemeinde in Jerusalem der Fall gewesen ist. Andernfalls wäre das Leben der Kirche beeinträchtigt. Auch die Katholizität ist [somit] zugleich ein ursprünglich Gegebenes und ein zu lösendes Problem."142
In unausgesprochener Aufnahme der Unterscheidung zwischen Person und Natur versucht Florovsky demnach auch hier wie bereits in der Christologie die Eigenverantwortlichkeit und Freiheit des Menschen mit der Erlösungstat Christi in eine spannungsvolle Einheit zu bringen, die man ebensogut mit dem im Westen geläufigen Begriffspaar von Indikativ und Imperativ umschreiben könnte. Dabei ist deutlich, daß das Subjekt dieser spannungsvollen Einheit Christus bleibt. Er ist die Grundlage der Katholizität, die bereits gegeben ist und zugleich erworben werden muß. Da Analoges bereits oben von der Einheit gesagt worden war, bleibt der Unterschied zwischen beiden Wesensmerkmalen der Kirche festzuhalten. Er liegt in verschiedenen Akzentuierungen143: Katholizität ist für Florovsky immer verbunden mit der Kategorie des Zeitübergreifenden, die sich dem gläubigen Bewußtsein in Form der Glaubenstradition der Kirche konkretisiert. Das Prädikat der Einheit hingegen ist weniger in Hinsicht auf einen bestimmten Sachgehalt geprägt, als vielmehr der alles Reden über die Kirche bestimmende Faktor: als Wesensmerkmal der Kirche muß sich von allem, was über die Kirche ausgesagt wird, auch Einheit aussagen lassen. Die Prädikate Einheit und Katholizität sind deshalb in der Theologie Florovskys die Kriterien ekklesiologischen Denkens, denn sie wahren wegen ihrer Bezogenheit auf die Christologie am besten die christologische Grundlegung der Ekklesiologie.
5.3.2 Katholizität als Gabe: die sakramentale Einheit "Die menschliche Seite der Kirche ist nie ganz mit dem göttlichen Modell konform. Die Kirche muß ohne Unterlaß rekatholisiert werden. Aber dies ist gerade deshalb möglich, weil sie in ihrem Herrn wesentlich katholisch ist."144 Der Auslegung dieser paradox anmutenden Passage gilt das Interesse der nun folgenden zwei Unterkapitel. Leitend sind dabei die Fragen: Worin ist die Gabe der Katholizität konkret (5.3.2)? Wie soll und kann sich der Christ zu dieser Gabe verhalten (5.3.3)? Mit anderen Worten: es geht um den 142 Ibid. 143 Cf Corps 24: "'Eins' und 'katholisch' sind nur zwei Aspekte derselben lebendigen Wirklichkeit." 144 Corps 34
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Indikativ und um den Imperativ der Katholizität der Kirche, oder, wie Florovsky es ausdrückt, um deren objektive und subjektive Seite.I4S "Objektiv gesehen, ist die Kirche in ihren Sakramenten katholisch."146 Denn in ihnen manifestiert sich die Gegenwart Christi in unüberbietbarer Weise. "Die Kirche Christi wird nicht allein durch das Wort Gottes konstituiert oder durch ihre authentische Predigt.147 Vielmehr wird sie durch die Gegenwart des Herrn, die sakramentale, aber wahrhafte Gegenwart konstituiert. Vor allem ist es seine Gegenwart im eucharistischen Geheimnis, die autoritativ die katholische Einheit oder die Identität des Leibes selbst sichert, in der Zeit nicht weniger als im Raum."148
In der Eucharistie konzentriert sich in besonderer Weise die sakramentale Gegenwart Christi, die den Gläubigen bei welcher sakramentalen Handlung auch immer zur Gliedschaft am Leib Christi führt149. Aus diesem Grund expliziert Florovsky die Gabe der Katholizität, sieht man von einigen wenigen Bemerkungen zur Taufe150 ab, ausschließlich am Sakrament der Eucharistie. In diesem Sakrament kommt das Zeitübergreifende der Katholizität am besten zum Ausdruck. Da für Florovsky die Kirche der Leib Christi ist, ist die sichtbare Kirche "reale Erscheinung der unsichtbaren Kirche, ihr reales Bild... In eben dieser mystisch-metaphysischen, wesentlich wesenden Identität liegt das ganze liturgisch sakramentale Handeln begründet, in dem 'die himmlischen Kräfte unsichtbar mit uns dienen'."151 Florovskys bereits oben expliziertes realistisches Sakramentsverständnis, das in den Sakramenten die Fortsetzung der Inkarnation als Inkorporation in Christus sieht, konkretisiert er nun in Hinsicht auf die zeitliche Dimension. Bei der Eucharistie handelt es sich nämlich nicht um ein Gedächtnismahl oder "um eine Einheit des Erlebnisses, des Willens und des Gefühls. Sie ist eine reale und ontologische Einheit, die Verwirklichung des einen organischen Lebens in Christus."152 145 Cf Corps 27 146 Ibid. 147 Diese Aussage zielt vermutlich gegen die lutherische Definition der Kirche als creatura verbi (cf z.B. Martin Luther, WA 2,430,6f; 42,334,12). 148 Corps 28 149 Cf Elements 61 = CW XIII,91: "Alle Sakramente und sakramentalen Handlungen in der Kirche beziehen sich letztlich auf den eucharistischen Gottesdienst. Ursprünglich sind sie alle im Rahmen der Göttlichen Liturgie durchgeführt worden. Jeder von ihnen geht es um die Mitgliedschaft in der Kirche." 150 Cf Faith and Order Paper No. 92 S.39, Communion 20 und Christianin 8f. Zur Tauftheologie Florovskys s.u. 10.2.1. 151 Dva Zaveta 156. Das Zitat am Schluß ist der Liturgie der vorgeweihten Gaben entnommen (cf S.Heitz: Mysterium der Anbetung 501). 152 Evcharistija 7 (engl.48)
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Die Bedeutung der ontologischen Verbindung zwischen Christus und den Kommunikanten153 kann in der Theologie Florovskys kaum überschätzt werden. Wie auch die Inkarnation ein die menschliche Wirklichkeit vollkommen ergreifendes ontologisches Geschehen ist, "so überschneiden und verbinden sich in der Eucharistie alle Seinsebenen: die kosmische, die menschliche und die der Seraphim. In ihr offenbart sich die Welt als ein wirklicher Kosmos, der einer und verwandelt ist, gesammelt und katholisch (sobornyj)"154, denn in der Eucharistie kommt die Welt zu ihrer Bestimmung: der Vereinigung von göttlicher und menschlicher Natur. "Und indem wir körperlich die eucharistischen Gaben zu uns nehmen, vereinen wir uns ganz aufrichtig mit Christus, mit Christus dem Gottmenschen."155 Die menschliche Begrenztheit kreatürlichen Daseins wird somit in der Vereinigung mit dem Gottmenschen durch die Eucharistie aufgehoben. "Eine neue, katholische [!] Menschheit wird erbaut - das Christengeschlecht."156 Florovsky spricht hier kollektiv vom' Christengeschlecht', weil es in dem einen Leib Christi keinen verkrampften Individualismus mehr geben kann, sondern die Liebe zu Christus und untereinander das bestimmende Prinzip ist. Konkreter Ausdruck dieser Liebe ist der eucharistische Gottesdienst, dessen Gebete in der ersten Person des Plurals gebetet werden, da hier einer für den anderen einsteht, und die vielen so eine Gemeinschaft bilden.157 Dementsprechend ist nach Florovskys Überzeugung die Eucharistie "in der Kirche eingerichtet worden als Weg der Einheit, als ein Mittel, um zur Fülle des Herrn emporzuwachsen [...] In der Eucharistie wird sich die Kirche ihrer Einheit bewußt und antizipiert die endzeitliche Vollkommenheit."158 In der Eucharistie vereinigt sich so Christus mit den Glaubenden und diese sich durch ihn auch untereinander. Wegen dieser doppelten Vereinigungsdimension ist sie, wie Florovsky an anderer Stelle sagen kann, "das höchste Sakrament der Einheit (le sacrament supreme de 1'unite)".159 153 Durch die Segnung der eucharistischen Elemente haben die Kommunizierenden an der Gnade teil, die auf die Elemente kommt. "Und auf diese Weise wird im eucharistischen Gedenken das ontologische [!] Zusammensein der Gläubigen mit Christus gestärkt." (Evcharistija 15 (engl.53)) 154 Evcharistija 19 (engl.55). Cf ibid.: "In der Inkarnation des Wortes ist die irdische menschliche Welt mit der oberen Welt der Engel vereinigt; und in der Liturgie singen und beten wir zugleich mit den himmlischen Kräften." K.Ch.Felmy: Deutung 395, sieht in diesen Aussagen ein besonderes Verdienst Florovskys: Er habe damit die Eucharistie ins Verhältnis zur kosmischen Dimension der Eschatologie gesetzt. 155 Evcharistija 6 (engl.47) 156 Evcharistija 8 (engl.49) 157 Cf Worship 271 und u. 10.2.2. 158 Eucharist A3 159 Corps 18. Zu den Konkretionen dieser Aussagen cf u. 10.2.2.
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Voraussetzung dafür aber ist, daß in der Eucharistie Christus real gegenwärtig ist, so daß der eucharistische Gottesdienst nicht nur Anamnesis, Gedächtnis der Heilstaten Christi und seines letzten Abendmahles ist. Vielmehr ist er dies selbst160. In jeder Feier der Eucharistie setzt sich das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern im oberen Raum fort. Genau dies lehrten die Väter, so daß "im heiligen Ritus Christus tatsächlich gegenwärtig ist, und zwar zugleich als höchster und unvergänglicher Priester und als Opfer, 'denn Du opferst Dich selbst und wirst zugleich geopfert'."161 Dabei handelt es sich nicht um eine Wiederholung des Opfers Christi, sondern um geheimnisvolle Identität mit dem Opfer von Golgata, die sich für Florovsky an der Identität der Elemente von Leib und Blut Christi festmacht162, mit denen Christus in der Kirche gegenwärtig ist. Streng genommen gilt deshalb, daß, wo die Eucharistie nicht gefeiert wird, Christus nicht gegenwärtig und damit gar keine Kirche gegeben ist.163 Positiv gewendet folgt daraus zugleich, daß, wo die Eucharistie gefeiert wird, durch die Inkorporation aller Komunikanten in den gegenwärtigen Christus die Grenzen kreatürlichen Seins aufgehoben sind. In der Eucharistie vereinigen sich die Menschen aller Zeiten und Generationen zum einen Leib Christi. "Die Einheit, die über alle Trennungen der Zeit triumphiert, wird bereits in der liturgischen Erfahrung der Kirche, insbesondere in der eucharistischen Liturgie offenbar und manifest. Es handelt sich damit nicht nur um diese eine lokale Gemeinschaft 160 So immer wieder bei Florovsky zu lesen. Cf z.B. Corps 29f; Worshipping 28; Redemption 157. 161 Worshipping 28. Das Zitat entstammt der Chrysostomusliturgie (ciDie Göttliche Liturgie Heft Β 51R). Analoge Aussagen auch in Redemption 157f. In Corps 29 (Anm. 1) führt Florovsky als Belege dieser Auffassung an (wobei angesichts der gravierenden Fehler bei allen Angaben anzunehmen ist, daß Florovsky sie aus Sekundärliteratur herangezogen hat; die Angaben wurden alle korrigiert): J.Chrysostomus: Homilia 50 (al.51),3 in Matt.evang. PG LVIII.507; Ders.: ibicLHomilia 62 (al.63),l, 737ff; Ders.: Homilia 1 inloann. evang. PG LIX, 29; Ders .-.Homilia 15,2 in epist. adHebr.VG LXIII, 118ff; Ambrosius [nicht: Cyrill von Alexandrien!]: De ofßciis ministrorum 148f No 238f PL XVI, lOOf; Ders.: De benedictione Patriarch. IX, 38 PL XIV, 719 D; Augustin: De Civitate Dei 6 u.20 PL XLI, 284 u.298. 162 Cf Redemption 158. Florovsky bezieht sich auf Nicolas Cabasilas' Liturgiae Expositio und zitiert (unter dem nicht verifizierbaren Beleg PG CL, 23): "Indem er sich selbst ein für alle Mal hingab und opferte, beendete er nicht sein Priesteramt, sondern übt dieses ewige Priesteramt für uns aus, indem Er für immer unser Anwalt vor Gott ist." Cf sachlich präziser ibid. Cap.XXXII PG CL, 430 B-D. 163 Cf Problematika 7: "Wo die Eucharistie nicht vollzogen wird, da ist keine Kirche." Zur Identifizierung von Eucharistie und Christus cf Eucharist 40: "Die Kirche Christi ist eine in der Eucharistie, denn die Eucharistie ist Christus selbst, und auf sakramentale Weise weilt Er noch immer bei seinen Getreuen, bei seiner Gemeinde."
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lebender gläubiger Menschen, die sich vor dem Altar versammelt, sondern in Wahrheit um die ganze katholische Kirche zusammen, die während jeder Feier des ehrfurchtgebietenden Sakraments der Einheit gegenwärtig ist."164
Diese Aufhebung des trennenden Charakters der Zeit verdankt sich dem Sieg Christi, da er den Tod, dessen Wesen der Abbruch von Lebenszeit ist, überwunden hat.165 "Die Kirche ist das lebendige Bild der Ewigkeit und in der kirchlichen Erfahrung ist diese gnadenreiche 'Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen'166 tatsächlich in der Fülle des ewigen Lebens gegeben und verwirklicht, das sich in der Gemeinschaft mit dem ewigen König, Christo, offenbart."167 So aber ist die Eucharistie Ermöglichung und konkretester Vollzug der Einheit der Kirche168, denn in und durch Christus werden die Gläubigen aller Zeiten vereinigt. "Die Ekklesia militans und die Ekklesia triumphans sind nur eine einzige Kirche, ein einziger Leib"169, da ihr Haupt immer und ewig gleich bleibt. Aus diesem Grund hat die Rede von der Heiligkeit und den Heiligen der Kirche hier ihren Platz. Denn wegen ihrer Katholizität, d.h. wegen ihrer Allzeitlichkeit, ist die Kirche communio sanctorum, Gemeinschaft aus Lebenden und Toten. Da in der Kirche menschliche und göttliche Natur vereinigt werden, "verliert das Sichtbare selbst den der K[r]eatur eigenen, zufälligen Charakter, wird durch die Gnade verwandelt und nicht nur geheiligt, sondern auch heilig."110 Heiligkeit aber impliziert, auf Menschen angewendet, immer die Relation auf Gott, denn heilig wird man nicht durch eigene Leistung, sondern nur durch den, der allein heilig ist. Sie ist Gabe.171 164 Corps 29 165 Stärker differenzierende Aussagen über den Zeitbegriff finden sich bei Florovsky leider nicht, obwohl sich hier die Frage nach dem Wesen der Zeit unter der Sünde einerseits und nach dem der Zeit im Zeichen der Erlösung andererseits stellt. Zu den gemachten Aussagen cf Veneration 203f und Evcharistija 15 (engl.53). 166 Vaters Haus 21 übersetzt hier wörtlich korrekt "Einzeitlichkeit des VerschiedenZeitlichen", der von mir gewählte Begriff ist m.E. verständlicher. 167 Vaters Haus 29 (Dom 74 (engl.68)) 168 Cf Diaconate 93f. Florovsky leitet aus dieser Erkenntnis die praktische Forderung ab, daß eine Kommunion der Gläubigen notwendig ist, da sie anders nicht Teilhaber an der Einheit der Kirche werden können. 169 Corps 30 170 Vaters Haus 21 (Dom 67 (engl.62)). Cf auch High Calling 33: "Sakramente sind heiligende Akte, in denen der Heilige Geist weht. In ihnen ist die Einheit mit Christus und der Kontakt mit Gott greifbar. Alle Sakramente sind heilig und in ihnen ist das heilige Leben der Kirche realisiert. Gemeinschaft in den Sakramenten ist Gemeinschaft in Heiligkeit, in Heiligung, in den Gaben des Geistes." 171 Cf Kirche 50. Die betreffende Passage über die Heiligkeit der Kirche fehlt in Corps und Responsibility.
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Die Katholizität der Kirche ist in der zeitübergreifenden Einheit aller Glieder des Leibes Christi sakramental konstituiert. Das Prädikat der Heiligkeit präzisiert dabei diesen Konstitutionszusammenhang: Die Kirche wird und ist heilig allein durch die Gabe der Gegenwart Christi, die alle Glieder seines Leibes zu einer Einheit versammelt und darin katholisiert.172 Dies ist die von Florovsky mit dem Prädikat' objektiv' bezeichnete Seite der Katholizität der Kirche, der allerdings die 'subjektive' zur Seite treten muß. "Die Einheit der Kirche ist Gabe Gottes, kein mensch-liches Werk - aber dennoch impliziert sie zugleich eine tätige Antwort der Erlösten."173
5.3.3 Katholizität als Aufgabe: die Liebe zur Einheit Die Leitfrage dieses Unterkapitels ist, wie der Christ mit der Gabe der Katholizität umgehen kann bzw. soll, denn für Florovsky bedeutet die sakramental vermittelte Partizipation an der Katholizität der Kirche noch nicht automatisch, daß das Leben des Kommunizierenden damit auch bereits "katholisiert" ist. Nach seinen Aussagen zur Anthropologie ist der Mensch vor allem anderen eine freie und damit für seine Entscheidungen selbstverantwortliche Person, was insbesondere auch für den Umgang mit Heilstatsachen gilt.174 Da die Menschen aber in der zwar im Zeichen des Sieges Christi existierenden aber noch nicht erlösten Welt leben, gilt es für sie, sich immer neu der Katholizität zu vergewissern bzw. sie zu leben.175 Bei der Aufgabe der Katholizität handelt es sich demnach nicht um ein durch Aktivität erreichbares Ziel, sondern vielmehr um eine geistige Erneuerung, eine Metanoia, "die sich dann zweifelsohne auch in angemessenen äußeren Aktivitäten niederschlagen wird."176 Hier äußert sich ein Grundanliegen Florovskys, das er später auch in der ökumenischen Arbeit immer wieder eingefordert hat. Ihm geht es immer zuerst darum, daß man 172 Dies findet seinen praktischen Ausdruck im Gottesdienst und im Gebet. In Corps fehlt dieser Verweis auf die praktische Dimension der Katholizität, der Florovsky immer wieder längere Aufsätze gewidmet hat, so z.B. Evcharistija 1929, Eucharist 1936 (nahezu eine Auslegung der göttlichen Liturgie), Elements 1952, Worship 1963 und Worshipping 1969. Da es in diesem n.Hauptteil der vorliegenden Arbeit aber vorerst nur um die Grundlegung der Theologie Florovskys geht, komme ich erst im III.Hauptteil unter 10.2.3 auf die praktische Dimension der Katholizität zurück und folge damit den Ausführungen von Corps. 173 Elements 60 174 Cf dazu u.7.4 und 8 175 Cf das zu Beginn von 5.3.2 wiedergegebene Zitat aus Corps 34. 176 Corps 34
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sich geistig darüber klar wird, von welchen Voraussetzungen man auszugehen hat und was man will. Erst wo dies geschehen ist, wird das Leben zielgerichtet praktisch.177 Auf die vorliegende Problematik der Katholizität angewendet bedeutet diese Einsicht, daß "die organische Einheit der Kirche [...] nicht durch christliche Barmherzigkeit geschaffen"178 wird, sondern unter dem Gesichtspunkt menschlicher Beteiligung - nur ein Reflex auf die vorangehende Liebe Gottes sein kann. Nur wo Gottes Liebe wirksam wird, kann menschliche Liebe die Einheit der Kirche befördern, die in der Erlösung in Christus bereits objektiv gegeben, aber subjektiv noch zu realisieren ist. In Aufnahme des Gedanken der Identität zwischen Christus und seiner Kirche pointiert Florovsky diesen Aspekt in Anlehnung an Aussagen Johannes Chrysostomus' durch folgende Gedankenschritte: 1. Christus wollte die Menschen nicht nur durch Liebe an sich binden, sondern hat sie durch Teilgabe an seinem Leib und Blut im Sakrament der Eucharistie realiter mit sich zu seinem Leib vereint. 2. Wenn nun die (orthodoxen) Christen den Altar einer Kirche deshalb verehren, weil er in Berührung mit dem sakramentalen Leib Christi gekommen ist, dann, so folgert Chrysostomus, auf den sich Florovsky hier beruft, ist es nicht einzusehen, warum man nicht auch in jedem Gläubigen, der ja schließlich dem Leib Christi real inkorporiert wurde und somit ein Teil desselben ist, ebenfalls einen verehrungswürdigen Altar sehen sollte. 3. Die Eucharistie ist somit das Zentrum der Katholizität, da sie realiter an Christus und seiner aus Liebe geschehenen Erlösung teilgibt und damit die Verehrung und Liebe untereinander ermöglicht.179 Liebe wird demnach ermöglicht durch die realistisch verstandene Teilhabe am Leib Christi. Anders ausgedrückt: erst diese Teilhabe macht jemanden liebenswert.180 Aus dem Dargelegten folgt demnach für den hier zu behandelnden Zusammenhang: Die realistisch verstandene Gegenwart Christi im Sakrament und - dadurch vermittelt - auch in den Gläubigen läßt die Liebe zum vereinenden Prinzip der Gläubigen untereinander werden. "Subjektiv gese177 Cfu. 10.3.3 178 Corps 34 179 Cf Corps 36: "Das ist der Grund, warum die Eucharistie die äußerste Offenbarung des Totus Christus und das höchste Sakrament ist. 'Weder kann man hier weitergehen, noch etwas hinzufügen; denn, dies ist offensichtlich, der erste Begriff [sc.Haupt] erfordert den folgenden [sc.Leib], und dieser den letzten.'" (Das Zitat aus: Nicolas Cabasilas: De Vita in Christo IV,1,4,15). Ähnlich äußert sich auch der von Florovsky hier herangezogene Johannes Chrysostomus: Homilia 46,3 in Ioannem PG LIX, 260 (Angabe korrigiert). 180 Dieser Liebesbegriff orientiert sich damit ganz am Ursprung der Liebe: Gott selbst. Erst wo man realiter mit Gott in Berührung kommt, kann Liebe wirklich werden. Leider expliziert Florovsky diesen Gedanken nicht trinitarisch.
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hen bedeutet die Katholizität der Kirche, daß die Kirche eine gewisse Lebenseinheit ist, eine Bruderschaft oder Gemeinschaft, eine Liebeseinheit, 'ein gemeinsames Leben'."181 Florovsky betont in diesem Zusammenhang das Gebot der Nächstenliebe, das im Nächsten das alter ego erkennt und gerade darin von sich selbst absehen kann. Gerade indem man liebend von sich selbst absieht, vereint man sich mit dem anderen, wird eins mit ihm und letztlich mit Christus. "Wahre christliche Liebe sieht in jedem unserer Brüder 'Christus Selbst'."182 Voraussetzung dieser Liebe ist allerdings auf Seiten der Gläubigen "Selbstverzicht und Selbstbeherrschung. Derartige Liebe ist nur in katholischer Ausweitung und Verwandlung (transfiguration) der Seele möglich."183 Die Gabe der Katholizität in der Kirche versteht Florovsky demnach als Ermöglichungsgrund der nun subjektiv zu gestaltenden Katholizität des Leibes Christi.184 Wie aber können unterschiedliche Personen zu einer Einheit verschmolzen werden, ohne daß sie die Freiheit und Eigenständigkeit, die der Person wesentlich ist, einbüßen? Es wäre für Florovsky ein fatales Mißverständnis, wollte man seine Vorstellung von der Katholizität als kollektivistisches Einheitskonzept begreifen. "Katholisches Bewußtsein ist nicht Kollektivbewußtsein und auch nicht das Bewußtsein überhaupt der idealistischen Philosophen."185 Gegen eine solche Vermutung spricht Florovskys Personbegriff, der sich zwar gegen die Vorstellung einer in sich abgeschlossenen Individualität ohne Beziehungen richtet, wohl aber die freie Personalität des einzelnen bewahren möchte, denn Liebe als Konstitutionsprinzip der kirchlichen Einheit ist nur denkbar als die Liebe einzelner, nicht aber als die Liebe einer abstrakten Masse.186 Um diesen 181 Catholicity 42 182 Ibid. Dieser Satz mag zwar an moderne westliche Theologien und Sozialethiken erinnern, ist aber dennoch nur recht zu verstehen, wenn man den oben explizierten Liebesbegriff Florovskys hier mithört: Es handelt sich weniger um einen das Relationale betonenden Aspekt der Liebe, als vielmehr um einen sakramental und damit primär ontologisch begründeten Liebesbegriff. 183 Ibid. 184 Cf Corps 17 u.24: Die Einheit der Menschheit wurde, nachdem Fall und Sünde sie zerrrissen hatte, durch Christus wieder ermöglicht. Cf auch Pentecost 189: In der Kirche "wird die Menschheit auf eine neue Existenzebene gehoben, so daß sie sich selbst nach dem Bild des Lebens der Trinität in Einheit vervollkommnen kann." (Hervorhebung von mir) 185 Corps 34. Der kursive Begriff wird auch im französischen Original deutsch wiedergegeben. 186 Cf Catholicity 42: "Keine Masse,in der jedes Mitglied isoliert und unempfänglich ist, kann eine Bruderschaft werden."
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Sachverhalt zu verdeutlichen, zitiert Florovsky ein Bild aus "diesem sehr bizarren Buch, dem 'Hirten' des Hermas"187. Dort wird die Kirche mit einem Turm verglichen, der aus Steinen gebaut wird. Verwendbar dafür sind allerdings nur die kantigen, nicht aber die runden Steine, die man deshalb unbenutzt am Fuß des Turmes liegen läßt. "Die Symbolik ist nicht schwer zu entschlüsseln: ist das Runde, selbst bei ansonsten glänzend schimmernden Steinen, nicht ein beredtes Symbol für Selbstgenügsamkeit und Isolation [...]? Die runden Steine konnten mit den anderen keine so enge Verbindung eingehen wie die kubischen. Daraus folgt, daß die Selbstgenügsamkeit abgeschnitten werden muß, bevor man das Gebäude der Kirche betreten kann."1'8
Die subjektive Seite der Katholizität besteht demnach in der Fähigkeit und Bereitschaft des Einzelnen, von sich selbst abzusehen. Allerdings meint Florovsky damit nicht, daß der einzelne dies selbst bewerkstelligen kann, sondern fügt dem zitierten Abschnitt sofort hinzu: "Zweifelsohne kann diese gegenseitige Angleichung nur innerhalb der Kirche bewerkstelligt werden, nur dort, wo eine wirksame Kraft durch den Heiligen Geist geschenkt wird."189 Doch bleibt er dabei, daß der Heilige Geist auf die Kooperation des Menschen angewiesen ist. Auf der subjektiven Seite braucht - auch dies ein Grundzug der Theologie Florovskys - Gottes Wirken sola gratia immer die menschliche Mitarbeit.190 Das "Wegschneiden der Selbstgenügsamkeit" der Person bedeutet nun allerdings nicht das Auslöschen der Personalität des Einzelnen. Florovskys Konzeption der Katholizität als Gabe Gottes erlaubt es ihm an dieser Stelle, die notwendige Konversion der Person in der Kirche als Erweiterung des Bewußtseins und des Lebens überhaupt zu denken, denn Vorbild der personalen katholischen Einheit der Gläubigen ist die Trinität.191 Die Einheit der drei göttlichen 187 Corps 32. Cf Hermas: Pastor Liber III Similitudo IX,6 PG II, 985f 188 Ibid. 189 Ibid. 190 Cf o.4.2 u. z.B. Last Things 262: "Es ist paradox, aber niemand kann allein durch die göttliche Liebe gerettet werden, wenn sie nicht mit dankbarer Liebe menschlicher Personen beantwortet wird." Oder Valley 17: "Das Schicksal des Menschen wird in den Herzen der Menschen entschieden. Werden sie verschlossen sein, auch wenn der Himmlische Vater anklopft? Oder wird der Mensch als Antwort auf den Ruf göttlicher Liebe sie erfolgreich aufschließen können?" 191 Dieser Gedanke begegnet bereits in frühen Schriften Florovskys. So in Evcharistija 8f (engl.50f)und Eucharist 40. In Corps 33 bezieht sich Florovsky explizit auf Metropolit Antonij [Chrapovickij] und seinen Aufsatz Nravstvennaja ideja dogmata Presvatoj Troicy und verweist auf ähnliche Ideen bei Prinz S. Trubeckoj. In Catholicity 43f zitiert Florovsky ebenfalls Metropolit Antonij, hier allerdings auch noch dessen Aufsatz Nravstvennaja ideja dogmata Cerkvi.
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Personen in ihrem Wesen findet ihr geschöpfliches Analogem in der katholischen Einheit der Personen in der Kirche, die in ihrem Denken und Fühlen eins, aber dennoch unterschiedliche Personen sind. Anders ausgedrückt: der Einzelne findet seine eigene Identität nicht mehr in der Abgrenzung vom Anderen, sondern indem er liebend mit ihm eins wird und sich darin als er selbst findet. Diese Veränderung der Person bedeutet deshalb prinzipiell eine Ausweitung des persönlichen Horizontes, da "durch die katholische Verwandlung die Persönlichkeit die Kraft und Fähgkeit erlangt, das Leben und Bewußtsein des Ganzen auszudrücken."192 Florovsky schränkt diese Perspektive allerdings sofort ein, wenn er feststellt, daß es nicht allen gelingt, zu dieser Katholizität vorzudringen. "Der vollkommene Grad innerer Katholizität wird nicht durch alle Glieder des Leibes verwirklicht, gewiß. Aber er kann von allen verwirklicht werden."193 Damit unterstreicht Florovsky erneut die verantwortliche Freiheit des Einzelnen, sich für die Gabe der Katholizität zu öffnen, was den Menschen angesichts ihrer ernstzunehmenden Verschiedenheit nur in unterschiedlicher Weise gelingt. Wenn er dann abschließend die Kirchenväter und Lehrer als Vorbilder derartig vollkommener Katholizität menschlichen Geistes bezeichnet, dann wird zugleich deutlich, daß die Aufgabe der Katholizität die oben angesprochene Zeitdimension mitumfaßt, denn diese Menschen werden nicht deshalb als Lehrer und Väter der Kirche verehrt, "weil sie uns nicht ihre Privatmeinungen überlieferten, sondern weil sie den 'katholischen' Glauben der ganzen Kirche bezeugten, von der sie zu uns aus der Tiefe dieser herrlichen Einheit heraus gesprochen haben, in der alle in Christus eins sind."194 Die theologisch bekannte Spannung zwischen Gabe und Aufgabe, Indikativ und Imperativ hat Florovsky, wie dargelegt, auf den Begriff der Katholizität angewendet. Trotz seiner gemachten Ausführungen zur Objektivität der Katholizität in der Kirche, könnten seine zuletzt aufgezeigten Überzeugungen zu der Vermutung Anlaß geben, die Objektivität sei letztlich im Raum der Kirche doch nicht konkret identifizierbar und (an)faßbar, da Katholizität eben immer auch Aufgabe fehlbarer Menschen bleibt. Nicht zuletzt aus diesem Grund äußert sich Florovsky abschließend zum katholischen Amt, denn "über die Jahrhunderte hinweg blieb die Kirche ein und dieselbe gerade durch und in ihrem Priesteramt."195 192 Catholicity 44. Cf auch Corps 34. 193 Corps 34 194 Ibid. Cf auch Catholicity 44. 195 Corps 37. Diese Vorgehensweise findet sich sowohl in Corps als auch in Catholicity. Die Bemerkungen zur apostolischen Sukzession finden sich in Dom bzw.
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5.3.4 Das katholische Amt als Dienst an der Einheit "Die Kirche ist die Einheit charismatischen Lebens. Die Quelle dieser Einheit liegt im Sakrament des Herrenmahls und im Sakrament des Pfingsten verborgen." 196 Es ist in 5.3.1 bereits deutlich geworden, daß die katholische Einheit der Kirche durch die Sakramente, insbesondere durch die Eucharistie, begründet und übereignet wird. Florovsky stellt ihr nun, begründet im Pfingstereignis, das katholische und durch die apostolische Sukzession verbürgte Amt zur Seite. Beide, Pfingsten und das Sakrament der Eucharistie, gehören eng zusammen, da sie die hierarchische Rangfolge von Priester und Bischof zu begründen scheinen: In der Eucharistie manifestiert sich die in Christus geschenkte Einheit der Kirche. Und nur durch die Kommunion erhält der Christ Anteil an dieser zeitübergreifenden Einheit des Leibes Christi.197 Insofern es Hauptaufgabe des Priesters ist, die Eucharistie zu vollziehen, ist "das ganze Amt (oder die Hierarchie) ein Organ der Einheit. Es ist für die Kirche das, was der Blutkreislauf für einen lebendigen Körper ist."198 Wie ein Leib ohne Blutzirkulation tot wäre und zerfiele, so kann auch die Kirche ohne die priesterlich vollzogenen Sakramente keine lebendige Einheit sein. Insofern versammelt das Priesteramt die Gemeinde und vereint sie.199 Dies gilt in gleicher Weise, betrachtet man allein die Feier der Eucharistie oder anderer Sakramente, vom Bischof. Er hat in dieser Beziehung keinerlei Vorrechte oder Privilegien dem Priester gegenüber.200 Die Leitung der Eucharistiefeier durch einen Amtsträger will Florovsky jedoch nicht rein institutionell oder organisatorisch begründet wissen. Vielmehr gehört es wesenhaft zu einem Organismus gegliedert zu sein.201 Vaters Haus im Anschluß an Ausführungen zur Eucharistie, was trotz des Fehlens der Ausführungen zur subjektiven Seite der Katholizität sachlich keinen Gegensatz zu den anderen beiden Aufsätzen darstellt. 196 Catholicity 45 197 Cf Diaconate 95, wo Florovsky die These, daß sich entsprechend auch das orthodoxe Amtsverständnis, insofern es die Einheit der Kirche begründet, aus dem Verständnis der Eucharistie ableiten müßte, leider nicht erläutert. Cf auch Dom 71f (engl.66; Vaters Haus 27f). 198 Corps 36 199 Cf ibid. Auch wenn die gemachten Aussagen die Entdeckungen N.Afanas'evs vorwegzunehmen scheinen, stellt K.Chr. Felmy: Deutung 373, zurecht fest: "Die Betonung des Zusammenhangs von Eucharistie und Ekklesiologie ist noch nicht identisch mit einer eucharistischen Ekklesiologie." 200 Cf Pentecost 190 201 Cf einen Diskussionsbeitrag Florovskys im Faith and Order Paper No.92 S.70: Da ein Organismus insbesondere bei höheren Entwicklungsstufen ohne eine innere
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So handeln die Priester nicht nur im Namen der Gemeinde, sondern "in erster Linie 'in persona Christi' [...] Sie stehen für Ihn vor der Gemeinde."202. Dementsprechend ist einziger Amtsträger in der Kirche Christus selbst und alle Priester nur seine Repräsentanten. Insofern sie aber Christus, das Haupt des Leibes, repräsentieren und für ihr Amt von ihm beauftragt sind, stellen sie die Einheit der Kirche nicht nur dar, sondern vergegenwärtigen den Konstitutionszusammenhang der Einheit der Kirche.203 Dieses verleiht ihnen gegenüber den anderen Gläubigen jedoch keinen höheren Stellenwert. Vielmehr stellt ihr Amt nur eine Funktion des einen Organismus dar. "Alle Zellen als solche sind gleich, und doch unterschieden durch ihre Funktionen, und diese Verschiedenheit dient wiederum der Einheit und setzt diese organische Einheit in den Stand umfassender und inniger zu werden."204 Florovsky verbindet somit den funktionalen Amtsbegriff mit einem Amtsverständnis, das von einer Interpretation der apostolischen Sukzession hergeleitet wird. Erst diese ermöglicht, wie zu zeigen ist, den funktionalen Amtsbegriff. "Die Einheit des Leibes Christi kommt aus der Einheit des eucharistischen Mahles. Aber darüber hinaus hat der Bischof seinen speziellen Auftrag zum Aufbau der Kircheneinheit: nicht als Opfernder des Unblutigen Opfers, sondern als Ordinierender."205 Allein in der sakramentalen Kraft der Ordination unterscheidet sich der Bischof vom Priester. Ursprung und Quelle dieser Kraft ist das Pfingstereignis, in dem Christus den Heiligen Geist sandte, der seitdem in der Kirche gegenwärtig ist und von Generation zu Generation in der apostolischen Sukzession weitergegeben wird, so daß diese auch als das "verewigte Pfingsten"206 bezeichnet werden kann. "In diesem Sinn ist der Episkopat ein apostolisches Amt par excellence."207 Struktur nicht existieren kann, "ist die Hierarchie nicht eine geschaffene Institution, sondern ein Strukturprinzip, das unabweislich im Organismus gegenwärtig ist." Ähnlich auch Florovskys Ausführungen in Kirche 54. Die dortigen Ausführungen vertiefen und erweitern Corps 37f in entscheidender Weise. 202 Kirche 54 203 Ohne daß Florovsky dies in diesem Zusammenhang erwähnt, steht im Hintergrund die aus der eucharistischen Liturgie geläufige Vorstellung, daß Christus zugleich der Opfernde und Geopferte und insofern das eigentliche Subjekt und der eigentlich Handelnde in der Liturgie ist. 204 Ibid. 205 Ibid. 206 Corps 37. Zugrunde liegt die bereits dargelegte These Florovskys (cf 0.5.2.1), daß der Heilige Geist Pfingsten ein ßr alle Mal auf die Kirche herabkam und in ihr verharrt, sich also nicht je neu zueignet, sondern seitdem in der Kirche als "Schatz" präsent ist (cf Dom 71 (engl.66); Vaters Haus 26). 207 Corps 37
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Denn durch den Bischof, der in der apostolischen Sukzession steht, hat die Kirche eine direkte Verbindung zum Pfingstereignis und damit zum Heiligen Geist. Es ist damit nur folgerichtig, wenn Florovsky aus dieser Grundlegung folgert, daß das Bischofsamt weniger Jurisdiktionen oder kanonisch, sondern als "charismatisches Organ, das die Identität und Einheit des lebendigen Leibes sichert"208, zu verstehen ist. Apostolische Sukzession ist dementsprechend "etwas anderes als die Sicherung der historischen Kontinuität oder des verwaltungsmäßigen Zusammenhangs. Sie ist ein letztes Mittel, um die mystische Identität des Leibes durch alle Zeiten festzuhalten."209 Sie ist damit der im Geist verankerte und durch seine Kraft realisierte Grund der Katholizität und Einheit der Kirche. Diese fundamentale Beziehung zum Pfingstereignis wird im Sakrament der Ordination durch die Handauflegung dargestellt und realisiert, so daß durch den Episkopat "Pfingsten universal und ewig wird. Mehr noch, jede Teilkirche wird durch ihren Bischof oder, um genau zu sein, in ihrem Bischof in der Katholischen Fülle der Kirche als ganzer eingeschlossen. Durch ihren Bischof wird sie mit Vergangenheit und Altertum (antiquity) verbunden."210 Im Bischof realisiert sich somit das zeitübergreifende Geheimnis der Katholizität der Kirche. Er wird damit zum Abbild des "Himmlischen Erzhirten" Christus211, der das Subjekt der Vereinigung aller Gläubigen in seinem Leib über die Zeit hinweg ist. Bereits auf der Erde hatte Jesus der Kirche die Struktur eines Gegenüber von einem mit Vollmacht ausgestatteten Beauftragten und der Gemeinde gegeben.212 Dennoch bedeutet dieses Gegenüber keine unabhängige Überlegenheit des Amtes über die Gemeinde. Denn am Pfingsttag kam der Heilige Geist nicht nur auf die Apostel, sondern auf die ganze Kirche Jerusalems herab, so daß alle in der geistgestifteten Katholizität der einen Kirche aneinander verwiesen sind, auch wenn die einzelnen verschiedene Gaben empfangen haben. Die 208 Ibid. 209 Kirche 55. Die Passage fehlt in Corps. 210 Pentecost 191 211 Vaters Haus 27 {Dom 72 (engl.66)) 212 Cf Kirche 47: "Die christliche 'Gemeinde' wurde durch Jesus selbst 'in den Tagen seines Fleisches' zusammengrufen und gegründet, und sie erhielt von ihm zumindest eine vorläufige Verfassung durch die Auswahl und Ernennung der Zwölf [...] Denn die Aussendung der Zwölf war nicht nur eine Sendung, sondern ein sehr genauer Auftrag, zu dessen Ausführung sie mit einer besonderen 'Macht' versehen wurden (Mrk.3,15; Mtth.10,1; Luk.9,1)." Der Hinweis auf die 'Macht' verdeutlicht erneut, daß Florovsky auch bei dieser historischen Begründung über einen rein funktionalen Amtsbegriff hinausgeht.
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Katholizität vereint alle und bildet die gemeinsame Grundlage, auf der die verschiedenen Gaben und damit auch die Ämter zur Geltung kommen können.213 Florovsky ordnet damit die Katholizität dem individuellen Amt vor, d.h. er gesteht der Gesamtkirche eine umfassendere Bedeutung zu als dem die Kirche repräsentierenden und seine Einheit verkörpernden Amtsträger. Dies konkretisiert er in verschiedenen Hinsichten. So soll die Ordination eines Bischofs öffentlich sein, d.h. sie wird unter Anteilnahme und Bestätigung durch die versammelte Gemeinde vollzogen. Die ordinierenden Bischöfe sollten deshalb nach Auffassung Florovskys ihr Ordinationsrecht "nur in der Sobornost der Kirche und in Übereinstimmung mit dem gesamten Leib, d.h. den Priestern und dem Volk, ausüben und nicht in einer 'allgemeinen' oder 'abstrakten' Weise. Das heißt, daß der Bischof in der Kirche und die Kirche im Bischof bleiben sollte."214 In der gleichen Weise ist es zu verstehen, daß das erste ökumenische Konzil vorschrieb, daß bei einer Bischofsweihe mindestens zwei andere Bischöfe zugegen sein sollten, die nun nicht ihre Gemeinden vertreten. Vielmehr "handelt jeder Mitordinand im Namen der Katholischen Sobornost und Fülle."215 Allerdings bleibt zu beachten, daß die Vollmacht der Ordinierenden sich nicht der Gemeinde verdankt, "sondern von oben kommt, vom Geist des Pfingsten, vermittelt durch die apostolische Sukzession. Demnach handeln die Geistlichen kraft eines besonderen Charismas in persona Christi."216 Insofern sie aber in der Mitte der Gemeinde tätig sind, handeln sie zugleich in persona ecclesiae, so daß Florovsky an dieser Stelle erneut die untrennbare Zusammengehörigkeit von Christus und Kirche, von Haupt und Leib herausstellen kann.217 Von dieser Grundlegung ausgehend ist es deutlich, daß die apostolische Sukzession nicht im Sinne einer ungebrochenen Kette von aufeinanderfolgenden Ordinierenden - in Rom wären dies die Päpste218 - verstanden 213 Ci Pentecost 192 und Corps 39. 214 Pentecost 192. Was Florovsky unter 'allgemeine' und 'abstrakt' versteht, erläutert er in Corps 38: "[...] abtrakte Ordinationen und insbesondere Weihen (d.h.: ohne speziellen Titel, ohne Zuweisung eines Bischofstuhles oder einer bestimmten Gemeinde) sind ausdrücklich verboten (6.Kanon des Konzils von Chalkedon)." 215 Pentecost 193 216 Corps 38 217 Ibid. InEvcharistija 10 (engl.50) verdeutlicht Florovsky diesen Zusammenhang in bezug auf das Gebet: "Die Kirche spricht mit den Lippen des Priesters. Aber nur der Priester wagt es, das Gebet des Volkes darzubringen, weil er allein durch die Göttliche Gnade ausgestattet ist, mit Recht und Freimut für alle zu sprechen. Dieses Recht und diese Gabe besitzt und erhält er nicht vom Vok, sondern vom Heiligen Geist in der Ordnung der Amtssukzession, aber er erhält es für das Volk." Ähnlich auch Eucharist 41f. 218 Florovsky sieht in der römisch katholischen Praxis der Bischofsweihe (cf dazu
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werden kann. "Sie ist vielmehr ein Netzwerk von Verbindungen, das bis zum Kreis der Apostel zurückreicht." 219 Der Bruch kanonischer Verbindungen bedeutet damit nicht sofort auch einen Verlust an Gnade, grenzt auch nicht zwangsläufig ganze Kirchen aus. Andererseits kann eine geistliche Abwendung von der bei Florovsky qualitativ verstandenen Katholizität sehr wohl eine äußerlich bewahrte apostolische Sukzession beeinträchtigen. "Ein derartiger Wille zu Isolation und d.h. Abgeschiedenheit muß das Amt der Kirche berühren, dessen ganzer Sinn doch darin liegt, die Einheit zu bewahren und auszudrücken. Dies ist noch einmal keine Frage von Legalität oder 'Jurisdiktion'." 220 Das Amt bleibt an die Katholizität gebunden und muß deren Einheit darstellen. Es steht im Denken Florovskys ganz im Dienst der katholischen Einheit. 221
Pentecost 193f), die ausschließlich durch den Papst vorgenommen wird, den Aspekt der Apostolizität bei der Ordination übergebührlich betont, da so zum einen die Vorstellung einer Kette von Ordinierenden, die zwar in apostolischer Sukzession stehen, aber vom Kirchenvolk getrennt sind, gefördert, und zum anderen die Erhebung in den bischöflichen Rang von der mit dem Bischofsamt verbundenen Jurisdiktionsgewalt, die im ursprünglichen Sinn "die organische Einheit mit einer bestimmten Gruppe Kirchenvolks" (194) bedeutet, abgelöst wird. 219 Corps 194 220 Pentecost 197. Hier eröffnet sich die Frage nach den Grenzen der Kirche und der Bedeutung der Ökumene, auf die in diesem Zusammenhang noch nicht eingegangen wird. Cf dazu u. 10.3.3. Auch Florovsky macht hier nur auf das Problem aufmerksam, erörtert es jedoch nicht. In Vaters Haus 27 (Dom 72 (engl.67)) aus dem Jahr 1927 hatte er noch pointiert formuliert: "Die Einheit der Kirche, die Einheit des Priestertums, die Einheit der Gnade, die Einheit des Geistes - alles dies ist unlöslich untereinander verbunden. Und Abweichung vom gesetzmäßigen Priestertum ist auch Abweichung vom Heiligen Geiste, von Christo selbst." Seine in Pentecost (1934) gemachten Aussagen lassen hier mehr Spielraum und haben noch Fragecharakter. - Möglicherweise war die Zuspitzung der Jurisdiktionsstreitigkeiten in der russischen Emigration nach der Deklaration des Metropoliten Sergij 1927 und dem Wechsel Metropolit Evlogijs unter die Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchats hier einflußreich (Den Hinweis verdanke ich K.Chr.Felmy). 221 In Pentecost verdeutlicht Florovsky die apostolische Sukzession in einem zweiten Gedankenschritt als 'Treue zur Tradition', die das geistliche Amt verkörpern soll und diesich in der Lehrautorität des bischöflichen Amtes äußert. Auch in Catholicity folgt nach einer nur halbseitigen äußerst knappen Zusammenfassung des hier Dargestellten die Erörterung der hier "subjektive Seite" der apostolischen Sukzession genannten "Loyalität der apostolischen Tradition gegenüber" (45). In Dom bzw. Vaters Haus sowie in Corps, Kirche etc. trennt Florovsky aber beide Aspekte voneinander und verhandelt die Treue zur Tradition unter dem leitenden Gesichtspunkt der Frage nach der 'Identität der Botschaft'. Ich schließe mich dem an.
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Fast ans Ende seiner Erörterung der Katholizität der Kirche stellt Florovsky eine zusammenfassende Verhältnisbestimmung der vier nizänischen Prädikate der Kirche, die deutlich werden läßt, daß diese nicht unabhängig voneinander zu behandeln sind, sondern sehr eng zusammengehören bzw. sich gegenseitig erklären: "Nur durch ihre Heiligkeit, d.h. durch die heiligende Gnade des Geistes ist die Kirche eine. Heilig ist sie, weil sie apostolisch ist, d.h. sie ist durch die lebendige Kontinuität der Charismen mit den Aposteln verbunden. Katholisch ist sie durch die Gnade des Geistes, der dadurch den einen Leib des einen Herrn schafft."222
Es ist für Florovsky charakteristisch, daß er seine Erörterung der Katholizität der Kirche mit dieser zusammenfassenden Thesenreihe nicht beschließt, sondern zwei Sätze folgen läßt, die den Menschen als am Geschehen der Katholizität der Kirche Beteiligten unmittelbar in den Blick nehmen. "Aber das ist eine Einheit in Vielfalt, eine lebendige und differenzierte Einheit. Denn die Kirche ist und soll sein ein geschaffenes Abbild der furchterregenden und allheiligen Trinität, die der eine und einzige Gott ist."223
Die Individualität und sich in der Katholizität vollendende Personalität des Menschen ist das Ziel und der soteriologische Sinn aller Rede von der Katholizität der Kirche. Erst wo der Mensch katholisch geworden ist, ist er der Mensch, den der dreieinige Gott zu seinem Bild, d.h. in diesem Zusammenhang insbesondere zur zeitübergreifenden Gemeinschaft geschaffen hat. Dies aber ist ein geschichtlicher Prozeß, der in und durch die Kirche, den Leib Christi, geheimnisvoll in der Welt fortschreitet, somit auch Veränderungen und Anfechtungen ausgeliefert ist. Dies wirft die im folgenden zu behandelnde Frage auf, wie die katholische Wahrheit überliefert und bewahrt wird. Dieser Frage vor- und übergeordnet aber ist die Bestimmung der Katholizität als Gabe der Gegenwart Christi im Heiligen Geist. Dieser sachlich begründeten Vor- und Überordnung gibt Florovskys Schlußsatz zu diesem Abschnitt Ausdruck: "Voilä le η^ίέΓβ de l'Eglise catholique."224
222 Corps 39. (Hervorhebungen von mir) Die Betonung des Heiligen Geistes in diesem Abschnitt widerspricht nicht meiner These, daß Florovskys Ekklesiologie streng christologisch ausgerichtet ist. Ist doch der Geist kein anderer als der von Christus gesandte Geist. 223 Ibid. 224 Ibid.
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5.4 Die Identität der Botschaft "Die Kirche ist die Einheit gnadenreichen Lebens und darin liegt der Grund für die Einheit der Unveränderlichkeit des kirchlichen Glaubens. Auf dieser Einheit basiert auch die heilige Überlieferung und bekommt durch sie ihre Bedeutung."225 Florovsky begründet die Identität der Botschaft über die Zeit hinweg mit der Gegenwart des Heiligen Geistes in der Kirche, was letztlich christologisch begründet ist. Denn indem die Ekklesiologie nach Florovskys Verständnis nur ein Unterkapitel der Christologie ist, die Kirche aber ihren Bestand nur durch die eine Gnadengabe Christi im Heiligen Geist hat, die die eine geistliche Erfahrung bewirkt, hat die Kirche, die diese eine Gnadengabe bezeugt, auch eine einheitliche Tradition. Es ist demnach folgerichtig, wenn Florovsky im Anschluß an seine Ausführungen über das Wesen der Kirche nach der Identität der Botschaft, nach der Apostolizität der Kirche fragt. Ziel dieses Unterkapitels ist es somit, zu untersuchen, wie Florovsky diesen Zusammenhang von Identität der Botschaft in der Kirche und Christologie näherhin definiert. In einem ersten Schritt ist sein letztlich christologisch begründeter Begriff von Tradition zu bestimmen (5.4.1). In einem zweiten Schritt wird dieser Begriff am Beipiel der Zeugnisse der Botschaft (5.4.2) konkretisiert. Dabei stehen Florovskys Schrift- und Gottesdienstverständnis, sowie sein Dogmatikbegriff im Zentrum der Überlegungen. Da Anspruch, Autorität und Gehalt des Evangeliums aber proklamiert und festgestellt werden müssen, wird anschließend die Bedeutung der Zeugen für die Wahrheit der Botschaft erörtert (5.4.3). Daß man sich über die Identität der Botschaft trotz der bereits unter dem Stichwort der Katholizität aufgezeigten christologischen Begründung der bleibenden Identität der Kirche Gedanken machen muß, ergibt sich für Florovsky aus der Tatsache, daß Gott für die Bezeugung seiner Heilstat in Christus in der Kirche sündige Menschen versammmelt und zu diesem Dienst beauftragt hat. Göttliches und Menschliches gilt es demnach zu unterscheiden, wie Florovsky gleich zu Beginn seiner Ausführungen zu diesem Themenkomplex226 deutlich macht: 225 Vaters Haus 32 (engl. 70) 226 Ich halte mich in der grundsätzlichen Anlage der Argumentation weiterhin an Corps, obwohl in diesem Unterkapitel weiterreichende Erweiterungen notwendig werden, da sich Florovsky - im wesentlichen begründet durch die Aktualität dieses Themas in den frühen ökumenischen Auseinandersetzungen - neben seinen großen ekklesiologischen Arbeiten in 21 Aufsätzen und Artikeln zu diesem Thema geäußert hat. Die grundsätzlichen Aussagen finden sich bereits in seinem 1931 bei einem Seminar Karl Barths in Bonn gehaltenen Vortrag Offenbarung, den Florovsky nach Aufzeich-
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"Die Apostolizität der Kirche hat zwei Seiten. Die apostolische Sukzession offenbart und repräsentiert den objektiven oder göttlichen Aspekt: die Kontinuität der Gnade, die ununterbrochene Fortdauer des Pfingsten. Die apostolische Tradition drückt den subjektiven oder menschlichen Aspekt aus: die Kontinuität des Bewußtseins und die Identität der empfangenen und bewahrten Botschaft."227 D i e s e zweifache Bestimmung der apostolischen Tradition als Bewußtseinskontinuität und Identität der Botschaft rechnet somit damit, daß das traditum im actus tradendP:28 aufgrund menschlichen Versagens problematisch werden kann. Wo der Prozeß der Paradosis verfälscht wird, diese gegenüber der früheren eine andere Gestalt annimmt, ist die Identität der Botschaft und damit die subjektive Seite der Kirche, die Kontinuität derselben Glaubenserfahrung aller Menschen über alle Zeit hinweg gefährdet. E s schwindet die subjektive Seite der Katholizität und Einheit der Kirche 229 . Denn "alle christliche Glaubenslehre ist ihrem Ursprung nach nichts weiter als kirchliche Glaubenslehre, Schilderung der kirchlichen Erfahrung, Zeugnis der Kirche für das ihr eingehändigte 'Pfand des Glaubens'." 2 3 0 D a s Problem der Identität der Botschaft ist für Florovsky demnach neben der Frage nach der Lehr- und Wahrheitsautorität in der Kirche 231 zugleich eine Frage nach der Bedeutung von Geschichte überhaupt und in der nachapostolischen Kirche im besonderen 232 , denn die Frage nach der nung des Seminarprotokolls - der Text sagt darüber nichts - vermutlich wegen der die Ausführungen leitenden Frage nach der menschlichen Rezeption der Offenbarung als Aufsatz zur Anthropologie verstanden wissen wollte (cf G.Steck 81). Von diesen am Offenbarungsgeschehen orientierten Erörterungen verlagert sich Florovskys Schwerpunkt, ohne die bereits gemachten Aussagen zurückzunehmen oder zu revidieren, verstärkt auf das Verhältnis von Schrift und Tradition, was durch die ökumenischen Kontakte notwendig erschien. Grundlegend Neues oder eine Revision früherer Standpunkte findet allerdings auch bei diesem Thema nicht statt. Florovsky übernimmt, wie auch schon bei anderen Themenkomplexen, auch hier Absätze oder auch ganze Aufcätze für "neue" Veröffentlichungen. 227 Corps 40. Die von ihm so benannte 'göttliche' Seite der Apostolizität verhandelt Florovsky allerdings nicht in diesem Abschnitt, sondern hat sie bereits - ich habe mich dem angeschlossen - unter dem Oberbegriff der Katholizität dargestellt (cf o.5.3.4). 228 Florovsky nimmt diese Unterscheidung wenn auch in anderer Begrifflichkeit faktisch auf in Scripture 289 und Art.Tradition 1470. 229 Cf 0.5.3.3 230 Vaters Haus 17 {Dom 63 (engl.58)) 231 Cf Art.Tradition 1470: "Das Problem der T.[sc.Tradition] ist eigentlich das Problem der Lehrautorität der Kirche oder das Problem des Verhältnisses zwischen der grundlegenden 'apostolischen* Botschaft, wie sie in der Schrift niedergelegt ist, und der fortdauernden Botschaft der Kirche bzw. von Schrift und Tradition." 232 Cf ibid.
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Kontinuität des kirchlichen Bewußtseins stellt zugleich die Frage, welche Bedeutung man möglichen Deviationen, Explikationen oder Entwicklungen dieses Bewußtseins gegenüber einem angenommenen Ausgangspunkt zumißt. Die Behandlung der Apostolizität der Kirche führt damit zugleich zu einer ersten Erörterung der Geschichtsauffassung Florovskys.
5.4.1 Der Traditionsbegriff Grundlegend für Florovskys Verständnis der Tradition bleibt die christologische Fundierung seiner Ekklesiologie: "Christus ist in der Kirche nicht nur als Glaubensgegenstand und Ziel der Anerkennung gegenwärtig, sondern als ihr Haupt. Er regiert und herrscht wirklich. Dies sichert die Kontinuität und Identität der Kirche durch die Jahrhunderte."233 Die gläubige Anerkenntnis dieser Gegenwart Christi in der Kirche ist für Florovsky bereits die Anerkenntnis der Tradition selbst. "Die Annahme der kirchlichen T.[sc.Tradition] ist nichts anderes als der Glaube an das ständige Verweilen des Herrn in der Welt und in der Kirche, die Annahme des ununterbrochenen charismatischen, heiligenden Lebens."234 Damit ist das tradendum christologisch definiert. Die kirchliche Tradition ist Bezeugung des Heils in Christus. Sie ist "das fortwährende Wort Gottes selbst, wie es der Glaube ergreift."235 Aus dieser ersten Bestimmung der Tradition zieht Florovsky eine für das weitere Verständnis seines Traditionsbegriffs entscheidende Konsequenz. Da Tradition die Bezeugung personaler Begegnung mit Christus selbst durch die Kraft des Heiligen Geistes ist236, ist sie primär nicht ein Problem von feststehenden Begriffen oder schriftlich fixierter Überlieferung, sondern Ereignis, Lebenseinstellung und ständige -erneuerung. "Denn Christus ist kein Text, sondern eine lebendige Person."237 "Die Kirche ist durch den Buchstaben nicht gebunden. Vielmehr wird sie ständig durch den Geist vorwärts bewegt."238 Primärer Sinn des Traditionsbegriffs ist demnach die 233 Last Things 254 234 Art.Tradition 1473 235 Corps 42 236 Cf Lost 14: "Der Corpus der Lehre der Tradition ist erstaunlich kohärent. Aber er kann nur im lebendigen Kontext des Glaubens angenommen und verstanden werden, damit meine ich [sc.Florovsky]: in personaler Begegnung mit dem persönlichen Gott." 237 Lost 14. Cf auch Art. Tradition 1470: "Der endgültige Stoff der T.[sc.Tradition] ist deshalb nicht das Kerygma, sondern das 'Neue Leben', das von dem auferstandenen Herrn begonnen und vom Geiste verwirklicht wird." 238 Palamas 106
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Bezeichnung einer durch den Heiligen Geist ermöglichten Zugangsweise zur Wahrheit, einer Praxis kirchlichen Seins. Florovsky legt deshalb Wert auf die auch heute zu restituierende singularische Verwendung des Begriffs durch die Kirchenväter239, denn auch für sie war die von den Aposteln niedergelegte Botschaft der Kirche keineswegs etwas Statisches, sondern als "Getränk der Wahrheit, potum vitae"240, eine verlebendigende Kraftquelle, ein deposition iuvenescens241, das seine Kraft der Wirksamkeit des Heiligen Geistes verdankt. Florovsky kann deshalb Tradition als "charismatisches Prinzip"242 definieren, das nun keineswegs dem schwärmerischen Geist der Menschen Tor und Tür öffnet, sondern im Geist Christi sein Kriterium und seinen Inhalt hat. "In Christus einen und vereinen sich die Gläubigen aller Zeiten und Geschlechter [...] Und deshalb ist die Erinnerung der Kirche nicht so sehr dem Vergangenen, als dem [in Christus] Erfüllten zugewandt, - sie ist dem Vergangenen zugewandt als dem Gegenwärtigen in der allzeitlichen Fülle der Kirche, des Leibes Christi... Überlieferung ist Symbol dieser Allzeitlichkeit."243 Da der Glaubende in der Kirche an dieser Allzeitlichkeit Anteil erhalten kann, definiert Florovsky Tradition auch als "'Gedächtnis' oder 'Bewußtsein' der Kirche"244 und versucht sie dadurch von den Traditionen zu unterscheiden, denn, so argumentiert er christologisch, einen Satz Cyprians zitierend: "'Dominus, ego sum, inquit, Veritas. Non dixit: ego sum consuetudo.' 'Die Tradition der Wahrheit' und die alten Sitten, traditio veritatis und consuetudo sind deshalb nicht dasselbe."245 Bezeichnet man deshalb 239 Cf Corps 41, Art. Tradition 1470-1472, Function 79f u.ö. Florovsky verweist in diesem Zusammenhang wiederholt auf Irenaus: Adv.haereses 1,10,2 PG VII, 552f und kommt bei der Untersuchung von Aussagen Tertullians, Athanasius' und Basilus' zu ähnlichen Ergebnissen. 240 Corps 41 mit Verweis auf Irenäus: Adv.haereses 111,4,1 PG VII, 855 B. 241 Irenäus: Adv.haereses 111,24,1 PG VII, 966 B. Florovsky zitiert in diesem Zusammenhang (Corps 41f) erneut zustimmend S.Bulgakov: "Die Tradition ist keine Art Archäologie [...] man muß sie vor allem als lebendige Kraft begreifen, als das Selbstbewußtsein eines lebendigen Organismus, in dem sich das ganze innere Leben umschlossen befindet. Die Tradition erfährt keine Unterbrechung und ist unerschöpflich, sie ist nicht nur Vergangenes, sondern auch Gegenwärtiges, in dem bereits die Zukunft wohnt." (S.Bulgakov: L Orthodoxie 38; im Original schließt sich der erste von Florovsky zitierte Satz an die beiden folgenden an.) 242 Corps 41 243 Offenbarung 479.' Symbol' bedeutet hier nicht wie im heutigen Sprachgebrauch ein weniger an Wirklichkeit, sondern ist als Realsymbol zu verstehen. 244 Art.Tradition 1473. Cf auch Corps 42. 245 Corps 41. Das Cyprianzitat ist entnommen: Sententiae episcoporum numero 30 CSEL 111,1 448,4f
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die orthodoxe Kirche als 'Kirche der Tradition', so bedeutet dies für Florovsky keinesfalls primär, daß sich in ihr alte Riten und Gebräuche erhalten hätten, sondern vielmehr, daß sie das lebendige Erbe der apostolischen Botschaft in seiner Reinheit und Klarheit erhalten hat, was nicht notwendig bedeutet, daß die Begrifflichkeiten dieselben bleiben. Florovsky teilt deshalb die verbreitete orthodoxe Auffassung246, daß nämlich die orthodoxe Kirche "im spezifischen Sinn die Kirche der Tradition [ist]. Man darf sogar behaupten, daß im orth. Verständnis die Kirche selbst T. [sc.Tradition] ist, oder umgekehrt: die T. ist die Kirche. Sie ist sich ihrer ungebrochenen Wesenseinheit seit apostolischen Zeiten bewußt."247 Es ist deutlich, daß dieses Verständnis von Tradition "von der Auffassung der Kirche abhängig [ist]. 'Traditionen' können geleugnet werden, aber die T. [Tradition] gehört zur Struktur der Kirche selbst und gestattet eine positive und nicht nur eine polemische Definition."248 Wird die Tradition als Bezeugung Christi durch den Heiligen Geist in der Kirche zugänglich, bedeutet dies umgekehrt, daß ohne den in der Kirche gegenwärtigen Heiligen Geist ein Verstehen der Tradition nicht möglich ist. "Die Überlieferung wird nur durch Zugehörigkeit zur Kirche erkannt, durch Teilnahme an ihrem gemeinsamen oder katholischen (Sobor-)Leben."249 Eine bloß intellektuelle und von außen kommende Kenntnis der niedergelegten Tradition kann ihr eigentliches Wesen nicht erfassen.250 Dies gilt für die 246 Cf R.Slenczka: Ostkirche 174-184 247 Art.Tradition 1473. Cf auch Ethos 14: "In der Tat müssen sich die Orthodoxen darauf berufen, daß das einzige 'spezifische' und 'unterscheidende' Charakteristikum ihrer eigenen Stellung im 'geteilten Christentum' darin besteht, daß die Orthodoxe Kirche wesentlich identisch mit der Kirche aller Zeiten ist und gewiß mit der 'Frühen Kirche', der Urkirche. Mit anderen Worten, sie ist nicht eine Kirche, sondern die Kirche [...] Vor allem ist dies eine letzte spirituelle und ontologische Identität." Cf auch ibid. 30: Die orthodoxe Kirche "vertritt nicht eine gewisse 'Teil'-Tradition, sondern die Tradition der Jahrhunderte, die Tradition der ungeteilten Kirche." Florovsky versteht dies allerdings eher als ein zum Wesen der Kirche gehöriges und deshalb verpflichtendes Privileg, denn als Legitimation eines selbstgenügsamen Rückzugs, wenn er in anderem Zusammenhang folgert: "Ein heutiger orthodoxer Theologe kann sich nicht in die enge Zelle irgendeiner Lokaltradition zurückziehen, denn Orthodoxie ist nicht eine Lokaltradition, sondern ihrem Wesen nach (basically) eine Universale." (Zitiert nach A.Schmeeman: In Memoriam 133) 248 Art.Tradition 1472. Ähnlich noch einmal ibid. 1473. 249 Offenbarung 477. In Corps 42 beruft sich Florovsky hierzu auf A.S.Chomjakovs Schrift Die Einheit der Kirche. 250 Florovsky sieht die Problematik der mittelalterlichen und in ihrem Gefolge auch der späteren Theologie des Westens dementsprechend nicht so sehr in der Unkenntnis der patristischen Quellen begründet als vielmehr in folgendem Umstand: "Der geistliche
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gesamte apostolische Tradition und schließt die Heilige Schrift mit ein. Denn aufgrund seines bereits dargelegten Verständnisses der Katholizität und seiner Definition von Tradition in ihrer zeitübergreifenden Dimension kann man hier keine Trennungslinien ziehen, die einer Zeit und ihrem Ausdruck ihrer Glaubenserfahrung einen höheren Stellenwert zubilligt als anderen. Scharf wendet sich Florovsky deshalb gegen jegliche Bemühung - sei sie protestantisch oder orthodox - die Tradition zeitlich zu begrenzen und in einem bestimmten corpus zu fixieren. "Kurz, es macht keinen großen Unterschied, ob wir die normative Autorität der Kirche auf ein Jahrhundert begrenzen, oder auf fünf oder acht. Es sollte gar keine Begrenzung geben. [...] Die Kirche ist noch immer eine vollkommene Autorität, wie sie es in der Vergangenheit gewesen ist, denn der Geist der Wahrheit belebt sie jetzt in keiner Weise geringer als in den Alten Zeiten [der Väter und Apostel]."251
Apostolisch und patristisch252 sind für Florovsky deshalb zwei Prädikate der Kirche, die nicht nur kein Gegensatz sind, sondern unauflöslich zusammengehören.253 Hier Brüche zu postulieren, kommt einer Sprengung der Einheit der Kirche gleich, zerreißt die Einheit der Gläubigen über alle Zeit hinweg. Denn für Florovsky geht es bei den Aussagen zur Tradition nicht um "irgendeine Tradition in Formeln und Lehrsätzen. Vor allem ist sie die Berufung auf heilige Zeugen. Ja, wir beziehen uns auf die Apostel und nicht auf eine abstrakte 'Apostolizität'."2S4 In gleicher Weise wie für Florovsky Kern des Glaubens die personale Begegnung mit Christus im Heiligen Geist ist, so ist die Bezeugung dieser Glaubenserfahrung nicht etwa abstrakt und als Ideengeschichte niederzuSchlüssel für sie [sc.die patristischen Quellen] war verloren gegangen. Noch in unseren Tagen sind die Griechischen Väter Fremde und Ausländer für den durchschnittlichen westlichen Theologen." (Legacy 67) 251 Palamas U l f . Ein Ziel der Argumentation dieses Aufsatzes ist es, zu verhindern, daß man innerorthodox die Patristik höher schätzt als die byzantinische Theologie (cf ibid.112). Florovsky macht dies am Beispiel derTheosislehre Gregor Palamas' deutlich und kommt zu dem Schluß (ibid.114): "Seine [sc.Gregor Palamas'] Theologie war in keiner Hinsicht eine bloß 'wiederholende Theologie'. Sie war eine kreative Erweiterung (extension) der alten Tradition. Ihr Ausgangspunkt war das Leben in Christus." 252 Angesichts des oben Ausgeführten verwundert diese erneute Beschränkung auf die Patristik bei Florovsky, doch ist dies dahingehend zu verstehen, daß 'patristisch' hier stellvertretend für alle Traditionen, die sich an die Apostel anschließen, steht und damit nicht als Bezeichnung einer Epoche, sondern im wörtlichen Sinn als 'Tradition der Väter' zu verstehen ist. 253 Cf Ethos 16 und Palamas 107: "Nur indem sie 'Patristisch' ist, ist die Kirche wirklich 'Apostolisch'." 254 Palamas 106
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schreiben oder zu umreißen, sondern personale Begegnung mit den Zeugen des Glaubens. Nur so kann es nach Florovskys Auffassung zu einem Bewußtsein kommen, das in der Kontinuität der gesamtkirchlichen Erfahrung steht. Zugrunde liegt hier Florovskys Geschichtsbegriff: Geschichte wird durch Personen gestaltet und ist deshalb nicht die Abfolge von Ideen, sondern die Abfolge konkreter Ereignisse, von Fakten, Tatsachen und Personen. Erst wo man diesen begegnet, wird echtes geschichtliches Verstehen möglich, woraus nach den gemachten theologischen Aussagen folgt, daß geschichtliches Verstehen nur in der Kirche, dem Ort, an dem Überzeitlichkeit Wirklichkeit ist, gegeben ist.255 Umgekehrt bedeutet der Akzent auf der personalen Begegnung zugleich, daß Florovsky ein schlichtes Zitieren alter Quellen für unzureichend hält. "Wahre Treue der Tradition gegenüber schließt nicht allein Übereinstimmung mit der Vergangenheit ein, sondern in einem gewissen Sinn auch die Freiheit gegenüber einer Vergangenheit, die als gänzlich äußerliche und formale Autorität verstanden ist."256 Auf alte Traditionen haben sich Rechtgläubige wie auch Häretiker berufen. Deshalb genügt der Hinweis auf das Alter, auf die antiquitas der vorgebrachten Argumente nicht. Entscheidend ist, ob die Tradition wahr257 und demnach im strengen Sinn überhaupt Tradition ist.258 "Die Berufung auf dieTradition war jetzt eine Berufung auf das Bewußtsein (mind) der Kirche, auf ihr phronema."259 Dieses Bewußtsein der Kirche aber ist nicht statisch zu verstehen, sondern als ein lebendiges Stehen in der Wahrheit. "Wahrer Traditionalismus wendet sich immer gegen Tendenzen sklavischer Restauration, die die Vergangenheit für das Formalkriterium der Gegenwart halten. Denn tatsächlich ist Tradition nichts anderes als das Vermögen zu lehren, potestas magisterii, die Autorität die Wahrheit des Glaubens zu bezeugen und zu verkündigen."260 Dafür aber ist die Kirche nicht auf äußere Autoritäten angewiesen, sondern 255 Cf zum gesamten Problemkomplex Predicament. 256 Corps 43 257 CfAuthority 99: "Man mußte die 'wahreTradition' herausfinden und identifizieren, die authentische Tradition, die man auf die Autorität der Apostel zurückführen und die durch eine allgemeine consensio der Kirchen beglaubigt und bestätigt werden konnte." Cf Palamas 103f und Function 74: "Universitas und antiquitas und ebenso consensio gehörten zusammen. Keines war für sich adäquates Kriterium" der Wahrheit. Zu diesem hier nur angedeuteten Zusammenhang cf u.6. 258 Cf Cyprian Epistola 74,9 CSEL 111,2 806,24f: consuetudo sine veritate vetustas erroris est. Florovsky zitiert diesen Satz häufig, so z.B. in Ethos 15, Authority 99, hat dabei allerdings stillschweigend consuetudo durch antiquitas ersetzt. 259 Authority 98 260 Corps 43
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schöpft dieses Zeugnis aus der in ihr gegenwärtigen und lebendigen Gnadenwirklichkeit Christi, dessen Leib sie ist. Mit dieser Schlußdefinition von Tradition schließt sich Florovskys erster Argumentationsgang und weist damit zugleich auf die nächsten Fragen hin: Worin hat sich dies Zeugnis der Kirche niedergeschlagen? Wie verhält sich die Autorität der kirchlichen Tradition, des kirchlichen Selbstbewußtseins zur Autorität der Schrift und der übrigen schriftlichen Zeugnisse der Kirche?
5.4.2 Zeugnisse der Botschaft Florovsky unterscheidet die Botschaft, die direkt vom Herrn durch den Geist vermittelt ist, von der Bezeugung dieser Botschaft. Anders gesagt, das tradendum wird von den Zeugnissen des actus tradendi, zu denen auch die Schrift gehört, unterschieden. Diese sind, so seine Ausgangsthese, nur abgeleitete Zeugnisse und nicht die Botschaft selbst, so daß das Wissen der Kirche in ihnen nicht erschöpft sein kann. Florovsky begründet dies christologisch: "Die Kirche leitet ihre Kenntnis der göttlichen Wahrheit nicht von einzelnen Bibeltexten ab. Sie hat ihre eigene Einsicht in die Wahrheit durch den Glauben und durch das Zeugnis des Geistes [...] In diesem Sinn weiß die Kirche mehr, als geschrieben ist, oder vielmehr, als ein für allemal geschrieben wurde [!]. Dies bedeutet nur, daß Christus größer ist als die Schrift."261
Die Gegenwart Christi in der Kirche, seinem Leib, ermöglicht somit zugleich eine direkte Schau Christi, die der Kirche eine gewisse Unabhängigkeit von den Zeugnissen der Botschaft gibt.262 Diese grundsätzliche Ausgangsposition macht Florovsky für die Hermeneutik der Zeugnisse fruchtbar. 1. Die Heilige Schrift Zwar ist die Bibel die erste schriftliche Tradition der Christenheit, doch wurde sie erst durch die Kirche anerkannt und kanonisiert. "Die Bibel ist wirklich Wort Gottes, aber das Buch hat seinen Platz durch das Zeugnis der Kirche." 263 Die Wahrheit des biblischen Zeugnisses ist somit nicht subjektivistisch feststellbar, sondern verdankt sich dem Umstand, daß die glau261 Art.Tradition 262 Cf ibid. 263 Interpretation
1473 18 (dt 185)
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bende Kirche in den Schriften die bereits gemachte Erfahrung der Gegenwart Christi sachgerecht beschrieben findet. "Die Evangelien sind Aufzeichnungen der Erfahrung und des Glaubens der Kirche, Aufzeichnungen dessen, was in der Erfahrung der Kirche sichtbar ist." 264 Aus der von Florovsky vorausgesetzten christologischen Bestimmung des Wesens der Kirche folgt, daß letztlich das Zeugnis des Heiligen Geistes Christi selbst die Bibel als wahrhaftes Zeugnis der Botschaft autorisiert und bestätigt. Dies bedeutet einerseits die grundsätzliche Feststellung, daß die Erfahrung der Kirche und damit die Kirche selbst Vorrang vor der Heiligen Schrift hat. 265 Andererseits folgt für das Verständnis von Offenbarung: "Gottes Offenbarung kommt weiterhin zu uns herab. Darin besteht das Geheimnis der Bibel; das ist das Geheimnis des inspirierten, umgestalteten und transsubstantiierten Wortes." 266 Berücksichtigt man diese Aussagen zur Begründung der Schrift, so ist in Bezug auf die Hermeneutik sogleich deutlich, daß nur der Glaube die Schrift verstehen kann. 267 Glaube ist für Florovsky jedoch nie die Sache eines Einzelnen, sondern nur in der Kirche und durch sie erfahrbar. Insofern aber kann die Schrift nur im Raum der Kirche richtig ausgelegt werden. Sie ist ihr Interpret.268 Wie aber ist die Schrift auszulegen? 264 Holy Spirit 11 265 V.Mehedintu: Offenbarung 325 überspielt diese klare Absage an die lutherische These vom 'sola scriptum', wenn er Florovsky als Beleg für exakt die entgegengesetzte These heranzieht und dafür auf Art.Tradition 1469 verweist, wo sich keine dies belegende Aussage Florovskys findet. 266 Ibid.9. Dem Begriff des 'transsubstantiierten Wortes' sollte man hier kein allzu großes Gewicht beimessen, weil Florovsky diesen Vortrag 1931 vor dem Fellowship of St.Alban and St.Sergius hielt, sich also in der noch ungewohnten englischen Sprache ausdrücken mußte und eine anglikanische, d.h. zugleich auch westlich geprägte Hörerschaft vor sich hatte. Er versuchte auszudrücken, daß die Worte der Bibel durch die ihnen zukommende Qualität, Träger der göttlichen Botschaft zu sein, geheiligt wurden (cf dazu u.5.4.2.3. die Aussagen zur Heiligkeit der Dogmen). Hier einen Bezug auf die römisch katholische Transsubstantiationslehre anzunehmen, wäre außerdem auch deshalb nicht sachgerecht, weil Florovsky diesen Begriff nur an dieser Stelle gebraucht. 267 Cf Interpretation 25 (dtl93): "Nur der Glaube entdeckt die neue Dimension [sc.der in der Bibel berichteten Ereignisse] und begreift das historisch Gegebene in seiner vollen Tiefe, in seiner vollen und letzten Wirklichkeit." 268 Cf Corps 43f: "Sicher, die Heilige Schrift ist die Hauptquelle christlicher Lehre und christlichen Lehrens. Aber auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, daß auch die Schrift ein Zeugnis ist, das durch die Kirche gemacht und dessen Lehre durch die Kirche gegeben ist unter der dauernden Inspiration Gottes. Deshalb ist die Kirche der einzig autorisierte Interpret des Wortes Gottes, der Heiligen Schrift. Denn das Wort ist nicht an getrennte Individuen gerichtet, sondern vor allem an die Kirche, an die 216
"Wissenschaftliche Kritik kann den heutigen Wert der Bibel nicht beweisen, kann ihn auch nicht widerlegen [...] Um den Hauch des Geistes in der Heiligen Schrift erfühlen zu können [...], müssen wir geistliche Intuition und Einblick besitzen. Wir müssen lernen, 'profanum et sacrum' zu unterscheiden, wir müssen wissen und fühlen, was profan und was sacrum ist."269
Mit dieser Aussage behauptet Florovsky nicht etwa die Verbalinspiration270 der Bibel oder wendet sich gegen die historisch-kritische Methode moderner Bibelexegese.271 Vielmehr sieht er beides, das Profane und das Heilige, in der Bibel zum Ausdruck kommen. Denn "die Schrift ist beides zugleich, Gottes Wort und menschliche Antwort, - Gottes Wort vermittelt durch die gläubige Antwort der Menschen. In jeder biblischen Darbietung des göttlichen Wortes steckt immer ein Stück menschlicher Deutung. Insofern ist es immer unausweichlich 'situationsbedingt'."272 Genau diese 'Situationsbedingtheit', diese Bindung des Wortes der Schrift an eine bestimmte geschichtliche Situation gilt es aber für die Auslegung der Schrift zu berücksichtigen.
Gemeinschaft der Glaubenden." An dieser Stelle ist eine geringfügige Akzentverschiebung bei den Ausführungen Florovskys zu beobachten. Legte er in seinen Aufsätzen bis 1931 nach den Ausführungen über die kirchliche Auslegung der Schrift den Akzent zusätzlich noch auf das silencium mysticum (sie.), in dem Gott gehört und vernommen wird, als Voraussetzung der denkerischen Verantwortung der gemachten Erfahrung (cf Holy Spirit 12), so folgt, wahrscheinlich bedingt durch die ökumenischen Begegnungen, auf die gleichen Ausführungen zu Kirche und Schrift in den späteren Aufsätzen die Erörterung der vermeintlichen Gegenüberstellung von Schrift und Kirche durch das protestantische sola scriptura, das Florovsky allerdings nicht erwähnt (cf Interpretation 26 [dt 194]). Hier handelt es sich jedoch nur um situationsbedingte Akzentverschiebungen, nicht um Veränderungen in der Argumentation, da sachlich beide Argumentationsstränge in allen Aufsätzen zur Problematik enthalten sind. 269 Holy Spirit 9 270 Cf die Aussage über die Inspiration der Bibel in: Holy Spirit 6: "Das heilige Geheimnis der Göttlichen Inspiration kann von uns nicht vollkommen ergründet werden [...] Was menschlich ist, wird durch die göttliche Inspiration nicht unterdrückt oder beiseite gewischt." Ähnlich äußert sich Florovsky erneut in Interpretation 27 (dt 195). 271 Zwar bezieht sich Florovsky nur höchst selten auf exegetische Ergebnisse, doch geht aus einigen Anmerkungen hervor, daß er die modernen exegetischen Werke sehr wohl kennt. 272 Interpretation 28 (dt 196). Florovsky kann - diesen Sachverhalt aufnehmend - die Evangelien auch als "historische Ikone, eine Ikone in Worten und nicht in Linien und Farben, und doch ein Bild Seines [sc.Christi] Angesichts" bezeichnen (Holy Spirit 11). Allerdings kann nur der Glaubende diese Ikone recht verstehen, da Ungläubige Menschliches und Göttliches dort trennen, wo es zusammengehört.
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"Die Schrift kann auf zweifache Weise betrachtet werden: außerhalb der Geschichte oder - als Geschichte." 273 Florovsky verdeutlicht diese Alternative an zwei Richtungen der Schriftauslegung in der Alten Kirche.274 So sieht er in der Alexandrinischen Schule, die in Philo und Origenes sachlich ihre Vorläufer hatte, die Vertreter einer allegorischen Schriftauslegung, die, stark vereinfachend gesagt, danach trachtet, den für alle Völker verbindlichen Sinn der Schrift herauszufinden, und so nach allgemeinen Wahrheiten fragt. Allgemeinen Wahrheiten aber ist es wesentlich, daß sie letztlich zeitlos sind. Genau darin sieht Florovsky ihre Gefährlichkeit, übersieht eine allegorische Schriftauslegung damit doch das Handeln Gottes in der Geschichte und damit zugleich die Historizität und Faktizität der Inkarnation und die damit gegebenen Implikationen.275 Demgegenüber versuchte man in Antiochien gerade den historischen Sinn der Schrift zu ergründen, was jedoch zur Folge hatte, daß man alttestamentlichen Aussagen häufig die Relevanz für den christlichen Glauben absprach. Johannes Chrysostomus verband nach Florovskys Auffassung beide Interessen in idealer Weise. Als antiochenisch ausgebildeter Theologe berücksichtigte er sowohl den präzisen historischen Sinn der Texte als auch deren allegorische Bedeutung. Methodisch läßt sich dieser Ansatz als typologische Auslegung fassen. Denn die "Typologie ist immer historisch, [und] sie ist [zugleich] eine Art von Prophetie, - wenn Ereignisse selbst prophezeien." 276 Die theologische Voraussetzung dieser Hermeneutik ist die Einsicht in das geschichtliche Handeln Gottes. Gotteserkenntnis besteht nicht im Ergreifen zeitloser Ideen, sondern in der personalen und damit geschichtlichen Begegnung mit Gott selbst. Diese Begegnungen sind jedoch nicht eine zusammenhanglose Kette von Einzelereignissen, sondern haben in Gott selbst, dem Subjekt dieser Begegnungen ihre Kontinuität und Einheit.277 Insofern die Heilige Schrift Zeugnis dieser geschichtlichen Begegnungen ist, ist sie auch geschichtlich zu interpretieren, ja sie ist selbst "Geschichte"278. Mit dieser Aussage artikuliert Florovsky pointiert sein Interesse, daß 273 Offenbarung 465f 274 Cf Old Testament 33ff 275 Cf Interpretation 29 (dt 197f) und Offenbarung 465f 276 Offenbarung 466 277 Cf Interpretation 30 (dt 199f): Die Geschichte ist "heilige Geschichte, nicht die Geschichte menschlicher Ueberzeugungen [sie.] und ihrer Entwicklung, sondern die Geschichte der mächtigen Taten Gottes. Und diese Taten sind nicht zusammenhanglose Einbrüche Gottes in das Leben der Menschheit. Sie haben ihre innerste Einheit und ihren Zusammenhang. Sie leiteten und führten [...] zu Christus hin [...] Diese Kontinuität ist die Grundlage dessen, was man die 'typologische' Auslegung nannte." 278 Diese Identitätsaussage findet sich häufiger bei Florovsky (z.B. Interpretation (dt 189) u.29 (dt 198); Holy Spirit 9).
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sich der Glaube auf die Person Gottes richtet und somit grundsätzlich Ereignisstruktur hat, nicht aber ein System allgemeiner Ideen ist. Präziser Beleg dieser Auffassung ist die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Hier findet die Geschichte ihre Mitte, den "entscheidenden Punkt auf der Linie zeitlichen Geschehens" 279 , denn in Christus ist die Zeit der messianischen Erwartung, von der das Alte Testament berichtet, an ihr Ziel gekommen, und mit ihm beginnt die Zeit der Erfüllung. "Er ist im wahrsten Sinn die Mitte der Bibel, und zwar weil er die α ρ χ ή und das τέλος ist, - der Anfang und das Ende. Und unerwarteterweise gibt diese geheimnisvolle Identität des Ausgangspunktes, der Mitte und des Zieles, statt die existentielle Wirklichkeit der Zeit zu zerstören, dem zeitlichen Geschehen seine echte Realität und seinen vollen Sinn."280 Liegt damit in der Offenbarung der Person Jesu Christi der Sinn der Geschichte281, so ist auch die Bibel, d.h. die Bücher des Alten und des Neuen Testaments auf dieses zentrale Ereignis hin auszulegen. Dies gilt insbesondere für die Hermeneutik des Alten Testaments, auf die Florovsky schon in den ersten Ausätzen zum Thema und auch später immer wieder eingeht. Augustins berühmter Satz 'novum testamentum in vetere latet - vetus testamentum in novopatet' faßt nach Meinung Florovskys die Haltung der patristischen Theologie zur Frage der Auslegung des AT zusammen 282 . Voraussetzung dieser patristischen Auffassung ist die Einsicht in die grundsätzliche Kontinuität der Geschichte. "Zwischen den beiden Testamenten gab es keinen Bruch, sondern die Einheit Göttlicher Ökonomie." 283 Zwar kann und darf man die Verschiedenartigkeit der Zeiten und die daraus resultierende Verschiedenartigkeit der Schriften nicht negieren, dennoch "war es immer der gleiche Gott, und seine Botschaft war letztlich immer die gleiche. Es ist die Identität dieser Botschaft, die den vielerlei Schriften ungeachtet der Mannigfaltigkeit ihrer Haltung ihre wirkliche Einheit gibt."284 Ziel alttestamentlicher Exegese muß es deshalb sein, diese Kontinuität in bezug auf die Botschaft des NT herauszuarbeiten. Insofern der Sinn der Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung erst in Christus vollkommen offenbar wurde, gilt einerseits negativ, daß die alttestamentlichen Aussagen nur Bilder, Vorläufer der in Christus vollkommen erschienenen Wahrheit 279 Interpretation 22 (dt 190) 280 Ibid. 23 (dt 190) 281 Florovsky war bereits bei der Beantwortung der Frage 'Cur Deus homo?' zu diesem Ergebnis gekommen, allerdings über eine andere Argumentation. Cf 0.4.2. 282 Cf Old Testament 31 283 Old Testament 32 284 Interpretation 19 (dt 187)
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und demnach dieser Offenbarung nicht gleichwertig sind.285 Daraus kann man aber andererseits nicht folgern, man könne das AT letztlich übergehen. Dies würde der behaupteten Kontinuität der Geschichte widersprechen. "Die ganze [im AT berichtete] Geschichte war prophetisch oder 'typisch', ein prophetisches Zeichen, das auf nahende Vollendung hindeutete [...] Deshalb sind die Bücher der Juden noch immer heilig [...] Sie bezeugen noch immer Christus. Sie müssen in der Kirche als ein Buch heiliger Geschichte gelesen werden und dürfen nicht zu einer Sammlung von Beweisstellen [...] gemacht werden."246
Mit der Betonung der Geschichte, die in Christus ihre Mitte findet, begründet Florovsky somit die typologische Auslegung des AT und konkretisiert dies an zwei Beispielen: So sind zum einen die Anthropomorphismen in alttestamentlichen Beschreibungen Gottes seiner Ansicht nach sachgerecht, wenn man sie als Andeutung der in Christus geschehenen Inkarnation versteht.287 Andererseits bedeutet das Faktum, daß das Wort Gottes im Medium menschlicher Sprache ergeht, keine Herabwürdigung des göttlichen Wortes und auch keine Veränderung menschlicher Eigentümlichkeiten.288 "Darin ist das größte Geheimnis und Wunder der Bibel beschlossen, daß sie Gottes Wort in menschlicher Sprache ist. Mit Recht sahen die urchristlichen Exegeten in den alttestamentlichen Schriften Vorverkündigung und Prototyp der künftigen Inkarnation Gottes."289 Damit aber wird die von den Büchern des AT umfaßte Geschichte zugleich "als Zeitraum messianischer Erwartung"290 qualifiziert. "Das ganze Pathos des alttestamentlichen Menschen war auf das 'Zukünftige' gerichtet, - das Zukünftige war die Grundkategorie seiner religiösen Erfahrung und seines Lebens."291 Die Relevanz alttestamentlicher Aussagen für 285 Interpretation 36 (dt 205) 286 Interpretation 23 (dt 191) 287 Cf Holy Spirit 6: In den alttestamentlichen Offenbarungen "liegt ein gewisser grundsätzlicher Anthropomorphismus, und dies nun nicht deshalb, weil das menschliche Verstehen schwach wäre - oder vom Gedanken der 'Anpassungsfähigkeit' her sondern als Vorgeschmack der zukünftigen Inkarnation." 288 Cf Holy Spirit 6f: "Schon im Alten Testament wird das Göttliche Wort menschlich, wird in menschliche Sprache inkarniert (is incarnated) [...Aber] was menschlich ist, wird durch die göttliche Inspiration nicht fortgewischt, es wird nur verändert. Das Übernatürliche läuft dem Natürlichen nicht zuwider. Deshalb ist der Grund für Gottes Wahl, in menschlicher Sprache zu reden, der [...], daß die menschliche Natur vollkommen und erfüllt werde. Die menschliche Sprache schwächt oder verringert die Absolutheit der Offenbarung nicht; sie beschränkt die Macht des Wortes Gottes nicht." 289 Offenbarung 463. Cf auch die ganz ähnlichen Aussagen in Holy Spirit 6f. 290 Holy Spirit 8 291 Offenbarung 468. An dieser Aussage, die die messianische Hoffnung der Juden
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den christlichen Glauben liegt demnach in ihrer typologischen Bedeutung, insofern sie als Hinweis auf die mit Jesus Christus anhebende Geschichte auszulegen sind. Mit dem Kommen Christi und der Stiftung seiner Kirche mußte das AT "als Buch der Kirche gelesen und gedeutet werden. Wir fügen hinzu: als das Buch von der Kirche"292, denn die Kirche verstand sich als das neue und wahre Israel. Damit aber war das alttestmentliche Gesetz überholt. "Dieser Teil des Alten Testaments war veraltet. Er erwies sich als grundlegend 'situationsbedingt'. Nicht so sehr im Sinne einer allgemeinen geschichtlichen Relativität, sondern in einem tieferen providentiellen Sinne."293 Florovsky folgert aus diesem grundsätzlichen Ansatz, daß Aussagen spezifisch national israelitischen Charakters für Christen nur noch von historischem Interesse sind.294 Deshalb sind sie allerdings noch nicht irrelevant, zeigen sie doch am Beispiel des alten und auch des neuen Israel, das Schicksal des Menschen vor Gott auf.295 Dies gilt in zweifacher Hinsicht: Einerseits ist die Erwählung Israels deshalb bedeutend, weil Christus aus dem Volk Israel stammt, so daß Florovsky folgern kann: "Der heilige Sinn des Al ten Testaments ist es, daß es die Geschichte der Vorfahren unseres Erlösers ist."296 Andererseits behauptet Florovsky für Gottes Erwählen folgendes Strukturmerkmal: "Der Erlösungszweck ist in der Tat ins Zentrum des ganzen AT rückt und sich unhistorisch auf einen Aspekt jüdischer Eschatologie konzentriert, wird Florovskys Anwendung seiner konsequent typologischen Auslegung und seines Verständnisses alttestamentlicher Aussagen besonders deutlich. Ähnlich einseitig folgert Florovsky an gleicher Stelle (469) für die Christen: "Der christliche Glaube ist nicht aufs Zukünftige gerichtet, sondern auf das Vergangene, nicht darauf, was noch nicht ist, sondern darauf, was sich schon erfüllt hat, - besser ausgedrückt, auf jenes Ewige Gegenwärtige, auf die göttliche Fülle, die sich durch Christus offenbart hat und offenbar ist." 292 Interpretation 33 (dt 202) 293 Ibid. 294 Cf Interpretation 34 (dt 203): "In der neuen [Heilsordnung] wird jede nationale Diskriminierung nachdrücklich abgelehnt [...] Mit anderen Worten, man hat kein Recht, gewisse Elemente der alten Heilsordnung jenseits ihres unmittelbaren Bezuges zu dem Leben der Kirche zu isolieren und aus ihnen ein biblisches Muster für das zeitliche Leben der Nationen zu machen. Das alte Israel war eine vorläufige Kirche, aber keine Musternation." 295 Cf Interpretation 22 (dtl89): "Und das ganze Schicksal des Menschen haben wir verdichtet und beispielhaft vor uns im Schicksal Israels, des alten und des neuen, des erwählten Volkes Gottes, eines Volkes, das Gottes Eigentum ist. Die Tatsache der Erwählung ist hier von grundlegender Bedeutung." (Ähnlich auch in Holy Spirit 8) Florovsky erläutert diese Erwählung in Holy Spirit und ergänzt den dort dargelegten Gedanken in Interpretation. 296 Holy SpiritS
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immer universal, aber er wird auf dem Wege der Scheidung, der Wahl oder der Sonderung erreicht."297 So erwählte Gott das kleine Volk Israel innerhalb der heidnischen Umwelt und jetzt die Kirche, die von der Welt abgesondert ist. Daß die Geschichte Israels aber dennoch nicht mehr als ein Beispiel für das Verhalten der Menschen vor Gott ist, und daß diese Geschichte letztlich auf die Offenbarung in Christus zielte298, ja daß Christus selbst der Schlüssel zum Verstehen des AT ist, kann nur von Christen erkannt werden. Zwar schwächt Florovsky an dieser Stelle Aussagen der Apologeten ab, die Nichtchristen schlichtweg jede Möglichkeit zur rechten Auslegung des AT bestritten, doch sieht er bei ihnen ein wichtiges hermeneutisches Prinzip anklingen: "Das Alte Testament mußte als Buch der Kirche gelesen und gedeutet werden." 299 Dies ist gleichbedeutend mit dem christologisch akzentuierten und von Florovsky zuvor geäußerten Satz: "Nur im Licht Christi" kann das AT "wirklich verstanden, können seine 'Geheimnisse' wirklich enthüllt werden; sie wurden durch das Kommen dessen enthüllt, 'der da kommen sollte'." 300 Genau darin aber liegt auch der eigentliche Grund dafür, daß das AT von der Kirche in keinem Fall negiert oder gar abgeschafft werden kann. Zwar haben die Ereignisse, von denen das AT berichtet, nur auf Christus hingedeutet und sind durch sein Kommen erfüllt, doch verlieren sie dadurch nicht ihre heilsgeschichtliche Bedeutung. Sie fallen nicht der Vergangenheit, dem Vergessen anheim. "Aber nichts ist vergangen. In der heiligen Geschichte bedeutet 'Vergangenheit' nicht 'vorbei' und 'gewesen', sondern in erster Linie das Vollendete und Erfüllte. 'Erfüllung' ist die Grundkategorie301 der Offenbarung. Das, was heilig wurde, bleibt geheiligt auf immer.302 Es hat das Siegel des Heiligen Geistes. Und der Geist weht noch in den Worten, die einst von ihm eingegeben wurden."303
Diese auf die Worte des AT bezogenen Sätze fassen Florovskys christo-
297 Interpretation 22 (dt 190) 298 Cf Interpretation 30 (dt 198f): "Doch ist diese [sc. im AT berichtete] Geschichte wiederum heilige Geschichte [...] der mächtigen Taten Gottes. Und diese Taten [...] haben innerste Einheit und Zusammenhang. Sie leiteten und führten das erwählte Volk zu dem, was sich Gott letztlich vorgenommen hatte, zu Christus hin." 299 Interpretation 33 (dt 202). 300 Interpretation 31 (dt 200) 301 In Interpretation 23 ersetzt der Begriff 'basic category' die in Holy Spirit 9 verwendete Tautologie 'fundamental essence', die allerdings den wesentlichen Zusammenhang von Verheißung und Erfüllung bei Florovsky stärker unterstreicht. 302 In Holy Spirit 9 präzisierte Florovsky diese Aussage noch durch die Ergänzung 'und ohne Veränderung'. 303 Interpretation 23f (dt 191)
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logisch konzentrierte Hermeneutik zum AT zusammen und zeigen zugleich, daß sein Geschichtsbegriff ihre Grundlage ist. Die Frage der Hermeneutik muß deshalb einmünden in die Frage nach dem Zusammenhang von Geschichte und Schriftauslegung. Inhalt und Relevanz der AT entscheiden sich nach Florovskys Auffassung an der geschichtlichen Inkarnation Gottes in Jesus Christus. Dies gilt in gleicher Weise auch für das NT. Damit stellt sich aber sofort die Frage, ob die Bibel die gesamte Geschichte der Schöpfung umgreift oder aber nur einen bestimmten Abschnitt dieser Geschichte betrachtet. Anders gesagt, es geht um das Problem der Suffizienz der Schrift im Horizont der geschichtlichen Fragestellung. Florovsky nimmt diese Fragestellung positiv und negativ zugleich auf. Die Bibel ist zuerst Bericht über Gottes Taten in der Geschichte. "Hier ist ein vielfältig sich zusammenfügendes und doch einmaliges Geschehen von der Genesis bis zur Offenbarung. Und dies Geschehen ist Geschichte. Und zwischen diesen beiden Endpunkten vollzieht sich eine Entwicklung. Und dieser Vorgang hat eine ganz bestimmte Richtung [...] Deshalb kann man das einzelne Geschehen keinen Augenblick anders als im Zusammenhang und in der Perspektive des Ganzen begreifen."304
Florovsky betont somit erneut die im geschichtlichen Handeln Gottes begründete Kontinuität der Geschichte, die es bei aller Verschiedenartigkeit und Mannigfaltigkeit historischer Ereignisse zu entdecken gilt, wenn man Gott nicht als eine abstrakte Idee, sondern als den tatsächlich in die Geschichte eingreifenden Herrn der Geschichte glauben will. "Es ist [deshalb] nicht nötig, die offenbarte Wahrheit vom Rahmen zu abstrahieren, innerhalb dessen sich Offenbarungen ereigneten [...] Denn die Wahrheit ist keine Idee, sondern eine Person, nämlich der fleischgewordene Herr."305 In der für sich selbst bereits geschichtlichen Begegnung mit der in der Bibel berichteten Geschichte geht es somit nicht um die Konfrontation mit Ideen, sondern um die personhafte Offenbarung Gottes an den Menschen. Aus dieser Grundeinsicht zieht Florovsky die Schlußfolgerung, daß die Geschichte der Offenbarung, der Begegnung Gottes mit dem Menschen mit dem Abschluß der biblischen Schriften oder deren Kanonisierung nicht abgeschlossen ist. Vielmehr wird die Bibel "von der Kirche als Buch der
304 Interpretation 19 (dt 186) 305 Interpretation 20 (dt 187f). Cf ibid.: "Die Geschichte gehört Gott und Gott geht in die Geschichte der Menschen ein. Die Bibel trägt ihrem innersten Wesen nach geschichtlichen Charakter: sie ist Bericht von den Taten Gottes und nicht in erster Linie eine Darstellung von Gottes ewigen Geheimnissen, und diese Geheimnisse sind selbst nur auf dem Wege geschichtlicher Vermittlung verfügbar."
