Thermodynamik: Von Energie und Entropie zu Wärmeübertragung und Phasenübergängen [2 ed.] 3111070085, 9783111070087

Was hat die Thermik beim Segelfliegen mit adiabatischen Prozessen zu tun? Wie lässt sich mit dem Begriff der Entropie di

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German Pages 430 [442] Year 2023

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1 Biologie und Chemie des Kochens
2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf
3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel
4 Das ideale Gas – Cornelis Drebbels Wunderapparatur
5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie
6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens
7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken
8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen
9 Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße
10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz
11 Fundamentale Konzepte: Mikroskopische Deutung der Entropie
12 Kraftwerksprozesse – Strom von der Sonne
13 Mechanismen der Wärmeübertragung –Windchill
14 Instationäre Wärmeleitung – Das perfekte Frühstücksei
Anhang A: Literatur und Bildnachweis
Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis
Sachregister
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Thermodynamik: Von Energie und Entropie zu Wärmeübertragung und Phasenübergängen [2 ed.]
 3111070085, 9783111070087

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Rainer Müller Thermodynamik De Gruyter Studium

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Rainer Müller

Thermodynamik

Von Energie und Entropie zu Wärmeübertragung und Phasenübergängen 3. Auflage

Autor Prof. Dr. Rainer Müller Physikdidaktik Technische Universität Braunschweig Bienroder Weg 82 38106 Braunschweig E-Mail: [email protected]

ISBN 978-3-11-107008-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-107033-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-107077-3 Library of Congress Control Number: 2022951754 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbildabbildung: Cn0ra / iStock / Getty Images Plus Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Die Thermodynamik gleicht einer Landschaft mit vielen Gesichtern. Den Lernenden zeigt sie oft nicht die freundlichsten davon. Carnot-Zyklen, adiabatische Prozesse und Differentialbeziehungen ragen vor vielen Studierenden wie ein steiles Gebirge auf, an dem schon mancher gescheitert ist. Und in der Tat: Begriffliche Unschärfe vergibt die Thermodynamik nicht. Wer sich mit Halbwissen und ungefestigtem Verständnis an ihr versucht, der muss es oft büßen. Ihre übergroße Abstraktheit ist sicher ein Grund, weshalb die Thermodynamik für Lernende so schwierig erscheint. Oft fällt es schon schwer, zu erfassen, „worum es eigentlich geht“. Ein Hauptanliegen dieses Buches ist deshalb die Kontextorientierung. Durch den Bezug auf praktische Anwendungen aus Alltag und Technik sollen die Intuition und das Gespür für thermodynamische Zusammenhänge geschult werden – denn am besten lernt man dadurch, dass man das Gelernte anwendet. Die vielen konkreten Beispiele machen das Lernen im kontextorientierten Zugang nicht nur effektiver, sondern auch interessanter. Hier liegt die Aufgabe und der Anspruch des vorliegenden Buches: die interessanten Anwendungen der Thermodynamik zu erschließen und dabei den hohen fachlichen Anspruch und die begriffliche Klarheit der Darstellung aufrechtzuerhalten. Kontextorientierung bedeutet Authentizität: Wir blicken in einen Geysir, wir suchen die Thermik beim Segelfliegen, wir untersuchen Schnellkochtöpfe, Solarkraftwerke und Wärmepumpen. Überall betrachten wir reale Prozesse und echte Daten. Wenn wir Wärmepumpen behandeln, begnügen wir uns nicht mit dem Carnot-Prozess, sondern analysieren im Detail, wie eine wirkliche Wärmepumpe arbeitet – vom stationären Fließprozess mit einem industriell üblichen Kältemittel bis zur Primärenergiebilanz im praktischen Einsatz. Ähnlich betrachten wir beim Thema Kraftwerksprozesse nicht nur die Theorie des Clausius-Rankine-Prozesses, sondern vergleichen sie auch mit den Daten eines realen Solarkraftwerks in der kalifornischen Wüste. Und natürlich ist das Kochen ein nahezu unerschöpfliches Thema, an dem sich alle Aspekte der Wärmeübertragung diskutieren lassen. Entsprechend enthält das Buch auch zwei Rezeptvorschläge: „Gedeckter Apfelkuchen nach DIN EN 50304“ und „Nilpferd in Burgunder“. Die Bevorzugung echter Daten schlägt sich vor allem auch in den Abbildungen nieder. Bei Darstellungen von Materialeigenschaften, thermodynamischen Prozessen oder Phasendiagrammen – niemals handelt es sich um bloße „Prinzipskizzen“, sondern immer liegen reale Daten oder Stoffmodelle zugrunde. „Authentizität ist schön, macht aber viel Arbeit“ – so könnte man einen Ausspruch von Karl Valentin abwandeln. In der Tat wäre jeder Lehrende, der eine Thermodynamik-Vorlesung vorbereitet, als Einzelperson mit dem Auf-

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Vorwort

wand überfordert, den die Datenrecherche für dieses Buch erfordert hat. Es versteht sich somit auch als eine Dienstleistung für die Lehrenden. Dass die Authentizität dem Lernen förderlich ist, ist keineswegs eine bloße Hypothese: Wie die physikdidaktische Forschung mit einer bemerkenswert großen Effektstärke empirisch belegen kann, ist sie einer der Schlüssel zu Wissenserwerb und Motivation. Authentische Kontexte liefern gute Anknüpfungspunkte für die Verankerung und Vernetzung des Gelernten und helfen damit beim Aufbau tragfähiger Wissensstrukturen. In fachlicher Hinsicht liegt ein ganz besonderer Stolperstein im Begriff der Entropie. Die Gründe für ihre Unanschaulichkeit lassen sich benennen. Die Entropie ist eine Zustandsgröße und sollte daher – so wie die Temperatur oder die innere Energie – eine gewisse Eigenschaft thermodynamischer Zustände beschreiben. Die traditionelle Entropiedefinition, die wesentlich über Prozesse erfolgt, tut ihr Bestes, um gerade diesen Aspekt zu verschleiern. In diesem Buch wird eine alternative Definition der Entropie gegeben. Sie knüpft an eine alte Vorstellung an, die niemals so recht ausformuliert wurde: die Entropie als Maß für die Qualität von Energie – wobei Qualität operational im Sinne von Nutzbarkeit oder Verfügbarkeit verstanden wird. In konzeptioneller Hinsicht stützt sich der in Kapitel 9 eingeführte Entropiebegriff auf die erst 1999 veröffentlichte Entropiedefinition von Lieb und Yngvason – die vielleicht bedeutendste Errungenschaft der phänomenologischen Gleichgewichts-Thermodynamik der letzten 100 Jahre. Sie geht vom Begriff der adiabatischen Erreichbarkeit aus, der sich (wie Lieb und Yngvason in einer mathematischen Tour de force beweisen) als eine Ordnungsrelation für alle thermodynamischen Zustände auffassen lässt. Anders als bei Lieb und Yngvason erfolgt die Zuordnung konkreter Werte für die Entropie operational über die Nutzbarkeit des erschöpfbaren Energievorrats endlich großer Körper. Die Erzeugung von Entropie, die der zweite Hauptsatz beschreibt, lässt sich in diesem Rahmen als eine ständige Entwertung von Energie auffassen. Inhaltlich ist das Buch in drei Teile gegliedert: Die ersten fünf Kapitel beschäftigen sich mit den Eigenschaften von Stoffen – in der Hauptsache mit Wasser und dem idealen Gas. Als Anwendungen werden das Kochen, die Luftfeuchtigkeit und die Physik von Geysiren besprochen. Die Kapitel 6–12 befassen sich mit dem ersten und dem zweiten Hauptsatz und deren Anwendung auf thermodynamische Prozesse. Hier geht es um das Wetter, um Wärmepumpen und Kraftwerksprozesse. Der dritte Teil (Kapitel 13–14) beschäftigt sich mit den Gesetzen der Wärmeübertragung: Wärmestrahlung, Konvektion, stationäre und instationäre Wärmeleitung. Dabei führen wir Windmessungen in der Antarktis durch und dringen zum Abschluss des Buches in die tieferen Geheimnisse der Kochkunst vor. Braunschweig, im November 2013

Rainer Müller

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Vorwort . . . . .

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Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf 2.1 Die Erfindung des Schnellkochtopfs . . . . . . 2.2 Zustände thermodynamischer Systeme . . . . 2.3 Phasenänderungen beim Erhitzen von Wasser 2.4 v-T-Diagramm und Verdampfungsenthalpie . 2.5 Sieden bei höherem Druck . . . . . . . . . . . 2.6 Kochen im Schnellkochtopf . . . . . . . . . . .

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Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel 3.1 Geysire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Gasgemische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Verdampfen und Verdunsten . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Kochen im Gebirge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Luftfeuchtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Taubildung und Taupunkttemperatur . . . . . . . . . 3.7 Nebel und Wolken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Das ideale Gas – Cornelis Drebbels Wunderapparatur 4.1 Der Apparat von Cornelis Drebbel . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Zustandsgleichung des idealen Gases . . . . . . . . . . . . 4.3 Drebbels Apparat als Barometer und Thermometer . . . . . . .

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Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie 97 5.1 Die Begründung der Thermodynamik aus der klassischen Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 5.2 Mikroskopisches Modell des idealen Gases . . . . . . . . . . . . 99 5.3 Statistische Beschreibung des Drucks . . . . . . . . . . . . . . . 100 5.4 Zustandsgleichung des idealen Gases . . . . . . . . . . . . . . . 104 5.5 Maxwell-Boltzmann-Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

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Biologie und Chemie des Kochens 1.1 Was beim Garen geschieht . . . . . . . 1.2 Gemüse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Fleisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Spaghetti kochen – Erhitzen von Stärke 1.5 Garverfahren . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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Luft, statistisch betrachtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Brownsche Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Reale Gase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens 6.1 Der Sonntagsbraten als thermodynamisches Problem 6.2 Systemgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Energieformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Innere Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Gesamtenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Wärme und Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Der erste Hauptsatz der Thermodynamik . . . . . . . 6.8 Spezifische Wärmekapazität . . . . . . . . . . . . . . 6.9 Spezifische Wärmekapazität von Gasen . . . . . . . . 6.10 cV , c p und die Mathematik des ersten Hauptsatzes . 6.11 Wärmekapazitäten und der Gleichverteilungssatz . . 6.12 Modelle für Festkörper und Flüssigkeiten . . . . . . . 6.13 Isobare Prozesse und die Enthalpie . . . . . . . . . . 6.14 Erster Hauptsatz für stationäre Fließprozesse . . . .

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Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken 7.1 Die barometrische Höhenformel . . . . . . . . . . . . 7.2 Temperaturmessungen mit Radiosonden . . . . . . . 7.3 Thermik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Der adiabatisch-reversible Prozess . . . . . . . . . . . 7.5 Der Aufstieg eines Luftpaketes . . . . . . . . . . . . . 7.6 Thermik und Temperaturkurve . . . . . . . . . . . . . 7.7 Feuchtadiabatischer Aufstieg . . . . . . . . . . . . . . 7.8 Wolkenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.9 Höhenabhängigkeit der Taupunkttemperatur . . . .

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Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen 8.1 Klimawandel und CO2 -Emissionen . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Mit kalter Luft heizen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Die Carnot-Wärmepumpe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Leistungszahl von Wärmepumpen . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Die Carnot-Wärmekraftmaschine . . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Wärmepumpen zur Wohnungsheizung . . . . . . . . . . . . 8.7 Leistungszahlen in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.8 Primärenergiebilanz von Wärmepumpen . . . . . . . . . . . 8.9 Der Kältemittelkreislauf in einer Wärmepumpe . . . . . . . 8.10 Kältemittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11 Quantitative Analyse des Kältemittelkreislaufs . . . . . . . .

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209 210 211 215 224 227 228 230 231 233 235 236

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Inhaltsverzeichnis

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11 Fundamentale Konzepte: Mikroskopische Deutung der Entropie 11.1 Irreversibilität und die Zerstreuung von Energie . . . . . . . . 11.2 Makrozustand und Mikrozustände . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Statistische Mechanik: Das Zählen von Zuständen . . . . . . . 11.4 Das Boltzmann-Einstein-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Die Verbindung zur Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . 11.6 Die Boltzmann-Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7 Mikroskopische Begründung der Irreversibilität . . . . . . . .

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295 296 298 299 300 304 307 312

12 Kraftwerksprozesse – Strom von der Sonne 12.1 Solarkraftwerke in der Wüste . . . . . . . . . . . . 12.2 Grundaufbau eines solarthermischen Kraftwerks 12.3 Der Kraftwerksprozess . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Gas-und-Dampf-Kraftwerke . . . . . . . . . . . . 12.5 Kraft-Wärme-Kopplung . . . . . . . . . . . . . . .

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13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill 13.1 Windchillmessungen in der Antarktis . . . . . 13.2 Die Mechanismen der Wärmeübertragung . . 13.3 Wärmeleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Wärmeübertragung durch Strahlung . . . . . 13.5 Wärmeübertragung durch Konvektion . . . . 13.6 Der Behälter von Siple und Passel . . . . . . . 13.7 Thermische Netzwerke . . . . . . . . . . . . .

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Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße 9.1 Die Qualität der Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Die Entropie der inkompressiblen Substanz . . . . . 9.3 Adiabatische Erreichbarkeit als Ordnungsrelation . . 9.4 Die Entropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Die Entropie des idealen Gases . . . . . . . . . . . . . 9.6 Unterirdische Verbindungen . . . . . . . . . . . . . .

10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz 10.1 Irreversible Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Bilanzgleichung für die Entropie . . . . . . . . . 10.3 Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik . . . 10.4 Entropieerzeugung in irreversiblen Prozessen . 10.5 Das Maximum der Entropie . . . . . . . . . . . . 10.6 Freie Energie und freie Enthalpie . . . . . . . . . 10.7 Klassische Fassungen des zweiten Hauptsatzes 10.8 Entropiebilanz für offene Systeme . . . . . . . .

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x 14 Instationäre Wärmeleitung – Das perfekte Frühstücksei 14.1 Die Wärmeleitungsgleichung . . . . . . . . . . . . . 14.2 Die gleichmäßige Erwärmung . . . . . . . . . . . . 14.3 Morgen bringe ich sie um . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Warum sich Metall kalt und Holz warm anfühlt . .

Inhaltsverzeichnis

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A Literatur und Bildnachweis

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B Tabellen und Symbolverzeichnis

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Sachregister

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Biologie und Chemie des Kochens

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Kapitel 1 Biologie und Chemie des Kochens

1.1 Was beim Garen geschieht Alle Tiere fressen ihre Nahrung roh. Nur der Mensch kocht sein Essen. Schon unsere Vorfahren in der Altsteinzeit erhitzten ihre Speisen auf hohe Temperaturen, damit sie leichter verdaulich werden und an Geschmack gewinnen. Dass dies von Vorteil ist, unterliegt keinem Zweifel. Aber was geschieht eigentlich mit einem Schnitzel, das in der Pfanne brutzelt, oder dem Blumenkohl im Kochtopf? Welche physikalischen und chemischen Prozesse werden durch das Erhitzen ausgelöst? Und was meinen wir, wenn wir sagen, etwas sei „gar“? Eine Antwort auf diese Fragen kann uns nicht nur dabei helfen, durch das gezieltere Steuern von Garvorgängen die Erzeugnisse unserer eigenen Kochkunst zu verbessern. Die Beschäftigung mit der Physik des Kochens führt uns auch auf zwanglose Weise zum eigentlichen Ziel dieses Buches: die Gesetze der Thermodynamik zu verstehen. Sehen wir uns daher an, was mit den Speisen beim Garen geschieht. Es wird sich auszahlen. Warum wir unsere Nahrung kochen Wirklich nötig wäre das Kochen von Nahrungsmitteln nicht. Wie die Freunde von Carpaccio, Tatar und Mett wissen, kann man rohes Fleisch essen. Ein ernster Grund spricht in der Praxis dagegen: die Salmonellen, Trichinen oder Bandwürmer, die möglicherweise im rohen Fleisch lauern. Fast alle Gemüsesorten kann man dagegen problemlos roh zu sich nehmen. Nur Bohnen und Kartoffeln enthalten Giftstoffe, die durch das Kochen unschädlich gemacht werden. Nicht um die Essbarkeit an sich geht es beim Kochen, sondern um Konsistenz, Geschmack und Verdaulichkeit. Harte Lebensmittel (z. B. Blumenkohl oder Brokkoli) werden durch das Kochen weicher. Zähe, elastische Nahrungsmittel wie Fleisch werden mürbe und damit kaubar. Und nicht zuletzt führt das Erhitzen zur Bildung von Aromastoffen. Richtig gut schmeckt ein Steak erst dann, wenn es gut angebraten ist und sich in seiner braunen Kruste leckere Geschmacksstoffe gebildet haben.

1.2 Gemüse Die mechanische Stabilität von Pflanzen beruht darauf, dass ihre Zellen von einer stützenden und festigenden Zellwand umgeben sind (Abb. 1.1). Sie besteht hauptsächlich aus Cellulose, einem harten und faserigen Material, das der Mensch auch dann nicht verdauen kann, wenn es gekocht ist. Ist auf einer Lebensmittelverpackung von Ballaststoffen die Rede, dann ist damit hauptsächlich die enthaltene Cellulose gemeint. Zellmembran und Osmose Für das Kochen wichtiger als die Zellwand ist die Zellmembran. Sie liegt innen an der Zellwand an und stellt die funktionelle Abgrenzung der Zelle nach außen dar. In kulinarischer Hinsicht ist die Zellmembran für die Knackigkeit

Abschnitt 1.2 Gemüse

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Abb. 1.1: Mikroskopische Aufnahme einer Pflanzenknolle, bei der die Zellwände sichtbar gemacht wurden

Abb. 1.2: Beim Garen von Gemüse verringert sich der Gewebedruck.

rohen Gemüses verantwortlich. Sie ist nämlich semipermeabel, d. h. durchlässig für manche Substanzen (wie Wasser), undurchlässig für andere, so dass Osmose stattfinden kann. Was dabei geschieht, lässt sich in Kürze wie folgt beschreiben: Aufgrund der Konzentrationsunterschiede der gelösten Stoffe auf beiden Seiten der Zellmembran nimmt die Zelle Wasser auf, bis sie prall mit Flüssigkeit gefüllt ist und in ihrem Inneren ein höherer Druck als außen herrscht. Dieser sogenannte Gewebedruck oder Turgor sorgt für das knackige Gefühl, das man beim Hineinbeißen in rohes Gemüse verspürt. Beim Kochen wird die empfindliche Zellmembran zerstört. Sie wird bei Temperaturen um 40–45 °C aufgebrochen und büßt dadurch ihre Funktion als semipermeable Membran ein. Nun findet keine Osmose mehr statt, der Gewebedruck kann nicht aufrechterhalten werden und das Gemüse verliert seine Knackigkeit. Weil die Zellmembran jetzt auch das Innere und das Äußere der Zelle nicht mehr voneinander trennt, können Zellbestandteile austreten und nach dem Verzehr vom menschlichen Körper als Nährstoffe aufgenommen werden. Umgekehrt gelangen Verdauungsenzyme ins Innere der Zelle. Gemüse wird also durch das Kochen leichter verdaulich (Abb. 1.2).

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Kapitel 1 Biologie und Chemie des Kochens

Cellulose Es geschieht aber noch mehr, wenn man Gemüse kocht. Die Zellwände zweier Pflanzenzellen sind nämlich durch Pektine miteinander „verklebt“. Wie die Cellulose sind die Pektine Polysaccharide, d. h. lange Ketten von Zuckermolekülen. Anders als die Cellulose bleiben die Pektine vom Erhitzen nicht unbeeinflusst. Was mit ihnen geschieht, kennt man aus eigener Anschauung vom Marmeladekochen. Dabei dienen Pektine nämlich als Geliermittel. Direkt nach dem Einkochen, bei hohen Temperaturen, ist die Marmelade flüssig. Beim Erkalten bilden die Pektine ein Gel, das für die dickflüssige oder geleeartige Konsistenz der Marmelade verantwortlich ist. Wenn man Gemüse länger kocht, passiert das Gleiche wie bei der Marmelade. Die Pektine verlieren bei höheren Temperaturen ihre gelierende Wirkung und damit ihre Fähigkeit, Pflanzenzellen miteinander zu verkleben. Die Zellen können sich nun leicht voneinander lösen, die Pflanze zerfällt nach und nach; es entsteht eine Art Mus. In der Küche beabsichtigt man nur in den seltensten Fällen, seinen Gästen eine amorphe Masse aus zerkochtem Gemüse vorzusetzen. Gemüse kocht man nur bissfest. Einerseits sollen die Nährstoffe durch das Aufbrechen der Zellmembran für den Körper gut verfügbar sein, andererseits soll aber das Auflösen der Pektinbindungen noch nicht zu weit fortgeschritten sein. Irgendwo zwischen „hart“ und „zerkocht“ liegt die richtige Kochzeit für Gemüse; die Kunst liegt darin, den richtigen Zeitpunkt abzupassen.

Abb. 1.3: Tafelspitz muss längere Zeit gegart werden, um zart zu werden.

Abschnitt 1.3 Fleisch

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1.3 Fleisch Schwieriger als das Gemüsekochen ist die Zubereitung von Fleisch. Die leidvolle Palette der Küchenerzeugnisse reicht hier von „zäh“ und „trocken“ bis „innen roh und außen schwarz“. Dass dabei verschiedene Mechanismen am Werk sein müssen, die je nach Beschaffenheit des Fleischstückes das Garen auf unterschiedliche Weise beeinflussen, erkennt man schon anhand einfacher Erfahrungen aus dem Küchenalltag. Warum etwa wird der Tafelspitz in Abb. 1.3 durch lange andauerndes Erhitzen butterweich, während er kurzgebraten ungenießbar wäre? Und warum ist es beim Rumpsteak, wo das Durchbraten das Fleisch zäh und trocken macht, genau umgekehrt? Wenn man erst einmal verstanden hat, in welcher Weise beim Garen von Fleisch verschiedene, gleichzeitig stattfindende Vorgänge auszubalancieren sind, ist es gar nicht so schwierig, es richtig zu steuern. Die Prozesse, die dabei ablaufen, sind von anderer Art als beim Gemüse. Die Zellmembran muss beim Fleisch nicht eigens durch Erhitzen aufgebrochen werden, weil sie schon bei der Fleischreifung (dem „Abhängen“) beschädigt wird. Und um die Zellwand müssen wir uns schon deshalb nicht kümmern, weil tierische Zellen gar keine besitzen. Wenn wir das Garen von Fleisch verstehen wollen, müssen wir uns vielmehr mit den darin enthaltenen Proteinen („Eiweißen“) sowie mit dem Bindegewebe befassen. Proteine Fleisch ist das Muskelgewebe von Tieren. Wie ein Muskel aufgebaut ist und wie er funktioniert, hat uns aus physikalischer Perspektive schon in der Mechanik interessiert (Band I, Abschnitt 7.6). Für die Zwecke der Küche sind wir schon mit einfacheren Kenntnissen zufrieden. Es reicht, wenn wir wissen, was mit dem Muskel in der Pfanne passiert. Die Muskelfasern bestehen aus Proteinmolekülen, z. B. Aktin und Myosin. Es handelt sich um lange, kettenförmige Moleküle, die sich zu komplexen Formen anordnen. Diese äußere Gestalt, die sogenannte Tertiärstruktur, ist für die

Abb. 1.4: Tertiärstruktur eines Aktinmoleküls

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Kapitel 1 Biologie und Chemie des Kochens

Abb. 1.5: (a) Molekulare Struktur des zur Tripelhelix gewundenen Kollagenmoleküls, (b) aus Kollagenmolekülen gebildete Fibrillen (rasterkraftmikroskopische Aufnahme)

biologische Funktion der Proteine von entscheidender Bedeutung. Abb. 1.4 zeigt als Beispiel die Tertiärstruktur des Aktinmoleküls. Beim Erhitzen denaturieren die Proteine: Sie verlieren ihre Funktionsfähigkeit dadurch, dass sich ihre Tertiärstruktur ändert. Es findet keine chemische Reaktion im eigentlichen Sinn statt, sondern nur eine Gestaltänderung, die dazu führt, dass die Proteine ihre biochemischen Aufgaben nicht mehr erfüllen können. Durch das Denaturieren werden sie für den Menschen leichter verdaulich. Die Denaturierung von Myosin setzt bei etwa 40 °C langsam ein und verläuft ab 50 °C rasch. Aktin denaturiert erst bei höheren Temperaturen. Leider verfestigen sich die Muskelproteine beim Denaturieren. Der Muskelfaseranteil des Fleisches wird daher zäher. Ein Steak, das hauptsächlich aus Muskelfasern besteht, ist deshalb zart, wenn es im Inneren noch rosafarben ist. Beim Durchbraten wird es zunehmend hart. Die auffälligste Änderung beim Garen von Fleisch, seine Farbänderung von rot nach grau, wird ebenfalls durch einen Denaturierungsprozess bewirkt. Dass rohes Fleisch rot aussieht, geht nicht etwa auf das darin enthaltene Blut zurück. Das Fleisch, das wir beim Metzger kaufen, enthält kein Blut mehr. Nein, die rote Farbe wird durch das Protein Myoglobin verursacht, ein dem Hämoglobin verwandtes Molekül, mit dessen Hilfe der Muskel Sauerstoff speichert. Bei 55–60 °C setzt die Denaturierung des Myoglobins ein. Bei 65 °C ist das Fleisch rosafarben, weil das meiste Myoglobin denaturiert ist. Bei 70– 75 °C ist das Myoglobin schließlich vollständig denaturiert, das Fleisch nimmt eine graue Farbe an. Kollagen Gäbe es im Fleisch nichts weiter als die Muskelfasern, wäre alles ganz einfach. Man könnte ein Fleischstück mehr oder weniger stark durchbraten, ohne dass es dabei auf etwas anderes ankäme als auf den individuellen Geschmack. Leider enthält das Fleisch auch noch Bindegewebe, vor allem in Form des Proteins Kollagen. Das Bindegewebe hat im Körper eine stabilisierende Funktion (ein

Abschnitt 1.3 Fleisch

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Abb. 1.6: Gelatine besitzt eine weiche Konsistenz.

Beispiel sind die Sehnen), es umhüllt aber auch die Muskelfaserbündel und die Muskeln selbst. Kollagen ist eine außerordentlich feste und zähe Substanz. Diese Eigenschaft verdankt es seinem molekularen Aufbau. Es ist ein Protein, das aus drei Molekülsträngen besteht, die sich in Form einer Tripelhelix umeinander winden (Abb. 1.5). Für Zähne und Magen des Feinschmeckers sind die Stabilität und die Widerstandsfähigkeit des Kollagens eine Lästigkeit. Weder kann man es beißen oder kauen noch können ihm Verdauungsenzyme etwas anhaben. Das Kollagen in seine drei Einzelstränge aufzubrechen und damit genießbar zu machen, kann durch Einwirkung von Säuren geschehen (Einlegen in Marinade) oder durch längeres Erhitzen über 60–65 °C. Dann nämlich wird die Tripelhelix zerstört, das Kollagen denaturiert und es bildet sich Gelatine, eine Substanz deren weiche Beschaffenheit allgemein vertraut ist (Abb. 1.6). Die eingangs gestellte Frage, warum manche Fleischsorten beim Erhitzen weich und manche zäh werden, lässt sich nun beantworten. Fleisch mit hohem Bindegewebsanteil (z. B. aus Schulter, Keule und Bein) muss lange gegart werden, damit sich das Kollagen in Gelatine umwandelt. Das bindegewebsarme Steak mit hohem Muskelanteil haben wir schon besprochen: Es wird nur kurz gegart, sonst wird es fest und hart. Generell verzehrt man vorzugsweise das Fleisch von jungen Tieren, da mit zunehmendem Alter das Kollagen immer fester wird und sich schwerer aufspalten lässt. Mit dem Wissen um das thermische Verhalten des Kollagens lässt sich noch mehr verstehen, nämlich die unterschiedlichen Garverfahren für verschiede-

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Kapitel 1 Biologie und Chemie des Kochens

Abb. 1.7: Fleisch erhält durch Maillard-Reaktionen eine braune Kruste und seinen charakteristischen Geschmack.

ne Fleischsorten. Ein Rumpsteak brät man, ein Stück Rinderbrust wird gekocht. Warum ist das so? Wieder ist das Kollagen schuld. Es schrumpft nämlich beim Erhitzen um fast ein Drittel, so dass Wasser (der „Fleischsaft“) aus dem Fleisch herausgepresst wird. Das Fleisch wird dadurch trocken. Um dem entgegenzuwirken, bereitet man bindegewebsreiches Fleisch mit einem feuchten Garverfahren zu (z. B. Sieden, Dünsten oder Schmoren). Für die trockenen Garverfahren wie Braten oder Grillen ist nur bindegewebsarmes Fleisch geeignet. Natürlich spielt bei der Frage „trocken oder nicht“ auch das eingelagerte Fett eine Rolle; durchwachsenes Fleisch wird nicht so schnell trocken. 1.3.1 Die Maillard-Reaktionen

Über das Wichtigste beim Essen haben wir bisher noch nicht gesprochen: über den Geschmack. Wie kommt es, dass sich beim Garen neben der Konsistenz auch das Aroma verändert? Warum schmeckt Gegrilltes so viel besser als Gekochtes? Und weshalb freuen wir uns über angebratenes Gemüse oder eine Fleischkruste (Abb. 1.7)? Es ist auffällig, dass Speisen immer dann einen kräftigen Wohlgeschmack besitzen, wenn sie an der Oberfläche durch hohe Temperaturen gebräunt sind:

Abschnitt 1.4 Spaghetti kochen – Erhitzen von Stärke

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das Fleisch aus der Pfanne, der gegrillte Maiskolben, die angebratenen Pilze oder der gebräunte Käse auf einem überbackenen Auflauf. Für den guten Geschmack der gebräunten Speisen ist eine Gruppe chemischer Reaktionen verantwortlich, die sogenannten Maillard-Reaktionen. Diese Reaktionen finden bei hohen Temperaturen ab 140 °C statt, wenn Aminosäuren und Zucker zusammenkommen. Beides ist in unserem Essen vorhanden, denn Aminosäuren sind die Bausteine der Proteine und unter Zucker sind hier auch die Polysaccharide zu verstehen, die uns schon begegnet sind. Bei einer Maillard-Reaktion entstehen aus den Ausgangssubstanzen buchstäblich Hunderte von neuen Molekülen. Viele davon sind klein und flüchtig. Sie haben somit gute Chancen, beim Essen in unsere Nasen zu gelangen und dort als Aromastoffe zu wirken. Es können Fruchtaromen entstehen, Brot-, Karamell- oder Gemüsedüfte und auch das typische Fleischaroma. Die Zahl der Aromastoffe, die beim Garen in der Pfanne oder im Backofen durch Maillard-Reaktionen entstehen, ist unüberschaubar. Es ist bisher noch nicht gelungen, eine Übersicht über sämtliche der dabei erzeugten Reaktionsprodukte zu erlangen. Das liegt nicht nur daran, dass es so viele Aminosäuren und Zuckerarten gibt, die alle miteinander reagieren können, sondern auch daran, dass das Ergebnis der Reaktion stark von den äußeren Umständen abhängt (etwa von der Temperatur). Für die Küche ist die Vielzahl der erzeugten Aromastoffe ein Segen, denn sie macht das Kochen spannend. Anders als beim Vanillepudding oder beim Erdbeerjoghurt, wo nur wenige Aromastoffe künstlich zugesetzt werden, können die Produkte der „wirklichen“ Küche aufgrund der Aromenvielfalt immer wieder anders schmecken. Als Faustregel kann man sich merken, dass Maillard-Reaktionen ab 140 °C einsetzen, wenn Zucker oder Stärke und Aminosäuren vorhanden sind. Bei allen Garverfahren, die unterhalb dieser Temperatur bleiben, kommt es nicht zu Maillard-Reaktionen. In verstärktem Maß finden die Maillard-Reaktionen bei etwa 175 °C statt. Spitzenköche machen sich immer öfter das Wissen um die Maillard-Reaktionen zunutze und führen sie gezielt herbei. Durch Einpinseln mit einem „Maillard-Sirup“ aus Honig, Butter und Sojasauce kann man eine im Backofen garende Gans im Geschmack erheblich veredeln. Wird die Oberfläche der Speisen zu heiß (über 200 °C), bilden sich als Folge der Maillard-Reaktion unerwünschte, zum Teil karzinogene Reaktionsprodukte. Diese Gefahr besteht vor allem beim Grillen. Auch die Bildung des Karzinogens Acrylamid beim Frittieren von Pommes Frites bei über 180 °C ist ein Beispiel für eine unerwünschte Maillard-Reaktion.

