Togo 1884–1914. Eine Geschichte der deutschen „Musterkolonie“ auf der Grundlage amtlicher Quellen [Reprint 2021 ed.] 9783112472583, 9783112472576


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German Pages 816 [821] Year 1988

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Togo 1884–1914. Eine Geschichte der deutschen „Musterkolonie“ auf der Grundlage amtlicher Quellen [Reprint 2021 ed.]
 9783112472583, 9783112472576

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Peter Sebald Togo 1884—1914

Studien über Asien, Afrika und Lateinamerika Herausgegeben vom Zentralen Rat ftir Asien-, Afrika- und Lateinamerikawissenschaften in der DDR unter Leitung von Günter Barthel

Redaktionskollegium: Vorsitzender: Diethelm Weidemann Mitglieder: Herbert Baumann, Burchard Brentjes, Roland Felber, Karl-Christian Göthner, Horst Grienig, Jürgen Herzog, Ingo Klein, Manfred Kossok, Emil Langer, Ralf Moritz, Hans Piazza, Lothar Rathmann, Walter Reuter, Jürgen Sachs, Hans-Peter Vietze

Band 29 Peter Sebald Togo 1884-1914 Eine Geschichte der deutschen „Musterkolonie" auf der Grundlage amtlicher Quellen

Peter Sebald

Togo 1884-1914 Eine Geschichte der deutschen „Musterkolonie" auf der Grundlage amtlicher Quellen

Mit einem Dokumentenanhang und 5 Karten

Akademie-Verlag Berlin 1988

ISBN 3-05-000248-4

ISSN 0138-5550

Erschienen im Akademie-Verlag Berlin, DDR-1086 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1987 Linzenznummer: 202 • 100/57/87 Printed in the German Democratic Republic Lektor: Sibylle Windörf, Eva Hausotter Einbandgestaltung: Peter Werzlau Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 5820 Bad Langensalza LSV: 0235 Bestellnummer: 7532514(2152/29) 05800

Inhalt

Vorbemerkung Einleitung

IX XI

Kapitel I Hauptperioden in der Geschichte Togos vom 16. Jahrhundert bis zum Beginn der direkten Kolonialherrschaft 1. Togo als Teil unterschiedlicher historisch-geographischer Regionen in Westafrika 2. Der Beginn des kolonialen Einflusses auf die Togoküste von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts 3. Das koloniale Einwirken auf Togo von der Mitte des 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts 4. Folgeerscheinungen des industriellen Kapitalismus in Europa für Togo im 19. Jahrhundert 4.1. Ökonomische und politische Umstrukturierung des kolonialkapitalistischen Einflusses in Westafrika 4.2. Togo in der Endphase der kolonialen Aufteilung der westafrikanischen Küste . . 4.3. Der Protektoratsvertrag vom 5. Juli 1884

1 4 9 19 19 31 37

Kapitel II Die Anfange deutscher Kolonialherrschaft an der Togoküste — das Jahrzehnt des kolonialen Scheinfriedens (1884—1894) 1. 2. 3. 4. 5.

6.

7. 8. 9. 10. 11. 12.

Die kolonialen Rahmenbedingungen Der Aufschwung von Lome Die Etablierung der Kolonialmacht in Porto Seguro und Klein Popo Die Ausdehnung der Kolonie in nordwestlicher Richtung und die Einbeziehung des Hausahandels Die kolonialen „Forschungs"expeditionen und Stationsgründungen im Landesinnern . 5.1. Die Station Bismarckburg 5.2. Die Stationen Misahöhe und Kete-Kratschi Der Übergang zu einer systematischen Kolonialherrschaft 6.1. Der Aufbau der militärischen Macht 6.2. Die Anfänge der regionalen Kolonialadministration 6.3. Das Verhältnis der Administration zu den Häuptlingen Der Export-Import-Handel Die landwirtschaftliche Exportproduktion und die koloniale Orientierung auf deutsche Plantagenbetriebe Die Anfange einer kolonialen Lösung der Arbeitskräftefrage Die Missionen und die ideologische Beeinflussung der Afrikaner Die Anfange der kolonialärztlichen Tätigkeit Zusammenfassung

49 57 65 71 78 82 87 90 95 100 105 108 119 128 138 148 150

V

Kapitel III Die Eroberung des Hinterlandes und die Errichtung der Kolonialherrschaft Uber die gesamte Togokokmie (1894/95—1900) 1. Die kolonialen Rahmenbedingungen 2. Die natürlichen und gesellschaftlichen Bedingungen der zu erobernden Gebiete 3. Die Deutsche Togo-Hinterland-Expedition 4. Die Niederschlagung des „Toweaufstandes" — Beginn der Herrschaft in Südtogo 5. Die Eroberung Nord- und Nordosttogos 1896 bis 1899 5.1. Die Eroberungszüge in nördlicher Richtung 5.2. Die Eroberungszüge in nordöstlicher Richtung 6. Die „Befriedungsfeldzüge" 7. Die deutsch-britische Grenzregelung und die Unterwerfung Jendis 8. Die Errichtung der Kolonialherrschaft von der Hauptstadt Lome bis ins Buschdorf... 8.1. Die Zielstellung der Administration 8.2. Die Veränderungen in Lome 8.3. Die Veränderungen in den Küstenbezirken 8.4. Die Veränderungen in den Bezirken Mittel- und Nordtogos 9. Die kolonialen Grenzziehungen 10. Zusammenfassung

153 158 161 167 171 179 185 194 201 204 204 208 211 213 222 225

Kapitel IV Togo unter den Bedingungen imperialistischer Kolonialpolitik (1900—1914) Erster Abschnitt Die kolonialen Rahmenbedingungen und die Hauptentwicklungslinien in Togo 1. Togo in der deutschen Kolonialpolitik 1.1. Administration in Togo und Kolonialzentrale in Berlin 1.2. Deutsches Kapital für Togo 1.3. Das Togobild in Deutschland 1.4. Marksteine der Togopolitik in Deutschland 2. Die veränderten Rahmenbedingungen in Westafrika 3. Hauptlinien der sozialökonomischen und politischen Entwicklung in Togo

231 232 235 241 246 254 256

Zweiter Abschnitt Struktur und Wirkungsweise des kolonialen Machtapparates 1. Die deutschen Kolonialkader 260 1.1. Die deutschen Kolonialisten und ihre Mischlingskinder 266 2. Kolonialbeamtenschaft und Struktur der Kolonialverwaltung 269 2.1. Der Gouverneur 271 2.2. Die Bezirkschefs 272 275 2.3. Die Beamten des Gouvernements 3. Die Exekutive der Kolonialverwaltung 276 3.1. Die Söldnertruppe 277 3.2. Die Häuptlinge im kolonialen Herrschaftssystem 285 3.3. Das afrikanische kolonialadministrative Personal 288 4. Administration und Kolonialjustiz 291 4.1. Die „bewährten" Strafmethoden: Prügelstrafe, Kettenhaft, Zwangsarbeit 297 4.2. Die neuen Strafmethoden: Geldstrafen, Strafestehen, Verbannungssiedlungen, Sippenhaft 301 4.3. Bemerkungen zur Kriminalstatistik 306 4.4. Die „Kodifizierung des Eingeborenenrechts" 311 4.5. Kolonialjustiz und afrikanische Lohnarbeiterschaft 316

VI

Dritter Abschnitt Die koloniale wirtschaftliche Ausbeutung 1. 2. 3. 4.

Die wirtschaftliche Ausbeutung über die Kolonialadministration Infrastrukturelle Maßnahmen Das koloniale Besteuerungssystem Die Plantagenanlagen und andere wirtschaftliche Unternehmungen der Kolonialadministration 5. Die wirtschaftliche Ausbeutung im Plantagensektor durch das private Großkapital . . . 6. Die Ausbeutung Togos durch das deutsche Privatkapital im Export-Import-Handel... 6.1. Die Afrikaner im Export-Import-Handelsgeschäft 7. Zur Statistik des Export-Import-Handels 7.1. Die Entwicklung des Gesamthandels 7.2. Der Exporthandel 7.3. Der Importhandel Vierter Abschnitt Hauptlinien der sozialökonomischen Veränderungen in Togo 1. Die Veränderungen in den Küstenstädten 1.1. Der weitere Aufschwung der Hauptstadt Lome 1.2. Der Niedergang von Klein Popo (Anecho) 2. Die Umstellung der Küstenbezirke Lome und Anecho auf landwirtschaftliche Exportund Marktproduktion 3. Afrikanische Kakaofarmer im südwestlichen Togogebirge 4. Das Zentrum der kolonial gelenkten „Volkskultur" Baumwolle: der Bezirk Atakpame 5. Die Nordbezirke Togos — die kolonialen Arbeitskräftereservate 5.1. Die Aufrechterhaltung der politischen Herrschaft 5.2. Die koloniale Nutzung der traditionellen Handelsbeziehungen 5.3. Die koloniale Nutzung der Arbeitskräfte 6. Die muslimische Bevölkerung in der Kolonie Fünfter Abschnitt Die direkte ideologische Beeinflussung der Afrikaner und die Missionen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Ziele des direkten ideologischen Einflusses Die Katholische Missionsgesellschaft Die Norddeutsche Missionsgesellschaft Die beiden großen Missionsgesellschaften und das Landproblem Ein Vergleich der Missionsgesellschaften und ihres religiösen Einflusses Die Missionierungskonzeption für Nordtogo Die koloniale Sprach- und Bildungspolitik

Sechster Abschnitt Die kolonialärztliche Tätigkeit 1. Die gesundheitlichen Verhältnisse der Bevölkerung und das kolonialärztliche Wirken 2. Die Seuchenbekämpfung der Kolonialadministration 3. Die Schlafkrankheit — Experimentierfeld deutscher Kolonialärzte

320 323 330 345 354 363 377 384 386 386 392 399

405 406 406 416 417 425 432 445 446 451 455 461

469 469 475 480 488 489 492 495

506 506 514 519

Siebenter Abschnitt Die antikoloniale Bewegung in Togo

526

1. Klassenverhältnisse und antikolonialer Widerstand 2. Der Neubeginn des antikolonialen Protestes von 1902 bis 1910 3. Der Aufschwung der Presse- und Petitionsbewegung von 1911 bis 1914 Zusammenfassung

526 535 549 581

VII

Kapitel V Die Beendigung der deutschen Kolonialherrschaft in Togo im ersten Weltkrieg 1. Zur Vorgeschichte der militärischen Auseinandersetzungen 2. Der Verlauf des Krieges in Togo im August 1914 3. Die Liquidierung der deutschen Kolonialpositionen in Togo von 1914 bis 1918 3.1. Die Deutschen in Togo 1914 bis 1918 3.2. Schritte zur Überwindung der sozialökonomischen und politischen Folgen der deutschen Herrschaft 4. Ausblick 4.1. Die Legende von der „Musterkolonie" Togo — ein Eckpfeiler imperialistischer deutscher kolonialer und neokolonialer Politik 4.2. Zeichen der neuen Zeit: Selbstbestimmung und nationale Unabhängigkeit Dokumente der antikolonialen Bewegung

585 593 606 612 619 632 632 637 649

649 Schreiben des „Konsuls für Togo" vom 11. September 1913 Petition vom 12. Oktober 1913 652 Petition vom 1. Mai 1914 654 Petition vom 12. Mai 1914 659 „The Braves of Togoland", The Gold Coast Leader, 23. Mai 1914 676 „German's lost Prestige in Togoland", The Gold Coast Leader, 13. Juni 1914 677 „German Atrocities in Togoland", The African Timesand Orient Review, Nov.—Dez. 1913.. 681 Quellennachweis und Anmerkungen 687 Quellen- und-Literaturverzeichnis 747 Register der geographischen Namen und Ethnien 769 Register der Personennamen und Gesellschaften 779 Karten Lome 1913 Vorsatzpapier Die deutsche Kolonie Togo XXIII Die Küste von Togo XXIV Hauptsächliche ethnische Gruppierungen und Stämme in der deutschen Kolonie Togo 154 Route und „Rechtsansprüche" der Deutschen Togo-Hinterland-Expedition Nachsatzpapier

VIII

Vorbemerkung

Togo befand sich noch unter französischer Kolonialherrschaft, als ich 1956 im Zentralen Staatsarchiv der DDR in Potsdam zum ersten Mal eine Akte des ehemaligen Reichskolonialamtes „betr. das Schutzgebiet Togo" in die Hand nahm. Das Studium der einschlägigen Aktenbände — etwa 700 — sowie der Literatur beanspruchte mehrere Jahre, zumal die Forschungen mit anderen beruflichen Verpflichtungen konkurrierten und immer wieder unterbrochen werden mußten. Aber in dieser Zeit war ich gefordert, mich ständig mit theoretischen Aspekten des Kolonialismus und der nationalen Befreiungsbewegung und den sich daraus ergebenden aktuellen politischen Schlußfolgerungen zu befassen und somit den territorial eingeengten Forschungsgegenstand der Kolonialherrschaft in Togo sowie den begrenzten Zeitraum der dreißigjährigen deutschen Kolonialära in größere Dimensionen einzuordnen. Dazu trug insbesondere der unmittelbare Kontakt zu Afrikanern der unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten, vom Bauern bis zum Minister und Wissenschaftler, bei, der mir während eines mehrjährigen Aufenthalts in Afrika unschätzbare Anregungen vermittelte. Erst seit Ende 1978 konnten im Bereich „Geschichte der Entwicklungsländer" des Zentralinstituts für Geschichte und des Instituts für Allgemeine Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR die Forschungen zu Togo intensiver fortgeführt und abgeschlossen werden. Die Akademie sowie die British Academy ermöglichten schließlich auch, in London die gegenstandsbezogenen Akten des Colonial Office sowie zeitgenössische afrikanische Zeitungen auszuwerten, was wesentlich zur Abrundung der Forschungsergebnisse beigetragen hat. Die Mitarbeiter des Zentralen Staatsarchivs der DDR, des Public Record Office, London sowie der Newspapers Library des British Museum haben meine Forschungen nach besten Kräften gefördert, ihnen sei an erster Stelle gedankt. Zu besonderem Dank bin ich jenen Wissenschaftlern verpflichtet, die mich — zum Teil über viele Jahre — angeregt und manches Mal auch ermutigt haben, die Forschungen fortzusetzen. Hier sei vor allem Professor Walter Markov genannt, der bereits Anfang der fünfziger Jahre den unerfahrenen Studenten der Karl-Marx-Universität Leipzig auf das Studium der nationalen Befreiungsbewegung und der Geschichte Afrikas lenkte und der mir bis heute mit manch väterlichem Ratschlag zur Seite gestanden hat. IX

Andere, wie die Professoren Adolf Rüger, Hartmut Schilling, Helmuth Stoecker, Martin Robbe und Fritz Klein sowie Dr. Klaus Brade, Dr. Jürgen Herzog und Dr. sc. Walter Rusch, haben mich mit freundschaftlichem Rat, kritischen Fragen und Streitgesprächen wesentlich zur Präzisierung meiner Einschätzungen angeregt. Daß aus dem Togo-Manuskript schließlich ein Buch wurde, ist nicht zuletzt Verdienst der Verlagslektoren Dr. Eva Hausotter und Sibylle Windorf sowie von Frau Gutmann, die die Schreibarbeiten besorgte. Auch Dr. Herbert Jansen und Gerda Maron sei für ihre Arbeiten am Manuskript und Bruno Teubner für die Erarbeitung der Register gedankt. Derartige Forschungen über ein Vierteljahrhundert fortzuführen, erfordert inneres Engagement. Tausende Tatsachen, von den Kolonialisten totgeschwiegen oder gefälscht, sind mir bekannt geworden. So fühle ich mich verpflichtet, sie allen jenen zur Kenntnis zu bringen, die das Wirken des deutschen Kolonialismus in seiner „Musterkolonie" nicht länger aus kolonialapologetischer Sicht sehen wollen. Deshalb ist dieses Buch den freien Völkern Togos und Ghanas gewidmet.

X

Einleitung

In der Geschichte der afrikanischen Völker ist die Periode der direkten Kolonialherrschaft ein Ausschnitt, der seit der Erringung der staatlichen Unabhängigkeit in eine immer ferner liegende Vergangenheit rückt und zu einem relativ immer kleineren Zeitabschnitt wird. Auf der Bevölkerung Togos lastete das Kolonialjoch 76 Jahre. Davon entfallen 30 auf die deutsche Kolonialära. In welchem Maße hat die deutsche Herrschaft die Entwicklung Togos geprägt? Diese Frage wurde und wird in dem Jahrhundert, das seit dem Beginn der deutschen Okkupation am 5. Juli 1884 vergangen ist, von völlig entgegengesetzten Standpunkten beantwortet. Dieser Gegensatz ist verständlich. Die von der Kolonialherrschaft betroffenen Afrikaner urteilten über Zwangsarbeit, Landraub, Rassendiskriminierung, Kopfsteuer und Prügel anders als ihre deutschen Herren. Indes entsprachen die kontroversen Urteile über die Kolonialherrschaft niemals der von den deutschen Kolonialisten gesetzlich verordneten rassistischen Trennungslinie zwischen „Europäern" und „Eingeborenen". Einerseits ergriffen deutsche Sozialisten und bürgerliche Humanisten bewußt Partei für die unterdrückten Afrikaner, und andererseits beurteilten einzelne Afrikaner, die je nach ihrer Position als Söldner, Häuptlinge oder Angestellte Brosamen vom Tisch der Kolonialisten erhielten bzw. abhängig vom Kolonialregime waren, die Fremdherrschaft unter Berücksichtigung ihrer individuellen Vorteile. An den unterschiedlichen Ausgangsebenen der Betrachtung deutscher Kolonialherrschaft aus der Sicht der Kolonialherren oder der kolonial Unterdrückten hat sich bis zur Gegenwart prinzipiell nichts geändert. Allerdings finden sich die entgegengesetzten Standpunkte in höchst ungleichem Maße in der Literatur und der Geschichtsschreibung über die deutsche Kolonialära in Togo widergespiegelt. Von Beginn der deutschen Okkupation an bestimmten die Kolonialdeutschen in Togo, die zentrale Kolonialverwaltung in Berlin und koloniale Propagandisten in den von ihnen beeinflußten Medien, was in Deutschland an Fakten bekannt wurde und wie diese aus kolonialistischer Sicht bewertet werden sollten. Die Akten des ehemaligen Reichskolonialamtes enthalten unzählige Beispiele dafür, daß Berichte vor ihrer Veröffentlichung im „Deutschen Kolonialblatt" oder im „Amtsblatt für das Schutzgebiet Togo" sowie in den „Mitteilungen von Reisenden und Gelehrten aus den deutschen Schutzgebieten" zusammengestrichen bzw. umformuliert wurden. XI

Die amtliche Berichterstattung wurde ergänzt durch Publikationen, gerichtet an unterschiedliche deutsche Leserkreise: Reiseberichte, Missionsdarstellungen, Memoiren, Kolonialromane, Sachbücher, wissenschaftliche Untersuchungen. Ihre Autoren zeichnet eine Gemeinsamkeit aus: Mochten sie auch aus unterschiedlichen sozialen Schichten des Kaiserreichs stammen und mit unterschiedlichem Auftrag nach Togo geschickt worden sein — sie kamen nach Togo in eine deutsche Kolonie, und zwar als kolonial Privilegierte. Diese Position prägte ihr Bewußtsein, so daß alle die Kolonialherrschaft im Prinzip bejahten und das in ihren Berichten zum Ausdruck brachten, allein schon um das eigene Wirken in der Kolonie vor sich und anderen zu rechtfertigen. Allerdings kam es teilweise zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten unter den Angehörigen der verschiedenen Fraktionen deutscher Kolonialisten in Togo — Administratoren, Wirtschaftsunternehmern, Missionaren —, aber diese Differenzen betrafen nur die Methoden der Herrschaftsausübung, jedoch nicht das Prinzip. Alle Kolonialdeutschen beanspruchten, „Augenzeugen" der Ereignisse in Togo und „Landeskenner" zu sein, um die Richtigkeit ihres Urteils zu untermauern. Aber ihr Blickwinkel — selbst wenn sie eine afrikanische Sprache beherrschten — war der des kolonial Privilegierten. Aus den von den Kolonialisten verfaßten — internen oder publizierten — Materialien kann man nur darauf schließen, was die Kolonialisten beabsichtigten und wie sie ihre Handlungen bewertet wissen wollten. Das tatsächliche Resultat, das wahre Ausmaß kolonialen Wirkens, schlug sich jedoch vielfach selbst in den geheimgehaltenen Berichten an die zentrale Kolonialverwaltung nicht nieder. Überaus fragwürdig ist vornehmlich die Berichterstattung der kolonial Privilegierten über die von ihnen Unterdrückten. So schrieb der deutsche Sprachwissenschaftler Gottlob Adolf Krause, damals im Hinterland der Togoküste lebend, in einem am 18. September 1888 in der „Kreuzzeitung" veröffentlichten Artikel: „Es gibt zwei Arten von Negern. Solche, die in Lehrbüchern und Köpfen von Europäern, und solche, die in Afrika vorkommen. Beiden gemeinsam ist wenig mehr als der Name." Bereits im Kaiserreich wurde eine einseitig von deutschen Kolonialisten und ihren Apologeten geprägte Literatur über Togo verbreitet. Im Vergleich zu den anderen deutschen Kolonien in Afrika ist die Zahl der Bücher über Togo bzw. Togo betreffender Teile in Standardwerken zur kolonialen Problematik verhältnismäßig gering; Zöller, Henrici, Klose, Dier, Spieth, Külz, Passarge, Fisch, Schlunk, Vietor, Trierenberg, Smend und Zech seien hier als wichtigste Autoren angeführt. Aber die in Zeitschriften veröffentlichten Beiträge — von K. Zielnica (VR Polen) 1976 in einer umfangreichen Bibliographie über die Ewe zusammengestellt — zählen bereits über tausend. Die allerdings unvollständige Sammlung von Zeitungsartikeln zu Togo im Zeitungsarchiv des Reichslandbundes veranschaulicht, daß zumindest aus bestimmten Anlässen die deutsche Kolonie Togo in der Tagespresse breit herausgestellt wurde. XII

Wo aber ist in jenen Jahren direkter Kolonialherrschaft die Stimme der kolonial Unterdrückten und der an ihrer Seite Stehenden zu finden? Sieht man die Bibliographien durch, so scheint es sie nicht gegeben zu haben. Und doch war sie vorhanden. Allein die in der afrikanischen Presse der Togo benachbarten Goldküstenkolonie (heute Ghana), vor allem im „Gold Coast Leader", von Togolesen verfaßten zeitgenössischen Artikel würden — zusammengefaßt nachgedruckt — ein umfangreiches Buch ergeben. Hier ist nachzulesen, wie einhellig die Wortführer der antikolonialen Bewegung, aber auch die breiten Volksmassen in Togo die deutsche Herrschaft verurteilten. Übten sie damit auch einen weitreichenden Einfluß auf die politische Meinungsbildung der Afrikaner in Westafrika aus — in die Weltöffentlichkeit drang nur wenig. Andere Dokumente, wie von Afrikanern verfaßte Petitionen oder Niederschriften mündlicher Aussagen von Togolesen durch Europäer, befinden sich in deutschen und britischen Archiven. Die eindeutigen Äußerungen eines Bebel, eines Ledebour und anderer Sozialisten zur Verteidigung der unterdrückten Afrikaner und der Togolesen sind heute nur in den Stenographischen Berichten der Verhandlungen des Deutschen Reichstages und den Protokollen der Parteitage der SPD zu finden. Die Äußerungen eines Gegners des Kolonialismus wie G. A. Krause wurden lediglich für eine gewisse Zeit in deutschen Tageszeitungen gedruckt. Diese den Kolonialisten nicht genehmen Stimmen schwieg die Propaganda einfach tot, da sie nicht in das Konzept des von ihr manipulierten Togo-Bildes paßten. Bereits etwa fünf Jahre nach dem Beginn der deutschen Kolonialokkupation, als die deutsche Reichsregierung zu einer systematischen Finanzverwaltung der Kolonien überging, wiesen ihre offiziellen Bilanzen für Togo im wesentlichen ausgeglichene Einnahmen und Ausgaben aus. Obendrein mußte in den Anfängen kolonialer Beherrschung aus Togo nicht von größerem militärischem Widerstand berichtet werden. Eigenfinanzierung und der Eindruck von „Ruhe und Ordnung" in Togo waren — angesichts konträrer Entwicklungen in anderen deutschen Kolonien — solche Erfolge, daß Kolonialpolitiker und die ihnen hörige Presse von einer „Musterkolonie" sprachen. Allerdings gaben sie nicht die zutreffenden Gründe an, warum in Togo solche Ergebnisse zu verzeichnen waren. Was sie als Resultat kolonialer Aktivität ausgaben, war vielmehr auf ein Verhalten der Anpassung an gesellschaftliche Realitäten in Westafrika zurückzuführen. So lösten sie auch späterhin einzelne Tatsachen aus ihren Zusammenhängen bzw. verkündeten bloße Behauptungen, um mit Togo als ihrer Renommierkolonie vor dem deutschen Volk und schließlich auch vor der Weltöffentlichkeit die deutsche koloniale Politik insgesamt zu rechtfertigen. Etwa um die Jahrhundertwende — besonders als die großen Aufstände in Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika das Augenmerk der deutschen Öffentlichkeit mehr auf die Lage der Afrikaner richteten — rückte die Propaganda einen neuen Aspekt der „Musterkolonie" in den Vordergrund. Sie suggerierte, daß eine Kolonie mit musterhaften Ergebnissen für die Kolonialherren auch musterhafte Ergebnisse für die kolonial Unterdrückten haben müsse. XIII

Verständlicherweise beeinflußte die Funktion der kleinsten deutschen Kolonie in Afrika, Renommierkolonie für ein ganzes koloniales System zu sein, nicht nur die praktische Politik in Togo, sondern vor allem auch die koloniale Berichterstattung über Togo. Als im Gefolge des ersten Weltkrieges der deutsche Imperialismus seinen Kolonialbesitz verlor, zeigte sich schnell, daß die Legende von der „Musterkolonie" in ihrer propagandistischen Funktion eher noch zunahm. Mochten die imperialistischen Herrschaftssysteme vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, die Nazidiktatur bis zur Bundesrepublik wechseln, die kapitalistische Gesellschaftsordnung blieb erhalten und damit folgerichtig der systemimmanente Drang zu kolonialer Politik. In der entsprechenden Propaganda fehlt daher der Rückgriff auf die Togolegende zu keiner Zeit. In der Zeit der Weimarer Republik und der Nazidiktatur fand die einseitig von Kolonialisten geprägte Literatur über Togo ihre Fortsetzung, da die Legende von der „Musterkolonie" geeignet war, bei Teilen der deutschen Bevölkerung Unterstützung für die Politik der „Rückgewinnung" der deutschen Kolonien zu finden und das deutsche Volk für einen Krieg gegen Frankreich und Großbritannien sowie für große Kolonialannexionen gefügig zu machen. Die Togobücher von Gärtner, Schlettwein, Rentzell, Füll, Küas, Külz, Strack und Asmis sowie die Dissertation von Sayle, verfaßt in kolonialer Nostalgie oder in der Euphorie faschistischer Kolonialpläne, untermauerten die Legende. Ein großes deutsches Kolonialimperium in Mittelafrika, das Togo mit einschließen sollte, zählte zu den Zielen der deutschen Faschisten im zweiten Weltkrieg. Der Sieg der Sowjetunion und ihrer Verbündeten machte auch diese Pläne zunichte. Im Gefolge des zweiten Weltkrieges wandelte sich das internationale Kräfteverhältnis grundlegend zugunsten der Kräfte des Sozialismus und der nationalen Befreiung und zuungunsten des Imperialismus. Nur in einem Teil des ehemaligen Deutschen Reiches konnte der deutsche Imperialismus sein Herrschaftssystem restaurieren. Eine direkte Herrschaft über Togo anzustreben war allerdings nach 1945 illusorisch geworden. Auch die deutschen Imperialisten mußten sich der Tatsache beugen, daß die Befreiungsbewegung in Afrika nicht aufgehalten werden konnte. Zusammen mit anderen afrikanischen Völkern erkämpfte die Bevölkerung Togos 1960 die Eigenstaatlichkeit. Damit begann eine gewichtige neue Etappe in der Geschichte Togos. Die Togolesen hatten mit ihrem Kampf um nationale Freiheit bewiesen, daß sie keineswegs — wie die Kolonialapologie behauptete — letztlich bloße Objekte ausländischer Kolonialherren gewesen waren. Sie hatten vor 1884 ihre Geschicke selbst bestimmt und nach 1960 auch die Staatsgewalt wieder in die eigenen Hände genommen. Die dazwischen liegenden Jahrzehnte waren natürlich Teil ihrer eigenen, nationalen Geschichte. Nur war diese Ära direkter Kolonialherrschaft bisher lediglich aus kolonialapologetischer Sicht als deutsche bzw. französische A^o/ow/'a/geschichte dargestellt worden. Wie würde künftig eine von Afrikanern vorgenommene nationale GeschichtsXIV

Schreibung die Ära direkter Kolonialherrschaft als Teil der Geschichte der Völker Togos werten? Verständlicherweise konzentrierten die unabhängig gewordenen Staaten ihre Hochschulkader auf den praktischen Neuaufbau und die Überwindung der Folgen des klassischen Kolonialismus. Zwar zählten weitblickende afrikanische Persönlichkeiten dazu auch die Herausbildung eines nationalen Geschichtsbewußtseins, aber in dem weiten Feld ausstehender Untersuchungen konzentrierten sich die wenigen afrikanischen Historiker mehr auf die Aufhellung der präkolonialen Geschichte sowie auf die historiographische Aufarbeitung der nationalen Befreiungsbewegung. Historiker aus Ghana wie D. E. K. Amenumey und Ansa Asamoa befaßten sich im Rahmen ihrer Graduierungsforschungen auch mit der deutschen Kolonialperiode in Togo. Historiker aus Togo und der VR Benin wie Amouzouvi Akakpo, Ametepe Yawovi Ahadji, Ali Napo und Adjai P. Oloukpona-Yinnon untersuchten, vor allem im letzten Jahrzehnt, Teilaspekte der Geschichte Togos unter deutscher Herrschaft, wie die Grenzziehungen (Akakpo) und das Wirken der deutschen Plantagengesellschaften (Ahadji). Eine umfassende und systematische Gesamtdarstellung der deutschen Herrschaft wurde jedoch von afrikanischen Historikern bisher noch nicht erarbeitet. Afrikanische Historiker haben durch archivalische Studien in Europa und Afrika neues Quellenmaterial erschlossen sowie die oralgeschichtliche Forschung in Togo gefördert und den kolonialen Wertungen auch eigene Urteile entgegengesetzt. Ihre Arbeiten veranschaulichen jedoch gleichzeitig, daß historische Forschungen in Afrika von denselben Realitäten beeinflußt werden, mit denen die afrikanischen Staaten auch auf anderen Gebieten konfrontiert sind: Die direkte Kolonialherrschaft verstärkte die strukturelle Abhängigkeit der afrikanischen Länder im System der kapitalistischen Weltwirtschaft. Massiver ökonomischer und politischer Druck sowie ideologische Einflußnahme seitens der imperialistischen Hauptländer auf afrikanische Staaten sind die Folgen. Dem geschichtlichen Verständnis messen imperialistische Politiker hohen Stellenwert zu als unentbehrliche Voraussetzungen für die Entscheidungen der Gegenwart. Zwar ist in der Beurteilung der vergangenen Periode direkter Kolonialherrschaft die offen rassistische Argumentation zurückgenommen worden — schließlich suchen sich die herrschenden Klassen der alten Kolonialmächte den Afrikanern heute als „Partner" anzubiedern —, aber am wesentlichen Inhalt der Wertung wurden keine Abstriche gemacht. Wie könnten auch Politiker und Ideologen der imperialistischen Hauptländer glaubhaft machen, daß in der Zeit der direkten Kolonialherrschaft ihre Politik gegenüber den Afrikanern prinzipiell falsch war, in der Gegenwart jedoch prinzipiell richtig sei? Um so keinen Widerspruch entstehen zu lassen, erachten es neokolonialistische Politiker für notwendig, die traditionelle Kolonialherrschaft im Wesen zu rechtfertigen, und welche Kolonie würde sich besser dazu eignen als die ehemalige deutsche „Musterkolonie"? (Siehe auch S. 632ff.) XV

Wenn heute — wie sich anläßlich des 100. Jahrestages des Beginns der deutschen Kolonialokkupation 1984 augenfällig zeigte — in Massenmedien der BRD die Phrasen von der „Musterkolonie" nachdrücklicher denn je hervorgehoben werden, so ist dies eine Folge langwährender ideologischer Beeinflussung, an der auch die bürgerliche Fachliteratur wesentlichen Anteil hat. Togo hatte noch nicht die staatliche Souveränität erreicht, als Josef Schramm 1959 in seiner Publikation über Togo die Legende von der „Musterkolonie" wieder in den Vordergrund schob. Gleichzeitig wies er der neokolonialen Propaganda eine neue Richtung. Hatten die kolonialen Publikationen in Deutschland zu Togo in der Zeit zwischen beiden Weltkriegen eine starke Stoßrichtung gegen die französische bzw. britische Kolonialmacht, so sprach sich Schramm ausdrücklich für die Anerkennung der Leistungen der anderen Kolonialmächte aus. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Da die veränderte welthistorische Situation eine Rückgewinnung Togos als deutsche Kolonie nicht mehr zuließ, schufen wechselseitige kolonialistische Komplimente eine neue Grundlage für das nunmehr gemeinsame neokoloniale Vorgehen der ehemaligen Konkurrenten. Das Echo blieb nicht aus. In der offiziösen Darstellung „Togo. Die Geschichte eines afrikanischen Staates von der Vergangenheit bis zur Gegenwart", herausgegeben vom „Afrika-Bulletin", Bonn 1961, wurde nicht nur die „Musterkolonie" allseitig offen gepriesen, sondern bereits der Weg in die Zukunft abgesteckt (S. 57): „Die Bundesrepublik als die moralische Nachfolgerin des deutschen Reiches" tritt das „Erbe der Väter" an, und (S. 58): „Im Rahmen unserer Gesamtaufgaben in Afrika gewinnt damit der Gedanke an Gewicht, aus der Republik Togo mit deutscher Hilfe ein Musterbeispiel zu schaffen . . ." In den Publikationen anderer bürgerlicher Wissenschaftler über Togo, so in dem Standardwerk von Robert Cornevin (Frankreich), sowie in den Publikationen von Gabriele Wülker (BRD) und Samuel Decalo (USA) zeigte sich ein weiterer Trend. Die Autoren stützen sich in ihren Aussagen zur deutschen Herrschaft auf die veröffentlichte deutsche Kolonialliteratur, vermeiden meist den Nachvollzug der dort vorhandenen allzu offenen Glorifizierung, aber letztlich übernehmen sie mit einer solchen „versachlichten" oder auch „objektivierten" Darstellung nicht nur die von den deutschen Kolonialisten einseitig offerierten Fakten, sondern auch manche ihrer Interpretationen. Das einzige in den kapitalistischen Ländern nach 1945 erschienene Buch, das vom Thema her ausschließlich der deutschen Kolonialherrschaft in Togo gewidmet ist, wurde von dem US-Amerikaner Arthur Knoll — mit finanzieller Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung — verfaßt und 1977 unter dem Titel „Togo under imperial Germany" veröffentlicht. Knoll hat für seine Dissertation in Togo und Ghana erhalten gebliebenes deutsches Archivmaterial sowie Archivalien in der BRD ausgewertet. Er bereicherte damit die Togoliteratur um manche bisher unbekannte Tatsache. Aber die Kenntnis unveröffentlichten Archivmaterials läßt die Frage noch gravierender werden, ob Tatsachen von proXVI

oder antikolonialen Grundpositionen aus bewertet werden. Knolls hauptsächliche Aussagen und die Anlage seines Buches fügen sich leider in die Kolonialapologie seiner Mentoren Gann und Duignan ein (in deren Sammelwerk der 1978 von Woodrow D. Smith über Gouverneur Zech verfaßte Artikel die gleiche Tendenz erkennen läßt). Aus dem Buch von Knoll wie aus den Werken von Gann und Duignan zum Kolonialismus ist ersichtlich, daß die modernen Kolonialapologeten die negativen, destruktiven Folgen kolonialer Herrschaft im allgemeinen und der deutschen im besonderen — nicht zuletzt angesichts marxistischer Forschungsergebnisse — heute nicht mehr verschweigen können. Sie geben diese mehr oder weniger zu, weil sie dabei durchaus ihre Ausgangsthese beizubehalten vermögen, daß trotz negativer Auswirkungen von der Kolonialherrschaft dennoch gesellschaftlicher Fortschritt ausgegangen sei. Der Kolonialismus, eine objektive Voraussetzung für die rapide Entwicklung in wenigen kapitalistischen Zentren, wird somit umgefälscht in eine für die kolonial unterdrückten Völker notwendige und deren gesellschaftliche Entwicklung fördernde Erscheinung. Gerade angesichts der in Massenmedien der BRD fortgeführten Propagierung der Legende von der „Musterkolonie" kommt wissenschaftlichen Untersuchungen zur Geschichte Togos große Bedeutung zu. Aber im Gegensatz zu der breiten neokolonialen Propaganda haben sich nur wenige Wissenschaftler in der BRD mit Problemen der deutschen Kolonialzeit in Togo befaßt, und wenn, dann zumeist mit einzelnen Gebieten wie Rechtsvorstellungen (Wulf Lohse), Handel (Hartmut Müller, Otto Diehn), Schulwesen (Christel Adick) und Missionsgesellschaften (Karl Müller). 1987 legten Edward Graham Norris (Münster) und Werner Ustorf (Heidelberg) ihre Habilitationsschriften zum kolonialen Einfluß in Nordtogo bzw. zum Einfluß der Norddeutschen Missionsgesellschaft vor. (Siehe detaillierte Angaben im Literaturverzeichnis.) Die Mehrzahl dieser Arbeiten und auch das Sonderheft der „Entwicklungspolitischen Korrespondenz": „Togo 1884—1914. Der gewöhnliche Kolonalismus" sowie die Publikation „Weiß auf Schwarz" veranschaulichen, daß ernsthafte wissenschaftliche Untersuchungen die Legende der „Musterkolonie" keineswegs untermauern. Aber die richtige Einordnung der deutschen Ära in universalhistorische Zusammenhänge ist auch für solche Spezialuntersuchungen von größter Wichtigkeit, wollen sie nicht Gefahr laufen, den Kolonialapologeten die Chance zu geben, sich auch auf diese wissenschaftlichen Forschungen berufen zu können. Die vor 1945 so eindeutig von Kolonialisten dominierte Literatur über Togo wird jedoch heute nicht nur von afrikanischen Historikern und Wissenschaftlern in der BRD unterlaufen; von weitreichender Bedeutung erweist sich, daß das Archiv des ehemaligen Reichskolonialamtes heute im Besitz des Zentralen Staatsarchivs der DDR und seit Mitte der fünfziger Jahre der Forschung zugänglich ist. Bei den Historikern der DDR fand die deutsche Kolonie Togo frühzeitig Beachtung, wenn auch die größeren deutschen Kolonien in Afrika zunächst intensiver untersucht wurden. 2

Sebald, Togo

XVII

Marianne Friedländer, deren Dissertation zu den Klassenverhältnissen der Ewe leider nur im Manuskript vorliegt, befaßte sich auch mit der deutschen Ära und verwies auf die Wichtigkeit, sozialökonomische Veränderungen zu untersuchen. 1962 legte Manfred Nussbaum ( f ) in „ T o g o — eine Musterkolonie?" ( „ R & L-Taschenbuch Geschichte") nicht nur erstmals viele geheimgehaltene Tatsachen aus dem Archiv vor, sondern gab vom marxistischen Standpunkt auch wichtige neue Wertungen zum Charakter der deutschen Herrschaft. Der Autor des vorliegenden Buches setzte mit einzelnen Beiträgen diesen Beginn fort. Vor allem in den Staaten der sozialistischen Gemeinschaft — siehe z. B. das Buch von S. I. Tokareva (UdSSR) über Togo — fand diese neue Bewertung der deutschen Kolonialzeit Berücksichtigung. Als Fazit ist somit zu konstatieren, daß die Interpretation der deutschen Kolonialherrschaft in Togo als musterhaft eine wichtige Komponente der neokolonialistischen Politik der B R D ist und als solche an Bedeutung zugenommen hat. Die Propagandisten der Togolegende sahen sich in ihrer Geschichtsverfalschung dadurch begünstigt, daß eine umfassende wissenschaftliche Darstellung jener Periode, frei von kolonialistischen Denkansätzen, Axiomen und Voreingenommenheiten sowie kolonialapologetischer Parteinahmen, nicht vorlag. Aus der dargelegten Situation ergab sich die Aufgabenstellung für den Autor des vorliegenden Buches. Um das von den Kolonialisten verschwiegene bzw. verfälschte Tatsachenmaterial in größtmöglichem Maß zu erschließen, sind im Zentralen Staatsarchiv der D D R in Potsdam alle Togo betreffenden Aktenbände ausgewertet worden, ferner wurden die Aktenbestände des Colonial Office im Public Record Office in London für die Gold Coast Colony und Togo aus den Jahren von 1913 bis 1921 durchgearbeitet. Das hier erschlossene Material erwies sich als so umfangreich, daß in diesem Buch nur ein geringer Teil expliziert werden konnte; alle Aussagen könnten mit weiteren Fakten und Zitaten illustriert werden. Selbst der Quellennachweis mußte sich auf das Wesentliche beschränken. Selbstverständlich geben die Kolonialakten der Monopole nicht im gleichen Maße befriedigende Auskunft über alle Vorgänge, so daß manches Problem offen geblieben ist. Die gründliche Auswertung der in den nationalen Archiven Togos und Ghanas vorhandenen Akten des Gouvernements und der Bezirksämter — die ich leider nicht nutzen konnte — sowie die Niederschrift mündlicher Überlieferungen von Afrikanern werden weiteres Material zur deutschen Herrschaft in T o g o zutage fördern, jedoch steht die herausragende Bedeutung der Akten des ehemaligen Reichskolonialamtes für die einschlägige wissenschaftliche Geschichtsschreibung außer Zweifel. Besonderes Augenmerk wurde darauf gelegt, von Afrikanern verfaßte Dokumente auszuwerten, um deren zeitgenössische Einschätzungen denen der K o lonialisten gegenüberzustellen. Der Anhang von Dokumenten der antikolonialen Bewegung enthält allerdings nur einen Bruchteil des vorhandenen Materials: Von den über 250 im „ G o l d Coast Leader" im Zeitraum von 1911 bis 1920 von

XVIII

Togolesen veröffentlichten Artikeln hätten es die meisten verdient, hier zur Illustration im vollen Wortlaut zitiert zu werden. Angesichts der so zahlreichen neuen Quellenmaterialien war es nicht möglich, detailliert darauf einzugehen, was in den vorliegenden kolonialapologetischen Darstellungen verschwiegen wurde bzw. verfälscht dargestellt ist. Die oftmals sicherlich wünschenswerte Polemik hätte den Umfang des vorliegenden Buches ganz erheblich erweitert, so daß aus diesem Grund die Auseinandersetzung eingeschränkt werden mußte. Die Beurteilung der deutschen Kolonialära in Togo im Kontext universalhistorischer Vorgänge bestimmte den Aufbau und damit auch die Periodisierung des vorliegenden Buches. Wenn auch der Titel nur den Zeitraum von 1884 bis 1914 ausweist, so erforderte doch die Eingliederung der kurzen deutschen Kolonialära in langfristige gesellschaftliche Prozesse, Haupttrends in der Zeit vor und nach der deutschen Herrschaft in gesonderten Kapiteln darzulegen. Ferner hatte der um die Jahrhundertwende vor sich gehende Übergang des Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium auf die deutsche Kolonialpolitik in Togo so weitreichende Auswirkungen, daß sich klare Zäsuren in der dreißigjährigen Kolonialperiode und damit eine Unterteilung in drei Kapitel ergaben. Bei der Untersuchung der Vorgänge in jenen dreißig Jahren wurden die fünf Gesichtspunkte herangezogen, die Walter Markov 1954 zur Bewertung eines KoloniaLs^s/ems1 herausgearbeitet hat. (1) Da jedoch hier nur eine Kolonie untersucht wird, sind die einzelnen Gesichtspunkte dementsprechend unterschiedlich gewichtet worden. „Die ökonomischen, sozialen, politischen und sonstigen Auswirkungen der Ausbeutung des Kolonialgebiets auf Kolonie und Kolonialmacht" bilden in ihrer Wechselwirkung den Hauptgegenstand der Untersuchung. Es werden dabei vor allem Ereignisse in der Kolonie dargestellt. „Die Einwirkung internationaler Gesamtbeziehungen", der „sozialökonomische, politische und kulturelle Entwicklungsstand der Kolonialmacht", die „historische Perspektive der Kolonialmacht" — also gleichsam die „äußeren Faktoren", zu denen auch der Einfluß des westafrikanischen Regionalaspektes hinzuzufügen ist — sind den jeweiligen Zeitabschnitten von 1884 bis 1914 als Rahmenbedingungen vorangestellt. Die Konzentration auf Darstellung und Analyse der Entwicklungen in der Kolonie hat auch zur Folge, daß die Frage nach der Stellung der Kolonie Togo in der gesamten deutschen Innen- und Außenpolitik nur insoweit berücksichtigt ist, als davon die Rahmenbedingungen für die Vorgänge in Togo beeinflußt wurden. „Togo in der deutschen imperialistischen Politik in Vergangenheit und Gegenwart" ist ein gesondertes Thema, dessen detaillierte Untersuchung wünschenswert wäre. In der von neokolonialen Politikern und Propagandisten sowie ihren wissenschaftlichen Apologeten vorgenommenen Verfälschung der Geschichte Togos unter deutscher Kolonialherrschaft steht die Frage, was die deutschen Kolonialisten beabsichtigten und was sie erreichten, an erster Stelle, und mit der The2*

XIX

se von der „Musterkolonie" geben sie ihre eindeutige Antwort. In den Augen der Afrikaner in Togo wie auch in den Nachbarkolonien galt hingegen das deutsche Kolonialregime als besonders drückend und verwerflich, weil es die imperialistische Kolonialpolitik mit brutaler Gewalt und offenem Rassismus umsetzte. Mit Recht sahen sie die berüchtigten „25", die Norm der Prügelstrafe, als ein Symbol des deutschen Kolonialismus an. In der Tat waren sowohl die Ziele der deutschen Kolonialisten als auch ihr tatsächliches Wirken für alle Klassen und Schichten der Afrikaner — mochten sie den unterschiedlichen vorkapitalistischen Gesellschaftsstrukturen zugehören oder aus dem Klassendifferenzierungsprozeß in kapitalistische Richtung resultieren — objektiv fortschrittsfeindlich. Geht man von der von Hartmut Schilling gegebenen Definition kolonialer Ausbeutung aus, derzufolge diese im Unterschied zu anderen Formen internationaler kapitalistischer Ausbeutung vor allem auf der Diskrepanz im sozialökonomischen Entwicklungsniveau zwischen Metropole und Kolonie beruht (2), so schufen die deutschen Kolonialisten mit allen Mitteln zielgerichtet diese Diskrepanz und behinderten die Entwicklung jener afrikanischen Schichten, die zu deren Überwindung fähig und willens waren. Alle Togodeutschen als Repräsentanten des deutschen Imperialismus widersetzten sich dem bereits begonnenen Klassendifferenzierungsprozeß in Richtung auf eine bürgerliche Gesellschaftsordnung und errichteten ihr Herrschaftssystem auf vorkapitalistischen Strukturen, indem sie vorgaben, das „wahre Afrika" erhalten zu wollen. Ihre „Kulturmission" zielte nicht darauf ab, die Afrikaner an den damals möglichen gesellschaftlichen Stand, wie er sich in den entwickelten kapitalistischen Ländern präsentierte, heranzuführen. Vielmehr setzten sie alles daran, die Togolesen von diesem erreichbaren Niveau fernzuhalten. Damit hemmten sie jeden echten Fortschritt. Ihre „Kulturtaten", die angeblich Fortschritt bringen sollten, waren darauf gerichtet, ihren kolonialen Herrschaftsmechanismus zu stabilisieren. Als erste Kolonialmacht, die in Togo die direkte Herrschaft ausübte, führte sie wie jede andere Kolonialmacht die Afrikaner in jene strukturelle Abhängigkeit, die auch nach Beseitigung der direkten Herrschaft Ausplünderung und koloniale Beeinflussung jeglicher Art durch die imperialistischen Hauptmächte ermöglicht. Es gilt somit, an die Leistungen der deutschen Kolonialisten, die diese am gesellschaftlichen „Fortschritt" für die Afrikaner messen wollen, den richtigen Maßstab eines wirklichen gesellschaftlichen Fortschritts anzulegen. Dafür nur ein einziges Beispiel. Die Etablierung des ersten deutschen Arztes an der Togoküste (1888) — er blieb der einzige bis zur Jahrhundertwende — galt in kolonialer Sicht als Fortschritt. Bis 1914 erweiterte die Administration die Zahl der Ärzte auf vier. Den neokolonialistischen Propagandisten in der BRD, gestützt auf historische Fachberater, genügte die Zahl der Ärzte für eine Bevölkerung von einer Million Afrikaner offenbar, um am 3. Juni 1984 in einer repräsentativen Sendung des Ersten BRD-Fernsehprogramms den kolonialen Gesundheitsdienst in Togo als „vorbildlich" zu werten. (3) XX

Warum prinzipiell keine afrikanischen Ärzte an deutschen Universitäten ausgebildet wurden, warum afrikanische Ärzte in der deutschen Kolonie nicht praktizieren durften — diese zur Bewertung angeblich progressiver Leistungen imperialistischer deutscher Herrschaft so wichtigen Fragen sind in der gesamten kolonialistischen Literatur nicht einmal aufgeworfen worden, und sie werden auch gegenwärtig von neokolonialer Seite nicht gestellt, weil ihren Repräsentanten gerade heute, dem unabhängigen Togo gegenüber, eine plausible Antwort äußerst schwerfallen dürfte. Aber die reaktionäre deutsche Kolonialpolitik, basierend auf der gewaltsamen Unterdrückung der afrikanischen Bevölkerung und ihrer generellen rassistischen Entrechtung als Menschen zweiter Klasse, suchte auf allen Gebieten wirklichen Fortschritt der Afrikaner zu verhindern. Afrikaner durften keine eigenen modernen Schulen eröffnen — wie hätte man sonst die ideologische Beeinflussung sichern können? Afrikanische Rechtsanwälte waren nicht zugelassen — wie hätte man sonst die anarchische, subjektivistische „ R e c h t s p r e c h u n g der deutschen Administratoren durchsetzen können? Afrikaner waren in der Kolonialadministration zum untergeordneten befehlsausführenden Personal degradiert, und selbst in der kolonialen Söldnertruppe durften Afrikaner keinen Offiziersrang einnehmen. Afrikaner sollten nicht frei wirtschaftende Bauern sein — die Administration erzwang den Anbau von Baumwolle als Exportkultur und setzte die Aufkaufpreise auf einem Minimalniveau fest. Afrikaner sollten nicht einmal freie Lohnarbeiter sein — mit einem Angebot billiger Zwangsarbeiter aus dem Landesinnern und der Festsetzung von Niedriglöhnen regulierte die Administration die Arbeitskräftezufuhr. Schritt für Schritt erweiterten so bis 1914 die deutschen Kolonialisten den Unterschied im sozialökonomischen Entwicklungsniveau zwischen Kolonie und Metropole als Grundlage kolonialer Herrschaft und Ausbeutung; sie bauten ihn nicht etwa ab. Gegen diese koloniale Zielrichtung der Entwicklung gab es erhebliche Widerstände der Afrikaner. Denn sie waren auch in der Ära deutscher Herrschaft niemals bloße Objekte in den Händen der deutschen Kolonialisten, wenn auch koloniale und neokolonialistische Darstellungen ein derartiges Subjekt-ObjektVerhältnis hervorheben. Die Afrikaner wirkten — wie. an vielen Beispielen im folgenden gezeigt wird — durchaus aktiv und eigenständig auf die gesellschaftliche Entwicklung ein, geleitet von ihren unterschiedlichen Klasseninteressen. Während die deutsche Kolonialpolitik bewußt verhindern wollte, daß die Afrikaner das damals mögliche gesellschaftliche Niveau der Metropolen erreichten, strebten Afrikaner nach diesem Niveau und leisteten vielfältigen aktiven und passiven Widerstand gegen das rassistische Kolonialregime und die politische und gesellschaftliche Entrechtung. Damit verschärften sich die Widersprüche zur Kolonialmacht stetig, und die antikoloniale Bewegung begann sich XXI

zur nationalen Befreiungsbewegung zu profilieren. Auch während der deutschen Kolonialära errangen Afrikaner Erfolge auf dem Wege eines wirklichen gesellschaftlichen Fortschritts, aber nicht wegen, sondern trotz der deutschen „Musterkolonie".

(1) Markov, Genesis und Bedeutung der vorimperialistischen Kolonialsysteme, S. 17. (2) Schilling, S. 11. (3) „Des Kaisers schwarze Untertanen". Fernsehdokumentation ARD, 3. Juni, 20.15 Uhr.

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Kapitel I

Hauptperioden in der Geschichte Togos vom 16. Jahrhundert bis zum Beginn der direkten Kolonialherrschaft (1) 1. Togo als Teil unterschiedlicher historisch-geographischer Regionen in Westafrika Die Geschichte der Völker Togos war und ist mit jenen beiden großen historisch-geographischen Regionen (2) in Westafrika verbunden, in denen über Jahrtausende eine gemeinsame gesellschaftliche Entwicklung stattgefunden hat. Diese beiden Regionen hatten ihre Grundlage in zwei unterschiedlichen natürlichen Zonen, die sich quer durch Westafrika von West nach Ost erstrecken: 1. dem nördlichen Savannengebiet zwischen der Sahara und dem tropischen Urwaldgürtel im Küstenbereich; 2. dem südlichen Gebiet des tropischen Regenwaldes und der unmittelbaren Küstenregion. Diese natürlichen Zonen wandelten sich in ihren Größenverhältnissen mit der fortschreitenden Wüstenbildung der Sahara. Mit der Besiedlung paßten die Menschen die landwirtschaftliche Produktion den unterschiedlichen natürlichen Bedingungen an: Im Savannengebiet dominierte die Großviehzucht vor dem Ackerbau. Im Waldgürtel und Küstenraum fehlte die Großviehzucht; der Ackerbau, jedoch mit anderen Arten von Kulturpflanzen sowie die Nutzung von naturgewachsenen Pflanzen (besonders Palmen) herrschten vor. Auch der Lagunenfischfang besaß gewichtige Bedeutung. Den unterschiedlichen geographischen Zonen hatte der Mensch gesellschaftliche Komponenten hinzugefügt, so daß in Westafrika zwei historisch-geographische Regionen entstanden. Eine scharfe Abgrenzung zwischen Tropenwaldzone und Savannengebiet hat niemals existiert, und zwischen der Bevölkerung beider Räume bestanden u. a. Handelsbeziehungen. Aber Ethnien und darauf aufbauende dörfliche Gemeinschaften und Staaten konzentrierten sich auf die eine oder andere historisch-geographische Region, so die bekannten vorkolonialen Königreiche Ghana, Melle und Songhai auf Teile des nördlichen Savannengebietes; Benin auf Teile der südlichen Region. Erst seit dem Ende des 19. Jh. leitete die koloniale Grenzziehung eine neue Qualität zwischen beiden historisch-geographischen Regionen ein. Alle Kolonien am Golf von Guinea — Elfenbeinküste, Goldküste (heute Ghana), Togo, Dahome (heute VR Benin), Nigeria, Kamerun — erhielten durch koloniale Eroberungen, die Hunderte Kilometer ins Landesinnere reichten, einen Anteil am nördlichen Savannengebiet. Die koloniale Grenzziehung teilte somit die beiden in Westafrika quergelagerten historisch-geographischen Regionen verti1

kal auf. Damit spalteten die Kolonialisten einerseits Ethnien auf, ordneten andererseits volkreiche Ethnien der nördlichen Region der südlichen Region zu. Unter diesen Staaten am Golf von Guinea ist Togo mit 56000 Quadratkilometern der kleinste und mit einer nur 50 km langen Küste und einer durchschnittlichen Breite von 100 km der schmälste. Diese grundlegenden geographischen Gemeinsamkeiten, die Togo mit seinen Nachbarstaaten am Golf von Guinea verbinden, werden in diesem Land durch natürliche Besonderheiten modifiziert: 1. Von Nord nach Süd erstreckt sich, zum Teil in mehreren Gebirgsketten, ein bewaldetes Gebirgsmassiv mit einer Höhe von maximal 700 bis 800 Metern. Es reicht vom Norden der VR Benin bis in das südliche Ghana. Die ehemalige deutsche Kolonie wurde durch das Gebirgsmassiv in ihrem Mittelteil schräg durchschnitten; heute verläuft hier, in Mitteltogo, die politische Grenze zwischen Togo und Ghana. Das Togogebirgsmassiv bedeutet jedoch für Menschen keine unüberwindliche Barriere, zumal die Täler des Mo und des Kara sowie die Ebene bei Bassari in Nordtogo Passagen bilden. 2. Auf dem Territorium Togos fehlt ein großer Fluß, der, wie der Niger in Nigeria und der Volta in Ghana, eine natürliche Verkehrsverbindung zwischen dem Hinterland und der Küste wäre. Die Quellflüsse des mittleren und nördlichen Togogebirgsmassivs fließen nach Osten hin in den Monu, der in der VR Benin mündet, nach Westen hin in den Oti und somit den Volta. Diese beiden natürlichen Besonderheiten bewirkten zwei weitere Naturveränderungen : 1. Mit der fortschreitenden Ausdehnung der Sahara wurde nicht nur insgesamt der tropische Regenwaldgürtel nach Süden zurückgedrängt. Als das Savannengebiet im Norden das Togogebirgsmassiv erreicht hatte, wurde der periodisch im Jahr auftretende heiße Wüstenwind (der Harmattan) entlang dem Gebirgsmassiv von Norden nach Süden geleitet, und zwar bis zur Küste. Er schlug im Gebiet des heutigen Togo eine etwa 100 km breite Bresche in den sich von West nach Ost hinziehenden Urwaldgürtel. Im heutigen Togo gibt es demzufolge — im Gegensatz zu den Nachbarstaaten — keinen geschlossenen Tropenwaldgürtel mehr. 2. An der gesamten Küste von Ostghana bis Nigeria hat die starke Ozeanbrandung eine breite Sandbarriere aufgeworfen. Nur die großen Flüsse wie Niger, Monu und Volta konnten diese Barriere durchbrechen. Die kleinen Flüsse vermochten dies nicht; sie bildeten hinter der 100 bis 2000 m breiten Sandbarriere Lagunen, die von der Voltamündung bis nach Lagos reichen. Auch die beiden kleinen Flüsse im Togogebiet, der Haho und Schio, konnten die Sandbarriere nicht durchbrechen, aber sie führen so viel Wasser, daß das Lagunensystem an der Togoküste durch den etwa 50 km 2 großen „Togosee" besonders ausgeprägt ist. Jedoch ist die Lagune nur nach Osten hin als Verkehrsweg ganzjährig mit Kähnen befahrbar, nicht aber nach Westen, nach Ghana, zu. 2

Diese natürlichen Besonderheiten hatten auf die gesellschaftliche Entwicklung der Völker Togos weitreichende Auswirkungen: 1. Als der Harmattan die Bresche in den Gürtel des tropischen Regenwaldes geschlagen und sich auch südöstlich des Gebirges und südlich Savannen gebildet hatten, veränderten sich die Vorbedingungen für das Leben von Menschen. Es entstand im Gebiet des heutigen Togo eine natürliche Passage zwischen den nördlichen Savannengebieten zu den offeneren, urwaldfreien Palmenregionen am Küstenraum Westafrikas. Durch diese Passage könnte ein Vorstoß aus dem nördlichen historischen Raum des Savannengebietes zu den Gebieten in Südnigeria stattgefunden haben. So durchquerten die Bassari, in späteren Jahrhunderten auch die Kotokoli das Gebirge in südlicher Richtung und bildeten im südöstlichen Vorland das Königreich Tschaudjo mit dem Zentrum in Paratau bei Sokode. Aber in diesen Gebieten konnte nur begrenzt Großviehzucht betrieben werden, so daß die sozialökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse des nördlichen Savannengebietes nicht einfach südlich des Gebirges fortgesetzt werden konnten. Das Königreich Tschaudjo blieb in seinem Einflußbereich eingeschränkt. Andererseits waren in den Ebenen Mitteltogos die Wasser- und Witterungsverhältnisse auch durch den fehlenden größeren Fluß dergestalt, daß andere Gebiete Westafrikas weit günstigere Bedingungen für den in der südlichen historisch-geographischen Region gebräuchlichen Ackerbau, die Palmennutzung und den Fischfang boten. Das war vor allem der Raum im Küstenbereich, und dort waren auch die Zentren von Staatenbildungen, u. a. des Königreiches Benin im südlichen Nigeria. So hatten sich bereits in vorkolonialer Zeit im Gebiet des heutigen Togo jene Aufteilung in zwei getrennte historische Regionen vollzogen. 2. Der Küstenbereich in Südtogo mit seinen umfangreichen Beständen an Ölpalmen, durchzogen von Lagunen und Flüßchen, bildete für die bäuerliche Bevölkerung ein gutes Siedlungsgebiet. Bis auf den heutigen Tag besteht hier die größte Bevölkerungsdichte. Die Dörfer lagen an den Lagunen, die beste Wasserstraßen und reiche Fischfangplätze sind und Verbindungen in die Nachbargebiete über Hunderte Kilometer ermöglichen. Außerdem behinderte die starke Ozeanbrandung die Schiffahrt entlang der Küste und den Hochseefischfang, so daß die hier lebenden Afrikaner den Ozean als Abgrenzung, nicht aber als Einzugsgebiet in ihren Lebensbereich empfanden. Da die von der Brandung aufgeworfene Sandbank zwischen Lagune und Ozean vielfach mit einem mehrere Meter hohen, undurchdringlichen dichten Buschwerk bewachsen war, wurde die Abgeschlossenheit nach dem Ozean hin noch verstärkt. Solange es keine transatlantischen Handelsverbindungen mit Europäern gab, bestand für die afrikanische Bevölkerung keine Veranlassung, Ortschaften an der unmittelbaren Ozeanküste anzulegen. Welche Ethnien in vorkolonialer Zeit in Togo lebten, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. In der deutschen Kolonialära unterschied man in der Kolonie 3

neun Gruppen, und zwar: 1. die Ewegruppe im südlichen Togo, 2. die Guanggruppe, 3. die Tschi-(Aschanti)gruppe im mittleren, westlichen Togogebirge, 4. die Timgruppe im Nordosten mit dem volkreichen Gebiet der Kabre (Kabure), 5. die Dagomba-Mossi-Gruppe im Norden, 6. die Gurmagruppe, 7. die Yorubagruppe, 8. die „Splitterstämme" oder „Togorestvölker" der Adeli, Akpafu, Akposso, Akebu usw., 9. die Gagruppe. Die meisten dieser Gruppen fanden zahlreiche Unterteilungen. (3) In der Tat war das Gebiet der deutschen Kolonie Heimat größerer und kleinerer Stämme und ethnischer Gruppierungen, die verschiedene oder aber verwandte Sprachen gebrauchten und unterschiedliche gesellschaftliche und politische Strukturen geschaffen hatten. R. Cornevin hat in seiner „Histoire du Togo" einen historischen Überblick gegeben, welche Wanderungen und Staatengründungen im Gebiet des heutigen Togo vor dem Beginn der direkten Kolonialherrschaft diese ethnische und linguistische Vielfalt bedingt hatten. (4) So bedeutsam diese aus den afrikanischen gesellschaftlichen Bedingungen resultierende Geschichte der Ethnien auch ist, zu unterstreichen ist jedoch, daß das zur deutschen Kolonialzeit anzutreffende Siedlungsgebiet der Stämme und die zahlenmäßige Größe der Ethnien in einem entscheidenden Maße das Ergebnis der an der Togoküste im 16. Jh. beginnenden Kolonialperiode sind.