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Geschichte bewahrt, um die Gläubigen an die dynamische Struktur der göttlichen Offenbarung zu erinnern."306 Die Dynamik der Geschichte besteht genau darin, daß sich Gott in ihr offenbart und sie dadurch heiligt.307 Dieses heiligende Handeln Gottes in der Geschichte ist aber nicht auf die in der Bibel berichtete Geschichte begrenzt, sondern geht über sie hinaus. Mit diesen Aussagen aber gewinnt die Frage nach der Suffizienz der Schrift, die ja zugleich die Frage nach der Autoriät der Tradition ist, an Schärfe. Sie ist "ein wesentlicher Teil eines größeren Problems: Was ist die Bedeutung der Gesch. [ichte] in der Kirche?"308 Komprimiert drückt Florovsky dieses Problem auch folgendermaßen aus: "Die Bibel ist vollendet (complete). Aber die heilige Geschichte ist noch nicht vollendet (completed)."309 In diesem scheinbar widersprüchlichen Satz drückt sich Florovskys Interesse aus, die Bibel einerseits als Zeugnis der personalen Offenbarung Gottes zu verstehen und somit nicht als rein historisches Dokument, sondern eben als lebendiges Zeugnis zu lesen. Zum anderen will er dadurch das Handeln Gottes nicht auf die Zeit der Bibel beschränkt wissen. Wie aber lassen sich diese berechtigten Interessen aufrechterhalten, wenn man zugleich die Suffizienz der Schrift und die Unabgeschlossenheit der Geschichte der Offenbarung Gottes behaupten will? Zur Beantwortung dieser Frage ist an Florovskys christologische Grundlegung seiner Ekklesiologie und an seine Bestimmung des Wesens der Kirche zu erinnern: Die Kirche ist als Leib Christi Ort seiner beständigen Gegenwart, die als solche die Vergangenheit der Offenbarung vergegenwärtigt. Genau dieses Faktum versucht die Bibel zu bezeugen. "Die Grundlage des Neuen Testaments sind Fakten, Ereignisse und Wirklichkeiten, nicht nur Gebote, Lehren und Worte. Hier ist die Grundlage Christus und [!] die Kirche, sein Leib [...] Das Evangelium ist Geschichte. Historische Ereignisse sind Objekt (subject) und Quelle Christlichen Glaubens und Christlicher Hoffnung. "310 Indem diese historischen Ereignisse in der zeitübergreifenden Katholizität der Kirche aber beständige Gegenwart sind, kann die Bezeugung dieser Ereignisse nicht mehr, aber auch nicht wesentlich anderes als eben diese geschichtlichen Offenbarungen enthalten. "Denn die Offenbarung ist ja mit der Begründung der Kirche und dem Eingehen des 306 Interpretation 36 (dt 205) 307 Cf Offenbarung 464: "In der der Schrift wird offenbar, daß die Geschichte selbst geheiligt ist, daß die Geschichte geheiligt sein kann, daß das Leben geweiht sein kann." Man beachte den Modal in diesen Sätzen! Florovsky identifiziert nicht jeden Moment der Geschichte als Offenbarung Gottes. 308 Art. Tradition 1470 309 Interpretation 35 (dt 204) 310 Holy Spirit 10
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Heiligen Geistes in die Welt abgeschlossen. Seitdem verbleibt der Geist Gottes in der Welt."311 Hier ist der Vorgang der Offenbarung von ihrem Gehalt zu unterscheiden. Florovsky ist der Auffassung, daß in Christus und mit der Gründung seiner Kirche die Offenbarung zu ihrem Ziel gekommen ist und nicht mehr überboten werden kann. "'Das Letzte' (oder 'das Neue') ist bereits in die Geschichte eingetreten, obwohl die letzte Stufe noch nicht erreicht wurde."312 Eben deshalb schließt die Bibel mit der Offenbarung des Johannes und erweist sich darin neben der Bezeugung der Offenbarung in Christus zugleich als "prophetisches Buch voller Hinweise auf die Zukunft, auf das wirkliche Wort aller Dinge"313, das eben die gesamte Geschichte umfaßt und zum Inhalt hat. Insofern ist die Bibel suffizient und vollendet. "Die göttliche Offenbarung lebt in der Kirche, - wie sollte sie sich anders erhalten können? Sie ist umrissen und gefestigt durch die Worte der Schrift. Zwar umrissen, aber diese Worte erschöpfen nicht die ganze Fülle der christlichen Erfahrung. Und es ist die Möglichkeit neuer und anderer Worte nicht ausgeschlossen. Jedenfalls läßt die Schrift Deutung zu."314
Die Schrift ist demnach in dem Sinn suffizient, als es keine grundsätzlich neuen Offenbarungen über die Offenbarung in Christus hinaus gibt, und sich insofern nur die Gegenwart Christi in der Kirche bezeugen läßt. Die Erfahrung seiner Gegenwart kann als katholische Erfahrung aber nur eine sein, da Christus nur einer ist. Dieser auf den Gehalt bezogenen Behauptung der Suffizienz der Schrift stellt Florovsky nun aber die These zur Seite, eine ausschließliche Behauptung der Suffizienz der Schrift im Gegenüber zur Tradition reiche nicht aus, da die Schrift einerseits diesen Anspruch selbst nicht erhebe. Andererseits aber wird sie "nahezu stumm, und ihr Inhalt wird reduziert, wenn sie vom lebendigen Kontext der vollendeten Tradition abgelöst wird. Und dann setzen wir sie der Gefahr enger und willkürlicher Interpretationen aus. Deshalb ist das Kriterium für die Bibel allein mit der gesamten Erfahrung der Kirche gegeben."315
Dies bedeutet nun nicht, daß die Erfahrung der Kirche gegen die behauptete Suffizienz der Schrift ausgespielt wird. Florovsky begreift diese Argumente nicht als einen Gegensatz, sondern versteht sie in gegenseitiger Ergänzung. Nur indem die sufßziente Schrift im Kontext der kirchlichen Erfahrung ausgelegt wird, gewinnt sie die ihr eigene sachliche Tiefe, wie
311 312 313 314 315
Offenbarung 464 Interpretation 36 (dt 205) Ibid. Offenbarung 470 Corps 44
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auch umgekehrt die kirchliche Tradition sich an der Schrift auszurichten hat.316 "Tradition ist keine Ergänzung der Schrift und kann ihr nichts hinzufügen, sondern erhellt nur, was in der Heiligen Schrift enthalten ist, und stellt es in die rechte Perspektive [...] Oder in anderen Worten, die Schrift wird in der Tradition ausgehändigt (given) und bewahrt. Tradition und Schrift sind untrennbar."317
Diese These von der notwendigen Verschränkung von Schrift und Tradition verdankt sich letztlich dem zugrundeliegenden Geschichtsbegriff, der die Einheit der Geschichte und ihre gleichzeitige Dynamik und Perspektive christologisch begründet. Dies läßt sich nun mit den abschließenden Gedanken zum Verhältnis von Schrift und Tradition präzisieren. Das Problem des Verhältnisses von Schrift und Tradition ist identisch mit der Frage nach der autoritativen Auslegung der Schrift. Wer stellt ihre Wahrheit fest? Wie bereits angedeutet, beantwortet Florovsky diese Frage durch den Bezug auf den hermeneutischen Zirkel, in den er Schrift und kirchliche Tradition stellt: beide stehen unabhängig nebeneinander, lassen sich aber nicht losgelöst voneinander begreifen.318 Insofern die Kirche Ort der Gegenwart Christi und insofern zugleich Subjekt des Traditionsaktes ist, ist sie "der Heiligen Schrift eher bei- als übergeordnet. Sie steht unabhängig neben der Hl.Schrift, aber nicht auf sich selbst."2,19 Unabhängig, aber dennoch nicht selbständig - diese Formel versucht zum Ausdruck zu bringen, daß die Autorität der Schrift wie auch die der kirchlichen Tradition letztlich nur eine abgeleitete Autorität ist.320 Da sich in beiden nur 316 Cf Scripture 289: "Die Tradition muß befolgt werden, insofern sie sich in Übereinstimmung mit der göttlichen Offenbarung und der Heiligen Schrift befindet." 317 Scripture 289 318 In Function 92 erläutert Florovsky diesen Zusammenhang durch Rekurs auf Augustins berühmten Satz "Ego vero Evangelio non crederem, nisi me catholicae Eccelsiae commoveret auctoritas" (Contra Epistolam Fundamenti 5 PL XLII, 176; Angabe korrigiert) und kommentiert ihn folgendermaßen: "Catholicae Ecclesiae auctoritas [...] bedeutete nicht eine unabhängige Glaubensquelle, sondern war das unverzichtbare Prinzip rechtgläubiger Interpretation. Ja, der Satz könnte dahin verändert werden: Man sollte der Kirche nicht glauben, bevor man nicht durch das Evangelium bewegt worden ist. Diese Beziehung ist streng reziprok." 319 Art.Tradition 1473 320 Cf Offenbarung 469: "Und die Kirche bezeugt die Wahrheit der Schrift, bestätigt ihre Authentizität, - erhärtet sie durch die Autorität des Heiligen Geistes, der in ihr wohnt" und, so wäre der hermeneutische Zirkel zu schließen, der die Kirche selbst autorisiert. - Beachtet man diese Zirkelstruktur der Argumentation Florovskys, die Schrift, Kirche und gegenwärtige Übereignung des Heiligen Geistes an den Gläubigen in eine gegenseitige Verschränkung stellt, so wird die Gefahr vermieden, auf die
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der eine Geist Christi ausspricht, kann die Autorität der menschlichen Bezeugung der Offenbarung nur von diesem selbst begründet werden. 321 Dieser Begründungszusammenhang ist jedoch auf dem Hintergrund der Geschichtlichkeit der Offenbarung in der Kirche dynamisch zu verstehen. Schrift w i e Tradition sind nicht fixierte Autoritäten, sondern eignen sich je neu der Kirche zu. "Die Tradition ist nichts anderes als Selbstbezeugung (temoignage) des Geistes, der beständig die Botschaft offenbart und erneuert, die er einst in der Kirche niedergelegt hat. Deshalb ist die Tradition für die lebendigen Glieder am Leib Christi nicht eine historische Autorität, die von außen auferlegt wurde, sondern das beständige von Gott selbst ergehende Wort, das der Glaube ergreift; sie ist nicht allein ein Zeugnis der Vergangenheit, sondern vielmehr das der Ewigkeit."322 Daraus folgt negativ, daß es wahres Verstehen der Offenbarung außerhalb der Kirche nicht geben kann. 323 Positiv stellt Florovsky fest: "Die Offenbarung wird in der Kirche bewahrt. Deshalb ist die Kirche die eigentliche und vornehmeste Auslegerin der Offenbarung. Diese wird durch geschriebene Worte geschützt und verstärkt; geschützt, aber nicht erschöpft." 324 Florovsky gesteht der lebendigen Erfahrung der Kirche also in jedem Fall gegenüber den schriftlichen Zeugnissen eine Schlüsselfunktion zu. Diese lebendige kirchliche Erfahrung ist als actus tradendi verstanden das hermeneutische Prinzip für Texte der Tradition. V.Mehedintu: Offenbarung 296 angesichts des vorangegangenen Zitates aus Art.Tradition zurecht hingewiesen hat: "Diese Aussagen bergen in sich die Gefahr eines Dualismus zwischen Schrift und Kirche und einer Selbständigkeit der Kirche, die unabhängig von der Schrift selbst zur Quelle der Wahrheit wird." 321 Cf Art.Tradition 1469f: "Die Hl. Schrift erhält ihre Autorität nicht von der Kirche; sie beharrt bei der Autorität des Geistes - doch verkündet die Kirche den Gehalt der Schrift [...] Im Grunde ist die T.fTradition] die Beständigkeit des Geistes in der Kirche, welche Beständigkeit durch eine Reihe von Zeugen, die vom Geist für ihre Aufgabe bevollmächtigt waren, gesichert und offenbart wurde." 322 Corps 42. Cf hierzu die bereits oben unter 5.4.1 gemachten Aussagen zum dynamischen Traditionsbegriff Florovskys, den er meistens mit Irenäus belegt (so z.B. Palamas 106 und Corps 40f). 323 Cf Function 90: "Außerhalb der Kirche gibt es kein 'Göttliches Evangelium', sondern nur menschliche Surrogate." 324 Interpretation 25 (dt 193). Cf die analogen Aussagen in Holy Spirit 11: "Die Erfahrung der Kirche greift weiter als ihr direktes Zeugnis", wie es seinen Niederschlag u.a. in der Schrift gefunden hat. "Deshalb dürfen wir nicht von der 'Qualität der Selbstsuffizienz* der Schrift sprechen. Denn die Schrift wird nicht allein kraft menschlichen Erinnerungsvermögens bewahrt; sondern auch kraft der Gnade im charismatischen Leben der Kirche. In der Kirche wird die Offenbarung zu einer inneren geistlichen Erfahrung. Die Kirche ist bereits für sich eine Offenbarung." 227
"In der Alten Kirche war Tradition vor allem anderen ein hermeneutisches Prinzip und eine Methode [...], weil sie jenen lebendigen Kontext vorstellte, jene umfassende Perspektive, in der allein die wahre 'Intention' und die vollständige 'Gestalt' der Heiligen Schrift, der Göttlichen Offenbarung selbst, entdeckt und verstanden werden konnte."325
Als Methode und Kontext verstanden aber hat die Tradition einen zeitlichen Vorrang vor der Schrift326, ja diese wird nur in und durch ein Vorverständnis in Gestalt der kirchlichen Erfahrung entschlüsselt.327 Da sich die kirchliche Erfahrung jedoch selbst in den biblischen Schriften wiederentdeckte und diese nur deshalb kanonisierte, kann sie diese Schriften nicht als von außen kommende Autorität oder als Richterin über der Schrift auslegen, sondern vernimmt dort, was ihr selbst wesentlich ist: das durch den Geist Christi bestätigte Zeugnis für die Wahrheit der Offenbarung Gottes.328 '"Kirchliches Verstehen' konnte zur Schrift nichts hinzufügen. Aber es war das einzige Mittel, den wahren Sinn der Schrift herauszufinden und zu enthüllen [...] Ja, die Tradition war 'die recht verstandene Schrift'."329 Diese Definition des Traditionsbegriffs bezieht sich nun einerseits, wie dargelegt, auf den Vorgang des Tradierens und damit auf die dynamische und lebendige Erfahrung der Kirche in der Geschichte. Sie wird in Florovskys Denken durch die geschichtlich kontinuierliche Leitung der Kirche durch den Geist Christi ermöglicht. Andererseits aber bezieht sich diese Definition auch auf die schriftlichen Bezeugungen der Offenbarung. Als Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Schrift und Tradition kann damit gesagt werden, daß nach Florovskys Auffassung sowohl die Schrift als auch andere schriftliche Zeugnisse der Tradition erst durch die Erfahrung der Kirche und d.h. letztlich nur durch das sich selbst kundmachende Zeugnis des Geistes Christi in den Gläubigen verstanden werden und ihre lebensspendende Kraft entfalten.330 Damit ist aber erneut deutlich, daß 325 Function 79. Florovsky war unter orthodoxen Theologen einer der ersten, die in der Tradition vornehmlich eine Methode und nicht etwas gegenüber der Schrift inhaltlich Neues verstehen wollten. Cf V.Mehedintu: Offenbarung 236f. 326 Cf Scripture 288 327 Cf Scripture 290: "Man mußte sozusagen im Voraus die richtige Gestalt der Offenbarung in der Schrift verstehen [...] und dies konnte nur durch die Einsicht des Glaubens geschehen [...] dieser war der Glaube der Kirche, der im apostolischen Kerygma verwurzelt und durch dasselbe verbürgt worden war." 328 Wie Florovsky in Function 77 ausführt, galt diese Einsicht bereits seit Tertullian. Cf auch V.Mehedintu: Offenbarung 237. 329 Function 74f 330 Cf Scripture 293: "Die Schrift ist eine angemessene Quelle, aber nur insofern sie in der Kirche gelesen und interpretiert wird, die der Wächter von beidem, der Heiligen
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Florovskys Ekklesiologie, die bestimmt wird von der Definition der Kirche als Leib des in ihr kontinuierlich gegenwärtigen Christus, mit dem daraus resultierenden dynamischen Geschichtsverständnis Voraussetzung und Grundperspektive seiner Aussagen zur Schrift ist. 2. Der Gottesdienst Man hätte diesen Abschnitt auch 'Die Liturgie' überschreiben können, wenn dieser Begriff in der orthodoxen Tradition nicht ausschließlich auf den eucharistischen Gottesdienst bezogen wäre331, hier jedoch das gesamte gottesdienstliche Leben als Bezeugung der Offenbarung herausgearbeitet werden soll, ohne daß dabei auf einen besonderen Gottesdienst eingegangen wird. Dennoch muß in diesem Zusammenhang beim häufig technisch verstandenen deutschen Begriff 'Gottesdienst' der devotionale Aspekt, der im englischen Begriffispaar 'worship' und 'to worship' deutlich mitschwingt, mitgehört werden. Denn für Florovsky manifestierte sich das erste Zeugnis der Botschaft in gottesdienstlichen Vollzügen, in denen sich Christus vergegenwärtigte. "Die Kirche hatte Christus zu predigen, und nicht nur 'die Schrift' [...] Das Wort wurde in der Kirche lebendig erhalten. In ihrem Leben und ihrer Struktur wurde es dargestellt (reflected). Glaube und Leben waren organisch miteinander verflochten."332 Historisch gesehen stand damit nicht die Schrift des NT am Anfang, sondern neben den Schriften des Alten Bundes die Bekenntnisse, die anläßlich der Taufe formuliert wurden und sodann ins NT Eingang gefunden haben. Der alte Satz ut legem credendi lex statuat supplicandi?33 ist damit nicht nur als Postulat rechter Dogmatik aufzustellen334, sondern auch historisch verifiziert. "'Liturgie' im weiten und umfassenden Sinn des Wortes war für die Traditionsbildung der Kirche vorrangig und ursprünglich [...] Der Gottesdienst der Kirche war Schrift und der gesamten apostolischenparadosis des Glaubens, der Verfassung und des Lebens ist. Allein die Tradition ermöglicht es der Kirche über den 'Buchstaben' hinaus zum Wort des Lebens selbst zu gehen." 'Tradition' muß hier als Erfahrung der Kirche verstanden werden. - Sachlich hat Florovsky damit A.S.Chomjakovs grundsätzliche Aussagen zur Autorität der Schrift aufgenommen (cf A.S.Chomjakov: Die Einheit der Kirche 4-7). Von ihm unterscheidet er sich durch die strenge christologische Konzentration und die Begrenzung des Schriftbegriffs auf die Heilige Schrift (cf ibid.7). 331 Cf Elements 60 = CW XIII,90f und K.Chr.Felmy: Deutung 2. 332 Function Μ 333 Sachlich geht die Formel auf Prosper von Aquitanien zurück (cf Ders.: De Vocatione omnium Gentium I, 12 PL LI, 604 C -605). Heute gilt er als ihr Verfasser, obwohl die Tradition sie Papst Coelestin I zuschrieb (cf de Gratia 'Indiculus'OS 139). 334 Cf oben Kap.3.2
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eine feierliche Proklamation ihres Glaubens."335 Traditionsgeschichtlich ist dieses Argument nicht umstritten. Wie aber verhält sich diese Einsicht zu den Aussagen zur Autorität der Schrift? Findet sich in den gottesdienstlichen Vollzügen in Hinsicht auf den Gehalt des Zeugnisses für die Offenbarung das, was Florovsky mit dem 'Mehr' an Wissen der Kirche gegenüber dem der Schrift behauptet hat?336 Bereits bei Irenäus, Tertullian, Cyprian und Athanasius finden sich Argumente, die mit Verweisen auf die liturgische Tradition bekräftigt werden. In seiner berühmten Schrift De Spirito Sancto hatte sich dann insbesondere Basilius mit dem Vorwurf auseinanderzusetzen, wie sich derartige mit der liturgischen Praxis argumentierende Auffassungen zu Aussagen, die mit der Autorität der Schrift begründet wurden, verhalten. Basilius beantwortet dieses Problem durch die These: "Von den Dogmen und Kerygmen, die in der Kirche bewahrt werden, haben wir einige aufgrund niedergeschriebener Lehre, während wir andere aus der apostolischen Uberlieferung empfangen haben, die uns εν μυατηρίω weitergegeben werden. Beide haben die gleiche Macht, was Sachen der Frömmigkeit angeht."337 Florovsky weist darauf hin, daß Basilius mit dieser Aussage nicht zwei autoritative Quellen christlichen Glaubens behaupten will: Schrift und Tradition. Das Gegenteil ist richtig. Denn, so führt er aus, kerygmata bedeuten bei Basilius das, was man heute unter Dogma versteht: "offene und öffentliche Lehre", während dogmata beim Kappadozier "die 'ungeschriebenen Gewohnheiten' (τά αγραφα των Ιθνων) oder, besser, die ganze Struktur des liturgischen und sakramentalen Lebens"338 bezeichnete. Diese wurden nach Basilius' Meinung εν μύστη ρ ίω weitergereicht, d.h. sakramental bzw. im Rahmen der Sakramentshandlungen, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren. "Die 'Tradition', auf die der Hl.Basilius rekurriert, ist die liturgische Praxis der Kirche [...] die disciplina arcani",339 Florovsky folgert aus dieser Interpretation, daß der einzige Unterschied zwischen Kerygmata und Dogmata in der Weise ihrer Überlieferung besteht. Wurden die einen öffentlich vermittelt und proklamiert, so geschah dies bei den anderen im Verborgenen. "Aber ihr Gehalt ist derselbe: sie übermitteln denselben Glauben, wenn auch auf verschiedene Weise."340 In Aufnahme der Argumente des großen Kappadoziers begründet Florovsky diese These damit, daß die Väter der Liturgien der Gottesdienste ihre 335 336 337 338 339 340
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Function 84f CiArt.Tradition 1473 Basilius der Große: De Spirito Sancto 66 PG XXXII, 188 A Function 86 Function 87 Function 88
Prinzipien aus der Schrift ableiteten·341 "Die 'ungeschriebene Tradition' der Riten und Symbole fügt zum Inhalt des schriftgemäßen Glaubens wirklich nichts hinzu: sie bündelt diesen Glauben nur in einem Brennpunkt."342 Bedenkt man nun, daß die Schrift nur in der Kirche und durch sie verständlich wird, so ist deutlich, daß Basilius' Verweis auf die 'ungeschriebenen Traditionen' letztlich ein Verweis auf den sensus catholicus der Kirche ist. "Ohne diese 'ungeschriebene' Glaubensregel war es unmöglich, die wahre Intention und Lehre der Schrift selbst zu erfassen."343 Die Vollzüge des Gottesdienstes344 stehen damit nicht in einem Konkurrenzverhältnis zur Schrift, ergänzen auch ihren Gehalt nicht, sondern stehen wie die Schrift in dem unlöslichen hermeneutischen Zirkel kirchlicher Erfahrung, Schrift und verstehendem Subjekt und sind, wie die Schrift selbst, Zeugnis der in der Kirche lebendigen Botschaft, das, wie nun zu zeigen ist, die Identität derselben wahrt. "Der liturgische Gottesdienstvollzug ist eine Art sich erneuernder Theophanie. In ihr betrachten wir den Gottmenschen Christus als Gründer und Haupt der Kirche - und mit ihm die ganze Kirche."345 Im eucharistischen Gottesdienst ereignet sich somit das, was Florovsky mit dem Begriff der Katholizität beschrieben hat. Das grundsätzliche Geheimnis christlicher Existenz wird Ereignis: die menschliche Begrenzung durch Geschichtlichkeit und Zeitlichkeit wird in der zeitübergreifenden Christusgegenwart aufgehoben.346 Dieses grundsätzliche Geheimnis christlicher Existenz re341 Cf Function 89. So auch Elements 65 = CW ΧΙΠ.94: "Der ganze Ritus ist im wesentlichen schriftgemäß. Im Prozeß der Ausbildung der Liturgie wurde beständig die biblische Ausdrucksweise (biblical idiom) benutzt." Dies erfolgreich zu belegen, war ein Kernziel der Liturgieedition durch F.v.Lilienfeld. 342 Function 89 343 Ibid. 344 Es reicht nicht aus, wollte man hier nur von den Texten oder Hymnen des Gottesdienstes sprechen, die Zeugnis für die Botschaft ablegen, da der Gottesdienst bei Florovsky das rein Verbale übersteigt: "Der Begriff 'Liturgie' (der sich im östlichen Sprachgebrauch ausschießlich auf den eucharistischen Gottesdienst bezieht) deutet selbst genaugenommen auf ein gemeinsames Handeln (α common action) hin. Er ist eine Handlung und nicht nur ein Wort." (Elements 60 = CW XIII,90f) 345 Evcharistija 14 (engl.52). Die Schau Christi und der Gemeinde begründet Florovsky mit der Interpretation der Partikeln, die während der Proskomidie um das Lamm auf den Heiligen Diskos gelegt werden und die Gemeinschaft der Heiligen repräsentieren. 346 Florovsky spricht in diesem Zusammenhang zwar nicht von der Katholizität, doch steht sie eindeutig im Hintergrund. Cf Worship 268f = CW XIII,97: "Zwischen Christus und der Kirche besteht eine gewisse 'Kontinuität', wie auch immer wir dieses Geheimnis unserer Christlichen Existenz zu beschreiben und 'zu erklären' versuchen."
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flektiert der Gottesdienst, indem er wegen dieses Bezugs auf das historische Christusereignis einerseits "vor allem 'Erinnerung', anamnesis ist und nur im Kontext und in der Perspektive 'Geheiligter Geschichte', in der Perspektive von Heilsgeschichte möglich ist."347 Dieser anamnetische Charakter des Gottesdienstes begründet zugleich seinen Zeugnischarakter für die Taten Gottes. Darin besteht sein Wesen.348 Andererseits aber ist es dem Christusereignis wesentlich, sich immer neu zu vergegenwärtigen, so daß "anamnesis in der Kirche weit mehr als nur eine 'Erinnerung' ist. Sie ist vielmehr eine 'Repräsentation' - diese Messianische Vergangenheit ist zu allen Zeiten für immer gegenwärtig."349 Dieser christologisch begründete anamnetisch repräsentative Charakter des Gottesdienstes hat für die ihn Feiernden zur Folge, daß er an erster Stelle Antwort auf Gottes Handeln ist. Zu gottesdienstlichen Vollzügen kommt es nämlich nur, weil Gott sich selbst erschlossen hat. "Christlicher Gottesdienst ist eint Antwort auf den Ruf oder die 'Berufung' Gottes. Wir beten, weil Gott die Initiative ergriffen hat, und das Zeugnis der Schrift macht uns diese göttliche Initiative bewußt."350 Vor allen Bitten oder Klagen hat diese menschliche Antwort auf die erlösenden Taten Gottes zuerst den Charakter des Dankes und der Anbetung351, so daß es im christlichen Gottesdienst immer zwei Schwerpunkte gibt: "ErinnerungundDan/csagung - anamnesis und eucharistia. Sie gehören unlöslich zusammen."352 Weil der Ausgangspunkt und die Begründung christlichen Gottesdienstes das geschichtliche Handeln Gottes ist, hat er selbst "historischen Charakter"3^, insofern in ihm dieses geschichtliche Handeln Gottes zur Sprache kommt. Dies geschieht konkret dadurch, daß durch Lesungen aus dem AT 347 Worship 268 = CW XIII,93. Florovsky verwendet bereits im englischen Original den deutschen Begriff 'Heilsgeschichte'. 348 Florovsky betont dies gegenüber einer ebenfalls legitimen Betrachtung des Gottesdienstes unter dem Aspekt menschlicher Beteiligung durch Gebet oder Gefühl: Cf Elements 63f = CW XIII,93: "Gebete [...] sind nicht die hervorstechendsten Elemente des Ritus. Die größte Betonung liegt auf den machtvollen Taten Gottes. [...] Alles in allem soll der gemeinsame Gottesdienst der Östlichen Kirche vor allem ein treues Zeugnis für die machtvollen Taten Gottes sein und nicht Ausdruck oder Darstellung frommer Gefühle." 349 Worship 268 = CW XIII,97 350 Worshipping 25. Der Hinweis auf die Schrift in diesem Zusammenhang ist singulär und findet sich in Worship 268f nicht, zeigt aber zugleich, welchen Stellenwert Florovsky der Schrift einräumen kann. 351 Cf Worship 269 = CW XIII,98 352 Worshipping 25 353 Worshipping Π
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und NT die Einbindung in die Heilsgeschichte bewußt gemacht wird. Auch dient die Beachtung des liturgischen Jahreskalenders der Einbindung der Gläubigen in die der Kirche eigene Katholizität. "Der Kalender bezeugt die Heiligung der Zeit. Die Kirche lebt in der Dimension geheiligter Erinnerungen, während sie zur selben Zeit gleichermaßen in die Zukunft blickt."354 Der anamnetische Charakter des Gottesdienstes ist somit nicht nur eine Erweiterung oder Vertiefung historischer Bewußtheit, sondern richtet den Blick zugleich auf die Gegenwart und Zukunft, denn, so begründet Florovsky diese These, in allen Tatsachen der Heilsgeschichte wird das Wirken Christi verehrt, wie es die Gläubigen jetzt auch an sich selbst erfahren. Die ekklesiologische Grundthese über das Wesen der Kirche als Leib Christi, als Ort seiner beständigen Gegenwart, führt zu der Einsicht, daß Christus in der Kirche gegenwärtig war, ist und bleibt, "bis daß er kommt". "Die Anerkenntnis der Gegenwart [Christi] ist untrennbar mit der Erinnerung der Vergangenheit verbunden. Diese paradoxe Koinzidenz von Vergangenheit und Gegenwart konstituieren den spezifischen und einzigartigen Charakter Christlicher 'Erinnerung'."35S. Ihren Höhepunkt erreicht diese Anamnese in der eucharistischen Liturgie, weil, wie bereits oben dargestellt wurde356, jede Feier der Eucharistie mit dem letzten Abendmahl Jesu identisch ist. "Die Gottesdienstteilnehmer (worshippers) werden sozusagen in die Obere Kammer zurückversetzt und zu Teilhabern desselben geheiligten Abendmahls. Diese paradoxe Natur sakramentaler anamnesis, die zur selben Zeit tatsächliche und unmittelbare Begegnung oder vielmehr Gemeinschaft (communion) mit dem immer gegenwärtigen Herrn ist, eröffnet das letzte Geheimnis Christlicher Existenz."357
Als auf die Vergangenheit gerichtete Anamnese ist die Eucharistie gegenwärtige Gemeinschaft mit dem Herrn selbst, sie ist "eine anamnesis in der Form der Danksagung, eucharistia."3Si Denn die menschliche Danksagung entspricht als einzig angemessene Antwort der empfangenen Gabe, weshalb der Gottesdienst auf menschlicher Seite zuerst Anbetung und Lobpreis, Doxologie, ist.359 Insofern Anamnesis und Eucharistie aber durch ihre Bezogenheit auf Christus untrennbar zusammengehören, hat der Gottesdienst notwendig eine geschichtliche Dimension, die zugleich über seinen Inhalt enscheidet. 354 355 356 357 358 359
Ibid. Worshipping 28f Cf 0.5.3.2 und ausführlicher 10.2.2. Worshipping 29 Worshipping 31 Ibid.
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Weil die Anamnese Christus und die Magnalia Dei bezeugt, ist die Feier des Gottesdienstes weniger eine Angelegenheit des religiösen Gefühls oder von Emotionen als vielmehr ein genuin theologisches Geschehen. 3 6 0 "Am wichtigsten ist, daß alle Gottesdienste vor allem Verkündigung der Guten Nachricht sind. Sie haben einen ausgesprochen didaktischen und lehrhaften Charakter."361 Damit aber kommt dem Gottesdienstvollzug für die orthodoxe Theologie eine entscheidende Bedeutung zu. Er selbst kann als Zeugnis für die Botschaft zur Quelle theologischer Aussagen werden und so die Identität der Botschaft sichern. Ja mehr noch: der Gottesdienstvollzug selbst ist Theologie im ganz allgemeinen Sinn eines Zeugnisses von Gott. 362 360 CfElements 53 = CW ΧΙΠ.86: "Der Gottesdienst [...] ist frei von Sentimentalität (emotionalism). Nüchternheit des Herzens ist seine erste Voraussetzung. Die Fülle des theologischen Denkens der Kirche ist in den Gottesdienst hineingegeben (thrown into!). Das ist wahrscheinlich das bemerkenswerteste und spezifische Kennzeichen der Östlichen Tradition." 361 Elements 63 = CW ΧΠΙ,93. Florovsky plädiert deshalb ibid. für die Streichung von unverständlich gewordenen Teilen in Gottesdiensten und hält nichts davon, wenn man sie aus Traditionalismus oder Gefühlsbestimmtheit beibehalten will. Sein kurzes Editorial Vessels aus dem Jahr 1955 liest sich wie eine Polemik gegen einen derartigen (nicht nur bei Orthodoxen anzutreffenden) emotionalen Traditionalismus. Gegen einen solchen ästhetisch oder gefühlsbetont motivierten Traditionalismus, den Metropolit Eulogius bei vielen Russen nach den Revolutionswirren neu erwachen sah und als typisch russische Verhaltensweise guthieß, obwohl er selbst mit einem Unverständnis gegenüber dem Sachgehalt der Riten und Symbole rechnete, wendet Florovsky ein, daß es ein fatales Mißverständnis des orthodoxen Gottesdienstverständnisses sei, wenn man von der Lehre absieht und diese dem religiösen Empfinden alternativ gegenüberstellt. "Es ist wirklich ärgerlich, daß es in verschiedenen Zirkeln und Gruppen der heutigen orthodoxen Gesellschaft so wenig Interesse für 'dogmatische Systeme', ja für die Lehre der Kirche gibt, und daß 'Frömmigkeit' so oft gewaltsam vom 'Glaubensinhalt' (faith) getrennt wird [...] Symbole und Riten sind Mittel (vehicles) der Wahrheit, und wenn sie bei der Vermittlung der Wahrheit versagen, hören sie ganz einfach auf zu funktionieren [...] Es ist ein blankes Vorurteil, das sich nicht Orthodoxen Quellen verdankt, daß 'Lehren' abstrakt seien und 'Theologie' ein Intellektualismus. Unser Herr und Heiland ist der Logos, und Er erleuchtet alle Menschen; und der Heilige Geist, der Lebensspender, ist der Geist der Wahrheit. 'Emotionen' sind menschliche Stimmungen, die Wahrheit aber ist Göttlich." (Vessels 3f = CW ΧΙΠ,169ί). - Es sei an dieser Stelle noch bemerkt, daß Archimandrit Chrysostomos und Priestermönch Auxentios in ihrem Nachruf auf Florovsky mit dem programmatischen Titel A Tragedy of Orthodox Theology gerade diese Betonung der Verständlichkeit der Wahrheit in der orthodoxen Traditon als Wurzel der "Tragödie" seines Lebens ausmachen, da sie zur Trennung von "Verstand und Herz" und damit zu einer "unbekannten Orthodoxie"' geführt habe (241). 362 Darauf macht zurecht bereits K.Chr.Felmy: Deutung 393 aufmerksam. Aller-
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"In der Östlichen Tradition wird die Einheit von Lehre und Gottesdienst stark betont. Die Lehre wird hier nicht so sehr im Hörsaal gelehrt, denn als Lehre im Tempel proklamiert - die Theologie spricht mehr von der Kanzel als v o m Katheder." 363 Gerade dies aber verleiht theologischen Aussagen einerseits notwendig einen existentiellen Charakter3®4. Theologie kann in rechter Weise, w i e bereits im 3. Kapitel knapp dargestellt wurde, nur auf dem Hintergrund gelebter Glaubenserfahrungen im Raum der Kirche betrieben werden. Zugleich aber soll andererseits diese behauptete Einheit von Gottesdienst und Lehre verhindern, daß letztere sich im Raum freischwebender Spekulationen verliert. "Wahre Theologie kann nur aus einer tiefen liturgischen Erfahrung hervorkommen. Sie muß erneut, wie es zur Zeit der Väter gewesen ist, ein Zeugnis der Kirche sein, die anbetet und predigt, und sie muß aufhören allein eine Lehrübung für Kuriosität und Spekulation zu sein. Dieser liturgische Ansatz ist immer das spezifische Kennzeichen der orthodoxen Kirche gewesen."365 dings begründet er diese These nicht mit der Wesensstruktur der Anamnese, sondern mit der ebenfalls bei Florovsky zu findenden These, daß sich der christliche Hellenismus in der orthodoxen Liturgie und Ikonenmalerei deutlicher erhalten habe als in anderen Äußerungen des Glaubens: "Damit ist auch schon das Programm einer neuen Wertung der Göttlichen Liturgie als Quelle der liturgischen Erkenntnis angedeutet, wenn sich in ihr neben der Ikonenmalerei der ursprüngliche Kirchenväter-'Hellenismus' besser erhalten hat als in anderen Äußerungen des Glaubens. Wird aber die Göttliche Liturgie zur Quelle theologischer Erkenntnis, dann wird auch die Grenze zwischen theologischer Abhandlung und Liturgiekommentar notwendig fließend." (ibid.) Am deutlichsten ist dies in den Aufsätzen Evcharistija und (von Felmy leider nicht berücksichtigt) Eucharist, deren Liturgiezitate zu verifizieren, eine lohnende Aufgabe wäre, um zu belegen, wie stark Florovsky mit Zitaten aus der Liturgie dogmatisch-theologisch argumentieren kann. Erstaunlicherweise enthalten seine speziell dem Thema Gottesdienst gewidmeten Aufsätze Worship, Worshipping und Elements dagegen nur spärliche Liturgiezitate, was sich evtl. mit einer anderen Leserzielgruppe erklären läßt. 363 Elements 53 = CW XI 11,86. Cf ibid.: "Es ist eine plausible Hypothese, daß das Wort Orthodoxie' in seinem Östlichen Gebrauch nicht zuerst 'rechte Meinung' (wie es normalerweise im Westen interpretiert wird) sondern vielmehr 'rechte Verherrlichung', d.h. rechter Gottesdienst, bedeutet." Cf auch K.Chr.Felmy: Deutung 2: "Nehmen wir ausnahmsweise einmal das Wort 'Liturgie' im westlichen Verständnis, dann wird deutlich, daß Orthodoxie und Liturgie im Verständnis der Väter und der neueren östlichen Theologie nahezu identisch sind." 364 Cf Elements 53 = CW ΧΠΙ.86 365 Legacy 70. Ähnlich auch in Ethos 17: "Vom Leben in Christus [d.h. vom Leben in der Kirche] losgelöst eignet der Theologie keine Überzeugungskraft, und die Theologie kann, wenn sie vom Glaubensleben getrennt ist, leicht zu leerer Dialektik degenerieren, zu vergeblicherpolylogia ohne jegliche spirituelle Konsequenz. Patristische Theologie war immer in entschiedener Glaubenshingabe verwurzelt." Ausgeführt 235
Der Hinweis auf die Väter ist in diesem Zusammenhang nicht zufällig, denn die "gesamte Struktur der Östlichen Liturgie, im umfassenden Sinn des Wortes, ist noch immer durch und durch patristisch."366 Gerade das aber bewahrte die Kirche in ihrer Geschichte davor, daß die von Florovsky mit dem Begriff der Pseudomorphose367 bezeichneten Deviationen der Theologie von der überlieferten Wahrheit die Kirche selbst von der Wahrheit abbringen konnten. Die Kontinuität und Beibehaltung der alten Liturgien hielt die Kirche bei der dogmatischen und unverfälschten Wahrheit der Alten Kirche und sicherte damit zugleich die Identität der Botschaft über die Jahrhunderte hinweg.368 Für Florovsky ist der Gottesdienst damit unabdingbares Zeugnis für die Botschaft vom Christusereignis. Er kann bezogen auf seinen Gegenstand nicht mehr vermitteln und bezeugen als die Schrift, tut dies jedoch auf eine die Möglichkeiten des Schriftlichen übersteigende Weise zusätzlich in rituellen Handlungen, Bildern und Symbolen. Insofern diese aber immer anamnetischen Charakter haben, ist der Gottesdienst geschichtlich orientiert und gefüllt. Er ist, wie Florovsky besonders herausstellt, eine Form von Theologie, nämlich kerygmatische Theologie369. Wohl um damit anzuzeigen, daß es hier um eine den Menschen unmittelbar betreffende, ansprechende und beteiligende370 Theologie geht, wählt er diesen Begriff in Abgrenzung von der anderen Form, der dogmatischen Theologie.371 Diese hat diesen Ansatz dann der Schüler Florovskys, A.Schmemann. Cf neben seinen anderen einschlägigen Veröffentlichungen besonders seinen programmatischen Aufsatz Liturgy and Theology. 366 Ethos 21. Cf auch Legacy 67: "Patristische Lehre ist in der Orthodoxen Kirche weit mehr als eine verehrungswürdige Tradition lang vergangener Zeiten. Wie sie es immer gewesen ist, ist sie noch immer lebendig in der liturgischen Praxis der Kirche. Sie bildet die normale Atmosphäre des täglichen Gottesdienstes." 367 Zu diesem Begriff O.Spenglers und seiner Verwendung durch Florovsky cf u.6. 368 So die Kernthese Florovskys in seinem theologiegeschichtlichem Werk Puti. Cf dort z.B.505 (engl.II 293). Er hat diese These häufig wiederholt. Ci z.B. Einflüsse 228f, Ethos 21. 369 In Holy Spirit 12 bezeichnet Florovsky diese Form der Theologie noch als 'charismatisch', verwendet aber in dem ein Jahr zuvor, 1931, veröffentlichten Aufsatz Offenbarung, 470, der an dieser Stelle wörtlich mit Holy Spirit übereinstimmt und somit Vorlage (oder Übersetzung?) desselben ist, bereits den dann auch in Corps 46 und späteren Aufsätzen verwendeten Begriff 'kerygmatisch'. 370 Cf Holy Spirit 12: Der Mensch ist zum Zeugnis berufen, "zu kreativer Aktivität, vor allem zur Ausbildung seines eigenen Selbst. Gottes Wort muß in der Wirklichkeit menschlichen Denkens evident werden." Zur Bestimmung des Menschen zur kreatürlicher Aktivität cf u.7.4 und 8. 371 Die von Florovsky vorgenommene Unterscheidung zwischen kerygmatischer
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unterscheidet sich darin von der kerygmatischen Theologie, daß sie in definierten Begriffen und denkerischer Verantwortung das aussagt, w a s in und durch die kerygmatische Theologie zwar ebenfalls verständlich und klar, aber dennoch unscharf und in einer das Sein, die Erfahrung des Glaubenden unmittelbar treffenden Weise geschieht. 372 Florovsky äußert nun die Überzeugung, daß die Kirche bei der vordogmatischen kerygmatischen Theologie nicht verharren konnte, weil sie einerseits, historisch gesehen, in Auseinandersetzungen um den Glauben verwickelt wurde, die dogmatische Präzisierungen notwendig machten. Andererseits aber, und das ist entscheidender, wird das ganze menschliche Sein, also auch das denkerische Vermögen des Menschen durch die Gemeinschaft mit Christus verändert 373 und sucht deshalb auch in dogmatischen Kategorien einen adäquaten Ausdruck. Dennoch ist auch die kerygmatische Theologie, der christliche Gottesdienst "selbst zu einem großen Teil dogmatisch - ein als Gottesdienst vollzogenes Zeugnis (worshipping witness) für die Wahrheit der Offenbarung." 374 Darum ging es Florovsky bei der Darlegung seines Verständnisses von Gottesdienst. Und wenn er anschließend zur Erörterung des Zeugnisses und dogmatischer Theologie entspricht nicht der oben genannten basilianischen Unterscheidung, die sich auf eine verschiedene Übermittlungsart der Botschaft - hier sakramental, da öffentlich - bezog. Florovsky dagegen unterscheidet in Hinsicht auf die Sprache der Theologie: hier in Bildern und Symbolen, dort in logischer Deduktion (cf Offenbarung 470). 372 Leider überläßt es Florovsky seinen Lesern an dieser Stelle, seinen Aussagen einen präzisen Sinn zu geben. Ausgehend von der symbolischen Ausdrucksweise der kerygmatischen Theologie meine ich, daß das von Florovsky Intendierte auch mit dem das Wesen des Symbols gut beschreibenden Begriff H.Otts von der "unkonturierten Konkretheit" (Ott 565) wiedergegeben werden kann. Jedes Symbol hat seine spezifische Nuance und Konkretheit und vermittelt so einen klaren Wirklichkeitseindruck, dennoch ist es ihm wesentlich, an seinen Rändern unscharf zu sein und sich so gleichzeitig einer genauen Bestimmung und Erklärung zu entziehen. Gerade darin, in diesem letztlich unsagbaren, wohl aber erfahrbaren 'Mehr an Wirklichkeit', das die eigene Wirklichkeitserfahrung intensiviert, liegt das Wesen des Symbols - und wohl auch dessen, was Florovsky mit dem Begriff 'kerygmatische Theologie' etwas unklar zu beschreiben versucht. 373 Cf Holy Spirit 13: "Es gibt eine vordogmatische Periode der Bewußtheit der Kirche; die dafür gewählte Sprache ist die der Symbole und Bilder. Danach aber kommt die Zeit des dogmatischen Zeugnisses. Denn die Wahrheit des Glaubens ist auch Vernunftwahrheit, und das Denken muß 'in die Kenntnis der Wahrheit' [Hebr 10,26] eintreten. Dabei wird sie schöpferisch verändert (transfigured), - der Bereich des Denkens wird verändert, geheiligt und erneuert." Cf auch Palamas 107. 374 Elements 53 = CW ΧΠΙ,86 237
der Dogmen für die Botschaft kommt, so stellen diese dennoch keine höhere, sondern eine andere Stufe religiöser Erfahrung oder religiöser Ausdrucksweise dar. "Das Dogma setzt die Erfahrung voraus, und nur in der Erfahrung des Glaubens und der Schau erfüllt und belebt es sich...Und nochmals: die Dogmen erschöpfen diese Erfahrung nicht [...] Erfahrung und Wissen der Kirche sind umfassender und gefüllter als ihr dogmatisches Wort [...] Anders ausgedrückt, die 'dogmatische' Theologie kann die 'kerygmatische' Theologie weder ablösen noch ersetzen."375
3. Das Dogma Für Florovsky sind Dogmen einerseits abgeleitete, die Glaubenserfahrung bezeugende Sätze, andererseits aber gehören sie selbst elementar zur Erfahrung der Gegenwart Gottes im Glauben hinzu, da es einen Glauben ohne Dogmen nicht geben kann. Florovsky zitiert als Beleg dieser These zustimmend S.Bulgakov: '"Wer einmal Christus, seinem Erlöser auf seinem persönlichen Weg begegnet ist und seine Gottheit gespürt hat, der hat im selben Moment alle fundamentalen christlichen Dogmen angenommen - die Jungfrauengeburt, die Inkarnation, die Wiederkunft [wörtl.: Wiederkunft in Herrlichkeit], die Sendung des Trösters, die Heilige Trinität.' (S.Bulgakov, Undying Light [= Svet]; Moskau 1917,57) Dem möchte ich [sc.Florovsky] hinzufügen: Oder aber er ist Christus nicht begegnet oder hat ihn überhaupt nicht erkannt.'"376
Grund für die Annahme eines prinzipiell dogmatischen Glaubens ist die dem Glauben wesentliche Gemeinschaft mit Christus, die den ganzen Menschen verändert. Florovsky lehnt die Gegenüberstellung von Glaube und Vernunft ab, da der Glaube das Denken des Menschen ebenso verändert wie sein übriges Sein.377 Das Dogma sucht deshalb nicht nach abstrakten Vernunftwahrheiten, sondern formuliert nur das, was bereits im Glauben als Wahrheit gegeben wurde. "Der Glaube als reale Theophanie und reale Theosis ist seinem Wesen nach definierend und dogmatisch. Der Glaube ist Erfahrung, Gottesoffenbarung: und deshalb behauptet der Glaubende mit Freimut: 'Dies ist der wahre Glaube'..." 378 Damit aber ist die in der Kirche 375 Offenbarung 475 376 Holy Spirit 16. Diese zustimmende Äußerung zu seinem theologischen Widerpart in Paris belegt erneut (cf.o.2.2.1), daß Florovsky zwischen der von ihm skeptisch beurteilten Sophiologie S.Bulgakovs und anderen Äußerungen dieses Theologen sehr wohl zu unterscheiden wußte. 377 Cf Corps 47 378 Dva Zaveta 158
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vermittelte Gegenwart Christi die Voraussetzung dogmatischen Redens, das die eine Wahrheit so bezeugt, daß die Gläubigen darin ihre Erfahrungen ausgedrückt wiederfinden können.379 Dies bedeutet allerdings keineswegs, daß dogmatisches Reden nur die Aufgabe von Einzelnen ist. Insofern der Glaube als Gemeinschaft mit Christus den ganzen Menschen umgestaltet, gilt: "Die Vernunft ist zur Gotterkenntnis berufen. Das 'Philosophieren' über Gott ist nicht nur eine Äußerung des Forschungstriebes oder irgendeiner vermessenen Neugierde; im Gegenteil: es ist die Erfüllung der religiösen Berufung und Pflicht des Menschen [...] das Denken geht in das 'Verständnis der Wahrheit' ein und wandelt sich dadurch um."380 Florovsky bezeichnet die dogmatische Theologie deshalb wiederholt als "Funktion der Kirche", die allen Gliedern am Leib Christi obliegt.381 Dabei geht es nicht um die Ausdrücklichkeit des Glaubens im Medium der "natürlichen Vernunft", sondern um "die Anpassung der Vernunft an die Notwendigkeiten des offenbarten Glaubens, die Umformung und Umgestaltung des Verstandes"382. Dennoch ist dogmatische Theologie nicht der Glaube selbst, sondern nur Zeugnis für die Botschaft, ein Zeugnis allerdings, dessen Wesen seine existentielle Dimension ist, die sich der Verankerung in der Erfahrung verdankt.383 "Dogma ist Gedanke (thought), Bezeugung der Offenbarung, dessen, was er gesehen, was ihm geoffenbart wurde, des Sichtbaren und in katholischer Erfahrung Medi-
379 Cf Corps 10: "Die Wirklichkeit der Kirche ist immer die unentbehrliche Grundlage des ganzen dogmatischen Gebäudes; man könnte sagen: seine existentielle Basis." 380 Offenbarung All 381 Cf z.B. His Church 163 = CW XIV,11 oder das bei Th.Bird: In memoriam 349 wiedergegebene Florovskyzitat: "Theologie wird in der Kirche praktiziert und vervollkommnet. Theologisches Studium und theologische Interpretation sind die Funktion der Kirche." 382 Corps 47. Hierin sieht Florovsky auch einen Anhalt dafür, daß man der patristischen Theologie nicht vorwerfen könne, sie habe dem Christentum den Hellenismus als fremde Kategorienwelt übergestülpt und es dadurch verfälscht. Vielmehr habe das Christentum den Hellenismus zu seinen Zwecken verändert und so den spezifischen christlichen Hellenismus geschaffen. Cf ibid. und u.6. 383 Cf Ethos 17: Der existentielle Charakter patristischer Theologie bestand nach Florovskys Auffassung darin, daß sie immer "'verkündigende' ('kerygmatic') Theologie war, auch wenn sie logisch zusammengestellt und durch intellektuelle Argumentation erhärtet war." Demnach ist die Theologie "nicht selbst ein Ziel, sondern immer nur ein Mittel. Die Theologie schafft nicht mehr als einen 'intellektuellen Umriß' der geoffenbarten Wahrheit, ihre 'verstandesmäßige' Bezeugung. Nur im Glaubensvollzug wird dieser Umriß mit lebendigem Inhalt gefüllt." (Ethos 18)
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tierten. Und dieses Zeugnis wird in Definitionen und Entwürfen (conceptions) ausgedrückt. Dogma ist Erfahrungssatz, die 'geistige Schau', wahre Besinnung (contemplation). Wir können es auch das 'logische Bild', die 'logische Ikone' der Göttlichen Realität nennen."384
Dogmatik kann deshalb nicht durch logische Deduktion gewonnen werden, sondern geht der geistlichen Erfahrung nach, wie sie sich in der Kirche mitteilt. Florovsky betont, daß Dogmatik erst durch geistliche Übungen, Gebet und Meditation zur wirklichen Tiefe des Geschauten und in der Dogmatik Beschriebenen vordringen kann. Das gilt in gleicher Weise auch für das Eindringen in die theologische Wahrheit tradierter Dogmen. "Dogmen des Glaubens sind Erfahrungs- und Lebenswahrheiten - deshalb können sie nicht durch logische Synthese oder Analyse ausgelegt werden, sondern einzig durch geistliches Leben, durch wirkliche Teilhabe an der Fülle der kirchlichen Erfahrung."385 Insofern sie aber einzig die Wahrheit der einen Botschaft bezeugen wollen, enthalten Dogmen auch keine neuen Offenbarungen. Vielmehr ist ihr einziger Zweck, die begriffliche Erfassung des Geglaubten. Aus dieser Bestimmung ergibt sich für Florovsky zwingend, daß man von einer Entwicklung der Dogmen nicht sprechen kann. Der Gehalt jeden Dogmas ist die Offenbarung in Christus. Die aber bleibt sich gleich. "Der ganze Sinn des Dogmas liegt darin, daß es ausgesprochene Wahrheit ist [...] Deshalb waren die dogmatischen Kämpfe ein Streit um Worte."3*6 Dennoch sind diese Kämpfe wichtig, da die gefundenen Worte die Wahrheit selbst bezeugen und, wegen ihres bezeugenden Charakters, selbst heilig geworden sind. "Und daß die Glaubenswahrheiten sich in logische Bilder und Begriffe hüllen, zeugt von der Umwandlung der Sprache und des Denkens - die Worte werden dadurch heilig."387
384 Holy Spirit 12 385 Holy Spirit 14 386 Offenbarung 471. Florovsky Ablehnung der These einer dogmengeschichtlichen Entwicklung findet sich bereits in Dva Zaveta 157 und wird auch dort christologisch begründet. Cf auch Vaters Haus 35 (engl.73): "Es kann keine dogmatische Entwicklung geben, denn Dogmen sind keine theoretischen Axiome, aus denen sich stufenweise und konsequent sozusagen 'Theoreme des Glaubens' herausschälen. Dogmen sind 'Gott wohlanstehende' Bezeugungen des menschlichen Geistes für das Geschaute und Erfahrene." 387 Offenbarung 473. Cf auch Holy Spirit 13: "Wenn Göttliche Wahrheit in menschlicher Sprache proklamiert und ausgedrückt wird, werden die Worte selbst transfiguriert [...] Worte werden heilig. Die Worte dogmatischer Definitionen, häufig dem gewöhnlichen philosophischen Vokabular entliehen, sind nicht länger einfache, gewöhnliche Worte, die durch andere hätten ersetzt werden können oder noch ersetzbar wären. Nein, sie sind zu ewigen, unersetzlichen Worten aufgestiegen." Zweifellos geht Florovsky mit
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Die Sprache der Dogmen ist nach Florovskys Auffassung unveränderbar, eben weil sich in ihr die ewige Wahrheit ausspricht. Da die Grunddogmen der Kirche aber zur Zeit der Alten Kirche ausgesprochen wurden, ist die christliche Sprache schlechthin eben die der Alten Kirche, die des christlichen Hellenismus. Florovsky scheint in Holy Spirit und Offenbarung ein bestimmtes Zeugnis, die Dogmen der Alten Kirche, mit der Botschaft selbst zu identifizieren. Doch wird sein Anliegen erst dann richtig erfaßt, wenn man seine späteren Aussagen hinzuzieht: "Nun ist das Dogma gleichsam ein intellektueller Umriß der geoffenbarten Wahrheit und nicht an sich [!] bedeutungsvoll, sondern nur in Verbindung mit einer Glaubenstat und in bezug auf die Gesamtheit der Glaubenserfahrung der Kirche. Tatsächlich sind Dogmen nur für Gläubige bedeutungsvoll ."388 Anders gesagt, Dogmen können nur dann Ausdruck der Erfahrung des Glaubens sein, wenn die Gläubigen in diesen Dogmen die Erfahrung der Kirche entdecken können, d.h., wenn die Dogmen der geschichtlichen Struktur der Erfahrung des Glaubens Ausdruck geben und diesen selbst vermitteln. Ein Dogma, das allgemeine abstrakte Wahrheit wird, kann die lebendige Christuswirklichkeit der Kirche nicht mehr beschreiben. Florovsky wendet sich deshalb dagegen, Dogma mit abstrakter Lehre, die mit dem Leben und der Erfahrung nichts zu tun hat, gleichzusetzen. "Selbstverständlich müssen Dogmen gelebt und nicht allein durch abstraktes Denken festgestellt werden. Aber genau aus diesem Grunde ist es abwegig, nicht Lehre, sondern Leben zu fordern. Diese Einstellung einer diesen singulären Aussagen über das selbst gesetzte Ziel hinaus, denn mit dieser These wäre der Wortbestand der Dogmen "heiliger" als selbst die Worte der Heiligen Schrift, bei denen sich Florovsky explizit gegen die Heiligkeit des Buchstabens und die damit einhergehende Versklavung durch ein derartiges Verständnis der Inspiration - hier ist an Litteralinspiration zu denken - ausgesprochen hat, weil so die wesenhafte Geschichtlichkeit der Offenbarung verleugnet würde (cf 0.5.4.2.1). 388 Art.Tradition 1471. Cf auch Interpretation 28 (dt 196f): "Es ist von äußerster Wichtigkeit, daß sich die Kirche ihr dogmatisches System niemals als eine Art Schriftersatz vorgestellt hat. Man muß beide nebeneinander halten - eine abstrakte [...] Darstellung der Hauptbotschaft im Glaubenskenntnis oder System, und alle Einzelurkunden in bezug auf das in der Offenbarung konkret Gegebene. Man könnte sagen: ein System und die Geschichte selbst." Insofern aber kann sich die Dogmatik nie von ihrer geschichtlichen Begründung ablösen bzw. verliert ihren die Wahrheit bezeugenden Charakter, wenn sie ungeschichtlich wird. In Corps 48 argumentiert Florovsky damit, daß die Dogmen nichtssagend werden, wenn sie vom "weiteren Rahmen der Lehre" getrennt würden. Damit bestätigt sich, daß Florovsky - explizit in seinen späteren, m.E. intentional auch bereits in denfrüherenAufsätzen -Heiligkeit der Dogmen weniger auf den Wortbestand, als auf ihren Inhalt bezogen wissen will.
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Trennung und Gegenüberstellung entstellt nur das' Leben' selbst. Man kann 'Spiritualität' und 'Theologie' nicht trennen."389 Würde man das eine vom anderen loslösen, so verlören beide ihren jeweiligen Inhalt. Spiritualität ohne Theologie ist fromme Emotion, Theologie ohne geistliche Erfahrung ist abgehobene Theorie und Spekulation. Wegen dieses Abhängigkeitsverhältnisses fordert Florovsky die Lehre und Erklärung der Dogmen, die in der liturgischen Praxis der Kirche verkündet werden.390 Dabei kann es sich jedoch nicht darum handeln, den Glauben voll ausdeuten zu wollen. "Für ein irrendes christliches Bewußtsein ist gerade dieses Streben nach einer logischen Ausschöpfung des Glaubens, nach einem quasi-Ersatz der lebendigen Gottesgemeinschaft durch eine lehrhafte religiös-philosophische Spekulation über das Leben charakteristisch." 391 Florovsky beharrt bei der Verankerung der Dogmatik in der lebendigen Erfahrung der Kirche, die größer ist und mehr umfaßt als dogmatisches Reden. Diese Differenz zwischen im Dogma formulierter und kirchlich lebendiger Erfahrung macht aber zugleich "auch die gesegnete [!] Existenz 'theologischer Meinungen' möglich" 392 . Das Theologisieren ist der auf das Dogma und die kirchliche Erfahrung notwendig bezogene, aber nicht verbindliche Versuch, die Erfahrung der Kirche zu bezeugen. 393 Die teilweise Gegensätzlichkeit dieser Versuche zeugt von der prinzipiellen Unabgeschlossenheit dogmatischer Erkenntnis, was allerdings nicht bedeutet, daß die Kirche nicht mehr weiß, als sie dogmatisiert hat. Vielmehr verweist sie genau damit auf die Geschichtlichkeit ihres eigenen Seins. So wie die Vollendung der Kirche und Geschichte noch aussteht und erst durch das Kommen Christi Wirklichkeit wird, so behauptet auch die Kirche nicht die Abgeschlossenheit ihres Zeugnisses und faßt ihr Wissen nicht in einem logischen System zusammen, sondern "bezeugt vieles, was keine abgerundete dogmatische Bezeichnung hat und in Verbindung steht mit einer noch im Werden befindlichen, aber noch nicht verwirklichten Heiligung der Welt."394 Rechtes dogmatisches Wissen bleibt somit als ein die Erfahrung 389 Vessels 3 = CW XIII,169 390 Cf Vessels 4 = CW XIII, 170 und Patristics 238. 391 Vaters Haus 37 {Dom 81 (engl.75)) 392 Ibid. 393 Cf Vaters Haus 39 {Dom 82 (engl.76)): '"Theologische Meinungen' sind präliminare Urteile über die unaussprechliche Fülle des Lebens, die sich der Erfahrung der Gebetsgemeinschaft der Kirche eröffnet." Aus diesem Grund haben auch die sogenannten 'symbolischen Bücher' der orthodoxen Kirche nach Florovskys Meinung nur bedingte Autorität und sind keineswegs verbindlich. Cf Ethos 12. 394 Vaters Haus 40 {Dom 84 (engl.78)). Florovsky bezieht dies z.B. auf die theologische Rede von den Eschata, während die Kirche Sachverhalte, die "mit dem
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des gegenwärtigen Christus bezeugendes Reden der Realität der Zeit verhaftet. Wird diese Bindung an die geschichtliche Erfahrung übersehen oder negiert, dann wird dieses Reden ungeschichtlich und damit letztlich doketische "Theologie", die die Realität der Inkarnation und des fortwährenden geschichtlichen Wirkens Christi verneint. Florovsky faßt dieses dem dogmatischen Reden eigentümliche geschichtlich begründete Spannungsverhältnis zusammen, indem er schreibt: "Nicht alles, was die Kirche weiß und verkündet, wird dogmatisch bekannt, obgleich in ihrer wachsenden und sich verwirklichenden Erfahrung alles gegeben ist, in der Kirche, die unveränderlich und untrennbar bei ihrem Haupte, Christo, bleibt."395 Damit hat Florovsky das Geheimnis der Kirche, das Geheimnis Christi als Grund für die Unabgeschlossenheit der Dogmatik angeführt. Diesem Geheimnis versucht der Glaube zu entsprechen, weshalb auch die den Glauben bezeugende Dogmatik methodisch dieser Einsicht Rechnung tragen muß. "Der Gehalt des Glaubens ist und bleibt ein Geheimnis. Deshalb ist man immer gezwungen, kataphatische Theologie durch apophatische zu kontrollieren."396 Darin liegt der eigentliche Grund für Florovskys Insistieren auf der Unabgeschlossenheit des dogmatischen Zeugnisses der Kirche: Christus ist größer als diese. Er bleibt ihr Herr und Gegenüber und ihr damit letztlich immer entzogen. Die Heilige Schrift, die Gottesdienste und die dogmatische Theologie sind menschliche Versuche der Bezeugung der Botschaft, die allein dadurch gelingen können, daß Christus sich durch seinen Geist in ihnen ausspricht und den Glauben bewirkt.397 Alle diese Zeugnisse können unter dem Begriff der Tradition zusammengefaßt werden: In ihr begegnet Christus den Menschen in konkreter personaler Weise. "Wir können tatsächlich sagen, daß Heilsplan in der Zeit [..] überhaupt nicht verbunden" sind, wie z.B. die Trinitätslehre.oder "schon enthüllt, offenbart und verwirklicht" wurden, wie z.B. die Lehre über Christi Person, klar im Dogma bezeugen kann (ibid.). 395 Vaters Haus 41 (Dom 84 (engl.78)). Ganz ähnlich äußert sich Florovsky in Holy Spirit 15: "Das Fehlen 'dogmatischer' Definitionen deutet nicht das Fehlen von Wissen an und autorisiert nicht vollkommene Zurückhaltung von jeder Beurteilung. Denn was uns nicht als Dogma ist uns als Erfahrung gegeben, die die Quelle dogmatischer Definitionen der Kirche ist." 396 Corps 48 397 Florovsky unterscheidet in Corps 48 drei Stufen der Annahme der göttlichen Botschaft: Zuerst war Christus und die von ihm gegründete Kirche, die für ihn Zeugnis ablegt und so Glauben bewirkt. Dieses mündliche Zeugnis wurde in einer zweiten Stufe mit der Verkündigung in Form der Heiligen Schrift und der Gottesdienste vereinigt - das, was Florovsky etwas unglücklich 'kerygmatische Theologie' genannt hat. Schließlich gibt es die Form der dogmatischen Aussage, die die göttliche Botschaft bezeugt.
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wir, wenn wir die Tradition annehmen, durch Glauben unseren Herrn annehmen."398 Florovsky hält demnach die Frage nach den Quellen des Glaubens für eine falsche Fragestellung, da es nur eine Quelle des Glaubens gibt: Christus selbst. Wollte man hier Zeugnisse gegeneinander ausspielen oder in eine Rangfolge bringen, würde man ihr Wesen verkennen. Sie sind nur Zeugnisse, aber nicht die Sache selbst. "Die Quelle ist eine, aber die Formen des Zeugnisses sind verschieden und vielfältig. Und das einzige Kriterium ist die Kirche selbst in ihrer Fülle oder vielmehr der ganze Christus, totus Christus, caput et corpus."3"
Es ist der eine Christus, der die Identität der Botschaft über die Zeit hinweg sichert und bewahrt, indem er sich in seinem Leib durch den Geist vergegenwärtigt und in Gestalt menschlicher Zeugnisse zueignet, die kraft der Inkarnation zu Trägern der göttlichen Botschaft haben werden können, die dem übergeschichtlichen Gott angemessen sind. Wie aber, so ist in einem zweiten Schritt zu fragen, kann man wahre und falsche Zeugnisse unterscheiden? Wer bestätigt und bewahrt die Wahrheit der Botschaft in der Kirche? 5.4.3 Zeugen der Wahrheit der Botschaft Florovskys These, in den Zeugnissen der Tradition eigne sich Christus selbst zu, könnte zu der falschen Annahme führen, als sei die Wahrheit der Botschaft entweder nur subjektiv festellbar und damit, als Konsequenz dieser Vermutung, beliebig. Diese Konsequenzen sind falsch, da einerseits Wahrheit in Florovskys Theologie immer die personale Begegnung mit Christus meint und damit konkret ist, und andererseits die Kirche als Leib Christi im Besitz der Wahrheit ist und dieser Gestalt verleiht, die faßbar und beschreibbar ist. "Die christliche Wahrheit wird in der Kirche und durch die ganze Kirche bewahrt."400 Diese These in ihren konkreten Auswirkungen zu explizieren, ist Aufgabe dieses Kapitels. 1. Die ganze Kirche Wenn Florovsky in diesem Zusammenhang von der 'ganzen Kirche' als Bewahrerin der Wahrheit spricht, dann meint er damit grundsätzlich alle Glieder des Leibes Christi. "Der Glaube wird somit weder allein durch das 398 Catholicity 47. Cf 0.5.4.1. 399 Corps 49 400 Corps 49
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von der christlichen Gemeinde (peuple) isolierte und getrennte geistliche Amt, noch durch die vom geistlichen Amt losgelöste oder gar sich ihm widersetzende Gemeinde bewahrt und geschützt."401 Insofern der Heilige Geist in den Gläubigen gegenwärtig ist, verbürgt er ihnen die Wahrheit der Botschaft, so daß sie selbst zu Hütern der Wahrheit werden. Allerdings ist die Bewahrung der Wahrheit nicht identisch mit der Autorität, die Wahrheit verbindlich zu bezeugen und zu lehren. "Die Wahrheit wird vom ganzen Leib geschützt, aber nur das priesterliche Amt ist autorisiert, authentisches Zeugnis abzulegen, die Authentizität des Zeugnisses hat ihre Grundlage in der charismatischen Kontinuität der Kirche, die genaugenommen durch die hierarchische Sukzession garantiert wird."402 Die Schutzfunktion der Wahrheit gegenüber kommt der ganzen, aus Geistlichen und dem Kirchenvolk bestehenden Kirche demnach in dem Sinn zu, daß sie die Wahrheit bewahren und vor Mißbräuchen schützen darf und muß.403 Indem sich die Gläubigen der Katholizität der Kirche vergewissern, bleiben sie bei der Wahrheit und verfügen darin über ein Kriterium, mit dem sie sich falscher Lehre oder Botschaft widersetzen können. Dennoch hat die Kirche in der Gesamtheit ihrer Glieder nicht das Recht, offiziell und damit verbindlich darüber zu befinden, was die wahre Lehre ist. Dies kann allein Aufgabe des geweihten Amtes sein, da ihm kraft apostolischer Sukzession die direkte Verbindung zu der Lehrvollmacht gegeben ist, die den Aposteln zu Pfingsten vom Geist verliehen worden ist. Allein in diesem Punkt unterscheidet sich der Bischof von anderen Christen. Was aber ist materialiter unter der Katholizität zu verstehen, die das Kriterium rechten und falschen Zeugnisses sein soll? Florovsky kommt in diesem Zusammenhang häufig404 auf die berühmte Formulierung aus dem Commonitorium des Vinzenz von Lerin zu sprechen, 401 Corps 50. Florovsky zitiert an dieser Stelle das Sendschreiben der Östlichen Patriarchen von 1848 und aus dem Katechismus Filaret Drozdovs. - Es ist an dieser Stelle an die Ausführungen in 5.3.4zu erinnern: Das geistliche Amt ist nur in Verbindung mit der Gemeinde tatsächlich apostolisches Amt, wie es andererseits auch zur wesenhaften Struktur der Kirche gehört, in sich nach Charismen differenziert zu sein. 402 Corps 50 403 Daß Florovsky dies keineswegs als eine der Gemeinde gemachte Konzession versteht, wird an seinem theologiegeschichtlichen Werk Puti sofort deutlich, wenn man sich die dort den Gemeinden zugeschriebene Bedeutung bei der Bewahrung der wahren Lehre der Kirche trotz aller offiziell vertretenen Pseudomorphosen der Kirchenlehre und des Kirchenlebens vor Augen hält. 404 So in Ethos 15; Function 73f; Scripture 293; Catholicity 51ff; Palamas 106; Offenbarung 477f und Corps 50f. Ich beziehe mich im folgenden auf die ausführlichste Darstellung in Catholicity.
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die er in seinem Sinn interpretiert: In ipsa item Catholica Ecclesia magnopere curandum est ud id teneamus quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est.405 Florovsky weist zuerst darauf hin, daß dieser Satz kein empirisches Kriterium sein kann, weil einerseits unklar ist, wen man zu den omnes zählen soll, und andererseits eine Mehrheit noch keineswegs notwendig die Wahrheit vertreten muß. Vielmehr belegt die Kirchengeschichte, daß Häretiker quantativ wie auch von der geographischen Verbreitung her (ubique) häufig in der Mehrheit, aber dennoch im Unrecht waren. Auch lassen sich die Begriffe semper und ubique nicht auf die Glaubensbekenntnisse der Kirche beziehen. "Denn keine der dogmatischen Definitionen erfüllt im strengen Sinn die Forderung eines semper und ubique."406 Das gleiche gilt für eine Beschränkung auf den Buchstaben der apostolischen Schriften, da diese, wie gezeigt, nur in und durch die lebendige Tradition der Kirche verstanden werden können. Florovsky kommt aus diesem Grund zu dem Urteil: "Es scheint so, als sei der vinzentische Kanon ein Postulat historischer Simplifikation und schädlicher Primitivität."407 Dies gilt zumindest dann, wenn man die im vinzentischen Kanon genannten Adverbien empirisch zu verifizieren sucht. Dennoch gibt es nach Florovskys Meinung ein Kriterium, das die Unterscheidung von wahrem und falschem Zeugnis ermöglicht: die Berufung auf die Katholizität der Kirche. Diese ist empirisch nicht greifbar und auch nicht in bestimmten Texten kodifiziert, sondern ist die dem Gläubigen gegenwärtige innere Qualität der Kirche in Gestalt ihrer Tradition. Ihr eignet aufgrund des zeitübergreifenden Wesens der Katholizität wahre ubiquitas. "Diese Tradition wurde niemals unterbrochen, auch wenn es oft nicht leicht war, exakte, den spezifischen Bedürfnissen einer bestimmten Zeit angepaßte Formulierungen zu geben. Die charismatische Tradition ist wahrhaft katholisch: in ihrer Fülle umgreift sie alle Arten von semper und ubique."m
Nicht eine äußerliche Autorität, die dem einzelnen imponiert wird, entscheidet über die Wahrheit, sondern die gelebte Katholizität der Kirche überwindet den Gläubigen zur Wahrheit, die sich empirischen Fesseln entzieht, weil sie als Gegenstand des Glaubens unsichtbar (Hebr. 11,1) ist.409
405 Vinzenz von Lerin: Commonitorium primum.,2 PL L,640 406 Catholicity 52 407 Ibid. 408 Corps 51 409 Cf ibid. Es ist deutlich, daß Florovsky zwar einerseits von der Schau Gottes z.B. in sakramentalen Handlungen der Kirche schreiben kann, davon aber sehr wohl die Erfahrung der Gegenwart Gottes selbst, der unsichtbar ist, abzusetzen weiß.
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Die Katholizität ist somit Unterscheidungskriterium für wahres und falsches Zeugnis. Beachtet man die theologische Begründung der Katholizität der Kirche, so bedeutet dies letztlich nichts anderes, als daß sich der Geist der Wahrheit selbst als wahrmachender bestätigt und dazu keiner äußeren Autorität bedarf, da er die freie Zustimmung des Einzelnen zur Wahrheit will.410 "Letzte Unterscheidung zwischen wahr und falsch geschieht im Raum der Kirche [...und] wird nicht durch Konzile oder durch irgendeine andere offizielle Autorität hergestellt. Vielmehr wird sie erkannt und durch Autoritäten verkündet."411 Diese innere Katholizität der Kirche als Kriterium der Wahrheit zu bewahren und zu bewähren, ist die Pflicht der ganzen Kirche in allen ihren Gliedern. Nur so ist die Kirche in ihrer Gesamtheit Zeugin der Wahrheit der Botschaft.412 Wie sich dies konkret auswirken kann, soll an den folgenden Unterpunkten erläutert werden. 2. Die Väter Für Florovsky bildet die Katholizität der Kirche das Ziel, das der einzelne für sich verwirklichen soll und kann.413 Aber nicht jeder erreicht das Maß an innerer Katholizität, das ihn befähigt, diese zeitübergreifende Katholizität der Kirche unter Absehung von individuellen und damit zeitgebundenen Interessen auszudrücken. Die, die dieses Ziel erreicht haben, werden 'Väter der Kirche' genannt. Sie erfüllen das zweifache Kriterium wahrer Katholizität: Sie verzichten auf Selbstdarstellung und bringen den consensus patrum und damit die Katholizität der Kirche zur Sprache.414 Und dennoch
410 Cf 0.5.3.3 411 Corps 50. Die Aufnahme des erst später so bezeichneten Sofornos/'Gedankens A.S.Chomjakovs (cf z.B. W.J.Birbeck: Russia and the English Church 94f) durch Florovsky ist an Sätzen wie diesen offenkundig. 412 Cf Catholicity 53. An einem praktischen Beispiel läßt sich das Gesagte gut verdeutlichen: Als sich Florovsky 1959 von orthodoxem Standpunkt aus über das angekündigte II. Vaticanum äußerte, nutzte er diese Gelegenheit, das ganze orthodoxe Kirchenvolk angesichts der bevorstehenden Reformen im römischen Katholizismus zu einer Reflexion über ihren eigenen Glauben aufzufordern. Dies könne nicht allein Aufgabe der Hierarchen und Theologen sein, sondern sei Aufgabe der ganzen Kirche (cf Konzil 174 (engl.204)). 413 Cf 0.5.3.3 und Holy Spirit 14: "Katholizität ist eine gewisse Haltung des Selbstbewußtseins, das Maß und das Ziel (limit) geistlichen Wachstums. In dieser katholischen Umgestaltung wächst die Persönlichkeit zur Vollkommenheit und erhält die Fähigkeit und Kraft, das Bewußtsein und Leben des Ganzen zu füllen und auszudrücken." 414 Dieses doppelte Kriterium nennt Florovsky in Authority 102f.
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sind die Kirchenväter nicht nur historische Zeugen, die man zitiert, um die eigene Meinung zu belegen. Für Orthodoxe "sind die Väter nicht nur große historische Persönlichkeiten einer entlegenen Vergangenheit, sondern auch lebendige Glieder der großen Gemeinschaft, in der die Gläubigen aller Zeiten untrennbar verbunden sind in dem Einen Herrn, d.h. im Leib Christi, welcher die Kirche ist."415 Dementsprechend ist die Lektüre von Väterschriften nicht nur Lektüre alter Traditionen, sondern personale Begegnung mit Zeugen für die Wahrheit.416 Das Zeugnis der Väter aber ist insofern wahr, als es z.T. in systematisierter Form oder für die jeweilige konkrete geschichtliche Situation das zu sagen versucht, was die Verkündigung der Apostel gewesen ist. "Die Väter bezeugen die Apostolizität der Tradition [...] die dogmata der Väter sind wesentlich dasselbe 'einfache' kerygma, das einst von den Aposteln vorgetragen und niedergelegt worden ist, ein für allemal."417 Insofern aber wurde es, als seit Mitte des zweiten Jahrhunderts die Unmittelbarkeit des apostolischen Zeugnisses abnahm418, Praxis in der orthodoxen Theologie, sich sowohl auf die Apostelbotschaft wie auch auf die Botschaft der Väter, die erstere versuchte auszulegen, zu beziehen. "Dieser zweifache Bezug, zugleich zum Ursprung und zur unfehlbaren und beständigen Bewahrung [des Glaubens durch die Väter], verbürgte die Authentizität des Glaubens."419 Dabei ist zu beachten, daß die Väter damit nicht zu einer "Quelle" neben der Schrift wurden, denn sie wurden zu damaliger Zeit nur deshalb 415 Oxford 1955 62. Florovsky berichtet eine Seite vorher von seiner Beobachtung, daß sich diese Überzeugung auch unter nichtorthodoxen Patristikem verbreite und man in den Vätern dementsprechend "lebende Zeugen für die Wahrheit" sehe. CiPredicament 43f: "Historische Kenntnis ist keine Kenntnis von Objekten, sondern umgekehrt die Kenntnis von Subjekten - von 'Co-Personen', von 'Mit-Partnern' auf der Suche nach Leben. In diesem Sinne ist historische Erkenntnis existentielle Erkenntnis und muß es sein." 416 Cf Palamas 106: '"Den Vätern folgend'... Dies ist kein Bezug auf irgendeine abstrakte Tradition in Formeln und Lehrsätzen. Vor allem ist es die Berufung auf heilige Zeugen. Ja, wir beziehen uns auf die Apostel und nicht auf eine abstrakte 'Apostolizität'." Cf Predicament 42: "Letzter Sinn einer historischen Untersuchung ist nicht das Feststellen gewisser objektiver Tatsachen wie Daten, Orte, Zahlen und Namen usw., auch wenn all dies unabdingbares Präliminarium ist, sondern die Begegnung mit lebenden Personen (beings)." 417 Ethos 16. Der Begriff dogmata ist hier im Sinne dessen zu verstehen, was Florovsky unter Dogma versteht. 418 Cf Authority 101: "Tradition erhielt die Bedeutung 'Weitergabe' (transmission) und nicht mehr 'Verkündigung' (delivery) [...] Es entstand das Problem treuer Zeugenschaft." 419 Authority 101
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'Väter', weil die Kirche in ihren Aussagen das in der Schrift niedergelegte Kerygma der Apostel wiederentdeckte. Ein Kirchenvater ist somit wesentlich und unabdingbar Zeuge. Ohne sein Zeugesein für die Wahrheit des apostolischen Kerygmas hat er keine Autorität. Andererseits muß die Autorität eines Vaters nicht durch eine andere Autorität, sei es einen Bischof oder ein Konzil, bestätigt oder proklamiert werden. "Im Gegenteil, sie selbst sind ihr Kriterium und sie können [ihre Autorität] beweisen [...] Die Auffassungen der Väter werden nicht durch formelle Unterwerfung unter eine äußere Autorität akzeptiert, sondern wegen der inneren Evidenz ihrer Wahrheit."420 Die Wahrheit der Väteraussagen ist somit nicht per se gegeben, sondern vermittelt sich durch den diese Aussagen in ihrer Katholizität bewahrheitenden Heiligen Geist. Angesichts der prinzipiellen Unbegrenztheit der Tradition wäre es folgerichtig, wenn Florovsky die Väter nicht einem bestimmten Zeitraum zuordnete, sondern die Entdeckung neuer Kirchenväter zumindest nicht ausschlösse. In Hinsicht auf die ökumenischen Konzile hielt er eine solche Fortentwicklung der Tradition für denkbar421, was darauf hinweist, daß er seinem dynamischen Traditionsverständnis Vorrang vor dem von ihm nie ausgesprochenen Gedanken einer zeitlichen Begrenzung des Corpus von Kirchenväterschriften422 gegeben hat. 3. Die Konzile Florovskys Kernthese, daß sich die Wahrheit selbst durchsetzt kraft der ihr innewohnenden Präsenz des Heiligen Geistes, wendet er in analoger Weise auf sein Verständnis der Konzile an, wobei er gleich am Beginn seiner Erörterungen festellt, daß, historisch gesehen, Konzile eher durch äußere Widrigkeiten erzwungene "Ereignisse als eine Institution" der Kirche gewesen sind und ihre eigentliche Bedeutung erst erlangten, als die durch den Bischof verkörperte Einheit der Ortskirche auch in größerem Rahmen 420 Catholicity 52f 421 Cf Vaters Haus 36f (Dom 81 (engl.74f)) 422 Florovsky hat sich weder für noch gegen eine derartige Begrenzung ausgesprochen. Aus seinem Traditionsbegriff, der, wie o. 5.4.1 gezeigt, verbietet, den Umfang der Tradition der Kirche zu begrenzen, da die Wahrheit Ereignisstruktur hat, und Tradition somit etwas lebendiges ist, folgt jedoch logisch die Ablehnung einer solchen Begrenzung. Ein impliziter Hinweis auf die Richtigkeit dieser Aussage ist, daß Florovsky anders als viele andere orthodoxe Theologen - Augustin, angeblich der Vater westlicher Theologie, als Kirchenvater der östlichen Tradition zurechnet. Cf Doctrine 156, Legacy 67 und E.Mascall/R. Williams: George Florovsky 70. Dennoch läßt sich nicht bestreiten, daß Florovsky in seinen eigenen Schriften zumeist auf die patristischen und z.T. auch auf die byzantinischen Väter rekurriert und so faktisch eine Begrenzung vorgenommen hat.
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repräsentiert werden mußte.423 Zentrales Anliegen und Ziel konziliarer Versammlungen war somit die Einheit der Kirche, die durch die gemeinsame Vergewisserung über die Identität der Tradition und die Übereinstimmung im Glauben hergestellt werden sollte, "weniger durch irgendeinen institutionellen Rahmen."424 Auch als nach der konstantinischen Wende die Versammlung von Bischöfen einer Region zu Reichskonzilien ausgeweitet wurden, kam es nicht zur Ausbildung einer Konzilstheorie. So wurden die Konzile nicht wegen irgendeiner "formalen kanonischen Kompetenz" anerkannt, sondern wegen ihres "charismatischen Charakters". "Durch die Führung des Heiligen Geistes haben sie die Wahrheit bezeugt in Übereinstimmung mit der Schrift und der überlieferten Apostolischen Tradition."425 Dementsprechend konnten die Konzile die Wahrheit auch nicht neu entdecken, sondern nur bestätigen, was die Kirche bereits als Wahrheit geglaubt und erfahren, aber noch nicht unbedingt formuliert hatte.426 Konzile sind also nicht iure divino und stehen, was ihre Autorität angeht, nicht über der Kirche. Vielmehr liegt umgekehrt die Autorität und Unfehlbarkeit der ökumenischen Konzile im Wesen der Kirche begründet.427 Sie erst bestätigt oder verwirft, wie die Kirchengeschichte zeigt, konziliare Beschlüsse, weil sie im Besitz der Wahrheit ist. Florovsky pointiert diese Auffassung, wenn er schreibt: "Streng genommen, brauchen wir keine ökumenische, allgemeine Versammlung und Abstimmung, um die katholische Wahrheit zu erkennen und auzudrücken; wir brauchen sogar keine 'Ökumenischen Konzile'."428 Die Konzile haben an sich keine eigene Autorität, sondern sind der Kirche nur als charismatische Ereignisse bedeutungsvoll.429 Inwiefern dies für alle Konzilsentscheidungen gilt, insbesondere dann auch für die Kanones, die nach Meinung Florovskys nicht ausschließlich zeitbedingte Verhaltensregeln sind, sondern zumindest von Lehraussagen beeinflußt wurden und insofern lehrhaften Charakter haben, muß hier offen bleiben. Die Problemanzeige zeigt jedoch, daß Florovskys 423 Authority 94 424 Authority 95. Florovsky bezieht sich explizit auf G.Kretschmars Untersuchung Die Konzile der Alten Kirche. 425 Authority 96 426 Cf Corps 51: "Die Ökumenischen Konzile sind beredte Zeugen [...der Wahrheit...] Die Konzile entdeckten die Wahrheit nicht, denn sie war nie verloren gegangen, vielmehr wurde sie dort erneut erkannt und feierlich proklamiert." 427 Florovsky verweist an dieser Stelle (Authority 96) auf H.Küng, der unbewußt Ergebnisse V.Bolotovs erneuert hat. 428 Catholicity 52 429 Cf Authority 103: "Es handelt sich um charismatische Autorität, gegründet auf dem Beistand des Geistes: denn es erschien dem Heiligen Geist und uns angemessen"
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Konzilstheorie eminent praktische Konsequenzen haben kann und damit A.S.Chomjakovs Gedanken verarbeitet.430 4. Das lehrende Amt Die Wahrheit des Zeugnisses der Botschaft wird durch den Geist verbürgt, der sich in und durch Zeugen ausprechen kann. Insofern ist die ganze Kirche ecclesia discens, lernende Kirche, die durch den Geist der Wahrheit unterrichtet wird.431 Insofern der Geist die Wahrheit verbürgt, das bischöfliche Amt aber durch die apostolische Sukzession in direkter Verbindung zum Geist steht, das "verewigte Pfingsten" repräsentiert, ist es Aufgabe und Pflicht des bischöflichen Amtes, die Wahrheit vollmächtig zu lehren und zu bezeugen. "Das Recht und die Vollmacht zu lehren, die Kraft zu wahrhaftigem Zeugnis basiert nicht auf irgendeiner persönlichen Eignung, nicht auf Gelehrsamkeit, nicht einmal auf persönlicher Frömmigkeit, sondern auf einem besonderen Charisma, das zur Auferbauung der Kirche bestimmt wurde."433 Es ist das charisma veritatis certum434, das der Heilige Geist den Aposteln übergab und das sich in der apostolischen Sukzession des Bischofsamtes fortsetzt. Als Gabe des Geistes aber verdankt es sich nicht der Beauftragung durch die Gemeinde. Die Lehre oder Tradition der Kirche ist damit nicht allein menschliche Tat, sondern der Ausdruck der beständigen Gegenwart des Geistes435 und damit testimonium veritatis, dessen Wesen kraft der sich in ihm kundmachenden zeitübergreifenden Katholizität der Kirche es ist, zugleich testimonium antiquitatis zu sein. Insofern kann Florovsky zum einen die Vollmacht zur Lehre und zum Zeugnis mit der Tradition identifizieren und zum anderen diese Vollmacht als "Funktion der Katholischen Fülle der Kirche" bezeichnen.436 Beide Bestimmungen entscheiden über die konkrete Ausführung dieser Vollmacht durch das bischöfliche Amt. 430 Cf Doctrine 153f,159. Zu A.S.Chomjakov cf WJ.Birbeck: Russia and the English Church 94f und W.Nyssen: Handbuch 323ff. 431 Cf Corps 52 432 Corps 37. Cf o. 5.3.4. 433 Corps 52 434 Florovsky bezieht sich mit diesem Begriff wiederholt (So in Function 78, Palamas 106, Corps 52, Ethos 15 u.ö.) auf Irenäus: Adv.haereses IV,26,2 PL VII, 1053f (Angabe in Ethos ist zu korrigieren): qui cum episcopatus successione charisma veritatis certum [...] acceperunt. 435 Cf Function 79. S.a. Ethos 16 bzw. Palamas 106, die an dieser Stelle wörtlich miteinander übereinstimmen. 436 Pentecost 195
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Insofern die Lehrvollmacht des Episkopats eine Funktion der Kirche ist, wird diese durch den consensus ecclesiae begrenzt. Nur was die ganze Kirche als wahres Zeugnis erfahren hat, kann vom Bischof als solches bezeugt werden. In diesem Sinn kann es zwar freie Meinungsäußerung und Neuformulierungen, nicht aber grundsätzlich neue Lehren geben. Hier ist der Bischof an die Katholizität der Kirche verwiesen und durch sie gebunden.437 Insofern die apostolische Sukzession aber die Bischöfe mit den Bischöfen aller Zeiten in der Kraft des Geistes vereint, die geschichtliche Relativität einer jeweiligen Epoche übersteigt und so die Kirche zu ihrer katholischen Fülle vereint, lebt die Lehrautorität der Bischöfe von einer doppelten Kontinuität. Zum einen weiß sie sich in Übereinstimmung mit dem spirituellen Leben der ganzen Kirche, da dieses von den Bischöfen gestaltet wurde. Andererseits weiß sie sich auch, was die Lehre angeht, in Übereinstimmung mit der Fülle der Kirche, so daß theologische Forschung "über den Geist unserer Zeit hinauswachsen und in die Fülle der Wahrheit eintreten"438 kann. Die apostolische Sukzession sichert so die Katholizität der Kirche. Allerdings bedeutet dies nicht, daß jeder Bischof automatisch die Wahrheit vertritt, "kraft seiner Ordination und Würde, oder daß er sie ohne Beratung und Gemeinschaft mit der Kirche, außerhalb derer er alle 'Vollmacht' verliert, entdecken kann."439 Dementsprechend müssen die Laien ihr Zeugnisrecht wahrnehmen und für die Wahrheit eintreten. Ersetzen aber können sie den Bischof nicht, da er das mystische Zentrum j eder Gemeinde bildet, indem er Christus repräsentiert. "Das Recht zur eigenen Meinung und zur Beratung [des ungebildeten Bischofs] ist allen übertragen, aber die 'Lehrvollmacht' ist ausschließlich der Hierarchie anvertraut - selbstverständlich in der soborny [sie.] Gemeinschaft, die nicht zerissen werden kann."440 Anders gesagt: Vertritt der Bischof die Wahrheit der Kirche, ist er 437 Cf ibid. 438 Pentecost 196 439 Pentecost 199. Im Consensus Ecclesiae überschriebenen Anhang zu Pentecost, der auf das Verhältnis von Gemeinde und Bischof und auf die ökumenische Problematik nochmals erläuternd eingeht, stellt Florovsky die Bezogenheit des Zeugnisses der Gesamtkirche und des Episkopates sehr deutlich heraus, was jedoch nicht zu der Annahme verführen darf, Florovsky gestehe die Lehrautorität auch Laien zu. "Die Stimme der Laien muß im Orthodoxen Chor gehört werden. Leiter des Chores kann jedoch nur der Bischof sein." (Pentecost 200) Dies gilt auch, wenn es nur wenige gebildete Bischöfe und damit gute Lehrer der Kirche gibt (ibid.). 440 Pentecost 200. Florovsky bezieht sich erneut auf den Sobornost '-Gedanken A.S.Chomjakovs und der ihm folgenden russischen Denktradition. Cf dazu R.Slenczka: Ostkirche und Ökumene 61ff und 125ff.