1.4 Spaghetti kochen – Erhitzen von Stärke Die Zubereitung von Spaghetti gehört zu den leichteren Aufgaben im Küchenbetrieb. Die Nudeln mit etwas Salz in einen großen Topf mit siedendem Wasser geben, zehn Minuten kochen lassen, fertig. Man muss einzig darauf achten, dass sie nicht zu sehr verkochen. Vom physikalischen Standpunkt aus interessiert uns, was mikroskopisch beim Kochen von Spaghetti geschieht. Im

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Kapitel 1 Biologie und Chemie des Kochens

Abb. 1.8: Stärkekörner, eingelagert im Mark der Kapuzinerkresse

Rohzustand sind sie hart und brechen eher, als dass sie sich biegen lassen. Das ändert sich auch dann nicht, wenn man sie in kaltes Wasser legt. Nur in heißem Wasser werden Spaghetti weich. Woran liegt das? Spaghetti gehören zu den stärkehaltigen Nahrungsmitteln. Dies ist die letzte Gruppe von Speisen, die wir im Hinblick auf ihr Garverhalten untersuchen wollen. Neben Nudeln gehören noch alle anderen Getreideprodukte sowie Reis und Kartoffeln zu dieser Klasse. Stärke wird von vielen Pflanzen produziert, die den bei der Photosynthese entstandenen Zucker (Glucose) in Form von Stärkekörnchen im Gewebe einlagern (Abb. 1.8). Natürliche Stärke besteht hauptsächlich aus den beiden Polysacchariden Amylose und Amylopektin, sehr großen Molekülen, die aus einigen Tausend Zuckermolekülen zusammengesetzt sind. Von Verdauungsenzymen in unserem Körper können sie leicht in ihre Bestandteile aufgespalten werden. Teilweise kann das schon durch den Speichel geschehen: Wenn man ein Stück Weißbrot lange genug kaut, schmeckt es leicht süß. Nudeln werden aus Weizengrieß hergestellt. Beim Trocknen des Nudelteigs wird die Stärke zu einem festen Gerüst verklebt, das die Spaghetti hart macht. Sollen sie weich und essbar werden, muss Wasser hineingelangen. Mit kaltem Wasser gelingt dies nicht, weil Stärke in kaltem Zustand kaum wasserlöslich ist (eine Tatsache, die sich durch Herstellung einer klumpigen Mehlsoße experimentell bestätigen lässt). Beim Erhitzen der Stärke auf 70 °C brechen Molekülbindungen auf und Wasser kann eindringen. Die Stärke quillt beträchtlich auf (das ist der Grund, weshalb man immer zu viele Nudeln kocht), es bildet sich ein Gel, die Stärke „verkleistert“. In diesem Zustand ist sie für unsere Verdauungsenzyme leichter verwertbar. Aber Vorsicht: Der Vorgang ist teilweise reversibel. Beim Abkühlen bilden sich wieder Bindungen zwischen den in der Stärke enthaltenen Molekülen. Sofern sie nicht von Soße umhüllt werden, verkleben die einzelnen Spaghetti untereinander zu einer kompakten Masse.

Abschnitt 1.5 Garverfahren

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1.5 Garverfahren Eigentlich ist es erstaunlich, dass die beim Erhitzen von Fleisch, Gemüse oder Nudeln ablaufenden Vorgänge alle in einem recht schmalen Temperaturbereich stattfinden. Obwohl es sich im Grunde um ganz unterschiedliche Prozesse handelt, laufen sie zwischen 40 °C und 70 °C ab. Lediglich für den durch die Maillard-Reaktionen hervorgerufenen Extragenuss werden höhere Temperaturen benötigt. Was bedeutet „gar“? Diese Feststellung führt uns zu einer am Anfang des Kapitels gestellten Frage zurück: Was meint man eigentlich mit dem umgangssprachlichen Begriff „Garen“? Mit unseren inzwischen erworbenen Kenntnissen können wir es mit der folgenden Definition versuchen: Eine Speise ist dann gar, wenn sie durch Erhitzen für den Menschen genießbar gemacht worden ist – und zwar an allen Stellen, also nicht nur außen, sondern auch innen. Anders ausgedrückt: Die Speise muss so erhitzt werden, dass sie überall eine Temperatur von mindestens 70 °C angenommen hat. Recht nebensächlich ist dabei der genaue Wert der Temperatur (wie wir gesehen haben, kann er je nach Art des Nahrungsmittels niedriger liegen). Wichtig ist vielmehr, dass die betreffende Temperatur überall in der Speise erreicht wird. Das führt zu einer physikalischen Thematik, die uns in Kapitel 14 noch ausführlich beschäftigen wird. Ein Braten im Backofen erwärmt sich nämlich nicht gleichmäßig, sondern allmählich von außen nach innen. Er kann an seiner Außenseite schon so heiß sein, dass sich eine braune Kruste bildet, während er sich im Inneren noch kaum erwärmt hat. Man bezeichnet diese ungleichmäßige Erwärmung als instationäre Wärmeleitung. Die Zubereitungsart „innen roh und außen schwarz“ ist ein extremes Beispiel dafür. Worin sich verschiedene Garverfahren unterscheiden Es gibt eine fast unüberschaubare Anzahl an Garverfahren, die zum Erreichen des Zieles verschiedene physikalische Mechanismen ausnutzen. Die Unterschiede liegen z. B. darin, wie hoch die auftretenden Temperaturen sind. Es spielt auch eine Rolle, ob das Garen „trocken“ oder in Flüssigkeit erfolgt. Schließlich ist es von Bedeutung, auf welche Weise die Wärmeübertragung stattfindet: durch direkten Kontakt (etwa mit dem heißen Fett in der Pfanne) oder indirekt durch Wärmestrahlung (z. B. beim Grillen). Hier eine Übersicht über die wichtigsten Garverfahren: Garziehen: Garen in Wasser unterhalb der Siedetemperatur (bei 80 °C bis 95 °C). Vor allem Eier, Fisch und Klöße lässt man garziehen. Kochen: Garen in siedendem Wasser. Dämpfen: Garen in Wasserdampf bei 100 °C. Verwandt ist das Dünsten bei dem z. B. Gemüse mit nur wenig Flüssigkeit gegart wird. Garen im Schnellkochtopf: Garen unter erhöhtem Druck mit Wasserdampf bei einer Temperatur von 120 °C.

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Kapitel 1 Biologie und Chemie des Kochens

Bei diesen Garverfahren erfolgt die Wärmeübertragung auf die Speisen mit Hilfe von Wasser. In geschmacklicher Hinsicht ist das ein Nachteil. Die für das Aroma so wichtigen Maillard-Reaktionen können nicht stattfinden, weil der Siedepunkt des Wassers deutlich unter der dafür nötigen Temperatur liegt. Möchte man auf den Geschmack nicht verzichten, kann man die Speisen vorher anbraten. Bei den folgenden Garverfahren werden höhere Temperaturen erreicht und es kommt zu Maillard-Reaktionen: Frittieren: Garen der Speisen in heißem Fett bei ca. 140 °C bis 180 °C. Die Speisen schwimmen dabei im Fett. Backen: Garen durch Strahlungswärme im Backofen bei Temperaturen zwischen 150 °C und 250 °C. Braten: Garen in der Pfanne mit (wenig) heißem Fett bei Temperaturen um 200 °C. Die Speisen haben dabei direkten Kontakt zur Pfanne. Grillen: Garen durch Strahlungswärme bei höheren Temperaturen als im Backofen. Die Grillkohle kann Temperaturen von 600 °C und mehr erreichen. Sie steht aber nicht in direktem Kontakt zu den Speisen. Spezielle Garverfahren sind das Niedertemperaturgaren und das Garen im Mikrowellenofen. Beim Niedertemperaturgaren wird Fleisch nach vorherigem Anbraten sehr langsam (über mehrere Stunden) bei 60–80 °C gegart. Es soll auf diese Weise zart werden, weil sich das enthaltene Kollagen in Gelatine umwandelt. Die üblicherweise mit dieser Umwandlung verbundene Schrumpfung und der dadurch verursachte Flüssigkeitsverlust werden dabei vermieden. Für das Niedertemperaturgaren kann der Backofen benutzt werden oder der Dampfgarer, der heute in allen Profiküchen zu finden ist. Hier wird Wasserdampf so gezielt abgegeben, dass sich eine eingestellte Temperatur auch über längere Zeit sehr genau halten lässt. Das Garen im Mikrowellenofen ist etwas verpönt. Es gelangt aber in der fortschrittlichen Küche zu neuen Ehren. Nach vorherigem Anbraten (für die Maillard-Reaktionen) kann das langsame Garen im Mikrowellenofen zu vergleichbaren Ergebnissen wie das Niedertemperaturgaren führen. Die Physik und das Kochen Der Rundgang durch die Welt des Kochens hat uns zu vielen Themen aus Chemie und Biologie geführt. Er hat aber auch einige physikalische Größen und Prozesse berührt, die für die Wärmelehre wichtig sind: Temperatur und Druck als physikalische Zustandsgrößen; ferner Wasser, Dampf und siedendes Wasser als Beispiel für Aggregatzustände und Phasenübergänge; schließlich Wärmestrahlung und Wärmeleitung als Mechanismen der Wärmeübertragung. Wenn wir diese Inhalte im Verlauf des Buches aus fachlicher Sicht behandeln, werden wir immer wieder auf das Kochen zu sprechen kommen und den Geheimnissen der guten Küche mit vertiefter physikalischer Einsicht neue Facetten abgewinnen.

Wasser und Dampf

Kochen im Schnellkochtopf

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Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

Abb. 2.1: Papins Schrift von 1681, in der er den neu erfundenen „Digester“ der Öffentlichkeit vorstellt

2.1 Die Erfindung des Schnellkochtopfs Es ist erstaunlich, dass der Schnellkochtopf schon über 300 Jahre alt ist. Erfunden wurde er 1679, in einer Zeit als die Beschäftigung mit Dampf, Druck und Wärme wissenschaftlich hochaktuell war, ohne dass die zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten schon genauer bekannt gewesen wären. In der Zeit zwischen Guerickes Versuchen mit den Magdeburger Halbkugeln (1657) und der ersten verwendbaren Dampfmaschine (1712) konstruierten die damaligen Forscher und Erfinder zahlreiche Apparate, die auf der Wirkung von Dampf und Druck beruhten. Denis Papin war einer der findigsten Köpfe dieser Zeit. Er wirkte in London und Venedig, in Marburg und Kassel und entwickelte eine ganze Anzahl zukunftsweisender Vorrichtungen und Maschinen. Unter anderem konzipierte er verbesserte Vakuumpumpen, Wasserpumpen sowie Vorläufer von Dampfmaschine und Explosionsmotor. Seine spektakulärsten Konstruktionen waren ein funktionierendes Unterwasserboot mit Schnorchel sowie ein Schaufelradschiff, für das er einen Dampfantrieb vorgesehen hatte. Trotz seiner visionären Ideen hatte Papin immer wieder mit Widrigkeiten wie etwa den unzulänglichen handwerklichen Möglichkeiten seiner Zeit zu kämpfen. So scheiterte seine Versuchsanlage für eine Dampfdruckpumpe, mit der die landgräflichen Wasserspiele im steilen Schlosspark von Wilhelmshöhe betrieben werden sollten, an undichten Rohrverbindungen. Sein Unterwasserboot erlitt Schiffbruch, weil der Kran, der es ins Wasser hieven sollte, zusammenbrach (ein zweiter Versuch gelang jedoch). Und schließlich wurde sein kleines Schaufelradschiff, mit dem er von Kassel nach England fahren wollte, um dort mit einem Dampfantrieb zu experimentieren, im Streit um Durchfahrtsrechte von aufgebrachten Schiffern zerstört.

Abschnitt 2.1 Die Erfindung des Schnellkochtopfs

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Von Erfolg gekrönt war hingegen die Entwicklung des Schnellkochtopfs, des „Digesters“, die Papin die Mitgliedschaft in der britischen Royal Society einbrachte. Der Nutzen des Geräts wurde schon im Titel der 1681 erschienenen Schrift deutlich, in der er seine Erfindung der Öffentlichkeit vorstellte (Abb. 2.1): „A New Digester or Engine for Softning Bones, Containing the Description Of its Make and Use in these Particulars: Viz. Cookery, Voyages at Sea, Confectionary, Making of Drinks, Chymistry, and Dying: with an Account of the Price a good big Engine will cost, and of the Profit it will afford“. In der Hauptsache sollte der Digester zum Kochen dienen, als ein Mittel zur besseren Versorgung der Armen mit Nahrung. Papin konnte nämlich damit aus Knochen Gelatine kochen, die er für fast ebenso nahrhaft hielt wie Fleisch. Somit eröffnete sich die Perspektive, aus einem Stoff, der bisher als Abfall betrachtet wurde, eine billige und gehaltvolle Speise herzustellen. Mit herkömmlichen Methoden gelang das nicht: Knochen konnte man stundenlang bei 100 °C in siedendem Wasser kochen, ohne dass sie weich wurden. Aber Papin wusste, dass Wasser bei höheren Temperaturen siedet, wenn man nur den Druck erhöht. Und so baute er das in Abb. 2.1 als zweites von rechts gezeigte Druckgefäß, in dem er für die Mitglieder der Royal Society verschiedene Speisen zubereitete. Die Royal Society degustierte die Kostproben aus dem Digester mit Wohlgefallen. John Evelyn, Esq., Fellow of the Royal Society, notiert in seinem Tagebuch unter dem Datum des 12. April 1682: Heute Nachmittag ging ich mit einigen zu einem Essen in der Royal Society, bei dem alles, Fisch sowohl wie Fleisch, in Monsieur Papins Digester zubereitet worden war, wodurch die härtesten Rinderknochen (und auch Hammel) so weich wie Käse gemacht wurden, ohne Wasser oder eine andere Flüssigkeit, und mit weniger als acht Unzen Kohle, wobei eine erstaunliche Menge an Bratensaft entstand. Zuletzt gab es einen Gelee aus Rinderknochen, den besten an Reinheit und Würze und den köstlichsten, den ich jemals gesehen oder gekostet habe. Wir aßen Hecht und anderen grätigen Fisch, und dies alles ohne jegliche Beschwerlichkeit; aber nichts übertraf die Tauben, die wie in einer Pastete gebacken schmeckten, und die doch nur in ihrem eigenen Saft geschmort worden waren. [. . . ] Dieses wissenschaftliche Abendessen sorgte für viel Fröhlichkeit unter uns und ergötzte die ganze Gesellschaft ungemein. Ich sandte ein Glas des Gelees an meine Frau, zur Beschämung von allem, was die Damen jemals aus dem besten Hirschhorn zubereitet haben.

In der Schnittzeichnung in Abb. 2.2 erkennt man den Aufbau des Digesters genauer. Das Kochgefäß A wird mit Wasser gefüllt und mit dem Deckel B verschlossen. Auffällig ist die am Kochgefäß angebrachte Bügelvorrichtung. Mit Hilfe zweier Schrauben wird damit der Deckel fest auf das Kochgefäß gepresst, um es zu verschließen. Wenn beim Erhitzen des Gefäßes ein Teil des Wassers verdampft, kann der entstehende Dampf nicht nach außen entweichen – es entsteht ein Überdruck im Inneren des Gefäßes. Dadurch kann die

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Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

Abb. 2.2: Schnitt durch Papins Digester

Temperatur auf über 100 °C ansteigen. Auf welche Weise dies im Detail vonstatten geht, ist die physikalische Kernfrage dieses Kapitels. Wir werden später noch ausführlich darauf eingehen. Historisch bedeutsam ist der Hebel C, der mit einem Massestück beschwert ist und der an der Stelle D ein durch den Deckel geführtes Rohr verschließt. Es handelt sich um das erste Sicherheitsventil, das Papin bei dieser Gelegenheit gleich miterfunden hat. Es bewirkt, dass der Druck im Inneren des Topfes nur bis zu einer gewissen Grenze ansteigen kann. Ohne Sicherheitsventil hält irgendwann die schwächste Stelle des Gefäßes dem Druck nicht mehr stand und der Topf zerbirst mit ungeheurer Gewalt. Das Sicherheitsventil stellt in kontrollierter Weise eine „schwächste Stelle“ her, indem die Öffnung bei D mit einer bestimmten, über das Massestück einstellbaren Kraft verschlossen wird. Bei genügend großem Dampfdruck kann der Dampf diese Kraft überwinden und kontrolliert entweichen, so dass der Druck im Inneren des Topfes nicht mehr weiter ansteigt. Nicht nur beim Digester verringerte das Sicherheitsventil die Gefahr lebensgefährlicher Explosionen. Mit ihm gelang es, den Druck des Dampfes kontrollierbar und damit auch für andere Anwendungen nutzbar zu machen. Die Beherrschbarkeit des Dampfes war eine entscheidende Voraussetzung für die anbrechende Ära der Dampfmaschine.

Abschnitt 2.2 Zustände thermodynamischer Systeme

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2.2 Zustände thermodynamischer Systeme Am Beispiel von Papins Digester können wir uns in die Begriffswelt der Thermodynamik einarbeiten. Es treten dabei vertraute Größen wie Temperatur, Druck und Energie auf, aber auch Neues wie Entropie und Enthalpie, dessen Verständnis man sich erst erarbeiten muss. Vor allem muss man sich daran gewöhnen, den Zustand des betrachteten Systems und die Prozessbedingungen, unter denen es sich verändert, mit großer Sorgfalt anzugeben. Was das in der Praxis bedeutet, können wir uns an einem Beispiel klarmachen, das uns aus dem Alltag noch vertrauter ist als das Kochen mit einem Schnellkochtopf: Wir bringen Wasser in einem gewöhnlichen Topf zum Sieden, wie man es etwa zum Kochen von Eiern oder Nudeln tut. Dabei decken wir den Topf mit einem Deckel zu. 2.2.1 Von der Alltagsbeschreibung zum Modellsystem

Wenn wir den Topf auf die Herdplatte stellen, steigt die Temperatur des Wassers an und nach einer Weile beginnt es sprudelnd zu sieden. Dabei wird Wasserdampf gebildet. Je länger das Wasser siedet, umso mehr davon verdampft. Nichts scheint einfacher zu sein, und doch ist diese Beschreibung in thermodynamischer Hinsicht unbefriedigend. Es ist z. B. nicht einfach, die folgenden Fragen zu beantworten: Findet der Prozess bei konstantem Volumen statt oder bei konstantem Druck? Oder sind gar beide konstant? Welche physikalischen Größen sind eigentlich notwendig, um das System vollständig zu beschreiben? Ist sein Zustand durch die Angabe der Temperatur eindeutig festgelegt? Ist es relevant, dass sich die Zusammensetzung des von Topf und Deckel eingeschlossenen Gases während des Prozesses ändert? Am Anfang befindet sich über dem Wasserspiegel gewöhnliche Umgebungsluft, die während des Siedens nach und nach vom entstehenden Wasserdampf verdrängt wird. Sollten wir (etwa bei der Angabe des Volumens) über den Dampf, der unter dem Deckelrand entweicht, Buch führen? Die Fragen zeigen, dass der scheinbar so einfache Alltagsvorgang nicht sorgfältig genug definiert ist. Für die thermodynamische Beschreibung gehen wir daher zu vereinfachten Modellsystemen und -prozessen über. Die erste Maßnahme: Weg mit der Luft! Wenn es sich vermeiden lässt, möchten wir nicht mit Systemen arbeiten, deren chemische Zusammensetzung sich von Ort zu Ort ändert. Besser ist es, chemisch homogene Systeme zu betrachten. Beispiele dafür sind Sauerstoff, Wasser, Kupfer und Eisen, aber auch Luft, Bier und Benzin, selbst wenn es sich um Stoffgemische handelt. Ein Kochtopf mit Luft und Wasser bildet kein chemisch homogenes System. In der Flüssigkeit beträgt der Wasseranteil 100 %, im Raum darüber sind Luft und Wasserdampf gemischt. Dagegen liegt ein chemisch homogenes System vor, wenn der Topf nur flüssiges Wasser und Wasserdampf enthält. In diesem Fall besteht der Inhalt zu 100 % aus Wasser.

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Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf beweglicher Deckel

fester Deckel

(a) konstantes Volumen

(b) konstanter Druck

Abb. 2.3: Zwei Möglichkeiten der Prozessführung: (a) bei konstantem Volumen, (b) bei konstantem Druck

Im Folgenden betrachten wir also einen Topf, der nur Wasser und Wasserdampf enthält, aber keine Luft. Zugunsten einer einfacheren Beschreibung rücken wir damit ein Stück weit von der Realität ab. Eine wirkliche Einschränkung bedeutet dies jedoch nicht, weil wir ja schon wissen, dass auch im realen Topf die Luft nach einiger Zeit des Siedens fast gänzlich vom Wasserdampf verdrängt wird. 2.2.2 Prozessführung

Nachdem wir den Inhalt unseres Topfes auf Wasser und Dampf beschränkt haben, müssen wir die äußeren Bedingungen festlegen, unter denen das Erhitzen vor sich geht. Auch daran muss man sich im Umgang mit der Thermodynamik gewöhnen: Es gibt fast immer verschiedene Möglichkeiten der Prozessführung. Für die formale Beschreibung muss man entscheiden, welche davon die reale Situation am besten wiedergibt. Zwei in der Praxis häufig auftretende Prozessführungen sind in Abb. 2.3 dargestellt. (a) Erhitzen bei konstantem Volumen Wie in Abb. 2.3 (a) gezeigt, wird der Topf mit einem fest sitzenden Deckel verschlossen, der keinen Dampf durchlässt und das Volumen begrenzt. Die Anordnung entspricht ungefähr einem Digester ohne Sicherheitsventil. Wie wir schon wissen, steigt beim Erhitzen der Druck im Inneren des Topfes, wenn nach und nach immer mehr Wasser verdampft. (b) Erhitzen bei konstantem Druck Die zweite Möglichkeit, das Erhitzen des Systems bei konstantem Druck, ist schematisch in Abb. 2.3 (b) dargestellt. Auch hier lässt der Deckel keinen Dampf entweichen. Er soll aber nach oben und unten frei beweglich sein. Der Deckel wird mit Massestücken beschwert, um den gewünsch-

Abschnitt 2.2 Zustände thermodynamischer Systeme

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ten Druck im Topfinneren einzustellen. Beim Erhitzen unter konstantem Druck nimmt das Volumen des Wasser-Dampf-Gemisches zu, weil zunehmend Wasser verdampft. Der bewegliche Deckel wird im Verlauf des Prozesses immer weiter nach oben geschoben. Häufig finden Prozesse ohne besondere Maßnahmen zur Druckregulierung statt. Wenn wir Wasser in einem Topf ohne Deckel zum Sieden bringen oder im Labor eine chemische Reaktion ablaufen lassen, kümmern wir uns in der Regel nicht um eine Regulierung des Drucks. Dennoch läuft der Vorgang bei konstantem Druck ab, nämlich beim Atmosphärendruck, der im Labor herrscht. In unserem Modell können wir dies durch einen „unendlich leichten“ Deckel wiedergeben. Er ist frei beweglich und verhindert nur das Entweichen des Dampfes, so dass wir die Volumenänderung verfolgen können. 2.2.3 Zustandsgrößen

In der Mechanik beschreibt man den Zustand eines Systems dadurch, dass man den Ort und die Geschwindigkeit für alle Körper angibt, die zum System gehören. Das ist ein gangbarer Weg für Systeme, die nur aus wenigen Körpern bestehen. In der Thermodynamik können wir ihn nicht beschreiten. Ein typisches thermodynamisches System, wie der Dampf in unserem Kochtopf, besteht aus 1023 und mehr Molekülen. Weder ist es möglich, den Ort und die Geschwindigkeit jedes einzelnen Moleküls zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erfassen, noch würde das einen großen Nutzen bringen (denn wer wollte diese Datenmenge auswerten?). In der Thermodynamik wird ein Zustand durch Größen beschrieben, die das System makroskopisch charakterisieren. Es ist nur eine gute Handvoll an Variablen, die zur Beschreibung herangezogen werden: Druck, Temperatur, Volumen, Masse, Energie, Enthalpie, Entropie und einige andere, die daraus durch Kombination entstehen. Es ist im Grunde recht erstaunlich, dass diese Reduktion an Komplexität (von 1023 auf einige wenige Variablen) überhaupt möglich ist. Und doch gelingt es – die Thermodynamik ist in ihrem Anwendungsbereich eine höchst erfolgreiche Theorie. Einige der thermodynamischen Zustandsgrößen, wie Druck und Temperatur, waren schon von alters her bekannt, weil sie der Wahrnehmung unmittelbar zugänglich sind und man sie verhältnismäßig leicht messen und einstellen kann. Andere, wie die Entropie, mussten erst mühsam gefunden werden. Zwischen den makroskopischen thermodynamischen Zustandsgrößen und den mikroskopischen Details der mechanischen Beschreibung lässt sich eine Verknüpfung herstellen. Dies ist Gegenstand der kinetischen Gastheorie, mit der wir uns in Kapitel 5 befassen werden. Dort wird sich herausstellen, dass viele thermodynamische Größen durch Mittelung über mikroskopische Variablen entstehen. So hängt beispielsweise die Temperatur eines Gases eng mit der mittleren kinetischen Energie der sich ungeordnet bewegenden Gasmoleküle zusammen.

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Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

Stellen wir nun die Zustandsgrößen zusammen, die für eine thermodynamische Beschreibung unseres Kochtopfes maßgebend sind: (1) Temperatur: Die Temperatur ist ein aus dem Alltag vertrauter Begriff. Sie wird in Kelvin (K) oder in Grad Celsius (°C) gemessen. Im Gegensatz zur Celsiusskala beginnt die Kelvinskala am absoluten Temperaturnullpunkt bei −273,15 °C. Von der Celsiusskala kommt man zur Kelvinskala, indem man 273,15 Grad addiert. Die Kelvinskala ist die „eigentliche“ physikalische Temperaturskala. Manche Gesetze (Gesetz des idealen Gases, plancksches Strahlungsgesetz) setzen eine Temperaturangabe in Kelvin voraus. Die Celsiusskala wird aus Gewohnheits- und Anschaulichkeitsgründen häufig dann verwendet, wenn nur Temperaturdifferenzen maßgeblich sind oder einfach ein Zustand beschrieben werden soll. (2) Druck: Auch der Druck ist eine aus dem Alltag bekannte Größe, auf deren genaue Definition wir noch in Kapitel 5 eingehen werden. Für den Druck gibt es eine ganze Reihe von Einheiten: Die offizielle SI-Einheit ist das Pascal (Pa = N/m2 ). Daneben wird häufig das Bar (1 bar = 105 Pa) verwendet, weil es ungefähr dem Normaldruck der Atmosphäre in Meereshöhe entspricht, der 1,013 bar beträgt. In der Meteorologie werden Atmosphärendrücke in Millibar oder Hektopascal angegeben (1 mbar = 1 hPa = 100 Pa). Veraltet und gesetzlich nicht mehr zulässig ist die Einheit „Atmosphäre“ (atm). (3) Volumen, Masse, Stoffmenge: Die Menge des Wassers im Topf lässt sich durch verschiedene Variablen beschreiben: durch sein Volumen, seine Masse, durch die Stoffmenge (Molzahl) oder auch durch die Anzahl der Wassermoleküle. Welche davon man im Einzelfall verwendet, wird nach der Zweckmäßigkeit für die jeweilige Anwendung entschieden. (4) Dichte, spezifisches Volumen: Die Angabe von Masse oder Volumen allein beschreibt den Zustand eines Gases nur unzureichend. Denn wie man von der Fahrradluftpumpe weiß, lassen sich Gase komprimieren. Die gleiche Gasmasse kann man in ein kleineres oder größeres Volumen einsperren. Die Dichte ρ = m/V, der Quotient aus Masse und Volumen, gibt den Kompressionsgrad eines Gases an. Je komprimierter es ist, umso höher ist seine Dichte. Für die Verwendung im thermodynamischen Alltag ist die Dichte allerdings nicht sehr praktisch, denn in ihrer Definition steht das Volumen im Nenner. Das ist ein Nachteil, denn meist wird in der Praxis gerade das Volumen einer Substanz verändert. Um nicht ständig unnötig um die Ecke denken zu müssen, benutzt man häufig den Kehrwert der Dichte, das spezifische Volumen v: V v= . (2.1) m Das spezifische Volumen lässt sich leicht veranschaulichen, indem man fragt: Wie viele Kubikmeter nimmt ein Kilogramm des Stoffes ein? Entsprechend hat das spezifische Volumen die Einheit m3 /kg.