2. Der Beginn des kolonialen Einflusses auf die Togoküste von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts Seit dem 15. Jh. ist die südliche historisch-geographische Region Westafrikas über den kolonialen Einfluß mit der Epoche des Aufschwungs und Niedergangs der kapitalistischen Gesellschaftsordnung in den ausländischen Metropolen des entwickelten Kapitalismus und damit enger mit der Weltgeschichte verbunden. Demzufolge widerspiegeln sich die unterschiedlichen Stadien der gesamtkapitalistischen Entwicklung — ursprüngliche Akkumulation, Manufaktur, vormonopolistischer industrieller Kapitalismus, Monopolkapitalismus sowie die einzelnen Etappen der allgemeinen Krise des Kapitalismus (seit 1917) — in der westafrikanischen Geschichte und auch der Togos. Zuerst wurde die koloniale Expansion jedoch auch von dem spätfeudalen Charakter der europäischen Kolonialmächte geprägt, so daß sich nicht nur das Vorbild des kapitalistischen Händlers, sondern auch das des absolutistischen Königs in der afrikanischen Bevölkerung reflektierte. Die südliche Region Westafrikas reagierte anders auf die ersten kolonialen Expansionen als andere Teile der Welt. Der Kolonialismus strebt zwar immer die höchste Form, die allseitige direkte Kolonialherrschaft, d. h. direkte politisch-militärische Herrschaft und Kontrolle über die Bevölkerung sowie direkte Organisation der Exportproduktion, an." Aber die militärische und gesell4

schaftsstrukturelle Überlegenheit der ersten, seit 1482 in Westafrika permanent vertretenen Kolonialmacht, Portugal, war nicht groß genug, um die afrikanische Bevölkerung auf dem Kontinent unter die direkte Kolonialherrschaft zu zwingen. (5) Dies konnte sie nur auf den vorgelagerten Inseln, Kapverden, Säo Tomé, Principe usw., erreichen. Die südliche historische Region Westafrikas konnte lediglich über den Export-Import-Handel kolonial beeinflußt werden. Eine direkte Herrschaft war nur im Bereich der Kanonen der Küstenforts möglich. Für etwa ein Jahrhundert portu|iesischer Monopolstellung (gegenüber den europäischen Konkurrenten) beschränkte sich diese direkte Herrschaft auf drei an der Küste des heutigen Ghana gelegenen Forts mit insgesamt etwa 100 Portugiesen, die jeweils nach wenigen Jahren Dienst im Fort wieder nach Europa zurückkehrten. (6) Im Gegensatz zu den portugiesischen Kolonien auf den Inseln im Golf von Guinea und in Brasilien konnte von den Kolonialisten keine neue Produktionsweise oktroyiert werden. Der Export-Import-Handel veränderte ebenfalls die Produktionsweise nicht. Die Afrikaner schürften das Gold — den Hauptexportartikel — unter den gewohnten Bedingungen. Andere exportierte Waren, beispielsweise Wachs, produzierte man nicht speziell für den Export nach Europa. Von seiten der Produktion war also kein größeres revolutionierendes Element gegeben, das die bestehende Gesellschaftsordnung mit dörflichen Gemeinden oder kleinen und größeren Reichen hätte verändern können. Die bestehende historische Region in südlichen Westafrika blieb somit im Prinzip bis ins 19. Jh. aufrechterhalten. Selbst wo später der transatlantische Sklavenhandel zur Ausrottung ganzer Ethnien führte, füllten die siegreichen Ethnien mit ihrer traditionellen gesellschaftlichen Ordnung diese Landstriche wieder auf. Die indirekte Methode des Export-Import-Handels verursachte jedoch im nichtproduktiven Bereich gesellschaftliche Veränderungen, die revolutionierend wirkten. Dem Streben der europäischen Kolonialisten nach Gold kamen die Bedürfnisse von Afrikanern nach Textilien und Metallerzeugnissen sowie nach Waffen und Genußmitteln wie Wein und Spirituosen entgegen. Dieser Handel erstreckte sich Hunderte Kilometer ins Landesinnere bis an die Grenzen des Transsaharahandels. Da aus politisch-militärischen Gründen der direkte Wirkungsbereich der europäischen Export-Import-Mittler auf die Küstenforts begrenzt war, wurden afrikanische Export-Import-Mittler benötigt. Diese rekrutierten sich aus den Ethnien des Küstenbereichs, des Landesinnern, später auch vielfach aus Mischlingen europäischer Väter und afrikanischer Mütter. Diese Mittler als Zwischenhändler zu bezeichnen, charakterisiert sie nur zum Teil, denn der Großhandel, in dem sie ein wesentliches Zwischenglied bildeten, war ein Handel entsprechend Bedürfnissen und Bedingungen unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen. Mit der europäischen Seite, d. h. den Küstenforts und den an der Küste ankernden Handelsschiffen, verkehrten diese 5

Mittler auf der Grundlage kapitalistischer bzw. spätfeudaler kommerzieller und gesellschaftlicher Normen. Mit der afrikanischen Seite mußten sie nach vorkapitalistischen Normen verkehren, aber durch ihr tagtägliches Leben waren sie mit dieser afrikanischen Seite verknüpft. Auch die Mischlingskinder wuchsen bei der Mutter nach afrikanischen Gewohnheiten auf. Das Verbundensein mit zwei unterschiedlichen Gesellschaftsformationen führte zu Widersprüchen und somit zu politischen und sozialen Veränderungen. Dabei ist zu beachten, daß die afrikanischen Mittler' die weiterentwickelten Gesellschaftsordnungen feudalen und kapitalistischen Typs, wie sie in Europa bestanden, kaum in ihrer realen Existenz kennenlernten, sondern fast ausschließlich durch das Gebaren der europäischen Export-Import-Mittler in Westafrika sowie die angebotenen Handelsgüter. Die afrikanischen Export-Import-Mittler gründeten an der Küste neue, selbständige Handelsniederlassungen (zu solchen Plätzen folgten die europäischen Schiffe, und andere Kolonialmächte errichteten später dort weitere Forts). Sie gewannen politische und gesellschaftliche Machtpositionen auch in den an diese Niederlassungen angrenzenden Ethnien. Es war von außerordentlicher Tragweite, daß die afrikanischen Mittler ihre Handelsgewinne in der politisch-militärischen Sphäre, d. h. aus sozialökonomischer Sicht im unproduktiven Bereich, anlegen mußten. Das unterschied sie von den europäischen Mittlern, die ihre Gewinne im produktiven Bereich — in Manufakturen in Europa und in Plantagen in Amerika — investierten und dort im Sinne von Kapital arbeiten lassen konnten. Untersucht man die Auswirkungen der ersten Etappe des kolonialen Einflusses auf Togo, so vollzog sicli hier eine analoge Entwicklung zu den anderen Küstengebieten am Golf von Guinea. 1. Wie die anderen Teile der Küste von Elmina bis Lagos wurde die Togoküste durch die Niederlassung afrikanischer Export-Import-Mittler in die Bedürfnisse des Weltmarktes einbezogen. 2. Die Niederlassung erfolgte (bei der heutigen Stadt Anecho) auf der bisher unbesiedelten Sandbank, die hier zwischen Lagune und Ozean kaum 100 Meter breit war, also an einem Ort mit typischen natürlichen Bedingungen, wie leicht zu verteidigenden Inseln oder Halbinseln. 3. Die afrikanischen Mittler dehnten ihren ökonomischen, militärisch-politischen und kulturellen Einfluß (auch Sprache) auf die im Lagunenbereich lebende Bevölkerung aus, was seinen politischen Ausdruck in der Bildung eines lokalen „Königreiches" fand. 4. Trotz dieses örtlichen Engagements behielten die afrikanischen Zwischenhändler ihre Verbindungen zu anderen Küstenniederlassungen und ihre Orientierung auf den gesamten westafrikanischen Küstenbereich bei. Weist die Entwicklung an der Togoküste somit entscheidende Analogien zur westafrikanischen Küste auf, so gab es jedoch auch wichtige lokale Besonderheiten. 6

1. Ausgangspunkt und Schwerpunktbereich des transatlantischen Export-ImportHandeis war die Küste des heutigen Ghana bis zur Mündung des Voltaflusses (von den ersten portugiesischen Seefahrern so genannt, weil das Wasser durch die Stromschnellen sehr bewegt ist). An dieser „Goldküste" hatte die portugiesische Krone 1482 das erste Fort südlich der Sahara, Säo Jorge da Mina (Elmina), errichtet. Dieser Küstenstrich war das potentielle Exportgebiet des Hauptausfuhrartikels Gold. Die Togoküste lag also außerhalb des Goldexportgebietes. Für afrikanische Zwischenhändler gab es somit keinen Grund, dort sofort eine Handelsniederlassung zu gründen. Sie ließen sich erst, nachdem sie die heutige Ghanaküste erschlossen hatten, an der Togoküste nieder. Die Togoküste wurde somit, zeitlich später als andere Zentren an der afrikanischen Westküste, in den Export-Import-Handel einbezogen, und sie war für die europäischen Kaufleute wegen der geringen Goldzufuhr aus dem Landesinnern von untergeordnetem Interesse. 2. Die erste Auswanderung afrikanischer Zwischenhändler aus Elmina in Küstengebiete östlich der Mündung des Volta erfolgte nicht sofort nach der Togoküste, sondern nach einer 30 km weiter östlich, in der Mündung des Monuflusses gelegenen Insel (heute Pia, VR Benin). Die dort begründete Niederlassung erhielt die Bezeichnung Poupou (später auch Popo genannt). Der Historiker Nyati Madungu Buia (Zaire) macht darauf aufmerksam, daß dies dem deutschen Bum-Bum entspricht. (7) Dieser Name läßt auf das Entscheidende jener afrikanischen Zwischenhändler aus Elmina, den Besitz von Feuerwaffen, schließen. Erstmalig taucht der Begriff auf einer Karte von Bartolomeu Velho 1561 auf, hier aber sofort als Bezeichnung von „Stammesgebieten" oder „Königreichen", gleichwertig jenen ( von „ M i n a " oder „Benin". Daraus ist zu schließen, daß die „ P o u p o u " — nach dem Eindruck portugiesischer Seefahrer — bereits einen regionalen Einfluß gewonnen hatten. (8) Zwar erscheint erst wieder auf einer Karte von 1596 von Bartolomeo Lasso die Angabe „R das Papous" (Fluß der Poupou), aber seit jener Zeit ist Popo auf nahezu jeder zeitgenössischen Karte verzeichnet. Erst eine zweite Auswanderergruppe von Zwischenhändlern siedelte sich auf der Sandbank bei der heutigen Stadt Anecho an. Darauf verweist auch der von den Europäern gebräuchliche Name für die neue Niederlassung Klein Popo (Popo Pequeno, Little Popo, Petit Popo) Aber dieser Name ist keine Erfindung der Europäer, sondern die bloße Übersetzung der afrikanischen Bezeichnung Popo-vi. Denn als die Europäer seit dem Ende des 17. Jh. Klein Popo mit ihren Schiffen regelmäßiger anliefen, hatte Klein Popo auf Grund seiner günstigeren geographischen Lage „ G r o ß P o p o " an Bevölkerungszahl und Bedeutung längst überflügelt. Nach afrikanischen Vorstellungen kam in Popo-vi nur ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis von Popo-ga zum Ausdruck. 3. Im 17. Jh. wanderten weitere afrikanische Zwischenhändler von der Goldküste nach Klein Popo, und zwar flüchteten sie vor Repressalien anderer 7

afrikanischer Zwischenhändler und Europäer. Da Klein Popo außerhalb des potentiellen Goldhandelsbereichs gegründet wurde, kann man schlußfolgern, daß sich bereits im 16. Jh. die erste Gruppe von Zwischenhändlern aus dem gleichen Motiv hier niedergelassen haben könnte. Über die Gründung von Klein Popo gibt es zwei veröffentlichte deutsche Niederschriften der mündlichen Überlieferungen von Afrikanern aus Klein Popo. Die erste wurde um 1900 von Frau Paula Karsten (9), die andere von D. Westermann (10) in den zwanziger Jahren aufgenommen. Beachtung fand bisher jedoch nur die zweite Version, obwohl unschwer zu beweisen ist, daß hier die spätere Zuwanderung einer weiteren Gruppe nicht zur Sandbank, sondern in ein Lagunendorf bei Klein Popo gemeint ist. Leider ist der Personenname des afrikanischen Erzählers aus Klein Popo von Paula Karsten nicht angegeben worden. Paula Karsten hatte auch überhaupt keine Kenntnisse von afrikanischen Verhältnissen, so daß sie — oder der Erzähler — zu ihrem Verständnis und dem ihrer Leser eine Europäisierung bestimmter Begriffe vorgenommen hat. (Ihr Buch richtete sich gegen bestehende rassistische Auffassungen in Deutschland gegenüber Afrikanern.) Die folgenden, teils in indirekter Rede zusammengefaßten Passagen veranschaulichen, daß sich der Verlauf so, wie er hier mündlich überliefert wurde, tatsächlich zugetragen haben könnte (in Klammern Hinweise von P. S.): Ein „reicher Prinz von Elmina" habe mit seinem portugiesischen „Lehrer" Sklaven in Lagos gekauft und nach Elmina zu seinem Vater geschickt (also ein afrikanischer Zwischenhändler). Einer dieser Sklaven sei in Elmina in Streit mit einem Eingeborenen gekommen, habe einen erschlagen, und nach afrikanischem Recht hätte der „Prinz" für seinen Sklaven die Verantwortung übernehmen müssen. Die Familie des Erschlagenen habe sich aber geweigert, auf einem Vergleich mit der Familie des Sklavenhändlers einzugehen. Um der Blutrache zu entkommen, habe der Vater den „Prinzen" sofort wieder weggeschickt. Nach einer Reise durch „halb Europa", wohin er seinen zurückkehrenden portugiesischen „Lehrer" begleitet habe, sei er am Ort des späteren Klein Popo gelandet, wo die Sandbank so schmal sei, daß sie zeitweilig bei hohem Lagunenwasserstand durchbrochen würde. Als der „Prinz" um Niederlassungsrecht auf der Sandbank nachsuchte, habe er von dem König der Lagunenorte die Auskunft erhalten, daß über den südlichen Teil, das bedeute die Sandbank, der König von Popo zu entscheiden habe. (Der König der Lagunenorte erhob bezeichnenderweise keinen Anspruch auf das aus seiner Sicht nutzlose Territorium der vorgelagerten Sandbank.) Der König von Popo, einer kleinen Insel in der Monumündung, sowie alle seine Untertanen hätten gern eingewilligt, da sie wußten (dies deutet auf die eigenen Beziehungen der Bevölkerung von Popo nach Elmina hin), daß der „Prinz" ein reicher Mann sei. Der „Prinz" habe zahlreiche Handelsverbindungen mit Europa geschaffen und viele Europäer ins Land gebracht, und als der nächste König für das gesamte Gebiet einschließlich der Lagunenorte hinter Klein Popo gewählt wurde, sei der „Prinz" zum 8

König gewählt worden mit der Begründung „denn er ist ein zivilisierter Prinz und reich, darum ist es besser für uns, wenn wir ihn wählen". Zwar hätten die alten Könige im nördlichen und westlichen Gebiet den Prinzen als „Eroberer" angesehen, aber sich mit ihm abgefunden. Diese mündliche Überlieferung enthält zu der Frage, wann diese Niederlassung in Klein Popo erfolgte, zwei wichtige Hinweise: Erstens wird von den direkten Beziehungen zu Elmina gesprochen (spätere Zuwanderungen von Elmina-Zwischenhändlern im 17. Jh. erfolgten aus der Gegend bei Accrä). Zweitens wird darauf verwiesen, daß der „Prinz" Sklaven nach Elmina gebracht habe. Dieser Import von Sklaven nach Elmina als Träger für die afrikanischen Zwischenhändler war ein Charakteristikum der portugiesischen Kolonialpolitik an der Goldküste (das in seinen Konsequenzen für die Bewertung der vorkolonialen gesellschaftlichen Bedingungen in Westafrika übrigens noch nicht untersucht worden ist) vor dem Beginn des transatlantischen Sklavenhandels. Auch dieses Indiz stützt eine Annahme der Datierung der Niederlassung in Klein Popo um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Aus den wenigen europäischen Quellenbelegen für Popo im 16. Jh. kann jedoch mit Sicherheit geschlußfolgert werden, daß die anderen Niederlassungen afrikanischer Zwischenhändler, vor allem im Bereich der Goldküste, weit wichtiger waren.

3. Das koloniale Einwirken auf Togo von der Mitte des 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Ende des 16. Jh. begann eine neue Etappe des kolonialen Einflusses an der afrikanischen Westküste. Ausgelöst wurde sie durch den Aufschwung der Exportproduktion in den amerikanischen Kolonien sowie die fortschreitende ungleichmäßige Entwicklung der kapitalistischen Hauptmächte in Europa. In jenen Gebieten Mittel- und Südamerikas, die der direkten Kolonialherrschaft europäischer Mächte unterworfen worden waren, war auf der Basis von Sklavenarbeit die Exportproduktion pflanzlicher und mineralischer Rohstoffe für den europäischen kapitalistischen Markt begonnen worden. Mit der steigenden Produktion wuchs der Bedarf an Sklaven, die immer mehr aus Afrika importiert wurden. Neben den „alten" Kolonialmächten sicherten sich die „neuen", Holland, England, Frankreich, Dänemark, ihren Anteil an den Produktionsstätten, besonders in der Karibik, und ihren Anteil an der für die Produktion entscheidenden Zulieferung von Sklavenarbeitskräften. Von Anfang an (1471) war an der Guineaküste das Handelsmonopol der portugiesischen Krone von privaten portugiesischen und Interlopern anderer Nationen unterlaufen worden. (11) Diese Konkurrenz um den Goldhandel nahm 3

Sebald, Togo

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im 16. Jh. ständig zu und gewann mit dem Eindringen staatlicher bzw. staatlich gestützter Kolonialunternehmen anderer Nationen eine neue Qualität. Im Kampf der europäischen Kolonialkonkurrenten wurde schließlich 1637 mit der Eroberung des Hauptforts Elmina durch die Holländer der Rest des portugiesischen Handelsmonopolanspruchs liquidiert, ohne daß nur eine europäische Macht die alleinige Nachfolge hätte antreten können. Holländische, britische, französische, schwedische, dänische Handelsgesellschaften etablierten sich im Küstengebiet, und auch die erste deutsche Flagge tauchte mit den Kurbrandenburgern in Westafrika auf, nachdem Deutsche in den Kolonialunternehmen der anderen Nationen in Westafrika zahlreich vertreten waren. Die Zahl der Küstenforts der europäischen Kolonialkonkurrenten — manche lagen in Sichtweite voneinander — wuchs von 3 auf etwa 40. Aber trotzdem reichte der direkte, tatsächliche Einfluß nur so weit, wie die Kanonen schössen. Die Goldminen konnte keine Kolonialmacht erobern, denn die afrikanischen Export-Import-Mittler sowie die Repräsentanten der kleineren und größeren afrikanischen Reiche wußten die Konkurrenz der Kolonialmächte zu nutzen, um Waffen zu importieren. Erst zwei Jahrhunderte später, nach der „Berliner Kongokonferenz" 1884/85, erzielten die Kolonialkonkurrenten mit dem Verbot des Verkaufs moderner Präzisionswaffen an Afrikaner eine zeitweilige Einigkeit und legten damit einen gewichtigen Grundstein, um den gesamten Kontinent erobern und seine Bevölkerung der tatsächlichen Herrschaft unterwerfen zu können. Fochten die europäischen Kolonialmächte ihren Kampf um Monopolstellung auf offener See in erklärtem oder nichterklärtem Kaperkrieg aus, so suchten sie diesen Konkurrenzkampf auf dem Land dadurch fortzusetzen, daß sie in Kriegs- und in Friedenszeiten afrikanische Zwischenhändler gegeneinander sowie gegen Königreiche im Landesinnern aufhetzten und auch Könige aus dem Landesinnern zu Überfallen und Kriegszügen animierten. Andererseits versuchten afrikanische Könige und Zwischenhändler mit Hilfe europäischer Mächte, auch indem sie zeitweilig Söldner europäischer Forts für Kriegszüge besoldeten, Konflikte untereinander zu lösen. Es wäre müßig, die zahlreichen militärischen Konflikte daraufhin zu untersuchen, ob die Intrigen der Ausländer in den Forts oder Machtambitionen einzelner Afrikaner zu Kriegen führten. Die Berichte der Europäer, so oder so nach jeweiliger Opportunität gefärbt, lassen hier ohnehin keine unbestreitbaren Schlußfolgerungen zu. Wesentlicher als die Frage nach dem Anlaß ist die nach den Ursachen. In dem transatlantischen Handel strebten einzelne europäische Mächte eine dominierende Position gegenüber den Afrikanern und gleichzeitig eine Monopolstellung gegenüber anderen Kolonialmächten an. Durch die Errichtung bewaffneter Forts schufen sie Machtpositionen in diesem Export-Import-Handel, die einen gleichberechtigten Handel bewußt in Frage stellten. Selbst wenn der Einfluß der Forts lokal sehr eingeschränkt war, so existierten sie aber doch als Machtfaktor. 10

Der Export-Import-Handel unter den Bedingungen einer weiter entwickelten spätfeudalen/frühkapitalistischen Gesellschaftsformation führte auch zu militärischen Konflikten. Diese Situation verschärfte sich entscheidend, als die Europäer Menschen als Hauptexportware forderten. Der jetzt mögliche Verkauf von Kriegsgefangenen als Sklaven im transatlantischen Sklavenhandel wurde ein zusätzlicher bzw. erstrangiger Anreiz für Kriege. Die Kriege, um Sklaven zu fangen, sowie um die politische Beherrschung der Mittlerposition im Export-Import-Handel wandelten den Charakter der „Kriege" zwischen Afrikanern. Hatte es früher bei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Stämmen oder Ortschaften vielfach nur wenige Tote gegeben, so erhöhte sich mit dem Sklavenfang die Zahl der Getöteten ganz erheblich. Denn nunmehr war der Kriegszug als Terrormittel gedacht und richtete sich — im Gegensatz zu früheren — auch gegen Frauen und Kinder, und als Gegenreaktion erhöhte sich die Widerstandsbereitschaft. Die neue Qualität der Kriege mit Sklavenfang und -verkauf, der Tötung vieler Menschen und der Flucht einzelner Überlebender in Nachbargebiete hatte die völlige Liquidierung ganzer Ethnien, zuerst im unmittelbaren Küstenbereich, zur Folge. Nur aufmerksame europäische Beobachter — wie L. Römer — vermerkten in ihren Berichten diese Liquidierung ganzer Völkerschaften. Die Mehrzahl der Europäer, ohnehin nur für kurze Zeit in Westafrika tätig und kaserniert in den Forts lebend, berichtete kaum über diese Entvölkerung, zumal diese nicht so offensichtlich wurde, weil die siegenden Ethnien in die eroberten Gebiete nachrückten, um selbst die Schlüsselpositionen im Export-Import-Handel einzunehmen. Auch die Vertreibung der Portugiesen aus ihren drei Küstenforts und die Beseitigung ihrer Vormachtstellung im Handel an der „Goldküste" hatte soziale und politische Folgen unter der afrikanischen Küstenbevölkerung. Jene afrikanischen Zwischenhändler, die in über einem Jahrhundert ihre Sprachkenntnisse, Handelsgewohnheiten und politischen Allianzen auf diese Kolonialmacht ausgerichtet hatten, verloren ihre Existenzgrundlage. Viele von ihnen flohen in die Nachbargebiete, um der direkten Pression holländischer, britischer, französischer und dänischer Kolonialisten zu entgehen. Alle diese Veränderungen, verursacht durch die Umstrukturierung des Handels auf den Menschenexport und die neue Konkurrenz der europäischen Kolonialmächte, hatten direkten oder — über die sozialen und politischen Veränderungen an der Goldküste — indirekten Einfluß auf die Togoküste und das dortige Königreich Klein Popo. Wie die anderen Handelsniederlassungen wurde Klein Popo im System des kapitalistischen Export-Import-Handels in einen Sklavenexportplatz umfunktioniert. Auch das „Königreich" Klein Popo nutzte einerseits wohl den Konkurrenzkampf zwischen den europäischen Kolonialmächten aus, war jedoch andererseits ein Machtfaktor im strategischen Kalkül der Kolonialkonkurrenten. Wie alle anderen Königreiche im Küstengebiet war es in die militärischen und politischen Auseinandersetzungen untereinander einbezogen. Und schließlich trafen die Auswirkungen des transatlantischen Skla3*

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venhandels auch das gesamte Hinterland der Togoküste bis in die Sahelzone, d. h. die andere, nördlich gelegene historisch-geographische Region in Westafrika. Die örtlichen Besonderheiten in Togo modifizierten jedoch jede der hier angeführten Gemeinsamkeiten: Wegen des Goldexportes hatte die portugiesische Krone von einer Forcierung des Sklavenexportes aus dem Bereich der „Goldküste" abgesehen, sie verfügte in Afrika über andere Sklavenexportplätze. Als die Holländer zu Beginn des 17. Jh. die portugiesische Vorherrschaft an der Goldküste immer mehr unterwanderten und schließlich 1637 mit der Eroberung des Hauptforts in Elmina die portugiesische Dominanz beseitigten, wollten sie prinzipiell zuerst diese Politik beibehalten. Da sie aber gleichzeitig die brasilianischen Produktionsstätten von den Portugiesen erobert hatten, brauchten sie für die dortigen Plantagen Sklaven als Arbeitskräfte. 1634 wies der Direktor der Holländisch-Westindischen Gesellschaft seine Agenten an, besonders in den angrenzenden Gebieten östlich des Volta Sklaven aufzukaufen. (12) Der Sklavenexport aus den Küstengebieten des heutigen Ostghana, Togo, der VR Benin und Nigeria wuchs so rasch, daß die Europäer diesem Teil des Golfes von Guinea den bezeichnenden Namen „Sklavenküste" (heute Bai von Benin) beilegten. Jetzt enthalten die Berichte von Europäern (Boßmann, Römer) mehr Bemerkungen über Klein Popo, jedoch erreichte die Berichterstattung nicht die Intensität wie über das östlich angrenzende Dahome. Das unterstreicht nur, daß Klein Popo nicht das Zentrum des Sklavenexports an der „Sklavenküste" war; aber dies war bereits eine Folge der politischen und sozialen Bedingungen im Königreich Klein Popo. Um das Jahr 1620 und erneut um 1680 waren afrikanische Zwischenhändler aus der „Goldküste", aus dem Gebiet von Accra zugewandert, als sie dort keine Existenzgrundlage mehr hatten. Ihnen waren die gefahrlichen Konsequenzen, die sich aus der Errichtung europäischer Küstenforts ergeben hatten, aus eigener Anschauung bekannt. Während an der „Goldküste" im 17. und 18. Jh. verschiedene Kolonialmächte in der Nähe der Niederlassungen afrikanischer Zwischenhändler Forts errichteten, führte an der „Sklavenküste" und im besonderen in Klein Popo das berechtigte Mißtrauen der afrikanischen Zwischenhändler dazu, daß keine europäischen Forts als politisch-militärische Exklaven angelegt werden konnten (die „Forts" der Briten, Franzosen und Portugiesen in Ouidah — Glewhe —, dem Hauptausfuhrplatz des Königreichs Dahome, hatten keinen exterritorialen Status und mußten 3,5 km von der Küste entfernt im Landesinnern erbaut werden). Der holländische Sklavenhändler Boßmann, der Ende des 17. Jh. selbst die „Sklavenküste" und auch Klein Popo besuchte, bringt das Verhältnis der europäischen Sklavenhändler zu Klein Popo gut zum Ausdruck: Zwar hätte es für die Europäer auch Vorteile, mit den afrikanischen Zwischenhändlern zu verhandeln, aber diese würden ihre Kenntnisse zum Nachteil der europäischen 12

Kaufleute einsetzen, außerdem seien sie gefürchtete Soldaten. Aus diesen Gründen würden die Europäer es vorziehen, weiter ostwärts im Königreich Fida (Ouidah) Sklaven zu erhandeln, dort sei die Bevölkerung viel friedlicher. (13) Dieser Respekt vor dem Königreich Klein Popo veranlaßte die Kolonialmächte, den Platz möglichst zu meiden, weil sie hier den afrikanischen Zwischenhändlern nur in geringem Maße die Handelsbedingungen diktieren konnten, wenngleich sie aus Konkurrenzgründen auf Handelsbeziehungen nicht völlig verzichteten. Klein Popo wurde nicht der Hauptexportplatz an der „Sklavenküste". Da kein Kolonialfort gebaut werden konnte, bewahrte Klein Popo bis ins letzte Viertel des 19. Jh. die politische Souveränität. Die Bewahrung der Selbständigkeit gegenüber den europäischen Sklavenhändlern war jedoch nur die eine Stoßrichtung. Als neues politisch-militärisches und ökonomisches Zentrum war es — auch durch die im 17. Jh. zugewanderten Zwischenhändlergruppen — mit dem politischen Geschehen in den Nachbargebieten verbunden und von Anfang an in Auseinandersetzungen mit den benachbarten Zwischenhändlerkönigreichen verwickelt. In der Zeit des von europäischen Kapitalisten in Gang gesetzten transatlantischen Sklavenhandels konnte es für afrikanische Königreiche im Küstengebiet kein friedliches Nebeneinander mehr geben. Physische Liquidierung oder Expansion der eigenen Herrschaft als Präventivmaßnahme zum Schutz der eigenen Bevölkerung lautete die Alternative. Expansion wie Schutzfunktion konnten unter den damaligen Bedingungen am besten durch ein zentralistisches Königtum erfolgen. Folgerichtig setzten sich in Westafrika zum Beginn des 18. Jh. zwei neue afrikanische Königreiche durch: Aschanti (14) im Hinterland der „Goldküste" und Dahome (15) im Hinterland der „Sklavenküste". Jedoch waren die beiden Königreiche, zeitlich und entwicklungstheoretisch gesehen, Königreiche einer zweiten Etappe. Es erhebt sich die Frage, warum nicht die im 16. und 17. Jh. im unmittelbaren Küstenbereich entstandenen Königreiche nach dem Innern expandierten, die späteren Gebiete von Aschanti und Dahome okkupierten, bevor sich dort zentralistisch organisierte Königreiche bilden konnten. Die Konkurrenz afrikanischer Zwischenhändler hatte jedoch an der Küste viele Königreiche entstehen lassen, die miteinander um eine Monopolstellung im Zwischenhandel kämpften und durch die äußere Bedrohung des Sklavenfangs kaum eine Ruhepause zur inneren Stabilisierung hatten. Das Aschanti- und das Dahomekönigreich durchliefen zuerst eine gewisse innere Stabilisierung, um eine absolute Monarchie durchzusetzen, nicht aber um eine Monopolstellung im transatlantischen Zwischenhandel zu erkämpfen; die äußere Expansion war Ergebnis eines gewissen inneren Stabilisierungsgrades, und erst dann stießen Aschanti und Dahome zur Eroberung der vorliegenden Küstenkönigreiche vor, um ein allerdings von Anfang an geplantes Vorhaben zu verwirklichen: den direkten Zugang zum transatlantischen Handel. Die Königreiche Aschanti und Dahome konnten als Königreiche ohne den transatlantischen Handel existieren, die Küstenkönigreiche nicht: Sie wurden entweder besiegt und liquidiert oder das regionale Königtum löste sich unter veränderten 13

äußeren Bedingungen von selbst wieder auf. Das Königreich Klein Popo machte in dieser Entwicklung der Küstenkönigreiche keine Ausnahme. Jedoch war es durch zwei Umstände begünstigt: 1. Im unmittelbaren Hinterland der Togoküste hatten die Ewe kein starkes Königreich begründet, so daß von dieser Seite eine Bedrohung ausblieb. 2. Klein Popo lag am Rand eines Gebiets, das durch sein Lagunensystem eine leicht zu verteidigende Zufluchtstätte war. Über die innere Entwicklung des Königreiches Klein Popo im 17. Jh. ist wenig bekannt. Auch hier versuchten die Zwischenhändler, das Königtum — zumal um 1680 ein neuer Zuzug aus Accra erfolgt war — zu expandieren. Um 1700 unternahm der König von Klein Popo einen größeren Expeditionszug zur Eroberung des Küstenkönigreichs Ardrah (im Küstengebiet der heutigen VR Benin). Er erlitt mit seinen Leuten eine Niederlage, wahrscheinlich nicht nur wegen der Stärke des Gegners. Der mehrere Jahre an der Goldküste Handel treibende L. F. Römer führt als einen Grund an, die Bevölkerung von Klein Popo sei darauf bedacht gewesen, daß ihr König keine zu große Macht gewann. (16) Dieses Motiv ist durchaus glaubwürdig, jedoch darf daraus nicht geschlußfolgert werden, die Bevölkerung an der Togoküste habe das Königreich der afrikanischen Zwischenhändler in Klein Popo vollkommen abgelehnt. Sie tolerierte eine Zentralgewalt, um nicht der Aggression europäischer und afrikanischer Sklavenfanger wehrlos ausgesetzt zu sein, war aber bedacht, daß dieses Königtum nicht zu stark wurde. Diese Widersprüche zwischen den in Klein Popo ansässigen Zwischenhändler-Clans und der im Lagunenbereich ansässigen bzw. dahin geflüchteten Bevölkerung charakterisieren das Königreich Klein Popo vom Beginn seiner Gründung bis zur Errichtung der direkten Kolonialherrschaft 1884. Wenn auch einzelne Persönlichkeiten es verstanden, ein höheres Maß von Herrschaft auszuüben, so konnte sich doch das Königtum nicht in einem Maße wie im benachbarten Dahome oder Aschanti stabilisieren, wahrscheinlich auch auf Grund rivalisierender, in die Funktion von Häuptlingen aufstrebender neuer Zwischenhändler wie Lathe im 18. Jahrhundert. (17) Aber es wäre unzutreffend, das Königreich Klein Popo lediglich als Stadt-Staat und als seine gesellschaftliche Hauptkraft nur die Zwischenhändler-Clans anzusehen. Das Königreich Klein Popo basierte nicht nur auf einer sozialen Gruppe an einem Ort. Es hatte seinen Rückhalt auch in der bäuerlichen Bevölkerung im Lagunengebiet hinter Klein Popo. Das zeigte sich im 18. Jh., als das Königreich Dahome Klein Popo latent militärisch bedrohte. (18) Unter dem seit 1708 regierenden König Agaja (Trudo) war Dahome zum Angriff auf die kleinen Küstenkönigreiche übergegangen. 1725 eroberte er das Königreich Ardrah und 1727 das Königreich Ouidah, weil er glaubte — so der Chronist Norris 1790 —, vor allem Ouidah wäre „eine unerschöpfliche Quelle von Reichtum"; die Ouidaher flohen zu den Bewohnern von Klein Popo, „die ihnen beystunden, sich vermengten und mit denselben gleichsam eine Nation ausmachten". (19) 14

Diese Flüchtlinge ließen sich an der Lagune nördlich von Klein Popo nieder und gründeten die Ortschaft Gridji (eine anglophone Bezeichnung für Glewhe — „Pflanzungsdorf' — des afrikanischen Namens für Ouidah). Die geflohenen Afrikaner aus den östlichen Nachbargebieten zogen jedoch auch weiter bis ans westliche Ende des ganzjährig befahrbaren Lagunensystems und gründeten im Bereich der heutigen Stadt Lome an der Lagune die Ortschaft Be — dieser bezeichnende Name heißt „Versteck". Vor wem die Afrikaner geflohen waren, darauf deutet auch die 1884 in Be gemachte Beobachtung eines deutschen Reisenden hin: „Denn ausgerechnet Njikpla, der in Be besonders verehrte Kriegsgott, ist unter allen Untergöttern des Ewe-Volkes der einzige, den die Neger sich zu Pferde sitzend und in europäischer Kleidung vorstellen." (20) Es ist durchaus wahrscheinlich, daß an dieser etwa 50 km langen Strecke zwischen den beiden Flüchtlingsniederlassungen Gridji und Be andere Dörfer auf gleiche Weise an der Lagune entstanden. Wenn 1884 die Häuptlinge von Be dem britischen Commissioner Firminger gegenüber auf eine Abhängigkeit vom König der „Togodörfer" verwiesen, so ist es durchaus möglich, daß diese an der Mündung der Lagune in den „Togosee" so günstig gelegenen Dörfer zur gleichen Zeit entstanden und die Verbindung aus der gemeinsamen Zuwanderung herrührte. Hier im Lagunenbereich trafen die aus dem Osten kommenden Flüchtlinge mit Zuwanderern aus nördlichen Gebieten zusammen, die gleichfalls vor den Kriegszügen des Königreichs Dahome Zuflucht suchten. (21) Die Auswanderung der Ewe aus ihren bisherigen Siedlungsgebieten um Nuatja, etwa 100 km landeinwärts gelegen, hatte zur Folge, daß bei den Ewe die Ansätze zu einer neuen gesellschaftlichen Struktur, einem territorialen Königreich, zerschlagen worden waren. Diese gesellschaftliche Entwicklung im Landesinnern von Togo ist ein Beispiel für eine andere Entwicklungsvariante in jener Periode des transatlantischen Sklavenhandels. Während sich im Hinterland des heutigen Ghana das Aschantireich in den ersten Jahrzehnten des 18. Jh. ausbreitete und zur gleichen Zeit im Hinterland der heutigen VR Benin das Dahomereich expandierte, bildete die ethnische Hauptgruppe im Togogebiet, die Ewe, kein derartiges Königreich, obgleich dort ähnliche Voraussetzungen vorhanden waren. Die Ewe waren wahrscheinlich im 15. oder zu Beginn des 16. Jh., aus dem südlichen Nigeria kommend, nach Südtogo eingewandert und hatten sich in der Gegend um Nuatja (22) niedergelassen. Das ursprüngliche Siedlungsgebiet in der Nähe des alten Königreiches Benin und auch die Reste einer großräumigen Befestigungsanlage (Ringmauer) um Nuatja lassen darauf schließen, daß Formen eines Königreiches schon mitgebracht worden sein könnten. Um 1700 kam es aus verschiedenen Gründen zum plötzlichen Auszug der Ewe aus dem Gebiet um Nuatja. In drei Marschgruppen wanderten sie in ihre heutigen Siedlungsgebiete, westlich ins Gebirge, südwestlich bis an den Unterlauf des Volta und südlich bis zur Küste an die Lagune in den Einflußbereich des Königreiches Klein Popo. 15

Als eine Ursache für die Ewe-Wanderung muß die Expansion des Königreiches Dahome angesehen werden, dessen Kernland um Abomey etwa 100 km östlich von Nuatja liegt. Ausgehend von den mündlichen Überlieferungen, ist jedoch auch anzunehmen, daß die Bevölkerung einer stärkeren Zentralgewalt des eigenen Königs entgehen wollte. Ferner könnte die Versteppung Mitteltogos die Bevölkerung veranlaßt haben, in andere, wasserreichere Gebiete vorzustoßen. Daß aber die Kriege Dahomes der entscheidende Grund gewesen sein dürften, beweist, daß etwa zur gleichen Zeit andere Ethnien westwärts und nordwestwärts im Togogebirgsmassiv Zuflucht suchten und fanden — zum Beispiel die heutigen „Togorestvölker" Kebu, Akposso. Mitteltogo wurde in der Folge fast vollständig entvölkert. Der Schutz wurde, wie Gsundbrunn in seiner Dissertation nachweist (S. 9, 141), zum obersten Prinzip des Siedlungswesens der Afrikaner in Togo. Die fehlende Weiterentwicklung zu einem Ewekönigreich nach dem Typ Aschanti oder Dahome war der Anfang der Aufsplitterung des Ewevolkes. Mit der Auswanderung in neue Siedlungsgebiete außerhalb der Reichweite der Kriegsund Sklavenraubzüge des Königreichs Dahome waren zwar die Ewe der physischen Liquidierung als Volk entgangen, aber an die Stelle der spektakulären Kriegszüge war der „stille" Sklavenhandel getreten, der tagtägliche kleine Aderlaß durch individuellen Sklavenkauf auch durch die Zwischenhändler von Klein Popo. Die Ewegebiete östlich des Volta wurden nach einem Ausdruck von L. F. Römer zur „Vagina" des transatlantischen Sklavenhandels (23) — eine Bezeichnung, die das Ausmaß der Menschenverluste der Ewe erahnen läßt. Außerdem "waren die in losen Dorfgemeinschaften lebenden Ewe keineswegs sicher vor der äußeren Bedrohung, denn ihre neuen Siedlungsgebiete lagen bereits im Einflußbereich des Königreiches Aschanti, und bis ins 19. Jh. hinein unternahm Aschanti Kriegszüge in das Gebiet der Ewe. Für das Königreich Klein Popo war das Fehlen eines geeinten Ewekönigreiches von Vorteil. Wie die Beispiele der benachbarten Küstenkönigreiche bezeugen, hätte es anderenfalls auf die Dauer dem Druck eines mächtigen Königreiches, das ebenfalls die Kontrolle über den Sklavenhandel an der Küste, anstrebte, nicht widerstehen können. So aber gewann das Königreich Klein Popo durch die Zuwanderung bedrohter Menschen, die im Lagunenbereich Zuflucht suchten und bereit waren, gegen die Aggression europäischer und afrikanischer Sklavenhändler Widerstand zu leisten, an Rückhalt. Zwar geben die überlieferten Quellen und auch die Oralgeschichte wenig Hinweise, welche Probleme die Niederlassung an den Lagunen für die Emigranten verursachte. Aber ein Beispiel erscheint doch charakteristisch : Die Gründung und Geschichte des Dorfes, das der heutigen Hauptstadt Togos den Namen überlieferte: Lome (Betonung Lomé). Folgt man der kurzen Oralgeschichte, wie sie der Togolese Kwakoume 1948 niederschrieb (24), so gründeten zugewanderte Jäger der Ewe, geführt von einem Mann namens Dzitri, auf der Sandbank zwischen der Lagune und dem 16

Meer einen Ort. Dieser Ort lag in einem dichten, drei Meter hohen undurchdringlichen Gebüsch, den Alo-Büschen, deshalb nannten sie den Ort „In den Alo-Büschen" „Alo-me". Daß die Ortschaft nicht an der flachen Lagune angelegt wurde, beweist, wie wenig die Jäger mit den neuen natürlichen Bedingungen vertraut waren, wie groß andererseits ihr Schutzbedürfnis war. Denn weder das dichte Gestrüpp entsprach den bisherigen Umweltbedingungen als Savannenjäger, noch sagte ihnen das Lagunenwasser zu: Sie gruben Brunnen auf der Sandbank. Bald zogen andere Emigranten, aber vom Osten kommend, hinzu, die jedoch entsprechend ihren bisherigen Lebensbedingungen den Ort gleich in der Nähe der Lagune angelegt hatten. Gemeinsam kämpften sie bereits nach wenigen Jahren zusammen mit der Bevölkerung von Klein Popo gegen die angreifenden Dahomekrieger und besiegten diese bei Kpoga. Aus Rache für einen gefallenen jungen Krieger habe nun eine Mutter die Brunnen von Lome vergiftet und so die Bewohner von Lome veranlaßt, den Ort wieder aufzugeben. Soweit die von Kwakoume niedergeschriebene Oralgeschichte. Die Brunnenvergiftung kann allerdings ganz anders erklärt werden: Alle Brunnen auf der Sandbank, so zeigten Bohrungen während der deutschen Kolonialherrschaft, führten stets brackiges, auf die Dauer ungenießbares Wasser. Dies konnten die zugewanderten Jäger auf Grund ihrer Erfahrungen aus dem Landesinnern nicht wissen. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß aus diesem natürlichen Grund Menschen erkrankten und starben und deshalb der Ort bereits nach wenigen Jahren aufgegeben wurde. Die Familie Dzitris zog bis zum Togogebirge nach dem Gebiet des heutigen Palime und gründete einen neuen Ort Alome. Der Nachkomme Gbagba blieb jedoch im benachbarten, nur ein oder zwei Kilometer entfernt liegenden Be, wo er König des Dorfes wurde. Er ließ sich jedoch wiederum außerhalb des Dorfes Be im angrenzenden Amutive nieder. Die Aufgabe des Zufluchtsortes „In den Alo-Büschen" = Lome mag im ersten Viertel des 18. Jh. erfolgt sein. Aber die Erinnerung an diesen ersten und offenbar so wichtigen Zufluchtsort Lome war so entscheidend, daß er auch von Gbagba und seinen Nachkommen nicht vergessen wurde: Als 1877 am Sandstrand zugewanderte afrikanische Händler eine neue Handelsniederlassung gründeten, machte der 14. König von Lome, Derjey, immer noch in Be/Amutive lebend, seinen Anspruch auf dieses Gebiet auch durch den Namen Lome geltend. Dieser kurze Einblick in die Geschichte zweier Dörfer zeigt, wie auch weitab von Klein Popo, veranlaßt durch den äußeren Druck, Bereitschaft zur gemeinsamen Verteidigung gegeben war. Der Krieg zwischen Dahome und dem Königreich Klein Popo zog sich nach 1727 fast 50 Jahre hin, und zwar mit wechselnden Erfolgen, wie der nigerianische Historiker Akinjogbin darlegt. (25) Die Dahomeer konnten letztlich nicht siegen, weil sie nicht mit Kähnen umgehen und so auf den Lagunen Krieg führen konnten. 1772 schlössen beide Seiten offiziell Frieden. 17

Trotz dieser Attacken von der östlichen, dahomeischen Seite, nahm das Königreich Klein Popo — und das beweist eine bestimmte Stärke — in dem gleichen Zeitraum an Kriegszügen im westlich angrenzenden Gebiet teil. So war es, wie der Chronist L. F. Römer berichtete, 1742 an der Errichtung des dänischen Forts in Keta (Ostghana) beteiligt, das am weitesten östlich vorgeschobene europäische Fort an der Goldküste. (26) Ungeachtet kurzfristiger Expansionszüge stabilisierte sich das Königreich Klein Popo im 18. Jh. auf einer Küstenlänge von rund 50 km, die etwa mit der heutigen Togoküste identisch ist, wenn auch nach Osten hin die Grenze vom wechselnden Kräfteverhältnis zum Königreich Dahome abhing. Über die Mündung des Monu hat jedoch die permanente Einflußzone niemals hinausgereicht. Das Königreich Klein Popo konsolidierte sich in einem Gebiet, das, durchzogen von den Lagunen, dem Togosee und den dort mündenden Flüßchen, den von Sklavenfangern bedrohten Menschen eine Zuflucht bot. Dieses Territorium war nicht groß genug, um ganzen Völkerschaften, wie den Ewe, Zuflucht zu gewähren. Auch waren die Jäger und Ackerbauern nicht immer gewillt oder fähig, ihr gesamtes Leben entsprechend den neuen Umweltbedingungen der Lagunen umzustellen. Aber die sich hier niederlassenden Bevölkerungsgruppen waren im Verein mit den Zwischenhändlern in Klein Popo in der Lage, ihre Selbständigkeit gegenüber europäischen Kolonialmächten und afrikanischen Kontrahenten zu bewahren. Fiel allerdings die äußere Bedrohung weg, so war auch die territoriale Basis des Königreichs Klein Popo in Frage gestellt. Wenn auch später im 19. Jh. die zentrifugalen Kräfte der dörflichen Kings und Chiefs wieder mehr wirksam wurden, blieb dennoch ein Zusammenhang bestehen, basierend auf einer 150jährigen Tradition. Die Tradition blieb auch in der Bevölkerung, zum Beispiel durch Trommeln, Lieder und Tänze, aufrechterhalten. Um 1900 erinnerte die Trommel Dzokotohu an König Lathe. Die Trommel Agbekowu war eine Kriegstrommel der Anecholeute; „zu ihrem Spiel werden wilde Tänze unter Schwingen von Tanzbeilen und Messern aufgeführt; sie stammt von Häuptling Kondo aus Dahomey und wird an Weihnachten und anderen hohen Festen gespielt" (27). Zusammenfassend ist als das Ergebnis der ersten beiden Etappen des kolonialen Einflusses bis zum Beginn des 19. Jh. festzustellen, daß sich als Reaktion auf die spätfeudale und beginnende kapitalistische Entwicklung in Europa sowie die direkte Kolonialherrschaft in Lateinamerika weitreichende gesellschaftliche und politische Veränderungen in Togo vollzogen, und zwar in zweierlei Richtung: 1. Im mittleren Togogebiet waren weite Gebiete entvölkert worden, dezimierte Ethnien hatten sich ins Togogebirge geflüchtet, die Ewe als größte Ethnie war vertrieben und gesellschaftlich aufgesplittert worden; sie litt unter dem ständigen Aderlaß des „stillen" transatlantischen Sklavenhandels. Eindeutig waren im Togohinterland gesellschaftlicher Rückschlag und Stagnation zu verzeichnen. 18

Im nordöstlichen Togogebirgsmassiv konnten die jenseits des Karaflusses lebenden Stämme wie die Kabre die Sklavenfänger unter Ausnutzung der natürlichen Bedingungen ihrer Heimat erfolgreich abwehren (siehe S. 159), folgerichtig gehörte ihr Gebiet später zu den am dichtest besiedelten in Togo. Aber die Abwehr führte auch zur Abkapselung von afrikanischen Nachbarstämmen, so daß die gesellschaftliche Entwicklung hier im Stadium der urgesellschaftlichen Demokratie, selbst ohne Häuptlingsinstitution, verharrte. 2. Im Küstenbereich hatten afrikanische Export-Import-Mittler eine Handelsniederlassung begründet, die zum Zentrum eines lokalen Königreichs wurde. Die im Lagunenbereich der Togoküste ansässige bzw. dorthin geflüchtete Bevölkerung (Bauern, Fischer und Jäger) gab dem Königreich Klein Popo eine Basis. Durch gemeinsamen Kampf konnten die physische Liquidierung der Bevölkerung sowie die direkte Niederlassung von Europäern in einem exterritorialen Fort verhindert werden. Damit hatten sie den Grundstein für eine neue, lokal eigenständige Entwicklung gelegt, die sich im Kontext mit den durch den kapitalistischen Weltmarkt geschaffenen Bedingungen vollzog. Zwar verkaufte auch in Klein Popo die herrschende Gruppe der afrikanischen Export-Import-Mittler Menschen an die europäischen Sklavenhändler, zwar war diese Gruppe durch die traditionellen Herrschaftsformen in ihrem Königtum stark eingeschränkt; aber sie hatte weiterhin die Fähigkeit, auf alle Erfordernisse des kapitalistischen Marktes zu reagieren. In der Abwehr der direkten Kolonialherrschaft hatten sich somit an der Togoküste gesellschaftliche Kräfte entwickelt, die in ihrer Orientierung auf die Belange des kapitalistischen Weltmarktes die Perspektive auf den damals möglichen gesellschaftlichen Fortschritt eröffneten.

4. Folgeerscheinungen des industriellen Kapitalismus in Europa für Togo im 19. Jahrhundert 4.1. Ökonomische und politische Umstrukturierung des Einflusses in Westafrika

kolonialkapitalistischen

Im 19. Jh. veränderte die Entwicklung des vormonopolistischen industriellen Kapitalismus in Europa im westafrikanischen Küstenbereich schrittweise die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen für den Export-Import-Handel. Dabei weitete sich der für die vorangegangenen Perioden charakteristische koloniale Einfluß über Handelsbeziehungen anstelle der Errichtung der direkten Kolonialherrschaft zunächst noch aus. Aber infolge der ungleichmäßigen Ent19

wicklung zwischen den kapitalistischen Ländern Europas und Nordamerikas wurden koloniale Einflußsphären in Westafrika neu verteilt, und in den neuen kolonial beanspruchten Gebieten unternahm die jeweilige Kolonialmacht erste Schritte, die direkte Herrschaft über die Stützpunkte der Küstenforts hinaus auszudehnen. Das neue Entwicklungsstadium des Kapitalismus in Europa und den USA stellte weiter reichende Anforderungen an koloniale und abhängige Gebiete: Weitere Rohstoffquellen und Absatzgebiete für Industrieprodukte mußten erschlossen werden. Es hob die Konkurrenz der Hauptmächte auf ein höheres Niveau, was sich auf dem Weltmarkt und in der kolonialen Sphäre an der afrikanischen Westküste mit dem Niedergang alter Kolonialmächte wie Dänemark und Holland und dem Erscheinen neuer Konkurrenten wie Deutschland und den USA zeigte. Wichtige weltpolitische Veränderungen, wie der erfolgreiche Kampf von Kolonien in Nord-, Mittel- und Südamerika um staatliche Unabhängigkeit und die Französische Revolution von 1789, hatten auch Folgen für den westafrikanischen Bereich. Die entscheidenden Impulse für den Beginn des neuen Stadiums des Kapitalismus gingen von der führenden kapitalistischen Großmacht, Großbritannien, aus. Durch den Bedarf an billigen Rohstoffen erhielt Westafrika im Rahmen des von England bestimmten kapitalistischen Weltmarktes eine veränderte Perspektive: Nicht mehr der seit Jahrhunderten bestehende Dreieckshandelszyklus Europa — Westafrika — Amerika — Europa mit Arbeitskräften (Sklaven) als dem typischen Exportartikel Westafrikas wurde gefördert, sondern der direkte Handel: britische Industrieerzeugnisse gegen westafrikanische Rohstoffe. Aus Westafrika exportierten britische Kaufleute nunmehr vorrangig die Produkte der Ölpalme, Palmkerne und Palmöl, von dessen Wert Norris bereits 1788 von der Dahomekiiste berichtet hatte: „Palmöl ist ein anderes schätzbares Produkt und wird hier in großer Quantität zum Gebrauch der britischen Wollkämmer und Seifensieder exportiert." (28) Dieses neue Teilgebiet des Handels mit Westafrika im Rahmen des internationalen Reproduktionszyklus des Kapitals baute der britische Kapitalismus nicht nur mittels seines Vorsprungs auf dem Gebiet der industriellen Revolution gegenüber den anderen kapitalistischen Konkurrenten aus. Durch das 1807 verkündete Verbot des transatlantischen Sklavenhandels nahm Großbritannien in dem jahrhundertealten, von ihm jetzt nicht mehr kontrollierbaren und seinen Interessen nicht mehr dienlichen Dreieckshandel einen empfindlichen Einschnitt vor, und zwar an jenem Kettenglied des Dreieckshandels, an dem auf Grund der maritimen Vormachtstellung Großbritanniens eine effektive Veränderung aus britischer Sicht möglich war. Das Verbot des transatlantischen Sklavenhandels konnte jedoch nicht zum vollen Erfolg führen, solange in Amerika die Produktion pflanzlicher und mineralischer Rohstoffe auf der Sklavenarbeit beruhte und einen Nachschub von Sklaven forderte. Das nun vorhandene Exportrisiko erhöhte die Nachfrage und die Preise für Sklaven. Die europäischen 20

und nordamerikanischen Sklavenexporteure verlagerten die Sklavenausfuhr aus den jetzt von den Briten kontrollierten Hauptorten an der westafrikanischen Küste auf ehemalige Nebenplätze. Damit gewann auch Klein Popo an Bedeutung, und zwar auf Grund der günstigen geographischen Bedingungen in seinem Einflußbereich. War es früher üblich, die Sklaven in Verliesen der Forts auf der Sandbank zum Abtransport bereitzuhalten, so verlegten die Sklavenhändler diese Depots in die Dörfer am Nordufer der Lagune. Den patrouillierenden britischen Schiffen war somit der Anlaß genommen, in Klein Popo zu intervenieren oder den Ort, in dem zu Beginn des 19. Jh. etwa 5000 Menschen wohnten, zu zerstören. Von den Dörfern am Nordrand der Lagune, wo das Festland 50 bis 80 Meter steil anstieg, hatten die Sklavenhändler, wie der britische Reisende Duncan 1845 bei einem Besuch berichtete (29), einen hervorragenden Blick auf den Ozean. Je nachdem, was für ein Schiff auf Reede lag, konnten die Sklaven auf Kähnen über die Lagune nach Klein Popo gebracht und so in kürzester Frist verschifft werden. Das Königreich Klein Popo besaß jedoch noch einen zweiten geographischen Vorteil: In fünfstündiger Bootsfahrt auf der Lagune nach Westen konnte der sogenannte Togosee erreicht werden. Hier verengte sich (ähnlich wie bei Klein Popo) die Sandbank auf etwa 800 Meter. Brachte man die Sklaven je nach Situation hierher zur Verschiffung, so hatte man einen zweiten sicheren Hafen zur Verfügung. Dies geschah etwa um 1820. (30) Nicht zufallig erhielt dieser neue Handelsplatz den noch heute gebräuchlichen Namen Porto Seguro. Zwar war die Brandung hier genauso gefürchtet wie an anderen Teilen des Golfes von Guinea, aber es war ein sicherer Hafen für den transatlantischen Sklavenhandel. Dieser Sklavenhandel wurde von Isodor de Souza organisiert, einem Sohn des bekannten afrikanischen Sklavenhändlers de Souza, der die portugiesische Handelniederlassung in Ouidah leitete. Aber das Aufblühen des „illegalen" transatlantischen Sklavenhandels hatte nicht nur zur Folge, daß afrikanische Sklavenhändler an der Togoküste einen zweiten Handelsort gründeten. Sie gaben auch einem Dörferkomplex den Namen, der später der Name der Kolonie wurde und heute Staatsbezeichnung ist: Togo. Bisher ist lediglich die Übersetzung „To-go"„das Dorf jenseits der Lagune" beachtet worden, nicht aber wer und aus welchem Grund diesen Namen eingeführt hat. Tatsächlich bestand das „Togodorf" (heute „Togoville") aus fünf Dörfern, die alle eigene Namen führten. Aus der Sicht der Dorfbewohner wäre es widersinnig gewesen, den Namen Togo zu wählen, denn das Dorf lag diesseits der Lagune und obendrein existierten Dutzende Dörfer an der Lagune. Den Namen konnten nur Afrikaner wählen, die in den Handelsplätzen der vorgelagerten Sandbank, vor allem in Porto Seguro, lebten. Für sie lag das Dorf „jenseits der Lagune". Da es überdies auch zu kompliziert war, die fünf einzelnen Ortschaften namentlich gesondert anzuführen, gebrauchten sie den Sammelbegriff: „Togo". (31) Togo ist somit nicht nur eine geographische Bezeichnung, sondern auch eine sozio-politische aus der Zeit des transatlantischen 21

Sklavenhandels. Nicht zufallig sollten unter neuen Bedingungen 1884 die Häuptlinge gerade dieses Dorfes Geschichte machen. Im Konkurrenzkampf der europäischen Kolonialmächte an der westafrikanischen Küste bedeutete das Verbot des transatlantischen Sklavenhandels für Großbritannien einen wesentlichen Erfolg, dessen eigentliche Grundlage jedoch die Stärke der britischen Industrie war. Schon im 18 Jh. betrachteten die Kolonialmächte die staatlichen Ausgaben für die Unterhaltung der Forts an der westafrikanischen Küste als unrentabel, der eigentliche Profit wurde von den europäischen Kapitalisten vielfach auf den anderen Strecken des Dreieckshandels realisiert. Diese Auffassung verstärkte sich, nachdem nun mit dem Verbot des transatlantischen Sklavenhandels die Forts ihre eigentliche Funktion eingebüßt hatten. Der Exporthandel von Palmöl und Palmkernen benötigte überhaupt keine bewaffneten Forts. Die starke britische Wirtschaft konnte im Vergleich zu den Kolonialkonkurrenten Dänemark und Holland diese im Handelsgeschäft unproduktiven Ausgaben für die Forts am besten tragen, um im Sinne der führenden Weltmacht auch in Westafrika repräsentieren zu können. Großbritannien kaufte deshalb 1850 zuerst die dänischen und 1872 auch das letzte holländische Fort. Elmina, auf, ohne daß jedoch jedes dieser Forts auch tatsächlich eine britische Besatzung erhalten hätte. Seither galt die Goldküste bei den europäischen Mächten als britischer Kolonialbesitz. Effektiv bestand jedoch die aus diesem Besitz resultierende .Macht darin, von ausländischen Kaufleuten Importzölle erheben zu können und in Streitfallen von ausländischen Kaufleuten, ungeachtet welcher Nationalität, als Schlichter angerufen zu werden. Die Macht beschränkte sich, wie in den vergangenen Jahrhunderten, auf Stützpunkte an der Küste und den Export-Import-Handel. Gegenüber der afrikanischen Bevölkerung, vor allem im Hinterland, konnte Großbritannien vorerst diese Macht nicht ausüben. Aber trotzdem hatte sich die Situation prinzipiell verändert, denn mit der Beseitigung der Stützpunkte anderer Kolonialmächte an der Ghanaküste war im politischen Sinne erstmals eine regionale Monopolstellung der Briten und damit die Voraussetzung jeglicher Eroberung im Landesinnern geschaffen worden. Hatten die Briten sich an den wichtigsten Plätzen an der Ghanaküste und in Lagos/Nigeria festgesetzt, so war die dazwischenliegende Küste des heutigen Togo und der VR Benin unabhängig geblieben. Jetzt zahlte sich aus, daß die Königreiche Klein Popo und Dahome Küstenforts im Stile der Forts der Goldküste nicht zugelassen hatten, wenngleich die französischen Kolonialisten später aus ihrem Handelsplatz an der Dahomeküste ein politisches Recht zur Kolonialokkupation ableiten wollten. Wenn aber der direkten politischen Kolonialherrschaft in Westafrika sowohl von Großbritannien als auch von den anderen europäischen Kolonialmächten bis ins letzte Viertel des 19. Jh. keine vorrangige Bedeutung beigemessen wurde, so hatte dies einerseits seinen Grund im Entwicklungsniveau der europäischen kapitalistischen Hauptmächte. Zum anderen funktionierte der neuarti22

ge Export-Import-Handel in Westafrika, Rohstoffe gegen Industrieerzeugnisse auszutauschen, auch ohne politische Kolonialmacht. In der Praxis sah dieser Handel wie folgt aus: Ein ausländischer Kaufmann oder Handelsagent — ein großes Anfangskapital war nicht nötig — landete an irgendeinem beliebigen Ort an der Küste oder aber auch auf dem freien Strand Waren an, errichtete eine Hütte als Schutz für sein Warenlager, später ein Haus und handelte, bis er 'ein paar Fässer Palmöl oder einige Sack Palmkerne zusammen hatte. Darauf hißte er ein Flaggensignal, das die die Küste entlangtrampenden europäischen Segelschiffe veranlaßte, die Waren an Bord zu holen. Flußmündungen als Verkehrsadern zum Landesinnern hatten Vorrang für Handelsniederlassungen. Aber der geringe Wert der Palmölprodukte und niedrigzuhaltende Transportkosten erforderten viele kleine Handelsorte an der Küste. Den Platz für die Niederlassung kaufte oder pachtete der ausländische Händler auf der Grundlage schriftlicher Vereinbarungen von den Häuplingen des nächstgelegenen Ortes im Landesinnern und genoß damit ihren Schutz. Was in den vergangenen Jahrhunderten des transatlantischen Sklavenhandels nur wenige Könige mit dem Niederlassungsrecht praktiziert hatten, konnte jetzt jeder kleine Häuptling eines Ortes an der Küste tun, wenn englische, französische, deutsche oder andere Händler das Handelsrecht am Ort haben wollten. Die Nationalität war aus afrikanischer Sicht nahezu gleichgültig, das betraf auch afrikanische Zwischenhändler, die dieses Recht erwerben wollten. Es war Brauch, daß ausländische Händler für das Handelsrecht eine jährliche Abgabe zu leisten hatten; in ihrem rassistischen Denken bezeichneten die Europäer dies als „Geschenk". Außerdem mußten sie eine Zollabgabe für jede Tonne von exportiertem Palmöl oder von Palmkernen zahlen. Die ausländischen Zwischenhändler, besonders die Europäer, waren auf ein gutes Einvernehmen mit den Häuptlingen, die den Handelsplatz mit Lebensmitteln versorgten bzw. die Handelswege ins Landesinnere sperren konnten, angewiesen. Eine gütliche Verständigung strebten deshalb beide Seiten bei Streitfallen an. Wenn die ausländischen Kaufleute auch gelegentlich nach einem Kanonenboot oder bewaffneten Landekommandos riefen, um durch Machtdemonstration den afrikanischen Geschäftspartnerv zu beeindrucken, so war ihnen weder an einer Zerschlagung des afrikanischen Zwischenhandels noch an einer Monopolstellung gegenüber den europäischen Konkurrenten gelegen, und das vor allem deshalb, weil sie so kapitalschwach waren, daß sie eine solchermaßen gewaltsam verschaffte Monopolstellung ökonomisch gar nicht hätten ausfüllen können. Die großen Monopolhandelsgesellschaften entstanden in Westafrika erst, als der europäische Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium hinüberwuchs. In der Praxis bedeutete dies: Nicht das in Westafrika tätige kleine europäische Kaufmannskapital bestimmte die nationale Kolonialpolitik, sondern die europäischen Kolonialpolitiker bedienten sich — je nach Opportunität — des kleinen Kaufmannskapitals. Letztlich interessierte die europäischen Händler in der 23

Periode der freien Konkurrenz nur ein möglichst hoher, risikofreier Gewinn. Auch als die europäischen Kolonialmächte Westafrika vollkommen aufgeteilt hatten, trieben deutsche Firmen in allen anderen Kolonien Handel, ebenso wie auch britische und französische Firmen in der deutschen Kolonie Togo Handelsniederlassungen unterhielten. Der Handelsbetrieb des kleinen europäischen Kaufmannskapitals an der Küste am Golf von Guinea hatte für die afrikanische Gesellschaftsstruktur weitreichende Konsequenzen. Er war insgesamt gesehen nicht so stark, nur mit ökonomischen Mitteln die Konkurrenz selbständiger afrikanischer Zwischenhändler beseitigen zu können. Afrikanische Firmen, z. B. aus Sierra Leone oder Lagos, waren durchaus erfolgreich in diesem Wettstreit um bestehende und neu zu eröffnende Märkte. Außerdem versuchte der europäische Kaufmann, um die Lohnkosten so gering wie möglich zu halten, alle für seinen Faktoreibetrieb benötigten Arbeitskräfte aus niedrig bezahlten Afrikanern zu gewinnen. Damit erlangten viele Afrikaner führende Angestelltenposten, vor allem, wenn ein Kaufmann mehrere Faktoreien an der Küste unterhielt, von denen jede einzelne unter der Regie afrikanischer Handelsagenten völlig selbständig arbeitete. Diese Agenten waren am Gewinn beteiligt. Sie legten diesen Gewinn — vielfach ohne ihr Angestelltenverhältnis aufzugeben — im Zubringer-Zwischenhandel aus dem Landesinnern oder in städtischem und dörflichem Grundbesitz an. Diese soziale Gruppe bildete — neben den etablierten ehemaligen afrikanischen Sklavenhändlern — den Keim, aus dem sich später die afrikanischen bourgeoisen Kräfte entwickeln sollten. Ferner beschäftigte jede Handelsfaktorei afrikanische Ruderleute aus Liberia, die sogenannten Kru, die in der Brandungsschiffahrt besonders erfahren waren. (32) Sie leisteten die Schwerstarbeit der Lastenbeförderung durch die Brandung zu den auf Reede liegenden Schiffen und waren zwischenzeitlich als Arbeiter auf der Faktorei tätig. Nach Ablauf eines Jahres kehrte jede Gang (ein Headman und zehn Arbeiter) wieder nach Liberia zurück. Die Kruarbeiter lebten auf dem Faktoreigelände getrennt von der örtlichen afrikanischen Bevölkerung, separiert durch andere Sitten und Gebräuche. Die europäischen Kaufleute förderten diese Separierung, weil damit in Krisensituationen weniger ein gemeinsames Handeln aller Afrikaner zu erwarten war und die Kruleute auf der Seite der Faktorei standen. Die Beschäftigung von Kruarbeitern als Wanderarbeiter erschwerte die Herausbildung eines ansässigen Lohnproletariats. Wohl aber förderte der Faktoreibetrieb, wenn auch in geringer Zahl, das Wachstum der Gruppe afrikanischer Facharbeiter bzw. Handwerker, wie Zimmerleute, Böttcher, Schmiede, die in der Regel einen doppelt so hohen Lohn wie ein ungelernter Tagelöhner erhielten. Aus welchen Ethnien die afrikanischen Handwerker und das afrikanische Aufsichtspersonal, die sogenannten Clerks und Leiter der Zweigfaktoreien, 24

stammten, war den europäischen Firmen gleichgültig. Wesentlich war für sie nur die fachliche Qualifikation im Handwerk, vor allem aber im Handel: Sprachkenntnisse in Mittlersprachen, Schreib- und rechnerische Fähigkeiten, Leitungsfähigkeiten. Dieses verhältnismäßig hohe Maß an Qualifikation für die Mittlerposition im Export-Import als einer neuen Qualität des Handels suchten und fanden die Afrikaner bei der nunmehr führenden kapitalistischen Weltmacht Großbritannien: bei den britischen Handels- oder Missionsgesellschaften, der Kolonialadministration in den schon britisch okkupierten Stützpunkten in Westafrika von Freetown (Sierra Leone) bis Lagos (Nigeria) und in Großbritannien selbst. Den Briten diente die Tatsache, daß sie gleichzeitig die stärkste kapitalistische und koloniale Macht waren, dazu, jede probritische Äußerung von Afrikanern als probritisch-koloniale Einstellung zu interpretieren. Aber zu Beginn und in der Mitte des 19. Jh. suchten die afrikanischen Händler nur die Vorteile der kapitalistischen Gesellschaftsordnung gegenüber den vorkapitalistischen afrikanischen Gesellschaftsstrukturen zu nutzen: Profitmöglichkeiten, höherer Kultur- und Lebensstandard, Bildungsmöglichkeiten — ohne Akzeptierung der Kolonialmacht. So verbreiteten sich englische Sprachkenntnisse im Küstenbereich unter den Afrikanern, weil eine lingua franka für den Handel gebraucht wurde; aus dem gleichen Grunde setzten sich englisches Geld, Maße und Gewichte durch. Ähnliches betraf Rechtsvorstellungen im Handel, aber auch in allgemeinen Lebensbereichen. Gerade die Anschauungen des britischen liberalen Freihandels, die liberalen Anschauungen des Kapitalismus der freien Konkurrenz und des britischen Pietismus, nach denen alle Menschen ungeachtet ihrer Hautfarbe gleich waren, entsprachen den Vorstellungen der afrikanischen Händlerschicht. Im politischen Bereich suchte diese Gruppe jedoch eigene Ziele durchzusetzen. Viele rassistisch beeinflußte Europäer, besonders die in nationalistischen Vorurteilen befangenen deutschen Kolonialisten, die sich zudem meist nur kürzere Zeit in Westafrika aufhielten, betrachteten die Afrikaner dagegen als Objekte, die von ausländischen Mächten korrumpiert und manipuliert wurden. Für sie war jeder eine ausländische Sprache sprechende Afrikaner ein Agent jener Macht. Daß selbst jene Afrikaner, die europäische Sprachen beherrschten und eine bürgerliche Lebensweise übernommen hatten, damit keineswegs die Belange der Kolonialmacht, sondern eigene Ziele verfolgten, konnten und wollten diese Europäer nicht sehen. Wie wenig ihre kolonialen Klischeevorstellungen zutrafen, beweist gerade die Zeit der Kolonialokkupation. Die neue afrikanische Händlerschicht setzte sich rasch überall an der westafrikanischen Küste fest. Sie konkurrierte in den alten Handelsorten an der Küste im Export- und Importgeschäft mit den europäischen Firmen, von denen sie aber vielfach auf Grund größerer Kapitalkraft aus dem Geschäft gedrängt wurde. Sie konkurrierte dort ebenfalls mit den aus der Zeit des transatlantischen Sklavenhandels stammenden, etablierten afrikanischen Zwi4

Sebald, Togo

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schenhändlern, die ihr gegenüber den Vorteil jahrzehntelanger Geschäftsverbindungen und politischer Führungsrollen hatten. Sie versuchte deshalb, vor allem auch neue Plätze für den Handel mit dem kapitalistischen Weltmarkt zu erschließen, wo es weder die europäische Konkurrenz noch die etablierten afrikanischen Zwischenhändler gab. Die Export-Import-Faktoreien, unabhängig davon, ob sie nun unter europäischer oder afrikanischer Leitung standen, wirkten als Agenturen des kapitalistischen Weltmarktes unmittelbar auf die afrikanische Bevölkerung ein, und zwar nicht nur im küstennahen Bereich. Über die Träger des innerafrikanischen Fernhandels, die islamisch beeinflußten Hausahändler, erstreckte sich ihr Einfluß bis in die nördliche historisch-geographische Region Westafrikas, die Sahelzone. Diese Faktoreien verursachten auch Veränderungen in der afrikanischen Landwirtschaft und damit in den Produktionsverhältnissen durch die Förderung einer spezifischen Exportproduktion; aber sie konnten dies nur über die indirekte Methode, d. h. über die Nachfrage nach Rohstoffen zu einem bestimmten Preis, erreichen. Dieser Mechanismus des kapitalistischen Weltmarktes funktionierte auch in Westafrika im 19. Jh.; aber zu jener Zeit war eine entscheidende Voraussetzung im Zyklus zwischen kapitalistischen Metropolen und kolonialer Sphäre noch nicht geschaffen: Die afrikanischen Bauern waren noch nicht vom Export einer Monokultur abhängig, das Preisdiktat europäischer Handelskapitalisten konnte noch nicht durchgesetzt werden. Noch waren die Bauern Westafrikas ökonomisch unabhängig vom kapitalistischen Weltmarkt, so wie sie auch politisch noch nicht der tatsächlichen Kolonialherrschaft unterworfen waren. Die hauptsächlichen Exportprodukte Westafrikas im Stadium des industriellen Kapitalismus der freien Konkurrenz, Palmöl und Palmkerne, wurden zwar in großen und letztlich für den Weltmarkt genügenden Mengen produziert, aber der afrikanische Bauer pflanzte die Ölpalme niemals gesondert für eine Exportproduktion an. Von der Ölpalme gewann er Öl als Nahrungsmittel und zur Körperpflege sowie Palmwein (den man vielfach weniger wegen seiner schwach berauschenden Wirkung, sondern anstelle von nicht einwandfreiem Trinkwasser trank). Mit Palmwedeln deckte er sein Haus und flocht daraus Körbe. Das sind nur einige Beispiele für die vielfaltige Nutzung der Ölpalme. Selbst wenn man mehr Palmöl und -kerne für den Verkauf auf dem Markt herstellte, so waren dadurch die sozialen Verhältnisse in der Familie nicht betroffen. Die Hauptarbeit, das Ölkochen, vor allem aber das äußerst mühselige und zeitaufwendige Aufklopfen der Palmkerne, um den inneren Kern zu gewinnen, war Frauenarbeit. Palmöl und Palmkerne mußten auch nicht unbedingt und in einer bestimmten Zeit oder um jeden Preis verkauft werden, denn man konnte sie auch für den eigenen Bedarf verbrauchen. Wenn aber eine Exportproduktion unter so mühseligen und zeitaufwendigen Umtänden erfolgte, so beweist dies, wie groß die Nachfrage der afrikanischen bäuerlichen Bevölkerung nach europäischen Waren war. Angebot und Nachfrage sowie das Auftreten afrika26

nischer Zwischenhändler, das wiederum viele Bauern bzw. ihre Frauen veranlaßte, die Produkte selbst an die Küste zu tragen, sprengten im Verlauf des 19. Jh. den Blickkreis des subsistenzwirtschaftlichen Dorfes in der Küstenregion. Dadurch wurden auch die Bedingungen geschaffen, daß die Bauern von sich aus bereit waren, neue Kulturen wie Kakao oder gesonderte Mengen, z. B. von Mais, speziell für den Export anzubauen. Wie wirkten sich diese in Westafrika vor sich gehenden politischen Veränderungen und sozialen Umstrukturierungen auf die Togoküste in den ersten drei Vierteln des 19. Jh. aus? Alle angeführten Hauptprobleme Westafrikas fanden hier ihre lokal bedingte Reflektion, wenngleich hier die Gründung von zwei neuen Ortschaften durch afrikanische Export-Import-Händler erst in den siebziger Jahren erfolgte. Zwar waren die beiden Hauptorte, Klein Popo (mit etwa 5000 Einwohnern) und Porto Seguro (mit etwa 1000 Einwohnern) weiterhin mit dem transatlantischen Sklavenhandel — auf der Grundlage des „stillen" Aufkaufs einzelner Menschen — befaßt, aber dennoch zeigten sich hier ebenfalls politische Veränderungen. Seit dem offiziellen Verbot des transatlantischen Sklavenhandels durch Großbritannien und andere europäische Kolonialmächte war die direkte Bedrohung durch europäische Sklavenhändler und afrikanische Nachbarkönigreiche geringer geworden. Es bestand nicht mehr der durch äußere Bedingungen gegebene Anlaß für die Existenz eines territorial starken Königreiches Klein Popo. Auch der neben dem Sklavenhandel immer stärker werdende neue Handel mit Palmöl und -kernen benötigte kein derartiges Reich. Die Streitigkeiten zwischen den Häuptlingen der auf der Sandbank liegenden Handelsorte Klein Popo und Porto Seguro und den Häuptlingen der Ortschaften hinter der Lagune — in der vergangenen Zeit äußerer Bedrohung zum zweitrangigen Problem geworden — brachen erneut aus. Als sich nun neue fremde — europäische wie afrikanische — Händler in den Orten auf der Sandbank niederließen und Faktoreien gründeten, machten die Häuptlinge der Lagunenorte geltend: Die Sandbank gehöre zu ihrem Territorium, ein Teil der dort lebenden Bevölkerung stamme aus ihren Dörfern, und ihre Dörfer versorgten diese Ortschaften mit Lebensmitteln und selbst mit Trinkwasser. Folglich hätten sie das Recht, die Grundpacht und die Zölle von den ausländischen Firmen einzuziehen. Dieser Rechtsstandpunkt der Häuptlinge war umstritten, weil die zuvor unbewohnte und ungenutzte Sandbank auch nach traditionellem Recht freies Land war, das die zugewanderten Zwischenhändler erst besiedelt hatten. Außerdem hatte eine breite Bevölkerungsvermischung stattgefunden und häufig waren Persönlichkeiten aus dem Kreis der Zwischenhändler als Häuptlinge gewählt worden. Dieser Rechtsstreit war stets nach dem jeweils realen politischkommerziellen Kräfteverhältnis entschieden worden. Unter den veränderten Bedingungen erhielt er einen neuen Auftrieb, und der Gegensatz zwischen den Häuptlingen der Küstenorte und der Ortschaften an der Lagune wurde zu einem dominierenden Faktor, der von den europäischen Handelsagenten im Kampf der Kolonialkonkurrenten ausgenutzt werden konnte. 4*