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also episcopus in ecclesia, wird er zum Symbol ihrer katholischen Einheit, so daß man dann auch umgekehrt sagen kann ecclesia in episcopo.441 Nur kraft dieses repräsentierenden Charakters haben Bischöfe die Autorität, in persona Christi zu sprechen, die ihnen als charisma veritatis verliehen wurde. Für das Kirchenvolk bedeutet dies ein prinzipielles Recht und, insofern es ebenfalls Zeuge der Wahrheit ist, zugleich die Pflicht, den Aussagen eines Bischofs zuzustimmen oder aber diese abzulehnen. "Es gibt ein Widerstandsrecht in der Kirche."442 Dieses Recht kann allerdings nicht im Namen der eigenen Meinung wahrgenommen werden, sondern nur in wahrgenommener Verantwortung für die Katholizität der Kirche und damit im Geist der Liebe, die "nicht Meinung gegen Meinung stellt, sondern alles im Licht der ganzen katholischen Tradition beurteilt."443 Florovsky setzt also auch in dieser heiklen Frage nicht auf äußere Autoritäten, sondern vertraut der Selbstdurchsetzungskraft der Wahrheit, die identisch ist mit der Kraft des Geistes selbst.444 Betrachtet man nun abschließend Florovskys Aussagen zu den Zeugnissen und den Zeugen der Botschaft, so bleibt festzuhalten, daß ihnen allen nur insofern Autorität zukommt, als sich in und durch sie der Heilige Geist Christi ausspricht und zueignet, wie er in der Kirche gegenwärtig ist. Eine andere Art von Autorität, der sich der Gläubige zu unterwerfen hätte, lehnt Florovsky ab. Seine Theologie ist freiheitlich orientiert. Dennoch könnte man ihm angesichts dieser Beschreibung der Kirche und ihrer Bezeugung der Botschaft vorwerfen, der Tatsache, daß in der Kirche sündige und irrende Menschen handeln, nicht in ausreichender Weise Rechnung zu tragen und damit die Dinge zu optimistisch zu beurteilen. "Wir geben dies ausgesprochen gern zu," schreibt er dazu und beschließt damit seine Ausführungen zur Identität der Botschaft. "Das ist Optimismus, wahrer christlicher Optimismus, voller Hoffnung und auf dem expliziten Versprechen des Höchsten Hirten ruhend: et portae inferi non praevalebunt adversus eam. Das ist eschatologischer Optimismus, wenn man so will."445 Er richtet sich weniger auf die Verheißung, daß sich am Ende der Zeiten die 441 Cf Corps 52f. Ohne daraufhinzuweisen nimmt Florovsky hier ein Wortspiel aus Cyprians Epistola 66,8 CSEL 111,2 733,5 (Angabe korrigiert) auf. 442 Corps 53. Cf auch Pentecost 195f. 443 Corps 53 444 Betrachtet man diesen hermeneutischen Ansatz einmal als Auslegung zu Luthers berühmter These, die Heilige Schrift sei sui ipsius interpres (WA 7,97,23), wird man schnell Übereinstimmungen feststellen. 445 Corps 53
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Wahrheit offenbaren wird und alle Irrtümer vergehen, sondern basiert auf der Tatsache, daß die Kirche der Leib Christi ist, in dem der Geist der Wahrheit west. Die Kirchengeschichte zeigt, daß der Prozeß der Wahrheitsfindung häufig sehr schwierig und turbulent verlaufen ist, daß es zu Schismen gekommen ist, und sich ganze Gruppen aus der Katholizität der Kirche ausgrenzten. Dennoch "bleibt die Kirche Christi mit Hilfe des Heiligen Geistes unfehlbar, auch wenn sie zahlenmäßig abnimmt. Die wahre apostolische Sukzession kann nie unterbrochen werden, denn das wäre sozusagen ein Versagen von Pfingsten, was aber nie geschehen kann."446 Florovskys Vertrauen in die kirchliche Treue zur Wahrheit hat demnach seinen Grund in seiner christologisch konzentrierten Ekklesiologie. Da die Kirche als Leib Christi mit ihrem Haupt unlöslich verbunden ist und bleibt, hat hier die Wahrheit ihren irdischen Ort, der nicht überwunden werden kann - es sei denn, Christus würde sich von seinem Leib trennen, was unmöglich ist. Die Behauptung der beständigen Gegenwart Christi in der Kirche und damit zugleich auf der Welt ist Florovskys Ausgangspunkt für seine Darlegungen zu Zeugnis und Zeugen für die Botschaft. Sie ist zugleich, wie im Ansatz bereits deutlich wurde, die Grundlage seines Geschichtsbegriffs, der von der damit und in dieser Weise behaupteten Geschichtsmächtigkeit Gottes bestimmt ist. Damit rückt m.E. die Frage, wie die Kirchen die Geschichtswirksamkeit Gottes verstehen, ins Zentrum der ökumenischen Diskussion.447 Erst wenn sie beantwortet ist, lassen sich die Fragen nach Schrift- und Traditionsverständnis, nach Amt und Sakrament in ihrer Tiefe beantworten. Erst dann läßt sich entscheiden, wie Theologie getrieben werden soll.
446 Corps 54 447 K.Barth scheint dies deutlich gespürt zu haben, als er sich in seinem Brief an E.Thurneysen vom 2.7.1931 (unveröffentlicht; Original im Karl-Barth-Archiv-Basel) über Florovskys am 30.6.1931 in seinem Seminar gehaltenen Vortrag Offenbarung äußert. "Die Frage bewegte mich sehr, ob wir nicht vielleicht vor 10 Jahren Dostojewski in guten Treuen mindestens in wichtigen Stücken missverstanden haben, weil wir diese für ihn selbstverständlichen Hintergründe so nicht vor Augen hatten. Die Art, wie da gerade die Eschatologie eigentlich restlos enteschatologisiert wird, ist geradezu unheimlich."(S.2).
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5 . 5 Die eschatologische
Dimension
der
Kirche
A m Beginn eines Aufsatzes zur Eschatologie stellt Florovsky fest, daß bei der Auflistung ihrer klassischen Themen w i e z.B. Tod, Auferstehung, Jüngstes Gericht etc. meistens die Hauptsache fehlt, "nämlich: 'der letzte Adam', Christus Selbst, und Sein Leib, die Kirche. Denn die Eschatologie ist ja nicht nur ein Paragraph eines Christlich theologischen Systems, sondern vielmehr seine Basis und Grundlage, sein Leit- und Inspirationsprinzip, oder, besser, die Atmosphäre Christlichen Denkens. Das Christentum ist wesentlich eschatologisch, und die Kirche ist eine 'eschatologische Gemeinschaft'."448 D e n Begriff 'eschatologisch' möchte Florovsky deshalb auch nicht vornehmlich im Sinn von 'auf ein Ende bezogen' (final) verstehen, sondern eher im Sinn von 'letztgültig' und damit zugleich im Sinn von 'entscheidend' (dernier (ou d6cisif)). 449 Letztgültig und damit auch für die Welt entscheidend aber war die Offenbarung Gottes in Christus, die sich in der Kirche fortsetzt. Es ist deshalb nur konsequent, wenn Florovsky bei der Behandlung der Ekklesiologie immer wieder auf die in diesem Sinn eschatologische Dimension der Kirche zu sprechen kommt 450 und Konsequenzen für das Sein der Kirche in der Welt aufzeigt. Dieses Verständnis von 'eschatologisch' beinhaltet zugleich, daß Florovskys gesamte Theologie eschatologisch ausgerichtet ist, die Eschatologie somit "nur in der Gesamtperspektive des Christlichen Glaubens verstanden" und "nicht als abgelöster Glaubensartikel verhandelt werden kann." 451 Das aber bedeutet wieder-
448 PatAge 63 449 Cf Corps 23 450 Am deutlichsten ist dies in Corps, wo Florovsky die christologische Verankerung der Ekklesiologie (Corps 13-23; in vorliegender Arbeit 5.2) mit einem kurzen Hinweis auf die eschatologische Dimension abschließt (Corps 23f). Dies wiederholt sich am Ende der Darlegungen zur objektiven und zur subjektiven Seite der Katholizität der Kirche (Corps 24-30 bzw. 31-39; hier 5.3-5.3.2 bzw. 5.3.3f). Die gesamte Abhandlung endet schließlich nach den Ausführungen zur Identität der Botschaft (Corps 40-54; hier 5.4) mit einer zusammenfassenden Problemanzeige zum eschatologischen Sein der Kirche in der Welt. Daß die anderen ekklesiologischen Aufsätze Kirche, Responsibility und Church nicht in dieser Weise durchgeformt sind, aber dennoch auch in den auf die Eschatologie bezogenen Abschnitten teilweise mit Corps übereinstimmen, ergibt sich schon aus der literarkritischen Untersuchung dieser Arbeiten (cf o.5.1. Anm. 6). Dom bzw. Vaters Haus beschließt Florovsky ebenfalls mit einer der Eschatologie gewidmeten Passage, diesichjedochmitdergrundsätzlichen Unabgeschlossenheit und Vorläufigkeit theologischer Aussagen (cf dazu o. 3.4, 5.4.2(3.) und u.10.4) auseinandersetzt. 451 Last Things 245. Aus diesem Grund werden im dritten Hauptteil Ekklesiologie und Eschatologie als einander ergänzende und miteinander verschränkte Aspekte zur Erlösung der menschlichen Person gemeinsam verhandelt (cf u. Kap. 10). 255
um, daß diese Schlußgedanken zur Ekklesiologie das bislang Ausgeführte unter einem bestimmten Blickwinkel zusammenfassen können. Ansatz und der zentrale Gedanke der Ekklesiologie Florovskys ist die Definition der Kirche als Leib Christi, die in der Rede vom totus Christus ihren begrifflichen Ausdruck findet. Da die Kirche durch Christus begründet und durch seine beständige Gegenwart am Leben erhalten wird, handelt es sich in Hinsicht auf ihren Konstitutionszusammenhang "nicht nur um eine menschliche Gesellschaft, sondern vielmehr um eine' göttliche Gesell schaft' [...], die ihrem Wesen nach [...] 'dem kommenden Äon' angehört."452 Aber trotz dieser ihr wesentlichen Ausrichtung auf die Zukunft der Herrlichkeit Gottes und von ihr her bleibt die Kirche zugleich eine sichtbare Gemeinschaft von Erlösten und Sündern.453 "Die Spannung zwischen Gegenwart und Zukunft hat in der Kirche einen anderen Sinn und einen anderen Charakter als unter der alten Heilsordnung. Denn Christus ist nicht mehr nur der Kommende, er ist auch der, der da war und deshalb auch der Gegenwärtige."454 Insofern lebt die Kirche in zwei Dimensionen zugleich: sie ist noch immer unterwegs, in via, zur Herrlichkeit Gottes, aber zugleich hat sie im sich vergegenwärtigenden Christus schon Anteil an dieser Herrlichkeit, ist sie in patria.455 Aus diesen ersten Aussagen zur eschatologischen Dimension der Kirche, die aus dem Zusammenhang von Christologie und Ekklesiologie folgen, ergeben sich die übrigen. Wird die Kirche als Ort der Gegenwart Christi bestimmt, so ist dabei entscheidend, daß diese Gegenwart das irdische Sein der Kirche nicht negiert oder vernichtet, sondern ihm "neue Bedeutung und neuen Wert zumißt"456 und es damit rechtfertigt. In der Kirche und durch sie geschieht die Verwandlung der Welt, denn sie erinnert nicht nur an das Heil in Christus, sondern stellt dieses sakramentaliter dar.457 "In diesem Sinn gehört 452 Kirche 48 453 Cf Corps 23. Das Verständnis der Kirche als corpuspermixtum führt Florovsky leider nicht aus. Die christologische Konstitution der Kirche und der sich daraus ergebene eschatologische Optimismus überwiegen bei ihm deutlich mögliche Zweifel am irdischen Erscheinungsbild der Kirche. 454 Interpretation 35 (dt 204) 455 Florovsky beschreibt den eschatologischen Stand der Kirche immer wieder durch dieses augustinische Begriffspaar (cf Augustin: In Ioannis Evang. tr. 124,5 PL XXXV,1974), so z.B. in Pat Age 63ff, Corps 23. 456 Corps 23 457 Cf Corps 31. K.Chr. Felmy: Deutung 395f, macht darauf aufmerksam, daß Florovskys Verständnis der Eucharistie "in die Richtung einer kosmischen Eschatologie" weist. Cf dazu z.B. Evcharistija 18 (engl.55): "In der Eucharistie überschneiden und verbinden sich alle Seinsebenen: die kosmische, die menschliche und die der
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die Kirche bereits zur ewigen Ordnung"458 und "ist das lebendige Bild der Ewigkeit"459, so daß man in Hinsicht auf die Kirche zwar nicht von realisierter, wohl aber von antizipierter oder wie Florovsky von "eröffneter (inaugurie) Eschatologie" sprechen kann.460 Dieser Begriff soll präzisieren, daß das Heil in Christus in der Kirche geschichtlich gegenwärtig wurde und bleibt, zugleich in seiner alles und alle umfassenden Fülle aber noch aussteht. Mit anderen Worten, die Qualität der Gegenwart Christi auf Erden durch seinen Leib, die Kirche, d.h. die zeitumgreifende Katholizität, wird am Ende der Zeiten keine andere sein als bereits in der Zeit.461 Allein die Zahl der Glieder am Leib Christi wird gewachsen sein.462 Irdisches und damit zugleich geschichtliches Sein und die Gegenwart des übergeschichtlichen Heils widersprechen sich somit nicht, sondern gehen, wie es in der Person Christi Wirklichkeit geworden ist und sich in seinem Leib fortsetzt, eine spannungsvolle Einheit ein. Die Geschichte steht somit realiter im Zeichen der Eschatologie, was für das Selbstverständnis der Christen erhebliche Bedeutung hat. Denn damit ist die Kirche gleichsam als "Vorposten Gottes"463 auf der Welt zu verstehen. Sie wird als gottmenschlicher Organismus somit nicht nur von Gott begründet und erhalten, sondern immer auch an die Welt verwiesen zur Aufrichtung des Heils. Und nur so wird sie ihrem Wesen als Fortführung der gnädigen Inkarnation Gottes gerecht, nur so ist sie tatsächlich eschatologisch, denn "die wahre Botschaft des Christusereignisses (du Christ) ist ja gerade, daß sie [sc.Geschichte und Eschatologie] im Innersten geeint und verbunden sind."464 Die Kirche ist, um dasselbe mit anderen Begriffen auszusagen, zugleich in via et inpatria; sie ist zugleich ein corpus Seraphen. In ihr offenbart sich die Welt als ein wirklicher Kosmos, der einer und vereinigt ist, gesammelt und katholisch (sobrannyj i sobornyj)." 458 Corps 30 459 Vaters Haus 29 (.Dom 74 (engl.68)) 460 Cf Corps 30f 461 CiEphesians 95: "Auch die herrliche Kirche der zukünftigen Welt wird dieselbe Kirche sein, die Anfechtung, Bedrängnis und Sorge durchschritten hat, und sie wird in Gott fröhlich sein, denn sogar der auferstandene Christus hat noch immer eine Wunde an seiner Seite." Jede anderslautende Aussage würde alles zur Katholizität und Einheit der Kirche Gesagte zunichte machen und zugleich die Bedeutung der Geschichte für das Sein des Einzelnen negieren. Wenn Florovsky in Corps 31 von der Kirche dennoch als einem "regime provisoire" schreibt, so bezieht sich diese unpräzise Redeweise auf die äußere Gestalt, nicht aber auf das Wesen der Kirche. 462 Cf zu dieser aus Eph 4,13 erhobenen Vorstellung PatAge 66f u.10.4. 463 Interpretation 22 (dt 190) 464 Corps 40
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permixtum und Ort der Wirksamkeit Christi·, sie hat zugleich eine menschliche und eine göttliche Natur. Florovsky begründet den Handlungsauftrag der Kirche465 mit der grundsätzlichen christologischen Antinomie des Chalcedonense. Wird allerdings die Balance dieses 'zugleich' gestört, dann ergeben sich für das Handeln der Kirche in der Welt und ihr eigens Selbstverständnis gravierende Probleme, die sich an den Extremen des Hypereschatologismus und des Hyperhistorismus verdeutlichen lassen. Florovsky ordnet letzteren dem römischen Katholizismus und ersteren der protestantischen Kirche zu: Der Protestantismus habe, basierend auf einer minimalistischen Anthropologie, die vom Menschen nichts, von Gott aber alles erwarte466, jede Hoffnung auf eine Verwandlung der Welt ins Jenseits verlagert, was sich insbesondere in dem nur symbolischen Verständnis der Sakramente äußert. Der römische Katholizismus konzentriere sich demgegenüber ganz auf die irdische Erscheinung Christi, dessen Gegenwart nach der Himmelfahrt sie allerdings nur noch so denken konnte, daß sie sich im Papst als vicarius Christi manifestiere. "Der Papismus bezeugt ein fehlendes Gefühl für Christus in der Geschichte."467 Ein solches Gefühl für die tatsächliche Gegenwart Christi in der Geschichte hat aber auch die orthodoxe Kirche und Theologie nur dann, wenn sie die Balance zwischen den zwei Naturen, zwischen ihrem Sein in via et in patria bewahrt, was keineswegs immer der Fall gewesen ist.468 Diese Aufgabe gehört allerdings zum eschatologischen Wesen der Kirche, die die Zweiheit ihres Daseins nicht auflösen kann: sie gehört zur göttlichen Heilsordnung in gleicher Weise wie sie auch an die Welt zur Aufrichtung des Heils gesandt ist. Sie steht damit vor der paradoxen Aufgabe, das Heil Gottes in der sündigen Welt zu repräsentieren. Dieser Aufgabe gerecht zu werden, haben die Christen aller Zeiten immer wieder versucht und sind dabei immer wieder zu zwei "Lösungen" gekommen, die die wesentliche Spannung des Seins der Kirche letztlich auflösten und
465 Auf den Handlungsauftrag der Kirche wird erst in Kapitel 10 eingegangen, da vorerst nur die Grundlage der Theologie Florovskys erarbeitet wird. 466 Cf o. Einleitung zum 4.Kapitel. 467 Problematika 12. Zum Vorhergehenden cf ibid. 6ff. Daß derartige Schematisierungen immer zu groben Verkürzungen führen, bedarf eigentlich keiner Erwähnung und damit auch keiner Richtigstellung. Dennoch werfen derartige Aussagen ein interessantes Licht auf Florovskys Einschätzung der übrigen großen Konfessionskirchen z.Zt. (1933) sich anbahnender ökumenischer Kontakte. 468 In Corps 39f geht Florovsky, ohne seine Berechtigung prinzipiell zu bestreiten, sehr defensiv und deshalb wenig überzeugend auf den Vorwurf ein, die orthodoxe Kirche würde sich über die ecclesia militans zuwenig Gedanken machen.
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damit dem kirchlichen Sein nicht entsprachen. Florovsky hat diese beiden Modelle immer wieder unter dem Stichwort 'empire and desert' abgehandelt.469 Historisch betrachtet wurden beide "Lösungen" als der Wunsch nach einem christlichen Weltreich oder als der nach einer von der Welt geschiedenen Christenheit in der Abgeschlosssenheit der Wüste manifest. Beide sind spezifisch christlich. Denn die Vorstellung von einem christlichen Reich entspricht dem Auftrag der Kirche, allen Menschen das Heil in Christus nicht nur zu präsentieren, sondern sich auch um die Verwirklichung der Liebe Christi in allen Sphären der Gesellschaft zu kümmern. Diese Position legt damit einseitig Gewicht auf die menschliche Natur der Kirche. Umgekehrt ist die Abkehr von der sündigen Welt, die durch den Wunsch, das ganze Leben kompromißlos Christus zu weihen, motiviert ist und im Mönchtum in Ost und West gemeinschaftliche Gestalt angenommen hat, eine stärkere Gewichtung der in der Kirche erfahrenen Gegenwart Gottes. Trotz ihrer jeweiligen inneren Überzeugungskraft ist j ede hier getroffene Entscheidung wegen ihrer Einseitigkeit aber insofern letztlich ein Selbstwiderspruch, als in beiden Fällen das Sein der jeweiligen Erscheinungsform der Kirche eine der Kirche wesentliche Seite vernachlässigen muß. Konkret: der Rückzug in die Gemeinschaft idealen Christseins in der Abkehr von der Welt entspricht nicht dem universalen Heilsanspruch Gottes, ist nicht jedermann zumutbar und deshalb latent auf dem Sprung zum Sektendasein. Andererseits hat die theokratische Vorstellung meistens zu einer akuten Säkularisierung der Kirche geführt, so daß der Anspruch universaler Christlichkeit nominaler Anspruch bleiben mußte. Zwischenlösungen, die einen Ausweg aus diesem Dilemma suchen, wie z.B. die Unterscheidung zwischen praecepta und consilia, zwischen christlichen Verhaltensanforderungen erster und zweiter Kategorie sind für Florovsky ein unmöglicher Ausweg, da dann die wesentliche Einheit aller Christen und damit die Katholizität der Kirche abgestuft gedacht und so letztlich aufgelöst würde.470 Florovsky kommt angesichts dieser Alternative zu dem Ergebnis: "Die Trennung der zwei Wege ist unausweichlich. Christen scheinen gezwungen zu sein, verschiedene Wege einzuschlagen. Die Einheit des Auftrags der Christen ist zerbrochen [...] Letztendlich ist dies jedoch nur ein Symptom der grundsätzlichen Antinomie. Das Problem findet im Lauf der Geschichte keine Lösung."471
469 Am ausführlichsten 1957 in der historischen Abhandlung Antinomies. 470 Cf Antinomies 99 und zum Ganzen auch Corps 55ff. 471 Church 71
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Die "grundsätzliche Antinomie" ist das Geheimnis der Vereinigung von menschlicher und göttlicher Natur in dem Gottmenschen Christus, wie sie sich geheimnisvoll auch in der Kirche fortsetzt. Diese unauflösliche Spannung, die sich in den "geschichtlichen Antinomien"472 der Aufgabe der Kirche in der Welt auswirkt, ist somit mit dem Wesen der Kirche selbst gegeben und deshalb nicht zu lösen. Darin kommt aber präzise die eschatologische Dimension der Kirche zum Tragen, denn die Kirche ist zwar Ort der Gegenwart Gottes, aber doch erst als "Oase", "Zitadelle" und "Vorposten"473 in einer nichtchristlichen Umwelt. Das Ideal der Vollkommenheit der Erlösung steht noch aus. Dennoch gilt, was der Begriff der 'eröffneten Eschatologie' zu beschreiben versucht: "Der König ist gekommen, der Herr Jesus, und sein Reich ist im Kommen {est a venir)."474 Dieser Schlußsatz des Aufsatzes Corps, der sich ohne weiteres als Grundsatz der Ekklesiologie Florovskys verstehen läßt, fordert nun allerdings nicht dazu auf, sich entweder für die Lösung des Reiches oder die der Wüste zu entscheiden. Vielmehr gibt die Einsicht in diese Antinomie nach Meinung Florovskys ein Kriterium in die Hand, mit dem man zwar nicht konstruktiv Politik, sei sie kirchlich oder staatlich, christlich gestalten könnte, wohl aber irreleitende Utopien, denn darum handelt es sich in beiden Fällen, erkennen und vor ihnen warnen kann. Damit aber steht am Ende seiner Überlegungen zur Ekklesiologie implizit erneut der Gedanke der menschlichen Freiheit, die sich als Freiheit zur Unterscheidung bewähren soll. Florovsky kommt damit auf den Gedanken zurück, der seinen Ausführungen zur Identität der Botschaft zugrundelag: Die Wahrheit Christi zwingt niemanden, sondern sucht das freie Einverständnis. Darin allein liegt ihre Macht und Autorität. Darin erweist sie sich aber auch als die Macht des Gottes, der sich in Christus und seinem Leib, der Kirche, offenbart, weil er die Liebe ist und anderen an seiner Liebe Anteil geben will.
472 So die Überschrift zu diesem abschließenden Teil aus Corps. 473 Interpretation 22 (dt 190) 474 Corps 57
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6. Kapitel: Die neopatristische Synthese als Programm orthodoxer Theologie
In seinem Nachruf auf Florovsky schreibt A.Schmemann: "Er [sc.Florovsky] vermochte es nicht, das, was er mit' neopatristischer Synthese' als Ziel der theologischen Aufgabe der Orthodoxie meinte, zu verdeutlichen und zu erklären."1 Und auch Florovsky selbst schreibt noch 1963, daß die orthodoxe Theologie in einer Übergangsperiode stehe und noch nach ihrem eigenen Stil und ihrer Methode suche. "Man könnte das Ziel [!] als 'Neopatristische Synthese' bezeichnen."2 Er geht demnach davon aus, daß die orthodoxe Theologie, seine eigene eingeschlossen, dieses Ziel noch nicht erreicht hat. Zugleich aber betrachtete Florovsky bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Thessaloniki 1959 die Idee einer neopatristischen Synthese als das "Hauptmotiv meiner theologischen Arbeit"3. Diese Äußerungen bestätigen zwar den fragmentarischen Entwicklungsstand dieser Vorstellung, bedeuten nun allerdings nicht, daß es unmöglich wäre, das Programm der neopatristischen Synthese zu verdeutlichen. Wie Iwan A.Swiridow zurecht feststellt, entwirft Florovsky mit seinem Hauptwerk, den Puti Russkogo Bogoslovija aus dem Jahr 1937, nicht nur eine Gesamtschau der russischen Theologiegeschichte, sondern implizit auch "ein Programm für die russische Theologie unserer Tage"4, 1 A.Schmemann: In memoriam 133. Ähnlich auch der persönliche Freund und ausgewiesene Kenner der Theologie Florovskys G.H.Williams in einem Brief an mich vom 1.11.1983: "Ich sollte ergänzen, daß seine [sc.Florovskys] neopatristische Synthese in keiner Weise systematischer war als die Schriften der Kirchenväter! Sie war 'neo', insofern sie für modernes Denken zwingend war, aber nie eine systematische Struktur erlangte." 2 Art.Theologie 781 3 Torzestvo 21. Jeder der vier Ehrendoktoren war bei der feierlichen Verleihung gebeten worden, über eine zentrale Vorstellung seines Arbeitsgebietes kurz zu referieren. Daß Florovsky hier das spezifisch theologische Thema der neopatristischen Synthese und nicht ein historisches Thema gewählt hat, besagt viel über sein eigenes Selbstverständnis. 4 I.A.Swiridow: Wege 37. So auch Florovsky selbst in IzPisem (Florovsky an J.Ivask vom 16.11.1968) 51. Florovsky hat seine Gedanken zu einer zeitgemäßen orthodoxen Theologie u.a. im Schlußkapitel der Puti zusammengefaßt. Dieses Kapitel hielt er für so
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das zugleich seine Auffassung zu Möglichkeiten und Zielen von Theologie überhaupt darstellt. Ziel dieses Kapitels ist somit, auf dem Hintergrund des bislang Ausgeführten eine Annäherung an das von Florovsky Intendierte zu versuchen. Faßt dieser Abschnitt damit einerseits das bislang Gesagte in Hinsicht auf die Methodik orthodoxer Theologie zusammen, so muß auf diesen Begriff auch deshalb eingegangen werden, weil so der theoretische Horizont für das umrissen wird, was Florovskys eigene Theologie faktisch sein will und was zugleich sein Kriterium zur Beurteilung anderer Theologien ist. Schließlich ist dieser Begriff auch deshalb zu untersuchen, weil er heute auch von anderen Theologen programmatisch übernommen wird. Eine Analyse seiner Bedeutung im Denken Florovskys fehlt jedoch 5 .
6.1 Patristik
und
Katholizität
Der Begriff der 'neopatristischen Synthese' stellt vor Interpretationsprobleme, da Florovsky ihn nie umfassend erläutert. Was hier 'neu' 6 ist und bedeutsam, daß er es bereits kurz nach dem Krieg, 1949, in französischer Sprache erscheinen ließ (Voies) und eine Übersetzung dieses französischen Textes noch zu seinen Lebzeiten im vierten Band der CW Aufnahme fand, so daß mit Erscheinen der vollständigen Übersetzung der Puti (engl.I+Π = CW V und VI) zwei erheblich voneinander abweichende englische Übersetzungen des Schlußkapitels der Puti vorliegen. - Grundlage der folgenden Argumentation sind insbesondere dieses Schlußkapitel der Puti, Patristics und Ethos. 5 Knappe Darstellungen der Hauptanliegen der neopatristischen Synthese Florovskys finden sich bei Swiridow: Wege 37ff und Felmy: Die orthodoxe Theologie 76ff. 6 Leider ohne Beleg schreibt G.H.Williams, daß Florovsky ursprünglich nur von einer 'patristischen Synthese' gesprochen habe, diese aber, um sie von der vornizänischen Zeit abzugrenzen, dann 'neopatristisch' benannt habe. Williams kommt deshalb zu dem Schluß: "Florovskys 'neopatristische Synthese' bedeutet in erster Linie eine Neuerarbeitung der Väter des vierten bis achten Jahrhunderts" (G.H. Williams: Georges Florovsky, Am.Career 56). Seine Patrologien, die genau diesen Zeitraum umfassen, stellten damit den Entwurf einer neopatristischen Synthese dar (cf ibid.56f). Williams begründet diese These mit einem Zitat aus Florovskys Rezension eines Buches P.Florenskijs, in der dieser als "Mensch der vor-nizänischen Epoche", der auch bei Kenntnis der gesamtkirchlichen Tradition zur "Doppeldeutigkeit des 3.Jahrhunderts zurückkehren" würde, charakterisiert wird (Tomlenie Ducha 107). Zwar ist richtig, daß Florovsky in seinen russisch verfaßten Patrologien erst die Väter des vierten und der folgenden Jahrhunderte darstellt und das Bekenntnis von Nizäa, insbesondere aber dann das von Chalcedon für unabdingbare Wahrheiten der Theologie und kirchlichen Tradition hält. Nur so erklärt es sich, daß er die seiner Meinung nach im vornizänischen Denken verharrende Theologie Florenskijs für unzureichend hält. Dennoch ist die von Williams
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'synthetisiert' wird, bleibt vorerst offen. Deutlich ist jedoch, daß mit diesem Begriff ein erneuter Rückgriff auf die Patristik bezeichnet werden soll, was voraussetzt, daß diese zumindest für einige Zeit unbeachtet geblieben ist, und andere geistige Strömungen ihren Platz eingenommen haben. Genau dies glaubt Florovsky in der Analyse der russischen Theologiegeschichte beobachten zu können. Im Vorwort zu seinen Puti schreibt er: "Das Studium der russischen Vergangenheit weckte und festigte in mir die Überzeugung, daß ein orthodoxer Theologe in unseren Tagen nur in der Überlieferung der Väter einen zuverlässigen Maßstab und den lebendigen Quell schöpferischer Inspiration finden kann. Ich bin davon überzeugt, daß die geistige Abkehr von der Patristik und dem Byzantinismus die entscheidende Ursache aller Störungen und geistigen Rückschläge in der russischen Entwicklung gewesen ist."7
Diese Entwicklung läßt sich an der russsichen Geistesgeschichte gut demonstrieren, auch wenn die Ursache dieser Abkehr von den Wurzeln aller Theologie nicht spezifisch russisch ist. Die "russische Seele" erlag nach Ansicht Florovskys immer wieder zwei fundamentalen Versuchungen der Geschichte: Einerseits der "Versuchung zur Heiligsprechung des Gegebenen", die die Überzeugung suggerierte, man könne das Christentum innerweltlich vollendet realisieren, und andererseits der "Versuchung der pietistischen Tröstung", die dazu animierte, sich mit dem Gegebenen abzufinden und das individuelle Seelenheil zu suchen.8 Beiden Wegen gemeinsam ist ein falsches, nämlich letztlich fatalistisches Geschichtsverständnis, das "die Kategorie der Verantwortlichkeit aufhebt"9, und den Menschen als ein freies und deshalb für seine Geschichte verantwortliches Wesen nicht ernst nimmt. Die Geschichte der russischen Theologie ist unter dieser anthropologischen Voraussetzung10 weniger eine Tragödie russischer Kulturaufgrund der Aussagen Florovskys zu Florenskij gezogene Konsequenz, die neopatristische Synthese beziehe sich einzig auf die Väter des 4.bis 8. Jahrhunderts allein schon deshalb nicht haltbar, weil Florovsky sich klar gegen eine jegliche Begrenzung der kirchlichen Tradition ausgesprochen hat. Eine solche Begrenzung würde der Lebendigkeit der Tradition und damit zugleich der zeitumgreifenden Katholizität der Kirche widersprechen. Äußerlich gesehen kommt dies auch darin zum Ausdruck, daß die englische Ausgabe der Patrologien Florovskys in Byzantine Fathers V 15-118 und Byzantine Ascetic 17ff auch Abhandlungen über die vornizänische Epoche seit dem Neuen Testament enthalten. 7 Puti XV (engl.I, XVII). Bereits das erste Kapitel trägt den vielsagenden Titel "Die Krise des russischen Byzantinismus". 8 Die Zitate im Original Puti 502 (engl.11,289) jeweils gesperrt gedruckt. 9 Ibid. Im Original ebenfalls gesperrt. 10 In der Schöpfungslehre (Kap. 7) wird dieser anthropologische Grundsatz ausführlich begründet.
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geschichte, sondern insofern eine spezifisch christliche Tragödie, als die nicht wahrgenommene Freiheit, der fatalistische Umgang mit der Geschichte Ausdruck der Sünde und damit zugleich fehlender Gottesliebe ist. Florovsky interpretiert die theologischen Deviationen der russischen Geistesgeschichte deshalb theologisch: "Das ist die Tragödie gespaltener Liebe, mystischer Untreue und Flatterhaftigkeit. Es ist die Tragödie geistlicher Knechtschaft und Besessenheit."11 Da Besessenheit aber nur durch Buße und Reue überwunden werden kann, stehen diese am Anfang einer jeden Bemühung um theologische Wiedergeburt. Damit ist bereits angedeutet, daß die damit gestellte Aufgabe eines Theologen als eine geistliche Tätigkeit anzusehen ist, die wie andere geistliche Handlungen auch sachgerecht nur in der Kirche und im Rahmen ihrer Katholizität betrieben werden kann. Arbeitet die Theologie dagegen losgelöst von der kirchlichen Wirklichkeit, so hat dies, wie erneut die russische Geschichte exemplarisch zeigt, eine doppelte Konsequenz: Einerseits entsteht unter den Gläubigen eine tiefe Skepsis und letztlich Abneigung gegenüber einer ihre Glaubenserfahrung nicht ausdrückenden Theologie, die in eine gezielte Ignoranz münden kann und darin die dogmatische Struktur des Glaubens und der kirchlichen Erfahrung verfehlt. Andererseits sucht die Theologie, ihrer Verwurzelung in der kirchlichen Erfahrung verlustig gegangen, ihre Quellen abseits der unmittelbaren Erfahrung und damit in ungeschichtlichen Verallgemeinerungen oder moralischen Aussagen und wird so ihrer eigentlichen Funktion, die gemachte Glaubenserfahrung vernünftig zu durchdenken und zu beschreiben, nicht gerecht. Rechte Theologie und kirchliche Glaubenserfahrung aber bleiben aneinander verwiesen. "Wenn der Verstand seinen Stand im Herzen gefunden hat, und das Herz durch vernünftige Betrachtung zu begreifen beginnt ... Dann wird es einen Zugang zum Verstehen der Wahrheit geben."12 Bei der neopatristischen Synthese kann es damit nicht darum gehen, Traditionen anderer Kirchen für die orthodoxe Theologie zu übernehmen. Die nach Florovskys Meinung im Westen anzutreffende implizite Aufforderung, die Orthodoxen sollten entweder eine der Komplexheit westlicher Scholastik entsprechende Theologie entwickeln oder aber sich darauf beschränken, in archäologischer Manier die patristischen Aussagen zu wiederholen, übersieht nämlich einerseits, daß Tradition als depositum iuvenescens nicht schlicht zu repetieren ist, sondern kreativ angeeignet sein will.13 Andererseits kann sich die geistliche Tradition der orthodoxen Kirche 11 Ibid. 12 Puti 506 (engl.11,293) Im Original Hervorhebungen. 13 Cf Hellenism 10: "Traditionen können als wahre nur bewahrt werden durch
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im scholastischen Denken westlicher Prägung nicht wiedererkennen. Vielmehr führte die Übernahme von Denkmustern, die der kirchlichen Tradition fremd waren, zu den "Pseudomorphosen" der orthodoxen Theologie und Kirche. 14 Ihre eigene und die ihrer Erfahrung einzig angemessene Gestalt kann die orthodoxe Theologie aber nur gewinnen, wenn sie sich auf ihr Spezifikum besinnt: die in der Kirche lebendige katholische Tradition der Kirche, w i e sie sich trotz aller Deviationen der akademischen Theologie in der Liturgie erhalten hat und w i e sie in den Texten der Väter zu finden ist. 15 "Man muß die patristische Denkweise (mind) erneuern. Sonst setzt man sich der drohenden Gefahr aus, innerlich gespalten zu sein - zwischen der beständige schöpferische Anstrengung, wenn man durch und in ihnen lebt und sie nicht nur erinnert." Zur Aufforderung des Westens an die Orthodoxie cf Florovskys ironisierende Darstellung in Palamas 110. 14 Den ursprünglich der Geologie entstammenden Begriff der Pseudomorphose hat O.Spengler zur Bezeichnung bestimmter historischer Gegebenheiten fruchtbar gemacht: "Historische Pseudomorphosen nenne ich Fälle, in welchen eine fremde alte Kultur so mächtig über dem Lande liegt, daß eine junge, die hier zu Hause ist, nicht zu Atem kommt und nicht nur zu keiner Bildung reiner, eigener Ausdrucksformen, sondern nicht einmal zur vollen Entfaltung ihres Selbstbewußtseins gelangt. Alles, was aus der Tiefe eines frühen Seelentums emporsteigt, wird in die Hohlform des fremden Lebens ergossen; junge Gefühle erstarren in ältlichen Werken, und statt des Sichaufreckens in eigener Gestaltungskraft wächst nur der Haß gegen die ferne Gewalt zur Riesengröße." (O.Spengler: Untergang des Abendlandes 260. Anwendung findet der Begriff bei ihm in zwei Sonderfällen der Geschichte: beim erwachenden Russentum und bei der von ihm so benannten 'Magischen Kultur'.) - Florovsky modifizierte diese Definition: "Eine 'Pseudomorphose' kann da eine Art Schisma der Seele werden, wo eine fremde Sprache oder ein anderer Symbolismus aus zwingenden Gründen als Mittel angenommen wird, sich selbst auszudrücken." (Movement 181). Die Definitionserweiterung war notwendig, weil die von ihm als Pseudomorphosen der russischen Theologie- und Geistesgeschichte bezeichneten Vorgänge nicht durch Überlagerung durch eine ältere Kultur zustandekamen, sondern maßgeblich durch ein Versagen der Träger der alten byzantinisch-hellenistischen Tradition, die zu bereitwillig die zumeist westlichen Neuerungen übernahmen und sich so von den Wurzeln ihrer Tradition entfernten, obwohl in der kirchlich liturgischen Praxis das alte Erbe lebendig blieb (cf Puti 505f (engl.11,293)). Florovsky verweist immer wieder auf dieses Phänomen: In der russischen Originalausgabe der Puti erstmals auf S.49, in der in diesem Abschnitt ausführlicheren englischen Übersetzung erstmals in Puti (engl.1,37) und mit einer präzisen Definition ibid. 77 (fehlt im russischen Original) u.ö. sowie z.B. auch in Ethos 21, Einflüsse 229f, Legacy 68-70, Art.Orth.Theol. 780. 15 Cf Ethos 21f, Einflüsse 229 und Puti 506 (engl.II, 294): "In der geistlichen Erfahrung gab es keinen Bruch und, was die russische Frömmigkeit angeht, scheint sie fast archaisch. In der Theologie aber war der patristische Stil und die Methode verloren gegangen." 265
'traditionellen' Form der 'Frömmigkeit' und der nichttraditionellen Form des Denkens [...] Durch nichts anderes kann die Integrität orthodoxer Existenz bewahrt und gesichert werden." 16 Mit dem Begriff der neopatristischen Synthese steht für Florovsky demnach nicht nur eine methodische Frage, sondern ein existentielles Problem zur Diskussion. Wer orthodox fromm sein will, kann nur dann in rechter Weise Theologie treiben, wenn er diese orthodoxe Frömmigkeit bedenkt, die im wesentlichen die Gestalt patristischer Theologie hat. Spezifikum patristischer Theologie aber war es, immer soteriologisch ausgerichtet und damit existentiell relevant zu sein.17 Man kann deshalb die Tradition der Väter weder als "archaische Lebensart und Haltung noch als nur verehrungswürdiges Relikt" betrachten, sondern muß sie verstehen "als eine existentielle Einstellung, als eine spirituelle Orientierung. Nur in dieser Weise kann unsere Theologie in die Fülle christlicher Existenz reintegriert werden." 18 Mit der Parole einer "Rückkehr zu den Vätern" 19 geht es Florovsky damit nicht um einen historistischen Umgang mit alten Quellen, sondern um eine Perspektive, mit der heute zeitgemäße Theologie 20 getrieben werden soll. Florovsky unterscheidet zwei verschiedene Weisen, wie mit patristischer Theologie heute umgegangen wird: Einige betrachten die Patristik als vergangene und endgültig abgeschlossene Periode, die nur noch historisches Interesse verdient hat, während andere sie als verlorenes Paradies idealer Zustände wiederzugewinnen trachten. Beide Formen sind letztlich archäologisch-museal. Denn in "beiden Fällen fehlt die Einsicht in die grundsätzliche Kontinuität des historischen Prozesses und in die Identität der zugrundeliegenden Realität [...] Atmet der Heilige Geist nicht zu allen Zeiten der Kirche?" 21 Mit dieser Perspektive versucht Florovsky die Grund16 Ethos 21f 17 CiEthos 17 und Pat.Theol.17f 18 Palamas 113 19 Diese Parole ist keineswegs eine Erfindung Florovskys, sondern der Sache nach bereits im 19. Jahrhundert durch die liturgischen Bewegungen in Deutschland und England, durch das patristische Renouveaux und in Rußland u.a. durch Bischof Feofan Zatvomik (cf Puti 394ff (engl.II,169ff) und Ioann von Kronstadt (cf Puti 401 (engl.n 175) geprägt worden. In Patristics 238 verweist Florovsky auf den anglikanischen Bischof von Chester, John Pearson, der bereits 1844 in seinen Condones ad clerum geschrieben hatte: "excutite praesentis temporis pruritum, fugite affectatam novitatem quod fuit ab initio quaerite, fontes consulite, ad antiquitatem confugite, ad sacros Patres redite" (zitiert nach Patristics 238). - Für Florovsky war die 'Rückkehr zu den Vätern' gemeinsam beschlossenes Programm der orthodoxen Theologen auf dem l.Kongreß orthodoxer Theologen in Athen 1936 (cf Ethos 22). 20 Cf Lost Iii, 16
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lagen seiner Ekklesiologie methodisch fruchtbar zu machen. Weil sich in den Schriften der Väter die Wahrheit der Botschaft ausdrücken kann, weil in ihnen die Katholizität der Kirche zur Sprache kommt, birgt eine auf die Väter rekurrierende Theologie die Chance zur Wahrheit in sich, wenn sie in die Denkbewegung dieser Theologen einstimmt. "Wahre historische 'Objektivität' besteht in der Übereinstimmung (conformity), besser noch in der 'Kongenialität' in bezug auf das untersuchte 'Objekt' (d.h. die eigentliche Hauptsache)."22 Dieser hermeneutische Ansatz bedeutet zugleich, daß eine in diesem Sinn patristische Theologie "in jedem Fall immer in die Zukunft, aber nicht zurück"23 weist. Neopatristische Theologie zeichnet sich also nicht durch eine Fülle von Väterzitaten aus, sondern durch die kongeniale Interpretation ihrer Aussagen für die heutige Zeit. "In vollkommener Weise folgen kann man den Vätern nur mit Kreativität, aber nicht durch bloße Imitation."24 Ein Beispiel für eine derartige kreative Neuformulierung patristischer Theologie sieht Florovsky z.B. in der Lehre des Gregorios Palamas. "Seine Theologie war in keiner Hinsicht eine bloß 'wiederholende Theologie'. Sie war eine kreative Erweiterung der alten Tradition. Ihr Ausgangspunkt war das Leben in Christus."25 Der Schlußsatz gibt das Kriterium an, das für eine kreative Gestaltung der patristischen Tradition notwendig ist: das Leben in Christus, wie es sich in und durch die Kirche mitteilt. Anders gesagt, Kriterium kreativer neopatristischer Theologie ist die Katholizität der Kirche26, die keine Begrenzung auf eine zeitliche Epoche kennt, sondern zeitübergreifend den gesamten Erfahrungsschatz der Kirche in sich begreift.27 Strebt man deshalb an, die Aussagen der Theologen erneut zu studieren, die als Väter, d.h. als Zeugen für die Wahrheit der Botschaft, angesehen werden, dann kann eine derartige Theologie ebenfalls die katholische Wahrheit der Botschaft ausdrücken. Patristisch und katholisch sind demnach zwei Seiten derselben Sache. 22 Oxfordl955 60. Cf auch Predicament 39: "Der Sinn [von Quellen] ist für andere nur in soweit zugänglich, als es zu einer hinreichenden Identifikation zwischen dem Interpreten und denen kommt, deren Gedanken, Handlungen oder Gewohnheiten er interpretiert [...] Eine Einfllhlung [deutsch im Original] in die Zeugen ist die offensichtliche Voraussetzung für Verstehen." 23 Puti 506 (engl.11,294) 24 Ibid. 25 Palamas 114. Im Original kursiv. 26 Cf Offenbarung 477: "Die Berufung auf die Überlieferung ist nicht so sehr die Berufung auf frühere Beispiele, als auf die 'katholische' Erfahrung der Kirche, auf die Fülle ihres Wissens." 27 Cf Ethos 18-20 und Ecumenisml9 254f.
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Faktisch bedeutet dies für Florovsky, daß eine neopatristische Theologie Dokumente und Vertreter der Tradition auch kritisieren kann und muß28, wenn sich dort Pseudomorphosen oder Deviationen von der Wahrheit der Botschaft aufgetan haben.29 Neopatristische Theologie zeichnet sich jedoch nicht nur durch Kritik, sondern auch durch positive Aussagen aus. So warnt Florovsky beispielsweise davor, in der religiösen Erziehung westliche religiöse Bilder zu verwenden, da damit die orthodoxe Ikonenfrömmigkeit untergraben würde, die im Bild nicht nur ein didaktisches Mittel, sondern die Vergegenwärtigung des Urbildes im Abbild sieht. Dieser Gedanke aber, so fordert er, muß erneut belebt werden, wenn orthodoxe Kirchen nicht zu Museen und Ikonen nicht zu Dekorationsgegenständen degenerieren sollen.30 Dazu aber bedarf es seiner Ansicht nach einer spezifisch orthodoxen Didaktik, die der Theologie der Ikone und ihrer visuellen Ausdruckskraft gerecht wird. Diese auszubildende Didaktik muß dem katholischen Charakter der Tradition, nicht aber den nationalen Bedürfnissen einiger orthodoxer Kirchen genügen.31 Damit ist deutlich, daß eine neopatristische Theologie auch neue, bislang nicht beschrittene Wege einschlagen kann. 'Den Vätern zu folgen'bedeutet demnach nicht, einfach ihre Aussagen zu zitieren, zumal dies, wie obiges Beispiel zeigt, bei neuen Fragestellungen z.T. überhaupt nicht möglich ist. "Es bedeutet ihre Denkbewegung (mind) zu übernehmen, ihr φρόνημα. Die Orthodoxe Kirche behauptet, diese Denkbewegung (φρόνημα) bewahrt und admentemPatrum Theologie betrieben zu haben."32 Ad mentem Patrum Theologe zu sein, bedeutet deshalb 28 Cf Ethos 22: Die Rückkehr zu den Vätern "muß eine kreative Rückkehr sein. Damit muß zugleich ein selbstkritisches Element impliziert sein." 29 Beipiele dafür sind die Puti, die an Kritik an theologischen und kirchlichen Mißständen nichts zu wünschen übrig lassen (Cf K.Chr.Felmy: Die orthodoxe Theologie 58ff), und auch die Patrologien. Gerade dort zeigt sich, daß Florovsky die Aussagen auch großer Kirchenväter keineswegs eo ipso für wahr und katholisch hält. Cf z.B. seine Kritik an Gregor von Nyssas Lehre über die Täuschung des Teufels in Eastern Fathers 195. Auch kann er philosophischen Einfluß bzw. philosophisch motivierte Aussagen der Väter auch als solche benennen und damit kritisieren. Cf z.B. Eastern Fathers 120,126,132,155,159,165,167,176,179,182,202 u.ö. Ob Florovskys Patrologien deshalb als ein 'Glaubensbekenntnis' zu lesen sind, die die Richtung für eine zeitgemäße, d.h. neopatristische orthodoxe Theologie aufweisen wollen, wie A.Schmemann (Roll of Honour 7) behauptet, wage ich angesichts des doch überwiegend historischen Charakters dieser Arbeiten zu bezweifeln. Beispielhaft für diese Richtung sind eher seine insbesondere in CWΙΠ versammelten Arbeiten, da sie den kreativen Aneignungsprozeß patristischer Aussagen durch einen heutigen Theologen zum Ausdruck bringen. 30 Cf Review Icons 38 31 Cf Review Christodoulou 58. 32 Ethos 18
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keine sklavische Bindung an die Worte der Väter, sondern befreit zugleich zu neuen Kategorien und Formulierungen, die allerdings eben durch die Aufnahme der Denkbewegung der Väter die Weite der Katholizität der Kirche und damit die Identität der Botschaft wahren.33 Aus diesem Grund aber ist es einer neopatristischen Theologie zugleich wesentlich, ökumenisch zu sein. Denn wer die zeitübergreifende katholische Wahrheit der Kirche heute zu sagen weiß, der spricht für die eine Kirche und ihre eine Tradition der Wahrheit. Aus diesem Grund kann sich der orthodoxe Theologe "nicht in den engen Winkel irgendeiner Lokaltradition zurückziehen - einfach deshalb nicht, weil er orthodox ist, d.h. die Patristische [...]34 Tradition ist nicht eine lokale sondern grundsätzlich ökumenisch. Und er muß seine ganze intellektuelle Fähigkeit nutzen, um diese ökumenische Botschaft der Väter so zu formulieren, daß der ökumenische, der tatsächlich universale Anspruch erhalten bleibt."35
In Florovskys Programm einer neopatristischen Synthese gehören demnach Katholizität und - in kreativer Verarbeitung36 - Patristik notwendig zusammen. Diese bislang noch formalen Kriterien konkretisiert er durch das Postulat einer historisch und zugleich christlich - hellenistisch ausgerichteten Theologie.
6.2 Historismus und christlicher Hellenismus "Die Synthese muß mit der zentralen Perspektive (central vision) des christlichen Glaubens beginnen: mit Christus Jesus, dem Gott und Erlöser."37 Ansatzpunkt einer neopatristischen Theologie ist die Offenbarung Gottes in Jesus Christus und damit eine historische Tatsache. Florovsky folgert daraus, daß Theologie grundsätzlich mit Tatsachen und nicht mit Ideen oder gedanklichen Konstruktionen beschäftigt ist. Die "Theologie der Tatsachen"38, wie sie in gleicher Weise biblisch und patristisch ist, geht aus von den magnalia Dei in der Geschichte, wie sie in den Zeugnissen der
33 Cf Lost 9 34 Im Original an dieser Stelle ein überflüssiges Komma. 35 Legacy 70. Cf zum ökumenischen Auftrag der Kirche 10.3.3. 36 Florovsky bedenkt bei diesem Postulat nicht, daß dieser kreative Prozeß eine Reaktion ist und damit auch von den gestellten Problemen beeinflußt wird. 37 Ethos 23 38 Palamas 120. Der Terminus könnte auf Florovskys Kenntnis der Werke A.F.W. Vilmars hinweisen.
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Kirche begegnet und erfahren werden. Es ist damit auch heute nicht primäre Aufgabe der Theologie, nach den Bedingungen der Möglichkeit von Glaube, Gotteserfahrung etc. zu fragen.39 Vielmehr muß theologisches Denken historisch ausgerichtet sein, weil es nur so wirklich katholisch sein kann.40 Dabei warnt Florovsky vor einem westlichen Geschichtsverständnis, das Heilstatsachen für historisch nicht nachweisbar hält. Er lehnt die Unterscheidung zwischen dem historischen Jesus und dem geglaubten Christus ab. "Ein derartiger historischer Skeptizismus kann nur in der Kirche, in der Sobornost' der Erfahrung der Kirche, überwunden werden [... Denn:] Die Kirche erkennt und behauptet dogmatische Ereignisse als Tatsachen der Geschichte."41 Wenn die Theologie bei der katholischen Wahrheit bleiben will, dann muß sie sich in den Prozeß der Entfaltung des Dogmas und der Tradition unter Führung des Heiligen Geistes hineinstellen. Florovskys Begriff der neopatristischen Synthese ist demnach von seinem bereits immer wieder gestreiften Geschichtsverständnis abhängig. Geschichte aber ist, theologisch verstanden, Leitung durch den Heiligen Geist, der zur freien Gestaltung der Geschichte aufruft und befreit. "Das Christentum lebt vollkommen in der Geschichte und es ist vollkommen geschichtlich. Es ist nicht nur Offenbarung in der Geschichte, sondern auch Ruf zu Geschichte, zu geschichtlichem Handeln und geschichtlicher Kreativität."42
Es ist nach Florovskys Auffassung für geschichtliches Handeln jedoch wesentlich, daß es sich nicht losgelöst von der Vergangenheit vollzieht, sondern sich als Teil einer kontinuierlich fortschreitenden Geschichte begreift. Demnach gilt: Nur wer geschichtlich denkt, denkt auch katholisch - und umgekehrt. Konsequenz dieses historischen Denkens einer der Katholizität der Kirche verpflichteten Theologie ist für Florovsky der Anschluß an und die Weiterführung des 'christlichen Hellenismus'. Dieser kennzeichnet die gesamte Tradition als "der Hellenismus der Dogmatik, der Hellenismus der 39 Cf 0.3.3 und Lost 16. 40 CiPuti 507 (engl.11,295). Mit der gleichen Begründung hält Florovsky historisches Bewußtsein für eine Grundvoraussetzung jeglichen Christseins (ibid.). 41 Puti 508 (engl.11,296). Cf auch Palamas 120: "In unserer eigenen Zeit kommen wir mehr und mehr zu der Überzeugung, daß eine 'Theologie der Tatsachen' (theology of facts) die einzige solide (sound) orthodoxe Theologie ist. Sie ist Biblisch. Sie ist Patristisch. Sie befindet sich in vollkommener Übereinstimmung mit dem Bewußtsein der Kirche." 42 Ibid. Ähnlich lautet auch der Schlußsatz der Puti, 520 (engl.11,308): "Eine wahre historische Synthese besteht nicht so sehr in der Interpretation der Vergangenheit, sondern vielmehr in schöpferischer Verwirklichung der Zukunft."
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Liturgie, der Hellenismus der Ikone"43. Florovsky begibt sich damit in einen bewußten Gegensatz zu Adolf v.Harnacks These von der "akuten Hellenisierung" des Christentums44. Er hält sie für einen im mangelnden Geschichtsbewußtsein begründeten typisch protestantischen Irrtum, weil die Reformation und die ihr folgenden Theologen Bibel und Dogma, Glaube und Philosophie als Gegensatz aufgefaßt definiert hätten und damit zugleich die dem biblischen Zeitalter folgende Kirchengeschichte nur noch als Geschichte des Abfalls von der biblischen Wahrheit begreifen konnten.45 Allerdings sieht Florovsky auch, daß neuerdings von einigen Theologen konzediert wird, daß 1) Glaube sich immer philosophisch gedanklich entfaltet, 2) das Semitische kein radikaler Gegensatz zum Hellenismus sein kann, da auch das Judentum zur Zeit Jesu weitgehend hellenisiert war46, und 3) griechisch philosophische Vorstellungen in weit größerem Maß in spezifisch christlicher Weise umgewandelt wurden, als dies früher für möglich gehalten wurde.47 Florovsky stellt deshalb die These auf, daß der entstandene 'christliche Hellenismus' mit der klassischen Philosophie des antiken Hellas kaum noch Gemeinsamkeiten aufweist. Vielmehr nutzten die ersten Christen und die Kirche die Sprache des antiken Hellenismus, um ihre spezifische Erfahrung, die sie anders nicht haben aussagen können, in Begriffe und mit Kategorien zu fassen.
43 Puti 509 (engl.n,297). Der Begriff 'christlicher Hellenismus' ist keine Wortschöpfung Florovskys, sondern wird bereits von J.H.Newman, B.F.Westcott u.a. benutzt, doch gibt Florovsky ihm eine spezielle Interpretation. Cf Y.Lelouvier: Perspectives Russes 162. 44 Cf Christianity 122 und zu A. v.Harnack: Das Wesen des Christentums 124 u.ö.. Cf zu Harnacks These und ihrer fortlaufenden Modifikation in seinem Werk E.P.Meijering: Die Hellenisierung des Christentums im Urteil Adolf von Harnacks. 45 Cf dazu Puti 507f (engl.n,295f) und Art.Hellenismus 540f, wo Florovsky Gottfried Arnold als Verfasser einer ersten systematischen Gesamtschau auf der Grundlage dieses Geschichtsverständnisses nennt. Ziel der Argumentation Florovskys ist damit weniger der Streit um die Hellenisierung des Christentums, sondern der unterschiedliche Geschichtsbegriff. 46 Florovsky ist allerdings auch gegen eine Interpretation des AT ausschließlich in Kategorien semitischer Kultur, da durch Christus das AT neu, d.h. in und mit den Kategorien des z.Zt.Christi lebendigen hellenisierten Judentums und damit auch Christentums verstanden werden muß. Cf Old Testament 38 und Krise II, 12. 47 CfArt.Hellenismus 541. Florovsky äußert sich in diesem Lexikonartikel aus dem Jahr 1960, ohne damit allerdings seine Grundthese zu verändern, insofern verhaltener als früher, als er knapp auf mögliche Einwände eingeht und ihnen nicht von vornherein jede Berechtigung abspricht, sondern den thetischen Charakter seiner Überzeugung konzediert.
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Dadurch "daß einzelne Motive der hellenistischen Philosophie rezipiert werden und durch diese Rezeption sich wesenhaftverändern, sich bis zur Unkenntlichkeit verändern [...] wird jetzt eine neue, eine total neue Erfahrung ausgesprochen [...] Der Hellenismus wird im Feuer der neuen Erfahrung und des neuen Glaubens umgeschmolzen."4*
Diese Krise des klassischen Hellenismus bedeutet, daß ihm im christlichen Hellenismus ein unversöhnlicher Gegner erwachsen ist. "Dennoch gab es trotz dieses radikalen Abstandes (cleavage) keinen Bruch in der kulturellen Tradition. Die Lehr- und Kulturtraditionen wurden beibehalten und gepflegt, aber sie wurden im Licht der neuen Christlichen Erfahrung geprüft und neu bewertet."49 Dadurch entstand nach Ansicht Florovskys jedoch keine Synthese aus Christentum und Hellenismus, die auch wieder analytisch zerlegt werden könnte, sondern es entstand die eine Weise, die Erfahrung des Glaubens auszudrücken: der christliche Hellenismus. Die theologische Begründung dieser These orientiert sich erneut am Geschichtsbegriff Florovskys. Gott handelt in der Geschichte und hat durch die Erwählung der Heiden zum Heil in Christus zugleich deren Kultur, den Hellenismus, erwählt. "Jedenfalls bedeutete die Darstellung der Offenbarung in der Sprache des geschichtlichen Hellenismus [...], daß in der Sprache Kräfte und Mittel waren, die Wahrheit der Offenbarung auszudrücken und auszusprechen."50 Gehört so der Hellenismus unlösbar zum Christentum und ist letztlich von diesem nicht zu unterscheiden, dann ist er als christlicher Hellenismus "eine ewige Kategorie christlicher Existenz" geworden.51 'Ewig' ist dieser Hellenismus deshalb, weil Versuche, das Christentum zu dehellenisieren, entweder dazu geführt haben, es wie z.B. der Neuprotestantismus des 19. Jahrhunderts im Sinne eines moralischen Humanismus zu verstehen und so zu entgeschichtlichen, oder aber einen Rückfall ins Judentum bedeutet haben. Dies meint Florovsky bei der dialektischen Theologie Karl Barths und Emil Brunners beobachten zu können.52 Deren 48 Offenbarung 474 49 Hellenism 9 50 Offenbarung 473. Erstmals veröffentlicht hat Florovsky diesen Gedanken in Krise 11,10 (engl.39), wo er den Gedanken der Erwählung des Hellenismus am Beispiel des ebenfalls 'hellenistischen' NT belegt. 51 Puti 509 (engl.11,297). Ebenso auch Patristics 242. In Hellenism 10 markiert Florovsky den Unterschied zum Westen polemisch durch den Hinweis, dieser habe im Gegenüber zum christlichen Hellenismus die Philosophie des Aristoteles zur "ewigen Philosophie" erklärt. 52 Cf Puti 510 (engl.11,298). Meinte K.Barth bei Florovsky fast den Wegfall der Eschatologie zu erkennen (cf 0.5.4.3 Anm. 447), so vermutet Florovsky in umgekehrter Weise bei Barth eine Entgeschichtlichung der Offenbarung. Beide Aussagen siedeln
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neuer Biblizismus beschränkt sich seiner Meinung nach auf die semitischen Kategorien von Gesetz und Prophetie und übersieht so, daß der Semitismus im Hellenismus insofern seine Erfüllung gefunden hat, als dort das Nationale zur Universalgeltung entschränkt53 und die Zeit der Erwartung durch die Erfüllung im Sinne eines mystischen Gegenwärtigsein Gottes auf Erden54 vollendet wurde. Wollte man demnach das Christentum 'rfehellenisieren', so würde man nach Florovskys Auffassung das Wesentliche des Inkarnationsgeschehens verfehlen: Gottes Gegenwart in der Geschichte. Der Versuch ist damit sinnlos - und unmöglich, denn' christlicher Hellenismus' ist eine neue Philosophie, keine Synthese, die analytisch zerlegt werden könnte, sondern "das einzig wahre philosophische 'System'" 55 . Florovsky übersieht allerdings keineswegs, daß es in der Theologie immer wieder Versuche gegeben hat, "das Christliche" in Kategorien aus anderen Philosophien auszusprechen bzw. daß patristisches oder christlichhellenistisches Denken in den Hintergrund trat, weil man die dort verwendeten Kategorien nicht mehr verstand. Doch bestreitet er diesen Versuchen rundweg, die kirchliche Erfahrung in ihrer katholischen Fülle auch nur annähernd richtig und umfassend wiedergeben zu können. Vielmehr stellen sie in seinen Augen, er denkt insbesondere an den deutschen Idealismus, einen Rückfall in den vorchristlichen Hellenismus dar, der das Spezifische des christlichen Hellenismus gar nicht erfaßt, wie z.B.56 die Rede von der
damit in dieser Beziehung den jeweiligen Kontrahenten am denkbar entferntesten Gegenpol an, was ein interessantes Licht auf die Ausgangslage der ökumenischen Gespräche wirft. 53 CiHellenism 9: Zwar ist die Bibel die Grundlage des Christentums, so daß "unsere gesamte Existenz im wesentlichen 'orientalisch' oder 'semitisch'" ist, doch wurde '"die hebräische Wahrheit' (wie der Hl. Hieronimus zu sagen pflegte) [...] gerade in ihrer Griechischen Übertragung zur universalen Botschaft und zum beständigen Ferment jeder kulturellen Bewegung." 54 So hält Florovsky z.B. eine wahre und die Tiefen wirklich durchmessende christliche Sakraments fromm igkei t ohne ein Gespür für das Mysterienhafte, das sich dem klassischen Hellenismus verdankt, aber spezifisch christlich umgewandelt wurde, für unmöglich (cf Puti 509 (engl.11,297)). Was z.B. Florovskys eigenes Eucharistieverständnis angeht, so ist seinem Postulat zuzustimmen. 55 Offenbarung 473. Florovsky setzt 'System' in Anführungszeichen, um sich damit von der Vorstellung einer vollständigen Systematisierung der christlichen Wahrheit abzugrenzen (cf 0.3.3). Allerdings erfährt der christliche Hellenismus "in seinen 'Byzantinischen Ausformungen'" einen Höhepunkt seiner Entwicklung, insofern dort "die verborgenen Energien des Hellenismus vollkommen offenkundig wurden." (Hellenism 9). 56 Cf Offenbarung 474
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Inkarnation, von der Kreatürlichkeit und daraus folgenden Zeitlichkeit der Welt und von der Personalität des Menschen, die in der Katholizität zur vollen Entfaltung kommt. Jeder Versuch, die Wahrheit der Katholizität in der Terminologie neuerer Philosophien auszusagen, zwingt nach Florovskys Auffassung zum Eklektizismus, der die katholische Fülle nicht mehr abbilden kann und damit letztlich einen Rückfall hinter die im christlichen Hellenismus erreichte Vollkommenheit hin zur klassischen Philosophie eines Plato oder Aristoteles bedeutet. "Eine Rückkehr von Jerusalem nach Athen aber ist unzeitgemäß und vergebliche Mühe."57 Florovsky fordert vielmehr, derartige Versuche theologischer Neuinterpretation der katholischen Wahrheit an der Tiefe der kirchlichen Erfahrung zu messen.58 Dies setzt allerdings voraus, daß man lernt, diese Erfahrung in ihrem christlich hellenistischen Charakter neu zu entdecken. "Und deshalb muß jeder Theologe die Erfahrung geistlicher Hellenisation (oder Rehellenisierung) durchmachen [...] Und das kreative Postulat für die nächste Zukunft würde ungefähr lauten: Laßt uns stärker griechisch sein, um wahrhaft katholisch, wahrhaft orthodox zu sein."59 Dieser hier geforderte Zusammenhang von 'griechisch', 'katholisch' und 'orthodox' ist im Sinne Florovskys noch durch 'ökumenisch' zu ergänzen, denn der christliche Hellenismus ist als "ewige" Grundkategorie von Theologie überhaupt nicht nur eine Erbe der Ostkirche, sondern gemeinsames Erbe der katholischen Kirche. "Die westliche Theologie war bis hin zu Augustin grundsätzlich Griechisch, wenn auch in Lateinischem Gewand: Die Hin. Hilarius, Ambrosius, Hieronymus - jeder von ihnen war Interpret der Griechischen Tradition, und sogar der Hl. Augustin selbst war in seinem Denken zutiefst hellenistisch."60 Die Rückbesinnung auf den christlichen Hellenismus der Kirche stellt für Florovsky deshalb zugleich die einzig erfolgversprechende "Methode" einer ökumenischen Einigung der Kirchen dar, da so zu einer Einheit zurückgekehrt werden kann, die bereits gegeben war, die sich bis heute im Leben der Orthodoxie, konkret in ihrer Liturgie, in ihren Ikonen und ihrer Dogmatik erhalten hat und präziser Ausdruck der Katholizität der Kirche ist.61 "In diesem Sinn muß sie [sc.die orthodoxe Theologie] immer 57 Puti 511 (engl.11,299) 58 Ibid. und Patristics 241 59 Patristics 242. Der fast gleichlautende Schlußsatz des Aufsatzes Hellenism (S. 10) hat 'griechisch' bezeichnenderweise durch 'hellenistisch' ersetzt. 60 Legacy 67. Cf auch Art. Hellenismus 540: "'Hellenismus', ein vielschichtiges System sowohl geistl.[geistlicher] als auch sittlicher Werte und Ideen, ist zu einer christl.[christlichen] Gesch.[Geschichts-]kategorie geworden. Der lat. [lateinische] Westen ist ebenso wie der Osten 'hellenisiert' worden." 61 Cf zum Ökumenebgriff Florovskys u.10.3.3.
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Aufruf zur Anfrage an die eigene Zeit, muß sie zugleich 'alt' und 'zeitgemäß' sein [...] Orthodoxes Denken muß seine Begeisterung und sein Prinzip gerade aus dieser ungebrochenen Erfahrung des Gebetslebens schöpfen."62 Für Florovskys Programm einer neopatristischen Synthese sind somit die vier Aspekte von "Patristik, Katholizität, Historismus und Hellenismus"63 konstitutiv und voneinander nicht zu trennen. Jeder der vier Begriffe wird durch die übrigen drei präzisiert und ist ohne sie nicht denkbar. Insbesondere die Kategorien von Patristik und Hellenismus mögen heute statisch anmuten, gleichsam als Festlegung auf die ersten Jahrhunderte der Christenheit. Doch geht es Florovsky, wie gezeigt, um die kreative Aneignung dieses Denkens, das sich in den Zeugnissen der Kirche findet. Das Kriterium 'Patristik' ließe sich demnach auch als ein 'Sich wiederfinden' in den Zeugnissen der Kirche beschreiben. 'Katholizität' ist sodann das von diesen Zeugnissen geprägte Bewußtsein, das dem 'Historismus' verpflichtet ist, insofern es sich damit zugleich als Glied der Heilgeschichte empfindet und weiß. 'Hellenistisch' ist ein solches Denken, wenn es sich der Verantwortung der Christen für die Darstellung der Wahrheit der Botschaft für alle Menschen bewußt bleibt und diese wahrnimmt. Berücksichtigt eine Theologie diese vier Kriterien, so wird sie nach Florovskys Überzeugung bei der katholischen Fülle der Kirche bleiben und die Identität der Botschaft sichern. Genau darin aber wird sie sich auch als zeitgemäße Theologie erweisen, die für Florovsky die Aufgabe hat, sowohl wahrhaft ökumenisch zu sein, indem sie sich der Fragen und Probleme auch anderer Kirchen annimmt und sie aus der ihr eigenen Katholizität heraus kreativ beantwortet. Zugleich hat sie die Pflicht, sich dem globalen Angriff des Christentums durch den Atheismus zu stellen.64 In diesen beiden Aufgaben besteht für Florovsky das Ziel und die Herausforderung aller theologischen Versuche der Gegenwart. Seine Antwort auf diese Aufgaben ist der Versuch einer 'neopatrischen Synthese', die für ihn "the kingly way of the catholic understanding"65 darstellt. Dieses theologische Programm einer zeitgemäßen orthodoxen Theologie ist auf der einen Seite das methodische Ergebnis der Aussagen Florovskys zur Ekklesiologie (Kap. 5), die ihrerseits seiner Meinung nach nur ein 62 Toriestvo 21. Ähnlich auch Hellenism 10 63 Puti 509 (engl.11,297) 64 Diesen beiden Punkten widmen sich die beiden letzten Absätze des Schlußkapitels der Puti [510ff (engl.II,300ff)]. 65 Patristics 240. Um den Gedankenablauf nicht zu stören, verzichte ich hier, wie im gesamten darstellenden Teil der Arbeit, auf eine kritische Würdigung des Entwürfe Florovskys. Cf dazu u.11.4.
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Unterkapitel der Christologie (Kap. 4) darstellt. Auf der anderen Seite bildet es die hermeneutische Vorausetzung eben dieser Einsichten. Es gehört deshalb zur Grundlegung seiner Theologie (II. Hauptteil). Die Aussagen dieser drei Kapitel bilden damit die Basis für Florovskys Verständnis der 'Heilsgeschichte im Zeichen der Christusoffenbarung', die im folgenden unter Aufnahme der in 4.6 erhobenen chalcedonischen Unterscheidung zwischen Natur und Person, die die fundamentale Kategorie für die Darstellung der Theologie Florovskys ist, dargelegt wird.
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III. HAUPTTEIL
Heilsgeschichte im Zeichen der Christusoffenbarung
7. Kapitel: Kontingenz und Freiheit - Schöpfungslehre
Florovsky hat sich besonders in den zwanziger Jahren mit der Schöpfungslehre befaßt und in dieser Zeit seine grundsätzliche Position gefunden, die er nicht wesentlich veränderte. Im Jahr 1927 verfaßt und jeweils 1928 veröffentlicht legte er seine Gedanken in den Aufsätzen Id6e und Tvar' vor, die sich nur wenig voneinander unterscheiden 1 .1949 erschien Idea als eine überarbeitete Fassung von Idäe.2 Speziell zur Schöpfungslehre äußerte sich Florovsky zuletzt 1962 in dem stärker historisch orientierten Aufsatz Athanasius, der aber ebenfalls einige Hinweise auf Florovskys eigene Position enthält. 3 1 Ιάέβ bildet, wie eine Anmerkung auf Seite 30 ausweist, die Zusammenfassung einer geplanten 'Philosophie der christlichen Lehre', die allerdings nie erschienen ist. Der Begriff einer 'christlichen Philosophie', wie er auch im Titel des Aufsatzes erscheint, entspricht Florovskys Verständnis von Theologie (cf o.2.1.2f und 3). Wegen dieser auf das Philosophieren ausgerichteten Intention des Gesamtaufsatzes beginnt und schließt Ιάέε anders als Tvar'. Ohne daß sich grundsätzlich verschiedene Aussagen ergeben, unterscheiden sich beide Aufsätze durch eine manchmal intensivere Behandlung eines Teilaspektes, doch bleibt ihre vierteilige Grobstruktur gleich, auch wenn sich, bedingt durch drei Umstellungen, die der 1949 verfaßte Aufsatz Idea übrigens mit Idie gemeinsam hat (cf Anm. 2), die Reihenfolge der Argumente ändert. Da Idea Florovskys letzte Fassung seiner Schöpfungslehre ist, halte ich mich im Aufbau weitgehend an diesen Aufsatz. 2 Idea stimmt sachlich und zeilenweise auch wörtlich mit den beiden früheren Aufsätzen überein, stellt ansonsten aber eine für Florovskys sonstige Praxis erstaunlich weitgehende Überarbeitung dar. Der Aufsatz ist in zwölf Unterabschnitte gegliedert, mit deren Hilfe sich die Umstellungen gegenüber Tvar' und Idie leicht demonstrieren lassen: Tvar' bringt die Argumente aus Idea IV im Idea II entsprechenden Teil, die von Idea IX vor dem Idea VII entsprechenden Abschnitt. Die abschließenden drei Seiten von Idea entsprechen schließlich Tvar' 182-185(engl.50-52). Was diese letzte genannte Umstellung angeht, so geht Ιάέβ hier mit Tvar' parallel, während die Gliederung von Idea ansonsten der von Ιάέβ entspricht. 3 Liest man die betreffenden Abschnitte zur Schöpfungslehre bei Athanasius in 279
Wie bereits die Überschrift dieses Kapitels anzudeuten versucht, orientiert sich die Schöpfungslehre Florovskys an drei Schlüsselbegriffen seiner Theologie: der Kontingenz alles Seienden, was Implikationen für das Verständnis von Geschichte hat; der Freiheit Gottes, der als Gegenüber zur Schöpfung souverän und unabhängig liebend bleibt; und schließlich dem Gegenüber von geschaffener Natur und göttlichem Sein. Diese drei Aspekte versucht die Schöpfungslehre Florovskys herauszuarbeiten, wobei sogleich auffällt, daß Schöpfungslehre und Gotteslehre für ihn notwendig zusammengehören. Das zeigt sich auch am Aufbau seiner Aufsätze. Diese werden durch eine grundsätzliche Bestimmung des Gegenübers von Schöpfung und Schöpfer eingeleitet und beschäftigen sich sodann ausführlich mit dem Aufweis der als Freiheit verstandenen Unabhängigkeit Gottes von seiner Schöpfung. In einem dritten Schritt wird diese Freiheit Gottes in bezug auf die Gotteslehre fruchtbar gemacht, indem die Unterscheidung von Wesen, hypostatischem Sein und Handeln Gottes in seinen Energien bedacht wird. Abschließend kommt Florovsky auf die Beziehung des freien Gottes zu seinen auf ihre Weise freien Geschöpfe zurück. Diese auffällige gleichzeitige Behandlung von Gottes- und Schöpfungslehre ist erläuterungs- und begründungsbedürftig und stellt die Frage nach Florovskys Ansatz der Schöpfungslehre.
7.1 Der Ansatz der Schöpfungslehre Seinem theologischen Ansatz bei der kirchlichen Erfahrung (Kap.3) treu bleibend beginnt Florovsky seine Schöpfungslehre mit der grundsätzlichen Aussage, daß sich seine christliche Philosophie als Auslegung der Glaubenserfahrung der Kirche vollzieht, die ihren Ausgangspunkt im Bekenntnis von Chalcedon findet.4 Denn dort ist das Wesentliche j eder religiösen Erfahrung formuliert: "Die religiöse Erfahrung ist eine Begegnung von zweien. In dieser Begegnung manifestiert sich die äußerste Transzendenz Gottes, der absolute Dualismus von Gott und der Kreatur."5 Dieser Dualis-
Vostocnye Otcy 31 ff {Eastern Fathers 42ff), so stellt man schnell fest, daß Florovsky von Athanasius viele Impulse für seine eigene Schöpfungslehre erhalten hat. (In Tvar' weist Florovsky nach Johannes Damscenus am häufigsten auf Athanasius hin.) - Zwar enthalten Florovskys Patrologien zahlreiche Hinweise auf die Schöpfungslehren der Väter, doch bleiben diese Bemerkungen hier unberücksichtigt, da seine eigene Sicht im Zentrum der Untersuchung steht. 4 Cf Ittee 3f 5 Ιάέε 4 280
mus bezieht sich auf die Verschiedenheit der Naturen, die, wie es das Dogma von Chalcedon formuliert hat, weder miteinander vermischt noch verwandelt werden.6 Obwohl sie in der einen Hypostase des göttlichen Logos vereint sind, und eine communicatio idiomatum ausgesagt werden muß, bleiben es doch zwei Naturen, auch wenn durch die Erlösung in Christus eine mystische Anteilhabe der Menschen an der göttlichen Natur möglich geworden ist. Die Existenz von zwei grundsätzlich verschiedenen Naturen vermittelt die in der Kirche wurzelnde religiöse Erfahrung als erste fundamentale Einsicht. Sie bildet "ein unerschütterliches und nicht hinterfragbares Kriterium und die Richtschnur des Glaubens."7 Würde nämlich umgekehrt eine Veränderbarkeit der zwei Naturen ausgesagt werden, so würde die Grenze zwischen Gott und Geschöpf aufgehoben. Wie aber, so ist zu fragen, muß das Verhältnis zwischen beiden bestimmt werden? Bereits der Begriff eines geschaffenen Seins impliziert Abhängigkeit von dem, der es geschaffen hat. Für Florovsky bedeutet diese Abhängigkeit zugleich die Kontingenz geschaffenen Seins. "Die Behauptung, die Welt sei geschaffen, unterstreicht zuerst einmal ihre radikale Kontingenz, genauer: eine Kontingenz in der Rangfolge von Existenz. Oder, mit anderen Worten, eine geschaffene Welt ist eine Welt, die auch nicht existieren könnte."* Grund und Ursache der Existenz der Welt sind ihr damit transzendent. Die Existenz der Welt ist innerweltlich nicht begründbar. Was auf der anderen Seite den Schöpfer dieser kontingenten Welt angeht, so ist die aufgestellte These umzukehren: Gott hätte, so lautet Florovsky s zweite Hauptthese,"die Welt auch nicht erschaffen können."* Vielmehr war dies sein freier oder insofern ebenfalls kontingenter Entschluß, der nur durch ihn selbst, seinen liebenden Willen bedingt war. Die Schöpfung ist somit durch diese "doppelte Kontingenz"10 bestimmt. Sie ist "das Geheimnis Göttlicher Freiheit"11. Diese Aussage begründet zugleich, warum Gottes- und Schöpfungslehre so eng zusammengehören. Florovskys zwei grundsätzliche Thesen sind 6 In diesem Zusammenhang zitiert Florovsky Johannes Damascenus: De Fide Orthodoxa 1,13 PG XCIV, 853: πάντα άπεχει θεοΰ, ού τόπω, άλλ& φύσει. Cf Ιάέε 4, Ivor' 179 (engl.46), Idea 55. 7 Tvar' 180 (engl.47) 8 Idea 54. Der letzte Satz ist nach Florovskys Auffassung "die beste Definition von Schöpfung" (ibid.) und begegnet in seinen Aufsätzen deshalb häufiger. Cf z.B. Tvar' 178 (engl.45), Idie 5. Fast wörtlich findet sich dieser Satz auch in Florovskys Rezension Renouvier 114 (engl.l30f), was darauf hinweist, daß er von diesem Philosophen zu seinem Kontingenzgedanken inspiriert wurde. 9 Idea 55 10 Athanasius 40 11 Idea 55
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gleichsam Komplementäraspekte. Allerdings ist es nach seiner Ansicht notwendig, beide zugleich zu behandeln, weil die philosophische Tradition deutlich zeigt, daß es dem Menschen schwerfallt, sich selbst und seine Welt als kontingent zu wissen. "Und daher rührt die Versuchung, die Vorstellung einer Schöpfung zu zersetzen, ihrer Spitze zu berauben und durch klarere Vorstellungen zu ersetzen."12 Die Aussagen zur Kontingenz der Schöpfung (7.2) sind deshalb durch die Aussagen zur Kontingenz des Schöpfungsaktes (7.3) zu präzisieren und zu kontrollieren. Das Ziel dieses Kapitels ist es somit, die bislang nur behauptete doppelte Kontingenz der Schöpfung zu erläutern. Zur schärferen Profilierung des Ansatzes soll vorher allerdings noch kurz auf die Position eingegangen werden, gegen die sich Florovskys Ansatz insbesondere richtet. Florovsky bezieht sich auf Ch. Renouviers Analyse der Philosophiegeschichte, wenn er behauptet, dort habe es immer zwei einander diametral gegenüberstehende und einander ausschließende Richtungen gegeben, deren Wege sich am Weltverständnis trennten. Konnte man die eine Richtung unter dem Begriff der 'Evolution' zusammenfassen, so ließe sich die andere unter dem Oberbegriff 'Schöpfung' subsumieren. Florovsky will damit das verschiedene Geschichte- und Seinsverständnis bezeichnen, das "letztendlich präzise das Griechische und das Christliche" ist.13 Bis heute aber würden die Philosophen14 griechisch denken, d.h. sie gehen, wenn auch in unterschiedlicher Weise, von der ursprünglich griechischen Vorstellung aus, die Welt sei ewig, ohne Anfang und ohne Ende. Präziser Ausdruck dieses ursprünglich aus astronomischen Beobachtungen erschlossenen Weltverständnisses ist der Kreis, in dem jede Bewegung zu ihrem Anfang zurückkehrt und sich wiederholt. Geschichtlichen Fortschritt kann es bei einem solchen Verständnis nicht geben, ebensowenig die Vorstellung von Kreativität, die von vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten abweicht. Ein solches Weltbild ist nomogenetisch, da es nur mit geschichtlichen Ereignissen 12 Tvar' 184 (engl.51) 13 Idea 54. Florovsky bezieht sich ibid. auf Ch.B.Renouviers Esquisse d'une classification systematique des doctrinesphilosophiques von 1866. Dabei bescheinigt er dem, wie er selbst schreibt (Renouvier 116 (engl.132)), "antichristlichen" Philosophen "der Wahrheit der Offenbarung näher" gewesen zu sein "als die, die für sich selbst den Ehrentitel eines christlichen Denkers beanspruchten." 14 Es ist an dieser Stelle daran zu erinnern, daß Florovskys Auseinandersetzung mit der Philosophie sich nahezu ausschließlich auf die frühen zwanziger Jahre beschränkt und mit den Auseinandersetzungen um spezifisch russische Fragen beschäftigt ist, spätere philosophische Entwürfe aber nicht berücksichtigt. Sie konzentriert sich somit einmal auf die deutsche idealistische Philosophie und zum anderen auf die sozialutopistischen Entwürfe russischer Philosophen.
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rechnet, die sich aus den vorgegeben Bedingungen der Natur ableiten lassen.15 Demgegenüber ist die Behauptung einer Schöpfung etwas radikal anderes, da dort die Endlichkeit der Welt behauptet wird, Zeit also vektorial verläuft und begrenzt ist. Damit wird zugleich der einzelne Augenblick bedeutsam, da er nicht einfach wiederkehrt oder - als zeitlicher - angesichts der Ewigkeit von geringerer Bedeutung ist. Vielmehr erscheint der Verlauf der Geschichte als Möglichkeit kreativer Betätigung und Bewährung. Geschichte ist nicht eine endlose Kette gleichgültiger Augenblicke, sondern birgt die Aufgabe zur Gestaltung in sich. Sie hat epigenetischen, d.h. dem Vorbild des frei gestaltenden Schöpfers nacheifernden Charakter.16 Für Florovsky ist der Gedanke freier Kreativität in der Geschichte somit die Konsequenz aus der Behauptung der Kontingenz der Schöpfung. Auf diesen Zusammenhang von Kontingenz und Freiheit, der in den Begriff der Geschichte einmündet, soll am Schluß dieses Kapitels (7.4) eingegangen werden.
7.2 Die Kontingenz der Schöpfung Die Behauptung einer erschaffenen Welt impliziert zugleich den Hinweis auf den Schöpfer dieser Welt. Deshalb bedeutet für Christen "die Existenz der Schöpfung selbst zweifelsfrei [...] ein Zeugnis für die Existenz Gottes, der höchsten Ursache der Welt."17 Diese Einsicht des christlichen Glaubens führt zwangsläufig zu der grundsätzlichen Erkenntnis des antinomischen
15 Cf dazu Florovskys ausführliche Darstellung des griechischen Zeitverständnisses in Redemption 126-128 und Evolution 242. Im letztgenannten Aufsatz zeigt Florovsky auf, daß ein aus der Naturphilosophie entwickelter Geschichtsbegriff den Naturgesetzen letztlich immer verhaftet bleibt und somit nur von gesetzmäßigen Entwicklungen innerhalb der Geschichte sprechen kann, die etwas wesentlich Neues, das sich über die Natur und ihre Gesetze erhebt, nicht kennt. Ein solches Geschichtsbild ist biologistisch und kennt letztlich keine schöpferische Freiheit. Die Ursache dieses Geschichtsverständnisses sieht Florovsky in dem Umstand begründet, daß sie ohne eine philosophische Anthropologie entwickelt wird (ibid.247). Darauf wird u. 7.4 und 8. zurückzukommen sein. 16 Florovsky setzt gegen den Begriff der Evolution den Begriff der' Epigenesis'. Cf Evolution 250. 17 Idie 5. Florovsky zitiert zum Beleg dieser These in allen Aufsätzen aus Augustins Confessiones XI,4 PL XXXII, 811: ecce sunt caelum et terra, clamant quod facta sunt [...] Ideo sumus, quia facta sumus; non ergo eramus ante quam essemus, ut fieri possemus a nobis. In Athanasius 40 wird deutlich, daß diese natürliche Gotteserkenntnis nicht universal zugänglich ist, sondern nur für Christen gilt. Cf auch o.3.1.Anm.2.
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Charakters geschöpflichen Seins. Zwar existiert die Welt, aber sie hätte, da sie in sich keinen Existenzgrund hat, ebensogut nicht existieren können. Sie ist im Verhältnis zu ihrem Schöpfer das ganz Andere, von ihm durch einen unüberbrückbaren Abstand getrennt. Deshalb sind Schöpfung und Schöpfer auch nicht zu verstehen als sich ergänzende Gegensätze, die ohne das jeweils andere nicht sein können. Sie sind nicht im Sinne einer Korrelation von Unbegrenztem und Begrenztem zu verstehen, weil sie nicht Abstrakta oder Prinzipien des Seins, sondern grundsätzlich verschiedene Naturen, Seinsweisen sind. "In der Schöpfung gibt es nichts, was sich mit der Trinität berührt, außer der Tatsache, daß die Trinität sie geschaffen hat."18 Insofern existiert die Schöpfung "außerhalb" Gottes und "dieses 'außerhalb' ist im strengen Sinn ein endgültiger und kontingenter Daseinsüberschuß ('surplus' of existence)."19 Die beiden Prädikate 'endgültig' und 'kontingent' bestimmen die der Schöpfung eigene und wesentliche Antinomie, denn 'endgültig' ist die Existenz der Schöpfung, weil sie sich dem Willen Gottes, der per se ewig und widerspruchsfrei ist, verdankt. Gott wird seinen Entschluß nicht widerrufen.20 Dieser Entschluß aber ist zugleich kontingent, insofern er Gottes freier Entschluß ist, der durch nichts als Gottes Willen selbst bedingt ist. Die Schöpfung ist demnach im Kontext der "Antinomie der Freiheit"21 Gottes zu begreifen, die in der ohne äußere oder innere Beeinflussung wahrgenommenen und damit zugleich festlegenden Wahl einer Möglichkeit besteht. Darauf ist im folgenden Unterkapitel zurückzukommen. Vorerst aber ist diese Antinomie in Hinsicht auf die Schöpfung zu erläutern. Die doppelte Bestimmung der Schöpfung durch die Prädikate 'endgültig' und 'kontingent' hat insbesondere Einfluß auf das Verständnis von Zeit und Geschichte. So besagt die Behauptung der 'Endgültigkeit' der Schöpfung, daß die Kreatur für die Ewigkeit bestimmt ist, weil sie ihre Existenz dem Willen Gottes verdankt. Gottes ewiger Wille aber ist per se unveränderlich, denn "des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit" (IPetr 1,25).22 18 Augustin: De Genesi adLitteram imp. 2 PLXXXIV,221: nihilque in ea [sc.facta] esse quod ad Trinitatem pertineat, nisi quod Trinitatis condidit. 19 Idea 55. Cf auch Tvar' 179 (engl.46) und Ietee 10. 20 Florovsky begründet dies in Idea 56 mit Ps 93,1; 110,4. 21 Idea 56 22 Allerdings muß noch untersucht werden, wie sich dieser ewige Wille Gottes zu seinem ewigen Sein verhält (cf 7.3). -Einige Äußerungen Florovskys deuten daraufhin, daß er diese ewige Bestimmung der Kreatur für die Ewigkeit auch als creatio continua versteht und so die Abhängigkeit der Schöpfung vom Wort des Schöpfers unterstreicht. Cf z.B. Athanasius 56: "Wenn sie [die Geschöpfe] nicht tatsächlich vergehen, so nur wegen der Gnade des Schöpfers". Die Welt wird "durch das beständige Handeln des
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Demgegenüber erfordert die Behauptung der Kontingenz der Schöpfung die Einsicht, daß die Welt einen Anfang hat. 'Anfangen' ist ein Begriff für zeitliche Vollzüge 23 , die für Florovsky per definitionem mit der Ewigkeit unvereinbar sind. Dementsprechend ist es dem der Zeitlichkeit verhafteten Menschen unmöglich, den Anfang der Zeit zu denken, weil ein solcher Denkvorgang diesen Anfang von einer anderen Kategorie als der der Zeit absetzen muß. Er ist deshalb nur vorstellbar, indem man in die Vergangenheit zurückdenkt und in diesem zeitlichen Rückwärtsschreiten zu einem Endpunkt, den das zeitliche Bewußtsein postuliert, vordringtund sodie Zeit begrenzt. 24 In dieser Begrenzung der Zeit durch das menschliche Denken aber drückt sich die fundamentale Einsicht aus, daß Gott und seine Schöpfung zwei grundsätzlich verschiedene Naturen haben, denen nichts gemeinsam ist. Der Zeit der geschaffenen Welt geht nicht etwa eine irgendwie anders bestimmte Zeit 25 voraus, sondern Gott allein celsitudine semper 26 praesentis aeternitatis . Die Zeit ist somit ebenso Geschöpf wie die Welt
Schöpfers erhalten" (ibid.50), "der in Seiner Liebe und Gnade beständig für sie sorgt."{Asceticism 11). Cf auch Redemption 104f, Utopizm 49 und Ιάέε 24. Diese wenigen Äußerungen lassen allerdings keine definitven Aussagen zu. 23 Florovsky definiert Zeit im Anschluß an Aristoteles'.PAysica 4,11,219b: "Zahl der Bewegung, die beurteilt wird in bezug auf das Früher und Später" [Angabe aus Idea 57 korrigiert], 24 Cf Tvar' 177 (engl.44), Idea 57. Mit diesem Gedanken bezieht sich Florovsky auf Basilius Homilia 1,6 in Hexameron PG XXIX, 16B-17A. 25 In Idea 57 schreibt Florovsky von der 'unausgefüllten Zeit', einer Vorstellung die auf Immanuel Kant zurückgeht. 26 Augustin: Confessiones XI, 13 PL XXXII, 815 (Angabe korrigiert). Es ist sicher kein Zufall, daß in Idie Augustin der am häufigsten zitierte Kirchenvater ist, denn nach Florovskys Ansicht, war "seine Entdeckung, daß die Zeit selbst als Kreatur angesehen werden mußte, [...] eine der wichtigsten Erfolge des Christlichen Denkens. Diese Entdeckung befreite dieses Denken von dem schweren Erbe Hellenistischer Gewohnheiten." (PatAge 72f). Wegen dieses Verdienstes und der athanasianischen Unterscheidung zwischen Schöpfung und Zeugung (cf.dazu u. 7.3) hält Florovsky die vornizänischen Versuche einer Schöpfungslehre für defizient, da sie dem hellenistischen Denken zu stark verhaftet waren. Cildea 61,69 und Athanasius 41: "Indem die Christlichen Denker (writers) Griechische Kategorien benutzten, zwangen sie sich selbst, ohne es zu wissen, eine Welt auf, die von der, in der sie im Glauben wandelten, grundsätzlich verschieden war." Man könnte angesichts dieser Aussagen versucht sein, Florovsky Widersprüchlichkeit vorzuwerfen. Schließlich hatte er den in der Katholizität 'getauften' christlichen Hellenismus als Grundkategorie christlicher Existenz nicht erst mit dem 4.Jahrhundert beginnen lassen wollen (cf o.6). Ad optimam partem interpretiert, lassen sich obige Aussagen allerdings auch so verstehen, daß die Theologen der ersten drei Jahrhunderte den wahren Grad an Katholizität, der sie auch zur Formulierung der 285
selbst. Sie wurden zusammen erschaffen, wie es bereits Augustins berühmter Satz aussagt: procul dubio non est mundusfactus in tempore, sed cum tempore.11 Florovsky folgert aus diesem unüberbrückbaren Hiatus zwischen zeitlicher und ewiger Existenz, daß beide "zwei verschiedene Existenzweisen (modes of existence)" sind. "Sie unterscheiden sich wesensmäßig - in Hinsicht auf ihre Qualität, nicht nur in Hinsicht auf die Maßeinheit oder Länge."28 Wegen ihres Unterschiedes aber können sie schlechterdings nicht vereint oder vermischt werden. Sie sind inkommensurabel, weil es das Wesen der Zeit ist, von einem Augenblick zum nächsten fortzuschreiten und damit einen ständigen Wandel hervorzurufen,29 Dasein in Ewigkeit aber unwandelbare Existenz bedeutet. Genau in diesem im Wesen der Zeit begründeten Umstand sieht Florovsky unter Berufung auf Johannes Damascenus auch den Grund, warum die Zeit beim Jüngsten Gericht enden wird: Der Eintritt in die Ewigkeit läßt den durch die Zeit bedingten Wechsel von Ereignissen nicht zu. "Nach der Auferstehung wird es keine Folge von Augenblicken, von Tagen und Nächten mehr geben."30 Andererseits begründet dieser Gegensatz von Zeit und Ewigkeit, der zur Behauptung der zwei verschiedenen Existenzweisen geführt hat, zugleich die relative Unabhängigkeit und damit Freiheit der der Zeitlichkeit verhafteten Kreatur. Der Mensch ist frei, seine Zeit zu gestalten, die Augenblicke nach seinem Willen zu füllen. "Ohne diese Eigeninitiative geschieht nichts
christlichen Wahrheit in Gestalt des christlichen Hellenismus befähigt hätte, noch nicht erreicht hatten und so die Spannung zwischen "der Schau ihres Glaubens und der Nichtangemessenheit der von ihnen benutzten Sprache" (ibid.) ertragen mußten. 27 Augustin: De Civitate Dei XI,6 PL XLI, 322 28 Idea 57 29 Cf Idea 58 30 Ιάέε 9. Florovsky beruft sich auf Johannes Damascenus: De fide orthodoxa 11,1 PG XCIV, 864 und führt in diesem Zusammenhang (Tvar' 177 (engl.44); Idäe 9; nicht aber inldeal) Apk 10,6 an. Dort ist allerdings gemeint, daß sich das Gericht Gottes nicht länger verzögern wird (cf G.Delling: Art χ ρ ό ν ο ς ). Cf zu diesem eschatologischen Aspekt ausführlich u. 10.4. - Florovsky vermag nicht zu begründen, warum gerade die Kreatur 'Zeit' bei der Auferstehung vergehen wird, nicht aber wie die ebenfalls geschichtlicher Veränderung unterliegenden Menschen verwandelt wird. Die krasse Gegenüberstellung von Zeit und Ewigkeit mit Hilfe der Kategorie der Veränderlichkeit, die der Unterscheidung der zwei Naturen Rechnung tragen will, führt zu dieser Inkonsistenz, die streng genommen zu der These führen muß, die Zeit sei nicht eigentlich eine eigenständige Kreatur, sondern ein Akzidenz des geschöpflichen Seins. Damit aber würde Florovskys Geschichtsbegriff, der Zeit als Ort kreativer Betätigung versteht, nicht mehr aufrechtzuerhalten sein, da für ihn das Zeitliche konstitutiv ist.