21

Abschnitt 2.3 Phasenänderungen beim Erhitzen von Wasser

(b)

(a) p = 1 bar T = 20 °C

(c) p = 1 bar T = 100 °C siedende Flüssigkeit

Flüssigkeit

p = 1 bar T = 100 °C gesättigter Dampf

siedende Flüssigkeit

Abb. 2.4: Erhitzt man flüssiges Wasser bei Atmosphärendruck, beginnt es bei T = 100 °C zu sieden. Wasser und Dampf befinden sich im Gleichgewicht.

Man unterscheidet extensive und intensive Zustandsgrößen. Eine intensive Größe ändert sich nicht, wenn man das System in zwei gleiche Teile aufspaltet. Beispiele sind Temperatur, Druck, Dichte. Dagegen sind extensive Zustandsgrößen wie Volumen, Energie, Masse proportional zur Größe des Systems.

2.3 Phasenänderungen beim Erhitzen von Wasser Kehren wir zu unserem Topf zurück, den wir bei konstantem Druck erhitzen wollen. Er enthält 1 kg Wasser, das anfangs eine Temperatur von 20 °C besitzt (Abb. 2.4 (a)). Entsprechend der Prozessführung für konstanten Druck schließen wir das Wasser ohne Luft mit einem beweglichem Deckel ab. Während des gesamten Vorgangs soll der Druck im Topf dem normalen Atmosphärendruck (p = 1 bar) entsprechen. Die Zustandsgrößen, die wir neben dem Druck beobachten wollen, sind Temperatur und spezifisches Volumen. Flüssigkeit Im Anfangszustand unseres Prozesses, bei 1 bar und 20 °C, ist Wasser eine Flüssigkeit. Aus unserer alltäglichen Erfahrung können wir das spezifische Volumen von Wasser bei Zimmertemperatur angeben: Ein Liter Wasser wiegt ein Kilogramm. Daher beträgt das spezifische Volumen 1 Liter pro Kilogramm, oder, umgerechnet auf Kubikmeter, v = 0,001 m3 /kg. Natürlich wollen wir bei unseren thermodynamischen Forschungen nicht allein auf Ihr Alltagswissen angewiesen sein. Deshalb sind die Materialeigenschaften von vielen Stoffen in Tabellenform dokumentiert. Weil man sich in konkreten Anwendungen der Thermodynamik oft mit den thermischen Eigenschaften von Stoffen beschäftigt, muss man häufig auf solche Tabellen zurückgreifen. Die Eigenschaften von Wasser können wir in den Wasserdampftafeln ab S. 410 nachschlagen. Sehen wir uns die mit „Wasserdampftafel, Sättigungszustand“ überschriebene Tabelle an. In der ersten Spalte findet man die

22

Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

Abb. 2.5: Flüssigkeitsthermometer beruhen auf der Volumenausdehnung der Thermometerflüssigkeit bei Temperaturerhöhung. Als Thermometerflüssigkeit wird heute meist gefärbter Alkohol eingesetzt.

Temperatur, daneben eine dazugehörige Druckangabe, mit der wir uns später befassen werden. In der dritten Spalte steht das spezifische Volumen, das flüssiges Wasser bei dieser Temperatur besitzt. Für T = 20 °C lesen wir einen Wert von 0,0010018 m3 /kg ab, was unsere Abschätzung bestätigt. Verfolgt man die Tabelleneinträge für das spezifische Volumen von flüssigem Wasser zu höheren Temperaturen, so stellt man fest, dass v beim Erwärmen ganz leicht zunimmt. Der Wert ändert sich im Promillebereich. Wenn wir einen so kleinen Effekt überhaupt zur Kenntnis nehmen, so handelt es sich nicht einfach um übertriebenes Streben nach Genauigkeit. Der Effekt ist technisch wichtig; auf ihm beruht die Funktion aller Flüssigkeitsthermometer. Diese bestehen aus einem Reservoir mit einem sehr engen Steigrohr (Abb. 2.5), das es ermöglicht, die winzigen Volumenänderungen überhaupt abzulesen. Siedende Flüssigkeit Sobald die Temperatur des Wassers 100 °C erreicht (Abb. 2.4 (b)), beginnt es zu sieden. Es setzt ein Phasenübergang vom flüssigen in den gasförmigen Zustand ein. In der Flüssigkeit brodelt es heftig, es bilden sich Blasen aus Wasserdampf, die an die Oberfläche steigen. In der Thermodynamik wird die pure Flüssigkeit (ohne den Dampf) in diesem Zustand als siedende Flüssigkeit bezeichnet. In der Wasserdampftafel für den Sättigungszustand (S. 410) beziehen sich alle mit dem Index f bezeichneten Größen auf die siedende Flüssigkeit. Für das spezifische Volumen des bei 100 °C siedenden Wassers lesen wir den Wert v = 0,0010435 m3 /kg ab. Nassdampf Wenn wir die siedende Flüssigkeit weiter erhitzen, geschieht etwas auf den ersten Blick sehr Verwunderliches: Die zugeführte Energie führt nicht zu einer weiteren Temperaturerhöhung. Die Temperatur bleibt konstant bei 100 °C.

23

Abschnitt 2.3 Phasenänderungen beim Erhitzen von Wasser (a)

(b) p = 1 bar T = 100 °C

gesättigter Dampf

p = 1 bar T = 300 °C überhitzter Dampf

Abb. 2.6: Gesättigter Dampf und überhitzter Dampf

Stattdessen bildet sich Dampf. Der Topf enthält nun eine flüssige und eine gasförmige Phase (Abb. 2.4 (c)). Dampf und Wasser haben die gleiche Temperatur; man sagt, sie stehen im Gleichgewicht. Damit ist gemeint, dass sich ohne Änderung der äußeren Bedingungen der Zustand des Systems nicht mehr ändert. Unterbrechen wir zu diesem Zeitpunkt die Wärmezufuhr und isolieren das System, so bleiben die relativen Anteile von Dampf und Wasser im Topf unverändert. Dampf und Wasser können bei 1 bar und 100 °C koexistieren. Den Koexistenzzustand von flüssigem Wasser und Dampf bezeichnet man als Nassdampf. Weil der Dampf einen größeren Raum einnimmt als die gleiche Menge flüssigen Wassers, ist das spezifische Volumen des Nassdampfes größer als das der siedenden Flüssigkeit. Je höher der Anteil des bereits verdampften Wassers ist, umso weiter wird der bewegliche Deckel in Abb. 2.4 nach oben geschoben. Gesättigter Dampf Mit der Energie, die wir dem Topf mit Nassdampf durch weiteres Erhitzen zuführen, wird so lange weiterer Dampf erzeugt, bis die Flüssigkeit vollständig verdampft ist. Währenddessen bleibt die Temperatur im Topf konstant bei 100 °C. Wenn der letzte Tropfen Flüssigkeit verdampft ist, liegt nur noch eine Phase vor, nämlich der gasförmige Zustand (Abb. 2.6 (a)). Dampf in diesem Zustand, bei dem jeder Wärmeentzug zur Kondensation von Flüssigkeit führt, heißt gesättigter Dampf. In der Wasserdampftafel für den Sättigungszustand beziehen sich alle Größen mit dem Index g (z. B. vg ) auf den gesättigten Dampf. Für das spezifische Volumen von gesättigtem Dampf bei 100 °C lesen wir den Wert 1,672 m3 /kg ab. Der Volumenzuwachs vom flüssigen zum gasförmigen Zustand ist demnach enorm: Aus einem Liter Wasser werden 1672 Liter Dampf. Maßstäblich ist dies in Abb. 2.6 nicht darstellbar. Wir können die bisher gewonnenen Erkenntnisse an einem Praxisbeispiel anwenden. Wenn man eine Turbine in einem Kraftwerk zur Stromerzeugung effizient betreiben will, ist man an der Erzeugung möglichst heißen Dampfes

24

Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

interessiert. Man könnte vermuten, dass man dazu Wasser in einem Dampfkessel erhitzt und die Heizleistung so lange steigert, bis der entweichende Dampf heiß genug ist. Unser Topfexperiment zeigt, dass das nicht funktionieren würde. In einem Dampfkessel stehen Dampf und Wasser in Kontakt, es liegt also Nassdampf vor. Dieser kann aber durch Wärmezufuhr nicht über die Siedetemperatur hinaus erhitzt werden. Jede Steigerung der Heizleistung führt nicht zu einer Erhöhung der Temperatur, sondern nur dazu, dass immer mehr Dampf erzeugt wird. Wie sehr man auch die Heizleistung steigert, aus dem Dampfkessel entweicht immer nur gesättigter Dampf mit einer Temperatur, die gleich der Siedetemperatur ist. Was kann man tun, um dennoch heißen Dampf zu erzeugen? Man ergänzt den Dampfkessel um einen Überhitzer, ein Röhrensystem, in dem der aus dem Dampfkessel strömende gesättigte Dampf ein zweites Mal erhitzt wird. Jetzt steht der Dampf nicht mehr in Kontakt mit flüssigem Wasser, und die Wärmezufuhr führt zu einer Temperaturerhöhung. Nun kann der Dampf über die Siedetemperatur hinaus erhitzt werden. Überhitzter Dampf Ähnliches geschieht, wenn wir dem Topf mit gesättigtem Dampf weiter Wärme zuführen (Abb. 2.6 (b)). Weil keine Flüssigkeit mehr vorhanden ist, die verdampfen könnte, steigt die Temperatur an. Wir können den Dampf beliebig weiter erhitzen, z. B. auf 200 °C oder 300 °C, wenn wir die Wärmezufuhr aufrechterhalten. Dampf mit einer Temperatur oberhalb der Siedetemperatur heißt überhitzter Dampf. Für ihn gibt es eine eigene Wasserdampftafel, die auf S. 411 abgedruckt ist. Wenn wir sie benutzen, müssen wir darauf achten, dass sich bei überhitztem Dampf der Druck und die Temperatur unabhängig voneinander variieren lassen. Deshalb müssen wir beide Größen angeben. Den Druck finden wir in der ersten Tabellenspalte, die Temperatur in der zweiten und sechsten Spalte. Die Eigenschaften des Dampfes lassen sich in den zugehörigen Einträgen der Tabelle ablesen. Probieren wir es aus. Wir erhitzen den Dampf im Topf zuerst auf 200 °C und dann auf 300 °C. Nach wie vor herrscht ein Druck von 1 bar. Aus der Wasserdampftafel lesen wir ab, dass das spezifische Volumen des Dampfes dabei auf 2,17 m3 /kg bzw. 2,64 m3 /kg ansteigt. Seine Dichte nimmt also beim Erhitzen unter konstantem Druck ab.

2.4 v-T-Diagramm und Verdampfungsenthalpie Das Verhalten von Wasser beim Erhitzen unter konstantem Druck lässt sich in einem v-T-Diagramm veranschaulichen, in dem das spezifische Volumen gegen die Temperatur aufgetragen wird. Für unser Experiment ergibt sich die grüne Kurve in Abb. 2.7. Weil der Prozess bei konstantem Druck abläuft, nennt man eine solche Kurve eine Isobare. Der Verlauf der Isobaren spiegelt das in Abb. 2.4 und Abb. 2.6 qualitativ Dargestellte wider: die geringfügige Wärmeausdehnung des flüssigen Was-

25

Abschnitt 2.4 v-T-Diagramm und Verdampfungsenthalpie

T in °C

p = 1 bar

300

250

200

Gas (überhitzter Dampf) siedende Flüssigkeit

150 Verdampfung (T = konst.) 100

50

B

C

Nassdampf

gesättigter Dampf

Flüssigkeit A

0 0,001

0,01

0,1

1 v in m³/kg

Abb. 2.7: v-T -Diagramm für das Erhitzen von Wasser bei konstantem Druck

sers zwischen den Punkten A und B, den Bereich des Nassdampfes zwischen B und C, in dem die Temperatur konstant bleibt und das Volumen beträchtlich zunimmt und schließlich rechts von C die erneute Temperaturerhöhung mit gleichzeitiger Volumenzunahme im Bereich des überhitzten Dampfes. Im waagerecht verlaufenden Abschnitt der Kurve koexistieren Flüssigkeit und Dampf in unterschiedlichen Volumenanteilen. Dabei ist im Punkt B der Dampfanteil null, das Wasser ist eine siedende Flüssigkeit. Je weiter wir auf dem waagerechten Kurvenabschnitt nach rechts wandern, umso höher ist der Dampfanteil, bis schließlich im Punkt C keine Flüssigkeit mehr vorhanden ist und das Wasser als gesättigter Dampf vorliegt. Um Wasser vom flüssigen in den gasförmigen Zustand zu bringen, ist Energie nötig. Wie viel Energie muss vom Beginn des Siedens bis zur vollständigen Verdampfung zugeführt werden? Diese Information kann man der sechsten Spalte der Wasserdampftafel entnehmen. Dort ist die Verdampfungsenthalpie ∆hfg tabelliert. In der älteren Literatur und im Alltag ist der Ausdruck Verdampfungswärme gebräuchlich. Für Wasser bei 100 °C lesen wir den Wert 2256 kJ/kg ab. Das heißt: Zur vollständigen Verdampfung von 1 kg siedendem Wasser ist bei Atmosphärendruck eine Energie von 2256 kJ erforderlich. Beispielaufgabe: Verdampfungsenthalpie von Wasser Im Mikrowellenofen erhitzen Sie bei einer Leistung von 1000 W einen Liter (= 1 kg) Wasser auf 100 °C. Aus Erfahrung wissen Sie, dass dies etwa 5–6 Minuten dauert. Wie viel Zeit wird danach noch benötigt, um das siedende Wasser vollständig zu verdampfen?

26

Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

p = 2 bar T = 120 °C

250

p = 1 bar

p = 2 bar

T in °C

200

150 B

p = 2 bar, T = 120 °C

C

100 p = 1 bar, T = 100 °C 50

0 0,001

0,01

0,1

1 v in m³/kg

Abb. 2.8: Bei einem Druck von 2 bar siedet Wasser bei 120 °C.

Lösung: Wir wissen schon, dass die benötigte Energiemenge 2256 kJ beträgt. Zwischen Energie E und Leistung P gilt der Zusammenhang P = E/t, oder, nach der Zeit aufgelöst: t = E/P. Die vom Herd abgegebene Leistung von 1000 W (= 1 kJ/s) wird praktisch verlustfrei auf das Wasser übertragen. Daher können wir die zur Verdampfung benötigte Zeit wie folgt berechnen:

t=

E 2256 kJ = = 2256 s = 37,6 min. P 1 kJ/s

(2.2)

Nachdem es nur etwa 5 Minuten gedauert hat, um das Wasser von Zimmertemperatur auf 100 °C zu erhitzen, braucht der Mikrowellenofen anschließend über eine halbe Stunde zur Verdampfung des Wassers. Mit dem Phasenübergang ist also eine ganz beträchtliche Energiemenge verbunden. Wird dem siedenden Wasser nur ein Teil der Verdampfungsenthalpie zugeführt, verdampft es nur teilweise. Schalten wir den Mikrowellenofen z. B. schon nach 3,8 Minuten aus, so sind erst 10 % des Wassers verdampft, und wir befinden uns in entsprechendem Abstand von den Punkten B und C auf der waagerechten Linie in Abb. 2.7.

2.5 Sieden bei höherem Druck Es dürfte Sie nicht sonderlich überrascht haben, dass das Wasser im Topf bei 100 °C zu sieden begann. Erstaunlicher ist da schon, dass es auch anders sein kann. Wasser siedet nämlich nur dann bei 100 °C, wenn der Druck gerade 1 bar beträgt. Dass 100 °C für uns „die Siedetemperatur“ des Wassers ist, liegt daran, dass wir Wasser fast immer bei Atmosphärendruck, also bei 1 bar, erhitzen.

Abschnitt 2.5 Sieden bei höherem Druck

27

Bei größerem Druck siedet Wasser bei einer höheren Temperatur. Schon Papin wusste das – für die Funktion seines Schnellkochtopfs ist es entscheidend. Untersuchen wir nun das Phänomen näher, indem wir den Topfversuch beim doppelten Atmosphärendruck wiederholen. Mit einem Massestück beschweren wir den beweglichen Deckel, so dass im Inneren des Topfes ein Druck von 2 bar herrscht. Wieder erhitzen wir 1 kg Wasser, das anfangs eine Temperatur von 20 °C besitzt. Zu Beginn verläuft der Versuch genauso wie beim ersten Mal. Aber anders als vorher passiert bei 100 °C nichts Besonderes, das Wasser beginnt nicht zu sieden. Auch bei 110 °C und bei 115 °C ist es noch immer flüssig. Erst bei einer Temperatur von 120 °C setzt das Sieden ein. In Abb. 2.8 ist der gesamte Vorgang im v-T-Diagramm dargestellt. Die Isobare für 2 bar verläuft ähnlich wie diejenige für 1 bar, mit dem Unterschied, dass nun siedendes Wasser und gesättigter Dampf bei einer Temperatur von 120 °C koexistieren. Außerdem hat der gesättigte Dampf ein geringeres spezifisches Volumen (die waagerechte Nassdampf-Kurve endet weiter links). Das ist einleuchtend, denn bei dem nun herrschenden höheren Druck wird das Gas stärker komprimiert. 2.5.1 Siedetemperatur bei vorgegebenem Druck

Woher wissen wir, bei welcher Temperatur Wasser siedet, wenn wir einen beliebigen Druck vorgeben? Es gibt zwei Möglichkeiten, dies herauszufinden. Zum einen können wir in der Wasserdampftafel auf S. 410 nachschlagen, wo die bisher vernachlässigte zweite Spalte jetzt endlich zu ihrem Recht kommt. In den ersten beiden Spalten sind nämlich die experimentell ermittelten Druck-Temperatur-Kombinationen angegeben, bei denen Wasser siedet. Die Tabelle lässt sich in zwei Richtungen lesen. Ist der Druck vorgegeben, wie es bei unseren bisher betrachteten Versuchen der Fall war, sucht man in der zweiten Spalte den am besten passenden Wert und liest in der ersten Spalte die zugehörige Siedetemperatur ab. Bei 1 bar (genauer: 1,013 bar, dem StandardAtmosphärendruck) sind es gerade 100 °C. Zwei Zeilen tiefer finden wir den Eintrag für 1,99 bar; wie erwartet beträgt die Siedetemperatur 120 °C. Beispielaufgabe: Druck und Temperatur in Papins Digester Betrachten wir Papins Digester als Anwendungsbeispiel. Den im Topf herrschenden Druck konnte er mit seinem Sicherheitsventil relativ leicht ermitteln. Wenn aus dem Ventil D in Abb. 2.2 nämlich Dampf strömte, war der Druck im Topf so groß, dass er in der Lage war, über den Hebelmechanismus das Massestück C anzuheben. Papin schreibt: Wenn also bei C ein Gewicht von einem Pfund angehängt ist und das Wasser dennoch unter dem Ventil hinausgelangt, kann man schließen, dass der innere Druck etwa achtmal so groß ist wie der gewöhnliche Luftdruck. Nach Papins Berechnung herrschte also bei dieser Einstellung des Massestücks im Digester ein Druck von ungefähr 8 bar. Ermitteln Sie mit der Wasserdampftafel die Temperatur im Inneren des Topfes.

28

Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

Lösung: In der zweiten Spalte der Wasserdampftafel finden wir für den Druck den Eintrag 7,92 bar und die dazugehörige Siedetemperatur von 170 °C. Dies ist die Temperatur des Wasser-Dampf-Gemisches in Papins Digester. Während Papin den Druck in seinem Topf relativ leicht bestimmen konnte, war die Temperaturmessung ein Problem für ihn. Solange der Digester in Betrieb war, konnte man ihn nicht öffnen, um ein Thermometer abzulesen. Das Durchführen eines Thermometers durch eine Öffnung im Deckel stieß damals auf nicht lösbare technische Schwierigkeiten. Papin musste sich mit einer halbquantitativen Methode begnügen: Um die Temperaturen bei verschiedenen Drücken wenigstens relativ zu vergleichen, maß er die Zeit, die ein auf den Deckel geträufelter Wassertropfen zum Verdampfen brauchte. Eine recht unbefriedigende Methode. Können Sie übrigens Papins Methode zur Druckmessung genauer erläutern? Legt man die Druckdefinition p = F/A zugrunde, welche Kraft F muss man dann im Fall des Digesters einsetzen und welche Fläche A? Wozu wird das Hebelgesetz benötigt?

2.5.2 Sättigungsdampfdruck

Die Wasserdampftafel lässt sich auch in der umgekehrten Richtung benutzen. Man kann fragen, bei welchem Wert des Dampfdrucks flüssiges Wasser @T bei einer vorgegebenen Temperatur siedet. Diesen Druck psätt Wasserdampf nennt man den Sättigungsdampfdruck bei der jeweiligen Temperatur. Die Wasserdampftafel ordnet jeder Temperatur den Sättigungsdampfdruck zu. Die Formelnotation weist explizit auf seine Temperaturabhängigkeit hin.

Abb. 2.9: Siedendes Wasser bei Zimmertemperatur

29

Abschnitt 2.5 Sieden bei höherem Druck

Siedendes Wasser bei Zimmertemperatur In der ersten Spalte der Wasserdampftafel gibt es auch einen Eintrag für die Temperatur 20 °C. Der zugehörige Sättigungsdampfdruck beträgt 0,023 bar, etwa ein Vierzigstel des normalen Atmosphärendrucks. Soll das bedeuten, dass man durch Verringern des Drucks Wasser bei Zimmertemperatur zum Sieden bringen kann? Ja, das ist in der Tat der Fall. Und es ist experimentell gar nicht so schwer, siedendes Wasser bei Zimmertemperatur zu erzeugen. Den verringerten Druck kann man unter einer Vakuumglocke leicht mit einer Vakuumpumpe herstellen (Abb. 2.9). Eine Weile nach dem Einschalten der Pumpe ist der zur Zimmertemperatur gehörende Sättigungsdampfdruck erreicht. Ein Glas Wasser, das man unter die Vakuumglocke gestellt hat, beginnt sprudelnd zu sieden – und das bei 20 °C. Eine einfache Version dieses Experiments kann man mit einer Arztspritze aus der Apotheke realisieren. Sie wird zu etwa einem Viertel mit Wasser gefüllt. Nach Entfernen aller Luftblasen verschließt man die Öffnung der Spritze luftdicht (man kann sie mit dem Finger zuhalten oder mit einem Feuerzeug zuschmelzen). Dann zieht man am Kolben. Ein Teil des Wassers verdampft zu Wasserdampf. In der Flüssigkeit lassen sich deutlich Dampfblasen beobachten, die durch das Sieden entstehen. Dass es sich bei dem Gas in der Spritze um Wasserdampf handelt und nicht etwa um Luft, erkennt man, wenn man den Kolben langsam wieder zurückgleiten lässt. Der Wasserdampf kondensiert dabei restlos zu flüssigem Wasser, Luftblasen bleiben nicht zurück. 2.5.3 Clausius-Clapeyron-Gleichung

Wie erwähnt gibt es neben der Wasserdampftafel noch eine zweite Möglichkeit zu beschreiben, wie sich die Siedetemperatur von Flüssigkeiten mit dem Druck ändert: die Clausius-Clapeyron-Gleichung. Sie gilt in guter Näherung nicht nur für Wasser, sondern auch für fast alle anderen Substanzen. Clausius-Clapeyron-Gleichung Zusammenhang zwischen Druck p und Siedetemperatur T:  ln

p p0



∆hfg · mmol = R



1 1 − T0 T

 .

(2.3)

Hier steht mmol für die Molmasse des betreffenden Stoffes und ∆hfg für seine spezifische Verdampfungsenthalpie. Beide Werte sind für einige Stoffe in Tabelle B.8 auf S. 417 zu finden. R = 8,314 J/(mol K) ist die allgemeine Gaskonstante. Unbedingt zu beachten ist, dass alle Temperaturen in der Gleichung Absoluttemperaturen sind. Sie müssen in Kelvin angegeben werden. Eine Vorinformation benötigt man, bevor man mit der Clausius-ClapeyronGleichung die Siedetemperatur T einer Flüssigkeit als Funktion des Drucks p berechnen kann: Ein Wertepaar ( p0 , T0 ) muss man kennen. In der Regel setzt

30

Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

man die Siedetemperatur bei Atmosphärendruck ein, die ebenfalls aus der Tabelle auf S. 417 entnommen werden kann. Für Wasser würde man also einsetzen: p0 = 1 bar und T0 = 100 °C = 373 K. Beispielaufgabe: Papins Digester – noch einmal Berechnen Sie ein weiteres Mal die Temperatur des bei 8 bar siedenden Wassers in Papins Digester. Benutzen Sie nun die Clausius-Clapeyron-Gleichung statt der Wasserdampftafel. Lösung: Aus Tabelle B.8 lesen wir die benötigten Daten ab: Die Molmasse mmol von Wasser beträgt 18 g/mol, die Verdampfungsenthalpie ist ∆hfg = 2256 kJ/kg. Für p0 und T0 setzen wir 1 bar bzw. 373 K ein. Gesucht ist die Siedetemperatur T bei einem Druck von 8 bar. Um sie zu berechnen, lösen wir die Clausius-Clapeyron-Gleichung nach T auf:

 T=

1 R − ln T0 ∆hfg · mmol



p p0

−1 (2.4)

.

Einsetzen der Werte ergibt:

 T=

1 8,314 J/(mol K) − ln 373 K 2 256 000 J/kg · 0,018 kg/mol

= 443 K = 170 ◦ C.



8 bar 1 bar

−1 . (2.5)

Die gute Übereinstimmung mit dem aus der Wasserdampftafel gewonnenen Ergebnis ist erfreulich. Sie sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ClausiusClapeyron-Gleichung nur Näherungsergebnisse liefert. Man kann das schon daran erkennen, dass ein fester Wert für die Verdampfungsenthalpie eingesetzt werden muss. Wie wir aus der Wasserdampftafel entnehmen können, variiert die Verdampfungsenthalpie von Wasser aber im Bereich zwischen 100 °C und 170 °C um 10 %. Welchen dieser Werte sollen wir einsetzen? Die Clausius-Clapeyron-Gleichung beantwortet uns diese Frage nicht, weil sie von einer konstanten Verdampfungsenthalpie ausgeht. Trotz ihrer nur näherungsweisen Gültigkeit liefert sie aber Ergebnisse, die für praktische Anwendungen meist ausreichend genau sind.

2.5.4 Kritischer Punkt

Wir haben bereits festgestellt, dass im v-T-Diagramm in Abb. 2.8 der Abstand zwischen den Punkten B und C bei 2 bar kleiner war als bei 1 bar: Der Unterschied zwischen den spezifischen Volumina von siedender Flüssigkeit und gesättigtem Dampf ist bei 2 bar ein wenig geringer als bei 1 bar. Den Grund dafür konnten wir einsehen: Der gesättigte Dampf wird bei höherem Druck stärker komprimiert, während die siedende Flüssigkeit sich wegen der höheren Temperatur stärker ausdehnt. Setzt sich diese Tendenz fort, wenn wir den Druck noch weiter erhöhen? Fallen die Punkte B und C irgendwann sogar ganz zusammen? Und was bedeutet das physikalisch? In Abb. 2.10 ist eine ganze Schar von Isobaren von 1 bar bis zu 300 bar aufgetragen. Der waagerechte Kurvenabschnitt, der die Koexistenz von siedender Flüssigkeit und gesättigtem Dampf beschreibt, wird mit zunehmendem

31

300

Flüssigkeit

ar p=1b

bar

bar

ar

r kritischer Punkt

p=2b

400

0 ba

p = 10

30 p=

p = 30

500

p = 1 00

00 ba r

T in °C

p=2

600

bar

Abschnitt 2.5 Sieden bei höherem Druck

p = 100 bar überhitzter Dampf

p = 30 bar p = 10 bar

200

p = 2 bar 100 siedende Flüssigkeit 0 0,001

gesättigter Dampf

Nassdampf

0,01

0,1

v in m³/kg 1

10

Abb. 2.10: v-T -Diagramm mit eingezeichneten Isobaren. Auf der blauen Kurve liegen die Zustände der siedenden Flüssigkeit bzw. des gesättigten Dampfes.

Druck tatsächlich immer kürzer. Bei einem Druck von 221 bar und einer Temperatur von 374 °C ist es dann soweit: Der waagerechte Kurvenabschnitt ist auf null geschrumpft; das spezifische Volumen der siedenden Flüssigkeit ist gleich dem des gesättigten Dampfes. Wir sind am kritischen Punkt angelangt, an dem es keinen Unterschied zwischen flüssigem und gasförmigem Zustand mehr gibt. Unterhalb des kritischen Punktes gibt es eine scharfe Phasengrenze zwischen Flüssigkeit und Gas (den „Wasserspiegel“). Beim Erreichen des kritischen Punktes kommt es zuerst zu einem starken Anwachsen von Fluktuationen zwischen den beiden Phasen, das Gemisch nimmt ein nebliges Aussehen an (kritische Opaleszenz). Dann lichtet sich der Nebel wieder und die Phasengrenze zwischen Flüssigkeit und Gas ist verschwunden. Das Wasser befindet sich in einem überkritischen Zustand, in dem die Unterscheidung der Begriffe flüssig oder gasförmig nicht mehr sinnvoll ist. 2.5.5 v-T-p-Diagramm und Dampfdruckkurve

Bisher haben wir nur Prozesse bei konstantem Druck betrachtet. Jedoch hindert uns nichts, auch den Druck zu verändern, indem wir z. B. ein zusätzliches Massestück auf den Topfdeckel legen. Dies ist im v-T-Diagramm nur schlecht darstellbar, man müsste gewissermaßen von Isobare zu Isobare springen. Der Druck erscheint hier nicht als gleichberechtigte dritte Variable neben Temperatur und spezifischem Volumen.