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Dieser Gegensatz wurde dadurch kompliziert, daß in Klein Popo zu den etablierten Zwischenhändlerclans im 19. Jh. mit der Umstrukturierung des Handels ein neuer Clan hinzukam, so daß das Kräfteverhältnis in Klein Popo von drei Gruppen afrikanischer Führungskräfte — den etablierten Zwischenhändlerclans, den neu hinzuziehenden Zwischenhändlerclans und den traditionellen Häuptlingen der Lagunenorte — bestimmt wurde. Typisch für die etablierten Zwischenhändler war, daß sie zu einem großen Teil portugiesische Namen trugen: d'Almeida, Freitas, de Souza, Olympio, Medeiros, de Lima. Aus diesen Namen ist nicht automatisch auf die mulattische Herkunft zu schließen, wie Rassisten als Beweis für einen positiven europäisch-rassischen Einfluß schlußfolgerten. Ein Teil dieser Afrikaner war aus Brasilien zurückgekehrt, wo sie — entsprechend kolonialen Gepflogenheiten — den Namen ihres ehemaligen Sklavenhalters übernommen oder erhalten hatten. Zahlreiche Afrikaner hatten lediglich einen portugiesischen Namen angenommen, weil sie sich im Verkehr mit Europäern Vorteile versprochen hatten. Aber selbst da, wo Väter Portugiesen gewesen waren (manchmal vor mehreren Generationen), waren die Mischlingskinder fest in die afrikanische Sozialstruktur eingegliedert. (Die deutschen Kolonialisten betrachteten deshalb später in Togo alle Afrikaner, ungeachtet ihrer Abkunft, ihres Namens und ihrer Hautfarbe, als „Farbige".) Interessant ist auch, daß in Klein Popo die eine Familie eines Zwischenhändlerclans sich den portugiesischen Namen d'Almeida zulegte, die andere aber den afrikanischen Namen Aite Ajavon beibehielt. (33) (Zu Namensänderungen siehe S. 570.) Aus den portugiesischen Familiennamen sollte nicht der Schluß gezogen werden, daß sich dieser Personenkreis weiterhin der portugiesischen Sprache als Kommunikationssprache bedient hätte. Der neue Handel mit neuen Produkten benötigte Englisch oder englische Sprachbrocken zur Kommunikation. Reisende berichteten, daß 1884 der Sprachwechsel zwischen Pidgin-Englisch und Pidgin-Portugiesisch bei Agoue, also etwa auf halber Strecke zwischen Klein Popo und Grand Popo, festzustellen sei; in Agoue lebten etwa doppelt so viele Menschen wie in Klein Popo, darunter viele ehemalige Sklavenhändler. (34) Typisch für die neu hinzukommenden Zwischenhändler war, daß sie vielfach englische Namen führten, wobei wiederum zweitrangig ist, ob jene Afrikaner tatsächlich von einem Briten abstammten. Die neuen Händlergruppen drangen bereits zu Beginn das 19. Jh. zum alten Handelsplatz Klein Popo vor, befaßten sich also auch noch mit Sklavenhandel. (35) Eine hervorragende Rolle spielte der Lawsonclan. Bereits die wenigen bekannt gewordenen Fakten über dessen erste herausragende Persönlichkeit, G. A. Lawson, widerspiegeln die Vielfalt der familiären und kommerziellen Beziehungen. Während nach einer zeitgenössischen englischen Quelle (36) Lawson in Accra gebürtig war, spricht eine deutsche Quelle (37) davon, daß ein Angehöriger der d'Almeidasippe nach Sierra Leone ausgewandert sei, dort den Namen Lawson angenommen habe, wieder nach Klein Popo zurückgekehrt sei (und somit über die d'Almeidafa28

milie auch mit der Ajavonsippe verwandt war). Wie auch immer, im Jahre 1821 konnte G. A. Lawson in Klein Popo einen so großen Einfluß durchsetzen, daß nunmehr der König des Lagunenortes Gridji sich dem Lawsonclan unterordnen mußte und von ihm „gekrönt" wurde. Sein Sohn, G. A. Lawson II., suchte aber, veranlaßt durch die Abhängigkeit Klein Popos von den Ortschaften im Landesinnem, einen Ausgleich mit dem König von Gridji und wurde von ihm etwa um 1875 beauftragt, „to get the duties from the English factories, being the only one of all cabozeers who could communicate in the English language" (38). Gleichzeitig sollte Häuptling Quadjovi die Handelsabgaben von den Faktoreien der anderen Nationen, also den deutschen und französischen, einziehen; Häuptling Pedro Quadjo sollte von den Faktoreien die Grundrente erheben. Pedro Quadjo und Quadjovi (der „kleine Quadjo") gehörten zu dem alten, etablierten Zwischenhändlerclan der d'Almeidas. Diese Aufteilung ökonomischen und politischen Einflusses zeigt das Bemühen der afrikanischen Häuptlinge um einen Ausgleich, und zwar noch auf der Basis traditioneller Rechtsvorstellung. Gleichgültig, ob sie etablierte Zwischenhändler oder in der neuen Periode zugewanderte waren: Sie versuchten, die ökonomische Funktion eines Zwischenhändlers, den sie als „Trader" bezeichneten, mit der gesellschaftlich-politischen eines „Kings" oder „Chiefs" zu verbinden. Ebenso versuchten umgekehrt traditionelle „Chiefs" zu ihrer gesellschaftlich-politischen Funktion die eines „Traders" hinzuzugewinnen. Die Dualität, die man mit dem Begriff King/Trader bezeichnen kann, prägte auch ihr Bewußtsein. Solange sich traditionelle politische Machtfunktionen vorteilhaft auf das Zwischenhandelsgeschäft und andererseits das Zwischenhandelsgeschäft sich positiv für die Erhaltung und Erlangung traditioneller Machtfunktionen auswirkten, blieben die afrikanischen Mittler trotz europäischer Kleidung und Lebensformen sowie trotz europäischer Sprachkenntnisse den afrikanischen Rechtsnormen und Anforderungen, die an führende Persönlichkeiten gestellt wurden, verpflichtet. Erst als die direkte Kolonialherrschaft mit der Integrierung der Häuptlingsinstitution in das koloniale Herrschaftssystem gewaltsam die Möglichkeit durchbrach, daß afrikanische Zwischenhändler ökonomische Macht in traditionelle politische Macht umsetzen konnten, änderte sich die Situation: Jetzt mußten die Zwischenhändler sich auf den ökonomischen Bereich konzentrieren, jetzt konnten sie ihren Handelsgewinn z. B. in Grundbesitz investieren und brauchten ihn nicht mehr in der unproduktiven Sphäre der politisch-militärischen Macht auszugeben. Es mehrte sich demzufolge die Zahl der nur mit Zwischenhandel befaßten Afrikaner. 1884 galten in Klein Popo als die einflußreichsten Händler die „Sierra Leone-Händler" S. B. Cole, Gladstone Cole, D. W. Munday sowie die ansässigen Händler Creppy, Gomez, Albert Wilson, Manuel d'Almeida, Francesco d'Almeida und die Frauen Mensavi und Agbegbe. (39) In ihrer zweiseitigen Funktion standen die King/Trader dem bürgerlichen Fortschritt, den die Periode der freien Konkurrenz ermöglichte, positiv ge29

genüber. Sie lancierten ihre zahlreichen eigenen Kinder und die des Familienclans in Faktoreien, damit sie als Clerks eine Ausbildung und Anstellung erhielten. Sie schickten, wo es möglich war, ihre Kinder auf eine Missionsschule in Westafrika und sogar zur Qualifizierung nach Europa. Dabei gab es keine Voreingenommenheit gegenüber qualifizierter manueller Arbeit. Wenn es möglich war, ließen sie ihre Kinder auch ein Handwerk erlernen, um über die besseren Verdienstmöglichkeiten des qualifizierten Facharbeiters ebenfalls Geld im Zwischenhandel, Grundbesitz u. ä. anzulegen. Vor allen Dingen reagierten sie rasch auf neue Bedingungen des kapitalistischen Weltmarktes. Das zeigte sich z. B. in den sechziger Jahren des 19. Jh., als im Ergebnis des nordamerikanischen Bürgerkrieges der britische Baumwollimport aus den Südstaaten der USA versiegte. Sofort erschloß der Weltmarkt über hohe Aufkaufpreise neue Produktionsgebiete auch an der Togoküste bei Klein Popo, wo — wie Duncan 1845 berichtete — „Baumwolle in beträchtlichem Maße kultiviert und verarbeitet wurde" (40). „Bei den hohen Preisen, die damals während der Zeit des Baumwollfiebers gezahlt wurden", so berichtete 1890 der Landwirtschaftsexperte der Kolonialadministration Goldberg nach Gesprächen mit mehreren afrikanischen Händlern und Chiefs, „legte sich auch hierzulande alles nur auf die Kultur der Baumwolle, die Eingeborenen vernachlässigten dabei nicht nur ihre Proviantpflanzungen, sondern unterließen sogar das Anpflanzen von Lebensmitteln völlig. Darauf kam der sogenannte Baumwollkrach, das Pfund Baumwolle, das vorher mit 2 Mark und darüber bezahlt wurde, war jetzt kaum für 25 Pfennig loszuwerden, die Händler nahmen den Eingeborenen ihre Vorräte nicht ab, weil sie höchstens mit Verlust zum Kaufen im Stande gewesen wären. Die Eingeborenen hatten nun weder Geld noch Lebensmittel, es trat eine große Hungersnot ein, bei welcher die Eltern sich genötigt sahen, ihre Kinder als Sklaven zu verkaufen, um nur leben zu können. Die Häuptlinge hielten darauf einen großen Rat, worin sie beschlossen, fortan keine Baumwolle mehr zu pflanzen, und es hat jetzt große Mühe gekostet, die Häuptlinge von ihrem eigenen Unverstand zu überzeugen und sie zu neuen Versuchen zu veranlassen." (41) Eine andere Quelle berichtet, daß die King/Trader an der Togoküste nicht nur Baumwollplantagen durch Sklaven anlegen ließen, sondern auch eine Ginmaschine zum Entkernen der Baumwolle importierten. (42) Dieser Hinweis ist insofern wichtig, weil er zeigt, daß die Händler, wenn es ihnen möglich war, nicht nur im Handel, sondern direkt in der landwirtschaftlichen Exportproduktion investierten. 20 bis 40 Ballen zu je 200 kg sollen in jedem Monat mit Segelschiffen nach Liverpool verschifft worden sein. Die Erfahrungen aus dem Baumwollboom und der anschließenden Depression veranlaßten die afrikanischen Häuptlinge wie die Händler und die breite Bauernschaft in der Küstenregion zu einem vorsichtigeren Disponieren bezüglich der Wahl der Exportprodukte, um nicht wieder in eine einseitige und vollständige Abhängigkeit zu geraten; selbst nach einem Vierteljahrhundert waren diese Lehren nicht in Vergessenheit geraten. 30

Andererseits erfolgte keine vollständige Unterbindung der Kontakte zum kapitalistischen Weltmarkt, dessen objektiv wirkende Gesetzmäßigkeiten auch nicht hätten aufgehalten werden können. Ständig entstanden in der afrikanischen Bevölkerung neue Kräfte, die, des Gewinns wegen, Beziehungen mit diesem Weltmarkt knüpften, den sich wandelnden Bedingungen angepaßt. Die Gründung zweier neuer Handelsorte an der Togoküste, Be Beach (genannt Lome) und Bagida Beach, in den siebziger J.ahren war dafür ein augenfälliger Beweis.

4.2. Togo in der Endphase der kolonialen Aufteilung der westafrikanischen Küste In den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jh. nahm mit dem Erstarken neuer kapitalistischer Staaten in Europa und den USA in Westafrika der Konkurrenzkampf um Absatzmärkte und Rohstoffquellen zu und führte schließlich zur politischen Aufteilung Afrikas unter alte und neue Kolonialmächte. Die ungleichmäßige kapitalistische Entwicklung in Europa widerspiegelte sich zunächst im Handel. Neben den dominierenden Briten tauchten jetzt auch Schiffe und Firmen anderer europäischer Nationen in Westafrika auf. Da die Handelsnormen und die Handelssprache ohnehin englisch waren und die Handelsfirmen wiederum europäische Angestellte unterschiedlichster Nationalität beschäftigten, war jedoch aus der Sicht der afrikanischen Küstenbevölkerung und ihrer führenden Persönlichkeiten die Nationalität einer Handelsfirma zunächst ohne Bedeutung. Aber die Firmen boten letztlich — wenn auch nicht ausschließlich — in Afrika immer mehr jene Produkte an, die ihnen die eigene, nationale Industrie zu den günstigsten Bedingungen lieferte. So konzentrierte sich der britische Export immer mehr auf billige Textilien, der deutsche Export auf Pulver, alte Gewehre und besonders auf Branntwein, den viele Europäer damals als gesundheitsschädigenden Fusel bezeichneten. Um die Mitte des 19. Jh. hatten sich britische und auch afrikanische Firmen aus der britischen Kolonie Sierra Leone an den Hauptorten der Küste des heutigen Ghana und Nigeria niedergelassen, besonders an den Flußmündungen, den Endpunkten der billigen Transportwege ins Landesinnere. Auch Frankreich hatte seit 1838 seinen Handel in Westafrika reaktiviert; die französische Firma Régis Aines Frères war seit 1842 an der Küste des damaligen Königreiches Dahome tätig. Als nun auch deutsche Handelsfirmen nach Westafrika kamen, fanden sie an den wichtigsten Plätzen schon etablierte britische, afrikanische und französische Firmen, gegen die sie entweder konkurrieren oder sich neue Handelsplätze suchen mußten. Der Anfang und auch die Stoßrichtung der ersten deutschen Handelsfirma wurde von der Norddeutschen Missionsgesellschaft beeinflußt. Diese Gesellschaft hatte seit 1848 einige Missionare nach der Goldküste entsandt, die schließlich zur Missionierung die östlich des Voltaflusses seßhaften Ewe bestimmten. Die Missionsgesellschaft wollte vor allem ein von keiner Kolonialmacht beherrschtes, möglichst überhaupt von jeglichem 31

europäischem Einfluß freies Gebiet missionieren. Deshalb stießen die Missionare etwa 100 km ins Landesinnere bis ins Togogebirgsmassiv vor. Erst später, als notwendige Etappe auf dem Weg ins Landesinnere, eröffnete man eine Missionsstation in Keta, in jenem Küstenort, der zwar vormals dänischer Kolonialbesitz war, den die Briten aber nach Kauf der dänischen Forts nicht besetzt hatten. Zur finanziellen Unterstützung der Norddeutschen Missionsgesellschaft war 1856 die de jure unabhängige Firma Friedrich M. Vietor gegründet worden. Sie hatte ihre Hauptfaktorei in Keta, eröffnete aber, um Auswirkungen des Aschantikrieges zu entgehen, schrittweise Zweigfaktoreien in den östlich gelegenen Küstenstrichen, zuerst im Dezember 1873 in Klein Popo, später in den dazwischenliegenden Küstenorten Denu, Bagida Beach und Be Beach. (1884 arbeiteten in den Faktoreien dieser Firma zwölf europäische Angestellte.) Schon im Dezember 1873 hatte der Handelsagent dieser Firma, August Vogt, bei dem König von Be um die Erlaubnis nachgesucht, an dem etwa 4 km entfernt liegenden Strande eine Niederlassung zu gründen. Der König verbot jedoch seinen Leuten, mit der Firma Handel zu treiben, weil er — so Vogt — Vietor als eine englische Firma ansah. (43) Das zeigt immerhin, daß dem König die Existenz englischer Firmen bekannt war, und zwar mit negativem Vorzeichen. Ob er allerdings tatsächlich englische Firmen und nicht afrikanische Firmen aus der britischen Kolonie Sierra Leone gemeint hat, sei dahingestellt. Bedeutsam ist, daß in dieser neuen Phase des Export-Import-Handels afrikanische Zwischenhändler im westlichen Teil der heutigen Togoküste, an der sich bis dahin noch kein fester Handelsort befand, zwei'neue Handelsplätze, Be Beach (Lome) und Bagida Beach, erschlossen. Wann und wie genau diese „Erschließung" erfolgte, ist an Hand der deutschen Quellen nicht exakt festzustellen, denn es genügte — wie bereits erwähnt — den Handelsschiffen ein Flaggenzeichen zu geben, um Palmöl und Palmkerne aufkaufende Kapitäne zum Anhalten zu veranlassen. Solche Handelsplätze am freien Sandstrand entstanden gleichsam als Außenposten zu den im Innern an der Lagune liegenden Dörfern und wurden deshalb von den europäischen Kauffahrern in der üblichen englischen Sprachfassung Be Beach (Strand von Be) und Bagida Beach genannt. (Zwischen Be, das damals etwa 3000 Einwohner hatte und als Sitz des Fetisch Aklobo ein bekannter Ort war, und Be Beach lagen etwa 4 km, zwischen Bagida und Bagida Beach nur 800 m.) Die eigentlichen Pioniere waren die afrikanischen Händler, die das Risiko eingingen, einen neuen Handelsplatz ohne oder mit nur wenigen Konkurrenten zu finden. Entwickelte sich das Geschäft gut, so erfolgte der nächste Schritt: die Anlage eines festen Hauses, um dort zu exportierende und importierte Waren zu lagern. Für das Handelsrecht brauchten die fremden Kaufleute die Einwilligung des Häuptlings, auf dessen Territorium sich der Handelsplatz befand. Eine der32

artige Zustimmung des Königs von Lome für den Händler Bruce, datiert vom 16. Januar 1877, ist erhalten geblieben, ein für die Geschichte der Stadt Lome außergewöhnlich wichtiges Dokument. (44) Das in englischer Sprache verfaßte Schriftstück ist von „King Derjey" mit „seinem Zeichen" unterschrieben. Unter der Überschrift „Namen der alten Könige von Lome" werden die 13 vorangegangenen Könige in ihrer Thronfolge angegeben, um die Legitimation von King Derjey zu begründen. In einem zweiten Absatz erklärte Derjey: „Mr. Bruce ist der erste Mann, der kam und mich fragte, am Strand Handel zu treiben; ich willigte ein, und in meiner Gegenwart übertrug er diese Handelserlaubnis an seinen Sohn Quashy Bruce, und dieser sein Sohn Quashy Bruce war der erste, der ein Haus am Strand gebaut hat und diesen Platz oder Strand Lome, nun von den weißen Männern als Bey Beach bezeichnet, nannte. Das Land ist meines, und ich bin es gewesen, der es Mr. Bruce gab, der es in meiner Gegenwart seinem Sohn Quashy Bruce weitergab; und wenn da irgendeiner sagt, das Land gehört ihm, so sollte der zeigen, in welcher Art es ihm gehört." (45) Die Übergabe der Rechte vom Vater an den Sohn war somit Anlaß dieses Schriftstückes. Die ursprüngliche Genehmigung an James Qaminah Bruce von Aflahu (Agbodeka, S. 67) dürfte in seinem ersten Absatz, der Legitimation, nicht anders gelautet haben, so daß King Derjey, in dem Dorf Amutive (in unmittelbarer Nähe von Be) lebend, Bruce den Namen des alten Lome (siehe S. 17) mitgeteilt hat, nicht zuletzt, um seine Rechte geltend zu machen. Der Anreiz, durch Exportzölle und Pachtabgaben für Grundstücke sich neue Einnahmequellen zu erschließen sowie europäische Waren zu erhalten, ließ für König Derjey die Existenz dieses „Außenpostens" am Strand als zweckmäßig erscheinen. Auch die Einwohnerschaft von Amutive und Be hatte Vorteile, denn die Menschen des neuen Handelsplatzes benötigten Wasser, Lebensmittel, Palmwein, geflochtene Matten für den Hausbau, Brennholz usw. Außerdem führte der einzige schmale Pfad ins Landesinnere hier bei Amutive durch die sehr flache Lagune, die auch in der Regenzeit leicht passierbar war. Daß King Derjey — will man den Memoiren Vogts folgen — keine englische Firma haben wollte, afrikanischen Händlern aber den Handel gestattete, erklärt sich aus der stärkeren Position Derjeys gegenüber den kapitalschwächeren afrikanischen Händlern. Außer Quashy Bruce hatten bis Ende der siebziger Jahre weitere afrikanische Händler in Lome Handelsniederlassungen angelegt (46); z. B. Joachim Akolatse aus dem Küstenort Aflahu (er lebte 1907 noch), John Toffa (wahrscheinlich 1910 gestorben), Kudawoo aus Denu (gestorben am 27. Februar 1907) sowie die aus Sierra Leone stammenden Händler G . B. und T. D. Williams. Zwar hatten diese Händler, die ein selbständiges Export-Import-Geschäft betrieben, Ende der siebziger Jahre noch keine Kokospalmen auf ihren Grundstücken als äußere Zeichen dauerhaften Aufenthalts gepflanzt, aber die Grundbesitzrechte müssen bis 1881 so hinreichend geklärt gewesen sein, daß die europäischen Firmen, als sie 1881 zur Anlage von Zweigfaktoreien in Lo33

me schritten, die Grundstücke am Strand nicht von King Derjey, sondern von den genannten Händlern pachteten. (47) Streitigkeiten über die Grundrechte, wie sie aus Klein Popo bekannt waren, sind aus Lome nicht aktenkundig geworden. Mit der Niederlassung europäischer Zweigfaktoreien kamen neue afrikanische Händler, wahrscheinlich als Handelsagenten dieser Firmen, nach Lome, wo sie sich dauerhaft ansiedelten (eine Ansiedlung zu einem früheren Zeitpunkt ist bei den Nachgenannten nicht auszuschließen): Chief Antonio aus Keta, Quaku, ein Händler, der Ende der neunziger Jahre starb, und James Gbogbo, der östlich der letzten Faktorei das gesamte an den Handelsplatz angrenzende Gebiet in einer Länge von etwa 100 m und einer Breite von etwa 300 m erwarb, dort den Busch roden und Kokospalmen anpflanzen Heß. In den folgenden Jahren parzellierte er diesen Grundbesitz und erwarb neuen am Ortsrand, aber auch in anderen Ortschaften. James Ocloo (er lebte 1907 noch in Keta) erwarb das westlich an die letzte Faktorei angrenzende Gebiet, ebenfalls in einer Breite von 300 m. Auch er parzellierte das Terrain später. Die Ansiedlung der europäischen Firmen in Lome (Be Beach) und Bagida Beach erfolgte jedoch im Zusammenhang mit einer neuen Etappe der britischen Kolonialpolitik. Um die Kosten des Kolonialkrieges gegen die Aschanti zu kompensieren, erhöhte die Administration 1873/74 die Zölle auf Schnaps, Pulver und Tabak um 100 Prozent. Das traf zwar britische Firmen ebenso wie deutsche, aber auf Grund der Exportstruktur war der Schlag gegen die deutschen Handelsfirmen unverkennbar. Die britische Zollmaßnahme bedeutete keineswegs eine Ruinierung oder eine Beendigung des Handels der deutschen Firmen, wie später zur Begründung der deutschen Kolonialokkupation agitatorisch verkündet wurde. Dies widerlegt allein die Tatsache, daß nach 1884 die meisten deutschen Firmen weiterhin ihre Faktoreien im britischen Kolonialgebiet aufrechterhielten, j a oft dort die Hauptfaktoreien hatten; die britische Zollmaßnahme hatte lediglich den Handelsprofit,' der nach Schätzungen der Firmen im Durchschnitt bei 33 Prozent lag, etwas eingeschränkt. Alle mit Alkohol handelnden Firmen gründeten, um der britischen Zollerhebung zu entgehen, Zweigfaktoreien in den von keiner Kolonialmacht besetzten Gebieten, und schrittweise folgte die britische Kolonialadministration, um dort ebenfalls Zölle einzuziehen. So besetzten die Briten 1874 Keta sowie Ende 1879 Denu und Aflahu, aber die Bevölkerung von Bagida, veranlaßt von dem afrikanischen Händler G. B. Williams, verweigerte die Annahme britischer Herrschaft (Agbodeka, S. 65). Darauf gründeten die Firmen 1880 in Bagida Beach und 1881 in Be Beach Zweigfaktoreien. Aber sie wußten, daß es eine Frage von nur kurzer Zeit sein würde, bis die britische Kolonialherrschaft erneut nachfolgen und Frankreich sich — nach Lösung anderer Kolonialprobleme — der Okkupation Dahomes und auch Klein Popos zuwenden würde. Damit aber schloß sich die politische Zange: Die Zeit 34

der von keiner Kolonialmacht beschnittenen Handelsprofite neigte sich dem Ende zu. An der 1884 noch von keiner ausländischen Macht okkupierten Togoküste von Lome bis Klein Popo waren vier deutsche, zwei französische und eine britische Firma tätig. (48) (Über das Ausmaß und die unterschiedliche Verteilung des Export-Import-Handels 1884 geben die Tabellen auf S. 108/109 ein anschauliches Bild.) Die älteste deutsche Handelsfirma war die bereits erwähnte von Friedrich M. Vietor. Einige Handelsagenten Vietors machten sich später selbständig und gründeten eigene Firmen, so daß das Vietor-Handelsunternehmen als eine Muttergesellschaft angesehen werden kann. Auf Grund der religiösen Einstellung der Firmeneigner war sie 1884 die einzige deutsche Firma, die prinzipiell den für andere deutsche Firmen so bedeutsamen Schnapshandel ablehnte und damit gleichzeitig bewies, daß auch ohne den Alkoholimport gewinnbringender Handel getrieben werden konnte. Die drei anderen deutschen Firmen an der Togoküste — aus Hamburg stam-. mend — müssen im Kontext mit dem im deutschen Westafrikahandel weit wichtigeren Unternehmen, dem Woermanns, gesehen werden. Woermann war an der Togoküste nicht vertreten. Dazu war aus seiner Sicht der Handel zu unbedeutend. Aber gerade deshalb glaubten ehemalige Handelsagenten bzw. Part- • ner Woermanns hier eine Chance zu haben. War die Firma Vietor, vom Westen her kommend, nach Klein Popo und dann nach Bagida und Lome vorgestoßen, so drang vom Osten her die Firma C. Goedelt in Küstenorte Togos ein. Carl Goedelt trieb bereits seit den vierziger Jahren Handel an der Pfefferküste, versuchte es 1848 mit einer Handelsniederlassung in Liberia, wurde Teilhaber von C. Woermann und eröffnete 1866 ein selbständiges Geschäft in Ouidah. Seit 1882 stieß er westwärts nach Klein Popo und Lome mit Handelsniederlassungen vor. 1884 hatte er seine Hauptfaktorei in Grand Popo, und auch später war das Netz seiner Niederlassungen in Dahome größer als in Togo. (49) 1884 konnten beide Firmen, Vietor und Goedelt, als bereits etabliert angesehen werden, sie hatten ihre festen Hauptfaktoreien in Orten westlich bzw. östlich der Togoküste. Etwas anders war die Situation der dritten deutschen Firma, Wölber & Brohm. (50) Franz Georg Wölber (geb. 1844) hatte 1863 als Agent Woermanns in Liberia begonnen. Auch Walter Ursinus Brohm (geb. 1850) war von 1871 bis 1878 für Woermann in Liberia tätig. Zurückgekehrt nach Deutschland, gründeten beide 1879 eine eigene Firma, die nunmehr als Neuling mit Energie ihre Etablierang an der „Sklavenküste" betrieb. 1884 unterhielt die Firma mit insgesamt sieben europäischen Agenten neben einer Hauptfaktorei in Grand Popo Niederlassungen in Klein Popo (seit 1880), Bagida und Lome (hier als erste deutsche Firma). Auf Grund dieser Geschäftssituation erscheint es nicht als zufällig, daß sich ihr Handelsagent Heinrich Randad (1855—1938), seit 1875 in Westafrika, so sehr für die Errichtung der deutschen Kolonialherrschaft einsetzte. 35

Die vierte im Bunde, Max Grumbach & Co., war die kleinste und jüngste der deutschen Firmen mit Faktoreien in Grand Popo und Klein Popo. Den Versuch, sich selbständig zu machen, mußte der ehemalige Handelsagent jedoch nach einigen Jahren wieder aufgeben. Alle deutschen Firmen waren 1884 somit im größten Ort der Togoküste, Klein Popo, vertreten, keine jedoch im zweitgrößten, in Porto Seguro. Die Hauptursache dafür war, daß King Mensah die deutschen Firmen veranlassen wollte, seine Arbeitskräfte anstelle der Kruwanderarbeiter zu beschäftigen. Auf die politischen Folgen wird noch zurückzukommen sein. Allen vier genannten Handelsfirmen gemeinsam war ihre Kapitalschwäche; sie suchten einen schnellen Handelsgewinn und waren zu keinem größeren Geschäftsrisiko, beispielsweise der Anlage einer Zweigfaktorei im Landesinnern, bereit. Von den britischen Finnen unterhielt lediglich die an der Goldküste etablierte Firma F. & A. Swanzy in Lome eine Zweigfaktorei, gleichsam als ein östlicher Außenposten, geleitet von dem Afrikaner Octaviano Olympio. Zwei französische Firmen waren von ihren Faktoreien an der Dahomeküste nach Klein Popo vorgestoßen. Die ältere war Régis Aines Frères. Ein ehemaliger Teilhaber, Cyprien Fäbre, hatte sich selbständig gemacht; er unterhielt auch die einzige europäische Faktorei in Porto Seguro. Deutsche, französische und britische (eingeschlossen die aus Sierra Leone stammenden) Export-Import-Firmen handelten „einträchtig" im Sinne des Freihandels, d. h. in scharfer Konkurrenz untereinander, und sie suchten in dieser Konkurrenz auch Vorteile durch Einschaltung der jeweiligen Staatsmacht. Jedoch waren sie alle viel zu kapitalschwach, als daß sie in den Metropolen prinzipielle Entscheidungen der europäischen Regierungen zu ihren Gunsten hätten herbeiführen können. Die Regierungen aber nutzten ihrerseits je nach Opportunität das kleine Kaufmannskapital für ihre strategische Kolonialpolitik, und den Firmen blieb nichts anderes übrig, als sich deren langfristig wirkenden Entscheidungen anzupassen und dabei ihren Geschäftsvorteil zu wahren. Insgesamt gesehen funktionierte in dem von keiner Kolonialmacht besetzten Küstenstrich die Zusammenarbeit zwischen afrikanischer und europäischer Seite, weil beide Seiten an der Aufrechterhaltung und Ausdehnung des Handels interessiert waren. Für eine „Bedrohung des deutschen Handels" durch Afrikaner, wie sie von Kolonialisten und ihren Apologeten zur Begründung der Kolonialokkupation angeführt wurde, gibt es keine Beweise, betrachtet man zeitweilige Differenzen bei Vertragsabschlüssen über Handelsmodalitäten zwischen europäischen Firmen und den afrikanischen Chiefs als etwas im allgemeinen Geschäftsgebaren Normales. Wohl aber liegt ein bezeichnendes Eingeständnis der deutschen Firmen von 1891 vor, die nach einigen Jahren deutscher Kolonialherrschaft in einem Schreiben an das Auswärtige Amt den unbeschwerten Zuständen vor der Kolonialokkupation nachtrauerten : „Die Zeit des glücklichen und zufriedenen 36

Lebens ohne irgend welche europäische Regierung war unwiderruflich dahin, und wenn nun doch schon, so begrüßten wir es mit Genugtuung, daß die deutsche Regierung Veranlassung nahm, einer überseeischen kolonialen Machtentfaltung näherzutreten." (51) 4.3. Der Protektoratsvertrag

vom 5. Juli 1884

Zu Beginn der achtziger Jahre lebten die sich an der „Sklavenküste" zeitweilig aufhaltenden Europäer sowie die im politischen und ökonomischen Leben führenden afrikanischen Persönlichkeiten in der Annahme, daß die Togoküste auf Grund der in diesem Gebiet bereits eingeleiteten Politik der Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich — ungeachtet der weltpolitischen Situation — unter die Herrschaft der einen oder der anderen Macht fallen würde. (52) Die Hauptfrage für sie war, welche der beiden Kolonialmächte sich wo etablieren und im besonderen, wo künftig die Grenze verlaufen würde, denn die vergangenen Jahre hatten gezeigt, daß an dieser Grenze auch künftig durch Schmuggel ein besonderer Gewinn erzielt werden konnte. Dabei sollte nicht vergessen werden, daß unter Kolonialherrschaft sowohl die Europäer als auch die Afrikaner noch jenen Typ der Kolonialherrschaft im Auge hatten, wie er sich im Stadium des Kapitalismus der freien Konkurrenz herausgebildet und an einigen Orten der westafrikanischen Küste (Freetown, Accra, Lagos) etabliert hatte. Afrikaner und Europäer hatten für die Lösung dieser Hauptfrage höchst unterschiedliche Vorstellungen. Dabei zeichneten sich folgende Gruppierungen ab : 1. Die britischen Interessen vertrat die Administration der Goldküstenkolonie, die aus dem fiskalischen Interesse der Zollerhebung die Grenze der Kolonie Schritt um Schritt nach Osten ausgedehnt hatte und im Juni 1884 den nächsten Schritt vorbereitete. Ob die Firma Swanzy in Lome diese Annexionspläne gefördert hat, kann an Hand der deutschen Quellen mit ihrem a priori antibritischen Tenor nicht festgestellt werden. Das ist vielmehr zu bezweifeln, profitierte doch die Firma vielmehr vom Schmuggel aus dem nichtbritischen Gebiet in die britische Kolonie. 2. Die französischen Interessen wurden durch die Firmen Régis Aines Frères und Cyprien Fabre & Cie, deren Hauptagenten teils Konsulatsfunktionen ausübten, vertreten. Ihre Faktoreien in Klein Popo und Porto Seguro waren Außenposten', die sie sich auch politisch durch Protektoratsverträge sichern, also einen in der französischen Kolonialpolitik gebräuchlichen Weg einschlagen wollten. 3. Die vier deutschen Firmen, im besonderen die drei mit Schnaps handelnden, waren auf Grund ihrer Geschäftslage am Handel mit der Togoküste besonders interessiert. Ihre Situation war insofern komplizierter, als sie zwar den Schutz des Deutschen Reiches hinter sich wußten, jedoch im Unterschied zu französischen und britischen Interessen nicht sicher mit der Errichtung einer eigenen Kolonie rechnen konnten. 37

Auch auf der afrikanischen Seite bestanden unterschiedliche Gruppierungen, die im Falle einer Kolonialokkupation eigene Interessen verwirklichen wollten: 1. Die Häuptlinge der Dörfer im Landesinnern an der Lagune wollten am Zwischenhandel beteiligt sein und ihre politische Vorherrschaft in den Orten am Strand durchsetzen. 2. Die etablierten King/Trader der Küstenorte Klein Popo und Porto Seguro wollten ihre kommerzielle und politisch gesellschaftliche Vorrangstellung aufrechterhalten und nach Möglichkeit noch ausdehnen. 3. Die neuen Händler, Handelsfirmen und Handelsagenten beabsichtigten, sich an den Küstenorten, besonders in Be Beach (Lome) oder Bagida fest zu etablieren. Es bestanden jedoch auch aus früheren Zeiten Spannungen, so zwischen den Häuptlingen von Klein Popo und Porto Seguro oder zwischen denen von Be und Klein Popo. (53) Die Interessen der afrikanischen Gruppen bzw. die historisch bedingten Spannungen wurden von den Europäern meist nicht beachtet, weil sie in ihrer rassistischen Überheblichkeit die afrikanischen Persönlichkeiten zu direkten oder indirekten Agenten dieser oder jener ausländischen Macht abqualifizierten. Sehr wohl verfolgten jedoch die Afrikaner ihre eigenen Interessen. Die angeführten Gruppierungen auf europäischer und auf afrikanischer Seite versuchten, ihre jeweiligen Interessen mit Hilfe einer Gruppe von der anderen Seite durchzusetzen. Entsprechend den tatsächlichen Machtverhältnissen verhandelten Briten und Franzosen mit den in den Küstenorten die Macht ausübenden Häuptlingen; andererseits waren für diese Häuptlinge Großbritannien und Frankreich die ihnen aus Geschichte und Gegenwart bekannten Großmächte. Das deutsche Kaiserreich mußte an der Togoküste erst einmal Macht demonstrieren, aber wie gezeigt werden wird, reichte eine einmalige Machtentfaltung nicht aus, um in den Augen der führenden afrikanischen Persönlichkeiten mit der britischen bzw. der französischen Seite gleichzuziehen. Folglich mußte die deutsche Seite, repräsentiert durch die deutschen Handelsagenten, sich besonders auf jene afrikanische Gruppe orientieren, die gleichfalls an Veränderungen zu ihrem jeweiligen geschäftlichen Vorteil interessiert war, d. h.« auf die Häuptlinge der Lagunendörfer. Es war nur noch die Frage, wo diese kommerziell-politische Allianz erfolgreich sein würde. In dem Hauptort der Togoküste, in Klein Popo, waren allerdings die Kräfte dieser Allianz zu schwach, wenngleich die politische Situation dort für sie zeitweilig günstig war. (54) Im Januar 1881 war G. A. Lawson II. verstorben, und erst im September 1883 folgte ihm D. C. Lawson als King G. A. Lawson III. Während dieses Interregnums gewann Chief Pedro Quadjo, der bisher die Grundrente von den ortsansässigen europäischen Firmen mit einzuziehen hatte, an Einfluß. Gerade in dieser Periode etablierten sich neben der Zweigfaktorei von Fr. M. Vietor Söhne die anderen deutschen Firmen mit Faktoreien in Klein Popo. Im Februar 1882 schlössen die deutschen Faktoreien mit Pedro 38

Quadjo einen Vertrag, wonach sie — gegen Entrichtung eines bestimmten Zolles — Handelsfreiheit genießen sollten, obwohl Chief Quadjovi seit 1875 beauftragt war, die Handelsabgaben von allen nichtenglischen Faktoreien einzuziehen. Warum Quadjovi umgangen wurde, geht aus den Quellen nicht hervor. Sie sagen auch nichts darüber aus, in welchem Verhältnis Lawson, Pedro Quadjo und Quadjovi zur traditionellen politischen Institution des Mangtscha (wörtlich: Stadtvater), von den Europäern König genannt, des Mangralo (Unterkönig) und des Oshikiteli (Vertreter des Volkes dem König gegenüber) standen. (55). In der Zeit des Interregnums hatte der französische Handelsagent und Konsul Cantaloup mit maßgeblichen Persönlichkeiten in Klein Popo einen Protektoratsvertrag abgeschlossen. Die französische Regierung erklärte daraufhin auch durch ein Dekret am 19. Juli 1883 das Protektorat über Klein und Groß Popo, Porto Seguro und Agoue. Mit Rücksicht auf britischen Widerspruch unterließ die französische Regierung jedoch eine öffentliche Besitzergreifung und die Publizierung des Dekrets. (56) In Klein Popo richtete der neue König G. A. Lawson am 19. September 1883 einen formellen Protest an Frankreich und erklärte den Vertrag für illegal und demzufolge nichtig. (57) Er hatte ferner das aus Sierra Leone stammende Familienmitglied William Lawson zum „Minister", d. h. zum Regierungschef, berufen. Die deutschen Firmen sahen darin eine Zunahme des probritischen Einflusses. Sie fühlten sich „belästigt" und riefen ein deutsches Kriegsschiff zu Hilfe. (58) Am 3. Februar 1884 stürmte ein Landungskorps der SMS „Sophie" von 100 Matrosen mit blanken Bajonetten Klein Popo, tötete dabei einen Afrikaner, arretierte Minister William Lawson und die Ratgeber des Königs G. A. Lawson III., Gomez und Wilson. (59) In Lagos mußte William Lawson zwar auf Intervention des britischen Gouverneurs freigelassen werden, da er Bürger der Kolonie Sierra Leone war, er durfte aber nicht wieder nach Klein Popo zurückkehren. Gomez und Wilson wurden als Geiseln nach Deutschland verschleppt und erst von Nachtigal im Juli 1884 wieder zurückgebracht. Unter dem Eindruck dieser bewaffneten Intervention veranlaßten die deutschen Handelsagenten die Häuptlinge (ohne G. A. Lawson III.), am 5. März 1884 ein Protektoratsgesuch (60) an den deutschen Kaiser zu richten. Da aber die deutschen diplomatischen Sondierungen ergeben hatten, „daß bereits vor einem Jahr die Häuptlinge von Little Popo mit Frankreich eine Art Protektoratsvertrag abgeschlossen hätten", ließ Bismarck den als Reichskommissar zu Kolonialannexionen nach Westafrika entsandten Generalkonsul Nachtigal instruieren, das Protektoratsersuchen „einstweilen auf sich beruhen zu lassen, und falls Frankreich dazu übergehe, seinen Vertrag zu publizieren und in Kraft zu setzen", wir „solchen unsererseits respektieren würden". (61) Eine Randbemerkung Bismarcks wurde in den Text der Instruktion eingearbeitet: Jeder Kollision mit französischen Ansprüchen sei sorgfaltig aus dem Wege zu gehen, „da wir auf diesem Gebiete bestrebt sind, mit Frankreich zusammenzugehen". 39

(62) Die Bismarckschen Direktiven vom 19. Mai 1884 für Nachtigal bezüglich der „Sklavenküste" waren somit eindeutig: Von einer Protektoratserklärung war nicht die Rede, denn der einzige interessante Handelsort Klein Popo — Porto Seguro wird nicht erwähnt — lag in der französischen Interessensphäre, und die Gesamtstrategie Bismarcks wollte die westafrikanische Frage „möglichst im Einvernehmen mit Frankreich behandeln". (63) Diese Haltung Bismarcks zum Protektoratsgesuch aus Klein Popo bestätigt einmal mehr, daß die afrikanischen Völker und die mit ihnen geschlossenen Verträge in den Augen der Kolonialmächte nur „Objekte" waren und die Verträge nur der „Legitimierung" der Kolonialansprüche den anderen Kolonialmächten gegenüber dienten. Als Reichskommissar Nachtigal am 2. Juli 1884 vor Klein Popo an Bord des Kreuzers „Möwe" (nur 848 B R T groß) vor Anker ging, nahm er zur Enttäuschung der deutschen Handelsagenten keine Annexion vor. Bismarck war, als er die Anfange der deutschen Kolonialpolitik strategisch konzipierte, nicht bereit, den Wünschen der insgesamt gesehen unbedeutenden deutschen Handelsfirmen zuliebe eine Konfrontation mit französischen Kolonialinteressen zu riskieren. Aber einige Handelsagenten, besonders der Vertreter von Wölber & Brohm, Heinrich Randad, (64) wiesen darauf hin, daß in den Orten Bagida und Be, an denen die „Möwe" bereits vorbeigefahren war, eine Annexion möglich sei, diese aber — wenn überhaupt — sofort erfolgen müsse, weil der District Commissioner Firminger eine Angliederung dieser Orte an die Goldküstenkolonie vorbereitet hatte. Eine gegen britische Interessen gerichtete deutsche Kolonialannexion entsprach dem Gesamtkonzept. Die Entscheidung lag nunmehr bei Dr. Nachtigal. Nachtigal hätte durchaus — ohne sich einer Kritik auszusetzen — nach Erledigung der in seiner Direktive für Klein Popo vorgesehenen Maßnahmen sofort nach Kamerun Weiterreisen können, denn solche vagen Annexionswünsche wie die der Handelsagenten gab es mehrere. Nachtigals Motive für sein weiteres Handeln sind aus den Memoiren seines Reisebegleiters, Dr. Max Buchner, eindeutig zu erkennen. (65) Alle Annexionsversuche waren bisher gescheitert, Zweifel an dem gesamten Reiseauftrag kamen bei Nachtigal auf, und jetzt war endlich der erste Erfolg in Aussicht. Deshalb entschied Nachtigal zurückzureisen, weniger wegen des „Schutzes des Handels", als vielmehr um für den Schacher der Großmächte ein Faustpfand zu gewinnen. Seine Motive waren somit imperialistischer Natur. Wie die deutschen Kolonialisten über Nachtigals Eigenmächtigkeit geurteilt hätten, wenn wegen dieser in Togo eingebüßten Tage die Annexion an der Kamerunküste mißglückt wäre, ist unschwer zu vermuten. Wie stark der Drang zur bloßen Annexion bei Nachtigal war, geht auch daraus hervor, daß er es nicht einmal für nötig hielt zu recherchieren, welche Verträge denn die Häuptlinge von Be und Bagida bereits mit Firminger abgeschlossen hatten. Das ist — ausgehend von der antibritischen Bismarck-

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sehen Strategie — vielleicht noch verständlich. Aber Nachtigal befaßte sich — wie aus seinen unveröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen (66) hervorgeht — auch nicht mit der kolonialen Interessenlage bezüglich des wichtigsten Ortes am dortigen Küstenstrich, Porto Seguro. Daß diese Ortschaft bei kolonialen Annexionsplänen aus den Überlegungen ausgeklammert blieb, war schlechterdings unmöglich. Auch wußte Nachtigal aus den Bedingungen in Klein Popo, daß hier zwar nach Ansicht der deutschen Handelsagenten ein starker britischer Kolonialeinfluß vorhanden sein sollte, Bismarck aber trotzdem die französischen Ansprüche respektierte. Warum forschte Nachtigal nicht nach, ob in dem 12 km entfernten Porto Seguro analoge Verhältnisse bestanden? Nachtigal sagt nichts dazu. Seine Haltung ist jedoch erklärbar, weil er um jeden Preis erst einmal, und zwar so viel wie möglich, annektieren wollte. Anderenfalls hätte er bei Nachforschungen sofort erfahren, daß König Mensah von Porto Seguro einen ähnlichen Vertrag wie die Häuptlinge von Klein Popo mit den Franzosen abgeschlossen hatte. (67) Damit hätte er aber Bismarcks Anweisungen respektieren und einen weiteren kolonialen Fehlschlag hinnehmen müssen. Wie genau aber Nachtigal die Verhältnisse kannte, geht auch aus der Tatsache hervor, daß er trotz des Vertragsabschlusses mit König Mlapa von Togo auf die Mitunterzeichnung der Häuptlinge der zu annektierenden Orte Be und Bagida Wert legte, aber um die Unterschrift von König Mensah von Porto Seguro nicht einmal nachsuchte. Was veranlaßte jedoch die Häuptlinge der Togodörfer, den Deutschen einen Protektoratsvertrag anzubieten, und zwar ohne die bei Vertragsabschlüssen sonst übliche gewaltsame Nötigung und Bestechung durch die Kolonialmächte? Auf die langfristig wirkenden Widersprüche zwischen den Häuptlingen der Lagunenorte und den auf der Sandbank vorgelagerten Handelsplätzen wurde bereits verwiesen. Be Beach und Bagida Beach waren erst vor wenigen Jahren entstanden, ihre Einwohnerschaft zahlenmäßig sehr gering. Selbständigkeitsbestrebungen waren demzufolge selten, wenn überhaupt vorhanden. Anders war jedoch die Situation in Porto Seguro. Der Ort auf der Sandbank hatte etwa 1200 Einwohner und existierte bereits über 50 Jahre. Mit den Sklavendepots in den Dörfern an der Lagune — eine halbe Stunde Bootsfahrt entfernt — hatte es immer enge Beziehungen gegeben, besonders mit jenen fünf Dörfern jenseits der Lagune — dort, wo sie in den Togosee einmündete —, und die man der Einfachheit halber als „To-go" „Dorf jenseits der Lagune" zusammenfaßte. Die fast zusammenliegenden Siedlungen der „Togodörfer" lassen darauf schließen, daß sich hier — wie am Beispiel Lome-Be-Amutive erläutert — Flüchtlinge in separaten Vierteln niedergelassen hatten. Wie an den anderen Teilen der Küste betrachteten die Häuptlinge der „Togodörfer" die vorgelagerte Sandbank als ihr Territorium und beanspruchten demzufolge die Oberhoheit über Porto Seguro. Ihr Vorwurf, King Mensah sei nur Ruderknecht (Kru-Afrikaner?) gewesen, verweist darauf, daß Mensah den damals üblichen Weg beschritten hatte: Über einen erfolgreichen Zwischenhandel verschaffte er sich nicht nur 5

Sebald, Togo

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eine ökonomische, sondern auch die traditionelle Machtstellung als „King". 1884 galt King Mensah (etwa 1830—1896) als energische, selbstbewußte Persönlichkeit, deren Geschäftsgebaren dem der europäischen Handelsagenten entsprach. Nicht nur, daß er seine Schriftstücke mit einem in Europa verfertigten Geschäftsstempel „King Mensah, Porto Seguro, West-Africa" versah, er handelte die für sich besten Bedingungen' aus und wollte, daß ausländische Firmen nur seine eigenen Leute als Arbeiter und Ruderer beschäftigten. Aus diesem von den deutschen Firmen als „lästig" bezeichneten Grund unterhielten hier die französische Firma Fabre & Cie (seit 1875) und die afrikanische Firma Hooper Brothers aus Sierra Leone eine Faktorei. Daraus eine antibritische oder antideutsche Haltung King Mensahs abzuleiten, wäre verfehlt. Mensah handelte nach eigenen politischen und kommerziellen Motiven. Das zeigte sich, als der britische Commissioner Firminger am 20. Juni 1884 mit einem Trupp afrikanischer Soldaten die neuen Handelsplätze an der Küste, Be Beach und das von dort 13 km entfernte Bagida Beach, besuchte, um sich ein eigenes Urteil von dem Handel zu verschaffen, wurde doch der hier zollfrei angelandete Schnaps in die britische Goldküstenkolonie geschmuggelt. Unter dem Eindruck der in den vergangenen Jahren in den Augen der Afrikaner sicherlich unaufhaltsam erfolgten Ausdehnung der britischen Goldküstenkolonie nach Osten wurden zwei Verträge (68) abgefaßt. Beide sind mit Bleistift geschrieben, und Firmingers Erläuterung in seinem Begleitschreiben an das Colonial Office, er sei nicht auf offizielle Verträge vorbereitet gewesen und habe deshalb keine Feder und Tinte mitgeführt, erscheint glaubhaft. Das erste Schriftstück besteht nur aus dem lapidaren Satz: „Wir, die Unterzeichner, stimmen zu, unsere Seeküste von Beh an die Regierung Ihrer britischen Majestät abzutreten, wenn die Togochiefs dazu bereit sind" (so die deutsche Übersetzung). Es trägt die Unterschriftskreuze „Dagee (Priest), Kai Kpotu, Ametanah, Ahadjie, Anyrawohtor" sowie der Zeugen Chief Akolatse, Antonio, Eguago und Adjemah, die afrikanische Handelsagenten bzw. Händler in Be Beach waren. Damit glaubten die führenden Persönlichkeiten des an der Lagune liegenden Dorfes Be, die eigene Unabhängigkeit gewahrt zu haben, denn es wurde nur der Strand abgetreten. Eine zweite Absicherung war der Verweis auf die Häuptlinge der „Togodörfer", die somit eine entscheidende Position erhielten. Deshalb hatte sich Firminger am 23. Juni in einem „Provisional Agreement" von den „Fetish Chiefs and Priests of Togo" Agbodah, Tabeh, Alagro, Ashigbeno, Gahjokoo, Akpla, Ahcoo und Tshatsha die Zustimmung zur Abtretung der Küste von der britischen Goldküstenkolonie bis zur Grenze von Porto Seguro geben lassen. Dieses zweite Dokument wurde ebenfalls von den afrikanischen Handelsagenten bestätigt, es trägt ferner die Unterschrift von König Mensah von Porto Seguro. Dies verwundert auf den ersten Blick, denn de jure hatte er mit dem Vertragsabschluß überhaupt nichts zu tun, weil die Abtretung ja nur bis an die Westgrenze seines Gebietes reichen sollte. Dagegen fallt auf, daß erstens die Unterschrift von King Garsa von Bagida — 42

die von G. B. Williams beeinflußte Bevölkerung Bagidas hatte ihre Haltung nicht geändert — und zweitens die genannten Namen der Togochiefs in anderen Dokumenten nicht wieder auftauchen. Wahrscheinlich hatte King Mensah aus politischen und handelspolitischen Gründen aus dem Kreis der den „Togodörfern" entstammenden, jetzt in Porto Seguro ansässigen Bewohner von ihm beeinflußte Personen als „Togochiefs" vorgeschoben, die die Kreuze unter den Provisorischen Vertrag setzten. King Mensah hatte so durch den Vertrag seine politische Unabhängigkeit gewahrt, vor allem aber erheblichen Vorteil im kommerziellen Konkurrenzkampf mit europäischen Kaufleuten und afrikanischen Händlern erzielt, denn der Vertrag endet damit, daß den einen wie den anderen die Ausweisung innerhalb eines Monats angekündigt wurde, „wenn wir nicht in der Lage sind, mit fairen und gerechten Mitteln die Kaufleute und Händler von Be und Bagida zu veranlassen, unser Land zu verlassen". Diese bevorstehende Ausweisung teilte Firminger, wie er in seinem Begleitschreiben an das Colonial Offlee in London schreibt, den Agenten der Firmen in Lome und Bagida mit. Mit der Ausweisung der Schnapshandel treibenden Firmen hätte die britische Administration ihr Ziel erreicht, auch in diesen Orten den Schmuggel in die Goldküstenkolonie zu unterbinden. Die betroffenen Firmen hätten sich erneut, wie in früheren Jahren, auf die neue Situation einrichten müssen. Das hatte sicherlich King Mensah genau berechnet, denn nach der neuen Grenzziehung hätte sein Ort, Porto Seguro (31 km von Lome entfernt), dieser künftigen Grenze am nächsten gelegen und damit einen bedeutenden Handelsaufschwung genommen. Unzweifelhaft hatte mit Firmingers Vorvertrag King Mensah aus seiner Sicht einen politischen wie kommerziellen Erfolg errungen. Aber gerade darin lag die Ursache seines anschließenden Mißerfolgs, denn die deutschen Handelsagenten und Nachtigal brauchten sich in dieser Situation nur auf jene afrikanischen Gruppierungen zu orientieren, die beim britischen Vorvertrag ausgelassen worden waren: King Garsa von Bagida und jene Chiefs der „Togodörfer", die nicht von King Mensah abhängig waren und selbst die Vorherrschaft über Porto Seguro anstrebten. Es ist durchaus möglich, daß diese afrikanischen Gruppierungen ihrerseits an die deutschen Handelsagenten herangetreten waren, denn es wurden, weder direkt noch indirekt, Bestechungssummen bei dem Vertragsabschluß gezahlt. Nachtigal landete folgerichtig am 4. Juli 1884 vor Bagida Beach. In der Faktorei von Wölber & Brohm in Bagida wurde am 4. und 5. Juli — bezeichnenderweise in englischer Sprache — der folgende Vertrag verhandelt und abgeschlossen (69): „Bagida, den 5. Juli 1884 Der Generalkonsul des Deutschen Reichs, Dr. Gustav Nachtigal, im Namen seiner Majestät- des Deutschen Kaisers, und Mlapa, König von Togo, vertreten für sich, seine Erben und seine Häuptlinge durch Plakko, Träger 5»

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des Stockes des Königs Mlapa, haben folgendes Übereinkommen getroffen: § 1. König Mlapa von Togo, geleitet von dem Wunsch, den legitimen Handel, welcher sich hauptsächlich in den Händen deutscher Kaufleute befindet, zu beschützen und den deutschen Kaufleuten volle Sicherheit des Lebens und Eigentums zu gewähren, bittet um den Schutz Seiner Majestät des Deutschen Kaisers, damit er in den Stand gesetzt werde, die Unabhängigkeit seines an der Westküste von Afrika, von der Ostgrenze von Porto Seguro bis zur Westgrenze von Lome oder Bey Beach, sich erstreckenden Gebietes zu bewahren. Seine Majestät der Kaiser gewährt seinen Schutz unter Vorbehalt aller gesetzmäßigen Rechte Dritter. § 2. König Mlapa wird keinen Teil seines Landes mit Souveränitätsrechten an irgendeine fremde Macht oder Person abtreten, noch wird er Verträge mit fremden Mächten ohne vorherige Einwilligung Seiner Majestät des Deutschen Kaisers eingehen. § 3. König Mlapa gewährt allen deutschen Untertanen und Schutzgenossen, welche in seinem Lande wohnen, Schutz und freien Handel und will anderen Nationen niemals mehr Erleichterungen, Begünstigungen oder Schutz gewähren, als den deutschen Untertanen eingeräumt werden. König Mlapa wird ohne vorherige Zustimmung Seiner Majestät des Deutschen Kaisers keine anderen Zölle und Abgaben als die bis jetzt üblichen erheben, nämlich 1 Shilling für jede Tonne Palmkerne, 1 Shilling für jedes Faß Palmöl, welche an die Häuptlinge des betreffenden Ortes zu zahlen sind. § 4. Seine Majestät der Deutsche Kaiser wird alle früheren Handelsverträge zwischen König Mlapa und anderen respektieren und wird in keiner Weise den in König Mlapas Land bestehenden freien Handel belasten. § 5. Seine Majestät der Deutsche Kaiser wird in die Art und Weise der Zollerhebung, welche bis jetzt von König Mlapa und seinen Häuptlingen befolgt ist, nicht eingreifen. § 6. Die vertragschließenden Parteien behalten sich künftige Vereinbarungen über die Gegenstände und Fragen von gegenseitigem Interesse, welche nicht in diesem Vertrage eingeschlossen sind, vor. § 7. Dieser Vertrag wird vorbehaltlich der Ratifikation durch die deutsche Regierung sogleich in Kraft treten. Zu Urkund dessen haben wir in Gegenwart der unterzeichneten Zeugen unsere Unterschriften hierunter vollzogen S. J. J. Garber 1 ^ als DolChief Plakkoo + sein Zeichen J. B. A. Ahjevon 1 > metscher Chief Adey of Lome or Bey + H. Randad Coodaycee + Josua Leuze Hadji, 2nd Chief or Bey + Mandt, Leutnant zur See Okloo + Dr. Max Buchner Nukoo + Dr. G. Nachtigal King Garsa of Bagida +" (1 Die offizielle deutsche Lesart der Namen war Gacher und Ahpevor.) 44

Die beiden Häuptlinge von Be unterzeichneten erst einen Tag später, am 6. Juli, und — sicherlich nicht zufällig — zwischen die bereits vorhandenen Unterschriften der Afrikaner. Nachtigal hatte keine Textvorlage für einen Vertrag aus Deutschland mitgebracht. Selbst wenn die Deutschen den Text niedergeschrieben haben, so läßt sich doch unschwer erkennen, daß die deutsche Seite auf die afrikanische Seite Rücksicht nehmen mußte. Ob sie das aus Vorsicht freiwillig getan hat oder nach mündlichem Einspruch der Afrikaner, ist nebensächlich. Aus den deutschen Quellen geht auch nicht hervor, welche Rolle die beiden Dolmetscher bei der Formulierung des Vertragstextes spielten, die beide — nach ihren Namen zu urteilen — den bekanntesten Familienclans in Klein Popo angehört haben dürften und sich demzufolge in Verträgen mit Europäern auskannten. Den Memoiren von Max Buchner zufolge standen diese „Hosenneger" auch auf deutscher Seite und wurden deshalb als Dolmetscher herangezogen. (70) Sieht man von dem Maßstab der Kolonialisten ab, die Afrikaner nach angeblicher Deutschfreundlich- oder Deutschfeindlichkeit zu werten, so lag das Auftreten der beiden Dolmetscher auf der bekannten Linie der um eine eigene Politik bemühten Häuptlinge von Klein Popo, die Firminger in dieser Frage bisher übergangen hatten und die auch Differenzen mit King Mensah hatten. Der Vertrag insgesamt sowie einzelne Formulierungen in den Paragraphen vermitteln den Eindruck, daß hier zwei gleichberechtigte Partner verhandelt hatten, die einander respektierten. Die Ausdrücke: Bewahrung der Unabhängigkeit (§ 1), Souveränitätsrechte (§ 2), Gewährung von Schutz durch König Mlapa (§ 3) respektieren (§ 4), nicht eingreifen (§ 5), künftige Vereinbarungen (§ 6) sind hierfür Beweis. Nach den Buchstaben des Vertrages war die Handlungsfreiheit der afrikanischen Seite gegenüber Ausländern nicht prinzipiell aufgegeben, sondern nur in einigen Fragen eingeschränkt worden. Trotz der eindeutigen Aussagen dieses Vertrages und weiterer in anderen Kolonien waren koloniale Rechtsexperten der Meinung: „Die Schutzgebiete sind im übrigen im Rechtssinne seit jeher wirkliche Kolonien, nicht etwa, wie aus dem Namen gefolgert werden könnte, Protektorate gewesen. Souverän war das Reich dort von Anfang an . . . auch die Schutzverträge beeinträchtigten seine Souveränität nicht. Die eingeborenen Stämme waren keine Staaten im völkerrechtlichen Sinne, so daß den Schutzverträgen keine völkerrechtliche, sondern nur eine innerstaatliche Bedeutung zukam." (71) In dieser Art disqualifizierte der Geh. Oberregierungsrat und Vortragende Rat im Reichskolonialamt J. Gerstmeyer die afrikanischen Vertragspartner. J . Gerstmeyer irrte. Über viele Jahrhunderte waren die Repräsentanten afrikanischer Staaten durchaus völkerrechtlich anerkannte Partner europäischer Staaten, da sie bisher gegenüber kolonialen Aggressionsversuchen ihre Anerkennung als Vertragspartner notfalls mit Waffengewalt zu sichern vermochten und den direkten kolonialen Einfluß auf die Küstenforts beschränken konnten. In dem Sinne handelten 1884 die Afrikaner so, wie sie es in Verträgen mit 45

Europäern gewohnt gewesen waren; der vorliegende Vertragstext wurde sicherlich auch von ihnen als Verhandlungserfolg angesehen. Gerade der Vergleich mit anderen „Protektoratsverträgen" in Togo, bei denen die deutschen Kolonialisten auf jegliche Konkretisierung verzichteten, veranschaulicht das. Nur hatte sich jetzt gegenüber den Jahrhunderten zuvor das internationale Kräfteverhältnis geändert. Die kapitalistische Entwicklung in den europäischen Zentren stand am Vorabend des imperialistischen Entwicklungsstadiums und verstärkte somit den Drang der kapitalistischen Kolonialmächte nach direkter Beherrschung. Ferner einigten sich die Kolonialmächte nach der Berliner Kongokonferenz 1884/85 zumindest in dem Punkt, den Afrikanern keine modernen Präzisionswaffen zu verkaufen, so daß diese ihre Souveränität nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg verteidigen konnten. So ist der Vertrag auch unter dem Blickwinkel zu sehen, daß sich die afrikanische Seite, bei der insgesamt gesehen unvermeidlichen Errichtung der direkten Kolonialherrschaft, vertraglich wenigstens ein Höchstmaß von Souveränität sichern wollte; die deutschen Kolonialisten hatten jedoch die Macht, diesen Vertrag den afrikanischen Partnern gegenüber zu einem Fetzen Papier werden zu lassen. In der innerafrikanischen Politik an der Togoküste bedeutete der Vertrag eine politische sowie kommerzielle Niederlage des King Mensah von Porto Seguro. Seine Unterschrift fehlt nicht zufallig auf dem Vertrag, denn dieser war gegen ihn gerichtet. Mit der beiläufigen Bemerkung in § 1, das Königreich von Mlapa erstrecke sich bis zur Os/grenze von Porto Seguro, war Mensah einfach seines Königreichs beraubt. Die Deutschen hatten obendrein Mlapa zugesichert, ihm durch die Protektoratsgewährung die Möglichkeit zu geben, seine Herrschaft in dem von ihm beanspruchten Gebiet auch durchzusetzen. Daß handfeste kommerzielle Interessen mit im Spiele waren, beweisen die Bestimmungen über die Handelsabgaben. So ist als Hauptmotiv der afrikanischen Seite für den Protektoratsabschluß festzustellen, daß führende Persönlichkeiten der Lagunenorte — angesichts der offensichtlichen Tatsache, daß eine europäische Kolonialokkupation ohnehin nicht zu vermeiden war — mit Hilfe einer Kolonialmacht ein politisches Abhängigkeitsverhältnis über die vorgelagerten Küstenorte de jure installieren bzw. absichern wollten, um so im Konkurrenzkampf mit anderen afrikanischen Zwischenhändlern daraus ökonomischen Nutzen — vor allem durch Eintreibung der Zölle — zu ziehen. Ob King Mlapa, dessen Tod den Europäern gegenüber im Oktober 1884 zugegeben wurde (72), am 5. Juli noch lebte, ist an Hand der deutschen Quellen nicht festzustellen. Es wäre durchaus möglich, denn es entsprach traditionellen Sitten, den Tod eines Königs geheimzuhalten und möglichst kein Interregnum zuzulassen. Die Wahl des neuen Königs war aber für die Anwärter aus dem potentiellen Nachfolgekreis eine finanzielle Frage, so daß es denkbar ist, daß sich die genannten Chiefs — Okloo war ein Enkel von König Mlapa,

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zwei weitere Enkel lebten dagegen als kleine Händler in Porto Seguro (73) — durch die in Aussicht stehenden Zolleinnahmen die finanziellen Mittel für öffentliche Ausgaben zur Königswahl verschaffen wollten. Damit wäre ein zusätzliches Motiv für den Abschluß des Protektoratsvertrages vorhanden gewesen. Zusammenfassend ist einzuschätzen: Der Protektoratsvertrag entstand als Ergebnis eines Konsensus zwischen einzelnen afrikanischen Häuptlingen und deutschen Handelsagenten, die ihre jeweiligen ökonomischen Einzelinteressen mit Hilfe politischer Maßnahmen zu verwirklichen suchten. Dabei glaubte jede Seite, die andere übervorteilt zu haben, weil sie weitreichende Ansprüche mit nichts bezahlt hatten: — Die deutschen Handelsagenten, enttäuscht über die ausgebliebene Okkupation Klein Popos, sahen ihr Dorado des Freihandels vorerst gesichert, ohne einen Pfennig mehr zu bezahlen, denn ihre Handelsabgaben an die afrikanische Seite sollten ja nur von einem afrikanischen Händler auf einen anderen umverteilt werden. — Die afrikanischen Häuptlinge der „Togodörfer" glaubten mit ihrer Unterschrift die politisch-kommerzielle Oberhoheit über die Küstenorte erhalten und einen afrikanischen Handelskonkurrenten ausgeschaltet zu haben. Hauptnutznießer dieses Konsensus waren jedoch die Kolonialpolitiker in Deutschland, die mit dem — nicht geplanten — Vertrag ein ersehntes Papier zur Legitimation von Ansprüchen gegenüber der britischen und der französischen Regierung erhalten hatten. Die Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen gegenüber den afrikanischen Vertragspartnern interessierte sie nur solange, wie sie sich politischen Nutzen davon versprachen. Später brachen sie den Vertrag, wie noch dargelegt werden wird. Die sich in Togo formierende nationale Befreiungsbewegung vergaß später den Vertrag von 1884 nicht. Im November/Dezember 1913 urteilte ein Togolese in der Zeitschrift „The African Times and Orient Review": „Der Vertrag, der die Ursache dafür war, daß über friedliche Bewohner eine solche Pest wie die Deutschen gekommen ist, ist ein Schwindel und wird nicht von Dauer sein. Möge die Zeit bald kommen, wo das Land von solcher Pest befreit ist." (74) Bewußt erinnerten afrikanische Patrioten die kolonial unterdrückten Menschen an jene Zeit vor 1884, als „in Anecho eine ordentliche Regierung bestand", um so die Menschen in ihrem antikolonialen Kampf zu ermuntern. (75) Im Juli 1884 war aus imperialistischen Motiven — der Annexion als Faustpfand im Kolonialschacher der europäischen Großmächte — sowie aus kapitalistischen Motiven — der Erhaltung eines uneingeschränkten Handelsgewinns — und dem Streben einzelner afrikanischer Kings und Chiefs nach größerem Anteil am europäischen Handel durch koloniale Grenzziehung ein vorerst nur 36 km langer Küstenstreifen herausgelöst bzw. eine neue territorial-kommerzielle Einheit abgegrenzt worden. Diese neue Einheit hatte keine natürlichen geogra47

phischen Grenzen, und auch in ethnischer Hinsicht bedeutete die Grenzziehung einen Einschnitt in das Gebiet der Ewebevölkerung. Da jedoch die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen an der Togoküste im Jahre 1884 das Ergebnis langfristiger Veränderungen im Kontext mit jahrhundertelangen kolonialen Einflüssen waren, ist es keineswegs ein Zufall, daß gerade an diesem Teil der westafrikanischen Küste eine separate kleine Kolonie gegründet werden konnte (76). Mit der Errichtung der direkten Kolonialherrschaft endete eine Zeit, die von bürgerlichen Autoren fälschlicherweise als vorkolonial bezeichnet wurde und wird. Wie dargelegt worden ist, war aber auch die Geschichte Togos vor 1884, und zwar seit der Mitte des 16. Jh., von den unterschiedlichen Etappen des kolonialen Einflusses, besonders durch den transatlantischen Sklavenhandel, geprägt. Mit dem -Stadium des Kapitalismus der freien Konkurrenz in einigen europäischen Staaten und der Entstehung des kapitalistischen Weltmarktes hatten sich auch an einigen Orten der Togoküste Keime einer kolonial deformierten neuen Gesellschaftsstruktur herausgebildet, die dem Ziel dienten, auf afrikanischem Territorium das Funktionieren des Weltmarktes zu gewährleisten. Diese Auswirkungen des Kapitalismus der freien Konkurrenz wurden 1884 nicht abrupt abgebrochen. Vielmehr mußte sich die deutsche Kolonialmacht für ein Jahrzehnt dieser Situation anpassen, so daß die Togokolonie im ersten Jahrzehnt eine typische Kolonie im Stadium des Kapitalismus der freien Konkurrenz war. Der Einfluß des kapitalistischen Weltmarktes setzte sich auch nach 1884 fort, aber ein neuer Faktor trat hinzu: der deutsche Kapitalismus, der über die politische Kolonialherrschaft einen ausschlaggebenden Einfluß anstrebte.