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in der Schöpfung."31 Das Faktum zweier grundsätzlich verschiedener Existenzweisen erfordert damit nach Florovskys Ansicht auf Seiten der Kreatur die Notwendigkeit und nicht nur die Möglichkeit zur Betätigung der auswählenden Freiheit. Denn Gott "ehrte [den Menschen] mit Freiheit, auf daß Gutes in nicht geringerem Maß dem gehörte, der es erwählte, als dem, der seinen Samen gelegt hat."32 Mit der Schöpfung hat der Mensch damit die Aufgabe, seine Freiheit zu betätigen, d.h. er hat die Wahl, sich Gott zuzuwenden oder sich von ihm abzukehren. Dabei ist auch die Abkehr vom Schöpfer eine wirkliche Möglichkeit für das Geschöpf. "Das Geschöpf hat die Fähigkeit zum ontologischen Suizid und die Mittel, ihn auszuführen. Das Geschöpf muß sich aus freien Stücken Gott zuwenden, aber es kann sich Ihm auch aus freien Stücken entfremden. In dieser Freiheit manifestiert die substantielle Wirklichkeit der geschaffenen Natur."33 Allerdings hat diese Freiheit ihre Grenze im Willen Gottes, der die Welt aus dem Nichts in Sein gerufen hat (Rom 4,17) und sein Wort nicht zurücknimmt. Doch besteht zwischen Sein und Leben, wie Florovsky in Aufnahme eines Dictums von Augustin schreibt34, der Unterschied, daß der Mensch zwar das Leben in Gemeinschaft mit Gott verfehlen, nicht aber sein Sein auflösen kann. Denn dieses hat er nicht hervorgebracht, sondern es ist Gabe des Schöpfers. "Durch das schöpferische/zai Gottes ist die Welt unwiderruflich zur Existenz bestimmt."35 Sie ist damit in Hinsicht auf das Daß ihres Seins unveränderlich, veränderlich aber in Hinsicht auf ihre Gestalt.36 Diese aber hat, da der Mensch selbstbestimmt handeln kann, Bedeutung für die Ewigkeit, da Gott die einmal geschenkte Freiheit der Kreatur nicht allgewaltig übergeht, sondern "im Menschen nichts ohne die Zustimmung des menschlichen Willens bewirkt."37 31 Tvar' 182 (engl.49) Cf dazu u.7.4. 32 Gregor v.Nazianz: Oratio 45 in S.Pascha 8 PG XXXVI, 632 C 33 Idie 6 34 Cf Augustin: De Genesi ad Litteram 1,5 PL XXXIV, 250: non sicut hoc est ei esse quod vivere. Zitiert in Tvar' 182 (engl.49), Idea 76 und Idäe 6. 35 Idea 76. Für die Eschatologie hat dies enorme Konsequenzen, wie 10.4. aufzeigen wird. Deutlich ist jedoch schon hier: "Christliche Eschatologie hängt unlöslich von einer angemessenen Schöpfungslehre ab." (PatAge 71). 36 Cf Tvar' (engl.49f): "Ihre [sc. der Welt] Eigenschaften und Beschaffenheiten sind unbeständig und veränderlich und sie verändern sich; aber ihre 'Elemente' sind unveränderlich. Und vor allem anderen ist die 'kleine Welt', der Mensch, unveränderlich, und unveränderlich sind die Hypostasen der Menschen, sind sie doch durch den schöpferischen Willen Gottes erzeugt (znamenovannyja; sealed) und aus dem Nichts hervorgebracht." 37 Idie 6. Kapitel 8 geht auf diesen Zusammenhang ausführlich ein.
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"Man kann die Schöpfung definieren als - eine Realität, die ihren Existenzgrund nicht in sich selbst hat; die überhaupt nicht existieren könnte; die nicht durch sich selbst ins Sein treten kann; die einen anderen benötigt um zu sein; die begonnen worden ist, - die aber weder durch sich selbst noch durch Gott ein Ende hat."38
Die Kontingenz der Schöpfung findet somit ihren Ausdruck in der Endlichkeit der Zeit und der gleichzeitigen Unendlichkeit kreatürlicher Existenz. Bevor Florovsky diese Aspekte näher ausführt, behandelt er ausführlich die Frage, wie sich die Behauptung der Kontingenz der Schöpfung zum Sein Gottes selbst verhält. Denn die Behauptung der unterschiedlichen Naturen führt zu der Frage, wie sich Zeugung des Sohnes und Schöpfung der Welt voneinander unterscheiden lassen, da beides Weisen der Hervorbringung eines anderen durch Gott sind. Diese Fragestellung war durch den arianischen Streit bedingt und fand dort ihre Antwort.
7.3 Die Freiheit Gottes und die Kontingenz des Schöpfungsaktes Wie bereits angedeutet, versucht Florovsky das Sein der Schöpfung durch die doppelte Kontingenz von Geschaffensein und Schöpfungsakt zu erklären. Beide Aspekte sollen einander ergänzen. Ziel der Rede über den Schöpfer ist es somit, die bereits aufgezeigte relative Unabhängigkeit der Schöpfung vom Schöpfer nun als absolute Freiheit des Schöpfers seiner Schöpfung gegenüber zu erweisen, um sodann in einem weiteren Schritt Folgerungen für das gegenseitige Verhältnis zu verdeutlichen. Gottes Gottsein in Relation zu seinem schöpferischen Handeln steht damit im Mittelpunkt des Interesses. Nur so erklärt es sich, daß Florovsky der Überzeugung ist, eine rechte Lehre von der Schöpfung, sei "weit mehr als nur die Antwort christlichen Denkens auf die Frage nach den Anfängen. Sie ist die grundsätzliche Überlegung (idea) des ganzen spekulativen Bekenntnisses des christlichen Glaubens."39 Da erst mit der Schöpfung eine andere als die göttliche Natur ins Dasein trat, ist es ausgeschlossen, einen äußerlichen, auf Gott einwirkenden Zwang als Motiv der Schöpfung anzunehmen.40 Weil die Schöpfung ihrer Natur 38 Idäe8 39 Idde 30. Cf auch Idea 54: "Eine angemessene Vorstellung von der Schöpfung ist ein entscheidender Test für die Integrität christlicher Vernunft und christlichen Glaubens. Eine unangemessene Schöpfungslehre ist demgegenüber eine unausweichliche Unterhöhlung des gesamten Gebäudes christlicher Überzeugungen." 40 Ιάέε 13. Florovsky führt hier und in Idea 59 als Beleg interessanterweise Duns Scotus (Quaestiones disp. de rerumprincipio q.4 art.l,n.3) an: Procedit autem rerum creatio a Deo non aliqua necessitate vel essentiae, vel scientiae, vel voluntatis, sed ex
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nach mit Gott aber nichts gemein hat, sondern aus dem Nichts geschaffen wurde, ist auch jede Konsubstantialität zwischen Gott und der Kreatur ausgeschlossen. D i e Schöpfung unterscheidet sich demnach in Hinsicht auf die andere Natur von der Zeugung des Sohnes oder dem Hervorgehen des Geistes aus dem Vater. Letztere sind "so etwas wie eine Notwendigkeit der Natur" Gottes, denn nur so ist Gott überhaupt der dreieinige Gott. 41 Die Schöpfung ist demgegenüber Gottes "Willensakt, eine Tat und eine Handlung, die vollkommen und wesentlich frei ist." 42 Die Unterscheidung zwischen Gottes Willen und seiner Natur soll demnach ermöglichen, die Freiheit Gottes zu denken. Doch ist, insofern Gott ewig und unveränderlich ist, nicht auch sein Wille unveränderlich und deshalb von der Schöpfung ebenfalls Ewigkeit auszusagen? Genau dies war die Position des Origenes, der jedoch "durch die 'hellenistische' Disposition seines Denkens" 43 nur eine unbefriedigende Lösung offerieren konnte. Origenes ging aus von der Unveränderlichkeit Gottes. Will man nun die Schöpfung als Handeln des unveränderlichen Gottes behaupten, s o muß man entweder ihre Gleichewigkeit mit dem Sein
mera libertate, quae non movetur et multo minus necessiatur ab aliquo extra se ad causandum [Die Belegangabe ist wie so oft bei Florovsky falsch. Das Zitat könnte eine sachlich zutreffende Zusammenfassung der q.4 a.2 3f aus den Quaestiones des Duns Scotus sein (cf besonders Abschnitt 116 S. 66,15f in Garcias Ausgabe)]. Nach Auskunft von G.H.Williams (Georges Florovsky, Am.Career 24f - leider ohne Beleg) soll sich Florovsky, durch das Studium der Werke Charles Renouviers motiviert, mit diesem Scholastiker beschäftigt haben, was angesichts der Betonung der individuellen Freiheit bei beiden Denkern gut möglich ist. Für diese Behauptung spricht auch der Umstand, daß Florovsky seine Besprechung der Werke Renouviers wie auch seine ersten Aufsätze zur Schöpfungslehre zur gleichen Zeit veröffentlicht hat. 41 Cf ibid. u.Idea 58f, wo Florovsky u.a. Athanasius, Cyrill von Alexandrien und ausführlich Johannes Damascenus zitiert. 42 Idea 59 43 PatAge 71. Florovsky bestreitet dennoch, daß man im Denken des Origenes ein typisches Beispiel 'akuter Hellenisierung' sehen müßte. Vielmehr waren seine "'Verirrungen' die Geburtswehen des Christlichen Bewußtseins. Sein eigenes System war eine Fehlgeburt (abortive birth). Oder, um die Metapher zu wechseln, seine Fehler wurden selbst Marksteine auf dem Weg zu einer überzeugenderen Synthese." (PatAge 72) Aus diesem Grund scheut sich Florovsky auch nicht, Origenes' Position zur Schöpfungslehre in jedem Aufsatz ausgesprochen ausführlich darzustellen (cf PatAge 71f; Tvar' 185f (engl.52f); Idea 60f; Athanasius 42ff). Origenes' Lehre - Florovsky bezieht sich auf Origenes: De Principiis 1,2,10 - dient ihm zur Profilierung des Problems. Andererseits stellt seine Beurteilung dieser Lehre erneut heraus, daß der christliche Hellenismus der Kirche nicht automatisch gegeben war, wohl aber in nuce auch bei frühen Vätern aufzuspüren ist. Cf Utopizm 43f (engl.91) u.o.7.2 Anm 26.
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Gottes44 behaupten, da Gott sich nicht vom Nichthandelnden zum Handelnden verändern kann; oder aber man muß Gottes Veränderlichkeit behaupten und damit den Gottesbegriff auflösen. Und selbst wenn man konzediert, daß Gott, bevor er tatsächlich die Welt schuf, von ihr nur eine Idee gehabt hat, so wäre dennoch, versteht man seine Unveränderlichkeit in temporaler Weise, zumindest diese Idee der Schöpfung gleichewig mit seinem Sein. Das aber würde für Gott, da er kein potentiales Sein ist, sondern was er ist in vollkommener Weise ist, "eine innere Notwendigkeit, sich ad extra zu offenbaren [...bedeuten], die innere Unausweichlichkeit, von Ewigkeit her zumindest all das zu verwirklichen, was überhaupt verwirklicht werden konnte."45 Dies würde aber bedeuten, daß Gott, um Gott zu sein, die Welt erschaffen mußte. Wird jedoch die Schöpfung als notwendig für Gottes Gottsein gedacht, so kann nicht zugleich seine Freiheit behauptet werden. Gott aber schuf, so lautet das Axiom der Argumentation, ex mera libertate46, wobei seine Allmacht und Freiheit dahingehend zu verstehen sind, daß er "nicht nur die absolute Macht hatte, zu erschaffen, sondern auch als die absolute Macht, überhaupt nicht zu erschaffen."47 Damit aber stellt sich die Kernfrage nach dem Verhältnis zwischen Gottes Unveränderlichkeit und seiner schöpferischen Freiheit, nach dem Verhältnis zwischen seinem ewigen Wesen und seinem ewigen Willen. Diese Frage gilt es so zu beantworten, daß dabei von Gott keine Notwendigkeit, die Welt zu erschaffen, ausgesagt wird. Wie aber ist dies möglich, ohne den origenistischen Irrtum zu wiederholen? Florovsky beantwortet diese Frage, indem er unter Rekurs auf Johannes Damascenus48 zuerst verdeutlicht, was man sich unter dem Schöpfungswil-
44 Das bedeutet, und diese Konsequenz hat Origenes nach Ansicht Florovskys z.T. auch gezogen (cfAthanasius 45f), zugleich, daß zwischen der Zeugung des Sohnes und der Erschaffung der Welt nicht mehr hinreichend unterschieden werden kann. Wirkungsgeschichtlich hat sich diese Auffassung des Origenes nach Florovskys Meinung insofern fortgesetzt, als die Voraussetzung der Unveränderlichkeit des Willens Gottes und die sich damit ergebende Überzeugung einer ewigen Prädestination allen geschichtlichen Seins zur These von der Unfreiheit des Menschen führen muß. Als Vertreter dieses "Irrtums" nennt Florovsky u.a. Calvin. Maximus Confessor habe diesen auf Origenes zurückgehenden "Irrtum" insofern überwunden, als er bei der spirituellen Erfahrung des Gegenübers von Gott und Mensch und damit bei der Freiheit des Menschen ansetzte. "Er hatte verstanden, daß diese menschliche Antwort, diese ελευθερία des Menschen das Wichtigste war. Sie ist der Schlüssel zur ganzen christlichen Glaubenslehre und zum System christlicher Theologie." Maximos 40 45 Idea 61 47 Idea 62
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46 C f o . A n m 4 0 48 So in Idea 63f, Tvar' 191f (engl.60) und Ictee 14f.
len Gottes vorzustellen hat: Da Gottes Wille ewig ist, ist auch sein Wille, die Welt zu erschaffen, ewig. Dementsprechend erdachte Gott die Welt, ohne daß diese bereits existierte. Diese Vorstellungen von der Welt aber haben, weil sie göttlich sind, keinen Anfang und sind unveränderlich. Was erschaffen wird, wird nach diesen Vorstellungen gestaltet, die Vorherbestimmung (προορισμός), Abbild (είκών)49 und Form (παράδειγμα) 50 des Geschaffenen sind. Damit aber stellt sich die Frage, wie die göttlichen Urbilder der Schöpfung sich erstens zum Geschaffenen und zweitens zum Sein Gottes verhalten. Den geschaffenen Dingen gehen die göttlichen Ideen als ihr Urbild von Ewigkeit her voraus: erant in Dei scientia, non erant in sua natura?1 Insofern die Schöpfung aber creatio ex nihilo ist, ist sie keine Weiterentwicklung der göttlichen Urbilder, keine Emanation, sondern neue Wirklichkeit, die mit der göttlichen Natur nichts gemeinsam hat. "Gott erschuf nach Seiner Vorstellung oder nach Seinen Vorstellungen und nicht aus Seiner Vorstellung [...] Sie ist der transzendente Plan der Schöpfung."52 Dieser ist in Gott, während die Welt ihm äußerlich ist, so daß der pantheistische Irrtum, der in jedem Seienden einen göttlichen Keim annimmt, ausgeschlossen ist. Insofern die aus dem Nichts geschaffene Kreatur aber zum Träger der göttlichen Vorstellung wird, ist diese, wie Florovsky unvermittelt behauptet, die dem geschaffenen Seienden "transzendente Entelechie", seine "Norm" und die "Wahrheit einer Sache", die mit seiner Substanz nicht identisch ist, und auf die hin es sich entwickeln soll, ohne deshalb seinshaft an ihr zu partizipieren.S3 Mit diesen Aussagen, die eher den Charakter von 49 Für Johannes Damascenus sind sie die zweite Gestalt der imagina Dei. Er unterscheidet sechs verschiedene imagina Dei (ciDe imagin. 2,19; PG XCIV, 1337C1341): Das erste ist Christus selbst als das natürliche Abbild des Vaters. Das zweite sind die göttlichen Ideen in Gott, nach denen die Schöpfung gestaltet wird. Das dritte schließlich die dem Menschen eigene Ebenbildlichkeit Gottes, das, da die Naturen verschieden sind, nur abbildartig sein kann. 50 Johannes Damascenus: De Fide orthodoxa 1,9 PG XCIV, 837 A 51 Augustin: De Genesi ad Litteram V,18 PL XXXIV, 334 52 Idea 64 53 Cf Tvar' 195 (engl.62), Idea 64f, Idde 16f. Warum zwischen Urbild und der nach dem Plan geschaffenen Kreatur die Differenz besteht, daß sich die geschaffene Kreatur erst zur Höhe des Urbildes hin entwickeln muß, erscheint hier unbegründet. Auf die Relevanz der Rede von der "transzendentalen Entelechie" wird deshalb in 8. zurückgekommen. Allerdings hält Florovsky selbst diese Vorstellung für noch nicht endgültig durchdacht (cf Idea 65 Anm 1) und rät zur Lektüre von F.A.Staudenmeier: Die Philosophie des Christentums Bd.l: Die Lehre von der Idee, Gießen 1840 und dessen Christliche[r] DogmatikBd III Freiburg i.Brsg. 1848 (Neuauflage 1967). Cf zu dessen
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Postulaten als von einleuchtenden Argumenten haben und deren Konsequenzen erst später erläutert werden sollen, will Florovsky erneut die grundsätzliche Verschiedenheit der Existenzweisen von Geschöpf und Schöpfer und damit die Freiheit Gottes unterstreichen. Wie aber, und dies ist die eigentlich wichtige Frage, verhält sich die Ewigkeit der göttlichen Vorstellungen von der zu erschaffenden Welt zu Gottes ewigem Sein? Mit der Unterscheidung von göttlichem Willen und göttlichem Sein wurde bislang nur die Vermutung abgewehrt, Gott müsse um der Vollständigkeit seiner Natur willen die Welt erschaffen, die damit als gleichsam vierte Hypostase54 ins Sein träte. Dennoch ist auch mit der Bestimmung der Schöpfung als Willenstat Gottes die Vorstellung einer ewigen Schöpfung noch nicht notwendig zurückgewiesen. Denn es ist sehr wohl denkbar, daß Gott in der Fülle seines Seins das Sein eines ihm gegenüber anderen Seienden und damit sich selbst als die Quelle dieses Anderen bedacht hat. Die Vorstellung von der Schöpfung als Bestandteil des innertrinitarischen Lebens zu denken, ist aber um der Behauptung der Aseität Gottes willen unmöglich. Florovsky möchte deshalb in Analogie zur Unterscheidung von göttlicher Natur und göttlichem Willen auch zwei Ewigkeiten unterscheiden: "Die göttliche Idee der Welt ist in einer anderen Art von Ewigkeit ewig als das Göttliche Wesen und die Göttliche Selbstbewußtheit."5S Notwendigkeit kann man in Hinsicht auf Gott ausschließlich vom Wesen aussagen und sie besteht darin, der dreieinge Gott zu sein.56 Davon zu unterscheiden ist die vollkommene Freiheit des Willens Gottes, der die Idee der Schöpfung haben kann - oder auch nicht. Man kann sie demnach sogar als kontingente oder unbedingte Idee bezeichnen.57 Gottes Wille ist kontingent, was zugleich bedeutet, daß das Faktum, ob er eine Idee hat oder nicht, an dem Faktum, daß er ist, der er ist, nichts ändert.58 Denn Gott braucht in seiner vollkommit seiner Ideenlehre verbundenen Individualitätsvorstellung A.Gilg: Idee und Geschichte 73ff. Daß Florovsky starke gedankliche Anleihen bei Staudenmeier gemacht hat, ist offenkundig, doch ist wegen der Knappheit der Ausführungen Florovskys zu diesem Punkt ein sinnvoller Vergleich beider Theologen nicht möglich. 54 Cf Idea 65 55 Tvar' 188 (engl.56). 56 Cf Idea 66: "Wir dürfen auch sagen, daß das Dreieinge Sein eine innere Offenbarung der Göttlichen Wesens ist, welches ganz besonders notwendig ist - und vielleicht gibt es im strengen und endgültigen Sinn nichts notwendig außer der Trinität." 67 Cild6e 18 58 Cf Idea 66: "Es gibt einen unaufhebbaren Unterschied zwischen dem 'ist' und dem' hat'. Sonst nämlich würden wir Seine schöpferische Freiheit leugnen, die nicht nur eine libertas specificationis, sondern, vor allem und in erster Linie, eine libertas contradictionis."
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menen Aseität weder ein Objekt seiner Liebe, liebt er sich doch selbst in Vollkommenheit, noch braucht er, um sich selbst abgrenzen und so definieren zu können, sein Gegenteil. Auch wird Gottes Unendlichkeit weder durch die Existenz noch durch die Nichtexistenz eines Endlichen gesteigert oder vermindert. "Er ist αυτάρκης par excellence [...] Gott ist sogar in Hinsicht auf die Möglichkeitvon Kreaturen in herausragender Weise frei, so daß es eine klare Unterscheidung zwischen der Notwendigkeit der Göttlichen Natur und der absoluten Freiheit seines gnädigen Willens gibt."59 Dementsprechend unterscheidet Florovsky in Aufnahme der Theologie der Kirchenväter des vierten Jahrhunderts in dem einen Gott das notwendige Sein Gottes in der einen göttlichen Natur und den drei Hypostasen von dem Willen des dreieinigen Gottes. Da der Wille allen Hypostasen gemeinsam ist, geht die Notwendigkeit des Seins Gottes logisch dem göttlichen Willen und sodann auch seinen Taten voraus,60 "Mit einer gewagten, aber tolerierbaren Ungenauigkeit können wir vielleicht sagen: der schöpferische Wille (intention) ist ewig und doch nicht gleich-ewig mit Gott. Das bedeutet nicht, daß er akzidentell, sondern unterstreicht, daß er frei ist."61 Darin aber liegt das Ziel dieser Argumentation. Aus diesem Grund kann Florovsky das Paradox der zwei Ewigkeiten postulieren62 und den göttlichen Ideen zugleich Kontingenz zuschreiben.
59 Idea 66 in wörtlicher Aufnahme von Ιάέβ 18. 60 Florovsky verweist in Tvar' 190 (engl.58) auf Athanasius, Oratio 11,2 adversus Arianos PG XXVI, 152 Β: δεύτερον εατι... τδ δ η μ ι ο υ ρ γ ε ΐ ν τ ο υ γ ε ν ν α ν τον Θεόν, und ergänzt sachgemäß: πολλω πρότερον το ύπερκείμενον της βουλήσεως. Cf auch Athanasius 52: "Gottes 'Sein' hat eine absolute ontologische Priorität gegenüber dem Handeln und Wollen Gottes." 61 Idea 67 62 Cf dazu auch Tvar' 191 (engl.59): Den göttlichen Ideen kommt "nicht eine Ewigkeit des Wesens, sondern eine freie Ewigkeif' zu. Derartig paradoxe Formulierungen vermögen zwar zu erläutern, was intendiert ist, entziehen sich aber zugleich der klaren begrifflichen Bestimmung [,was zugleich die Schwierigkeit der Darstellung dieser Passagen der Gedanken Florovskys ausmacht]. Florovsky gesteht dieses Problem zu, hält es allerdings für sachgemäß: "Alle Worte haben eher apophatischen, ausgrenzenden oder exklusiven als positiven oder kataphatischen Wert. Aber: kataphatische Theologie bedarf selbst immer der apophatischen Korrektur." Idea 67. In Tvar' 195(engl.62f) begründet Florovsky diese Aussagen mit dem Erfahrungscharakter des Glaubens: Der Glaube erfahre nicht die Natur Gottes, sondern allein sein Handeln. Genau in dieser Erfahrung habe die theologische Interpretation ihre Grenze. "Mit unserer Spekulation dürfen wir über die Grenzen der positiven Offenbarung nicht hinausgehen, und wir müssen uns auf die Interpretation der Erfahrung im Glauben und die Regel des Glaubens beschränken."
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Florovskys Bestimmung der göttlichen Idee zur Schöpfung und damit zugleich auch des Schöpfungsaktes als kontingent könnte nun zu der Vermutung Anlaß geben, Gottes Wille sei letztlich willkürlich. Von Gott aber Willkür anzunehmen, würde "der göttlichen Weisheit widersprechen und sie beleidigen."63 Denn die Behauptung der Freiheit Gottes will zwar verhindern, eine Gott nötigende Beeinflussung aussagen zu müssen. Das bedeutet jedoch nicht, daß seine Freiheit willkürlich ist. "Gott erfand seine Idee der Welt - von Ewigkeit her. Das bedeutet zugleich, daß er höchste Gründe dafür hatte, sie hervorzubringen - und bei diesem ewigen Tun nicht genötigt war, auch nicht durch Seine eigene Güte und Liebe."64 Zwar wird Gott nicht durch seine Liebe genötigt, die Welt zu erschaffen, dennoch ist die Existenz der Welt Ausfluß seiner überreichlichen Liebe. "Die Existenz der Welt ist ein Wunder der Liebe und Güte Gottes."65 Wie aber ist eine derartige Aussage möglich, wenn die Behauptung der Freiheit Gottes zur strengen Unterscheidung von göttlichem Sein und göttlichem Willen, die zwar keine Trennung in Gott, wohl aber eine ontologische Differenz aussagen soll, nötigt und man deshalb Handlungen in Hinsicht auf das göttliche Sein streng von denen in Hinsicht auf anderes Seiendes unterscheiden muß? Auf diese Frage nach der Unterscheidung zwischen Theologie und Ökonomie in der Gotteslehre geht Florovsky mit seinen anschließenden Überlegungen ein. "Alles was wir positiv über Gott behaupten, offenbart nicht Seine eigene Natur, sondern nur "'was sich auf sie bezieht', τ ά περί την φυσιν." 66 63 Tvar' 188 (engl.55) 64 Idea 66 65 Ιάέε 5, cf auch ibid.12,19 und Tvar' 191,206 (engl.59,71). Der Gedanke fehlt in Idea. 66 Idea 67 mit einem Zitat aus Johannes Damascenus: De fide orthodoxa 1,4 PG XCIV, 800 (Stellenangabe in Idea ist falsch). Florovsky bemerkt dazu, daß "Augustin genau an diesem Punkt davon grundsätzlich abweicht." (Ibid. Cf auch Tvar' 199 Anm.(engl.274 Anm.68) und Palamas 118). In der Tat hat die Augustin verarbeitende Theologie die im folgenden darzustellende Unterscheidung zwischen den göttlichen Energien und dem Wesen Gottes nicht nachvollzogen und lehnt sie heute z.T. rigoros ab, weil, wie Florovsky zurecht bemerkt "die Lehre des Hl. Gregor [Palamas] Implikationen für das ganze theologische System, für das ganze corpus christlicher Lehre" hat (Palamas 118. Cf D.Wendebourg: Geist oder Energie? und die äußerst kritische Besprechung dieses Werkes durch F.v.Lilienfeld) - In Idea hat Florovsky allerdings nur eine Seite zuvor das exakte Gegenteil seiner hier aufgestellten These behauptet, um die Schöpfung als Ausdruck der Liebe Gottes, mit der sich die drei Hypostasen untereinander lieben, zu qualifizieren: "Es gibt keine Trennung, keinen Spalt im Göttlichen Leben. Vielmehr offenbart der Göttliche Wille die Göttliche Natur." (Idea 66) Dieser Widerspruch zu dem oben zitierten Satz markiert präzise das Problem, auf das nun einzugehen sein wird.
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Denn, so lautet die übereinstimmende Überzeugung der östlichen Theologie, die Natur Gottes ist unerreichbar, unaussprechlich und unerkennbar.67 Sie ist allein Gott bekannt und von Menschen nicht zu erfassen, sondern nur apophatisch beschreibbar.68 Allein in seinen Energien ist Gott offenbar und zugänglich.69 Die göttlichen Energien sind die Wirkungen des dreieinigen Gottes, sein "vorausdenkendes und produktives Vermögen"70, "die lebensspendenden Manifestationen des Göttlichen Lebens" und damit das, was gemäß Rom l,19fvon Gott erspürt und gewußt werden kann. Sie sind "eine besondere 'Existenzweise' Gottes, von 'Seiner Existenzweise in Hinsicht auf Seine eigene Natur' unterschieden."71 Als solche aber sind die Energien Gott selbst, sie sind gegenüber der göttlichen Natur, wie der Areopagite es treffend ausgedrückt hat, τb ταυτόν και το ετερον. 72 "Vielleicht müssen wir sagen, sie sind das nach außen, das ad extra, das der Schöpfung zugewandte Angesicht Gottes."73 Alle diese Beschreibungen dienen einerseits der Unterscheidung der göttlichen Energien vom Wesen Gottes und damit der Behauptung seiner Freiheit, andererseits aber der ihrer Göttlichkeit. "Diese Unterscheidung ist selbstverständlich keine Trennung. Die Göttliche Natur und die Göttliche Gnade sind grundsätzlich untrennbar, in der Einheit des Göttlichen Seins. Und dennoch müssen wir sie unterscheiden."74 Eine derartige Vorgehensweise reflektiert nach Florovskys Aufassung die alte Unterscheidung zwischen Theologie im Sinne einer 'Lehre von Gott' und Ökonomie im Sinne einer 'Lehre von den Heilstaten Gottes'. Erst als die Theologen des vierten Jahrhunderts diese Unterscheidung erkannten75, konnte die Trinitätslehre und damit insbesondere die Zeugung 67 Cf die klassische These des Johannes Damascenus, De fide orthodoxa 1,1 PG XCIV, 789:Ά.ρρετον ο υ ν τό θεΤον και άκατάληπτον. 68 CiTvar' 196 (engl.63). 69 Florovsky führt zur Begründung dieser beiden grundsätzlichen Aussagen viele Väterzitate an, die insbesondere erweisen sollen, daß die Rede von den göttlichen Energien nicht erst mit Gregor Palamas einsetzte, sondern schon bei den Kappadokiern und Athanasius zu finden ist. Cf Ιάέβ 20ff, das hier passagenweise mit Idea 68ff übereinstimmt, und Tvar' 196ff (engl.63ff). 70 Idie 25. 71 Tvar' 198f (engl.65f). Florovsky bezieht sich mit den Zitatresten auf Bischof SiPvestr: Opyt'Pravoslavnago Dogmaticeskago Bogoslovija Tom.II Kiev 1892-3131. 72 Florovskys BelegDionysiusAreopagita:De dtv.nomwi. IV, 13 PG 111,712 ist nicht verifizierbar. Sachlich enthalten ist der Gedanke ibid. IV,4; IX,5; XI,2. 73 Idea 68 74 Ibid. Florovsky kann die Energien auch mit dem Begriff 'Gnade' bezeichnen. Cf auch Tvar' 203 (engl.69). 75 Die Unterscheidung geht auf Philo und Plotin zurück. Cf Tvar' 196f Anm. (engl.273 Anm.56).
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des Sohnes durch den Vater von der Schöpfungslehre abgegrenzt werden. Denn genau das ist das Problem, das erst mit der Unterscheidung von göttlichem Sein und göttlichen Energien überwunden werden sollte. Im 14.Jahrhundert führte Gregor Palamas diese patristischen Ansätze einer Energienlehre zu voller Blüte.76 Ausgangspunkt Gregors ist die jeder Kreatur vollkommen entzogene göttliche Natur. Sie ist άμεθεκτον. 77 Die Kreaturen kommunizieren mit Gott in seinen Energien, die weder Akzident der göttlichen Natur78 sind, weil sie als Existenzweise des dreieinigen Gottes79 unveränderlich, ungeschaffen und mit dem Sein Gottes gleichewig80 sind. Als solche aber sind sie das beständige Aussichherauskommen Gottes, "ein ewiges Offenkundigwerden (revelation) des schöpferischen Willens Gottes"81. Dementsprechend muß man in Gott seine Natur von den drei Hypostasen und von den Energien, die von der Dreieinigkeit gemeinsam ausgehen, unterscheiden.82 Dabei ist die Unterscheidung der Energien von dem vollkommenen Sein des dreieinigen Gottes nicht als logische Denknotwendigkeit der Menschen zu verstehen, sondern als reale Distinktion in Gott.83 Anders wäre die Zeugung des Sohnes nicht von der durch den dreieinigen Gott gemeinsam bewirkten Schöpfung der Welt zu unterscheiden. Diese Unterscheidung sprengt nicht die Behauptung der Einfachheit Gottes, da sein Wesen einfach ist und bleibt, gerade weil es von dem göttlichen Willen unterschieden, aber nicht getrennt ist. Gott ist einer in drei Personen, die sich gemeinsam in den göttlichen Energien offenbaren.
76 Cf Tvar' 201ff (engl.67ff), Ictee 24ff, Idea 69ff, Palamas 114ff. - Florovsky kommt so häufig auf Gregor zu sprechen, weil die durch Gregor formulierte Unterscheidung auf den Konzilien in Konstantinopel 1341 und 1351 bestätigt wurde, und "orthodoxe Theologen durch die Entscheidung gebunden" sind (Palamas 117). Dies widerspricht dem, was Florovsky zur Autorität von Konzilien gesagt hat (cf.o.5.4.3). 77 Gregor Palamas: Capita 75 PG CL1173 Β 78 Cf Gregor Palamas: Capita 127 PG CL, 1209 C 79 Cf Gregor Palamas: Theophanes PG CL, 941 80 Cf Gregor Palamas: Capita 140 PG CL, 1220 A 81 Idea 70. Cf Gregor Palamas: Theophanes PG CL, 937 C-D. Um zu verdeutlichen, daß die göttlichen Energien somit nicht bloß eine Funktion Gottes sind, sondern zu Gott selbst gehören, schreibt V.Lossky: Die Mystische Theologie 96: "Wenn auch die Geschöpfe nicht existierten, so würde sich Gott dennoch außerhalb Seiner Wesenheit kundtun." 82 Cf Tvar' 201 Anm.(engl.275 Anm.78) 83 Cildäe 24 und Tvar' 200f (engl.67) und 205f (engl.71): Die Unterscheidung "hat eine objektive und ontologische Bedeutung und drückt die absolute Freiheit der Göttlichen Schöpfertätigkeit und Handlungsweise aus."
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"Keine dieser Energien ist hypostatisch oder selbst eine Hypostase, und ihre unzählbare Vielfalt führt zu keiner Zusammensetzung des Göttlichen Seins. Die Gesamtheit der Göttlichen 'Energien' bildet seinen vor-zeitlichen Willen [...] Das ist Gott Selbst, nicht Sein Sein Wesen entscheidendes Wesen, sondern Sein Wille."M Florovsky s aus Aussagen der Väter übernommene Unterscheidung der göttlichen Energien vom Wesen Gottes entspricht somit der zwischen Gottes Wesen und seinem Willen. Wie nun aber bereits oben von der göttlichen Existenz in drei Hypostasen 'Notwendigkeit' ausgesagt wurde, so ist nun auch von den Energien - analog zum göttlichen Willen - Freiheit auszusagen. Gott ist in seiner Offenbarung ad extra frei. Er hätte, wie Florovskys Grundaxiom der Schöpfungslehre es beschreibt, auch nicht erschaffen können. Konsequenz der Unterscheidung zwischen dem Sein Gottes und seinem Willen bzw. seinen Energien ist für Florovsky die in diesem Zusammenhang immer wieder erwähnte methodische Unterscheidung zwischen Theologie und Ökonomie. Ziel der Rede von den göttlichen Energien ist die Unterscheidung von Zeugung und Schöpfung, von innertrinitarischem Sein und göttlichem Handeln ad extra. Als Unterscheidung in Gott verstanden muß diese Unterscheidung für die Rede von Gott dahingehend fruchtbar gemacht werden, daß "jegliche kosmologischen Motive in der theologischen Lehre von der Heiligen Dreifaltigkeit höchst sorgfältig vermieden werden."85 Würde man diese nämlich zur Beschreibung des innertrinitarischen Lebens heranziehen, so würde man die fundamentale Unterscheidung in Gott nicht beachten und letztlich natürliche Zeugung des Sohnes bzw. das natürliche Hervorgehen des Geistes von der willentlich motivierten Schöpfung nicht unterscheiden können. "Die Beziehungen der Drei Göttlichen Hypostasen muß ohne irgendeinen Bezug auf die Geschöpfe, - seien sie vorherbedacht, verwirklicht, der Sünde verfallen, gerettet oder geheiligt definiert werden."86 Denn das Sein Gottes vollzieht sich in göttlicher Vollkommenheit unabhängig von allem nichtgöttlichen Dasein. Es liegt jeder Tat Gottes ontologisch - von Ewigkeit her - voraus. "Offenbarung ist ein Tun aus Liebe und Freiheit und führt deshalb nicht zu irgendeiner Veränderung in der Göttlichen Natur. Es führt einfach deshalb zu keiner Veränderung, weil es dafür überhaupt keine 'natürlichen' Gründe gibt."87 Somit ist 84 Tvar' 203 (engl.68f) 85 Idea 71. Da die vornizänischen Väter die Unterscheidung zwischen dem Sein und den Energien Gottes noch nicht kannten, haben sie nach Florovskys Meinung illegitim kosmologische Motive in die Gotteslehre eingetragen. Cf Tvar' 196 (engl.63f) 86 Idea 72 87 Tvar' 206 (engl.71)
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auch die Offenbarung in Christus als Heilsökonomie, d.h. als ein Aspekt göttlichen Seins zu verstehen, der vom göttlichen Wesen, seinem für sich Sein in der Unterschiedenheit der drei Hypostasen und der Gemeinsamkeit der einen Natur unterschieden werden muß. "Die Inkarnation ist für Gottes Gottsein, für das Sein der Heiligen Dreieinigkeit nicht notwendig. Es ist das Werk heilsökonomischer Kondeszendenz und nicht das der Natur."88 Die Freiheit Gottes ist das die Lehre von der Kontingenz der Schöpfung komplementär ergänzende Thema der Schöpfungslehre Florovskys. Diese Freiheit manifestiert sich in den heilsökonomischen Energien Gottes, die von seinem Wesen - seinem Sein in drei Hypostasen - zu unterscheiden sind. Sein und Akt fallen bei Gott nicht zusammen89, so daß das Handeln Gottes nicht über sein Sein entscheidet. Gerade darin erweist sich die Freiheit Gottes und die Kontingenz seines Handelns. "Das ist, wie wir es zu nennen wagen können, die Göttliche Kontingenz. Aber es ist eine Kontingenz modo divino."90 In dieser Bestimmung unterscheidet sie sich von Willkür. Denn was Gott will, das will er von Ewigkeit her auf Ewigkeit hin. In dieser Unabänderlichkeit des Willens Gottes manifestiert sich seine absolute Freiheit. Darin ereignet sich, wie Florovsky in Aufnahme der klassischen scholastischen Unterscheidung formulieren kann, in der göttlichen Ewigkeit der Ubergang von der potentia absoluta zur potentia ordinata.91
7.4 Die Freiheit des Menschen und das Wesen der Geschichte Die zwei Kernthesen zur Schöpfungslehre - 'Die Welt hätte auch nicht existieren können. Gott hätte auch nicht erschaffen können' - bringen für Florovsky die grundsätzliche Kontingenz sowohl des Schöpfungsaktes wie 88 Idea 73. Florovsky verweist auf Johannes Damascenus: Tractatus cJakobitas 52 PG XCIV, 1464 A. Warum dies allerdings bedeutet, daß man, wie es das Nizänum vorexerzierte, von Appropriationen nicht absehen soll (cildea 72 und Idie 27), ist nicht deutlich. Vielmehr scheint der Gedanke, daß Gottes Wesen unerkennbar ist, dieses Wesen dem menschlichen Denken immer wieder zu entziehen und schließlich via eminentiae et negationis in unwirkliche und letztlich belanglose Ferne zu entrücken (cf E.Jüngel: Gott als Geheimnis 316ff). -Hier scheint auch der Grund dafür zu liegen, daß eine eigentliche Trintätslehre oder trinitarisch begründete theologische Gedanken bei Florovsky fehlen. Ob Gott der dreieinige Gott ist oder nicht, spielt für seine christozentrisch konzipierte neopatristische Synthese keine Rolle (cf dazu 11.2). 89 Cf Athanasius 61f 90 Idea 73 91 Cf ibid. und Tvar' 206 (engl.72).
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des geschaffenen Seins zum Ausdruck. Konsequenz dieser Kontingenz ist sowohl auf seiten der Schöpfung wie auf seiten Gottes die Behauptung radikaler Freiheit. Ziel dieses Abschnittes ist es demnach, diese jeweilige Freiheit in ihrem Zusammenwirken näher zu untersuchen. Denn aus dem bislang Ausgeführten hat sich bereits ergeben, daß Freiheit zwar Autonomie, nicht aber gänzliches Losgelöstsein von Schöpfer und Geschöpf bedeutet: Die Schöpfung weist bereits von sich aus auf den Schöpfer und weiß sich nach dem Willen des Schöpfers gestaltet, der seinerseits die Welt ins Dasein gerufen hat, damit sie ewig sei und seine Liebe kundmache. Wird aber die Freiheit, die das Geschehen zwischen Gott und seiner Schöpfung durchwaltet, näherhin bestimmt, dann ist dies zugleich eine Untersuchung des Geschichtsverständnisses Florovskys, denn wo etwas geschieht, wird Geschichte Ereignis. Ansatz und Grundlage der Schöpfungslehre ist, wie in 7.1 gezeigt, die in Christus manifest gewordene Vereinigung von menschlicher und göttlicher Natur. Gott schuf die Welt nicht, damit diese unabhängig von ihm ihr Dasein friste, sondern die in der Person Christi manifestierte 'Zweinaturenhaftigkeit'92 ist Sinn und Zweck der Schöpfung. Insofern die Offenbarung Gottes in Christus dieses göttliche Ziel offenbart hat, ist nun aber zugleich die zeitliche Existenzweise der Schöpfung, dieser vom göttlichen fundamental unterschiedene Seinsmodus der Kreatur, mit der göttlichen Gegenwart begnadet und damit geheiligt worden.93 Der vorher scheinbar qualitätslose Fluß der Zeit wurde sub specie revelationis bedeutsam, denn die Inkarnation hat die Welt in ihrer "empirischen Erfüllung" gezeigt, insofern an Christus der Sinn und das Ziel der Schöpfung offenkundig wurde. Florovsky zieht daraus die Schlußfolgerung: "Man könnte sagen: erst das Christentum enthüllt einem die Geschichte, erst durch das Christentum bekommt man ein Gefühl und Verständnis für die Geschichte [...] Wer kein Gefühl für die historische Dynamik hat, wer die historische Zeit nicht in ihrer letzten Realität sieht, der kann kein Christ sein."94
Das bedeutet nichts anderes als: wer das Christusereignis nicht als historische Tatsache mit seinen Implikationen für das Verständnis von Geschichte in den Blick nimmt, verfehlt das Christsein und damit Gott selbst. Aus diesem Grund haben die mit dem durch Christus gewirkten Heil verbundenen historischen Ereignisse eschatologische Bedeutung. "Sie sind 92 Cf oben 4.2 und Tvar' 211 (engl.77) 93 Cf Predicament 62. Florovsky erläutert dies in Worshipping 27f konkret am Heiligenkalender, dessen Gedenktage ein beredtes Zeugnis für die Heiligung der fortlaufenden Zeit ablegen. 94 Krise 11,7 (engl.35)
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eschatologisch, weil sie historisch sind, d.h. weil sie in der Abfolge vorangegangener Ereignisse stehen und dadurch in der Retrospektive die ganze Zeitenfolge (sequence) rechtfertigen."95 Die Rechtfertigung der Zeit durch die Offenbarung in Christus bedeutet für das Verständnis von Geschichte, daß diese ohne Bezug auf das ihr in der Person Christi vor Augen gestellte Ziel verfehlt wird.96 Sie nimmt ihren Ausgangspunkt bei Christus, findet in seiner Offenbarung ihr Zentrum und wird sich am Ende der Zeit in der offenbaren Gemeinschaft mit dem Herrn der Welt vollenden. Entscheidend an dieser Grundlegung ist nun, daß das der Schöpfung vorgestellte Ziel der Zweinaturenhaftigkeit ihr nicht mit der Schöpfung gegeben wurde und gleichsam naturhaft innewohnt, sondern ihr von außen, von Gott vorgestellt wurde. Die Geschichte ist demnach nicht eine Entwicklung ihr bereits natürlich innewohnender Potenzen. "Geschichte ist keine Evolution, und der wirkliche Verlauf der Ereignisse folgt keinen evolutionären Schematismen und Vorbildern. Historische Ereignisse sind mehr als Geschehnisse; sie sind Handlungen oder Handlungskomplexe."97 Mit dieser Aussage grenzt sich Florovsky scharf vom evolutiven und vom durch die deutsche idealistische Philosophie begründeten Geschichtsbegriff ab. Denn, so lautet sein durchgängiges Argument98, in diesen Konzeptionen wird der Mensch auf die Ebene der Natur reduziert und sein in Christus offenbar gewordener Bezug auf die die Naturebene transzendierende Zweinaturenhaftigkeit der Kreatur negiert. Gerade dieser Bezug auf Christus ist die conditio sine qua non des Christentums. "Die Idee der Entwicklung setzt immer eine gewisse vorausbestimmte innere Struktur des Sich-Entwickelnden voraus."99 Wird sie auf die Menschheitsgeschichte angewendet, so wird die Möglichkeit der lebendigen Beziehung der Kreatur auf Gott ausgeschlossen, da Geschichte dann nur die Offenbarung bereits in ihr selbst angelegter Präformierungen100 ist. Oder 95 Predicament 58. Cf auch Corps 31: "Eschatologie schließt Geschichte nicht ab und widerspricht ihr nicht. Denn die Geschichte ist selbst eschatologisch geworden, seitdem eschatologische Elemente in sie eingetragen wurden." 96 Cf Faith 21: "Zwar ist die 'Geschichte' nur eine armselige Antizipation der 'Ewigkeit', dennoch ist sie wirkliche Antizipation, und der kulturelle Prozeß in der Geschichte bleibt auf die letzte Vollendung bezogen." 97 Predicament AS 98 Florovsky äußert sich zu dieser Problematik besonders in den Aufsätzen Evolution, Krise und Utopizm. 99 Evolution 240 100 Cf Krise 11,5 (engl.34): "Entwicklung ist ein morphologischer, kein dynamischer Begriff. Entwicklung ist eine Offenbarung, keine Schöpfung. Nichts wird neu erschaffen. Entwicklung ist eine Offenbarung der Form. Eine Entwicklungstheorie ist immer
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aber, und dies ist Florovskys Vorwurf an die idealistisch beeinflußte Geschichtsvorstellung, die Welt wird als "eine ewige Selbstoffenbarung Gottes" verstanden und Gott als die die Welt 'im Innersten zusammenhaltende' Kraft zu einem Prädikat derselben gemacht, so daß das fundamentale Gegenüber von Gott und Geschaffenem aufgelöst wird. Historisch greifbar und wirkmächtig ist diese Überzeugung für Florovsky zuletzt in den utopistischen Entwürfen des zuendegehenden 19. Jahrhunderts geworden.101 Der Hauptvorwurf Florovskys gegenüber dieser Philosophie besteht darin, daß der gesellschaftliche Utopismus an die Möglichkeit immanenten geschichtlichen Glücks glaubt und damit die der Wirklichkeit transzendenten Werte und Ideale auf die Ebene der Wirklichkeit herabzieht und sie in ihr auflöst, so daß, erstens, der Blick für die konkrete Wirklichkeit getrübt wird, da die Ideale ihre kritische Funktion für die Wirklichkeit verloren haben, da sie ihr nicht gegenüberstehen dürfen, sondern in ihr identifizierbar sein müssen. Wirklichkeit wird so abstrakt, was, zweitens, zu einer Verallgemeinerung der Aussagen über Mensch und Gesellschaft führen muß, da der einzelne Mensch nur als Glied in der sich gesetzmäßig auf das Gute hin vollziehenden Wirklichkeit in den Blick kommt. Hier wird auch die Erfahrung von Leid und Bösem dem letztlich sich einstellenden gesamtgesellschaftlichen Glück unter- und eingeordnet, so daß sich der Mensch trotz seines möglichen subjektiven Empfindens von Unterdrückung und Fremdbestimmung zugleich eingebunden wissen kann in den Entwicklungsprozeß der Welt auf das Gute hin.102 Der im Begriff der Entwicklung angelegte "geschichtliche Automatismus entfernt das Risiko des Unglücks. Und gleichzeitig vernichtet er auch die Möglichkeit zur Kreativität. Mit dem trefflichen Ausdruck Vater S. Bulgakovs: Von diesem Blickwinkel aus stellt sich das ganze Leben 'im Passiv' dar."103 Der Mensch, der die die Wirklichkeit ursprünglich trans-zendierenden Werte vergegenständlicht104, wendet sich nun ganz der Welt zu. Er verfällt der eine Theorie der Präformation." Aus diesem Grund sieht Florovsky in der "Deutung der Geschichte als einer Entwicklung nichts anderes als einen Biologismus." (Evolution 246) 101 Ausführlich setzt sich Florovsky damit in Utopizm aus dem Jahre 1926 auseinander. Auch wenn dieser Aufsatz keine Namen von Vertretern des Utopismus nennt, so spiegelt er doch das Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit den Eurasiern (cf o.2.1.2f) sowie seine Einschätzung des frühen Sowjetsystems wieder, das er hier zwar nicht explizit nennt, das aber deutlich im Hintergrund seiner Erörterungen durchschimmert. - Die folgenden Ausführungen geben die Hauptgedanken aus Utopizm 31-46 wieder. 102 Florovsky bezieht sich mit diesem Gedanken (cf Utopizm 38 (engl.86)) auf Ch.Renouvier. 103 Utopizm 38 (engl.85) 104 Cf Utopizm 39 (engl. 85)
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"kosmischen Besessenheit"105, denn nun erblickt er in der Welt das Ziel des Seins und empfindet sich als naturhaft eingebundenes Rad in der fortschreitenden Geschichte. "Angesichts der weltlichen Naturkraft in ihrer zwangsläufigen Unabwendbarkeit erkennt der utopistische Mensch das Trugbildartige und Nichtige seines 'eigenen Lebens' und er kann sich auch nicht dazu entschließen, sich sein Leben, seinen Willen zuzuschreiben."106 Gerade das aber ist, wie Florovsky im Anschluß an V.Nesmelov schreibt107, Ausdruck der Sünde, da der sich der "kosmischen Besessenheit" unterwerfende Mensch die ihm mit dem Faktum seines Geschaffenseins geschenkte Freiheit nicht realisiert. Diese tätige Freiheit aber ist das die Geschichte von naturhafter Entwicklung schlechthin unterscheidende Merkmal. Florovsky zitiert deshalb zustimmend Schelling: "Geschichte im einzig wahren Sinn hat nur da Platz, wo man absolut, d.h. von jeder Erkenntnisstufe aus die Richtung des freien Handelns nicht vorherbestimmen kann."108 In diesem Sinn frei ist aber nur der Mensch. "Deshalb hat auch nur der Mensch eine Geschichte."109 Allerdings, und darin kritisiert Florovsky Schelling, ist diese deshalb nicht schlechthin unbestimmbar, da die schöpferisch tätige Freiheit nicht Willkür ist, sondern auf das in Christus gesetzte Ziel hinstrebt.110 Geschichte ist wegen der Konzentration auf den agierenden Menschen das Gebiet des Besonderen, Spezifischen und Individuellen. Zugleich aber sind auf Geschichte bezogene Aussagen immer Wertaussagen, weil sich die Freiheit auf die die Wirklichkeit transzendierenden Werte richtet. Diese beiden Bestimmungen H. Rickerts präzisert Florovsky zusätzlich durch den Begriff der Dynamik. "Die Geschichte ist das bewegliche Integral einer unbestimmbaren Vielzahl individueller schöpferischer Tätigkeiten (podvigov), Gemütsregungen und Sehnsüchte ... Deshalb ist in ihr alles dynamisch."111 Nach Florovskys Meinung ist es der grundsätzliche Fehler der 105 Utopizm 39 (engl. 87), 43 (engl.90) 106 Utopizm 40 (engl.87) 107 Cf Utopizm 42f (engl.90) 108 Zitiert nach Krise 11,6 (engl.34). 109 Krise 11,6 (engl. 34) 110 Cf ibid und Utopizm 47. Zur näheren Begründung und Ausführung dieses Gedankens cf die bereits skizzierten Aussagen zu den göttlichen Prädestinationen in 7.3 sowie die erläuternden Bemerkungen dazu im Folgenden. - Zu Florovskys Position Schelling gegenüber cfKrise 11,9 (engl.37), wo er dem Philosophen vorwirft, er verharre letztlich bei einem historischen Symbolismus. 111 Utopizm 49. Cf auch Predicament 48: "Die Geschichte ist ein Feld von Handlung, und hinter den Ereignissen stehen Handelnde." Cf auch Evolution 246. Florovsky kann deshalb die Begriffe 'Geschichte' und 'Mensch' nahezu äquivok gebrauchen. Cf Evolution 245f.
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modernen Historiosophie, daß sie diese Dynamik des frei agierenden, des handelnden Menschen nicht hinreichend berücksichtigt und damit das Spezifische des Menschseins, sein Personsein übersieht. "Sonderbarerweise läßt sich die Geschichtsphilosophie zu häufig ohne eine philosophische Anthropologie, ohne den Menschen aufbauen [...] Eben darum bleibt die die Geschichte von der Natur trennende Grenze undeutlich; denn der grundsätzliche und charakteristische Begriff der Geschichte ist eben derjenige der Persönlichkeit."112 Florovsky wendet sich deshalb entschieden gegen das Programm der Entmythologisierung R.Bultmanns. Zwar stehe hier wie bereits im Pietismus die Entscheidung des Menschen ganz im Mittelpunkt, doch werde zugleich die Eschatologie ganz ins Innere des Menschen verlegt. Damit aber qualifiziere sich Bultmanns theologisches Programm als erneuter Versuch zur Entgeschichtlichung des christlichen Glaubens.113 Für Florovsky aber gehören die Begriffe 'Persönlichkeit', 'Freiheit' und 'Geschichte' unlöslich zusammen. Wie ist ihr Zusammenhang näher zu bestimmen? Die Beantwortung dieser Frage führt in das Zentrum des Geschichtsverständnisses Florovskys und ist zugleich eine der schwierigsten Aufgaben bei der Darstellung seiner Theologie, denn es gibt nur wenige Problembereiche, zu denen er sich derart unklar äußert und von logischer Stringenz der Aussagen absieht. Sachlicher Grund dafür ist das Interesse, das, was prinzipiell unterschieden werden muß wie z.B. der Seinsmodus Gottes und der der Kreatur oder Gottes sich durchsetzender Wille und menschliche Freiheit, als Zusammenhang bzw. Zusammenwirken zu beschreiben. Hier muß es zu logischen Schwierigkeiten kommen. Florovsky ist sich dieses Problems bewußt, gibt dies allerdings nur implizit zu erkennen, wenn er am Ende des Aufsatzes Evolution schreibt: "Die Wurzel der Spekulation liegt in der Erfahrung, aber Verschiedenes kann sich dem Menschen offenbaren."114 Entweder nämlich der Gedanke, der Mensch könne sich nur naturhaft entwickeln und sei in der Welt gefangen, oder aber die von Gott offenbarte Freiheit als Möglichkeit, die Bindungen der Natur auf die göttliche Freiheit hin zu überwinden. Diese Erfahrung, die letztlich Glaubenserfahrung ist, kann den zu verhandelnden Sachverhalt, eben weil er sich dem Glauben verdankt, nur annäherungsweise beschreiben, ihn aber nicht präzise ableiten.115 112 Evolution 247 113 Cf Predicament 32 und Last Things 243. 114 Evolution 252. Der Begriff 'offenbaren' ist hier unspezifisch im Sinne von 'eröffnen' zu verstehen. 115 Cf Evolution 250. Zum Ansatz der Beschreibung des Zusammenhangs von Person, Freiheit und Geschichte bei der religiösen Erfahrung cf auch Utopizm 46f und 51.
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Ausgangspunkt der Überlegungen zum Zusammenhang von Freiheit und Geschichte ist das mit der Schöpfung gegebene Faktum der Existenz zweier verschiedener Seinsmodi, von deren Subjekten, Gott bzw. den Menschen, je unbedingte Freiheit auszusagen ist. Aus diesem Grund geht Florovsky davon aus, daß der göttliche Schöpfungsbefehl und -plan "nicht einfach dem geschaffenen Sein aufgezwungen wurde. Der Schöpfungsplan (design) ist zugleich ein kraftvolles und effektives fiat wie Ruf und Berufung zu kreatürlicher Freiheit. Der historische Prozeß ist letztlich dyotheletisch".116 Die dem Menschen gesetzte Berufung ist demnach nicht Bestandteil der Natur und in diesem Sinn keine evolutive Notwendigkeit. Sie ist vielmehr übernatürlich, das der Wirklichkeit transzendente Ziel menschlichen Seins, das in Christus als Anteilhabe an der göttlichen Natur manifest geworden ist. Indem diese Berufung aber dem Menschen gilt, entbindet sie ihn von den Zwängen natürlichen Seins, macht ihn zu einem im Sinne Florovskys geschichtlichen Wesen. Die Berufung des Menschen "ist übernatürliche Vollkommenheit. Sie ist somit eher eine Norm, unabhängig von der die Kreaturen sich nicht verwirklichen können, da die Verwirklichung der Kreatur genau darin besteht, über sich hinauszuwachsen."117 Der Mensch ist somit "ein Bewohner zweier Welten"118: Einerseits hat er ein natürliches Wesen, das sich auf natürliche Weise entwickelt und die angeborenen Eigentümlichkeiten verwirklicht. Andererseits aber ist der Mensch "freies Subjekt, das Subjekt der Selbstbestimmung, ein schöpferischer Mittelpunkt aller Kräfte"119, kurz "Persönlichkeit [...die] sich von sich selbst, von ihrer eigenen individuellen Beschränktheit und Bestimmtheit befreien kann, daß sie nicht nur das sein kann, was sie ist, sondern auch zu dem werden, was sie nicht ist und zu dem sie nicht werden kann, wenn sie es nicht vermittels der Freiheit genehmigt."120 Die Betätigung der Freiheit ist demnach die zentrale Aufgabe des Menschen.121 Sie läßt ihn seiner Berufung entsprechen
116 Idea 75. Cf auch Idie 30: "Der Mensch ist wesentlich Handelnder (un agent substantiel), durch die Güte Gottes zur freien Ausübung seiner Möglichkeiten berufen, durch die er sich verwirklichen muß." An den von mir eingefügten Hervorhebungen ist auch hier die dialektische Spannung zwischen effektivem Handeln Gottes und freier Tätigkeit des Menschen aus Berufung heraus zu erkennen. 117 Idea 76 118 Evolution 250. Die Rede vom Menschen als Mikrokosmos versucht denselben Sachverhalt zu beschreiben. Cf Idea 74. 119 EvolutionTAT. Cf ibid.: "Wegen der Freiheit hört die Persönlichkeit auf, bloßein natürliches Wesen zu sein." 120 Evolution 246 121 Cf Evolution 250f: "Der Mensch ist seiner selbst als einer Persönlichkeit eben
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und enthebt ihn der Bindungen natürlicher Entwicklung. Zugleich aber ist die in dieser Weise realisierte Freiheit Einbruch der göttlichen Berufung in die geschöpfliche Wirklichkeit122, sie ist, wie Florovsky aus diesem Grund sagen kann, schlechthinniges Wunder. Wunder aber sind innerweltlich unableitbar und damit creatio ex nihilo.123 Wegen dieses wunderhaften Charakters menschlich betätigter Freiheit aber charakterisiert Florovsky das wirklich geschichtliche Handeln von Menschen mit dem Begriff Epigenesis1M, denn als frei und schöpferisch Agierender handelt der Mensch in einer Gott entsprechenden Weise. Indem er über sich selbst hinauswächst und sich zu Gott emporhebt, "wird der Mensch er selbst, [...] verwirklicht sich und schafft sich gleichsam selbst."125 Obwohl das Ereignis menschlich betätigter Freiheit den Einbruch göttlicher Wirksamkeit bedeutet, wäre es ein Mißverständnis der Aussagen Florovskys, wollte man in dem bislang Gesagten den Beweis für eine Aufforderung zur Selbstrechtfertigung oder Selbsterlösung des Menschen sehen. Gerade weil die Freiheitstat des Menschen auf Gott zu ein Wunder ist, ist dieses Ereignis ein geglücktes Zusammenwirken Gottes mit dem Menschen. "Zur vollkommenen Verwirklichung [des menschlichen Selbst] muß die freie Bemühung des Menschen durch eine Herabkunft von Gnade bestätigt werden."126 Hier geht es nicht um die Belohnung einer menschlichen Leistung, sondern um die abschließende Krönung und Salbung des Menschen127, der sich darin selbst als die von Gott berufene Kreatur empfängt. Er erfährt an sich selbst, daß er der göttlichen Berufung konform geworden ist.128 Eine substanzhafte Identität mit dem Bild, das Gott von Ewigkeit her von der Schöpfung hat, ist aber ausgeschlossen, da der göttliche Plan, die göttliche Prädestination "in Hinsicht auf die Natur immer jenseits aller Grenzen und überirdisch bleibt"129. Diese Differenzie-
dadurch bewußt, daß er sich in einer Welt der Aufgaben wahrnimmt und fühlt, d.h. an der die beiden besonderen Welten trennenden Grenze [...]". 122 Cf Evolution 248: "Die Freiheit und das Schöpfertum offenbaren sich darin, daß das natürliche Ereignis sich als ein Wert, als eine Erscheinung 'der anderen Welten' erweist. Dabei gehen die Grenzen auseinander, die Zusammenhänge des Werdens bekommen einen Riß, die Ewigkeit dringt ein." 123 Ci Evolution 249 124 Cf Evolution 250 und sachlich entsprechend Idea 74: "imitative creation". Darin manifestiert sich für Florovsky u.a. die Wirklichkeit des imago Dei im Menschen (cf High Calling 32). 125 Idea 74 126 Ibid. 127 Cf Tvar'209 (engl.74) 128 Cf Wife 29 129 Tvar' 207 (engl. 72)
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rung ist notwendig, damit einerseits die Kreatur kein Bestandteil der Natur Gottes wird, andererseits aber die dem Menschen geltende Berufung als beständige Norm seines Seins erhalten bleibt. Denn der Gedanke der Freiheit des Menschen nötigt auch zu der Einsicht, daß der Mensch sich nicht automatisch für, sondern auch gegen Gott entscheiden kann. Eine Absage an die göttliche Berufung kann diese jedoch nicht ungeschehen machen.130 Aus diesem Grund kann die Vorstellung Gottes von jeder Kreatur, deren transzendentale Entelechie, für diese je nach getroffener Entscheidung für oder gegen Gott einen seinen Seinsvollzug bejahenden oder einen drohenden Charakter annehmen.131 Faßt man das Gesagte zusammen, so ist deutlich: Das Gesicht der Geschichte wird nach Florovskys Meinung vom Menschen bestimmt. Sein individuelles Handeln entscheidet darüber, ob sich der göttliche Heilsplan für die ganze Schöpfung durchsetzen wird oder nicht.132 Gott hat dem Menschen Freiheit geschenkt, damit er sich frei für ein Sein mit ihm entscheide. Der Ausgang der Geschichte ist demnach offen, auch wenn das göttlich intendierte Ziel unveränderlich bleibt. "Die Welt vervollkommnet sich nicht aus sich selbst heraus, vielmehr muß sie die göttliche Wohltat empfangen."133 Damit bleibt in Florovskys Konzeption die Geschichte ein dualistischer Prozeß134, der dann zu seinem Ziel kommt, wenn die Freiheit über die Notwendigkeit einer durch natürliche Gesetzmäßigkeiten diktierten Entwicklung triumphiert. Diesem Sieg der Freiheit gilt Florovskys ganzes Interesse.135 Dennoch ortet er das Kernproblem der Geschichte an 130 Cf Tvar' 207 (engl.72): Die Schöpfung "ist mit ihnen [sc.den Prädestinationen] unabänderlich und nicht ablösbar verbunden, und bleibt auch im Widerstand dagegen mit ihnen verbunden." 131 Cf Tvar' 208 (engl.73) 132 Cf Utopizm 50: "Jede menschliche Geste hat eine soteriologische Bedeutung mit einem Zeichen plus oder minus." Cf auch Disunity 170 = CW XI 11,28 (dt 190f): "Gottes Erlösungsabsicht kann von menschlicher Verstockung und Blindheit, von der Nichtbeantwortung durch den Menschen durchkreuzt und vereitelt werden." 133 Utopizm 48. Cf auch Tvar' 211 (engl.77). 134 Cf Idde 30: "Der geschichtliche Prozeß ist ein dualistischer, der durch die Kooperation und den geheimnisvollen Synergismus von Gnade und menschlicher Freiheit bestimmt ist." 135 Cf Evolution 251: "Dadurch, daß in den Grenzen der Natur sich ein übernatürlicher Prozeß aufrollt, wird der letzte Sinn der Schicksalsvorausbestimmtheit des natürlichen Lebens verändert: die Notwendigkeit wird der Freiheit unterworfen." Richtig stellt G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 55, dazu fest: "Seine [sc. Florovskys] Schöpfungslehre muß vordringlich nicht als Lehre von der Natur verstanden werden, sondern als Lehre von der geschichtlichen Kontingenz und der immer
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anderer Stelle: "Das Thema der wirklichen Geschichte, der einzigen Geschichte, die wir kennen, ist mit der Existenz der Sünde gegeben."136 Die Geschichte hat zwar ihr von Gott gegebenes Ziel, doch wird es durch den Mißbrauch bzw. die Fehlleitung der Freiheit immer wieder verfehlt. Aus diesem Grund ist die Geschichte für Florovsky grundsätzlich "tragisch", geprägt von der Spannung, daß in ihr sowohl die Erlösung stattfindet, als auch die Sünde ihr Unwesen treibt.137 Diese Tragik aber ist Konsequenz der mit der Kontingenz der Schöpfung gegebenen kreatürlichen Freiheit, sie zu erkennen eine Gabe des Glaubens. Diese Tragik näher zu bestimmen, ist das Ziel des folgenden Kapitels.
neuen Möglichkeit der Menschen, sich von der Natur zu befreien und von jeder Art von Determinismus, sei sie prädestinatorisch, dialektisch materialistisch, rassistisch oder progressivistisch." 136 Last Things 247 137 Diese Ausssage ist in vielen Schriften Florovskys zu finden. Cf z.B. Utopizm 48, 50 und Predicament 65. Daß L.Zander dieses tragische Moment der Geschichte nicht gesehen hat, ist Florovskys Hauptkritik an dessen Werk "Vision and Action". Cf Review Zander 34.
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8. Kapitel: Sünde und Theosis Die menschlichen Möglichkeiten
8.1 Grenzen der Freiheit Das eigentliche Ziel der Schöpfung ist die Manifestation der Freiheit. Diese ist allerdings nicht als Indifferenz zu verstehen, vielmehr ist die Freiheit des Menschen "grundsätzlich eine empfängliche (responsive) Freiheit - die Freiheit, den Willen Gottes anzunehmen." 1 In dieser Freiheit lebten die Menschen im Urständ. Indem sie die an sie ergangene Berufung erfüllten und so menschliche Freiheit und Gottes Gnade zusammenwirkten, war die Freiheit als Liebe zu Gott konkret. "Das war noch kein Opfer. Der unschuldige Mensch konnte nichts opfern, weil alles, was er hatte, aus der Gnade Gottes kam." 2 Florovsky denkt demnach den Urständ nicht als etwas statisches, sondern als Geschichte im dargelegten Sinn. Nach dem Bilde Gottes geschaffen war sich der Mensch seiner das Natürliche übersteigenden Rolle in der Gesamtschöpfung bewußt und strebte nach der Teilhabe am göttlichen Leben, denn "nur durch diese Teilhabe wird der Mensch ganz er selbst." 3 Gott kam diesem freien menschlichen Streben mit seiner unterstützenden Gnade gleichsam 'entgegen'. Darin erfüllte sich die "wahre Freiheit". Diese aber ist zu unterscheiden von der mit und nach dem Fall gegebenen Wahlfreiheit, die nur ein "fernes und blasses Spiegelbild der wahren Freiheit" 4 ist. Florovsky differenziert somit seinen Freiheitsbegriff nach heilsgeschichtlichen Gesichtspunkten. Die menschliche Freiheit vor dem Fall ist eine andere als danach, realisiert sich aber infralapsarisch dennoch in Vollkommenheit nur in der Gemeinschaft mit Gott. Wie ist sie dann von der Urstandsfreiheit zu unterscheiden? Zugleich aber muß man auch fragen, inwiefern der behauptete Synergismus Gottes mit den Menschen von diesen unterschiedlichen Freiheitsvorstellungen beeinflußt ist, ob man somit Gottes 1 2 3 4
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Last Things 256 Tenebrae 256 (engl.85) Idea 74 Tenebrae 258 (engl.87). Cf die ähnliche Aussage ibid. 255 (engl.84f)
Freiheit ebenfalls heilsgeschichtlich differenziert zu verstehen hat. Diese Zusammenhänge darzustellen, ist die Aufgabe dieses Kapitels. Für Gott stellt die Erschaffung der Welt eine in göttlicher Souveränität selbstauferlegte Begrenzung seiner Freiheit dar: Seit Erschaffung der Welt gibt es eine Wirklichkeit neben Gott, die aufgrund ihrer substantiellen Eigenständigkeit ihr Schicksal frei und d.h. möglicherweise auch ohne Gott gestalten kann. Genau darin besteht Gottes Kenose, die zugleich das "göttliche Risiko"5 barg, daß sich die Menschen von Gott zu emanzipieren suchen. Konkreter Ausdruck dieses möglichen "'Mißerfolgs' des Schöpfungsplanes"6 ist die Existenz der Hölle, der endgültigen Opposition gegen Gott. Diese aber muß man nach Ansicht Florovskys glauben, da nur so das göttliche Geschenk kreatürlicher Freiheit auch wirklich ernstgenommen wird. "Die Gestalt des menschlichen Lebens [...] hängt vom Synergismus oder vom Konflikt der zwei Willen, des göttlichen und des menschlichen, ab."7 Die damit gegebene Unentschiedenheit des Ausgangs der Geschichte bildet die Grenze der göttlichen Freiheit. Gott wird das "alte Gesetz menschlicher Freiheit"8 nicht aufheben und dem Menschen seinen Willen nicht aufzwingen. "Es gibt keine vergewaltigende Gnade. Das Geschöpf kann sich auch nach Kräften zugrunderichten, es ist sozusagen zum metaphysischen Selbstmord fähig."9 Doch bleibt dieser Selbstmord "nur" metaphysisch, da wohl das von Gott gesetzte Ziel des Lebens verfehlt, Gottes Schöpfungswille, die Existenz eines anderen als er selbst, aber nicht verändert werden kann. Gott bleibt sich demnach, wie der Mensch auch handelt, treu. Er ehrte - aus Liebe - den Menschen mit Freiheit und begrenzte darin sich selbst - aus Freiheit. Demnach liegt es am Menschen, an der Freiheitsentscheidung der menschlichen Persönlichkeit, welche Gestalt die Freiheit hat. Entscheidet somit die menschliche Person frei über ihr Geschick, so sind ihrer Freiheit dennoch Grenzen gesetzt: Einerseits hat der Mensch zwar nicht die Möglichkeit, seine ihm von Gott gegebene Existenz erneut ins Nichtsein zu führen. Wohl aber kann er sein auf die transzendentale Entelechie hin geschaffenes Sein auf die Ebene naturhaften Seins reduzieren und damit den göttlichen Plan sündhaft verfehlen.10 Diesem Aspekt 5 Ci Last Things 264 6 Ibid. 7 Ibid. 8 Irenaus: Adversus haereses IV,37,1 PG VII, 1099 Β 9 Tvar' 182 (engl.49). 10 Cildea 76: "Wenn die Geschöpfe es nicht schaffen, sich zu Gott zu erheben, wenn sie sich von Ihm abwenden, bleiben sie in ihren engen Grenzen, steigen aber nie unter die geheimnisvolle Grenze, die Existenz von Nichtsein trennt."
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widmen sich die folgenden Überlegungen (8.2). Andererseits aber kann der Mensch auch nach dem Fall die ihm gesetzte Erfüllung menschlichen Seins, die Teilhabe an der göttlichen Natur, die Theosis, erlangen. Hier hat die Freiheit des Menschen in der Unerreichbarkeit des göttlichen Wesens seine Grenze. Gott bleibt dem Menschen der ganz und gar Jenseitige. Allein an seinen Energien kann der Mensch teilhaben, kann von ihnen ganz erfüllt werden. Der Mensch kann somit nie der Natur nach vergöttlicht werden, sondern allein der Gnade nach.11 Die Lehre von der Theosis (8.3) wird sich somit mit der Wirklichkeit der dem Menschen zugesprochenen Gnade und dem Synergismus von Gott und Mensch beschäftigen. Deutlich ist bei beiden Problemkomplexen, der Sünden- wie der Theosislehre, daß es sich um Lehren zur menschlichen Person handelt. Daß das Handeln der Person aber zugleich den Naturaspekt menschlichen Seins betrifft und nicht außer acht lassen kann, wird an der Lehre von der Sünde besonders deutlich.
8.2 Die Verfehlung menschlichen Seins: die Sünde Die Sündenlehre Florovskys12 orientiert sich an vier Fragestellungen: Woher kommt das Böse? Welche Wirkungen entfaltet es? Worin besteht sein Wesen? Diese Fragen münden schließlich in die Abschlußüberlegung ein, wie das Böse überwunden werden kann. Florovsky definiert das Böse somit auf dem Hintergrund der Beschreibung des Phänomens selbst. Selbstverständlich kann diese Beschreibung nicht von dem im vorangegangenen Kapitel Gesagten absehen, sondern hat sich den theologischen Bezugsrahmen stets zu vergegenwärtigen. "Nur auf der religiösen Ebene nimmt das Problem des Bösen seinen eigentlichen Charakter an."13 Dann aber kommt das Böse als radikale Opposition gegen Gott zur Sprache und dies, obwohl Gott nur Gutes geschaffen hat, als Schöpfer des Bösen somit ausscheidet. Die Frage nach dem Bösen ist somit eine Frage nach dem bösen
11 Cf Tvar' 210 (engl.76) 12 Quellen dafür sind insbesondere der Aufsatz Tenebrae aus dem Jahr 1949, der allerdings nicht durchweg systematisch konstruiert ist, sondern das Problem von mehreren Seiten umkreist und so beschreibend erörtert, was sachlich dadurch begründet ist, daß, wie zu zeigen sein wird, das Böse für Florovsky ein antinomisches Geheimnis darstellt. In den drei Aufsätzen zur Schöpfungslehre Tvar', Idde und Idea finden sich kurze Passagen zur Sündenlehre, die sachlich z.T. gleichlautend argumentieren. Florovskys erste Äußerungen zum Bösen finden sich in Utopizm, die bereits sein grundsätzliches Verständnis erahnen lassen. 13 Tenebrae 255 (engl.84)
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Tun des Menschen1*, denn er vermag es kraft seiner ihm geschenkten schöpferischen Freiheit, die das Kennzeichen seiner Personalität ist, wirklich Neues, demnach auch das Böse, zu schaffen.
8.2.1 Der Fall und die tödliche Wirkung der Sünde Die Frage nach der Herkunft des Bösen ist nach Florovskys Ansicht dann fruchtlos, wenn sie Spekulationen über eine sündlose Welt Tor und Tür öffnen würde. Das Faktum der Sünde und ihre Wirksamkeit in der Geschichte kann nicht negiert werden und von ihm hat man auszugehen15, zumal sonst unüberwindliche erkenntnistheoretische Schwierigkeiten auftauchen: kein Mensch weiß, was vor der Sünde gewesen ist.16 Die Frage nach ihrer Herkunft dient damit der näheren Bestimmung der Sünde und der Situation des sündigenden Menschen selbst. Die Erörterung des Problems vollzieht sich allerdings auf der Grundlage der Aussagen zur Schöpfung. War der Mensch zur Liebe Gottes und zur freien Gemeinschaft mit ihm geschaffen, so bedeutet die Abwendung von diesem Ziel zuerst einmal das Gegenteil des ursprünglichen Zustandes. Der Fall ist, so das grundlegende Argument Florovskys, "die Tragödie einer Liebe, die sich verirrt hat."17 Als
14 InDvaZaveta 174 aus dem Jahre 1923 schreibt Florovsky: "Die Quelle des Bösen liegt nicht in einer subjektiv-psychologischen Spaltung und Selbstbehauptung der Menschen: Es gibt einen 'wirklichen Vater der Lüge'...Aber er wird erst am 'letzten Tage* vertrieben - am 'Tag des großen Gerichts'." An dieser Stelle liegt eine der wenigen Änderungen der theologischen Gedanken Florovskys vor: Später hat er als Quelle des Bösen immer die sündhafte Selbstbehauptung der Menschen angenommen. Auch hat er im Unterschied zu dem hier ausgesprochenen Gedanken später vehement die Ewigkeit des Bösen gelehrt. Gerade darin sieht er die letzte Tragik der Geschichte und Freiheit des Menschen. 15 Cf Utopizm 48 16 Cf Tenebrae 262 (engl.89): "Man kann bei einem Verrückten, bei einem wunderlich gewordenen Menschen nicht nach Gründen fragen. Er hat keine Gründe für seine Verrücktheit, er hat seinen Verstand verloren, er ist verrückt." In Last Things 247f findet sich der bei Florovsky singulare Satz: "Man sollte nicht nach dem 'Wann' und 'Wie' des Falls fragen. Das Wesen der Sünde kann nur im Lichte Christi, d.h. im Licht der Erlösung erkannt werden." Sieht man einmal von der grundsätzlichen Schwierigkeit dieses Aufsatzes ab, die darin besteht, daß man nicht immer genau unterscheiden kann, was Florovskys Referat der Auffassungen Emil Brunners und was seine eigene Meinung ist, so paßt diese Aussage zwar zu seinem grundsätzlichen theologischen Ansatz, wird aber an keiner Stelle genauer durchgeführt. 17 Tenebrae 256 (engl.85)
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Beleg dieser These führt Florovsky das 'untergründige' Gefühl an, dasjeder Mensch bei sich selbst entdecken kann: die Faszination des Bösen oder die Lust am Bösen. Der Mensch erkennt sich selbst als jemand, der nicht nur Böses erleidet, sondern dieses auch tut. Florovsky meint deshalb, Origenes sei einer Lösung der Frage nach der Herkunft des Bösen recht nahe gewesen, wenn er desidia et laboris taedium in servanda bono bzw. "Sättigung mit göttlicher Liebe" als Ursache der Fehlleitung der menschlichen Liebe ausgemacht hat.18 Statt sich Gott zuzuwenden, richtete sich die menschliche Libido19 auf den Menschen selbst. Der Fall besteht also nicht in einer Wahl zwischen Gut und Böse, sondern in der Ableitung der Liebe auf den Menschen, weil man Gott willentlich ablehnte. Wollte man hier von Wahl sprechen, so geht es um die Wahl zwischen Gott und dem eigenen Ich.20 Das aber impliziert fundamentale Untreue dem gegenüber, der es einzig wert ist, geliebt zu werden. In dieser Untreue sieht Florovsky das Wesen des Bösen aufscheinen: die Negation des Guten. Indem der Mensch sich aber von Gott abwendet, verliert sein Leben die ihm gesetzte Ausrichtung auf das Übernatürliche, so daß der Mensch, als Teilhaber an zwei Welten geschaffen, eindimensional wird. "Man kann sagen, daß dies eine Despiritualisierung der menschlichen Existenz war."21 Indem der Mensch sich sich selbst und damit der Natur zuwendet, verliert er das, was ihn über die Natur hinaus erhebt. Florovsky bezeichnet diesen Vorgang auch als beständige Depersonalisierung des Menschen. "Da die Persönlichkeit in geistigen Wesen nichts anderes als die imago Dei ist, kann der personhafte Charakter nur in beständigem Austausch mit Gott bewahrt werden. Von Gott getrennt vergeht die Personalität, ist von geistiger Sterilität befallen."22 Von nun an wird die Welt zwischen zwei Polen hin und her bewegt: Gott und dem Bösen. "Das Böse, das mit praktischem Atheismus begonnen hat, setzt sich an die Stelle Gottes, führt zu einem theoreti-
18 Cf Tenebrae 262 (engl.89) sowie Origenes: De Principiis 11,9,2 und 8,3 PG XI, 226 D und 222 Β und Athanasius: Contra Gentes 3, auf den Florovsky zustimmend in Tenebrae 256 (engl.85) rekurriert. 19 Florovsky benutzt diesen in diesem Zusammenhang ungewöhnlichen Begriff, um damit das willentliche Sündigen des Menschen nicht auf die sexuell verstandene concupiscentia zu begrenzen. Cf Tenbebrae 262 (engl.90). 20 Cf Tenebrae 256 (engl.85) 21 Tenebrae 257 (engl.85). In Utopizm 42f (engl.90) schilderte Florovsky denselben Sachverhalt noch mit explizitem Bezug auf V.Nesmelov, der von der Absage des Menschen an die Selbstverantwortlichkeit gesprochen hatte (cf 0.2.1.2). 22 Tenebrae 259 (engl.87)
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schem Atheismus und als Konsequenz zu einer beschlossenen Vergöttlichung seiner selbst."23 Wahre Freiheit kann es hier nicht mehr geben. Seit dem Fall gibt es nur noch die Wahlfreiheit.24 Die Menschen nach Adam stehen vor der Wahl zwischen Gott und dem Bösen. Wählen aber ist eine Tat des Willens, der Person. Es besagt noch nichts über die Güte der menschlichen Natur. "Denn die Sünde gehört nicht zur menschlichen Natur, sondern ist ein parasitärer und annormaler Zuwachs."25 Sünde ist willentliche Tat. Mit diesen Aussagen bestätigt Florovsky die Grenze der Sünde: sie kann die menschliche Existenz, das Geschaffensein des Menschen nicht aufheben. "Kreatürlichkeit und Sündhaftigkeit können weder gleichgesetzt noch miteinander identifiziert werden."26 Diese Aussage reflektiert die fundamentale Unterscheidung zwischen Natur und Person und läßt sich am Beispiel der Rede Florovskys von der imago Dei gut verdeutlichen. Wie bereits kurz gestreift, lehrt Florovsky, daß die imago Dei durch die Sünde in gleichem Maße undeutlich wird, wie die Persönlichkeit im Menschen durch seine sündigen Neigungen schwindet. Aber: sie bleibt, wenn auch "paralysiert und unwirksam geworden". Als solche bildet sie "einen ontologischen Anknüpfungspunkt für den Göttlichen Anruf, für die Gnade Gottes"27. Diese Aussagen gelten, ohne damit der imago einen bestimmten Sitz innerhalb des Menschen zuzuschreiben28, der menschlichen Natur, die von Gott für ewiges
23 Tenebrae 258 (engl.86). Florovsky bezieht sich mit diesen Aussagen auf Augustins De Civitate Dei. 24 In Idea 75 hat Florovsky diesen Gedanken begrifflich modifiziert. Hier geht er nicht mehr von der wahren Freiheit aus, die als Liebe zu Gott konkret ist und durch den Fall zur geringerwertigen Wahlfreiheit geworden ist, sondern von der Wahlfreiheit. Die Objekte ihrer Wahl aber, Gott oder das sündige Leben, sind per definitionem nicht gleichwertig. Ein Motiv für die begriffliche Modifikation, die sachlich kaum einen Unterschied zu früheren Positionen macht, ist nicht erkennbar. 25 Redemption 98. Florovsky verweist hier auf Gregor von Nyssa und Maximus Confessor, die lehren, der Wille sei der Sitz der Sünde und nicht die Person. 26 Last Things 249. Cf auch Utopizm 49. 27 Tenebrae 264 u. 263 (engl.91 u.90). Cf auch Offenbarung 467: "Der Sündenfall hat die ursprüngliche Absicht Gottes nicht verändert. Der Mensch hat die Fähigkeit, Gott zu hören und Ihn zu lobpreisen, nicht vollständig eingebüßt." Dies übersehen zu haben, wirft Florovsky in Faith 20f der protestantischen Theologie vor, wenn sie im Menschen nur den in der Sünde verstrickten Unfreien sehen will. Allerdings kann Florovsky angesichts der Macht der Sünde auch selbst vom Ende der Freiheit sprechen (cf Idea 75), doch ist diese Aussage singulär und wird im weiteren Argumentationsgang sofort zurückgenommen. 28 Im Anschluß an Gregor von Nyssa und Maximus Confessor (cf Redemption 285
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Sein geschaffen wurde. Aus diesem Grund kann sündiges Handeln die imago Dei im Menschen nicht aufheben, wohl aber negativ beeinträchtigen. Damit ist zugleich ausgesagt, daß das Böse zwar "nur in Personen oder ihren Schöpfungen und Taten existiert [... und] eine perverse persönliche Handlungsweise" ist29, aber Auswirkungen sowohl auf die eigene menschliche Natur wie auch auf das Gefüge des Kosmos hat. War der Mensch im Urständ als Ganzer auf Gott bezogen und von seiner Gnade durchströmt, so "gibt es im Stand der Sünde immer eine Spannung zwischen zwei inneren Instanzen: dem Ich und etwas Unpersönlichem, das durch Instinkte oder vielmehr durch Leidenschaften repräsentiert wird."30 Die Leidenschaften sind "der Sitz des Bösen in der menschlichen Person", das durch die Verfehlung der Freiheit angeregt wird und vom Menschen in einem Maß Besitz ergreifen kann, daß dieser "die Existenz und Möglichkeit von Freiheit grundsätzlich bezweifelt" und damit seine Freiheit, seine Persönlichkeit verliert.31 Aus diesem Grund beginnt die Rückkehr zu Gott mit dem Kampf gegen diese Leidenschaften. Wie aber das Böse den Menschen selbst spaltet, so erweist es sich phänomenologisch ebenfalls als uneinheitlich. Es hat verschiedene Erscheinungsformen und verbreitet so Uneinigkeit und Disharmonie unter den Menschen.32 Florovsky kennzeichnet den Herrschaftswechsel, der seit dem Fall stattgefunden hat, präzise durch den Satz: "Die Elemente sind in der ursprünglichen Welt dieselben wie in der gefallenen. Aber das Prinzip der Organisation hat sich geändert."33 Für Florovsky hat dies kosmologische Auswirkungen, denn das Böse legt der Schöpfung ein neues Gesetz, "eine Art Anti-Gesetz" auf, das dem göttlich gesetzten Leben der Schöpfung entgegenwirkt.34 Manifest wird dieses Wirken des Bösen im Umgang des Menschen mit der Schöpfung. Durch ihn, den Mikrokosmos, wirkt sich das Böse an der gesamten geschaffenen Natur aus. "Der Mensch ist eine Art 'Mikrokosmos', jede Art von Leben ist in ihm zusammengefaßt und in ihm kommt die ganze Welt mit Gott in Berührung. Dementsprechend entfremdet die Apostasie des Men-
Anm 23) meint Florovsky, man könne die imago Dei weder dem Leib noch der Seele des Menschen zuordnen, da sie mit der gesamten Existenz des Menschen gegeben ist (cf Redemption 107). 29 Tenebrae 258 (engl.87) 30 Tenebrae 259 (engl.87) 31 Ibid. 32 Cf Tenebrae 264 (engl.91): "Die Einheit der Menschheit ist gravierend beeinträchtigt, wenn nicht verloren." 33 Tenebrae 263 (engl. 90) 34 Cf Tvar' 183 (engl.50)
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sehen die ganze Schöpfung von Gott, verwüstet sie, beraubt sie gleichsam Gottes. Der Fall des Menschen erschüttert die kosmische Harmonie."35 Wendet sich der Mensch vom lebensspendenden Gott ab, kann sich die Unordnung des Bösen überall manifestieren. Krassestes und folgenschwerstes Beispiel dafür ist die die Ordnung der menschlichen Natur auflösende Macht des Todes. Florovskys heilsgeschichtliches Denken geht davon aus, daß der ursprünglich erschaffene Mensch deshalb noch nicht vollkommen war, weil ihm die Aufgabe gesetzt war, sich in Freiheit mit Gottes Gnade zu vereinigen und so sein Sein zu vollenden. Insofern kann man von einer "jeder geschaffenen Natur anhaftenden Unvollkommenheit"36 vor dem Fall sprechen. In Aufnahme von Rom 6,23 - 'Der Tod ist der Sünde Sold' - stellt sich diese Unvollkommenheit als Möglichkeit zu sterben oder auch nicht zu sterben dar. Wäre Adam dem Gebot Gottes gehorsam geblieben, wäre er in der Vereinigung mit Gottes Gnade vergöttlicht worden und nicht gestorben.37 Florovsky behandelt mit dieser Ausrichtung des Problems die Frage nach den Wirkungen der Sünde nicht in den juridischen Kategorien von Schuld und Vergeltung, sondern in der ontologischen Kategorie der Sterblichkeit, die er, insofern Gott der Lebensspender ist, für die eigentlich theologische Kategorie hält.38 Diese Weichenstellung ist deshalb entscheidend, weil die Erlösungstat Christi damit ebenfalls mit Hilfe dieser Kategorien beschrieben wird, während die im Westen geläufige juridische Erlösungslehre bei Florovsky fast ganz in den Hintergrund tritt. Die willentliche Loslösung des Menschen von Gott ist somit zugleich die Loslösung von der Quelle allen Lebens. Damit aber hat der Mensch die Möglichkeit, sterblich zu werden, aktualisiert. "Denn insofern es aus dem Nichts geschaffen wurde, lebt das Geschöpf immer über dem Abgrund des Nichts, jederzeit in der Lage dort hineinzufallen."39 Allerdings bedeutet auch dieses 'Nichts' nicht das Ende geschöpflichen Seins, da Gott dieses für die Ewigkeit geschaffen hat. Anthropologisch verdeutlicht Florovsky diesen Sachverhalt an der Unsterblichkeit der Seele. Sie ist, wie Florovsky 35 Redemption 106 36 Tenebrae 257 (engl.86) 37 Cf Redemption 98 und 143. Cf auch Immortality 217f. 38 Cf Immortality 223 39 Redemption 104. Florovsky hat seine Lehre vom menschlichen Tod insbesondere in diesem Aufsatz dargelegt, der über weite Passagen hinweg frühere Arbeiten verarbeitet bzw. stillschweigend übernimmt. Die Stellung der Lehre vom Tod in diesem Aufsatz entspricht meinem Vorgehen: sie ist Voraussetzung für die Darstellung des Erlösungswerkes Christi (Kap.9).
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unter Hinweis auf Aussagen der Apologeten verdeutlicht, Geschöpf und damit nicht göttlich. Unsterblichkeit kommt ihr damit nicht von Natur aus zu, sondern ausschließlich gnadenhaft.40 Wendet sich der Mensch von Gott ab, kann er damit Gottes Schöpfungsplan nicht zunichte machen. Die Seele bleibt unsterblich, doch sie verliert die Kraft, den Leib mit Leben zu erfüllen41. Wenn die Wirkung des Bösen, im Tod manifest, also die Auflösung des Menschen bedeutet, so ist nach diesen Aussagen zur menschlichen Seele deutlich, daß der Tod maßgeblich den Leib betrifft, ein Problem des Leibes ist. Er allein stirbt. Umgekehrt kann man nicht die Schlußfolgerung ziehen, das Böse sei allein der Leiblichkeit des Menschen zuzuordnen. Vielmehr weist schon die menschliche Erfahrung darauf hin, daß das Vergehen des Leibes den Tod des ganzen Menschen meint. "Weder die Seele noch der Leib repräsentieren je für sich den Menschen. Ein Leib ohne Seele ist nur ein Leichnam, und eine Seele ohne Leib ist ein Geist."42 In einer gewagten Analogie zur christologischen Zweinaturenlehre kann man deshalb auch den Menschen als eine Hypostase in zwei Naturen beschreiben. "Und im Tod wird diese eine menschliche Hypostase zerstört."43 Indem die Seele des sündigen Menschen ihre lebensspendende Kraft verliert, degradiert sie den für die Ewigkeit geschaffenen Menschen auf die Ebene der Natur. Denn nun "wird der Leib in ein Grab und Gefängnis der Seele verwandelt. Und der physische Tod wird unausweichlich"44, weil der
40 Cf Florovskys detailliertes Referat von Väteraussagen zu diesem Problem in Immortality 215-219. Sachlich und zum großen Teil auch wörtlich entsprechen seine Aussagen zur Unsterblichkeit der Seele vollkommen dem, was in seinen Aufsätzen zur Schöpfungslehre und oben in 7.2 zur Kontingenz der Schöpfung bei gleichzeitiger Behauptung ihrer im schöpferischen Dekret Gottes begründeten Ewigkeit gesagt wurde. 41 Florovsky nennt dies (Redemption 141) "die ontologische Schwäche der Seele, die in der Trennung des Todes die Kraft verloren hatte, die wahre 'entelechia' ihres eigenen Leibes zu sein." 42 Redemption 106. In diesem Verständnis sieht Florovsky, wie er in Immortality 220f und Redemption l l l f f ausführlich darlegt, den Hauptunterschied zur Anthropologie des Hellenismus. 43 Redemption 108. Nicht um seine Übereinstimmung mit diesem Gedanken zu kennzeichnen, sondern um einen patristischen Beleg für die Auffassung der grundsätzlichen Einheit des Menschen zu geben, referiert Florovsky in Immortality 221f und Redemption 119f d ie Argumentation Athenagoras' von Athen, der auf der Grund läge der prinzipiellen Einheit des Menschen aus der Unsterblichkeit der Seele die Notwendigkeit einer Auferstehung des Leibes postuliert. Würde der Leib nicht auferstehen, so gäbe es keine Kontinuität des Menschen und die göttliche Bestimmung des Menschen zu ewigem Sein wäre unerfüllt (cf dazu u.9.1). 44 Immortality 224
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Leib der geschaffenen Natur der Welt angehört. Im Bereich der belebten Natur aber ist der Tod Zeichen der natürlichen Entwicklung, der erneuernden Kraft des Lebens und bedeutet "nur" das Ende eines einzigen Geschöpfes. Demgegenüber bedeutet der menschliche Tod einen Angriff auf die menschliche Persönlichkeit, auf das Menschsein des Menschen, verliert er doch damit seine die Natur transzendierenden Möglichkeiten. Florovsky formuliert deshalb pointiert: "Oer Status der Sterblichkeit ist grundsätzlich 'unter der Würde des Menschen' ('subhuman')." 45 Die Degradierung des Menschen ist aber dennoch unausweichlich, weil der Tod die "Selbstoffenbarung der Sünde" ist, die seit dem Fall vom Menschen willentlich befördert wird, so daß sie der Seele ihre lebensspendende Kraft kontinuierlich rauben und in der Auflösung der menschlichen Verbindung von Leib und Seele schließlich ihre tödliche Wirkung entfalten kann. Diesen unausweichlichen Prozeß beschreibt Florovsky mit dem Begriff der 'Verderbtheit' ('corruption') der menschlichen Natur46, die durch das willentliche Sündigen des Menschen evoziert und kontinuierlich bestätigt wird. Neben dem negativen Aspekt der Auflösung der menschlichen Natur hat der Tod im Denken Florovskys allerdings noch eine positive Seite. "Durch den Tod straft Gott nicht nur, sondern heilt auch die gefallene und beschädigte menschliche Natur."47 Einerseits nämlich wird durch den Tod die Wirksamkeit des Bösen am Menschen gestoppt. Andererseits aber wird der durch das Böse verdorbene Leib im Tod zu Erde aufgelöst, geheimnisvoll von allen bösen Zusätzen gereinigt und umgestaltet, so daß er zur Wiedervereinigung mit der unsterblichen Seele in der Auferstehung vorbereitet ist.48 Damit "läßt der Tod in sich selbst die Möglichkeit zur Auferstehung aufscheinen."49 Mit diesen Aussagen wird erneut deutlich, daß Florovsky
45 Immortality 223 46 Den damit angesprochenen Sachverhalt kann man auch mit dem Begriff der Erbsünde bezeichnen, doch verwendet Florovsky diesen Begriff nur sehr selten und ohne klare Definition. Zumeist soll er den Beginn der Existenz der Sünde bezeichnen, worauf auch hinweist, daß Florovsky den Fall als tatsächliches Ereignis verstanden wissen will, über dessen nähere Bestimmungen man allerdings nicht spekulieren kann (cf Last Things 248). 47 Redemption 108. Florovsky beruft sich bei diesem Gedanken insbesondere auf Gregor von Nyssa, der sich dazu z.B. in seiner Oratio Catechetica Magna 8 PG XLV.33B geäußert hat. 48 Neben den patristischen Quellen ist z.B. l.Kor.l5,42f ein biblischer Beleg dieser Auffassung: "Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Unehre und wird auferstehen in Herrlichkeit." 49 Redemption 109.