32

Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

b p in

200

Festkörper (Eis)

400

kritischer Punkt

ar

t

kei

ig üss

Fl

p=

0 0,001

Nas sd kon s

amp

t., T =

f

ase sph ) a G f mp (Da st. kon = p

kon st.

T in °C 400

0,01 0,1

200 1 10 v i n

0

m³/k

g

Abb. 2.11: Im v-T-p-Diagramm liegen die Zustände von Wasser auf einer Fläche.

Führen wir den Druck als weitere Variable ein, erhalten wir eine dreidimensionale Darstellung mit den Koordinatenachsen v, T und p: das in Abb. 2.11 gezeigte v-T-p-Diagramm, in dem die möglichen Zustände von Wasser auf einer kompliziert geformten Fläche liegen. Neben den Isobaren sind auch die Isothermen (Linien konstanter Temperatur) eingezeichnet. Markant hebt sich die glockenförmige Gestalt des Nassdampfbereichs hervor. Das Diagramm aus Abb. 2.10 erkennen wir als Projektion auf die v-T-Ebene wieder. Neu hinzugekommen ist der Bereich des Festkörpers, mit dem wir uns bisher noch nicht befasst haben. Unterhalb von 0 °C geht Wasser in den festen Zustand über und wird zu Eis. Anders als bei fast allen anderen Stoffen ist bei Wasser der Phasenübergang flüssig-fest mit einer Volumenzunahme verbunden. Daher ist die kleine senkrechte Stufe bei 0°C, die den Koexistenzbereich von Eis und flüssigem Wasser beschreibt, nach rechts gerichtet. Die Volumenzunahme beim Gefrieren ist eine der Anomalien des Wassers (andere Anomalien sind z. B. die hohe Verdampfungsenthalpie und die mit der Temperatur abnehmende Dichte zwischen 0 °C und 4 °C). Oft werden die Phasen einer Substanz in einem T-p-Diagramm veranschaulicht, einer anderen Projektion des v-T-p-Diagramms. Man erhält es, indem man Abb. 2.11 von vorn rechts betrachtet, also auf die T-p-Ebene projiziert. Das T-p-Diagramm von Wasser ist in Abb. 2.12 dargestellt. Isobaren und Isothermen sind einfach waagerechte bzw. senkrechte gerade Linien. Die Temperatur- und Druckbereiche, in denen Wasser flüssig, fest oder gasförmig ist, lassen sich in dieser Darstellung leicht veranschaulichen. Flüssigkeit und Gas werden durch die Dampfdruckkurve voneinander abgegrenzt. Im Vergleich

33

Abschnitt 2.6 Kochen im Schnellkochtopf

300 kritischer Punkt 200

ku r ve

Flüssigkeit

ck

100

ru

Schmelzkurve

Abb. 2.12: T-p-Diagramm von Wasser. Der gesamte Nassdampfbereich liegt auf der Dampfdruckkurve.

Festkörper (Eis)

p in bar

Tripelpunkt –100

0

100

fd mp Da 200

Gasphase (Dampf) T in °C

300

400

mit Abb. 2.11 zeigt sich, dass die Dampfdruckkurve dem gesamten Nassdampfbereich entspricht, der von der Seite gesehen auf eine Linie zusammenschrumpft. Ihren Verlauf kennen wir bereits aus der Clausius-ClapeyronGleichung, denn diese gibt ja gerade die Siedetemperatur als Funktion des Drucks wieder. Die Dampfdruckkurve endet am kritischen Punkt, wo die Unterschiede zwischen Flüssigkeit und Gas verschwinden. Sie beginnt am Tripelpunkt, der für Wasser bei 0,01 °C und 6,12 mbar liegt. Dort grenzen alle drei Phasen aneinander, es ist die einzige Kombination von Druck und Temperatur, bei der Eis, Wasser und Dampf koexistieren können. Im Gegensatz zum kritischen Punkt liegt der Tripelpunkt unserer Erfahrungswelt nicht allzu fern. Die Koexistenz der drei Phasen von Wasser lässt sich durch „Eisberge im Nebel“ veranschaulichen (der Druck von 6,12 mbar entspricht dabei dem Wasserdampfdruck in der Atmosphäre).

2.6 Kochen im Schnellkochtopf Vergleicht man einen historischen Digester mit einem modernen Schnellkochtopf (Abb. 2.13), so wird man auf den ersten Blick außer der Topfform kaum Ähnlichkeiten entdecken. Und doch hat sich in den vielen Jahrzehnten, die zwischen den beiden Modellen liegen, am Funktionsprinzip im Grunde nichts verändert. Beide erreichen durch erhöhten Druck im Inneren des Topfes Gartemperaturen von über 100 °C. Was sich im Lauf der Zeit gewandelt hat, ist nicht die Funktionsweise, sondern die technische Ausführung. Schnellkochtöpfe sind vor allem sicherer geworden. Das war auch nötig, denn wie der geborstene Kessel einer Dampflokomotive in Abb. 2.14 zeigt, war es in früheren Zeiten nicht immer ungefährlich, mit Dampf bei hohen Drücken zu arbeiten. Über einen explodierenden Schnellkochtopf wird im Zusammenhang mit den Versuchen zu einer Verbesserung der Krankenhauskost berichtet, die um 1805 an der Berliner Charité stattfanden. Als bei einem der verwendeten Töpfe eine in der Mitte verlau-

34

Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

Abb. 2.13: (a) Historischer Schnellkochtopf mit Sicherheitsventil vom Papin-Typ, (b) moderner Schnellkochtopf

fende Lötnaht aufplatzte, wurde der Topf in Stücke gerissen; die obere Hälfte prallte . . . . . . im Auffliegen [gegen] einen großen 4 Eimer fassenden Kessel, der auf den in dem Rauchfang angebrachten Brettern stand, schlug diesen zusammen, und schlug nun bis an die Decke der Küche, die zerhauenen Knochen flogen gleichfalls an die Decke der Küche. Durch diese Explosion sind 21 Fensterscheiben zerschmettert, allein niemand beschädigt. (Thoms 2005)

Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde die Technik des Schnellkochtopfs so weit verbessert, dass Unfälle inzwischen nahezu ausgeschlossen sind. Mehrere Faktoren haben dazu beigetragen: (1) Verbesserte Materialien und Fertigungstechniken, wie z. B. das Tiefziehen, das es ermöglicht, Töpfe ohne Naht aus einem Stück herzustellen. (2) Die Weiterentwicklung der Sicherheitsvorrichtungen. Moderne Schnellkochtöpfe haben mehrere unabhängige Ventile, damit sich auch dann keine gefährlich hohen Drücke aufbauen können, wenn eines davon verstopft ist. Darüber hinaus wird durch einen Bajonettverschluss verhindert, dass der Topf geöffnet wird, solange er noch unter Druck steht. (3) Die staatliche Kontrolle. Nach vielen Dampfmaschinenunfällen in Fabriken, auf Lokomotiven und auf Schiffen wurden staatliche Aufsichtsbehörden beauftragt, den Umgang mit Dampfkesseln zu regulieren. Auch für Schnellkochtöpfe gilt heute die europäische Druckgeräterichtlinie, die die Anforderungen für eine sichere Bauweise festlegt. Das Kochen mit dem Schnellkochtopf ist auch deshalb heute sicherer als früher, weil man inzwischen bei niedrigeren Drücken kocht. Von den 8 bar in

Abschnitt 2.6 Kochen im Schnellkochtopf

35

Abb. 2.14: Dampflokomotive nach einer Kesselexplosion, um 1850

Papins Digester ist man weit entfernt; der Druck in einem modernen Schnellkochtopf beträgt maximal 2 bar. Man möchte ja heute auch keine Knochen mehr weich kochen, sondern lediglich Speisen auf schnelle und schonende Weise zubereiten. Zu hohe Temperaturen sind da eher hinderlich: Das Garen verläuft zu schnell und empfindliche Lebensmittel werden leicht zerkocht. 2.6.1 Wie man mit dem Schnellkochtopf kocht

Um in einem gewöhnlichen Kochtopf Gemüse zu kochen, füllt man ihn mit Wasser, bringt das Wasser zum Sieden, gibt das Gemüse hinein und wartet, bis es gar ist. Ganz so einfach ist das Kochen im Schnellkochtopf nicht. Es ist ein gewisser Ablauf einzuhalten, dessen physikalischer Hintergrund sich erschließt, wenn man die Vorgänge im Topf versteht. Die Vorgehensweise wird in einer Schnellkochtopfanleitung wie folgt beschrieben: (1) Wasser einfüllen. Zwei Tassen Wasser bitte direkt auf den Topfboden geben. (2) Energie einstellen. Den Herd auf höchste Heizstufe schalten und das Wasser zum Kochen bringen. (3) Speisen einfüllen. Den Einsatz füllen. Sobald das Wasser kocht, SiebEinsatz mit dem Gemüse hineinstellen. Dieser Einsatz sorgt dafür, dass

36

Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

Abb. 2.15: Kochen im Schnellkochtopf

das Gemüse nicht mit dem Wasser in Berührung kommt, also tatsächlich im Dampf gart. Den Einsatz bitte nur zu zwei Dritteln füllen, damit jederzeit genügend Abstand zu den Ventilteilen ist. (4) Topf schließen. Bitte wischen Sie Topfrand und Gummiring vor dem Schließen ab. Deckel auflegen und Griff nach links schieben, bis die Verriegelung hörbar einrastet. (5) Ankochen. Nun bitte warten bis ca. 1 Minute lang Dampf aus dem Griff geströmt ist. Der ausströmende Dampf verdrängt zugleich die Luft aus dem Topf. Dieses „Entlüften“ ist unbedingt notwendig, da die Garzeiten sonst viel länger werden. Nach dieser Minute den Kochregler auf die Kochstufe schieben. Nun erst ist der Schnellkochtopf wirklich dicht und der Druckanzeiger wird steigen. Gleichzeitig sollten Sie die Energie zurückschalten. Elektroplatten können Sie bei kurzen Garzeiten sogar auf „null“ schalten. (6) Garen. Sobald der Druckanzeiger weit in den grünen Bereich gestiegen ist, beginnt die eigentliche Garzeit. Bekommt der Schnellkochtopf jetzt noch zu viel Energie, wird Dampf abgeblasen. Dabei gibt es ein Geräusch, das langsam lauter wird. (7) Öffnen. Grundsätzlich den Topf von der Kochstelle nehmen. Den Kochregler stufenweise und langsam zurückziehen, bis kein Dampf mehr aus-

37

Abschnitt 2.6 Kochen im Schnellkochtopf Druckanzeiger

Dampf

Wahlschalter für die Kochstufe

Sicherheitsventil

Kochventil Siebeinsatz Wasser Abb. 2.16: Schnittzeichnung eines Schnellkochtopfes

tritt. Bei dieser Schnellöffnungsmethode kann sich kein Kondenswasser auf dem Gemüse absetzen. (8) Deckel abnehmen. Wenn der Druckanzeiger nicht mehr herausragt, ziehen Sie den Kochregler auf Stufe null. Nun den Deckel abnehmen. Bitte daran denken: Den Topf nie mit Gewalt öffnen und an den Sicherungseinrichtungen keine Änderungen vornehmen. Nur wenn der Topf drucklos ist, lässt er sich leicht öffnen. 2.6.2 Thermische Vorgänge beim Schnellkochen

Betrachten wir die im Schnellkochtopf ablaufenden Prozesse aus thermodynamischer Perspektive. Als Erstes fällt auf, dass im Vergleich zum herkömmlichen Kochen nur sehr wenig Wasser eingefüllt wird. Das Gemüse wird nicht direkt in den Topf gegeben, sondern in einen Siebeinsatz (Abb. 2.16), so dass es mit dem siedenden Wasser gar nicht direkt in Berührung kommt. Es gart im heißen Wasserdampf. Im technischen Sinn wird das Gemüse im Schnellkochtopf demnach nicht gekocht, sondern gedämpft (vgl. die Zusammenstellung der Garverfahren auf S. 11). Anfangszustand vor dem Schließen des Kochreglers Nach Einfüllen des Wassers und Schließen des Deckels liegt ein Gemisch aus Dampf, Wasser und Luft vor, bis der Topf in Schritt (5) der Anleitung „entlüftet“ wird. Da wir bisher nur mit chemisch homogenen Systemen umgehen können, setzen wir mit unserer Analyse erst dann ein, wenn nach dem Ankochen die gesamte Luft entwichen ist. Das Wasser am Boden des Topfes hat bei 100 °C zu sieden begonnen und dabei hat der entstehende Dampf die Luft aus dem Inneren des Topfes verdrängt. Nach dem Ankochen befindet sich im

38

Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

Druckanstieg von 1 bar auf 2 bar

Dampf entweicht aus dem Ventil

p = 1 bar

200

p = 2 bar

T in °C

150 p = 2 bar, T = 120 °C

E

F

100

p = 1 bar, T = 100 °C

D Wasser verdampft beim „Ankochen“

50

0 0,001

0,01

0,05

0,1

1 v in m³/kg

Abb. 2.17: Kochen im Schnellkochtopf: Darstellung im v-T -Diagramm

Topf also ein Gemisch aus siedendem Wasser und gesättigtem Dampf bei einer Temperatur von 100 °C und einem Druck von 1 bar. Beispielaufgabe: Spezifisches Volumen nach dem Ankochen (a) Ein Schnellkochtopf mit einem Volumen von 5 l ist nach dem Ankochen mit gesättigtem Dampf erfüllt. Berechnen Sie die Masse des Dampfes. (b) Beim Ankochen ist nur ein Teil des eingefüllten Wassers verdampft; die Masse des siedenden Wassers auf dem Topfboden beträgt 97 g. Ermitteln Sie das mittlere spezifische Volumen von siedendem Wasser und gesättigtem Dampf im Topf. Markieren Sie die entsprechende Position auf der 1-bar-Isobare in Abb. 2.7. Lösung: (a) Nach dem Ankochen herrscht im Topf noch Atmosphärendruck (1 bar). Daher beträgt die Temperatur des gesättigten Dampfes 100 °C. Aus der Wasserdampftafel lesen wir für das spezifische Volumen des gesättigten Dampfes ab: v = 1,672 m3 /kg. Masse und spezifisches Volumen hängen nach Gl. (2.1) über m = V/v zusammen. Also gilt:

m=

V 0,005 m3 = 3 = 0,003 kg = 3 g. v 1,672 m kg

(2.6)

Der gesättigte Dampf, der den Topf ausfüllt, hat somit eine Masse von 3 g. Von den insgesamt 100 g Wasser im Topf sind nur 3 % verdampft. (b) Das mittlere spezifische Volumen des Gemisches setzt sich anteilsmäßig aus demjenigen der siedenden Flüssigkeit und dem des gesättigten Dampfes zusammen:

v=

97 m3 3 m3 m3 · 0,0010435 + · 1,672 = 0,05 . 100 kg 100 kg kg

Dieser Wert ist in Abb. 2.17 als Punkt D auf der 1-bar-Isobare markiert.

(2.7)

39

Abschnitt 2.6 Kochen im Schnellkochtopf Ventil offen Ventil geschlossen

entweichender Dampf

Feder Abb. 2.18: Prinzipskizze eines Federventils

Dampf im Topfinneren

Wärmezufuhr bei konstantem Volumen Nun muss der Druck im Topf erhöht werden, damit die Temperatur des Wassers über 100 °C ansteigt. Dazu wird das Kochventil geschlossen. Wasser, das jetzt noch verdampft, kann nicht mehr entweichen. Druck und Temperatur nehmen zu. Um den Vorgang im v-T-Diagramm darzustellen, müssen wir die Prozessführung angeben. Sie ändert sich durch das Schließen des Ventils. Statt des Drucks wird nun das Volumen konstant gehalten. Ein solcher Prozess mit konstantem v wird im v-T-Diagramm durch eine senkrechte Linie dargestellt, in unserem Fall die Linie zwischen D und E in Abb. 2.17. Damit es in der heimischen Küche nicht zu Vorkommnissen mit zerschmetterten Fensterscheiben und Schlimmerem kommt, dürfen Druck und Temperatur nicht unbegrenzt weiter ansteigen. Deshalb wird der Druck im Schnellkochtopf durch ein Ventil geregelt, das meist als Federventil ausgeführt ist (Abb. 2.18). Mit zunehmendem Druck wird der Ventilkopf gegen die Federkraft immer weiter herausgeschoben, bis schließlich Dampf aus einer Öffnung im Ventilhals entweichen kann. Auf diese Weise wird der Druck geregelt. Moderne Schnellkochtöpfe besitzen üblicherweise zwei oder mehr Kochstufen mit unterschiedlich hohen Drücken und entsprechend unterschiedlichen Siedetemperaturen. Ein Hersteller gibt zum Beispiel für seine Modelle die folgenden Werte an: Schonkochstufe: Schnellkochstufe:

Druck 1,3 bar, Druck 2 bar,

Temperatur 107 °C, Temperatur 120 °C.

Mit der Wasserdampftafel für den Sättigungszustand lassen sich die Angaben für die Siedetemperatur überprüfen. Wir nehmen im Folgenden an, dass sich das Kochventil bei 2 bar öffnet. In Abb. 2.17 entspricht das dem Punkt E. Wärmezufuhr bei konstantem Druck Wenn wir nach Erreichen des Enddrucks die Kochplatte angeschaltet lassen, verdampft weiter Wasser. Der entstandene Dampf entweicht jedoch einfach durch das Kochventil, das einen weiteren Druckanstieg verhindert. Damit ändert sich die Prozessführung noch einmal. Der Druck bleibt jetzt konstant,

40

Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

aber das spezifische Volumen vergrößert sich, denn der Dampf nimmt nun auch einen Teil des Außenraums ein. Der Zustand des Systems wandert auf der 2-bar-Isobare nach rechts. Üblicherweise ist das Essen gar, bevor das gesamte Wasser verdampft ist. Deshalb endet der Prozess noch im Nassdampfbereich, etwa am Punkt F. Die Anleitung zum Schnellkochen empfiehlt, die Kochplatte nach dem Ankochen auszuschalten. In der Tat nützt die Wärmezufuhr in der Kochphase nichts, wenn man dadurch nur neuen Dampf erzeugt, der dann aus dem Topf entweicht. Während des Garens genügt es, die Temperatur des Dampfes konstant bei 120 °C zu halten. Bei Elektrokochplatten, die sich nur langsam abkühlen, reicht dazu meist die Restwärme aus. 2.6.3 Luft im Schnellkochtopf – der Sinn des Ankochens

Kehren wir noch einmal zu Punkt 5 der Anleitung zurück, dem Ankochen. Warum wird darin so viel Wert auf das Entlüften des Topfes gelegt? Weshalb verlängert sich die Garzeit, wenn man die Luft nicht aus dem Topf entfernt? Mit unserem bisherigen Modell, in dem sich nur Wasser und Wasserdampf im Topf befinden, können wir diese Fragen nicht beantworten. Um den Sinn des Entlüftens zu erkennen, müssen wir deshalb die Luft, die wir am Anfang des Kapitels aus dem Topf verbannt hatten, wieder hinzunehmen. Es liegt dann kein chemisch homogenes System mehr vor, und wir müssen auf den Stoff des folgenden Kapitels vorgreifen, in dem wir Luft-Wasserdampf-Gemische ausführlicher behandeln werden. Viel ist es glücklicherweise nicht, was wir an zusätzlichen Kenntnissen benötigen; zwei oder drei Grundtatsachen reichen aus. Das Wichtigste ist, dass sich in einem gut durchmischten Luft-Wasserdampf-Gemisch die beiden Gase in guter Näherung so verhalten, als wäre das jeweils andere nicht vorhanden. Zum Beispiel ändert die Anwesenheit von Luft nichts am Sättigungsdampfdruck des Wasserdampfes. Bei 20 °C beträgt er 0,023 bar, unabhängig davon, ob sich zusätzlich noch Luft im Topf befindet oder nicht (Abb. 2.19). Was sich durch die Anwesenheit der Luft allerdings ändert, ist der Gesamtdruck pges , der im Inneren des Topfes herrscht. Wenn man zwei Gase mischt, addieren sich ihre jeweiligen Drücke (die man in diesem Fall Partialdrücke nennt) zum Gesamtdruck. Für ein Luft-Wasserdampf-Gemisch gilt also: pges = pLuft + pWasserdampf .

(2.8)

Diese Aussage, die man als Gesetz von Dalton bezeichnet, gilt in guter Näherung für Wasserdampfdrücke bis zu einigen Bar. Wie wirkt sich die Anwesenheit von Luft auf die Funktion des Schnellkochtopfs aus? Der Anfangszustand vor dem Ankochen sieht nicht mehr so aus wie in Abb. 2.19 (a), sondern so wie in Abb. 2.19 (b). Zum Sättigungsdampfdruck des Wasserdampfes (0,023 bar bei 20 °C) kommt der Luftdruck hinzu, so dass der Gesamtdruck 1,023 bar beträgt. Bis hierher gibt es kein Problem. Wenn wir den Topf nun bei konstantem Volumen erhitzen, steigt der Sätti-

41

Abschnitt 2.6 Kochen im Schnellkochtopf

(a)

(b)

Wasserdampf

T = 20 °C Abb. 2.19: Die Anwesenheit von Luft beeinflusst den Sättigungsdampfdruck von Wasserdampf nicht. Nur der Gesamtdruck nimmt zu.

sätt @ 20 °C pWasserdampf = 0,023 bar pges = 0,023 bar

Luft + Wasserdampf

T = 20 °C

sätt @ 20 °C pWasserdampf = 0,023 bar pLuft = 1,0 bar pges = 1,023 bar

gungsdampfdruck des Wasserdampfes nach und nach an. Bei 70 °C beträgt er z. B. 0,3 bar, bei 90 °C schon 0,7 bar. Auch dies ist nichts Neues, es sind die Werte aus der Wasserdampftafel für den Sättigungszustand (S. 410). Nach den Gasgesetzen (Kapitel 4) nimmt auch der Druck der Luft zu, wenn man sie bei konstantem Volumen erhitzt. Bei 90 °C beträgt er etwa 1,3 bar. Nun kommt der entscheidende Punkt. Das Kochventil misst nicht den Partialdruck des Wasserdampfes, auch nicht den der Luft, sondern den Gesamtdruck. Und wie wir gerade gesehen haben, beträgt der Gesamtdruck bei 90 °C bereits 1,3 bar + 0,7 bar = 2 bar. Das Kochventil öffnet sich daher schon bei einer Temperatur von 90 °C, bevor das Wasser überhaupt zu sieden beginnt. Die Luft im Topf stört also die Funktion des Schnellkochtopfs aufs Empfindlichste. Statt die Speisen bei einer höheren Temperatur als 100 °C zu kochen, erreicht man noch nicht einmal die Siedetemperatur des Wassers. Folgt man nun ahnungslos der Anleitung und stellt die Kochplatte ab, nachdem der Druckanzeiger gestiegen ist und zischend heißes Gas aus dem Ventil entweicht, wird man beim Öffnen des Topfes das Gemüse noch ungar vorfinden. Ein kleiner Trost: Ignoriert man die Kochanleitung und schaltet die Kochplatte nicht ab, so wird, wie wir oben gesehen haben, ständig neuer Wasserdampf erzeugt, der durch das Ventil entweicht. Dabei wird nach und nach auch die Luft aus dem Topf verdrängt, so dass auf diese Weise nach einiger Zeit der Topf ebenfalls entlüftet ist. Dann sind wir wieder im normalen Schnellkochbetrieb; der Wasserdampfdruck beträgt 2 bar und die Siedetemperatur 120 °C. Allein die Kochzeit verlängert sich etwas, weil Zeit verstreicht, bis die gesamte Luft aus dem Topf verdrängt ist. 2.6.4 Arrhenius-Gesetz

Auch wenn unser Verständnis der physikalischen Vorgänge im Schnellkochtopf immer besser wird: Noch befinden sich keine Speisen darin. Wir können begründen, warum im Topf eine höhere Temperatur herrscht, aber wir wissen noch nicht, wie die höhere Temperatur das Garen der Speisen beein-

42

Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

flusst. In Kapitel 1 haben wir gesehen, dass verschiedene Nahrungsmittel, wie Fleisch, Gemüse oder Kartoffeln, durch unterschiedliche molekulare Mechanismen garen. Verblüffenderweise gibt uns die Thermodynamik eine Gesetzmäßigkeit an die Hand, mit der wir die Verkürzung der Gardauer im Schnellkochtopf beschreiben können, selbst wenn wir über die Details der zugrunde liegenden chemischen Reaktionen nur wenig wissen. Es handelt sich um eine robuste Faustregel zur Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeit chemischer Reaktionen, die in Industrie und Technik häufig angewandt wird. Faustregel: Die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion verdoppelt sich ungefähr bei einer Temperaturerhöhung um 10 °C. Bei höheren Temperaturen laufen chemische Reaktionen generell schneller ab. Das gilt auch für das Garen der Speisen im Schnellkochtopf. Die beiden Kochstufen, die wir auf S. 39 kennengelernt haben, entsprechen einer Temperaturerhöhung um 7 °C bzw. 20 °C. Die Gargeschwindigkeit sollte sich daher ungefähr verdoppeln bzw. vervierfachen. Entsprechend sollte die Kochdauer auf die Hälfte bzw. auf ein Viertel sinken. Überprüfen wir diese Vorhersage mit den Angaben aus der Kochanleitung für den Schnellkochtopf. Die beiden folgenden Tabellen vergleichen die Garzeiten im Schnellkochtopf und im normalen Kochtopf für verschiedene Speisen. (a) Schonkochstufe (Kochtemperatur 107 °C):

Kartoffeln Blumenkohl Brokkoli

im Schnellkochtopf

normale Kochzeit

8–10 min 10–15 min 5–9 min

20 min 25 min 15–20 min

(b) Schnellkochstufe (Kochtemperatur 120 °C):

Rinderbraten Suppenhuhn Rinderzunge Sauerbraten Rinderbrust

im Schnellkochtopf

normale Kochzeit

25 min 30 min 35 min 25 min 35 min

1,5 Std. 2,0 Std. 2,0 Std. 2,5 Std. 2,5 Std.

Mit der Faustregel, die ja nur eine grobe Gültigkeit beansprucht, erhalten wir ganz zufriedenstellende Aussagen über die Kochzeit. Abgesehen davon, dass für die Garzeiten beim Kochen ohnehin nur ungefähre Angaben möglich sind, müssten wir bei unserer Abschätzung eigentlich noch berücksichtigen,

43

Abschnitt 2.6 Kochen im Schnellkochtopf

Energie

Abb. 2.20: Die Aktivierungsenergie ist die Energiedifferenz zwischen Anfangszustand und energiereichstem Zwischenzustand einer Reaktion.

EA Zwischenzustand

Anfangszustand

Endzustand

dass die Speisen nicht blitzartig an jeder Stelle eine Temperatur von 107 °C bzw. 120 °C haben. Sie erwärmen sich erst allmählich von außen nach innen, ein Vorgang der uns im Zusammenhang mit der instationären Wärmeleitung noch ausführlich in Kapitel 14 beschäftigen wird. Für die Geltung der Faustregel müssen wir uns nicht einfach auf die Erfahrung berufen. Ihr liegt eine tiefere Gesetzmäßigkeit zugrunde, die ArrheniusGleichung für die Geschwindigkeit chemischer Reaktionen, die sich aus der chemischen Reaktionskinetik begründen lässt. Die Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion wird durch die Arrhenius-Gleichung bestimmt:   EA vReaktion ∼ exp − . (2.9) RT R ist die bereits aus der Clausius-Clapeyron-Gleichung bekannte allgemeine Gaskonstante R = 8,314 J/(mol K), und auch hier muss darauf geachtet werden, die Temperatur in Kelvin anzugeben. Charakterisiert wird die jeweilige chemische Reaktion durch ihre Aktivierungsenergie EA . Dies ist die Energie, die benötigt wird, um vom Anfangszustand den energiereichsten Zwischenzustand im Ablauf der Reaktion zu erreichen (Abb. 2.20). Beispielaufgabe: Von der Arrhenius-Gleichung zur Faustregel Versuchen Sie, die oben angegebene Faustregel aus der Arrhenius-Gleichung herzuleiten. Welche Annahmen müssen Sie dabei machen? Lösung: Zunächst benutzen wir das Potenzgesetz ab = exp(b ln a), um die Basis im ArrheniusGesetz auf 2 zu bringen (denn wir wollen auf das Verdoppeln hinaus): EA

vReaktion ( T ) ∼ 2− RT ln 2 .

(2.10)

Nun bilden wir das Verhältnis der Reaktionsgeschwindigkeiten für zwei verschiedene Temperaturen T1 und T2 : EA vReaktion ( T2 ) ∼ 2 R ln 2 vReaktion ( T1 )



1 T1

− T1

2



.