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Kapitel II

Die Anfänge deutscher Kolonialherrschaft an der Togoküste — das Jahrzehnt des kolonialen Scheinfriedens (1884 bis 1894) 1. Die kolonialen Rahmenbedingungen Für ein Jahrzehnt war das auf das südliche Togo beschränkte Kolonialgebiet eine für Westafrika typische Kolonie in der Periode des vormonopolistischen industriellen Kapitalismus der freien Konkurrenz. Von der über 2000 km langen Küste des Golfes von Guinea und der historisch-geographischen Region in diesem Teil Westafrikas umfaßte die Togokolonie mit ihrem nur 50 km langen Küstenstreifen, auch wenn das Kolonialgebiet später im Innern auf durchschnittlich 150 km verbreitert werden konnte, einen sehr kleinen Teil. Dieses deutsche Kolonialterritorium war zwar auf den politischen Landkarten Afrikas durch seine unterschiedliche Farbtönung von der britischen und der französischen Nachbarkolonie exakt zu trennen. Jedoch in Afrika bestand die „scharfe" Trennung zunächst nur darin, daß die Europäer die neuen, kolonialen Herrschaftszonen wechselseitig respektierten. Lediglich einige wenige Grenzpfahle an der West- und an der Ostgrenze Togos kündeten davon, daß hier eine andere Macht die Kolonialherrschaft beanspruchte. Zog ein ausländischer Reisender um 1890 die Küste entlang, so traf er in der britischen Goldküstenkolonie deutsche Kaufleute und Missionare und stieß auch in Dahome auf deutsche Händler. Bei der Durchquerung des Gebietes der Togoküste aber hätte er weder eine größere Anzahl deutscher Handelsagenten noch andere Firmennamen festgestellt. Außer der deutschen Flagge in den Hauptorten der Togoküste hätte er nicht einmal ein Dutzend deutsche Beamte und etwa zwei Dutzend afrikanische Söldner „entdeckt". Dabei trifft „entdeckt" im hohen Maße die Situation, denn der Hauptteil der Administration war abgeschieden in dem kleinen Dorf Sebe an der Lagune hinter Klein Popo stationiert und war dort nur mit einem Kahn zu erreichen. Vergeblich hätte der Reisende nach einer deutschen Schule, einem Krankenhaus oder selbst nach einer deutschen Missionsstation Ausschau gehalten. Wohl aber konnte er sich mit englischen Sprachbrocken der afrikanischen Bevölkerung verständlich machen und für britische Shilling oder amerikanische Vierteldollar — beides war die gängige Währung — einkaufen. Selbst eine englische Missionsstation der Wesleyaner arbeitete seit Jahrzehnten in Klein Popo. Jedem, also auch den deutschen Kolonialbeamten, wurde so tagtäglich vor Augen geführt, daß sich die afrikanische Bevölkerung in der de jure deutschen Kolonie de facto an der im Weltmaßstab führenden kapitalistischen Macht Groß49

britannien sowie am Verhalten der Afrikaner in den Nachbargebieten orientierte. Diese historisch gewachsenen regionalen Bindungen sowie die Verbindungen zum Weltmarkt konnten weder durch Grenzpfähle noch durch einige Kolonialbeamte oder wenige Söldner, die mehr die deutsche Präsenz nach außen hin dokumentierten, kurzerhand unterbrochen werden. Eine Respektierung der Grenzziehung durch die afrikanische Bevölkerung konnte die Administration damals noch nicht erzwingen. Auch wenn die deutschen Kolonialisten den Willen hatten, diese Bedingungen zu verändern und vor allem in die inneren Verhältnisse der afrikanischen Bevölkerung einzugreifen — und sie versuchten es immer wieder —, fehlten ihnen letztlich doch noch die machtmäßigen Voraussetzungen, eine tatsächliche Beherrschung der afrikanischen Bevölkerung in Togo durchsetzen zu können. Solange nicht die britischen und die französischen Kolonialisten die entscheidenden Schritte zur Eroberung „ihrer" Hinterländer und zur Errichtung der tatsächlichen Kolonialherrschaft getan hatten, den Afrikanern aus Togo somit potentielle Auswanderungsgebiete mit besseren Bedingungen offenstanden, konnten die deutschen Beamten keine andere Intensität der Kolonialherrschaft durchsetzen. Angesichts dieser Situation verharrte jedoch die Mehrzahl der deutschen Administratoren keineswegs passiv. Im Gegenteil: Sie taten alles, um den Schritt zur Errichtung einer tatsächlichen Herrschaft vorzubereiten. Bis 1894/95 nahmen sie jedoch im Prinzip die gleiche Position ein wie beispielsweise ihre britischen Kollegen in der Goldküstenkolonie, d. h., sie befaßten sich hauptsächlich mit der Regulierung des Export-Import-Bereichs. Das Stadium der welthistorischen Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaftsformation, d. h. das zu Ende gehende aber immer noch bestehende Stadium des Kapitalismus der freien Konkurrenz mit der daraus resultierenden Kolonialpolitik sowie die konkreten Verhältnisse in der Region Westafrika erwiesen sich somit als entscheidende Rahmenbedingungen. Gleichermaßen muß jedoch beachtet werden, daß die Markierung der Westund Ostgrenze der Togoküste zum Ausgangspunkt politischer und sozialökonomischer Veränderungen wurde, vor allem, weil bestimmte Gruppen von Afrikanern — wie es schon beim Abschluß des Protektoratsvertrages der Fall gewesen war — jetzt die neuen Grenzen als real existierende Tatsache hinnahmen und ihr eigenes Denken und Handeln danach ausrichteten, sich beispielsweise in Lome niederließen und von dort den gewinnbringenden Schmuggel in die Goldküstenkolonie organisierten. Damit begann eine neue historische Entwicklungslinie, da sich jetzt Afrikaner innerhalb der künstlich gezogenen und von fremden Mächten oktroyierten Kolonialgrenzen ihr Togo schufen. Der Orientierung auf die historisch-geographische Region Westafrika wurde so eine andere Entwicklung „entgegengesetzt", die später in eine nationalstaatliche münden sollte. Dabei trifft „entgegengesetzt" nur bedingt zu, denn überall in der historischen Region des westafrikanischen Küstengebietes setzte sich mit der durch Grenzpfahle markierten Aufteilung in Kolonien dieser 50

neue Trend durch. In Togo vollzog sich mithin das für die gesamte Region Typische. Für die junge Togokolonie hatte diese Entwicklungsrichtung weittragende Bedeutung. Da die Kolonialadministration nicht veranlassen konnte, daß sich die deutschen Firmen nunmehr auf das deutsche Kolonialgebiet konzentrierten und dort den Handel ins Landesinnere entwickelten, übernahmen sofort afrikanische Zwischenhändler diese Funktion. Der Ausbeutungsmechanismus über den Export-Import-Handel war also auch ohne Eingriffe der Kolonialadministration funktionsfähig. Für die gesellschaftliche Entwicklung der afrikanischen Bevölkerung sowie für die Perspektive Togos als Kolonie hatten die genannten Ausgangsbedingungen im ersten Jahrzehnt entscheidendes Gewicht: 1. Die in den Küstenorten, vor allem in Lome, vor sich gehende Differenzierung in Richtung auf die Herausbildung der Grundklassen einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung konnte sich noch weitgehend ungehindert von kolonialer Reglementierung fortsetzen. 2. Die Etablierung der deutschen Kolonie an einem bereits in den kapitalistischen Welthandel einbezogenen Küstenstrich sicherte nicht nur den deutschen Handelskapitalisten'sehr gute Gewinne, er verschaffte auch der Administration über Zölle sichere finanzielle Einkünfte, die im wesentlichen die Verwaltungsausgaben deckten. Damit war die ökonomische Grundlage für die Legende von der „Musterkolonie" gegeben. Indem die Kolonialpolitiker in Deutschland erhebliche koloniale Ausgaben verschleierten, bauten sie Togo als Renommierkolonie zur Rechtfertigung ihrer gesamten Kolonialpolitik auf. Außer dem ökonomischen Aspekt hoben sie als weiteres wesentliches Moment für ihre These der „Musterkolonie" die friedliche Entwicklung in Togo hervor. Diese Entwicklung war jedoch eine Folge des Umstandes, daß sich die deutsche Administration in Togo den bestehenden Verhältnissen anpassen mußte. In der deutschen Kolonialpolitik entstand somit binnen weniger Jahre eine wichtige Rahmenbedingung für die Entwicklung in Togo: Es hatte im deutschen Kolonialimperium „Musterkolonie" zu sein. Der Status Togos als einer „MußMusterkolonie" hatte positive und negative Folgen für die praktische Kolonialpolitik im Lande selbst. Unter den deutschen Kolonialgründungen an den Küsten Afrikas war Togo die mit Abstand territorial kleinste mit unsicherer Perspektive, hier waren nur kapitalschwächere deutsche Firmen interessiert. Vom Anfang bis zum Ende der deutschen Kolonialherrschaft — und darüber hinaus in den Diskussionen über ein neues deutsches Kolonialreich in Afrika — hing über der Togokolonie das Damoklesschwert, zugunsten der Kolonialziele einflußreicherer deutscher Kapitalistengruppen an andere Kolonialmächte abgetreten zu werden. Wenn Togo 1884/85 nicht sofort von der deutschen Regierung verschachert wurde, dann lag dies weniger daran, daß weder Großbritannien noch Frankreich für die Togoküste, jeweils am Rand ihrer kolonialen Interessensphäre gelegen, 51

sonderliches Interesse zeigten. Vielmehr widmete Bismarck aus politischen Gründen der Togoküste und ihrer territorialen Ausdehnung eine gewisse Aufmerksamkeit. 1. Die Berliner Konferenz von 1884/85 hatte gerade aller Welt vor Augen geführt, wie sich im Kongogebiet ein gewaltiges Kolonialimperium zusammenfügen ließ, obwohl das neue Kolonialgebiet nur einen verhältnismäßig sehr geringen Küstenstrich besaß. Für das deutsche Kaiserreich war die Togoküste die einzige echte Chance, um ins Innere Westafrikas vorzustoßen und dort Kolonialterritorium zu erobern. 2. Der belgische König Leopold II. hatte gezeigt, wie unter dem Deckmantel „wissenschaftlicher Forschungsreisen" im Kongogebiet koloniale Annexionen vorbereitet und realisiert werden konnten. Die von ihm ausgehaltene Internationale Afrikanische Gesellschaft hatte als solche „Reisende" auch mehrere Deutsche geworben. Nicht zufällig beauftragte Bismarck nunmehr 1887 zwei der „Reisenden", v. François und Dr. Wolf, mit der Ausführung „wissenschaftlicher Expeditionen" und der Anlage von Stationen im Hinterland der Togoküste. So sollte nach dem Vorbild der Kongokolonie ein möglichst großer Anteil des zentralen Westafrika dem deutschen Kolonialimperium hinzugefügt werden. 3. Über die Togokolonie und ihre Ausdehnung ins Landesinnere, die sich gegen britische Kolonialinteressen richtete, konnte Bismarck seine aggressive Politik, die beim Beginn deutscher Kolonialpolitik Pate gestanden hatte, über Jahre fortsetzen. Schließlich entsprach der massive Schmuggel deutscher Waren in die britische Goldküstenkolonie genau den expansionistischen Intentionen Bismarcks. 4. Togo kam von allen deutschen Kolonien dem Bismarckschen Ideal (1) einer von deutschen Kaufleuten selbstverwalteten Kolonie mit geringem staatlichem Engagement noch am nächsten. In Togo verkörperte zuerst ein deutscher Handelsagent als Konsul die Administration. Auch als nach einem Jahr der erste Kaiserliche Kommissar als Reichsbeamter in Togo eingesetzt wurde, war er mehr Commissarius als Kolonialgouverneur. 5. Schließlich darf man davon ausgehen, daß der sofort schnell ansteigende deutsche Schnapsexport via Lome von Bismarck beachtet wurde. Selbst wenn schon damals Missionare den Export des billigen Fusels scharf kritisierten, so weist H. Stoecker sehr zutreffend darauf hin, daß die Produktion von Branntwein, ein Erzeugnis junkerlicher Gutswirtschaften, „den Interessen Bismarcks besonders nahelag" (2). Diese Gründe bewogen Bismarck, mit diplomatischen und finanziellen Mitteln auf einen Ausbau der Togokolonie zu achten. Schon im September 1884 versah er den Vorschlag eines Berichts, auch Groß Popo und Klein Popo für die deutsche Kolonie zu erwerben, mit der Randbemerkung „Austausch aus Frankreich zu erstreben" (3); nach dieser Direktive richteten sich dann auch die deutschen Diplomaten. 52

Man würde den deutschen Kolonialisten zu viel Ehre antun, wollte man behaupten, sie hätten von Anfang an darauf orientiert, im Rahmen ihres gesamten Kolonialsystems eine „Musterkolonie" als Renommierobjekt aufzubauen. In ihren anderen afrikanischen Kolonien versuchten sie, mit einer rasch anwachsenden Administration schneller eine tatsächliche Herrschaft zu errichten, und die deshalb durchgeführten Zwangsmaßnahmen verursachten Widerstände aller Art. Um sie zu. überwinden, mußte der Herrschaftsapparat abermals verstärkt werden. Für die deutsche Kolonialpolitik hatte somit eine Spirale ohne Ende begonnen, zu deren Finanzierung erhebliche Zuschüsse des Reiches — also der deutschen Steuerzahler — nötig waren. Diese Finanzzuschüsse, aber auch die Unruhen fanden die scharfe Kritik der deutschen Kolonialgegner, an ihrer Spitze die revolutionären Führer der deutschen Sozialdemokratie August Bebel und Wilhelm Liebknecht. Aber auch bürgerliche prokoloniale Kreise waren durch die Realität der Politik in den großen deutschen Kolonien verunsichert. In dieser Situation konnten Reichsregierung und Kolonialapologeten auf die Togoküste verweisen. Als in der Ära des neuen Reichskanzlers, Graf von Caprivi (20. März 1890 — 27. Oktober 1894), „der Übergang von dem Bismarckschen Programm der bloßen Schutzgewährung zu einer eigentlichen Regierung durch das Reich vollzogen" (4) wurde, regelte das Gesetz vom 30. März 1892 die Einnahmen und Ausgaben der Schutzgebiete. Als von diesem Zeitpunkt an die Etats dem Parlament und damit der Öffentlichkeit unterbreitet wurden, konstatierten die Kolonialisten mit freudiger Überraschung für Togo, daß die Einnahmen im wesentlichen die Ausgaben für die Verwaltung deckten und obendrein die innenpolitische Entwicklung in Togo dem Reich keine Sorgen bereitete. Gegen ein solches ökonomisch-politisches Kosten-Nutzen-Rechnen einer Kolonialmacht ist von ihrem Standpunkt aus nichts einzuwenden, sogar der Begriff „Musterkolonie" hätte aus dieser Sicht Berechtigung gehabt. Diese Aufrechnung wird fragwürdig, wenn sie — wie im Falle Togo — bewußt manipuliert wurde. Erstens ging man von dem kolonial-rassistischen Axiom aus, eine nach kolonialen Maßstäben positive Entwicklung in Togo sei das Ergebnis zielgerichteter deutscher Kolonialpolitik. Die naheliegende Frage, aus welchen Gründen denn ausgerechnet in Togo mit seinen wenigen deutschen Kolonialbeamten, nicht aber in den anderen deutschen Kolonien mit den viel intensiveren deutsch-kolonialen Einflüssen kolonial musterhafte Ergebnisse erzielt wurden, erhob man nicht einmal. Zweitens setzte man die irrige Annahme voraus, eine „Musterkolonie" zum Nutzen der Kolonialherrscher müsse auch eine „Musterkolonie" für die kolonial Beherrschten sein. Drittens manipulierte die Reichsregierung erheblich — wie im einzelnen noch dargelegt wird — den Finanzhaushalt der Kolonie, indem sie umfangreiche 53

Finanzmittel aus diversen anderen Fonds — vor allem aus dem eigentlich zu wissenschaftlichen Zwecken bestimmten „Afrikafonds" — abzweigte, bevor sie sich — nach der Jahrhundertwende — stillschweigend korrigierte. Die deutschen Kolonialpolitiker brauchten als politisches Alibi eine „Musterkolonie"; Togo erhielt somit eine sichere Position im deutschen Kolonialreich, und das Damoklesschwert des Vertauschtwerdens wurde an -einen handfesten Strick gebunden. Die angeführten afrikanischen Verhältnisse sowie der aus der deutschen Kolonialpolitik herrührende Zwang zur „Musterkolonie" prägten das Bewußtsein und das Handeln der deutschen Kolonialkader in Togo. Hier ist zunächst auf die geringe Zahl der Deutschen in Togo zu verweisen. 1887 hielten sich 26 Europäer in Togo auf, darunter 23 Kaufleute (davon 7 Franzosen) und 3 Beamte. Erst als 1890 die Grenzen der Kolonie in nordwestliche Richtung ins Togogebirge vorgeschoben wurden und damit große Teile des traditionellen Missionierungsgebietes der evangelischen Norddeutschen Missionsgesellschaft unter deutsche Herrschaft gerieten, befanden sich nunmehr auch deutsche Missionare in der Kolonie, deren Zahl durch den Beginn der katholischen Missionierung 1892 erweitert wurde. Seit jener Zeit zeichnete sich eine typische Dreiteilung der Gruppe der Kolonialdeutschen in Togo ab: 1891 waren von den 34 Europäern 11 Beamte, 7 Missionare und 16 Kaufleute. 1894, am Ende des Jahrzehnts des kolonialen Scheinfriedens, hielten sich 67 Europäer in Togo auf, und zwar 19 Beamte, 22 Missionare und 26 Kaufleute. Handelsagenten und Missionare waren, auch wenn sie die deutsche Kolonialherrschaft prinzipiell billigten, in ihrem Handeln fast vollständig in dem Gedankengut des Kapitalismus der freien Konkurrenz befangen; ihre Umprofilierung im Sinne deutsch-imperialistischer Kolonialpolitik stand noch bevor. Die spezifischen Belange des deutschen Kolonialismus wurden somit von der Beamtenschaft in Togo getragen. Aber hier hatten die genannten Rahmenbedingungen nicht nur dazu geführt, daß die Anzahl der Kolonialbeamten sehr gering war, sondern sie prägten auch deren politisches Verhalten. Ihnen wurde bewußt, daß sie sich den sozialökonomischen Bedingungen Togos und den Erfordernissen einer „Musterkolonie" anzupassen hatten. (5) Sie standen vor der für einen Kolonialisten höchst unbefriedigenden Situation, nur dem Titel nach herrschen zu können, da sie kaum über effektive Machtmittel verfügten. Je nachdem, ob sie nun den Aufenthalt in den Kolonien und speziell in Togo als zeitweilige Angelegenheit in ihrem Leben oder als Tätigkeit bis zum Pensionsalter betrachteten, reagierten die Beamten unterschiedlich. Zunächst hatten jene in Togo bestimmenden Einfluß, die kurzfristig persönliche Erfolge suchten; dazu gehörten die beiden ersten kaiserlichen Kommissare Ernst Falkenthal (1885—1887) und Eugen von Zimmerer (1888—1890) sowie ihre beiden Stellvertreter Dr. Paul Grade und Markus G r a f von Pfeil. Bald aber setzten sich jene Beamten durch, die beharrlich und langfristig daran arbeiteten, in den Kolonien und speziell in Togo ihre persönliche Herrschaftszone — terri54

torial gesehen oder in bestimmten Sachbereichen — aufzubauen, wo sie nahezu uneingeschränkt herrschen konnten. Systematisch schufen sie sich Machtpositionen, so daß sie nach zehn Jahren zu einem zusätzlichen Machtfaktor in Togo geworden waren, der sowohl in die innerafrikanischen gesellschaftlichen Verhältnisse effektiv eingreifen, als auch im Auswärtigen Amt in Berlin die Politik bezüglich Togo mitbestimmen bzw. korrigieren konnte. Prototyp dieses Typs der Kolonialbeamten war Jesko von Puttkamer (6) (1855—1917). Da die Zahl der Administratoren im ersten Jahrzehnt nicht einmal 20 erreichte, konnten einzelne Personen, wenn sie sich von einer langfristigen Konzeption zielstrebig leiten ließen, außerordentlichen Einfluß nehmen. Deshalb ist es nötig, an dieser Stelle jenen Mann zu charakterisieren, der die deutsche Kolonialpolitik in Togo in die Praxis umsetzte. Puttkamer stammte aus einer prominenten Familie des preußischen Hochadels; er war ein Neffe Bismarcks. Diese adlige Abstammung und prominente Verwandtschaft hatten ihm nach einem turbulenten Studium den Weg in die deutsche Außenpolitik geöffnet und ihn 1883 ins deutsche Konsulat nach Chicago geführt. Als Bismarck dazu überging, in den neuen westafrikanischen Kolonialgebieten eine staatliche Verwaltung aufzubauen, zählte Puttkamer zu den ersten, die dort mit leitenden Positionen betraut wurden. Seit Mai 1885 Kanzler in Kamerun, wechselte er als Interimistischer Kommissar von Juli 1887 bis August 1888 nach Togo. Nach einjährigem Aufenthalt als Konsul in Lagos kehrte er im Oktober 1889 nach Togo zurück, wo er als Interimistischer und seit 1890 offiziell als Kaiserlicher Kommissar und Landeshauptmann bis Dezember 1894 verblieb. Danach wirkte er über ein Jahrzehnt als Gouverneur in Kamerun, bis er wegen seiner nicht mehr zeitgemäßen Kolonialpolitik auf Intervention des Reichstages abgelöst werden mußte. Aber die Ära Puttkamer war für Togo nicht mit Puttkamers Wechsel nach Kamerun beendet, denn er hatte auf allen entscheidenden Gebieten der Kolonialpolitik in Togo Marksteine gesetzt und koloniale Kader in seinem Sinne geformt, so daß seine grundsätzlichen kolonialpolitischen Auffassungen weiterwirkten und sich bis zu faschistischen Kolonialpolitikern nachweisen lassen. Scharfblickend und skrupellos, wie er war, wußte er, daß eine Kolonie zur Ausbeutung der Afrikaner und zum Nutzen der Kolonialherren geschaffen wird, und er sprach das in rassistischer Überheblichkeit auch offen aus. Dabei verstand er sehr wohl, den Vorteil für das deutsche Kolonialregime mit seinem persönlichen zu vereinen. Zugleich wandte er sich aber gegen jene Kolonialisten, die nur den persönlichen Vorteil und diesen möglichst kurzfristig erzielen wollten: Gerade damit aber wies er allen jenen den Weg, die ein Leitbild für ihr Handeln brauchten, ihre persönlichen Herrschaftsambitionen mit ihrer Kaisertreue in Einklang zu bringen. Er gestattete jedem Kolonialbeamten, j a inspirierte ihn gerade dazu, sich in der Kolonie sein „Königreich" zu schaffen, nur mußten sie sich ihm, als dem Vertreter des Kaisers in der Kolonie, unterordnen. Er forderte von den Beamten — und es mag sein, daß dies 55

in Anlehnung an seines Onkels Regierungsmaximen geschah — , reale Politik zu treiben. Das bedeutete jedoch nicht etwa, die realen Verhältnisse zu untersuchen und ihnen Rechnung zu tragen, sondern nur solche Schritte zu unternehmen, die auch machtmäßig abgesichert werden konnten. Das war richtungweisend für jene, die die Afrikaner weder kannten noch kennenlernen wollten, aber einen Maßstab benötigten — und das war der Maßstab der eigenen Machtmittel. Puttkamer, der sich vom Diener die Peitsche auf silbernem Tablett reichen ließ (7), um diesen zu prügeln, war gegen das Ausprügeln von Häuptlingen durch Zimmerer, aber nur aus dem Grunde, weil jener nicht über die militärische Macht verfügte, um einen eventuellen Aufstand niederzuschlagen. Nicht zuletzt vermittelte er den Kolonialisten eil» Verhältnis zu den Afrikanern, das rassistische Überheblichkeit und Herrschaftsmentalität mit Kulturmissionsideen und Paternalismus vereinte. Während er nach außen hin für ein „korrektes" Verhältnis zu den afrikanischen Chiefs und einflußreichen Persönlichkeiten eintrat, schürte er, ausgehend von primitivstem Rassismus, bei den Kolonialbeamten die innere Verachtung der Afrikaner. Die folgenden Sätze (8) Puttkamers sprechen für sich: „Der Neger hat offenbar auch ein entscheidendes Talent zum Verbrecherwesen." Einen seiner Beamten leitete er mit den Worten an: „Es ist doch so fürchterlich gleichgültig, ob irgendwo einer totgeschlagen wird." In einer Denkschrift zur Arbeiterfrage in den deutschen Schutzgebieten ging er von der „eingefleischten Trägheit und Unzuverlässigkeit der Negerrasse" aus; „dem Neger ist der Hang zum Schachern angeboren wie die Neigung zum Stehlen, Lügen und Faulenzen". In einer anderen Denkschrift sprach er von der „bekannten Faulheit der schwarzen Rasse". Diese Aufzählung könnte beliebig fortgesetzt werden. Die kolonialen Ansichten Puttkamers waren zu jener Zeit nicht neu. Aber er kombinierte und artikulierte, was manch anderer dachte, mit Scharfblick und Konsequenz und verwirklichte es auch in seiner Politik. Damit setzte er Marksteine und profilierte die Kolonialkader; selbst verbrecherischen Elementen bot er eine koloniale Perspektive und die Möglichkeit, sich hier einzuordnen (was die meisten taten), oder aber er schob ihm nicht genehme Kader aus seinem Bereich ab. Die simple Umsetzung kolonial-rassistischer Ideen in die koloniale Praxis fand bei den meisten Deutschen, die unter Puttkamer ihre koloniale Karriere begannen und später hinzukommende Kolonialbeamte im gleichen Sinn beeinflußten, großen Anklang. Mit dem Eintreffen Puttkamers als Interimistischer Kommissar im Juli 1887 in Togo, besonders aber mit der offiziellen Amtsübernahme 1889 zeichnete sich seitens der deutschen Kolonisten eine ziemlich klare Politik in Togo ab, die ihre Auswirkungen bis 1914 hatte. So sehr ein Puttkamer zur Profilierung der deutschen Kolonialpolitik beigetragen hatte und spätere Erfolge der deutschen Kolonialisten diesen Kurs der Kolonialpolitik zu rechtfertigen schienen, langfristig gesehen, hat er die entscheidenden Trends der afrika56

nischen sozialökonomischen Entwicklung nicht anerkannt, bestenfalls zeitweilig respektiert. Seines Erachtens konnten die deutschen Kolonialisten, sobald sie nur über genügend Machtmittel verfügten, die Entwicklungsrichtung entscheidend bestimmen. Puttkamer verkörperte die einseitig starre Orientierung des deutschen Kolonialkapitalismus: Während in den afrikanischen gesellschaftlichen Strukturen Kräfte entstanden, die auf Grund ihrer Bindung an den kapitalistischen Weltmarkt teilweise ähnliche Interessen wie der deutsche Kolonialkapitalismus verfolgten und deshalb zur Kooperation, zum Konsens hinneigten, war die deutsche Kolonialmacht nicht auf Förderung dieser Elemente bedacht, sondern darauf, ihre Entwicklung einzuengen. Nicht kolonialkapitalistische Partnerschaft mit einzelnen afrikanischen bourgeoisen Elementen war das Ziel, sondern die gewaltsame Unterjochung und Ausbeutung der gesamten afrikanischen Bevölkerung. Der US-Amerikaner Knoll konstruiert in seiner Untersuchung über die deutsche Kolonialherrschaft in Togo einen Unterschied zwischen der Kolonialpolitik Puttkamers in Togo und der seiner nachfolgenden zehnjährigen Gouverneurszeit in Kamerun. (9) Aber Puttkamer hatte sich nicht geändert; er konnte nur in Kamerun mit größeren militärischen Machtmitteln das tun, was ihm schon in Togo als Leitmotiv vorschwebte und er auch unmißverständlich in einem Schreiben an die Kolonialverwaltung des Auswärtigen Amts zum Ausdruck brachte: „Ich kann Ihnen aufrichtig versichern, ich würde statt des fortwährenden ,Lavierens' wirklich recht häufig lieber fechten." (10) So war das erste Jahrzehnt der deutschen Kolonialherrschaft in Togo, dessen friedliche Entwicklung als eine Seite der „Musterkolonie" von den Kolonialisten hervorgehoben wurde, eine Periode des kolonialen Scheinfriedens, in der die Kolonialisten sich auf die Errichtung ihrer effektiven Macht mit militärischen Mitteln vorbereiteten. Aber dieses Jahrzehnt mit dem noch geringen direkten Einfluß der deutschen Kolonialisten auf die afrikanische Bevölkerung in Togo ermöglichte es gleichzeitig jenen afrikanischen Kräften, die von der Mittlerposition auf dem kapitalistischen Weltmarkt profitierten, die eingeschlagene Entwicklungsrichtung fortzusetzen. Der Klassendifferenzierungsprozeß, vor allem in dem rasch wachsenden Lome, schritt voran.

2. Der Aufschwung von Lome Bereits am 6. Juli 1884, unmittelbar nachdem der deutsche Grenzpfahl etwa 3 km westlich von Lome neben den britischen Flaggenstock gesetzt worden war, reiste Nachtigal wieder mit der „Möwe" weiter. Vorher hatte er noch provisorisch Heinrich Randad zum Konsul ernannt (am 11. September 1884 vom Kaiser •bestätigt). Er hinterließ ihm jedoch keine Mittel zur Ausübung effektiver Macht. Die Funktion des Konsuls übte Randad neben seiner Tätigkeit als Hauptagent 6

Sebald, Togo

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der Firma Wölber & Brohm ein Jahr lang aus. In dieser Zeit suchte er aktiv das kleine Kolonialterritorium auszuweiten. Zunächst hißte er in den „Togodörfern" an der Lagune die deutsche Flagge. Als er diesen Akt auch in Porto Seguro vollziehen wollte, weigerte sich King Mensah selbstverständlich, den Vertrag anzuerkennen, vertrauend auch auf französische Protektion. Randad mußte bis zur Ankunft eines deutschen Kriegsschiffes warten, und erst als am 5. September 1884 SMS „Leipzig" aufkreuzte, erfolgte angesichts der drohenden Schiffskanonen die Hissung der deutschen Flagge in Porto Seguro. Als aber am 12. und 13. September 1884 ein französisches Kriegsschiff vor Anker lag, protestierte King Mensah gegen diese Hissung. Jetzt wurde offensichtlich, daß der deutsche Protektoratsvertrag entgegen der Bismarckschen Direktive französische Kolonialinteressen verletzt hatte. Die französische und die deutsche Regierung mußten am grünen Tisch in Europa entscheiden, welcher Kolonialmacht dieses Gebiet zufallen sollte. Das geschah erst im Dezember 1885. Auch an der Westgrenze bei Lome ergaben sich sofort politische Schwierigkeiten, da es zu einem Konflikt zwischen den afrikanischen Händlern, die sich in Lome niedergelassen hatten, und den Häuptlingen von Be kam. Ob die Häuptlinge angenommen hatten, daß nach dem Protektoratsvertrag die aus britischem Kolonialgebiet stammenden Händler aus Lome abziehen würden und sie an deren Stelle die Handelspositionen einnehmen könnten, ist an Hand der deutschen Quellen nicht eindeutig festzustellen. Wenn es aber so gewesen wäre, würde das die Tatsache erklären, daß bereits am 20. Juli 1884 Olympio, der Hauptagent der britischen Firma F. & A. Swanzy in Lome, von „Be-Leuten bedroht" wurde. (11) Swanzy suchte nun um britischen Schutz nach (12), und tatsächlich rückten von Denu, dem nächstgelegenen Handelsplatz der Goldküstenkolonie, 40 Hausasoldaten unter dem Kommando Firmingers an der Küste vor. Aber — und das war entscheidend — sie überschritten die Grenze westlich von Lome nicht, wenn auch der Commissioner den deutschen Grenzpfahl umhauen ließ. Die britische Regierung respektierte die deutschen Kolonialansprüche und mißbilligte auf Ersuchen der deutschen Regierung das Verhalten Firmingers. (13) (Eine erste Grenzfestlegung bei Lome erfolgte im Juli 1886.) Dieses politische Übereinkommen der deutschen und der britischen Kolonialmacht veranlaßte sehr bald einen Sinneswandel der afrikanischen Händler in Lome. Ungeachtet ihrer fortbestehenden Orientierung auf die führende kapitalistische Macht Großbritannien, mußten sie sich mit der neuen, der deutschen Macht arrangieren, wenn sie an den Auf- und Ausbau ihrer eigenen neuen Zwischenhandelssphäre in Lome interessiert waren. Aber auch die Häuptlinge von Be und Amutive mußten bald erkennen, daß zwar die britische Kolonialmacht in Lome nicht mehr direkt eingriff, daß aber andererseits die deutsche Kolonialmacht nicht ihre Interessen wahrnehmen konnte und auch nicht wahrnehmen wollte. Als sie im August 1884 erneut einen Händler aus Keta festsetzten, wurden sie von den deutschen Kaufleuten, die eine britische Einmischung befürchteten, dazu überredet, den Händler freizu58

geben. Hier sowie bei den in den nächsten Monaten folgenden Auseinandersetzungen im Hinterland zwischen afrikanischen Händlern aus der Goldküstenkolonie und den afrikanischen Händlern aus Lome mußten die Händler und Häuptlinge im deutschen Kolonialgebiet feststellen, daß die neue Kolonialmacht über keine effektiven Machtmittel verfügte. So berichtete Randad am 23. November 1884: „Die Aufregung unter den Be-Leuten war furchtbar. Sie sprachen von Betrug, schuldigten uns an, mit den Hausa resp. Engländern unter einer Decke zu stecken, und drohten offen mit Mord und Brand." (14) Randad forderte deshalb Soldaten zur Bewachung der Westgrenze an. Auch sollte alle vier bis sechs Wochen ein Kriegsschiff die Küste anlaufen: „Für die erregten Palavers haben wir ja die men of war." (15) Randad benötigte sehr schnell ein Kriegsschiff, um wenigstens an dem einen unumstrittenen Ort der Togoküste, in Bagida, Macht zu demonstrieren. Anfang 1885 nahm ein Landekommando der „Möwe" King Garsu gefangen. „Er widersetzte sich dem Consul Randad und verhöhnte die deutsche Autorität", hieß es später in der deutschen Presse. (16) König Garsu wurde nach Kamerun deportiert, allen anderen Häuptlingen drohte man mit Strafen. Auch in der Folgezeit suchten deutsche Kriegsschiffe regelmäßig die Togoküste auf und sicherten mit ihren weittragenden Geschützen die Herrschaft im Küstenbereich. An Soldaten, die für die Ausübung tatsächlicher Macht benötigt wurden, mangelte es jedoch nach wie vor. Angesichts dieser machtpolitischen Situation erkannten die Häuptlinge von Be und Amutive, daß sie zwar keine effektive Oberherrschaft über Lome ausüben, aber am dortigen Handelsaufschwung durchaus partizipieren konnten. Die Händler in Lome ihrerseits sahen, daß sie sich zwar mit der deutschen Macht arrangieren mußten, die handelspolitische Erschließung des Hinterlandes von Lome jedoch selbst vorantreiben konnten. Lome erlebte als Folge der Kolonialannexion einen geradezu frappierenden Auftrieb. Während im britischen Kolonialgebiet die typischen deutschen Exportprodukte mit verhältnismäßig hohen Zöllen belegt waren, entfielen diese Abgaben im deutschen Kolonialgebiet zunächst und waren später (seit 1887) weit niedriger. Der Schmuggel nahm sofort einen Aufschwung und mit ihm wuchs seine Ausgangsbasis, der Ort Lome, sprunghaft an. „,1m Anfang war der Schmuggel!' müßte eigentlich über der Entwicklungsgeschichte von Lome stehen", so urteilte später der erste deutsche Beamte für Lome, R. Küas. (17) Zwei Zeichnungen von Lome, vom Meer aus gesehen, verdeutlichen den Aufschwung im Jahre 1884. Das erste Bild ist eine sogenannte „Bildvertonung", aufgezeichnet von einem Seeoffizier, als das deutsche Kriegsschiff „Sophie" am 29. Januar für einen Tag vor „Beybeach (Lhomeh)" ankerte. (18) Die Zeichnung zeigt einen etwa 350 m langen Küstenstrich mit einigen langgestreckten schuppenartigen Gebäuden, dazwischen sechs kleinere Hütten. Da6'

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mit ist die Zeichnung erschöpft, wobei besonders auf das Fehlen jeglicher Palmen, des charakteristischen Kennzeichens älterer Handelsplätze, aufmerksam zu machen ist. In Verbindung mit den Stadtplänen von 1891 und 1896 kann rekonstruiert werden, daß sich im Januar 1884 hier wahrscheinlich zwei europäische Faktoreien befanden und etwa zehn afrikanische Händler mit etwa 30 Faktoreienarbeitern und Clerks aufhielten. Das zweite Bild ist ebenfalls eine „Bildvertonung", gezeichnet von einem deutschen Marineoffizier im September oder Oktober 1884, ein viertel Jahr nach der Errichtung der Kolonialherrschaft. (19) Jetzt bot Lome nach der Zahl der Faktoreien (noch nicht nach der Größe der Gebäude) ein Bild, vergleichbar mit dem der jahrhundertealten Küstenplätze, wie z. B. Klein Popo. Die europäischen Firmen an der Togoküste, darunter Régis Aines Frères und Fabre & Cie, die britische Firma Swanzy und natürlich die deutschen Firmen hatten jetzt Zweigfaktoreien errichtet. Das Panorama, von der Seeseite gesehen, zeigte jene Ausdehnung, die sich im folgenden Jahrzehnt kaum veränderte : Die Faktoreien befanden sich in einem etwa 500 m langen Strandabschnitt, und die etwa 30 kleineren Hütten und Häuser verweisen darauf, daß sich neben den Faktoreien Afrikaner niedergelassen hatten. Die Bevölkerungszahl war in einem dreiviertel Jahr von etwa 50 auf schätzungsweise 300 gestiegen. In Lome veränderte sich im Gefolge der Kolonialokkupation auch die Struktur der afrikanischen Export-Import-Mittler. Die erste Gruppe afrikanischer Händler, wie Quassi Bruce, Williams, Kudawoo, Akolastse, Toffa, Antonio, hatte sich hier von 1877 an niedergelassen, um — von keiner europäischen Konkurrenz gestört — den selbständigen ImportExport-Handel zu betreiben. Die ersten europäischen Faktoreien 1881/82 bedeuteten zwar eine neue Konkurrenz, aber diese Zweigniederlassungen in Lome waren für die europäischen Firmen nicht die Hauptschwerpunkte. Nach der Kolonialokkupation verlagerten die europäischen Firmen, zumindest um den zeitweiligen Schmuggelboom auszunutzen, ihre Aktivitäten nach Lome. Alle afrikanischen Händler — mit Ausnahme der beiden kapital stärkeren Sierra-Leone-Firmen der Williams — sahen sich veranlaßt, ihre am Strand günstiggelegenen Grundstücke den europäischen Firmen zu vermieten. Sie konnten dies auch tun, weil sie meist noch an anderen Küstenorten Handelsniederlassungen hatten. Aber diese im überseeischen Export-Import-Handel engagierten Afrikaner waren nach dem Urteil des stellvertretenden Kommissars Dr. Grade — „mit allen Hunden gehetzt" (20) und gaben erst nach beharrlichem Konkurrenzkampf und infolge der einsetzenden Pressionen der Administration auf. Mit den europäischen Faktoreien kam 1881/82, besonders aber 1884, eine neuartige Gruppe afrikanischer Export-Import-Mittler nach Lome. Sie waren und blieben weiterhin Angestellte, hatten als Leiter der Zweigfaktoreien Lome bzw. als Clerks einen gesicherten, verhältnismäßig hohen Lohn zuzüglich einer Gewinnbeteiligung. Mit dem verdienten Geld betrieben sie — meist über ihre Familien — Privatgeschäfte aller Art. 60

In Lome hatten sie zwei günstige Startbedingungen: Gerade weil zunächst die Zukunft der Kolonie ungewiß war und die Europäer die Niederlassung in Lome mehr als Provisorium betrachteten, hielten sich europäische Handelsagenten nur zeitweilig hier auf. Das verschaffte den afrikanischen Leitern der Faktoreien einen recht großen Spielraum. Ferner fehlte eine etablierte Zwischenhändlerschicht, die — wie in Klein Popo — den Verkehr mit dem Landesinnern aufrechterhielt, und es gab auch direkt im Ort keine traditionelle Gesellschaftsstruktur. Die bei europäischen Faktoreien angestellten Clerks handelten auch unter einem sozialökonomischen Zwang. Sie verfügten nicht über das Kapital zu selbständigem Export-Import-Handel, sondern hatten Lohnarbeit aufgenommen und waren ausgewandert, um irgendwo an der afrikanischen Westküste eine neue Existenz zu gründen. Sie konnten sich nicht, wie die anderen afrikanischen Händler, die sich als erste im Lome niedergelassen hatten, in einen anderen Ort zurückziehen. Sie mußten sich, wollten sie sich eine eigene Ausbeutungs- und Einflußsphäre aufbauen, an eben diesen Ort und sein Hinterland binden und aus den handelspolitischen, aber auch politischen Verhältnissen eigenen Nutzen ziehen. Dabei gingen sie von den Erkenntnissen aus, daß es sehr wohl möglich war, in einem Angestelltenverhältnis zu einer europäischen Firma zu stehen und gleichzeitig auf verschiedenen Gebieten Geld im Sinne von Kapital zu investieren, und ferner, daß man, da die Zeit politisch unabhängiger Bedingungen ohnehin vorbei war, aus dem Arrangement mit einer Kolonialmacht ökonomische und politische Vorteile gewinnen konnte. Mit dieser Einstellung hatten die afrikanischen Clerks gegenüber den auf selbständigen überseeischen Export-Import-Handel orientierten Afrikanern bzw. den traditionalistisch gebundenen Händlerclans, z. B. den von Klein Popo, Vorteile. Wichtigste Sphäre, in der die Clerks ihr Geld anlegten, war der Zwischenhandel nach dem Landesinnern, den sie über ihre Familienclans organisierten. Selbstverständlich hatten sie sicher nicht nur Geld, sondern auch Marktinformationen aller Art einzubringen. Zweitwichtigste Sphäre war der städtische Grundbesitz, zuerst um dem Zwischenhandel eine Basis in Lome zu geben. Bald stellte sich jedoch heraus, daß es nicht nur profitabel war, Grundstücke an europäische Firmen zu verpachten, sondern daß Grundstücke — parzelliert und mit Hütten versehen — auch an andere Afrikaner, vor allem die städtischen Lohnarbeiter, vermietet werden konnten. Drittwichtigste Sphäre war der ländliche Grundbesitz, d. h. die Anlage von Plantagen zur Exportproduktion, aber auch zur Versorgung der Stadtbevölkerung mit Lebensmitteln. Schließlich konnte Geld in Unternehmungen aller Art, in Ziegeleien oder Hühnerfarmen, angelegt werden. Diese Investitionsmöglichkeiten waren nicht auf den Ort Lome beschränkt, sondern zielten von Anfang an auch ins Landes61

innere; sie waren ferner mit kolonialpolitischen Aspekten, die durch den Schmuggel von vornherein ein besonderes Gewicht erhielten, verbunden. Prominentester und profiliertester Vertreter für jene, die in Lome ihren Aufstieg suchten, war Octaviano Olympio. (21) Olympio wurde 1860 im Küstenort Agoue (heute VR Benin) geboren. Als Kind war er katholisch getauft worden, später wurde er von seiner Familie nach England geschickt, wo er fünf Jahre lang die Schule besuchte. Von den europäischen Sprachen beherrschte er Englisch, Französisch und Portugiesisch, von den afrikanischen neben Ewe auch Hausa und Yoruba, und er kannte sich in einigen anderen afrikanischen Dialekten aus. Im Alter von 22 Jahren schickte ihn die britische Firma F. & A. Swanzy als Leiter ihrer Zweigfaktorei nach Lome. Dort konnte er sich zwar nicht mehr wie James Ocloo und James Gbogbo größere Grundstücke im engeren Ortsbereich sichern, aber er besaß ein im Zentrum hervorragend gelegenes großes Grundstück in der „Marktstraße", wo Angehörige seiner Familie, u. a. Julia und Clara Olympio, den Zwischenhandel betrieben. Vor allem bewies er seinen Weitblick, als er jenseits der Lagune eine Ziegelei — die einzige bei Lome — einrichtete und so am Aufbau der Stadt profitierte. Ferner legte er im Nordwesten der Stadt eine Kokosplantage an, deren Terrain (679629 Quadratmeter) nach 1910 einen hohen Boden wert erhielt, als sich die Stadt in dieser Richtung ausdehnte (der Bodenpreis betrug in Lome je nach Lage 0,50 bis 2,00 M pro Quadratmeter). Trotz seines jugendlichen Alters war er seit Beginn der deutschen Kolonialokkupation in Lome einer der prominentesten Wortführer der afrikanischen Händler, darüber hinaus auch breiter Bevölkerungskreise der Stadt. Er gab der sich formierenden antikolonialen Bewegung entscheidende Zielrichtungen. (Er starb 1940.) Weitere prominente Handelsagenten, die sich um 1884 in Lome niederließen, waren John Afola Apaloo, Theodor Assa, Jonathan A. Blagodji, Robert Adjamah, Domingo Freitas, de Lima, Schunled, Okansey, Medeiros. Die Läden dieser Händler lagen an der Marktstraße, die sich hinter den direkt an der Küste liegenden europäischen Faktoreien parallel hinzog. Alle diese Händler bzw. ihre Nachkommen verfügten 1914 über mehrfachen Grundbesitz in Lome und in anderen Orten entlang der Eisenbahnlinien. Von der Gruppe jener Handelsagenten bzw. Zwischenhändler, die sich um 1884 in Lome niedergelassen hatten, verließen, zum Teil nach zehn Jahren, mehrere wieder die Stadt, so Wankpoi, Baeta, Medeiros, Turkson, Adison, Johnson Zikpie und Isaak Vanderpuye. Dieser Fakt belegt, daß sich der Prozeß der Herausbildung einer in Lome fest engagierten Oberschicht nicht ohne Komplikationen vollzog. Obwohl nach der Kolonialokkupation weitere europäische Firmen Zweigfaktoreien in Lome eröffnet hatten, nahm die Zahl der dort lebenden Europäer nicht unmittelbar zu. Im Mai 1886 hatten hier nur drei Europäer, alle waren Kaufleute, ihren zeitweiligen Wohnsitz. Die deutsche Administration stationierte erst 1889 einen Beamten dauerhaft in Lome. In den ersten fünf 62

Jahren, in denen die Einwohnerzahl auf etwa 1000 bisj 1200 Personen anwuchs, bestimmten somit fast ausschließlich die Afrikaner die Entwicklung Lomes. Den Handel im Ort, vor allem aber den Zwischenhandel mit dem Landesinnern, regelten die afrikanischen Handelsagenten, die als gewiefte Geschäftsleute charakterisiert wurden. Sie bestimmten auch das gesellschaftliche und politische Leben in Lome, da sich die europäischen Handelsagenten ohnehin kaum in innere Angelegenheiten einmischten. Ganz offensichtlich waren die Häuptlinge von Be und Amutive dem 1884 einsetzenden „run" in Lome nicht gewachsen. Sie hatten zwar den Protektoratsvertrag unterschrieben, um sich die Oberhoheit über den vorgelagerten Küstenplatz zu sichern, aber sie hatten nicht die ökonomischen und machtmäßigen Mittel, um diesen Anspruch durchzusetzen oder sich als Händler zu etablieren und auf neue Art Einfluß aufrechtzuerhalten. Den Ton in Lome gaben die afrikanischen Händler an, und wenn auch die Fluktuation nach anderen Orten beträchtlich gewesen sein mag, so entstand doch — interpretiert man die gehässigen Bemerkungen der Kolonialbürokratie von „aufsässigem Gesindel" richtig — eine lokale Bevölkerung, die auf dem besten Wege war, ein relativ unabhängiges Gemeinwesen unter Führung der für den Weltmarkt arbeitenden Händler zu organisieren. In diesen fünf Jahren bis zum Beginn andauernder direkter Kolonialadministration in Lome stießen zur afrikanischen Händlerschicht neue Kräfte, so die Familie Tamakloe, deren Mitglieder Nelson, Theophil, Joseph, B. W. und J. P. in den neunziger Jahren über die meisten Grundstücke in Lome verfügten. Auch ein neuer sozialer Typ erschien in der Händleroberschicht von Lome: Das waren Afrikaner, die in der Kolonialadministration arbeiteten und sich wohl weniger von dem geringen Lohn als vielmehr durch ihre Kenntnisse im Handel günstige Positionen verschafften. Dazu gehörte in jenen Jahren Timothy Anthony, der mit dem genannten Chief Antonio verwandt war. In Keta, der britischen Goldküstenkolonie erzogen und 1888 als Zollgehilfe bei der deutschen Administration angestellt, wurde er später Handelsagent. Er ließ Kokospflanzungen im Norden und Osten der Stadt anlegen, die er später als Wohngrundstücke parzellierte. Auch Juan G. d'Almeida, der dem d'Almeidaclan in Anecho entstammte, wurde 1888 von der deutschen Administration als Zollgehilfe eingestellt und eröffnete ein Handelsgeschäft in Lome. Die Administration in Togo stand der Entwicklung dieses neuartigen afrikanischen Gemeinwesens in Lome in den ersten Jahren von 1884 bis 1889 ziemlich tatenlos gegenüber, und dies resultierte aus einer gewissen Hilflosigkeit. Die Entwicklung in Lome entsprach überhaupt nicht den kolonialistischen Klischeevorstellungen von Ortschaften mit traditionellen Häuptlingen an der Spitze, die man in ein koloniales Herrschaftssystem einbauen konnte. Die Norddeutsche Missionsgesellschaft ignorierte einfach die Existenz von Lome ein Jahrzehnt lang, weil dort die Missionsarbeit der in einer europäischen Hauptstadt gleichen würde. Ebenso klammerte die Kolonialadministration Lome trotz 63

seines wirtschaftlichen Aufschwungs und obwohl die westliche Grenze hier im Hinterland im Gegensatz zur östlichen Grenze noch nicht festgelegt worden war, für fünf Jahre aus und wandte sich ostwärts nach Klein Popo und Sebe in Verkennung der tatsächlichen Entwicklungsperspektive. Die neuartige sozialökonomische Struktur des Ortes Lome bewirkte sofort eine Expansion ins Landesinnere, getragen von der neuentstehenden afrikanischen Händler- bzw. Zwischenhändlerschicht. Die europäischen Firmen landeten in Lome lediglich die ins Hinterland bzw. in die britische Goldküstenkolonie zu schmuggelnden Waren an; keine dieser Firmen schickte auch nur eine Handelsexpedition ins Landesinnere. Hier sprangen sofort die afrikanischen Händler ein, um für sich neue Märkte gegen ihre afrikanischen Konkurrenten aus der Goldküstenkolonie zu erschließen. Da aber lediglich im unmittelbaren Küstenbereich die kolonialpolitischen Besitzverhältnisse durch Grenzpfahle geklärt worden waren, bewirkte der Streit afrikanischer Händler um Absatzmärkte, daß auch im politischen Sinne die deutsch-britische Kolonialkonkurrenz sich immer weiter ins Landesinnere verlagerte und dort zwangsläufig kollidierte. Der neue Markt Lome hatte binnen weniger Monate nach dem Juli 1884 neue Handelsverbindungen entstehen lassen bzw. vor 1884 geknüpfte verstärkt. So heißt es 1885 in einem Handelsbericht zu Lome: „Als Hauptartikel für den hiesigen Handel sind Spirituosen, Pulver und Tabak zu bezeichnen, Waren, die in den britischen Kolonien durch die enormen Zölle sehr verteuert werden. Alle diese Artikel werden fast ausschließlich gegen bares Geld (Englisches Silber und 1/2 Dollars) verkauft. Noch vor etwa zwei Jahren wurden keine Produkte hierher gebracht, während sich jetzt der Handel in Palmöl und Palmkernen mit jedem Tag mehr entwickelt und bereits recht ansehnliche Quantitäten an den Markt gebracht werden. Hervorzuheben ist, daß das etwa vier Tagereisen hinter Togo liegende Agotime sich einen Handelsweg nach der Togobeach gebahnt hat. Agotime liefert den größten Teil des in Lome einkommenden Öles. Zuweilen kommen auch Leute aus dem tief im Inneren gelegenen Salaga, bis jetzt allerdings nur medizinische Artikel bringend, doch haben dieselben auch schon Ochsen und Maulesel mit sich geführt, um sie hier zu verkaufen." (22) In den neun Monaten nach dem Juli 1884 wurden über Lome 550 t Palmkerne im Wert von 93000 M und 50000 Gallonen Palmöl (74000 M) ausgeführt. Der Wert des Imports wurde auf jährlich etwa eine Million M geschätzt, und zwar etwa 290000 Gallonen Spirituosen (250000 aus Deutschland, 40000 aus den Niederlanden) im Wert von etwa 500000 M, 180 t Tabak aus Deutschland (300000 M), 185 t Pulver (147 t aus Deutschland, 37 t aus Großbritannien) im Wert von etwa 150000 M. Dagegen betrug der Wert der aus Deutschland eingeführten Eisenwaren nur 10000, der von Parfümerien rund 15000 M sowie der Manufakturwaren (Textilien) aus Großbritannien 25000 M. (23) Dieser rasch zunehmende Handel schädigte nicht nur die britischen Zoll64

interessen, sondern auch das Zwischenhandelsgeschäft besonders der in Keta ansässigen afrikanischen Händler. Die britische Administration suchte deshalb im Landesinnern den Schmuggel zu unterbinden, und ihre Hausasöldner unter dem Kommando Firmingers „terrorisierten" im Sommer 1884 Händler aus Lome, die ins Landesinnere zogen. Im Hinterland versuchte Firminger auch, Häuptlinge zur Annahme des britischen Protektorats zu bewegen, jedoch ohne Erfolg, da diese sich „den vorteilhaften Handel mit Lome nicht gern nehmen lassen möchten, und sie befürchteten, ein britisches Protektorat würde diesen Handel lahmlegen" (24). Gleichzeitig forderten die Händler aus Lome Konsul Randad auf, den Handel zu schützen. Das bedeutete in der Praxis, jene Orte ebenfalls der deutschen Herrschaft zu unterstellen. Hier ist daran zu erinnern, daß diese afrikanischen Händler in Lome fast ausschließlich aus der britischen Goldküstenkolonie stammten, britische Erziehung bzw. Ausbildung genossen hatten und englisch sprachen. Aber das zählte nicht mehr: Der Kampf um einen eigenen Handelsgeschäftsbereich entschied.

3. Die Etablierung der Kolonialmacht in Porto Seguro und Klein Popo Entsprechend den Direktiven Bismarcks hatte Nachtigal im Juli 1884 Klein Popo als französische Interessensphäre respektiert (die französische Regierung errichtete ihre Kolonialmacht in Klein Popo am 11. April 1885); das Gebiet von Porto Seguro blieb kolonial umstritten. Aber die deutsche Administration blieb nicht untätig, um im Hinterland der östlich gelegenen umstrittenen Gebiete „Tatsachen" zu schaffen, die bei späteren Verhandlungen mit Frankreich verwertbar sein konnten. Im Oktober 1884 bereiste der deutsche Journalist Hugo Zöller zusammen mit Konsul Randad die Gebiete im unmittelbaren Hinterland von Lome bis hin nach Dahome. Europäern gegenüber als Korrespondent einer großbürgerlichen Zeitung auftretend (er veröffentlichte 1885 das erste Buch über die deutsche Kolonie Togo), gestand er über 40 Jahre später in seinen Memoiren (25) ein, daß er im offiziellen Auftrage des Auswärtigen Amtes gehandelt habe und mit reichlichen finanziellen Mitteln versehen gewesen sei. Als er aber mit Randad im unmittelbaren Hinterland und kommerziellen Einflußbereich von Klein Popo Flaggenhissungen vornehmen wollte, verhinderten afrikanische Zwischenhändler den weiteren Vorstoß ins Landesinnere. Auch Zöllers Berichte verwiesen somit darauf, daß zur weiteren kolonialen Ausdehnung bewaffnete Macht nötig war. Damit war schon nach kurzer Zeit sichtbar geworden, daß ein mit konsularischen Funktionen ausgestatteter junger Handelsagent nicht auf die Dauer irgendwelche Verwaltungsfunktionen wahrnehmen konnte, zumal auch deutsche wie 65

afrikanische Handelsagenten argwöhnten, Randad könne seine Funktion zu einseitigem Geschäftsvorteil ausnutzen. Am 26. Juni 1885 traf der 27jährige preußische Justizbeamte Ernst Falkenthal (1858—1911) in Bagida ein und übernahm als Kaiserlicher Kommissar die Amtsgeschäfte von Randad. (26) Ihn begleitete Unteroffizier Bilke, der eine Söldnertruppe kommandieren sollte. Aus finanziellen Gründen blieb jedoch die Söldnertruppe vorerst sehr klein, denn die einzige Finanzeinnahme bis zur Einführung von Zöllen im Jahre 1887 war eine jährliche Abgabe in Höhe von 50 Pfund Sterling, die jede Firma zu zahlen hatte. Auch das Haus des Kaiserlichen Kommissars in Bagida war mit den Ausmaßen von 8 mal 5 m mehr dazu angetan, die Machtlosigkeit als die Größe des Kaiserreiches zu demonstrieren. Falkenthals Amtsperiode dauerte keine zwei Jahre, und er profilierte sich auch später nicht im Kolonialdienst. Er war dennoch verantwortlich für drei wesentliche kolonialpolitische Entscheidungen, wobei die Afrikaner auch sofort den Eindruck erhielten, welche Rechtsprechung sie von einem deutschen Juristen unter dem Kolonialregime zu erwarten hatten : 1. Bereits im November 1885 brach er die im Protektoratsvertrag übernommenen Verpflichtungen gegenüber den Häuptlingen der „Togodörfer" ; 2. Er dehnte im März 1886 das deutsche Kolonialgebiet in nordwestlicher Richtung bis an das Togogebirge aus; 3. Er vereinbarte im Februar 1887 mit den Franzosen die widersinnige Festlegung der Ostgrenze Togos entlang einem Längengrad. Wie schon von Randad, so verlangten die Häuptlinge der „Togodörfer" auch von Falkenthal die Einhaltung der im Protektoratsvertrag gemachten Zusage, ihre Oberherrschaft über King Mensah herzustellen. Sie wollten das notfalls auch mit Waffengewalt erzwingen, mußten nun aber zu ihrer Erbitterung feststellen, daß Falkenthal ihnen die vertraglich vereinbarte Unterstützung versagte. Die Akten (27) geben Auskunft über die Gründe, denn sie enthalten einen Briefwechsel vom August/September 1885, in dem King Mensah erneut seine Unabhängigkeit von den Häuptlingen der „Togodörfer" unterstrich. Falkenthal erklärte sich bereit, sich mit dem König zu arrangieren und die im Protektoratsvertrag enthaltene Zusage an die Häuptlinge der „Togodörfer" nicht zu erfüllen, wènn Mensah ein Protektoratsgesuch an das Deutsche Reich richte. So sollte King Mensah nicht mehr mit militärischem Druck, sondern durch Bestätigung seiner Funktion veranlaßt werden, von der französisch-kolonialen auf die deutsch-koloniale Seite hinüberzuwechseln. Tatsächlich richtete King Mensah am 18. November ein schriftliches Gesuch an Falkenthal, in dem er ihm außerdem bestätigte: „. . . and had found the German administration a just and human one"! (28) Falkenthal anerkannte Mensah als Oberhäuptling, „weil dieser leichter zu leiten und nötigenfalls zu fassen ist" (29). So waren die Häuptlinge der „Togodörfer" die Geprellten, und am Anfang staatlicher Kolonialadministration steht ein Musterbeispiel für das, was für 66

die gesamte deutsche Kolonialperiode Gültigkeit haben sollte: Nur was den deutschen Kolonialinteressen, oder noch konkreter, den Interessen des jeweiligen deutschen Kolonialbeamten nutzte, war rechtens, ungeachtet getroffener Vereinbarungen. Wahrscheinlich wäre Falkenthals Vertragsbruch im internationalen Kolonialschacher ohne Bedeutung gewesen. Das veranschaulicht ein anderes Beispiel. Falkenthal hatte aus eigener Initiative mit den Häuptlingen der hinter Klein Popo liegenden Ortschaften Gridji und Agbanake Protektoratsverträge abgeschlossen und dort die deutsche Flagge gehißt. Er wollte damit „Tatsachen" schaffen, denn bei einem derartigen kolonialen Grenzverlauf, der das französisch okkupierte Klein Popo von seinem Hinterland abgetrennt hätte, hätte Klein Popo für die französischen Kolonialinteressen jeglichen Wert verloren. Bismarck ließ deshalb Falkenthal über das Auswärtige Amt eine Mißbilligung aussprechen (30), weil französische Interessen verletzt worden waren und die deutsche Regierung gerade mit der französischen in Kolonialverhandlungen stand. Über die Zugehörigkeit von Klein Popo und Porto Seguro wurde am grünen Tisch in Paris und Berlin entschieden. (31) Am 24. Dezember 1885 unterzeichneten Bismarck und de Courcel ein Protokoll über die Regelung der Kolonialinteressen in Westafrika. Die französische Regierung verzichtete auf ihre Ansprüche auf Klein Popo und Porto Seguro, die deutsche auf Ansprüche am Dubreka, einem Fluß in der französischen Interessensphäre in Guinea. Die Küste der Togokolonie konnte somit auf die noch heute bestehenden Grenzen von etwa 50 km ausgedehnt werden. Was die Könige von Klein Popo und Porto Seguro zu dieser Verschacherung meinten, danach wurde nicht gefragt. Die französische Regierung empfahl der deutschen in einer Note vom 24. Dezember 1885 lediglich, die Könige und Chiefs nicht zu benachteiligen, und die deutsche Regierung sagte „mit Vergnügen" zu, sie in ihrer Position für die Dauer ihres Lebens zu belassen. (32) Tatsächlich arrangierte sich die Kolonialadministration — wie es Falkenthal bereits mit Mensah getan hatte — sehr rasch mit den etablierten Kings. Als die politische Zukunft von Porto Seguro und Klein Popo im östlichen Teil der Kolonie entschieden war, wandte sich Falkenthal den Grenzangelegenheiten im wesentlichen Teil zu, wo — wie dargestellt — durch die afrikanischen Zwischenhändler die Situation für eine Kolonialannexion bereits vorbereitet worden war. Falkenthal und Randad unternahmen im März 1886 eine zwölftägige Reise in das westliche Hinterland auf dem Weg bis zum Togogebirge nicht als Erkundungsexpedition, sondern als Expedition zur Besiegelung eines bereits geschaffenen Zustandes. Deshalb führten sie vorgefertigte „Schutzverträge" — bezeichnenderweise in englischer Sprache verfaßt — mit sich, die sie in Agotime von König Abovi und drei Häuptlingen, in Kewe von Häuptling Apla und zwei anderen Häuptlingen und in Towe von König Abosenu und drei Häuptlingen unterzeichnen ließen. (33) Häuptlinge anderer Orte hatten inzwischen die britische Flagge akzeptiert, 67

möglicherweise unter einem gewissen Druck, den Firminger mit seinen Hausasoldaten ausübte. Wahrscheinlich erklärten sie sich jedoch mit der britischen Macht einverstanden, weil sich diese Orte im Einzugsbereich des Handels von Keta bzw. des Voltahandels befanden. Die Beschreibung Spieths über gekaufte und verkaufte Waren und Handelszentren veranschaulicht jedoch, daß noch je nach Marktlage und Produkt der Handel sowohl hierhin als auch dorthin floß. (34) Eindeutig abgegrenzte Handelszonen bestanden somit in dem Gebiet bis hin zum Togogebirge nicht. Hier entschieden allein kommerzielle Einzel- bzw. Gruppeninteressen. Anders war die Situation bei den Stämmen, die im Gebirge bzw. jenseits des Gebirges am Volta wohnten und mithin weit stärker in den Bereich des billigen Transportweges auf dem Volta einbezogen waren. Auch förderte in diesen Gebieten die Tradition des Abwehrkampfes gegen frühere Expansionen des Aschantireiches eine probritische Einstellung. Wann die afrikanischen Händler aus Lome, den Paß bei Palime — fünf Tagesreisen von Lome entfernt — nutzend, das Togogebirge überquert haben, um Anschluß an die großen Handelsrouten des innerafrikanischen Fernhandels in dem Handelsort Kete-Kratschi am Volta oder noch weiter nördlich in Salaga zu gewinnen, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Man kann aber davon ausgehen, daß dies bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1884 — vielleicht zusammen mit einer von der Küste heimwärtsziehenden Hausakarawane — geschehen ist. Die „regen Verbindungen" der Händler von Lome, vor allem Olympios, mit Salaga, die der Chef der 1890 an dem Paß neu angelegten deutschen Station Misahöhe feststellte (35), bestanden schon längere Zeit. Je mehr sich die afrikanischen Händler aus Lome dem traditionellen Einzugsbereich des Voltahandels näherten, desto mehr sahen sie sich mit der Konkurrenz afrikanischer Händler konfrontiert, die ihrerseits aus Geschäftsinteresse für einen Anschluß dieser Gebiete an die Goldküstenkolonie eintraten. Die Kolonialannexionen Falkenthals verwiesen einzelne Häuptlinge darauf, nicht nur mit einer Kolonialmacht zur Sicherung eigener kommerzieller oder politischer Ambitionen zu verhandeln, sondern die Auseinandersetzungen zwischen den Kolonialmächten zur Durchsetzung von Herrschaftsansprüchen über andere Dörfer zu nutzen. Wollte man den jeweiligen Berichten dieser oder jener Kolonialisten Glauben schenken, so würden sich unschwer die unterschiedlichsten Abhängigkeitsverhältnisse der Kings und Chiefs untereinander konstruieren lassen, weil ja die Berichterstattung kolonialpolitischen Zwecken untergeordnet war. Wahrscheinlich ist die Einschätzung zutreffend, die der Jurist Dr. Asmis am 25. September 1908 nach eingehendem Feldstudium zur politischen Struktur der Afrikaner in diesem Teil des Togogebirges traf: „Schon lange, bevor die deutsche Kolonialherrschaft errichtet wurde, waren diejenigen Personenverbände, aus denen die jetzigen Landschaften entstanden sind . . . nahezu zerfallen . . . Ihre Macht- und Einflußlosigkeit (der Häuptlinge — P.S.) war das naturgemäße Ergebnis des Zerfalls der alten Geschlechtergemeinschaft. Mit dieser zerfiel die in ihr beruhende F ü h r e r s c h a f t . . . 68

Erst durch die deutsche Verwaltung wurde ihre Stellung wieder gehoben, da diese verantwortliche Mittelspersonen für die Ausübung ihrer Verwaltungstätigkeit brauchte." (36) Vor diesem Hintergrund begann in jenen Jahren die praktische Kolonialpolitik, die dem einfachen Grundsatz folgte: Der Häuptling, der sich für die deutsche Kolonialmacht aussprach, wurde gefördert, auch in seinen Oberhoheitsansprüchen, andernfalls terrorisiert bzw. abgesetzt. Wie die deutschen Kolonialisten in der Regel tatsächlich über die Häuptlinge dachten, brachte Puttkamer in einer drastischen Bemerkung zu Stationschef Herold über den Häuptling Kalate Badagbani von Nordagotime zum Ausdruck: „Bitte vergessen Sie doch nie, daß die Kerle alle ohne Ausnahme Lumpen sind und nur nicht immer davon Gebrauch machen." (37) Wenn die deutschen Kolonialisten im Hinterland von Lome Kolonialannexionen vornahmen, dann taten sie das selbstverständlich nicht, um die Interessen der afrikanischen Zwischenhändler wahrzunehmen. Vielmehr berücksichtigten sie die Handelsbelange der deutschen Kaufleute in Lome. Aber auch das war für die Kolonialadministration nicht der eigentliche Grund. Die Einführung von Zöllen stand auf der Tagesordnung, und es traf bereits damals die Motivation zu, die wenig später in die eindeutigen Worte gekleidet wurde, daß ,jede Schädigung des Lome-Handels einen empfindlichen Ausfall in den Zolleinkünften bedeutet" (38). Wie wenig Falkenthal handels- und kolonialpolitische Weitsicht bewies und dem engen, nur auf den Küstenraum orientierten Blick der deutschen Handelsagenten folgte, zeigt die Tatsache, daß er den Sitz des Kaiserlichen Kommissariats von Bagida aus nicht nach Lome verlegte — was erst zehn Jahre später im Nachhinein erfolgte —, sondern daß er in Klein Popo von dem prominenten afrikanischen Händler Aite Ajavon ein Haus mietete. Da» jedoch in Klein Popo die Sandbank zwischen Ozean und Lagune nur sehr schmal war und für die Belange eines eigenen Regierungssitzes nicht ausreichte, siedelte das Kommissariat 1887 in eine der zahlreichen Ortschaften hinter der Lagune bei Klein Popo, nach Sebe über. Das Kommissariat war nunmehr nur mit einem Boot zu erreichen — im gewissen Sinne symbolisch hatte sich die Kolonialadministration aus den Handelszentren in einen abgeschiedenen Campus zurückgezogen. Nachdem Klein Popo und Porto Seguro deutsches Kolonialgebiet geworden waren, wurde Falkenthal im Juli 1886 angewiesen, mit einem französischen Vertreter die Ostgrenze der Kolonie festzulegen. Dazu hatte das deutsch-französische Protokoll vom 24. Dezember 1885 einen Punkt zwischen Agoue und Klein Popo gewählt, aber gleichzeitig bestimmt, „auf Grenzen der einheimischen Stämme wird Rücksicht zu nehmen sein" (39). Falkenthal verständigte sich jedoch am 1. Februar 1887 mit dem französischen Leutnant Bayol dahingehend, „auf die schwer und nur höchst umständlich festzustellende Stammeszugehörigkeit der einzelnen Orte keine Rücksicht zu nehmen, sondern eine ideale geographische Linie anzunehmen, und zwar entlang einem Meridian" (40). Zwar steht an diesem 69

Bericht die Marginalie „unglaublich", aber das Auswärtige Amt revidierte die Festlegung nicht, wie es unter Berufung auf den Vertragstext des Protokolls vom 24. Dezember 1885 möglich gewesen wäre, und bewies damit einmal mehr, daß solche Vertragsfloskeln wie Rücksichtnahme auf Grenzen der Stämme nur zur Beschwichtigung der Öffentlichkeit in Europa gedacht waren. Durch die Festlegung der Ostgrenze bis zum 9. Grad nördlicher Breite war zwar die deutsche Kolonie etwa 300 km ins Landesinnere ausgedehnt worden. Die gedachte Grenzlinie entlang dem Längengrad erreichte jedoch den Monufluß, den die Kolonialdeutschen als eine natürliche Grenze der Togokolonie ansahen, erst im Landesinnern. Zwischen der Flußmündung bei Grand Popo und der Grenze war damit das sogenannte Monudreieck entstanden, das die deutsche Regierung erst 1897 auf Kosten erheblicher Kompensationen im Landesinnern von der französischen Regierung „erwerben" konnte. Die Falkenthalsche Grenzvereinbarung brachte den deutschen Kolonialisten einen schwerwiegenden Nachteil von strategischer Reichweite, denn das an der Küste bestehende Kräfteverhältnis zwischen beiden Kolonialmächten war einfach ins Landesinnere projiziert worden, obwohl dort die französischen Kolonialisten entscheidend benachteiligt waren. Ihr Vorstoß ins Landesinnere war durch das noch nicht mit militärischer Gewalt unterworfene Königreich Dahome blockiert. Während die deutschen Expeditionen ohne die Grenzvereinbarung nach etwa 100 bzw. 150 km in nordöstliche Richtung zum Niger hin hätten abschwenken können, konnten sie nunmehr — wie Dr. Wolf — erst nach 300 km diese Richtung einschlagen. Im Westteil Togos gelang den deutschen Kolonialisten die schrittweise Verbreiterung der Kolonie, im Osten blieb sie ihnen durch diese Grenzvereinbarung verwehrt. Die französischen Kolonialisten erzielten noch einen weiteren Erfolg mit der tief ins Laadesinnere reichenden Grenzfestlegung. Der zu jener Zeit noch politisch unabhängige König von Dahome konnte nicht mehr im deutschen Kaiserreich einen potentiellen Bündnispartner finden gegen die französische Aggression. König Behanzin richtete 1892 tatsächlich ein entsprechendes Hilfegesuch an den deutschen Kaiser, aber durch die Grenzvereinbarung war aus kolonialrechtlicher Sicht die Niederwerfung dieses Königreichs zu einem /««unpolitischen Problem der französischen Kolonialisten geworden, in das sich demzufolge die Deutschen nicht mehr offen einmischen konnten und wollten. Warum unterliefen ausgerechnet dem Juristen Falkenthal so folgenschwere Fehler in der Delimitation? Da sein Verhandlungspartner Bayol ein erfahrener langjähriger französischer Kolonialoffizier war, hätte ihn das zu besonderer Vorsicht veranlassen müssen. Läßt man das von verschiedenen deutschen Kolonialisten (41) bei anderen Falkenthalschen Entscheidungen kritisierte „delirium tremens" unbeachtet, so bleibt nur das von imperialistischen Gedanken getragene Motiv, den eigenen Namen mit einem möglichst großen kolonialen Gebietszuwachs verbunden zu sehen, ungeachtet anderer kolonialpolitischer Nachteile. Falkenthal wurde im Juni 1887 von seinem Posten zurückbeordert, aber die 70

durch ihn veranlaßte widersinnige Grenzziehung entlang einem Längengrad blieb bis auf den heutigen Tag erhalten — ein Mahnmal kolonialer Aufspaltung der afrikanischen Völker.