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den Tod nicht in Zusammenhang juridischer Kategorien, sondern aus dem Gegensatz zum lebensspendenden Gott heraus und damit theologisch, verstehen will. Damit aber liegt die Bedeutung des Todes letztlich darin, daß er das selbstverschuldete und zugleich definitve Unvermögen des Menschen darstellt, von sich selbst aus Leben zu schaffen oder zum Leben zurückzukehren.50 Auf der Grundlage dieser Beschreibungen des Wirkens der Sünde kann nun zusammenfassend das Wesen des Bösen bestimmt werden. 8.2.2 Das Wesen des Bösen und Möglichkeiten seiner Überwindung Die Wirkungen des Bösen bestehen in der Zerstörung der göttlichen Schöpfungsordnung. Es kann damit, weil Gottes Handeln widerspruchsfrei ist, nicht göttlichen Ursprungs sein. Da aber Gott Grund alles Seienden ist, kann man das Wesen des nichtgöttlichen Seienden nur negativ definieren. Es ist ein phaenomenon omnino non fundatum51. Ihm kommt deshalb kein eigenes Sein zu. Es besteht nur parasitär auf Kosten und zu Lasten des Guten.S2 Dennoch ist es, wie Florovsky eindringlich betont, real, existent und wirksam. "Das Böse fügt dem, was von Gott geschaffen wurde, etwas hinzu, es ist eine geheimnisvolle Kraft, die die Schöpfung nachahmt (imiter la creation) - nur, es ist produktiv in seinen Zerstörungen."53 In diesem Sinn ist das Böse das "Nichtende (positive nothingness)"54, das Realitäten setzt und schafft, die gegenüber den Geschöpfen Gottes eine neue Realität mit eigenen widergöttlichen Gesetzen sind. Genau damit aber bildet es eine Art Gegenwelt zum göttlich intendierten Schöpfungsziel und qualifiziert das grundsätzliche Gegenüber von göttlichem und menschlichem Sein in neuer Weise. Insofern Gott sich selbst mit der Erschaffung der Welt ein für allemal begrenzt, dem Menschen Freiheit geschenkt und somit zugleich die Möglichkeit zur Sünde gelassen hat, toleriert er die Existenz des Bösen. Denn "die Macht der Göttlichen Liebe geht nie über den Widerstand der 'Kinder 50 Florovsky bezieht sich mit diesem Gedanken auf Johannes Chrysostomus: Homilia 17,2 inEpist. ad Hebraeos PG LXIII,129. CiRedemption 145. 51 Tenebrae 251 (engl.81) 52 Cf der Sache nach Johannes Damascenus: Dialogus contra Manichaeos 14 PG XCIV, 1517 und Gregor von Nyssa: De anima et resurrectione PG XLVI, 94 B. 53 Tenebrae 252 (engl.82). Der Begriff des 'imiter la creation' erinnert deutlich an den von Florovsky positiv verstandenen Begriff der 'Epigenesis'. Daran ist klar erkennbar, daß er eine Verharmlosung des Bösen durch die Definition seines Wesens als etwas 'Nichtsseiendem' vermeiden will. 54 Idea 77
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des Verderbens' hinweg."55 Florovsky begründet diese Aussage mit der in der Schöpfungslehre aufgestellten These der substantiellen Eigenständigkeit geschöpflichen und göttlichen Seins. Insofern die Geschichte nämlich Ort menschlicher Entscheidungen ist, und Gott den Menschen als frei Entscheidenden geschaffen hat, respektiert er die veterem legem libertatis humanae56 und damit die getroffenen Entscheidungen des Menschen. "Sicher, Gott will, daß alle Menschen 'gerettet werden', wahrscheinlich nicht so sehr damit Sein Wille erfüllt und Seine Heiligkeit gewahrt bliebe, als vielmehr deshalb, damit das Dasein des Menschen vollkommen und gesegnet sei. Aber, auf geschöpflicher Seite können unüberwindliche Schwierigkeiten aufgebaut werden."57 Das vom Menschen willentlich ins Sein gerufene Böse wird deshalb "geheimnisvoll in die Ewigkeit empfangen [...] So gilt, wie beim Eintritt ins Seins, so auch beim Zerfall - wie bei der Heiligung, so auch beim Untergang - wie im Gehorsam, so auch im Ungehorsam erweist und bezeugt die Schöpfung ihre Wirklichkeit als freier Träger (nositel') der göttlichen Bestimmungen"58 Damit präfiguriert Florovsky bereits durch die Schöpfungs- und Sündenlehre seine Eschatologie. Das Böse wird auch am Ende der Zeit als Manifestation der menschlichen Freiheit erhalten bleiben.59 Insofern die Freiheit des Menschen das Böse ins Sein gebracht hat, bildet sie auch die Grundlage für die Frage nach der Überwindung des Bösen. Gott will nicht und kann somit auch keinen Menschen zu seinem Glück zwingen, wenn dieser es nicht selbst begehrt. "Denn die Sünde kam nicht aus äußerlicher Unreinheit, sondern durch inneres Versagen, durch die Verkehrung des Willens. Demnach wird die Sünde nur durch innere Umkehr und Wandlung überwunden."60 Die Buße steht damit am Anfang der Überwin-
55 Icteeß 56 Irenäus: Adversus haereses IV,37 PG VII,1099 Β 57 Last Things 262. Florovsky kennzeichnet dieses Verständnis als Konsequenz seiner nichtdoketischen Sicht der Geschichte, die letztgültige Entscheidungen des Menschen annimmt. Cf ibid.263. 58 Tvar' 183 (engl.51) 59 Cf Idea 77: "Die Eschatologie ist voller Geheinmnisse und Antinomien, und uns erscheinen die Geheimnisse zu oft als [lösbare] Rätsel. Aber alle eschatologischen Antinomien sind bereits in dem grundsätzlichen Geheimnis und der Antinomie der Schöpfung verborgen und enthalten." Florovsky qualifiziert jede diese Antinomien schriftwidrig auflösende Aussage denn auch als "schöne (belle) 'universalistische' Hoffnung" (Tenebrae 253 (engl.82. R.Haugh übersetzt sachlich durchaus zutreffend: lofty 'universalist' hope)). 60 Redemption 152
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dung des Bösen durch den Menschen.61 Florovsky stellt mit dieser Aussage erneut die ontologische Eigenständigkeit der Geschöpfe heraus. Freiheit impliziert im ganzen Denken Florovskys aber zugleich Liebe, denn in der Liebe manifestiert sich die Freiheit.62 Sie wird nur aus sich selbst heraus geboren und damit wahr. Nachfolge Christi kann deshalb nicht erzwungen werden, sondern ist freies Handeln der "Selbstverleugung, ist Abtöten der Leidenschaften63, Selbsthingabe und Selbstverpflichtung"64. Und doch ist dies "keine rein asketische oder moralische Regel, nicht nur eine Frage der Disziplin. Dies ist das ontologische Gesetz geistlichen Daseins, ja das Gesetz des Lebens selbst."65 Anders als durch die Ausrichtung seiner Freiheit auf Gott kann der Sünder nicht zum Leben zurückkehren. Zugleich kann aber auch Gott den Menschen um des freien Charakters der Liebe willen nicht mit seiner Gnade zum Leben 'zwingen'. Dennoch ist nach Florovskys Überzeugung die Unterstützung der Wendung der menschlichen Freiheit durch Gott in jedem Fall notwendig, da das Böse eine derart kraftvolle Wirksamkeit entfalten kann, daß der Mensch sich in der Sünde vollkommen gefangen wähnt.66 Aus diesem Grund empfindet er seine Freiheit und Berufung durch Gott auch keineswegs als Gnadengabe, sondern als Last. "Die Fülle der Göttlichen Liebe, die darauf gerichtet ist, unsere menschliche Freiheit zu bewahren, erscheint uns eher als eine
61 Zum Begriff der 'Buße' cfLost 10: Buße "bedeutet nicht nur Anerkenntnis der und Zerknirschung über die Sünden, sondern genauer eine 'Veränderung des Denkens' eine grundsätzliche Veränderung der geistigen und gefühlsmäßigen Lebenseinstellung des Menschen, eine integrale Erneuerung des menschlichen Selbst, die mit Selbstverleugnung beginnt und durch den Geist vollendet und versiegelt wird." 62 Cf z.B.oben 4.2., wo die Liebe als eigentliches Motiv des prinzipiell freien Gottes zur Inkarnation bestimmt wurde. 63 Das klassische Ziel der Apatheia ist nach Florovskys Meinung deshalb keineswegs ein passiver Zustand des Menschen, sondern höchst aktive Sammlung auf sein ontologisches Ziel hin (cf Tenebrae 260 (engl.88)). 64 Redemption 148 65 Redemption 149 66 Cf Tenebrae 259 (engl.87): Der von sündigen Leidenschaften beherrschte Mensch "bezweifelt die Existenz und Möglichkeit von Freiheit überhaupt." Aussagen zur Macht der Sünde über den Menschen macht Florovsky zudem unter Bezug auf Rom 5,12 an der universalen Geltung des Todes deutlich. Cf Icke 8 und Tvar' 183 (engl.50). Cf auch die in ihrer Schärfe so nicht wiederholten Aussagen in Tenebrae 264 (engl.91): "Es genügt nicht, den Aufstieg zu Gott erneut zu beginnen, ohne die lebendige Begleitung Gottes selbst, der den Fluß des geistlichen Lebens im Menschen, der tot, durch die Sünde und das Böse beherrscht und paralysiert ist, erneuert [...] Allein [!] die Gnade Gottes kann diese menschliche Bedrängnis (impasse) überwinden."
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schwere Anforderung göttlicher Gerechtigkeit, einfach deshalb, weil sie die Aufforderung zur Kooperation des menschlichen Willens enthält. Demnach wird die Erlösung auch eine Aufgabe für den Menschen selbst und kann nur in Freiheit vollendet werden, mit der Antwort des Menschen nämlich."67 Zwar ist das Böse durch den Willen des Menschen, durch sein sündiges Tun, Teil der Welt und seines Lebens geworden, doch hat es nicht nur für sein personales Sein Auswirkungen, sondern betrifft auch seine Natur: Sie muß sterben. Zwar läßt sich das Sündigen durch den willentlichen Akt der Buße unterbrechen, doch kann der Mensch die Verderbtheit seiner Natur, die mit dem Fall unausweichlich gewordene Sterblichkeit, nicht selbst regenerieren, weil er nicht selbst die Quelle des Lebens ist.68 "Der Tod war dem Leib eingepfropft worden, so daß ihm nun erneut Leben eingepfropft werden muß, damit der Leib die Verderbtheit ablegen könne und mit Leben bekleidet werde."69 Leben spenden aber kann nur Gott allein. Dies ist in Christus derart Wirklichkeit geworden, daß die menschliche Natur auf ewig in die Gemeinschaft mit dem lebensspendenen Gott aufgenommen wurde. Florovsky unterscheidet damit die Heilung der menschlichen Natur durch Christus streng von der Heilung des menschlichen Willens, die sich in Kooperation mit Gottes Gnade, die in der Kirche gegenwärtig ist, vollzieht.70 Aus diesem Grund wird sich das 9. Kapitel mit der Heilung der menschlichen Natur durch Christus und das 10. Kapitel mit der Heilung des menschlichen Willens in Synergismus beschäftigen. Vorher soll allerdings noch die Theosis als die andere dem Menschen mit der Schöpfung von Gott gegebene Möglichkeit dargestellt werden, die dieser in der Heilsgeschichte nach dem Fall jedoch nicht mehr vollendet realisieren konnte, da der Tod unüberwindlich war.
67 Redemption 102. 68 CfRedemption 109 69 Redemption 110 70 Cf Redemption 147: "Man muß höchst sorgfältig zwischen der Heilung der Natur und der Heilung des Willens unterscheiden. Die Natur wird durch die machtvolle Kraft der allmächtigen und unbesiegbaren Gnade Gottes mit einem gewissen Zwang geheilt und wiederhergestellt [...] Der Wille des Menschen aber kann nicht in derselben unwiderstehbaren Weise geheilt werden; denn die ganze Bedeutung der Heilung des Willens besteht in seiner freien Umkehr."
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8.3 Die Erfüllung menschlichen Seins: die Theosis Gleichsam als krönenden Abschluß, der die Gesamtperspektive nochmals zusammenfaßt, behandelt Florovsky am Ende seiner Schöpfungslehre die Theosislehre. Sie legt dar, worin das Ziel und der Sinn menschlichen Seins besteht. Damit deckt sie sich z.T. mit den bereits gemachten Ausführungen zur Geschichtsvorstellung (7.4). Trotz der deutlichen Parallelen kann die explizite Theosislehre erst nach der Darstellung der grundlegenden Geschichtssicht Florovsky s erfolgen, da sich die Geschichtsvorstellung unmittelbar aus den zwei Grundaxiomen der Schöpfungslehre ergibt und die Basis sowohl für die Sünden- wie für die Theosislehre bildet. Die Behandlung letzterer im Anschluß an die Darlegungen zur Sünde ergibt sich aus der heilsgeschichtlichen Gesamtschau Florovskys.71 Grundlage der Lehre von der Vergöttlichung des Menschen ist das Christusereignis selbst. "In Christus, dem Gottmenschen, wurde der Sinn menschlicher Existenz nicht nur offenbart, sondern verwirklicht."72 Hier vereinigte sich Gott selbst hypostatisch mit der menschlichen Natur, die dadurch in die ewige göttliche Gemeinschaft integriert wurde. Von dieser Vergöttlichung der menschlichen Natur unterscheidet sich das Ziel menschlichen Seins allein in der Art und Weise der Anteilhabe an Gott. An dessen unerkennbarer Natur kann der Mensch nicht partizipieren, weil die göttliche Natur unteilbar ist. Auch die in Christus verwirklichte hypostatische Teilhabe an der göttlichen Natur ist für Menschen unmöglich, da sie so Hypostasen Gottes würden. Teilhabe an Gott kann sich damit einzig auf die personale Teilhabe an den göttlichen Energien beziehen.73 "Der Begriff Theosis ist in der Tat recht verwirrend, wenn wir in 'ontologischen' Kategorien denken würden. Es ist richtig: der Mensch kann schlicht nicht Gott' werden'. Aber die Väter dachten in 'personalen' Begriffen, und an dieser Stelle ging es um das Geheimnis personaler Gemeinschaft. Theosis bedeutete personale Begegnung. Sie ist
71 Offensichtlich war sich Florovsky über die Stellung beider Lehren selbst nicht ganz schlüssig. So wich er im Schlußkapitel des Aufsatzes Idea, der ansonsten dem Gesamtaufbau von Ιάέβ folgt, von diesem Gliederungsprinzip ab und orientierte sich stark an Tvar' 206-209 (engl.72f) und 183f (engl.50-52), wobei er allerdings die dortige Reihenfolge von Sündenlehre und Theosislehre umkehrte. Ich folge beim Aufbau den beiden früheren Aufsätzen, da Idea deren Ausführungen nur in sehr komprimierter Form gleichsam als Anhang und Ausblick heranzieht. 72 Catholicity 38. Cf auch Palamas 114. 73 Mit diesen Differenzierungen beruft sich Florovsky in Tvar' 201 (engl.275 Anm.78) auf Gregor Palamas.
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diese innere Begegnung (intimate intercourse) des Menschen mit Gott, in der die ganze menschliche Existenz sozusagen von göttlicher Gegenwart durchflutet wird."74
Eine Veränderung oder gar Transsubstantiation der menschlichen Natur durch die göttliche Gnade ist damit jedoch ausgeschlossen.75 Die Theosis ist vielmehr der Weg zur Ausbildung der menschlichen Person, denn das Ziel menschlichen Seins liegt nicht in seiner Natur beschlossen, sondern in den göttlichen Prädestinationen. Für Florovsky ist die Theosis deshalb auch nicht ein menschlicher Weg zur Selbsterlösung, sondern ein "Durchsichtig-Werden für die Gnade"76 und insofern ein Gott und Mensch in gleicher Weise beteiligendes Geschehen. In dem Maß nämlich, in dem sich der Mensch frei Gott zuwendet, erfährt er an sich selbst die Gnade Gottes. Er erfährt sich selbst als Glaubenden.77 Florovsky versteht das Ereignis des Glaubens, dieses Zusammentreffen von Gnade und menschlicher Freiheitstat auf Gott hin nicht als zeitliches Nacheinander sondern als Ereignis der Gleichzeitigkeit. "Die freie Bemühung des Menschen muß durch die Herabkunft der Gnade unterstützt bzw. bestätigt (corroborated) werden [...] Die freie Bemühung und die Gnade sind in diesem ontologischen Aufstieg nicht voneinander zu trennen."78 Dennoch stehen Gottes Tun und das Handeln des Menschen nicht gleichberechtigt nebeneinander. "Gott hat immer die Inititave"79, die in diesem Fall darin besteht, daß er den Menschen berufen hat, seine eigene Natur zu überschreiten und sich den göttlichen Prädestinationen anzugleichen. Erst bei der 74 Palamas 115. 'Ontologisch' wird von Florovsky hier recht unpräzise verwendet. Er möchte es als ausschließlich auf das Sein Gottes bezogen verstehen. Selbstverständlich ist aber auch die personale Begegnung des Menschen mit Gott nicht ein rein ideelles Ereignis, sondern hat ontologische Qualität, insofern es hier um die Gegenwart Gottes im Menschen geht. Dementsprechend schreibt Florovsky in Ιάέε 29 auch vom "ontologischen Aufstieg" des Menschen zu Gott. 75 Cf Tvar' 210 und 211 Anm.113 (engl.76 und 278) sowie Idee 29. Florovskys Schüler G.D.Dragas (Nature and Grace 142) formuliert diesen Sachverhalt präzise: "Natur bleibt eine Kategorie der Unterscheidung zwischen Gott und Mensch [...] Gnade bleibt der relational-personale Begriff, der Gott und Mensch personal miteinander verbindet." 76 Evolution 251 77 Cf Utopizm 51: "Dem Gläubigen eröffnet sich die Kreatürlichkeit und deswegen auch die Freiheit der Welt - im Gegensatz zur schicksalhaften Notwendigkeit der naturalistischen Wahrnehmung [...] In der Erfahrung des Glaubens eröffnet sich die keiner Vernichtung unterliegende metaphysische Grundlage der Individualität, die im Tun (podvig) der Selbstbestimmung verwirklicht werden soll." 78 Idea 74 79 Mercy 3
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Frage nach der Antwort auf diese Berufung stellt sich das Problem des Synergismus. Insofern der Mensch sich aber den göttlichen Prädestinationen angleicht, ohne mit ihnen identisch zu werden, kann man mit Maximus Confessor sagen, daß die Prädestinationsgnade Gottes mit der Gnade der Vergöttlichung identisch ist80 und im Prozeß der Vergöttlichung zugeeignet wird. Damit aber vollendet sich in der Theosis sowohl der Mensch wie auch Gottes Schöpfungsplan. Denn in der Theosis wird das Geschöpf, das aus dem Nichts ins Sein gerufen wurde, um mit Gott in vollendeter Gemeinschaft zu leben, in diese Gemeinschaft aufgenommen.81 Diese nicht zu überbietende Nähe der Menschen zu Gott zu erlangen, war dem Menschen vor dem Fall möglich. Seine Teilhabe an den göttlichen Energien hätte ihm Unsterblichkeit verliehen. Indem aber die Sünde den menschlichen Leib zunehmend verdirbt und ihn der Sterblichkeit unterwirft, ist dem gefallenen Menschen die ewige Gottesgemeinschaft unmöglich geworden. Wohl aber konnte er auch vor der Erlösung der menschlichen Natur von der Sterblichkeit durch Christus ein Leben in größtmöglicher Gottesnähe führen.82 Denn die imago Dei im Menschen ist durch die Sünde zwar verdunkelt, aber nicht ausgelöscht. Der Mensch bleibt in gewissem Grad frei, sich für Gott zu entscheiden, so daß seine Freiheit "ein übernatürliches Geschenk und eine Aufforderung, ein übernatürlicher Pfad, der Pfad zur Vergöttlichung, theosis" bleibt.83 Allerdings realisiert jeder Mensch diese Möglichkeit der Annäherung an Gott in verschiedenem Maß. "In seinem Bemühen, den Geist zu empfangen, wird die menschliche Hypostase zu einem Träger und Gefäß der Gnade"84, das je nach dem Grad menschlichen Bemühens mit Gnade gleichsam 'erfüllt' wird. Da es sich sowohl bei der Theosis wie beim Sündigen um personale Handlungsweisen des Menschen handelt, die jeweils individuell verschieden sind, gibt es 80 Cf Maximus Confessor: Epistola 43 adloannem cubic. PG XCI, 640 B-C (Angabe in Tvar' 211 Anm.114 (engl.278f) korrigiert). 81 Cf Tvar'211 (engl.76) 82 Konkretes Beispiel dafür ist die Jungfräulichkeit Marias. Cf Mother 182 und 0.4.3. 83 Redemption 102 84 Tvar' 211 (engl.76). Cf auch Offenbarung 467: "Und umso besser, umso vollständiger und klarer sieht der Mensch das Antlitz Gottes, je ausgeprägter und lebendiger sein eigenes Antlitz ist, je vollständiger und klarer in ihm das 'Ebenbild Gottes* sich dargestellt und verwirklicht hat." Cf Holy Spirit 16: "Nur in dem Maß, in dem der Mensch im Geist bleibt, hört und versteht er diese [sc.Gottes] Stimme." Cf auch Utopizm 51, High Calling 34f. Diese Vorstellung ist platonischen Ursprungs und wurde durch Gregor von Nyssa mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen verknüpft und damit christlich interpretierbar (cf H.Dörrie: Art.Gregor 888).
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verschiedene Abstufungen des Abfalls von bzw. des Aufstiegs zu Gott. Das Ziel der Menschen ist einheitlich, aber "es gibt verschiedene Grade seiner Erfüllung."85 Wie aber hat man sich die Wendung des Menschen zu Gott konkret vorzustellen? Florovsky bezeichnet die dargestellte Vereinigung des Menschen mit Gott als die 'charismatische' Seite der Theosis. Denn hier kommt es zum Synergismus zwischen göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit. Anders aber als in Freiheit kann die Gnade nicht empfangen werden.86 Frei aber ist der Mensch nur dann, wenn er seine Einbindung in den Kontext sündigen Handelns unterbricht. Aus diesem Grund steht die Buße am Anfang menschlicher Freiheit: sie unterbricht das Sündigen durch Selbstentsagung und Selbstbeschränkung.87 "Schöpferische Freiheit ist ohne diese anfängliche Selbstentsagung unmöglich. Das ist das Gesetz geistlichen Lebens: bevor er nicht gestorben ist, wird der Same nicht lebendig. Entsagung bedeutet Überwindung der eigenen Begrenztheit und Partikularität, eine umfassende Hingabe an die Wahrheit. Das heißt nicht: erst Entsagung, dann Freiheit. Demut ist selbst Freiheit."88
Damit bringt Florovsky erneut sein Grundaxiom zum Ausdruck, daß menschliche Freiheit und Abhängigkeit von Gott in gleichem und nicht in umgekehrtem Maße wachsen. Der 'charismatischen' Seite der Theosis entspricht somit die 'asketische'. Sie nimmt den frei handelnden Menschen in den Blick, der sich schöpferisch Gott zuwendet und sich darin als Freier erfährt. Insofern der Mensch sich im Prozeß der Theosis als von Gott mit Freiheit Beschenkter erfährt, weiß er sich zugleich als Geliebter. "Heiligung kommt nicht aus Werken, sondern ist ein Geschenk und muß deshalb in Freiheit, d.h. in Liebe angenommen werden."89 In der Liebe findet das schöpferische Tun des Menschen damit seine Erfüllung und ist, weil es sich der Liebe verdankt, ganz auf Liebe ausgerichtet.90 Die Freiheitstaten des Menschen sind somit nicht als Werkgerechtigkeit oder Selbstrechtfertigung des Menschen zu verstehen. Vielmehr sind sie Manifestationen der Freiheit, die sich der Gnade Gottes verdankt.91 Dementsprechend wird z.B. an den 85 High Calling 37 86 Cf High Calling 34 87 Cf Redemption 109 und 149 88 Christianity 128 89 High Calling 35 90 Konkrete Beispiele dafür s.u. 10.3. 91 Cf High Calling 36: "Die Hauptsache an den Manifestationen der Gnade ist der 'Hauch' des Geistes. Die Seele und die ganze Natur des Menschen werden geheiligt nicht durch die Kraft der Werke, sondern durch die Kraft der Gnade." Daß die Forderung
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Heiligen nicht ihr Werk oder ihr Heroismus verehrt, sondern das Faktum, daß Gott sich an ihnen und durch sie wirksam erwiesen hat. "Mit anderen Worten: wir verehren in den Heiligen die 'Vergöttlichung' der menschlichen Natur, die Göttliche Liebe ihnen gegenüber und in ihnen."92 Da die Theosis aber eine personale Aktivität des Einzelnen ist, lassen sich die Formen freier Handlungen nicht verallgemeinern. Wichtig ist allein die innere Motivation, die nicht ein aufgesetztes Ideal ist, sondern aus der Erfahrung der Gnade und Gegenwart Gottes heraus kommt. Da Gott seine Gnade aber frei schenkt, "bezeugt der Mensch seine eigene Freiheit in kindlicher (filial) Hingabe, in Dankbarkeit und Danksagung [...] Ein freier Mensch will dankbar sein."93 Am Ende des vorangegangenen Unterabschnitts 8.2.2 habe ich bereits darauf hingewiesen, daß einer vollendeten Theosis die Verderbtheit der menschlichen Natur, die sich im Zwang zu sterben manifestiert, entgegensteht, solange Gott als der Lebensspender der menschlichen Natur nicht die Kraft "eingepfropft" hat, dem Leib erneut Leben zu schenken. Erst durch das Christusereignis, die Aufnahme der menschlichen Natur in die ewige Einheit mit der zweiten Hypostase der Trinität, ist der menschlichen Natur auf ewig Unsterblichkeit verliehen worden. Dem Menschen "ist in Christus, dem menschgewordenen Wort innige Anteilhabe an dem, was Göttlich ist, verheißen und geschenkt worden: ewiges und unverderbbares Leben. Hauptcharakteristikum der theosis ist nach Auffassung der Väter gerade die 'Unsterblichkeit' und 'Unverderbtheit'."94 Der Mensch konnte somit nach dem Fall und vor Christus zwar zur Theosis aufsteigen, doch konnte dies die Verderbtheit seiner Natur nicht überwinden. Für Florovsky ist deshalb die vollendete Theosis erst durch die Inkarnation des Wortes Gottes erneut möglich geworden und im Leib Christi, der Kirche, zugänglich. "Den Menschen wurde die Möglichkeit gewährt, Glieder Christi zu werden, die Glieder seines mystischen Leibes. Aber in der Kirche bleiben die beiden Naturen ohne Vermischung erhalten."95 Damit bestätigt die Kirche einerseits die grundsätzliche Diastase der zwei Naturen und damit die Grundlage aller Schöpfungsaussagen, andererseits aber geschieht in ihr auch die personale Kommunikation zwischen Gott und Mensch, die in Christus ihr nach Manifestationen der Freiheit in Werken jedoch auch die Versuchung zum Selbstruhm und zur Selbstrechtfertigung enthalten kann, war Florovsky sehr wohl bewußt (cf Dva Zaveta 176). 92 Ibid. 93 Mercy 3f 94 Palamas 115 95 Ιάέβ 29
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Urbild hat, durch ihn für alle Zeiten ermöglicht wurde und in seinem Geist verwirklicht ist.96 Diesen beiden Aspekten widmen sich die beiden folgenden Kapitel, die sich somit an der Unterscheidung zwischen der Erlösung der menschlichen Natur durch Christus und der Erlösung der menschlichen Person in der Kirche und im Endgericht ausrichten.
96 Cf Tvar' 212 (engl.77f)
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9. Kapitel: Die Erlösung der menschlichen Natur
Aufgabe dieses Kapitels ist die Darstellung des Heilswerkes Christi: die Erlösung der menschlichen Natur. Im Unterschied zum vierten Kapitel, das unter besonderer Konzentration auf die Person Christi die Christologie darstellte, soll hier das soteriologische Moment ganz in den Mittelpunkt der Erörterung treten. Ein Rückgriff aufbereite Gesagtes wird dabei unvermeidlich sein. "Die Erlösung der Menschen ist vor allem die Befreiung aus der 'Knechtschaft der Verderbtheit' (Rom 8,21), d.h. die Wiederherstellung der ursprünglichen Ganzheit und Stabilität der menschlichen Natur oder die Auferstehung."1 Deshalb gilt: "Der letzte Grund für Christi Tod muß in der Sterblichkeit des Menschen gesehen werden"2, denn nur durch Christi Sterben wurde der Tod überwunden und - in der ewigen Enhypostasie der menschlichen Natur in der zweiten Person der Trinität3 - der menschlichen Natur das Leben eingepfropft. Zeichen dieser Macht der Heilstat Gottes ist die Auferstehung. Sie ist in Christus als dem ersten der Schöpfung als Ziel der Erlösung des Menschen manifest geworden. Wie sie in Hinsicht auf den Menschen zu denken ist, wird Thema des ersten Schrittes dieses Kapitels sein (9.1). Auf der Grundlage der damit verhandelten anthropologischen Voraussetzungen wird sodann die Höllenfahrt Christi als Manifestation der Erlösung der menschlichen Natur durch Christus eingehend zu erörtern sein (9.2).4 1 Lamb 23 2 Redemption 110 3 Cf Year 2f. Florovsky zitiert in Redemption 110 zustimmend Athanasius, der in De Incarnatione 44 PG XXV, 176 C (Angabe korrigiert) darauf verwiesen hat, daß ein bloßer Befehl Gottes die menschliche Natur noch nicht unsterblich gemacht hätte, da es ihr eigentümlich sei, sterben zu können. 4 Dieses Vorgehen mag in seiner Reihenfolge überraschen, da deren Umkehrung der Heilsgeschichte wie auch der Logik besser entspricht, doch geht Florovsky in seinem Hauptaufsatz zur Soteriologie Redemption genau so vor, wie oben vorgeschlagen. Cf Redemption 111-130,139-142. Sachlich begründet ist dies durch die Notwendigkeit, daß die Höllenfahrt Christi und seine Auferstehung detailliert nur auf der Grundlage bestimmter anthropologischer Aussagen verstanden werden können. Zugleich aber kann, und darin ist der Rückbezug auf Kapitel 4 gerechtfertigt, von der Auferstehung des
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9.1 Das Ziel der Erlösung:
die
Auferstehung
Der Tod des Menschen ist Folge der Sünde, die der Seele den Zugang zu Gott und damit zum Leben abschneidet und sich am Leib als todbringende Kraft auswirkt. Die Erlösung des Menschen besteht nun nicht in seiner Entleiblichung, sondern nach christlichem Verständnis in der Erlösung von Sünde und Verderbtheit bei Beibehaltung bzw. Wiederherstellung der von Gott gut geschaffenen menschlichen Natur. "Der Leib ist verdorben, aber er ist nicht selbst die Verderbnis. Der Leib ist sterblich, aber er ist nicht der Tod. Vielmehr ist der Leib das Werk Gottes, aber Tod und Verderbnis kamen durch die Sünde ins Sein." 5 Bestand der Piatonismus auf einer Reinigung der Seele, so beharrte das Christentum zugleich auch auf einer Reinigung des Leibes, w a s daher rührt, daß die christlichen Theologen der Frühzeit ihr Menschenbild stärker an Aristoteles orientierten und dessen Überzeugungen christlich modifiziert für die Auferstehungshoffnung fruchtbar machten. 5 D a Aristoteles nicht die Unsterblichkeit der Seele lehrt, kann er kein Weiterleben des Menschen nach dem Tode denken. 7 Er beharrt vielmehr auf
Menschen erkenntnistheoretisch nur auf der Grundlage der Auferstehung Christi gesprochen werden. - Im Folgenden werde ich mich überwiegend auf den Aufsatz Redemption beziehen, der mehrere frühere Aufsätze in sich vereint (cf 1.2.1). Die Aussagen zur Auferstehungsvoistellung finden sich in früheren Fassungen insbesondere in Immortality und PatAge, nicht aber in den übrigen Aufsätzen zur Christologie, die dieRedemptionpassage 110-130 auslassen und ohne weitere Erläuterungen zur Soteriologie übergehen. Florovsky scheint, wie der Gesamtaufbau von Redemption belegt, diese älteren Versuche für unzureichend gehalten und deshalb diese erläuternden Passagen eingefügt zu haben. Ich versuche, mich an dieses Vorgehen zu halten. 5 Johannes Chrysostomus: De resurrectione mortuorum 6 PG L, 428 6 CiRedemption 115. 7 Florovsky weiß selbstverständlich, daß die Frage, ob Aristoteles die Unsterblichkeit der Seele gelehrt hat oder nicht, in der Forschung sehr umstritten ist, zumal die Väter und später insbesondere die Scholastik die aristotelische Unterscheidung zwischen ψ υ χ ή und νους für die Lehre von der Unsterblichkeit fruchtbar gemacht haben. Florovsky bezweifelt allerdings, ob dies eine korrekte Interpretation des Philosophen gewesen ist. Cf Redemption 291f - Im Unterschied zu fast allen anderen Aufcätzen Florovskys ist der Anmerkungsapparat zu den Passagen, die hier im Zentrum des Interesses stehen, sehr umfangreich und weist z.T. auch neuere Erscheinungen auf, was auf die intensive Bearbeitung des Aufsatzes für die Veröffentlichung in den CW hinweist. Uberwiegend aber beziehen sich die Verweise auf Literatur aus dem vorigen Jahrhundert bzw. aus der Jahrhundertwende. Florovsky benutzte demnach auch in seinen späten Jahren überwiegend Werke, die bereits zu Zeiten seiner philosophischen Ausbildung in Odessa und seiner frühen Lehrtätigkeit wichtig waren.
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der prinzipiellen Einheit des Menschen. Dabei ist die Seele die Form des Leibes, weshalb beide als zwei verschiedene Aspekte desselben Seienden voneinander untrennbar sind.8 Wird diese Einheit im Tod aufgelöst, so kann man nicht mehr von Leib und Seele sprechen, sondern nur noch von gestaltloser Materie. Florovsky kritisiert an dieser Anthropologie, daß der Mensch darin kaum vom Tier unterschieden sei, auch wenn Aristoteles durch seine insgesamt unstimmige Lehre vom menschlichen νους, der das Individuum gleichsam als unpersönliche göttliche Energie durchströmt, diesen Mangel zu beheben sucht. Hauptfehler griechischen Denkens sei, daß es immer das Typische, das Allgemeine suche, nie aber das Einzigartige, das Persönliche. Genau dieses in den Mittelpunkt ihres Interesses gestellt zu haben, ist nach Florovskys Ansicht das Verdienst der Väter und des Christentums, das sich allerdings Aussagen des Aristoteles über die Einheit des Menschen zunutze machte.9 Nur so kam Athenagoras, der sich erstmals detailliert mit der Auferstehung beschäftigte, auf die Idee, das aristotelische Argument - da der Leib sterblich ist, muß auch die Seele als seine Form sterblich sein - umzukehren: Da die Seele unsterblich ist, muß der Leib auferstehen, wenn der Mensch denn die Einheit aus Leib und Seele ist.10 Florovsky geht über diese Argumentation noch einen Schritt hinaus, wenn er ergänzt, daß nach biblischem Zeugnis die Auferstehung keine schlichte Wiederkehr sein kann, sondern Erneuerung und Verwandlung. An dieser Stelle aber stellt sich die Frage nach der Kontinuität der Identität des Menschen zwischen Tod und Auferstehung, die Paulus zwar behauptet, nicht aber hatte erklären können.11 Aus der Geschichtsvorstellung Florovskys ergibt sich dabei klar, daß die Identität des Menschen nicht als zeitlose Idee gedacht werden kann, sondern in der "Einzigartigkeit erfahrenen und gelebten Lebens" besteht.12 Wie diese allerdings im Horizont der Auferstehungsvorstellung gedacht werden kann, "ist eher eine Frage metaphysischer Interpretation als ein Problem des Glaubens", denn die Kirche hat hier keine verbindliche Lehre
8 Cf Aristoteles: De Anima 413a,4 9 Cf Redemption 118 und 119: "Die Vorstellung vom persönlichen Sein (idea of personality) selbst war ein großer Beitrag des Christentums zur Philosophie." 10 Cf Athenagoras von Athen: De resurrectione mortuorum 13 und 16 PG VI, 1000 B-D und 1005 B-1007 A 11 Florovsky verweist Redemption 120 auf den natürlichen und geistlichen Leib aus l.Kor 15,44, verwendet allerdings zur Bezeichnung des 'natürlichen' Leibes fälschlicherweise das im NT in diesem Zusammenhang völlig ungebräuchliche ψυσικόν statt ψυχικό ν. 12 Redemption 125
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geschaffen.13 Dennoch bemüht sich Florovsky um eine Antwort auf die Frage nach der Identität des Menschen in Tod und Auferstehung und orientiert sich dabei an Aussagen der Väter.14 Origenes versucht das Problem dadurch zu lösen, daß er zwar einen Wechsel der Materie des Leibes postuliert, dessen Identität aber in der dem Leib immanenten Entelechie oder Form, die mit der Seele des Menschen nicht identisch ist, gewahrt sieht. Demgegenüber betont Methodius die prinzipielle Einheit des Leibes und verwahrt sich gegen die origenistische Aufteilung desselben in Form und Materie. Gregor von Nyssa scheint mit seiner Lehre beide Interessen miteinander zu verbinden: Zwar wird im Tod die Einheit von Leib und Seele des Menschen zerstört und der Leib zerfällt, doch werden seine Einzelbestandteile nicht vollkommen aufgelöst, sondern es erhalten sich gewisse Zeichen ihrer vormaligen Verbindung mit der lebensspendenden Seele, die ihrerseits über gewisse körperliche Bezugspunkte für diese Einzelteile verfügt. Dadurch bleibt selbst in der Auflösung im Tod die Seele den Einzelpartikeln des zerstörten Leibes "nahe". "Am Tage der Auferstehung wird jede Seele aufgrund dieser zweifachen Markierungen in der Lage sein, seine vertrauten Elemente 'wiederzuerkennen'."15 Der Unterschied zu Origenes besteht darin, daß der auferstehende Mensch keine andere Materie haben wird und sich darin, wie es Methodius gefordert hat, identisch bleibt. Dennoch ist diese Auferstehung nicht eine schlichte Wiederkehr des irdischen Leibes, vielmehr wird die menschliche Natur "zum ersten mal in die Lage gebracht werden, in der sie hätte sein sollen, wenn nicht die Sünde und der Fall die Welt betreten hätten, die aber nie zuvor verwirklicht worden ist."16 Ihr wird nämlich all das "fehlen", was Folge der das Gute vertilgenden Sünde ist, weil der Leib im Tod gereinigt worden ist. Damit findet der Mensch in der Auferstehung seine Vollendung als neue Kreatur, da das Böse nicht zu seinem von Gott gewollten Sein gehört. Gerade so erweist sich die Auferstehung des Menschen mit seinem
13 Redemption 123. Auch wenn diese Frage noch offen für weitere Interpretation ist - Florovsky gibt drei Beispiele - , so entbindet dies nicht der Pflicht, sie wenigstens ansatzweise zu reflektieren. Cf Holy Spirit 15: "Das Fehlen 'dogmatischer' Definitionen deutet nicht das Fehlen von Wissen an und autorisiert nicht vollkommene Zurückhaltung von jeder Beurteilung. Denn was uns nicht als Dogma ist uns als Erfahrung gegeben, die die Quelle dogmatischer Defintionen der Kirche ist." 14 Cf Redemption 122-125 15 Redemption 124. Florovsky bezieht sich insbesondere auf Gregor von Nyssas Dialog mit seiner Schwester Makrina DeAnima et resurrectione PG XCIV, 11-160. 16 Redemption 125. Mit dieser Aussage kommt zugleich das dem theologischen Denken Florovskys zugrundeliegende Schema (cf 0.4.2) erneut zum Ausdruck.
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Leib als Erlösung, als "die eigentliche Wirklichkeit des einst gelebten Lebens, das in die Zukunft transferiert werden muß."17 Florovsky gibt an keiner Stelle zu erkennen, daß er mit diesen Spekulationen Gregors nicht übereinstimmt, vielmehr macht er diese anthropologischen Aussagen für die Beschreibung der Höllenfahrt Christi fruchtbar. Zugleich aber ist deutlich, daß einmal mehr die Geschichtskonzeption Florovskys für das Verständnis seiner Theologie entscheidend ist.18 Der Mensch ist das geschichtliche Subjekt seiner Handlungen und damit als Auferstandener die Summe seiner schöpferischen Handlungen in ihrer leiblichen Gestalt - ohne die Sünde. Diese notwendige Einschränkung macht zugleich deutlich, daß die Auferstehungsvorstellung nicht, wie bei Athenagoras, ein logisches oder naturalistisches Postulat ist, sondern ihren Grund in der Auferstehung Christi hat. "Die Allgemeine Auferstehung ist die Vollendung der Auferstehung Unseres Herrn, die Vollendung Seines Sieges über Tod und Verderbnis."19 Die Auferstehung aller Menschen wird diesen Sieg über den Tod und damit die Erlösung der menschlichen Natur zur Unsterblichkeit manifestieren. Damit aber stellt sich die Frage, wie man das Ereignis dieses Erlösungswerkes selbst denken kann.
9.2 Die Höllenfahrt Christi Der Tod Christi am Kreuz ist der Tod seiner enhypostasierten menschlichen Natur und deshalb ein menschlicher Tod, der sich als Trennung von Seele und Leib vollzieht. Allerdings, und darin unterscheidet sich der Tod Christi vom Tod, der Folge der Sünde ist, blieben sowohl die Seele, wie auch der Leib in ihrer Trennung voneinander dennoch geheimnisvoll der göttlichen Hypostase verbunden.20 Gerade darin erweist sich der menschliche 17 Ibid. 18 Aus diesem Grund schließt sich in Redemption ein Exkurs über den Vergleich zwischen griechischem und christlichem Zeit- und Geschichtsverständnis an. Cf ibid. 126-130. 19 Redemption 130 20 Cf Redemption 137. Dies ist, wie bereits o. 4.4.1 dargestellt, eine logische Konsequenz der asymmetrischen Christologie Florovskys. Cf den Kanon vom 2.Sonntag nach Ostem (Sonntag der myrrhentragenden Frauen), IV.Ode 1 .Troparion: "Du hast den Tod geschmeckt, aber Verwesung nicht kennengelernt." S.a. das Synaxarion zum Karsamstag: "Verfall nämlich erlitt der Leib des Herrn, welches die Trennung von Seele und Leib bedeutet. Verwesung aber, d.h. die Zerstörung des Fleisches und der Glieder in vollkommenem Verderben, keineswegs." (Zitate und Quellenangaben nach Redemption 303 Anm.114)
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Tod Christi als letztlich der zerstörerischen Macht des Todes überlegen. Denn im faktischen Tod scheint zugleich die überlegene Lebenskraft Gottes auf und zerstört damit die Macht des Todes. Aus diesem Grund feiert die Orthodoxie den Karsamstag als eigentlichen Tag der Erlösung, denn an diesem Tag betrat Christus die Hölle. "Und der Abstieg in die Hölle ist bereits die Auferstehung."21 Wie ist dieser Satz zu verstehen? Florovsky definiert die Hölle als "Bereich des Todes und der Verwesung", der mit der "Hölle der Leiden und Qualen" nicht identifiziert werden kann, da es sich bei letzterer eher um "eine geistige Existenzform, die durch den persönlichen Charakter jeder Seele bestimmt wird", handelt.22 Mit dieser Unterscheidung von zwei Höllen reflektiert Florovsky die Unterscheidung zwischen menschlicher Natur und Person.23 Denn einerseits müssen alle Menschen den Tod erleiden, da ihre Natur durch die Wirkung der Sünde sterben muß, andererseits aber befinden sich die einzelnen Menschen als Personen jedoch in verschiedener Entfernung zu Gott, da der Grad ihrer Sünde, die ja willentlich und damit je individuelle Tat des Einzelnen ist, unterschiedlich ist.24 Dennoch ist die Hölle nicht nur eine Metapher, sondern konkrete Wirklichkeit, die personal erfahren wird25 bzw. der menschlichen Natur das Leben raubt. Florovsky bezeichnet diese letztere Hölle unter Berufung auf Rufin denn auch als "Synonym für den Tod selbst"26. Christi menschliche Seele, die dabei mit der lebensspenden21 Redemption 139. Zur Begründung dieser Thesen verweist Florovsky hier auf Texte aus dem Synaxarion und der Vesper vom Karsamstag. Es ist bezeichnend, daß er gerade an dieser Stelle auf die liturgische Erfahrung und die Ikonographie (cf ibid.302f Anm.112) der Kirche verweist, muß das dogmatisch deduzierende Denken an dieser Stelle doch Halt machen und kann die Geheimnisse des Todes Christi nur zu umschreiben versuchen. 22 Redemption 140. Cf auch Last Things 261. 23 So bereits richtig K.McVey: George V.Florovsky 68f Anm.84. Allerdings geht sie über Florovsky hinaus, wenn sie diese Unterscheidung auch noch an den zwei Begriffen Hades und Hölle festmachen möchte. Diese differenziert Florovsky nicht, vielmehr identifiziert er sie gerade auch an der von K.McVey zum Beleg ihrer These herangezogenen Stelle Tree 20 (=Redemption 140f). Eine derart subtile Differenzierung entspricht nicht dem beschreibenden Denken Florovskys, der gerade auch an dieser Stelle allzuweit greifende Spekulationen vermeiden möchte. 24 Aus diesem Grund ist es für Florovsky unvorstellbar, daß Propheten und Heilige zusammen mit dezidiert Gottlosen in derselben Hölle sind (cf Redemption 140f). 25 Cf Last Things 261 26 Redemption 140. Cf Rufin: Comm. in Symbolum Apostolorum 18 PL XXI, 356: Sciendum sane est, quod in Ecclesiae Romanae symbolo non habetur additum, 'descendit ad inferna': sed neque in Orientis Ecclesiis habetur hic sermo: vis tarnen verbi eadem videtur esse in eo, quod 'sepultus' dicitur. Zitiert in Redemption 303 Anm. 117.
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den Kraft der göttlichen Hypostase dauernd verbunden blieb, stieg in diese Hölle, in den Bereich des Todes, den "Platz hoffnungsloser Entleiblichung und Körperlosigkeit"27, die jeden Menschen unabhängig von seiner persönlichen Lebensgestaltung trifft. Indem Christus aber diese Hölle betritt, wird der Tod mit dem Leben derart konfrontiert, daß er sich als machtlos erweist. "Der Abstieg Christi in die Hölle ist die Manifestation des Lebens mitten in der Hoffnungslosigkeit des Todes, es ist der Sieg über den Tod."28 Florovsky verdeutlicht dies unter Aufnahme der Auferstehungsvorstellung Gregors von Nyssa. Da Christi Tod der Tod seiner menschlichen Natur in der Hypostase der zweiten Person der Trinität war, war die Zusammengehörigkeit der Seele zum Leib nicht nur wie beim Tod jedes Menschen eine noetische, sondern blieb in der Trennung von Leib und Seele in der Hypostase der göttlichen Person auch ontisch gewahrt. "Demnach war Sein Tod in seiner ganzen Wirklichkeit als wahre Trennung und Entleiblichung dennoch nur wie ein Schlaf."29 In Christi Tod manifestierte sich demnach bereits die Kraft der Auferstehung, die der Seele zukommt und am Ostermorgen offenkundig wurde. Christi menschlicher Leib aber wurde, gemäß der positiven Bedeutung des Todes30, im Tod umgestaltet und verherrlicht, so daß nun die Unsterblichkeit in der menschlichen Natur in Christus verewigt wurde, womit sich der göttliche Schöpfungsplan erfüllte. Da aber in Christus die Macht des Todes gebrochen und "der Tod selbst in die Auferstehung verwandelt worden"31 ist, ist Christi Höllenfahrt bereits die Auferstehung des 'ganzen Adam'. Unter Auferstehung versteht Florovsky dabei die erneute Belebung der Seelen mit Lebenskraft, denn nur das Fehlen dieser Kraft verhindert es, daß die dem Menschen immer einwohnende potentia resurrectionis nicht in die Wirklichkeit überführt werden kann. Diese Potenz ist die dem Menschen mit der Schöpfung gegebene Möglichkeit, ewig zu sein, die er jedoch mit der Sünde verwirkt hat. Indem Christus aber die Möglichkeit des Todes dadurch vernichtet, daß er die Macht der Todes zerstört, ist das menschliche Sterben nicht mehr ein Tod, der Verwesung zur Folge hat, sondern gleichsam ein Schlaf32, in dem der menschliche Leib von aller Verderbtheit gereinigt und geheimnisvoll verherrlicht wird.
27 Redemption 141. Mit dieser Unterscheidung wird erneut (cf 0.8.2.1) deutlich, daß Florovsky das Heilswerk Christi allein auf das Faktum reduziert, daß der Mensch die Trennung von Leib und Seele nicht von sich aus rückgängig machen kann. 28 Redemption 142 29 Redemption 144 30 Cf oben 8.2.1 31 Redemption 142 32 Florovsky zitiert in Redemption 145 Johannes' Chrysostomus Homilia 17,2 in Epistula ad Hebraeos PG LXIII, 129.
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Florovsky braucht demnach für seine Soteriologie nicht die Kategorie der Stellvertretung, die eher in einen juridischen Bezugsrahmen paßt. Vielmehr basiert seine Argumentation ganz auf der Definition von Sünde und Tod als lebensverneinenden Kräften. Indem Christus diese selbst besiegt, ist die Möglichkeit zu sterben eine Unmöglichkeit geworden. "Christus ist erstanden von den Toten und hat den Tod durch den Tod zertreten und denen in den Gräbern das Leben in Gnaden gegeben."33 Diese Worte des Ostertroparions der orthodoxen Kirche fassen damit die Soteriologie Florovskys zusammen. Entscheidend ist allerdings für Florovskys Theologie die Unterscheidung dieses Ereignisses von der Heilung der menschlichen Person. "Das war die Heilung und Erneuerung der Natur und deshalb34 geschieht sie hier mit einem gewissen Zwang; alle werden auferstehen und ihnen allen wird die Fülle ihres natürlichen Seins wiederhergestellt, wenn auch verwandelt [...] Von jetzt an ist jede Entkörperung nur noch vorübergehend."35 Damit hat sich ein Sinn der Schöpfung, die Ewigkeit ihres Seins als Gegenüber Gottes, verwirklicht. Damit ist allerdings über die Ewigkeit der Gottesgememschaft, über die Theosis noch nichts gesagt, da sie ein Akt freier Entscheidung des Menschen im Synergismus mit Gottes Gnade ist. Hier muß man die Erlösung der menschlichen Natur zur ewigen Existenz, die ihr durch die "gleichsam 'gewalttätige Gnade' (by some 'violence of grace')[...] gewissermaßen aufgezwungen" und die mit der allgemeinen Auferstehung offenkundig sein wird, von der Erlösung der menschlichen Person sorgfältig unterscheiden. "Keiner kann, was die Natur angeht, Christi königlichem Regiment entfliehen, kann sich der unüberwindbaren Kraft der Auferstehung entziehen."36 Trotz dieses zweifellos herrschaftlichen Charakters des Handelns Gottes steht dieser jedoch nicht im Vordergrund der Überlegungen Florovskys. Insofern nämlich im Kreuz der ursprüngliche Sinn der Schöpfung vollendet wird37, ist auch dieses Handeln Gottes Ausdruck seiner Liebe, "die ohne jeden Zwang beruft und annimmt. Seit dieser Zeit gibt es das Böse für uns nur noch im Rahmen der Mit-leidenden Liebe Gottes."38 Für Florovsky 33 Ostertroparion nach S.Heitz (Hg.): Mysterium der Anbetung 564. 34 Dieses 'therefore' ergibt sich aus der für Florovsky typischen sachlichen Verbindung von 'Natur' und 'Notwendigkeit', der das Begriffspaar 'Person' und 'Freiheit' gegenüber steht. Cf o. 4.2 und 7.4. 35 Redemption 146 36 Redemption 147 37 Cf Ethos 26 38 Tenebrae 254 (engl.83)
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wirkt sich somit das sich ohne Mitwirkung des Menschen vollziehende Handeln Gottes wie schon bei der Schöpfung so auch bei der Erlösung der menschlichen Natur durch Christus für den Menschen als eine an ihn ergehende Berufung aus. Nachdem Gott sola gratia gehandelt hat, ist der Mensch dazu berufen, diesem Handeln Gottes antwortend zu entsprechen. Antwortet er, dann findet er sein Heil in Gott und vollendet so sein Sein und den letzten Sinn der Schöpfung.
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10. Kapitel: Die Erlösung der menschlichen Person
"Das Werk der Erlösung wird in der Tat von Gott ausgeführt, aber der Mensch ist dazu berufen, an diesem erlösenden Bemühen mitzuwirken. Denn Erlösung besteht gerade in der Erlösung der Freiheit"1 des Menschen, die durch die Sünde gefangen und von ihrer göttlichen Bestimmung abgelenkt wurde. Allein der Mensch aber, dem Gott mit der Schöpfung eine von seinem Sein unabhängige Seinsweise und damit Freiheit geschenkt hat, kann sein aus freiem Willen gewähltes Sündigen zu seinem eigenen Heil unterbrechen. In dieser Aufgabe und Fähigkeit besteht das Wesen und die Würde seiner Freiheit, deren theologischer Ausdruck seine Gottebenbildlichkeit ist.2 Für Florovsky ist diese Betätigung der menschlichen Freiheit allerdings nicht nur eine Frage der Bewußtseinsänderung, sondern wirkt sich auf das gesamte menschliche Leben aus.3 Es wäre ein Mißverständnis seiner Theologie, wollte man den Personaspekt und den Naturaspekt menschlichen Seins gleichsam als zwei Summanden einer Summe, die sodann 'Mensch' genannt wird, verstehen. Während es bei der Erörterung der Erlösung der menschlichen Natur um die Frage der ewigen Existenz des Menschen angesichts der Verderbtheit seiner Natur durch die Sünde ging, verhandelt Florovsky nun die Frage nach der Möglichkeit ewiger personaler Gottesgemeinschaft des Menschen.4 Personale Gemeinschaft aber gibt es nur als Gemeinschaft zweier freier Subjekte, die über das Zustandekommen dieser Gemeinschaft frei und je für sich entscheiden. Angesichts der bereits gefällten Entscheidung Gottes für die Gemeinschaft mit den Menschen, die in Christus und mit der Gründung seiner Kirche als Ort seiner beständigen Gegenwart offenbar geworden ist und ewig bleibt, hängt die Realisierung dieser Gemeinschaft vom Menschen ab. Indem er sich frei für 1 Christianity 128 2 Cf Redemption 102 3 Cf Christianin 8: "Bs ist zuwenig, 'christliche Ansichten zu haben' oder Überzeugungen oder eine 'christliche Weltanschauung' - es ist zuwenig, sich christlich zu aufzuführen. Christ muß man nämlich sein." 4 Damit versucht Florovsky Augustins Satz 'non sicut hoc est ei esse quod vivere' positiv aufzunehmen. Cf Augustin: De Genesi ad Litteram 1,5 PL XXXIV, 250. Zitiert u.a. in Idea 76.
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die Gemeinschaft mit Gott entscheidet, erlöst er im Zusammenwirken mit der Gnade Gottes seine Person von der Macht der Sünde und erfüllt so den Sinn seines Daseins. Wie dies geschehen und in der Ewigkeit bewährt werden kann, ist Thema dieses Kapitels. Anders gesagt, es geht um das Christwerden und Christsein des Menschen. Insofern die Kirche der Ort der anhaltenden Offenbarung und Gegenwart Christi ist, wird in ihr und durch sie dem Menschen die Erlösung zuteil. Ihr gelten deshalb - Aussagen aus dem 5. Kapitel rekapitulierend - die ersten Überlegungen (10.1). Wie bereits in 5.3.2 grundsätzlich ausgeführt, geschieht die Übereignung der Erlösung Christi an den Menschen sakramental. Wie sich der freie Mensch diese Erlösung faktisch aneignet, wird Gegenstand der weiteren Ausführungen sein (10.2). Da die Gnadengabe Gottes aber, wie 5.3.3 ausführte, zugleich Aufgabe für den Menschen ist, muß die Erlösung der menschlichen Person konkrete Auswirkungen im Handeln des Menschen haben. Florovskys diverse Ausführungen zu diesem Themenkomplex, der die Bereiche Kultur, Diakonie und Ökumene umfaßt, werden deshalb im Anschluß dargestellt (10.3). Als selbstbestimmt Handelnder und zur Ewigkeit Erlöster aber entscheidet der Mensch nicht nur über die Gestalt seines irdischen Lebens, sondern zugleich auch über die Gestalt seiner ewigen Gottesgemeinschaft. Gedanken zur Erlösung der menschlichen Person im Endgericht werden somit dieses Kapitel abschließen (10.4). s 5 Florovsky hat sich zu dem gesamten Problemaspekt, der in diesem Kapitel verhandelt werden soll, nicht in einer geschlossenen Abhandlung geäußert. Vielmehr bieten seine Aufsätze verschiedene Gliederungsmöglichkeiten zu dieser Frage an. So hat Florovsky seinen frühesten Aufsatz zur Erlösungslehre Ο Smerti mit Ausführungen zur Taufe als erstem Gehorsamsakt christlichen Lebens beschlossen. In seinem großen Aufsatz Redemption, der Ο Smerti und andere Arbeiten zur Erlösungslehre voll verarbeitet und erweitert (cf ο. 1.2.1), fügt er d iesem Abschnitt nicht nur eine Passage zur Eschatologie ein (cf Redemption 151f), sondern schließt auch noch ausführliche Erörterungen über die Eucharistie an (cf ibid.l56ff). - I n seinem Aufsatz Christianin beginnt Florovsky mit einer kurzen Bemerkung über die Kirche als ausschließlichem Ort der Erlösung (cf Christianin 7f), die sakramental übereignet wird (cf ibid.8f), und kommt dann ausführlich auf die Problematik von Gebet und Gottesdienst zu sprechen (cf ibid.10-14). - Aussagen zur Eschatologie finden sich außer in Pat.Age und Last Things auch in Ausführungen im Anschluß an schöpfungstheologische oder ekklesiologische Ausagen z.B.in Tvar' und Corps. Florovskys grundsätzliche Aussagen zur Eschatologie sind dort (cf 0.5.5, 7.4 und 8.2.2) bereits angesprochen worden, doch sollen seine Gedanken dazu zum Abschluß konkretisiert werden. - Ich habe mich auf der Grundlage der fundamentalen Unterscheidung zwischen der Erlösung von menschlicher Natur und Person, zu der sich Florovskys am detailliertesten vaRedemption äußert, dazu entschlossen, in der Anlage dem Aufsatz Christianin zu folgen und ihm die Eschatologie
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10.1 Die Kirche als Ort der Erlösung Teilhaber an der Erlösung Christi kann der Mensch nur werden, indem er an Christi irdischer Wirksamkeit teilhat. Diese aber ist in seinem Leib, der Kirche, gegenwärtig und nur in ihr, denn Christus hat nur einen Leib. Mit dieser ekklesiologischen Grundmaxime Florovskys ist zugleich gegeben, daß es ein vereinzeltes Christentum nicht geben kann, denn wer Glied Christi geworden ist, ist damit Glied seines Leibes und damit einer in der Gemeinschaft der vielen. "Es gibt keinen einzelnen Christen. Ja, Christsein bedeutet in der Katholizität (sobornost'), in der Kirche sein. Ja, das Christentum ist die Kirche, und Rettung ist die Kirche selbst."6 Mit diesen Worten umschreibt Florovsky die cyprianische Formel extra ecclesiam nulla salus7, die für ihn jedoch streng christologisch begründet ist. In der Kirche setzt sich die mit der Inkarnation des Sohnes Gottes begonnene Heiligung der Geschichte und Welt fort.8 Und wie Christi Leib in der Verbindung mit der göttlichen Hypostase ständig vergöttlicht und so umgestaltet wurde, so wird im Prozeß der Heiligung auch die Welt vergöttlicht und am Ende der Tage analog der Verherrlichung des Leibes Christi nach der Auferstehung ganz umgestaltet werden. Darin besteht der in Christus geoffenbarte Sinn der Schöpfung, der sich in der Heiligung der Menschen verwirklicht. "Alle sind zur Heiligung berufen - darin liegt der Sinn des Christentums."9 Heiligung und Vergöttlichung finden ihr Ziel in der mit Christus offenbarten Zweinaturenhaftigkeit. Der Mensch soll gnadenhaft Anteil an den göttlichen Energien erhalten und so auf ewig mit dem göttlichen Sein in Gemeinschaft bleiben. Diese endzeitliche Zweinaturenhaftigkeit des Kosmos aber ist bereits in der Kirche manifest, insofern Christus in ihr wirkt, durch seinen Geist gegenwärtig ist10 und die Menschen, die ihrer Berufung zur Heiligung frei folgen, heiligt. "Das Geheimnis der Kirche besteht genau darin, daß Christus in den Gläubigen wohnt (dwells) und bleibt, und diese durch den Glauben in Ihm wohnen und bleiben."11 anzufügen. In der Ausführung werden, wie auch sonst, sachlich verwandte Aspekte aus anderen Aufsätzen mit herangezogen. 6 Christianin 1 7 Cf Catholicity 37f: "Außerhalb der Kirche gibt es keine Erlösung, denn die Kirche ist die Erlösung. Denn Erlösung bedeutet Offenbarung des Weges für jeden, der an Christi Namen glaubt." 8 Cf Predicament 62 und o.7.4.Anm.93. 9 High Calling 34 10 Cf Tvar' 211f (engl.77f) 11 Elements 60 = CW XIII,90. In früheren Arbeiten argumentierte Florovsky stärker
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Insofern jeder Mensch aber aus freier Entscheidung Glied am Leibe Christi und je nach Maß seines Aufstiegs zu Gott in je individueller Weise von Gottes Energien durchströmt wird, gibt es zwar eine unbestimmbare Vielzahl von Weisen christlichen Lebens, doch bleibt ihnen allen das Leben in Christus als gemeinsames Ziel ihres Seins.12 Dieses Leben in Christus ist nun allerdings nicht nur eine ideelle Größe, sondern, da Christus sich in der Kirche real zueignet13, auch in ihr konkrete Wirklichkeit, die die Christen faktisch vereint. "Das Leben der Kirche ist Einheit und Vereinigung. Und selbstverständlich ist diese Einheit nicht äußerlich, sondern innerlich, wesentlich und organisch. Es ist die Einheit des lebendigen Leibes, die Einheit des Organismus"14, die die Grenzen der Zeit in der durch die Gegenwart Christi konstituierten Katholizität der Kirche überwindet und so die Menschen aller Zeiten vereinigt. Diesen christologischen Konstitutionszusammenhang von Kirche und Katholizität gilt es auch bei der Behandlung der Frage nach der Erlösung der menschlichen Person, die sich im Zusammenwirken von Gott und Mensch vollzieht, zu beachten. Darauf wird zurückzukommen sein, wenn nun anhand der Sakramenten- und Gebetslehre Florovskys die Frage nach der Übereignung und Aneignung der in Christus geschehenen Erlösung an den Menschen erörtert wird.
10.2 Die Übereignung und Aneignung der Erlösung Das zentrale Heilsereignis, Kreuz und Auferstehung Christi, wird in der Kirche nicht nur immer neu bedacht, sondern durch vielgestaltige Symbole und Riten nachahmend dargestellt. "Dieser gesamte Symbolismus ist realistisch. Diese Symbole erinnern uns nicht nur an irgend etwas Vergangenes. Durch diese heiligen Symbole erschließt sich in Wahrheit die letzte pneumatologisch. Cf z.B. Christianin 8: "Außerhalb der 'Erlangung des Geistes' gibt es überhaupt kein christliches Leben. Nur ein 'geistliches' Leben ist christliches Leben, ist Leben im Geist." Oder High Calling 33f. Allerdings ist auch in diesen Aufsätzen unstrittig, daß der Heilige Geist nichts anderes bewirkt als die Übermittlung der Gnade Christi. Er ist Geist Christi und von diesem ihn vergegenwärtigend gesandt. Insofern liegt hier kein gravierender Unterschied im Denken Florovskys vor. 12 Cf Christianin 10 13 In Dva Zaveta 174 bezeichnet Florovsky die sakramentale Selbstübereignung Christi an die Glaubenden in der Kirche als "das einzig Wirkliche in der Geschichte". 14 Catholicity 39. Cf auch Dva Zaveta 154. Der Begriff des 'Organismus' macht deutlich, daß diese Einheit nicht Entindividualisierung oder Entpersönlichung des Einzelnen bedeutet. Cf o. 5.2.2 und Corps 22.
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Wirklichkeit und wird übereignet." 1S Sachlicher Grund dieser Aussagen ist die Heiligung irdischer Materie durch die Inkarnation Christi. Zwar verändert sie auch durch Gebet und Epiklese nicht ihre Gestalt oder ihr Wesen, doch kann sie zum Träger und Mittler göttlicher Gnade werden. In dieser Weise kann jedes Teil der Schöpfung 'Sakrament' werden. 16 Ein Sakrament ist demnach für Florovsky die Materie, die geheimnisvoll durch die ihr epikletisch zukommende 1 7 Gegenwart Gottes geheiligt wird 18 und den Gläubigen diese heiligende Gnade übereignet. 19 Insofern aber ist jedes Sakrament "gewissermaßen 'Theophanie', ist Gotteserscheinung, Herabkunft und Herablassung Gottes, Begegnung mit Gott." 20 Wenn die Kirche Ort der Gegenwart Christi ist und die Sakramente diese Gegenwart vermitteln, dann konstituieren die Sakramente die Kirche. 21 Insofern die göttliche Gnade aber eine Konversion der menschlichen Freiheit nicht erzwingt, wirken die Sakramente nicht ex opere operato das
15 Redemption 156. Cf auch Worship 271 = CW XIII,99f. Zu Florovskys Verständnis eines "realen Symbolismus" cf o. 5.2.1. 16 Cf Dom 69 (engl.63; Vaters Haus 23f), wo Florovsky auf die sachlich analog argumentierende Verteidigung der Bildertheologie durch Johannes Damascenus und Theodor Studites verweist. 17 Zur Epiklese äußert sich Florovsky m.W. nicht. In Vaters Haus 23 (Dom 68 (engl.63)) spricht er schlicht von der "unter Gebet geweihte[n] Materie", lehnt aber - auf der Grundlage seiner Christologie nur folgerichtig - den Gedanken einer Transsubstantiation explizit ab. 18 Zu Recht stellt V.Mehedintu: Offenbarung 86f fest, daß die orthodoxe Theologie beim Sakramentsbegriff nicht zwischen Wort und Sakrament differenziert, sondern, um die Einheit der Heilsmittel Gottes zu betonen, an deren prinzipieller Übereinstimmung festhält. "Das Sakrament besteht in der Einheit des natürlichen Elements und der göttlichen Kraft, die durch die Epiklese das sakramentale Element durchdringt und dadurch in den Menschen wirkt." 19 Cf z.B. High Calling 33: "Sakramente sind heiligende Akte, in denen der Heilige Geist weht. In ihnen ist die Einheit mit Christus und der Kontakt mit Gott greifbar." 20 Christümin 8. Cf auch Worship 271 = CWXffl.lOO: "Im sakramentalen Leben der Kirche ereignet sich eine fortwährende Epiphanie des Herrn." 21 Cf Corps 18, Kirche 49, Redemption 159 und o. 5.2.1. In Ethos 23 konzediert Florovsky zwar, daß die Anaphora in der Göttlichen Liturgie dem Vater dargebracht werden und, insbesondere in der Basiliusliturgie, eine trinitarische Struktur haben, doch zielen sie, wie jedes Sakrament, auf die Teilhabe an Christus: "Alle Sakramente sind im Leben des Gläubigen tatsächlich Sakramente in Christo [...] Diese persönliche Begegnung der Gläubigen mit Christus ist das Herz des Orthodoxen Glaubenslebens." Trotz aller Bemerkungen zur sakramentalen Wirksamkeit des Heiligen Geistes verficht Florovsky damit seine Christozentrik und drängt so die Pneumatologie, auch in der Sakramentstheologie, stark in den Hintergrund. 341
Heil, sondern wollen vom Menschen begehrt und angenommen sein.22 Aus diesem Grund geht dem Sakramentsempfang die Buße des Menschen voraus. Sie ist gleichsam der erste Schritt der "grundsätzlichen Veränderung der geistigen und gefühlsmäßigen Lebenseinstellung des Menschen, eine integrale Erneuerung des menschlichen Selbst, die mit Selbstverleugnung beginnt und durch den Geist vollendet und versiegelt wird."23 Die Zueignung der Erlösung der Menschen in Christus durch die Sakramente beteiligt also den Glaubenden an diesem Geschehen, so daß er zu seiner Erlösung aktiv beiträgt. Diesem Aspekt der Sakramentenlehre widmen sich die folgenden Ausführungen zum Sakrament der Taufe (10.2.1) und der Eucharistie (10.2.2). Wie der Mensch die ihm sakramental zugeeignete Erlösung, die, zeitlich gesehen, je nur punktuell geschieht, in seinem Leben beständig bewahren und bestätigen kann, wird Gegenstand der abschließenden Untersuchungen sein (10.2.3).
10.2.1 Das Sakrament der Taufe "Das christliche Leben beginnt mit einer neuen Geburt aus Wasser und dem Geist."24 Die Taufe markiert den eigentlichen Beginn des Christseins. Damit ist der Unterschied zur Buße deutlich: Während diese gleichsam nur die Disposition für ein christliches Leben schafft, beginnt mit der Taufe die synergistische Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch. "Rettung geschieht nicht durch die Kraft des Glaubens, sondern durch die Wirkung des Segens, nicht durch den Glauben, aber auch nicht ohne den Glauben."25 Mit diesem paradox anmutenden Satz versucht Florovsky das Geheimnis des 22 Dieser Aspekt war Florovsky so wichtig, daß er Ο Smerti 43 an dieser Stelle in Redemption 148f stark erweiterte, um so seine Aussagen zur Freiwilligkeit des menschlichen Heilsbegehrens, die auch in Ο Smerti nicht fehlen, noch deutlicher herauszuarbeiten. 23 Lost 10. Leider äußert sich Florovsky sonst kaum zur Buße. Allerdings beginnt er seine Erörterungen zur Taufe mit dem Satz: "Als erstes ist Buße erforderlich." (Redemption 149) Auch in Kirche 49, Lamb 28 und Worship 266 = CW ΧΙΠ.95 schreibt Florovsky, daß Buße und Glaube der Taufe notwendig vorausgehen müssen. Logische Konsequenz dieser Aussage ist die Ablehnung der Unmündigentaufe, was Florovsky, allerdings unter Hinweis auf die nachlassende Traditionsbindung orthodoxer Christen (cf Faith and Order Commission Paper No.31 S.58f), späterhin explizit vertreten hat. 24 Redemption 149. Neben einzelnen Bemerkungen in seinen ekklesiologischen Aufsätzen hat sich Florovsky am ausführlichsten in Redemption und Christianin zur Taufe geäußert. 25 Christianin 8
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Zusammenwirkens Gottes mit dem Menschen zu beschreiben. Die Taufe ist kein rein menschlicher Bekenntnisakt, weil das Bekenntnis des Glaubens der Taufe selbst notwendig vorausgeht26, sondern Übereignung der Erlösung an die menschliche Person, deren glaubende Bemühung durch die Taufe "vollendet und erfüllt"27 wird. In diesem Sinn ist die Taufe "das Sakrament der Heiligung, das Sakrament der Vergöttlichung"28. Bedenkt man nun, daß Urbild und Ziel der Theosis Christus selbst ist, dann muß die Taufe als Sakrament der Vergöttlichung am Christusereignis Anteil geben. Dies geschieht durch die Symbole der Taufe, die für Florovsky immer göttliche Wirklichkeit transferieren. Da Christus ohne den Glauben an den dreieinigen Gott nicht erkannt werden kann, muß die Taufe im Namen der Heiligen Trinität vollzogen werden. Aus diesem Grund ist die Anrufung der Göttlichen Dreieinigkeit über dem Täufling die "notwendigste Bedingung für die Gültigkeit und Wirksamkeit des Sakraments."29 Doch dient diese Anrufung nur der Präzision des in der Taufe dargestellten Christusereignisses: Hier handelt Gott für die ewige Gemeinschaft zwischen ihm und seinen Geschöpfen. Die Symbolik der Taufe, das Eintauchen ins und das Wiederauftauchen aus dem Wasser, stellen Christi Gang in die Hölle und seine Auferstehung dar.30 Indem der Täufling diesen Gang Christi symbolisch nachvollzieht, erhält er so Anteil an der erlösenden Gnade des Heilswerkes Christi, daß die Kraft der Auferstehung Christi bereits jetzt in ihm wirkt. Diese "Auferstehung ist nicht wie eine Rückkehr zum Leben, sondern wie eine Einführung in die Fülle der Herrlichkeit... Dies ist nicht nur die Offenbarung der Herrlichkeit und Kraft Gottes, sondern auch die Verwandlung des Menschen in der asketischen Tat seines Sterbens mit Christus."31 Die Taufgnade geht somit darin über die allen Menschen in Christus verliehene Auferstehungsgnade 26 Cf Vaters Haus 19 (Dom 66 (engl.60)) 27 Worship 266 = CW XIII,95 28 High Calling 33 29 Redemption 149. Dies ist eine der ganz wenigen Stellen bei Florovsky, in denen er sich auf die Trinität bezieht. Jedoch hat sie ausschließlich erkenntnistheoretische Bedeutung; im Zentrum steht die Christologie. So fährt er nach dem zitierten Satz unmittelbar fort: "Dennoch, die Taufe ist vor allem ein Anziehen Christi (Gal.3,27)." 30 Cf Redemption 149f und Christianin 8. In Redemption zieht Florovsky zur Begründung dieser Aussage ungewöhnlich viele biblische Zitate heran (Rom 6,3f; 2.Tim 2,11; Kol 2,7) - wohl um die Angemessenheit der orthodoxen Immersionstaufe zu betonen. 31 Ο Smerti 181, wo Florovsky an dieser Stelle präziser als in Redemption 150 formuliert. Meine Hervorhebungen verdeutlichen dabei erneut das synergistische Moment.
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ewigen Seins hinaus, daß mit der Taufe die Gottesgemeinschaft in ihrer Fülle schon auf Erden wirksam werden kann. "Das Ewige Leben wird in der geistlichen Neugeburt der Glaubenden manifest, indem es in der Taufe übereignet und verwirklicht wird."32 Daran hat der Mensch aktiven Anteil, insofern er nämlich die in Christus geschehene Erlösung seiner Natur und die ihr damit verliehene potentia resurrectionis willentlich "für sich selbst rechtfertigen muß [...] Die Unsterblichkeit der Natur, die Ewigkeit ihrer Existenz muß in das Leben im Geist umgesetzt werden."33 Dieses Leben im Geist, d.h. das beständige und den Menschen verwandelnde Zusammenwirken von menschlicher Hinwendung zu Gott und göttlicher Herabkunft auf den Menschen, beginnt mit der Taufe. In diesem Sinn ist die Taufe nicht nur Grundlage für Leben überhaupt, sondern Grundlage für seliges Leben. Für Florovskys Taufverständnis entscheidend ist dabei das realistische Verständnis der Symbolik. Nur dieses unterscheidet die Taufe von der geistigen Bemühung des Menschen um Hinwendung zu Gott. In der Taufe geschieht geheimnisvoll die wirkliche Anteilhabe und -gäbe am Erlösungswerk Christi, das nun nicht nur die Heilung der menschlichen Natur von der Sterblichkeit, sondern die Vergöttlichung des Menschen in der ewigen Gottesgemeinschaft beinhaltet. In diesem Prozeß der Theosis aber ist und bleibt der Mensch frei.34 Diese Freiheit des Menschen ist der Grund dafür, daß die Taufgnade fruchtlos bleiben kann, wenn der Mensch das, was mit der Taufe begonnen wurde, nicht auch beständig fortsetzt. "Wenn die Seele in der freien Betätigung des Willens nicht gereinigt und geläutert wird, erweist sich die Taufe als folgenlos; die Verwandlung wird nicht verwirklicht."35 Damit unterstreicht Florovsky, daß die Taufe erst den Anfang des Christenlebens darstellt. Auf ihrer Grundlage kann sich das Christsein des Menschen in einem fortlaufenden Prozeß entwickeln, der je individuell ist und je nach Grad menschlicher Zuwendung zu Gott in auf- bzw. absteigender Linie 32 Redemption 150 33 Redemption 152f 34 Cf Redemption 155. Florovsky bezieht sich mit diesen Aussagen auf Gregor von Nyssas Oratio Catechetica Magna 35 und 40 PG XLV, 86-92 u. 102-106, der allerdings die Unterscheidung zwischen Erlösung von Natur und Person nicht mit der gleichen Strenge wie Florovsky durchgeführt hat. Dennoch interpretiert Florovsky seine Aussagen dahingehend, daß die Wirklichkeit der Auferstehung Christi am Getauften mehr ist als nur die Verleihung von Unsterblichkeit seiner Natur, die jedem Menschen, ob getauft oder nicht, mit "gewisser Notwendigkeit" (Redemption 155) zukommt. Vielmehr ist sie die Auferstehung des Menschen in die durch sein Sündigen unterbrochene ewige Gottesgemeinschaft, die als Vergöttlichung an ihm wirksam wird. 35 Redemption 155
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verläuft. "Dies subordiniert die Taufgnade allerdings nicht menschlicher Willkür. Gnade kommt tatsächlich herab. Aber sie kann nie jemandem, der frei ist und nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde, aufgezwungen werden. Man muß ihr antworten und sie durch den Synergismus von Liebe und Willen bestätigen."36 Gerade so aber ist die Taufe Anfang und Exemplum christlichen Lebens, das die menschliche Person vom Sündigen erlöst und in die ewige Gottesgemeinschaft vollkommener Theosis führt. Indem der Glaubende durch die Taufe Anteil an der durch Christus initiierten Vergöttlichung des Menschen erhält, verläßt er den Machtbereich der Sünde und tritt in den Wirkungsbereich der göttlichen Gnade, d.h. zugleich: in die Kirche ein. "Die heilige Taufe ist sozusagen eine geheimnisvolle Aufnahme in die Kirche als in das Reich der Gnade."37 Sie stellt damit nicht nur den Beginn der individuellen christlichen Existenz dar, sondern manifestiert, insofern alle in den Leib Christi hineingetauft werden, zugleich die Einheit der Kirche.38 Diese Einheit der Christen als Leib Christi sieht Florovsky aber insbesondere und die Taufwirklichkeit noch überbietend im Sakrament der Eucharistie verwirklicht.
10.2.2 Das Sakrament der Eucharistie Fragt man nach dem Sinn und Ziel der Eucharistie, so lautet Florovskys lapidare Antwort: Die Eucharistie wird "um des Essens [und Trinkens] willen" vollzogen39, denn nur so kann sich der Mensch ontisch mit Gott 36 Ibid. 37 Vaters Haus 19f (Dom 66 (engl.61)). Cf auch Christianin 8. Dieser Aspekt fehlt in Redemption, sieht man von zwei in OSmerti noch nicht enthaltenen appositioneilen Bemerkungen (Redemption 149f) ab, vollständig, da Florovsky sich in diesem Aufsatz ganz auf die Frage der Erlösung des Einzelnen konzentriert. 38 Cf die Protokollierung eines Gesprächsbeitrages Florovskys in Faith and Order Paper No.92 S.39: "Die Taufe [...] sei nicht nur der Beginn der individuellen christlichen Existenz, vielmehr sei die Einheit der Kirche [...] vollkommen auf die Taufe gegründet." Diese Aussage, die man angesichts ihrer nur protokollierten Form nicht überbewerten darf, steht in Spannung einerseits zu der Aussage aus Vaters Haus 25 (Dom 70 (engl .65)), daß die Eucharistie "die Einheit der Kirche begründet", und andererseits zu dem theologisch gewichtigeren Argument, daß die Einheit des Leibes Christi durch Christus selbst, der einer ist, konstituiert wird (cf 0.5.2). Wenn man diesen Satz als Ausgangspunkt und sachliche Grundlage der beiden anderen Sätze versteht und berücksichtigt, daß in den Sakramenten Christi Heilstat zugeeignet wird, lassen sich hier mögliche Mißverständnisse aufheben. Ich spreche deshalb von einer Manifestation der Einheit der Kirche durch das Sakrament der Taufe. 39 Evcharistija 6 (engl.47)
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vereinigen. Kommunizierend hat der Mensch Anteil an Christi menschlicher Natur, die in der unlöslichen Union mit der göttlichen Natur in der Hypostase des Sohnes vergöttlicht und in seinem Leib, der Kirche, sakramental gegenwärtig ist40. Die Kommunikanten werden demnach zwar nicht der Natur nach Gott, doch geht die vergöttlichende Kraft der einen menschlichen Natur Christi auf sie über41, vereint sie in der durch Christus konstituierten zeitübergreifenden Katholizität mystisch zu seinem einen Leib, der Kirche. Damit aber ist die Eucharistie, die das letzte Abendmahl Christi feiernd darstellt42, eine "ontologische Offenbarung über Christus und über die Kirche - über Christus in der Kirche."43 Die Rede von der Kirche als' Leib Christi' verdankt sich denn auch nach Florovsky s Meinung der eucharistischen Erfahrung44, so daß zwischen der "Fülle kirchlichen Lebens, und der Genauigkeit der christologischen Glaubenslehre und dem Dogma von der Eucharistie" eine unlösliche Verbindung besteht, die ihr Kriterium im Dogma von Chalcedon hat, weil dort die Vereinigung der göttlichen mit der menschlichen Natur ohne Vermischung oder Veränderung der beiden definiert ist.45 Dieser zweifachen Vereinigung der Kommunikanten, einerseits mit Christus, andererseits untereinander, gelten die folgenden Überlegungen. Da sich die Feier der Eucharistie für Florovsky aber nicht allein auf den im engeren Sinn sakramentalen Aspekt beschränkt, sondern dem ursprünglichen Wortsinn des Begriffs 'Eucharistie' entsprechend Gebet ist, sind Ausführungen zur Eucharistie zugleich eine Erörterung des Gebets als menschlicher Aktivität. Es ist von daher verständlich, daß Florovsky, seinem methodischen Ansatz bei der kirchlichen Erfahrung folgend, seine beiden großen Aufsätze zur Eucharistie nahezu als eine Interpretation der Göttlichen Liturgie gestaltet hat.46
40 Florovsky sieht darin eine Auswirkung der Himmelfahrt Christi. Cf 0.4.5 und Evcharistija 4f (engl.46f). 41 Florovsky bezieht sich in Evcharistija 6 (engl.48) auf Joh 6,53: 'Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und nicht trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch.' 42 Daß diese Darstellung des letzten Abendmahles Christi mit seinen Jüngern keine Wiederholung des Opfers Christi ist, sich auch nicht in der Anamnese erschöpft und auch keine nur symbolische Imitation darstellt, sondern mit diesem Mahl selbst identisch ist, wurde bereits o. in 5.3.2 gezeigt. CiRedemption 156f, Worshipping 29f, Evcharistija 3 (engl.46). 43 Evcharistija 16 (engl.54) 44 Cf Eucharist 40 und Evcharistija 7 (engl.48), wo Florovsky auf l.Kor 10,17 verweist. 45 Vaters Haus 25 {Dom 71 (engl.65)) 46 In den grundsätzlichen Ausführungen von 5.3.2 habe ich mich überwiegend auf
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"Der Geist der Katholizität durchdringt den gesamten eucharistischen Gottesdienst. Vor allem ist er gemeinsames Gebet."47 Neben dem spezifisch sakramentalen Aspekt der Eucharistie steht für Florovsky somit das eucharistein im Mittelpunkt seiner Erörterungen zur Eucharistie. Dabei bezieht sich die 'Gemeinsamkeit' des Gebets nicht zuerst auf die vordergründige Gemeinschaft von Priester und Gemeinde im eucharistischen Gottesdienst, sondern auf die dort manifeste Katholizität der Kirche, die alle am Gottesdienst Partizipierenden vereint. So betet der Priester vor der Gemeinde nicht im eigenen Namen, sondern im Auftrag des Volkes Gottes, das die priesterlichen Gebete mit dem gemeinsamen 'Amen' als seine eigenen bestätigt und somit keineswegs passiv dem Gottesdienst folgt.48 Er betet an der Stelle der Gemeinde kraft der ihm mit der Ordination verliehenen Gnade des Heiligen Geistes, die ihn dazu befähigt.49 Dies wird daran deutlich, daß die Gebete immer wieder mit dem 'wir beten' beginnen. In dieser pluralen Verfaßtheit der Gebete sieht Florovsky nun erstens eine Bezeugung der Einheit der Betenden. Im gemeinsamen Gebet konkretisiert sich die Katholizität des Einzelnen, die die Begrenzung und Beschränkung der eigenen Person auf die Gemeinschaft des Leibes Christi hin entschränkt. Liturgischer Ausdruck dieser Entschränkung ist die Bitte um gegenseitige
Corps und die anderen ekklesiologischen Aufsätze bezogen, wo Florovsky weitgehend ohne Bezug auf die liturgischen Texte argumentiert hat, was durch die ökumenischen Adressaten der Texte sowie durch die gebotene Kürze der Ausführungen zu den Sakramenten erklärbar ist. Die beiden Aufsätze Evcharistija, 1929 für einen russischen Leserkreis verfaßt, und Eucharist, der in seinem zweiten Teil Evcharistija verarbeitet hat, lesen sich dagegen wie eine Kompilation aus Zitaten der Göttlichen Liturgie und Liturgiekommentaren der Väter. K.Chr.Felmy: Deutung 392, bemerkt dazu treffend: "In einer Theologie, die bewußt zurücklenkt zur liturgischen Überlieferung der Orthodoxen Kirche des Ostens werden die Grenzen zwischen Liturgiekommentar und theologischem Traktat wieder fließend, wie sie es in der Frühzeit gewesen waren." 47 Eucharist 41 48 Cf ibid. und Evcharistija 9 (engl.50): "Der eucharistische Sakramentsvollzug ist vor allem ein allgemeines und katholisches (sobomaja) Gebet. Publica et communis oratio, sagte der Hl. Cyprian von Karthago." Florovsky wendet sich damit zugleich gegen die verbreitete Sitte priesterlicher Sekretgebete (cf Prayer 45 und Elements 60 = CWXIII,91) und greift damit Gedanken A.Golubcov's auf (cf Diaconate 182 Anm.13), der sich zu Beginn des Jahrhunderts wie andere auch für das laute Sprechen der Priestergebete in der Liturgie eingesetzt hatte. Cf dazu K.Ch.Felmy: Deutung 328 und o. 5.3.4. Auch die Ikonostase, die Priester und Gemeinde optisch und räumlich trennt, behindert nach Ansicht Florovskys die grundsätzliche Gemeinschaft im Gebet, weshalb er Wandikonen der Bilderwand vorziehen würde. Cf Prayer 45 und 47. 49 Cf Evcharistija 10 (engl.50) und Eucharist 41 sowie Ο.5.3.4.
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Liebe und der Austausch des Friedenskusses vor der Anaphora.50 Diese personale Liebe ist notwendige Voraussetzung für die rechte Feier der Eucharistie, da damit nicht nur die Nachfolge Christi in der Darstellung seiner Liebe durch die Gläubigen Wirklichkeit wird, sondern darüberhinaus die Einheit der Christen als der eine Leib Christi zur Darstellung kommt.51 Diese Darstellung der Einheit des Leibes Christi bedeutet j edoch keinesfalls eine Aufhebung der Personalität des einzelnen. Gerade indem die Gebete einzelne namentlich nennen, Lebensumstände und Berufe gesondert und detailliert aufführen52, "wird das Prinzip der Persönlichkeit geheiligt und bestätigt. Die eucharistische Nennung der Lebenden und Toten bedeutet eine Bestätigung jeder Individualität in dem einigen und katholischen (sobornom) Leib der Kirche."53 In dieser Weise betet die versammelte Gemeinde und bittet für alle Glieder des Leibes Christi. Damit weist der erste Aspekt des liturgischen 'Wir' bereits auf den zweiten hin. Indem die Kirche nämlich betend aller ihrer Glieder gedenkt, manifestiert sie "die universale Fülle und Einheit der katholischen Kirche. Denn jede Liturgie wird in Gemeinschaft mit und im Namen der gesamten Kirche gefeiert. Und geistlich (spiritually) nimmt an jeder Feier die ganze Kirche unsichtbar, aber sehr wirksam teil."54 Florovsky verdeutlicht diesen Aspekt durch den Hinweis auf die Interpretation der Proskomidie durch Simeon von Thessaloniki.55 Die um das Lamm auf dem heiligen Diskos ausgelegten Partikel symbolisieren die Heiligung der Heiligen, der verstorbenen und lebenden Glieder der Kirche, die durch die Konsekration des Lammes an der Kraft der Gnade Gottes Anteil erhalten. Indem die Gemeinde diesen Vorgang bedenkt, wird das "ontologische Zusammenwachsen der Gläubigen in Christus gestärkt."56 Allerdings gilt auch hier der Grundsatz der Freiheit: Die Vereinigung im eucharistischen Gedenken ist kein magischer Akt, sondern gelingt in dem Maß, in dem der Glaubende sich auf dieses Geschehen einläßt.57 Neben der physischen gibt es demnach auch diese geistliche Kommunion, die alle, für die im eucharistischen Gottesdienst gebetet wird, an der Eucharistie teilhaben läßt und so die Einheit der Kirche manifestiert. "Und deshalb ist die Kommemoration der Heiligen während 50 Cf Evcharistija lOf (engl.50) und Die Göttliche Liturgie 60. 51 Cf Eucharist 42 52 Zur Verdeutlichung dieses Aspektes zitiert Florovsky (cf Evcharistija 12f (engl.51f)) ausführlich aus dem Dankgebet der Basiliusliturgie (cf Die Göttliche Liturgie 106-110). 53 Evcharistija 12 (engl.51) 54 Eucharist 42 55 Cf Eucharist 43f 56 Evcharistija 15 (engl.53) 57 Cf Evcharistija 7 (engl.48) und 16 (engl.53)
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der Eucharistiefeier nicht nur Erinnerung an sie, nicht nur Darstellung unserer menschlichen Sympathie und Liebe; sie ist Einsicht in die wahre, mystische Vereinigung, die geheimnisvolle Gefolgschaft Lebender und Verstorbener in Christus."S8 Für Florovsky steht deshalb "die Verehrung und Anbetung der Heiligen im Gebet [...] in enger Verbindung mit der Fülle des christologischen Bekenntnisses und dadurch [!] mit der des kirchlichen Selbstgefühls."59 Wie bereits das Gedächtnis der Verstorbenen so ist für ihn auch die Anrufung der Heiligen geradezu ein "Kennzeichen der Katholizität", die in Christus Zeit und Raum übergreift, denn in den Heiligen werden nicht die Personen, sondern die an ihnen zum Ausdruck gekommene Gnade Christi verehrt.60 Das eucharistische Beten, das die Verstorbenen und Heiligen mit einschließt, vergegenwärtigt so die Einheit der Kirche. Da aber weder Christus noch der Leib Christi getrennt oder zerteilt sein kann, versammelt sich somit in jeder gefeierten Eucharistie der ganze Christus, totus Christus, so daß jede Teilkirche, jede sich zur Eucharistie versammelnde Gemeinde bereits die ganze Kirche darstellt.61 Die Eucharistie ist damit nicht ein Sakrament in der Kirche unter anderen, sondern das Sakrament schlechthin. Sie ist "eine Manifestation des Geheimnisses der Kirche, oder, besser, des Geheimnisses des ganzen Christus."62 Damit aber ist sie, obwohl bzw. weil sie Kreuz und Tod Christi symbolisch darstellt, Zeichen des Sieges Gottes über den Tod und Zeichen der Verwirklichung seines Schöpfungsplanes.63 Sie verwirklicht die Erlösung des Menschen, indem sie sie ontisch zueignet.
58 Eucharist 43. Cf Evcharistija 14 (engl.53). 59 Vaters Haus 30 (Dom 74 (engl.68)). Man beachte hier die explizite logische Verknüpfung von Christologie und kirchlichem Bewußtsein! 60 Cf Communion 3. Pointiert schreibt Florovsky deshalb auch: "Der Entschlafene ist tatsächlich noch immer in der Kirche." (ibid.) 61 Cf Evcharistija 14 (engl.52) und Worshipping 35f. K.Chr.Felmy: Deutung 395, stellt, die Aussagen in Evcharistija kommentierend, zurecht fest, daß Florovsky damit "in nuce bereits die 'eucharistische Ekklesiologie' Afanas'evs vorweggenommen und seine Sicht der Kirche wie dieser auf 1.Kor 12,27 gestützt" hat. Es ist aber wohl dennoch kein Zufall, daß der Begriff 'eucharistische Ekklesiologie' in Florovskys ekklesiologischen Werken nie begegnet: Die Eucharistie ist für ihn Christus selbst, wie auch die Kirche Christus vergegenwärtigt, weshalb seine Ekklesiologie nur in expliziter Bezugnahme auf Christus eine adjektivische Bestimmung ertragen könnte. 62 Worshipping 36 63 Es ist typisch für die theologische Argumentationsweise Florovskys, daß er bei dem Kreuzesaspekt nicht stehen bleibt (cf 0.4.4.1 und Ethos 26), sondern zum Schluß seiner Ausführungen auf die Auferstehungsdimension der Eucharistie zu sprechen kommt (cf Evcharistija 17f (engl.54)).