(2.11)

44

Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

Damit sind wir schon fast am Ziel. Auf der rechten Seite steht 21 , wenn der Exponent den Wert 1 hat. In diesem Fall verdoppelt sich die Reaktionsgeschwindigkeit zwischen den Temperaturen T1 und T2 . Entsprechend vervierfacht oder verachtfacht sie sich, falls auf der rechten Seite 22 oder 23 steht. Entscheidend ist also der Wert des Exponenten in Gl. (2.11). Näherungsweise erhalten wir – mit etwas Bruchrechnung – einen Ausdruck, der linear in der Temperaturdifferenz ist:

1 1 T − T1 T −T − = 2 ≈ 22 1 , T1 T2 T1 T2 Tmittel

(2.12)

2 wobei wir im letzten Schritt T1 T2 durch einen Zahlenwert Tmittel angenähert haben, für den wir in unserem Zusammenhang 373 K (= 100 °C) einsetzen. Ebenso nehmen wir für die Aktivierungsenergie einen „typischen“ Wert von 100 kJ/mol an. Falls Sie sich mit atomaren Einheiten auskennen: Das entspricht pro Molekül einer Energie von 1 eV, einem physikalisch sehr plausiblen Wert. Damit können wir für den Exponenten von Gl. (2.11) schreiben:

EA R ln 2



1 1 − T1 T2





100 kJ/mol/ ln 2 ( T2 − T1 ) 8,314 J/(mol K) · (373 K)2

≈ 0,12

1 ( T − T1 ). K 2

(2.13)

Bei einer Temperaturdifferenz von 10 K ergibt sich damit der Wert 1,2 für den Exponenten in Gl. (2.11). Das ist die Aussage unserer Faustregel: Ungefähre Verdoppelung der Reaktionsgeschwindigkeit bei einer Temperaturerhöhung um 10 K. Wir haben die Faustregel damit auf die Arrhenius-Gleichung zurückgeführt. Genauere Aussagen als sie die Faustregel liefern kann, sind mit der Arrhenius-Gleichung möglich, wenn man die Aktivierungsenergie der jeweiligen Reaktion kennt. Üblicherweise geht man aber den umgekehrten Weg und bestimmt Aktivierungsenergien aus der gemessenen Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeit (siehe Kasten auf S. 45).

2.6.5 Der Schnellkochtopf aus physikalischer Perspektive

In diesem Kapitel haben wir uns in physikalischer Hinsicht mit den Zuständen von Wasser und dem Gleichgewicht von Wasser und Wasserdampf beschäftigt. Fassen wir die Vor- und Nachteile des Kochens im Schnellkochtopf vor dem Hintergrund der erworbenen Kenntnisse noch einmal zusammen. (1) Mit dem Schnellkochtopf dauert das Kochen nicht so lange. Das hat zwei Gründe: Erstens wird in den Schnellkochtopf nur wenig Wasser eingefüllt, und deshalb muss auch nur wenig Wasser erhitzt werden. Zweitens garen die Speisen bei höheren Temperaturen schneller, weil die chemischen Reaktionen bei der Denaturierung von Proteinen und Kollagen oder beim Verkleistern von Stärke rascher ablaufen. Die Tabellen auf S. 42 mit den Kochzeiten verschiedener Gerichte zeigen, dass die Zeitersparnis vor allem bei langer Gardauer beträchtlich ist. (2) Das Kochen im Schnellkochtopf ist energiesparender. Das ergibt sich unmittelbar aus der kürzeren Kochdauer. Wenn die Kochplatte bei gleicher Heizleistung für eine kürzere Zeit eingeschaltet ist, wird weniger Energie benötigt.

45

Abschnitt 2.6 Kochen im Schnellkochtopf

Kasten 2.1 Zirpende Grillen, Glühwürmchen und die Arrhenius-Gleichung

Ein Thermometer in der Wildnis? Braucht man ebenso wenig wie ein Survival-Kit. Im altehrwürdigen „Farmer’s Almanac“ kann man nachlesen, wie man aus dem Gesang der Grillen auf die Temperatur schließt. So geht es: 25 Sekunden lang die Zirplaute zählen, durch 3 teilen und 4 addieren. Das ergibt die Temperatur in Grad Celsius. Diese Regel gilt für die besonders verlässliche Grillenart Oecanthus fultoni, die in den USA weit verbreitet ist. Wenn in Wildwestfilmen die Helden abends am Lagerfeuer sitzen, hört man ihr Zirpen. Andere Arten haben andere Zirpraten, aber das Prinzip ist für alle gleich: Wenn es kühler ist, zirpen die Grillen langsamer. Mit dem Arrhenius-Gesetz lässt sich dieses Verhalten erklären. Weil Grillen wechselwarme Lebewesen sind und ihre Körpertemperatur der Umgebungstemperatur folgt, verlaufen die chemischen Vorgänge in den Muskeln der Grillen je nach Temperatur mehr oder weniger schnell. Auch die Blinkfrequenz von Glühwürmchen, die Laufgeschwindigkeit von Ameisen und die Herzfrequenz von Sumpfschildkröten folgen der Arrhenius-Gleichung (Laidler 1972). 2,3

log10 (f / min-1) Logarithmus der Zirprate

2,2

2,1

2,0

1,9 0,00332

0,00336

0,00340

0,00344 1/T in K–1

In der Abbildung oben ist der Logarithmus der Zirprate f von Oecanthus fultoni gegen 1/T aufgetragen (Arrhenius-Plot). In Übereinstimmung mit der Arrhenius-Gleichung liegen die Datenpunkte auf einer Geraden. Aus der Steigung der Geraden kann man nach Gl. (2.9) die Aktivierungsenergie der für das Zirpen entscheidenden Reaktion bestimmen. Man erhält 51 kJ/mol (Daten aus Laidler 1972).

46

Kapitel 2 Wasser und Dampf – Kochen im Schnellkochtopf

(3) Die Speisen werden nicht gebräunt. Wie wir aus Kapitel 1 wissen, sind für die Bräunung und den damit einhergehenden Wohlgeschmack die Maillard-Reaktionen verantwortlich, die erst ab 140 °C einsetzen. Diese Temperatur wird im Schnellkochtopf nicht erreicht. In dieser Hinsicht gibt es also keinen Vorteil gegenüber dem herkömmlichen Kochen. (4) Im Schnellkochtopf bleibt das Gemüse in der Regel knackiger. Es ist den höheren Temperaturen nur kürzere Zeit ausgesetzt und wird im Grunde nicht gekocht, sondern gedämpft. Natürlich kann man es durch Verlängern der Kochzeit auch erreichen, das Gemüse zu einer weichen Masse zu zerkochen. (5) Es bleiben mehr Vitamine erhalten. Auch das ist eine Folge davon, dass die Speisen im Schnellkochtopf nur im Dampf gegart werden. Damit wird vermieden, dass wasserlösliche Vitamine im Kochwasser landen.

3 Phasenübergänge in der Natur

Dampf, Tau und Nebel

48

Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

Abb. 3.1: Zuschauer verfolgen aus sicherer Entfernung einen Ausbruch von Old Faithful.

3.1 Geysire 3.1.1 Expedition ins Innere eines Geysirs

Jedes Jahr besuchen Millionen von Touristen den Yellowstone-Nationalpark im Norden der USA. In dieser geologisch aktiven Region blubbert, gurgelt und zischt es an unzähligen Stellen. Zu den spektakulärsten Sehenswürdigkeiten gehören die Geysire, von denen es im Park über 300 gibt. Die meisten Besucher zieht es zu Old Faithful, dem berühmtesten der YellowstoneGeysire. Bei den Touristen ist er beliebt, weil er mit großer Zuverlässigkeit etwa alle 90 Minuten ausbricht. Begleitet von mächtigem Fauchen und Zischen bricht aus einer Spalte im Boden mit ungeheurer Gewalt eine heiße Wasserfontäne hervor. Ein Ausbruch kann mehrere Minuten andauern. Dabei steigt die Fontäne über 50 Meter hoch. Aus Sicherheitsgründen dürfen Besucher die Ausbrüche von Old Faithful nur aus einem Abstand von etwa 100 m verfolgen. Eine Absperrung verhindert, dass man sich der Öffnung im Boden, aus der die Fontäne austritt, zu sehr nähert (Abb. 3.1). Auch die Geologin Susan W. Kieffer musste sich an diese Regel halten, als sie 1976 mit ihren Forschungen an Old Faithful begann. Mit einer Super-8-Kamera filmte sie zahlreiche Ausbrüche und analysierte später, wie viel Wasser bei einem Ausbruch ausgestoßen wird (zwischen 14 000 und 32 000 Liter) und mit welcher Geschwindigkeit es aus der Öffnung schießt

Abschnitt 3.1 Geysire

49

Abb. 3.2: Die Öffnung von Old Faithful. Hier tritt bei einem Ausbruch die Fontäne aus dem Boden.

(maximal etwa 300 km/h). Ihr Forschungsinteresse galt eigentlich eher der Physik von Vulkanen. Sie wollte die Wärme- und Materieströme in deren Innerem näher verstehen. Dafür diente der Geysir als einfacheres Modellsystem, dessen Physik als im Grundsatz verstanden galt. Wie jeder Besucher weiß, der das Wallen, Brodeln und Zischen vor einem Ausbruch beobachtet hat, spielen sich die entscheidenden physikalischen Prozesse unter der Erdoberfläche ab. Daher halfen die aus der Ferne gedrehten Filme nicht viel weiter. Auch als Kieffer mit Erlaubnis der Parkverwaltung die Bodenspalte, aus der die Fontäne austritt, in der sicheren Zeit zwischen zwei Ausbrüchen untersuchte, konnte sie nicht viel Neues entdecken (Abb. 3.2). Daher war ihr schon bald klar: Um Aufschluss über den Verlauf eines Ausbruchs zu gewinnen, musste sie das Innere von Old Faithful erforschen. Dazu verbündete sie sich mit ihrem Kollegen James A. Westphal und dem Yellowstone-Geologen Roderick A. Hutchinson. Zusammen wollten die drei Wissenschaftler erkunden, was sich im unerforschten Inneren des Geysirs verbirgt. Wie tief reicht zum Beispiel die Spalte in den Erdboden? Gibt es dort unten ein Reservoir, in dem sich Dampf und Wasser sammeln? Hat der Eruptionskanal Engstellen, wie einige Geysir-Theorien es voraussetzen? Temperatur und Druck in unterschiedlichen Tiefen im Eruptionskanal sollten gemessen werden. Und natürlich wollten die Forscher auch wissen, wie es im Inneren des Geysirs eigentlich aussieht.

50

Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

In den Jahren zwischen 1983 und 1993 führten die Wissenschaftler ihre Messungen durch. An flexiblen Kabeln wurden Druck- und Temperatursensoren in den Eruptionskanal hinabgelassen, um an mehreren Stellen gleichzeitig den Verlauf dieser Messgrößen über einen Ausbruchszyklus zu verfolgen. Die in Abb. 3.3 mit „Sta. 1“ bis „Sta. 8“ bezeichneten Kreuze geben an, in welche Tiefen die insgesamt acht Sensorenpaare hinabgelassen wurden. Die Messung war nicht einfach, denn in dem turbulenten, strömenden, spritzenden und siedenden Wasser drohten die Anschlüsse der Sensoren sich immer wieder zu verheddern, abzuknicken oder ganz zu lösen. Die spannendsten Ergebnisse lieferte eine spezielle Videokamera, die in den Schlund des Geysirs hinabgelassen wurde. Die Bilder, die sie nach oben lieferte, hatten zwar keine hohe Auflösung, waren deshalb aber nicht weniger spektakulär. Zum ersten Mal konnte man in das Innere eines Geysirs blicken. Bei der Auswertung der Aufnahmen ließ sich ein Profil des Eruptionskanals erstellen. Es ist im linken Teil von Abb. 3.3 gezeigt. An der Oberfläche öffnet sich der Eruptionskanal in einem länglichen Spalt, der etwa 50 cm breit und 1,60 m lang ist. Die Wände sind versintert, d. h. mit Mineralablagerungen bedeckt (Abb. 3.2). Nach unten setzen sich diese Ablagerungen über den gesamten Eruptionskanal fort. Etwas Außergewöhnliches zeigt die Kamera auf den ersten Metern nicht. In einer Tiefe von 5,50 m stößt sie auf senkrechte Risse in der Wand; überall rinnt zurückfließendes Wasser hinunter, das nach einem Ausbruch den Eruptionskanal langsam wieder füllt. Ungefähr bis in diese Höhe steigt das siedende Wasser vor einer Eruption. Dann, nach 6,80 m, eine Überraschung: Der Eruptionskanal verengt sich. Nur 11 cm breit ist er an der schmalsten Stelle. Abb. 3.3 (b) zeigt eine Aufnahme der Engstelle. Hier schießt bei einem Ausbruch das Wasser-DampfGemisch mit annähernd Schallgeschwindigkeit (≈ 55 m/s für das Gemisch) durch den Kanal. Dadurch wird die austretende Wassermenge begrenzt. In 7,50 m Tiefe macht die Kamera eine weitere Entdeckung. Dort gibt es einen kleinen Wasserfall (Abb. 3.3 (c)). Hier scheint Grundwasser in den Eruptionskanal einzutreten. Etwa 20–30 Liter pro Minute ergießen sich in den Geysir. Als das Wasser aus dem Wasserfall auf den Temperaturfühler der Kamera trifft, registriert er eine Temperatur von etwa 80 °C. Das weitere Hinablassen der Ausrüstung wird durch zwei Felsvorsprünge erschwert, an denen die Kamera mehrmals hängen bleibt. Kurz nach dem zweiten Vorsprung weitet sich der Eruptionskanal zu einem geräumigen Reservoir. Die Halogenscheinwerfer der Kamera erreichen die Wände teilweise nicht mehr. Es lässt sich nur sagen, dass die Kammer nach allen Seiten breiter als 1,80 m ist (gestrichelte Linien in Abb. 3.3). In 14 m Tiefe verengt sich der Kanal wieder auf eine Breite von nur etwa 30 cm, und wenig später trifft die Kamera auf den Wasserspiegel. Es ist ein eindrucksvolles Schauspiel. Wie in einem Hexenkessel siedet das Wasser, es wogt auf und ab, speit Dampfblasen und überhitzte Wassertropfen aus. Einmal sinkt es so tief, dass es aus dem Gesichtsfeld der Kamera verschwindet, um dann mit Macht wieder zurückzukehren und die Kamera zu überfluten.

51

Abschnitt 3.1 Geysire

South

0

North

1

Meters

(a)

(b)

2 3 4

Sta. 8 (4.35 m)

5 Max. water level 11 cm slot at 6.8 m

Wide vertical cracks Waterfall

Sta. 7 (7.30 m)

6 7 8 9

First ledge

Sta. 6 (10.29 m)

Second ledge

10 11 12

Sta. 5 (12.34 m)

slot

?

?

? ?

14

Sta. 4 (14.31 m)

15 16

? Sta. 3 (16.18 m)

17

?

18

?

Sta. 2 (18.75 m)

? ?

(c)

19 20

Sta. 1 (21.18 m)

21

Quelle: Hutchinson, Westphal & Kieffer (1997)

?

„DUCTUS INCOGNITO“

? ?

13

Abb. 3.3: (a) Profil des Eruptionskanals von Old Faithful, (b) schmalste Stelle des Eruptionskanals in 6,80 m Tiefe, (c) kleiner „Wasserfall“ (helle Streifen rechts oben)

52

Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

Die Forscher lassen die Kamera auch unter den Wasserspiegel tauchen, aber wegen der vielen Dampfblasen kann man kaum etwas erkennen. Aus Sorge um die Ausrüstung wird der Versuch schnell aufgegeben. Tiefer als 14,60 m dringt die Kamera nicht vor; die Beschaffenheit des Geysirs in größerer Tiefe lässt sich nicht erkunden. Die Druck- und Temperatursensoren werden immerhin bis auf 21,70 m hinabgelassen. Dort hat das Wasser eine Temperatur von 118 °C. Der Eruptionskanal des Geysirs reicht aber sicher noch tiefer. Einen Hinweis auf noch heißeres Wasser in größerer Tiefe liefert der Temperatursensor, als er am Beginn eines Ausbruchs für kurze Zeit Temperaturen bis zu 129 °C registriert, vermutlich verursacht durch das von unten am Sensor vorbeiströmende Wasser. 3.1.2 Wie ein Geysir funktioniert

Was ist die Ursache der periodischen Ausbrüche eines Geysirs? Wie kommt es, dass in seinem Inneren das Wasser über Stunden hinweg ruhig brodelt, um dann urplötzlich in einer Eruption aus dem Boden zu schießen? Das grundlegende Funktionsprinzip der Geysire ist seit 1846 verstanden. Damals entwickelte Robert Bunsen bei einem Aufenthalt in Island aufgrund von Beobachtungen und Messungen am Großen Geysir und am Strokkur ein Modell der Geysirtätigkeit (Bunsen 1847). Das Modell versucht nicht, die einzelnen Vorgänge beim Ausbruch eines speziellen Geysirs im Detail zu beschreiben (dazu waren und sind die physikalischen Verhältnisse für die meisten Geysire ja gar nicht genau genug bekannt), sondern es versucht die grundsätzlichen Merkmale zu erfassen, die den plötzlichen Wechsel aus der Ruhe in die Eruption erklären und die allen Geysiren gemeinsam sind. In diesem Minimalmodell müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein, damit Geysirtätigkeit eintritt (Abb. 3.4): (1) Im Boden muss eine senkrechte Spalte vorhanden sein, die als Eruptionskanal dienen kann. (2) Es muss ein Wasserzufluss existieren (etwa durch Gesteinsrisse). Nach einem Ausbruch darf das Wasser im Verhältnis zum Fassungsvermögen des Eruptionskanals allerdings nicht zu ergiebig nachströmen. Andernfalls bleibt nicht genügend Zeit für den Wärmeaustausch und der Eruptionskanal wirkt nur als „Durchlauferhitzer“. Es entsteht eine heiße Quelle oder eine Dampfquelle (Fumarole). (3) Im gefüllten Eruptionskanal muss die Wassersäule eine gewisse Höhe erreichen (in der Regel 10 m oder mehr). (4) Die wichtigste Bedingung ist in der Natur nur selten gegeben: eine externe Wärmezufuhr. Das Wasser, das mit einer Temperatur unterhalb des Siedepunktes in den Eruptionskanal strömt, muss im Anschluss noch weiter erhitzt werden. Weil diese Voraussetzung nur an wenigen Stellen auf der Erde erfüllt ist, sind Geysirfelder so selten. Sie kommen nur in geothermisch aktiven Gebieten vor.

53

Abschnitt 3.1 Geysire

z

Abb. 3.4: Prinzipieller Aufbau eines Geysirs

Risse im Gestein

Wärme

Schweredruck Das in Kapitel 2 erarbeitete Wissen reicht schon fast aus, um den Mechanismus hinter einer Geysireruption zu verstehen. Ein letzter Baustein fehlt noch. Wir müssen die Druckverhältnisse im Eruptionskanal kennen. Er füllt sich nach einem Ausbruch allmählich mit Wasser, und wir müssen wissen, wie groß der Wasserdruck in einer gewissen Tiefe z ist. Zum Glück ist die Frage leicht zu beantworten. Der Wasserdruck hängt nicht von der Geometrie des Eruptionskanals oder von der Beschaffenheit der Wände ab, sondern einzig von der Tiefe, in der sich das Wasser unter der Wasseroberfläche befindet. Je tiefer man taucht, umso größer wird der Wasserdruck. In einer Formel ausgedrückt: Schweredruck: Der Wasserdruck in einer Tiefe z unter dem Wasserspiegel beträgt p(z) = p0 + ρ · g · z. (3.1) Dabei ist ρ die Dichte von Wasser und g = 9,81 m/s2 ; direkt an der Wasseroberfläche (z = 0) herrscht der Atmosphärendruck p0 . Beispielaufgabe: Berechnen Sie den Druck, der in 10 m Wassertiefe herrscht. Lösung: Wir setzen für p0 in Gl. (3.1) den Atmosphärendruck von 1 bar und für z die Tiefe von 10 m ein. Ohne großen Fehler nähern wir die Dichte von Wasser durch 1000 kg/m3

54

Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

(vgl. S. 410) und g durch 10 m/s2 . Außerdem benutzen wir die auf S. 20 angegebene Definition der Einheit bar: 1 bar = 105 Pa = 105 kg/(m s2 ). Es ergibt sich:

kg m · 10 2 · 10 m. m3 s kg = 1 bar + 105 m · s2

p(z = 10 m) = 1 bar + 1000

= 2 bar.

(3.2)

Von 1 bar an der Wasseroberfläche steigt der Druck demnach in 10 m Wassertiefe um ein weiteres Bar auf insgesamt 2 bar. Dieses Ergebnis wird für unser Verständnis der Geysire wichtig werden.

Mit wachsender Tiefe nimmt der Wasserdruck weiter zu. Nach Gl. (3.1) steigt er alle 10 Meter um 1 bar an. Es gilt die einfache Merkregel: Merkregel: Nach jeweils 10 Meter Tauchtiefe erhöht sich der Wasserdruck um 1 bar. Was diese Regel in der Praxis bedeutet, kann man mit einem Beispiel veranschaulichen: Auf ein U-Boot in 190 m Tauchtiefe lastet ein Druck von 20 bar. Alle Teile der Hülle müssen den 20-fachen Atmosphärendruck aushalten. Dadurch wird ein getauchtes U-Boot regelrecht „zusammengepresst“. Ein Bindfaden, den man im aufgetauchten U-Boot von Wand zu Wand straff spannt, hängt schon in 100 m Tiefe merklich durch. Weil die Konstruktionsmaterialien Grenzen setzen, können U-Boote nicht in beliebige Tiefen tauchen. Dass der Wasserdruck mit der Tiefe zunimmt, ist anschaulich leicht zu verstehen. In der Tiefe z wird man vom Gewicht der darüber liegenden Wassersäule zusammengepresst. Man kann dieses Argument quantitativ ausführen und Gl. (3.1) auf diese Weise herleiten (vgl. S. 182). Unanschaulich ist dagegen, dass der Wasserdruck nicht von der Geometrie abhängt. Zum Beispiel führt der schmale Spalt im Eruptionskanal von Old Faithful (Abb. 3.3) nicht zu einer Druckverminderung in den darunter gelegenen Teilen des Kanals. Man könnte denken, dass der Spalt einen Teil der Gewichtskraft der darüberliegenden Wassermassen „abfängt“. Für die Kraft mag das gelten – nicht aber für die Zustandsgröße Druck, die sich als ein „Gepresstsein“ des Wassers visualisieren lässt und die eben nur von der Tiefe unter dem Wasserspiegel abhängt, einerlei auf welch verschlungenen Wegen die Verbindung mit der Oberfläche verläuft. Auch unter einem Felsvorsprung (etwa dort, wo sich der Eruptionskanal zum Reservoir weitet) ist der Schweredruck nicht geringer. Zwar gibt es dort gar keine Wassersäule in senkrechter Richtung nach oben – aber zusammengepresst wird man von allen Seiten: von rechts, von links und auch von unten. Den scheinbaren Widerspruch zwischen der anschaulichen Erklärung des Schweredrucks („lastende Wassersäule“) und seiner Unabhängigkeit von der Geometrie bezeichnet man als hydrostatisches Paradoxon.

55

Abschnitt 3.1 Geysire

(b)

10 m

(a)

Druck sinkt T > TSiede

T = 120 °C

Wärme Abb. 3.5: (a) In 10 m Tiefe siedet das Wasser bei 120 °C. (b) Sobald der Druck durch ausgestoßenes Wasser sinkt, liegt die Temperatur des Wassers über dem Siedepunkt.

Vorgänge beim Ausbruch eines Geysirs Es ist nun relativ leicht, mit dem oben beschriebenen Modell den Ausbruch eines Geysirs nachzuvollziehen. Betrachten wir den Ablauf Schritt für Schritt. (1) Nach dem vorangegangenen Ausbruch ist der Eruptionskanal weitgehend geleert. Durch zulaufendes Wasser füllt er sich allmählich wieder. (2) Ist der Eruptionskanal z. B. 10 m tief, so herrscht an seinem Grund – wie wir gerade berechnet haben – ein Druck von 2 bar. Wir wissen aber, dass bei einem Druck von 2 bar der Siedepunkt von Wasser bei 120 °C liegt (Wasserdampftafel auf S. 410). Am Grund des Geysirs kann das flüssige Wasser also Temperaturen von über 100 °C erreichen, ohne dass es zu sieden beginnt (Abb. 3.5 (a)). (3) Wenn die Temperatur des Wassers am Grund 120 °C erreicht, beginnt es zu sieden. Dampfblasen bilden sich und steigen nach oben. Durch die heftigen Wallungen an der Mündung des Geysirs wird etwas Wasser ausgestoßen oder zur Seite verdrängt (Abb. 3.6). Zudem verringert sich wegen der aufsteigenden Dampfblasen die Dichte im Eruptionskanal. Der Druck am Grund nimmt dadurch ein wenig ab, und als Folge sinkt auch die Siedetemperatur (z. B. von 120 °C auf 119 °C).

56

Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

Abb. 3.6: Unmittelbar vor einem Ausbruch steigen große Dampfblasen im Eruptionskanal nach oben (Geysir Strokkur auf Island).

Abb. 3.7: Ein Ausbruch von Strokkur

57

Abschnitt 3.1 Geysire

(4) Das Wasser am Grund besitzt aber nach wie vor eine Temperatur von 120 °C. Es ist überhitzt, seine Temperatur ist größer als die Siedetemperatur beim momentanen Druck (Abb. 3.5 (b)). Es beginnt plötzlich sehr heftig zu sieden, große Dampfblasen bilden sich. Durch das heftige Sieden wird an der Mündung des Geysirs weiteres Wasser ausgespien. (5) Der Prozess ist selbstverstärkend: Das neu ausgestoßene Wasser führt zu einer weiteren Druckverminderung am Grund, diese wiederum zu noch heftigerem Sieden und weiterem Wasserauswurf. Explosionsartig schaukeln sich die Vorgänge auf – der Geysir bricht mit ungeheurer Gewalt aus (Abb. 3.7). Wie gut beschreibt das Modell die Realität? Durch die Messungen von Kieffer, Westphal und Hutchinson an Old Faithful wird es jedenfalls gestützt. In Abb. 3.8 ist der Verlauf von Druck und Temperatur in 21 m Tiefe gezeigt (Station 1 in Abb. 3.3). Man erkennt den Druckanstieg in der Tiefe, wenn sich der Eruptionskanal allmählich füllt. Die Temperaturwerte schwanken wegen der turbulenten Strömungen im Geysir stark. Die Temperatur des Wassers liegt permanent über 100 °C, aber bis kurz vor dem Ausbruch immer einige Grad unterhalb der jeweiligen Siedetemperatur. Während der Eruption werden Temperaturen von 129 °C registriert – ein Zeichen dafür, dass noch heißeres Wasser aus größerer Tiefe am Sensor vorbei nach oben schießt. Druck in bar 2,2 2,0 1,8 1,6

Zeit seit dem letzen Ausbruch in min

1,4 1,2 0

10

20

30

40

50

60

Temperatur in °C

120

110

Abb. 3.8: Verlauf von Druck und Temperatur während eines Eruptionsintervalls von Old Faithful (nach Hutchinson, Westphal & Kieffer 1997)

Zeit seit dem letzen Ausbruch in min

100 0

10

20

30

40

50

60

58

Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

3.2 Gasgemische 3.2.1 Zusammensetzung von Gemischen

Bisher haben wir uns fast ausschließlich mit dem reinen Stoff Wasser beschäftigt. Nur ganz kurz, im Zusammenhang mit dem Schnellkochtopf, haben wir ein Gemisch aus Luft und Wasserdampf betrachtet. Dieses Thema soll nun vertieft werden, denn Gemische verschiedener Stoffe begegnen uns im Alltag häufig. Die Luft, die uns umgibt, ist das vertrauteste Beispiel. Trockene Luft besteht aus Stickstoff (78 %), Sauerstoff (21 %), Argon (1 %) und Kohlenstoffdioxid (0,04 %). Hinzu kommen geringe Mengen anderer Spurengase. Wie gehen wir in der Thermodynamik mit einem Gemisch um? Zunächst müssen wir seine Zusammensetzung angeben. Hier wird die Sache etwas diffizil, denn es gibt dafür verschiedene Möglichkeiten, die in der Praxis alle genutzt werden. Zum Beispiel beziehen sich die oben genannten Prozentangaben für die Zusammensetzung von Luft auf den Volumenanteil der verschiedenen Bestandteile. Der Alkoholgehalt von Getränken wird ebenfalls in Volumenprozent angegeben; die Angabe „% Vol.“ findet man auf allen Bier- und Spirituosenflaschen (Abb. 3.9). Etwas anderes ist die Angabe in Massenanteilen, denen man z. B. in Kochrezepten begegnet. Wie die folgende Aufgabe zeigt, unterscheiden sich Massenanteile und Volumenanteile, weil die verschiedenen Stoffe, aus denen sich das Gemisch zusammensetzt, eine unterschiedliche Dichte besitzen. Beispielaufgabe: Zusammensetzung von Luft Geben Sie die Zusammensetzung von Luft in Massenanteilen an. Gehen Sie, um die Rechnung zu vereinfachen, von nur zwei Bestandteilen aus: Stickstoff (78 % Vol.) und Sauerstoff (22 % Vol.). Schlagen Sie die Werte für die Dichte in Tabelle B.8 nach. Lösung: Wir berechnen zunächst die Masse des in einem Kubikmeter Luft enthaltenen Stickstoffs. Bei 78 % Volumenanteil enthält ein Kubikmeter Luft 0,78 m3 Stickstoff. Mit der Formel ρ = m/V und dem Tabellenwert ρ = 1,25 kg/m3 für die Dichte von Stickstoff bei 0 °C finden wir:

mStickstoff = 1,25

kg · 0,78 m3 = 0,975 kg. m3

(3.3)

Genauso berechnen wir die Masse des Sauerstoffs in einem Kubikmeter Luft (Dichte bei 0 °C: 1,42 kg/m3 ):

mSauerstoff = 1,42

kg · 0,22 m3 = 0,312 kg. m3

(3.4)

Die Gesamtmasse eines Kubikmeters Luft bei 0 °C beträgt somit: mges = 0,975 kg +0,312 kg = 1,29 kg. Damit können wir die relativen Massenanteile ausrechnen:

mStickstoff 0,975 kg = = 0,76, mges 1,29 kg

mSauerstoff 0,312 kg = = 0,24. mges 1,29 kg

(3.5)

Die Massenanteile (76 % und 24 %) unterscheiden sich also geringfügig von den Volumenanteilen. Der Grund liegt in den unterschiedlichen Dichten der beiden Gase.

Abschnitt 3.2 Gasgemische

59

Abb. 3.9: Der Alkoholgehalt von Getränken wird in Volumenprozent angegeben.