4. Die Ausdehnung der Kolonie in nordwestlicher Richtung und die Einbeziehung des Hausahandels Ein neuer Anstoß für die weitere Ausdehnung der Togokolonie erfolgte Mitte 1887. Wiederum erwiesen sich die afrikanischen Händler von Lome als äußerst clever bei der Lancierung ihrer eigenen Geschäftsinteressen. Gelang es ihnen, die deutschen Kolonialisten auch aus einem anderen Grunde als dem der Sicherung des Lomehandels an einer forcierten Ausdehnung der Kolonie zu interessieren, so konnte die Konkurrenz afrikanischer Zwischenhändler in einem Gebiet ausgeschaltet werden, das schon zum sicheren Einzugsgebiet des Voltahandels gehörte. Olympio kannte sich in der Tat in der Psychologie der deutschen Kolonialisten aus. Im Juli/August 1887 trafen sich zum ersten Mal mit Olympio und Puttkamer jene beiden Männer, die, jeweils als Interessenvertreter ihrer sozialen Gruppe handelnd, der Politik Togos über drei Jahrzehnte charakteristische Züge gegeben haben. Als Puttkamer im Juli 1887 als Interimistischer Kaiserlicher Kommissar nach Togo kam, konnte er nicht nur auf zweijährige praktische Kolonialerfahrungen in Kamerun zurückblicken (bei der engen Kommunikation beider Kolonialverwaltungen waren ihm auch die Hauptprobleme Togos vertraut), sondern er hatte sich im besonderen auch für die beginnende Anlage von Plantagen am Kamerunberg im Besitz von Europäern interessiert. Den afrikanischen Zwischenhändlern in Lome war die Orientierung der deutschen Kolonialisten auf den Plantagenbau von Exportprodukten gut bekannt, hatten sie doch für die eigene Anlage solcher Plantagen an der Togoküste anerkennende Worte der deutschen Administration gefunden. Im Juli/August 1887 lenkte nun Olympio die Aufmerksamkeit Puttkamers auf jenen Teil des Togogebirges, der in der Richtung des eigenen Handelsbereiches lag, und erklärte, daß er dem deutschen Offizier Strensch einen Landkaufvertrag vermitteln könne. „Chief' Gidegide von Palime sei zum Abschluß eines solchen Vertrages bereit. Diese Bereitschaft genügte einem Puttkamer, seine koloniale Politik auf Gidegide auszurichten, ohne zu prüfen, ob Palime tatsächlich der bedeutendste Ort in diesem Gebiet und vor allem ob Gidegide tatsächlich Häuptling und zu einem Vertragsabschluß überhaupt berechtigt war. Der deutsche Kolonialbeamte Klose, der 1894 den Ort besuchte, urteilte: „GiddeGidde hat sich merkwürdigerweise durch seine Schlauheit emporgearbeitet: eigentlich war er weder Häuptling noch Sprecher in seinem Dorf. Doch trat er durchziehenden Reisenden gegenüber stets als ein solcher auf. . . " , und er bemerkt 71

an gleicher Stelle, daß Gidegide an der Küste war „und sich dort die Sitten und Gebräuche der schwarzen Händler angeeignet hat". (42) Ob von Olympio'aus Lome angeregt oder aus eigenem Antrieb — Gidegide sah einen Vorteil darin, in einem Gebiet des Handelseinflusses aus der britischen Goldküstenkolonie eine Verbindung zu den deutschen Kolonialisten zu suchen, um gleichzeitig seine gesellschaftliche und ökonomische Position in Palime zu festigen. Der Landkaufvertrag mit Gidegide und anderen Chiefs kam später, am 23. Februar 1888, tatsächlich zustande, beglaubigt durch einen anderen in Lome ansässigen afrikanischen Händler, Domingo Freitas. Strensch wurde ermächtigt, auf einem Gebiet von 6 mal 6 englischen Meilen — also etwa 100 km 2 — eine Plantage anzulegen. Die vereinbarte Summe von 40 Pfund Sterling sollte Strensch ein Jahr nach Anbaubeginn bezahlen. Falls nach einem Jahr nicht mit dem Anbau begonnen worden sei, so habe Strensch 5 Pfund Reuegeld zu entrichten und „jedes Anrecht auf Grund und Boden verloren" (43). Die afrikanischen Händler aus Lome hatten offensichtlich guten Rat zum Schutz gegen Landspekulanten gegeben, als der sich Strensch — zum Leidwesen Puttkamers — erwies. Puttkamer billigte 1887 die Landkaufpläne von Strensch und ließ sich direkt von Olympio, den er in diesem Zusammenhang einen einflußreichen, „gewieften Geschäftsmann" (44) nannte, informieren. Puttkamers Begeisterung für ein Territorium, das er noch nicht aus eigenem Augenschein kannte, erklärt sich aus seiner kolonialpolitischen Assoziation des Togogebirges mit dem Kamerunberg. Da er selbst nicht sofort losreisen konnte, schickte er seinen Sekretär Dr. Grade mit 20 Soldaten zu Vertragsabschlüssen in jene Gebiete. Grade brach am 19. August 1887, begleitet von dem soeben in Togo eingetroffenen Kolonialabenteurer Dr. phil. Henrici, von Bagida aus auf und schloß Verträge mit Chief Hlohodjo von Towie, Chief Apatie von Abessia, mit Saglago, dem Bevollmächtigten des Chiefs von Jo, mit Chief Agbuse von Kussuntu, Chief Gbane von Podji, Chief Gidegide, Chief Glome von Liati, Chief Dutsche von Kpele sowie Chief Apaka von Agu. Grade erwähnte in seinem Bericht an das Auswärtige Amt den geplanten Landkauf nicht, sondern faßte die Ergebnisse der bis 13. September dauernden Expeditionsreise in der hochgespielten Einschätzung zusammen: „Der Weg nach Norden ins Innere zu den muhammedanischen Kulturländern ist geöffnet." (45) Aufschlußreicher als der amtliche Bericht Grades sind die Ausführungen Henricis in seinem 1888 erschienenen Buch „Das Deutsche Togogebiet und meine Afrikareise 1887", nicht wegen seiner Ausführungen zu den afrikanischen Verhältnissen, die mit Recht von dem Afrikaforscher G. A. Krause einer scharfen Kritik unterzogen wurden, sondern zum Verlauf der Expedition selbst. Wiederum spielte einer der gebildeten Afrikaner, der Schneider Ventura, eine zentrale Rolle. Henrici schrieb, daß die Beamten „ganz und gar auf den Dolmetscher angewiesen" waren, der seine „halbamtliche Stellung" dazu benutzte, sich Geld zu 72

verschaffen. Bei Palavern steckten die Afrikaner mit den Dolmetschern unter einer Decke und verabredeten sich mit ihnen. Ventura, etwa 30 Jahre alt, sprach außer afrikanischen Sprachen Portugiesisch und Englisch. Sonntags trug er einen „blendend weißen, fein geplätteten Anzug", „über alles führte er gewissenhaft Tagebuch". Venturas Auftreten während der Expedition beschreibt Henrici wie folgt: „. . . und oft, wenn wir ihn zum Häuptling schicken wollten, um wegen Protectorats zu sprechen, lächelte er und sagte: ,It's all right, already the king will take the flag.' Dann hatte er abends schon, anstatt sich schlafen zu legen, mit dem Häuptling geredet, und am Morgen war alles in Ordnung. Es wurde ihm dabei allerdings reichliche Hilfe durch einen zweiten Dolmetscher, einen Hausa namens Blaima, zuteil." (46) Aufschlußreich ist auch, wie Henrici den Vertragsabschluß mit Gidegide beschreibt (47): Gidegide habe die Deutschen veranlaßt, nicht zum Oberhäuptling nach Jo weiterzuziehen, sondern habe den Stabträger von Jo, Saglago, sowie die Häuptlinge Agbuse und Gbane zum Vertragsabschluß zusammengerufen. Henrici verschleiert damit die tatsächlichen Verhältnisse, denn nach traditioneller Rechtsvorstellung war diese Handlungsweise Gidegides nicht möglich. Aber der Kolonialbeamte Grade, beauftragt von Puttkamer, wußte von dem bevorstehenden Landkauf mit Gidegide. Also orientierte er sich auf Gidegide, inspirierte ihn bzw. bestärkte ihn in dessen Vorgehen, wohl wissend, daß damit Abhängigkeitsverhältnisse unter afrikanischen Häuptlingen verletzt wurden. Daß der Stabträger sowie zwei Häuptlinge der Einladung Gidegides Folge leisteten, erklärt sich für den Stabträger daraus, daß damit dem Oberhäuptling in Jo die direkte Konfrontation mit den deutschen Kolonialisten erspart blieb. Die Auswirkungen solcher zum deutschkolonialen Vorteil neukonstruierten Verhältnisse, die zu Auseinandersetzungen der Häuptlinge untereinander führten, bekam vor allem die Norddeutsche Missionsgesellschaft zu spüren, denn die Ortschaften lagen in ihrem potentiellen Missionierungsgebiet, und die Möglichkeit der Aufteilung des Missionsgebietes unter zwei Kolonialmächte zeichnete sich immer drohender ab. Da Grade die Missionare übergangen hatte und obendrein den „weggelaufenen und verdorbenen" ehemaligen Missionsschüler Ventura als Dolmetscher benutzte (48), erhob die Missionsgesellschaft Einsprüche besonders wegen der „leichtfertigen" Berichterstattung Grades über die Unterstellungsverhältnisse der Chiefs. Weniger mit Rücksicht auf die Mission, sondern weil die kaiserliche Regierung mit Großbritannien Kolonialverhandlungen begonnen hatte, wies das Auswärtige Amt im Dezember 1887 Puttkamer an, keine weiteren Vertragsabschlüsse vorzunehmen. Die Expeditionen des Kaiserlichen Kommissariats beschränkten sich deshalb bis 1890 auf das bereits vertraglich okkupierte, aber im deutsch-britischen Kolonialschacher noch nicht endgültig bestätigte Gebiet bis zum Togogebirge, um wenigstens durch zeitweilige Anwesenheit 7

Sebald. Togo

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auch geringer bewaffneter Macht die Häuptlinge in ihrer Entscheidung für die deutsche Kolonialherrschaft zu bestärken. Man kann über die Haltung der Häuptlinge in diesem Gebiet kein verallgemeinerndes Urteil fallen. Angeführt sei hier, was König Abovi von Kpettoe 1890 Puttkamer „rundheraus erklärte": „Seitdem bald Engländer, bald Deutsche zu ihm kämen und einer stets das Gegenteil des anderen sagte, könne er einseitigen Behauptungen nichts mehr glauben. Er wünsche mit beiden Nationen Frieden zu halten und keine zu beleidigen." (49) Sicherlich dachten so auch andere, die sich aus dem Konkurrenzkampf der Kolonialmächte heraushalten wollten. Mancher Häuptling mag sich vielleicht aus einem sich ausweitenden Handel nicht nur persönliche Vorteile, sondern auch kulturellen Fortschritt für die Bevölkerung seiner Ortschaft, z. B. durch die Eröffnung einer Schule, versprochen haben. Der europäische Handel hatte nicht nur Steinschloßgewehre, Pulver und Schnaps gebracht, sondern auch Gegenstände des täglichen Bedarfs für Landwirtschaft und Haushalt, wie Hacken, Messer, Hämmer, gußeiserne Töpfe, die sich in fast jedem Gehöft befanden. Die reicheren Chiefs besaßen — wie z. B. der Chief von Apegame — noch weit mehr importierte Sachen: Tische, Stühle, große Mahagonischränke, Toilettenspiegel, Revolver „und dergleichen mehr, alles aber in guter Ordnung" (50), wie Henrici schreibt. Das weitere Schicksal Gidegides ist in gewissem Maße charakteristisch. Die deutschen Kolonialisten schilderten ihn als einen Mann von etwa 30 Jahren, der alle Worte vom kulturellen Fortschritt, den eine deutsche Kolonialherrschaft bringen würde, aufmerksam verfolgte und „auf die deutsche Karte" setzte. Manche deutschen Kolonialisten bezeichneten seine prodeutsche Haltung als „rührend"; Puttkamer sprach von einem „fanatischen Deutschen", gleichzeitig aber von dessen „großen Haß" gegen die Engländer, ohne daß er den Grund dafür in Erfahrung bringen konnte. (51) Offenbar verlor Gidegide bald seine Illusionen über den deutschen Kolonialismus. Bereits 1893/94 strich ihm die Administration wegen „Erregung lästiger Palaver und sonstiger Umtriebe" die monatlichen Zahlungen von 20 M. (52) Als er sich als Häuptling immer häufiger auf die Seite seines Volkes stellte, setzte ihn die Administration 1909 ab und verbannte ihn in die Strafsiedlung Chra in Mitteltogo. Wenn Dr. Grade euphorisch an das Auswärtige Amt berichtet hatte, daß der Weg zu den islamischen Reichen im Innern Afrikas geöffnet worden sei, so ist das die gewohnte kolonialistische Übertreibung. Seine Expedition überquerte zwar das Togogebirge am Paß bei Palime, doch mußten die Deutschen — wie Henrici berichtet — feststellen, daß das jenseitige, zum Voltafluß hin abfallende Gebiet bereits britisches Kolonialgebiet war. Sie schlössen deshalb einen Vertrag mit dem Chief von Liati, um sich einen weiter nördlich gelegenen Paß für die deutsche Kolonie zu sichern. Daß aber alle diese Verträge tatsächlich Wege öffneten, ist sehr zu bezweifeln, schon einfach deshalb, 74

weil den Hausahändlern als Trägern des innerafrikanischen Fernhandels die Handelswege ohnehin niemals verschlossen waren. Der Handel der Hausa hatte eine prinzipiell andere Zielstellung als der von den afrikanischen Zwischenhändlern der Küste ins Landesinnere vorgetragene, mit den Bedürfnissen des kapitalistischen Weltmarktes verbundene Handel. Er trug dem Angebot und der Nachfrage bei den volkreichen vom Islam beeinflußten Reichen und Stämmen im Savannengebiet Westafrikas Rechnung. Die Hausa befaßten sich seit Jahrhunderten vor allem mit dem Fernhandel zwischen diesen Reichen. Ihre Karawanen zogen jedoch auch durch den Tropenwaldgürtel bis zu den Küstenorten, um dort europäische Importwaren für den innerafrikanischen Markt aufzukaufen. Schon allein auf Grund der langen Transportwege dieses Transithandels zur Küste und die dadurch bedingten höheren Transportkosten für die Träger mußte die Struktur der hin- bzw. zurücktransportierten Waren eine andere sein als die der afrikanischen Küstenhändler. Palmprodukte zur Küste und Schnaps von der Küste durch Träger zu transportieren, lohnte nur bis zu einer Weite von etwa 100 km. Da sich die Transitkarawanen der Hausa in den Gebieten der Waldzone, die sie durchzogen, kaum mit Handel befaßten und andere Waren als die Küstenzwischenhändler mit sich führten, waren sie für diese keine zu bekämpfende Konkurrenz. Weil die Hausa in den Karawanenrouten zur Küste ihre Verpflegung aufkauften, diszipliniert auftraten, sich in die religiösen und kulturellen Belange der ansässigen Bevölkerung nicht einmischten, waren sie im allgemeinen gern gesehene Gäste. Die Hausakarawanen brachten Rindvieh und Pferde (Großviehzucht war im südlichen Togo wegen der durch die Tsetsefliege verbreiteten Krankheit nicht möglich), Schafe, Elfenbein, handwerkliche Erzeugnisse und auch Sklaven. (53) Sklaven waren gleichzeitig billige Träger. Da mit dem Zuendegehen des transatlantischen Sklavenhandels Sklaven in großen Mengen nicht mehr angefordert wurden und die Furcht, aus Afrika exportiert zu werden, nicht mehr bestand, führte man die Sklaven, darunter viele Jugendliche und Kinder, nicht mehr in Ketten. Sie rekrutierten sich jetzt meist aus Einzelankauf und weniger aus Kriegszügen. Seit 1887/88 fingen Hausahändler auch an, Rohkautschuk in Ballform an die Küste zu transportieren, aber diese Ware hatte für sie keine vorrangige Bedeutung. Beim Aufkauf europäischer Produkte waren die Hausahändler an höherwertigen Waren interessiert, die die kleineren Dorfhäuptlinge im Küstengebiet nicht bezahlen konnten, wohl aber die herrschenden Oberschichten in den innerafrikanischen Reichen. Dazu gehörten Samt und Seide, Präzisionswaffen, Pulver und Zündhütchen. Die traditionellen Routen des Hausafernhandels in Innerafrika bestanden seit Jahrhunderten. Ein Handelszentrum bildete Salaga im Hinterland der Goldküstenkolonie. Eine andere Route endete in Kratschi, einem Handelsort am Volta. Bis hierher konnte das in den Lagunen an der Voltamündung gewonnene Salz auf Kähnen flußaufwärts transportiert werden. Hier erfolgte dann der Umi*

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schlag und Weitertransport ins Landesinnere durch die Hausahändler mittels Eseln oder Trägern. Das durch den Transport auf dem Fluß billige Salz — 1895 schätzte G. A. Krause den Umschlag auf etwa 1500 t jährlich (54) — eroberte sich ständig neue Absatzmärkte. Infolge des sich ausweitenden Handels, dessen Hauptroute weiterhin von Kratschi nach Salaga verlief, wuchs seit etwa 1875 bei Kratschi eine separate Niederlassung der Hausahändler, genannt Kete. Lag der Ort Kratschi unmittelbar am Fluß, so Kete etwa 3 km landeinwärts. Die deutschen Kolonialisten nannten diesen Ort mit dem Doppelnamen Kete-Kratschi; es ist, wie noch dargelegt wird, nicht zufällig, daß sie den Hausaort als den für sie wichtigeren zuerst anführten. Wie ihre afrikanischen Handelspartner in den Küstenorten waren die Hausahändler genau über die kolonialpolitische Situation an der Küste informiert. Weil das Risiko des Transithandels zur Küste ein noch genaueres Disponieren und Kalkulieren der Waren erforderte, war für sie die Kenntnis von Veränderungen der Marktlage infolge kolonialpolitischer Entwicklungen sehr wichtig. Zuerst zogen die Hausakarawanen zu den Küstenorten der britischen Goldküstenkolonie. Als dort infolge der britischen Zollerhebungen Pulver, Gewehre, Tabak und Schnaps teurer wurden, zogen sie die Küste entlang bis zu Orten, an denen die Waren noch zollfrei und deshalb billiger gekauft werden konnten. So kamen sie auch nach Lome. Wie Nachtigal und Dr. Buchner berichten, trafen sie hier beim Abschluß des Protektoratsvertrages auch Hausahändler an. (55) Ob aber zu jenem Zeitpunkt schon die von Buchner daraus geschlußfolgerte direkte Verbindung vom Landesinnern nach Lome und zurück bestand, ist zu bezweifeln. Der Handel mit Lome war, von Seiten der Hausahändler gesehen, auch in den folgenden Jahrzehnten immer nur ein Handel, der sich auf einige Waren bezog. So galt Lome bei den Hausa nicht als Markt für Pferde, Kühe und Elfenbein; „der Kaufmann dort hat kein Geld, keine Seide, keinen Samt." (56) Wenn eine Hausatransitkarawane zur Küste zog, so mußte sie alle Waren, die sie mitführte, verkaufen und andererseits alle erforderlichen Erzeugnisse zum billigsten Preis aufkaufen. Die im Vergleich zu den langen Transitstrecken geringe Entfernung zwischen den Handelsorten im britischen und deutschen Kolonialgebiet war für die Hausahändler ohne Belang. Es ergab sich folgerichtig ein Dreieck im Zug der Handelskarawanen. In der Regel setzten sie zuerst im britischen Küstengebiet ihre Waren gegen Geld ab und nutzten das billige englische Warenangebot. Danach kauften sie im deutschen Kolonialgebiet gegen Bargeld die dort preiswerten Waren. Als nach dem 5. Juli 1884 britische Kolonialsoldaten zur Unterbindung des Schmuggels gelegentlich Handelskarawanen kontrollierten, zogen viele Hausakarawanen nun direkt auf deutschem Kolonialgebiet ins Landesinnere zurück. Führte aber eine Hausakarawane vorwiegend oder auch nur einige Sklaven zum Verkauf mit, dann kam sie nach 1884 aus dem Landesinnern gleich auf deutschem Kolonialterritorium direkt nach Lome, denn im britischen Kolonialgebiet war der Sklavenhandel verboten, und die Händler gingen dadurch das Risiko der 76

Sklavenbefreiung ein. Im deutschen Togogebiet förderte die Administration den Sklavenhandel, indem sie ihn de jure und de facto duldete. Die Folgen dieser Kolonialpolitik waren, wie der Sprachwissenschaftler G. A. Krause in einer Petition an den Reichstag 1891 aus Salaga mitteilte, „daß, obwohl der direkte Handel von Salaga nach Togo hin wahrscheinlich mit mehr als 90 % in Sklaven besteht, doch bis heute in Salaga kein Fall bekannt geworden ist, daß ein Verkäufer von Sklaven im deutschen Togogebiet von den deutschen Behörden wegen Sklavenverkaufs gewarnt, belästigt oder gar bestraft worden ist" (57). Von Lome zogen solche Karawanen dann die Küste entlang ins britische Kolonialgebiet, um nach Warenkäufen direkt oder wieder via Lome ins Landesinnere zurückzukehren. Wie überall in nichtislamischen Gebieten gründeten die Hausa an den Haupthandelsplätzen gesonderte Viertel, räumlich getrennt von der übrigen afrikanischen Bevölkerung, die „Songhos". In Lome bildete sich der Hausasongho nach 1884 am Nordrand der Ortschaft. Wenn er später auch einen festen Bestandteil der Stadt bildete, so blieb er doch in rechtlicher, ökonomischer, kultureller und lokalpolitischer Hinsicht eine Exklave (siehe S. 414/415). Die deutsche Kolonialadministration begünstigte von Anfang an die Hausahändler, und zwar aus mehreren kolonialpolitischen Motiven. Die Größe der Karawanen, der Wert der angebotenen Waren, das selbstsichere Auftreten der Hausahändler bestärkte die ignoranten Kolonialbeamten in ihrer Glorifizierung des innerafrikanischen Handels. (58) Jede Karawane in Lome hob in ihren Augen die Bedeutung der deutschen Kolonie und konnte genutzt werden, um besonders in den ersten Jahren die latente Gefahr des Ausgetauschtwerdens der Kolonie zu bannen. Die politische Sicherung der Handelswege wurde für die deutschen Kolonialisten ein wichtiges Motiv zur Expansion ins Landesinnere. Die Bedeutung der Hausahändler für die deutsche Kolonialadministration stieg im ersten Jahrzehnt, als offenkundig deutsche Handelsfirmen noch nicht zum Vorstoß ins Landesinnere bereit waren. Schließlich glaubten die deutschen Kolonialisten in den Hausahändlern Bündnispartner zu haben, weil diese gegenüber der nichtmuslimischen Bevölkerung eine bewußt distanzierte Haltung einnahmen. Diese Haltung interpretierten die deutschen Kolonialisten — obwohl dafür kein Grund gegeben war, denn die Hausa respektierten die übrige afrikanische Bevölkerung — als rassistische Überheblichkeit, schon um den eigenen Rassismus zu bemänteln. Selbstverständlich dachten die Kolonialisten in gleich abwertender Art über die Hausahändler wie über die anderen Afrikaner: „ . . . und wenn sie durchgängig auch große Spitzbuben sind, so sind sie in dem weiträumigen Land mit seinen wenigen Verkehrsmitteln eben unentbehrlich." (59) Der Schutz des Hausahandels, einschließlich der Duldung des Sklavenhandels, sowie eine allgemeine politische Begünstigung der Hausa waren ein Eckpfeiler der deutschen Kolonialpolitik in Togo. Konnte die deutsche Kolo77

nialmacht auf ihrem Vormarsch ins Landesinnere nicht dem christlichen deutschen Kaufmann folgen, so vielleicht dem muslimischen Hausahändler, nicht zuletzt, indem man aus dem Kreis der Hausahändler einige bezahlte Agenten gewann, wie z. B. Osman Katu, den Häuptling der Hausa in Kpandu, einen ehemaligen britischen Kolonialsöldner. (60) War die deutsche Kolonialadministration, solange sie über keine effektive militärische Macht verfügte, auf eine wohlwollende Haltung der Hausahändler angewiesen, so waren die Hausahändler keineswegs aus Konkurrenzgründen a priori gezwungen, als Förderer eines deutschen Protektorates aufzutreten. Sie konnten ihren Handelsgewinn auch im britischen Kolonialgebiet realisieren. Durch gewaltsame Reglementierungen den Hausahandel nach Lome hinzulenken, wie es Anfang der neunziger Jahre der erste Stationschef der Station Misahöhe, Leutnant Herold, versuchte, erwies sich als unmöglich; um so mehr verlegten sich die deutschen Kolonialbeamten auf das Hofieren und die politische Begünstigung der Hausa.

5. Die kolonialen „Forschungs"expeditionen und Stationsgründungen im Landesinnern Die Vorstöße der Administration ins Hinterland von Lome im Gefolge des sich rasch ausdehnenden Handels war nur eine Art der kolonialen Expansion. Die in Deutschland wirkende Kolonialclique trat für eine andere Art dieser Vorstöße ein, für die imperialistische Gründe maßgebend waren. Allein der Blick auf die Karte lehrte, daß der kolonialen Aufteilung der Küste die des Landesinnern folgen mußte. Wollte man nicht erneut zu spät kommen und sich aus Unkenntnis von den anderen Kolonialmächten übervorteilen lassen, dann mußte man das Landesinnere erkunden. Das geschah aber bereits mit dem Ziel, kolonialpolitisch verwertbare Tatsachen zu schaffen (61), sei es — wenn ohne Schwierigkeiten möglich — durch Vertragsabschlüsse, sei es durch Anlage von Stationen. Dieses Vordringen in das Hinterland von Togo erfolgte unter dem Deckmantel der Wissenschaft und wurde aus dem „Afrikafonds" der Regierung, der wissenschaftlichen Zwecken dienen sollte, finanziert. Damit blieb der Etat der jungen „Musterkolonie" unbelastet. Mit der Heranziehung des „Afrikafonds" wurde nicht etwa das Idealbild „praktischer Wissenschaft" — der Wissenschaft im Dienst der Kolonien —, das Reichskanzler Bismarck zur Beschwichtigung von Kritikern erfand (62), verwirklicht. In dieser Periode war der „Forscher" in erster Linie Kolonialeroberer; wissenschaftliche Arbeit kam weit hintenan. Zum Teil waren die Leiter der „wissenschaftlichen" Expeditionen und Stationen nicht einmal Wissenschaftler, sondern aktive Offiziere. Doch selbst dann, wenn Wissenschaftler an der Spitze standen, erzwangen die kolonialpolitischen Aufgaben eine Reduzierung der 78

wissenschaftlichen Arbeit auf ein Minimum. Denn diese Aufgaben bestanden darin, wie einer dieser Leiter treffend bemerkte, „der dortigen Bevölkerung die Überzeugung beizubringen, daß ihr Gebiet nunmehr zum deutschen Schutzgebiet gehört" (63). Insgeheim bezeichnete man diese Art von „wissenschaftlichen" Stationen als „wichtige militärische Operationsbasis" und gab zu, daß sie als Forschungsstationen „ihrem Namen nicht gerecht werden". (64) Wissenschaftliche Forschungen durchzuführen und gleichzeitig der afrikanischen Bevölkerung „Überzeugung beizubringen" erwies sich als ein unlösbarer Widerspruch. Drastisch, aber zutreffend schrieb Dr. Gruner, der Leiter der Togo-Hinterland-Expedition: „Der politische Quark läßt übrigens gar keine geographische Arbeit aufkommen." (65) Die vorliegenden „Forschungsergebnisse" der „wissenschaftlichen" Expeditionen und Forschungsstationen beweisen, daß die Wissenschaft lediglich als Aushängeschild diente, um die Finanzierung aus dem Afrikafonds zu rechtfertigen. Mit Recht bezeichnete Virchow in seiner Rede am 10. März 1887 vor dem Reichstag in einer Auseinandersetzung mit Bismarck den „Afrikafonds" als „Hilfsfonds" der Regierung für ihre Kolonien. (66) In diese kolonialpolitische Ausrichtung ist die Wissenschaft nicht „hineingeschlittert": Sie wurde von dem wissenschaftlich-geographischen Berater im Auswärtigen Amt, Prof. Danckelman (1855—1919), so konzipiert. Als sich der Afrikaforscher Gottlob Adolf Krause im Februar 1886 mit dem Plan der Erforschung der Hausaländer an das Auswärtige Amt wandte, wurde ihm jegliche Unterstützung verweigert, obwohl bekannt war, daß Krause fließend Hausa sprach. Die ablehnende Haltung des Auswärtigen Amtes ist mit Sicherheit darauf zurückzuführen, daß Krause bereits 1884 in Nigeria jegliche Beteiligung an Kolonialeroberungen zurückgewiesen hatte, weil er nicht wünschte, daß reiche Europäer durch Kolonien noch reicher würden. Seither traf ihn der Bann der Kolonialisten, die den Sprachforscher als „gänzlich verniggert" ansahen. (67) Im Oktober und November 1887 boten zwei andere „Forschungsreisende" dem Auswärtigen Amt ihre Dienste an: Hauptmann Curt von François (geb. 1853), der spätere Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika, und Stabsarzt Dr. Ludwig Wolf (geb. 1850). (68) Sie hatten an der Expedition teilgenommen, die Wissmann von 1883 bis 1886 im Auftrage der Internationalen Afrikanischen Gesellschaft nach Kasai unternommen hatte. Sie besaßen somit praktische Erfahrung, wie „wissenschaftliche" Forschungsreisen für Kolonialpolitik ausgenutzt werden konnten. Um für die Verhandlungen mit Frankreich und Großbritannien näher unterrichtet zu werden, wurde François in nordwestlicher Richtung bis nach Salaga und Jendi geschickt, während Wolf in nordöstlicher Richtung über die vereinbarte deutsch-französische Grenzlinie hinausgehend vorstoßen und dort eine wissenschaftliche Station oder — wie Danckelman es bezeichnete — einen „vorgeschobenen Posten der europäischen Zivilisation in Afrika" (69) gründen sollte. 79

Beide erhielten ihre Anweisungen direkt vom Auswärtigen Amt, sollten jedoch mit dem Kommissariat in Togo zusammenarbeiten. Damit war von vornherein klar, daß die Expeditionen mehr den weiterreichenden imperialistischen Kolonialzielen der deutschen Regierung als den spezifischen Zielen der Administration in Togo, die einen schrittweisen, tatsächlichen Anschluß neuer Landstriche anstrebte, dienen würden. Die Administration unterstützte natürlich diese Expeditionen, zumal sie den Kolonialetat Togos nicht belasteten. Das wissenschaftliche Aushängeschild verschleierte überdies die koloniale Expansion weit besser, als das die lokalen Expeditionen der Kolonialadministration vermochten. Die Expeditionen und Stationen konnten auf vielfaltige Art — wie noch gezeigt werden wird — Aufgaben der lokalen Administration „erledigen", für die diese noch nicht über die machtmäßigen Voraussetzungen verfügte. Ferner hatten die wissenschaftlichen Expeditionen und Stationen einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Obgleich sie keineswegs immer mit reichlichen finanziellen Mitteln versehen waren, basierten sie noch auf dem Prinzip, Träger, Arbeitskräfte und Lebensmittel zu bezahlen. Wenn auch Übergriffe und Terrorakte als ständige Begleiterscheinungen auftraten, so empfand die afrikanische Bevölkerung die ersten Expeditionen und Stationen noch nicht als jene drückende Last, zu der sie sich in späteren Jahren auswuchsen. Der Widerstand war demzufolge weit geringer. Letzteres wußte besonders die Kolonialadministration an der Küste zu schätzen, die zu einem effektiven Eingreifen in großem Maßstabe im Landesinnern nicht in der Lage war. François trat die erste amtliche Forschungsreise ins nordwestliche Hinterland am 3. Februar 1888 in Bagida an, zog über Lome nach Palime und überquerte dort über den später nach ihm benannten Paß (bei Misahöhe) das Togogebirge. Dann wandte er sich nach Kpandu, einem Handelsort am Volta, und von dort flußaufwärts nach Kratschi; aber in beiden Orten hatte der britische Commissioner Williams, begleitet von 50 Hausasöldnern, bereits Protektoratsverträge abgeschlossen. Als François am 3. März im Haupthandelszentrum Salaga eintraf, hielt sich Williams dort bereits seit Februar auf. Nach dem Bericht von François hatte sich der Sultan von Salaga indes noch nicht entschieden und erkannte im März das deutsche Protektorat an. Von Salaga zog François nordostwärts nach Jendi, der Hauptstadt des Dagombareiches, drang nach Gambaga in Mamprussi vor und kam bis in die Nähe von Wagadugu, wo er „jedoch durch den hartnäckigen Widerstand der Grussi- und Muschivölker verhindert worden (war), seinen Weg nordwestlich fortzusetzen" (70). Über Karga, Salaga, Adeli, Game kehrte er am 16. Juli 1888 nach Klein Popo zurück mit Protektoratsverträgen von Jendi, Gambaga, Karga, Nantong und Salaga. Der Bericht von François über die bereisten Gebiete und deren wirtschaftliche Ausbeutungsfähigkeit war äußerst positiv. Er verwies auf das für Plantagen kulturfahige Togogebirgsmassiv, das mit schätzungsweise 10000 km 2 80

die doppelte Ausdehnung des bisher unter deutscher Herrschaft stehenden Küstenstreifens hätte, auf die erweiterungsfähige Kautschukgewinnung in den Gebirgswäldern und die volkreichen Stämme im Landesinnern. François' Vorschlag, mit dem Bau einer Eisenbahn bis nach Salaga der britischen Handelskonkurrenz wirksam zu begegnen, befürwortete die Kolonialadministration in Togo auf das wärmste. Zu solchen Investitionen fanden sich jedoch die Kolonialisten in Deutschland nicht bereit. Die Administration in Togo bewertete die Ergebnisse der Expedition mit überschwenglichen Worten, aber die Regierungen in Deutschland und Großbritannien hatten bereits gehandelt, weil keine Seite sich sicher war, wer wem zuvorkommen würde. Sie erklärten deshalb im Abkommen vom 12. und 14. März 1888 das Gebiet um Salaga zur „Neutralen Zone". Als Südgrenze wurde der Breitengrad der Einmündung des Daka in den Volta angenommen, also etwa der 8. Grad nördlicher Breite. Die Ostgrenze sollte durch eine Linie in nördlicher Richtung etwa von dem Ort Dutukpene bis zum 10. Breitengrad gebildet werden; als Nordgrenze galt der 10. Breitengrad. Die „Neutrale Zone" umfaßte somit die Reiche Gondja mit Salaga, Dagomba und Karaga (Karga). Innerhalb der Zone verzichteten beide Regierungen auf den Abschluß neuer Schutzverträge. (71) Im deutsch-britischen Abkommen vom 1. Juli 1890, dem sogenannten Sansibarvertrag, bestätigen beide Regierungen die „Neutrale Zone", teilten aber das Gebiet zwischen der Küste und der Südgrenze der „Neutralen Zone" untereinander auf. Das Kaiserreich erhielt die Gebiete von Adaklu und Ho sowie Kpandu, Kunja und Buem, Großbritannien wurde Peki zugesprochen. In einer Zickzacklinie bis zum Volta zerstückelten so die Kolonialmächte das Siedlungsgebiet der Ewe. Puttkamer schrieb dazu : „Die ganze jetzige Grenzlinie, wie sie im einzelnen gezogen werden möge, ist eine unnatürliche Zerstückelung der Gebiete östlich des Volta und politisch bedenklich, da mehrere Stämme von ihr durchgeschnitten und halb englisch, halb deutsch werden, die Eingeborenen betrachten das als ein unberechtigtes Eingreifen in ihre Verhältnisse . . . und da wir, nicht mit Unrecht, als die Urheber dieser Anomalität angesehen werden, so wächst die Abneigung gegen die deutsche Regierung im Innern mit jedem Tage . . ." (72) „Palaverprotokolle" veranschaulichen die Stellungnahmen afrikanischer Häuptlinge : „Der Häuptling macht den Vergleich: es gäbe am Himmel eine Sonne, nicht deren zwei gingen auf. Es sei nicht gut, Völker, die zusammengehören, also zu teilen. Man hätte vorher fragen sollen, ob diese Teilung auch durchführbar sei und nicht die dadurch Betroffenen schädigen würde . . . Bei euch Weißen mag es Sitte sein, durch Grenzbestimmungen Menschen zu vergeben. Wir fügen uns dem nicht . . . Ich weiß, zuletzt, wenn ich mich auflehne, unterliege ich doch. Aber sind wir auch nur Schwarze, so sind wir doch keine Sklaven und keine Tiere." (73) 81

Angesichts dieser Haltung war den deutschen Kolonialisten klar, daß die de jure Trennung früher oder später nur mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden konnte. Mit dem deutsch-britischen Abkommen hatten sie jedoch ein ersehntes Ziel, wenigstens im Hinterland den Voltastrom zu erreichen, verwirklicht. Aber einen praktischen Nutzen konnten sie aus dieser wichtigen Handelsroute auf dem Fluß nicht erreichen. Denn der Unterhändler der deutschen Regierung, der Kolonialexperte Dr. Krauel, legte seinen Ehrgeiz ausgerechnet darein, die Briten auf ihrem Spezialgebiet, der Schiffahrt, auszustechen. Er orientierte nicht auf einen Grenzverlauf in der Mitte des Flusses, der den Deutschen die Schiffahrt gesichert hätte, sondern auf die Festlegung des Grenzverlaufs am linken Flußufer. Nach seiner Rückkehr aus London fanden die Rechtsexperten schnell heraus, daß nach internationalem Recht der gesamte Fluß britisches Kolonialterritorium und er somit selbst der Übertölpelte war. (74) So hatte das Abkommen über die „Neutrale Zone" für die südlich von der Zone gelegenen Gebiete die Abgrenzung zwischen deutschem und britischem Kolonialterritorium beschleunigt. Jedoch in der „Neutralen Zone" selbst, besonders in deren Randgebieten, hielt der Konkurrenzkampf beider Mächte unvermindert an, nur suchte man nunmehr nicht mit so offensichtlichen Mitteln den anderen auszuspielen. François unternahm im Auftrage des Auswärtigen Amtes Anfang 1889 eine weitere Expedition in die von ihm bereits bereisten Gebiete mit der vertraulichen Anweisung Bismarcks, schon jetzt auf spätere Grenzziehungen zu achten. (75) François' Berichte zeigen eindeutig, daß im Einzugsgebiet des auf die britische Goldküstenkolonie orientierten Voltahandels, vor allem in Kratschi und Kpandu, die Eingeborenen nicht verstanden, „warum sie auf einmal deutsch werden sollten" (76). Besonders rührige Agitatoren für einen probritischen Anschluß wären die Händler José Thomas in Kratschi und der in Kpandu ansässige Hausa Osman Katu. François empfahl erneut die Anlage einer Station in diesem Gebiet. So nachdrücklich jedoch er wie auch die Kolonialadministration in Togo die Anlage einer Station im Westen der Kolonie empfohlen hatten, die erste Stationsgründung in Togo erfolgte auf Anweisung des Auswärtigen Amtes und seines geographisch-wissenschaftlichen Beraters Prof. Danckelman im Norden der Kolonie.

5.1. Die Station

Bismarckburg

Als Wolf am 29. März 1888 von Klein Popo aus mit 98 Afrikanern (36 aus Liberia, 20 aus Lagos und 42 aus Anecho) aufbrach, hatte Puttkamer als Interimistischer Kommissar von Anfang an Einwände gegen die Anlage einer Station, die 82

nach den Vorstellungen von Wolf vier bis fünf Marschwochen entfernt angelegt werden sollte, weil dann von einem wirtschaftlichen Nutzen für die Kolonie nicht die Rede sein könne. (77) Wolf zog nordwärts über Atakpame und erreichte nach 21 Marschtagen das Gebiet der Adeli, eines der sogenannten „Restvölker" im Togogebirge. Hier legte er im Juni, ungeachtet der tatsächlichen Handelsrouten und Handelszentralen, eine Station an. Er gab ihr den Namen Bismarckburg. Diese vom Auswärtigen Amt mit Billigung des Reichskanzlers bestätigte Bezeichnung trug symbolischen Charakter: Bismarckburg war damals in ganz Westafrika, (außer Senegal) die erste, von Europäern dauerhaft besetzte Station im Landesinnern. Es war nur zu folgerichtig, sie nach jenem Mann zu benennen, dessen aggressiv-imperiale Kolonialpolitik die Aufteilung Westafrikas beschleunigte. Auch daß man die wissenschaftliche Station als „Burg" bezeichnete, ist charakteristisch. W o l f schrieb dazu selbst: „Die Station wird im gegebenen Falle eine wichtige militärische Operationsbasis sein und läßt sich leicht verteidigen." (78) Diese Passage strich man zwar vor der Veröffentlichung des Berichts, aber das Sinnbild der „Burg" kombiniert mit dem des „eisernen Kanzlers", war für jeden Europäer aufschlußreich genug. Für die Afrikaner besagte der bloße Name freilich nichts. Oberhäuptling Kontu, der über das etwa 3000 Menschen und 15 Dörfer umfassende Gebiet der Adeli herrschte, verhielt sich zuerst mißtrauisch, denn wie Puttkamer schon vermutet hatte, existierten überhaupt keine Handelsverbindungen zur deutschen Togoküste. Wohl aber gehörte das Gebiet zum Einzugsbereich des Voltahandels, und afrikanische Händler aus der britischen Goldküstenkolonie kamen mit dem einsetzenden Rohkautschukaufkauf in zunehmendem Maße hierher. Kontu beruhigte — wie Wolf berichtete — die Häuptlinge und die Bevölkerung, weil er sich Vorteile von der Stationsgründung im Streit mit Nachbarstämmen versprach. Ob es solche Fehden tatsächlich oder nur in den Vorstellungen Wolfs gab, sei dahingestellt. Wolf glaubte jedoch, je nach Opportunität einen „Bruderkrieg" mit dem benachbarten Ort Timu verhindern (79) oder dreinschlagen zu können. Angeblich hatte Häuptling Tschampa aus Kebu eine Karawane des Häuptlings Kontu ausgeraubt. Er wurde daraufhin bei einer Strafexpedition von Wolf erschossen. „Sein Schädel befindet sich in der mitgeschickten ethnographisch-anthropologischen Sammlung"! (80) Durch das „schneidige Vorgehen" des Assistenten Leutnant (später Hauptmann) Kling wurden die Orte Kpalavhe, Assavhe und Akpotte zerstört und drei weitere „Raubnester" „gezüchtigt". Wolf setzte Häuptling Omaku von Tschagbedji als Oberhäuptling für die etwa 8000 Menschen umfassende „Landschaft" Kebu ein und konnte berichten, daß das „Ansehen der Station erheblich gestiegen" sei. Er fügte seinem Bericht, der die Anerkennung des Auswärtigen Amts fand, Verträge mit Kontu, Omaku und Wapa (Akposso) bei. (81) Nachdem im unmittelbaren Umfeld der Station im kolonialpolitischen Sinne 83

eingegriffen worden war, begann Wolf mit weitreichenden Expeditionen ins Landesinnere. Am 23. April brach er in nordöstliche Richtung auf, zog über Blita nach Paratau, der Hauptstadt des Tschaudjoreiches. Hier schloß er am 7. Mai 1889 mit König Djabo Bukari einen Protektoratsvertrag ab, den man später auch dem Kaiser vorlegte, weil er als wichtiges Dokument für Kolonialverhandlungen mit Frankreich bzw. Großbritannien angesehen wurde. (82) Jedoch nicht dafür gewann er seine eigentliche Bedeutung. Vielmehr leitete der Vertrag eine Zusammenarbeit von König Djabo Bukari mit den deutschen Kolonialisten ein, so daß das Königreich Tschaudjo später in der deutschen Strategie zur Eroberung des Hinterlandes eine zentrale Rolle spielte. Von Paratau zog Wolf bis in die nördlichen Gebiete (heute VR Benin) nach Sugu-Wangara (heute Djougou) weiter. Hier hielt er sich etwa drei Wochen auf, und wenn er auch keinen Protektoratsvertrag abschließen konnte, so erhielten die Einwohner dieses wichtigen Handelszentrums doch Kenntnis davon, daß auch deutsche Expeditionen im Landesinnern herumzogen; daran erinnerten sie sich, als die Franzosen nach der Eroberung des Dahomereiches nach Norden vordrangen (siehe S. 179). Auf der Weiterreise nach Borgu starb Wolf am 26. Juni 1889 in Ndali; er soll vergiftet worden sein. Sein Nachfolger Kling unternahm ebenfalls mehrere Expeditionen, so im Juli/August 1889 nach Dutukpene und im Oktober 1889 nach Dipango. 1891 drang er über Tschaudjo, Sugu bis nach Borgu vor, mußte aber „angesichts der feindlichen Haltung der Bevölkerung" (83) umkehren. 1892 unternahm er eine Expedition in westlicher Richtung bis nach Salaga, setzte in der Hausaniederlassung Kete den Händler Sofu als ersten Chef und Abu Badu als zweiten ein, angeblich „um ein allgemeines Blutbad" zu verhindern. Wie jedoch der Sprachforscher und Augenzeuge G. A. Krause öffentlich erklärte, war diese Begründung Klings von Anfang bis Ende erfunden. (84) (Kling erkrankte und starb nach seiner Rückkehr in Deutschland am 15. September 1892). Während die deutschen Stationschefs weitab von Bismarckburg im Lande umherzogen, um Verträge abzuschließen, bildete das Gebiet zwischen Bismarckburg und der Küste keinen Schwerpunkt kolonialer Tätigkeit. Durch die deutsch-französische Grenzregelung von 1887 war dieser Landstrich ohnehin zur deutschen Kolonie gekommen. Die Farce von Vertragsabschlüssen war somit überflüssig. Nur um die Versorgung der Station zu sichern, zogen die in Bismarckburg stationierten Deutschen ein- oder zweimal im Jahr über Atakpame, Nüatja, Game, Agome nach Klein Popo. Auch auf diesen Zügen suchten sie kolonialpolitisch einzugreifen, so z. B. als der Häuptling von Game die Plantagenkonzession an den Abenteurer Dr. Henrici rückgängig machen wollte und als die Bevölkerung der Ortschaft Agome den Agenten der Faktorei Wölber & Brohm fortgejagt hatte. (85) Das Hauptziel der Stationsanlage, die Förderung des Handels zur deutschen Togoküste, wurde allerdings nicht erreicht. Dazu schrieb Puttkamer: „Den direkten Weg Adeli — Klein Popo hat noch nie ein Eingeborener gemacht." 84

(86) Handelspolitisch hatte jedoch die Station Bismarckburg einen ganz anderen, von den Deutschen sicherlich nicht beabsichtigten, aber für die tatsächliche Situation charakteristischen Effekt: Seit Anfang 1889 drangen afrikanische Händler aus Accra und Umgebung nach Adeli und Kebu vor und boten für 0,5 kg Gummi den „ungeheuren Preis" von 1,50 M in Waren an, während an der deutschen Küste 0,60 bis 0,90 M gezahlt wurden. Die bereits bestehenden Verbindungen zur britischen Goldküstenkolonie verstärkten sich somit. Der Kautschukboom weitete sich rasch aus und hatte in Adeli zur Folge, daß die Lebensmittelpreise sich verdreifachten. „Zum Verkaufe bringt überhaupt niemand etwas mehr . . . das ganze Dorf, Alt und Jung, läuft in den Busch und vernachlässigt die Farmen." (87) Die Händler aus der Goldküstenkolonie trugen tadellose europäische Anzüge. Sie verkauften Hosen, Jacken und bunte Tücher an die Bevölkerung, aber auch moderne Hinterlader und Repetiergewehre. Der Handel sowie der kulturpolitische Einfluß erregten die Besorgnis des Stationsleiters Kling: Durch die „englische Erziehung" lerne der Afrikaner, „alle Menschen sind gleich und der Schwarze ist genau derselbe wie der Europäer . . . Der Neger muß aber stets die Autorität des Weißen anerkennen, muß unter ihm stehen, sonst kann man nie einen ordentlichen Arbeiter aus ihm machen ..."(88) Zwar gelang es den deutschen Kolonialisten — z. B. bei der „blutigen Bestrafung" der Bevölkerung von Ketschenke 1891 —, „alle fremden Händler ohne großen Zwang und mit dem Rate, lieber nicht wieder zu kommen" zeitweilig auszuschalten, jedoch vermochten die deutschen Kaufleute nicht, mit ihrem Warenangebot das so geschaffene Vakuum zu füllen: „Die deutschen Zeuge sind — besonders verglichen mit den einheimischen Baumwollstoffen — zum Teil miserabel." (89) Muster und Farben waren schlecht und die Preise schon an der Küste zu hoch. Lediglich der Verkauf von deutschem Pulver und Gewehren war lohnend. Als die Briten jedoch im Jahre 1890 die Zölle senkten, war auch hier ihre Konkurrenz mittels afrikanischer Händler stärker. Teilweise passierten am Tag Händler mit 20 bis 30 Gewehren die Station Bismarckburg. Im November 1890 verbot zwar der Stationschef den Handel mit britischen Gewehren und Pulver (90), stellte aber nach einem Jahr resignierend fest, daß die Küstenwaren längst zu einem Bedürfnis für die Bevölkerung geworden waren, dem der deutsche Handel nicht nachkam: „Jetzt stellen sich die englischen Händler, von der Bevölkerung gerufen, wieder ein." (91) Immer deutlicher zeichnete sich ab, daß man die politischen und Handelszentren im Voltagebiet, Kpandu, Kete-Kratschi und Salaga, die Königreiche Jendi im Nordwesten und Tschaudjo im Nordosten wirksam kontrollieren mußte, während bei einer dazwischenliegenden unbedeutenden Landschaft wie Adeli darauf verzichtet werden konnte. Aber dazu war man „in Ermangelung jedweder Effektivmacht" (92), d. h. von Soldaten, nicht in der Lage. Angesichts ihrer 85

Machtlosigkeit zogen die Stationschefs umher und versuchten die Stämme bzw. deren Häuptlinge gegeneinander auszuspielen. Nur ein Stationsleiter von Bismarckburg, Conradt, bemühte sich tatsächlich um wissenschaftliche Arbeiten und Versuchspflanzungen, übrigens mit hervorragenden Erfolgen im Maisanbau. Bezeichnenderweise reichte er nach einem Jahr, im Juli 1892, seinen Abschied ein, da er es geradezu empörend fand, wie die Vorgänger gewirtschaftet hatten. (93) Sein Nachfolger, Hauptmann Doering, einer der berüchtigsten Kolonialisten in Togo, nahm als Stationschef im Oktober/November 1893 die kolonialpolitischen Expeditionen mit Reisen nach Fasugu und Bassari sowie nach Kete wieder auf. Das Kaiserliche Kommissariat, besonders Puttkamer, stand der Station Bismarckburg auch weiterhin skeptisch gegenüber, und zwar nicht nur wegen ihrer Ineffizienz für den deutschen Handel. Vor allem — so Puttkamer — liege Bismarckburg „ganz außerhalb unseres politischen Machtbereichs. Passiert dort mal etwas Ernstliches, so ist der hiesige Kommissar absolut nicht in der Lage, Hilfe zu bringen oder zu strafen. Ein solcher Versuch würde nur Niederlagen mit sich bringen und die kaiserliche Regierung schwer kompromittieren." (94) Bereits im Dezember 1889 hatte Puttkamer vorgeschlagen, die Ausgaben für Bismarckburg so zu beschränken, daß im Westen der Kolonie eine Station in der Nähe des Gebirgspasses bei Palime angelegt werden könnte. Aber erst am 30. Juni 1894 wurde Bismarckburg als Europäerstation aufgegeben; der Afrikaner Amason (95) und vier Stationsarbeiter sollten die Station aufrechterhalten. Doering übernahm provisorisch die von Puttkamer inzwischen reorganisierte Söldnertruppe. Ein Teil der finanziellen Mittel des „Afrikafonds" für Bismarckburg war vorher schon für Misahöhe und Kete-Kratschi umgeleitet worden. So hatte sich doch letztlich Puttkamer als Landeshauptmann mit seiner realistischen, die tatsächlichen Verhältnisse in Togo berücksichtigenden schrittweisen Annexionspolitik durchgesetzt. Was blieb, war eine verfallene Station mit einigen armseligen Häusern. Aber wichtiger war, daß der Name Bismarckburg auf den europäischen Landkarten den deutschen Kolonialisten im eigenen Land wie den Kolonialkonkurrenten signalisierte, daß die Bismarcksche Kolonialpolitik auch im Innern Westafrikas den ersten Schritt zur endgültigen Aufteilung getan hatte. Eben wegen dieser politischen Bedeutung gab man Bismarckburg nicht ganz auf. Es blieben aber auch die in der prokolonialen deutschen Presse verbreiteten Lügen, die Deutschen hätten es ohne militärischen Schutz verstanden, die Sympathien der Eingeborenen zu erwerben; in sechs Jahren wäre es nur zu einer einzigen, zwei oder drei Tage währenden Feindseligkeit mit einem Dorf gekommen. (96) Über die tatsächliche Einstellung der Bevölkerung gibt jedoch eine nebensächliche Bemerkung Doerings beredte Auskunft. Als die Deutschen Bismarckburg verließen, wollte Häuptling Kontu mit ihnen zur Küste 86

ziehen. „Hier sei er überall unbeliebt, weil er es gewesen sei, der die Weißen ins Land gelassen hätte." (97) Aber Kontu starb zuvor.

5.2. Die Stationen Misahöhe und

Kete-Kratschi

Im April 1890 konnte Puttkamer einen wesentlichen politischen Erfolg verbuchen : Er gründete — fünf Tagesmärsche von Lome entfernt — im Togogebirge bei Palime, unweit des Passes über das Gebirge, eine Station unter ständiger Leitung eines Europäers. Diese konnte im Gegensatz zu Bismarckburg für die Kolonie sofort effektiv werden, da von hier die von den afrikanischen Zwischenhändlern aus Lome und von den Hausahändlern erschlossenen Handelswege kontrolliert werden konnten. Puttkamer gab der Station den Namen „Misahöhe" im Andenken an seine ehemalige Geliebte Misa von Esterhazy. (98) Obwohl Misahöhe ausgesprochen kolonialpolitischen Belangen diente, schob man auch hier wissenschaftliche Ziele vor, um finanzielle Mittel des „Afrikafonds", die ursprünglich noch für Bismarckburg vorgesehen waren, einzusetzen. Die Instruktionen Puttkamers (99) an den Stationschef sahen zwar „wissenschaftliche Beobachtungen" vor; dies war allerdings nur eine Anweisung unter neun Punkten. Andere besagten: „Bekämpfung des englischen Einflusses bei Vermeidung jedes Konflikts" sowie die „Einleitung des Handels nach Lome". Ferner geht aus den Instruktionen hervor, daß Misahöhe nur als erste von weiteren Stationen im Landesinnern vorgesehen war. Vorsichtig sollten Beziehungen zu dem zwei Tagesmärsche entfernt liegenden wichtigen Handelsplatz am Volta, Kpandu, sowie zu dem am Oberlauf des Volta liegenden Handelsort Kratschi aufgenommen werden, um in Kratschi die nächste Stationsanlage vorzubereiten. Misahöhe diente somit gleichzeitig handelspolitischen Maßnahmen im Sinne der Faktoreien in Lome, regionalen politischen Interessen der Kolonialadministration im südlichen Togogebirge und den weitreichenden imperialistischen Absichten zur Eroberung des Inneren Westafrikas. Die Einschätzung Puttkamers, daß „die Station einen völligen Umschwung in den bisherigen Verhältnissen im Hinterlande hervorbringen wird" (100), war jedenfalls nicht zu hoch gegriffen. Allerdings mußten bei der Durchsetzung dieser umfassenden Ziele gravierende Einschränkungen beachtet werden. Noch waren die in Frage kommenden Gebiete von der deutschen und der britischen Kolonialmacht umstritten, aber nachdem im Gefolge des im Juli 1890 abgeschlossenen „Helgoland-SansibarVertrags" die Gebiete links des Volta von Kpandu bis Kete-Kratschi de jure deutsches Kolonialgebiet geworden waren, wuchs die Bedeutung der Station Misahöhe. Vorerst jedoch war die militärische Macht von zwei Dutzend afri87

kanischer Söldner in Misahöhe noch so gering, daß damit eine tatsächliche Kolonialherrschaft nicht zu sichern war. Der erste Stationschef Herold entsprach allerdings den Puttkamerschen Prinzipien in keiner Weise. (101) Sohn eines Gutsbesitzers, hatte Anton Bruno Herold (geb. 1860) die Militärlaufbahn eingeschlagen; er gehörte seit 1884 zu den Kolonialenthusiasten und aktiven Mitgliedern der Deutschen Kolonialgesellschaft. Im Winter 1889 hatte er sich zur Wissmann-Truppe nach Ostafrika gemeldet, wurde aber Ende Januar 1890 als Stationschef für Bismarckburg berufen, jedoch sofort von Puttkamer im Mai 1890 mit dem Aufbau der neuen Station Misahöhe betraut. Premierleutnant Herold kannte somit Afrika nur aus der Sicht der deutschen Kolonialpropaganda, er stand also, wie der Stellvertretende Kommissar Graf Pfeil urteilte, „im Banne der Wahnvorstellungen, unter welchen zu Hause Begeisterte ,Kolonialpolitik' treiben" (102). Äußerungen von Afrikanern gegenüber der deutsch-britischen Grenzkommission werfen ein beredtes Licht auf Herold: Seine Soldaten „fingen Menschen als Sklaven ein"; Herold sei „ein Plünderer". Und zur deutschen „Schutzherrschaft": „Nehme ein Vater Kinder an, so beginne er nicht damit, sie zu plündern. Das habe Herold getan." (103) Da Herold „eine ständige Gefahr für Ruhe und Frieden der Kolonie" bildete, wurde er nach mehrmaligen Interventionen Puttkamers und anderer Kolonialbeamter im Juli 1892 abberufen und nach Deutschland zurückgeschickt. Puttkamer nahm ihn zum Anlaß, um die Verwendung aktiver Offiziere in Togo überhaupt in Frage zu stellen, „da die Herren vermöge ihrer militärischen Erziehung und Neigungen einer Politik des vorsichtigen, sehr langsamen Weiterfühlens unter Vermeidung jedes ernstlichen Konfliktes, zu welcher uns hier in Togo der Mangel an Mitteln vorläufig noch zwingt, naturgemäß abhold sind. Ich selbst würde ja auch sehr viel lieber ganz anders und intensiver arbeiten." (104) Herold wurde also nicht wegen seines Vorgehens gegenüber den Afrikanern abgelöst — man bescheinigte ihm diesbezüglich „rühmlichen und anerkannten Eifer" —, sondern weil er sich nicht der Kolonialstrategie Puttkamers unterordnete und Methoden anwandte, für die er nicht die machtmäßigen Voraussetzungen hatte. Seine Ablösung, die erst nach monatelangen Auseinandersetzungen mit dem Auswärtigen Amt zustande kam, war ein Sieg der Administration in Togo, vor allem Puttkamers. In allen Togo betreffenden Fragen bis hin zu Kaderfragen, erlangte die Administration nunmehr einen entscheidenden Einfluß. Im Juni 1892 übernahm der Naturwissenschaftler Dr. Gruner die Leitung der Station Misahöhe, der er (mit Unterbrechungen) bis 1914 als Bezirksamtmann vorstand. Puttkamer berichtete an Reichskanzler Caprivi, daß sich die politischen Zustände wirklich gebessert hätten „dank des geschickten und umsichtigen Verhaltens des Dr. Gruner, der im Gegensatz zu seinen Vorgängern meine Instruktionen . . . wirklich und dem Sinne nach ausführt" (105). Der neue Stationschef konnte warten, bis auch im Einflußbereich von Misahöhe 88

die Zeit für eine allgemeine effektive Okkupation kommen würde. Aber er wartete nicht passiv, sondern erprobte in unmittelbarer Umgebung der Station verschiedenen Häuptlingen gegenüber einzelne Formen einer tatsächlichen Kolonialherrschaft. So „erwarb" er für die Station am 31. Dezember 1893 ein mehrere hundert ha großes Waldgebiet, „auf welchem nunmehr eine Kaffeeplantage angelegt wird" (106). König Date von Jo überließ das Land kostenfrei für 100 Jahre. In einem Vertrag vom 26. April 1894 mußte sich die Gemeinde Jo verpflichten, Land ohne Genehmigung der Station nicht an Schwarze oder Weiße zu verschenken, zu verpachten oder zu verkaufen. Auch wurde die Gemeinde zum entschädigungslosen Wegebau verpflichtet, einem der wesentlichsten Punkte in der späteren Periode der tatsächlichen Kolonialherrschaft. Dr. Gruner setzte sich beim Auswärtigen Amt (denn als Leiter einer wissenschaftlichen Station hatte er direkt an den zuständigen Berater, Prof. Danckelman, Bericht zu erstatten) für die Errichtung der nächsten Station in Kete-Kratschi bei Aufgabe der Station Bismarckburg ein. (107) Der neue Stationschef von Bismarckburg, Leutnant Doering, der im Juli 1893 dort seine Tätigkeit aufgenommen hatte, unterstützte ebenfalls die Konzeption Puttkamers, Stationen weiter westlich am Volta, den bestehenden Handelsrouten folgend, anzulegen. Als 1888 die deutsche und die britische Regierung das Territorium um Salaga zur „Neutralen Zone" erklärt und so die Entscheidung um die koloniale Zugehörigkeit dieses Zentrums des innerafrikanischen Handels aufgeschoben hatten, gewann Kete-Kratschi an Bedeutung für die deutschen Kolonialisten. Denn es lag auf nunmehr de jure deutschem Kolonialterritorium etwa 100 km von Salaga entfernt am Rande der „Neutralen Zone". Auf die traditionelle Bedeutung von Kratschi und Kete (siehe S. 76) wurde bereits eingegangen. Durch die kolonialen Grenzvereinbarungen war eine Stationsgründung in Kete-Kratschi nicht nur im Sinne einer weiteren Relaisstation auf dem Weg ins Landesinnere nötig. Die Bevölkerung von Kratschi, durch den Handel auf dem Volta mit der britischen Goldküstenkolonie verbunden, begrüßte es nicht, daß der Ort zum deutschen Kolonialgebiet gekommen war. (108) Anders jedoch die muslimisch gesinnte Bevölkerung im nahe gelegenen Kete. 1893 war infolge eines Bürgerkrieges zwischen den Sultanen von Salaga und Jendi das Handelszentrum Salaga zerstört worden. Viele Hausahändler aus Salaga, Träger des innerafrikanischen Fernhandels, ließen sich in Kete nieder. „Kete hat sich infolge der Salaga-Unruhen aus einem Hausa-Wanderlager in ein bedeutendes muhammedanisches Emporium verwandelt, wo die Erzeugnisse des ganzen Sudan von den aus allen Gegenden kommenden Karawanen feilgeboten werden. Was Salaga an Bedeutung verloren hat, hat Kete gewonnen", schrieb Puttkamer. „Die Kete-Hausa aber sind in unser Gebiet eingewandert, in ein Gebiet, von dem sie wußten, daß es bereits unter Herrschaft einer europäischen Macht steht, sie haben dort gewissermaßen unter deutscher Flagge ein Asyl gefunden, erkennen das dankbar an und 8

Sebald. Togo

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wünschen nur Stärkung und Befestigung dieser Beziehungen . . . Dieses Glück ist dem Togogebiet ganz ohne besondere Anstrengungen in den Schoß gefallen." (109) Aus den Akten geht nicht eindeutig hervor, welcher Art diese Anstrengungen waren. Da aber François auf seinen Expeditionen mehrfach den Sultan von Jendi vor dessen Feldzug gegen Salaga aufgesucht und der Sultan 1888 ein deutsches Protektorat anerkannt hatte (110), bestärkte er diesen sicherlich in seinen Absichten gegen Salaga, die ja nur den deutschen Kolonialisten zugute kommen konnten. Mit dem Niedergang Salagas hatten sowohl Kratschi als auch besonders Kete an Bedeutung gewonnen. Gleichzeitig veränderte sich durch die zugewanderten Hausa aus Salaga die Machtkonstellation zwischen den beiden benachbarten Orten, da sich hier zwei unterschiedliche afrikanische Handelszonen verzahnten und es überdies zwischen den muslimischen Hausa und der Bevölkerung von Kratschi Glaubens- und damit verbundene Rechtsgegensätze gab. Kratschi war Sitz des im ganzen Voltagebiet bekannten Fetischs Odente, dessen Orakelsprüche aus der Zeit der Aschantikriege ihm große Autorität verschafft hatten, so daß man sagte, der Fetisch habe über die Aschanti gesiegt. (111) Welches Ausmaß die Differenzen zwischen der Hausabevölkerung und der von Kratschi tatsächlich hatten, kann an Hand der deutschen Quellen nicht beantwortet werden, zu sehr voreingenommen waren die Kolonialdeutschen in dieser Frage. Unbestritten handelten sie jedoch differenziert, indem sie im Sinne der dargelegten Politik die Hausa in Kete hofierten. Puttkamer formulierte in diesem Zusammenhang: „Der Handel, auch der innerafrikanische, läßt sich nicht zwingen, man muß ihm nachgehen, wo man ihn findet." (112) Bereits im April/Mai 1894 hatte Doering einen Stationsplatz bei Kete ausgesucht. Die Gründung der Station stand auf der Tagesordnung, aber sie fiel unmittelbar mit dem Beginn der Eroberung des Hinterlandes und der Errichtung der tatsächlichen Kolonialherrschaft zusammen (siehe S. 162).