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Insofern die Eucharistie die größtmögliche Vereinigung des Menschen mit Gott ist, ist dieses "Sakrament die Antizipation der endgültigen Auferstehung"64, die faktisch "nur" Symbol für die verwirklichte ewige Gottesgemeinschaft der Menschen ist, weshalb man nach Meinung Florovskys auch sagen kann, "daß die Auferstehung nur eine umfassende Eucharistiefeier, Mahl des Lebens, Mahl des Lammes, sein wird."65 Diese Antizipation der Erlösung wurde durch die Inkarnation des Wortes Gottes ermöglicht, insofern in ihr die Heiligung der Materie Ereignis wurde, so daß "wir die Erstlinge der Materie darbringen, von den Getreidehalmen und der Frucht des Weinstocks, für die Eucharistische Heiligung."66 Durch sie wird somit antizipatorisch die Welt selbst geheiligt und verklärt und Gottes Schöpfungsplan, "die faktische Einheit" von Gott, Mensch und Welt, "die viel tiefer ist, als mit menschlichen Worten zu beschreiben möglich ist"67, bereits inmitten der empirischen Welt verwirklicht.68 Diese Erfahrung aus dem eucharistischen Gottesdienst führt nun aber sogleich zu einer geschärften Weltwahrnehmung. Angesichts der Erfahrung der unmittelbaren Vereinigung mit Gott erscheint die Kirche als Insel in einer sündhaften Welt, in der der Mensch zwangsläufig zu leben hat und lebt. Weltflucht und Weltverneinung sind für Christen keine Lösung. Florovsky wendet sich vielmehr entschieden gegen die Verführung einer christlich motivierten Weltverneinung, da sie dem universalen Anspruch Christi auf die ganze Welt auszuweichen sucht. Vorbild und Maßstab christlichen Lebens in der Welt sind für ihn die Märtyrer, die in der Welt geblieben sind, an ihr um Christi willen litten und so ihr Leben in intensiver Christusgemeinschaft vollendeten.69 Nicht die sündige Welt an sich ist für Florovsky damit Ursache einer möglichen Weltflucht. Vielmehr "liegt die Hauptquelle der Verführungen im Innern [...] Denn die Hauptsache ist die Wahl des Herzens."70 Wie der Mensch in Freiheit, d.h. personal über sein Sündigen entscheidet, so kann er sich auch frei für die Gemeinschaft mit Gott entscheiden, die Grundlage für seine Liebe zu den Mitchristen und zur 64 Eucharist 45 65 Ibid. 66 Evcharistija 18 (engl.55) 67 Eucharist 46 68 Cf Evcharistija 18f (engl.55) und Eucharist 45. K.Chr.Felmy: Deutung 395, hat darauf aufmerksam gemacht, daß Florovsky mit diesen Aussagen als erster russischer orthodoxer Theologe die eschatologische Dimension der Eucharistie auf die Eschatologie des Kosmos bezogen hat, was für die spätere Liturgiedeutung, insbesondere die von I.Zizioulas, unmittelbar wichtig geworden ist (cf K.Chr.Felmy: ibid.432). 69 Cf Christianin 10 70 Ibid.
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Welt ist. 71 Solange er aber auf Erden lebt, muß er, weil die Erlösung noch nicht an ihr Ende gekommen ist, die eschatologische Spannung zwischen dem schon jetzt und noch nicht aushalten und ertragen. Damit aber ist die sakramentale Kommunion mit Christus und die daraus resultierende Gemeinschaft der Gläubigen untereinander in Liebe ein ständiges Anfangen bzw. eine beständige Bestätigung des Christenlebens 72 , das der Berufung Gottes zur Vereinigung mit Christus in freier Entscheidung folgt und sie bewährt. 73 Wie aber kann man sich diese menschliche Mitwirkung an seiner eigenen Erlösung und damit deren beständige Aneignung, die über den je punktuellen sakramentalen Kommunionsaspekt hinausgeht, über die bisher bereits gemachten Aussagen hinaus vorstellen? Florovsky weicht dieser Frage keineswegs aus, sondern hat sie wiederholt unter ganz praktischen Gesichtspunkten erörtert.74 Dies aufzuzeigen ist Aufgabe des folgenden Abschnitts. 71 Florovsky beschließt seine Ausführungen zur Eucharistie nicht zufällig mit einem Aufruf zum ökumenischen Handlungsauftrag der Kirche: Nur indem sie selbst das Ihre zur Einheit aller Menschen beiträgt, entspricht ihr ganzes Sein der ihr in der Eucharistie gegebenen Einheit in Christus. Zu diesem Handlungsaspekt kirchlichen Seins cf u. 10.3.3. 72 In Worshipping!4 und Redemption 156 bezeichnet Florovsky die Trias von Taufe, Chrisamsalbung und Eucharistie im Anschluß an Nicolas Cabasilas als "Initiationssakramente", wobei selbstverständlich der Taufe zeitlich Priorität zukommt, diese sich aber in Hinsicht auf den Inkorporationscharakter der Sakramente in den Leib Christi nicht unterscheidet. Unter den drei Sakramenten nimmt die Eucharistie für Florovsky deshalb den höchsten Rang ein, weil sich in ihr Christi Handeln im letzten Abendmahl unmittelbar und ohne Hinzunahme anderer Symbole fortsetzt. 73 Cf Christianin 10 74 Die eminent praktischen Aussagen, die Florovsky in diesbezüglichen Aufcätzen macht, beweisen, daß seine Theologie nicht nur theoretisch aus der kirchlichen Erfahrung schöpft, sondern in ihr verwurzelt ist. - Im folgenden Abschnitt beziehe ich mich überwiegend auf Florovskys Arbeiten zu Gottesdienst und Gebet: Christianin (1933), Prayer (1947), Elements (1952), Worship (1963) und Worshipping (1969), die zwar eigenständige Arbeiten sind und demnach Sachgebiete auch unterschiedlich gewichten, Akzentverschiebungen oder gar eine Entwicklung in der Argumentation aber nicht erkennen lassen. Vielmehr scheint Florovsky jeweils die je zuletzt verfaßte Arbeit als Grundlage seiner erneuten Ausführungen zum Thema verwendet zu haben: Während Christianin nur die grundsätzlich beibehaltene Problemstellung und Problemlösung, nicht aber literarische Übereinstimmungen aufweist, diente Prayer als Vorlage für den Aufsatz Elements, der mit Ausnahme von Prayer 45 diese kurze und skizzenhafte Arbeit voll aufnimmt und ausweitet. Worship hat Elements um eine neue Einleitung erweitert (S.266), zitiert sodann bis Seite 268 wörtlich Elements 54f, um schließlich, gedanklich zwar weit über seine Vorlage hinausgehend, der vorliegenden Gliederung in eigenständigen Formulierungen zu folgen. Worshipping greift schließlich in seiner Einleitung 351
10.2.3 Das Leben im Geist Die Grundlage der Theosis ist die Freiheit des Menschen, mit der er in die göttlichen Prädestinationen einstimmt. Nur so gewinnt der Mensch sich selbst als freie Person, die den Bindungen der Natur enthoben und mit Gott vereinigt ist. Da aber sowohl die göttlichen Prädestinationen wie die Betätigung menschlicher Freiheit je individuell und einzigartig sind, "gibt es kein allgemeines und einziges Programm christlichen Lebens und christlicher Betätigung für alle. Für j eden gibt es im Leben sein einzigartiges und unteilbares 'Programm'. Und jeder muß es kennenlernen und entschlüsseln."75 Dementsprechend vollzieht sich der Prozeß der Theosis in individuellen Abstufungen, je nach Grad der bereits erlangten personalen Gemeinschaft mit Gott.76 Doch bleibt das Ziel für alle gleich: Teilhabe an Gott durch Christus in der Kraft des Heiligen Geistes.77 Aus diesem Grund sind praktische Aussagen zur Aneignung der Erlösung, weil sie nicht verallgemeinert werden können, immer problematisch und letztlich nur individuell bewertbar. Sie können methodisch nur von ihrem Ziel her in den Blick genommen werden. Dieses aber ist, anthropologisch gewendet, die katholische Persönlichkeit78, die sich selbst darin erkennt und vollendet, daß sie sich als Glied des Leibes Christi in liebender Gemeinschaft mit Christus und allen anderen Menschen weiß. Dieser Katholizität gelten alle Bemühungen des Christen.79 S.21 wörtlich auf Worship zurück, nimmt die bereits aus Christianin geläufige Problemstellung in eigenen Formulierungen auf, um sodann nur noch vereinzelt auf bereits früher Gesagtes zurückzukommen. 75 Christianin 10 76 Cf Worship 269 = CW XIII,98 und 0.8.3. 77 Ci Elements 58 = CW ΧΠΙ.89. Da die Theosis in Christus ihr Urbild hat, aber durch seinen Geist zugeeignet wird (ciHigh Calling 33), ist dieser Abschnitt mit 'Leben im Geist' überschrieben. Faktisch steht das Denken Florovskys damit in der von M.George: Mystische und religiöse Erfahrung 194 Anm.484 aufgezeigten "spirituelle[n] Tradition, die bis auf Symeon den neuen Theologen und Makarius den Ägypter zurückgeht." 78 Cf Corps 32f und 0.5.3.3. 79 P.A.Chamberas: Some Aspects 424, stellt zurecht fest, daß die Bemühung um Katholizität "vielleicht die wesentliche Bedeutung seines [sc. Florovskys] bevorzugt gebrauchten Begriffs der 'asketischen Bemühung' ('ascetical achievement' [bzw.russisch: podvig]) ist." - G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 64, meint bei Florovsky eine Verlagerung der Argumentation in Hinsicht auf die asketischen Bemühungen des Christen von der an der Opposition zu Idealismus und Utopismus orientierten Vorstellung von Kreativität und Freiheit in Aufsätzen aus den zwanziger Jahren hin zur patristischen Konzeption einer fortschreitenden Theosis zu finden. Dem ist nicht
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Sie wie auch den jeweils eigenen Heilsweg zu erkennen und zu leben, ist damit erste und wichtigste Aufgabe des Christen. Sie wird in der personalen Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch, d.h. im Gebet gelöst. "Das Gebet ist nämlich in seinem umfassendsten Sinn und seiner äußersten Tiefe ein Stehen vor Gott, [...] Zugewandtheit und geistige Hinwendung zu Gott".80 So verstanden ist Beten eine personale, eine individuelle Handlung, die die mit der Taufe geschenkte Taufgnade verwirklicht und für das Christsein unabdingbar ist.81 Somit verwirklicht sich christliches Leben nur "durch persönlichen Glauben und Hingabe [im Gebet82], und doch", so fährt Florovsky fort und beschreibt so die grundsätzliche Antinomie christlichen Lebens, "ist Christliche Existenz wesentlich gemeinschaftlich: Christ sein bedeutet in der Gemeinschaft, in der Kirche zu sein."83 Diese grundsätzliche Antinomie verdeutlicht Florovsky in allen Aufsätzen zur Frage des Gebets anhand der Gegenüberstellung von Mt 6,6 - 'Wenn du aber betest, geh in deine Kammer' - und Mt 18,20 - 'Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen'.84 Die particula veri der Aussage von Mt 6,6 besteht für Florovsky darin, daß der Mensch nur für sich allein, abgeschlossen von allen anderen, Gottes Prädestination und seinen Willen über und an sich selbst erfährt.8S Diese Form des Betens steht aber in der Gefahr, die Katholizität des eigenen Handelns zu verlieren, den Glauben mit pietistischem Individualismus zu verwechseln und so in exklusiver Selbstliebe die in der Eucharistie manifezuzustimmen. Zwar verlagert sich Florovskys Interesse biographisch bedingt stärker auf das Studium der Patristik und weg von der Philosophie, doch durchzieht der Gedanke kreatürlicher Freiheit auch noch seine späteren Aufsätze (z.B. Idea, Idde, Redemption), wie auch umgekehrt der Theosisgedanke bereits in früheren Aufsätzen (z.B. in Tvar'und Christianin) deutlich anklingt. Man wird eher behaupten können, daß Florovsky das, was er in Frühschriften philosophisch ausdrücken konnte, später theologisch ausdrückte, ohne daß sich der Sachgehalt der Aussagen in bedeutender Weise ändert. 80 Christianin 11. Cf auch Elements 58 =CW XIÜ.89: "Das Gebet gehört selbst zum Prozeß der Erlösung, denn die Wohltat unserer Erlösung wird gerade in der betenden Gemeinschaft mit Gott begriffen und angeeignet." 81 Aus diesem Grund bezeichnet Florovsky in Worshipping 31 das Gebet des Christen als "auferlegte Pflicht". 82 Cf Christianin 11: "Der christliche Weg ist ein Weg und eine Bemühung (podvig) des Gebets. Es ist der einzige Weg zu Gott." 83 Worship 266 = CW XIII,95 (Hervorhebungen von mir) 84 Cf Christianin l l f , Prayer 43, Elements 53f = CW XIII,86, Worship 267 = CW XIII,95f, Worshipping 23. 85 Cf Christianin 11
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stierte Einheit des Leibes Christi und damit die Vereinigung mit den Mitchristen zu negieren.86 Eine solche Fehlinterpretation des persönlichen Gebets verfehlt den Sinn der Heilstat Christi und damit die Erlösung der Person. Insofern Christen nur in der Gemeinschaft der Kirche Christen sein können, sind sie "nur dazu berechtigt, als Glieder der Gemeinschaft zu beten."87 Florovsky hält es aus diesem Grund für wichtig, daß der Christ nicht vorschnell versucht, frei zu beten. "Es ist für die eigene Spiritualität (spiritually) gefährlich [...], willkürlich aus dem Moment geborenen Improvisationen eigener Zusammenstellung zu frönen", da "in der Christlichen Anbetung kein Platz für Psychologismus oder Subjektivismus ist."88 Vielmehr sollte sich insbesondere derjenige, der mit dem Beten erst beginnt, an Gebetsvorlagen, wie sie z.B. im Canonicon gesammelt sind, halten und von den dortigen Gebeten aus- und an ihnen entlanggehend das freie Gebet üben.89 Dabei ist, wie Florovsky im Anschluß an die Arbeit des russischen Bischof Feofan Zatvornik (1815-1894) über das Gebet bemerkt, das Bitten nur die unterste Stufe des Gebets.90 Bittend vergewissert sich der Betende der Fürsorge Gottes, was ihn in einem zweiten Schritt zum Dank an Gott führt91, der in den Lobpreis einmündet. "Im Maß des geistigen Aufstiegs aber wird das Gebet immer schweigsamer und einsilbiger."92 Denn je stärker sich der Mensch Gott zuwendet, um so intensiver ist seine Gotteserfahrung93, die Erfahrung, daß - Florovsky verweist auf Rom 8,16.26 - der
86 Cf Christianin 12, Prayer 43, Elements 53 = CW XIII,86. 87 Worshipping 34 88 Worshipping 32 89 Ci Elements 55f = CW ΧΠΙ,86ί. Florovsky gibt dort ganz praktische Anweisungen, wie man das Beten üben kann: Nach dem Lesen des Textes soll man sich zuerst um ein Verständnis des dort Gesagten bemühen, so daß man den Text möglichst auswendig beherrscht. Erst dann beginnt das eigentliche Sprechen des Gebets, das dann nicht mehr durch Verständnisprobleme oder Assoziationen abgelenkt ist, sondern sich ganz auf die Gemeinschaft mit Gott konzentrieren kann. "Der Christ muß sich selbst ständig in der Gegenwart Gottes fühlen. Das ist das Ziel der Frömmigkeitsübung." (Elements 57 = CW XIII,88) 90 Auf ihn rekurriert Florovsky - leider ohne präzisen Quellenverweis - in allen hier wichtigen Aufsätzen. 91 Dem Wesen des wahrhaften Dankes entspricht es, daß es Ausdruck von Freiheit ist. Insofern erfüllt sich bereits im dankenden Beten die Freiheit der Person. Cf Mercy 3. 92 Christianin 11 93 Cf Worship 269 = CW XIII,98: "Selbstverständlich gibt es Stufen geistlichen Aufstiegs, eine gewisse 'Leiter* der Erhöhung, die man stufenweise erklimmen muß."
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Geist selbst im Menschen betet.94 Wenn aber der Geist im Menschen spricht, kann dieser nur noch dankbar und demütig schweigen.95 In dieser Geisterfahrung besteht der Sinn und das Ziel des Gebets wie des ganzen christlichen Lebens. Diese Erfahrung bedeutet jedoch nicht die Auflösung der freien Person, vielmehr wird die Persönlichkeit des Menschen, gerade indem sie "Gefäß des Heiligen Geistes wird [...], durch ihre Gemeinschaft mit der vollendeten Persönlichkeit Gottes, auf eine höhere Ebene erhoben."96 Auf dieser Ebene der Vollendung der menschlichen Person ist das Gebet in dem Sinn '"interesselos"', daß die personale Gemeinschaft von Gott und Mensch keine über diese Gemeinschaft hinausgehenden Bedürfnisse mehr kennt. "Die Anbetung findet ihren Höhepunkt darin, daß das persönliche Leben in die Hände Gottes gelegt wird."97 Wie aber verhält sich diese individuelle Form des Betens zum Beten in der Gemeinschaft der Glaubenden, der nach Mt 18,20 die Verheißung der Gegenwart des Herrn gilt? Unter dem Beten in der Gemeinschaft versteht Florovsky nicht die pietistische Gebetsgemeinschaft, sondern das im Gottesdienst praktizierte gemeinschaftliche Gebet, das, wie das liturgische 'wir' der eucharistischen Gebete zeigt, der Katholizität der Kirche Ausdruck gibt.98 Diese Katholizität wäre jedoch mißverstanden, wollte man sie als Aufhebung der personalen Beteiligung des Betenden am gemeinsamen Gebet verstehen. "Ohne persönliche Anstrengung und Sammlung ist ein 'Übereinstimmen' im katholischen (sobornoj) Gebet, das sich in Wahrheit aus persönlichen Gebeten zusammensetzt, unmöglich."99 Ein rein ästhetischer Zugang zum gottesdienstlichen Geschehen, der die Einheit der Versammelten in der gemeinsamen Gesinnung und im Gefühl sucht, verfehlt damit den Realismus der Gegenwart Gottes, die personale Mitteilung und Gemeinschaft ist. Er ist, wie Florovsky drastisch formuliert, "ein direkter Anschlag auf das Personsein des Menschen"100, da das zentrale Prädikat des Personseins des Menschen seine willentliche Selbstbestimmung, nicht aber die Hingabe an Gefühle und Sinneseindrücke ist. Aus diesem Grund ist Florovsky auch 94 In Christianin 11 begründet Florovsky diese Aussage durch eine allegorische Auslegung von Mt 6,6: Der dort gebotene Rückzug in die eigene Kammer zum Beten bedeutet nicht so sehr lokale Abgeschlossenheit, sondern Konzentration auf das Innere, in dem Gott, 'der im Verborgenen ist', sich als Verborgener kundmacht. 95 Cf Prayer 44, Elements 56f = CW ΧΠΙ,88 96 Worship 270 = CW XIII,98f 97 Worship 269 = CW XIII,98 98 Cf Worship 271 = CW XIII, 100 und Ο.10.2.2. 99 Christianin 12 100 Christianin 13
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gegenüber einem Ritualismus, der die Erlebnisdimension des Gottesdienstes gegenüber dem Sachgehalt des dort Geschehenden durch große Prachtentfaltung, die in jedem Fall nur menschliches Werk ist, übermäßig heraushebt, außerordentlich kritisch. "Werden nicht die seelischen Leidenschaften in einem mehr als zulässigen Maß für diese stofflichen Symbole und symbolischen Handlungen (podobijam) erregt?"101 Das katholische gemeinschaftliche Gebet ermöglicht somit die Entwicklung der Persönlichkeit des einzelnen zur personalen Freiheit102 und darf nicht als unpersönliches Massenhandeln aufgefaßt oder gar praktiziert werden103, was dann der Fall wäre, wenn man die liturgischen Texte rein äußerlich und formalistisch gemeinsam rezitierte. Für Florovsky kann man demnach das individuelle nicht gegen das gemeinschaftliche Gebet, Mt 6,6 nicht gegen Mt 18,20 ausspielen. Er begründet dies mit seinem Personbegriff: Personales Beten bedeutet in seinem Denken grundsätzlich ein sich selbst der Katholizität der Kirche vergewisserndes Beten, das sein Wesen verfehlt, wenn sich der Betende der Gemeinschaft entzieht. Allerdings setzt das gemeinschaftliche Beten im Gottesdienst die Einübung in das individuelle Beten voraus. Denn "nur die, die darin geübt sind, dieses allein vollzogene Gebet zu beten, können sich wirklich geistlich treffen und vereinigen."104 Mit dieser Aussage rückt erneut die persönliche Verantwortung des einzelnen für seine Erlösung ins Zentrum. Erst wenn er sich Gott zugewandt und sich betend "dem Maß der Liebe Christi zum Menschen"105 angeglichen hat, kann er auch in wirklicher Katholizität, d.h. in der verwirklichten Einheit unterschiedlicher Personen beten. Diese Einheit und Einmütigkeit der Betenden ist das Ziel jeder Anbetung.106 Da man aber das persönliche Beten ohne diesen Bezug auf die katholische Einheit der Glaubenden, wie umgekehrt das gemeinschaftliche Beten ohne die Übung des persönlichen Gebets nicht in rechter Weise vollziehen kann, sind "beide Weisen zu beten mehr als nur komplementär; sie sind organisch miteinander verwoben als zwei untrennbare Aspekte derselben geistlichen Handlung."107
101 Ibid. Damit negiert Florovsky allerdings nicht, daß die Pracht und Schönheit z.B. des Gottesdienstes und der Ikonen antizipatorisch die Verwandlung der Welt durch Gott darstellen. 102 Cf Christianin 13: "Im übereinstimmenden Gebet kann man sich nicht verlieren, kann man sich über die Erweiterung seiner eigenen Persönlichkeit freuen, nicht aber über ihren Verlust." 103 Cf Christianin 12, Prayer 43 und Elements 54 = CW XIII,86. 104 Elements 54 105 Worshipping 23 106 Cf Worshipping 23 und Veneration 207 107 Elements 54
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In dieser 'geistlichen Handlung' des Gebets verwirklicht sich das Zusammenwirken der Menschen mit Gott zur Gemeinschaft der Menschen in der Kirche. Es kann deshalb nicht auf einzelne Taten beschränkt werden, sondern muß zu einem Habitus des Menschen werden, durch den einerseits die Personalität des Menschen beständig verwandelt und andererseits die Katholizität der Kirche vervollkommnet wird.108 Vorbild und Ermöglichungsgrund dieses Zusammenwirkens aber ist die Liebe Christi, weil die gemeinschaftlich und füreinander betenden Menschen sich selbst und sich gegenseitig nur durch die in ihnen wirkende Liebe Christi als von Gott geliebte Personen in der Einheit seines Leibes entdecken können.109 Insofern sich aber in der Eucharistie Christus selbst und die erlösende Kraft seiner Liebe dem Menschen ontisch zueignen, bildet die Kommunion der Eucharistie das eigentlich Ziel jeden Gebets. "Jegliche 'private Anbetung' muß bewußt auf dieses sakramentale Ziel gelenkt werden."110 Die Spannung zwischen dem individuellen Leben im Geist und dem Leben in der Gemeinschaft des Leibes Christi muß jedoch um der Vollendung des christlichen Lebens willen bestehen bleiben.111 Sie reflektiert damit die eschatologische Spannung zwischen dem schon jetzt der Erfahrung des gegenwärtigen Christus und dem noch nicht der offenkundigen Gemeinschaft aller Menschen untereinander und in Christus. Der Vollendung dieser Gemeinschaft muß deshalb die ganze Aufmerksamkeit der Christen gewidmet sein. Da diese Gemeinschaft aber durch die Liebe konstituiert ist, kann auch das Handeln der Christen nur durch Liebe motiviert und befördert werden. Sie ist das Kriterium des Lebens im Geist.
10.3 Das die Erlösung bezeugende Handeln der Kirche "Inkorporation in Christus, die das Wesen der Kirche und der gesamten christlichen Existenz ausmacht, ist zu allererst Inkorporation in seine hingebende Liebe (sacrificial love) zu den Menschen."112 Die Erlösung der
108 Cf Worship 272 = CW XIII,lOOf. Cf auch Mercy 2: "Eigentliches Ziel Christlicher Übung - und Christus selbst ist der höchste Lehrer (der Paidagogus) der menschlichen Seelen - besteht genau darin, diese Bereitschaft zu Gebet und Dank, diesen Habitus beständiger Danksagung zu entwickeln." 109 Cf Worshipping 24 110 Worshipping 34 111 Cf Christianin 14: "Und auf der wahren Ebene geistlichen Lebens eröffnet sich die Harmonie im Widerspruch." 112 Mother 187
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menschlichen Person ist für Florovsky somit keineswegs ein allein auf die Beziehung Gott - Mensch beschränktes Geschehen, sondern hat unmittelbare und notwendige Auswirkungen auf das Handeln des Christen in seiner Gegenwart113, der damit dem Heilshandeln Gottes zu entsprechen versucht. Da das ihm zugeeignete Heil, das sich der Mensch frei in asketischen Bemühungen114 aneignet, die Verwandlung seiner Person bewirkt, ist auch das Handeln des Christen an der Welt "inspiriert durch die Aufgabe der Umgestaltung und Wiedereinsetzung der Welt in ihre ursprünglich geschaffene Schönheit, von der sie in die Sünde fiel."115 Wie somit das sündige Handeln des Menschen kosmische Implikationen hat116, so hat auch sein an und mit ihm geschehendes erlösendes Handeln Auswirkungen für die Welt. Indem der Christ in schöpferischer Freiheit handelt, wird Gottes Heilswirksamkeit irdisch sichtbar. Das erlösende Handeln an der Welt hat deshalb eschatologische, d.h. die Grenzen der Geschichte überschreitende Bedeutung.117 Florovsky bezeichnet es aus diesem Grund als die "'Eschatologie der Umgestaltung"', deren Wirkungen auch im Jüngsten Gericht Bestand haben werden.118 Insofern diese Umgestaltung aber in Gott selbst, dessen Vollkommenheit unerreichbar ist, ihre Begründung und ihr Ziel hat, ist diese Aufgabe zur Transformation der Welt unendlich und ein beständiger Ansporn zum Handeln.119 Der Christ kann sich somit nicht mit der Heilserfah113 Cf auch Christianin 11: "Es ist unmöglich, in der Liebe zu Gott Fortschritte zu machen und dadurch nicht auch viel in der Liebe zum Nächsten zuzunehmen. Denn Gott ist selbst Liebe, die Liebe zum Nächsten." 114 Der Begriff 'Askese' hat bei Florovsky weniger die Bedeutung von Selbstverleugnung und Selbstzüchtigung, sondern versucht die Freiheitstat des Menschen zu beschreiben, der sich in Hinwendung zu Gott aus seinen sündhaften Bestrebungen mit Unterstützung des Geistes über den Bereich natürlichen Seins erhebt und als Person vollendet. Cf 0.8.2. 115 Ascetiscism 11 (fehlt in Christianity). Den unmittelbaren Zusammenhang zwischen erfahrener Erlösung im Raum der Kirche und weltlichem Handeln des Christen verdeutlicht Florovsky in Evcharistija 21f (engl.57) und nimmt damit den nahezu vierzig Jahre später in der Ökumene geprägten Begriff von der 'Liturgie nach der Liturgie' voraus: "Die Taten der Liebe setzen den Gottesdienst fort, denn in einem gewissen Sinne sind auch sie Gottesdienst, Dienst und Lob für Gott, den Gott der Liebe. Deshalb eröffnet sich aus der Eucharistie heraus der Weg zur alltäglichen asketischen Bemühung (podvigu), zur Suche nach Frieden für die Welt." 116 Cf 0.8.2. 117 Cf Asceticism 12 und Christianity 129: '"Eschatologische Schätze' werden bereits in diesem Leben gesammelt. Wäre es anders, dann würde diesem Leben alle Hoffnung genommen. Wirkliche Antizipation des Letztgültigen ist bereits zugänglich. Sonst wäre der Sieg Christi umsonst." 118 Christianity 129 119 Cf Christianity 127
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rung in der Kirche begnügen, sondern ist an die Geschichte zur schöpferischen Fortsetzung des Heilshandelns Gottes verwiesen. Sein Handeln ist damit von der Vergangenheit der Offenbarung Christi in der Geschichte her begründet, gerechtfertigt und motiviert, von der erfahrenen Gegenwart Christi in der Kirche her bestätigt und gefordert und von der Zukunft der Wiederkunft Christi zum Gericht her auf Vollendung hin angelegt und zugleich begrenzt.120 Da Florovsky das Handeln des Christen als ein dem Handeln Gottes am Menschen entsprechendes Handeln versteht, ist es zwar einerseits notwendige Folge der Heilserfahrung, kann aber andererseits der Welt nicht unter Zwang aufoktroyiert werden, sondern hat den Freiheitscharakter menschlichen Seins zu berücksichtigen. Die eschatologische Umwandlung der Welt, die sich bereits im Handeln des Christen an der Welt verwirklicht, ist deshalb kein Handlungsprogramm, "keine 'Struktur', die irgendwann verwirklicht werden könnte und womit die Menschen gewaltsam beglückt werden könnten."121 Kriterium des Handelns bleibt die Liebe, die durch Liebe zum Heil in Christus überzeugen will. Aus diesem Grund ist die erste Aufgabe der Kirche für die Welt die Verkündigung des Evangeliums und die sakramentale Präsentation des Heils in Christus122, die den Menschen die freie Entscheidung über Annahme oder Verweigerung des Heils belassen. Da die Kirche sich als Ort der Gegenwart Christi weiß und damit selbst eschatologisch ist, bedeutet ihr Verkündigungsauftrag jedoch immer die Ankündigung des Gerichts für die Welt, die das Heil in Christus noch nicht angenommen hat und in der Sünde verharrt. Indem die Kirche das Gericht über die Welt verkündet, erwächst ihr zugleich die Aufgabe, sich in der Welt als nicht von dieser Welt zu erweisen und so einerseits in ständiger Opposition zu ihr zu leben123, wie auch andererseits in ihr die eschatologische Umwandlung des Kosmos aktiv zu befördern124. In jedem Fall aber muß das Handeln der Kirche angesichts der noch ausstehenden Wiederkunft Christi grundsätzlich auf die Welt bezogen bleiben125 und wirkt, da es nicht von dieser Welt ist, notwendig "revolutionär"126. 120 Ci Pat.Age 66f 121 DvaZaveta 171 122 Cf Corps 55 und Church 68f. 123 Cf Corps 55 124 Cf Dva Zaveta 171: "Die asketische Bemühung (podvig) der persönlichen Vervollkommnung schließt ein gesellschaftliches Wirken nicht aus, sondern enthält es in sich: Es ist die Verwirklichung des grundlegenden christlichen Gebots der Nächstenliebe." 125 Cf o.5.5: Die Spannung zwischen den zwei christlich begründbaren Handlungsweisen - dem Rückzug in die Wüste bzw. dem Versuch einer Verchristlichung der Welt - ist unauflöslich und muß erhalten bleiben. 126 Cf Corps 55
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In seinem theologischen Werk verdeutlicht Florovsky diesen Gedanken an drei Sachgebieten: dem der Kultur (10.3.1), des sozialen Engagements der Kirche (10.3.2) und der ökumenischen Verantwortung der orthodoxen Kirche für die Einheit der Kirche (10.3.3). Angesichts seines Lebenslaufes ist es nicht verwunderlich, daß dem letzten Aspekt seine größte Aufmerksamkeit galt, während er sich zum ersten besonders in seinem Aufsatz Faith and Culture aus dem Jahr 1955 programmtisch geäußert hat. Der zweite Aspekt verdeutlicht exemplarisch das dort Gesagte.
10.3.1 Die Kirche und die weltliche Kultur Florovsky definiert den Begriff 'Kultur' in zweifacher Weise. Einerseits ist sie als "System von Verhaltensweisen (habits)", das Individuen oder Gruppen, die sich darauf eingelassen haben, vereint, das Merkmal, das eine zivilisierte Lebensweise von einer primitiven Lebensform unterscheidet. Andererseits ist Kultur auch ein "Wertesystem, das im schöpferischen Prozeß der Geschichte hervorgebracht und zusammengstellt wurde, und dazu tendiert, eine halbunabhängige, d.h. eine von dem schöpferischen Bemühen, das diese 'Werte' hervorbrachte oder entdeckte, unabhängige Existenz anzunehmen."127 Als ein solches Wertesystem ist jede Kultur zeitbedingt und unterliegt je nach Akzeptanz bzw. Ablehnung Veränderungen und Wandlungen oder kann auch durch eine neue ersetzt werden.128 Geht man von dieser Definition aus, dann stellt sich sofort die Frage, ob das Christentum überhaupt Kultur in diesem Sinne ist bzw. sein kann, denn die Heilserfahrung des Glaubens, die unmittelbare Gemeinschaft des Menschen mit Gott, ist keineswegs ein abstrakter Wert, sondern personhaftes Freiheitsgeschehen von zeitloser und unbedingter, weil göttlicher Wahrheit. Kultur hingegen ist "eine menschliche Errungenschaft, ist des Menschen eigene gewollte Schöpfung", die als etablierte Zivilisation die freie Kreativität des Menschen in gesellschaftliche Zwänge pressen und damit einengen kann.129 Kultur scheint damit dem Christentum diametral gegenüber zu stehen. Die Frage nach dem Verhältnis der Kirche zur weltlichen Kultur erweist sich damit als theologische Frage, und ihre Beantwortung ist weder primär allein von gesellschaftlichen und historischen Umständen abhängig, noch von persönlichen Vorlieben bestimmt.
127 Faith 11 128 Cf Faith 22 129 Ci Faith 14
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Wird das Verhältnis von Christentum und Kultur negativ bestimmt, so kommen dabei zwei Grundüberzeugungen zum Ausdruck. Einerseits ist für viele Christen alles Geschichtliche sub specie aeternitatis unbedeutend und belanglos. "Das Geheimnis der Erlösung scheint das Geheimnis der Schöpfung zu verdunkeln, und die Erlösung wird eher als die Aufhebung der gefallenen Welt, denn als deren Heilung und Wiederherstellung vorgestellt."130 Dieser ganz auf das Jenseits Gottes ausgerichteten Vorstellung entspricht andererseits eine minimalistische Anthropologie, die den Menschen als Nichtigkeit innerhalb eines nichtigen Zeitflusses versteht, dessen einzige Hoffnung die Erlösung aus seinem j etzigen Jammertal ist. Exemplarisch zeigt Florovsky diese jeglicher Kulturleistung gegenüber ablehnende christliche Einstellung an der pietistischen, puritanischen, existentialistischen und abschließend an der Haltung des Duchschnittsmenschen auf.131 130 Faith 16 131 Ich referiere Florovskys Charakterisierungen dieser Gruppen hier kurz, weil sie ein bezeichnendes Licht auf seine Einschätzung anderer Formen christlichen Lebens, wie sie zum größten Teil in nichtorthodoxen Kirchen zufindensind, und damit auch auf seine Einschätzung seiner ökumenischen Gesprächspartner werfen: An erster Stelle nennt Florovsky die Christen, für die das persönliche Heilserlebnis und die individuelle Wiedergeburt im Zentrum der religiösen Erfahrung stehen. Da für sie der Glaube an den persönlichen Heiland das einzig Entscheidende im Leben ist, erscheint alles Andere als sündhafte Verstrickung in die gottlose Welt. "Sie können im fortlaufenden Prozeß der Kultur keinerlei positven Sinn sehen", weshalb sie in einer merkwürdigen "Mischung aus Reue und Selbstbefriedigung, Demut und Stolz" {Faith 17) zum Teil unbewußt zum sektiererischen Dasein neigen, dem es primär um die Erlösung des einzelnen geht. In dieserpietistischen Konzentration auf das Schicksal des Einzelnen sieht Florovsky eine "radikale Reduktion des Christentums" (ibid.). In ähnlicher Weise, jedoch nicht unbewußt, sondern programmatisch, reduziert auch die puritanische Verneinung der Kultur das Christentum. Auch hier wird die Erlösung des Individuums durch den Glauben betont, doch wird diese nicht als tatsächliche Neuschöpfung, die zur '"zweckfreien (disinterested) Kreativität'" befreit, begriffen, sondern der Glaubende bleibt "was er ist, eine zerbrechliche und unnütze Kreatur" (ibid.18), deren Leben und Leistung kein Wert an sich zukommt. Vielmehr wird das Leben als Bewährung der Erlösung und damit als Leben in Pflicht und Gehorsam Gott gegenüber begriffen und alles, was diesem Ziel nicht dient, abgelehnt. Als Opposition zur Einbindung des Menschen in seine jeweilige Kultur entstanden, negiert schließlich der Existentialismus den Wert jeder Kultur, da sie den Blick auf die Nichtigkeit menschlichen Daseins verstelle. Auch in diesem Typ sieht Florovsky eine Reduktion des christlichen Glaubens, da die sicher richtige Rede von der Nichtigkeit des Menschen vor Gott nicht dazu führen dürfe, daß diese auch noch angesichts der liebenden Begegnung zwischen Gott und Mensch behauptet wird. Sie muß vielmehr zu der Erkenntnis anleiten, daß der Mensch Person ist. Florovsky hält deshalb auch den verbreiteten theologischen Existentialismus für ein Symptom der Auflösung einer gemeinsamen christlichen Kultur (cf ibid.l8f). Abschließend verweist 361
Florovskys Kritik an diesen vier Grundtypen läßt deutlich die theologische Qualität der Frage nach dem Verhältnis von christlichem Glauben und Kultur erkennen. Auf der Grundlage seiner Schöpfungslehre, des dort entwickelten Geschichtsbegriffs und der Aussagen zur Anthropologie vermißt er in derartigen Ansätzen eine sachgerechte Bewertung der Berufung des Menschen zur schöpferischen Gestaltung seiner Geschichte und des Wertes seiner Leistungen. Gerade für die Frage nach einer christlichen Kultur ist die Einsicht in die in der Kirche gegenwärtige Antizipation des ewigen Lebens fruchtbar zu machen. Diese Antizipation kann für das Daseinsverständnis des Christen nicht ohne Auswirkungen bleiben, sondern führt, wie Beispiele aus der Geschichte zeigen132, durch die Konfrontation des jeweils vorherrschenden Weltverständnisses mit der Erfahrung des gegenwärtigen Christus zur Krise jeder Kultur, die schöpferisch zu einer christlichen umgestaltet werden muß. Darin besteht die bleibende Aufgabe für Christen. "Die wirkliche Lösung des immerwährenden Problems einer Verhältnisbestimmung zwischen Christentum und Kultur besteht in dem Bemühen, 'das natürliche Denken' in rechten Glauben umzuwandeln, nicht aber in der Negation kultureller Aufgaben. Kulturelle Anliegen sind ein integraler Bestandteil tatsächlichen menschlichen Daseins und können aus diesem Grund aus dem geschichtlichen Bemühen von Christen nicht ausgeschlossen werden."133 Allerdings darf sich die Kirche in diesem Bemühen weder der Welt vollkommen angleichen, da sie damit ihr Nicht-von-dieser-Welt-Sein verleugnen würde, noch sich aus ihr zurückziehen, um eine eigenständige Kultur auszubilden, die dann zwar, wie es z.B. beim Mönchtum gewesen ist, implizit Auswirkungen auf die weltliche Kultur haben kann, vom Ansatz her jedoch auf eine Abkehr von der Welt zielt.134 Die Kirche wie der einzelne Christ müssen die Spannung zwischen diesen beiden Polen, diese AntinoFlorovsky auf die Grunderfahrung des "Durchschnittsmenschen", der zwar die Werte der Kultur genießt und anwendet, ihr jedoch, sieht man einmal von dekorativen Zwecken ab, jeglichen Wert für die Religion abspricht. "Der 'Durchschnittsmensch' bevorzugt in religiösen Fragen normalerweise 'Einfachheit' und hat kein Interesse an dem, was er selbst als 'theologische Spekulation' bezeichnet, worin sehr oft fast alle Lehren und Dogmen der Kirche eingeschlossen werden." (ibid.20) 132 Florovsky verdeutlicht dies im folgenden durch die Auseinandersetzung der Apologeten, Origenes' und Augustins mit der hellenistischen Kultur, die in die Ausbildung des christlichen Hellenismus einmündete (cf Kap. 6) und sich z.B. in einem spezifisch christlichen Zeitverständnis manifestierte. 133 Faith 26 134 Florovsky erörtert an dieser Stelle seine in verschiedenen Zusammenhängen begegnende Unterscheidung zwischen der Kirche in der Wüste und der Reichskirche (cf
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mie von Hinwendung zur bzw. Abkehr von der Welt aushalten und können ihr nicht ausweichen. "Sie müssen um dessentwillen, 'was von irdischen Gestaden nicht umfaßt sein kann', die Geschichte transzendieren. Doch bedeutet Eschatologie selbst immer eine Erfüllung"135, die bereits in der Kirche erfahren wird und damit geschichtliche Auswirkungen hat. Was Florovsky mit dem Begriff der 'eröffneten Eschatologie' beschreibt (cf 5.5), ist damit auch Ansatz für eine christliche Bemühung um Kultur in der Welt, die je zeitbedingt ist und nicht in abstracto entwickelt werden kann, weshalb Florovsky denn auch keine konkreten Anweisungen für eine mögliche christliche Kultur gibt, sondern allein auf die mit der Offenbarung in Christus gegebenen Heilstatsachen als Kriterium und Maßstab jeder Kultur verweist.136 Insofern besteht für ihn die in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts empfundene Orientierungslosigkeit als Krise einer allgemein verbindenden Kultur nicht "nur in dem Umstand, daß die Menschen Überzeugungen verloren haben, sondern daß sie Christus verlassen haben."137 Insofern aber seine eigene Theologie nicht nur Theologie im engen Sinn, sondern eine umfassende Weltsicht bzw. Philosophie sein will, stellen seine theologischen Aussagen gleichsam den Versuch zur Begründung einer Kultur dar, die Christus ins Zentrum ihrer Überlegungen stellt und darin christlich ist.
10.3.2 Die Kirche und soziales Handeln Kein Christ kann für sich allein, sondern nur als Glied am Leib Christi in der Gemeinschaft der Schwestern und Brüder Christ sein. Diese "gemeinschaftliche Emphase [ist] in der Östlichen Tradition besonders stark gewesen und konstituiert noch immer das besondere Ethos der Östlichen Orthodoxen Kirche." 138 Es verdankt sich insbesondere der sakramentalen Inkor-
5.5): Faith 26ff, Christianity 124ff und mit ausführlichen historischen Belegen Antinomies 67-98. 135 Christianity 130 136 Cf Faith 30. Daß er damit der Frage nach der Gestalt einer christlichen Bemühung um Kultur nicht ausgewichen ist, zeigen gleichsam als Negativfolie seine Äußerungen zu den vier jede Kultur ablehnenden Positionen. 137 Faith 11 138 Social Problem 132. Florovsky erblickt darin das gemeinsame Ethos der Alten Kirche, das zwar im Verlauf der Jahrhunderte in der Ostkirche verdunkelt wurde - für die russisch-orthodoxe Kirche nennt Florovsky ibid. 138ff einige historische Gründe-, jedoch durch die Laientheologie des 19.Jahrhunderts, insbesondere durch A.S.Chomjakov,
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porationserfahrung des Christen139, die es jedem Christen ermöglicht, von sich und seinen individualistischen Interessen abzusehen. Motivation für soziales Engagement ist damit nicht so sehr ein in einer bestimmten Moralität verwurzeltes Gefühl von Mitleid, sondern die Einsicht, daß sich im Leiden des Mitmenschen das Leiden Christi fortsetzt.140 Diese Einsicht aber kann nicht erzwungen werden, sondern setzt die freie Entscheidung des einzelnen voraus. Der grundsätzliche Respekt vor der menschlichen Freiheit stellt damit nach Florovskys Meinung die faktische Grenze möglichen sozialen Handelns der Kirche dar. Ein womöglich mit staatlicher Gewaltanwendung gefördertes soziales Handeln der Kirche rechtfertigt für ihn deshalb nicht ein "Zerbrechen der Freiheit"141 des Menschen, da dieser damit seine eigentliche Würde verliert. Als dem Handeln Gottes entsprechendes Handeln kann das soziale Handeln nur von innen heraus durch die Liebe bestimmt werden. Als solches gehört es aber integral zum Christsein.142 Die Kirche ist deshalb "letztlich mit der Veränderung der menschlichen Herzen und Gedanken, nicht aber mit der Veränderung einer äußeren Ordnung, so wichtig soziale Verbesserungen auch sein mögen, beschäftigt."143 Allerdings bedeutet dies für Florovsky nicht die Rechtfertigung bestehender Ungerechtigkeiten, sondern die Bestätigung der grundsätzlichen Freiheit des Menschen, die der Kreatur von Gott geschenkt worden ist. "Konnte die Kirche im menschlichen Kampf ums Überleben irgendeine andere Waffe als das Wort der Wahrheit und Barmherzigkeit anwenden?"144 V.Solov'ev und F.Dostoevskij erneut ins Bewußtsein der russisch-orthodoxen Kirche getreten ist (cf ibid. 136ff). 139 Florovsky bezeichnet die Sakramente aus diesem Grund als 'social sacraments'. Cfdazu 5.2.1 Anm. 74. 140 Cf Social Problem 134 141 Social Problem 135. Florovsky bezieht sich damit deutlich auf seine eigene Ekklesiologie (cf o.5.3.3f) wie auch auf Chomjakov, für den die Liebe in Freiheit das Wesen der Einheit der Kirche ausmacht. Cf Social Problem 137 und A.S.Chomjakov: Die Einheit der Kirche 23f. 142 Cf den Schlußsatz aus Chrysostom 87: Chrysostomus' "Rat ist der Aufruf zu einem integralen Christentum, in dem Glaube und Liebestaten, Uberzeugung und Praxis organisch miteinander verbunden sind in der unbedingten Hingabe des Menschen an Gottes überwältigende Liebe." - Der Umstand, daß Florovsky 1955 mit diesem historisch orientierten Aufsatz, dessen Grundzüge er bereits in den betreffenden Passagen zu Chrysostomus in seinen Patrologien (cf Eastern Fathers 240ff) geäußert hat, auf die Notwendigkeit sozialen Handelns auch in der gegenwärtigen orthodoxen Tradition hinweist, läßt darauf schließen, daß er diesen Hinweis für notwendig hielt. 143 Social Problem 135 144 Ibid. Florovsky hat erstaunlicherweise in diesem fünf Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges geschriebenen Aufsatz und auch in Arbeiten, die nach der russi-
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Obwohl das soziale Handeln der Kirche demnach von der Freiheitstat des einzelnen abhängt, lassen sich doch einige Grundzüge dieses Handelns angeben. So hat das soziale Handeln der Kirche erstens von der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen auszugehen. "Dieser egalitäre Geist ist in der Östlich Orthodoxen Seele tief verwurzelt"145, da sie sich als Teil eines geistlichen Organismus weiß. Zweitens besteht das christliche Handeln weniger in der Ausarbeitung von idealen Gesellschaftsmodellen, sondern vielmehr in der unmittelbar tätigen Fürsorge für Arme und Benachteiligte, worin Florovsky einen Ausdruck der geistlichen Primärerfahrung der Orthodoxie sieht: Da die Herablassung Gottes zu den Sündern im Zentrum der Frömmigkeit steht, ist die Kirche "in der Welt eher ein Krankenhaus (hospital) für die Kranken als eine Herberge (hostel) für die Vollkommenen."146 Als dritten Grundzug für ein soziales Handeln nennt Florovsky schließlich "den ererbten sozialen Instinkt, der die Kirche eher zu einem geistlichen Heim als zu einer autoritären Institution macht."147 Er spielt damit auf die von ihm definierte Grundstruktur der Tradition der Kirche an: Sie ist das Zeugnis des Geistes, der sich selbst als wahr bezeugt und in Freiheit angenommen und bewahrt wird.148 Damit kehrt er zur eingangs aufgestellten These für die Begründung christlichen Handelns zurück: Es wird nur in liebender Freiheit christlich, hat darin seinen Ursprung und seine Grenze. Aus diesem Grund kann man sich als Christ weder bestimmten Sozialmodellen verschreiben149, noch darf man umgekehrt den nichtweltlichen Charakter der Kirche als Argument für die Vernachlässigung sozialen Handelns der Kirche gebrauchen.150 Auch hier ist demnach die schon im vorangegangenen Abschnitt angesprochene eschatologisch begründete Spannung christlichen Daseins zu wahren. 10.3.3 Die Kirche und die Kirchen Seinen Vortrag über Ecumenical A ims and Doubts151 vor der Ersten Vollversammlung des ORK in Amsterdam 1948 begann Florovsky mit Sätzen, die den Ansatz seines ökumenischen Denkens markieren: sehen Revolution entstanden sind, die Frage eines kirchlichen Widerstandsrechts gegen weltliches Unrecht nie behandelt, obwohl diese Frage in der ökumenischen Bewegung damals diskutiert wurde. 145 Social Problem 135 146 Ibid. 147 Social Problem 136 148 C f 5 . 4 149 Cf Social Problem 140 150 Cf Social Problem 14ff 151 Hier als Aims abgekürzt. Leicht gekürzt erschien der Vortrag auf deutsch unter dem dem Thema der Vollversammlung entlehnten Titel Die eine allgemeine Kirche nach Gottes Heilsplan.
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"Das ökumenische Problem ist das Problem der Kirchenspaltung und seiner Heilung. Die Christenheit ist ganz und gar zerspalten und zerbrochen (polarised; sic.). In der Christlichen Welt gibt es kein gemeinsames Denken (mind). Die erste ökumenische Aufgabe besteht genau darin, dieses zu schaffen.'" 52 Wenn die Einheit aller Christen das Ziel jeder ökumenischen Bemühung ist, dann setzt dies voraus, daß man eine Vorstellung davon hat, was diese Einheit bedeutet. 153 Ökumenisches Denken hat damit die Aufgabe, auf dem Hintergrund eines Verständnisses von Kircheneinheit (1) zu klären, was die Ursache der Kirchenspaltung (2) ist. V o n da aus läßt sich das Verhältnis der Kirche 154 zu den anderen Christen dogmatisch beschreiben (3). Auf der Grundlage dieser Analysen ergeben sich konkrete Überlegungen für Schritte auf dem Weg zur Einheit der Kirchen (4). 155
1. Der Ausgangspunkt: Einheit in Christus Insofern Gott in Christus das Ziel menschlichen Seins, die Gemeinschaft mit Gott, offenbart hat und durch sein beständiges Wirken in der Kirche zueignet, besteht der Sinn der Kirche in der eschatologischen Vereinigung aller Menschen zur Gemeinschaft mit Gott und untereinander. 156 Ausgangspunkt eines Nachdenkens über die Einheit der Christen kann damit nur die christozentrische Bestimmung der Kirche als Leib Christi, der einer ist,
152 Aims 126 = CW XIII,22. Es ist am Zitat abzulesen, daß Einheit im Denken mit der Einheit der Kirche nicht identisch, sondern dieser vielmehr untergeordnet ist! 153 Cf Obedience 65 154 Um die orthodoxe Kirche, die für Florovsky die einzig wahre Kirche ist (cf z.B. Loyalty 203f, Doctrine 157), von den anderen Konfessionen terminologisch abzugrenzen, bezieht sich in diesem Abschnitt, wenn vom Verhältnis der Orthodoxen zu anderen Kirchen die Rede ist, der Singular 'Kirche' grundsätzlich auf die orthodoxe Kirche. 155 Florovskys mehr als zwanzig Arbeiten, die sich speziell dem Thema Ökumene widmen, weisen zwar gedankliche Parallelen auf, gehen jedoch immer wieder unter anderen Gesichtspunkten auf ein spezielles Thema ein, so daß es in diesem Fall unmöglich ist, sich in der Abfolge der Gedankenschritte an einem Aufsatz zum Thema zu orientieren, um damit Florovskys Denkbewegung möglichst präzise darzustellen. Die angegebene Gliederung dieses Abschnitts ist somit eine synthetische Gesamtschau der Aussagen Florovskys in systematisierter Form. - Im Unterschied zu anderen Themenkomplexen, wo er sich oft auch noch nach Jahren für eine "neue" Veröffentlichung extensiv selbst zitiert, hat Florovsky die Aufsätze zur Frage der Ökumene je individuell verfaßt. Nur Ob Ucastij ist eine ins Russische übersetzte Kurzfassung von Vue 8-19. 156 Cf Problematika 1 und Doctrine 152. Maß der Einheit ist die Einheit der göttlichen Dreieinigkeit. Cf Doctrine 152 und Eucharist 40. 366
sein.157 Damit aber stellt sich die ökumenische Frage erst in ihrer Schärfe: Strengenommen kann dann nämlich das Wort 'Kirche', auch wenn man ökumenisch denkt, nur im Singular verwendet werden.158 Wie aber ist dann eine geschichtlich greifbare Kircheneinheit zu denken? Einerseits ist hier an die grundsätzliche Unterscheidung Florovskys zwischen der Heilung der Natur und der Person des Menschen zu erinnern. Zwar sind durch Christi Heilswerk alle Menschen real mit Gott vereinigt, doch ist diese Einheit in Hinsicht auf das personale Sein noch nicht verwirklicht. "Der Mensch kann den Tag seiner Begegnung (visitation) [mit Gott] verfehlen, und Gottes erlösendes Vorhaben kann durch menschlichen Widerstand und Blindheit, durch das menschliche Versäumnis zu antworten, behindert und zunichte gemacht werden."159 Aufgabe der Kirche ist es, Menschen aus dieser sündigen Abkehr herauszurufen und sie zur Einheit mit Gott und untereinander zu führen.160 Doch hat das Bemühen der Kirche um Einheit in der personalen Freiheit des Menschen, sich diesem Ruf anzuschließen bzw. sich ihm zu verweigern, seine Grenze. Einheit ist damit zwar gegeben, bleibt aber zugleich beständige Aufgabe. Andererseits bietet die gemeinsame personale Hingabe von Menschen an Gott in der Kraft des Heiligen Geistes noch keine Gewähr dafür, daß sich Menschen auch untereinander als Brüder und Schwestern verbinden. Vielmehr finden sie sich in verschiedenen "Kirchen"161, die sich von anderen abgrenzen, zusammen. Aus diesen Aussagen allerdings abzuleiten, die Einheit der Kirche sei letztlich unsichtbar und einzig Gegenstand des Glaubens und der Hoffnung, läßt sich mit Florovskys christologischer Grundlegung der Ekklesiologie nicht vereinbaren. Denn die Kirche bezeugt nicht nur die Einheit der Menschheit in Christus, sondern ist, insofern sie der Leib Christi ist, als geschichtliche Realität selbst Gegenstand ihres Zeugnisses für Christi geschichtliches Wirken. In ihr ist Christus beständig gegenwärtig und setzt sein Werk fort. Sie ist damit grundsätzlich zugleich sichtbar und, insofern in ihr die Grenzen der Geschichtlichkeit aufgehoben sind, unsichtbar.162 Und diese Kirche ist keine andere als die historisch 157 Seinen Aufsatz Problematika beginnt Florovsky deshalb mit den prägnanten Sätzen: "Die Kirche ist eine. Und diese Einheit ist die Existenz der Kirche selbst." 158 Cf Problematika 2 159 Disunity 170 160 Cf Corps 24: "Die Einheit der Kirche ist zugleich [...] ursprüngliche Gabe und ein zu lösendes Problem." 161 In Disunity setzt Florovsky den Plural 'Kirchen' grundsätzlich in Anführungszeichen, um damit deutlich zu machen, daß es faktisch nur eine Kirche gibt, und verweist in diesem Zusammenhang (ibid,172f = CW XIII,31) auf die Torontoerklärung. 162 Cf Obedience 65f, Dva Zaveta 164 und Dom 71 (engl.66; Vaters Haus 26)
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identifizierbare orthodoxe Kirche.163 "Dies ist die erste Voraussetzung dessen, was man Orthodoxen Ökumenismus' nennen kann, sowenig er auch praktiziert worden ist."164 Das ökumenische Handeln hat somit von dem geheimnisvollen Paradox165 auszugehen, daß die Einheit der Kirche faktisch gegeben, die Christenheit aber dennoch gespalten ist und zu keiner Einheit untereinander findet. Da es sich bei der Frage nach der Einheit der Kirche jedoch um ein eminent theologisches Problem handelt, mahnt Florovsky dazu, es nüchtern und sachlich anzugehen und sich nicht von Sentimentalitäten oder Einheitsromantik zu vorschnellen Schlüssen verleiten zu lassen, die dem fundamentalen Ausgangspunkt des Problems nicht gerecht werden.166 Strebt man nämlich eine Einheit ohne Vergewisserung über die damit verbundenen dogmatischen Aussagen an, dann setzt dies zugleich eine Veränderung des Glaubens voraus, der, wie oben in 5.4.2.3 gezeigt wurde, selbst dogmatisch ist. Bevor man deshalb Schritte zur realen Vereinigung der "Kirchen" machen kann, muß man die Ursache und das Wesen der Zerrissenheit der Christenheit analysiert haben. 163 Ci Ethos 14: "In der Tat müssen sich die Orthodoxen darauf berufen, daß das einzige 'spezifische' und 'unterscheidende' Charakteristikum ihrer eigenen Stellung im 'geteilten Christentum' darin besteht, daß die Orthodoxe Kirche wesentlich identisch mit der Kirche aller Zeiten ist und gewiß mit der 'Frühen Kirche', der Urkirche. Mit anderen Worten, sie ist nicht eine Kirche, sondern die Kirche [...] Vor allem ist dies eine letzte spirituelle und ontologische Identität." Cf auch Loyalty 203f und Doctrine 157. Allerdings beklagt Florovsky noch 1954 in Orthodox Church 17 = CW XIV,192: "Viele Orthodoxe wissen schlicht nicht, daß sie die Bewahrer und Hüter der herrlichen Wahrheit sind." 164 Obedience 66. Mit dem Nachsatz unterstreicht Florovsky die in seinen ekklesiologischen Aufsätzen immer wieder angemahnte Notwendigkeit einer Neubesinnung auf die Ekklesiologie (cf z.B. Corps 9ff). Sie bildet den Ausgangspunkt für das ökumenische Gespräch. Ci Encounter 65 = CW XIV.208. 165 Cf Loyalty 196: "Die ökumenische Bewegung als ein Unternehmen, die Christliche Spaltung zu überwinden und zu heilen, ist unausweichlich ein paradoxes Unterfangen." 166 CiProblematika 2f. Zwar hat Florovsky großes Verständnis dafür, daß insbesondere die ökumenische Jugend die bereits gegebene Einheit der Kirche auch manifestiert sehen möchte, doch hält er diese "ökumenische Ungeduld' für "die primäre geistliche Gefahr" ökumenischen Handelns (Obedience 62): "Ich würde nicht leugnen, daß diese ökumenische Ungeduld in vielen Fällen eine ehrliche und noble Überzeugung ist. Ich behaupte nur, daß sie den Kern verfehlt, das Problem ignoriert und die Verwirrung verschlimmert" (ibid. 63), da sie die für Orthodoxe faktisch gegebene Einheit in der katholischen Kirche negiert und orthodoxe Christen damit real aus einer anders konstituierten Gemeinschaft ausschließt (cf ibid.64). Florovsky hält deshalb die Geduld für die "höchste und verheißungsvollste ökumenische Tugend" (Encounter 76).
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2. Die Ursache der Kirchenspaltung Dem Problem der Trennung der Christenheit in verschiedene "Kirchen" kann man sich nur dann nähern, wenn man die Balance des ökumenischen Paradoxes bewahrt, d.h. wenn man die in Christus gegebene faktische Einheit der Kirche weder als vollkommene Ausgrenzung anderer "Kirchen" begreift, noch in ihr eine geheimnisvolle Anteilhabe aller an der wahren Kirche begründet sieht. "Diese heikle Balance des Paradoxes zu bewahren, ist keine einfache Aufgabe"167, stellt jedoch das Ziel der folgenden Überlegungen Florovskys dar. Indem er bei dem so bezeichneten Paradox ansetzt, setzt er voraus, daß es erst nach einer bereits vorhandenen Einheit der Kirche zu der bis heute andauernden Spaltung der Christenheit gekommen ist. Damit stellt sich die Frage, wie diese Einheit ausgesehen hat, und wie das historische Phänomen der Kirchenspaltung zu begreifen ist. Als Historiker neigt Florovsky keineswegs dazu, die Glaubenskämpfe und Spaltungen der Alten Kirche zu negieren und die erste bedeutende Kirchenspaltung erst mit dem Schisma zwischen Ost und West anzusetzen. Er stellt vielmehr fest: "Die ganze Geschichte der ersten zehn Jahrhunderte des Christentums war eine Geschichte der Schismen und ihrer Heilung, aber die Heilung war nie vollkommen. Dennoch gab es einen Sinn, in dem die Kirche dieser Epoche noch als ungeteilt beschrieben werden kann. Es gab noch einen beträchtlichen und traditionellen' Konsens' im wesentlichen."168 Er wurde gesichert durch die auf die Lokalkirchen beschränkte Autorität der Bischöfe, die trotz abweichender Meinungen in Einzelfragen den katholischen Konsens manifestierten, so daß "die Kirche ungeteilt war, zumindest in ihrem Bestreben."169 Einheit bedeutet für Florovsky demnach keinesfalls Uniformität. Spaltungen aber traten zutage, wo dieses gemeinsame Bestreben nach Katholizität im umfassenden Sinn negiert wurde. Zwar konnte auch dann der Bruch nicht vollkommen sein, weil man eine ehedem gemeinsame Geschichte hatte, doch wurde diese gemeinsame Grundlage im Bemühen um gegenseitige Abgrenzung schnell und gezielt übersehen, so daß sich eigenständige Traditionen entwickeln konnten.170 167 Encounter 65 = CW XIV,208 168 Undivided Church 47 = CW XIV,20 169 Undiveded Church 50 = CW XTV,22. Mit nahezu denselben Worten beschreibt Florovsky in Ecumenical Movement 69 auch die gegenwärtige Situation: "Auch die gespaltene Christenheit ist noch immer eine Christenheit, zumindest in ihrem Bestreben." 170 d Encounter 65f = CW XIV,209. In Ecumenical Movement 68 erklärt Florovsky dieses Geschehen mit der anthropologischen Einsicht, daß "es für einen schwachen Menschen zuviel war, in einer wahrhaft ökumenischen Welt zu bleiben, Bürger der
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Diese Abweichung vom katholischen Konsens wird jedoch mit moralischen Kategorien wie z.B. Rechthaberei oder Machtgier nur unzulänglich erklärt. Insofern sich in der Katholizität der Kirche der Heilige Geist selbst ausspricht, offenbart sich im Abweichen von dieser Katholizität ein anderer Geist. "Mit anderen Worten: Die Quelle der Spaltungen und Schismen liegt vor allem in einem verschiedenen Denken über die Wahrheit."m Dieses Denken ist jedoch nicht eine menschliche Aktivität, die sich im abstrakten Rahmen bewegt, sondern Reflexion der Glaubenserfahrung. Der Glaube äußert sich somit, insofern er immer dogmatischer Glaube ist, als Bekenntnis, so daß "'konfessionelle Begrenztheit' [...] ein unausweichlicher Begleiter einer aufrichtigen Überzeugung" ist.172 Wenn es somit zu verschiedenen dogmatischen Aussagen kommt, so tritt darin die Verschiedenheit der gemachten Erfahrung zutage. Da die wahrhaft katholischen Glaubenserfahrungen aber nur in der einen Kirche zugänglich sind, sind Glaubenserfahrungen, die j enseits der einen Kirche in anderen "Kirchen" gemacht werden, zumindest defizitär173, wenn nicht gar unwahr. Florovsky führt mit diesem Gedankengang den Ansatz seiner Theologie bei der kirchlichen Erfahrung des Glaubens auf die Spitze. Insofern nämlich die Erfahrung des Glaubens den ganzen Menschen betrifft, geht es beim Glauben von Christen verschiedener "Kirchen" nicht nur um mehr oder minder bedeutende Unterschiede in der Dogmatik, sondern ums Ganze des christlichen Lebens. universalen Kirche zu sein [...] Die Christenheit war sozusagen viel zu groß für ihn, wie sie es in der Tat auch für die meisten von uns ist." Folge dieses Gefühls ist die "Provinzialität" christlichen Denkens. Florovsky verweist in diesem Zusammenhang exemplarisch auf den Verlust des Bewußtseins einer gemeinsamen Tradition zwischen Ost und West: "Der Griechische Osten hat das Entstehen einer lateinischen Theologie übersehen und dann ignoriert. Der Westen kannte die Griechischen Väter nie wirklich." (Encounter 66 = CW XIV,209) Entscheidend ist für ihn dabei nicht so sehr die dogmatische Formulierung sondern der Umstand, daß es damit zu einer unterschiedlichen Denkbewegung in den Traditionen kam (et Ethos 28f). 171 Problematika 3f 172 Dva Zaveta 160. Zwar kann man diese phänomenologische Aussage auf jede Ideologie übertragen, doch bezieht Florovsky sie ausschließlich auf den wahren christlichen Glauben, wie er in der orthodoxen Kirche lebendig ist. Verschiedenheiten im Glauben müssen damit allerdings nicht notwendig in einen wechselseitigen Häresieverdacht einmünden, sondern können auch Erweis eines verschiedenen Maßes an Wahrheit sein. Da es nach Florovskys Überzeugung volle Wahrheit aber nur in der Katholizität der einen (orthodoxen) Kirche gibt, ist unter dieser Voraussetzung ein nichtorthodoxes Christsein als zumindest 'defizitär' (cf Loyalty 204 )anzusehen, auch wenn es von sich selbst behauptet, im Besitz der ganzen Wahrheit zu sein. Cf dazu 10.3.3.(3). 173 Cf Loyalty 204
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Recht verstanden kann dieser konfessorische Charakter des Glaubens jedoch bei Gliedern am einen Leib Christi nicht zu religiöser Intoleranz oder gar zur Verfolgung Andersgläubiger führen. Vielmehr ermutigt die Erfahrung des Glaubens, der den Menschen verwandelt und ihm die Verwandlung der gesamten Schöpfung als Ziel vor Augen führt, dazu, sich in Liebe der Welt und damit auch den Andersgläubigen oder, wie Florovsky scharf formuliert, den "Feinden der Wahrheit"174 zuzuwenden. Allerdings bedeutet diese zuwendende Liebe nicht einen mitleidigen Verzicht auf die Wahrheit des Glaubens. "Im Gegenteil, alle dogmatischen 'Ja' erklingen in dem vom Geist getragenen Bewußtsein mit vermehrter Kraft, sie verwandeln sich nicht in 'nein', auch nicht in ein 'Ich-weiß-nicht' oder ein 'das-ist nichtwichtig' [...] Der Gläubige verzichtet nicht auf ein Jota seines dogmatischen Erbes"175, da er sonst zu einem Verräter an der Wahrheit Christi und der Kirche würde. Vielmehr benennt er klar die Versäumnisse und Abirrungen derjenigen, die sich von der Kirche getrennt haben. Kennzeichen der christlichen Liebe aber ist es, daß dies ohne pharisäischen Stolz und ohne Verdammungsurteil geschieht, denn das Gericht steht allein Gott zu.176 Auch um sich dessen immer neu zu vergewissern, beginnt das christliche Handeln für die Einheit der Christenheit mit dem Gebet, daß Gott seine Wahrheit bei allen durchsetze. Gerade damit manifestiert und bewährt der Christ seine Katholizität, die das Kriterium und der Maßstab der Einheit ist.177 Die Einsicht in die Katholizität der Kirche ermöglicht es zugleich, daß die Kirche sich ihres eigenen fragmentarischen Charakters178 bewußt ist und 174 Dva Zaveta 162 175 Dva Zaveta 162f. Florovsky ist diesem Ansatz sein ganzes Leben lang treu geblieben. So hebt er z.B. in seinem Vortag in Evanston hervor (Disunity 171 = CW XIII,29), daß "der größte Erfolg der modernen 'ökumenischen Bewegung' wahrscheinlich gerade der Mut war anzuerkennen, daß es wirklich gravierende Uneinigkeit gibt." 176 Cf Dva Zaveta 163. Florovsky übernimmt damit den Standpunkt Chomjakovs (cf A.S.Chomjakov: Die Einheit der Kirche 2) und Filaret Drozdovs (cf Limits 129f). 177 Cf Undivided Church 57 = CW XIV,27 und Limits 117. 178 Cf Legacy 66: Der Osten wie der Westen "sind nur Fragmente einer zerrissenen Welt, und sie gehören zusammen trotz des Schismas. Nur in der Perspektive dieser Christlichen Zerrissenheit ist die Geschichte sowohl des Ostens wie des Westens wirklich verständlich." Cf auchEthos 29 und Encounter 67 = CW XIV,210. Dort beruft sich Florovsky mit diesem Gedanken auf V.Solov'ev, der gezeigt habe, daß die westliche These (z.B.Arnold Toynbees bzw. der analoge Entwurf Nicholas Danielevkijs), der Westen bzw. der Osten seien je für sich aus sich selbst heraus erklärbar, ein falsches Verständnis der Geschichte offenlege: Die Geschichte ist keine Nationalgeschichte, sondern eine Einheit, insofern in ihr Gott mit den Menschen wirkt. Dies gelte es auch
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sich mit ganzer Kraft für die Einheit aller Christen einsetzt. Denn die Einheit der Christenheit ist göttlich gesetztes Ziel und göttlicher Auftrag. "In der gespaltenen Christenheit kann niemand vollkommener Christ sein, selbst wenn er in der Fülle der Wahrheit steht und sich seiner vollkommenen Hingabe und seines Gehorsams gegenüber der Wahrheit, 'die den Heiligen überliefert wurde', sicher ist, - denn keiner darf sich von der Verantwortung für die anderen lossagen."179 Der Gottesliebe hat damit die Nächstenliebe notwendig zu entsprechen. Für die ökumenische Bemühung der Kirche bedeutet dies, daß sie mit den von ihr getrennten Christen zusammenbleiben soll, "gerade weil sie getrennt sind. Dieses Versprechen ist wertvoll, weil es Schmerz und Spannung impliziert. Uns ist das Kreuz der Geduld zu tragen auferlegt; laßt uns fröhlich sein über diesem Kreuz."180 Dazu ist es allerdings notwendig, daß die Kirche sich dessen bewußt ist, in welchem Status die anderen Christen ihr gegenüber stehen. Sind sie als vollwertige Christen anzusehen? Sind sie Heiden gleichzuachten? Kurz: Wie ist das Wesen der Kirchenspaltung theologisch zu interpretieren? Diese Frage, die bereits in der Alten Kirche virulent wurde, sollen die folgenden Überlegungen beantworten. Vorher soll allerdings auf dem Hintergrund des bislang Ausgeführten noch dargestellt werden, wie die Einheit der Christenheit nach Florovskys Meinung nicht anzustreben bzw. herzustellen ist, um so an drei Beispielen gleichsam die Negativfolie für seine positiven Aussagen zu bereiten. Wird als Ursache der Kirchenspaltung das moralische Versagen von Christen angeben, so liegt die Aufforderung nahe, das Schisma allein durch Bruderliebe zu überwinden. Unausgesprochene Voraussetzung dieses Anbei der Analyse der jeweiligen "Blöcke" zu berücksichtigen. Florovsky folgert aus diesem Gedanken: "Die zur Gewohnheit gewordene Illusion der Selbstgenügsamkeit [des Ostens bzw. des Westens je für sich] muß zerbrochen werden. Das ist eine notwendige Voraussetzung für jedwede wirklich ökumenische Begegnung." (ibid.) 179 Aims 129 = CW XIII,24. In Legacy 66 begründet Florovsky die Verpflichtung zum ökumenischen Engagement auf der Grundlage seines Geschichtbegriffe: "[...] beide, sowohl der Westen wie der Osten, sind unvollständig, solange sie gespalten sind. Durch die innere Logik der christlichen Geschichte obliegt beiden die Aufgabe der Wiedervereinigung. Dies ist die Wurzel der ökumenischen Idee" Davon zu unterscheiden ist seine 1923 in seinem Aufsatz Dva Zaveta 165f geäußerte Einsicht, daß man als Theologe Einheitsvorstellungen, die insbesondere nach weltgeschichtlichen Katastrophen wie dem 1. Weltkrieg und der russischen Revolution eine besondere Attraktivität entwickeln, kritisch prüfen müsse, da die Einheit in Christus dann schnell mit Vorstellungen verwechselt werde, die unchristlich seien. 180 Loyalty 202. Dies ist eine der ganz wenigen Stellen im Werk Florovskys, wo Kreuzestheologie für das Handeln der Menschen fruchtbar gemacht wird.
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satzes ist es, daß die Kirchen im wesentlichen noch übereinstimmen und nur in unbedeutenden Einzelfragen divergieren. Ziel dieses Ansatzes wäre es, sich auf einem dogmatischen Minimalkonsens zu einigen. Damit wird jedoch nach Florovskys Meinung Wahrheit und Liebe auseinandergerissen, obwohl sich wahre Liebe nur auf der Grundlage der umfassenden Wahrheit, wie sie sich in der Erfahrung der Kirche ausspricht und zueignet, ereignen kann. Christliche Liebe ist also nicht ausschließlich Gefühl, das der Wahrheitsfrage gegenüber gleichgültig zu werden geneigt ist und in einen minimalistischen Adogmatismus einmünden kann, sondern schöpft ihren Ausgangspunkt und ihre Kraft aus der Christuserfahrung selbst. "In dieser Aneignung [der in der Kirche gegenwärtigen Christuserfahrung] aber ist Maximalismus nötig ... S o ist die Einheit im Glauben nicht nur Einheit in Liebe [...] Wahre Einheit kann nur in der Wahrheit verwirklicht werden." 181 Schlechthin wahr aber ist die Liebe, die sich in den Sakramenten zueignet und zur Liebe untereinander befähigt. Einheit bedeutet deshalb notwendig Einheit in den Sakramenten. Nur so verwirklicht sich die wahre Katholizität der Kirche 182 , deren christologischer Konstitutionszusammenhang damit
181 Problematika 5 182 Bei aller Differenz zwischen einzelnen Lokalkirchen war es dieser gemeinsame Sinn für die Katholizität der Kirche, der die unabdingbare Voraussetzung für jede Eucharistiegemeinschaft bildete (cf Undivided Church 50 und 57 = CWXIII.21 und 27). Da diese Katholizität, wie sie nach Florovskys Überzeugung in der orthodoxen Kirche Wirklichkeit geblieben ist, anderen Kirchen jedoch fehlt, bedeutet jede Forderung nach Interkommunion aus deren Reihen faktisch den Ausschluß Orthodoxer und hebt damit das angestrebte Ziel der Kircheneinheit letztlich im gleichen Atemzug wieder auf (cf Obedience 64, Loyalty 199ff). "Für einen 'Katholiken' wird eine allumfassende Kommunion nur möglich sein, wenn die Integrität des Glaubens und die Fülle der sakramentalen Struktur der Kirche in der gesamten Christenheit wiederhergestellt ist. Dann wird dies nicht einfach eine menschlich arrangierte Manifestation Christlicher Barmherzigkeit und gegenseitiger Anerkennung sein [...], sondern eine wahre Offenbarung der Heiligen Kirche Gottes in ihrer ganzen Kraft und Herrlichkeit." (Loyalty 201) - Florovsky schildert in Ecclesia 171 eindringlich, wie er selbst mit dieser Einsicht umgegangen ist: Obwohl "anglikanische Frömmigkeitsformen und -bräuche bereits mein eigen geworden waren [und...] der höchste Grad Christlicher 'Verbrüderung', der im Zustand der Trennung erlaubt und möglich ist, bereits erreicht worden war", wehrte besonders er sich in den dreißiger Jahren gegen den u.a. von S.Bulgakov unterstützten Vorschlag, in der gewachsenen Gemeinschaft des Fellowship of S.Alban and S.Sergius ausnahmsweise Interkommunion zu praktizieren, weil eine singulare Aktion einer Einheit der Kirche nicht förderlich sein könne, da sie nur individuellen Wünschen Rechnung trägt und so die geistliche Gefahr der "Selbstrechtfertigung und Selbstbefriedigung" in sich birgt. Cf Encounter 71 = CW XIV, 213 und zum ganzen den ausführlichen Bericht bei H.Hill: Father Sergius Bulgakov and Intercommunion 272ff. 373
für Florovsky die Grundlage jeder Einheitsvorstellung der Kirche ist und bleibt. Der bloß moralistische Ansatz zur Überwindung der Kirchenspaltung übersieht seiner Meinung nach diesen zentralen Sachverhalt, verkennt damit den letztlich tragischen und paradoxen Charakter der Spaltung und so zugleich die theologische Relevanz dieses Problems.183 Diese wird auch übersehen, wenn sich die Christen unter Zurückstellung ihrfer dogmatischen Differenzen auf der Grundlage gesellschaftspolitischer Ziele für die Einheit der Menschheit zusammenschließen.184 Dann nämlich richtet sich das Vertrauen in die Möglichkeit der Einheit der Menschen auf weltliche Größen, nicht aber auf Gott, der allein das Denken der Menschen verändert. "Das Absolute eröffnet sich nur in der Persönlichkeit: Es gibt die Gottebenbildlichkeit nur im Menschen, nicht aber im Staat, in der Gesellschaft oder irgendeinem Kollektiv."185 Christliche Politik kann deshalb nie an die Stelle der individuellen asketischen Bemühung um Einheit der Menschheit treten.186 Diese läßt sich nicht auf der Grundlage menschlicher Gesellschaftsvorstellungen und d.h. gesetzlich verwirklichen, sondern nur in der evangelischen Selbstbestimmung der Personen, die im Glauben ihre Berufung zur Einheit erkannt haben und sich "durch die Katholische Teilhabe an einer identischen religiösen Erfahrung"187 schöpferisch darum bemühen. Wenn sich Menschen dennoch beim Streben nach einer Vereinigung der Menschen auf weltliche Modelle oder Ideale stützen, so ist dies Ausdruck ihrer Furcht, ihre Freiheit, die sich allein in Gott verwirklicht, zu 183 CiProblematika 6 184 CiDvaZaveta 166: "DerTraum von einer universalen christlichen Bruderschaft verschmilzt mit dem Hirngespinst von der 'Bruderschaft der Völker' und dem 'ewigen Frieden' und verwandelt sich in ein gesellschaftspolitsches Allheilmittel, in die 'Utopie eines Paradieses auf Erden'." Bestes Beispiel derartiger Vorstellungen sind für Florovsky die theokratischen Gedanken V.Solov'evs, der - in seiner theokratischen Periode die Vereinigung aller Menschen durch das Zusammenwirken von russischem Zar und römischem Papst für möglich hielt. Ein Teil der von Florovsky zitierten Anspielungen auf V.Solov'ev findet sich in dessen Vorwort zur Geschichte undZukunft der Theokratie 385. 185 DvaZaveta 171. Dies nicht erkannt zu haben, ist nach Florovskys Überzeugung, die sich aus Gedanken speist, die bereits bei F.Dostoevskij zu finden sind und ihren Ursprung bei R.Sohm haben, der Hauptfehler des römischen Katholizismus, der das Evangelium rechtlich formalisiert und damit verweltlicht habe. 186 Das ist Florovskys Haupteinwand gegen V.Solov'ev, den Sozialutopismus der Slavophilen und den nationalrusssischen Messianismus des ausgehenden 19.Jhs. (cf DvaZaveta 168). \nEcumenisml9 276 nimmt Florovsky allerdings seine harsche Kritik an Solov'ev insofern etwas zurück, als er ihm konzediert, daß seine ökumenischen Utopien von der richtigen Einsicht geleitet waren, daß die Kirche wesenhaft eine ist. 187 DvaZaveta 174
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betätigen und von ihm, dem Garanten der wahren Einheit, dieselbe zu erwarten.188 Für Florovsky ist ökumenisches Handeln deshalb grundsätzlich geistliches Handeln aus menschlicher Freiheit/wr menschliche Freiheit. So verstanden fügt es sich harmonisch in eine Theologie ein, die die theologischen Voraussetzungen des ökumenischen Problems ernst nimmt. Beim ökumenischen Handeln der Kirche ist nach Florovskys Überzeugung schließlich ernst zu nehmen, daß die Kirche als Leib Christi nie aufhören kann, die eine wahre Kirche zu sein. Auch wenn sich christliche Gruppen "mit der Behauptung, daß die empirische Kirche irgendwie aufgehört hat, die wahre Kirche zu sein"189, von ihr trennten, so ist dies aus orthodoxer Sicht eine unmögliche Betrachtungsweise, weil die Kirche von Christi Gegenwart lebt und insofern immer identisch und eine bleibt.190 Aus diesem Grund ist die anglikanische branchtheory abzulehnen, die die Zerrissenheit der Kirchen als geschichtlich bedingte Entfremdung bzw. kanonisches Problem begreift, die die grundsätzliche Struktur der katholischen Kirche jedoch nicht betroffen hat, so daß die verschiedenen Bekenntnisse der Kirchen, da sie als prinzipiell gleichberechtigt und gleichwertig anzusehen sind, als Synthese zusammengefaßt die Wahrheit der einen katholischen Kirche manifestieren könnten. Die Manifestation der Einheit der Kirche läßt sich nach diesem ökumenischen Denkmodell durch gegenseitige Anerkennung herstellen.191 Für Florovsky ist dieses Denken typisch protestantisch, weil dieses die Kirche ausschießlich als "ein Phänomen in menschlicher Dimension"192 wahrnimmt, damit deren gleichzeitige wesenhafte Übergeschichtlichkeit193 verkennt und so ökumenische Ungeduld in
188 Dva Zaveta 176 189 Doctrine 157 190 Florovsky möchte deshalb nur davon sprechen, daß einzelne Gemeinden im Verlauf der Geschichte gesündigt haben, nicht aber die Kirche an sich sündig sein könne. "An diesem Punkt würden sie [sc.orthodoxe und katholische Christen] auf der Demut beharren, weil alles Gott überlassen ist. Dann aber würden Protestanten, die die totale Verderbtheit betonen, sie mit dem Vorwurf des Pelagianismus herausfordern." (Faith and Order Commission Paper No.23 S.29) Daß dieser fundamentale Dissens in der Ekklesiologie noch heute unüberbrückbar erscheint, belegt z.B. EJüngels bei einem Kongreß mit römisch katholischen Theologen in Salamanca gehaltener Vortrag Die Kirche als Sakrament?. 191 In Encounter 69 macht Florovsky zurecht darauf aufmerksam, daß V.Solov 'evs Programm zur Kircheneinheit mit dieser anglikanischen Vorstellung ungewollt identisch ist. 192 Obedience 66 193 Die These von der prinzipiellen Gleichberechtigung der Konfessionen, die als Synthese ein vollkommenens Ganzes bilden können, bedeutet für Florovsky "eine
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Hinsicht auf die geschichtliche Manifestation der Einheit der Kirche in illegitimer Weise fördert, obwohl man sich über das Wesen der Einheit der Kirche theologisch vollkommen unklar ist.194 Für Florovsky minimalisiert die branchtheory damit nicht nur die Tragödie der Spaltung der Christenheit, sondern übersieht, daß ein Schisma "nicht nur eine menschliche Loslösung [ist]: es verletzt die grundsätzliche Struktur christlicher Existenz"195, weil sich in ihm der Wille zum Schisma und damit das bewußte Abweichen von der einenden Katholizität der Kirche kundgetan hat und in den Konfessionen durchhält. Die Einheit der Kirche kann somit nicht die Summe aller Konfessionen sein. Zudem sind viele Traditionen "schlicht negativ oder polemisch, sie existieren nur als Widerspruch"196. Die Grenze zwischen den Kirchen ist somit real, stellt aber für Florovsky nicht in erster Linie ein kanonisches, sondern ein spirituelles Problem dar, das eben auch nur spirituell, in einem gemeinsamen Denken, überwunden werden kann.197 Das aber bedeutet, "daß der einzige Weg zu einer ökumenischen Synthese der Weg einer vereinigten Rück-kehr (re-turn) und Er-neuerung (re-newal), einer Wiedergeburt und Umkehr ist. Zwischen Christen kann keine Einheit erreicht werden, bevor nicht gewisse geschichtlich abweichende Entwicklungen (differentiations) ausgestorben sind."198 Faktisch bedeutet dies, auch wenn Florovsky es nur selten so deutlich ausspricht, daß er von allen am ökumenischen Gespräch beteiligten Nichtorthodoxen einzig die Rückkehr zur einen Kirche Jesu Christi, d.h. zur orthodoxen Kirche erwartet.199 Dort nämlich ist nicht nur die umfassende Katholizität der Kirche200 greifbar, Art historisch-philosophischen Doketismus, der die Realität der göttlichen Verleiblichungen in der Welt nicht genügend berücksichtigt." {Dva Zaveta 160) 194 Cf Obedience 62ff 195 Ecumenisml9 273 196 Aims 130 = CW ΧΙΠ,25. Cf auch Konzil 175 (engl.205): Es ist "evident, daß man von ökumenischen Versammlungen nicht das erwarten darf, was überhaupt nicht kommen kann: 'Gleichberechtigung' und 'Gleichwertigkeit' aller existierenden Bekenntnisse, also de facto 'aller Häresien'. Das wäre ein krankhafter, gefährlicher und völlig fruchtloser Wunschtraum. Solche 'ökumenischen* Träumereien können der ökumenischen Sache nur schaden." 197 Cf Limits 129 198 Aims 130 = CW ΧΙΠ.25 199 Cf Loyalty 204: "[...] für mich bedeutet Christliche Vereinigung nur universale Bekehrung zur Orthodoxie. Ich habe keine konfessionelle Loyalität; meine Loyalität gehört einzig der Una Sorteta." 200 Bereits in Dva Zaveta 160f und später in Aims 130 =CW XIII, 25 weist Florovsky unter Hinweis auf die paulinische Redeweise aus l.Kor.l,12f darauf hin, daß die Kirche nur Kirche Jesu Christi sein kann, nicht aber durch andere Adjektive oder Genitivkonstruktionen bezeichnet werden kann, da damit spezifische und d.h. partikuläre Interes-
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sondern die Wirklichkeit des einen Leibes Christi. '"Übereinstimmung in der Lehre' allein genügt nicht, das entscheidende Merkmal ist die 'Gliedschaft am Leib'."201 Damit hat Florovsky ökumenische Einigungsversuche auf der Basis der branchtheory als untauglich zurückgewiesen. Allerdings erblickt er die particula veri dieser Theorie darin, daß die "geschichtliche Entfremdung die Christliche Einheit insofern nicht vollkommen zerstört, als gewisse substantielle Verbindungen im Bereich der Lehre, der Frömmigkeitspraxis und kanonischer Arrangements bewahrt wurden."202 Diese 'substantiellen Verbindungen' sind allerdings angesichts der Wirklichkeit des einen Leibes Christi "abstrakt"203 und können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Einheit faktisch gebrochen ist. Dennoch muß die theologische Analyse dieser Verbindungen Gegenstand der folgenden Erörterungen sein, da sie für die theologische Frage nach dem Status der Nichtorthodoxen entscheidend sind. Wenn aber aufgrund des in den letzten drei Abgrenzungen Ausgeführten einerseits die Ursache der Kirchenspaltung nicht im moralischen Versagen der Menschen erblickt werden kann, sondern Ausdruck verschiedenen Glaubens ist; wenn andererseits die Einheit nicht nach gesellschaftspolitischen Vorstellungen verwirklicht, sondern allein von Gott auf der Grundlage von katholischer Freiheit gestiftet werden kann; und wenn schließlich die ökumenische Kirche nicht als Synthese aller geschichtlich gewachsenen Kirchen erwartet werden kann, vielmehr die wahre Kirche bereits existiert und Ökumene faktisch eine Rückkehr zu dieser Kirche bedeutet - dann scheint Florovskys Antwort auf die Frage nach dem Status der Nichtorthodoxen beantwortet: sie haben keinen Anteil an der Kirche und deshalb kein Heil. Seine Antwort ist allerdings differenzierter.
3. Das Wesen der Kirchenspaltung "Was ist der Status der Nicht-Orthodoxen? Das ist tatsächlich der Kern des ökumenischen Problems."204 Florovsky beantwortet diese Frage wiederholt in einem dogmengeschichtlichen Rekurs auf den Ketzertaufstreit.20S sen einer Konfession zum Ausdruck kommen, und damit faktisch der katholische Charakter der Kirche negiert wird. 201 Encounter 12 202 Ibid. 203 Ibid. 204 Doctrine 160 205 Cf Problematika 13f, Limits 126f, Doctrine 153ff und Undivdided Church 52ff = CW XIV,23ff.