Eine weitere Möglichkeit, die Zusammensetzung von Gemischen anzugeben, wird oft von Chemikern benutzt. Für sie ist es praktisch, in Mol zu rechnen, und daher geben sie Stoffmengenanteile an. Gern werden auch Angaben in Mol pro Liter oder Mol pro Kilogramm gemacht. Es ist eine schöne Beschäftigung, sich Namen und Formelzeichen für all diese Variablen auszudenken und sie anschließend ineinander umzurechnen. Wir wollen darauf jedoch nicht weiter eingehen. In vieler Hinsicht können wir in der Thermodynamik mit Gemischen umgehen wie mit reinen Stoffen. Im Normalfall muss es uns nicht kümmern, dass Luft ein Stoffgemisch ist. Nur wenn es zu Phasenübergängen kommt, spielt die Zusammensetzung eine Rolle. Wenn es z. B. um die Verflüssigung von Luft geht, müssen wir berücksichtigen, dass Stickstoff und Sauerstoff unterschiedliche Siedetemperaturen besitzen. Oder, um ein Alltagsbeispiel zu nennen: Wenn Sie Ihre Feuerzangenbowle zu sehr erhitzen, verdampft mehr Alkohol als Wasser (Destillation) und die Zusammensetzung des Getränks verändert sich in ungünstiger Weise. 3.2.2 Partialdrücke, Gesetz von Dalton

Weil wir uns für Phänomene wie Verdunstung oder Taubildung interessieren, bei denen die Phasenänderung von Wasser wesentlich ist, wollen wir nun Gemische aus Luft und Wasserdampf betrachten. Der fortwährende Übergang zwischen Wasserdampf und flüssigem Wasser ist der Grund, weshalb das Wasser trotz seines geringen Anteils von höchstens 4 % ein so wichtiger Teil der Atmosphäre ist. Alle anderen Bestandteile der irdischen Lufthülle bleiben – bedingt durch ihre niedrige Siedetempera-

60

Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

tur – immer gasförmig. Nur das Wasser verändert seinen Aggregatzustand und verursacht dadurch die verschiedensten Wetterphänomene. Wenn wir uns also mit Luft-Dampf-Gemischen beschäftigen – für welche der vorher genannten Größen für die Gemischzusammensetzung entscheiden wir uns? Für keine von ihnen. Wir geben stattdessen den Druck des Wasseranteils im Luft-Dampf-Gemisch an. Dies muss genauer begründet werden, denn eine Druckangabe ist nicht die nächstliegende Antwort auf die Frage, wie ein Gemisch zusammengesetzt ist. Der Grund für diese ungewohnte Art, den Wasseranteil anzugeben, liegt in einer wichtigen Gesetzmäßigkeit, die auf S. 40 schon angesprochen wurde: In Bezug auf ihre thermodynamischen Eigenschaften verhalten sich Luft und Wasserdampf in guter Näherung so, als sei das andere Gas nicht vorhanden. Das bedeutet insbesondere, dass im Phasengleichgewicht zwischen flüssigem Wasser und Wasserdampf die Clausius-Clapeyron-Gleichung (2.3) auch in Anwesenheit von Luft gilt. Wie bisher können wir mit dieser Gleichung den Sättigungsdampfdruck des Wasserdampfes berechnen. Aus diesem Grund ist es günstig, den Wasserdampfgehalt in der Luft durch den Druck anzugeben. Ebenfalls schon erwähnt wurde eine weitere Folge der gegenseitigen Nichtbeeinflussung von Luft und Wasserdampf: das Gesetz von Dalton. Auch dieses Gesetz lässt sich über den Druck formulieren. Gesetz von Dalton: Der Druck eines Gasgemisches ist die Summe der Partialdrücke. Der Partialdruck des Einzelgases ist definiert als der Druck, den es bei gleicher Temperatur hätte, wenn es allein im Volumen wäre. Der Druck des Gasgemisches wird in diesem Zusammenhang als Gesamtdruck bezeichnet. In Kurzform kann man den Inhalt des Gesetzes in der folgenden Gleichung wiedergeben: pges = pGas A + pGas B .

(3.6)

Die Addition zweier Partialdrücke zum Gesamtdruck wird in Abb. 3.10 veranschaulicht. Auf der linken Seite der „Gleichung“ stehen die beiden Einzelgase A und B mit ihren Partialdrücken pGas A und pGas B . Sie nehmen jeweils das gleiche Volumen ein und haben die gleiche Temperatur wie das aus ihrer Zusammenführung resultierende Gasgemisch mit dem durch Gl. (3.6) gegebenen Gesamtdruck pges . Gültigkeit des Gesetzes von Dalton Das Gesetz von Dalton und die gegenseitige Nichtbeeinflussung der Gase in einem Gasgemisch gelten nur näherungsweise. Unter welchen Umständen gilt die Näherung und wie gut ist sie? In Strenge gelten die beiden Gesetzmäßigkeiten, wenn wir die beteiligten Gase als ideale Gase ansehen können. Mit dem idealen Gas werden wir uns ausführlich erst in den Kapiteln 4 und 5 beschäftigen. Schon hier können wir jedoch sagen, dass die Näherung umso

61

Abschnitt 3.3 Verdampfen und Verdunsten

Gas A Temperatur T Volumen V Druck pGas A

Gasgemisch

Gas B

+

Temperatur T Volumen V Druck pGas B

=

Temperatur T Volumen V pges = pGas A + pGas B

Abb. 3.10: Gesetz von Dalton: In einem Gasgemisch addieren sich die Partialdrücke zum Gesamtdruck.

besser ist, je niedriger der Druck und je höher die Temperatur ist. Konkret bedeutet dies, dass man trockene Luft bei Temperaturen über −100 °C immer als ideales Gas ansehen kann. Wasserdampf verhält sich weniger ideal. Aber auch hier ist die Näherung gut, wenn man Wasserdampfdrücke von einigen Bar nicht überschreitet. Insbesondere bei den niedrigen Wasserdampfdrücken von einigen Kilopascal, die in der Atmosphäre auch bei 100 % Luftfeuchtigkeit nicht überschritten werden, ist die Näherung des idealen Gases für Wasserdampf exzellent, und wir dürfen das Gesetz von Dalton ohne Vorbehalt anwenden.

3.3 Verdampfen und Verdunsten Wenn nach einem Regenschauer eine Pfütze langsam verdunstet (Abb. 3.11), handelt es sich nach allem Anschein um einen Prozess, der vom sprudelnden Sieden des Wassers in einem Kochtopf gänzlich verschieden ist: • Das Verdampfen ist ein schnell und heftig ablaufender Prozess, der in der ganzen Flüssigkeit stattfindet. Überall im Volumen bilden sich Dampfblasen, die an die Oberfläche steigen und dort zerplatzen. Im Vergleich dazu verläuft das Verdunsten sehr langsam. Nur die Oberfläche spielt eine Rolle, die Flüssigkeit im Inneren erscheint unbeteiligt. Trotz dieser offenkundigen Unterschiede handelt es sich beim Verdunsten und Verdampfen im Wesentlichen um den gleichen physikalischen Vorgang: den Übergang vom flüssigen in den gasförmigen Zustand am Phasengleichgewicht von siedender Flüssigkeit und gesättigtem Dampf. Entscheidend für die so verschiedene Erscheinungsweise der beiden Phänomene ist die Anwesenheit von Luft. Dies bedarf einer näheren Erläuterung, denn gerade haben wir ja festgestellt, dass sich in einem Luft-Dampf-Gemisch die beiden Gase so verhalten, als sei das jeweils andere nicht vorhanden. Die Anwesenheit von Luft ändert zum Beispiel am Sättigungsdampfdruck des Wasserdampfes nichts. Mit und ohne Luft beträgt er 0,023 bar bei 20 °C (vgl. Tabelle B.1). Mit der folgenden Argumentationskette können wir uns klarmachen, weshalb die Luft einen so entscheidenden Einfluss auf den Unterschied zwischen Verdunsten und Verdampfen hat. •

62

Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

Abb. 3.11: Scheinbar grundverschiedene Phänomene: das Verdunsten einer Pfütze und das Verdampfen von siedendem Wasser

(a) Verschlossener Behälter ohne Luft Wir betrachten zunächst den in Abb. 3.12 (a) dargestellten Ausgangszustand, der sich nur künstlich herstellen lässt (z. B. mit einer Vakuumpumpe). In der unteren Hälfte des Behälters befindet sich flüssiges Wasser mit einer Temperatur von 20 °C, in der oberen ein Vakuum, also weder Gas noch Flüssigkeit. Dieser Zustand ist kein Gleichgewichtszustand. Das Wasser beginnt unmittelbar zu sieden und verdampft, bis die obere Hälfte mit Wasserdampf angefüllt ist und der Sättigungsdampfdruck von 0,023 bar herrscht. Das Foto in Abb. 2.9, das ein Glas siedendes Wasser unter einer Vakuumglocke zeigt, veranschaulicht den Vorgang. Wegen der zum Verdampfen nötigen Verdampfungsenthalpie kühlt sich das System ein wenig ab. (b) Behälter mit Luft, Temperatur kleiner als Siedetemperatur Im zweiten Fall ändert sich nichts, außer dass sich in der oberen Hälfte trockene Luft anstelle des Vakuums befindet (Abb. 3.12 (b)). Der Partialdruck des Wasserdampfes ist null oder, anders ausgedrückt, die Luftfeuchtigkeit ist 0 %. Unter diesen Umständen verdunstet das Wasser. Weil der Partialdruck des Wasserdampfes kleiner ist als der Sättigungsdampfdruck, herrscht kein Gleichgewicht. Wie zuvor beginnt das Wasser zu „sieden“ – jedoch nur so lange, bis der Sättigungsdampfdruck in einer dünnen Schicht über der Wasseroberfläche erreicht ist. Dann hört das „Sieden“ gleich wieder auf, denn anders als zuvor verteilt sich der Wasserdampf nicht sofort gleichmäßig im Raum. Die dort schon vorhandene Luft verhindert seine Ausbreitung. Es liegt noch immer eine Nichtgleichgewichtssituation vor, aber eine andere als vorher. An der Wasseroberfläche ist alles in Ordnung. Dort herrscht Gleichgewicht, denn in der dünnen Schicht über der Wasseroberfläche beträgt die Luftfeuchtigkeit 100 %. Das Nichtgleichgewicht besteht nun in der ungleichmäßigen Verteilung des Wasserdampfes. Nur langsam, aufgrund von Luftbewegungen oder durch Diffusion, breitet sich der Wasserdampf im Volumen aus. Als Folge geht nach und nach immer mehr Wasser vom flüssi-

63

Abschnitt 3.3 Verdampfen und Verdunsten

(a) Vakuum

Wasserdampf

Sättigung überall T = 20 °C

sätt @ 20 °C pWasserdampf (=0,023 bar)

T = 20 °C

(a) Verdampfen ins Vakuum bei 20 °C (b) Luft (1 bar)

T = 20 °C

nach kurzer Zeit

Luft (1 bar) sätt @ 20 °C pWasserdampf (=0,023 bar)

Sättigung in einer dünnen Schicht über dem Wasser

(c) nach langer Zeit

Sättigung überall

Luft (1bar) + Wasserdampf sätt @ 20 °C pWasserdampf =0,023 bar

Verdunsten bei 20 °C

(d) Luft (1 bar)

Sättigung überall T = 110 °C

Luft (1bar) + Wasserdampf sätt @ 110 °C pWasserdampf =1,43 bar T = 110 °C

Verdampfen bei 110 °C Abb. 3.12: Beim Verdunsten behindert die Luft die Ausbreitung des Wasserdampfes. Beim Verdampfen ist dagegen der Sättigungsdampfdruck des Wasserdampfes größer als der Luftdruck, und der Dampf kann sich ausbreiten.

64

Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

gen in den gasförmigen Zustand über, bis nach langer Zeit der Wasserdampf gleichmäßig verteilt ist. Überall ist nun der Sättigungsdampfdruck erreicht (Abb. 3.12 (c)). Durch Vergleich mit (a) erkennen wir, dass die Anwesenheit von Luft die Verdunstung allein deshalb zu einem langsamen Prozess macht, weil sie die Ausbreitung des Wasserdampfes behindert. In einem geschlossenen Behälter kommt der Vorgang zum Erliegen, wenn der Sättigungsdampfdruck erreicht ist (wenn die Luftfeuchtigkeit 100 % beträgt). Mehr Wasser verdunstet nicht. Ohne Deckel dagegen ist das Volumen der Luft so groß, dass die Flüssigkeit vollständig verdunsten kann, ohne dass der Sättigungsdampfdruck erreicht wird. Pfützen verdunsten daher nach einem Regenguss restlos. Auch beim Verdunsten kühlt sich die Flüssigkeit wegen der Verdampfungsenthalpie (die in diesem Zusammenhang meist als Verdunstungskälte bezeichnet wird) etwas ab. Unmittelbar spürbar ist der Effekt, wenn man sich (z. B. zur Desinfektion) ein wenig Alkohol auf die Haut tupft oder – wie bei der Pfadfinder-Methode zur Messung der Windrichtung – den mit Spucke angefeuchteten Zeigefinger in den Wind hält. (c) Behälter mit Luft, Temperatur größer als Siedetemperatur Im dritten Fall soll die Wassertemperatur größer sein als die Siedetemperatur. Bei einem Luftdruck von 1 bar soll die Temperatur also 100 °C oder mehr betragen (Abb. 3.12 (d)). Nehmen wir eine Temperatur von 110 °C an, dann beträgt der Sättigungsdampfdruck 1,43 bar. Was geschieht nun? Wie zuvor siedet das Wasser, bis an der Oberfläche der Sättigungsdampfdruck von 1,43 bar erreicht ist. Anders als vorher kommt der Prozess aber jetzt nicht zum Stillstand. Der Druck des Wasserdampfes an der Oberfläche ist größer als der Luftdruck im restlichen Volumen, und so folgt der Dampf dem Druckgefälle. Er breitet sich ungehindert aus, und rasch verdampft so viel Wasser, bis im gesamten Volumen der Wasserdampfdruck gleich dem Sättigungsdampfdruck ist. Dieser Vorgang, der als Verdampfen bezeichnet wird, setzt ein, sobald die Siedetemperatur überschritten ist. Wir können nun den Grund verstehen, warum das Verdampfen ein schneller Prozess, das Verdunsten dagegen ein langsamer ist. Der einzige Unterschied besteht darin, dass beim Überschreiten der Siedetemperatur der Sättigungsdampfdruck größer als der Luftdruck wird. Wegen ihres nun zu geringen Drucks kann die Luft nicht mehr „dagegenhalten“ und die Ausbreitung des Dampfes behindern. Erhitzt man Wasser über den Siedepunkt, setzt das Verdampfen augenblicklich ein. An dieser Stelle können wir übrigens noch einmal auf die Diskussion des Schnellkochtopfs mit Luft zurückkommen. Dort haben wir die Probleme erörtert, die die Anwesenheit von Luft mit sich bringt. Im nun betrachteten Fall (Abb. 3.12 (d)) ist die Situation analog. Das Wasser siedet so lange, bis der Wasserdampf den Sättigungsdampfdruck von 1,43 bar erreicht hat. Die Luft mit ihrem Partialdruck ist zusätzlich vorhanden, und so liegt der Gesamtdruck im Behälter bei über 2 bar.

Abschnitt 3.4 Kochen im Gebirge

65

Abb. 3.13: Werden die Bohnen im Gebirge langsamer oder schneller gar?

3.4 Kochen im Gebirge Beim Kochen in großer Höhe muss man eine physikalische Besonderheit berücksichtigen. Wegen des geringeren Atmosphärendrucks siedet das Wasser oben im Gebirge schon früher als in der Ebene. Welche Konsequenzen hat dies für das Kochen? Geht es auf dem Berg schneller? Werden die Eier im Topf eher gar, weil das Wasser seinen Siedepunkt früher erreicht? Oder ist es genau umgekehrt, und das Kochen dauert länger, weil die Temperatur nicht so hoch ist wie in der Ebene (Abb. 3.13)? Lassen wir uns aus illustrem Munde von dem Phänomen berichten. Charles Darwin unternahm während seiner Weltumseglung mit der „Beagle“ – bei der er das Beobachtungsmaterial sammelte, das später zur Evolutionstheorie führen sollte – einen Abstecher in die hohen Regionen der Anden. Dabei stieß er auf einen bemerkenswerten Erklärungsansatz für das andersartige Kochverhalten im Gebirge (Darwin 2006): Nachdem wir die Piuquenes durchquert hatten, stiegen wir in ein bergiges Landstück ab, das zwischen den beiden Hauptketten lag. Dort bereiteten wir unser Nachtquartier. Wir befanden uns inzwischen in der Republik Mendoza. Die Höhe war sicherlich nicht unter 11 000 Fuß, und entsprechend war die Vegetation außerordentlich karg. Die Wurzel einer kleinen, armseligen Pflanze musste als Brennstoff herhalten, gab aber nur ein klägliches Feuer. Der Wind war schneidend kalt. [. . . ] Dort, wo wir schliefen, siedete das Wasser aufgrund des geringeren Luftdrucks zwangsläufig bei einer niedrigeren Temperatur als auf geringerer Höhe; es liegt der umgekehrte Fall wie bei Papins Autoklaven vor. Daher waren die Kartoffeln nach einigen Stunden im siedenden Wasser noch beinahe so fest wie zuvor. Der Topf blieb die ganze Nacht auf dem Feuer und wurde am nächsten Morgen noch einmal zum Sieden gebracht, aber die Kartoffeln waren immer noch nicht gar.

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Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel Ich erfuhr dies, als ich mithörte, wie meine beiden Begleiter die Ursache diskutierten; sie gelangten zu dem simplen Schluss, „dass der verfluchte Topf“ (der neu gekauft war)„keine Kartoffeln kochen wollte“.

Wie wir aus Darwins Aufzeichnungen entnehmen, geht das Kochen in großer Höhe langsamer vonstatten als im Tal, und die Ursache, die er selbst dafür angibt, ist vollkommen korrekt. Weil der argumentative Kurzschluss: „Es kocht früher, also dauert es kürzer“ immer wieder zu Verständnisschwierigkeiten führt, beschäftigen wir uns etwas ausführlicher mit der Erklärung. Sieden und Kochen Der Hauptgrund für die so häufigen Schwierigkeiten bei der Erklärung des langsameren Kochens in großer Höhe liegt darin, dass die beiden Begriffe Sieden und Kochen nicht genügend unterschieden werden. Ist erst einmal geklärt, dass diese beiden Ausdrücke nicht das Gleiche bedeuten, fällt auch die korrekte Beschreibung des Phänomens nicht mehr schwer. Das Wasser siedet, wenn sich sprudelnd Dampfblasen bilden. Wir wissen, dass die Siedetemperatur des Wassers vom Druck abhängt. In Abb. 2.9 siedet Wasser bei Zimmertemperatur. In einem Geysir oder im Schnellkochtopf („Papins Autoklav“) siedet es dagegen erst bei Temperaturen über 100 °C. Der Begriff „Sieden“ bezieht sich also auf das Wasser. Wenn man vom „Kochen“ spricht, meint man dagegen die Speisen, die im Wasser gar werden sollen. Die Kartoffeln in Darwins verhextem Topf sollten kochen, sie sollten weich und essbar werden. Mit der Biochemie des Kochens haben wir uns ausführlich in Kapitel 1 beschäftigt. Die dort beschriebenen Reaktionen, die zum Garen der Lebensmittel führen, laufen nur oberhalb einer bestimmten Temperatur ab. Zum Garen einer Speise ist es nötig, dass diese Temperatur überall erreicht wird. Das ist das Ziel des Kochens. Siedetemperatur und Kochdauer im Gebirge Mit der Unterscheidung zwischen Sieden und Kochen können wir die verlängerte Kochdauer im Gebirge wie folgt erklären. Der Luftdruck nimmt mit der Höhe ab. In einer Höhe von 11 000 Fuß (etwa 3350 m) beträgt er mit 0,67 bar nur noch zwei Drittel des Atmosphärendrucks auf Meereshöhe. Wie wir wissen, siedet das Wasser bei geringerem Druck schon bei niedrigeren Temperaturen. Aus der Wasserdampftafel ergibt sich bei 0,67 bar eine Siedetemperatur von 89 °C. Wenn also Darwins Begleiter ihre Kartoffeln ins siedende Wasser geben, besitzt dieses nur eine Temperatur von 89 °C. Die Kartoffeln werden entsprechend weniger wirkungsvoll erhitzt; ihr Inneres erreicht nicht so schnell die zum Garwerden nötige Temperatur. In großer Höhe dauert das Kochen folglich länger. Eine Frage zum Weiterdenken: Außer dem Kochen gibt es ja noch andere Garmethoden für Eier oder Kartoffeln. Spielt die Höhe auch dann eine Rolle, wenn Sie sich über dem offenen Feuer in der Pfanne ein Rührei zubereiten?

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Abschnitt 3.5 Luftfeuchtigkeit

3.5 Luftfeuchtigkeit Wir haben schon einige Male den Begriff Luftfeuchtigkeit gebraucht, der auch häufig in der Alltagssprache verwendet wird. Er beschreibt, wie viel Wasserdampf sich in der Luft befindet. Die Angabe kann auf zweierlei Weise geschehen: Die absolute Luftfeuchtigkeit gibt den Massenanteil, den Volumenanteil oder den Partialdruck des Wasserdampfes an. Damit ist die wasserdampfhaltige Luft vollständig beschrieben, denn Luft ist ja ohnehin ein Gasgemisch, und der Wasserdampf ist lediglich eine weitere Komponente des Gemisches. Für die Praxis weitaus tauglicher ist die zweite Möglichkeit. Relevanter als eine absolute Angabe ist die Frage: „Wie weit ist die feuchte Luft noch von der Kondensation entfernt?“ Darüber gibt die relative Luftfeuchtigkeit ϕ Auskunft. Diese wichtige Größe wird über den Partialdruck des in der Luft befindlichen Wasserdampfes definiert. Es ist das Verhältnis des momentan herrschenden Wasserdampfdrucks zum bei dieser Temperatur maximal möglichen Wert, d. h. zum Sättigungsdampfdruck bei der jeweiligen Temperatur. Die relative Luftfeuchtigkeit ϕ ist definiert als das Verhältnis des momentanen Wasserdampfdrucks zum Sättigungsdampfdruck: ϕ=

pDampf @T psätt Dampf

.

(3.7)

Wenn wir der Kürze halber einfach von „Luftfeuchtigkeit“ reden, ist immer die relative Luftfeuchtigkeit gemeint. Der Wert von ϕ kann zwischen 0 und 1 liegen, oder, wie man häufiger sagt, zwischen 0 % und 100 %. Der erste Wert entspricht wasserdampffreier Luft („trockener Luft“). In der Natur kommt völlig trockene Luft nicht vor; selbst in den trockensten Wüstengebieten liegt die relative Luftfeuchtigkeit nicht unter 10 bis 20 Prozent. Bei 100 % relativer Luftfeuchtigkeit steht der Wasserdampf unmittelbar vor der Kondensation. Der momentane Wasserdampfdruck ist dann gleich dem Sättigungsdampfdruck, es liegt gesättigter Dampf vor. An Oberflächen bilden sich Tröpfchen, die Niederschlagsbildung setzt ein. Viele Haushalte haben ein Messgerät, das neben Temperatur und Luftdruck auch die relative Luftfeuchtigkeit anzeigt (Abb. 3.14). Diese Angabe ist deshalb von Bedeutung, weil sich der Mensch nur in einem relativ engen Luftfeuchtigkeitsbereich wohl fühlt. Diese sogenannte Behaglichkeitszone liegt etwa zwischen 40 % und 60 % relativer Luftfeuchtigkeit. Warmes Wetter und zu hohe Luftfeuchtigkeit sind dem Menschen nicht zuträglich, weil dann die Regulation der Körpertemperatur beeinträchtigt ist. Der Mechanismus des Schwitzens, mit dem der Körper sich abkühlt, funktioniert unter diesen Bedingungen nicht mehr effektiv. Zwar wird noch Schweiß abgesondert, dieser verdunstet aber nur noch schlecht, weil die Wasserdampfmenge in der Luft schon fast ihren maximal möglichen Wert erreicht hat. Die

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Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

Abb. 3.14: Drei Messgeräte in einem Gehäuse: Thermometer (für die Temperatur), Barometer (für den Luftdruck), Hygrometer (für die relative Luftfeuchtigkeit)

erhoffte Abkühlung durch die Verdunstungskälte bleibt aus. Man fühlt sich unwohl und beklagt sich darüber, dass es schwül ist. Auf der anderen Seite kann die Luftfeuchtigkeit auch zu niedrig sein. Dies ist oft im Winter bei „Heizungsluft“ der Fall. Neben trockener Haut können Atemwegserkrankungen die Folge sein, weil die Schleimhäute austrocknen und anfällig für Infekte werden. Beispielaufgabe: Trockene Heizungsluft Im Winter herrscht bei 5 °C Außentemperatur eine Luftfeuchtigkeit von 60 %. Beim Lüften gelangt die Außenluft ins Haus und wird durch die Heizung auf eine Temperatur von 20 °C erwärmt. Wie groß ist die Luftfeuchtigkeit im Innenraum? Lösung: Wir gehen von der Definition der relativen Luftfeuchtigkeit in Gl. (3.7) aus und berechnen den außen herrschenden Wasserdampfdruck. Aus Tabelle B.1 lesen wir für den Sättigungsdampfdruck bei 5 °C ab: @ 5 °C psätt = 0,009 bar. Dampf

(3.8)

Bei einer Luftfeuchtigkeit von 60 % beträgt der Wasserdampfdruck außen demnach 0,60 · 0,009 bar = 0,0054 bar. Die Luft gelangt nun ins Hausinnere. Der Gesamtdruck innen und außen ist der gleiche, und auch das Mischungsverhältnis der Gase ändert sich nicht (Wasserdampf wird weder zu- noch abgeführt). Der Wasserdampfdruck beträgt folglich auch im Hausinneren 0,0054 bar. Was sich allerdings ändert ist der Sättigungsdampfdruck. Bei 20 °C hat er nach Tabelle B.1 den Wert @ 20 °C psätt = 0,023 bar. Dampf

(3.9)

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Abschnitt 3.5 Luftfeuchtigkeit Die relative Luftfeuchtigkeit im Innenraum beträgt demnach

ϕ=

pDampf sätt @ 20 °C pDampf

=

0,0054 bar = 0,23 = 23 %. 0,023 bar

(3.10)

Im Innenraum ist die Luft sehr trocken. Durch das Erwärmen der Luft sinkt die relative Luftfeuchtigkeit, ohne dass sich die Wassermenge in der Luft ändert. Ursache ist der höhere Sättigungsdampfdruck des Wasserdampfes bei der höheren Innentemperatur.

Die Aufgabe illustriert eine Schwierigkeit beim Verständnis der relativen Luftfeuchtigkeit. Es gibt nämlich zwei Wege, sie zu ändern. Der erste leuchtet unmittelbar ein: Die Luftfeuchtigkeit in einem Raum ändert sich, wenn Wasserdampf durch Verdunstung hinzukommt oder durch Kondensation entfernt wird. Weniger offensichtlich ist der zweite Weg. Der Sättigungsdampfdruck im Nenner von Gl. (3.7) hängt von der Temperatur ab. Daher lässt sich die relative Luftfeuchtigkeit allein durch eine Temperaturänderung variieren, ohne dass ein einziges Wasserdampfmolekül zu- oder abgeführt wird. Die Schwammtheorie der Luftfeuchtigkeit Problematisch ist auch die häufige Fehlvorstellung, die als „Schwammtheorie der Luftfeuchtigkeit“ bezeichnet wird (Bohren & Albrecht 1998). Wie ein Schwamm kann die Luft nach dieser Vorstellung eine gewisse Menge Wasserdampf aufnehmen, bis sie „gesättigt“ ist. Kalte Luft kann nicht so viel Wasserdampf aufnehmen wie warme, und daher kommt es beim Abkühlen kalter Luft zur Kondensation von flüssigem Wasser – einem Schwamm vergleichbar, dessen Aufnahmekapazität durch Zusammendrücken verringert wird. Sehen wir uns das Bild in der dritten Zeile von Abb. 3.12 an. Nach der Schwammtheorie ist hier gerade so viel Wasser verdunstet, wie die Luft aufnehmen kann. Was passiert, wenn wir die gleiche Situation nun ohne Luft betrachten, wie in der ersten Zeile der Abbildung? Es ist jetzt nichts mehr da, was den Wasserdampf aufnehmen kann. Gemäß der Schwammtheorie sollten wir also erwarten, dass der Raum oberhalb des Wassers frei von Wasserdampf bleibt. Das Experiment zeigt etwas anderes: Unbekümmert von der Abwesenheit der Luft füllt sich der Behälter mit Wasserdampf und widerlegt so die Vorhersage der Schwammtheorie. Die korrekte Erklärung kennen wir schon: Luft und Wasserdampf verhalten sich so, als wäre das andere Gas nicht vorhanden. Der Sättigungsdampfdruck des Wassers, der die maximale Wasserdampfmenge in einem Volumen angibt, ist allein eine Eigenschaft des Wassers, die letztlich auf seine molekularen Eigenschaften zurückgeht. Die Luft hat nichts damit zu tun. Die Schwammtheorie hält sich auch deshalb so hartnäckig, weil die physikalische Terminologie unglücklich geprägt worden ist. Wenn wir vom Sättigungsdampfdruck oder von gesättigtem Dampf sprechen, werden wir geradezu zur Schwammvorstellung hingedrängt. Umso wichtiger ist es, sich die tatsächlichen Zusammenhänge sorgfältig klarzumachen.

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Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

Abb. 3.15: Auf einer roten Margerite hat sich Tau niedergeschlagen.