6. Der Übergang zu einer systematischen Kolonialherrschaft Eine zielgerichtete Kolonialpolitik, die unter den gegebenen Bedingungen einer weitgehenden militärischen Machtlosigkeit langfristig auf die Beendigung dieses Zustandes hinarbeitete und einen tatsächlichen kolonialen Einfluß auf allen Gebieten anstrebte, begann mit dem Eintreffen Puttkamers im Juli 1887. Im August 1888 wurde er jedoch als Konsul nach Lagos beordert. Von dort kehrte er 1889 wieder nach Togo zurück und wirkte zunächst als Amtierender Kaiserlicher Kommissar und von 1890 bis Ende 1894 als Kommissar bzw. Landeshauptmann. Von einer kontinuierlichen Politik kann somit erst seit 1889 gesprochen werden. Zwischenzeitlich übte 1888/89 Eugen von Zimmerer (geb. 1843, er war seit 90

1887 Kanzler in Kamerun gewesen und kehrte 1889 dorthin als Gouverneur zurück) das Amt des Kaiserlichen Kommissars in Togo aus. Bereits in den ersten Monaten seiner Anwesenheit gab er ein spektakuläres Beispiel deutscher Kolonialpolitik und Rechtsprechung, das die Togolesen den deutschen Kolonialisten bis 1914 nicht vergaßen. (113) Bei einer Dienstreise ins westliche Hinterland ließ er zwei Häuptlinge „abschlachten", wie Puttkamer es nannte. (114) Dieser Mord charakterisierte den Unterschied zur kolonialpolitischen Taktik Puttkamers. Puttkamer hatte im Juni 1888 als Interimistischer Kommissar die Gebiete bis zum Togogebirge, mit deren Häuptlingen Protektoratsverträge abgeschlossen waren, selbst in Augenschein genommen. Da er aus Mangel an Machtmitteln nicht direkt gegen den britischen Einfluß in jenen Gebieten vorgehen konnte, ermächtigte er die Häuptlinge, „Straßenräuber" auf der Stelle zu töten. Nachdem Puttkamer nach Lagos beordert worden war, bereiste von Zimmerer dieselben Gebiete. Zimmerer setzte die Politik Puttkamers nicht fort. Er griff selbst fünf angebliche Straßenräuber auf und nahm aus Atigbe zwei Häuptlinge mit, die auf dem Weg bis zur Küste zu Tode geprügelt wurden. Die Bevölkerung von Atigbe sperrte daraufhin den Handel mit Lome. Die Empörung über die Untat breitete sich auch unter den Afrikanern in Lome aus. Der Rückgang des Handels in Lome und die Furcht vor Unruhen veranlaßten die deutschen Handelsagenten und die Mutterfirmen in Deutschland zur Beschwerde. (115) Eine Beruhigung der Bevölkerung trat nicht ein, selbst dann nicht, als Zimmerer Togo wieder verlassen hatte und zum Gouverneur von Kamerun ernannt worden war. Zimmerer verwahrte sich energisch gegen „dergleichen Unverschämtheiten der Faktoristen"; die beiden Toten seien Gauner und Schurken gewesen, denen man das Fell habe gerben lassen. (116) Puttkamer, inzwischen nach Togo zurückgekehrt, deckte seinen ehemaligen Chef natürlich gegen die Anschuldigungen und erklärte in einem Schreiben an die Kolonialabteilung, daß die Häuptlinge bei „etwas rauher Behandlung" wegen Fluchtversuchs „trotz aller angewandten Sorgfalt gestorben seien". (117) Daß Puttkamer wider besseres Wissen schrieb, geht aus einem Privatbrief an den Chef der neuen Station Misahöhe, Leutnant Herold, hervor, der die Bevölkerung in Atigbe beruhigen sollte: „Vergessen Sie beim Palaver nicht, daß jene beiden Häuptlinge von uns (d. h. Zimmerer) widerrechtlich abgeschlachtet sind . . . werden die Atigbe bösartig, so bitte denselben auf jede mögliche Weise den Garaus zu machen, vielleicht mit Gide-Gide und dem König von Agu, dann aber auch rücksichtslos und den die Exekution vollstreckenden Eingeborenen freie Hand lassen, z. B. mit Gefangenen und dergleichen." (118) Hier verfolgte Puttkamer also wieder seine alte Linie, möglichst die Afrikaner gegeneinander aufzuhetzen. Nach seiner Expedition ins nordwestliche Hinterland, die ihm die Grenzen seiner Macht ausdrücklich vor Augen geführt hatte, zog sich Zimmerer in den 8*

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durch die Schiffskanonen gesicherten Küstenbereich zurück und veranlaßte nur noch eine Maßnahme, die von weitreichender politischer Bedeutung war. Die Empörung der Bevölkerung von Lome in Zusammenhang mit dem Mord an den Atigbehäuptlingen hatte gezeigt, daß die Administration etwas in Lome tun mußte. Also stationierte er im Mai 1889 den Zollassistenten Richard Küas als ersten deutschen Beamten in Lome. Was Küas aber konkret tun sollte, wußte Zimmerer allerdings nicht. (119) Wenn sich Zimmerer in die territoriale Abgeschiedenheit des Kaiserlichen Kommissariats in den Campus nach Sebe jenseits der Lagune zurückzog, so ist das nicht nur charakteristisch für seine kurze Amtsperiode. Der Sitz der Verwaltung in Sebe ist auch symbolisch für die deutsche Administration im ersten Jahrzehnt der deutschen Herrschaft. Hier in Sebe wohnte die gesamte zentrale Administration, die aus dem Kaiserlichen Kommissar (und später seinem Vertreter), dem Sekretär (und später seinem Vertreter), einem Polizeimeister und einem Zollverwalter bestand. Hier stationierte man die kleine Söldnerabteilung, die „Polizeitruppe", hier befand sich der Schießplatz, und seit 1891 wurden hier auch einige Versuchspflanzungen angelegt. Ob und wie die Beamten die Söldner oder ihr Dienstpersonal prügelten und drangsalierten, registrierte die afrikanische Bevölkerung in den Küstenorten zwar aufmerksam, aber das berührte sie noch nicht, denn die Administration konnte noch keine Arbeitsleistungen erpressen oder Steuern erheben. Auch Puttkamer residierte bis zum Ende seiner Amtsperiode im Dezember 1894 in Sebe. Aber er war bereits auf Lome orientiert und bereitete — wie auch auf anderen Gebieten — beharrlich die Kurskorrektur der deutschen Kolonialpolitik (in diesem Fall die Übersiedlung der Kolonialadministration nach Lome) vor. Puttkamer erstrebte einen tatsächlichen kolonialen Einfluß auf allen Gebieten. Fragen der militärischen und politischen Macht hatten dabei den Vorrang, aber Ökonomie, Bildung und Missionen wurden von seinen Anschauungen und seiner praktischen Politik ebenfalls wesentlich geprägt. Einen Eckpfeiler der systematischen Kolonialherrschaft bildete die koloniale Finanzwirtschaft, der um so größere Aufmerksamkeit gebührt, weil man sie vorrangig zur Herausstellung Togos als „Musterkolonie" heranzog. Die Finanzwirtschaft war im deutschen Kolonialsystem insgesamt ein neuralgischer Punkt, da die Bilanzen dem Reichstag vorgelegt werden mußten und Reichszuschüsse von der Bewilligung des Parlaments abhängig waren. Gerade an die Finanzdiskussionen knüpften die Parteien im Reichstag grundsätzliche Debatten zur Kolonialpolitik. Folglich lag es im Interesse der Reichsregierung und auch der Administration in den Kolonien, den Etat so günstig wie möglich darzustellen, d. h. die Bilanzen zu manipulieren. Zweifellos war es günstig für die deutsche Kolonialpolitik gegenüber Togo, daß erst auf Grund des Gesetzes vom 30. März 1892 die Etats der Schutzgebiete vor dem Reichstag dargelegt werden mußten. Wie die nachfolgende Tabelle ausweist, hatten bereits in der Ära Bismarck bestimmte Praktiken zur Verschleierung von Ausgaben begonnen. 92

Untersucht man die koloniale Finanzwirtschaft bezüglich Togo, so sind zwei Ebenen zu beachten: die der Reichsregierung und die der Administration in Togo. Auf beiden manipulierte man die Finanzen, selbstverständlich bei strikter rechnerischer Kontrolle der Finanzwirtschaft der Kolonie, die manchmal bis zum Disput über Pfennigbeträge führte (mit dem Etatjahr 1909 übernahm der Rechnungshof des Deutschen Reiches die Finanzkontrolle). Auf Reichsebene erfolgten Manipulationen aus politischen Motiven, und man bediente sich dabei hauptsächlich der Methode, Kolonialbelange aus anderen Fonds zu finanzieren. So wurde der wichtigste Beamte in der Kolonie, der Gouverneur (Kaiserlicher Kommissar, Landeshauptmann), als Reichsbeamter bis 1896/97 nicht aus dem Fonds der Kolonie bezahlt. Die Eroberung des Hinterlandes und die Anlage und Unterhaltung von Stationen wurden — wie bereits erwähnt — aus dem für wissenschaftliche Zwecke vorgesehenen „Afrikafonds" und erst ab 1904 aus dem Etat der Kolonie finanziert. Die Reichspost zahlte aus ihrem Fonds zusätzliche Summen (1893/94 10178 M, 1895/96 36661 M) für deutsche Post- und Telegraphenangestellte in Togo sowie den Betrieb der Anlagen. Unschwer läßt die nachfolgende Statistik erkennen, daß außer im Rechnungsjahr 1892/93 selbst die offiziell ausgewiesenen Bilanzen der Ein- und Ausgaben kein positives Bild zeigten und ein Nachweis der Finanzierung der Beamtenbesoldung sowie der Summen, die aus dem „Afrikafonds" stammten, die offiziell ausgewiesenen Ausgaben sofort um 50 oder 100 Prozent hätten ansteigen lassen. In den folgenden Jahren nahm die Verschleierung über den „Afrikafonds" noch groteskere Formen an. Der Etat für das Rechnungsjahr 1899 wies le-

Etatjahr

Ausgaben

1885/86 1886/87 1887/88 1888/89 1889/90 1890/91 1891/92 1892/93 1893/94 1894/95

48305 85132 118195 107267 123300 129400 167400 204400 245400 410200

Einnahmen



1006 46300 97701 94400 96000 146272 222196 225108 379557

Reichszuschüsse

Besoldung Reichsbeamten

48305 84124 71895 9565

21500 21000 27377 29100 29500 29500 29500 29500 29500 29500

Afrikafonds

43855 50347 28848 71379 59412 88000 96500 115400

(Zusammengestellt nach den offiziellen Materialien für Reichsbehörden, ZStA, RKA 7230-7243) 93

diglich elf Planstellen der Administration aus — vom Gouverneur bis zum Materialverwalter. Nicht einer der Deutschen, die sich auf den damals fünf Stationen im Landesinnern aufhielten oder mit Expeditionen herumzogen, ist hier erfaßt. Aus der Sicht kolonialer „Statistiker" beschränkte sich die Kolonialverwaltung auf die Küste und die Präsenz der Deutschen in der Söldnertruppe weiterhin auf einen Polizeimeister! (120) Reduzierte die Reichsregierung auf diese Weise aus politischen Gründen die im Kolonialetat auszuweisenden Angaben, so erfolgten verdeckte Unterstützungen auch bei einzelnen Gelegenheiten. Waffen, Munition und Ausrüstungsgegenstände wurden der Söldnerarmee aus Heeresbeständen zu besonders billigen Preisen zur Verfügung gestellt, und man finanzierte später die Kommissionen zur Festlegung und Markierung der Grenzen der Kolonie. (Solche „Entlastungen" bezogen sich keineswegs nur auf die „Musterkolonie", sondern galten auch für andere deutsche Kolonien.) Die zweite Ebene der Manipulierung der kolonialen Finanzen lag bei der Administration in Togo. Sie manipulierte, nicht nur um sich und die „Musterkolonie" in ein günstiges Licht zu setzen, sondern vor allem aus praktischen Gründen, um Geld für ihre Projekte zu erhalten. Die von der Administration nach Berlin an das Auswärtige Amt geschickten Unterlagen ermöglichen, da die Administration ihre Machenschaften zu vertuschen suchte, keinen Überblick über das gesamte Ausmaß der Manipulierung. Sie enthalten jedoch genügend Hinweise darauf, daß man sich dabei vor allem der Finanzierung aus anderen als den ausgewiesenen Fonds, des Vorgriffs auf die •Etats der kommenden Jahre und der Anlage von „schwarzen", d. h. nicht erlaubten Fonds bediente. Die Administration erarbeitete einen Kolonialetat als vorläufige Richtschnur, dann erfolgte eine vorläufige Abrechnung und schließlich eine Endabrechnung. Mittel, die für künftige Jahre geplant waren, wurden schon zuvor ausgegeben (ein eklatantes Beispiel dafür ist der Bau des Gouverneurspalastes in Lome um die Jahrhundertwende). So ließ sich einige Jahre ohne Reichszuschuß arbeiten, bis entweder durch einen Zuschuß Finanzierungslükken ausgleichbar waren oder Vorausgaben sich durch Umsetzung im Kolonialetat begleichen ließen. Als Puttkamer Ende 1894 als Gouverneur nach Kamerun versetzt wurde, hatte in Togo sein Nachfolger Köhler, nach dem Urteil der „Frankfurter Zeitung", jahrelang zu tun, „um die haltlose Wirtschaft, besonders die Verworrenheit der Finanzen, auf einen normalen Stand zu bringen" (121). Auch die Führung „schwarzer Fonds" ist nachzuweisen, z. B. an Hand von Tagebuchaufzeichnungen eines Stationschefs in Mangu. Inwieweit solche Fonds der persönlichen Bereicherung gedient haben, erscheint dabei nicht als das Hauptproblem, obwohl auch das nachweisbar ist. Da aber die Mehrzahl der in der Administration in Togo tätigen Deutschen die koloniale Tätigkeit als Lebensziel — und nicht zur kurzfristigen Bereicherung ansah — sollten 94

„schwarze Fonds" mehr dem System der Kolonialadministration (z. B. einer Station) dienen. Insgesamt ist einzuschätzen, daß nicht etwa nach anfänglichem Experimentieren eine überschau- und kontrollierbare Finanzwirtschaft folgte, sondern daß von Anfang an systematisch die Gesamtfinanzierung der Kolonie in der Metropole wie in Togo selbst verschleiert und manipuliert wurde. Als nach 1895 die tatsächliche Kolonialherrschaft errichtet wurde, ergaben sich für die Manipulierung unerschöpfliche Ausdehnungsmöglichkeiten, da jetzt die Gelegenheit bestand, durch Erpressung von unbezahlten Arbeitsleistungen und von „Abgaben" Ausgaben zu reduzieren und Einnahmen zu erhöhen.

6.1. Der Aufbau der militärischen

Macht

Im ersten Jahrzehnt stützte sich die deutsche Kolonialherrschaft machtpolitisch auf Kriegsschiffe mit ihren weitreichenden Geschützen und den Marinesoldaten. Bis zum Ende der deutschen Kolonialära war die Kriegsmarine mit ihren regelmäßigen Besuchen ein fester Bestandteil im Kalkül der Administration in Togo. (122) Das traf natürlich besonders für das erste Jahrzehnt zu, als der Kolonialadministration kaum andere Machtmittel zur Verfügung standen. In dieser Zeit gewährleistete die Kriegsmarine die Aufrechterhaltung der Kolonialherrschaft insgesamt und hatte auch wesentlichen Einfluß auf deren Funktionsfähigkeit. So berichtete z. B. der Kommandant des Kreuzers „Habicht" am 5. Oktober 1892: „In Klein Popo versicherte mir der Kommissar, daß die letzte Anwesenheit des Kreuzers vor Klein Popo für die Kolonie von besonderm Wert gewesen sei, da kleinere ausgebrochene Streitigkeiten im Gebiet nach Anwesenheit des Kriegsschiffes sofort zur Zufriedenheit hatten gelöst werden können." (123) Und Puttkamer beschwerte sich am 31. Juli 1894 in einem Schreiben an Reichskanzler Caprivi, daß seit einem Jahr kein deutsches Kriegsschiff die Kolonie angelaufen habe: „Der Administration wird ihre schwierige Aufgabe durch öfteres Erscheinen von Kriegsschiffen wesentlich erleichtert. Die Bevölkerung muß wissen, daß der Küstensaum im Machtbereich allzeit bereiter Kanonen liegt, dann wird der moralische Eindruck fast durchweg genügen, um die Notwendigkeit ernsten Eingreifens zu verhüten." (124) Seinen Untergebenen gegenüber befleißigte sich Puttkamer allerdings einer drastischeren Ausdrucksweise. So berichtete Küas, der Amtsvorsteher von Lome, in seinen Memoiren, daß Puttkamer ihm auf vorgetragene Schwierigkeiten mit der Bevölkerung von Be antwortete: „Na, die Kerls sind doch leicht vom Kriegsschiff zu erreichen. Dann lassen 95

wir mal eins von Kamerun rüberkommen und ein Dutzend Granaten reinschmeißen.' ,Und dann . . .?' frage ich. Puttkamer sieht mich erstaunt an. ,Dann?? Dann werden sie still sein'." (125) Daß aber letztlich eine Kolonialherrschaft nur mit allzeit bereiten Söldnern und nicht einem zufallig vorbeikommenden Kriegsschiff dauerhaft etabliert werden konnte, war der Administration in Togo wie auch den Kolonialisten in der Metropole selbstverständlich bewußt. Deshalb war der zweite deutsche Kolonialbeamte, den man dem Kaiserlichen Kommissar Falkenthal mitgab, ein Militär, Unteroffizier Bilke. Man wollte nach dem Vorbild anderer Kolonialmächte eine Truppe afrikanischer Söldner unter deutschem Kommando aufbauen. Da aber die wirtschaftliche Ausbeutung auch ohne Existenz von Söldnern funktionierte, die Grenzen der Kolonie mehr durch diplomatische Verhandlungen in Europa als durch Söldner in Togo gesichert werden konnten, glaubte man mit wenigen Söldnern den persönlichen Schutz der zwei Dutzend Kolonialdeutschen in Togo sichern zu können und bewilligte — auch aus Sparsamkeitserwägungen — nur zwölf Söldner für eine „Polizeitruppe". Die Administration behielt diese Bezeichnung — im Gegensatz zur „Schutztruppe" in anderen deutschen Kolonien in Afrika — bis 1914 bei. Die koloniale und neokoloniale Propaganda hat, von dem Wort „Polizeitruppe" ausgehend, die Aufgaben dieser Kolonialarmee heruntergespielt. Sie appellierte dabei an die idealistische Vorstellung, derzufolge die Polizei Ordnungsmacht eines vorgeblich klassenindifferenten Staates ist. Bewies schon in jener Zeit in Deutschland die Polizei, wie einseitig sie die Interessen der herrschenden Klassen wahrte, so führten zahlreiche Kolonialarmeen praktisch vor Augen, daß die gewaltsame Beherrschung der unterjochten Bevölkerung ihre vorrangige Aufgabe war. Karl Marx hatte zu jener Zeit bereits nachgewiesen, daß diese Polizeifunktion die Hauptaufgabe einer jeden kolonialen Söldnertruppe ist. (126) Falkenthal und Zimmerer wußten, daß die Söldner nicht nur ihrem persönlichen Schutz dienen sollten, sondern auch der Einmischung in Angelegenheiten der Afrikaner. Aber sie hatten keine tragfahigen langfristigen Vorstellungen, wie unter den politischen und gesellschaftlichen Bedingungen an der Togoküste eine schlagkräftige Einheit aufgebaut werden sollte, die ihrer objektiven Hauptaufgabe nachkommen konnte. Dagegen wußten die Afrikaner von Anfang an, was die Aufstellung einer Söldnertruppe — gleich unter welchem Namen — bezweckte. Falkenthal mußte in einem Bericht im September 1885 eingestehen, die Togobevölkerung werde „die Anwerbung von Soldaten zu verhindern suchen, deshalb kann dieselbe nur in Gegenwart eines deutschen Kriegsschiffes vorgenommen werden" (127). Falkenthal wollte — entsprechend dem Vorbild der Briten in der Goldküstenkolonie — „Hausasoldaten", d. h. Angehörige vom Islam beeinflußter Ethnien im Innern Westafrikas, anwerben. Weil er aber diese nicht direkt aus dem Landesinnern beschaffen konnte, vermittelte der von den deutschen Kolonialisten so geschmähte britische District Commissioner Firminger zwölf Hausa. 96

(128) Mit diesen Söldnern wurde am 30. November 1885 die „Polizeitruppe" offiziell gegründet. Da Unteroffizier Bilke inzwischen verstorben war, übernahm Falkenthal die Ausbildung, bis im Juni 1886 der neue Polizeimeister, Feldwebel von Piotrowski, eintraf. Piotrowski galt als ein Vorbild preußischen Kasernendrills. Obwohl an der Togoküste und bei den Hausasoldaten Englisch die Kommunikationssprache zwischen Deutschen und Afrikanern war, beschränkten sich Piotrowskis Sprachkenntnisse — nach dem Urteil eines anderen deutschen Koloniebeamten (129) — selbst nach Jahren auf „Twenty five". Es war auch kein Wunder, daß ihn die Afrikaner bald „Soso" nannten. Deutsche Besucher fanden diesen Namen zwar lustig, aber sie wußten nicht, daß die Übersetzung hieß: „Der, der viel haut". So wurden die afrikanischen Söldner schon frühzeitig mit den typischen Begleiterscheinungen deutscher Herrschaft, den berühmtberüchtigten 25 Hieben mit dem Tauende, bekanntgemacht (daß Piotrowski am 28. April 1894 im Delirium tremens starb, war eine Folge des typischen unmäßigen Alkoholkonsums der meisten Kolonialdeutschen). Die Anwerbung von Hausa, die in der britischen Kolonialarmee gedient hatten, erwies sich als ein Fehlschlag. Sie verglichen fortwährend den preußischen Drill und offenen Rassismus mit der ihnen humaner erscheinenden Behandlung der Briten. Mehrere desertierten. Ferner hatte „das Engagement von Hausa die deutschfreundliche Gesinnung der Nachbarvölker sehr gemindert" (130). Falkenthal und später auch Zimmerer warben nunmehr Afrikaner aus Klein Popo und Umgebung an. Jedoch konnte eine solche „Polizeitruppe" nicht gegen die eigenen Landsleute eingesetzt werden. Zwar vergrößerte die Administration die Einheit bis 1889 auf 35 Mann; sie war jedoch, wie Zimmerer in einem Bericht an Bismarck einschätzte, „in der Hauptsache mehr zum Staate als zu irgendeinem praktischen Zwecke da" (131). Eine Neuorientierung hatte Puttkamer bereits 1887 vorgeschlagen, indem er von dem Gedanken ausging : „Der Schwarze hat keinen Respekt vor einem noch so schön als Polizist frisierten Krujungen." (132) Doch Zimmerer richtete sich nicht danach. Als Puttkamer 1890 nunmehr auch offiziell die Führung der Kolonie übernahm, ging er an die Verwirklichung seiner Vorstellungen. Mit einer nicht zu überhörenden Genugtuung gegenüber der Politik seiner Vorgänger bezüglich der Polizeitruppe schrieb er 1890: „Daß dieses Experiment mißglücken würde, war vorauszusehen"; die Soldaten waren „im höchsten Grade unzuverlässig, . . . nicht einmal im Frieden sind sie als Soldaten zu brauchen, geschweige denn bei ernsteren Affairen. Die letzten sind daher dieser Tage entlassen worden." (133) Puttkamer wechselte als erstes die ethnische Zusammensetzung der Söldnertruppe. Er rekrutierte die Soldaten nicht mehr aus der örtlichen Bevölkerung, sondern wieder aus den vom Islam beeinflußten Stämmen im Landesinnern, weil sich diese auf Grund ihres Glaubens von der anderen afrikanischen Bevölkerung unterschieden. Der Kommandant des Kriegsschiffes „Hyäne", der 1890 bei einem Besuch in Togo die neue, 30 Mann umfassende Hausatruppe vorge97

führt bekam, schrieb in seinem Bericht offenbar das nieder, was ihm die Kolonialbeamten dazu gesagt hatten: „Die Eingeborenen wissend, daß die Hausa, sobald sie einmal Blut gesehen, alles, selbst Weiber und Kinder töten und keine Schonung kennen, haben einen großen Respekt vor dieser Truppe." (134) Auch Puttkamer hatte bereits 1888 auf dieses Problem hingewiesen: „Als Polizeidiener sind sie ganz gut verwendbar . . . Sie müssen stets im Dienste und unter strammer Führung stehen, da sie sonst verwildern und, sich selbst überlassen, zu Ausschreitungen neigen." (135) Puttkamer übernahm auch keine Rekruten mehr aus britischem Kolonialdienst. Er „bestellte" Rekruten aus Salaga, d. h. er kaufte Sklaven, die er dann nach seinen oben dargelegten Auffassungen — wie Hausasoldaten zu sein hatten — ausbilden ließ. Er untersagte den Soldaten zu arbeiten; sie hatten nur Soldaten zu sein. Sie-erhielten mit einer Löhnung von 0,75 M je Tag einen um die Hälfte höheren Lohn als ein Arbeiter (0,50 M), und zwar auch an Sonntagen. Mit preußischem Reglement, Flüchen und den 25 Hieben eines Piotrowski wurden sie so gedrillt, bis das für eine Söldnereinheit typische Ziel erreicht war: Bedingungsloser Gehorsam und Härte in der Ausbildung, Vermittlung eines Elitebewußtseins, damit die Söldner im Einsatz willig waren, die eingedrillte Rücksichtslosigkeit gegenüber der Bevölkerung anzuwenden. Für diesen Kampf erhielten sie Instruktionen, „aber mit der Erlaubnis, nach ihrer Weise zu fechten... ein System, welches sich sehr gut bewährt und im Ernstfall sehr gute Dienste leisten wird" (136). Mit dieser Argumentation sicherte sich die Kolonialadministration in zweifacher V/eise ab: Sie war einverstanden, daß sich die Söldner durch Raub bereicherten oder durch Vergewaltigungen und Morde die Härte der Ausbildung kompensierten, und sie sprach sich selbst von den Folgen der Übergriffe ihrer Soldateska frei. Diese Konzeption für die Söldnertruppe veranlaßte viele zu desertieren, und manche erwiesen sich auch als unbrauchbar und wurden entlassen. Zurück blieb in der allmählich wachsenden Truppe von 30 bis 50 Soldaten ein Kern von Söldnern, absolut abhängig von der Kolonialadministration. Die Hausatruppe war im ersten Jahrzehnt der deutschen Kolonialherrschaft in der Lage, kleinere Aktionen, wie die Aushebung von „Raubnestern", durchzuführen. So marschierte am 18./19. April 1891 Piotrowski mit 45 Söldnern nach dem etwa 30 km entfernten Grenzort Dokbodewe jenseits des Monu (1897 an die französische Kolonie Dahome abgetreten). Der Ort wurde gestürmt und verbrannt. Aber die Verteidiger nutzten den dichten Busch zu geschickten Gegenangriffen, töteten einen Söldner und verletzten einige. Bereits am 22. April zogen sich die Söldner zurück. Puttkamer — und später Trierenberg (137) — lobten diese „Feuertaufe" der reorganisierten „Polizeitruppe". Aber der wirkliche machtmäßige Einfluß der Administration wird durch ein Ereignis im folgenden Jahr erhellt. Als 1892 in dem vier Marschstunden von Sebe entfernten WoKutime ein „Menschenraub" erfolgte und Puttkamer die Auslieferung des 98

Täters verlangte, ließ ihm der Häuptling sagen: „. . . den Mann möchte ich mir selbst holen, wenn ich Lust hätte". Puttkamer sah sich außerstande, die „einfache Verhöhnung obrigkeitlicher Autorität . . . mit Machtmitteln zu beantworten." (138) Wenn im ersten Jahrzehnt die Söldnertruppe auf mehr repräsentative Funktionen beschränkt war, so lag das auch an den restriktiven Anweisungen der Kolonialabteilung in der Ära Caprivi. In Berlin wußte man natürlich auch aus den Erfahrungen der anderen deutschen Kolonien, daß eine effektive Söldnertruppe, existierte sie erst einmal, auch eingesetzt würde. Deshalb wurden mehrfach Bewilligungen für die Kolonialtruppe mit dem Hinweis verbunden: „Konflikte mit benachbarten Stämmen, welche das Reich militärisch engagieren könnten, sind vielmehr unter allen Umständen zu vermeiden." (139) Die Vorstöße ins Landesinnere und die Anlage der Stationen Bismarckburg und später Misahöhe offenbarten ein Problem, das Puttkamer 1893 folgendermaßen charakterisierte: „Mit bloßer moralischer A u t o r i t ä t . . . ist es wirklich hierzulande auf die Dauer nicht möglich, die Bevölkerung in Ruhe und Gehorsam zu halten . . . Ich halte daher die Ausgaben für eine ausreichende Polizeitruppe, die im Stande ist, militärische Aktionen auszuführen, für eine der produktivsten Anlagen, die eine junge Kolonie machen kann." (140) Puttkamer hatte in aller Konsequenz und ohne größeres Aufsehen systematisch in den Jahren von 1890 bis 1894 die Söldnertruppe ausgebaut, so daß sie im Juli 1894 80 Afrikaner umfaßte, und zwar 2 Unteroffiziere — Mollu (Hausa) und David (Anago) —, 5 Gefreite — Tekowie (Porto Seguro), Issa und Nomo (beide Anago) sowie Audu und Felli (beide Hausa) — und 73 Soldaten aus Hausaländern, aus Dagomba, Anago, Yoruba und Dahome. In dem 35 Seiten langen Bericht vom 17. Juli 1894 über die Söldnertruppe spricht die unverhohlene Genugtuung Puttkamers über das Erreichte. (141) Er ging davon aus, daß eine richtige Führung und Behandlung für jede Söldnertruppe der Welt gelte. Demzufolge hatte er ein Löhnungssystem von 1 M je Tag für den Gemeinen, 1,25 M für den Gefreiten und 1,50 M für den Unteroffizier eingerichtet und vierteljährliche Alterszulagen von 5 M ab dem 5. Dienstjahr festgelegt. Auf dem Marsch gab es 0,25 M Verpflegungszuschuß. Puttkamer kombinierte „eiserne strenge Disziplin mit Eingehen auf Rassen- und persönliche Eigentümlichkeiten und Achtung der Religion. Eine irgendwie verächtliche Behandlung, zu der leider deutsche Führer nicht selten zu neigen scheinen, verträgt kein schwarzer Soldat, keine schwarze Truppe. Die Leute müssen mit ganz besonderer Liebe behandelt und in ihrem Stand als Soldaten gehoben werden, sie müssen sich als etwas Besseres fühlen als die übrige schwarze Bevölkerung, das Gefühl für eine gewisse Standesehre ist ihnen leicht beizubringen." (142) Puttkamer forderte zwar, die Mannschaftsstärke der Truppe auf 300 Söldner, geführt von drei deutschen Offizieren und fünf bis sechs deutschen Unteroffizieren, zu erhöhen — was später bis zur Jahrhundertwende auch geschah. 99

Aber ohne den von Puttkamer geschaffenen Kern der Söldnertruppe, deren älteste Soldaten bereits sechs Jahre dienten, hätten nach 1894/95 weder so rasch das Hinterland erobert noch die tatsächliche Herrschaft in ganz Togo errichtet werden können. Baute die Administration einerseits ihre militärische Schlagkraft planmäßig auf, so vergaß sie gleichzeitig nicht, die Verteidigungsfähigkeit der afrikanischen Bevölkerung zu schwächen. Bereits am 14. September 1890 verbot Puttkamer den Verkauf von Hinterladern und der dazugehörigen Munition. Das geschah somit zwei Jahre vor dem Inkrafttreten der am 16. September 1892 auf der Brüsseler Antisklavereikonferenz von 1890 gefaßten entsprechenden Beschlüsse der Kolonialmächte. Langfristig schufen so die Kolonialmächte in Kumpanei und jede für sich allein jenes militärische Ungleichgewicht, das wenige Jahre später die Grundlage für die endgültige Aufteilung Afrikas und die Errichtung der tatsächlichen Kolonialherrschaft werden sollte. (Zur weiteren Verfolgung der Problematik dieses Abschnitts siehe S. 277ff.)

6.2. Die Anfänge der regionalen

Kolonialadministration

Das Puttkamersche Verwaltungsschema war simpel und praktisch eine Übertragung der preußischen Verwaltungsstruktur auf koloniale Verhältnisse: 1. An der Spitze der Kolonie stand der vom Kaiser ernannte Kaiserliche Kommissar, Landeshauptmann bzw. (seit kaiserlichem Erlaß vom 18. April 1898) Gouverneur, dessen Funktion in der Kolonie sich mit den wechselnden Titeln in keiner Weise änderte. Er vereinigte die politisch-administrative, die militärische und die richterliche Gewalt in seiner Hand und glich somit einem absoluten Monarchen in einem kolonialen Königreich. 2. In der Kolonie wurden einige wenige Stationen errichtet als künftige Verwaltungszentren eines „Bezirks". Den Leitern dieser Stationen bzw. Bezirke übertrug der Gouverneur — mit geringen Einschränkungen — die gleichen Rechte. Auch sie fühlten sich demzufolge in ihrer Herrschaft über Tausende oder gar Hunderttausende Afrikaner als absolute Könige. Dieses einfache Schema konnte Puttkamer erst in jahrelanger Kleinarbeit durchsetzen, denn die Position des Gouverneurs war sowohl von oben, d. h. von der Zentrale in Berlin, als auch von unten, d. h. von den kleinen deutschen „Kolonialkönigen", zuerst umstritten. Wichtigste Entscheidungen, wie die Entsendung der „wissenschaftlichen Forschungsexpeditionen" ins Landesinnere, waren von der Zentrale nicht nur ohne Konsultation des Gouverneurs, sondern auch, wie die Anlage der Station Bismarckburg, gegen seine Meinung getroffen worden. Diese Entscheidungen konnten nur langsam korrigiert werden. Auch die von der Zentrale eingesetzten Stationschefs stellten die führende Position des Gouverneurs in Frage, wie die tiefgehenden Auseinandersetzungen Puttkamers 100

mit dem ersten Stationschef der Station Misahöhe, Premierleutnant Herold, zeigten. Für die regionale Verwaltung auf Stationen und in Bezirken wurden Kader gebraucht, geh'orsam gegenüber den Anweisungen des Gouverneurs, aber in ihrem Bereich selbständig und eigenverantwortlich handelnd. Es sollten Personen sein, die ihren persönlichen Vorteil in die langfristige Perspektive als Kolonialbeamter bis zum Pensionsalter einbetteten und die vor allem eine ihren realen Machtmitteln angepaßte Politik zu treiben bereit waren. Unter den in Togo anwesenden Kolonialisten unterschiedlichsten Typs fand Puttkamer einige vor, die seinen Vorstellungen entsprachen bzw. die seine Vorstellungen mitgeprägt haben. Zu ihnen gehörten der Zollverwalter Boeder und der Zollassistent Richard Küas (1861 — 1943), die in dem künftigen kolonialen Bereich ihr Lebensziel sahen und bereit waren, sich ihr koloniales Reich langfristig aufzubauen (beide holte Puttkamer 1895 nach Kamerun als Bezirksamtmänner). Küas war von 1889 bis 1895 Amtsvorsteher von Lome, dem ersten selbständigen Verwaltungsdistrikt in Togo außerhalb des Kommissariats in Sebe. Auch für die Station Bismarckburg lancierte Puttkamer mit Hans Georg von Doering (143) (geb. 1866, seit Mai 1893 in der Kolonie) und für die Station Misahöhe mit Dr. phil. Hans Gruner (1865—1941, seit Juni 1892 in der Kolonie), zwei ihm genehme Personen auf die entscheidenden Positionen der beiden Inlandstationen. Doering und Gruner verblieben bis 1914 als Bezirksamtmänner bzw. Doering zuletzt als Stellvertretender Gouverneur in Togo. Der Stationschef für die dritte zu errichtende Inlandstation, Julius Graf von Zech (1868—1914), der spätere Gouverneur von Togo, traf — Puttkamer war im Dezember 1894 als Gouverneur nach Kamerun versetzt worden — im April 1895 in Togo ein. Andere namhafte Beamte kamen in den nächsten Jahren im Zuge der Eroberung des Hinterlandes in die Kolonie und wurden von ihren dienstälteren Kollegen Doering, Gruner und Zech mit den Kolonialprinzipien Puttkamers vertraut gemacht. Puttkamer brauchte für sein Verwaltungsschema dem Gouverneur ergebene Personen, und das waren nicht unbedingt und nicht erstrangig aktive Offiziere. Oft entsprachen Männer aus anderen Berufskategorien — die, sofern sie eine akademische Ausbildung absolviert hatten, als Reserveoffiziere ohnehin über die nötige militärische Ausbildung verfügten — besser den Anforderungen der Kolonialadministration. Außerdem bestand in Preußen-Deutschland die Tradition, „daß aktive Offiziere einem rein zivilen Landeschef nicht direkt untergeben sein können". Puttkamer setzte sich dafür ein, daß diese „daheim berechtigte" Tradition in den Kolonien gebrochen werden müsse, weil sich sonst ein schädigender Dualismus in der Kolonie ergebe (Puttkamer hatte da seine Auseinandersetzungen mit dem ersten Stationschef von Misahöhe, Premierleutnant Herold, als warnendes Beispiel vor Augen), zumal die Offiziere vor allem Kriegsruhm und Orden mit dem Schwert erobern wollten. (144) Die entsandten Offiziere wurden deshalb in Togo für die Zeit ihres Kolonial101

dienstes (ohne daß sie Militärränge und Beförderungen verloren hätten) Zivilangestellte der Administration und somit den Nichtmilitärs gleichgestellt. Gleichzeitig gab Puttkamer jedem dieser Stationschefs bzw. Bezirksamtmännern die Befehlsgewalt über die „Polizeitruppe" seines Bezirks, denn der Leiter der Lokalpolitik müßte ein „allzeit geschliffenes Schwert" bereithalten, „mit dem im Bedarfsfall unverzüglich und nachdrücklich dreingeschlagen werden kann. Es wird ohnehin an solchen Gelegenheiten nicht fehlen". (145) Nun gab der preußische Militarismus auch nicht einem Puttkamer zuliebe grundlegende Prinzipien, wie die Selbständigkeit der Armee, auf. Aber einerseits war diese „Polizeitruppe" ohne selbständigen Leitungsapparat billiger als die in den anderen deutschen Kolonien in Afrika etablierte „Schutztruppe", und andererseits konnten militärische Aktionen als „Polizeiaktionen" kaschiert werden, ein für das Image der „Musterkolonie" ganz gewichtiges Argument. Die in den Dienst der Administration in Togo getretenen aktiven Offiziere wurden durch dieses System weder in ihrer Schießwütigkeit noch in ihren Befugnissen eingeschränkt. Waren sie zum Stationschef oder Bezirksleiter ernannt, erweiterte sich sogar ihr Machtbereich, und ihre Bindung an die Kolonie Togo intensivierte sich. Hierin unterschied sich die Situation in Togo von den anderen deutschen Kolonien in Afrika, wo zwar auch Militärs Verwaltungsfunktionen übernahmen, aber daneben Schutztruppenoffiziere je nach Bedarf in die verschiedensten Teile der Kolonien kommandiert wurden. Offensichtlich war der Offizier Doering an der Konzeption Puttkamers, eine Polizeitruppe anstelle einer Schutztruppe beizubehalten, maßgeblich beteiligt. In diesem kolonialen Verwaltungsschema, das erst um die Jahrhundertwende mit der territorialen Erfassung der gesamten Kolonie voll entfaltet war, gewann der Bezirksamtmann durch die Vereinigung von militärischer, ziviler und juristischer Gewalt immer mehr an Bedeutung auch in seiner Gewichtung gegenüber dem Gouverneur. (Zur weiteren Verfolgung dieser Problemarik siehe S. 272.) Der Gouverneur erließ nur die Richtlinien; praktische Verwirklichung war Angelegenheit des Bezirkschefs. Das entsprach auch dem Stil des Lebemannes Puttkamer, der das feine Leben der Kolonialisten voll genoß (und deshalb auch 1907 als Gouverneur von Kamerun abgelöst wurde). Im ersten Jahrzehnt war das koloniale Verwaltungsschema noch im Aufbau begriffen, weil in dem de jure deutschen Kolonialgebiet die Bevölkerung noch nicht militärisch unterworfen war und den Bezirkschefs die Machtmittel zur Ausübung einer tatsächlichen Herrschaft fehlten. Ein direkter kolonialer Einfluß war nur an einzelnen Orten, nicht aber auf die breite bäuerliche Bevölkerung gegeben. 1894 bestanden praktisch nur drei Verwaltungszentren: Sebe/Klein Popo, Lome und Misahöhe (Bismarckburg war als Europäerstation aufgegeben worden). Während das Kaiserliche Kommissariat in Sebe den Ort Klein Popo „mitverwaltete", bedeutete die Einsetzung eines deutschen Administrators in Lome im Mai 1889 die Errichtung der ersten selbständigen Verwaltungseinheit in der Togokolonie. Bemerkenswerterweise betraf diese Verwaltung einen städtischen Bereich, in dem 102

keine traditionelle Machtstruktur existierte. Während in Kamerun die deutschen Kolonialisten die afrikanischen Zwischenhändler der Duala sofort im Dezember 1884 mit militärischer Gewalt unterworfen hatten, mußte die Verwaltung in Lome bereits unter den Bedingungen der „Musterkolonie" aufgebaut werden. Der Kaiserliche Kommissar Zimmerer gab in Sebe dem Zollassistenten Küas die lakonischen Worte mit auf den Weg: „. . . eine militärische Macht haben wir nicht. . . schauens halt zu, daß Sie unbedingt in Frieden auskommen . . . Und nun gehen Sie hin und regieren Sie!" (146) In diesem abgesteckten Rahmen begann der 28jährige Küas, langfristig sein „Reich" aufzubauen. Ihm standen vier Polizeisoldaten zur Verfügung, damit hätte er die Stadt mittels direkter Administration kaum verwalten können. Er beabsichtigte auch nicht, sofort etwas mit Gewalt durchzusetzen, sondern versuchte durch indirekte Maßnahmen, die die Mehrheit der Bevölkerung nicht betrafen, die Entwicklung der Gesellschaftsstruktur und die räumliche Entwicklung des Ortes vorsichtig zu kanalisieren. (147) (Siehe Karte von Lome.) Wenn ein Kaufmann 1897 urteilte, daß die deutsche Administration nach siebenjährigem Wirken in Lome weiter nichts als eine Straßenregulierung zustande gebracht habe, so trifft das als Tatsache sicherlich zu (148). Aber das Straßensystem brachte einen demographisch-politischen Plan zum Ausdruck. Im Ort ließ Küas — er hätte es auch gar nicht anders tun können — die historisch entstandene Struktur bestehen, d. h. an der Küste befanden sich die europäischen Faktoreien und im unmittelbaren Anschluß daran das Afrikanerviertel. Von einer bewußt vorgenommenen Teilung Lomes in ein Europäer- und ein Afrikanerviertel kann zu Beginn der neunziger Jahre noch nicht die Rede sein. Nach einem Brand im Jahre 1890, der drei Viertel der Hütten des Ortes vernichtete, ließ Küas lediglich die Straßen verbreitern und die beiden Hauptausfallstraßen ins Landesinnere begradigen. Gleichzeitig wurde zu beiden Seiten des Ortes je eine Straße angelegt, die von der Küste genau in nördlicher Richtung bis zum Schnittpunkt mit den beiden Ausfallstraßen verliefen. So hatte er 1891 den Ort Lome praktisch in einem Geviert eingegrenzt. Aber die Begrenzung dieses Gevierts war so großzügig vorgenommen, daß vorerst darin genügend freier Siedlungsraum verblieb und so Komplikationen mit den afrikanischen Zwischenhändlern, die städtischen Grundbesitz erwarben und darauf Mietshütten errichteten, vermieden wurden. Alles Land westlich und nördlich der begrenzenden Straßen wurde zum Regierungsland erklärt, das heißt, die Administration ließ sich das Land von dem Häuptling von Amutive, Adjalle, schenken. Auf diesem Gebiet begann Küas auch außer einer Versuchspflanzung mit der Anlage der „Kokosnußplantage Lome". Hinter diesem anonymen Gesellschaftsnamen verbargen sich einige Kolonialbeamte. Küas respektierte jedoch auch anderen Plantagengrundbesitz, so u. a. die umfangreiche Kokosnußplantage von Olympio im Nordwesten des Ortes. Die afrikanische Händleroberschicht wurde somit in ihren wirtschaftlichen Aktivitäten noch wenig gehemmt. Sie regelte auch das soziale Leben in Lome; 103

man trug Streitigkeiten zur Schlichtung an Küas — zu dessen Überraschung — nicht heran. Küas vermied jedoch auch, durch Anerkennung oder Schaffung einer afrikanischen Selbstverwaltung der Handlungsfreiheit der Administration für die Zukunft Fesseln anzulegen. Um ein „afrikanisches Gegengewicht" in Lome zu schaffen, kooperierte Küas mit Häuptling Adjalle, dem Sohn des alten Häuptlings Derjey von Amutive, dem er Zollgelder übergab, damit er sich bei der kommenden Häuptlingswahl nach dem Tode Derjeys auch durchsetzen könne. Aber dieses Arrangement betraf niemals die innere Verwaltung von Lome. Über Zollgelder erreichte Küas auch, daß Adjalle Hauptwege ins Landesinnere mit Laterit befestigen ließ. Küas mischte sich dort ein, wo durch den Handelsverkehr Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Afrikanern herrschten, also zwischen Leuten aus verschiedenen Teilen des Landesinnern oder zwischen ihnen und der Stadtbevölkerung. Als Strafen verhängte er im Vergleich zu späterer Kettenhaft leichte Zwangsarbeit, meist einige Tage bzw. Wochen Straßenbau oder Plantagenarbeit. Insgesamt wurde aber der Bevölkerung von Lome zu Beginn der neunziger Jahre weder ein finanzieller noch ein Arbeitszwang auferlegt; Übergriffe gab es entsprechend der geringen Zahl von Europäern und Söldnern noch verhältnismäßig wenig. 1891 lebten in Lome in den 300 Häusern und Hütten des Ortes 1518 Afrikaner, davon 418 Kinder, im Februar 1896 war die Einwohnerzahl um mehr als ein Viertel auf 2084 gestiegen, davon 31 Europäer. Die Zahl der Häuser und Hütten hatte sich in der Zeit verdreifacht. Jetzt war innerhalb des abgesteckten Stadtgevierts der Grundbesitz vollkommen vergeben. Analysiert man den Afrikanern gehörenden städtischen Grundbesitz 1896, so entfielen auf 21 Familien 60 Prozent aller Grundstücke. Von diesen 21 Familien waren wiederum nur vier in den Jahren von 1891 bis 1895 zugezogen. Das zeigt, daß sich eine kleine afrikanische Oberschicht fest in Lome etabliert hatte. In welchem Maße die Stadt vom Handel lebte, veranschaulicht eine Angabe aus dem Jahr 1895, derzufolge es in Lome 58 Verkaufsstellen gab, d. h. auf jedem dritten Grundstück Lomes eine. Von diesen 58 Verkaufsstellen gehörten 36 den 10 in Lome etablierten ausländischen Firmen; 22 entfielen auf afrikanische Händler. Der Beginn der Kolonialadministration in Lome 1889 bedeutete somit keinen sofortigen Einschnitt oder gar eine Wende in der eigenständigen Entwicklung des Ortes; dazu war die Kolonialmacht militärisch zu schwach. Aber die Administration beanspruchte bereits die an die Stadt angrenzenden Territorien und begrenzte damit den Ausdehnungsbereich des städtischen Grundbesitzes erheblich. Am 3. März 1894 erließ Puttkamer eine Verordnung, in der er jede „neue Niederlassung" in Lome und Klein Popo sowie den Neubau aller Gebäude anmeldungspflichtig machte und Zuwiderhandlungen mit Geldstrafen bis zu 500 M belegte. (149) Wenn auch die Kolonialverwaltung in Lome in den ersten Jahren kaum wirksam wurde, so waren doch die Weichen für die Zukunft gestellt: das Gouvernement aus seiner Abgeschiedenheit in Sebe in das tatsächliche Zentrum der Kolonie zu holen und — wenn die Zeit der Errichtung der 104

tatsächlichen Herrschaft in Togo gekommen war — auch in Lome die angelegten Fesseln anzuziehen. (Zur weiteren Verfolgung dieser Problematik siehe S. 208.) 6.3. Das Verhältnis der Administration zu den Häuptlingen Da die deutsche Kolonialadministration noch nicht über die militärische Macht verfügte, um die Häuptlinge als Befehlsempfänger in ein Verwaltungssystem einzugliedern, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich mit den Dorfhäuptlingen zu arrangieren. Gerade bei der Expansion von der Küste ins Landesinnere wurden sie von den deutschen Kolonialisten umworben — die Methoden umfaßten Anbiederung, Bestechung, Drohung und Erpressung —, um sie in den Auseinandersetzungen mit den britischen bzw. französischen Kolonialrivalen auf eine prodeutsche Position zu drängen. Selbst dort, wo eine Abgrenzung der Kolonien zwischen den europäischen Mächten vorgenommen worden war, war dies vorläufig nur eine Grenzziehung auf dem Papier. Wenn nun in solchen Gebieten die deutschen Kolonialbeamten den Abschluß weiterer Verträge mit Dorfhäuptlingen als überflüssig ansahen, so waren sie doch auf ein kooperatives Verhalten der Häuptlinge angewiesen. Das Kommissariat konnte zwar Wünsche und Anweisungen an die Häuptlinge erlassen, aber es fehlten die nötigen Söldner, um gewaltsam sofort und dauerhaft die Durchsetzung von Befehlen zu erzwingen. Dieser Zustand schloß auch ein, daß Kolonialbeamte gerade gegenüber den Häuptlingen ausloteten, wie weit sie mit ihren Herrschaftsambitionen gehen konnten. Der Mord Zimmerers an den beiden Häuptlingen von Atigbe ist dafür ein Beispiel. Auch die Kings und Chiefs der Küstenorte und Lagunenorte, mit denen 1884/85 über die Errichtung des Protektorats verhandelt worden war, übten als traditionelle Herrscher über die Bevölkerung ihrer Ortschaften einen von der Kolonialmacht kaum begrenzten Einfluß aus. Zwar hatte Falkenthal im November 1885 versucht, King Mensah „nach dem Versprechen unbedingten Gehorsams" als König über das Gebiet der gesamten Togoküste einzusetzen (150), aber als im Dezember 1885 Klein Popo an die deutsche Kolonie abgetreten worden war, mußte a u f g r u n d der tatsächlichen Machtverhältnisse dieser Plan fallengelassen werden. Die Administration akzeptierte — etwas anderes blieb ihr ohnehin nicht übrig — die Existenz von fünf traditionellen Machtzentren an der Togoküste: Klein Popo, Porto Seguro, Bagida, Be und die „Togodörfer". Die Regulierung des gesellschaftlichen Lebens einschließlich der Rechtsprechung lag weiterhin in den Händen der dort regierenden Kings und Chiefs. Aber die Kolonialverwaltung versuchte beharrlich, mit ökonomischen, politischen und ideologischen Mitteln, diese Häuptlinge in einen immer mehr abhängigen Status zu überführen, und wo es ihr möglich war, wandte sie auch Gewalt an. Das zeigte sich im Jahre 1890 bei erneuten Auseinandersetzungen zwischen King Mensah von Porto Seguro und den Chiefs der „Togodörfer". King 9

Sebald, Togo

105

Mensah wollte einen neuen, ihm genehmen König in den „Togodörfern" einsetzen. „Das wurde ihm natürlich sofort untersagt." (151) Als sich aber Puttkamer an der Westgrenze auf einem Expeditionszug befand, kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen in den „Togodörfern", die einen halben Tag andauerten. Die beiden Chiefs Plakku und Oklu, die seinerzeit den Protektoratsvertrag im Namen des alten Königs Mlapa unterzeichnet hatten und als persönliche Feinde von King Mensah galten, wurden schwer verwundet. Am 23. März 1890 erlag Oklu — ein, wie Puttkamer schrieb, „besonders treuer Anhänger der deutschen Regierung" — seinen Verletzungen. Puttkamer schickte nun weder seine Söldner in die „Togodörfer" noch nach Porto Seguro — das war eine offensichtliche Schwäche der Administration. Der neue König unterschätzte jedoch die Macht Puttkamers. Als Puttkamer ihn nach Sebe einlud, beging er den Fehler, dieser Einladung Folge zu leisten, und kam, begleitet von 50 Bewaffneten, nach Sebe. Hier schlug Puttkamer zu. Er ließ den neuen König und sechs seiner Anhänger „in Gewahrsam" nehmen. „Bei dem Handgemenge wurde ein Togomann erschossen." Später setzte er Häuptling Plakku als König der „Togodörfer" ein. (152) Aber zur Offensive, d. h. zu bewaffneten Angriffen gegen King Mensah oder zur kolonialen Disziplinierung der Bevölkerung von Porto Seguro und der „Togodörfer", war die Administration zu jenem Zeitpunkt noch nicht in der Lage. Noch mußte sie gegenüber diesen Kings und Chiefs im Küstenbereich auf Arrangement statt auf provozierte Konfrontation orientieren. Die Finanzquellen der Kings und Chiefs von europäischer Seite basierten weiterhin auf direkten Vereinbarungen zwischen den europäischen Faktoreien und den Chiefs; entsprechend den traditionellen Gepflogenheiten zahlten die europäischen Faktoreien an die Chiefs pro Jahr insgesamt etwa 8000 bis 10000 M an Ausfuhrzöllen zuzüglich eines Geschenks. Die Firmen sprachen sich auch für die Beibehaltung dieser Regelung aus, da sie die Abgaben in Rum zahlten auf der Verrechnungsbasis 1 Faß = 100 M. Zimmerer bemerkte dazu in einem Schreiben an Bismarck treffend: „. . . d. h. auf gut deutsch: das Commissariat kann die Schwarzen nicht so kräftig übervorteilen, als wir es können, darum besorgen wir es lieber selber" (153). Puttkamer erkannte allerdings, daß über die Finanz2ahlung eine Möglichkeit — und das war vorerst die einzige effektive — bestand, die Häuptlinge moralisch und rechtlich auf die Kolonialmacht auszurichten. Er betrieb deshalb — obwohl er damit den Etat der „Musterkolonie" belastete — die Übernahme dieser Zahlungen durch die Administration. Am 1. August 1892 hob er die Ausfuhrzölle auf und legte für die einzelnen Häuptlinge Renten fest, die in ihren Relationen etwa den bisher den Häuptlingen gezahlten Summen entsprachen, jedoch allgemein niedriger als zuvor waren. Mit der Zahlungsübernahme konnte nun Puttkamer die Häuptlinge verpflichten, den Handel zu fördern, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, Palaver zu schlichten, Wege zu bauen und in Ordnung zu halten. Andernfalls sollte diese Rente teilweise oder ganz einbehalten werden. 106

Die Diskussion zwischen dem Landeshauptmann Puttkamer und der Kolonialabteilung über diese Rentenzahlung läßt unschwer erkennen, wie schwach nach fast zehnjähriger Kolonialherrschaft die Position der Kolonialadministration den Häuptlingen gegenüber immer noch war. Als die Kolonialabteilung den Kaiserlichen Kommissar anwies, den Häuptlingen klarzumachen, daß die Entschädigung nur auf Lebenszeit und „ein Akt des Wohlwollens seitens der Regierung" sei, mußte selbst der mit moralischen Skrupeln gewiß nicht belastete Puttkamer erklären: „Rente muß unter allen Umständen dauernd und vererblich sein, wenn wir nicht beim Ableben eines der Empfangsberechtigten und Einziehung der Rente einen Aufstand herbeiführen wollen"; selbst ein Einziehen der Rente bei Mißverhalten der Häuptlinge könne erst erfolgen, „wenn wir im Lande militärisch stark genug sind, um seine Folgen zu tragen. Vorläufig brauchen wir die Häuptlinge und diese brauchen die Rente, um ihren Pflichten nachkommen zu können." (154) Auch einen moralischen Einspruch des Auswärtigen Amtes wies Puttkamer am 5. Mai 1893 zurück, da eine Reduzierung der Rente auf Lebenszeit „großes Aufsehen, Erbitterung und Unruhe" zur Folge haben würde, worauf das Auswärtige Amt am 28. Juni 1893 endlich sein Einverständnis erklärte. (155) In den Berichten der Kolonialadministration wird verschiedentlich unterstrichen, daß „die Häuptlinge diese Gelder in der Tat fast ausschließlich zum allgemeinen Besten verwenden"; viermal im Jahr hätten die Häuptlinge für ihren Bezirk Feste zu geben. „Das Weglassen dieser Feste würde zur Unzufriedenheit, Unruhen und schließlich zu Revolutionen fuhren." Auch seien Begräbnisund Palaverkosten zu bestreiten. Fast alles werde von den Häuptlingen in eigener Regie nach Landessitte und Landesrecht abgemacht, und so werde dem Kommissariat viel Arbeit erspart. (156) Die Renten legte Puttkamer wie folgt fest: Die Chiefs von Klein Popo erhielten 5000 Mark, und zwar Lawson 1500, Quadjovi 1500, Aite Ajavon (Kwadjo und d'Almeida) 1500, Huebo in Gridji 500, in Porto Seguro erhielt Mensah 1500, in Bagida Garsa 500, in den „Togodörfern" Plakku 500, in Be und Amutive Adjalle und Akbovi je 500. (157) Auch im Landesinnern an der Westgrenze erhielten einzelne Häuptlinge eine Rentenzahlung, die jedoch mit 100 M so gering war, daß die Summe mehr einem schlechten Trinkgeld denn einer Bestechungssumme entsprach. Daß die insgesamt gesehen zu unabhängige Position der Häuptlinge gegenüber der Kolonialmacht prinzipiell geändert werden mußte, war den deutschen Kolonialisten von Anfang an klar (158), um so mehr als es ihrem ausgeprägt rassistischen Denken prinzipiell widersprach, irgendwelche Afrikaner als Partner zu akzeptieren. Das Verächtlichmachen der Könige und Häuptlinge zieht sich durch alle Darstellungen der deutschen Kolonialisten und bereitete so ideologisch den Boden vor für die spätere Zeit der tatsächlichen Herrschaft. (Zur weiteren Verfolgung dieser Problematik siehe S. 285.) 9*

107

7. Der Export-Import-Handel Die ökonomische Grundlage für die „Musterkolonie" bildete der Zoll, der seit 1887 auf bestimmte Importgüter erhoben wurde. Die Höhe der Zolleinnahmen ergab sich erstens aus der Exportproduktion der afrikanischen Bevölkerung, weil diese den Ankauf von importierten Gütern ermöglichte, zweitens aus der Differenz in den Zolltarifen zwischen der britischen und der deutschen Kolonie, weil ein erheblicher Teil der importierten Güter in die benachbarte Goldküstenkolonie geschmuggelt wurde. Die genaue zahlenmäßige Erfassung des ExportImport-Handeis ist erschwert, da eine kontinuierliche Statistik erst seit 1888/89 geführt wurde (siehe im einzelnen die Statistiken S. 386—400). Angaben über den Handel im ersten Jahr 1884/85, als Klein Popo noch nicht de jure zur Kolonie gehörte, lassen sich zu folgender Übersicht zusammenstellen (159):

Import Ware

Herkunft

Lome

Bagida

Menge Spirituosen Pulver Tabak Eisenw. Manufakt. Parfüm. Salz

dt. holl. frz. dt. brit. dt. dt. dt. brit. dt. frz. frz.

Wert/M

250000 G. 40000 G.

33500G. 10000 G.

120000 30000 300000 10000

90 t



? —



? ?

Wert/M

Menge

380000 120000



148 t 37 t 180 t

Klein Popo



42 t ?

50000 15000 —

70000 —

70000 20000



25000 15000

9

?

50000 30000

Menge

240000

175000 G. —

60000 G. 280 t 60 t ? ?

?

7







? ?







750 t

1000000

305000



Wert/M



75000 190000 40000 150000 10000 12000 600000 6000 6000 40000 1369000

(G. = Gallone) Export Ware

Lome (9 Monate) Menge

Palmkerne Palmöl

550 t 50000 G.

Wert/M 93000 74000 167000

Bagida

Klein Popo

Menge

Wert/M

Menge

Sert/M

1000 t 75000 G.

170000 110000

2500 t 300000

464000 450000

280000

914000

(Vom Export Klein Popos entfielen auf deutsche Firmen 445000 M, auf französische 298000 M, auf „englische" 169000 M.)