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Damals standen sich zwei Auffassungen gegenüber: Von einigen wurde die außerhalb der Kirche empfangene Taufe als gültig angesehen, während andere die Wiedertaufe forderten, da, wie es dann Cyprian prägnant formulierte, extra ecclesiam nulla salus. Zwar kann man sich als Zeugen der ersten Auffassung auf Augustin berufen, doch sind seine Aussagen ebenso wie die des Cyprian nur Theologoumena, haben also keinen bindenden Charakter206, was man auch an dem Umstand ablesen kann, daß sich innerhalb der orthodoxen Theologiegeschichte Verfechter beider Meinungen finden lassen.207 Die Gegensätzlichkeit dieser Meinungen vermag jedoch nach Florovskys Überzeugung die ekklesiologische Problematik der ökumenischen Frage nach dem Status der Nichtorthodoxen zu verdeutlichen. Ausgangspunkt der Überlegungen Cyprians war seine Überzeugung, daß die Sakramente die Kirche begründen und nur in der Kirche wirksam und heilsam sein können. Außerhalb der Kirche gibt es keine Gnade. Damit argumentierte er "mit der unausgesprochenen Voraussetzung, daß die kanonischen und charismatischen Grenzen der Kirche vollkommen und unveränderlich koinzidieren."208 Gegen diese Konzeption wendet Florovsky kritisch ein, daß die Einheit der Kirche nicht von menschlicher Übereinstimmung abhängt, sondern göttliche Gabe ist, die sich in der Tat sakramental vermittelt. "Als ein mystischer Organismus, als sakramentaler Leib Christi kann die Kirche kaum allein in kanonischen oder gesetzlichen Begriffen und Kategorien adäquat beschrieben werden"209, zumal gerade die kanonische Praxis der Kirche belegt, daß man auf der Grundlage des orthodoxen Prinzips der Ökonomie sehr wohl Sektierer ohne Wiedertaufe in die Kirche aufnahm, ja sogar schismatischen Klerus ohne eine neue Weihe als Kleriker übernahm und damit implizit die Gültigkeit der schismatischen Sakramente anerkannte.210 Läßt sich aber aus Ausnahmen, selbst wenn sie 206 CfDoctrine 156 207 Florovsky verweist in Ecumenisml9 274 als Vertreter einer "augustinischen" Lösung auf Filaret Drozdov, A.Kireev und P.Svetlov und als Vertreter einer "cyprianischen" Lösung auf A.S.Chomjakov und den radikaleren Antonij Chrapovickij. "In Hinsicht auf die grundsätzliche Frage nach einer ökumenischen Theologie bestand bei orthodoxen Theologen keine Einmütigkeit." (ibid.275) Cf dazu R.Slenczka: Ostkirche 193ff. Florovsky selbst hat mit seiner paradoxen Lösung der ökumenischen Frage, wie G.H.Williams: Georges Florovsky, Am.Career 83 bereits festellte, beide Strömungen des frühen russischen Ökumenismus verarbeitet. 208 Doctrine 154f 209 Doctrine 155 210 Cf Limits 118 und besonderes ausführlich Undivided Church 51ff = CW XIV,23ff. Dort (ibid.53 = 24) führt Florovsky den 95.Kanon des Trullanums als Beispiel
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in Form von Kanones sanktioniert sind und mit dem pastoralen Prinzip der Ökonomie gerechtfertigt werden, eine theologische Lehre ableiten? Florovsky definiert das orthodoxe Prinzip der Ökonomie als "pastorales Korrektiv des kanonischen Bewußtseins", das angewendet werden muß, um "verlorene Seelen für die katholische Wahrheit zu gewinnen".211 Da es dabei jedoch um die Wahrheit geht, würde sich eine allzu großherzig, d.h. beständig geübte Ökonomie kontraproduktiv auswirken, wenn ihr nicht die Akribie in der Lehre entspricht. Ohne diese Lehre, auf die jedes ökonomische Handeln als pastoral motivierte Ausnahme bezogen bleiben muß, löst die Ökonomie sowohl den Kirchen- wie den Sakramentsbegriff auf.212 Wenn die Kirche nämlich sektiererisch verabreichte Sakramente nachträglich für gültig oder für zumindest der Intention nach wirksam vollzogen erklärt, gibt sie den Anspruch auf, daß zur unsichtbaren sakramentalen Gnadenmitteilung notwendig der äußere Vollzug im Schoß der wahren Kirche hinzugehört.213 Die insbesondere in der griechisch-orthodoxen Tradition vertretene Ökonomie214 läßt sich demnach mit dem radikalen Standpunkt Cyprians nicht vereinbaren und ist nach Florovskys Meinung "nicht die Lehre der Kirche. Es ist nur eine private, sehr späte und sehr umstrittene 'theologische Meinung'."215 Umgekehrt ist aber die strikte Übernahme der Position Cyprians, die die charismatischen Grenzen der Kirche mit den kanonischen identifiziert, problematisch, da kaum einer behaupten möchte, alle außerhalb der Kirche würden nicht erlöst werden; schließlich würde kein Orthodoxer einem Franz von Assisi oder Johannes vom Kreuz das Christsein absprechen.216 Ein solcher Anspruch würde dem Jüngsten Gericht, das allein Sache Christi ist, illegitim vorgreifen. Die Erfahrung zeigt demnach, daß es auch außerhalb der Kirche Erlösung geben kann. Wenn die Kirche aber in jedem Fall einer kanonischen Rechtfertigung dieser Praxis an und referiert den Lösungsvorschlag des Basilius von Caesarea, der, "strenggenommen, Augustins Lösung" (ibid.56 = 27) unbewußt übernommen hatte. 211 Limits 120f 212 In Konzil 176 (engl.206) urteilt Florovsky deshalb scharf:"[...] die Theorie von der kirchlichen' Ökonomie' [...] vernebelt und verwirrt eher das theologische Problem." 213 Dieser Gesichtspunkt unterstreicht erneut, daß Sakramente im Denken Florovskys Realdarstellungen des Heilsgeschehens sind, die äußere Form demnach entscheidend für ihre Wirksamkeit ist. A.S.Chomjakov hingegen hielt die Form des sakramentalen Ritus gegenüber seiner Wirksamkeit für sekundär (cf W. J.Birbeck: Russia and the English Church 62), was Florovsky in Limits 124 kritisiert. 214 Cf Ecumenisml9 274 215 Limits 125 216 Ci Doctrine 156
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nur eine sein kann und ist, dann zwingt dies dazu, mit Augustin eine Differenz zwischen den kanonischen und charismatischen Grenzen der Kirche zu behaupten.217 Augustin kehrt Cyprians These, daß nur in der Kirche die Sakramente gültig vollzogen werden und diese dadurch zugleich konstituiert wird, gleichsam um, wenn er behauptet, daß dort, wo Sakramente gefeiert werden, Kirche ist. Während also beide Kirchenväter das sakramentale Handeln der Kirche zuordnen, setzt Augustin den Argumentationsschwerpunkt auf das Wirken Gottes in den Sakramenten, d.h. auf ihren übernatürlichen Charakter. "Als übernatürliche können sie durch menschliche Treulosigkeit und Ungehorsam nicht sofort zerstört werden. Sie haben ihre eigene Subsistenz, sind im erlösenden Willen Gottes verankert, der durch menschliches Fehlverhalten nie endgültig zunichte gemacht werden kann."218 Demnach impliziert das Faktum, daß auch Schismatiker die Sakramente feiern, ihre reale Verbindung mit der Kirche, denn im sakramentalen Handeln wirkt die Kirche selbst.219 Da die Einheit der Kirche jedoch nach Eph.4,3 auf der 'Einheit im Geist' und dem 'Band220 des Friedens' basiert, haben Schismatiker zwar eine sakramentale Verbindung zur Kirche, sind von ihr aber durch die willentliche Abkehr von ihrer alle Christen einenden Katholizität faktisch getrennt. "Dies ist das einzigartige Paradox schismatischer Existenz."221 Da bei Schismatikern somit die Sakramente gültig vollzogen werden, ihnen aber der für die Erlösung notwendige Komplementäraspekt dieser göttlichen Handlung, die menschliche Liebe, fehlt, insofern sie sich von der Kirche getrennt haben, sind die Sakramente bei ihnen nicht heilswirksam. "Der Heilige und heiligende Geist weht auch in den Sekten, aber in dem Eigensinn und der Kraftlosigkeit des Schismas
217 In einem Nebensatz weist Florovsky den Lösungsvorschlag Chr.Androutsos' zurück, der Ausnahmefälle als Manifestation "außerordentlicher Gnade" verstehen will (cf R.Slenczka: Ostlärche 203ff). Eine solche kann es nach Florovsky nicht geben, da es auf der Grundlage einer katholischen Ekklesiologie keine "bundesfreie Gnade" (uncovenanted grace) (Doctrine 157) gibt. 218 Doctrine 155. Der abschließende Nebensatz steht in gewisser Spannung zu Florovskys sonstigen Aussagen über die Kraft menschlicher Freiheit, ohne deren Zustimmung Gottes Gnade wirkungslos bleiben kann (cf 8.1). Es wird im folgenden deutlich werden, daß der Satz so verstanden werden muß, daß die Manifestation des göttlichen Willens (im Unterschied zu seiner Durchsetzung) nicht durch menschliche Sünde zunichte gemacht werden kann. 219 Cf Augustin: De Baptismo 1,15,23 PL XLIII, 121f 220 Florovsky übersetzt für seine Argumentation passender' union of peace' (Limits 126). 221 Limits 126
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kann die Erlösung nicht erreicht werden."222 Florovsky erkennt somit bereits in Augustins Sakramentstheologie die von ihm selbst durchgeführte Unterscheidung und notwendige Korrelation von göttlicher Wirksamkeit und menschlichem Entsprechungshandeln. Mit der Terminologie der römisch-katholischen Theologie kann man seiner Ansicht nach deshalb davon sprechen, daß die Sakramente ex opere orantis et operantis ecclesiae im Unterschied zu einem ex opere operantis ministri gültig sind.223 Als solche aber sind sie "die geheimnisvolle Garantie ihrer [sc.der Schismatiker] Rückkehr zu Katholischer Fülle und Einheit."224 Die von Cyprian so deutlich gezogene Grenze zwischen Schismatikern und der Kirche wird demnach auch bei Augustin nicht aufgehoben. Doch gelingt es ihm, das Paradox der Kirchenspaltung theologisch zu erfassen, ohne es aufzulösen. Die Differenz zwischen den kanonischen und charismatischen Grenzen der Kirche bleibt ebenso bestehen wie die der Kirche wesentliche Spannung zwischen ihrem geschichtlichen und zugleich eschatologischen Sein, ohne daß damit die Einheit der Kirche gesprengt wird. Weil dies exakt dem ekklesiologischen Denken Florovskys enspricht, beschließt er diesen Gedankengang mit der Forderung: "Zeitgenössische Orthodoxe Theologie muß die traditionelle kanonische Praxis der Kirche in Beziehung auf Häretiker und Schismatiker auf der Grundlage dieser allgemeinen Prämissen, die von Augustin aufgestellt wurden, formulieren und erläutern."225 Die eingangs gestellte Frage nach dem Status der Nichtorthodoxen kann damit nur paradox beantwortet werden. Jede andere Lösung würde den Kirchenbegriff Florovskys sprengen.226 Zwar ist daran festzuhalten, daß die 222 Ibid. Florovsky versteht dies in Analogie zu dem oben dargelegten Gedanken Gregor von Nyssas (cf 10.2.1), daß die Taufgnade angenommen und im Handeln des Menschen bewährt werden muß, soll sie nicht unwirksam werden. 223 Cf Limits 128: "In diesem Sinn muß man die Lehre über die Gültigkeit ex opere operato akzeptieren." 224 Limits 128 225 Limits 128. Noch 1949 sieht sich Florovsky gegenüber orthodoxen Kritikern zu dem Hinweis gezwungen, daß man Augustin und sein Denken nicht vorschnell als westlich ablehnen dürfe. Er "ist ein Vater der Universalen Kirche, und wir müssen sein Zeugnis berücksichtigen, wenn wir eine wirklich ökumenische Synthese anstreben." {Doctrine 156) 226 Diese paradoxe Antwort hält Florovskys allerdings noch nicht für die Lösung des Problems, was er damit begründet, daß die "Lehre von der Kirche [...] noch in ihrer vortheologischen Phase" steht (Doctrine 161). Insofern sein Verständnis des ökumenischen Grundproblems jedoch mit seiner Ekklesiologie, die durchweg von der eschatologischen Spannung zwischen göttlicher Gegenwart und menschlicher Gemeinschaft ge-
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orthodoxe Kirche die einzig wahre Kirche war, ist und bleibt. Eine Einheit der Kirche kann unter geschichtlichen Bedingungen demnach tatsächlich nur als Rückkehr zur Orthodoxie gedacht werden. Doch kann eine derartige Forderung an andere Kirchen dogmatisch nicht zwingend begründet werden227, da das Faktum von Schismen gerade die orthodoxe Kirche selbst darauf hinweist, daß es über ihre kanonischen Grenzen hinaus vielerlei Verbindungen zu anderen Christen gibt, weshalb sie selbst ohne diese anderen nicht zur vollkommenen Einheit des Leibes Christi emporwachsen kann. "Die wahre Kirche ist eben noch nicht die vollkommene Kirche."228 Aus dieser eschatologischen Differenz erwächst aber die Aufgabe, sich weniger mit der Frage nach dem Status der Schismatiker zu beschäftigen29, als vielmehr gemeinsam nach der Wahrheit, über deren verschiedenes Verständnis es zu den Schismen gekommen ist, zu suchen. Denn, so drückt es Florovsky unter Anspielung auf Joh 8,32 aus, die Wahrheit Christi befreit nicht nur von der Sünde der Trennung, sondern ist, weil die Kirche eine ist, eine vereinigende Kraft.230 Er bewahrt damit bei der Rechtfertigung des ökumenischen Engagements gerade auch orthodoxer Christen231 und deren Verpflichtung dazu die paradoxe, aber dennoch unauflösliche Spannung zwischen der eschatologisch schon gegebenen Einheit der Kirche und ihrer noch ausstehenden Verwirklichung.232 Auf der Grundlage dieser Aussagen ergeben sich konkrete Folgerungen für das praktische ökumenische Handeln der Kirche. prägt ist (cf o.5.5), der Struktur nach übereinstimmt, ist die fehlende Lösung des Paradoxes die genaue Konsequenz seiner Ekklesiologie. 227 Sehr klar formuliert R.Slenczka: Ostkirche 209: "Eine derartige Forderung [sc.nach "Rückkehr zur Kirche im Sinne eines Anschlusses an die Ostkirche"] kann nur praktisch, nicht aber dogmatisch begründet werden." 228 Loyalty 204 229 Cf Doctrine 160: Die Untersuchung der subjektiven Ursachen der Kirchenspaltung und deren theologische Interpretation kann den Blick für die Grundlage der Kirche, Christus selbst, verstellen. 230 CiProblematika 14 231 Cf Loyalty 205 232 Cf Aims = CW ΧΠΙ.26: "Das letzte Ziel - die Wiederherstellung Christlicher Einheit im Glauben und in der Liebe - liegt in der Tat jenseits menschlicher Pläne und menschlicher Möglichkeiten und vielleicht sogar auf der anderen Seite irgendeines geschichtlichen Horizontes." M.W. schreibt Florovsky nur an einer einzigen Stelle (iChallenge 15 = CW XIV,197), die Einheit sei "eine verborgene Einheit; oder diese 'Einheit' ist durch vielfältige und verschiedene 'Schismen' zumindest äußerst eingeschränkt und verdunkelt." Diese Aussage, die scheinbar im Widerspruch zu seiner eigenen Ekklesiologie steht, bezieht 'Einheit' jedoch nur auf die den meisten Christen gemeinsame Hingabe an den dreieinigen Gott, nicht aber auf ihre kirchliche Einheit.
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4. Wege zur Überwindung der Kirchenspaltung Rechtfertigung und Verpflichtung zu ökumenischem Engagement ergibt sich für orthodoxe Christen nach Florovskys Überzeugung aus dem Wesen der Kirche selbst. Insofern die Orthodoxe Kirche die wahre Kirche ist, obliegt ihr, wie Florovsky interessanterweise unter Anspielung auf Lk 21,12 ('Sie werden euch verfolgen und euch überantworten in ihre Synangogen und Gefängnisse und vor Könige und Fürsten ziehen ...') vermerkt, die Pflicht, diese Wahrheit allen zu bezeugen. Ökumenisches Handeln gehört damit "in die Reihe der missionarischen Aktivität" der Kirche.233 'Missionarisch' will Florovsky allerdings nicht "im Sinn direkter Propaganda oder eines Proselytismus" verstanden wissen, vielmehr ist es das innere Moment der Überzeugung, "daß die Orthodoxie die unveränderliche Wahrheit ist".234 Kriterium eines verantwortbaren ökumenischen Engagements orthodoxer Christen ist für Florovsky damit der universale Charakter der kirchlichen Tradition, die in der Kirche lebendig erhalten wurde und wird sowie von Orthodoxen als allen Christen "gemeinsame Vergangenheit"235 zur Geltung zu bringen ist.236 Gerade auf diese Weise meint Florovsky den theologischen Problemen der anderen Kirchen am besten gerecht werden zu können. Allerdings sollen sie nicht schlicht oder gar polemisch mit der Wahrheit konfrontiert werden. Vielmehr kann die Wahrheit Irrtum nur dann wirklich überwinden, wenn sie sich voll auf ihn einläßt.237 Florovsky ist deshalb der Überzeugung, daß die Orthodoxie die Fragen der anderen Christen erneut zu durchleben und sodann aus der Tiefe und Fülle der katholischen Erfahrung der Orthodoxie zu beantworten hat. "Nur ein derartiges mitleidendes Mit-Erleben stellt einen verlässlichen Weg zu einer Wiedervereinigung der zerbrochenen
233 Vue 9 (engl.CW XIII,160) 234 Vue 10 (engl.CW XIII, 161) 235 Cf Ethos 29: "Der Osten und Westen können sich treffen und sich gegenseitig finden, wenn sie ihre ursprüngliche Herkunft aus der gemeinsamen Vergangenheit erinnern." 236 Cf das bei A.Schmemann: In memoriam 133 referierte Florovskyzitat: "Ein orthodoxer Theologe kann sich heutzutage nicht in den Winkel irgendeiner lokalen Tradition zurückziehen, denn die Orthodoxie ist ihrem Wesen nach eine universale Tradition." Cf auch Orthodox Church 16 = CW XIV, 191 f, Legacy 70, Ethos 30, People 175 fund 0.5.4. 237 CI Loyalty 203: "Wir müssen die Ausdrucksweise eines jeden lernen [...] und möglicherweise unsere eigenen Gruppensprachen (party idioms) verlernen [...] Wir müssen uns, wenn wir denn irgendetwas erreichen wollen, mit den Partnern im Gespräch geistig identifizieren, die unsere eigenen Überzeugungen nicht teilen."
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christlichen Welt dar."238 Darin liegt für Florovsky "die ganze Bedeutung der sog. ökumenischen Bewegung,"239 Voraussetzung für ein derartiges Handeln ist allerdings einerseits, daß die Orthodoxen sich ihrer immensen Verantwortung für die Reinheit und Wahrheit der Tradition der Kirche bewußt sind. Dafür sollten sie sich nach Florovskys Meinung den wissenschaftlichen Standard des Westens aneignen, dessen wissenschaftliche Ergebnisse und blutleeren Intellektualismus sodann allerdings mit der tieferreichenden mystischen Erfahrung der Orthodoxie erfüllen bzw. korrigieren 240 und so zur eigentlichen Relevanz für die Gegenwart erheben. 241 Wie bereits für sein Programm einer 'neopatristischen Synthese' so gilt damit auch für Florovskys ökumenische Theologie, daß die Zukunft unter Aufnahme der Fragen der Gegenwart auf dem Horizont der Vergangenheit kreativ erarbeitet sein will. 242 Andererseits erwartet Florovsky, daß diesem 238 Puti 513 (engl.II 301). Dafür sind die orthodoxen Christen nach Florovskys Meinung deshalb gut präpariert, weil sie durch die erlittene Verfremdung ihrer Tradition durch westliche Einflüsse, die von Florovskys in den Puti beschriebenen 'Pseudomorphosen' der Theologie, zwar geistlich weiterhin die Tradition der Väter beibehielten, wissenschaftlich theologisch aber häufig zugleich auch westlich denken lernten, so daß sie "geistig zweisprachig" sein mußten. "Und deshalb [...] sind Östliche Theologen unserer Zeit direkt mit den Vätem verbunden, ohne dabei aufzuhören, modern und auf dem Stand der Dinge zu sein." (Ecumenical Movement 73 = CW XIV,42) 239 Puti 514 (engl.II 302) 240 Florovsky vermutet hinter dem großen historischen Interesse der westlichen Theologen beider großen Konfessionen, deren großartige Forschungsergebnisse er neidlos zugesteht - "Der Westen treibt Theologie, während der Osten schweigt" (Puti 515 [engl.II 303]) - , eine Kompensationshandlung für die fehlende Glaubenstiefe des Westens (cf Puti 516 [engl.II 304]). 241 In Puti 516ff (engl.II 304ff) sieht Florovsky in dieser Gegenwartsrelevanz orthodoxer Theologie die einzig denkbare und wirkungsvolle Waffe gegen moderne atheistische Weltanschauungen, denen der christliche Glaube der Gegenwart in einem apokalyptischen Kampf gegenüber steht. 242 Cf den letzten Satz in Puti 520 (engl.II 308): "Eine wirkliche historische Synthese besteht nicht so sehr in eintxAuslegung des Vergangenen, als vielmehr in einer schöpferischen Erßllung des Zukünftigen..." - Es muß allerdings bereits an dieser Stelle kritisch angemerkt werden, daß Florovsky selbst weder in seinen ökumenischen Aufsätzen noch in den meisten seiner anderen Arbeiten explizit Fragen anderer Theologien so behandelt, daß man den Eindruck gewinnen könnte, er versuche wirklich, die dortigen Probleme zu erörtern oder gar 'aus der Tiefe der orthodoxen Erfahrung heraus' zu beantworten. Ja es ist umgekehrt geradezu auffällig, wie ein Theologe, der sowohl wissenschaftlich wie durch persönliche Kontakte immer wieder mit nichtorthodoxen Theologen und Christen Umgang hatte, deren spezifische Probleme durch Schweigen übergeht - obwohl er diese, wie nicht zuletzt seine Buchbesprechungen und vereinzelte Anmerkungen erkennen lassen, intensiv zur Kenntnis genommen hat.
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Interesse der Orthodoxie für westliche Fragestellungen umgekehrt auch ein Interesse des Westens für das Zeugnis der Orthodoxie entspricht, da die Tradition der Orthodoxie letztlich die gemeinsame Tradition aller Christen bildet.243 "Die wahre Begegnung wird erst stattfinden, wenn der gemeinsame Grund wiederentdeckt worden ist."244 Voraussetzung dafür ist allerdings, daß die am ökumenischen Gespräch Beteiligten das Paradoxe der Situation erkennen und die Balance desselben wahren: Jeder einzelne begegnet den anderen mit der Überzeugung, selbst im Besitz der Wahrheit zu sein, aber dennoch mit dem Ziel, gemeinsam die Wahrheit zu suchen. Voraussetzung des ökumenischen Gesprächs ist damit der (auch theologisch begründete) gegenseitige Respekt und gegenseitiges Vertrauen. Das ist es, was Florovsky 'Ökumenismus im Raum' nennt245; man könnte auch von einer räumlich vereinten gemeinsamen Bemühung um Wahrheit sprechen, die durch vergleichende Studien Übereinstimmungen bzw. Differenzen zwischen den Kirchen konstatiert. Die gemeinsame Bemühung, das gemeinsame Suchen nach den Eigenheiten der jeweiligen Kirchen muß nach Florovskys Meinung absoluten Vorrang vor jeder Art gemeinsamen Handelns haben, da die Ursache der Spaltung der Kirche im unterschiedlichen Denken begründet ist. Aus diesem Grund ist es 243 Legacy 70. Dies gilt für nichtorthodoxe Kirchen je nach eigenem Selbstverständnis in einem mehr oder weniger historischen Sinn, während nach Florovskys Verständnis die Tradition der Kirche nicht an eine bestimmte Epoche gebunden werden kann, sondern als katholische immer neu gegenwärtig und damit primär geschichtlich ist. Konkreter Ausdruck dieser Überzeugung einer gemeinsamen Tradition aller Christen war Florovskys beständiges Eintreten für eine Beteiligung aller Kirchen am ökumenischen Gespräch, insbesondere der römisch-katholischen Kirche (cf Vue 24 und Encounter 76). Ihr gegenüber hat Florovsky seine Haltung gewandelt: Hatte er in Problematika 13 die Differenz noch scharf als Unterschied in der Erfahrung und damit des Glaubens markiert, so äußert er sich 30 Jahre später sehr viel verhaltener. Cf Encounter 76: "Vom katholischen, d.h. Orthodoxen wie Römischen Standpunkt aus ist ein 'Vereinigungsschema' weder notwendig [!] noch gar möglich. Die Eine Kirche ist weder unsichtbare Realität, noch fernes Ideal. Die Eine Kirche ist eine historische Wirklichkeit." Da die römisch-katholische Kirche die grundsätzliche katholische Struktur erhalten habe, sei die Überwindung des Schismas zwischen Rom und der orthodoxen Kirche von einer andere Kirchen umgreifenden Wiedervereinigung streng zu unterscheiden. Cf auch 2.3.2. 244 Ecumenical Movement 78 = CW XIV,46. Genau dieser Standpunkt machte nach Meinung A.Schmemanns (Roll of honour 8) "Vater Georges zu einem nichtoffiziellen Repräsentanten der ganzen orthodoxen Kirche, einem Vertreter im umfassenden Feld der ökumenischen Gespräche und nicht nur einem Repräsentanten einer seiner lokalen Zweige." 245 Cf Disunity 174 = CW ΧΙΠ.32
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notwendig, die vorhandenen Gegensätze zwischen den Kirchen nicht leichtfertig zu übergehen, sondern deutlich zu markieren. "'Barmherzigkeit sollte nie gegen Wahrheit ausgespielt werden."1*6 Dieser Versuch vergleichender Ökumene kommt allerdings spätestens dann an seine Grenze, wenn man, wie bereits in Amsterdam 1948, 'tiefgreifende Meinungsunterschiede' untereinander feststellt - nicht zuletzt auch deshalb, weil bereits das Vergleichskriterium (Bibel, Konzile, Tradition) unklar ist. Auch kommt dieser methodische Ansatz über den statischen Vergleich nicht hinaus zu einer das verschiedene Denken wirklich überwindenden Gemeinsamkeit. 247 A n dieser Stelle muß der 'Ökumenismus im Raum' durch den 'Ökumenismus in der Zeit' ergänzt werden. 248 "Es war ein bedeutender ökumenischer Erfolg, als die 'getrennten Christen' erkannten, daß sie zusammengehörten und deshalb auch 'zusammenbleiben' müssen. Der nächste Schritt wird sein zu erkennen, daß alle Christen eine 'gemeinsame Geschichte' haben, daß sie eine gemeinsame Geschichte, gemeinsame Vorfahren hatten. Das ist es, was ich unternommen habe als 'Ökumenismus in der Zeit' zu beschreiben."249 Mit diesem Ansatz macht Florovsky sein Katholizitätsverständnis in Hinsicht auf eine Methodik ökumenischen Handelns orthodoxer Christen fruchtbar. Gerade weil die Kirche wesenhaft eine katholische ist, kann sie sich selbst nie nur als gegenwärtige verstehen, sondern immer nur im Zusam-
246 Disunity 173 = CWXIV,31. Diese Forderung hat Florovsky sein ganzes ökumenisches Wirken hindurch beibehalten (cf Dialogue 43, Problematika 3f, Aims 127, Loyalty 198, Disunity 171.173 = CW XIV, 29.31, Encounter 63f = CW XIV,207f), was sicher mit dazu beigetragen hat, daß er vielen als nicht gerade angenehme Person in Erinnerung geblieben ist. - Obwohl Florovsky selbst die Einheit der Kirche für eine eschatologische Gabe hält, sieht er in der Vereinigung der Kirchen in praktischen Fragen bei gleichzeitiger Vernachlässigung der theologischen Probleme eine größere Gefahr im Vergleich zu derjenigen, die Gegensätze zwischen den Kirchen zu scharf zu sehen, weil die Einheit in praktischen Fragen den Blick für die existentielle Dimension der Kirchenspaltung, das verschiedene Denken, verstellen kann und z.T. auch soll (cf Encounter 74f = CW XIV,212). Allerdings dürfe, so sagt Florovsky 1970, die Betonung des Unterschieds in der Lehre nicht dazu führen, ohne Bezug auf die Praxis die kirchliche Einheit herstellen zu wollen: "Wir dürfen konfessionelle Formeln und die intellektuelle Zugangsweise nicht überbetonen. Wir sollten vielmehr praktisch die Probleme diskutieren, die sich aus der pluralen Praxis und psychologisch erklärbaren Einstellungen ergeben." (N.Nissiotis: Unofficial Consultation 80). 247 Cf Obedience 66f 248 Cf Disunity 174 = CW ΧΙΠ.32, wo Florovsky diesen Terminus erstmals gebraucht. 249 Ethos 30 386
menhang ihrer Geschichte. Ökumenisches Handeln hat dem insofern zu entsprechen, als man die geschichtlich bedingten Gegensätze zwecks Vereinigung nicht einfach überspringen kann, da eine Einheit auf dieser Grundlage nur zu einer Vermischung von Körperschaften, nicht aber zu einer Vereinigung in der Wahrheit führt250 und zudem einen doketisch geprägten Geschichtsbegriff voraussetzt. Vielmehr sollte man sich neben der je eigenen Geschichte insbesondere auf die gemeinsame Geschichte, d.h. auf die katholische Tradition der Väter, die in der orthodoxen Kirche immer lebendig geblieben ist, besinnen, um durch diese historische Perspektive die "Ketten des Provinzialismus"251 zu überwinden. Diese Perspektive ermöglicht nach Florovskys Überzeugung die Einsicht, daß die Kirche eben nicht nur die zeitgleiche Gemeinschaft von Christen ist, sondern die geheimnisvolle Vereinigung von Christen über Raum und Zeit hinweg in dem einen Leib des einen Herrn Christus. Eine solche Rückbesinnung auf die allen Christen gemeinsame Tradition der Kirche besteht allerdings nicht in dem Studium längst überholter Denkstrukturen, sondern muß sich als ein schöpferisches Eindringen in die Denkbewegung der Väter gestalten, wenn die Methode eines 'Ökumenismus in der Zeit' tatsächlich eine Methode zur Überwindung verschiedener Denkweisen und zur Gewinnung eines gemeinsamen Denkens sein soll. Als solche aber erfüllt sie die Grundvoraussetzung zur Überwindung der Kirchenspaltung und wird "eine wirklich ökumenische und gemeinsame Sprache in der Theologie"252, die es gestattet, sich gegenseitig wirklich zu verstehen. Anstatt somit die alten Traditionen in die j eweilige Sprache und Gegenwart einer Kirche bzw. eines ökumenischen Gesprächs zu übersetzen und ihnen dabei notgedrungen eine neue Bedeutung zu geben, möchte Florovskys Programm eines' Ökumenismus in der Zeit' exakt den umgekehrten Weg einschlagen: die Sprache und Denkbewegung der Väter als eigenes und damit auch zeitgemäßes Ausdrucksmittel zu erlernen. Dieses Bemühen kann und muß die Orthodoxie in hervorragender Weise unterstützen, da sie nach Florovskys Überzeugung bis heute so denkt, spricht und handelt wie die Väter.253 250 So die sachlich richtige Einschätzung der durchgängigen Haltung Florovskys durch W.Visser't Hooft {Georges Florovskys Role 135). 251 Obedience 68 252 Loyalty 203. Cf auch den protokollierten Diskussionsbeitrag Florovskys (J.Romanides: Unofficial Consultation 1132), der die große Hoffnung, die Florovsky mit dieser Methode verbindet, sehr gut verdeutlicht: "Die Haltung des patristischen Zeitalters kann nicht beiseite gelegt werden. Sie ist die einzige Lösung für eine zeitgenössische Theologie. Keine andere Ausdrucksweise kann die Kirche einen." 253 Cf Ecumenical Movement 76f = CW XIV,45f. Daß Florovsky damit faktisch einem Zirkelschluß erliegt, der die Annahme seiner Methode durch Nichtorthodoxe
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Angesichts der ökumenischen Bemühung um die Einheit der Kirche mutet Florovskys im eingangs zitierten Abschnitt formuliertes Ziel eines gemeinsamen Denkens bescheiden an. Und doch war er sich darüber im klaren, daß schon dies kaum erreichbar sein dürfte2S4, da er in der Trennung im Denken die Ursache aller Kirchenspaltungen, wie umgekehrt in noch vorhandenen Gemeinsamkeiten der gemachten Glaubenserfahrungen und damit des Denkens geheimnisvolle Verbindungen und sogar Gemeinsamkeiten zwischen den Kirchen sah. Theologisch gesehen liegt gerade in diesen geistgewirkten Gemeinsamkeiten ein Anhalt dafür vor, daß auch dieses unterschiedliche Denken der Menschen das ursprüngliche Ziel Gottes, die Menschen zur Einheit zu erlösen, nicht zerstören kann. Allerdings wird diese Einheit im Denken nur möglich sein, wenn jeder einzelne sich255 der Katholizität seines Denkens vergewissert, was für Florovsky praktisch (nicht aber theologisch begründbar) nur heißen kann, daß man sich dem einen real existierenden Leib Christi, der orthodoxen Kirche, anschließt, da dort die zeitübergreifende Katholizität der Kirche manifest ist. Letztlich entscheiden wird sich das Leben des einzelnen wie auch der Kirchen aber erst mit dem Kommen Christi zum Gericht. Dann wird offenkundig, was die Wahrheit ist und wer ihr im Leben tatsächlich verbunden war.
unmöglich erscheinen läßt, ist ihm selbst wohl nicht aufgefallen: Er fordert die Annahme bzw. Übernahme der patristischen Denkbewegung, d.h. die praktizierte neopatristische Synthese. Diese ist die natürliche theologische Methode einer orthodoxen Theologie, die sich, soll sie sachgerecht sein, der (orthodox-) gottesdienstlichen Erfahrung verdankt. In rechter Weise ökumenisch denken und handeln kann damit nur der Orthodoxe, woraus folgt, daß erst, wo alle orthodox geworden sind, wahre Ökumene, d.h. "Ökumene in der Zeit" stattfindet. Damit hat Florovsky entweder ungewollt sein theologisch begründetes Paradoxon der Kirchenspaltung aufgelöst und ist zur klassischen Position eines Rückkehrökumenismus zurückgekehrt oder aber er versteht schon ein rechtes ökumenisches Handeln ebenso wie die Einheit der Kirche als ein letztlich endzeitliches Gut, das damit allen Christen, die Orthodoxen nicht ausgenommen (cf 0.2. und Aims 131 = CW ΧΙΠ.26), unmöglich ist. 254 Cf Ecumenical Movement 79 = CW XIV,46 255 Da dies in jedem Fall nur die Aufgabe der einzelnen Person sein kann, habe ich die Ökumeneproblematik unter dem Oberbegriff 'Die Erlösung der menschlichen Person' behandelt. Da ökumenisches Handeln für Florovsky vordringlich Bezeugung der Wahrheit durch orthodoxe Christen für Nichtorthodoxe ist, habe ich sie unter dem Unterabschnitt 'Das die Erlösung bezeugende Handeln der Kirche' dargestellt.
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10.4 Die Erlösung im Endgericht Bei der Erörterung eschatologischer Fakten und Zusammenhänge ist die methodische Frage zu beantworten, wie man über etwas Aussagen machen kann, das noch aussteht. Florovsky ist auf diese Frage in zwei frühen Aufsätzen eingegangen. Danach ist es nicht zufällig, daß die Kirche sich zur speziellen Eschatologie256 nicht dogmatisch geäußert hat, sondern ihre dogmatischen Äußerungen auf das beschränkt hat, was "mit dem Heilsplan in der Zeit (Dogma der Dreieinigkeit Gottes) überhaupt nicht verbunden ist257, oder was schon enthüllt, offenbart und verwirklicht wurde (Dogma von der Person des Heilandes)."258 Aussagen über die Zukunft aber bezieht die Kirche aus dem Zeugnis des Herrn selbst, wie es biblisch belegt ist und in der kirchlichen Tradition verstanden wird, und stellt es "nicht so sehr dogmatisch, wie liturgisch"259 dar, um damit den Prozeßcharakter der Erlösung, die sich in der Geschichte nach Christi Auferstehung und der Sendung seines Geistes in der Kirche bis zu seiner Wiederkunft in Herrlichkeit vollzieht, zu bezeugen. Das Heil steht in seiner Fülle noch aus. Deshalb lassen sich noch keine abgeschlossenen dogmatischen Aussagen machen. Diese Einschränkung bedeutet allerdings nicht "vollkommene Zurückhaltung von jeder Beurteilung. Denn was uns nicht als Dogma ist uns als Erfahrung gegeben, die die Quelle dogmatischer Definitionen der Kirche ist."260 Florovsky bringt damit die grundsätzliche eschatologische Spannung seiner Ekklesiologie261 erneut zur Geltung: Als Leib Christi ist die
256 Mit dem Begriff 'spezielle Eschatologie', den Florovsky nicht verwendet, bezeichne ich im folgenden summarisch die theologischen Sachfragen, die sich mit den letzten Dingen wie Wiederkunft Christi, Jüngstes Gericht, Allgemeine Auferstehung etc. beschäftigen, im Unterschied zur allgemeinen Eschatologie, die Florovskys gesamte Theologie durchzieht und in der Menschwerdung Christi ihren sachlichen Grund hat. Florovsky differenziert hier nicht, weil alle eschatologischen Fragen auf Christus zurückführbar sein müssen ( c i P a t A g e 78). Meine Differenzierung will diesem folgend nur eine rein terminologische sein. 257 Entlarvender kann man kaum zum Ausdruck bringen, daß die Trinitätslehre in der eigenen Theologie faktisch bedeutungslos ist. Die Trinität ist für den Neopalamiten Florovsky die per definittonem allem Geschaffenen jenseitige und unerkennbare Gottheit, die sich mittels ihrer Energien kundtut. Für deren Explikation durch Florovsky ist jedoch, wie in 7.3 gesehen, die Trinitätslehre völlig überflüssig. 258 Vaters Haus 40. Cf Dom 83 (engl.77) und Holy Spirit 15 259 Ibid. 260 Holy Spirit 15 261 Cf 0.5.5 und z.B. PatAge 64: "Diese Spannung zwischen dem 'Vergangenen* und 'dem Kommenden' war für die Christliche Botschaft von Anbeginn an wesentlich. Immer gab es diese beiden Bezugspunkte: das Evangelium und das Zweite Kommen."
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Kirche im Vollbesitz der Wahrheit, kann diese jedoch noch nicht dogmatisch endgültig formulieren, da sie damit die geschichtliche Dimension des fortdauernden erlösenden Handelns Gottes, seinen Prozeßcharakter, verleugnete. Angesichts der verheißenen, aber noch ausstehenden Wiederkunft Christi würde sonst ein "gewisser historischer Doketismus"262 zur Geltung kommen, der Wahrheit unter Absehung der konkreten geschichtlichen Fakten, in diesem Fall: der Wiederkunft Christi, meint feststellen zu können. Für Florovsky gehört demnach die Wiederentdeckung der geschichtlichen Dimension menschlichen Seins in der Theologie - sie wurde seiner Meinung in der liberalen Tradition seit der Aufklärung übersehen mit einer erneuten Erörterung der eschatologischen Topoi notwendig zusammen.263 Wie aber ist dann das Verhältnis von Geschichte und das mit dem Kommen Christi verheißene Ende irdischer Verhältnisse zu bestimmen? Für Florovsky bildet die Beantwortung dieser Frage eine Grundvoraussetzung zur Erörterung von Problemen einer speziellen Eschatologie.264 Wird die Geschichte und damit die Zeit als etwas Ewiges und damit letztlich Unveränderliches gedacht, dann kann sie auch durch das zweite Kommen Christi nicht fundamental unterbrochen werden. Vielmehr scheint sich alles nur zyklisch zu wiederholen. Ein derartiges Geschichtsverständnis entspricht jedoch nicht christlicher Erfahrung, weil sich der Sinn und das Ziel der Geschichte mit der Offenbarung Gottes in Christus erschlossen hat. Aussagen zur Eschatologie haben somit ihren Ausgang bei der Glaubenserfahrung zu nehmen, d.h. bei der Erfahrung des in der Kirche gegenwärtigen Christus.265 Danach aber hat die Geschichte in Gottes Schöpferwillen ihren Anfang und wird durch das Wiederkommen Christi zum Gericht begrenzt266. Erst dann wird die Welt zu ihrer Vollendung kommen, weil erst 262 Vaters Haus 41 {Dom 84 (engl.78)) 263 Cf Last Things 244. In der Theologie, die die Existenzphilosophie z.B. Heideggers zu verarbeiten suchte, sah Florovsky eine erneute Gefahr der Entgeschichtlichung der Theologie und damit zugleich einen drohenden Verlust der speziellen Eschatologie. 264 Seine zwei Aufsätze, die sich dezidiert mit spezieller Eschatologie beschäftigen (O Voskresenii und PatAge -Last Things enthält zwar ebenfalls wichtige Aussagen zur speziellen Eschatologie, bringt diese aber nur unter beständigem Rekurs auf und in Auseinandersetzung mit Emil Brunner), enthalten aus diesem Grund ausführliche Passagen zum christlichen Zeit- und Geschichtsverständnis im Unterschied zum griechischen. Cf Ο Voskresenii 156-158, PatAge 68-73 und 7.4. 265 Cf PatAge 78: "Alle eschatologischen Topoi beziehen sich auf das Herzstück der christlichen Botschaft und des Christlichen Glaubens, auf die Erlösung des Menschen durch den Fleischgewordenen und Auferstandenen Herrn." 266 Cf Tvar' 177f (engl.44). Biblischer "Beleg" für ein Ende der Zeit ist für
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dann die ihr innewohnenden zeitlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sein können. 267 Demnach ist der Mensch zwar an die Geschichte gewiesen, um sie in schöpferischer Freiheit zu gestalten und sein Leben zur Gottesgemeinschaft emporzuführen 268 , doch ist dieser Geschichte in der Person Christi ein Ziel gesetzt: die Vereinigung aller Menschen mit Gott zu ewiger Existenz und Gottesgemeinschaft. 269 Erit unus Christus amans seipsum.210 Dieses Ziel wird erreicht in der allgemeinen Auferstehung der Toten zur ewigen Existenz 271 , die das mit der Auferstehung Christi begonnene Heilswerk verifiziert und vollendet. 272 Damit ist Geschichte für Florovsky "offenkundig nur eine provisorische und vorübergehende Stufe menschlichen Schicksals." 273 Dennoch wird sie
Florovsky Apk 10,6, wo es jedoch nicht um eine Beschreibung des Wesens der Zeit, sondern um den Beginn der Herrschaft des Antichristen geht, der nicht mehr lange auf sich warten läßt: χρόνος ούκέτι Ισται. 267 CiUtopizm 50. Dort führt Florovsky den Gedanken vom Ende der Geschichte als Vollendung der Welt kritisch gegen die Vorstellung einer irdisch realisierbaren Vollkommenheit ins Feld. - In PatAge 66f referiert Florovsky mit Bezug auf Origenes, Johannes Chrysostomus und Augustin die patristische kosmische Rekapitulationsvorstellung, die er selbst in Redemption 129f zustimmend übernimmmt, daß dem Fluß der geschichtlichen Ereignisse nur dann Sinn zugemessen werden könne, wenn diese als im Eschaton vereint gedacht werden. 268 Geschichte ist in diesem Sinn Entscheidungszeit. Cf Florovskys zustimmende Aussagen zu E.Brunners diesbezüglichen Überlegungen in Last Things 249f und seine Aussagen, die sich auf S.Kierkegaards Philosophische Brocken berufen, in Krise II 9 (engl.38): "Dieses Geheimnis kann nur der Glaube erfassen, der deutsche Idealismus konnte nie anerkennen, daß sich das Schicksal des Menschen in der empirischen Zeit entscheiden könnte." 269 Die Geschichte erhält somit durch Christus selbst ihre Einheit und erst durch das Ereignis seiner Wiederkunft ihre Vollendung. CfRedemption 129: "Die Wirklichkeit der Zweckbestimmung (concreteness of purpose) verbindet den Strom der Ereignisse von innen heraus zu einem organischen Ganzen." (Hervorhebung von mir) 270 Der von Florovsky angegebene Beleg Augustin: Ennarratio in Psalmum XXVI Sermo 2,23 PL XXXVI, 211 ist dort nicht zu verifizieren, mit Einschränkung (der Begriff amare fehlt in der gesamten Predigt) jedoch sachlich enthalten: Unus sumus in Christo, corpus Christi sumus. 271 Auch wenn Florovsky dies an den betreffenden Stellen (cf z.B. Redemption 129f) nicht tut, so ist hier, gemäß der Unterscheidung zwischen der Erlösung von Natur und Person der Menschen sorgfältig zwischen ewiger Existenz und ewiger personaler Gottesgemeinschaft zu unterscheiden, denn non sicut hoc est ei esse quod vivere (Augustin: De Genesi ad Litteram 1,5 PL XXXIV, 250; zitiert in u.a.in Idea 76). 272 Cf Redemption 130 und PatAge 67. 273 Last Things 253. Cf auch Ways 183. 391
durch das Kommen Christi nicht schlicht negiert274, da eine Negation von Geschichte zugleich die Geschichtlichkeit und damit das Personsein des Menschen aufheben würde. "Personalität beinhaltet Geschichte. Ich würde aufhören, Ich selbst zu sein, wenn meine konkrete, d.h. geschichtliche Erfahrung einfach abgezogen würde. Deshalb wird auch Geschichte im 'kommenden Reich' nicht vollständig verschwinden, wenn denn die Konkretheit menschlichen Lebens bewahrt werden soll."275 Florovsky nimmt damit Gregor von Nyssas Interesse an der Identität zwischen der konkreten geschichtlichen Person und ihrer Gestalt nach der Auferstehung auf.276 Zwar wird der Leib des Menschen in der Auferstehung geheimnisvoll gereinigt und verwandelt, aber dennoch bleibt die "Einzigartigkeit des einst erfahrenen und gelebten Lebens"277 bestehen. Geschichte endet damit bei der Wiederkunft Christi in dem Sinn, daß der Prozeß der Transzendierung der natürlichen Grenzen und Annäherung an Gott, zu dem der Mensch berufen ist, abgeschlossen ist. Das "Ergebnis" dieses geschichtlichen Prozesses, das konkrete und individuell ausgeprägte Personsein des Menschen, wird jedoch in die Ewigkeit eingehen. Kriterium dessen, was Bestand in der Ewigkeit haben wird, ist demnach das Persönliche.278 Konsequenz dieser Aussagen zum Verhältnis von Geschichte und Ewigkeit sind nun Florovskys Aussagen zum Schicksal des Menschen angesichts des Jüngsten Gerichts. Die Kernfrage dabei lautet279: Werden auch die zu 274 Cf Corps 31: "Eschatologie beschließt Geschichte nicht und widerspricht ihr nicht. Denn die Geschichte ist selbst eschatologisch geworden, seitdem eschatologische Elemente in sie eingetragen wurden." 275 Christianity 129. In dem Vorläufer dieses Aufsatzes, Asceticism, hatte Florovsky noch geschrieben: "Vollkommenheit wird nur durch die Vernichtung jeglicher Geschichte erlangt, durch das Ende von Zeit." (Asceticism 12) Daß dies jedoch keine Entwicklung Florovskys belegt, sondern nur eine nachlässige Formulierung ist, belegt Dva Zaveta 155, wo Florovsky (neun Jahre vor Asceticism!) gerade nicht das Verschwinden der Geschichte ausssagt, sondern deren Verwandlung im Eschaton mit der Inkarnation begründet. 276 Cf 0.9.1 und Redemption 125 277 Redemption 125 278 Cf Iz Pisem (Florovsky an J.Ivask vom 14.2.1972) 52: "Was aus der Geschichte wird in die 'Ewigkeit' eingehen? [...] Die menschliche Persönlichkeit in der Fülle ihrer konkreten Gegebenheiten und folglich alle persönlichen Beziehungen - Freundschaft, Liebe. In diesem Sinne auch die Kultur, denn der Verlust der kulturellen Prägung des Menschen wäre seine Entpersönlichung. Eine Person ohne kulturelle Formung wäre nur das Bruchstück eines Menschen. Andererseits wird nichts 'objektiv Geschichtliches' in die Ewigkeit eingehen - etwa die Nation als solche, die Demokratie, der Sozialismus, weil sie alle nicht Persönliches bzw. unpersönlich sind." 279 Cf Last Things 256
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irdischen Lebzeiten dezidiert Ungläubigen Anteil an der ewigen Gottesgemeinschaft haben, oder aber werden sie zu ewiger Existenz in absoluter Gottesferne verdammt werden? Diese Frage kann nach Florovskys Überzeugung nur dann angemessen beantwortet werden, wenn man nicht allein den Erlösungswillen Gottes betrachtet, sondern in gleicher Weise die Freiheitsentscheidung des Menschen und die damit geschaffenen Realitäten berücksichtigt. Eine Eschatologie, die diese beiden Aspekte ungleich gewichtet oder gar einen übersieht, verfehlt die mit der Schöpfung gesetzte spannungsvolle Wirklichkeit einer dyotheletischen Geschichte. Aus diesem Grund kann eine wahre Eschatologie nur auf der Grundlage einer angemessenen Schöpfungslehre280 und das bedeutet zugleich auf der Grundlage der Unterscheidung zwischen Natur und Person281 ausgeführt werden. Von der Erlösung der menschlichen Natur durch die Heilstat Christi, die in der allgemeinen Auferstehung als Reinigung aller Leiber von den Folgen der Verderbtheit durch die Sünde ßr alle offenkundig werden wird282, ist demnach die Erlösung der menschlichen Person zu unterscheiden.283 Da jede Person aber unverwechselbar eigenständig ist, wendet sich Florovsky dagegen, die Frage der Erlösung im Endgericht allein unter generellen Gesichtspunkten zu erörtern wie z.B.: wie verhält sich der Erlösungswille Gottes zu menschlicher Freiheit oder göttliche Gerechtigkeit zu göttlicher Barmherzigkeit. Mit solchen Generalisierungen verfehlt man die Konkretheit und Einzigartigkeit der geschichtlichen Person. Dementsprechend geht es bei der Wiederkunft Christi zum Gericht nicht um die schlichte Alterna-
280 Cf PatAge 71: "Christliche Eschatologie hängt unlöslich von einer angemessenen Schöpfungslehre ab." Cf auch Last Things 263 und Idea 77. 281 Cf Redemption 152 282 Zur Auferstehung des Leibes cf o.9.1. Florovsky äußert sich zur Frage nach den Umständen der Auferstehung (sachlich angemessen) nur sehr allgemein und äußerst knapp in Redemption 130: "Die letztgültige Vollendung wird für die ganze menschliche Rasse zugleich eintreten." Davon ausgenommen ist allein die Gottesmutter "aufgrund ihrer innigen und einzigartigen Verbindung mit Dem, Den sie gebar." (Redemption 300 Anm 90. Cf auch Mother 187). Wie man sich die ewige Leiblichkeit allerdings vorstellen kann, bleibt wie der verherrlichte Leib Christi selbst ein Geheimnis (cf J.Romanides: Unofficial Consultation 1120). 283 In Redemption 307 Anm 141 verweist Florovsky auf die bei Andreas von Caesarea in seinem Commentarius inApokalypsin (PG CVI Kap 62 [zu Apk 20,5f], 412f und Kap 59 [zu Apk 19,21] 408 [Angaben korrigiert]) belegte Unterscheidung zwischen zwei Toden (natürlicher Tod und ewige Verdammnis) und zwei Auferstehungen (geistliche Auferstehung von bösen Taten und Auferstehung des Leibes).
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tive Verdammung oder ewiges Leben, sondern um die existentielle Situation des Einzelnen vor Gott.234 Folge dieses methodischen Ansatzes ist Florovskys Definition der Hölle: sie ist nicht ein Platz oder Ort, den Gott für Verdammte vorgesehen hat, sondern "eine Wirklichkeit, der sich bereits jetzt viele menschliche Wesen verschrieben haben, mit ihrem eigenen Willen, oder zumindest aufgrund ihrer eigenen Wahl und Entscheidung, was, letztendlich, Fesselung bedeuten kann, gewöhnlich aber als Freiheit mißverstanden wird."285 Wird die Hölle286 so als personhafte, existentielle und individuelle Setzung und Realität definiert, dann kann sie, erinnert man sich der grundlegenden Aussagen der Schöpfungslehre, nicht durch einen Gnadenakt Gottes überwunden werden, weil Gott, insofern er die Menschen zur Gemeinschaft in Freiheit bestimmt hat287, sich selbst durch die den Menschen gegebene Möglichkeit einer willentlichen Abwendung auch in Hinsicht auf sein erlösendes Handeln begrenzt hat. Für Florovsky kann somit einerseits die Erlösung der menschlichen Person nur als Freiheitstat des Einzelnen verwirklicht und gedacht werden, d.h. sie geschieht entweder im Synergismus mit den göttlichen Energien oder aber sie geschieht nicht. "Die Schwierigkeit einer allgemeinen Erlösung liegt nicht auf der göttlichen Seite - Gott will in der Tat, daß alle Menschen 'gerettet werden' [...] Auf Seiten der Kreatur können jedoch unüberwindliche [!] Schwierigkeiten errichtet werden."288 Der Mensch kann sich selbst zur ewigen 'Hölle' bestimmen. Andererseits "hebt man die Freiheit des Menschen auf und nimmt ihr ihren Ernst, wenn man die Möglichkeit zur ewigen Hölle leugnet."289 Gerade diese Existenz einer ewigen Hölle, die der sündigende Mensch selbst hervorgebracht hat, ist der Kern des paradoxen Wesens des Bösen. Dieses ist nämlich nicht nur eine nichtende Kraft und Realität neben Gott und seiner Schöpfung, sondern bleibt - mythologisch und symbolisch vielfältig als 'ewige Qualen' oder 'Höllenfeuer' beschrieben - auch in der Ewigkeit eine Wirklichkeit außerhalb der Gottesgemeinschaft und bezeugt damit endgültig die mögliche Eigenständigkeit der Schöpfung neben ihrem Schöpfer.290 Daß die Selbstbestimmung zur Gottesferne auch in der Ewigkeit anhält, mag zwar befremdlich anmuten, weil es Gottes Souveränität
284 285 286 287 288 289 290
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CiLast Things 258-260 Last Things 261 Cf zu Florovskys differenziertem Höllenverständnis 9.2. Cf 8.1 Last Things 262 Iz Pisem (Florovsky an J.Ivask vom 13.5.1967) 48 Cf Tvar' 183f (engl.50f) und 8.2.2.
einzuschränken scheint, doch besteht zwischen der bereits auf Erden immer neu beobachtbaren Abkehr der Menschen von Gott und einer ewigen Rebellion gegen Gott nach Florovskys Meinung nur ein 'zeitlicher' und kein qualitativer Unterschied. Der Mensch trifft als geschichtliche Person Entscheidungen mit Ewigkeitsbedeutung. Gerade so erfüllt er sein Sein als geschichtliches Wesen.291 Gerade so enthüllt sich aber auch das Wesen der Geschichte der Menschen als Tragik: sie bleibt auch in der Ewigkeit geteilt in Gottesgemeinschaft und Gottesferne.292 Ließe sich eine Apokatastasis nicht aber so denken, daß die Sünder angesichts des Gerichts Christi ihre Rebellion gegen Gott aufgeben und sich doch noch zu ihm bekehren? Genau dies war die Hoffnung Gregors von Nyssa, die Florovsky jedoch insofern für typisch hellenistisch hält293, als Gregor geglaubt habe, Sünde, die er aufgrund seiner philosphischen Bildung mit Unkenntnis identifizierte, ließe sich durch eine Sinnesänderung überwinden. "Es ist nicht genug, die Tat der göttlichen Erlösung im Glauben anzuerkennen - man muß wiedergeboren werden. Die ganze Persönlichkeit muß gereinigt und geheilt werden."294 Eine Erlösung der Persönlichkeit kann sich jedoch nicht von einem Moment auf den anderen vollziehen, da die Person das Ergebnis ihres geschichtlichen Werdens ist. Bei der Frage nach einer Apokatastasis steht für Florovsky damit immer zugleich das rechte Geschichtsverständnis auf dem Spiel. "Was ist die Bedeutung dieser entsetzlichen Geschichte von Sünde, Perversion und Rebellion, wenn letztlich alles eingeebnet und durch Ausübung göttlicher Allmacht versöhnt wird?"295 291 CH die 7f, Idea 76 und Last Things 2621. In Ο Voskresenii 159f, einer Passage, die Florovsky wahrscheinlich wegen ihres anthropologisch argumentierenden Charakters nicht in Redemption aufgenommen hat, begründet Florovsky das geschichtliche Wesen des Menschen mit der anthropologischen Einsicht in das Wesen der Erinnerung: Indem der Mensch seine Vergangenheit erinnert, weiß er um die Unumkehrbarkeit seiner Taten und damit um die bleibende Bedeutung dessen, was er getan hat. "In der Erkennntis und in der Liebe überschreiten wir die Grenzen der Zeit, indem wir das Überzeitliche im Zeitlichen verwirklichen." (ibid. 159) Indem der Mensch so Fakten seines Lebens selbst schafft und damit nicht nur im immer neuen Augenblick des Jetzt existiert, bildet er sich selbst als geschichtliches Wesen aus: "Eine einzigartige Persönlichkeit gestaltet sich und wächst - unabhängig davon, wohin sie wächst,' zur Auferstehung des Lebens' oder 'zur Auferstehung des Gerichts'." (ibid.160) 292 Cf Utopizm 48 und 7.4 293 Cf Florovskys Gregordarstellung in Eastern Fathers 207ff, Ο Voskresenii 165, Last Things 263, Redemption 151. 294 Last Things 262 295 Last Things 264
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Erst bei Maximus Confessor findet Florovsky ein Denkmodell, das Gregors Origenismus überwindet. Maximus erkannte die Dialektik von Gottes Erlösungswillen bei gleichzeitiger Ablehnung desselben durch den Sünder, wenn er die Ewigkeit so dachte, daß zwar die ganze Schöpfung wiederhergestellt wird, die Sünder jedoch für das neu erstrahlende Licht des Erlösers unempfänglich bleiben. Ein und dasselbe Licht Gottes wirkt auf diese Weise für die Gläubigen erhellend und beglückend, während es für die Sünder das brennende Feuer des Gerichts bedeutet.296 Florovsky übernimmt diese Aussagen, da sie sich vollkommen in seine Unterscheidung zwischen Natur und Person einfügen. "Hier öffnet sich erneut ein wenig das Geheimnis der zweigeteilten Freiheit. DieApokatastasis der Natur hebt die Freiheit des Willens nicht auf."291 Der Mensch wird seiner Natur nach vollständig erlöst, seiner Person nach aber werden die göttlichen Gaben "den Kapazitäten des Menschen", d.h. dem Maß seiner willentlichen Hinwendung zu Gott entsprechend zugeteilt.298 Erst so verwirklicht sich das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen als freies Liebesverhältnis. "Denn Liebe gibt es nur in gegenseitiger Freiheit."299 Die Überwindung der Sünde kann sich demnach nur in einer beständigen Gebetsbemühung der frei vollzogenen Buße vollziehen, der dann die Gnade Gottes gewiß ist. Denn die "Gnade heiligt den Willen nur 'im Geheimnis der Freiheit'".300 Florovsky hat mit diesen Aussagen die Implikationen seiner Schöpfungslehre auch in der Eschatologie zum Tragen gebracht. Die Erlösung des Menschen verwirklicht sich demnach in zweifacher Weise: Die Erlösung der menschlichen Natur durch Christus kommt in der Erlösung der menschlichen Person an ihr Ziel. Dieser Aussage entspricht, daß für Florovsky die Ekklesiologie ein notwendiges Unterkapitel der Christologie ist, denn die Erlösung Christi wird in der Kirche vollendet. Da somit in der Kirche das den Menschen vollendende Heil bereits in vollem Maße zugänglich ist und erfahren wird, die Kirche also bereits in ihrem geschichtlichen Sein im vollen Sinne des Wortes eschatologisch ist, ist die Auferstehung die "Verwirklichung der Kirche" in der dann auch allgemein sichtbaren Fülle aller Gläubigen zur Gemeinschaft mit dem dreieinigen 296 Cf Maximus Confessor: Quaestio ad Thalassium 39 Schol.3 PG XC, 393 C-D (Referiert in Redemption 151f und Last Things 263). 297 Ο Voskresenii 165 298 Redemption 152 299 Ο Voskresenii 166. Zwar verweist Florovsky an dieser Stelle auf seinen Aufsatz Ο Smerti, doch fehlt in Hinsicht auf die eschatologischen Passagen dort wie dann später auch in Redemption dieser Florovskys gesamte Theologie prägende Gedanke. 300 Ο Voskresenii 167. Dort auch die nahezu singulären Aussagen zur Buße.
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Gott.301 Deshalb wird die Parusie Christi einerseits nichts als eine schlichte '"Wiederkehr"' des bereits Erfahrenen sein - sei es die Gemeinschaft mit Gott oder die willentliche Abkehr von ihm - wie sie zugleich auch "eine letztgültige Neuheit" darstellt302, insofern die Verwandlung der gesamten Schöpfung nach dem Vorbild der Verwandlung der menschlichen Natur Christi wie auch die Erscheinung seines ganzen Leibes in katholischer Fülle ein eschatologisches Geheimnis ist. Grundlage der speziellen Eschatologie Florovskys ist damit nichts anderes als die in Christus und der Kirche "eröffnete Eschatologie". So erklärt sich, daß er über Details der Frage nach Jüngstem Gericht, Auferstehung, Verwandlung des Leibes und der Schöpfung etc. kaum Aussagen macht. Das Entscheidende der Erlösung ist in Christus geschehen und setzt sich in der Kirche geschichtlich fort und ist dort erfahrbar. "Nur aus der Tiefe dieser Erfahrung können wir verstehen können wir in Demut verstehen, 'was wir sein werden'."303
301 Ο Voskresenii 167. Cf O.10.2.1 und Ephesians 95: "Auch bei der verherrlichten Kirche im ewigen Leben wird es sich um dieselbe Kirche handeln, die Zweifel, Bedrückung und Sorge durchschritten hat und die sich in Gott freuen wird, denn auch der auferstandene Christus hatte noch immer eine Wunde an seiner Seite." 302 Last Things 255 303 Ο Voskresenii 167
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IV. KRITISCHE WÜRDIGUNG
11. Kapitel: Kritische Würdigung der theologischen Hauptgedanken Florovskys
Eine Würdigung der theologischen Leistung Florovskys müßte sich um eine Einordnung seines Denkens in die Gesamtorthodoxie bemühen. Dies ist angesichts der Tatsache, daß schon A.Schmemann in seiner knappen Skizze der neuesten russischen Theologiegeschichte Florovsky in den Bereichen einer zeitgenössischen orthodoxen dogmatischen Methode, der Ekklesiologie, Patristik, Kirchengeschichtsschreibung und ökumenischen Theologie zurecht einen bestimmenden Einfluß zuschreibt1, ein dringendes Desiderat. Im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung soll diese geistesgeschichtliche Einordnung Florovskys jedoch nicht geleistet werden, da es das Ziel dieser Arbeit ist, in einer werkimmanenten Interpretation die Theologie Florovskys zu erheben und darzustellen. Zum Abschluß sollen deshalb zentrale Gedanken Florovskys zusammenfassend gewürdigt und an seinem eigenen Anspruch an eine zeitgemäße orthodoxe Theologie gemessen werden. Unter dem Eindruck der russischen Revolution hatte sich Georges V. Florovsky das Ziel gesetzt, eine 'neue orthodoxe Philosophie' zu formulieren. Sie sollte den Materialismus des Bolschewismus und darüberhinaus grundsätzlicher die von ihm empfundene Ausweglosigkeit der rationalistischen Philosophie Europas überwinden2, indem sie, von der kirchlichen Erfahrung ausgehend, die Wirklichkeit als Zusammenwirken Gottes und der Menschen beschreibt. Eine solche Theologie ist nach Florovskys Überzeugung nicht nur genuin orthodox, sondern beschreibt die allen Christen gemeinsame Wahrheit und ist damit methodisch und sachlich Ausdruck der geschichtlich möglichen Einheit der Christen in der einen Kirche Jesu Christi (cf 2.4; 6; 10.3.3). An diesem hohen Anspruch ist die dargelegte Theologie Florovskys zu messen. 1 Cf A.Schmemann: Russian Theology 180,182f, 187,190f 2 Cf 2.1 und N.Zernov: Russian Theologians 360: "Die orthodoxen Theologen im Exil waren gewiß, daß orthodoxe Gläubige westlichen Christen helfen könnten und sollten, ihre Trennungen zu überwinden und im Licht des Evangeliums eine Antwort auf die Fragen zu finden, die die Marxisten mit Hilfe des dialektischen Materialismus zu beantworten suchten."
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Dies kann nicht in allen Einzelheiten und nicht aus den Perspektiven der unterschiedlichen Konfessionen geleistet werden. Ich beschränke mich im folgenden deshalb darauf, grundlegende Einsichten der Theologie Florovskys in ein kritisches Gespräch mit der lutherischen Tradition zu bringen, was insofern sachgemäß ist, als Florovsky an die orthodoxe Theologie den Anspruch stellte, Fragen anderer Kirchen beantworten zu können (2.4; 6; 10.3.3). 11.1 Erfahrung und Bekenntnis Die kirchliche Erfahrung des orthodoxen Christen ist nach Überzeugung Florovskys der einzig sinnvolle Ansatz einer zeitgenössischen orthodoxen Theologie. Florovsky akzentuiert dabei eindeutig das Attribut 'kirchlich' und setzt damit dem Subjektivismus innerhalb der Theologie strenge Grenzen (cf 5.4). Die Frage nach der Originalität des theologischen Denkens Florovskys ist deshalb eine seinem eigenen Ansatz gegenüber unsachgemäße Frage. Vielmehr ist ihr Kriterium die Übereinstimmung mit der kirchlichen Erfahrung, d.h mit der lebendigen Tradition der Orthodoxie, so daß eine ίΖφ'ό-vMe-Erfahrung zumindest beim orthodoxen Leser seiner theologischen Gedanken nicht nur erwünscht, sondern geradezu Ausdruck ihrer Sachgemäßheit ist. Seinen formalen Ausdruck findet dieser Anspruch in Florovskys methodischer Vorgehensweise: Er bezieht sich in seiner Theologie immer wieder auf Texte der Gottesdienste und der kirchlichen Tradition und verzichtet weitgehend auf die Erörterung von theologischer Sekundärliteratur. Florovskys Theologie entwickelt sich aus den Fundamentalunterscheidungen des Chalcedonense (cf 4.1; 4.6). Wie die vorliegende Arbeit zu erweisen suchte, sind sie das Strukturprinzip seines theologisch dogmatischen Denkens. Florovsky intendiert demnach nicht eine Exegese des Horos von Chalcedon, sondern orientiert sich prinzipiell an den dort formulierten ontologischen Aussagen zur Unterscheidung der göttlichen von der menschlichen Seinsweise und zur Unterscheidung von Natur und Person. Wie aber verhält sich der methodische Anspruch, die Theologie von der lebendigen kirchlichen Erfahrung aus zu entwickeln, zu ihrem Ansatz bei einem historischen Text bzw. den dort formulierten Unterscheidungen? Das Chalcedonense ist, wie der einleitende und abschließende Satz erkennen lassen, dem eigenen Anspruch nach nicht Lehre, sondern eine Doxologie. Gattungsgeschichtlich steht im Zentrum der Doxologie das Gotteslob, das sich als Antwort auf Gottes geschichtliches Wirken formuliert. Die Schilderung der Heilstaten Gottes tritt gegenüber Wesensaussagen über Gott stark in den Hintergrund. Er wird um seiner selbst willen 402
gepriesen.3 Läßt sich aber eine Doxologie als Prämisse einer theologischen Lehre verstehen? Nach E. Schlink wird der doxologische Charakter des Chalcedonense gerade übersehen, wenn die dort als Antwort auf das geschichtliche Wirken formulierten Aussagen über das Wesen Christi in einem weiteren Schritt als Prämissen einer Erörterung des geschichtlichen Wirkens Gottes in Christus herangezogen werden. Zwar gehörten geschichtliche und ontologische Aussagen in der Christologie notwendig zusammen, doch ergäben sich die christologischen Probleme mit dem Bekenntnis von Chalcedon erst, wenn es nicht als Anleitung zur Doxologie, sondern als Ausgangspunkt theoretischer Erörterungen über das Wirken Jesu Christi herangezogen werde.4 Die von Schlink zurecht herausgestellte doxologische Intention des Chalcedonense kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es als Bekenntnis zu Gott in Christus zugleich auch die Rechtgläubigkeit formulieren und sichern wollte.5 Historisch ist leicht nachzuweisen, daß die doxologische Intention des Bekenntnisses von Chalcedon schon im unmittelbaren Anschluß an seine Verabschiedung in den Hintergrund getreten ist und der Streit um die rechte Auffassung vom geschichtlichen Wirken Gottes in Christus auf der Grundlage der chalcedonensischen Termini entbrannte. Insofern Florovskys Theologie einerseits die Explikation der kirchlichen Erfahrung sein will, und andererseits Dogmen und Dogmatiken nach seinem Verständnis nicht abstrakte Lehrsätze sind, sondern als Explikation der Glaubenserfahrung in logischer Form den Glauben bezeugen wollen und erst in der Glaubenserfahrung durch den Geist wahr werden (5.4.2.3), stellt der Ansatz seiner Theologie bei dem Bekenntnis von Chalcedon keinen Widerspruch zum Postulat einer bei der kirchlichen Erfahrung ansetzenden Theologie dar. Auch wenn das Chalcedonense im orthodoxen Gottesdienst nur äußerst selten erklingt, prägt seine Theologie doch eine Vielzahl liturgischer Texte und die kirchliche Erfahrung der Orthodoxie. Dennoch ist auf dem Hintergrund der skizzierten gattungsgeschichtlichen Problematik des Chalcedonense zweierlei hinzuzufügen: 1. Florovskys Theologie versteht sich nicht als logische Rechtfertigung des christlichen Glaubens, sondern will, indem sie von der kirchlichen Erfahrung und d.h. zugleich auch von der Doxologie des chalcedonensischen Bekenntnisses ausgeht, Anleitung zur rechten Praxis des Glaubens 3 Cf E.Schlink: Die Christologie von Chalcedon 81f. Im Chalcedonense tritt das geschichtliche Wirken Gottes - Erwähnung findet nur das Inkarnationsgeschehen dementsprechend ganz in den Hintergrund. 4 Cf ibid. 85 5 Cf ibid. 83 und W.Pannenberg: Grundzüge der Christologie 292
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sein. Gerade so versucht er, die von ihm als verhängnisvoll diagnostizierte Entfremdung der Theologie vom kirchlichen Leben und umgekehrt des kirchlichen Lebens von der Theologie zu vermeiden. Deshalb sind Aussagen zum praktischen Christentum integraler Bestandteil seiner Theologie (10.2). Diese Zielrichtung seiner Theologie wirft Probleme in Hinsicht auf ihre Kommunikabilität auf: Das, was Florovsky unter 'kirchlicher Erfahrung', unter 'Kirchlichkeit' oder unter dem von ihm bevorzugten, sachlich aber gleichbedeutenden Begriff der 'Katholizität' versteht, entzieht sich letztlich einer exakten Definition.6 Was diese Begriffe zu beschreiben versuchen, wird durch keine Institution, kein Dokument und keine Person so verkörpert, daß es derart in ihnen aufgeht, daß die Wahrheit des so beschriebenen Sachverhalts greifbar würde. Der behauptete Wahrheitsgehalt theologischer Aussagen erweist sich für Florovsky erst im Vollzug. Die Wahrheit der gemachten Erfahrung eignet nicht der Erfahrung bzw. dem Erfahrenden, sondern ist ihr bzw. ihm zukommende Wahrheit: der sich selbst in und durch die Kirche zusagende Geist Gottes. Dies ist Florovskys durchgängige Antwort auf die Frage nach der Identität der Wahrheit der Botschaft (5.4) - gerade auch bei der Frage nach der Lehrvollmacht des apostolischen Amtes. Dem apostolischen Bischofsamt und der von ihm als Ausdruck der kirchlichen Erfahrung formulierten Lehre kommt in seinem Denken nicht per se Autorität zu, sondern nur insofern sich in ihm die Katholizität der Kirche ausdrückt (5.4.3.4). Die Kirche stellt das zur Explikation der Erfahrung notwendige Interpretationsmuster7 zur Verfügung. Doch wird die Wahrheit der so explizierten Aussagen nicht durch die Kirche als menschlicher Institution verbürgt. Bürge der Wahrheit ist der sich in der Kirche zusagende Geist Christi selbst. Mit dem Begriff 'Katholizität', die objektiv in der Kirche gegeben sei (5.3.2) und subjektiv angeeignet werden müsse (5.3.3), versucht Florovsky diesen Sachverhalt zu beschreiben. Damit gewinnt er einen das Momenthafte des Phänomens der subjektiven Erfahrung überschreitenden und ihre Kontinuität begründenden Erfahrungs- und Wahrheitsbegriff.8 Nach seiner Überzeugung bilden die individuelle Glaubenserfahrung, die kirchliche Erfahrung und Zueignung 6 Cf Kirche 46 und 5.1. Auch P.Florenskij: Stolp 5-7 konnte und wollte Kirchlichkeit nicht exakt definieren und sah gerade darin den Erweis der lebendigen Bezogenheit auf das kirchliche Leben. 7 Auch als Erschließungsgeschehen verstanden bedarf jede Erfahrung einer dieses Geschehen deutenden Interpretation. Cf W.Pannenberg: Systematische Theologie Bd 1, 78f. 8 Cf W.Pannenberg: Systematische Theologie Bd 1, 57: "Die einzelne Erfahrung vermittelt nirgends absolute, unbedingte Gewißheit, sondern ebenfalls eine Gewißheit, die der Klärung und Bestätigung im Fortgang von Erfahrung bedarf." Andernfalls
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des Geistes Christi deshalb den unlöslichen hermeneutischen Zirkel der Theologie. Zu fragen ist, welcher dieser drei Gesichtspunkte in den Vordergrund tritt. Und: Kann die Theologie auf dieser Grundlage dem kirchlichen Leben gegenüber eine kritische Funktion wahrnehmen? Auf diese Fragen ist unten (11.4) zurückzukommen. Festzuhalten ist an dieser Stelle die prinzipielle Ausrichtung der Theologie Florovskys auf den gelebten Glauben und damit zugleich auch auf das letzte Ziel des Glaubens, die Verherrlichung Gottes. Dieser Charakter seiner Theologie macht nicht nur Florovskys Zurückhaltung gegenüber spekulativen Theologoumena (cf 4.2) verständlich, sondern vermag auch zu erklären (nicht zu begründen!), warum er einem in sich geschlossenen theologischen System gegenüber sehr zurückhaltend ist. S o steht die nicht nur für westlich geprägte Theologen zweifellos trinitätstheologisch problematische Rede von den göttlichen Energien, die Florovsky ausschließlich für die Begründung der Unabhängigkeit des Wesens Gottes des Schöpfers von seiner Schöpfung einführte (7.3), in einer für den Leser seiner Schriften unausgeglichenen Spannung zur Rede von der Wirksamkeit Gottes als Geist. 9 Die
müßte das erfahrende Subjekt seine individuelle Erfahrung zum Gewißheitskriterium raachen und sich damit verabsolutieren. 9 Daß Florovsky sich zur Trinitätslehre nicht eingehend geäußert hat, ist m.E. kein Zufall, sondern durch seinen Christozentrismus begründet (cf dazu 11.2), der weder Platz für eine ausführliche Pneumatologie noch für eine mit Christologie und Pneumatologie abgestimmte Lehre von den göttlichen Energien läßt. Die palamitische Lehre von den göttlichen Energien führt Florovsky nur in seinen Aufsätzen zur Schöpfungslehre und in seiner der Theologie Gregors gewidmeten Skizze Palamas an. Ansonsten redet er ausschließlich von der Wirksamkeit des Geistes Christi. Von daher ist er nur bedingt zu den Neopalamiten der gegenwärtigen orthodoxen Theologie zu rechnen. Für ihn bedeutet diese unterschiedliche Redeweise vom Wirken Gottes offensichtlich keinen Widerspruch. Das ist, bevor man hier auf der Basis neuerer westlicher Theologoumena zur Trinitätslehre die palamitische Lehre problematisiert, grundsätzlich zur Kenntnis zu nehmen. Erkenntnisleitendes Interesse der Rede von den göttlichen Energien ist es, die von keinem Theologen in Ost und West bestrittene Unverfügbarkeit und Weltüberlegenheit Gottes zu wahren. Dem entspricht nach orthodoxem Verständnis die apophatische Theologie, als deren konsequenter Ausdruck die Lehre Gregors zu verstehen ist. Diese Intention teilt Florovsky grundsätzlich. Sie entspricht seinem auf den gelebten Glauben ausgerichteten Verständnis von Theologie. - Zum Verhältnis von westlicher Trinitätstheologie und palamitischer Energienlehre cf D. Wendebourg: Geist oder Energie (besonders 246-250). Trotz der von F.v.Lilienfeld aufgezeigten methodischen Mängel dieser Arbeit (cf F.v.Lilienfeld: Rezension D.Wendebourg 199ff) weisen die systematisch theologischen Bedenken D. Wendebourgs gegen den Palamismus m.E. in die richtige Richtung - zumindest, was Florovskys in 7.3 dargelegte Gedanken anbetrifft.
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aus und für die kirchliche Glaubenserfahrung formulierte Theologie Florovskys versucht nicht, für ihn unabdingbare Wahrheiten - im Fall der Energienlehre: die Unverfügbarkeit und Überweltlichkeit des Wesens Gottes, das um der Freiheit Gottes willen von weltlichen Zusammenhängen grundsätzlich geschieden bleiben muß; im Fall des Wirkens des Geistes Christi: die Nähe Gottes zu den Menschen als personale Begegnung - auf Kosten derselben abzugleichen. 10 2. Insofern Florovsky die Distinktionen des Chalcedonense zum Ausgangspunkt seiner theologischen Überlegungen macht, kann er den damit gegebenen theologischen Problemen der dort formulierten Lehre nicht ausweichen. Die seit Schleiermacher deutlich formulierte "Aporetik der Zweinaturenlehre"11 macht sich auch in Florovskys Theologie bemerkbar, doch versucht er ihr durch ergänzende Erläuterungen zu entgehen. Gerade diese zeigen aber deutlich auf, daß die kirchliche Erfahrung als Korrektiv einer lehrenden Theologie zur Geltung kommt. Dies wird im folgenden an drei Punkten expliziert: an der Christologie (11.2), der Ekklesiologie (11.3) und abschließend an Florovskys theologischem Programm einer neopatristischen Synthese (11.4).
11.2 Christologie und Anthropologie Florovskys asymmetrische Christologie verfolgt das Ziel, die im Bekenntnis von Nizäa und Chalcedon behauptete volle Menschheit und volle Gottheit der Person Jesu Christi zu wahren. Asymmetrisch ist diese Christologie Florovskys, weil Christus keine menschliche Person hat, sondern der göttliche Logos die vollständige menschliche Natur enhypostasiert hat. Damit grenzt sich Florovsky einerseits gegen die Christologie der antiochenischen Schule, insbesondere Nestorius' ab, die in Christus die Vereinigung Gottes mit einem Menschen behauptete, aber die Lebensei/jAeiV Jesu Christi nicht mehr zu denken vermochte. Andererseits will er durch die Betonung der vollen Menschheit Christi monophysitische Tendenzen in der Christologie zurückweisen und die Verschiedenheit der göttlichen und menschlichen Natur in Christus gewahrt sehen (4.1). Florovsky vertritt damit der
10 M.E. lassen sich die Aussagen Florovskys zur Energienlehre nicht mit seinen sehr wenigen trinitätstheologischen Aussagen zu einem geschlossenen Ganzen harmonisieren - was möglicherweise auch an einem falschen Verständnis der Aussagen des Gregor Palamas liegt. Diese These läßt sich angesichts der Dürre des Materials weder falsifizieren, noch verifizieren. 11 W.Pannenberg: Grundzüge der Christologie 291-334
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Intention nach eine paradoxe Christologie: In Christus hat sich Gott bei Wahrung der Wesensverschiedenheit mit einem vollkommenen Menschen vereinigt, ohne daß damit ausgesagt werden darf, Christus sei als die Wesenseinheit von Gott und Mensch ein gegenüber dem göttlichen und dem menschlichen Wesen drittes Zwitterwesen. Dieses grundsätzliche Anliegen verdeutlicht Florovsky durch die Begriffe des "anthropologischen Maximalismus" bzw. "Minimalismus" (4.1). Die Bestimmung Jesu Christi impliziert für ihn notwendig die soteriologische Perspektive: wie ist im Zusammenhang der Christologie vom Menschen zu reden? Florovskys Antwort, die er durch die Unterscheidung zwischen menschlicher Natur und Person expliziert, ist dialektisch: Der Mensch ist sowohl ganz passiv (Naturaspekt) wie auch ganz aktiv (Personaspekt) an der durch Christus geschehenen Erlösung beteiligt. Diese doppelte Perspektive, die die zwei chalcedonensischen Fundamentalunterscheidungen zwischen göttlichem und menschlichem Wesen einerseits und zwischen Natur und Person andererseits reflektiert, bestimmt seine Christologie. Es wäre demnach ein Mißverständnis der grundsätzlichen christologischen Intention Florovskys, wollte man die Unterscheidung zwischen Natur und Person als Zweiteilung des Menschseins verstehen, deren Summe den ganzen Menschen ergibt. Vielmehr ist Christus im Verständnis Florovskys ganz Mensch, indem der Logos die Hypostase der menschlichen Natur ist. Allerdings führt bei Florovsky die neuchalcedonische Interpretation der Enhypostasie, die von der im Chalcedonense formulierten Verschiedenheit der Wesen ausgeht und Person als Individualität versteht, dazu, daß das konkrete Menschsein Jesu Christi in der Darlegung seiner Christologie ganz in den Hintergrund tritt. Bestimmend ist der Aspekt, daß der göttliche Logos das Menschsein Jesu von Nazareth bestimmt. So ist Jesus bereits mit der Inkarnation der Sieger über den Tod (4.2.1), und es bleibt undeutlich, wie er sich auf den Vater bezieht. Daß Florovsky diese Beziehung des Menschen Jesus auf Gott nicht in den Blick nimmt, führt erstens dazu, daß die Trinitätslehre in seinem Denken keine Rolle spielt. Dies ist problematisch, weil die Rede von der Enhypostasie der menschlichen Natur ja gerade darin ihre Berechtigung hat, daß in ihr die Hingabe des Menschen Jesus an Gott den Vater so zum Ausdruck gebracht wird, daß Jesus in dieser Hingabe mit der Person des Sohnes, die sich dem Vater hingibt, identisch ist. Jesus lebte als Mensch nicht, wie es Florovsky und die neuchalcedonische Christologie behaupten, von der Bestimmtheit durch den Logos her - das würde seinem vollen Menschsein nicht gerecht-, sondern aus seiner Hingabe an den Vater. Gerade so erweist er sich als mit dem Sohn Gottes identische Person. In Florovskys Theologie aber ist es Christus als göttliche Person allein, der das Heil verwirklicht; er 407
ist kraft der hypostatischen Union der Herr über den Tod, auch wenn er stirbt (4.4); er ist Sinn und Ziel der Schöpfung (4.2; 8.3); er ist das Haupt seines Leibes, der Kirche (5.2); er und nichts anderes ist es, den der Geist im Glaubenden gegenwärtig macht; er ist das Urbild der Zweinaturenhaftigkeit, die sein Geist den Gläubigen gnadenhaft zuteilt. Mit dieser Betonung der göttlichen Ρ erson als Handlungssubjekt in Christus tendiert Florovskys Christologie zur theologia gloriae. Das Kreuzesgeschehen erscheint nur als Durchgangsstation, das das Sein Gottes in Christus nicht ernsthaft gefährden kann, da Christus bereits mit der Inkarnation als Sieger über den Tod feststeht. Der theologia crucis im lutherischen Sinn kommt gegenüber diesem Verständnis im Denken Florovskys fast keine Bedeutung zu (4.4.1). Die zweite Konsequenz der mit dem Inkarnationsgedanken ansetzenden asymmetrischen Christologie Florovskys betrifft den Charakter der Stellvertretung der Menschen durch Christus. Einerseits denkt Florovsky das Heilsereignis als Geschehen, das bereits mit der Inkarnation verwirklicht ist. Durch die Inkarnation ist die gesamte menschliche Natur bereits in die hypostatische Union mit Gott aufgenommen und dadurch vergöttlicht (4.3). Erlösung ist hier nur denkbar auf dem Hintergrund der platonischen Vorstellung, daß einer alles repräsentieren kann. Diese Erlösung ist andererseits noch nicht vollkommen, insofern der menschlichen Seele die potentia resurrectionis zurückgegeben werden muß. Dies geschieht durch und in der Höllenfahrt Christi. Indem Christus den menschlichen Tod stirbt und dadurch überwindet, hat er der gesamten menschlichen Natur - erneut steht der platonische Stellvertretungsgedanke im Hintergrund - diese potentia resurrectionis eingepflanzt (9.2). Durch diese Erlösungsvorstellung wird das von Florovsky angegebene Motiv der Erlösung, die Liebe Gottes (4.2; 4.4.1), zu einer bloßen Behauptung, die nicht im Zusammenhang mit Aussagen über das göttliche Wesen gemacht wird. Der johanneische Satz 'Gott ist Liebe' bleibt Behauptung und wird ontologisch nicht verifiziert. Der Grund dafür liegt zweifelsohne beim Ansatz der Christologie. Solange eine Christologie mit der Inkarnationsaussage und damit mit der im Chalcedonense behaupteten Verschiedenheit zweier Substanzen, die in einem Individuum zusammengefügt sind, beginnt, kann das geschichtliche Menschsein Jesu von Nazareth ebensowenig in den Blick kommen wie die mit einer bei Kreuz und Auferstehung ansetzenden Christologie notwendig gegebenen Aussagen zur Trinitätslehre. Damit stellt sich die fundamentale Frage, ob Florovskys theologischer Ansatz bei der vom Bekenntnis von Chalcedon bestimmten kirchlichen Erfahrung der Orthodoxie den Aporien, die mit der Zweinaturenlehre gegeben sind, überhaupt entkommen kann. Muß nicht eine der orthodoxen kirchlichen Erfahrung verpflichtete Theologie dem substanzmetaphysischen Denken des Chalcedonense und den 408
damit gegebenen Problemen notwendig verhaftet bleiben? Oder aber kann das unverzichtbare Anliegen des Chalcedonense, das Bekenntnis des wahren Menschseins und wahren Gottseins Jesu Christi, auch so gedacht werden, daß die Geschichtlichkeit Gottes selbst so in den Blick kommt, daß er zwar in die Geschichte eingeht, dieses Eingehen aber gerade als Ausdruck seiner weltüberlegenen Freiheit verstanden wird? Voraussetzung eines solchen Ansatzes wäre eine Trinitätslehre, die Gott von Gott unterscheidet und sein Wesen ontologisch als Liebe, d.h. als gegenseitige Bezogenheit aufeinander und damit auch zur Welt, begreift. Es ist offenkundig, daß damit ein anderer Personbegriff notwendig wird als der altkirchliche, der Hypostasis als fortdauernde Realisierung eines zugrundeliegenden Wesens oder einer Natur verstand12 und damit noch nicht den relationalen Charakter des Personseins in den Blick nahm. An dieser Stelle ist nun allerdings an Florovskys doppelte Perspektive der Christologie zu erinnern: Der Beschreibung der Person und des Werkes Jesu Christi korrespondiert nach seinem Verständnis notwendig die Anthropologie. Bei deren Bestimmung, d.h. bei der Bestimmung der Begriffe 'Natur' und 'Person', wird deutlich, daß er hier gegenüber dem altkirchlichen Verständnis Akzentverschiebungen vorgenommen hat, die das geschichtliche und damit zugleich relationale Moment des Seins zur Geltung bringen. Im Unterschied zur Formel von Nizäa, die von der geschichtlichen Person Jesu von Nazareth ausging und von ihr aussagt, daß sie ganz Gott und ganz Mensch sei, geht die Formel von Chalcedon und damit auch Florovsky von der grundsätzlichen Verschiedenheit des göttlichen und des menschlich-geschöpflichen Wesens aus. Florovsky expliziert diese Verschiedenheit einmal in seiner Inkarnationstheologie (4.3) und ausführlich in seiner Schöpfungslehre (7.3). Gott und die Menschen leben in zwei grundsätzlich voneinander getrennten Seinsweisen. Anders läßt sich, so hatte Florovsky ausgeführt, die Zeugung des Sohnes nicht von der Schöpfung der Kreatur unterscheiden. Der Mensch kann nur dann erlöst werden, wenn Gott selbst die Seinsweise des Menschen teilt, der Sohn also die menschliche Natur annimmt. Der Mensch wird demnach seiner Natur nach erlöst. 'Natur' bezeichnet bei Florovsky allerdings keinen Bestandteil des Menschen, sondern den ganzen Menschen in seiner Verfaßtheit, nicht jedoch in Hinsicht auf seine geschichtliche Individualität. Ihm kommt als gänzlich Passivem die Erlösung von der Sterblichkeit, die Ausdruck seines sündigen Seins ist, zu (9). Dieses Geschehen wird nun nicht in der Gnaden-Terminologie beschrieben, sondern Florovsky denkt, im Anschluß an die griechi12 Cf H.Dörrie: Hypostasis 52ff 409
sehe Patristik13, die Erlösung als 'physische' Erlösung. Dennoch ist deutlich, daß diese Erlösung allein Gottes Tat ist, an der der Mensch keinen aktiven Anteil hat. Der Intention nach wird so das augustinische Anliegen, das die westliche und insbesondere die lutherische Tradition aufgenommen hat, das sola gratia des Heils, "in der sog. 'physischen' Erlösungslehre festgehalten"14. Man würde Florovsky deshalb völlig mißverstehen, wollte man den von ihm gelehrten Synergismus zwischen Gott und dem freien Menschen der im Anschluß an Augustin formulierten lutherischen Lehre vom servum arbitrium gegenüberstellen. Die Frage der Willensfreiheit stellt sich in der griechischen Patristik, die Florovsky verarbeitet, nicht in bezug auf die Frage des Heils, sondern setzt das allein von Gott in Christus gewirkte Heilshandeln voraus, das jedem Menschen zugekommen ist - unabhängig davon, wie er sich willentlich dazu verhält. Genau das versucht Florovsky durch die Rede von der passiven Erlösung der menschlichen Natur zu verdeutlichen. Die Erlösung der menschlichen Natur durch Christus ist die Bedingung der Möglichkeit für das willentliche Handeln des Menschen zur Annahme dieser Erlösung durch seine Person. Bei Luther ist der Wille des Menschen unfrei, weil nur der Wille Gottes dazu in der Lage ist, das, was er will, auch in Geltung zu setzen. Dementsprechend setzt erst die den Menschen rechtfertigende Gnade den Menschen in den Stand, das Gute zu wollen, wobei dieses Wollen selbst Gnadengabe (sola fide) ist. Damit aber treten in dem Augustin folgenden theologischen Denken sowohl das charismatische Element wie auch die Pneumatologie in den Hintergrund. Die individuellen Gnadengaben werden gegenüber der Betonung des alleinigen Wirkens der Gnade kaum thematisch. Genau in diesem Punkt unterscheidet sich die griechisch patristische von der augustinischen, Florovskys von der lutherischen Theologie. Die physische Erlösungslehre, die auf ihre Weise das sola gratia Gottes zum Ausdruck bringt, denkt die Erlösung ohne aktive Beteiligung des Menschen. Doch bleibt diese Erlösung, wenn der Mensch nicht an sie erinnert wird, abstrakt. Sie bedingt und umgreift damit, wenn denn Glaube eine lebendige Sache ist, den Aspekt der aktiven Beteiligung des Menschen an diesem an ihm bereits vollgültig geschehenen Ereignis.1S Diesem gerade auch in Hinsicht auf die kirchliche Erfahrung wichtigen Aspekt kann Florovsky 13 CfA.Schindler: Das Wort 'Gnade' 46-54 14 E.Mühlenberg: Einleitende Nachlese 5. Cf A.Schindler: Das Wort 'Gnade' 56f. 15 Florovsky entspricht damit der griechisch patristischen Lehre zur Willensfreiheit, die zur Überwindung des gnostischen Heilsdeterminismus unter Aufnahme philosophischer Begriffe ihre Lehre von der Willensfreiheit des Menschen entwickelte (cf dazu A.Dihle: Das Problem der Entscheidungsfreiheit, insbesondere 15ff).
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damit weit mehr Raum einräumen (8.3; 10) als dies in lutherischer Theologie möglich ist, da bei ihr die Betonung der Verantwortlichkeit des Menschen in Hinsicht auf seine Heiligung von vornherein im Verdacht eines pelagianischen Synergismus steht, weil das Urteil Gottes über den Sünder nicht nur dessen Rechtfertigung, sondern zugleich auch dessen Heiligung impliziert. Bei Florovsky und der orthodoxen Tradition hingegen wird im Anschluß an die biblischen und patristischen Texte, die anders als Paulus das erlösende Handeln Gottes terminologisch nicht als Rechtfertigungsgeschehen aus Gnade gefaßt haben (z.B.Mt), der Aspekt charismatischen Handelns von dem Ereignis der Erlösung durch Christus unterschieden.16 Deshalb tritt bei Florovsky der Gedanke der Geschichte, die vom Menschen zu gestalten ist, so stark in den Vordergrund des Interesses. Den Aspekt der aktiven Beteiligung des Menschen an seiner Erlösung beschreibt Florovsky mit der Kategorie der menschlichen 'Person'. Erlösung der menschlichen Person ist einerseits ein Erkenntnisakt, die bewußte Zu- und Aneignung des Heils (10.2.2) in der Kirche (10.1), die den Menschen zu einem diesem Heilsgeschehen entsprechenden Handeln befreit (10.3). Die synergistisch gedachte Erlösung der menschlichen Person impliziert somit keinerlei Werkgerechtigkeit. Wie im lutherischen Verständnis die Heiligung der Rechtfertigung entspricht, forensische und effektive Rechtfertigung zwei Seiten derselben Medaille sind, so entspricht der Erlösung der menschlichen Natur durch Christus das den Menschen auf Gott ausrichtende personale Handeln. Deshalb beschreibt Florovsky den sündigenden Menschen als den, der seiner Personhaftigkeit zunehmend verlustig geht (8.2.1), während der Mensch, der durch die als Kraft verstandene Gnade Gottes in dem Maß unterstützt wird, wie er sich Gott zuwendet (8.3), Person wird. Dieses dynamische Verständnis von 'Person', das die menschliche Zuwendung zu Gott und die Gottes zu den Menschen als einander proportional versteht, entpricht zum einen patristischem Denken. Zum anderen geht Florovsky insofern darüber hinaus, als er durch die Betonung, daß der Mensch durch die Beziehung zu Gott Person wird, den relationalen Aspekt des Personseins, der in der Christologie nicht zur Geltung kommt, herausstellt. Dies wird auch in seiner Bestimmung der Katholizität der Kirche, die sich als Einheit der Glaubenden verwirklicht, bedeutsam: Durch die Beziehung auf Christus werden die Christen zur Liebe untereinander befähigt (5.3.3). 16 Die paulinische Gnadenterminologie wurde in der Patristik erst durch Augustin wiederentdeckt. Zur Verwendung des Begriffs 'Gnade' vor und neben diesem cf A.Schindler: Das Wort 'Gnade' 48-54.
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Andererseits schließt dieses relationale Verständnis von 'Person' die ontologische Dimension keineswegs aus, ist also nicht als bloßer Erkenntnisakt zu verstehen. Dies zeigt sich an Florovskys Ausführungen zur Erlösung der Person als Theosis (8.3) oder Leben im Geist (10.2.3). Beide versteht er als energetische oder gnadenhafte Gegenwärtigkeit Gottes im Menschen.17 Ziel des Menschseins ist demnach die gnadenhafte Vergöttlichung des Menschen nach dem Urbild Christi, dessen menschliche Natur in der hypostatischen Union vergöttlicht wurde. Auch hier tut sich m.E. kein sachlicher Unterschied zur lutherischen Rechtfertigungslehre auf: Wird dort als das Ziel der Erlösung das wahre Menschsein des Menschen im Gegenüber zu Gottes Gottsein angesehen, so bildet hier die Vergöttlichung des Menschen, der nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde (8.2.1), das Interpretament der Erlösung. Allerdings ist die lutherische Perspektive, in der der Mensch gesehen wird, entscheidend: er ist der Sünder, der der Rechtfertigung bedarf18. In dieser perspektivischen Hinsicht unterscheidet sich die lutherische Rechtfertigungslehre von Florovskys Verständnis der Erlösung des Menschen hinsichtlich seiner Natur und Person. Während die lutherische Theologie den Menschen durch die doppelte Totalaussage vom simul iustus etpeccator beschreibt, tritt in Florovskys Theologie das Sündersein und das fortwährende Sündigen des Menschen gegenüber der Betonung der Erlösung seiner menschlichen Natur und seiner fortschreitenden Personwerdung in der Vergöttlichung stark in den Hintergrund, obwohl der orthodoxe Gottesdienst in stärkerem Maß als der lutherische die Angewiesenheit des Menschen auf das Erbarmen Gottes betont. Die Gegenwart des Heils, die eschaiologie inaugurate, verdrängt im Denken Florovskys den Aspekt der trotz der bereits in Christus geschehenen Erlösung - faktischen Wirksamkeit der Sünde in der noch nicht erlösten Welt. Dies wird an seiner Eschatologie (10.4) besonders deutlich: Aussagen über das Gericht nach den Werken fehlen. Ihre Stelle nehmen in Florovskys Theologie Aussagen zur Bedeutsamkeit des geschichtlichen Handelns des Menschen ein: Der Mensch, der sich in seinem Leben Gott zugewandt hat, wird, von der Verwandlung seines Leibes abgesehen, als der die ewige Gottesgemeinschaft erfahren, der er geschichtlich gewesen ist; umgekehrt hat sich der, der in seinem Leben der Sünde verhaftet blieb, zur ewigen 17 Christus ist demnach nicht bloße Chiffre der Zweinaturenhaftigkeit (cf 4.), da die Vergöttlichung als personale Gegenwart Gottes im Menschen verstanden wird. 18 Cf Luthers Disputatio de homine. Daß auch die lutherische Tradition den Gedanken der Vergöttlichung aufnehmen kann, zeigen z.B.die Lutherlieder EKG 15,6 und 17,6.
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Existenz in Gottesferne verdammt. Damit überwiegt in Florovskys Erlösungslehre einerseits klar der Gedanke der Verschiedenheit der im Chalcedonense behaupteten Naturen und damit die Eigenständigkeit und Freiheit sowohl der Menschen wie auch Gottes. Andererseits führt die Betonung der Gegenwart Gottes im Glaubenden dazu, daß Florovsky den auch als Glaubenden faktisch noch sündigenden Menschen nicht in den Blick nimmt. Daß der Mensch in der Welt noch unter dem Kreuz Christi steht und nur durch und im Kreuz Anteil an der Herrlichkeit Christi hat, fällt bei einer die theologia gloriae ins Zentrum rückenden Christologie kaum ins Gewicht. Dies wird in Florovskys Ekklesiologie besonders deutlich.