3.6 Taubildung und Taupunkttemperatur Am Morgen nach einer kühlen Nacht sieht man überall Tautropfen, die sich an Blumen, Gras und Spinnennetzen niedergeschlagen haben (Abb. 3.15). Die Wassertröpfchen bilden sich auf allen Oberflächen, wenn eine bestimmte Temperatur unterschritten wird und ein Teil des Wasserdampfes in der Luft kondensiert. Aus unserem Wissen über die Phasenübergänge des Wassers lässt sich ohne Schwierigkeiten herleiten, unter welchen Bedingungen die Taubildung einsetzt. Wir haben gesehen, dass sich die relative Luftfeuchtigkeit mit der Temperatur ändert, auch wenn die Absolutmenge des Wasserdampfes in der Luft konstant bleibt. Genau das geschieht bei der Taubildung. Wenn die Luft abkühlt, steigt die relative Luftfeuchtigkeit an. Die Temperatur, bei der eine Luftfeuchtigkeit von 100 % erreicht ist, wird als Taupunkttemperatur bezeichnet. Wird sie unterschritten, kommt es zur Taubildung. Wird wasserdampfhaltige Luft bis zur Taupunkttemperatur abgekühlt, so setzt die Taubildung ein. Quantitative Bestimmung der Taupunkttemperatur Für eine quantitative Beschreibung können wir direkt an unsere Überlegungen aus Abschnitt 2.5 anknüpfen (S. 26). Wir lesen den dort beschriebenen Prozess von hinten nach vorn: Wir starten bei einem Druck von 2 bar und einer

Abschnitt 3.6 Taubildung und Taupunkttemperatur

71

höheren Temperatur als 120 °C. Das Wasser ist gasförmig; es liegt als überhitzter Dampf vor (Abb. 2.8). Nun kühlen wir den Dampf ab. Er erreicht bei 120 °C den Sättigungszustand und beginnt anschließend zu kondensieren. Die Temperatur, bei der – beim jeweils herrschenden Druck – der Sättigungszustand erreicht wird, können wir aus der Wasserdampftafel ablesen (Tabelle B.1). Entsprechendes geschieht bei der Taubildung mit dem Wasserdampf in der Atmosphäre. Zwei Unterschiede gibt es jedoch: (1) Außer dem Wasserdampf ist noch Luft vorhanden – aber wie wir wissen, muss uns dies nicht kümmern. (2) Der Partialdruck des Wasserdampfes ist wesentlich niedriger als im obigen Beispiel. Daher spielt sich die Taubildung bei viel tieferen Temperaturen ab. Beispielaufgabe: Einsetzen der Taubildung Am späten Nachmittag eines klaren Frühlingstages herrscht eine Temperatur von 20 °C. Der Wasserdampfdruck beträgt 0,012 bar. In der Nacht wird es kühler: Um drei Uhr nachts sind 10 °C erreicht, um fünf Uhr früh 8 °C. Wann setzt die Taubildung ein? Lösung: Die Wasserdampftafel hilft uns bei der Lösung der Aufgabe weiter. Wasserdampf mit einem Druck von 0,012 bar ist bei einer Temperatur von 10 °C gesättigt. Dann ist die Taupunkttemperatur erreicht. Das ist in unserem Beispiel um drei Uhr der Fall.

3.6.1 Taupunkttemperatur und relative Luftfeuchtigkeit

In der Meteorologie wird nicht die absolute, sondern die relative Luftfeuchtigkeit angegeben. Mit Hilfe von Gl. (3.7) können wir daraus den Wasserdampfdruck berechnen. Am späten Nachmittag unseres Frühlingstages liegt z. B. die Luftfeuchtigkeit bei 50 %, denn der Sättigungsdampfdruck bei 20 °C beträgt 0,023 bar (Tabelle B.1). Die mühsame Umrechnung kann man sich ersparen, indem man Tabelle B.5 auf S. 414 zu Hilfe nimmt. Hier kann die Taupunkttemperatur unmittelbar abgelesen werden, wenn man Temperatur und Luftfeuchtigkeit kennt. Es gibt auch Luftfeuchtigkeitsmesser (Hygrometer), mit denen man die Taupunkttemperatur direkt bestimmen kann. Bei dem Gerät in Abb. 3.16 ermittelt man dazu den Schnittpunkt des Hygrometerzeigers mit der schwarzen Linie, die der momentanen Temperatur entspricht. Die grüne Linie, die durch den Schnittpunkt verläuft, gibt die Taupunkttemperatur an. Die folgende Beispielaufgabe zeigt, dass auch quantitative Aussagen über die Menge des kondensierten Wassers möglich sind. Wir berechnen die Kondensatmenge, die im Inneren eines Kühlschranks entsteht, wenn dieser von Zimmertemperatur auf Betriebstemperatur heruntergekühlt wird. Beispielaufgabe: Kondensatbildung im Kühlschrank Ein 300 l fassender Kühlschrank wird bei 70 % Luftfeuchtigkeit von 25 °C auf 5 °C abgekühlt. Berechnen Sie, wie viel Kondensat entsteht. Lösung: Zu Anfang beträgt die Temperatur im Kühlschrankinneren 25 °C. Aus Tabelle B.1 lesen wir ab, dass das spezifische Volumen des gesättigten Dampfes bei dieser Tem-

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Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

Abb. 3.16: Ein Hygrometer, mit dem man die Taupunkttemperatur bestimmen kann

peratur den Wert vg = 43,34 m3 /kg hat. Das Inverse davon gibt die Dichte an, also die Masse des Wasserdampfes je Kubikmeter:

1 g = 23,1 3 . vg m

(3.11)

Weil sich nur 70 % dieser Dampfmenge im Kühlschrank befinden, kommen auf einen Kubikmeter demnach 16,2 g Wasserdampf. Dies ist die Ausgangssituation. Nach Tabelle B.5 liegt der Taupunkt bei 19 °C. Er wird während des Abkühlens unterschritten. Danach liegt die Luftfeuchtigkeit bei 100 % und es bildet sich Kondensat. Um die Kondensatmenge zu ermitteln, berechnen wir, wie viel Wasserdampf sich im Endzustand noch in der Luft befindet. Die Differenz zu den anfänglich vorhandenen 16,2 g/m3 muss sich als Kondensat niedergeschlagen haben. Bei 5 °C hat vg nach Tabelle B.1 den Wert 147,02 m3 /kg, so dass:

1 g = 6,8 3 . vg m

(3.12)

In jedem Kubikmeter fallen folglich 16,2 g − 6,8 g = 9,4 g Kondensat an. Für unseren 300-Liter-Kühlschrank bedeutet das eine Kondensatmenge von 2,8 g, die sich an den Wänden niederschlägt.

3.6.2 Taubildung in der Natur

Mit dem Begriff der Taupunkttemperatur lässt sich auf einfache Weise formulieren, unter welchen Bedingungen es zur Taubildung kommt. Entscheidend ist, ob die Luft während der Nacht so weit abkühlt, dass die Taupunkttemperatur erreicht wird. Ist dies der Fall, so schlägt sich Tau an Blättern, Grashalmen und anderen Oberflächen nieder. Die Taupunkttemperatur wird mit Hilfe von Tabelle B.5 aus Temperatur und Luftfeuchtigkeit ermittelt.

Abschnitt 3.6 Taubildung und Taupunkttemperatur

73

Abb. 3.17: Im Winter beschlagen die Zugfenster von innen.

Eine hohe Luftfeuchtigkeit am Abend begünstigt die Entstehung von Tau. In der feuchten Luft ist der Sättigungsdampfdruck schon fast erreicht, und die Taupunkttemperatur liegt nur knapp unter der aktuellen Temperatur. Schon eine Abkühlung um wenige Grad reicht zum Einsetzen der Taubildung aus. In sternklaren Nächten kommt es eher zur Taubildung als bei bedecktem Himmel. Ohne Wolkendecke kann die Wärmestrahlung des Bodens ungehindert in den Nachthimmel entweichen. Der Boden kühlt sich dabei stärker ab, als wenn Wolken die Abstrahlung behindern. Dadurch sind klare Nächte eher kühl, und das Erreichen der Taupunkttemperatur wird wahrscheinlicher. Weitere Faktoren, die die Entstehung von Tau beeinflussen sind der Wind, der die bodennahen Schichten der Luft durchmischt und die unterschiedlichen Abkühlungseigenschaften der verschiedenen Bodenarten. 3.6.3 Taubildung im Alltag

Im Alltag kommt es recht häufig vor, dass warme Luft auf eine kalte Fläche trifft und dabei die Taupunkttemperatur unterschritten wird. So verkünden etwa die Wassertröpfchen, die sich von außen an einem Bierglas niederschlagen, dass der Inhalt frisch gezapft und schön kühl ist. Im Badezimmer beschlagen nach dem Duschen die Spiegel, Fenster und Wandflächen, weil die feuchtwarme Luft nur wenig abgekühlt werden muss, um die Taupunkttemperatur zu erreichen. Auch die Fenster in Bussen und Bahnen beschlagen im Winter von innen, wenn die warme Atemluft der Fahrgäste an den kalten

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Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

Abb. 3.18: An einem heißen Sommertag kommt es im Keller zur Tauwasserbildung.

Fensterflächen abgekühlt wird (Abb. 3.17). Etwas schwieriger zu erklären ist die Beobachtung, dass Wäsche im Sommer oft schlecht trocknet, wenn sie im Keller auf der Wäscheleine hängt. Es ist schließlich sehr warm – warum sollte die Wäsche da nicht schnell trocken werden? Zur Erklärung betrachten wir den Luftaustausch durch die geöffneten Kellerfenster. Wenn Luft von außen in den relativ kalten Keller gelangt, kühlt sie sich ab und kann dabei leicht die Taupunkttemperatur erreichen. Bei 30 °C und 60 % Luftfeuchtigkeit beträgt die Taupunkttemperatur beispielsweise nur 21 °C (vgl. Tabelle B.5). Im Keller ist die Luft also nahezu gesättigt, und es dauert lange, bis die Wäsche trocken ist. An besonders schwülwarmen Tagen kann es sogar zum flächendeckenden Tauwasserausfall auf allen Oberflächen im Keller kommen (Abb. 3.18). 3.6.4 Tauwasserausfall in Bauwerken

Große Schäden können entstehen, wenn in den Außenwänden von Gebäuden Kondenswasser ausfällt. Die Gefahr besteht vor allem im Winter, wenn in der warmen Luft im Inneren des Gebäudes der Wasserdampfdruck weitaus höher ist als in der kalten Außenluft. Dem Konzentrationsgefälle folgend diffundiert der Wasserdampf durch die Wand und kühlt dabei ab (entsprechend der Temperaturverteilung, die sich in der Wand eingestellt hat). Wird an einer Stelle die Taupunkttemperatur unterschritten, kommt es dort zur Tauwasserbildung. Die Wand wird feucht. Dies allein ist noch nicht unbedingt schädlich. Falls im Winter nicht mehr Wasser kondensiert, als im nachfolgenden Sommer verdunstet, kann der Wasserausfall toleriert werden. Verdunstet jedoch im Sommer das in der Wand kondensierte Wasser nicht vollständig, wird das Bauteil im Lauf der Zeit immer feuchter, und es kann zu erheblichen Schäden kommen. Besonders problematisch sind Altbauten, die bei einer Sanierung mit einer innenliegenden Wärmedämmung versehen werden. Weil die Wand zuvor der Wärmeleitung kaum ein Hindernis entgegengesetzt

Abschnitt 3.6 Taubildung und Taupunkttemperatur

75

Abb. 3.19: Wärmebildaufnahme einer Raumecke

hat, wies sie als Ganzes eine relativ hohe Temperatur auf. Nach der Sanierung liegt sie außerhalb der wärmedämmenden Schicht und hat nun ungefähr die gleiche Temperatur wie die Außenluft. Die Taupunkttemperatur wird nahezu über die gesamte Wanddicke unterschritten. Wird die Wasserdampfdiffusion nicht durch eine Dampfsperre (z. B. eine luftdichte Kunststofffolie) verhindert, fällt Tauwasser in der Wand aus. Dies ist der Grund, warum man einer außenliegenden Wärmedämmung den Vorzug gibt, wann immer es möglich ist. An Innenwänden kann ebenfalls Wasser kondensieren. In schlecht wärmegedämmten Häusern sind vor allem die Raumecken gefährdet, die sich aufgrund ihrer exponierten Lage besonders stark abkühlen. Die Wärmebildaufnahme in Abb. 3.19 zeigt, dass im betreffenden Zimmer die Temperatur in der Raumecke nur 12 °C beträgt. Wird die Taupunkttemperatur unterschritten, so schlägt sich Wasser an der Wand nieder. Als Folge kann sich leicht Schimmel bilden, insbesondere wenn die Luftzirkulation durch Möbelstücke wie das im Bild noch sichtbare Bücherregal behindert wird. 3.6.5 Taupunkttemperatur und Wetter

Man kann sogar Wetterregeln mit der Taupunkttemperatur formulieren. Meteorologen kennen die Faustregel, dass die Taupunkttemperatur am Abend eine gute Abschätzung für die tiefste Temperatur in der Nacht ist. Physikalisch steckt dahinter die Verdampfungsenthalpie (vgl. S. 25), die bei der Kondensation des Wasserdampfes freigesetzt wird. In der Nacht kühlt der Boden ab, und infolgedessen sinkt auch die Temperatur der bodennahen Luftschichten. Bei der Taupunkttemperatur kommt die Abkühlung jedoch ins Stocken, da ähnlich wie in Abb. 2.7 beim Phasen-

76

Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

übergang von gasförmig nach flüssig die Temperatur des kondensierenden Wassers konstant bleibt. Die bei der Taubildung abgegebene Verdampfungsenthalpie puffert die Abkühlung von Luft und Boden ab. Häufig ist dies ausreichend, um das Absinken der Lufttemperatur unter die Taupunkttemperatur zu verzögern, bis die morgendliche Erwärmung durch die Sonne einsetzt. Für Obstbauern ist es wichtig, während der Blüte zu wissen, ob Nachtfrost droht. Die Taupunkt-Faustregel hilft auch hier weiter. Nachtfrostgefahr besteht, wenn die Taupunkttemperatur am Abend unter 0 °C liegt. Dann können Gegenmaßnahmen ergriffen werden, etwa eine Frostschutzberegnung, deren Wirkungsweise wiederum auf der Schmelzenthalpie (Schmelzwärme) des Wassers beruht, die beim Phasenübergang von flüssig nach fest freigesetzt wird (Abb. 3.20).

3.7 Nebel und Wolken Nicht nur an Oberflächen kann Wasser kondensieren. Nebel und Wolken bestehen aus sehr kleinen Wassertröpfchen, die sich durch die Kondensation von Wasserdampf bilden und nur einige Hundertstel Millimeter groß sind. Sie streuen das Licht und begrenzen dadurch die Sichtweite. Spontane Tröpfchenbildung im freien Raum kommt in der Atmosphäre nicht vor, auch wenn die Taupunkttemperatur unterschritten ist. Wassertröpfchen können entstehen, wenn Kondensationskerne vorhanden sind, kleine Staub- oder Salzpartikel, an die sich das kondensierte Wasser anlagern kann. Es gibt verschiedene Mechanismen der Nebelbildung. Der Bodennebel, den man am Morgen oft über den Wiesen und Feldern liegen sieht, bildet sich, wenn bei der Abkühlung der bodennahen Luftschichten in der Nacht die Tau-

Abb. 3.20: Obstbäume nach einer Frostschutzberegnung

Abschnitt 3.7 Nebel und Wolken

77

Abb. 3.21: Die Wolkenuntergrenze befindet sich in einer ganz bestimmten Höhe.

punkttemperatur erreicht wird. Im Verlauf des Morgens, wenn es allmählich wärmer wird, löst der Nebel sich meist wieder auf. Besonders hartnäckig sind die See- und Flussnebel, die sich beispielsweise im Donautal oder am Bodensee im Winter wochenlang halten können. Die Luft über dem relativ warmen Wasser reichert sich tagsüber durch Verdunstung mit Wasserdampf an. Wenn es nachts abkühlt, bildet sich Nebel. 3.7.1 Die Untergrenze der Wolken

In physikalischer Hinsicht unterscheiden sich Wolken und Nebel nicht; der Nebel ist gewissermaßen eine auf dem Boden aufliegende Wolke. Wolken entstehen normalerweise dadurch, dass wasserdampfhaltige Luft nach oben steigt und die Lufttemperatur dabei unter die Taupunkttemperatur sinkt. Oft beobachtet man eine scharfe Untergrenze der Wolken (Abb. 3.21). Die Kondensation erfolgt in einer ganz bestimmten Höhe. Mit Hilfe zweier Faustregeln kann man die Höhe der Wolkenuntergrenze abschätzen. Die erste dieser Faustregeln besagt, dass die Temperatur aufsteigender Luft um 1 °C je 100 m abnimmt. Wir werden sie in Kapitel 7 begründen. Nach der zweiten Faustregel nimmt auch die Taupunkttemperatur mit der Höhe ab, und zwar um 0,2 °C pro 100 m. Ursache dafür ist, dass der Atmosphärendruck – und damit auch der Wasserdampfdruck – mit der Höhe abnimmt, wodurch sich nach Tabelle B.1 auch die Kondensationstemperatur des Wasserdampfes verringert (vgl. Abschnitt 7.9). Insgesamt nähert sich die Lufttemperatur der

78

Kapitel 3 Phasenübergänge in der Natur – Dampf, Tau und Nebel

Taupunkttemperatur also um 0,8 °C pro 100 m. Zur Berechnung der Wolkenuntergrenze ermittelt man daher die Lufttemperatur und die Taupunkttemperatur am Boden und teilt die Differenz durch 0,8 °C/(100 m). Beispielaufgabe: Wolkenuntergrenze Zum Zeitpunkt der Aufnahme von Abb. 3.21 wurde im Tal auf 600 m Höhe eine Temperatur von 23 °C bei einer Luftfeuchtigkeit von 40 % gemessen (Wetterstation Innsbruck-Flughafen). Schätzen Sie aus diesen Angaben die Höhe der Wolkenuntergrenze ab. Lösung: Nach Tabelle B.5 liegt die Taupunkttemperatur im Tal bei 9 °C. Die Differenz zwischen Lufttemperatur und Taupunkttemperatur beträgt demnach 14 °C. Die Wolkenuntergrenze befindet sich also in einer Höhe

h=

14 ◦ C 0,8 ◦ C/100 m

= 1750 m

(3.13)

über dem Tal. Addieren wir dazu noch die Talhöhe von 600 m, ergibt sich für die Wolkenuntergrenze eine Höhe von etwa 2350 m über dem Meeresspiegel. Das ist etwas mehr als die Höhe der im Hintergrund sichtbaren Bergkette.

Das ideale Gas Cornelis Drebbels Wunderapparatur

4

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Kapitel 4 Das ideale Gas – Cornelis Drebbels Wunderapparatur

Abb. 4.1: Drebbels Apparat, dargestellt im Gemälde „Das Erzherzogspaar Albert und Isabella in einem Sammlerkabinett“ von Hieronymus Francken II und Jan Brueghel d. Ä. (ca. 1621)

4.1 Der Apparat von Cornelis Drebbel Zu der Zeit als Galileo Galilei Professor in Padua war, dort sein erstes Fernrohr baute und damit die Jupitermonde entdeckte, kam es in einem anderen Teil Europas zu einem etwas wunderlichen Zusammentreffen. Beim englischen König James I. bat ein wortgewandter Erfinder und Konstrukteur um Audienz. Sein Anliegen: die Demonstration eines perpetuum mobile, einer Konstruktion, die ohne äußeren Antrieb auf ewig in Bewegung bleibe. Der König willigte ein und Cornelis Drebbel, der Erbauer des Apparates, erschien bei Hofe. Sein Auftritt wird von einem Augenzeugen wie folgt geschildert: Alda ist zu Ihrer Maijt: (Majestät) ein Niderlendischer gahr schlechter Mann anzusehen, kommen, vnnd vor der Tafel da man gessen, nider gekniet, vnnd Ihr Maijt: seine dienst diser gestalt anpraesentirt, mit vermelden, er habe das mobile perpetuum gefunden, davon alle Philosophi sovil discurirt vnd nachgesetzet haben, vnnd Ihnen doch solches von Gott nicht geoffenbahret worden als Ihme, solches wolle er Ihr Maijt bey verlust seines Lebens darthuen, vnnd deroselben zusehen vnnd zuverstehen geben, also das man ihme glauben werde, darob der König als ein gelerter Herr, sich verwundert vnnd zu lachen angefangen, doch dise Antwortt geben, er wunderte der Rede nicht, sondern der grossen geheimnus, die so lange von anfang der Welt, allen hochgelerten Leuthen verborgen, und die allein vor Ihme aufgehaben worden . . . (Heinrich Hiesserle von Chodaw, Rais-Buch und Leben, 1612)1 1

zitiert nach www.drebbel.net

Abschnitt 4.1 Der Apparat von Cornelis Drebbel

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Drebbel ließ sich von dero Majestät allerhöchstem Spott nicht beirren und erlangte schließlich doch noch die Erlaubnis, dem König seinen Apparat vorzuführen. Im oben zitierten Bericht wird die Beschaffenheit seiner Konstruktion nicht sehr deutlich. Wir sind darüber jedoch aus anderen Quellen informiert. Es existieren einige Abbildungen in Gemälden und Zeichnungen (z. B. Abb. 4.1) und zeitgenössische Beschreibungen. Eine davon findet sich in einem Brief des Engländers John Speed aus dem Jahr 1604: Ein Herr aus den Niederlanden, der in Ipswich wohnt, hat ein „perpetuum mobile“ gebaut. [. . . ] Es ist eine Kugel oder ein runder Globus, der ohne Bewegung steht und auf dessen nördlicher und südlicher Seiten Zifferblätter angebracht sind. Diese sind mit einer Uhr oder Sonnenuhr verbunden und zeigen mit ihrer Bewegung den Lauf des Himmels an. Um die östliche und westliche Seite [der Kugel] steht ein Ring oder ein hohles Rohr aus Kristall, das sich nicht bewegt und zur Hälfte mit hellem Wasser gefüllt ist. Das Wasser steigt und sinkt mit den Gezeiten in allen Teilen der Welt, ohne dass man irgendeinen Mechanismus sehen könnte. Ich selbst bin dort so lange geblieben, dass ich das Wasser bis zu einer beträchtlichen Höhe im Rohr steigen sah, wobei der niedrige Teil des Kreises leer blieb. (zitiert nach Borrelli 2010)

Das Wundersame an Drebbels Apparatur lag für die Zeitgenossen in der selbständigen Bewegung des Wassers im ringförmigen Glasrohr. In Abb. 4.1 ist zu erkennen, dass der Wasserspiegel im linken Teil des Glasrohrs deutlich höher steht als im rechten. Im Laufe eines Tages änderte sich der Wasserstand, was von Drebbel mit dem Gang der Gezeiten in Verbindung gebracht wurde. Am meisten erstaunte die Beobachter, dass dies ohne jeden ersichtlichen äußeren Einfluss geschah: „Alle dise bewegungen gehe allzeit von sich selbst, und das man nichts darzue thut, welches für das wunderbahrlichste ding auf der Welt zusehen ist“. Auf die Behauptung Drebbels hin, sein Gerät funktioniere ohne äußeren Antrieb, „solange die Welt steht oder solange man es nicht zerbricht“, veranlasste der skeptische König eine experimentelle Untersuchung. Nach dem Augenzeugenbericht hat er das mobile perpetuum auf Lonnden in sein palatium führen lassen, vnnd dem Jungen Prinzen bevohlen, solchs selbst mit seiner aignen Hannd in seine Camer zuverpettschiren, vnnd einschliessen, welches auch geschahe. Nach 2 Monathen [. . . ] kam der König auf das mobile zusehen, ob es forttgehet oder stehet, hat er gefunden, das es unverletzt seinen forttgang mit dem wasser in dem Kristall , [. . . ] darüber sich der König hoch vnnd sehr verwündert vnnd nicht nachgelassen von dem Mann, solches wo es herkomme zu erforschen.

Nachdem König James sich auf diese Weise überzeugt hatte, dass er keinem Scharlatan aufgesessen war, ließ er Drebbels Apparat im Palast von Eltham ausstellen. Die Öffentlichkeit nahm regen Anteil an der Sehenswürdigkeit.

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Kapitel 4 Das ideale Gas – Cornelis Drebbels Wunderapparatur

Drebbel wurde in Abhandlungen und Theaterstücken erwähnt – vielleicht diente er sogar als Urbild für den Prospero in Shakespeares „Sturm“. Für reiche Sammler und Besitzer von fürstlichen Wunderkammern musste er weitere Exemplare bauen, und im Jahr 1610 wurde er nach Prag an den Hof des mehr an den Künsten als an der Politik interessierten deutschen Kaisers Rudolf II. eingeladen (der jedoch kurz nach Drebbels Ankunft abgesetzt wurde). Wie so viele Erfinder hatte Drebbel ein bewegtes Leben. Er konstruierte ein funktionierendes Unterseeboot, das er mit Erfolg in der Themse testete. Allerdings konnte er die Admiralität nicht von dessen Nützlichkeit überzeugen, und so ließ er sich gegen Ende seines Lebens als Wirt nieder: He was very poore, and in his later time kept an Ale-house below the [London] bridge. He had an invention of going under water which he used so advantageously, that many persons were perswaded that he was some strange monstar, and [by] that means drew many to see him and drink of his ale. (zitiert nach Marr 2006)

Drebbel war eine Persönlichkeit im Übergang zwischen zwei Zeitaltern. Auf der einen Seite standen die alten alchimistischen Vorstellungen, die uns in den Erläuterungen zu seinen Geräten begegnen und von denen er selbst sicher auch noch überzeugt war. Auf der anderen Seite entwickelte sich die neuzeitliche Wissenschaft, deren Ergebnisse er durchaus anzuwenden wusste. Seine zahlreichen Erfindungen zeigen, dass er ein versierter Konstrukteur war, der die technischen Funktionsmechanismen seiner Geräte durchschaute. Betrachten wir Drebbels Apparatur aus physikalischer Perspektive, so wird die geheimnisvolle Konstruktion, die die Zeitgenossen so in Erstaunen versetzte, geradezu entzaubert. Aus heutiger Sicht ist ihre Funktionsweise leicht durchschaubar; die elementaren Zusammenhänge des thermischen Verhaltens von Gasen genügen zum Verständnis. Drebbel selbst kann man seine blumigen Erklärungen nicht zum Vorwurf machen. Zur damaligen Zeit bildeten sich die Begriffe, die wir mit Selbstverständlichkeit verwenden, gerade eben heraus – und die Auseinandersetzung mit Drebbels Apparat hat dazu sicher einen kleinen Teil beigetragen. Zum Beispiel wurde das Wort „Gas“ (nach dem griechischen „Chaos“) durch van Helmont erst 1609 geprägt, zwei Jahre nach den oben geschilderten Ereignissen. Der Begriff „Luftdruck“ kam 40 Jahre später auf, und die Gasgesetze wurden zwischen 1660 und 1802 durch Boyle und Gay-Lussac formuliert. 4.1.1 Der innere Aufbau von Drebbels Apparat

Abb. 4.2 zeigt eine Rekonstruktion des inneren Aufbaus von Drebbels Apparat. Die zentrale Metallkammer ist hohl und enthält nichts außer der eingeschlossenen Luft. Ein senkrechtes Rohrstück verbindet die Kammer mit der ringförmigen Glasröhre, in der sich das Wasser befindet. Wichtig ist die luftdichte Ausführung dieser Verbindung, so dass sich in der Metallkammer ein Über- oder Unterdruck relativ zum Atmosphärendruck aufbauen kann. Auf

83

Abschnitt 4.1 Der Apparat von Cornelis Drebbel

Öffnung nach außen

Glasröhre

luftgefüllte Metallkammer

Wasser

Abb. 4.2: Rekonstruktion des Aufbaus von Drebbels Apparat

der anderen Seite ist der Glasring nicht geschlossen, sondern durch ein kleines Loch zur Umgebung hin geöffnet. Die Hin- und Herbewegung des Wassers in der Glasröhre geht auf zwei Effekte zurück, die wir zunächst qualitativ formulieren: (1) Wird die eingeschlossene Luft erwärmt, so steigt der Druck in der Metallkammer. Der Druckanstieg in der linken Seite der Glasröhre bewirkt, dass sich die Wassersäule nach rechts bewegt. Wenn dagegen die Temperatur sinkt, dann wandert die Wassersäule in die umgekehrte Richtung. (2) Steigt bei einem Wetterumschwung der Atmosphärendruck, der auf die rechte Wasseroberfläche wirkt, dann bewegt sich das Wasser im Glasrohr nach links. Beim Absinken des Atmosphärendrucks ist es umgekehrt. Die Bewegung des Wassers in der Glasröhre wird durch diese Mechanismen auf äußere Einflüsse (die täglichen Temperatur- und Luftdruckschwankungen) zurückgeführt. Sie erfolgt also nicht ohne äußere Ursache, und daher handelt es sich auch nicht um ein Perpetuum mobile. Bevor wir Drebbels Apparatur mit Hilfe der Gasgesetze quantitativ analysieren, müssen wir noch auf ihre Kalenderfunktion eingehen, die im oben zitierten Bericht erwähnt wird und die zur Faszination der Betrachter beträchtlich beitrug. Hier sind wir weniger gut informiert. Offenbar waren an der Metallkammer Zifferblätter angebracht, auf denen mehrere Zeiger verschiedene astronomische Informationen anzeigten: Monat und Tag, die Mondphase sowie die Stellung der Sonne im Tierkreis. Man kann nur spekulieren, dass der Zeigermechanismus durch die Bewegung des Wassers angetrieben und jeden Tag einen Schritt weitergerückt wurde (Borrelli 2010).

84

Kapitel 4 Das ideale Gas – Cornelis Drebbels Wunderapparatur

4.2 Die Zustandsgleichung des idealen Gases In den vorangehenden Kapiteln haben wir uns hauptsächlich mit den Eigenschaften von Wasserdampf beschäftigt. Dabei war uns die Wasserdampftafel ein unentbehrliches Hilfsmittel. Darin sind in Tabellenform die empirisch gefundenen Zusammenhänge zwischen den thermodynamischen Variablen des Dampfes zusammengestellt. Um Drebbels Apparatur zu analysieren, benötigen wir nun die thermischen Eigenschaften von Luft. Gibt es entsprechende Tabellen auch für Luft? Zum Glück ist dies gar nicht nötig. Statt seitenlanger Tabellen genügt eine einzige Gleichung – eine sogenannte Zustandsgleichung, die eine Beziehung zwischen den thermodynamischen Variablen einer Substanz herstellt. Diese Gleichung gilt nicht nur für Luft, sondern auch für fast alle anderen Gase. Sie beschreibt die thermischen Eigenschaften von Gasen mit einer Genauigkeit, die für die meisten praktischen Anwendungen ausreicht. 4.2.1 Eine Gleichung für alle Gase

Die vielen Experimente, die seit den Zeiten von Boyle und Gay-Lussac mit Gasen durchgeführt worden sind, haben eines gezeigt: Alle Gase verhalten sich grundsätzlich gleich. Ob es sich um Luft oder Argon, um Kohlenstoffdioxid oder Sauerstoff handelt: In thermodynamischer Hinsicht spielt die chemische Beschaffenheit keine Rolle. Sie alle werden von einer Formel beschrieben, die sich auf der Fläche einer kleinen Briefmarke niederschreiben lässt. Es ist die thermische Zustandsgleichung für das ideale Gas. Thermische Zustandsgleichung des idealen Gases: p · V = n · R · T.