108

Die Statistik gewinnt an Wert, weil die Angaben für Klein Popo „auf langjähriger Erfahrung" beruhten und den Durchschnitt der letzten Jahre auswiesen. Allerdings fehlt in der Statistik Porto Seguro, wahrscheinlich, weil dort keine deutsche Firma etabliert war und somit der Einblick fehlte. Die hier ausgewertete Quelle bezeichnet Ein- und Ausfuhr Porto Seguros als nicht bedeutend; eine andere Quelle (160) beziffert den Gesamthandel von Porto Seguro auf 240000 M. Unter Einbeziehung Porto Seguros belief sich der Import auf etwa 2,79 Mill. M, der Export auf etwa 1,48 Mill. M. Der Gesamthandel betrug somit 4,27 Mill. M. Ein aufschlußreiches Bild bietet auch folgende Importstatistik für 1885 (161): Firma

Wölber & Brohm F. M. Vietor Söhne C. Goedelt M. Grumbach & Co. F. & A. Swanzy Fabre & Cie. Régis Aines Frères G. B. Williams T. D. Williams S. B. Cole M. H. Ocansey

Spirituosen (Hektoliter)

Tabak (100 kg)

3681

565 712 38 353 54 42 42 73 7 73



837 1365 1215 3387 3387 2261 1150 712 76 18071



1959

Pulver Ge(100 kg) wehre Stück 1250 914 257 314 159 218 218 442 59 69

150 —

280 260 1440 200 200 100 220 440





3900

3290

Wert (Einstandspreis) 186620 253878 10200 83640 7140 180000 180000 18298 2529 94962 852 1018119

Wenn auch in dieser Statistik die unverhältnismäßig hohe Wertangabe von F. M. Vietor und andererseits die niedrige von Swanzy nicht erklärt werden, ferner die beiden französischen Firmen wahrscheinlich geschätzt worden sind, so wird doch ersichtlich, daß die deutschen Firmen vor allem bei Tabak und Pulver einen hohen Importanteil hatten. Ferner bestanden noch vier selbständig importierende afrikanische Firmen. Für die folgenden Jahre fehlen statistische Angaben. Erst für 1888/89 (1. April bis 31. März) wird der Import mit „annähernd 2 Mill. Mark", der Export mit 1,9 Mill. angegeben. (162) (Siehe die Export-Import-Statistik S. 386.) Man kann also auch für die dazwischen liegenden Jahre einen Gesamthandel von jährlich etwa 4 Mill. M annehmen. Zwar stieg der Handel konjunkturell durch zeitweilig 109

höhere Exporte von 1893 bis 1895 auf über 5 Mill. M, aber 1898 lag er wieder bei etwa 4 Mill. M. Die Handelsstatistik widerspiegelt den Zustand, daß der Export-ImportHandel in seiner Struktur in jener Form verharrte, die bereits vor der Errichtung der deutschen Kolonialherrschaft bestand, bzw. unmittelbar — wie an Hand der Entwicklung Lomes gezeigt — durch sie verursacht wurde. Die Struktur der Importwaren bedarf keines Kommentars. Nach der Statistik von 1888/89 (163) machten Schnaps, Pulver, Tabak und Vorderlader (6098 Stück) den Hauptteil des Imports aus. Die Firmen importierten ferner 65,7 t Textilien (einschließlich Garn und Hüte), ferner 4,41 „wohlriechendes Wasser" und 3 t parfümierte Seife, 672, 4 1 Salz, 18,8 t Reis, 12,3 t Zucker, 17,9 t Schiffszwieback, 3.2 t Mehl, 4 1 Zündhölzer, 6,3 t „irdene Pfeifen und sonstige Thonwaren" sowie 5.3 t „Glasperlen u. andere gewöhnliche Glaswaren". Außerdem wurden 28,8 t Eisenwaren sowie Eisenstangen und -bleche eingeführt, doch können hierbei auch Bedarfsartikel für die wenigen Europäer in Togo enthalten gewesen sein, was bei den anderen angeführten Waren unwahrscheinlich bzw. nicht ins Gewicht fallend gewesen ist. Das Angebot der europäischen Finnen an der Togoküst? ist eine treffende Illustration für die „Kulturmission" der europäischen Kapitalisten. Das Argument, die Afrikaner hätten diese Artikel bevorzugt, ist unzutreffend. Hochwertige Güter wurden nicht einmal angeboten, so daß viele Hausahändler es vorzogen, in den etwas besser sortierten Läden der Küstenorte der britischen Goldküstenkolonie einzukaufen. Sehr wohl hätten die Afrikaner es vorgezogen, Präzisionswaffen anstelle der zum Jagdgebrauch fast wertlosen Vorderlader zu kaufen, aber deren Verkauf war verboten. Auf dem Handelssektor widerspiegelte sich mithin ein Grundzug des Kolonialismus : Nicht der in den entwickelten kapitalistischen Ländern erreichte technische Fortschritt bestimmte das Warenangebot, das wären z. B. Maschinen — und sei es auch nur zur Aufbereitung von Exportprodukten — gewesen, sondern billigste Massenware kapitalistischer Fabrikproduktion. Im Handelssystem verharrten die europäischen Firmen — was ihr Geschäftsgebaren untereinander betraf — in der Tradition der freien Konkurrenz, und zwar einer erbitterten Konkurrenz. Sie betrieben das Großhandelsgeschäft jedoch weiterhin nur an den vier Haupthandelsorten der Togoküste und waren zu kapitalschwach, um auch nur eine Zweigfaktorei im Landesinnern zu eröffnen. Stimulierende Impulse gingen von diesem Handelssystem nur in sehr geringem Maße aus. Einer der prominentesten Kaufleute, F. Oloff, charakterisierte 1905 in einer Denkschrift rückblickend die Haltung der Kaufleute: „Sie nahmen nicht das geringste Interesse an Land und Leuten, der Fortentwicklung des Landes etc. etc., soweit nicht ihr Geldkonto in Frage kam. Dies war ehemals die Regel." (164) Bei der weiteren Betrachtung können die beiden französischen Firmen Regis Aines Frères und C. F. Fabre & Cie sowie die englische Firma Swanzy außer 110

Acht gelassen werden, da sich ihre Handelsschwerpunkte ohnehin in den Nachbarkolonien befanden und sie nicht unbedingt an einer Ausweitung ihres Geschäfts in einer deutschen Kolonie interessiert waren. Die deutsche Administration hatte mit ihnen keine Schwierigkeiten. Die beiden französischen Firmen zogen sich um die Jahrhundertwende aus dem Togogeschäft zurück; F. A. Swanzy blieb dagegen bis 1914 als eine der etwa zehn in Togo konkurrierenden Firmen, allerdings später nicht mehr unter Leitung O. Olympios, sondern eines europäischen Agenten. Dagegen gab es latente Auseinandersetzungen mit den deutschen Handelsfirmen, die darin letztlich begründet waren, daß die Administration in imperialistisch-monopolistischen Kategorien, die Inhaber der kleinen Firmen hingegen in denen des Kapitalismus der freien Konkurrenz dachten und handelten. Die Zahl der an der Togoküste Handel treibenden deutschen Firmen wuchs allmählich von vier (1884) auf zehn (1897). Doch wechselten Zahl und Namen, weil ehemalige Handelsagenten ihr Glück im eigenen Geschäft versuchten, fusionierten und verkauften oder wieder Bankrott machten: F. M. Vietor Söhne, Wölber & Brohm, C. Goedelt, Traugott Söllner & Co., August Henke & Co., M. Grumbach & Co., Pelizäus & Schellenberg, Boedecker & Meyer, F. Oloff & Co., J. K. Vietor. (165) Fernerwaren 1894 eine britische, eine französische und eine afrikanische Handelsgesellschaft offiziell registriert. Alle Finnen unterhielten 51 Läden in Lome, Bagida, Porto Seguro und Klein Popo sowie zwei in Palime im Togogebirge, sie beschäftigten 25 Europäer und 381 Afrikaner. (166) Typisch für sie alle — mit einer gewissen Ausnahme vielleicht von J. K. Vietor — war, daß sie auch in den benachbarten britischen und französischen Kolonien Faktoreien unterhielten. Handel trieben sie demzufolge dort, wo sie sich den größten Gewinn versprachen, und das war nicht nur die deutsche Kolonie. Als z. B. die Kolonialadministration alle Anstrengungen unternahm, über die Station Misahöhe den Handel nach Lome zu lenken, mußte der Amtierende Kaiserliche Kommissar, Krabbes, 1890 an Reichskanzler Caprivi berichten: „Die meisten der Lome-Kaufleute freilich stehen dieser Tatsache mit bemerkenswerter Gleichgültigkeit gegenüber, denn sie haben ja auch in Quittah ihre Niederlassungen und würden auf etwaige Vorstellungen erwidern: ,Uns ist es gleich, wo wir unser Geld verdienen'". (167) Der Verdienst rangierte für sie vor kolonialpolitischen oder patriotischen Erwägungen: „Leider haben in jüngster Zeit die Lome-Kaufleute den günstigen Einfluß der Grenzstationen und die eifrigsten Bemühungen ihres Leiters, ihnen den Handel des Landes zuzuwenden, dadurch sehr zu beeinträchtigen verstanden, daß sie die Preise für Gummi, veranlaßt wohl durch einen mäßigen Rückgang derselben auf dem europäischen Markte, plötzlich um ein Drittel herabgesetzt haben und ferner, entgegen dem Wunsche der Eingeborenen, nicht mehr gegen Kasse verkaufen wollen." (168) 111

Die Kolonialadministration regte des öfteren gemeinsame handelspolitische Maßnahmen der Firmen an, veranlaßte auch auf Anregung Puttkamers im Dezember 1889 die Gründung einer „Handelskammer von Klein Popo und Porto Seguro", aber sobald eine Firma auch nur einen zeitweiligen geringen Handelsvorteil sah, brach sie die Absprachen sofort. Die Gründe für dieses Verhalten des kleinen Kaufmannskapitals waren bekannt. So schrieb Zimmerer 1889 an das Auswärtige Amt: „Das Traurigste ist, daß unsere deutschen Firmen so wenig kapitalkräftig zu sein scheinen gegenüber den französischen: eine kleine Geschäftsstockung und man möchte meinen, sie seien dem Erstickungstod nahe." (169) Die Zusammenarbeit zwischen den deutschen Handelsfirmen und der Administration erschwerte sich auch dadurch, daß alle Firmen, außer J. K. Vietor, nur von Handelsagenten repräsentiert wurden, deren Geschäftsblick und Entscheidungsfreiheit somit eingeschränkt waren. Zimmerer bemerkte dazu, die Handelsagenten hätten „für ein späteres Florieren des Gebietes kein Interesse, sie gehen in den bequemen, eingetretenen Bahnen, sie sind froh, wenn ihr Kontrakt abgelaufen ist und sie nach Europa zurückkehren können" (170). Das Engagement der deutschen Handelsagenten beim Zustandekommen des Protektoratsvertrages blieb der einzige politische Akt dieser Kategorie von Handelsagenten in der gesamten deutschen Kolonialära und mußte es angesichts ihrer Mentalität wohl auch bleiben. Selbstverständlich hatten die Stammhäuser in Hamburg und Bremen ein Interesse an der Perspektive ihres Handels in Togo. Das weisen die Berichte des Königlich Preußischen Gesandten in Mecklenburg und in den Hansestädten, der 1887 und 1891 die Meinungen der Handelsfirmen einholen sollte, aus. 1887 schlug man vor, sechs „Negerlehrmeister aus Kabinda" anzuheuern, um „den Negern die richtige Behandlung des Gummis zu lehren". Die kaiserliche Regierung solle den afrikanischen Bauern zum Anbau von Kaffee und Kakao anregen und Anbauprämien zahlen. Der Afrikaner werde „bei seiner angeborenen Liebhaberei für Ackerbau die Richtigkeit des Anbaus von wertvollen Pflanzen schnell einsehen . . . Das ganze Arrangement muß jedoch von der Kaiserlichen Regierung ausgehen, da der Kaufmann sich mit dergleichen nicht befassen kann." Kaffeesaat wolle man gern besorgen, aber „natürlich für Rechnung der kaiserlichen Regierung". Ferner empfahlen die Firmen Wegebau, den Kabelanschluß und auch die Einführung von Zwangsarbeit ,je nach der Art des Vergehens, bei Häuptlingen und besser Situierten durch Stellung einer gewissen Anzahl von Leuten zur Arbeit, bei gewöhnlichen Negern durch personelle Leistung" (171). 1891 sprachen sich die Firmeninhaber für freie Marktwirtschaft im Gummihandel, für die Aufhebung der Firmensteuer, für zollfreie Lagerung von eingeführten Waren in Privatspeichern, für Offenhaltung der Handelsstraßen und die Förderung des Acker- und Plantagenbaues der Eingeborenen aus. (172) Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Firmen viele Vorschläge hatten, 112

aber selbst nicht zur geringsten Investition bereit waren. Über die Gründe schreibt wiederum Zimmerer: „Ein Umstand, der ebenfalls viele zurückhält, ist eine unglaublich ausgebildete Konkurrenz der einzelnen Firmen miteinander. Es gönnt der eine dem anderen kaum die Luft. Es ist nichts Ungewöhnliches, von einem Kaufmann zu hören: ,Ja, wenn ich wirklich etwas zur Hebung des Handels tue, dann habe ich die Unkosten und die anderen ernten die Früchte mit'; solche Anschauungen auszurotten ist nicht möglich." (173) Die Firmen machten jedoch nicht nur Vorschläge. Im März 1891 richteten die Firmen Wölber & Brohm, Söllner & Co. und C. Goedelt eine zwölf Seiten umfassende Kollektiveingabe an Reichskanzler Caprivi, in der sie sich „über so schrecklich viel Regierung" in Togo beklagten und der „Zeit des glücklichen und zufriedenen Lebens ohne irgendwelche europäische Regierung" nachtrauerten. (174) Diese Kritik veranlaßte die Administration, es weiterhin in Frage zu stellen, „mit solchen Leuten, deren Gesichtskreis nicht weit über ihr eigenes Gewinn- und Verlustkonto hinausgeht, voll aktiv zu verhandeln" (175). Man verhandelte natürlich doch trotz aller Divergenzen, weil die Administration die Handelsfirmen als Einnahmequelle für den Etat der „Musterkolonie" brauchte, die Handelsfirmen aber ihrerseits die Administration benötigten, um durch Verordnungen wenigstens die afrikanische Konkurrenz aus dem ImportExport-Geschäft zu verdrängen. Lediglich J. K. Vietor (1861 — 1934), ein Neffe des Firmeninhabers Friedrich Martin Vietor, nahm bereits vor der Jahrhundertwende eine Sonderstellung ein. Er hatte 1884 in Keta als Handelsagent für F. M. Vietor Söhne begonnen und 1885 die Leitung der Faktorei in Klein Popo übernommen. Zu jener Zeit war Klein Popo noch französisches Kolonialgebiet, aber J. K. Vietor zählte zu den deutschen Kolonialagitatoren, denn in einer Petition vom 1. Mai 1914 an den deutschen Reichstag kritisierten ihn die Häuptlinge von Klein Popo als denjenigen, der sie unter das deutsche Kolonialregime gebracht habe. (176) J. K. Vietor gründete 1888 seine eigene Handelsfirma mit einem Kapital von 10000 M und etablierte sich in dem nunmehr zur deutschen Kolonie Togo gehörenden Klein Popo. (177) Vietor richtete sich auf die bevorstehende Ära der direkten Kolonialherrschaft von vornherein ein. Er unterhielt zwar anfanglich noch eine Faktorei in Grand Popo, für die er aber mit einem Geschäftspartner eine separate Firma gründete und dadurch nach außen hin — im Gegensatz zu den anderen deutschen Firmen — mit seiner Stammfirma ausschließlich in Togo Handel trieb. Ferner war er der einzige Firmeninhaber, der lange Jahre hindurch seine Geschäfte direkt in Togo und nicht von Deutschland aus leitete. Außerdem besaß er selbst eine Kaffee- und Kokosnußplantage bei Klein Popo und inspirierte jene afrikanischen Chief/T rader, mit denen er Geschäftsverbindungen unterhielt, zum Plantagenbau. J. K. Vietor entsprach somit in vielem den Vorstellungen der imperialistisch gesinnten Kolonialadministratoren und eines Puttkamer. Aber J. K. Vietor engagierte sich in etwa zehn eigenen Firmen bzw. Tochtergesellschaften oder kommissionsverbundenen Kolo113

nialunternehmen (178), anstatt sein Kapital in einer Regie zu konzentrieren und schwerpunktmäßig in Westafrika einzusetzen. Er konnte deshalb kapitalmäßig nicht den Übergang zu einem großkapitalistischen Handelsunternehmen finden, so daß er nach der Jahrhundertwende nicht zum eindringenden Großkapital tendierte, sondern der prominenteste Sprecher des kleinen deutschen Kaufmannskapitals wurde. Für die Administration war somit frühzeitig klar, daß sich das Interesse der deutschen Kaufleute und Handelsagenten auf bloßes kommerzielles Gewinnstreben, ohne weitergehende Bindung an das neuentstehende Kolonialgebiet reduzierte. Ebenso war ihr aber auch bekannt, daß an der Entwicklung der Kolonie Togo und vor allem ihrer Ausdehnung ins Landesinnere andere ein tatsächliches Interesse hatten und dies auch durch Taten bewiesen: die afrikanischen Zwischenhändler, deren Ziel es war, am profitableren Export-ImportGeschäft teilzuhaben. Wie dargelegt, suchten mehrere afrikanische Händler den von europäischer Konkurrenz nicht beeinflußten Export-Import-Handel in neuen Küstenorten. Mit der Kolonialokkupation endete diese Zeit, und der Handelskonkurrenz konnten nur wenige afrikanische Händler standhalten. Das waren in Lome 1885 die Firmen G. B. Williams, T. D. Williams und S. B. Cole (alle aus Sierra Leone). Sie importierten 1885 in Lome Waren im Werte von 115000 M, hatten somit einen Anteil von über 10 Prozent. Ferner hatte M. H. Ocansey einen ersten Versuch unternommen, eine geringe Schnapsmenge einzuführen. In Klein Popo und Porto Seguro waren S. B. Cole, Antonio d'Almeida und Aite Ajavon vertreten, später auch Leopold Medeiros; diese Firmen befaßten sich mit Importgeschäften. Über S. B. Cole berichtete Puttkamer 1888: „Die einzige schwarze Firma, welche in Klein Popo selbständig importiert, ist S. B. Cole. Die Firma zahlt die Zölle am allerpünktlichsten, ohne je Aufschub zu verlangen. Der Hauptinhaber ist ein zur Zeit hier persönlich anwesender Sierra Leone Neger." (179) Obwohl die Kolonialadministration über die unpatriotischen deutschen Handelsfirmen und ihre mangelnde Rücksichtnahme auf die Belange der Kolonie Togo klagte, kam es ihr nicht in den Sinn, jene bedeutende Schicht afrikanischer Zwischenhändler für das Export-Import-Geschäft zu mobilisieren. So wie es den deutschen Firmen gleichgültig war, wo sie ihr Geld verdienten, hätte es der deutschen Administration gleichgültig sein können, wer ihnen die Zölle zahlte. Diesen Gedanken erwogen die Kolonialbeamten nicht einmal, weil natürlich mit einer ökonomisch reichen afrikanischen Kaufmannsschicht in der Endkonsequenz die Kolonialherrschaft insgesamt in Frage gestellt war. Eine der ersten Verordnungen Falkenthals (vom 6. September 1886) war, den Branntweinimport nur mit einem Erlaubnisschein für jährlich 1000 M zu gestatten (damit war den noch kapitalschwachen afrikanischen Händlern wie Ocansey der Aufstieg unmöglich gemacht). Puttkamer erweiterte diese Maßnahme, indem mit Wirkung vom 1. Januar 1891 eine Jahresabgabe von 1000 M 114

je Faktorei, für jede weitere Zweigniederlassung 500 M und für Inlandniederlassungen (weiter als 20 km) 100 M erhoben wurden. Firmen, die nur importierten, mußten 600 M zahlen. Hausiererhändler mußten einen Erlaubnisschein, erhältlich für 500 M, vorweisen. Gegen diese erhebliche Belastung ihres Geschäfts protestierten alle deutschen Firmen. Puttkamer wandte daueren ein, „daß die gänzliche Aufhebung der Firmensteuer überhaupt im Interesse der Kaufleute liegt, bezweifle ich, denn diese Steuer ist die einzige Schutzwaffe der europäischen Häuser gegen die Schleuderkonkurrenz der einheimischen Händler. Diesen Leuten ist es nicht möglich, die Firmensteuer zu zahlen, sie können daher nicht selbst importieren und sind darauf angewiesen, ihren Bedarf von den großen Importfirmen zu beziehen oder, was meist der Fall ist, für diese Kommissionsgeschäfte zu machen. Alle diese Leute werden sofort mit Aufgabe der Firmensteuer selbst importieren; das ist keine bloße Befürchtung meinerseits, sondern ziemliche Gewißheit. Es liegt mir eine Eingabe vor aus Lome, unterzeichnet von etwa 27 solchen kleinen einheimischen Händlern, die ebenfalls um Aufhebung der Firmensteuer bitten, damit sie sich von den bisherigen Importhäusern unabhängig machen können. Das sollte den beteiligten Herren doch zu denken geben." (180) In der Tat bat auch die Handelskammer um Beibehaltung der Firmensteuer, um „sich mittels derselben die unbequeme und unangemessene Konkurrenz der eingeborenen Kleinhändler vom Halse halten zu können" (181). J. K. Vietor ging sogar noch einen Schritt weiter und forderte im Dezember 1895 in einem Schreiben an die Kolonialabteilung: „Die eingeborenen kleinen Händler sollten an den Küstenplätzen auch mit einer Firmensteuer belastet werden; sie haben keine teuren Läden, keine teuren Wohnhäuser, folglich viel weniger Unkosten und können daher ihre Waren viel billiger verkaufen wie wir Europäer." (182) Aber eine so weitgehende Maßnahme hätte zu viele soziale Konflikte heraufbeschworen. So blieb es bei der Firmensteuer, die allerdings den Aufstieg der afrikanischen Zwischenhändler wirksam behinderte. Die andere Möglichkeit der Kolonialadministration, auf den Export-ImportHandel direkt Einfluß zu nehmen, bestand in der Zollpolitik. Vor der deutschen Kolonialherrschaft waren seitens der Häuptlinge Ausfuhrzölle erhoben worden, eine Maßnahme, die vorerst beibehalten und Anfang der neunziger Jahre — wie dargelegt — aufgehoben wurde. Die Ausfuhrzölle waren während der ganzen Kolonialzeit in ihrem prozentualen Anteil an den Gesamtzolleinnahmen „von ganz untergeordneter Bedeutung" (183). (1907 1,5 Prozent, 1912 2,4 Prozent). Aber auch die Ausfuhrzölle wurden gegebenenfalls als kolonialpolitische Maßnahme eingesetzt. So wurde am 1. Juni 1894 eine Verordnung erlassen, die die Ausfuhr von Schafen mit 5 M je Stück und von Mais mit 0,10 M je kg Zoll belegte. Puttkamer erläuterte in einem Schreiben an die Kolonialabteilung, daß sich diese Maßnahme gegen die Ausfuhr über die östliche Landesgrenze aus der Gegend 115

von Gridji und Wo ins benachbarte Dahome richtete: „Noch vor zwei Jahren waren hier die Preise etwa 4—5 Mark für 100 Pfund Mais, 4—6 Mark für ein Schaf. Die Preise haben sich infolge der Massenausfuhr ins französische Gebiet mehr als verdoppelt, 100 Pfund Mais sind fast unter 12 Mark nicht mehr zu haben, ein Schaf kostet 10—14 Mark (184)." Die Franzosen würden jeden Preis bezahlen, deshalb wären die Lebensmittel knapp und teuer. Schmugglern wurden 1000 M Geldbuße oder eine entsprechende Gefängnisstrafe angedroht. Wie teuer Lebensmittel überhaupt waren und ob sie der afrikanischen Bevölkerung ausreichend zur Verfügung standen, interessierte die deutschen Kolonialisten überhaupt nicht; es gibt in den umfangreichen Akten nicht eine Bemerkung zu dieser Problematik. Vielmehr war die Kolonialadministration unsicher, was geschähe, wenn die afrikanischen Bauern viel Geld für Mais bekämen, ob sie auch dann die mühselige Palmkerngewinnung aufrechterhalten würden, ob dann weiterhin Arbeitskräfte für 0,50 M pro Tag zu erhalten wären. Die Kolonialadministration konnte die Verordnung außerdem deshalb durchsetzen, weil die europäischen Kaufleute an diesem Exportartikel für die Nachbarkolonie nicht profitierten. Lediglich J. K. Vietor exportierte seit 1890 aus Klein Popo und Grand Popo regelmäßig geringe Mengen Mais, teils nach Europa, „aber auch zur Versorgung der Arbeiter in der englischen Goldküstenkolonie" nach Accra. (185) Als ab September 1897 der Ausfuhrzoll für Mais aufgehoben und der Zoll je Schaf auf 2 M herabgesetzt wurde, war die interne Begründung des amtierenden Landeshauptmanns für diese Maßnahme in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich : „Die Preise des Mais im Schutzgebiet sind dadurch stark herabgegangen, daß die Produzenten nicht den entsprechenden Lohn für ihre Arbeit erhalten. Die einheimischen Konsumenten, namentlich die in den Küstenorten lebenden Eingeborenen, gewinnen andererseits ihren Lebensunterhalt jetzt fast umsonst und brauchen kaum noch zu arbeiten, denn da zur Zeit der Eingeborene für 5 Pfennig mehr Mais erhält, als er an einem Tage vertilgen kann, so genügen zwei Arbeitstage im Monat, um ihm den monatlichen Unterhalt zu verschaffen. Durch die Aufhebung des Zolls wird jedenfalls für die Kaufleute die Möglichkeit des Exportes und für die Produzenten die Möglichkeit eines lohnenden Absatzes erreicht, für den Konsumenten aber infolge des Steigens der Lebensmittel ein stärkerer Antrieb zur Arbeit geschaffen werden. Eine Teuerung braucht deshalb nicht befürchtet zu werden." (186) Jetzt, wo die europäischen Firmen an dem Export zu verdienen gedachten, hatte die Kolonialadministration nichts mehr einzuwenden. Auch die Einfuhrzölle wurden unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Interessen der deutschen Kapitalisten, Produzenten wie Handelsfirmen, festgelegt. Sie sollten „grundsätzlich finanziellen Zwecken" der Kolonialverwaltung dienen. (187) In den ersten 20 Jahren der deutschen Kolonialherrschaft, d. h. bis zur Einführung der direkten Besteuerung der Afrikaner, flössen der Administration 116

durch die Einfuhrzölle zwischen 80 und 90 Prozent aller Einnahmen zu. Die Zolleinnahmen hätten unschwer höher sein können, aber die Kolonialadministration berücksichtigte bei der Festlegung der Zölle 1887 den profitablen Schmuggel nach der Goldküstenkolonie. Während mit der französischen Regierung am 24. Dezember 1885 und am 25. Mai 1.887 gemeinsame Tarife vereinbart wurden, waren die ersten Zollsätze im Vergleich zu denen der britischen Goldküstenkolonie — nach dem späteren Urteil des kolonialen Zollexperten Kucklentz — „äußerst gering" (188). Sie betrugen für Gin je nach Alkoholgehalt 0,04—0,10 M je Liter, für Rum 0,04—0,06 M, bei Tabak 0,10 M je kg, bei Pulver 2,50 M für 100 Pfund (engl.), je Gewehr 0,50 M. Die britischen Kolonialbehörden erhoben je Pfund Tabak oder Pulver 6 Pence ( = 0,50 M, mehr als 100 Prozent des Wertes), für die Gallone (etwa 4'/ 2 Liter) Wein oder Bier 6 Pence, für die Gallone Rum und andere Spirituosen 2 sh/6 Pence ( = 2,50 M oder 150—200 Prozent des Wertes). Am 26. Dezember 1889 legte eine neue Übereinkunft mit Frankreich das Fortbestehen der Zollunion beider Kolonien fest. Infolgedessen verdoppelten sich sich die Zollsätze (Verordnung vom 28. Februar 1890), und damit war die Zolldifferenz zur Goldküstenkolonie fast ausgeglichen, zumal dort die britische Verwaltung die Zollsätze herabsetzte. Im Ergebnis der internationalen Brüsseler Konferenz von 1890 wurde am 21. Mai 1892 eine Verordnung in Togo erlassen, die auf Spirituosen aller Art einen Zoll von 0,12 M je Liter festlegte. (189) Da der Zollvertrag gegenüber der Goldküstenkolonie ohnehin nicht mehr bestand, die britische Regierung durch den billigen Wasserweg des Volta im Landesinnern in einer besseren Position war, suchte die deutsche Regierung mit der britischen nunmehr eine Übereinkunft, die am 24. Februar 1894 abgeschlossen wurde. Unter Aufhebung des Abkommens mit Frankreich, das sich der deutschenglischen Konvention nicht anschließen wollte, wurde für Togo und das britische Kolonialgebiet östlich vom Volta ein einheitliches Zollsystem mit erhöhten Zollsätzen geschaffen. Je Liter Spirituosen waren statt 0,12 M jetzt 0,22 M zu zahlen, je kg Tabak statt 0,20 M jetzt 0,50 M, je Pfund (engl.) Pulver statt 0,05 jetzt 0,50 M. Der Zollsatz je Gewehr erhöhte sich von 1 M auf 2 M, den Salzzoll ließ man fallen. Alle anderen Importwaren belegte man mit einem allgemeinen Wertzoll von 4 Prozent, wie es im britischen Gebiet schon seit längerem üblich war. Diese Zollvereinbarung bestand 10 Jahre, eine für Kolonialverhältnisse lange Periode. Die Statistik auf S. 400 vermittelt den Eindruck, als wäre infolge des neuen Tarifs der Schnapsimport in der Folge zurückgegangen. Der Augenzeuge G. A. Krause kommentierte dazu 1897: „Diese Literzahl würde ganz bedeutend höher sein, wenn nicht der Zolltarif, der jede Art von Schnaps ohne Rücksicht auf seinen Gehalt in einen Topf wirft, die Schnapshändler veranlaßt hätte, 90prozentigen Alkohol einzuführen und an der Küste mit Wasser zu vermischen . . . Die Literzahl des 1894er Zolltarifs läßt sich daher gar nicht mehr mit der früheren vergleichen." (190) 117

Diese Zollentwicklung zeigt einerseits die starke Abhängigkeit der deutschen Entscheidungen von Vereinbarungen mit der britischen bzw. französischen Kolonialmacht, andererseits aber — wie Kucklentz an Hand der folgenden Jahre beweist —, daß „die Zollerhöhung keine Verminderung der Spirituoseneinfuhr bewirkt hatte" (191). Von einer Kulturmissionswirkung, d. h. über Einfuhrzölle den Import an Spirituosen drosseln zu wollen, kann deshalb nicht die Rede sein ; Kucklentz verweist auch (1914) auf die Gründe: 1890 belief sich der deutsche Schnapsexport nach Deutsch-Westafrika (einschl. Südwest) auf 1,6 Mill. Liter im Wert von 0,40 Mill. M, 1895 auf 1,8 Mill. Liter im Wert von 0,48 Mill. M und nach dem übrigen Westafrika 1890 auf 23,9 Mill. Liter im Wert von 5,67 Mill. M, 1895 auf 18,6 Mill. Liter im Wert von 4,55 Mill. M. „Es standen also bei diesen nicht unbeträchtlichen Summen starke Interessen der deutschen Branntweinproduktion im Spiel, die den Widerstand der hinter der Regierung stehenden Spirituosenindustrie gegen Einschränkungsmaßnahmen für ihr Produkt verständlich machen (192)." Obwohl über die Minderwertigkeit des importierten Fusels eine einhellige Meinung herrschte — z. B. François: „Ein Höllentrank, der viele Magenleiden verursacht" (193) — und die der Mission nahestehende Firma Vietor Söhne nicht mit Schnaps handelte, weil sie die Meinung vertrat, „daß der Branntweinhandel sowohl für die Eingeborenen als für die Europäer ein Unglück ist und daß es eine kurzsichtige Handelspolitik ist, welche diesen Handel zu schützen versucht" (194), wurde der Schnapsimport beibehalten. Selbst von Kolonialenthusiasten wurde das bestehende Importsystem scharf kritisiert. 1889 schrieb Willy Wolff in einer prokolonialen Propagandabroschüre : „Seien wir nun einmal ehrlich, was bieten wir denn dem Neger als Ersatz für seine Producte? Sind es nicht fast alles ganz schlechte, unbrauchbare, nur auf Unkenntnis berechnete überflüssige Gegenstände . . . Was wir aber geben ist Schund. Bieten wir einmal dem Neger anstatt des schlechten Schnapses und der gestärkten fadenscheinigen bedruckten Cattune, die er nicht nötig hat, nützliche Gegenstände! . . . Man hebe auf diesen unnützen Kram einen hohen Einfuhrzoll, während man brauchbare Gegenstände wie Eisen, Kupfer, Messing, Ackergerätschaften, Handwerkzeug etc. Vieh zollfrei oder billig einführen läßt." (195) Aber nicht Vorschläge von Kolonialapologeten — und klangen sie noch so vernünftig —, sondern der Profit der deutschen Kapitalisten und der davon abgeführte Anteil an die Administration bestimmten die Handels- und Kolonialpolitik. Nur wenn sich diese Profitinteressen änderten, vor allem aber wenn Afrikaner das kolonial profilierte Handelsangebot durch Käufe in Nachbarkolonien oder durch direkten Bezug aus Europa unterliefen, wandelte sich die Struktur der angebotenen Güter. (Zur weiteren Verfolgung dieser Problematik siehe S. 399 bis 403.)

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8. Die landwirtschaftliche Exportproduktion und die koloniale Orientierung auf deutsche Plantagenbetriebe Hauptexportartikel waren weiterhin Palmöl und Palmkerne, die der afrikanische Bauer je nach Bedarf verkaufte. Aus den deutschen Quellen geht nicht hervor, wie viele ölpalmen ein Bauer besaß, ebenfalls nicht, ob sich der Bestand an Ölpalmen im ersten Jahrzehnt deutscher Kolonialherrschaft vergrößert hatte oder nicht. Wenn auch ganze Ölpalmenwälder bzw. -haine existierten, so waren diese doch nicht gesondert für eine Exportproduktion angepflanzt worden. Die Nachpflanzung entsprach einem natürlichen Zyklus, den der Eigenbedarf weitgehend bestimmte (siehe S. 26). Wollte ein Bauer mehr für den Export verkaufen, so pflanzte er keine neuen Palmen an, sondern ließ durch seine Familie mehr Palmfrüchte verarbeiten (der Verkauf war meist Sache der Frauen). Als die Nachfrage auf dem Weltmarkt Afrikaner zum Anbau anderer Dauerkulturen anregte, hatte es unterschiedliche Auswirkungen, daß der afrikanische Bauer bereits Ölpalmen kultivierte. Einerseits war er mit dem Typischen einer Dauerkulturpflanze, erst nach einigen Jahren ertragfähig und dann Jahrzehnte nutzbar zu sein, bereits vertraut. Andererseits konnte der Bauer die Produkte der Ölpalme auch selbst verbrauchen und sah sich nicht unbedingt zum Verkauf veranlaßt, wie das bei ausschließlich für den Export bestimmten Dauerkulturen der Fall war. Die Ölpalme genügte ihm vorerst im wesentlichen, um seinen Bedarf an den angebotenen europäischen Importgütern zu befriedigen. Ob sich andere Dauerkulturen zum Anbau an diesem Küstenstrich eigneten, war noch nicht erprobt. Die deutschen Kolonialisten zogen in den ersten beiden Jahrzehnten ihrer Herrschaft die Anlage von Ölpalmenplantagen überhaupt nicht in Erwägung, da zunächst — selbst bei Einsatz von Maschinen — Palmkerne und Palmöl nicht so billig wie in einer afrikanischen Familie hergestellt werden konnten. Es wurden nicht einmal mit der Hand betriebene Maschinen angeboten, die den afrikanischen Frauen das mühevolle Aufknacken der Palmkerne wesentlich erleichtert hätten. Die Ölpalme bot somit weder Afrikanern noch Kolonialisten Anreiz, Plantagenbetriebe für die Exportproduktion anzulegen. Mit neuen Dauerkulturen im großen Stil konnten nur jene experimentieren, die über ein gewisses Kapital verfügten, um unerprobte neue Dauerkulturen über Jahre hinweg bis zur Ertragsfahigkeit zu bringen. Zwar waren Europäer — Kaufleute wie Beamte — und afrikanische Zwischenhändler bzw. Häuptlinge durchaus bereit, Geld in der Exportproduktion zu investieren. Aber Kapital allein ließ weder einen europäischen noch einen afrikanischen Kaufmann zu einem erfolgreichen Großagrarier werden, denn es fehlten dem einen wie dem anderen Fachkenntnisse in der landwirtschaftlichen Großproduktion. Das mag den scharfkalkulierenden Kaufleuten durchaus bewußt gewesen sein. Deshalb stand von Anfang an die Frage, wie dieses Manko ausgeglichen werden konnte. 119

Eine Möglichkeit wäre gewesen, die afrikanischen Farmer durch indirekte Investitionen, wie Verteilung von Saatgut und garantierte, eventuell gestützte Aufkaufpreise zur Anlage neuer Dauerkulturen zu bewegen. Das hätte jedoch finanzstarke Einzelfirmen oder Firmengruppen mit Monopolstellung im Aufkauf vorausgesetzt. Gerade daran mangelte es in der Togokolonie, vor allem bis zur Jahrhundertwende, in gewissem Maße sogar bis zum Ende der deutschen Kolonialherrschaft. Kapitalschwach, dazu befangen im Denken der freien Konkurrenz, suchte jede der europäischen Firmen nur den eigenen Vorteil. Hätte eine einzelne Firma auf dem beschriebenen Wege neue Dauerkulturen bei den afrikanischen Farmern gefördert, so hätte sie allein die Investitionen zu tragen gehabt, den Profit aber mit vielen teilen müssen. Die logische Alternative war die Orientierung auf Plantagenbetriebe im Besitz und unter Leitung von Europäern. Die meisten deutschen Kaufleute nahmen jedoch Abstand, „weil bezahlte Arbeit dort zu teuer zu stehen komme" (196). Einzelne wie J . K . Vietor scheuten Investitionen nicht und stellten so ebenfalls — wie die deutsche Kolonialbeamtenschaft — die Weichen in Richtung deutscher Plantagen Wirtschaft. Vietor hatte 1891 etwa 25 ha Land erworben und mit Kaffee bepflanzt. Ende 1894 kaufte er weiteren Boden, „da der Stand der Plantage ein sehr hübsches Resultat in der Zukunft erhoffen läßt. . . Sowie ich den Beweis habe — bis jetzt sind es ja nur noch Hoffnungen — daß eine Caffeeplantage in Togo sich bei richtiger Behandlung gut bezahlen wird, möchte ich diese Tatsache in Deutschland bekannt machen"; die Administration dürfte allerdings keine Schwierigkeiten bereiten, geeignetes Land billig zu erwerben. (197) Vietor hatte jedoch die falsche Exportkultur gewählt; seine Plantagen erlitten Rückschläge. Andernfalls wäre er nach der Jahrhundertwende wohl kaum zu einem energischen Wortführer des kleinen Kaufmannskapitals geworden, das sich für die kleinbäuerliche afrikanische Landwirtschaft einsetzte. Ein Beweis mehr, aus welchen Gründen Kolonialdeutsche ihr Herz für afrikanische Bauern entdeckten. Zu einer Zeit jedoch, als Vietor und andere deutsche Kaufleute durch die Errichtung von Primärverarbeitungsanlagen und höhere Preise die koloniale Wirtschaftsstrategie hätten grundlegend beeinflussen können, taten sie nicht nur nichts, sondern unterstützten eher noch den europäischen Plantagenunternehmer. Die Plantagenwirtschaft degradierte in der Perspektive nicht nur den afrikanischen Bauern zum Lohnarbeiter. Die deutschen Plantageninteressenten ignorierten von vornherein die jahrhundertelangen Ergebnisse afrikanischer Landwirtschaft bezüglich Bodenbearbeitung, Fruchtfolge, Düngung, kombiniertem Pflanzenanbau usw. Dem allgemeinen rassistischen Vorurteil einer begrenzten Fähigkeit der Afrikaner folgend, stellten sie die Erfahrungen der afrikanischen Bauern in Frage, um damit die Notwendigkeit des von Europäern geleiteten Plantagenbetriebes zu begründen. Selbst nach 30jährigen Erfahrungen deutscher Kolonialwirtschaft hielten die Kolonialisten hartnäckig an ihrer Voreingenommenheit fest. So erklärte der Staatssekretär im Reichskolonialamt, Dr. Solf, am 9. März 1914 im Reichstag: 120

„. . . es kommt nicht darauf an, was man pflanzt, ob Weizen, Mais, Bananen oder Kakao; es kommt darauf an, wie man pflanzt. Und darüber geben die jahrhundertelangen Erfahrungen der deutschen Landwirtschaft am besten Aufschluß. Deswegen kann ich die Resolution der Sozialdemokraten, den Plantagenbau zu untersagen, nicht annehmen." (198) Der aufzubauenden Plantagenwirtschaft legten die Kolonialisten demzufolge Maßstäbe europäischer Landwirtschaft zugrunde oder genauer gesagt das, was ein deutscher Kaufmann oder Beamter davon zu wissen glaubte. Auch die kapitalkräftigeren afrikanischen Zwischenhändler folgten in ihrem weitverbreiteten Glauben an den „europäischen Fortschritt" diesen Illusionen, vernachlässigten die Erfahrungen der afrikanischen Bauern und erlitten die gleichen Rückschläge. Die ersten in der deutschen Kolonialära angelegten Plantagen kultivierten Kokospalmen. Die Kokosnuß („Jovone" — „Frucht der Weißen") soll ursprünglich von den Portugiesen an die westafrikanische Küste gebracht worden sein. Sie wuchs auf dem wenig fruchtbaren Boden der Sandbank und begnügte sich mit geringen Regenmengen. Daß sie im Küstenbereich angepflanzt worden war, hing vorerst nicht mit der Gewinnung von Kopra als Exportprodukt zusammen. Die Kokospalme war wie die Ölpalme sehr vielseitig verwendbar. Im Vorreifestadium "konnten die Nüsse bereits ausgetrunken werden. Die Palme lieferte Material für Körbe, Zäune, Dachbedeckungen usw. Nicht zuletzt wurde — nach afrikanischen Rechtsvorstellungen — durch die Anpflanzung der Kokospalmen ein Anspruch auf den Boden erworben. Deshalb pflanzten sowohl afrikanische Händler als auch europäische Kaufleute, wenn sie sich an einem Ort länger aufhalten wollten, auf dem Sand oder zwischen dem Gestrüpp der Sandbank Kokospalmen an. Offenbar hatten die weiterblickenden afrikanischen Händler bei der Anlage ihrer Plantagen beide Aspekte im Auge: den der Exportproduktion und den des rechtlichen Anspruchs auf das bebaute Land. Jedenfalls ließen die Händler später dieses Land amtlich als ihr Privateigentum registrieren. Wie viele Kokospalmen bereits vor der deutschen Kolonialokkupation von Afrikanern angepflanzt worden sind, ist nicht mit absoluter Sicherheit zu sagen. Interpretiert man aber eine von den Land Wirtschaftsexperten der Administration 1891 erhobene Statistik in dem Sinne, daß als ausgewachsene Bäume die fünf Jahre alten Palmen gezählt wurden, so könnten es etwa 12000 Palmen gewesen sein. Die regionale Verteilung legt die Schlußfolgerung nahe, daß die Anpflanzungen in Lome/Groß Be und Porto Seguro bereits zu den Pflanzungen größeren Stils gehörten. Die Statistik unterschied die Bäume nach ihrem Alter sowie den Anbaugebieten an der Küste der Kolonie von Ost nach West (199):

10 Sebald, Togo

121

über 5 Jahre Klein Popo Badji, Degbenu Adjido Gridji Gumkovhe, Sewakrikovhe Porto Seguro Bagida Lome/Groß Be

unter 5 Jahre

Gesamtzahl

500 1000 500 800 3000 2500 500 3500

1500 1000 4500 200 1000 50500 7500 41500

2000 2000 5000 1000 4000 53000 8000 45000

12300

107700

120000

Auf weitere 10000 Kokospalmen beliefen sich die Schätzungen für die angrenzende Küstenregion. Diese Statistik sagt allerdings nichts über die Besitzverhältnisse aus; eine andere Statistik gibt nur an, wem die neuangepflanzten Palmen gehörten: (200)

Lome Bagida Porto Seguro/Kpeme Klein Popo und Umgegend

Afrikaner

Europäer

13000 1500 6500 1000 500 4200

27000

(Olympio) (andere) (Medeiros) (andere (andere) (andere)

50000 (Oloff) 4000 (Vietor)

Somit waren drei Viertel der neugepflanzten Kokospalmen in europäischem Besitz, aber die 26700 Palmen im Besitz von Afrikanern bedeuteten doch eine erhebliche Steigerung, gemessen an den etwa 12000 Palmen aus früheren Zeiten. Der Export betrug im Jahr 1891 43044 Nüsse und 2800 kg Kopra, d. h. es wurden noch vorrangig ganze Nüsse exportiert. Offensichtlich erntete man aber einen großen Teil der Nüsse im Vorreifestadium, um die Kokosmilch — in Anbetracht der schlechten Trinkwasserverhältnisse — selbst zu trinken. Entsprechend den Vegetationsbedingungen blieb die Kokospalme auf die Küstenregion beschränkt. Unsichere Niederschlagsverhältnisse beeinträchtigten dort aber das Wachstum, so daß bestenfalls nur drei Viertel der Setzlinge voll auswuchsen; auch schädigten Rüsselkäfer die Plantagen sehr. Die Ergebnisse lagen somit unter den Erwartungen. Drei deutsche Plantagenunternehmer hatten mit dem Anbau von Kokospalmen begonnen, aber nur die P. H. Oloffs in 122

Kpeme fand nach dem Bankrott Oloffs eine Erweiterung durch eine Gesellschaft (siehe S. 363, 371, 423). Nach der Statistik von 1897/98 (201) umfaßte die Plantage Kpeme 60000 Kokospalmen, die J. K. Vietors 6000 und die Plantage Lome nur noch 5000. Als größte afrikanische Besitzer waren erfaßt: O. Olympio mit 12000 Kokospalmen bei Lome, King Mensah mit 3000 in Porto Seguro sowie im Hinterland von Klein Popo Ayite Ajavon mit 2600, d'Almeida Brothers mit 1000 sowie Creppy mit 338 Palmen. Die afrikanischen Plantagenbesitzer ließen somit im wesentlichen die angepflanzten Bestände abernten, ohne diese Kultur zu erweitern. (Zur Fortsetzung dieser Problematik siehe S. 421.) Zwei andere Dauerkulturpflanzen, Kaffee und Kakao, waren an der Togoküste nicht heimisch. "Sie wurden besonders Ende der achtziger Jahre in größerem Umfang an der Togoküste eingeführt. Aber zu jener Zeit hatten sich neue Bedingungen ergeben: Erstens hatte die Anlage der Kokospalmenplantagen gezeigt, daß die afrikanischen Zwischenhändler aus der Sphäre der landwirtschaftlichen Produktion nicht herauszuhalten waren, ob die Deutschen in Togo das wollten oder nicht. Da die Administration diese Entwicklung nicht verhindern konnte, eine erhöhte landwirtschaftliche Produktion aber dem Handel und somit dem Kolonialfiskus zugute kam, verteilte sie zwar auch Saatgut für neue Dauerkulturen, aber vor allem an wenige afrikanische Händler und Häuptlinge, nicht in breitem Maße an die Bauernschaft. Zweitens waren die deutschen Kaufleute nicht mehr die einzigen Kolonialisten, die in der Plantagenkultur engagiert waren. In der Administration und besonders in Puttkamer hatte die europäisch geleitete Plantagenkultur die vorerst entscheidende Stütze gefunden. Warum die deutsche Kolonialadministration von Anfang an auf den europäischen Plantagenbesitz orientierte, ergibt sich aus mehreren, zum Teil prinzipiellen Gründen. Die deutsche Kolonialherrschaft etablierte sich in einem Territorium, das in die Produktion für den Weltmarkt einbezogen war. Das Wirtschaftssystem funktionierte ohne einen Eingriff der Administration so gut, daß diese nicht einmal ernsthafte Untersuchungen darüber anstellte, wie es funktionierte und wie es verbessert werden könnte. Zwar war offenkundig, daß die von den Afrikanern betriebene Landwirtschaft und die von ihnen für den Export produzierten Produkte letztlich die ökonomische Basis der Kolonie bildeten. Es überraschte allerdings, wie gering das tatsächliche und nicht nur verbale Interesse der Administration an dieser Frage war. Ein Aktenband genügte, um die von der Administration in Togo über allgemeine Landwirtschaftsfragen nach Deutschland gesandten Berichte bzw. Berichtsteile aus der gesamten deutschen Kolonialperiode zu erfassen, und auch die Spezialakten zeichnen sich — mit Ausnahme der die Baumwollpflanzungen betreffenden — durch Dürftigkeit aus. Eine eingehendere Untersuchung zu Landwirtschaftsfragen hätte sofort zu den Hauptfragen der Produktionsweise und der Produktionsverhältnisse bis hin 10*

123

zum Sinn der Kolonialherrschaft geführt. Der Rohstoffbedarf des deutschen Kapitalisten hätte über ökonomische Hebel geregelt werden können. Für einen entsprechenden Preis für sein Produkt hätte der afrikanische Bauer genügend geliefert. Das hatte der Baumwollboom in den sechziger Jahren des 19. Jh. gezeigt; das bewies nach der Jahrhundertwende der Aufschwung des Maisanbaus und der Kakaopflanzungen. Dazu war vom Prinzip her keine direkte Kolonialherrschaft nötig. Aber eine Exportproduktion in Händen afrikanischer Farmer stärkte sie ökonomisch und damit auch gesellschaftspolitisch so erheblich, daß schließlich der Kolonialherrschaft ein nicht mehr zu beherrschender gesellschaftlicher Faktor erwuchs, wie es tatsächlich Mitte des 20. Jh. in Ghana und anderen Kolonien der Fall war. Solche Konsequenzen waren der Administration zumindest im allgemeinen bekannt und sie orientierte deshalb auf den deutschen Plantagenbesitz, der den afrikanischen Bauern zum abhängigen Landarbeiter degradierte. 1888 schrieb Puttkamer in einer Denkschrift euphorisch: „Die Parole ist also überall Plantagenbau." (202) Zwar zwang die Realität in Togo besonders nach der Jahrhundertwende auch die Administration zur Modifizierung ihrer einseitigen Unterstützung der Plantagenwirtschaft, aber für mehr als die erste Hälfte der deutschen Kolonialperiode galt das uneingeschränkte rassistische Vorurteil, das der erste Landwirtschaftsexperte der Administration, Goldberg, 1892 so ausdrückte : „Ich habe mich jetzt vollkommen überzeugt, daß der Eingeborene, solange er keine Schule besucht hat oder nicht unter dem ständigen Einfluß eines Europäers steht, weder eine Baumwoll-, Kaffee-, Kakao- noch sonstige Kultur rentabel betreiben wird." (203) Mit dem rassistischen Vorurteil gingen für die Kolonialbeamten selbstsüchtige ökonomische Interessen einher. Zwar profitierte die Kolonialadministration von einer anwachsenden Exportproduktion der afrikanischen Einzelfarmer auf Grund der steigenden Zölle, nicht aber der einzelne Kolonialbeamte. In Plantagenunternehmen konnte der einzelne Kolonialbeamte Kapital investieren, um aus der Exportproduktion oder einem Gründergewinn, wenn die Plantage an eine Aktiengesellschaft weiterveräußert wurde, erheblichen Profit herauszuschlagen. Es verwundert deshalb nicht, daß zur Zeit der Landeshauptmannschaft Puttkamers, angefangen von diesem selbst, alle dienstälteren Kolonialbeamten, einschließlich des Arztes Dr. Wicke, an Plantagenunternehmen, besonders an Kokosnußplantagen, in Kpeme und Lome beteiligt waren. (204) Orientierte besonders Puttkamer von Anfang an auf Plantagenwirtschaft unter europäischer Leitung, so war doch die Realisierung mit einigen Schwierigkeiten verbunden: Vorerst zogen finanzkräftige Kapitalisten die größeren deutschen Kolonien in Afrika als Versuchsterritorien vor. Was nach Togo kam, waren Kolonialabenteurer vom Schlage eines Dr. phil. Henrici oder eines Leutnants Strensch, denen es mehr auf Bodenspekulation ankam und die deshalb, als diese bloße Spekulation offener zutage trat, nicht mehr die Förderung Putt124

kamers fanden. (205) Für ein großzügig bilanziertes Plantagenprojekt, das Dr. W. Wolff mit Unterstützung Puttkamers 1889/90 gründen wollte, konnte die angestrebte Kapitalsumme von 1 Mill. M nicht zusammengebracht werden. (206) Eine weitere Schwierigkeit war das Fehlen geeigneter Böden für die profitabelsten Exportkulturen. Ein schneller Erfolg blieb deshalb im Küstenbereich aus. Einer Anlage von Plantagen im Togogebirge stand das damals noch ungelöste Transportproblem bis zur Küste entgegen. Hinzu kam das Problem der Arbeitskräfte. Man hätte zwar jederzeit genügend Arbeitskräfte als freie Lohnarbeiter zur Verfügung gehabt, aber mit diesen Kräften glaubten die deutschen Kolonialisten nicht arbeiten zu können. Zwangsund „Kontraktarbeit" gab es noch nicht. Rentable Plantagenwirtschaft unter europäischer Leitung setzte somit entweder kapitalkräftige Gruppen voraus, die zu langfristigen und auch erheblichen Investitionen bereit waren, oder aber den Aufbau einer effektiven Kolonialherrschaft, die mit erpreßten Landverkäufen, Zwangsarbeit und einer staatlicherseits errichteten Infrastruktur den Kapitalbedarf erheblich reduziert hätte. Für beide Wege fehlten im ersten Jahrzehnt der Kolonialherrschaft in Togo die Voraussetzungen. Das hielt jedoch Puttkamer nicht davon ab — wie auch auf anderen Gebieten —, für die Plan tagen Wirtschaft langfristig die Weichen zu stellen. Er führte ein System von „Versuchsgärten" der Administration ein und gründete 1893 anonym mit anderen deutschen Kolonialbeamten in Togo eine Plantagengesellschaft, die zwar später von einer Kolonialgesellschaft, der Deutschen Togo-Gesellschaft, aufgekauft wurde, aber bis zum Ende der deutschen Kolonialherrschaft fortbestand: die Kokosplantagengesellschaft Kpeme. Die offiziellen „Versuchsgärten" hatten vielfältige Funktionen. Der erste Zweck war — worauf schon der Name verweist —, die Anbaubedingungen von Pflanzen, die einen Exportwert hatten, zu erforschen. Dadurch ersparte man dem privaten Kapital weitgehend jene Investitionen, die sonst in einer Experimentierphase notwendig gewesen wären. In den Versuchsgärten ließ man vor allem nicht einheimische Pflanzenarten — wie Kakao —, aber auch bestimmte Sorten einheimischer Pflanzenarten — wie Baumwolle oder Mais — anbauen. Die wissenschaftlichen Resultate waren allerdings im großen Maße dadurch geprägt, daß man aus rassistischem Vorurteil a priori europäische Anbaumethoden für besser als afrikanische hielt (z. B. bezüglich der Anlage von Rein- oder Mischkulturen, Pflug- oder Hackbau) und auch fremde Sorten von vornherein im Vergleich zu den einheimischen als hochwertiger ansah, was sich gerade bei Baumwolle und Mais als gewaltiger Irrtum herausstellen sollte — jedoch nicht als Ergebnis der Pflanzungen der „Versuchsgärten". Der zweite Zweck war die Versorgung der Stationen (Europäer, afrikanisches Personal, Soldaten) mit Nahrungsmitteln (Kassawa, Obst, Gemüse, Geflügel und — sofern möglich — im Landesinnern auch Großvieh). Dadurch wurden die Stationen weitgehend unabhängig von der Lebensmittelversorgung aus der Umgebung, und es war eine nahezu kostenfreie Lebensmittelproduktion. Denn — und das war ein dritter Zweck — 125

in dem Maße, wie die Kolonialadministration in die Rechtsprechung eingriff, wurde neben dem Wegebau die zwangsweise Arbeit in den „Versuchsgärten" als hauptsächlichste Strafe verhängt. Schließlich kam noch der gewichtige psychologische Aspekt dazu, daß jeder Kolonialbeamte dem Vorbild eines preußischen Junkers nacheifern wollte, obwohl er in der Regel gar keine landwirtschaftlichen Kenntnisse hatte. Der Name „Versuchsgärten" verdeckte, daß es sich um größere landwirtschaftliche Nutzflächen mit Plantagencharakter (207) handelte, ebenso wie die „Missionsgärtchen" landwirtschaftliche Versorgungsbetriebe der Missionen unter Ausnutzung der nichtbezahlten Schülerarbeit darstellten. (Zur weiteren Verfolgung der Problematik siehe S. 354, 488.) Puttkamer erreichte, daß 1889 die Administration ihren ersten Landwirtschaftsexperten, den Pflanzer Goldberg, erhielt, der den „Versuchsgarten" in Sebe anlegte. Goldberg hätte, wäre er vor allem/als Fachmann an sein Arbeitsgebiet herangegangen, viele wichtige Erkenntnisse über die Landwirtschaft der Afrikaner gewinnen können. Aber er ließ sich von den Gedanken seines Vorgesetzten Puttkamer für deutsche Plantagenwirtschaft leiten und trug durch seinen „Experten"ratschlag wesentlich zum Mißerfolg der neuen Dauerkulturen Kaffee und Kakao in der Küstenregion bei. Bei der Anlage der neuen Dauerkulturen hatten vor allem die afrikanischen Zwischenhändler nicht nur das Beispiel europäischer Kaufleute vor Augen; sie sahen auch, daß die Kolonialadministration die Anlage von Plantagen forderte und folgten den Ratschlägen des kolonialen Landwirtschaftsexperten. Kaffee war in den Augen der deutschen Kolonialisten ein typisches Exportprodukt; deshalb legte J. K. Vietor selbst Plantagen an und verteilte das ohnehin billige Saatgut an Afrikaner, vor allem an die prominenten afrikanischen Händler. Daraufhin legte einer der bedeutendsten afrikanischen Händler in Klein Popo, d'Almeida, eine Kaffeeplantage an „in regelrechten Reihen im Schutz hoher Bananen". 1891 hatte er weitere 50000 Pflanzen in Baumschulen, und alle Pflanzen wurden mit großer Sorgfalt behandelt. „Von allen Seiten sind Bestellungen auf Pflanzen eingegangen, so daß die Pflanzen, welche die Almeidas in nächster Regenzeit nicht selbst verbrauchen, sehr schnell vergriffen sein werden." (208) P. H. Oloff zog ebenfalls 100000 Kaffeepflänzchen und wurde seinen Überschuß leicht los. Schon zu diesem Zeitpunkt stellte man in der Versuchspflanzung in Sebe verschiedene Schädlinge an KafTeebäumen fest, aber das war für den kolonialen Landwirtschaftsexperten offenbar kein Grund, auf die Gefahr hinzuweisen. (209) 1893 zählte man an der Küste, besonders hinter der Lagune bei Klein Popo am Weg nach Anfeu 40000 Kaffeebäume; bis 1898 stieg die Zahl auf 105000. Davon waren in europäischem Besitz 30000 Bäume auf der Plantage J. K. Vietors, 3000 Bäume auf den Plantagen der katholischen Mission und 2000 auf der Plantage des Kaufmanns Martin. Auf den afrikanischen Besitz entfielen: 32500 Bäume auf die Plantage der d'Almeida Brothers, 26000 auf die Plantage 126

von Aite Ajavon, 4000 auf die Plantage von Creppy, 6500 auf die Plantage von Chiko d'Almeida und der Rest auf nicht genannte Personen. 1899 existierten aber nur noch 22700 Bäume und im darauffolgenden Jahr wurde die Kultur als unhaltbar aufgegeben. Ein Jahrzehnt später schrieb dazu Hans Meyer in dem Standardwerk „Das deutsche Kolonialreich": Die Ursache für den Mißerfolg waren die furchtbare Dürre des Jahres 1898, ferner Schädlinge und der schlechte nährstoffarme Boden. Man war vorgegangen, ohne die natürlichen Bedingungen zu kennen." (210) Eine gleiche koloniale Fehlorientierung wurde bezüglich des Kakaoanbaus an der Küste gegeben. Obwohl Goldberg selbst einschätzte, daß die Kakaopflänzchen im Versuchsgarten in Sebe eingehen werden, verteilte er 1892 eine größere Anzahl von Kakaofrüchten aus Kamerun „an die hiesigen Eingeborenen d'Almeida, Creppy, Aite und Olympio. Alle zusammen verfügen jetzt über etwa 8000 junge Kakaopflanzen, welche auch in der nächsten Regenzeit an für Kakao geeignete Stellen, die ich aussuchen werde, verpflanzt werden sollen". (211) Der Versuch mißlang völlig und ging zu Lasten der Afrikaner, die sich zum Anbau hatten bewegen lassen. Boom und Zusammenbruch der neuen Dauerkulturen hatten wesentliche Folgen für die gesellschaftlichen Verhältnisse an der Küste. Der Wert des Bodens an der Küste war schon 1894 bedeutend gestiegen, und es waren „auch gleich bemittelte Schwarze schon dabei, den Grundbesitz auf Spekulation für sich zu erwerben, ohne vielleicht die Absicht zu haben, den Boden durch Selbstbebauung auszunutzen" (212). Für einzelne afrikanische Plantagenbesitzer wie d'Almeida war der Rückschlag ebenso groß wie für mehrere ungenannte kleinere Farmer. Die Lektion kolonialer Anregungen war so nachhaltig, daß der Gouverneur selbst nach einem Jahrzehnt — 1907 — einschätzen mußte: „In manchen Teilen des Schutzgebietes sind die Eingeborenen durch die in früheren Jahren erfolgte gänzlich verfehlte Einführung und Förderung der Kaffeekultur gegenüber den Ratschlägen ihrer europäischen Beherrscher skeptisch geworden." (213) Die Mißerfolge einer plantagenmäßigen Anlage von Dauerkulturen im Küstenbereich lasteten die Kolonialisten vielfach den Afrikanern an, da diese angeblich nicht zu einer rationellen Plantagenwirtschaft in der Lage seien. Tatsächlich scheiterten jedoch nicht nur afrikanische, sondern auch europäisch geleitete Plantagenbetriebe, und zwar deshalb, weil man vorgegangen war, ohne die natürlichen Bedingungen zu kennen. Naturwissenschaftliche Untersuchungen fehlten, und die Erfahrungen der afrikanischen Bauern wurden — inspiriert von kolonialer Voreingenommenheit — mißachtet. Während kolonialrassistisches Ideengut in der Politik und Gesellschaftskonzeption notfalls mit militärischer Gewalt zum Teil durchgesetzt werden konnte, führten im Bereich der Ökonomie koloniale Ignoranz und illusionäres Denken zu Rückschlägen, die jedoch die kolonialen Befürworter einer von Europäern geleiteten Plantagenwirtschaft noch keineswegs entmutigten. Für sie galt es, dieser Plantagenwirtschaft noch günstigere Voraussetzungen zu schaffen, und das bedeutete, 127

1. umfangreichen Bodenbesitz für Europäer in klimatisch günstigen Gebieten, wie dem Togogebirge, zu sichern; 2. ein System noch billigerer, zwangsverpflichteter Arbeitskraft zu schaffen; 3. durch infrastrukturelle Maßnahmen, wie Wege- und Eisenbahnbau, billigste Transportmöglichkeiten zu gewährleisten. Dann — so erwartete man — würden sich kapitalkräftigere deutsche Kapitalistengruppen auch für Togo interessieren. Diese koloniale Konzeption konnte durch das Wirken Puttkamers während seiner Gouverneurszeit in Kamerun später teilweise verwirklicht werden. Wenn ihr jedoch Grenzen gesetzt blieben, dann aus dem Grunde, daß gerade im Togogebirge bereits die afrikanischen Einzelbauern aus eigener Initiative in breitem Ausmaße zur Kultivierung von Kakao übergegangen waren. (Zur weiteren Verfolgung dieser Problematik siehe S. 425.)

9. Die Anfänge einer kolonialen Lösung der Arbeitskräftefrage In den vorkapitalistischen Gesellschaftsstrukturen Afrikas gab es insofern kein Arbeitskräfteproblem, als von der bäuerlichen Bevölkerung ein Mehrprodukt im Zuge der Subsistenzwirtschaft erzeugt wurde, das auch für den Austausch und Handel genügte. Mit dem unterschiedlichen Grad der Klassendifferenzierung waren auch verschiedene Formen abhängiger Arbeit entstanden. Diese waren für die im Zuge der kolonialen Expansion nach Afrika gekommenen Europäer stets von größtem Interesse gewesen, galt es doch, zuerst den transatlantischen Sklavenhandel unter Ausnutzung solcher Formen aufzubauen und moralisch zu sanktionieren sowie später das System der kolonialen Zwangsarbeit in den afrikanischen Kolonien zu errichten und zu rechtfertigen. Unbestreitbar existierten in den vom Kolonialismus nicht beeinflußten Gesellschaftsordnungen in Afrika Formen der abhängigen Arbeit einschließlich der Sklaverei, wie es sie überall auf der Welt im Zuge der Klassendifferenzierung gab. Aber höchst bestreitbar sind die Darstellungen kolonialer Beobachter über Formen und Ausmaß dieser abhängigen Arbeit in den vom europäisch-kolonialen Einfluß sogenannten unberührten Gebieten. Nicht nur, daß sie den Begriff „Sklave" zur Charakterisierung eines jeden Abhängigkeitsverhältnisses verwendeten, sondern vor allem wurden mit dem transatlantischen Sklavenhandel auch jene Formen der Sklaverei, wie sie die europäischen Sklavenhalter und Sklavenhändler verstanden und in der Praxis handhabten, in die afrikanischen vorkapitalistischen Gesellschaftsstrukturen hineingetragen. Einzuschätzen, was an Formen von abhängiger Arbeit ursprünglich vorhanden war oder was zwei Jahrhunderte transatlantischen Sklavenhandels verursacht hatten, war den kolonialen Reisenden oder auch den Missionaren im vorigen Jahrhundert unmöglich. Zum einen, weil sie glaubten, im Landesinnern von 128

europäischem Einfluß unberührte Völkerschaften zu beschreiben, zum andern, weil ja jeder Verweis auf die negativen europäisch-kolonialen Auswirkungen in der Vergangenheit das Nachdenken über den gegenwärtigen Einfluß angeregt hätte. Das, was die Europäer in Togo an Formen abhängiger Arbeit unter den Begriffen „Sklaverei", „Haussklaverei", „Schuldknechtschaft" usw. dargestellt haben, kann bestenfalls als Beobachtung eines existierenden Zustandes aufgefaßt werden, nicht aber als Beweis dafür, daß dieser Zustand das Resultat einer eigenständigen afrikanischen Entwicklung gewesen ist. Als sich die deutsche Kolonialherrschaft an der Togoküste etablierte und schrittweise ins Landesinnere vordrang, wurde sie mit dem Bestehen von Formen abhängiger Arbeit konfrontiert, die sie unter dem Begriff „Sklaverei" subsummierte. Sie mußte jedoch auch konstatieren, daß im unmittelbaren Küstenbereich in den Handelszentren freie Lohnarbeit auf der Grundlage von Geldzahlung schon seit mehreren Jahren gang und gäbe war und immer genügend Arbeitskräfte zum Tageslohn von 0,50 M (nach der Jahrhundertwende 0,75 M) für einen zehn- bis zwölfstündigen Arbeitstag erhältlich waren. In der Regel beschäftigten die europäischen Handelsfirmen Iroic I ohnarbeiter im Faktoreibetrieb, wenngleich Dienstpersonal — vielfach im Kindesalter — unter sklavenähnlichen Bedingungen „gekauft" wurde. Die deutschen Kolonialisten und im besonderen die Kolonialadministration hätten die Möglichkeit gehabt, den ohnehin vorhandenen Trend zum freien Lohnarbeiter durch gesetzliche Bestimmungen zu regulieren und zu fördern. Daß sie es nicht taten, ist in allgemeinen kolonialpolitischen und ökonomischen Gründen zu suchen. Als sich das deutsche Kolonialreich in Afrika in seinen vorläufig endgültigen Formen abzuzeichnen begann, war die Togokolonie, abgesehen von ihrer kolonialpolitisch-ideellen Funktion als „Musterkolonie", für den deutschen Kolonialismus aus zwei Gründen interessant: als Export-Import-Platz und als potentielles Arbeitskräftereservoir. Im Vergleich zu den deutschen Kolonien Kamerun und Südwestafrika galt Togo als dichtbesiedeltes Gebiet, und je mehr die Ausbeutung in den anderen deutschen Kolonien vorrangig intensiviert wurde, um so mehr waren dort Arbeitskräfte nötig. Der Export von Arbeitskräften aus Togo war deshalb von Anfang an ein Ziel der Kolonialadministration, und hier setzte sie Maßstäbe. Wenn in den Jahren nach der Jahrhundertwende eine größere Zahl von Togolesen in Kamerun und Südwestafrika bei den deutschen Kolonialisten arbeitete, und zwar zu besseren Arbeitsbedingungen als die hier ansässigen Afrikaner, dann war dies schon das Ergebnis des Kampfes der Lohnarbeiter aus Togo. Die deutschen Kolonialisten waren zuerst keineswegs bereit, dem freien Lohnarbeiter jene Bedingungen zu gewähren, die die Vorteile des Lohnarbeiters gegenüber dem Sklaven sind: freie Verfügung über seine Arbeitskraft, freizügige, kündbare Lohnarbeit auf der Grundlage eines schriftlich oder mündlich ausgehandelten Arbeitskontraktes, der eine menschenwürdigere 129

Behandlung einschloß. Ein frei ausgehandelter Arbeitskontrakt widersprach dem Prinzip der deutschen Kolonialherrschaft, die letztlich alle Rechte nur für die eine Seite, die Kolonialherren, beanspruchte. Die Kolonialisten brachten eine ganze Reihe von Argumenten gegen die freie Lohnarbeit vor. Nach Puttkamer war für einen lohnenden und ausgedehnten Plantagenbetrieb unter europäischer Leitung selbst der so niedrige Tageslohn von 0,50 M zu teuer. Ferner war eine beliebte aber unbewiesene Behauptung der Kolonialisten, daß der freie afrikanische Lohnarbeiter nicht regelmäßig arbeite und somit unzuverlässig sei. Das Funktionieren des Faktoreibetriebes der europäischen Handelsfirmen auf der Grundlage freier Lohnarbeit beweist jedoch das Gegenteil. Die angeblich mangelnde Zuverlässigkeit ordnete sich in die kolonialistisch-rassistische Grundvorstellung vom „faulen Neger" ein, der zur Arbeit überhaupt und im besonderen zur Arbeit für den Europäer gezwungen werden müsse (214). Da die deutschen Kolonialisten im ersten Jahrzehnt ihrer Herrschaft in Togo noch nicht in der Lage waren, die Zwangsarbeit für alle Afrikaner allgemein durchzusetzen, orientierten sie sich mit ihrer Arbeitskräftepolitik auf jene Schicht in der vorkapitalistischen afrikanischen Gesellschaftsstruktur, die mit außerökonomischem Zwang zu einer Arbeitsleistung gezwungen werden konnte, die „Sklaven", und kollaborierten mit jenen, von denen sie diese abhängige Arbeitskraft erhalten konnten, den Sklavenbesitzern und Sklavenhändlern. In der deutschen Kolonie Togo waren Sklaverei und Sklavenhandel gesetzlich nicht verboten; die Kolonialisten beriefen sich dabei auch plötzlich auf den Protektoratsvertrag, in dem Nachtigal den afrikanischen Chiefs angeblich eine Nichteinmischung in interne gesellschaftliche Verhältnisse zugesagt habe, obwohl der Vertrag einen derartigen Passus überhaupt nicht enthält. Um vor Kritikern in Deutschland diese Haltung zu rechtfertigen — zur gleichen Zeit lief in Deutschland eine Propagandakampagne gegen den arabischen Sklavenhandel in Deutsch-Ostafrika zur öffentlichen Motivierung des deutschen Kolonialengagements —, spielten die Kolonialisten das Problem der Sklaverei herunter und leugneten das des Sklavenhandels schlichtweg. Die Kolonialisten behaupteten einerseits, daß die Sklaverei eine dem Wesen des Afrikaners entsprechende, seit Jahrtausenden eingebürgerte Institution sei und demzufolge logisch in einer Arbeit für den „weißen Mann" fortgeführt werden müsse, modifiziert unter den Bedingungen des 19. Jh., d. h. lediglich der formalen Vermeidung des Wortes „Sklave". Andererseits standen sie vor dem Dilemma, daß es in den von ihnen okkupierten Territorien Togos eine Sklaverei, wie sie aus Amerika bekannt war und wie sie in der Vorstellungswelt der Deutschen existierte, nicht gab. Da die Warenproduktion noch verhältnismäßig gering entwickelt war, bestand für die Sklaven besitzenden Afrikaner keine Veranlassung, gewaltsam jene Arbeitsleistung von ihren Sklaven zu erpressen, wie die weißen Sklavenhalter in Amerika. In der Regel wurden die Sklaven weder in Fesseln gehalten noch öffentlich ausgepeitscht. Sklaven konnten persönliches Eigentum erwerben. Die Kinder eines Freien und einer Sklavin wurden frei. 130

Oft verglichen die Kolonialisten die Lage der afrikanischen Sklaven mit der der deutschen Arbeiter in Stadt und Land. Nach ihrem Urteil fiel dieser Vergleich zugunsten der afrikanischen Sklaven aus, das aber charakterisiert lediglich die Fragwürdigkeit des „Fortschrittes" kapitalistischer Lohnsklaverei. Die Kolonialisten führten deshalb den Begriff der „Haussklaverei" ein, um einen gesellschaftlichen Zustand, der im Prinzip ein Ausbeutungsverhältnis war, zu sanktionieren und so lange in einer Übergangsperiode zu nutzen, bis sie das koloniale Zwangsarbeitersystem militärisch und verwaltungsmäßig durchsetzen konnten. Um der Kritik vorzubeugen, unternahmen sie alles, um die „Haussklaverei" in einem für die Begriffe der herrschenden Klasse in Deutschland opportunen Licht erscheinen zu lassen. So war, nach Meinung des Kaiserlichen Kommissars von Zimmerer, das Sklavenverhältnis „den Schwarzen sozusagen auf den Leib geschnitten" (215). Puttkamer ging von der „bekannten Faulheit der schwarzen Rasse" aus und charakterisierte das Sklavenverhältnis gar als „die notwendige Grundbedingung nicht nur gewinnbringender europäischer Unternehmungen in Afrika, sondern auch der Civilisation der schwarzen Rasse": Die Freilassung wäre „das größte Unglück", der Sklave „wäre frei, Hungers zu sterben", er sei „an Selbständigkeit nicht gewöhnt" und würde „die Freiheit nur als Last empfinden". Ein Freikauf durch Europäer sei dann keine Wohltat, „wenn sie nicht gleichzeitig in ein ähnliches Verhältnis treten wie der ehemalige schwarze Herr". (216) Die Forschungsreisenden Kling und François, die als erste deutsche Kolonialisten ins Hinterland Togos vorstießen, hatten natürlich dieselbe Meinung. (217) Gleichzeitig wurde die Methode der Verschleierung angewendet, d. h. die Sklaverei mit allen möglichen anderen Bezeichnungen wie Hörigkeit, Unfreiheit usw. umschrieben. (218) Gottlob Adolf Krause bemerkte dazu treffend : „Die Regierung malt wiederholt ein so liebliches Bild von der Haussklaverei, daß es mich nicht wundern würde, wenn sich viele bei ihr zum Eintritt in diese Haussklaverei gemeldet haben würden. Dieses Bild wird in einen Zuckerrahmen gesetzt und vor der Welt ausgestellt. Es kann nicht ausbleiben, daß aus manchem Munde ein .Allerliebst' oder ,Wie nett' erschallt und — der Sklavenhandel wird darüber vergessen: der Zweck ist erreicht." (219) Im Bewußtsein der Afrikaner — sowohl der Sklaven als auch der Herren — wurde die Sklaverei nicht nur sanktioniert, sondern durch das Kolonialsystem noch stabilisiert: ein bei der Eroberung des Hinterlandes sehr gewichtiges Element, auf das später noch eingegangen wird. Die Respektierung der einheimischen Sitten war für die Kolonialisten, die sich sonst nicht an ihre Zusagen hielten, nur ein Vorwand. Den wahren Grund enthüllt ein Passus im Manuskript des Jahresberichts 1898/99, der natürlich vor der Veröffentlichung gestrichen wurde : „Ist ein solcher Sklave erst einmal frei, d. h. ist er der lästigen Ackerwirtschaft seines abgelegenen Arbeitsdörfchens entflohen und erst einmal in der .großen Welt', so ist er fast immer für jede nutzbringende Beschäftigung verloren und stellt auch nicht mehr den geringsten Wert für das Land dar." (220) 131

Wurde die Sklaverei als die Basis sanktioniert, so zog das folgerichtig die Billigung des Sklavenhandels nach sich. So schrieb Dr. Max Buchner, der schon vor der Kolonialära Afrikareisender war und 1884 als Begleiter Nachtigals und erster kaiserlicher Beamter in Kamerun selbst aktiv die Kolonialpolitik inaugurierte, mithin kein Kathederkolonialist war, schon 1886 in der „Kölnischen Zeitung" mit bemerkenswerter Offenheit: „Mit Gutherzigkeit und weichem Gemüt läßt sich nichts Großes ausführen. Wohl alle Kolonien sind durch Sünden gegen die Menschenliebe groß geworden, und wo wir sehen, daß sie hier und dort nicht recht gedeihen wollen, so hat sicherlich die Humanität ihre ungeschickte Hand im Spiel . . . Bloß durch physischen Druck, der je nach den örtlichen Verhältnissen verschieden einzurichten sein wird, läßt sich bei ihnen (den „schwarzen Taugenichtsen", P.S.) etwas erreichen." Deshalb kam Buchner bezüglich der Sklaven zu dem Schluß: „Wer das Wort ,kaufen' nicht vertragen kann, der mag ja meinetwegen loskaufen' sagen." (221) Buchner wußte, daß er mit solchen Worten die Grenzen des bürgerlichen Anstands überschritten hatte, doch brüstete er sich mit seinen Ansichten und schrieb: „Wenige waren ehrlich und mutig genug, das offen herauszusagen." Auch Puttkamer bekannte, daß „ernsthafte und praktische Afrikakenner der Anwendung der Sklaverei nicht zu widersprechen pflegen". Er fügte bezeichnenderweise hinzu, „wenigstens, wenn sie ,unter sich' sind und keine Rücksicht auf die öffentliche Meinung zu nehmen brauchen". (222) Die von den deutschen Kolonialisten hervorgerufene Nachfrage nach Sklaven für den Export außer Landes regte sofort den Sklavenhandel in Togo an jenen Plätzen an, die vor Jahrhunderten als Exportzentren des transatlantischen Sklavenhandels entstanden waren. Bezeichnenderweise verkauften afrikanische Sklavenhändler nicht die Afrikaner der eigenen ethnischen Gruppe, die in ein Schuldverhältnis geraten waren, sondern kauften Sklaven aus dem Landesinnern zum Weiterverkauf auf. Es liegen genügend Schriftstücke in den Akten, die die aktive Rolle der Kolonialadministration dabei nachweisen. Puttkamer schlug in einer Denkschrift 1888 vor, in Dahome Sklaven aufzukaufen, „ohne daß selbst das skrupulöseste Gewissen darin etwas anderes finden könnte als einen Akt der Menschlichkeit" (223). Der zuständige Beamte im Auswärtigen Amt, Krauel, antwortete Puttkamer, daß seine Denkschrift sich nicht zu einer Veröffentlichung eigne, aber er gab ihm freie Hand, „daß Ihre Vorschläge wegen Anwerbung von Arbeitern aus Dahome seitens dortiger deutscher Interessenten versuchsweise zur Ausführung gelangen" (224). Als der berüchtigte Kolonialist von Gravenreuth 1891 in Togo für Kamerun 150 Sklaven kaufen wollte, schlug der Stellvertretende Kommissar von Togo, Boeder, den afrikanischen Häuptlingen von Klein Popo vor, Sklaven „freizukaufen". Die Chiefs Aite Ajavon und R. J. Garber äußerten am 16. Oktober 1892 rückblickend: „Wir kauften gemeinsam Sklaven und Herr Gra venreuth kaufte sie uns ab ohne besondere Schwierigkeiten und reiste mit denen nach 132