11.3 Ekklesiologie Nach Florovsky wird die Kirche durch Christus konstituiert, der sakramental an sich selbst Anteil gibt und so die Glaubenden zu seinem Leib formt (5.2). Dieser Leib ist, insofern Christus der Kirche seine beständige Gegenwart verheißen hat und sich sakramental sichtbar zueignet, einerseits geschichtliche Realität, die andererseits die Grenzen von Raum und Zeit sprengt, insofern die Christusgegenwart die Glaubenden aller Zeiten zu einem Leib vereint und damit die Katholizität der Kirche manifestiert (5.3). Dementsprechend kommt der Kirche als Institution oder einem einzelnen Glaubenden nicht per se Autorität zu. Ihr Leben und ihre Verlautbarungen sind nur wahr, wenn und indem sich in ihnen Christus in der Kraft seines Geistes den Menschen mitteilt (5.4). In diesem Sinn bildet die Kirche nach Florovskys Überzeugung die 'Ergänzung' des Wirkens Christi, d.h. in ihr und durch sie setzt Christus allein sein Wirken durch die Geschichte hindurch fort, indem er sein ein für allemal geschehenes Heilswerk zueignet. Kirche ist deshalb nur insofern Kirche, als sich Christus in ihr zusagt. In diesem Sinne ist es konsequent, wenn Florovsky die Ekklesiologie als Unterkapitel der Christologie verhandelt und in ihr im Anschluß an die Unterscheidung des Chalcedonense die menschliche Dimension von der göttlichen unterscheiden will. Doch wie bereits in der Christologie treten die Aussagen zur menschlichen Seite gegenüber der Betonung des göttlichen Wirkens in der Kirche in den Hintergrund seiner ekklesiologischen Erörterungen. Daß die Kirche als Versammlung sündiger Menschen an sich selbst die Gebrochenheit sündiger Existenz erfährt, ist in Florovskys Theologie kaum denkbar. Zwar steht sie nach Florovskys richtiger Auffassung der sündigenden Welt gegenüber, kann und darf sich aus ihr aber nicht zurückziehen, sondern muß in ihr 413
Zeugnis für das Heil in Christus ablegen (5.5; 10.3.1f). Auch erscheint die Menschheitsgeschichte angesichts der willentlichen Verfehlung des ihr gesetzten geschöpflichen Daseinszieles als tragisch (7.4). Doch berührt diese Existenz der Sünde in der Welt nicht das Sein der Kirche selbst. Zwar gibt es Abstufungen im Prozeß der Vergöttlichung, da sich die Menschen in unterschiedlicher Weise Gott zuwenden (8.3; 10.2.1); sie also in verschiedener Weise heüig sind, was ursächlich, von Florovsky so bezeichnenderweise nicht formuliert, durch ihr beständiges Sündigen bedingt ist. Doch hat diese Erkenntnis für Florovsky keine Auswirkungen auf die Beschreibung des kirchlichen Lebens. Nur ein einziges Mal kommt er in seinem Gesamtwerk darauf zu sprechen, daß die Menschen, die sich in der Kirche versammeln, als Erlöste noch Sünder sind. Demnach wäre die Kirche ein corpus permixtum. Diese notwendige Aussage, die eine fundamentale Differenz zwischen Christus und seiner Kirche markiert, wird aber bereits in unmittelbarem Anschluß an diese Stelle durch die Behauptung zurückgenommen, die Kirche sei das vorweggenommene Eschaton.19 Vom Leben in der ewigen Gottesgemeinschaft unterscheidet sie sich nach Florovskys Überzeugung nur noch in Hinsicht auf die Zahl der Menschen, die zu ihr gehören (5.5; 10.4). Wie ist diese Betonung der göttlichen Wirksamkeit in der Kirche und die mangelnde Einsicht in die Sündhaftigkeit ihrer Glieder - die für das Verständnis von Kirche nicht folgenlos bleiben kann, da Kirche zumindest nach ihrer menschlichen Seite die Summe ihrer Glieder ist - zu erklären und welche Folgerungen ergeben sich daraus für die ökumenische Verständigung? Florovsky betont zu Recht, daß die Kirche nicht als bloß menschliche Versammlung von Gläubigen zu verstehen ist, ihr Wesen demnach nicht aus menschlichem Wollen und Denken erschöpfend erklärt werden kann. Die Kirche ist der sich in der Kraft seines Geistes zusagende Christus, der das Haupt seines Leibes bleibt. Durch die starke Konzentration auf diese eine biblische Metapher vom Leib Christi gelingt es Florovsky jedoch nicht, das Gegenüber von Christus und Kirche, die ja immer auch Versammlung von Menschen ist, zu deuten. Zwar lebt die Kirche nach dem Verständnis des NT ausschließlich vom sich vergegenwärtigenden Christus, doch geht er nicht so in ihr auf, daß sie, analog dem enhypostatischen Verständnis der menschlichen Natur Jesu Christi, ihren Selbststand in Christus hat. Vielmehr sind es sündigende Menschen, die in der Kirche handeln. Kriterium einer rechten Ekklesiologie muß es demnach sein, das die Kirche konstituierende Handeln Gottes und die Gott an sich handeln lassenden sündigen Menschen so zusammenzudenken, daß die zu Recht triumphalistische Rede von der 19 Cf Corps 23
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Gegenwart Gottes auf Erden in seiner Kirche die Gebrochenheit der sündigen Existenz der Glaubenden nicht verdeckt. Dies geschieht dadurch, daß die theologia cruris auch in der Ekklesiologie voll zum Tragen gebracht wird. Florovsky akzentuiert an diesem entscheidenden Punkt insofern anders, als er zwar die Kirche allein durch den sich zueignenden Christus konstituiert sieht, eine Differenz zwischen der durch Menschen handelnden Kirche und Christus aber nicht behauptet. Vielmehr steht er mit seiner Ekklesiologie sachlich römisch-katholischen Aussagen zur Kirche nahe, wonach die Kirche nur in Hinsicht auf einzelne Glieder, nicht aber selbst sündig ist: Ecclesia in proprio sinu peccatores complectens, sancte simul et semper purificanda, poenitentiam etrenovationem continuoprosequitur.20 Demgegenüber hat Luther die Heiligkeit der Kirche gerade darin begründet gesehen, daß sie sich selbst als größte Sünderin (magna peccatrix) erkennt und damit dem ihr Sein konstituierenden, die Sünden vergebenden Handeln Gottes in Jesus Christus die Ehre gibt: Quaemodo haec est Sancta et peccatrix? Credit remissionempeccatorum et dicit: 'debita dimitte'. Hoc nemo dicit, nisi qui sit sanctus.21 Die Erkenntnis des Sünderseins der Kirche ist somit die unabdingbare Kehrseite dessen, daß sie sich als allein durch die Gegenwart Christi konstituierte weiß. Diese Einsicht bringt zur Geltung, daß die Gegenwart Christi in der Kirche die Gegenwart des um der Sünder willen Gekreuzigten ist, dessen Heil in der Todesverfallenheit der Welt gegenwärtig ist (2Kor 4,7-12), in seiner Vollendung und herrlichen Allgegenwärtigkeit aber noch aussteht (2Kor 4,14). Es wäre nun allerdings voreilig, auf der Grundlage des gegebenen Kriteriums rechter Ekklesiologie Florovsky vorzuwerfen: nondum cosiderasti quodponderitpeccatum. Einerseits darf man die - wenn auch wenigen - Aussagen Florovskys zur Sündigkeit der Glieder des Leibes Christi, die angesichts der sein Denken bestimmenden Rede von der Gegenwart Christi in der Kirche ganz in den Hintergrund der Erörterungen getreten sind, nicht gänzlich vernachlässigen. Florovsky ist sich der Gebrochenheit der christlichen Existenz, die in der orthodoxen Liturgie stark im Vordergrund steht22,
20 Constitutio dogmatica de Ecclesia ('Lumen Gentium') a.8 LThK.EII,174. Cf zum Gehalt den Kommentar A.Grillmeiers ibid.175 21 M.Luther: Predigt am Ostersonntag (9.April 1531) WA 34/1, 276,8f. Cf dazu EJüngel: Die Kirche 453ff. 22 Daß Florovsky diesen Aspekt für sich persönlich sehr ernst genomen hat, zeigt nicht nur seine Wirksamkeit als Priester, die er neben seinen akademischen Verpflichtungen beständig wahrgenommen hat, sondern auch sein protokollierter Diskussionsbeitrag aus dem Jahre 1931 bei seinem Besuch bei Karl Barth in Bonn (cf G.Steck 92):
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durchaus bewußt, doch bestimmt die Erlösung von eben dieser Gebrochenheit durch Christus seine Ekklesiologie. Andererseits ist der von Florovsky selbst konstatierte fragmentarische Charakter seiner Ekklesiologie zu berücksichtigen. Zu ihrer Formulierung konnte er kaum auf zusammenhängende spezifisch orthodoxe Lehraussagen zur Kirche zurückgreifen.23 Dennoch mußte er, als die ekklesiologische Frage in den Vordergrund der ökumenischen Diskussion zu rücken begann (2.2.2), eine orthodoxe Ekklesiologie darlegen, obwohl er in seinen Ausführungen nicht mehr als die Vorarbeit zu einer orthodoxen Lehre von der Kirche sehen wollte.24 Angesichts der evangelischen Rede vom coetus fldelium, die nach seiner Überzeugung die menschliche Seite der Kirche ungebührlich in den Vordergrund der Ekklesiologie rückt, wollte er die göttliche Gegenwart in der Kirche herausstellen. Diese durch die ökumenische Konfrontation motivierte Intention ist angesichts der Zurückhaltung innerhalb der evangelischen Theologie und Kirche, die Gegenwart Gottes auch neben bzw. im weiteren Kontext von Wortverkündigung und Sakramentsausteilung feiernd darzustellen, nicht nur verständlich, sondern durchaus berechtigt.25 Diese historischen Einsichten machen seine Gewichtung dieses Aspektes der Gegenwart Gottes in der Ekklesiologie verständlich. Zugleich aber läßt sich auch ein theologischer Grund für diese Gewichtung angeben, der deutlich macht, daß Florovsky in seiner Ekklesiologie, auch wenn sie ausführlicher gewesen wäre, den Gedanken der Gegenwart Gottes in den Mittelpunkt seiner Erörterungen gestellt hätte: Es ist dies seine Christologie, zu der die Ekklesiologie nur ein Unterkapitel sein soll. Hat in seiner Christologie die "physische Erlösungslehre" bedingt, daß, von der Erlösungstat Christi unterschieden, von der Freiheit der Person und ihrem synergistischen Handeln geredet wird, so wird in der Ekklesiologie die Kirche zuerst als durch Christus konstituierter Leib beschrieben, in dem Florovsky habesich dort selbst als " 'eschatologischen Christen'" bezeichnet. "Er sei das im Sinne einer Erwartung definitiver Erfüllung, Verklärung und Gerichtes am Ende der Tage." 23 Cf P.Hauptmann: Die ekklesiologische Neubesinnung 224f 24 Cf Corps 9-12 25 Mit dieser Aussage soll selbstverständlich nicht über CA VII hinausgegangen werden, doch belegen für den lutherischen Bereich die theologischen Überlegungen zum Symbolbegriff, beispielsweise zur erneuten Aufnahme altkirchlicher Symbolhandlungen im Bereich der Taufe, oder zu mehr als nur den Hör- und Geschmackssinn beteiligenden Gottesdienstformen, daß hier ein Nachholbedarf existiert, der m.E. nicht als Anpassung an die Bedürfnisse des heutigen Menschen, sondern als Ausdruck einer gewissen Vereinseitigung der lutherischen Ekklesiologie auf das als Verbalgeschehen verstandene und damit theologisch verkürzte Wortgeschehen zu interpretieren ist.
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sich Christus durch Zeugnisse und Zeugen kundtut. Aussagen zur menschlichen Seite der Kirche als Ganzer, die der Beschreibung der Wirksamkeit Gottes in der Kirche zur Seite treten müßten, fehlen jedoch, abgesehen von 5.3.3, nahezu vollständig: In Kap. 10 konnte nur in Rekapitulation des in Kap. 5 Gesagten von der Kirche als dem Ort der Erlösung gesprochen werden.26 Diese einseitige Betonung der göttlichen Seite der Kirche erscheint trotz der aufgezeigten historischen Kautelen deshalb kein Zufall, weil auch bei Florovskys Aussagen zum synergistischen Handeln der menschlichen Personen deren Sündersein gegenüber der Bestimmtheit durch die Gegenwart Gottes stark in den Hintergrund getreten ist. Dadurch erscheint die Kirche in seiner Theologie überwiegend als eschatologische Wirklichkeit, die, indem sie einseitig unter der Perspektive der Gegenwart Gottes beschrieben wird, dazu nötigt, die Eschatologie ekklesiologisch aufzuheben. Dies ist nicht nur insofern bedenklich, als dadurch die Differenz zwischen der geschichtlichen Existenz der Kirche und dem Eschaton sowie die zwischen Christus und seiner Kirche eingeebnet werden. Problematisch ist dieser Ansatz vor allem deshalb, weil auch Florovskys Aussagen zur kirchlichen Erfahrung als Kriterium der Theologie den Aspekt der Gebrochenheit glaubender Existenz kaum berücksichtigen. Auf dieses Problem ist abschließend in der Diskussion der von Florovsky postulierten theologischen Methode einer neopatristischen Synthese einzugehen.
11.4 Das Programm einer neopatristischen Synthese Florovskys theologisches Programm einer neopatristischen Synthese (6) besticht durch die Stringenz der Argumentation und die Chancen, die er ihm für eine genuin orthodoxe Theologie ebenso einräumt wie für die Einigung der getrennten Kirchen überhaupt (10.3.3.4). Die von ihm postulierte 'Rückkehr zu den Vätern' will keine schlichte Repetition von Kirchenväteraussagen sein, sondern die kreative Aneignung und Verarbeitung ihres Denkstils, des 'christlichen Hellenismus'. Nur durch diesen dynamischen Umgang mit der Patristik kann seiner Ansicht nach die zeitübergreifende
26 Dies ist umso bedauerlicher, als Florovskys Aussagen zum kirchlichen Amt (5.3.4; 5.4.3.4) dadurch für das ökumenische Gespräch fruchtbar zu sein scheinen, als er das apostolische Amt der Katholizität der Kirche unterordnet, um den christologischen Konstitutionszusammenhang der Kirche zu wahren: Nicht dem Amt, sondern der Kirche eigne Unfehlbarkeit. Wie, so muß man jedoch fragen, stellt sich Florovsky diese Unfehlbarkeit konkret vor?
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und sich gleichbleibende Katholizität der Kirche, die Erfahrung des die Glaubenden vereinenden gegenwärtigen Christus, gewahrt werden. Das Programm einer neopatristischen Synthese ist demnach gleichbedeutend mit dem Ansatz der Theologie bei der kirchlichen Erfahrung (2.4; 3), weil beide die Reflexion auf die lebendige Christuserfahrung vollziehen wollen. Diese Zielangabe deckt sich überraschenderweise mit dem grundsätzlichen Anliegen A.v.Harnacks. Nur wandte sich dieser gerade deshalb gegen die Hellenisierung des Christentums, weil er durch deren Kategorien und Denkstrukturen die Lebendigkeit der Glaubenserfahrung dogmatisch fixiert und deshalb abgetötet glaubte. Wendet sich Harnack also im Namen der lebendigen Glaubenserfahrung gegen den Hellenismus der kirchlichen Tradition, weil dieser dem Glauben den Zwang zur Systembildung, zum Dogmatismus, aufnötige, und fordert die Rückkehr zur Erfahrung Jesu selber27, so tritt Florovsky für den christlichen Hellenismus, ja für eine Rehellenisierung des christlichen Denkens ein, weil er gerade in ihm die Bezeugung der Lebendigkeit der Erfahrung Christi gesichert sieht. Daß dem gemeinsamen Anliegen der Überwindung des theologischen Dogmatismus zwei diametral entgegengesetzte Lösungsvorschläge gegenüberstehen, hat seinen Grund in den unterschiedlichen Vorstellungen vom geschichtlich handelnden Christus. Nach Florovskys Überzeugung ist das Zeugnis der Kirche wahr, weil Christus in ihr gegenwärtig ist und seine Zeugen bevollmächtigt und heiligt (5.4). Gerade deshalb aber, so folgert er, lassen sich Katholizität, Patristik, Historismus und christlicher Hellenismus nicht voneinander trennen, sondern bedingen einander (6). Die Frage dieses Unterkapitels ist, ob diese Folgerung zurecht gezogen werden kann. Das Ziel des Programms einer neopatristischen Synthese ist es, den Zusammenhang von kirchlicher Erfahrung und diese explizierender Theologie zu wahren. Die kirchliche Erfahrung umgreift das gesamte Geschehen von Kirche; sie faßt die individuelle Glaubenserfahrung, die menschlichen Bezeugungen der Wahrheit Gottes und den sich in ihnen zusagenden und sie 27 E.P.Meijering weist zu Recht darauf hin, daß Harnack den "Sündenfall" des Christentums in der Übernahme der formalen Denkstrukturen des griechischen Hellenismus, die inhaltliche Eigenständigkeit des neutestamentlichen Evangeliums dagegen aber sehr wohl gewahrt gesehen habe, und bemerkt dazu kritisch: "Wenn nur die formale Parallele im Neuen Testament weiter nicht wichtig ist, dann ist sie es auch nicht in der späteren Lehrentwicklung. Ist sie aber in der späteren Lehrentwicklung wichtig, dann ist sie es auch in den neutestamentlichen Schriften." (Die Hellenisierung 78f; cf auch ibid.133-135). Auf die Debatte um die Hellenisierung des Christentums in der Alten Kirche sei hier nicht näher eingegangen. Meijerings verdienstvolle Analyse der Wandlungen der Position Harnacks hilft allerdings, falsche Frontstellungen zu vermeiden.
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bewahrheitenden Heiligen Geist Christi in einem Begriff zusammen. Die oben (11.1) gestellte Frage lautete, wie diese drei Komponenten eines hermeneutischen Zirkels im Denken Florovskys gewichtet werden. Zwischen dem "Hyperhistorismus" des römischen Katholizismus, der die Wahrheit im kirchlichen Amt verbürgt sehe und so den menschlichen Bezeugungen der Wahrheit Gottes einseitig Gewicht verleihe, und dem "Hypereschatologismus" des Protestantismus, der dem menschlichen Zeugnis nichts, Gott aber alles zutraue28, nimmt Florovsky eine Mittelstellung ein. Einerseits hält er daran fest, daß es Gott selbst sei, der sein Zeugnis bewahrheitet. Andererseits aber habe sich Gott selbst an die menschliche Form dieses Zeugnisses, den christlichen Hellenismus, gebunden. Dieser sei eben deshalb die "ewige Kategorie christlicher Existenz" geworden.29 Die Kirchenväter haben ihren Glauben in den Denkstrukturen und sprachlichen Kategorien der griechischen Philosophie ausgedrückt und so den christlichen Hellenismus geschaffen. Die so geschaffene Umwandlung philosophischen Gedankenguts durch spezifisch christliche Inhalte ist nicht bestreitbar. Fraglich ist allerdings, ob sie vollkommen und so gelungen ist, daß die christlichen Inhalte auch in angemessener Weise zum Tragen gekommen sind. Die spätestens seit der Aufklärung formulierten Bedenken gegen die klassische Metaphysik, die in Hinsicht auf den Gottesbegriff letztlich den Zusammenhang zwischen göttlichem Wesen und seinem heilsgeschichtlichen Handeln nicht mehr zu denken erlaubt30, haben ihre Ursache in der von den Vätern unternommenen Verchristlichung des Hellenismus. M.E. ist deshalb W.Pannenberg zuzustimmen: "Heute [...] ist die Einsicht unvermeidlich geworden, daß bei der Umschmelzung des philosophischen Gottesbegriffe durch die frühchristliche Theologie erhebliche Reste zurückblieben, die in der Geschichte des christlichen Denkens zur Belastung geworden sind. Deswegen darf nun aber nicht kurzschlüssig die Beseitigung der metaphysischen Elemente aus dem christlichen Gottesgedanken gefordert werden; denn damit würde die Theologie zwangsläufig den universalen Anspruch Gottes auf alle Menschen preisgeben. Aber eine Aufarbeitung jener nicht verschmolzenen Reste bleibt der Theologie aufgegeben. Sie ist gerade für die Aufrechterhaltung der Kontinuität mit der Theologie und insbesondere mit der Gotteslehre der Alten Kirche unerläßlich."31
28 Cf Problematika 12 und 5.5. 29 Puti 509 (engl.11,297) 30 Cf dazu E.Jüngel: Gott als Geheimnis der Welt. Dieses Werk konzentriert sich mit großer Klarheit auf die Darlegung gerade dieses Problems der Gotteslehre und die daraus erwachsenden Aporien. 31 W.Pannenberg: Der philosophische Gottesbegriff 45
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Pannenberg und Florovsky wollen demnach beide die Kontinuität christlicher Theologie dadurch wahren, daß die Antworten der Väter in der Gegenwart kreativ verarbeitet werden. Während Pannenberg jedoch der Auffassung ist, man könne im christlichen Hellenismus zwischen spezifisch philosophischen und spezifisch christlichen Argumentationssträngen unterscheiden, behauptet Florovsky die unlösliche und analytisch nicht mehr zergliederbare Verbindung beider Denktraditionen. Faktisch jedoch belegen einerseits seine Patrologien, in denen er sehr wohl philosophische Momente und Verirrungen der Theologie der Väter aufzuzeigen vermag, und andererseits das Faktum, daß Florovsky nirgends definiert hat, was der christliche Hellenismus sachlich enthält, daß dieser als Kriterium einer neopatristischen Synthese weniger ein inhaltliches, als vielmehr tin formales Kriterium ist. Angesichts dieses Tatbestandes stellt sich die Frage, ob Form und Inhalt, wie es Florovsky behauptet, einander so bedingen, daß die Glaubensinhalte ausschließlich in diesen Denkstrukturen aussagbar sind. Voraussetzung dafür aber ist die Antwort auf die Frage, ob Florovskys inhaltlich unscharfes Kriterium des christlichen Hellenismus und sein Postulat einer Rehellenisierung des Christentums überhaupt allgemein, d.h. nicht nur für Orthodoxe kommunikabel sind. Da der christliche Hellenismus als Kriterium genuin orthodoxer Theologie nach Florovskys Überzeugung von den drei anderen Kriterien, dem der Katholizität der Kirche, der Patristik und des Historismus, nicht getrennt werden darf, ist die gestellte Frage nach der Kommunikabilität durch eine kritische Untersuchung des Verhältnisses der Kriterien zueinander zu beantworten. 1. Als von den anderen nicht loslösbares Kriterium ist nach Florovskys Überzeugung der christliche Hellenismus nur denen in vollem Umfang zugänglich und verständlich, die an der Katholizität der Kirche teilhaben. Das aber bedeutet, da er die orthodoxe Kirche für die einzig wahre Kirche hält, in der allein die Fülle der Gegenwart Christi und die Fülle der christlichen Wahrheit zuhanden ist, daß der christliche Hellenismus nur von orthodoxen Christen praktiziert werden kann. Eine Ökumenische Theologie, die methodisch "als Ökumenismus in der Zeit" (ecumenism in space) (10.3.3.4) ausgearbeitet wird, wäre somit nur Orthodoxen möglich und verfehlt damit ihr Ziel: alle Kirchen zu einen.32 Für die orthodoxe Theologie selbst scheint demgegenüber der Ansatz beim christlichen Hellenismus in der Tat der 32 Es bedürfte einer genauen Klärung, ob nicht auch die hellenistischen Kategorien der Reichskirche des 4.und 5.Jahrhunderts ursächlich mit dafür verantwortlich waren, daß die orientalischen Kirchen sich in ihnen nicht wiederentdecken konnten und es damit zum Schisma kommen mußte.
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einzig richtige Weg zu sein, wenn Kirchlichkeit und Theologie nicht auseinanderfallen sollen. Ist aber eine orthodoxe Theologie, die die Orientierung an den Denkstrukturen des christlichen Hellenismus zum Programm hat, in der Lage, als gegenwartsbezogene Theologie zeitgemäß zu sein? 2. Der Gegenwartsbezug der orthodoxen Theologie kommt für Florovsky gerade darin zum Ausdruck, daß sie sich auf der Grundlage ihrer Tradition, der Patristik, zu der im weitesten Sinn alle kirchlichen Verlautbarungen, die Hl.Schrift eingeschlossen, gehören, der Gegenwart stellt. Eine Idealisierung der Vergangenheit ist mit diesem Ansatz nicht gegeben, vielmehr ermöglicht nach Florovskys Überzeugung die Ausrichtung an der Katholizität der Kirche auch eine deutliche Kritik der Tradition und, wie nicht nur Puti belegen, auch an bestimmten Theologen der Kirche. Das Kriterium der Patristik ist damit trotz gewisser inhaltlicher Ausrichtung auf bestimmte Denkmodelle33, ein Formalkriterium. Nicht die Repetition alter Texte, sondern die schöpferische Aneigung des dort Ausgeführten ist deshalb der für Florovsky sachgemäße, weil gegenwartsbezogene Umgang mit ihnen. Diese Aneignung müsse schöpferisch geschehen, weil die jeweilige Gegenwart neue Fragen stelle. Theologie als Explikation der gegenwärtigen kirchlichen Erfahrung für die Gegenwart ist demnach in jedem Fall zeitgebunden. Florovsky bringt dieses Moment dadurch zum Ausdruck, daß er den Orthodoxen eine spezifische Art der Zweisprachigkeit zuschreibt: Da sie die westlichen Pseudomorphosen der Theologie durchdacht hätten, zugleich aber in ihrer Kirche die genuine Tradition der einen Kirche lebten, seien sie in besonderer Weise dazu berufen, die vom kirchlichen Leben losgelöste Theologie des Westens an dieses zurückzubinden.34 Angesichts des insbesondere in den westlichen Kirchen spannungsreichen Verhältnisses von wissenschaftlicher Theologie und kirchlichem Leben wäre dies zweifellos wünschenswert und dringend erforderlich, so daß die westliche Theologie auf derartige Versuche von orthodoxer Seite gespannt sein darf. Florovskys eigene Theologie genügt diesem Postulat jedoch nicht. Sie vermag die spätestens mit der Aufklärung gestellten Fragen an die Theologie - zu denken ist hier insbesondere an den Verlust eines allgemein 33 Überblickt man die Texte, die Florovsky zur Unterstützung seiner theologischen Aussagen heranzieht, so ist der größte Teil der griechischen Patristik entnommen, ohne daß sich bestimmte Präferenzen ausmachen lassen. Der Bezug auf Augustin, Gregor Palamas, Duns Scotus und vereinzelt auch auf russische Theologen dieses und des letzten Jahrhunderts zeigt jedoch, daß der Begriff 'Patristik' von Florovsky in einem viel umfassenderen Sinn gebraucht wird als das, was man in der theologischen Forschung unter patristischer Theologie versteht. Diese Erweiterung ist bedingt durch den Bezug auf die anderen drei Komplementärkriterien einer neopatristischen Synthese. 34 Cfo.S. 384 Anm. 238
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anerkannten Wahrheitskriteriums, an die Autoritätenproblematik und an die Kritik der klassischen Metaphysik - nicht zu beantworten, sondern bleibt den mit letzterer unmittelbar verbundenen Problemen verhaftet (cf 11.2f). Dieser Tatbestand ist nun aber weder demfragmentarischenCharakter der Theologie Florovskys noch seiner Zurückhaltung geschlossenen theologischen Systemen gegenüber zuzuschreiben, sondern hat seine Ursache in den von ihm selbst aufgestellten Prämissen seiner Theologie. Zwar lehnt er es um der Freiheit des die Tradition bewahrheitenden Geistes Christi willen ab, die Patristik auf einen bestimmten Zeitraum zu begrenzen (5.4.3.2), doch hat sie, in diesem Sinn als Formalprinzip verstanden, in den sie ergänzenden Kategorien des christlichen Hellenismus und der Katholizität der Kirche faktisch eine Grenze: Sowohl der christliche Hellenismus als Denkstruktur wie auch die Patristik sind, da der Begriff der Katholizität die beständige Gegenwart Christi in der Kirche umschreibt, geheiligt, d.h. sie sind nicht Veränderungen zu unterwerfen oder gar zu ersetzen, sondern, wie Florovsky dies am deutlichsten in Hinsicht auf den Textbestand der Dogmen formulierte (5.4.2.3), unantastbar. Nun zeigt aber gerade die Ausbildung eines christlichen Hellenismus in der Alten Kirche, daß die Christen damals nicht versuchten, die Erfahrung des Glaubens ausschließlich in den Kategorien ihres eigenen (hellenistisch-) jüdischen Glaubens zu explizieren, sondern auch philosophische Kategorien verarbeiteten, die den gebildeten Menschen damals geläufig waren, um so gemäß IKor 9,20-23 die Sache des Glaubens, die als Wort vom Kreuz für die Welt in jedem Fall eine Torheit ist (IKor 1,18), dem Denken ihrer Hörer in verständlicher Weise zu bezeugen. Gerade so entsprach die Alte Kirche der notwendigen, auch von Florovsky nicht bestrittenen, Zeitgebundenheit jeder Theologie. Wenn Florovskys am Formalprinzip der Patristik in Verbindung mit dem christlichen Hellenismus ausgerichtete Theologie dennoch zeitgemäß sein will, setzt er entweder voraus, daß die Bezeugung der an diesen Kriterien ausgerichteten Katholizität auch heute noch für Christen evident ist. Gerade aber für den durch die geistesgeschichtlichen Fragestellungen und Folgen der Aufklärung geprägten und bestimmten Menschen des 20Jahrhunderts ist die Evidenz dieser Kategorien problematisch. Angesichts dieses Sachverhalts ist es wahrscheinlich, daß es zu einer Konfrontation der einen mit der anderen Wirklichkeitsdeutung, nicht aber zu einem von Florovsky ja gerade geforderten einheitlichen Verstehen der Gegenwart im Zeichen der Offenbarung Christi kommt.35 Eine Konfrontation der jeweiligen Gegen35 Wenn man in diesem Zusammenhang - was angesichts des von Florovsky erhobenen Anspruchs an das Programm einer neopatristischen Synthese durchaus sachge-
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wart mit einer diese Gegenwart nur teilweise und z.T. auch gar nicht treffenden oder beschreibenden "Wahrheit" bleibt aber leer und führt gerade nicht zu dem mit der Zusage des Evangeliums an den Sünder einhergehenden neuen Selbst- und Wirklichkeitswahrnehmung, deren Explikation die Theologie dient. Oder aber Florovsky setzt voraus, daß die den ganzen Menschen betreffende kirchliche Erfahrung die Vernunft und das Denken des von ihr Betroffenen so verändert, daß diese Neuheitserfahrung keine Verbindung zur j eweiligen individuellen Vergangenheit zu denken erlaubt und gerade so und nur so einsichtige Erfahrung ist. Die Gegenwartsbezogenheit der die kirchliche Erfahrung explizierenden Theologie vollzöge sich dann als radikaler Bruch mit der eigenen Vergangenheit. Die biblische Rede von der 'neuen Kreatur' (2Kor 5,17), die für diesen Zusammenhang fruchtbar gemacht werden könnte, meint jedoch nicht den durch den Glauben bereits an und für sich veränderten neuen Menschen, sondern den, der in Christus und dessen vor Gott stellvertretendem Sein (2Kor 5,19) ganz neu geworden ist. Hier ist erneut die Differenz zwischen Christus und der Kirche, in der er sich sündige Menschen zu seinem Leib versammelt, zu beachten. Florovskys Ansatz steht hingegen durch die Betonung der Identität von kirchlichem Zeugnis und sich zueignender Christusgegenwart in der Gefahr, diese Differenz zu vernachlässigen. 3. Zentral für eine ökumenische Verständigung wird damit die Frage, wie die Gegenwart Christi in der Kirche zu denken ist. Florovskys Behauptung der beständigen Gegenwart Christi in der Kirche führt in Verbindung mit dem vierten Kriterium seines Programms einer neopatristischen Synthese, dem Historismus, zur Behauptung einer Heiligung menschlicher Handlungen und Äußerungen in der Kirche. Heilig und damit wahr sind sie allerdings auch für Florovsky nicht per se, sondern nur durch die ihnen zukommende Bezeugung ihrer Wahrheit durch den Geist Christi. Diese aber ist, und darin liegt das theologische Problem, in der Kirche beständig gegeben. Florovskys Verständnis der Ekklesiologie als Unterkapitel der Christologie hat demnach für diese Fragestellung zur Folge, daß seiner Überzeugung nach die Besinnung auf die historisch identifizierbaren geheiligten Traditionen der Kirche sowohl die Chance einer bei ihrer Sache bleibenden orthodoxen Theologie als auch die zur Kircheneinheit bietet. Wer aber ist in diesem Zusammenhang die Kirche? Wie schon bei der maß ist - über den europäisch geprägten Kulturraum hinausblickt und an die sog. 'jungen' Kirchen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas mit ihren dem europäisch geprägten Denken gegenüber ganz anders gearteten Denkstrukturen denkt, wird die angesprochene Konfrontation noch unversöhnlicher.
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Ekklesiologie stellt sich erneut die Frage, welcher Gesichtspunkt im Vordergrund des Denkens Florovskys steht: die Bewahrheitung der menschlichen Zeugnisse des Glaubens durch Gott selbst oder aber die Bindung Gottes an bestimmte menschliche Formen. Mit dem Kriterium des Historismus verfolgt Florovsky das Ziel, die Geschichtlichkeit der Offenbarung Gottes in Jesus Christus für die Methode der Theologie fruchtbar zu machen. Die Wahrheit der Offenbarung ist nach seiner Überzeugung keine Satz- oder Systemwahrheit und auch keine je neue an die Glaubenserfahrung des einzelnen gebundene Wahrheit, sondern der sich geschichtlich in der Kirche zueignende Christus selbst. Das Kriterium des Historismus soll damit die Faktizität des geschichtlichen Wirkens Gottes vor gedanklicher Abstraktion und subjektivistischer Geisterfahrung sichern. Das berechtigte Anliegen dieses Gedankens und die Intention des Ansatzes Florovskys muß als kritischer Maßstab gerade auch für die westliche Theologie ernstgenommen werden. Bei seinem eigenen Entwurf bleibt das Kriterium des Historismus jedoch insofern abstrakt, als Florovsky die beständige Gegenwart des Geistes Christi in der Kirche manifestiert sieht, ohne angeben zu wollen, wer oder was sie verkörpert. Florovsky wendet sich zwar gegen die Auffassung, die Wahrheit Christi manifestiere sich für jeden Glaubenden je neu, kann aber nicht benennen, wo sie sich ohne Rekurs auf den diese Wahrheit empfangenden Menschen realiter zueignet und sichtbar ist. Gerade hier zeigt sich das Dilemma der von Florovsky eingenommenen Mittelposition zwischen römischem Katholizismus und "Protestantismus". Mit dem Kriterium des Historismus will er weder das offizielle Lehramt noch die Konzentration auf die individuelle Glaubenserfahrung dogmatisch vertreten, wohl aber die particula veri beider Ansätze aufrecht erhalten, die greifbare Kontinuität des geschichtlichen Wirkens Christi nämlich wie auch die Unverfügbarkeit seiner Gegenwart. Kontinuität und Unverfügbarkeit als Einheit zu denken, gelingt Florovsky jedoch nur annäherungsweise, da er den Gesichtspunkt der Unverfügbarkeit Gottes in der Kirche nicht in konkreter Weise zu beschreiben vermag. Auch diese Problematik ist eine Konsequenz der bereits oben aufgezeigten Vernachlässigung der menschlichen Seite kirchlicher Wirklichkeit, die wiederum Folge seiner Christologie ist. Die unverzichtbare Spannung zwischen diesen Polen der kontinuierlichen Gegenwart Gottes und seiner gleichzeitigen Unverfügbarkeit kann jedoch nur erhalten bleiben, wenn man die theologia crucis, d.h. die Verborgenheit der Gegenwart Gottes im Menschen Jesus Christus zur Geltung bringt. Nur die präzise Unterscheidung zwischen Gott und Mensch kann Florovskys richtige Intention, die Kontinuität der Gegenwart des unverfügbaren Gottes unter den Menschen auszusagen, wahren. Diese Gegenwart 424
wird jedoch nicht durch die Kirche, d.h. durch sündige Menschen, verkörpert, sondern allein durch Gott selbst geschenkt, dies aber durch Menschen. Gottes Wort ergeht in den Gestalten der Wortverkündigung und der Sakramentsausteilung grundsätzlich in menschlicher Sprache und unterliegt damit ebenso grundsätzlich der Möglichkeit der Mißdeutung und des Mißverstehens. Gerade in dieser Spannung entspricht die Verkündigung des Wortes Gottes in der Kirche dem menschlichen Sein Jesu Christi (IKor l,18ff). Die Wahrheit des in menschlicher Sprache ergehenden Wortes Gottes wird nicht durch Menschen verbürgt, sondern ist das durch den Geist Gottes selbst verbürgte und damit sola gratia zugeeignete Geschehen des den Sünder zur Wahrheit seiner Existenz bekehrenden Glaubens (sola fide), der die allein in Christus geschehene Erlösung der Sünder (solus Christus) als seine Erlösung annimmt. Die Kontinuität der Kirche besteht demnach gerade in dieser sich je neu zusagenden Christusgegenwart, doch bleibt sie als geschichtlich greifbare Einheit verborgen und ist gerade so (Hebr 11,1) Gegenstand des Glaubens. Indem dieser so auf jeden Versuch verzichtet, Gottes Gegenwart vorgängig - sei es im kirchlichen Lehramt, in der Behauptung der Verbalinspiration der Schrift oder in Konzilsbeschlüssen sichern zu wollen, entspricht er der Offenbarung Gottes in Jesus Christus: Gott eignet sich den Menschen als Mensch zu und ist allein Subjekt seiner Gegenwart. Gerade so aber sichert der Glaube in einer dem menschlichen Vermögen vollkommen entzogenen, weil göttlichen Weise die Kontinuität seiner Gegenwart bei den Menschen. Die von Florovsky erhobene Forderung einer gemeinsamen Besinnung auf die Vergangenheit der Kirche als Weg zu ihrer Einheit ist demnach nur insofern sachgemäß, als sie zu einer Besinnung auf den die Kiche begründenden und erhaltenden Herrn der Kirche, Jesus Christus selbst, aufruft. Weder die Kirche als von Gott begnadete Gemeinschaft von Sündern noch der Rekurs auf einen Abschnitt ihrer Geschichte sichert ihr Sein, sondern Gott selbst, der sich in ihr durch Wort und Sakrament zueignet und sie dadurch zur Kirche macht (CA VII). Es ist deshalb zu unterscheiden zwischen dem das Christusereignis bezeugenden menschlichen Handeln und der dieses Handeln als Wahrheit konstituierenden Gegenwart des Geistes Christi. Kriterium der kirchlichen Theologie bleibt demnach das Eingeständnis, daß sie als von sündigen Menschen formulierter Versuch, die Wahrheit des Heilsereignisses in Christus zu bezeugen, irren kann. Die Kirche ist in keiner ihrer Aussagen unfehlbar. Es ist zweifellos die Stärke der Argumentation Florovskys, daß der Gedanke der Unfehlbarkeit der Kirche bei ihm nur am Rande erscheint36 und 36 Cf Corps 54 und 5.4.3 (4)
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damit die Einsicht in die Abhängigkeit kirchlicher Aussagen von der sie bewahrheitenden Gegenwart des Heiligen Geistes ganz in den Vordergrund tritt. Doch wird diese Einsicht durch die Behauptung der bleibenden, weil durch den Geist geheiligten Autorität des christlichen Hellenismus zugleich in Frage gestellt. Damit tritt die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Anspruchs einer Konfession auf die Tradition der Kirche in unnötiger Weise in den Vordergrund des ökumenischen Gesprächs. Unnötig ist diese Akzentuierung Florovskys deshalb, weil die Kirchengeschichte belegt, daß jede Konfession, die sich von der Kirche loslöste, in diesem Akt der Loslösung die Treue zur Tradition der einen Kirche bewahrt zu sehen meinte. So war es ja gerade nicht das Ziel der Reformatoren des 16.Jahrhunderts, eine eigene Kirche zu gründen, sondern den katholischen Glauben der Una Sancta zu reformieren und ihm die Treue zu halten. Hier bietet auch der formale Rekurs auf die Hl.Schrift keinen Ausweg, da, wie Ernst Käsemann prägnant feststellt, diese nicht die Einheit der Kirche, sondern die Vielzahl der Konfessionen begründet, so daß W.Pannenberg zurecht behauptet: "Jede Konfessionskirche findet in der Schrift ihre Vergangenheit."37 Konsequenz dieser historischen Beobachtung kann deshalb nicht der Streit um die Rechtmäßigkeit des Anspruchs auf die Tradition sein, sondern das gemeinsame Suchen nach der Beantwortung der den Kirchen gestellten Fragen ihrer jeweiligen Gegenwart aus und in der Perspektive der Vergangenheit und der Zukunft ihres Herrn Jesus Christus. Denn nicht die Vergangenheit der Kirche als Geschichte ihrer Spaltungen macht den Gedanken der Kircheneinheit für alle Christen verpflichtend, sondern der sich vergegenwärtigende Christus. Er ist, wie Florovsky selbst konzediert, in geheimnisvoller Weise schon jetzt Grund der Einheit aller getrennten Konfessionen in der einen Kirche (10.3.3.1.U.3) und wird die Glaubenden am Ende der Zeit zu seinem einen Leibe formen. Gerade weil die von ihm jetzt noch verborgene und am Ende der Zeiten in Fülle geschenkte Einheit die Kirchen vereint, ist das Faktum der Kirchentrennung schuldhaftes Versagen der Menschen an Gott. So verstanden ist die ökumenische Bemühung Konsequenz und Ausdruck der theologia crucis. Florovsky hat dies in ähnlicher Weise gesehen, wenn er an einer Stelle das Streben nach der Kircheneinheit als Weg des Leidens an der sündhaften Spaltung der Christenheit versteht, der die in Christus offenbarte Verheißung ihrer eschatologischen Überwindung gilt.38 Durch sein der Intention nach unbestreitbar richtiges Kriterium des Historismus hat er diese Aussage
37 W.Pannenberg: Was bedeutet es 215f
38 Cf Loyalty 202 426
jedoch insofern problematisiert, als die den Christen auferlegte Bemühung um ein Verstehen der Wahrheit Christi durch die von ihm postulierte unabdingbare Verbindung mit dem christlichen Hellenismus den Blick auf eine bestimmte, geschichtlich beschreibbare menschliche Weise dieser Bemühung ablenkt. Allerdings ist der von Florovsky inhaltlich nicht definierte und deshalb letztlich doch formale Charakter des Kriteriums des christlichen Hellenismus ein Hinweis darauf, daß er den Aspekt, daß Gott seine Wahrheit durchsetzen wird, allen menschlichen Versuchen vorordnet. Gerade darin erweist er sich als "eschatologischer Christ", dessen Theologie vom "eschatologischen Optimismus", der seinen Grund in der Offenbarung Gottes in Christus hat, getragen ist. Florovskys vier Kriterien einer zeitgemäßen Theologie als neopatristischer Synthese finden somit nach seiner Überzeugung in Christus ihre Wahrheit. Er ist das Sachkriterium der Theologie. Da Florovsky seine formalen Kriterien jedoch nicht so beschreiben kann, daß hinter ihnen eine konkrete, menschliche Wirklichkeit sichtbar wird, bleiben sie letztlich abstrakt und sind damit nicht allgemein kommunikabel. Florovsky hat dies selbst gesehen: "Vermutlich wird auch diese hier gegebene Beschreibung nur auf diejenigen überzeugend wirken, die zur [sc.orthodoxen] Kirche gehören."39
11.5 Fazit Florovskys Theologie läßt sich, wie es die Arbeitshypothese dieser Untersuchung gewesen ist, zu einem in sich geschlossenen Gedankengebäude systematisch zusammenfassen und darstellen, was methodisch durch die erstaunliche Kontinuität des Denkens Florovskys ermöglicht wird. Die anhand seiner Biographie erhobenen Kriterien einer von ihm postulierten 'neuen orthodoxen Philosophie' (2.4) werden dem Anspruch nach von seiner Theologie erfüllt. In sich ist sie stimmig. Daran ändern die erhobenen Einwände aus lutherischer Sicht nur insofern etwas, als der erhobene Anspruch der für alle Christen gegebenen Kommunikabilität der neopatristischen Synthese nicht eingelöst werden kann. Dieser Einwand ist jedoch nur ein theologisch begründeter Einwand gegen die angewandte Methode dieser Theologie. Sie ist, darauf hat Florovsky hingewiesen, und die Rezeption dieses Ansatzes innnerhalb der heutigen orthodoxen Theologie beweist dies, für die orthodoxe Theologie sicherlich ein Weg, ihre Identität,
39 Kirche 46 und 5.1.
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die sie als Identität durch die Geschichte hindurch versteht, zu wahren. Sie muß sich allerdings der Kommunikabilitätsproblematik, die sich mit jedem auf die Erfahrung rekurrierenden Ansatz einer Philosophie oder Theologie stellt, gerade auch in Hinsicht auf die ökumenische Verständigung bewußt sein. Daß sich jedoch die vier von Florovsky gegebenen Kriterien einer neopatristischen Synthese letztlich der exakten Begriffsbestimung entziehen, entspricht dem Charakter seiner Theologie: sie will eben nicht losgelöst von der Erfahrung das begrifflich formulieren, was sich dem Zugriff des Begriffs letztlich immer entzieht und seine Möglichkeiten übersteigt: die Gegenwart Gottes. Eine ebenso präzise wie knappe Beschreibung dieser Gegenwart Gottes auf Erden ist die augustinische Formel vom Totus Christus. Mit ihr, die den Zusammenhang von Christologie und Ekklesiologie zwingend macht, beschreibt Florovsky die fortwährende Gegenwart Gottes auf Erden. Das Heilsereignis in Christus bestimmt seine gesamte Theologie, die sich darin als kirchliche erweist, daß sie dieses Heilsereignis in Aufnahme des kirchlichen Bekenntnisses von Chalcedon zu explizieren versucht. Strukturprinzip der Theologie Florovskys sind die Unterscheidung zwischen der göttlichen und der menschlichen Seinsweise sowie die zwischen Natur und Person. Mit diesen Unterscheidungen vermag Florovsky das Zusammenwirken von Gott und Mensch bei gleichzeitiger Betonung der ihnen eigenen Freiheit herauszuarbeiten. Dadurch gelingt es ihm die charismatische Seite des Christseins, die Verantwortlichkeit des Menschen für seine Geschichte, detaillierter zu beschreiben, als dies zumindest der lutherischen Tradition möglich ist, da sie Rechtfertigung und Heiligung nicht in dem Maße unterscheidet, wie Florovsky die Heilung der menschlichen Natur von der der menschlichen Person. Die durch den Ansatz beim Bekenntnis von Chalcedon bedingten und aufgezeigten Probleme der Theologie Florovskys, die sich immer wieder der Frage zuwandten, ob die theologia crucis und damit das Menschsein Jesu Christi und der Menschen, ihre Existenz vor Gott als zur Sünde Gemachter (2Kor 5,21) bzw. als Sünder und Gerechte zugleich, bei Florovsky hinreichend zur Geltung gekommen ist, sind demnach die negative Kehrseite dieser dem theologischen Denken Florovskys harmonisch integrierten Aussagen zum praktischen Christsein. Beide Aspekte als Spannungsverhältnis zu begreifen und zu wahren, wäre der theologisch notwendige Versuch, den Ansatz der Theologie Florovskys bei der von der Gegenwart Gottes bestimmten kirchlichen Erfahrung der Orthodoxie für das ökumenische Gespräch fruchtbar zu machen. Der im gesamten Christentum immer stärker ins Bewußtsein tretenden Erfahrung άζτ Abwesenheit Gottes, deren militanter Ausdruck der politische Atheismus und deren mindestens ebenso gefährlicher Ausdruck der schleichende Traditionsab428
bruch sowie die Entkirchlichung ganzer Bevölkerungsgruppen sind, muß durch die theologische und. kirchlich praktische Konzentration auf Gottes gnadenhaft zugeeignete A nwesenheit und die inaugurierte Veränderung der Welt begegnet werden. Dazu ist die Besinnung auf die Rede vom Totus Christus dann sinnvoll, wenn sie grundsätzlich, wie es auch bei Florovsky geschieht, auf das Solus Christus zurückkommt, und die Kirche ausschließlich in ihm Leben und Sein findet.
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V. Literaturverzeichnis
1. Werke Florovskys Die bislang umfassendste Bibliographie der Arbeiten Florovskys erschien 1973 in der von David Neiman und Margaret Schatkin herausgegebenen Festschrift für G.V.Florovsky: The Heritage of the Early Church. Essays in Honour of Georges Vasilievich Florovsky (=OrChrA 195). Rom 1973, 437-451. Da die in den letzten beiden Jahren zügig fortgesetzte Herausgabe der Gesammelten Werke Florovskys in ihrem letzten Band eine vollständige Bibliographie enthalten soll, habe ich auf eine solche verzichtet. Im folgenden werden nur die für die Arbeit benutzten Titel angegeben. imAnschluß an den verwendeten Kurztitel kennzeichnet Arbeiten Florovskys, die in der oben genannten Bibliographie nicht verzeichnet sind. nach der Angabe des Fundorts gibt an, daß dieser in der oben genannten Bibliographie nicht enthalten ist. 'CW' (Collected Works) mit folgender römischer Ziffer verweist auf die Werkausgabe der Arbeiten Florovskys: CW I = Bible, Church, Tradition: An Eastern Orthodox View1 (= Volume One in the Collected Works of Georges Florovsky). Belmont, Mass. 1972 CW II = Christianity and Culture (= Volume Two in the Collected Works of Georges Florovsky). Belmont, Mass. 1974 CW III = Creation and Redemption (=Volume Three in the Collected Works of Georges Florovsky). Belmont, Mass. 1976 CW IV = Aspects of Church History (= Volume Four in the Collected Works of Georges Florovsky). Belmont, Mass. 1975 CW XI = Theology and Literature (= Volume Eleven in the Collected Works of Georges Florovsky). Vaduz/Belmont, Mass. 1989 CW XII = Philosophy. Philosophical Problems and Movements (= Volume Twelve in the Collected Works of Georges Florovsky). Vaduz/ Belmont, Mass 1989 1 Dieser Band liegt jetzt in einer deutschen Übersetzung vor: Georgij V.Florovskij: Sobornost. Kirche, Bibel, Tradition. München (Kyrill und Method Verlag) 1989. (Besprechung des Bandes voraussichtlich 1991 in der Zeitschrift Kirche im Osten)
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CW XIII = Ecumenism I. A Doctrinal Approach (= Volume Thirteen in the Collected Works of Georges Florovsky). Vaduz/Belmont, Mass 1989 CW XIV = Ecumenism II. A Historical Approach (= Volume Fourteen in the Collected Works of Georges Florovsky). Vaduz/Belmont, Mass 1989 In der Regel werden, soweit nicht auf eine nichtenglischsprachige Version zurückgegriffen wird2, die Aufsätze, die bereits in den CW enthalten sind, nach dieser Ausgabe aufgeführt und auch zitiert. Der frühere Publikationsort ist oben genannter Bibliographie zu entnehmen. Da die Werkedition der Arbeiten Florovskys jedoch in mancherlei Hinsicht außerordentlich unbefriedigend ist3, wird in einigen Fällen nicht nach den CW sondern nach den Originalen zitiert, die Parallelstelle in den CW, soweit vorhanden, jedoch angegeben. Zwecks zeitlicher Einordnung der Einzelarbeiten Florovskys folgt der Titelangabe der in die CW aufgenommenen Aufsätze in Klammern das Abfassungsjahr. Die Arbeiten Florovskys werden in der alphabetischen Reihenfolge der in den Anmerkungen und im Text verwendeten Kurztitel aufgelistet. Abkürzungen nach S.Schwertner: Abkürzungsverzeichnis zur "Theologischen Realenzyklopädie" Berlin 1976. Weitere Abkürzungen: cf = confer = vergleiche ibid. = ebenda VRChD = Vestnik Russkogo Dvizenija VRChSD = Vestnik Russkogo Studen2eskogo Dvizenija Zitiert wird grundsätzlich nach der zuerst genannten Angabe. 2 Liegt von einer Arbeit eine englische oder deutsche Übersetzung oder aber ein Wiederabdruck in den CW vor, so wird in den Anmerkungen nach dem Kurztitel des Originalfundortes, nach dem zitiert wird, die Übersetzungsfundstelle durch die Kürzel 'engl.' = englisch bzw. 'dt.' = deutsch mit der betreffenden Seitenzahl angegeben. 3 So wurden die falschen Belegangaben Florovskys schlicht reproduziert und Zitate, insbesondere in den Puti, nicht verifiziert. Auch fehlen grundsätzliche Aussagen zu den editorischen Grundsätzen, so daß unklar bleibt, weshalb einige Aufsätze doppelt, andere wichtige hingegen überhaupt nicht (z.B. Corps, Idea, Ιάέβ, Dva Zaveta u.a.) abgedruckt wurden. Die von mir literarkritisch erhobene Eigenart Florovskys, sich ständig selbst zu zitieren, wurde an keiner Stelle berücksichtigt. Verwirrend ist aber insbesondere, daß in den 1989 erschienenen Bänden der CW Aufsätze herausgegeben wurden, die ihre Originalvorlagen, ohne dies an irgendeiner Stelle zu vermerken, kürzen (so z.B. Problematika, Vue, Encounter, Ecum.Movement, Utopizm u.v.a. [Dies wurde im Literaturverzeichnis jeweils vermerkt]) oder gar außereinanderreißen (z.B. Loyalty, Vue). Wenn demnach bei einigen Fundortangaben nur der Originalbeleg, nicht aber, obwohl dies an anderer Stelle geschieht, der Beleg für die CW angegeben ist, so ist dies keine Nachlässigkeit, sondern Ausdruck des bedauerlichen Faktums, daß das betreffende Zitat in den CW nicht abgedruckt wurde. Auf eine Verifizierung der CW-Angabe wurde nur dann verzichtet, wenn in den CW nur noch Fragmente des Originals (z.B. Problematika) abgedruckt worden sind.
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Chichester Chitrost'
Christ Christianity Christianin Chrysostom Church Church of God
Church Universal Communion
Corps
Cur Diaconate Dialogue
Disunity
Doctrine
Dom Dva Zaveta Eastern Fathers'
434
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Ecclesia Ecumenisml9
Ecum.Movement
Eins in Christus
Elements
Einflüsse
Encounter
Ephesians'
Ethos Eucharist Evcharistija
Evolution Faith Fourth Century Function
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435
Gospel Greek Version Hagia Sophia Hellenism High Calling His Church
Holy Spirit Iconoclastic Idea
IMensch ->Freiheit, menschliche Apokatastasis 395f Arbeitsweise Florovskys 19f, 23, 26, 140, 146,152,333, 343,349, 384 ->Werke Florovskys Askese 325, 358/ Auferstehung 144,149,151-154, 286, - Antizipation der 350 - Identität in 392 - des Leibes 329-332 - potentia resurrectionis 150, 334, 343f
- Sieg über Tod 150f - Veherrlichung 153 Autorität 215 - abgeleitete 226 - charismatische 250 -des Amtes 251 - des Heiligen Geistes 226 - der Kirche 226 - der Konzile 250,296 - der Hl. Schrift 226, 229 - der Tradition 214, 224, 253f - der Väteraussagen 249 Bedeutung Florovskys 5,13f, 91, 401 Bewußtsein - katholisches 24,164,199 - kirchliches 210,270 ->Katholizität ->Erfahrung Bischof 203f, 245, 25 lf, 369 Bolschewismus 34f, 47, 56, 92, 401 Böse, das 40,131, 301, 318-321 - Definition 310, 312 - ewige 319, 394 - Herkunft des 311f - Wirkungen des 318
455
->Siinde branchtheory 375f Buße 128, 268, 319f, 342, 396 Chalcedonense 86f, 111-119,127, 132, 143,145,156,159,161,169,182, 258, 346, 402f, 408f - existentielle Dimension 113 - hermeneutischer Schlüssel 113 - Strukturprinzip der Theol. 157,402, 428 - zeitgemäß 118f ->Christus ->Natur ->Person Christologie 109-159, 328-336 - asymmetrische 115,332, 406 - chalcedonensische 156-159 - doketische 135 - Gliederung der 114 - Grundlage der Theol. 154f, 157 - paradoxe 407 - und Ekklesiologie 100,165-179 - und Schöpfungslehre 126f Christsein 2 9 9 , 3 3 7 , 338, 344,352-357, 428 - gemeinschaftlich 1 7 1 , 1 7 9 , 1 8 1 , 339 - ideales 259 - j e individuell 352 - in der Kirche 172 - i n der Welt 259, 350f - vollkommenes 372 Christus/Christi - Freiheit 141 - Haupt des Leibes 184,186, 408 - Himmelfahrt 152-155 - eine Hypostase 115, 134 - hypostatische Union 130,150, 408 - Inkorporation in 185f, - und Kirche 165f - Lebenshingabe 116,141 - Leiden 142, 364 - Menschsein 407f - und seine Mutter 135 - Mensch auf Ewigkeit 130 - menschliche Natur 115, 187f, 328, 346 - Prädestination 123
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- status exaltationis 180 - Stellvertretung 408 - totus Christus 1 5 , 1 0 2 , 1 8 5 f , 244, 349, 428f - Ziel der Geschichte 300 - Ziel der Schöpfung 132, 322, 408 - zwei Naturen 114-116, 133 ->Auferstehung ->Christologie ^ I n k a r nation ->Sündlosigkeit ->Theotokos ->Tod Jesu Dogma 238-244 - Entfaltung des 270 - und Erfahrung 104,156f, 403 - und Glauben 238 - Hermeneutik des 241f - und Kerygma 230f - und Liturgie 98 - unveränderbares 241 Dogmatik 240, 241, 242f, 389 Einheit der Kirche 162,187-207, 250, 366-368 - Abbild der Trinität 188,199, 207 - aufgegebene 188, 367 - dynamisches Prinzip 189 - eschatologisches Ziel 7 8 , 1 8 8 - gegebene 188, 369 - göttliches Gebot 78, 426 - historisch 369f - in Vielfalt 207 - in Wahrheit 373 - katholische 206 - durch Liebe 173f, 198f, 348, 373 - sakramentale 188, 345, 348 - Subjekt der 173,351, - nicht Uniformität 369 - unsichtbare 3 6 7 , 3 8 2 - hist. Wirklichkeit 385 - zerbrochen 259 ->Katholizität -> Kirche ->Ökumene Ekklesiologie 71, 7 7 , 1 6 0 - 2 6 0 , 3 3 9 f , 357-388, 413 - Ansatz der 1 6 7 , 1 8 1 - und Christologie lOOf, 160f, 169f,
175,179, 413, 416 - eucharistische 202,349 - Gliederung der 160-162 - Hermeneutik der 163f - Nähe zu Augustin 185 - pneumatologisch 100,166f, 177 - Problem der 163 - Ziel der 169 ->Kirche Energien Gottes 25, 295-298, 3 2 2 , 4 0 5 f Entmythologisierung 303 Epigenesis 3 0 5 , 3 1 8 Erfahrung - eucharistische 180,190, 346 - des gegenwärtigen Christus 101 - und Dogma 104, 389 - geistiger Hellenisation 274 - innere 36 - katholische 267 - kirchliche 48, 54f, 9 3 , 1 0 1 , 1 0 5 , 226f, 235, 264, 351, 370, 401f, 408, 418 - als Kirchlichkeit 9 8 , 1 8 1 - liturgische 195, 2 3 5 , 3 3 3 - mystische 384 - religiöse 48, 55, 238, 280f, 374 - Verschiedenheit der 370 Erkenntnis - religiöse 95-103 - dogmatische 95, 242 - durch Offenbarung 96 - und Glaube 96 - und Kirche 97f Erlösung 396f, 407 - Aneignung der 340-352 - nur in Kirche 339, 378ff - von Sünde 329, 337 - physische 410 - durch Tod 129 ->Mensch Erlösungslehre 328-397 - Gliederung der 158f, 338 -juridische 129f, 147,149, 315 - russ.- orth. 129f, 131 Erinnerung 233 Eschatologie 255-260,389-397
- Begriffeklärung 255 - enteschatologisieren 254 - Gericht 358f, 392f, 395f, 412 - und Geschichte 3 9 0 , 3 9 2 - inauguree 257, 363, 397, 412 - kosmische 256,350, 358 - eschatol.Optimismus 253 - präsentische 63 - spezielle 389, 397 - Themen der 255, 389 - der Umgestaltung 358 - Voraussetzung der 287 Eucharistie 180,193-196, 345-351 - Anamnesis/Eucharistia 233, 347f - kath.Sakrament 191 - kosmische Dimension 194, 350f - ontol.Vereinigung 193f, 345f - ontol. Offenbarung 346 - Opfer 195 - Proskomidie 348 - Sakrament der Einheit 194 - zeitaufhebend 195f ->Abendmahl ->Gebet ->Gottesdienst ->Kommunion ->Sakramente Eurasier 32ff, 43f, 56f Ewigkeit ->Zeit Fall, der 311-317 - und Inkarnation 120 Freiheit - und Liebe 141 - und Notwendigkeit 38, 45, 47 - in der Ökumene 373f - und Prädestination 46 Freiheit Gottes 121, 288-298 - absolute 288 - Antinomie der 284 - Begrenzung der 309, 318, 394 - kontingente 281 - schöpferische 190 - als Unabhängigkeit 280 Freiheit, menschliche 42ff, 131, 298307, 364 - anarchistische 45 - a l s A u f g a b e 157, 344, 391
457
-
auswählende 287 aus Gehorsam 138 empfängliche 308 Grenzen der 308f relative 288 religiösen Lebens 35 bei Renouvier 51ff schöpferische 35, 41, 44, 51f, 358 und Sünde 116 tätige 302, 364 zum Unheil 200, 287, 306, 309, 319, 396 - Unterstützung der 320 - Urstandsfreiheit 308 - Wahlfreiheit 313, 350f Gebet 232, 346f, 353-357 - der Gemeinde 347 - freies 354 - gemeinschaftliches 355f - interesseloses 355 - katholisches 355 - persönliches 353f - Pflicht 353 - Sekretgebet 347 - Stehen vor Gott 353 - üben 354 - Weg zu Gott 353 - Ziel des 355, 357 Gericht, jüngstes ->Eschatologie Geschichte 209, 298-307 - a l s A u f g a b e 139, 283, 287 - Bundesgeschichte 102 - dualistischer Prozeß 306 - Dynamik der 224, 302f - dyotheletisch 304, 393 - Ende der 390f - als Entwicklung 37, 40, 52, 300 - und Eschatologie 257, 299f, 390,392 - gemeinsame 386f - Gott in 118, 134, 178, 272 - heilige 218 - Heilsgeschichte 232f - Israels 222 - Kontinuität der 219f, 223
458
- keine Nationalgeschichte 371 - Negation von 392 - Sinn der 219 - Sinnlosigkeit der 41 - als Synergie mit Gott 93, 299 - Tragik der 41, 45ff, 307, 395, 414 - unabgeschlossene 224, 390 - Wesen der 298ff - Ziel der 390f ->Eschatologie ->Kontingenz Geschichtliches Denken 35 Geschichtsverständnis - biologistisches 283, 302 - deterministisches 30f - fatalistisches 263 - Florovskys 22, 46, 50f, 53, 56, 71, 93, 209, 214, 254, 270, 286, 298-307, 322, 330 - westliches 270, 300f Geschichtsphilosophie 35, 42 Glaube - Authentizität des 248 - bekennender 370f - christozentrischer 166 - dogmatischer 238 - Entgeschichtlichung des 303 - und Erfahrung 96, 238 - Geschichtlichkeit des 171 - Quellen des 98f, 224, 244 Gnade 138, 323f, 380 - Gefäß der 324, 396 - gewalttätige 335 - sola gratia 336, 410 - Taufgnade 343f, 353,381 - zwingt nicht 320f, 345, 396 Gott - Aseität Gottes 292f - Einfachheit Gottes 296 - Gegenwart 424f, 428f - Lebensspender 315, 321, 326 - der Schöpfer 283 - Sein Gottes 288-298 - unverfügbar 424 ->Energien Gottes ->Freiheit Gottes ->Liebe Gottes ->Trinitäslehre -
>Wille Gottes ->Wirken Gottes Gottesdienst 74,102,229-238 - Anamnesis 232f - Antwort 232 - didaktischer 234 - Erlebnisdimension 356 - eucharistischer 194, 231 - geschichtlicher Charakter 102 - identitätssichernd 236 - ist Theologie 234 - als Theophanie 231 Gotteslehre 280,297f ->Trinitätslehre Heilige 196f, 326, 349 Heiliger Geist 101,168f, 177, 253f Heiligung 325f, 423 - eucharistische 350 - des Kosmos 341, 350 - von Worten 240, 423 Heilsgeschichtliche Konzeption 127f Heilsökonomie 168, 177,184, 295, 298 Hellenismus, christlicher 235, 239, 241, 270f, 285f, 289, 362, 417, 419 Hermeneutik 156, 267, 404f - der Hl.Schrift 216ff ->Autorität Historismus 269, 423f Hölle 309, 333f, 394 Höllenfahrt Christi 328,332-336 « Ikonen 136, 268, 333, 347, Inkarnation 133-140 - Heilsbedeutung der 124f, 13 - Menschwerdung 15, 45, 53,119 - Motiv der 119-132,157 - personaler Aspekt der 134 - Sinn der 119f, 124,183 - Sinn der Schöpfung 121, 126 ->Christus ->Mariologie Interkommunion 373 Israel 171f, 221f Jurisdiktion 70f, 81, 82„206
katholisieren 191f, 200f, 207 Katholizismus, römischer 38,374,385, 419, 424 Katholizität - Begriffsherkunft 189f - consensus patrum 247 - und Einheit 187,189-192, 371, 388 - durch Eucharistie 193-196 - Gabe und Aufgabe 192ff, 197 - durch Gebet 353f - innere 190, 247 - Kommunikabilität der 420f, 427f - objektive 193,197 - und Ökumene 386f - und Personalität 207, 352 - als Qualität 190, 268f - Sobornost' 190, 270 - subjektive 193,197- undefinierbar 404 - und Wahrheit 245-247, 274f - zeitübergreifende 191f, 233, 340 Kenose 125,130f, 309, 394 Ketzertaufstreit 378f Kirche 160-260,339f, 357-388 - apostol.Gemeinschaft 173, 207 -Aufgabe der 359 - Bild der Ewigkeit 194 - coetus fidelium 77,165f, 416 - communio in sacris 179f - corpus permixtum 258, 414 - creatura verbi 193 - Definitionen von 164,180 - ecclesia discens 251 - ecclesia militans/triumphans 196 - eine 189, 368 - Ekklesia 170-179 - eschatologische Dimension 162f, 255260 - eschatol.Gemeinschaft 255 - Fortsetzung der Inkarnation 170,183f, 339 - Fortsetzung des Heilswerks 15, 367 - Fortsetzung der Himmelfahrt 155 - Gegenwart Christi 165, 423 - Gegenwart des Hl.Geistes 178
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- göttliche Natur 169, 258f - Grenzen der 71,378-381 - Heiligkeit der 196f, 207 - Identität der 210 - neues Israel 221f - Leib Christi 77,162,177-187, 256, 339, 348 - magna peccatrix 415 - menschliche Natur 169,182,188, 258f, 424 - neue Schöpfung 102 - nicht vollkommene 382 - Organismus 181f, 340 - orthodoxe 164, 212, 368, 376, 383 - sakramentale Gemeinschaft 175, 346 - säkularisierte 259 - sichtbare/unsichtbare 189, 193, 367 - Sinn der 366 - Stiftung Gottes 173 - sündigende 253,375 - theandrischer Organismus 170 - der Tradition 212 - unfehlbare 254, 417, 425 - und Kultur 360-362 - und soziales Handeln 363-365 - und Welt 178, 257f, 350f, 359, 362f - universale 370 - verherrlichte 257 - Wesen der 71,162,176,182,187, 357, 364, ->Einheit ->Katholizität Kirchenspaltung 71 - Ursache der 369-371, 388 - Überwindung der 373-376, 383-388 - Wesen der 377-383 Kirchenväter 201, 247ff - Aneignung der 66, 417 - Denkbewegung der 265, 267f, 387, 419 - Ekklesiologie der 164 - Theologie der 93f - Übereinstimmung mit 267 - Zitate 24-26, 280, 285 - "zurück zu den Vätern" 266,268f, 417 ->Patristik ->Theologie, patristische
460
Kirchlichkeit 55, 65f, 98,100 ->Erfahrung ->Katholizität Kommunion 348,373 Konsens, katholischer 369f Kontingenz 31, 51, 52, 54, 281 - doppelte 281, 288 - der Schöpfung 283-288 Konzile 249f Kreativität 33, 57, 282, 421 - geschichtliche 270 - der Person 43f Kreuz ->Tod Jesu Kultur 47, 360-363, 392 - gemeinsame 80 - orthodoxe 48, 58, 68 Lehramt, kirchliches 22 Leib, menschlicher - Auferstehung des 329-332, 393 - Verherrlichung 153 ->Mensch ->Natur, menschliche Liebe 131,198, 357, 359, 371 Liebe Gottes 131,188,198, 260, 320f, 326 - Motiv der Inkarnation 130-132,157 - Motiv der Schöpfung 294 Liturgie 235 - Göttliche 193, 235 - Subjekt der 203 - traditionsbildend 229 - Verständlichkeit der 81, 234 ->Gottesdienst Mariologie 133-140,183 Mensch 298-327 - Aufgabe des 304f - Berufung des 304f, 362 - eindimensionale 312 - Erlösung des 396f - freier 38 - und Geschichte 302 - Handeln des 358f - Identität des 330f - imago Dei 96, 312-314, 324, 337, 374 - Leib und Seele 315, 330f
- Mikro-/Makrokosmos 147,304, 314f - Natur und Person 117,158f, 192, 337, 393 - Selbsttranszendierung 39, 44f, 47, 301f, 305, 308, 392 - sterblich 315, 328 - sündigende 412-414 - utopistische 302 - Unsterblichkeit des 324, 326 - Verantwortlichkeit des 192, 263, 411, 428 - Verwandlung des 343 ->Anthropologie ->Freiheit, menschliche ->Natur, menschliche ->Seele >Tod Missionarisches Handeln 383 Monophysitismus, neuer 111,114 Nächstenliebe 199, 372 Natur, göttliche 118 - Notwendigkeit der 289 - unerkennbar 295 - unveränderlich 123 - unsterblich 127 Natur, menschliche - Enhypostasie 115, 328, 407 - Erlösung der 154,158, 168, 321, 328336, 335, 409f - Naturalismus 35 - und Person 4 0 , 1 1 7 , 1 3 2 , 135,167f, 170,182,192, 337, 407 - Reinigung der 146 - sterblich 127, 315 - und Sünde 116, 320 - Urstandsnatur 127 - Unsterblichkeit 127, 344 - Verderbtheit der 128f, 326, 328 - Vergöttlichung der 154, 346 ->Anthropologie ->Mensch ->Person ->Tod Neopatristische Synthese 14,23, 64, 107, 261-276, 3 8 4 , 3 8 7 f , 417 - der Begriff 262f - existentielles Problem 266 - Kritik der 418-427
- "reiner Historismus" 22 ->Hellenismus, christlicher ^ H i s t o r i s mus ->Patristik Nestorianismus, neuer 114 Nichtchalcedonische Kirchen 87 Notwendigkeit 37, 4 7 , 1 6 8 - und Freiheit 38, 45, 47 - göttlicher Liebe 125 - und Natur 122, 289 - zu sterben 116,117 Ökonomie, Prinzip der 378f Ökumene/ökumenisch 365-388 - ökum.Aufgabe 366, 384 - Differenzen in der 77, 371,376, 385f - ökum.Frage 68, 71, 377 - und Freiheit 374f - orth.Aufgabe in 78, 382f - orth.Repräsentanz in 75f, 84, 88, 385 - ökum.Paradox 369, 385, 388 - ökum.Ungeduld 368, 375 - vergleichende 386 - Vorrang der Theologie 72, 368,386 ->Einheit der Kirche ->Kirchenspaltung ->ÖRK Ökumenismus - im Raum 385 - in der Zeit 386f, 388, 420 - östl.Ökumenismus 87 - Rückkehrökumenismus 376 ORK 73, 83-88, 365 - ekkl.Charakter 85 - Exekutivkomittee 78 - Faith and Order 83 - Name des 77, 78 - Vierzehnerausschuß 73ff - Verfassung des 74f - Zentralkomitee 78, 82, 83 Offenbarung 9 5 , 9 9 , 297f - in Christus 109,111, 160, 269, 277 - geschichtliche 224f, 227, 424 - an den Menschen 96 - natürliche 96 - personhafte 223 - unabgeschlossene 224
461
Ordination 203-205 Orthodoxie 212 - Begriffsbestimmung 235 - und Kultur 80 - und Nationalität 79 - Rückkehr zur 376f, 382, 388 - Verantwortung der 384 - und Westen 79, 106, 264,371f, 383, 384f, 421 - und westl.Denken 80f
Prädestination 137 - göttliche 139,154, 323f - transzendente Entelechie 291f, 304f, 306, 309 Pragmatismus 41f, 93 Priesterweihe 70f Protestantismus 258, 271f, 419, 424 Pseudomorphose 35, 236, 265, 268, 384, 421 Puritaner 361
Patriarchat, Ökumenisches 71, 76, 85 Patristik 66,118, 132, 213, 262, 269, 421-423 - existentiell 98, 266 ->Tradition Persönlichkeit 303-305, 330, 348 Person - Ausbildung der 323 -Begriff356, 409, 411 - Entpersönlichung 200, 312, 314, 340, 348, 355 - Erlösung der 337-397, 357f, 411f - Freiheit der 42ff - Heilung der 168, 335 - und Individualität 199f, 353f - katholische 352 - und Kultur 392 - Rettung der 392 - Schöpferkraft der 40, 43f - Sitz der Freiheit 157 - unaufhebbar 287 - verantwortliche 41, 46,197, 356 - Verdinglichung der P. 40 ->katholisieren ->Mensch ->Natur Personalismus 47,186 Pfingsten 178f, 190, 202ff, 254 Philosophie - existentialistische 361 - Krise westlicher 35, 37-39, 44, 401 - neue 58, 62, 91, 93, 99, 273, 363, 401 - der Offenbarung 97 - utopistische 301 Pietisten 361 Pneumatologie 101, 166, 340f, 405
Rationalismus 35, 37f, 42, 44 recirculatio 138f Rekapitulation 124,131f Revolution, russische 33-36, 46f, 56, 68, 91,234 Ritualismus 356
462
Sakramente, allg. 26,146,340-342, 380 - Ausweitung der Inkarnation 174 - Begriff 341, 381 - darstellende 174 - heiligende Akte 341 - Initiationssakramente 351 - der Inkorporation 100, 175, 181, 341, 351 - Kontakt mit Gott 175 - und Kreuzestod 146f - realistisches Verständnis 174, 193, 340f - soziale 99f, 176 - Verwaltung der 176 - Wirksamkeit der 380f - Ziel der 174 -> Eucharistie -> Gottesdienst ->Kirche ->Taufe Schisma 97, 381f Scholastik 36, 106,120, 264 Schöpfung 121, 123,154,157, 283-297 - aus dem Nichts 289, 291, 305 - creatio continua 284f - Daseinsüberschuß 284 - Definition 288 - Eigenständigkeit der 394 - endgültige/kontingente 284
- Idee der 123, 290-293, 305f - und Inkarnation 121,124-126 - Kontingenz der 282-288 - nicht notwendig 52,121, 281 - Prädestination der 291 - Sinn der 124,132,154, 299, 335 - und Zeugung 289f, 296f Schöpfungsakt - Willensakt 123, 289, 294 - ex mera libertate 289, 290 Schöpfungslehre 51,121,132,157f, 279-298, 306,393 - Ansatz der 280f, 299 - Bedeutung der 288 - Gliederung der 157, 282 Schrift, die Heilige 215-229 - Altes Testament 219-222 - Autorität der 226 - Einheit der 219 - ist Geschichte 218 - und Gottesdienst 231 - hist.-krit.Methode 217 - Inspiration der 217 - situationsbedingt 217 - sola scriptura 216 - Suffizienz der 223-225 - und Tradition 225-229, 254 - Wort Gottes 215 - wahres Zeugnis 216 ->Hermeneutik ->Tradition Seele - Form des Leibes 330 - Leib und Seele 315, 330f, 408 - Unsterblichkeit der 315f, 329 Sobornost' ->Katholizität Sophiologie 59-61,133, 238 Sünde 116, 350 - Erbsünde 137f, 317 - kosmische Besessenheit 302 - und Natur 116, 143, 313 - simul iustus etpeccator 412 - Uberwindung der 395f Sündenlehre 310-322 Sündlosigkeit 116, 127,138 - der menschl. Natur 136-138,142
Synergismus 111,137,189, 200, 299, 303-306, 309, 320f, 323-325, 337, 339, 343, 410f System, theologisches 21, 23, 25, 42, 96f, 99,126, 405 - unabgeschlossen 103,159,273 thesaurus ecclesiae 178 Taufe 342-345 - Bluttaufe 146f - als Gehorsamsakt 338 - Kindertaufe 342 Theologie - Ansatz der 55, 106, 401, 418 - apophatische/kataphatische 243, 293 -Aufgabe der 24, 66, 91f - chalcedonensische 112 - dogmatische 101, 105, 236f, 239 - Entgeschichtlichung der 390 - erfahrungsorientierte 159,235, 239, 264 - gegenwartsbezogene 421 - Geschichtlichkeit der 102f - der Heilsgeschichte 102 - Identität der 427f - kerygmatische 236f - kirchliche 66 - Kontinuität der 420 - natürliche 96 - neopatristische 269 - orthodoxe 14, 68, 92 - patristische 98, 235, 266f - russische 65ff, 263-265 - spekulative 119 - subjektive 104 - der Tatsachen 269f - theologia crucis 142,372, 408, 415, 424 - theologia gloriae 142, 408, 413 - wahre 235 - zeitgemäße 14f, 93,106, 264, 266, 275,387, 421 ->Neopatristische Synthese Theologoumenon 126, 242 Theosis 96, 322-327
463
- asketische Seite 325 - charismatische Seite 325 - fortschreitende 128, 344, 354, 412 - im Glaubensgehorsam 139 - personale Begegnung 322f, 352 - Sakrament der 343 - Vorbild Christus 131, 339 - Ziel der 326 - Ziel menschl.Seins 154 ->Synergismus Theotokos 134-140 - Anteil am Heilswerk 136f - Immaculata conceptio 137 - Jungfräulichkeit 137f - zweite Eva 139 ->Inkarnation ->Mariologie Tod 315-318 - antizipierte Auferstehung 153 - der Sünde Sold 149, 315 - Trennung von Leib und Seele 148, 152, 316f, 331 - Wohltat 153, - Reinigung 317f, 331 - Zwischenzustand 151 Tod Jesu 129f, 141-150, 408 - freiwillig 130,141 - Gott stirbt 145 - Opfer 130,144 - als Sakrament 148 - Sühne 129,148 - Sündenübernahme 149 - unverdorbener Tod 150 - Vollendung der Inkarnation 143 - Zeichen der Liebe 131, 408 - Zeichen des Sieges 141f, 334 ->Christus Tradition 20, 208-254 - actus tradendi 209, 215, 227 - Annahme der 210 - apostolische 209, 213 -Begriff 210-215 - Bewußtsein der Kirche 211 - consensus patrum 247 - depositum iuvenescens 211, 264 - einheitliche 208
464
- Erweiterung der 267, 369 - gemeinsame 387 - hermeneutisches Prinzip 228 - kerygmata/dogmata 230f, 248 - kirchliche 102 - Kriterium wahrer 245f - Kritik an der 268, 421 - lebendige 97 - lex orandi 98 - liturgische 230 - lokale 79, 269,383 - ökumenische 269 - ohne Begrenzung 213, 249, 263 - patristische 119, 213, 269 - tradendum 215 - traditum 209 - und Traditionen 86 - ungeschriebene 230f - wahre 214 - Wesen der 76, 365 - Wort Gottes 210 ->Dogma ->Gottesdienst ->Schrift, heilige Traditionalismus 234 Transsubstantiationslehre 216,341 TYinität 284, 289, 292 - öknonomische 121f, 294 - immanente 121, 294 ->Heilsökonomie Trinitätslehre 25,122f, 188, 295,298, 343, 389, 405, 407, 408, 409 Überlieferung ->Tradition Urständ 308 Wahrheit 244 -Begriff 404 - charisma veritatis certum 251, 253 - Christi 260, 424 - dogmatische 103 - Glaubensw. 103 - in Kirche 254 - katholische 207, 267, 270, 274 - Kriterium der 245 - und Liebe 373
- eine Person 223,424 - vereinigende Kraft 382 - Vermittlung von 234 - Vernunftwahrheit 238 Welt - nach dem Fall 314f - Gericht über die 359 - Veränderung der 358 Weltverständnis 282 Werke Florovskys - Edition der 26, 89 - Gattungen 16f - literarkritische Analysen 17t 25,84f, 151f , 158,161, 279,316,338, 351f - Stil 20, 145 Wille Gottes - ewiger 284 - und Gottes Natur 289,293 - unumkehrbar 287 - unveränderlich 284, 289f - und Gottes Wesen 290ff - willkürlich 294 ->Energien Gottes Wille, menschlicher - Heilung des 154, 321, 396 - und Sünde 320
2.
- unfrei 410 Willensfreiheit 31, 45 - des Menschen 131,410 - Gottes 144 - und Prädestination 137 ->Anthropologie ->Freiheit Wirken Gottes - in Geschichte 44,118, 424 Wirklichkeit, - einheitliche 44f, 93 - kirchliche 264 Wissen, religiöses 35, 96,166 Zeit 196, 283 - Anfang der 285 - Aufhebung der 191f, 286 - begrenzte 285 - und Ewigkeit 286f, 292 - Geschöpf 285f - Heiligung der 299 Zweinaturenhaftigkeit 124,128,182f, 299f, 339, 408 Zweinaturenlehre 114f, 133,169, 316, 408 ->Chalcedonense ->Natur ->Person ->Christologie
Namensregister
Afanas'ev.N. 63,202, 349 Alivisatos,H. 65 Ambrosius 195, 274 Amvrosij von Char'kov 55 Andreas von Caesarea 393 Androutsos.Chr. 380 Anselm von Canterbury 143 Antonij (Chrapovickij) 60, 63,65, 70, 129,188, 200, 378 Aristoteles 272, 274,285, 329f Arnold,G. 271 Athanasius 106,131,143, 211, 230, 2791 289, 293, 295, 328
Athenargoras,Patriarch 87 Athenargoras von Athen 316, 330f Augustin 14, 24,106, III, 119, 172, 183, 185,186, 190, 195, 226, 249, 256, 274, 283-285, 286f, 291, 294, 313, 337, 362, 378,379, 380f, 391, 410 Auxentios 61, 81, 89, 90, 91, 234 Babkin,B.P. 29 Bakunin,M. 44 Barth,K. 63, 72, 76, 77f, 96, 208, 254, 272, 415
465
Basilius 153, 211, 230,285, 295, 379 Bea,Kardinal 90 Berdjaev.N. 22, 58, 65, 67, 69, 98 Bergson.H. 35 Birbeck,W.J. 247, 251, 379 Bird.Th. 20, 28, 31, 49, 71, 80-83, 90, 239 Blake,E.C. 84 Blane,A. 90 Bogner.M. 65 Bolotov.V.V. 64,126, 250 Borovoj,V. 6 B ö s s , 0 . 3 3 - 3 5 , 43, 46, 50 Brunner,E. 2 7 2 , 3 1 1 , 3 9 0 f Bulgakov,S. 50, 58-61, 64, 65, 69, 72, 74f, 98,133,147, 185, 211, 238, 301, 373 Bultmann,R. 303 Cabasilas, Nicolas Calvin,J. 147,290 Cantor,G. 30 V '
195,198,351
Cetverikov,S. 67 Chamberas,P. 160,352 Chomjakov,A.S. 22, 55, 6 0 , 1 9 0 , 212, 229, 247, 251, 252, 266, 363f, 371, 378f Chrysostomos (von Orej), Bischof 63 Chrysostomos, Archimandrit 61, 90, 234 Coelestin I,Papst 229 Cyprian 183, 211, 214, 230, 253, 347, 378-381 Cyrill von Alexandrien 1 1 5 , 1 9 0 , 2 8 9 Danielevskij.N. 371 Dihle.A. 410 Dionysios Areopagita 295 Dörpinghaus.M. 22 Dörrie,H. 324, 409 Dostoesvkij,F.M. 41, 43, 254, 364, 374 Dragas,G.D. 89, 323 Duns Scotus 120, 288, 421 Edwards,?. 52
466
Evdokimov.P. 129 Evlogij (Georgievskij) 59, 69f, 206, 234 Felmy,K.Chr. 5 , 5 5 , 67, 97f, 147,194, 202, 206, 229, 234f, 256, 262, 268, 347, 349f Feofan (Zatvornik) 266, 354 Fey.H. 85 Fichte,J.G. 3 8 , 4 2 , 4 7 Filaret (Drozdov) 1 3 1 , 1 3 9 , 1 6 6 , 245, 371, 378 Florenskij,P. 5 5 , 6 0 , 98, 262f, 404 Florovskij.V.A. 28 -, Klavdija G. 28 -, Vasilij 29 -, Antonij 29, 32, 50, 75 Gaines,D. 13, 73, 75, 85 George,M. 352 Germanos 7 3 , 8 5 Gilg,A. 292 Gilson.E. 65 Golub'cov.A. 347 Gregor Palamas 25, 89, 213, 2 6 7 , 2 9 4 f , 296,322, 405, 406, 421 Gregor von Nazianz 117,127,147, 287, 295 Gregor von Nyssa 143,153, 268, 295, 313, 317f, 324, 331, 333,344, 381, 392, 395f Grigoreff,D. 79 Grillmeier,A. 112, 415 Grosche.R. 161 Harnack,A.v. 271, 418 Haugh,R. 319 Hauptmann, P. 58,416 Hegel,G.W. 37, 40 Heidegger,M. 390 Heitz,S. 193, 335 Herzen,A. 4 1 , 4 3 , 49 Heyer,F. 79 Hieronymus 273, 274 Hilarius 274 Hill,H. 373
Humbach,K.Th. 31 Husserl,E. 30, 37 Irenaus 1 2 4 , 1 3 1 , 1 3 2 , 1 3 6 , 1 3 8 , 1 4 9 , 211, 227, 230, 251, 309, 319 Istavrides.V. 85 Ivask,J. 30, 50, 56f, 59, 67}, 83, 91, 261, 392, 394 Jakovenko,B.V. 31 James,W. 31, 37, 41, 42f, 51, 53f Johann von Kronstadt 266 Johannes Chrysostomus (Blaskevic) 70f, 79 Johannes Chrysostomus 142,151183f, 195, 198, 218,318, 329, 334, 364, 391 Johannes Damascenus 116, 134,135, 139f, 1 4 3 , 1 4 4 , 1 4 7 , 150, 280, 286, 289, 290, 291, 294Ϊ, 298, 318, 341 Johannes vom Kreuz 379 Jüngel,E. 298,375, 415, 419 Kant,1.285 KartaSev,A.v. 65 Käsemann,E. 426 Kess ler, A. 56 Kierkegaard,S. 391 Kireev,AJ78 Kniazeff.A. 60 Korinchevsky.V. 61 Kretschmar.G. 250 Küng,H. 250
Loofs,F.115 Losskij,N.0.32 Lossky.V. 1 6 7 , 1 7 0 , 1 7 6 f , 179,184, 186,296 Lowrie,D.A. 59, 62-65, 68f, 74 Luther,M. 137, 143,193, 253, 410, 412, 415 Malevsky-Malevitch,P. 34f, 57 Marcel,G. 65 Maritain,J. 65 Mascall,E. 71, 73, 82,185, 249 Massalsky,N. 49 Maximus Confessor 1 1 2 , 1 2 0 , 1 2 8 , 1 7 2 , 290,313, 324, 396 McVey.K. 6,22, 33, 52, 333 Mehediniu.V. 170, 216, 227f, 341 Meijering,E.P. 271, 418 Melanchthon,Ph. 176 Melia.E. 60 Melioranskij.B.M. 102 Mersch,E. 185 Methodius 153, 331 Meyendorff,J. 6, 75, 145 Mill,St. 41 Moehler.J.A. 166 Monod.W. 65 Mott,J. 58f Moule.C.F.D. 153 Mühlenberg,E. 410 Müller,L. 39
Lange,N.N. 30 Leker.J. 52 Lelouvier,Y. 22f, 172, 271 Leontij 79f Leroy 65 Libreton.P. 65 Lieb,F. 63
Neill,S.C. 69, 74 Neiman.D. 431 Nesmelov,V. 39, 3 0 2 , 3 1 2 Nestorius 112,114f, 134, 406 Newman,J.H. 136, 271 Nikitin,A.J.58 Nissiotis,N. 87,169, 386 Novgorodcev, P.J. 50 Nyssen,W. 251
Lilienfeld,F.v. 5 , 1 3 9 , 1 8 5 , 231, 294, 405 Lilje.H. 78 Liperovskij,L.N. 58
Origenes 218, 289, 290, 311, 3 3 1 , 3 6 2 , 391 Ott,H. 237
467
Outler 86 Pannenberg,W. 403f, 406, 419f, 426 Panteleimon von Edessa 76, 78 Pascal,P. 30f, 54,185 Paul VI, Papst 87 Paulus 101,153, 1 8 0 , 1 8 1 , 330, 411 Pavlov,LP. 29 Pearson,J. 266 Pelagius 112 Philo 218,295 Plank,P. 70 Plato 274 Plotin 295 Popov,I.V. 185 Poprucenko, G.I. 28 Prosper von Aquitanien 229 Ramsey M. 6,77f Renouvier.Ch. 41, 51-54, 93, 282, 289, 301 Rexine.J. 89 Riasanovsky.N. 34, 50 Rickert.H. 302 Romanides.J. 87, 111, 114f, 145, 387, 393 Rouse,R. 69, 74 Royce,J. 31, 4 3 , 5 1 Rufin 333 Ruppert,H.J. 190 Ruprecht,R. 6 Savickij,N. 32 Savickij.P. 50 Schatkin,M. 431 Schelling,F.W.J. 35, 302 Schindler,A. 410f Schleiermacher,F.D. 97, 406 Schlink,E. 7 8 , 8 5 , 403 Schmemann,A. 61, 64, 68, 76, 79, 91, 212, 236, 261, 268, 383, 385, 401 Schweitzer,A. 90 Seide,G. 69f Sergij (Stragorodskij) 60, 70,129, 206
468
Serpinet,A. 139 Sil'vestr 295 Simeon v.Thessaloniki 348 Simonova,K.J. 50, 75 Slenczka.R. 54, 126, 129, 190, 212, 252, 378, 380, 382 Sohm,R. 374 Solov'ev.V. 30, 39, 43, 48f, 55, 60, 68, 83, 364, 371, 374f Spengler,0.35, 236, 265 Staehelin,W. 63, 72f Stammler,R. 38 Staudenmeier,F.A. 291 Steck,G. 63, 209, 415 Struve,P.B. 32 Suvcinskij.P. 32 Samatov,M. 50 Svetlov.P. 129, 378 Swiridow.I. 23, 74, 261, 262 Tarasar.C. 79, 81 Telepneff,G. 63 Tertullian 143, 211, 230 Theodor Studites 341 Thurneysen,E. 254 Tichon (Belavin) 59 Tolstoj,N. 41, 89 Tomkins.O. 73, 78 Toynbee.A. 371 Track,J. 97 Trubeckoj,Fürst N.S. 32f, 34, 50, 57, 200 Utechin.S.V. 35 Vernadsky.G. 29 Villmar,A.F.W. 269 Vinzenz von Lerin 245,246 Vischer.L. 86 Visser't Hooft.W. 76, 77, 85, 387 Wendebourg.D. 294, 405 Westcott,B.F. 120, 271 Wieman.H. 67,165 Williams,G.H. 6 , 1 9 , 21, 23, 27-32, 34,
49f, 60f, 64, 67, 73-75, 80f, 82,84, 88, 90,177, 261f, 289, 306, 352,378 Williams,J.E. 51 Williams,R. 71, 73, 82,185, 249 Wundt.W. 30
Zander,L.A. 5 8 , 3 0 7 Zen'kovskij.V.V. 32, 4 1 , 6 5 Zernov.N. 59, 64, 69, 74, 401 Zizioulas 1.350
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Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Hrsg. von Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka. Eine Auswahl
21 Christoph Maczewski: Die Ζοϊ-Bewegung Griechenlands. 1970. 160 Seiten, kart. 22 Friedrich Beisser: Schleiermachers Lehre von Gott dargestellt nach seinen Reden und seiner Glaubenslehre. 1970. 265 Seiten, kart. 24 Klaus Rosenthal: Die Uberwindung des Subjekt-Objekt-Denkens als philosophisches und theologisches Problem. 1970. 170 Seiten, kart. 25 Hermann Brandt: Gotteserkenntnis und Weltentfremdung. 1971. 269 Seiten, kart. 26 Hans M. Barth: Atheismus und Orthodoxie. 1971. 356 Seiten, geb. 27 Adriaan Geense: Auferstehung und Offenbarung. 1971. 235 Seiten, kart. 28 Georg G. Blum: Offenbarung und Uberlieferung. 1971. 234 Seiten, kart. 29 Heinrich Leipold: Missionarische Theologie. 1974. 298 Seiten, kart. 30 Klaus Bümlein: Mündige und schuldige Welt. 1974. 155 Seiten, kart. 32 Michael Plathow: Das Problem des concursus divinus. 1975. 213 Seiten, kart. 35 Koloman Micskey: Die Axiom-Syntax des evangelisch-dogmatischen Denkens. 1976. 162 Seiten, kart. 36 Wolfgang Greive: Der Grund des Glaubens. 1976. 233 Seiten, kart. 37 Joachim Track: Sprachkritische Untersuchungen zum christlichen Reden von Gott. 1977. 337 Seiten, kart. 38 Konrad Fischer: De Deo trino et uno. 1978. 364 Seiten, kart. 39 Günther Gassmann: Konzeptionen der Einheit in der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung 1910-1937. 1979. 311 Seiten, kart. 40 Viorel Mehedintu: Offenbarung und Überlieferung. 1980. 352 Seiten, kart. 41 Richard Ziegert: Der neue Diakonat. 1980. 241 Seiten, kart. 43 Michael Plathow: Lehre und Ordnung im Leben der Kirche heute. 1982. 314 Seiten, kart. 44 Christos Yannaras: Person und Eros. 1982. 287 Seiten, kart. 47 Werner Brändle: Rettung des Hoffnungslosen. 1984. 332 Seiten, kart. 48 Hugh Ο. Jones: Die Logik theologischer Perspektiven: eine sprachanalytische Untersuchung. 1985. 246 Seiten, kart. 50 Lothar Kugelmann: Antizipation. 1986. 374 Seiten, kart. 51 Dieter Becker: Karl Barth und Martin Buber - Denker in dialogischer Nachbarschaft? 1986. 279 Seiten, kart. 52 Teresa Berger: Liturgie - Spiegel der Kirche. 1986. X, 382 Seiten, kart. 53 Richard Mössinger: Zur Lehre des christlichen Gebets. 1986. 298 Seiten, kart. 54 Martin George: Mystische und religiöse Erfahrung im Denken Vladimir Solov'evs. 1988. 384 Seiten, kart. 55 Gerhard K. Schäfer: Eucharistie im ökumenischen Kontext. 1988. X, 351 Seiten, kart. 56 Hartmut Baier: Richard Siebeck und Karl Barth - Medizin und Theologie im Gespräch. 1988. VI, 251 Seiten kart. 57 Achim Dunkel: Christlicher Glaube und historische Vernunft. 1989. 344 Seiten kart. 58 Matthias Riemer: Bildung und Christentum. Der Bildungsgedanke Schleiermachers. 1989. 363 Seiten, kart. 59 Tsutomu Haga: Theodizee und Geschichtstheologie. 1991. 289 Seiten, kart. 60 Ulrike Link-Wieczorek: Reden von Gott in Afrika und Asien. 1991. XI, 311 Seiten, kart. 61 Wolfgang Greive: Die Kirche als Ort der Wahrheit. 1991. 406 Seiten, kart. 62 Christoph Künkel: Totus Christus. 1991. 469 Seiten, kart. 63 Karl Hinrich Manzke: Ewigkeit und Zeitlichkeit. 1991. Ca. 556 Seiten, kart. 64 Gottfried Martens: Die Rechtfertigung des Sünders - Rettungshandeln Gottes oder historisches Interpretament? 1991. Ca. 456 Seiten, kart. 65 Werner Thiede: Auferstehung der Toten - Hoffnung ohne Attraktivität? 1991. XII, 437 Seiten, kart.
Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen und Zürich
Kirche im Osten Monographienreihe. Begr. von Robert Stupperich. Hrsg. von Peter Hauptmann Eine Auswahl 8 Herbert Patzelt • Der Pietismus im Teschener Schlesien 1709-1730 263 Seiten, kartoniert
9 Peter Hauptmann - Die Katechismen in der russisch-orthodoxen Kirche 398 Seiten und 16 Kunstdrucktafeln, kartoniert
12 Julia Oswalt - Kirchliche Gemeinde und Bauernbefreiung Soziales Reformdenken in der orthodoxen Gemeindegeistlichkeit Rußlands in der Ära Alexanders II. 137 Seiten, kartoniert
13 Hans Peter Nieß - Kirche in Rußland zwischen Tradition und Glaube Eine Untersuchung der Kirillova kniga und der Kniga ο vere aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts. 2SS Seiten, kartoniert
14 Paul Wrzecionko (Hg.) Reformation und Frühaufklärung in Polen Studien über den Sozinianismus und seinen Einfluß auf das westeuropäische Denken im 17. Jahrhundert. 272 Seiten, kartoniert
15 Christoph Klein Die Beichte in der evangelisch-sächsischen Kirche Siebenbürgens 186 Seiten mit 4 Beilagen, kartoniert
16 Erich Bryner - Der geistliche Stand in Rußland Sozialgeschichtliche Untersuchungen zu Episkopat und Gemeindegeistlichkeit der russischen orthodoxen Kirche im 18. Jahrhundert. 268 Seiten, kartoniert
17 Peter Hauptmann (Hg.) Unser ganzes Leben Christus unserm Gott überantworten Studien zur ostkirchlichen Spiritualität. Fairy von Lilienfeld zum 65. Geburtstag. 501 Seiten und 1 Porträt, kartoniert
18 Gerhard Besier (Hg.) Altpreußische Kirchengebiete auf neupolnischem Territorium Die Diskussion um .Staatsgrenzen und Kirchengrenzen' nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. 202 Seiten mit 2 Karten, kartoniert
19 Martin Kiunke - Johann Gottfried Scheibel und sein Ringen um die Kirche der lutherischen Reformation X, 478 Seiten mit 1 Frontispiz, kartoniert
20 Peter Hauptmann (Hg.) - Gerettete Kirche Studien zum Anliegen des Breslauer Lutheraners Johann Gottfried Scheibel (1783-1843). In Verbindung mit Werner Klän und Peter Maser. 185 Seiten, kartoniert
21 Peter Maser • Hans Ernst von Kottwitz Studien zur Erweckungsbewegung des frühen 19. Jahrhunderts in Schlesien und Berlin. 288 Seiten mit 1 Abbildung, kartoniert
Vandenhoeck & Ruprecht * Göttingen und Zürich