Kamerun eines schönen Tages ab." (225) Anfang 1892 kam über Hauptmann Brauchitsch ein erneuter Auftrag von Gravenreuth. „In gutem Glauben kauften wir wieder Leute gemeinsam", und zwar zu einem Kaufpreis von 190 bis 240 M je Sklave. Als Gravenreuth nicht zahlen wollte, beschwerten sich die Häuptlinge beim Kaiserlichen Kommissariat: „Nun was sollen wir mit so vielen Leuten machen? Das ganze Geld ist rausgeschmissen um Herrn Brauchitsch Willen." (226) Insgesamt waren 89 Sklaven gekauft worden, und zwar von Garber 16, Daschi 34, Popovi 6, Kuami 5, Kain 3, Juvensio d'Almeida 5, Abibu Tomeru 4, Sasi 2, Aschom 3 und Aite Ajavon 11. Diese Verteilung gibt auch Auskunft über die Kapitalkraft der einzelnen Händler, die hier in ein sicheres Geschäft investiert zu haben glaubten, sich enttäuscht sahen und nun beim Kommissariat Beschwerde führten. Als jedoch ein gerade neu angekommener Beamter die Sklaven freiließ, wurden auf Anweisung Puttkamers 1000 M für diese Sklaven nachgezahlt. (227) Daß von „Freikauf' auch nicht im entferntesten die Rede sein konnte, geht aus einem vertraulichen Brief des Kaufmanns J. K. Vietor hervor: „Die Sache liegt nun in Wirklichkeit so, daß Herr von Gravenreuth hier von den Eingeborenen so viele Sklaven gekauft hat, wie er nur bekommen konnte. Diese Sklaven sind hier in den Höfen der Häuptlinge in Ketten gehalten, in Ketten ans Meer gebracht und, so wie sie freigemacht waren, ins Boot gepackt und verschifft. So wie die reichen Leute hier hörten, haben sie dann überallher Sklaven gekauft und halten diese in Ketten, weil sie, da sie wissen, daß sie verschifft werden sollen, sofort weglaufen, wenn sie sich frei bewegen können . . . Das ist doch in aller Form Sklavenhandel, wie ihn die Araber im Osten betreiben, dagegen rüstet man eine ganze deutsche Flotte aus und hier läßt man bisher alles laufen." (228) Die Praxis zeigte jedoch, daß die Administration durchaus nicht „alles laufen" ließ, sondern sich aktiv in diese Geschäfte einschaltete. Auch die deutschen Kaufleute nahmen am Sklavenhandel teil. So kauften Jantzen & Thormählen 30 Afrikaner für die Debundschapflanzung in Kamerun. Puttkamer kommentierte das 1890: „Die Leute waren hier sogenannte Haus- oder Familiensklaven, wenn dieser Ausdruck doch einmal nicht zu umgehen ist, d. h. Hörige, und zwar in Diensten des Häuptlings John Mensah von Porto Seguro. Mensah hat dieselben definitiv abgegeben und pro Kopf eine Bezahlung von 200,— Mark erhalten." Er bemerkt weiter: „Ich habe im Interesse der Kamerunplantagen gern selbst den ersten Versuch gemacht." (229) Am 4. April mußte aber der Pflanzungsleiter von Debundscha berichten, daß von den Togoleuten nur vier Jungen, vier Krüppel und zwei Frauen zurückblieben, die anderen wollten zu Fuß in die Heimat zurückkehren. (230) Auch aus dem benachbarten französischen Kolonialgebiet berichtete der Kommandant der „Habicht" am 6. Mai 1892, „daß in Weidah der Sklavenhandel seitens deutscher Kaufleute betrieben wird" und der Handelsagent Richter der Firma Wölber 133

& Brohm die „in Ketten geschlossenen" Sklaven verschiffen wollte. (231) Die „Sklaventransporte der deutschen Firma Wölber & Brohm" wurden von den Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag in Frankfurt a. M. 1894 angeprangert. (232) Der Sklavenhandel oder Sklavenfreikauf wurde häufig als Kontraktarbeit getarnt, obwohl es für den betroffenen Afrikaner in der Praxis vielfach kaum Unterschiede gab. Schon 1889 hatte der Gouverneur von Kamerun, von Soden, anläßlich einer Informationsreise in die portugiesische Kolonie Säo Tomé an Bismarck berichtet, daß die zeitliche Begrenzung im Kontrakt „eine leere Redensart" ist, da durch den Vertrag „ein dauerndes und in gesetzlicher Weise kaum zu lösendes Dienstverhältnis begründet wird, das mit demjenigen Zustand, den man gemeiniglich unter dem Worte .Sklaverei' zu verstehen pflegt, jedenfalls eine verzweifelte Ähnlichkeit hat". (233) Andererseits hatte es Formen einer frei ausgehandelten und von europäischen Firmen auch eingehaltenen Kontraktarbeit — das Beispiel der Krubootsleute aus Liberia wurde bereits angeführt — schon vor 1884 an der Togoküste gegeben und auch Puttkamer berichtete 1890, daß Arbeiter „hier jederzeit in beliebiger Anzahl anzuschaffen" sind. (234) Aber gerade weil dies bekannt war, verfolgten die Daheimgebliebenen genau, ob die ausgehandelten Bedingungen von den Anwerbern eingehalten wurden. Als die von Kund für seine Expedition in Kamerun angeworbenen Togolesen nicht zur vereinbarten Zeit zurückkehrten, mußte sich Hauptmann Zeuner, der 50 bis 80 Mann anwerben wollte, mit ganzen 8 begnügen. 1891 wurden 134 Togolesen für den Eisenbahnbau in Belgisch-Kongo angeworben. Als 1892 30 Kranke zurückkehrten, nachdem 56 in der Kongokolonie gestorben waren, verursachte das so große Aufregung unter den Leuten in Anecho, daß das Kommissariat in großen Palavern die Leute zu beschwichtigen suchte und sich zu einer Intervention bei den belgischen Behörden veranlaßt sah, die den Arbeitern am 24. Oktober 1894 Lohngelder in Höhe von 3567,55 Francs nachzahlte. (235) Hauptmann von Brauchitsch, der neue Arbeiter „anwerben" wollte, mußte in Anecho im Januar/Februar 1892 20 Tage ohne Resultat warten. (236) Wie viele Afrikaner im ersten Jahrzehnt deutscher Kolonialherrschaft als Sklaven in andere Gebiete über die Seegrenze verkauft oder als Kontraktarbeiter kürzere Zeit außerhalb der Togokolonie arbeiteten, läßt sich an Hand der Akten nicht vollständig nachweisen. Geht man von einer Schätzung von etwa 200—400 Personen im Jahr aus, so genügte das, um eine Nachfrage nach Sklaven aus dem Landesinnern auszulösen, die von den Hausahändlern auf ihren Karawanen in kleinen und kleinsten Gruppen zur Küste gebracht wurden. Über diesen Effekt schrieb der Inspektor der Norddeutschen Missionsgesellschaft Zahn 1891 an den Leiter der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt: „In der Goldküste wissen die Eingeborenen, daß die Regierung weder Sklavenhandel noch Sklaverei will. In Togo glauben sie, daß beides der Regierung ganz recht sei." Proklamationen gegen den Sklavenhandel gebe es in 134

Togo nicht, „dagegen weiß ich, daß Äußerungen von Beamten den Eingeborenen die Auffassung beizubringen geeignet waren, daß man in den deutschen Gebieten haben werde, was in englischen nicht gestattet sei: Freiheit für den Sklavenhandel. Die Kunde davon wird auch nach Salaga gedrungen sein. Es läßt sich nicht leugnen, daß in Deutschland die Theorie von der Notwendigkeit des Arbeitszwanges für den Neger viele gefangen genommen hat . . ." (237) Die Tatsache, daß das Kommissariat gegen den offenen oder versteckten Sklavenhandel über die Seegrenze im ersten Jahrzehnt trotz der Enthüllungen in der deutschen Presse seit 1889 nicht einschritt, beweist, daß weniger der Druck der deutschen Öffentlichkeit Veränderungen erzwang. Vielmehr veranlaßte die Unruhe unter der afrikanischen Küstenbevölkerung angesichts der Sterblichkeitsquote und der menschenunwürdigen Behandlung der Kontraktarbeiter afrikanische Häuptlinge als Mittler der Kontraktarbeit, diese zu bremsen und im Sklavenhandel zurückhaltender zu disponieren. So erzwang die Bevölkerung menschenwürdigere Kontrakte. Auf der Grundlage neuer Kontrakte verdingte sich auch in den folgenden Jahren eine ganze Anzahl von Togolesen im Dienstleistungsbereich an Europäer in anderen Kolonien, wo die Europäer ihnen diese „Sonderstellung" gegenüber einem afrikanischen Plantagenarbeiter einräumen mußten. Der durch die deutsche Kolonialherrschaft bedingte Sklavenankauf verlagerte sich geographisch und quantitativ. Mit dem Vordringen ins Landesinnere wurden größere Mengen vor allem an Soldaten hier direkt „rekrutiert" und so der Preisaufschlag der afrikanischen Zwischenhändler und die unsichere Lieferzeit umgangen. Über diese Zwangsrekrutierung von „Hausasoldaten", die, wie G. A. Krause feststellte (238), sowohl von den britischen wie von den deutschen Kolonialisten betrieben wurde, war das Auswärtige Amt bestens informiert. In einem vertraulichen Schriftstück gab das Auswärtige Amt zu, daß sich die „Hausasoldaten" in den seltensten Fällen freiwillig meldeten. Die Häuptlinge würden gezwungen, eine bestimmte Anzahl von Eingeborenen zu stellen; sie erhielten 6 bis 7 Sack Kauris für einen Mann, der „daraufhin wie ein Gefangener abgeführt wird" (239). Mehrfach wurden auf dieser Grundlage „Hausa angeworben". Puttkamer ließ sich für das Asyl, das er 1893 dem aus Salaga vertriebenen König in Kete gewährte, 100 bis 200 Soldaten versprechen. Auf diese Weise wurden während der ganzen Kolonialzeit Soldaten für Kamerun beschafft. (240) Die Duldung der Sklaverei und damit verbunden die des Sklavenhandels hat besonders in der Periode der Ausdehnung ins Landesinnere und der Phase der Eroberung eine wesentliche Rolle gespielt, weil die deutschen Kolonialisten sich damit bei den Hausahändlern anbiederten. Wenn Afrikaner sich bei Kolonialbeamten beschwerten, daß andere Afrikaner ihnen ihre Sklaven weggenommen hatten, so veranlaßte die Administration die Rückgabe der Sklaven und bestrafte die entsprechenden Sklavenräuber wegen „Aneignung fremder Sklaven" mit Geldbuße, Gefängnis oder Prügel. (241) 135

Dort wo die Kolonialadministration Sklaven „befreite", trat sie selbst an die Stelle des Sklavenbesitzers, wie z. B. aus den Lohnlisten der Station ivlangu hervorgeht: „Ebenso sind befreite Sklaven nur verpflegt, aber nicht gelohnt worden." (242) 1899 traf der inzwischen zum Gouverneur in Kamerun avancierte Puttkamer eine bemerkenswerte Einschätzung, als er den Sprachforscher G. A. Krause wegen dessen jahrelangem Kampf gegen die behördliche Duldung des Sklavenhandels in Togo disqualifizieren wollte: „Die Begünstigung des Sklavenhandels ist ein Verbrechen, so hätte denn nach Krause die deutsche Regierung das eigentümliche Unglück gehabt, seit dem Jahre 1885 bis heute lauter Verbrecher mit der Leitung der Togokolonie betraut zu haben." (243) Die umfangreichen Akten des Reichskolonialamtes beweisen diese Begünstigung, so daß in der Tat die deutschen Administratoren — Puttkamer folgend — lauter Verbrecher waren. Die Institution der Sklaverei und des Sklavenhandels nutzten sehr viele Kolonialdeutsche aber auch in einem Bereich, wo es ihnen weniger um die Arbeitsleistung, sondern um ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis ging. Hier bevorzugten sie meist Kinder oder Jugendliche, die für die einen Kolonialisten Diener und Mätressen, für die anderen Missionskinder waren. Auch hier sprach man entweder von einem „Freikauf" der Sklaven oder aber interessierte sich gar nicht erst dafür, woher der Afrikaner eigentlich den „boy" hatte, den er dem Europäer verschaffte. Der Augenzeuge G. A. Krause schreibt dazu 1891: „Es betrifft dies besonders die katholischen Missionare, die ihre Tätigkeit nicht selten damit beginnen, Kinder, die Sklaven sind, zu kaufen und in ihren Missionen unterzubringen, dann Reisende und Beamte . . . Die Stellung dieser Missionskinder, der ,Diener' von Reisenden und Beamten, welche als Sklaven losgekauft worden sind, ist nicht ganz klar; denn es will mir scheinen, daß die Missionen usw. Rechte auf diese losgekauften Sklaven zu haben glauben; jedenfalls sehen sie dieselben nicht in einem solchen Grunde als frei an, daß sie ihnen das Fortlaufen frei gestatten." (244) Die Missionen nahmen sogar die Hilfe der Kolonialmacht in Anspruch, wenn die „Missionskinder" fortliefen. (245) Auch die Norddeutsche Missionsgesellschaft hatte neun Jahre lang versklavte Kinder „freigekauft" und ihnen nach dem Wunsch ihrer deutschen Geldspender europäische Vor- und Zunamen gegeben. Pastor Paul Wiegräbe leitet seine 1970 erschienene Broschüre „Befreit zum Dienst. Aus der Zeit und dem Leben des ersten Ewepastors Rudolf Mallet" mit einem im März 1859 im Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft abgedruckten anonymen Brief ein: „Verehrter Herr Pastor! Die Idee, die neulich in Ihrem Monatsblatt ausgesprochen und angeregt wurde, in Afrika Negersklaven anzukaufen, denselben ihre menschliche Freiheit zu schenken und sie zu Christen und, wenn der Herr seinen Segen dazu gibt, zu Missionaren heranzubilden, hat mich sehr gefreut 136

und in mir den Trieb erweckt, da ich doch nun einmal Kaufmann bin, auf so einen kleinen Neger zu spekulieren." (246) Der aus dem Brief sprechende bürgerliche Humanismus bedarf keines Kommentars. Diesem Abschnitt, betitelt „Ein Kaufmann spekuliert", läßt Wiegräbe unter dem Titel „Die Klage einer Negermutter" den bewegenden Bericht eines Missionars folgen. Allerdings sucht man in der ganzen Broschüre vergeblich eine Antwort auf die naheliegende Frage, weshalb die Missionsgesellschaft keines der von ihnen bis 1865 „freigekauften" 109 Kinder seinen klagenden Eltern zurückgegeben hat, obwohl wie im Falle des späteren ersten afrikanischen Pfarrers Rudolf Mallet die Namen der Eltern, des Bauern Letsu und seiner Frau Dolovi, sowie seine Heimat am unweit entfernten Aguberg durchaus bekannt waren. Bereits bei der ersten „menschlichen Freiheit", dem Recht eines Kindes auf seine Eltern, leitete die Missionsgesellschaft aus dem „ A n k a u f oder „Freikauf" ein Vaterrecht ab. Der von Wiegräbe gewählte Titel „Befreit zum Dienst" trifft aus der Sicht der Zielstellung der ausländischen Missionare durchaus das Typische. Die „klagende Negermutter", die in jedem Falle ihr Kind verloren hatte, wird diese „Befreiung" sicherlich anders gesehen haben. Bereits vor der Errichtung der deutschen Kolonialherrschaft hatte die Norddeutsche Missionsgesellschaft in Verbindung mit der britischen Gesetzgebung in der Goldküstenkolonie den offenen „Freikauf' aufgegeben. Aber auch später war der soziale Status eines Afrikaners als Sklavenbesitzer kein Kriterium für die Missionsgesellschaft, diesen aus der Christengemeinde auszuschließen. So berichtete der afrikanische Pastor Mallet, wie der zum Christentum übergetretene Sklavenhalter Gideon seine Sklavin mißhandelte. Man verweigerte daraufhin lediglich Gideon und seiner Frau die Teilnahme am Abendmahl und ermahnte sie, sich zu bessern. (247) Eine neue Situation, afrikanische Eltern und Kinder zum Besuch der Missionsschulen zu veranlassen, ergab sich erst mit der Errichtung der tatsächlichen Kolonialherrschaft nach 1895, als die Administration die unterworfenen Dorfbewohner anweisen konnte, den Missionen die Errichtung von Schulen zu gestatten und Kinder zu den Missionaren zu schicken. Auch das Arbeitskräfteproblem regelte die Administration nach 1895 auf eine prinzipiell neue Weise. Schon im ersten Jahrzehnt war als Strafe auch Zwangsarbeit verhängt worden, allerdings als Strafe gegenüber dem einzelnen. So mußten Sträflinge den einzigen künstlich angelegten Weg in der Kolonie, der 1891 zehn Marschstunden von Lome ins Landesinnere in Richtung Palime reichte, bauen. (248) Die tatsächliche Kolonialherrschaft ermöglichte nunmehr die Zwangsarbeit im großen Stil. Damit stellte sich für die Kolonialisten wie für die Afrikaner das Problem der Arbeitskräfte aus neuer Sicht: Ob Freier oder Sklave — jeder Afrikaner mußte nunmehr für die Kolonialadministration Zwangsarbeit leisten; Unterschiede im sozialen Status existierten aus der Sicht der Kolonialbeamten nun nicht mehr. Man ging davon aus, daß das Ende der Sklaverei 11

Sebald, Togo

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in Togo in zwei Menschenaltern zu erwarten sei (249); bis dahin nutzte man alle Formen der abhängigen Arbeit. Allerdings gab es zu der kolonialen Konzeption der Zwangsarbeit die Alternative der freien Lohnarbeit. Gegen Lohnzahlung stellten sich besonders in den Küstenstädten stets genügend Afrikaner zur Verfügung, so daß seit der Jahrhundertwende die Arbeit der Kruleute jetzt von in Togo ansässigen Afrikanern geleistet wurde. (250) Abgesehen von zeitweilig geminderten Angeboten freier Lohnarbeiter, gab es somit in Togo kein Arbeitskräfteproblem, was übrigens die Plantagengesellschaften bei ihrer Werbung in Deutschland später immer wieder hervorhoben. Togolesen waren auch bereit, sich vor allen Dingen im Dienstleistungsbereich auch in anderen deutschen Kolonien zu verdingen, vorausgesetzt die Kolonisten wurden ihren Ansprüchen „in Bezug auf humane Behandlung und angemessene Ernährung und Bezahlung gerecht" (251). Probleme schuf die Administration in Togo, die mit allen Mitteln versuchte, die Ausbreitung der freien Lohnarbeit zu behindern, aber letztlich doch die Lohnarbeit prinzipiell anerkennen mußte, wenn auch in bewußt deformierter Ausprägung. (Zur weiteren Verfolgung dieser Problematik siehe S. 205, 316, 345, 455.)

10. Die Missionen und die ideologische Beeinflussung der Afrikaner Die ideologische Beeinflussung der Afrikaner an der Togoküste im ersten Jahrzehnt fußte auf den bereits vor der deutschen Kolonialokkupation geschaffenen Tatsachen. Im Zuge der Einbeziehung Westafrikas in den sich herausbildenden kapitalistischen Weltmarkt ergab sich für die führende kapitalistische Macht, Großbritannien, die Notwendigkeit, afrikanische Kader zum Funktionieren dieses Wirtschaftssystems auszubilden. Das erfolgte sowohl durch Schulen der britischen Kolonialadministration als auch durch Schulen von Missionsgesellschaften vor allem in Sierra Leone, aber auch in Lagos. Diese kolonialen und missionarischen Bestrebungen trafen auf das Streben vieler Afrikaner in den mit dem Weltmarkthandel befaßten Küstenregionen nach einem Höchstmaß von Bildung auf allen Gebieten. Das begünstigte einerseits die ausländischen Beeinflussungsversuche. Andererseits führten jedoch die diametral entgegengesetzten Bildungsziele der kolonial und christlich-missionarisch orientierten Europäer und der an dem höchsten Bildungsstandard interessierten Afrikaner zu latenten Spannungen, die erst durch die Bildungspolitik der unabhängigen afrikanischen Nationalstaaten mit der Nationalisierung des Schulsystems und der Entkolonialisierung des Bildungsinhalts gelöst wurden. An der Togoküste hatten schon vor 1884 die afrikanischen Export-Import-Mittler und auch traditionelle Kings ihre Kinder zur 138

Ausbildung nach Sierra Leone und selbst nach London geschickt. Ferner unterhielt seit 1850 (252) die (1811 in London gegründete) Wesleyan Methodist Missionary Society in Klein Popo eine Schule, an der — wie Puttkamer 1888 berichtete (253) — alle kaufmännischen Clerks ihre Ausbildung erhalten hatten. Zur Zeit der Kolonialokkupation 1884/85 waren die Wesleyaner die einzige Missionsgesellschaft in dem neuen deutschen Kolonialgebiet. Nachdem die Togoküste deutsche Kolonie geworden war, konstatierten die deutschen Kolonialisten in Togo wie in Deutschland, daß westlich, angrenzend an das deutsche Kolonialgebiet an der Küste, jedoch im potentiellen Hinterland, die Norddeutsche Missionsgesellschaft wirkte, die ihr Mutterhaus in Bremen hatte. Die Missionsgesellschaft war 1836 als unierte Gesellschaft in Bremen gegründet worden, umgeben von lutherischen Landeskirchen, so daß sie nur über ein „geringes Gabengebiet" — so Missionsinspektor Zahn — verfugte. Seit 1847 war sie im Ewegebiet östlich der Voltamündung tätig. Das mit seinem Zentrum im Landesinnern liegende Missionsgebiet brachte eine andere Missionsund auch Gesellschaftskonzeption als die englischen Missionsgesellschaften zum Ausdruck: Die Norddeutsche Missionsgesellschaft wollte eine Christianisierung bei Aufrechterhaltung der traditionellen Gesellschaftsstruktur; demzufolge lag das Missionsgebiet verhältnismäßig abgeschieden von den Küstenregionen des europäisch-kapitalistischen Einflusses. Die Missionare lehrten in der Landessprache, um bewußt das zu vermittelnde Gedankengut steuern zu können. In den 40 Jahren ihres Wirkens bis 1887 war die Hauptstation der Mission viermal in Kriegen ganz oder nahezu völlig zerstört worden. Von 112 entsandten Missionaren waren 59 an den Folgen des ungewohnten Klimas verstorben, 41 hatten aus gesundheitlichen Gründen die Missionsarbeit wieder aufgeben müssen, so daß 1887 nur 14 Personen im Dienste der Missionsgesellschaft standen, davon 7 Männer und 3 Frauen in Afrika. Zu Beginn der kolonialen Aufteilung 1884 ließ sich die Missionsgesellschaft auf Grund langjähriger Erfahrungen davon leiten, möglichst lange einen eigenen, von jeglichem kolonialen Einfluß freien Missionsbereich aufrechtzuerhalten und sich aus dem Kolonialstreit der Großmächte herauszuhalten. Auch dem Streben der Afrikaner nach wirklicher Bildung, das sich vor allem in dem ersten Schritt, dem Erlernen der englischen Sprache äußerte, suchte die Missionsgesellschaft möglichst lange zu entgehen. Als sich die deutsche Kolonialadministration an der Togoküste etablierte, sah sie sich einem in der Küstenregion weitverbreiteten Bildungswillen der Afrikaner gegenüber. Sie mußte allerdings feststellen, daß im Togogebiet mit den Wesleyanern eine nichtdeutsche Missionsgesellschaft und im westlichen Hinterland des Kolonialgebietes eine noch nicht auf Kolonialkürs ausgerichtete deutsche Missionsgesellschaft diesem Bildungsstreben bereits Rechnung trugen. Die eine Möglichkeit wäre gewesen, ein staatliches Bildungssystem mit Schulen der Kolonialadministration aufzubauen. Das hätte eine Bildungskonzeption und zu deren Verwirklichung Geld erfordert. Aber das Bildungswesen war der li

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deutschkolonialen Gesellschaftskonzeption untergeordnet. Eine Bildung für die breite Masse der Bevölkerung war darin ebensowenig vorgesehen wie eine qualifizierte Ausbildung für eine afrikanische Elite. Folglich tat die Kolonialadministration in den ersten Jahren auf dem Bildungssektor überhaupt nichts und verwendete die Zolleinnahmen zur Schaffung einer afrikanischen Söldnertruppe, nicht aber für die Einrichtung von Schulen. Wenn später die Kolonialadministration die Mithilfe von Missionsgesellschaften beim Aufbau eines Bildungswesens suchte, dann geschah das mehr aus dem Bestreben, den Etat der „Musterkolonie" nicht zu belasten, als aus einer tatsächlichen Überzeugung von der Notwendigkeit von Missionsschulen. Daß schließlich die Administration wenigstens eine „Regierungsschule" einrichtete, ist auf die Initiative der führenden Afrikaner vor allem in Klein Popo zurückzuführen. Diese fragten die Administration, warum in anderen Kolonien Schulen bestehen, in der deutschen jedoch keine. Sie schenkten der deutschen Administration mit einer entsprechenden Urkunde ein Grundstück in Klein Popo in der Größe von 3000 m 2 , damit dort eine Schule gebaut werden könne, ferner sammelten sie 1000 Mark. (254) Erst am 9. November 1891 — mehr als sieben Jahre nach der deutschen Kolonialokkupation — begann ein deutscher Volksschullehrer 65 Schüler in Klein Popo zu unterrichten. Lehrer Koebele (1868—1896) berichtete: „Nicht wenige können es mit den begabtesten deutschen Schülern aufnehmen, zeigen namentlich ein sehr bedeutendes Auffassungsvermögen." Die Eltern hielten die Kinder zu pünktlichem Schulbesuch an. „Wie mir von verschiedenen Seiten versichert wurde, liegt ihnen sehr viel daran, daß ihre Kinder deutsch lernen." (255) In den Akten befindet sich auch ein Brief der Chiefs F. d'Almeida, Chico d'Almeida und Itey Ajavon an Reichskanzler Caprivi vom 30. Dezember 1891, in depi sie für die Eröffnung der Schule dankten. (256) D'Almeida spendete ferner die erhebliche Summe von 1000 M für die Schule. (257) Natürlich verfolgte der deutsche Lehrer nicht nur das Ziel, die Kinder Deutsch lesen und schreiben zu lehren, sondern „ihnen zugleich den Sinn für gute deutsche Art, Liebe zu Kaiser und Reich und Gehorsam gegen die Obrigkeit überhaupt einzupflanzen" (258). Aus den Berichten geht hervor, daß „die Bildungsfähigkeit der Eingeborenen in Erstaunen gesetzt hat" (259). Über die genaue soziale Zusammensetzung der Schüler der Regierungsschule ist nichts bekannt. Ein Teil der Schüler waren „boys" der Kolonialisten, die sie oft als Haussklaven „freigekauft" hatten und in einem Abhängigkeitsverhältnis hielten. Andere Schüler waren Kinder von Häuptlingen und Händlern. Es läßt sich nachweisen, daß die führenden Händlerclans in Klein Popo, die ihre Kinder in Schulen im britischen und französischen Kolonialgebiet schickten, offensichtlich „für alle Fälle" auch die deutsche Regierungsschule bedachten, weil sie mit Recht von dem Beispiel der britischen Kolonialterritorien ausgingen, daß ein Schulbesuch einer deutschen Regierungsschule eine Anstellung bei der Administration gewährleistete. 140

Das Verhältnis zu den Missionen wurde seitens der Kolonialadministration von dem Gedanken bestimmt, inwieweit diese nutzbringend für koloniale Zwecke im allgemeinen und für die Vermittlung einer kolonialen Bildung im besonderen eingesetzt werden konnten. Da die Norddeutsche Missionsgesellschaft bereits Jahrzehnte vor der Gründung der Kolonie im Hinterland der späteren Togokolonie wirkte, wird vielfach angenommen, die Mission habe hier dem deutschen Kolonialismus den Weg bereitet. Auch wurden, besonders in der kolonialapologetischen Literatur, die guten Beziehungen zwischen den Missionsgesellschaften und der Kolonialadministration hervorgehoben. Selbstverständlich gab es auch in Togo letztlich die für den Kolonialismus insgesamt typische Arbeitsteilung zwischen dem Wirken der Kolonialadministration und dem der Missionen. Aber dieses Verhältnis der Administration zu den Missionsgesellschaften wurde in Togo erst im Verlauf eines langwierigen, fast zwei Jahrzehnte währenden Prozesses, in dem von beiden Seiten qualitative Positionsveränderungen vorgenommen wurden, durchgesetzt. Die extremen Positionen, Missionsarbeit ohne Kolonialherrschaft durchführen zu wollen und Kolonialherrschaft ohne die ideologische Beeinflussung der Missionen ausüben zu können, wurden im Sinne eines echten Arrangements aufgegeben. Über die Methoden der Einflußnahme auf die Afrikaner bestanden allerdings weiterhin beträchtliche Meinungsverschiedenheiten. (Zur weiteren Verfolgung dieser Problematik siehe S. 469, 495.) Die Ziele der Kolonialadministration hinsichtlich der Missionen waren im ersten Jahrzehnt : 1. den Einfluß der englischen Missionsgesellschaft einzudämmen ; 2. die Norddeutsche Missionsgesellschaft zur Zusammenarbeit zu gewinnen; 3. eine neue, möglichst vom deutschen Kolonialismus beeinflußbare Missionsgesellschaft für die Missionierung ausschließlich der deutschen Kolonien zu gewinnen. Die erste Aufgabe war verhältnismäßig einfach zu lösen, da die Schule der Wesleyaner in Klein Popo (260) in ihrem Missionierungsprogramm überhaupt keinen Schwerpunkt bildete und diese Missionsgesellschaft keine expansiven Ziele in Togo verfolgte. Die Wesleyaner lehrten jedoch die englische Sprache und verbreiteten Ideen „im Geist von Liberté, Fraternité und Egalité" (261) — so der stellvertretende Kaiserliche Kommissar Graf von Pfeil 1891. Beides war der Kolonialadministration ein ständiger Dorn im Auge. Die Wesleyaner zeigten jedoch den Willen zur Kooperation, setzten ab August 1891 einen deutschen Lehrer in Klein Popo ein und betrauten ihn mit der Leitung der dortigen Mission. Die Kolonialadministration begrüßte diesen Schritt, zumal sich der Lehrer Mühleder als ein Mann erwies, „dessen warmer Patriotismus dafür bürgt, daß sie nur deutschen Interessen dienen wird. In diesem Fall aber nützt uns die wesleyanische Missionsschule weit mehr noch als die deutsche Regierungsschule, denn diese wird von Kindern besucht, deren Eltern stets deutschfreundlich gesinnt waren und noch gesinnt sind, jene aber von Kindern solcher Eingeborener, die längere Zeit in 141

England oder in englischen Kolonien gelebt und deren ganze Sympathie entschieden auf Seiten der Engländer ist". (262) Zwar war durch diesen Schritt eine für die Kolonialadministration akzeptable Lösung gefunden worden, aber vor der Öffentlichkeit blieb die Tatsache bestehen, daß in dem größten Ort der deutschen Kolonie nur eine englische Missionsgesellschaft tätig war. Die zweite Aufgabe, das Arrangement mit der Norddeutschen Missionsgesellschaft, war weit schwieriger, weil beide Seiten zunächst kein Verständnis für die spezifischen Probleme der anderen Seite hatten. Die Missionsgesellschaft wollte nicht der neuen Situation Rechnung tragen, daß die Jahrzehnte, in denen keine Kolonialmacht ihre Missionstätigkeit beeinflußt hatte, unwiderruflich dahin waren und der deutsche Kolonialismus eine deutschnationale Missionsgesellschaft benötigte. Die Kolonialadministration brachte für das Verhalten der Norddeutschen Missionsgesellschaft gegenüber der britischen Kolonialmacht bzw. den zu missionierenden Afrikanern kein Verständnis auf. Daß sich die Missionsgesellschaft gelegentlich mit der britischen Administration an der Küste der Goldküstenkolonie arrangieren mußte, war bei dem tatsächlichen Einfluß Großbritanniens nur zu natürlich. Auch soll nicht bestritten werden, daß die Ideen des liberalen englischen Bürgertums auf dem Gebiet des Handels, des Humanismus sowie der Religion den Gedanken der Norddeutschen Missionsgesellschaft weitgehend entsprachen. Wenn jedoch der Kaiserliche Kommissar Zimmerer die allgemeine Meinung der deutschen Kolonialisten an der Togoküste so formulierte: „Die Bremer sind zu schlecht deutsch und zu gut englisch gesinnt, die können wir ebensowenig brauchen, als wir wünschen dürfen, daß der Missionsschwätzer Zahn Gelegenheit bekommt, sich in die Angelegenheit des Schutzgebietes einzumischen" (263), so stempelte er die eigenständigen Missionsinteressen, da sie nicht den engen Vorstellungen der deutschen Kolonialisten entsprachen, simplifizierend als probritisch ab. Hätte die Bremer Missionsgesellschaft so probritisch gehandelt, wie die deutschen Kolonialisten ihr unterstellten, wäre es wahrscheinlich ein leichtes gewesen, für ihr gesamtes Einzugsgebiet eine britische Kolonialherrschaft zu lancieren. Aber gerade'weil die für die Belange der Norddeutschen Missionsgesellschaft so einflußreiche Familie des Theologen C. R. Vietor „von guter deutschnationaler Gesinnung" war — so der Königliche Generalkonsul in Bremen in einem Bericht 1890 (264) —, erfolgte keine direkte probritische Agitation. Es wurde an dem Prinzip des eigenständigen Einflusses der Norddeutschen Missionsgesellschaft so lange festgehalten, bis die deutsch-britische Kolonialsphäre ohne Berücksichtigung der Belange der Missionsgesellschaft festgelegt war. Die Trennungslinie führte nun mitten durch das Missionsgebiet der Gesellschaft, die daher notgedrungen im britischen und im deutschen Kolonialgebiet zu missionieren hatte. Nunmehr vor die Tatsache der Kolonialokkupation gestellt, leisteten die Missionare einen nicht zu unterschätzenden Beitrag bei der Etablierung der deutschen Kolonialmacht in einem Gebiet, dessen Völkerschaften 142

im Bereich des britischen Voltahandels lagen und die nicht einzusehen vermochten, warum die Kolonialgrenzen Angehörige eines Volkes voneinander trennten. Als die Norddeutsche Missionsgesellschaft durch die koloniale Grenzziehung teilweise in die deutsche Kolonie geraten war, mußte ein Arrangement mit der Administration getroffen werden. Ganz wesentlich wurde die Haltung der Gesellschaft von dem Missionsinspektor F. M. Zahn bestimmt. Seit 1862 im Amt, leitete er die Missionsgesellschaft bis 1900. Sein Nachfolger, Missionsdirektor Schreiber, urteilte: „Auch D. Zahns Stellung zur Kolonialpolitik entsprang einer Überspitzung ethischer Grundsätze, einer Unterschätzung praktischer Verpflichtungen eines modernen Staates gegenüber seinen eigenen Bedürfnissen sowie seiner Aufgabe gegenüber unzivilisierten Rassen. Er war geneigt, in jeder kolonialen Machtergreifung nur eine Vergewaltigung fremder Völker zu sehen. Um jeden Schein nationaler Interessenwirtschaft von der Mission fernzuhalten, hielt er es sogar für besser, wenn die Missionare nicht in der Kolonie des eigenen Volkes tätig wären! Schon D. Vietor hat dem energisch widersprochen." (265) Es liegt auf der Hand, daß sich bei dieser Einstellung des Missionsinspektors, selbst wenn andere führende Persönlichkeiten der Norddeutschen Mission und mancher Missionar in Afrika eine andere Haltung einnahmen, Differenzen mit der Politik der Administration ergeben mußten. Vor allem hatten beide Seiten unterschiedliche Auffassungen darüber, wie am besten Einfluß auf die Afrikaner zu gewinnen und aufrechtzuerhalten wäre. Die „Erziehung zur Arbeit" hatte dabei für die Administration vorrangige Bedeutung. Schon im September 1888 hatte Puttkamer in seiner Denkschrift „betr. die Arbeiterfrage in den deutschen Schutzgebieten" erklärt: „Wir würden schon sehr viel weiter sein, wenn die seit vielen Jahrzehnten in Afrika wirkenden Missionsgesellschaften diese Frage viel besser erkannt und in ihrem Sinne gearbeitet hätten. Das faule, ausschließlich betende, singende und Hände faltende Christentum ist schon in Europa von Übel; in Afrika hat es aber geradezu erschreckende Wirkungen und eine schlimmere Demoralisation zur Folge als aller Rum und Gin, mit dem die civilisierte Welt den dunklen Erdteil beglückt." (266) 1894 formulierte Puttkamer den von den Kolonialisten vertretenen Standpunkt mit folgenden Worten: „Die Mission steht eben auf einem grundsätzlich falschen Standpunkt. Sie will in erster Linie Ewe-Christen erziehen, nur einzelne ganz Bevorzugte sollen eine europäische Sprache erlernen, und das ist und bleibt vorläufig die englische Sprache . . . Die Ewe-Sprache ist und bleibt ein wilder, äußerst primitiver Negerdialekt, es ist nützlich ihn zu lernen . . ., um sich mit seinen Arbeitern verständigen zu können. Immerhin aber ist die Sprache des Landvolkes eines zivilisierten Staates hoch erhaben über dem Gestammel 143

eines jeden Bantunegers, welches doch nur eine Art Mittel zwischen der Menschen- und Affensprache i s t . . . Der Eweneger braucht auch gar keine verbesserte Ewesprache, sondern eine Kultursprache . . . Mit der Bremer Methode erzieht man Uganda-Häuptlinge oder Hendrik Witbois"; das System und Verhalten der Bremer Mission sei „eine wirkliche Gefahr für die Zukunft des Schutzgebietes. Die deutsche Regierung und ihre Wünsche existiert für diese deutsche Mission im deutschen Gebiet nicht. Das Land braucht Deutschtum und kein Ewetum. Sonst werden wir von Engländern und Franzosen, in deren Kolonien schwarze Engländer und Franzosen, keine potenzierten Wilden ausgebildet werden, rettungslos geschlagen." (267) Die Vorwürfe der Kolonialadministration richteten sich somit gegen das Lehren der englischen Sprache und das der Muttersprache und auch dagegen, daß sich der Inhalt des Unterrichts in Ewe vorrangig auf die christliche Lehre bezog. Die Norddeutsche Missionsgesellschaft vertrat dagegen folgenden Standpunkt (so Missionsinspektor Zahn 1894): „In Togo werden der Fremden immer nur wenige sein, und es wird darum unmöglich sein, das Deutsche zur Landessprache in Togo zu machen. Das Ewe wird Landessprache bleiben, und das größte Interesse der Regierung muß es sein, daß die Eweer in ihrer Sprache eine elementare Bildung empfangen . . . Ist es unmöglich, Deutsch zur Volkssprache zu machen, so ist es selbstverständlich, daß ein Volk verbildet werden muß, dem man in fremder Sprache Bildung zuführt, während man seine eigene Sprache unkultiviert läßt." (268) Bei dem Unterricht in der Landessprache konnten die Lehrer den Schülern den Bildungsinhalt oktroyieren, bei dem in einer fremden Sprache konnte nicht mehr kontrolliert werden, was der Schüler lernte. Die Norddeutsche Missionsgesellschaft ging von der begründeten Tatsache aus, daß nur wenige ein Interesse hätten, Deutsch zu lernen, und daß Deutsch nie Volkssprache werden würde; die Alternative laute deshalb Ewe oder Englisch. Man hielt der Kolonialadministration die Folgen drohend vor Augen und führte bezüglich Lagos aus: „Man hat auch einen ,national congress', wo diese englisch gebildeten Heiden das große Wort führen, radikale Vorschläge machen und der britischen Regierung Schwierigkeiten bereiten, Aber sie vertreten das Volk nicht, sind vielmehr eine den Eingeborenen entfremdete Minorität." (269) Die Norddeutsche Missionsgesellschaft begründete somit auch aus ihrer Sicht die von den Kolonialisten vertretene These, die gebildeten Afrikaner als eine den „wahren" Afrikanern „entfremdete Minorität" zu deklarieren. (270) Die vor allem nach der Jahrhundertwende verfolgte Grundmotivation der Missionsgesellschaft, die Afrikaner möglichst nur in Ewe und nur im kirchlichen Sinne zu unterrichten, zielte in eine gesellschaftlich reaktionäre Richtung, weil so Rückständigkeit und Abhängigkeit auf neuer Ebene geschaffen wurden. Diese reaktionäre Zielstellung ließ sich aber nicht mehr vollständig durchsetzen, weil — zur hämischen Genugtuung der Kolonialadministration — die 144

Afrikaner „nicht Ewe, sondern Englisch lernen wollten. Ja, die Eingeborenen wollen eben die europäische Sprache lernen . . . sie wollen nicht in ihrer eigenen hoffnungslosen Sprache, die sie gut genug kennen, verdummen". (271) Die rassistischen Schlußfolgerungen Puttkamers, der nach sechs Jahren Aufenthalt im Lande nicht einmal in der Landessprache grüßen konnte, zur Ewesprache gehen am Kern der Sache vorbei. Nicht er, sondern die Afrikaner, die Englisch lernen wollten, erkannten, daß eine Sprache Mittel zur Kommunikation und zur Erschließung neuer Bildungsmöglichkeiten ist und hier waren Deutsch und Ewe gegenüber dem Englischen von erheblichem Nachteil. Die Norddeutsche Missionsgesellschaft mußte der Tatsache Rechnung tragen, daß ohne englischen Sprachunterricht die Schüler die Missionsschulen nicht besuchen würden. (272) Als sie im März 1895 — auch auf Drängen der Kolonialverwaltung — eine Schule in Lome eröffnete, blieben nach einigen Tagen die meisten Kinder der Schule wieder fern. „Sie hatten keine Lust, ihre Muttersprache, die Evhe-Sprache, zu lernen. Englisch! Englisch! sagten die meisten und wieder andere sagten: ,Ihr sollt mit den beiden Sprachen, Evhe und Englisch, gleich anfangen.'" (273) Die Missionsgesellschaft führte deshalb ein modifiziertes System ein: Sie lehrte (Dezember 1893) an 13 von 17 Schulen nur Ewe, so daß von 507 Schülern nur 75 Unterricht auch in englischer Sprache erhielten, und zwar in dem Maße wie die deutschen Missionare und die afrikanischen Lehrer die englische Sprache lehren konnten. (274) Das Verhalten der Afrikaner zwang Kolonialverwaltung und Missionsgesellschaft zum Abrücken von ihren extremen Positionen. Da anderenfalls noch mehr Afrikaner Schulen in britischen Kolonien aufsuchen würden, respektierte die Administration die Methode der Norddeutschen Missionsgesellschaft, vorausgesetzt, sie lehrte auf deutschem Kolonialgebiet neben Ewe und Englisch auch Deutsch. Dies akzeptierte die Missionsgesellschaft, denn das deutsche Kolonialregime bot ihr staatlichen Schutz. Die wechselseitigen Anschuldigungen zwischen Administration und Mission in der Sprachfrage hielten jedoch die ganze deutsche Kolonialperiode an, denn weder das Lehren nur in Ewe noch der geforderte Unterricht in Deutsch konnten das wachsende Streben der Afrikaner nach besserer Bildung aufhalten. Schon in den ersten Jahren der deutschen Kolonialherrschaft war klar geworden, daß die Norddeutsche Missionsgesellschaft nicht zu einer Ausdehnung ihrer Arbeit auf die gesamte Kolonie und erst recht nicht auf Nicht-Ewe-Gebiete bereit war. Entsprechend ihrer Konzeption eines möglichst von europäischen Einflüssen ungestörten Missionsbereiches klammerte sie die Küstenorte einfach aus. Es bedurfte erst energischer Hinweise der Kolonialadministration, um die Missionsgesellschaft zu veranlassen, auch in Lome eine Missionsstation und Schulen einzurichten. Wenn auch später das Gebäude der evangelischen Kirche in der Hauptstadt der Kolonie die Missionsarbeit symbolisierte, lag der Schwerpunkt der Missionsarbeit auf Grund der Ewesprache und der Kulturkonzeption im traditionellen Missionsgebiet, d. h. im Landesinnern. 145

Wegen der geschilderten Differenzen hatte auch die Kolonialadministration wenig Interesse an einer Ausweitung oder gar kirchlicher Monopolstellung der Norddeutschen Missionsgesellschaft in der T»gokolonie. Von 1888 bis 1890 versuchte man vergeblich, die Berliner oder die Sächsische Missionsgesellschaft für Togo zu interessieren. (275) Deshalb erhob zu Beginn der neunziger Jahre die Kolonialadministration in Togo die Forderung nach einer katholischen Missionsgesellschaft. Sie reagierte damit auf die im kolonialpolitischen Sinne immer prekärer werdende Bildungssituation. Nicht nur, daß in Klein Popo die Schulbildung von den Wesleyanern wahrgenommen wurde; in dem rasch wachsenden Lome erschien auch ein afrikanischer Privatschullehrer aus Sierra Leone, „der um Erlaubnis ersuchte, in Lome eine englische Schulklasse einrichten zu dürfen", dem jedoch Puttkamer die Erlaubnis „aus politischen Gründen" kurzweg verweigerte. (276) Eine katholische Missionsgesellschaft wurde auch aus dem Grunde vorgeschlagen, da infolge früheren portugiesischen Einflusses sich unter den afrikanischen Zwischenhändlern Katholiken befanden, die eine katholische Mission wünschten. (277) Die Kolonialabteilung sprach sich zuerst gegen eine katholische Mission aus, weil sie eine Konkurrenz der Konfessionen in der kleinen Kolonie befürchtete. Aber Puttkamer hatte schon 1888 eingeschätzt, daß konfessionelle Unterschiede in Afrika nicht die geringste Bedeutung hätten. (278) 1892 wurde die 1875 gegründete Katholische Missionsgesellschaft des Göttlichen Wortes mit dem Mutterhaus zu Steyl für die Missionsarbeit in Togo gewonnen. Papst Leo XIII. bestätigte im gleichen Jahr die Lostrennung Togos vom Apostolischen Vikariat in Dahome, das 1887 zwei Missionare auch ins Togohinterland bis nach Atakpame entsandt hatte. Das Verhältnis der katholischen Missionsgesellschaft zur deutschen Kolonie war im Vergleich zur Norddeutschen Missionsgesellschaft von vornherein ein prinzipiell anderes. Mit ihrer territorialen Orientierung auf das deutsche Kolonialgebiet entsprach sie den Belangen der Administration. Da sie neu im Togogebiet anfing, konnte die Administration weit besseren Einfluß nehmen, und der Bildungsinhalt mit der Ausrichtung auf überwiegend praktische Arbeit sagte einem Puttkamer viel mehr zu. Als die ersten beiden Patres und drei Laienbrüder im August 1892 in Lome eintrafen, sicherte ihnen Puttkamer ein großes Grundstück im östlichen Teil der Stadt. Zwar begrüßten katholische afrikanische Zwischenhändler, darunter Olympio, die Missionare, aber das erste Missionskreuz in Lome wurde mit Hilfe von afrikanischen Gefangenen und Polizisten errichtet. (279) Konflikte mit der Administration blieben jedoch nicht aus, weil die Missionare, befangen in christlichen Idealvorstellungen, sich erst an die Kolonialwirklichkeit gewöhnen mußten. Die erste gravierende Auseinandersetzung gab es, als Pater Schäfer — sicher beeinflußt von den Phrasen der Bewegung gegen den Sklavenhandel in Deutsch-Ostafrika, wie sie in Deutschland propagiert wurden — 1893 zwei Sklavinnen, die der Häuptling von Assahun für 12 bzw. 14 Pfund Sterling gekauft hatte, befreite, nach Lome brachte und dort verheiratete. 146

Nicht nur, daß man auf Veranlassung Puttkamers die Frauen zwangsweise nach Sebe schickte und sie mit afrikanischen Söldnern „verheiratete", Puttkamer forderte von Schäfer außerdem, daß er 480 M an die Kommissariatskasse zahle, „da er den Häuptling in gewaltsamer Weise seiner rechtmäßigen Sklavinnen beraubt habe" (280). Schäfer verweigerte zuerst die Zahlung; als sich jedoch der Leiter der Kolonialabteilung an die Missionsgesellschaft in Steyl wandte mit dem Hinweis: „Darauf dürfen wir es nicht ankommen lassen, daß im Togogebiet ein Aufstand ausbricht; er würde mit der staatlichen Herrschaft auch die Ergebnisse der Mission beseitigen . . . " , zahlte der Apostolische Propräfekt Schäfer (1857— 1930), „wenn auch mit grollendem Herzen" (281). Die Mehrzahl der Kolonialbeamten stand den katholischen Missionaren „in keiner Weise nahe", weil diese deren sittlichen Lebenswandel mißbilligten. So baute die katholische Missionsgesellschaft schrittweise ihre Stationen an der Küste aus und hatte am Ende des ersten Jahrzehnts deutscher Herrschaft mit vier Haupt- und vier Nebenstationen die wichtigsten Orte des unmittelbaren Küstenbereichs — Lome, Klein Popo, Porto Seguro, die „Togodörfer" — erfaßt. 1895 waren in Togo sechs Padres und neun Laienbrüder tätig; 484 Kinder besuchten die Schulen. Schon diese territoriale Orientierung zeigt einen Unterschied zur Missionsarbeit der Norddeutschen Missionsgesellschaft. Die katholische Mission begann in den Küstenorten, weil es hier bereits unter den Zwischenhändlern zumindest nominelle Katholiken gab, so Olympio in Lome, d'Almeida in Klein Popo, die die Missionare unterstützten, da sie sich von der Mission Hilfe versprachen. Schwierigkeiten gab es in den „Togodörfern". Hier hatte man offensichtlich den Wortbruch der Kolonialisten bezüglich des nichteingehaltenen Protektoratsvertrages nicht vergessen und wollte überhaupt keine Weißen im Ort. Auch die katholische Missionsgesellschaft wurde mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit, dem Bildungsstreben der Afrikaner, konfrontiert. Sie erkannte schon nach kurzer Zeit, daß die Hauptmethode der Missionierung mit dem Schulunterricht, und zwar dem Unterricht in englischer Sprache, verbunden war. Als 1893 die Kolonialabteilung anbot, der katholischen Missionsgesellschaft wie der evangelischen 1000 M Schulunterstützung zu zahlen, war die Missionsgesellschaft nur einverstanden, wenn damit keine Beraubung ihrer Freiheit verbunden wäre, „indem wir in diesem Falle lieber auf die Unterstützung verzichten" (282). Zusammenfassend kann gesagt werden, daß im ersten Jahrzehnt der deutschen Kolonialherrschaft mit der Etablierung zweier deutscher Missionsgesellschaften an einigen Hauptorten und mit der weitgehenden Überlassung der Schulbildung an die Missionen die Weichen für die Zukunft gestellt waren. Aber die Missionsgesellschaften waren in ihrem Verhältnis zu den Afrikanern noch im Stadium des Experimentierens. Die Beziehungen zur Kolonialadministration, wenn diese auch einige Warnsignale gesetzt hatte, waren ebenfalls noch nicht endgültig geklärt. (Zur weiteren Verfolgung dieser Problematik siehe S. 469.) 147

11. Die Anlange der kolonialärztlichen Tätigkeit Der Beginn der deutschen Kolonialherrschaft ließ auch auf dem Gebiet des Gesundheitswesens eine neue Situation eintreten. Die wachsende Zahl der Europäer, die anwachsende Mobilität der Bevölkerung im Küstenbereich, der Schnapsimport, der Faktoreibetrieb brachten entweder neue Krankheiten und Arbeitsverletzungen oder förderten die Ausbreitung von Krankheiten, gegen die die traditionelle Heilkunde keine oder nur ungenügende Mittel kannte. Die gebildete afrikanische Zwischenhändlerschicht wußte aus den britischen Kolonialgebieten die Vorteile der auf vielen Gebieten weiterentwickelten europäischen medizinischen Kenntnisse zu schätzen, praktizierten doch 1884 in Freetown bei einer Bevölkerung von etwa 20000 Einwohnern sechs Ärzte, darunter afrikanische, die an englischen Universitäten studiert hatten. Im ersten Jahrzehnt der deutschen Kolonialherrschaft gab es seitens der deutschen Kolonialverwaltung keinen statistischen Überblick über Krankheiten und Seuchen unter der afrikanischen Bevölkerung. Bemerkungen weisen jedoch darauf hin, daß sich Geschlechtskrankheiten verbreiteten und Pocken und Cholera die Küstenbevölkerung heimsuchten. Schon vor der deutschen Kolonialherrschaft führte die Arbeit in den Faktoreien zu Verletzungen aller Art und die gefährliche Warenverschiffung durch die Brandung zu vielen Knochenbrüchen und Quetschungen. Die europäischen Handelsagenten sahen sich veranlaßt, zumindest an ihre Angestellten kostenfrei Medizin zu verteilen und auch — im Sinne des Geschäftsvorteils — an bestimmte afrikanische Zwischenhändler. Da sie — wie fast alle Europäer in Westafrika — sehr häufig Träger von Geschlechtskrankheiten waren und die traditionelle Heilkunde der Afrikaner dagegen kein Mittel hatte, mußten sie besonders in diesen Fällen mit Medikamenten eingreifen. Die deutsche Regierung sah sich verhältnismäßig frühzeitig veranlaßt, einen Arzt nach Togo zu entsenden, und zwar vor allem zur Betreuung der Deutschen in der Kolonie, forderte doch das „Schwarzwasserfieber" — verursacht durch eine falsche Chininbehandlung — verhältnismäßig viel Tote. Bei den Europäern waren ferner Malaria und Tripper die verbreitetsten Krankheiten. Den Etat des Arztes trug zur Hälfte der Afrikafonds der Reichsregierung. Man könnte daraus schließen, daß zumindest wissenschaftliche Erhebungen über den allgemeinen Gesundheitszustand der Afrikaner hätten vorgenommen werden müssen. Doch das traf nicht zu. Dr. August Wicke (1856—1899) traf Anfang 1888 in Klein Popo ein, wo er seinen Hauptsitz nahm; er blieb bis zu seinem Tod (er starb an Opiumvergiftung) der einzige Arzt in der Kolonie. Die Europäer waren mit seiner ärztlichen Behandlung sehr zufrieden; sie kamen auch aus den Nachbarkolonien zu ihm. Wicke behandelte auch Afrikaner; aber allein die Zahl der Behandelten (145 in 5 Monaten) zeigt, daß er sich nur auf Faktoreiangestellte bzw. die afrikanische Oberschicht konzentrierte. Wicke verlangte auch Bezahlung von Medikamenten, was die Zahl seiner Patienten von vornherein 148

einschränkte. Er handhabte dies nachsichtig, nicht etwa aus humanitären Erwägungen, sondern — nach eigenem Urteil — weil sonst die Patienten aus diesem Kreis nicht wiederkommen würden (die ja bisher Medikamente von den Faktoreien frei erhalten hatten). Neben den durch die Arbeit bedingten Verletzungen des Faktoreipersonals, behandelte Wicke die Afrikaner zu 20 Prozent wegen Tripper, ferner wegen rheumatischer und Verdauungsleiden, Lungenentzündungen und Tbc. Bemerkenswert in den ersten Berichten Wiekes ist sein Urteil: „Die Aufführung der Eingeborenen dem europäischen Arzte gegenüber ist im ganzen eine korrekte." Wichtig ist auch der Hinweis, daß der afrikanische Gehilfe „große Neigung zu dem erwähnten Beruf" habe. (283) Wicke berichtete gelegentlich über den Gesundheitszustand der Bevölkerung. So konstatierte er 1888, daß der Tripper sich ausbreiten werde; 1892, daß der Ausbruch der Cholera die eingeborene Bevölkerung in Aufregung setze und diese „ohne Zweifel reiche Ernte halten" werde: 1893, daß sich Unterleibsund Pockenkrankheiten im Gefolge des französischen Kolonialkrieges gegen Dahome auch in Togo verbreiteten. Schlußfolgerungen, zu denen Wicke auf Grund seines ärztlichen Eides verpflichtet war — z. B. Hilfegesuche nach Deutschland —, zog er nicht, und an aktive Hilfe war nicht zu denken. (284) Angesichts der menschenverachtenden Haltung seines Vorgesetzten und Zechbruders Puttkamer, dem es „so fürchterlich gleichgültig" war, ob ein Afrikaner starb, verwundert diese Haltung Wiekes nicht. Sie entsprach der kolonialen Gesundheitsfürsorge, die dort eingriff, wo die Gesundheit der Kolonialisten bedroht war oder die Schlagkraft der Söldnertruppe beeinträchtigt wurde. So wurde alarmierend vermerkt, daß von der 129 Afrikaner umfassenden TogoHinterland-Expedition 1894/95 25 an Pocken starben, weil sie vor dem Aufbruch wegen fehlender Lymphe nicht geimpft worden waren. (285) Maßnahmen zur Verhinderung von Epidemien unter der breiten afrikanischen Bevölkerung hielt die Kolonialadministration nicht für nötig, weil auf Grund der Bevölkerungsdichte das Arbeitskräftereservoir ohnehin gewährleistet schien und das Sterben von Steuerzahlern als Motiv zur Bekämpfung von Epidemien noch nicht bestand. Zur Intensivierung der ärztlichen Behandlung wurde in Klein Popo, d. h. in unmittelbarer Nähe des damaligen Regierungssitzes, ein Krankenhaus gebaut. Allerdings geschah das nicht etwa auf Initiative der Kolonialadministration, die 1893 „andere notwendige Projekte wie die so wichtige Vermehrung der Polizeitruppe" dem Bau des Krankenhauses vorzog. (286) Koloniale Sammlungen in Deutschland erbrachten für den Krankenhausbau nur 7438 Mark. Wesentlichen Anteil an dem Krankenhaus hatten — wie auch bei der Errichtung der ersten Regierungsschule — wiederum die Häuptlinge von Klein Popo. So schenkten — die Urkunde ist datiert vom 20. September 1894 — King G. A. Lawson III., Chief R. J. Garber und Chief Dagbe der Administration ein 100 mal 100 m großes Grundstück in Klein Popo. (287) Mehr noch: „Die Eingeborenen haben viele tausend Ziegelsteine gezeichnet und getreulich geliefert" (288), berich149

tete die Kolonialadministration nach Berlin. Doch als das Krankenhaus im Wert von 40000 Mark gebaut war und die Kolonialisten die Hilfe der Afrikaner in Anspruch genommen hatten, nahmen sie dort nur Weiße in der ersten und zweiten Klasse auf. Für „die Schwarzen" errichtete man — um ihrer berechtigten Empörung vorzubeugen — zusätzlich eine Krankenhausbaracke für 7000 M. Dort brachte man die Patienten dritter Klasse unter, dorthin gehörten — nach den Worten des Gouverneurs Köhler 1899 — grundsätzlich alle Farbigen, „da man den in der 2. Klasse aufgenommenen weißen Patienten nicht wohl zumuten kann, mit diesen gegebenenfalls Tischgemeinschaft zu machen". (289) Das von den Kolonialisten initiierte Gesundheitswesen trug somit von Anfang an ausgesprochenen Klassencharakter. (Zur weiteren Verfolgung dieser Problematik siehe S. 506.)

12. Zusammenfassung Die Errichtung der deutschen Kolonialherrschaft 1884/85 an der Küste und die nachfolgende Ausdehnung der Kolonie vorerst nur ins küstennahe Gebiet hatten für die Afrikaner neue Bedingungen geschaffen, die vor allem in der politisch-administrativen Abgrenzung gegenüber der britischen und der französischen Nachbarkolonie bestanden und den Schmuggel dorthin förderten. Um in der Kolonie die afrikanische Bevölkerung einer tatsächlichen Kolonialherrschaft zu unterwerfen, dafür fehlten der Administration die machtmäßigen Voraussetzungen. Ansätze dafür waren nur an wenigen Orten vorhanden und dienten mehr der Erprobung von Kolonialmethoden. Die Gegensätze zur Bevölkerung nahmen noch nicht jenes Ausmaß an, das sich infolge der durchgängigen Etablierung einer ausgedehnten Kolonialmacht gezeigt hätte. Umfangreiche Eingriffe der Administration waren nicht nötig, weil der Ausbeutungsmechanismus des Weltmarktes auch ohne die Kolonialverwaltung funktionsfähig war. Die in den Küstenorten, vor allem in Lome, vor sich gehende Differenzierung in Richtung auf die Herausbildung der Grundklassen einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung konnte sich noch weitgehend ungehindert von tatsächlicher kolonialer Reglementierung fortsetzen. Eine derartige Klassendifferenzierung entsprach jedoch nicht den Intentionen der deutschen Kolonialisten, die eine tatsächliche oder potentielle kapitalistische Konkurrenz verhindern und ihr Herrschafts- und Ausbeutungssystem auf traditionellen, vorkapitalistischen Gesellschaftsstrukturen der Afrikaner errichten wollten. Aber sie konnten nach zehnjähriger Herrschaft diese Ansätze der Klassendifferenzierung noch weniger beseitigen als im Jahre 1884. Togo gewann im ersten Jahrzehnt das Image einer „Musterkolonie", weil die Einkünfte der Administration die Ausgaben im wesentlichen deckten und die Entwicklung friedlich verlief. 150

Die „Kölnische Zeitung" vom 10. November 1894 faßt das in folgende Worte: „Unsere Musterkolonie Togo, die sich aus winzigsten Anfangen und fast ohne Reichszuschuß aus eigenen Zolleinnahmen stattlich entwickelte, hat uns im Gegensatz zu Kamerun, Südwest- und Ostafrika bisher nicht die allerleiseste Sorge bereitet. Es ist dort niemals deutsches Blut geflossen und abgesehen von der Unterdrückung einer kleinen Räuberei in Dokbodewe (April 1891) niemals zu einem Kampf gekommen." (290) Diese friedliche, im kolonialen Sinne ökonomisch effektive Entwicklung ergab sich nicht aus einer gezielten Kolonialpolitik, sondern war eine Folge des Umstandes, daß sich die Kolonialmacht den Bedingungen in Togo anpaßte bzw. anpassen mußte. Aus Mangel an militärischer Macht konnte die Administration nicht in die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse eingreifen, deshalb blieb die Entwicklung vorerst friedlich. Da die Togoküste bereits in die Belange des kapitalistischen Weltmarktes einbezogen war, brauchte die Verwaltung durch Zollerhebung lediglich einen finanziellen Anteil abzuschöpfen. Aber mit Recht verweist Nussbaum bezüglich der Zölle und Firmensteuer, die die europäischen Kaufleute in Togo zu zahlen hatten, auf folgenden Umstand (S. 14): „Doch wurden diese Beträge von den Betreffenden wiederum auf die Bevölkerung abgewälzt, so daß also letzten Endes vor allem die afrikanischen Bewohner Togos den Apparat ihrer Bedrücker völlig finanzieren mußten." Jedoch hätte eine vollständige „Eigenfinanzierung" auf diesem Wege die Profitrate der deutschen Handelskapitalisten in Togo zu sehr beschnitten, deshalb verschleierte die Kolonialadministration in Deutschland wie in Togo erhebliche koloniale Ausgaben vor allem durch Finanzierung aus anderen Fonds. Die Kolonialpolitiker in Deutschland schufen bewußt die Legende von der „Musterkolonie", um wenigstens mit einer Renommierkolonie ihre gesamte Kolonialpolitik zu rechtfertigen. Warum begnügte sich die deutsche Kolonialmacht nicht weiterhin damit, nur nach außen gegenüber den Kolonialkonkurrenten ihre Herrschaft abzusichern, im Innern aber die Ausbeutung der Afrikaner auf dem begonnenen, bewährten Wege fortzusetzen und spezifische Belange des deutschen Kapitalismus über ökonomische Mechanismen durchzusetzen? Ein Befürworter dieses zu Ende gehenden Abschnittes deutscher Kolonialpolitik, der Expeditionsleiter und spätere Gouverneur von Deutsch-Südwest, Curt von François, führt in seinen Memoiren bezeichnende Gründe an, zum Beispiel daß „die ländergierige Großspekulantengruppe sich anschickte, Togo ähnlich so zu verschlucken wie Südwestafrika und Kamerun" (S. 89), daß die deutsche Regierung die Auffassung übernahm, „wonach das Besitzrecht des Landes nur die tatsächliche Besetzung desselben dieses begründete, und entschloß sich zur Anlage von Stationen in dem fernen Hinterland . . . Stationen brachten Geld, bildeten bedenkliche Reibungspunkte, stellten Konflikte und daran anschließende gewinnabwerfende Strafexpeditionen in Aussicht. Besonders drängte zum schnel151

len Handeln eine Gruppe Einflußreicher, die wiederholt unglücklich in die Entwicklung unserer Kolonien eingegriffen haben . . . bedauerlich bleibt es trotz alledem, durch überstürzte Besetzung des Hinterlandes mit Stationen die Entwicklung aus dem gesunden, friedlichen Gleisen herausgedrängt zu haben. Das Blutjahr 1896 wird die Hinterlandbevölkerung nicht vergessen . . . Der Sinn für Sparsamkeit war nach Bismarcks Abgang verloren gegangen . . . ,Großzügige Kolonialpolitik' das war und ist das Schlagwort der allmächtigen, den Staat als die melkende Kuh betrachtenden, kolonialen Großspekulanten" (S. 87—91). So gewichtig jeder der von François angeführten Punkte sein mochte, letztlich waren sie nur Kennzeichen dafür, daß die Gesetzmäßigkeiten der damals bevorstehenden Periode imperialistischer Kolonialpolitik eine Fortführung vormonopolistischer Kolonialprinzipien unmöglich machten. Die Durchsetzung einer effektiven Kolonialherrschaft im Interesse des Großkapitals der Metropole stand auf der Tagesordnung aller Kolonialmächte, und Puttkamer und die anderen deutschen Kolonialbeamten bereiteten im ersten Jahrzehnt das sich abzeichnende neue Stadium intensivierter, imperialistischer Kolonialherrschaft bereits zielstrebig vor.

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Kapitel III

Die Eroberung des Hinterlandes und die Errichtung der Kolonialherrschaft über die gesamte Togokolonie

(1894/95-1900) 1. Die kolonialen Rahmenbedingungen Der zweite Abschnitt der deutschen Kolonialherrschaft in Togo umfaßt die Jahre von 1894/95 bis etwa 1900. In diesen wenigen Jahren setzte die deutsche Kolonialpolitik zwei Marksteine für die Entwicklung der Togokolonie : — Im Wettlauf mit den französischen und den britischen Kolonialisten eroberten die deutschen im Inneren Westafrikas Gebiete, die das Territorium der Kolonie auf etwa 87000 km 2 verdoppelten und die Bevölkerung auf etwa eine Million anwachsen ließen. — Mit der militärischen Unterwerfung der Bevölkerung der neueroberten Gebiete Nordtogos ging die Errichtung der tatsächlichen Kolonialherrschaft im südlichen Togo einher, d. h. jener Gebiete, die sich schon de jure seit über einem Jahrzehnt unter deutscher Flagge befanden. Als 1900 die territoriale Expansion beendet war, hatte zwar der 1884 begonnene Prozeß, willkürlich Kolonialgebiete abzugrenzen, einen Abschluß gefunden. Aber der Abschnitt von 1894/95 bis 1900 war nicht das Finale der deutschen Kolonialpolitik in Togo im zu Ende gehenden Stadium des Kapitalismus der freien Konkurrenz. Er war vielmehr der Prolog oder auch erste Akt der neuen Kolonialpolitik im Zeichen des imperialistischen Stadiums des Kapitalismus in der Metropole. Die Eroberung der neuen Territorien im zentralen Westafrika nach 1894 erfolgten aus den rein imperialistisch-präventiven Motiven, diese Gebiete nicht den Kolonialkonkurrenten zu überlassen. Die Annexionen geschahen auch nicht mehr wie jene von Kling und François auf relativ friedlichem Wege, sondern unter bewußter Einkalkulation und Anwendung von militärischer Gewalt. Jedoch sie erfolgten weiterhin unter dem Deckmantel der Wissenschaft und wurden vor allem aus dem wissenschaftlichen Zwecken dienen sollenden „Afrikafonds" finanziert. Schon 1890 hatte das „Berliner Volksblatt", das Organ der deutschen Sozialisten, in einem Leitartikel „Europäische ,Wilde' in Afrika" die „wissenschaftliche" Erschließung Zentralafrikas kommentiert: „ . . . und was man da erfahrt, ist so schauerlich, daß man schier zu dem Glauben gelangen kann, bei den Afrika-Expeditionen sei die ,Zivilisation' auf der Seite der ,Wilden' und die Europäer seien ausgezogen, sie zu stören . . . Kein Wunder, daß sich die ,Wilden' aus der Aufhebung der Sklaverei so wenig machen. Als Sklaven haben sie jedenfalls noch 12

Sebald, Togo

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