(4.1)

Die Gleichung lässt sich als eine Beziehung zwischen den drei Variablen Temperatur, Druck und Volumen lesen. Kennt man zwei davon, kann man sich mit der Zustandsgleichung die dritte beschaffen. So leistet sie gerade das, wofür beim Wasserdampf die Tafel für den überhitzten Dampf (S. 411) zuständig ist. Beim Anwenden der Zustandsgleichung ist unbedingt darauf zu achten, dass in Gl. (4.1) die absolute Temperatur in Kelvin eingesetzt werden muss. Zur Erinnerung: Der Nullpunkt der Celsius-Skala liegt bei 273,15 K. Weiterhin ist n die Stoffmenge, die in Mol angegeben wird (vgl. Kasten 4.1), und R = 8,314 J/(mol · K) ist die schon aus der Clausius-Clapeyron-Gleichung bekannte allgemeine Gaskonstante (von der wir jetzt auch wissen, wie sie zu ihrem Namen kommt). Das ideale Gas ist eine Modellsubstanz, die in thermodynamischer Hinsicht durch Gl. (4.1) definiert wird. Im nächsten Kapitel werden wir uns genauer mit der Beschaffenheit dieser Modellsubstanz auf molekularer Ebene beschäftigen und die Zustandsgleichung im Rahmen der kinetischen Gastheorie mikroskopisch begründen.

Abschnitt 4.2 Die Zustandsgleichung des idealen Gases

85

Kasten 4.1 Was ist ein Mol? Chemiker handhaben sie mit Leichtigkeit, Physiker haben oft ihre Schwierigkeiten damit: die Stoffmenge und ihre Einheit Mol. Um das Mol zu definieren, begeben wir uns auf die Ebene der Mikrophysik und berücksichtigen, dass die Materie aus Atomen und Molekülen zusammengesetzt ist. Auf dieser Ebene ist das Mol einfach definiert: Ein Mol ist die Menge einer Substanz, die eine bestimmte Anzahl von Molekülen enthält, nämlich NA = 6,022 · 1023 . Diese Zahl wird als Avogadro-Zahl bezeichnet. Leider fällt das Zählen von so vielen Molekülen schwer. Daher muss man es in der Praxis durch Wiegen ersetzen. Hier wird es etwas kompliziert. Zuerst muss man herausfinden, aus welchen Bestandteilen das Molekül besteht. Ein Wassermolekül (H2 O) besteht z. B. aus zwei Wasserstoff- und einem Sauerstoffatom. Nun liest man im Periodensystem die Atomgewichte der entsprechenden Elemente ab (Wasserstoff: 1, Sauerstoff: 16) und addiert die Werte für alle Bestandteile des Moleküls (für Wasser also: 2 · 1 + 16 = 18). Das Ergebnis ist die Masse eines Mols der Substanz in Gramm. Ein Mol Wasser hat also eine Masse von 18 g. Entsprechend beträgt die Masse eines Mols für Stickstoffgas (N2 ) 2 · 14 g = 28 g, für Helium (He) sind es 4 g. In Tabelle B.8 sind die Molmassen einiger Stoffe zusammengestellt.

4.2.2 Einige Spezialfälle

Hält man neben der Stoffmenge eine der drei Variablen Druck, Volumen oder Temperatur konstant, ergeben sich Beziehungen zwischen den beiden verbleibenden Größen. Diese Beziehungen haben in der Literatur teilweise eigene Namen erhalten. (1) Gase dehnen sich aus, wenn sie bei konstantem Druck erhitzt werden (vgl. Abb. 2.6 auf S. 23). Das Volumen des Gases ist dann proportional zur (absoluten) Temperatur: V ∼ T,

wenn

p = konst.

(4.2)

Diese Beziehung ist als Gesetz von Gay-Lussac bekannt, der sich passenderweise auch einen Namen als Ballonfahrtpionier gemacht hat. (2) Gase lassen sich komprimieren, wenn man bei konstanter Temperatur den Druck erhöht. Das Gesetz von Boyle-Mariotte besagt, dass das Gasvolumen umgekehrt proportional zum Druck ist: V∼

1 , p

wenn

T = konst.

(4.3)

(3) Schließlich ist bei konstantem Volumen der Druck von Gasen proportional zur Temperatur: p ∼ T,

wenn

V = konst.

(4.4)

86

Kapitel 4 Das ideale Gas – Cornelis Drebbels Wunderapparatur

4.2.3 Andere Schreibweisen der Zustandsgleichung

Die in Kasten 4.1 eingeführte Avogadro-Zahl NA bezeichnet die Zahl der Moleküle in einem Mol, während die Stoffmenge n angibt, wie viele Mol des Gases sich im Volumen befinden. Wenn wir n mit NA multiplizieren, ergibt sich folglich die Gesamtzahl der im Volumen eingeschlossenen Gasmoleküle N. Damit können wir auf der rechten Seite von Gl. (4.1) schreiben:   R n · R = n · NA · = N · kB . (4.5) | {z } NA | {z } =N = kB

Die neue Konstante kB trägt den Namen Boltzmann-Konstante und hat den Wert kB = 1,38 · 10−23 J/K. Die Zustandsgleichung des idealen Gases nimmt damit die folgende Gestalt an: Zustandsgleichung des idealen Gases (alternative Schreibweise): p · V = N · kB · T.

(4.6)

Eine dritte Form der Zustandsgleichung geht vom spezifischen Volumen v = V/m aus. Sie ist für praktische Berechnungen im Ingenieurbereich nützlich: p · v = Rspez · T.

(4.7)

Vorteilhaft ist, dass diese Form keinen expliziten Bezug auf Stoffmenge oder Teilchenzahl mehr enthält – in der Gleichung kommen nur noch intensive Größen vor. Dieser Vorzug wird damit erkauft, dass auf der rechten Seite nun eine stoffabhängige spezifische Gaskonstante Rspez = R/mmol auftritt. Ihren Wert kann man für das jeweilige Gas in Tabelle B.8 nachschlagen oder aus der Molmasse mmol berechnen. Beispielaufgabe: Molvolumen idealer Gase Eigentlich ist es eine recht erstaunliche empirische Tatsache: Bei gleichem Druck und gleicher Temperatur besitzen alle Gase das gleiche Molvolumen. Ein Mol eines Gases nimmt bei einer Temperatur von 0 °C und Atmosphärendruck immer ein Volumen von 22,4 Liter ein, unabhängig davon, um welche Substanz es sich handelt. Begründen Sie diese Tatsache mit der Zustandsgleichung des idealen Gases. Lösung: Wir gehen von Gl. (4.1) aus und lösen nach dem Volumen auf:

V=

n·R·T . p

(4.8)

Für Temperatur und Druck setzen wir die „Normwerte“ 273,15 K und 1013 hPa ein. Weiterhin beträgt n genau ein Mol. Damit ergibt sich

V=

1 mol · 8,314 J/(mol · K) · 273,15 K = 0,0224 m3 = 22,4 Liter. 1013 hPa

(4.9)

Abschnitt 4.2 Die Zustandsgleichung des idealen Gases

87

Das Ergebnis illustriert die Aussage, dass sich fast alle Gase in thermodynamischer Hinsicht gleich verhalten. Sie lassen sich in guter Näherung durch das Modell des idealen Gases beschreiben, und die Vorhersage für das Molvolumen kommt den gemessenen Werten nahe. Beispielaufgabe: Masse der Luft in einem Zimmer Berechnen Sie die Masse der Luft, die sich in Ihrem Zimmer befindet. Lösung: Als Beispiel legen wir ein Zimmer mit den Abmessungen 5 m × 4 m × 2,50 m zugrunde. Sein Volumen beträgt 50 m3 . Für diese Aufgabe ist es zweckmäßig, von der Zustandsgleichung des idealen Gases in der Form von Gl. (4.7) auszugehen, denn um die Masse der Luft im Zimmer zu bestimmen, sind wir weder an der Teilchenzahl noch an der Stoffmenge interessiert, sondern an der Dichte der Luft (dem Inversen von v). Aufgelöst nach v ergibt sich:

v=

Rspez · T . p

(4.10)

Die spezifische Gaskonstante von Luft schlagen wir in Tabelle B.8 nach, sie beträgt 0,287 kJ / (kg · K). Die Temperatur des Zimmers sei 20 °C = 293,15 K; für den Druck setzen wir den normalen Atmosphärendruck von 1013 hPa ein. Mit der Umrechnung Pa = N/m2 = J/m3 erhalten wir:

v=

0,287 kPa · m3 /(kg · K) · 293,15 K m3 = 0,831 . 1013 hPa kg

(4.11)

Die Dichte von Luft ist der Kehrwert von v. Sie fällt als Nebenergebnis ab: Unter diesen Bedingungen beträgt sie 1,20 kg/m3 . Zur Masse gelangen wir über die Definition des spezifischen Volumens:

m=

V 50 m3 = = 60,2 kg. v 0,831 m3 /kg

(4.12)

Die Masse der Luft in einem 50 m3 großen Raum beträgt demnach 60 kg. Beispielaufgabe: Ist Wasserdampf ein ideales Gas? Überprüfen Sie an einem Beispiel, wie gut die Zustandsgleichung des idealen Gases für Wasserdampf gilt. Berechnen Sie dazu mit der Zustandsgleichung das spezifische Volumen bei einem Druck von 1,5 bar und einer Temperatur von 200 °C und vergleichen Sie mit der Wasserdampftafel für überhitzten Dampf. Lösung: Die spezifische Gaskonstante von Wasserdampf berechnen wir aus der Molmasse: Rspez = R/mmol = 0,462 kJ / (kg · K). In Gl. (4.7) setzen wir die in der Aufgabenstellung genannten Werte p = 1,5 bar und T = 200 °C = 473,15 K ein:

v=

0,462 kPa · m3 /(kg · K) · 473,15 K m3 = 1,457 . kg 1,5 · 105 Pa

(4.13)

Aus der Wasserdampftafel auf S. 411 lesen wir zum Vergleich den Wert 1,44 m3 /kg ab. Die Abweichung zum idealen Gas beträgt 1,2 %. In diesem Druck- und Temperaturbereich lässt sich Wasserdampf also in guter Näherung als ideales Gas auffassen. Inwieweit dies auch für andere Drücke und Temperaturen gilt, werden wir im folgenden Kapitel klären.

88

Kapitel 4 Das ideale Gas – Cornelis Drebbels Wunderapparatur

Luft

Luft

innen

patm

p

h

Wasser h0 p z

Schnitt

Abb. 4.3: Der Wasserstandsunterschied in einer U-förmigen Röhre hängt von der Differenz des Drucks auf beiden Seiten ab.

4.3 Drebbels Apparat als Barometer und Thermometer Qualitativ haben wir die Ursache der Wasserstandsschwankungen in Drebbels Apparat bereits erörtert: Das Gerät reagiert auf Temperaturänderungen und auf Änderungen des äußeren Luftdrucks. Da wir das Verhalten der eingeschlossenen Luft mit der Zustandsgleichung des idealen Gases beschreiben können, ist nun auch eine quantitative Beschreibung möglich. Wir entwickeln zunächst die vollständige Theorie des Apparats und betrachten dann, wie sich Temperatur- und Druckänderungen auf den Wasserstand auswirken. 4.3.1 Gleichgewichtsbedingung für eine U-förmige Wassersäule

In der Thermodynamik treten Flüssigkeitssäulen mit U-förmiger Gestalt in vielen Zusammenhängen auf. Bevor wir konkret auf Drebbels Apparat eingehen, formulieren wir die Gleichgewichtsbedingung für das in Abb. 4.3 dargestellte System: Wasser befindet sich in einem U-förmigen Glasrohr, das am linken Ende verschlossen und am rechten offen ist. Im rechten Schenkel herrscht wie im gesamten Außenraum der Atmosphärendruck patm . Die Luft im linken Schenkel ist im Innenraum eingeschlossen. Den dort herrschenden Druck bezeichnen wir mit pinnen . Im Wasser muss der Schweredruck berücksichtigt werden; der Druck nimmt mit der Tiefe gemäß Gl. (3.1) zu. In Gedanken legen wir nun durch die tiefste Stelle des U-Rohres einen Schnitt (strichpunktierte Linie). Auf beiden Seiten davon muss der gleiche Druck pSchnitt herrschen, denn die geringste Druckdifferenz würde das Wasser zum Strömen bringen. Wie groß der Druck pSchnitt ist, können wir auf zwei

Abschnitt 4.3 Drebbels Apparat als Barometer und Thermometer

89

Wegen berechnen. Für den rechten Schenkel des U-Rohres addieren wir den Schweredruck des Wassers und den Atmosphärendruck: pSchnitt = patm + ρW · g · h0 .

(4.14)

Hierbei ist ρW die Dichte von Wasser. Der gleiche Wert muss sich ergeben, wenn wir den linken Schenkel zur Berechnung heranziehen: pSchnitt = pinnen + ρW · g · (h0 + h).

(4.15)

Gleichsetzen der beiden Ausdrücke ergibt die Gleichgewichtsbedingung für eine U-förmige Wassersäule: pinnen = patm − ρW · g · h.

(4.16)

Die Wasserstandsdifferenz h gibt Auskunft über die unterschiedlichen Drücke in den beiden Hälften des U-Rohres. Ein einfacher Spezialfall der Gleichgewichtsbedingung ist das Gesetz der kommunizierenden Röhren: Wenn wir den linken Schenkel ebenfalls zur Atmosphäre hin öffnen (pinnen = patm ), stellt sich auf beiden Seiten der gleiche Wasserstand ein. Beispielaufgabe: Wasserbarometer Begründen Sie, warum das Wasser im geschlossenen Schenkel nicht höher als 10 m über den Wasserstand im offenen Schenkel steigen kann. Lösung: Um die maximal mögliche Steighöhe bei Atmosphärendruck zu ermitteln, lösen wir Gl. (4.16) nach h auf:

h=

patm − pinnen . ρW · g

(4.17)

Am geschlossenen Ende kann das Wasser nur dann höher als auf der offenen Seite stehen, wenn der Druck der eingeschlossenen Luft niedriger ist als der Atmosphärendruck (dann ist h positiv). Die größte Steighöhe ergibt sich für pinnen = 0. Die gesamte Luft im Innenraum muss abgesaugt werden (z. B. mit einer Vakuumpumpe), so dass dort ein verschwindender Luftdruck herrscht. Setzen wir die Werte ρW = 1000 kg/m3 und patm = 1013 hPa ein, dann ergibt sich:

h=

patm 1013 hPa = = 10,33 m. ρW · g 1000 kg/m3 · 9,81 m/s2

(4.18)

Die maximale Wasserstandsdifferenz in Abb. 4.3 beträgt also gut 10 m. Selbst wenn die geschlossene Röhre länger ist und die Vakuumpumpe noch so kräftig arbeitet: Höher als 10 m steigt das Wasser nicht. Über dem Wasserspiegel auf der geschlossenen Seite bleibt ein luftleerer Raum (der jedoch nicht völlig leer ist, denn es verdampft Wasser, bis der Wasserdampf-Sättigungsdampfdruck erreicht ist). Aus Gl. (4.18) können wir ablesen, dass die zehn Meter hohe Wassersäule ein Maß für den Atmosphärendruck patm ist. Sie hat das gleiche Gewicht wie die Luftsäule über der offenen Seite des U-Rohres. Die Luft, die auf dem Wasser in der rechten Hälfte

90

Kapitel 4 Das ideale Gas – Cornelis Drebbels Wunderapparatur

(a)

(b)

(c)

p

pinnen=0

10 m

p

innen

=0

10 m

76 cm

atm

patm

Abb. 4.4: (a) Der Atmosphärendruck lässt das Wasser im Strohhalm nicht höher als 10 m steigen. (b) Eine Unterdruckpumpe kann Wasser aus maximal 10 m Tiefe fördern. (c) Im Quecksilberbarometer steigt die Flüssigkeit bei Normaldruck 76 cm hoch.

lastet, ist demnach in der Lage, das Wasser auf der anderen Seite um 10 m gegen die Schwerkraft nach oben zu drücken. Ein 10 m hohes wassergefülltes U-Rohr kann somit als Barometer dienen. Handlicher ist ein Quecksilberbarometer, in dem wegen der höheren Dichte von Quecksilber die Flüssigkeit bei Normaldruck nur 76 cm hoch steigt (Abb. 4.4 (c)). Aus Gl. (4.17) folgt, dass man Wasser mit einem Strohhalm höchstens 10 m hoch saugen kann und dass auch eine Unterdruckpumpe Wasser aus höchstens 10 m Tiefe fördern kann (Abb. 4.4). Das wusste übrigens schon Galilei, der in seinen „Unterredungen“ schrieb: Der Apparat schaffte das Wasser gut und reichlich, sobald dasselbe im Brunnen eine gewisse Höhe erreichte, sobald aber das Wasser unter eine gewisse Höhe sank, arbeitete die Pumpe nicht mehr. Als ich das zum erstenmale sah, glaubte ich, die Pumpe sei verdorben, ich suchte den Meister auf, damit er sie zurecht mache, dieser aber versicherte, es fehle nichts, als dass das Wasser, welches zu tief stehe, nicht auf solche Höhe gehoben werden könne; und er fügte hinzu, dass weder mit Pumpen, noch mit anderen Maschinen, die das Wasser durch Attraction heben, es möglich sei, dasselbe ein Haar breit mehr als 18 Ellen ansteigen zu lassen, und seien die Pumpen weit oder eng, es bleibe dieses die äußerste Hubhöhe.

91

Abschnitt 4.3 Drebbels Apparat als Barometer und Thermometer

Glasröhre

½ Dh

DV

h2 h 1

p

atm

eingeschlossene Luft innen , , ½ Dh

Abb. 4.5: Skizze von Drebbels Apparat mit den bei der Berechnung verwendeten Bezeichnungen

Wasser

4.3.2 Theorie von Drebbels Apparat

Die Überlegungen zum Wasserstand in der U-förmigen Röhre erleichtern unser Vorhaben, die Wirkung von Temperatur- und Druckänderungen auf den Wasserstand in Drebbels Apparat quantitativ zu untersuchen. Zwischen zwei Messungen der Wasserstandshöhe soll sich der Atmosphärendruck um ∆patm von patm auf patm ändern, die Temperatur um ∆T von T1 auf T2 . Wir wollen 2 1 herausfinden, wie groß die dadurch verursachte Änderung ∆h = h2 − h1 in der Wasserstandsdifferenz zwischen den beiden Schenkeln ist (Abb. 4.5). Nach Gl. (4.16) gilt für die Wasserstandsdifferenzen h1 und h2 vor und nach der Änderung von Luftdruck und Temperatur: pinnen = patm − ρW · g · h1 , 1 1 pinnen = patm − ρW · g · h2 . 2 2

(4.19)

Subtraktion der beiden Gleichungen ergibt: ∆pinnen = ∆patm − ρW · g · ∆h.

(4.20)

Diese Gleichung verknüpft ∆h mit der Änderung des Drucks pinnen , der in der zentralen Metallkammer herrscht. Die dort eingeschlossene Luft können wir mit der Zustandsgleichung des idealen Gases beschreiben. Sie besagt, dass: pinnen · V1 pinnen · V2 2 = 1 . T2 T1

(4.21)

Weil wir die Änderungen von Druck, Temperatur und Volumen miteinander verknüpfen wollen, schreiben wir die Gleichung folgendermaßen: 

 pinnen · V1 innen 1 pinnen + ∆p · V + ∆V = · ( T1 + ∆T ) . ( ) 1 1 T1

(4.22)

92

Kapitel 4 Das ideale Gas – Cornelis Drebbels Wunderapparatur

Beim Ausmultiplizieren können wir den kleinen Term ∆pinnen · ∆V vernachlässigen und erhalten:   ∆V innen innen ∆T ∆p = p1 − . (4.23) T1 V1 Dieser Ausdruck für ∆pinnen wird in die Gleichgewichtsbedingung Gl. (4.20) eingesetzt:   ∆T ∆V pinnen − = ∆patm − ρW · g · ∆h. (4.24) 1 T1 V1 Um aus dieser Gleichung ∆h berechnen zu können, müssen wir noch wissen, wie die Volumenänderung ∆V der eingeschlossenen Luft mit ∆h zusammenhängt, d. h. wir müssen die spezifische Geometrie der Apparatur angeben. Aus Abb. 4.5 lesen wir ab: ∆V = − 12 A · ∆h,

(4.25)

wobei A die Querschnittsfläche des Glasrohres ist. Nun können wir Gl. (4.24) nach ∆h auflösen, wobei wir noch einmal die Zustandsgleichung in der Form (4.7) benutzen, um den Ausdruck pinnen /T1 durch die spezifische Gaskonstan1 te und die Dichte von Luft auszudrücken: pinnen /T1 = ρL · Rspez . Damit erhal1 ten wir für ∆h: ∆patm − ρL · Rspez · ∆T ∆h = . (4.26) pinnen · A ρW · g + 1 2V 1

Diese Gleichung beschreibt die durch Temperatur- und Luftdruckschwankungen hervorgerufene Wasserstandsänderung in Drebbels Apparat. 4.3.3 Drebbels Apparat als Barometer

Betrachten wir zunächst nur eine Änderung des Atmosphärendrucks bei konstanter Temperatur. Gl. (4.26) wird dann zu: ∆h =

∆patm ρW · g +

pinnen ·A 1 2V1

.

(4.27)

Legen wir zur Berechnung die Größenverhältnisse zugrunde, die wir näherungsweise aus Abb. 4.1 ablesen können. Das Volumen der in der Metallkammer eingeschlossenen Luft beträgt etwa 30 Liter = 0,03 m3 . Den Röhrenradius schätzen wir mit 2 cm ab, so dass sich A = π · (0,02 m)2 = 1,26 · 10−3 m2 für die Querschnittsfläche der Röhre ergibt. Weiterhin setzen wir für pinnen den 1 gewöhnlichen Atmosphärendruck von 1000 hPa ein. Mit diesen Werten ermitteln wir die Änderung der Wasserstandsdifferenz, die sich für einen Luftdruckanstieg von 10 hPa ergibt: ∆h = 0,083 m = 8,3 cm.

(4.28)

Abschnitt 4.3 Drebbels Apparat als Barometer und Thermometer

93

Abb. 4.6: Das Goethe-Barometer funktioniert physikalisch nach dem gleichen Prinzip wie Drebbels Apparat.

Für einen relativ kleinen Luftdruckunterschied ist das eine ganz beachtliche Wasserstandsänderung. Beim Übergang von einer Tiefdruck- zu einer Hochdruckwetterlage ändert sich der Luftdruck normalerweise um etwa 30 hPa, und entsprechend groß fällt der Effekt in Drebbels Apparat aus. Goethe-Barometer Auf Kunsthandwerksmärkten kann man am Glasbläserstand ein sogenanntes Goethe-Barometer kaufen (Abb. 4.6). Der wechselnde Wasserstand in seinem „Schnabel“ soll Veränderungen des Luftdrucks anzeigen. Ein Tiefdruckgebiet kündigt sich durch das Ansteigen des Wassers an, während der Hochdruck bei schönem Wetter zum Sinken des Wasserstandes führt. Das Goethe-Barometer funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie Drebbels Apparat. Die eingeschlossene Luft reagiert auch hier auf Druck- und Temperaturänderungen. Daher gilt Gl. (4.24) auch für das Goethe-Barometer. Aufgrund der etwas abweichenden Geometrie, und weil man beim GoetheBarometer ∆h besser mit umgekehrtem Vorzeichen definiert, ergibt sich ein anderer Zusammenhang für die Volumenänderung. Es ist nun ∆V = + A · ∆h, denn die Wasserstandsänderung im Inneren ist vernachlässigbar klein. Damit gilt analog zu Gl. (4.26): ∆h = −

∆patm − ρL · Rspez · ∆T ρW · g +

pinnen ·A 1 V1

.

(4.29)

94

Kapitel 4 Das ideale Gas – Cornelis Drebbels Wunderapparatur

Kasten 4.2 Atmosphärische Uhren

Von Drebbel ausgehend zieht sich die Geschichte des „atmosphärischen Perpetuum mobiles“ weiter durch die Jahrhunderte. Bis heute ist sie nicht abgeschlossen. James Cox stellte um 1760 eine Uhr vor, die niemals aufgezogen werden musste. Er war ein erfolgreicher Juwelier und Unternehmer, zu dessen Werken auch die Pfauenuhr in der Petersburger Eremitage gehört. Seine Uhr beruhte auf der wechselnden Höhe der Flüssigkeitssäule in einem großen, fünf Liter Quecksilber fassenden Barometer. Ein ausgeklügelter Mechanismus verband das Aufzugsrad der Uhr mit dem Barometer. Er sorgte dafür, dass das Rad immer in die gleiche Richtung gedreht wurde, unabhängig davon, ob der Barometerstand stieg oder fiel. Die Uhr lief bis 1830 in Cox’ Museum mechanischer Apparate. Ende des 19. Jahrhunderts gelangte sie in das Londoner Victoria and Albert Museum, wo sie auch heute noch steht. Ein Welterfolg mit 750 000 gebauten Exemplaren wurde die Konstruktion, die JeanLéon Reutter 1927 unter dem Namen „Atmos“ vorstellte (Abbildung oben). Sie bezieht ihre Energie aus kleinsten Temperaturänderungen. In einer Druckdose befindet sich eine Flüssigkeit (Chlorethan), deren Sättigungsdampfdruck stark temperaturabhängig ist. Durch den sich ändernden Gasdruck dehnt sich die Druckkammer gegen eine Feder aus. Diese geringe Bewegung reicht aus, um das Uhrwerk aufzuziehen.

Hierbei ist A die Querschnittsfläche des Schnabels. Die Wasserstandsänderungen fallen beim Goethe-Barometer geringer aus als bei Drebbels Apparat, da aufgrund der geringen Menge der eingeschlossenen Luft das Verhältnis A/V1 ungünstiger ist. Für das in Abb. 4.6 gezeigte Gerät finden wir, dass der Wasserstand um etwa 3 cm absinkt, wenn der Luftdruck um 10 hPa ansteigt. Weil das Goethe-Barometer auch auf Temperaturänderungen reagiert, ist es als Barometer allerdings nur bedingt tauglich.

95

Abschnitt 4.3 Drebbels Apparat als Barometer und Thermometer 4.3.4 Drebbels Apparat als Thermometer

Wie reagiert Drebbels Apparat auf Temperaturänderungen bei konstantem Atmosphärendruck? Wir werten Gl. (4.26) für ∆patm = 0 aus, wobei wir aus Tabelle B.8 die spezifische Gaskonstante und die Dichte von Luft benötigen. Für einen Temperaturanstieg von 1 °C ergibt sich: ∆h = −0,031 m = −3,1 cm.

(4.30)

Das negative Vorzeichen bedeutet, dass der Wasserstand im linken Schenkel fällt (das eingeschlossene Gas dehnt sich bei einer Temperaturerhöhung aus). Bei konstantem Luftdruck kann der Apparat also auch als Thermometer dienen. Weil die Thermometersubstanz (die eingeschlossene Luft) ein Gas ist, spricht man von einem Gasthermometer. 4.3.5 Gasthermometer

Gase sind als Thermometersubstanz in der Handhabung zwar recht unpraktisch, aber von einem grundsätzlichen Standpunkt ist die Idee des Gasthermometers überaus fruchtbar. Flüssigkeitsthermometer können an bestimmten Fixpunkten kalibriert werden (z. B. dem Tripelpunkt und dem Siedepunkt von Wasser). Wer aber garantiert, dass ein Alkohol- und ein Quecksilberthermometer auch bei anderen Temperaturen das Gleiche anzeigen? Die Anomalie des Wassers (das seine größte Dichte bei 4 °C hat) sollte uns in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend machen. Das große Problem der Temperaturmessung besteht darin, eine Temperaturskala festzulegen, die unabhängig von den meist nur unzureichend verstandenen Materialeigenschaften einzelner Stoffe ist. Das ideale Gas als Thermometersubstanz löst dieses Problem. Bei konstantem Volumen ist der experimentell leicht messbare Druck proportional zur

Markierung h p, T, V Abb. 4.7: Beim Gasthermometer bleibt das Volumen des eingeschlossenen Gases konstant. Durch Heben oder Senken des rechten Schenkels wird der Flüssigkeitsspiegel im linken Schenkel immer auf der Höhe einer fest angebrachten Markierung gehalten.

0

eingeschlossenes Gas

Quecksilber flexibler Schlauch

96

Kapitel 4 Das ideale Gas – Cornelis Drebbels Wunderapparatur

Temperatur. Misst man also den Druck des idealen Gases bei einer Referenztemperatur (z. B. am Tripelpunkt des Wassers), kann man jede andere Temperatur mit einer Druckmessung ermitteln: T=

p ·T . pref ref

(4.31)

In der Praxis bedeutet es nur eine geringe Einschränkung, dass sich wirkliche Gase nur näherungsweise wie das ideale Gas verhalten. Durch den Abgleich von Messungen mit verschiedenen Gasen kann man eine zufriedenstellende Temperaturskala festlegen. Die Voraussetzung konstanten Volumens ist auf schlicht-raffinierte Weise im Gasthermometer von Jolly realisiert (Abb. 4.7). Das von einem beweglichen Schlauch gebildete U-Rohr ist mit Quecksilber gefüllt. Der Flüssigkeitsspiegel im linken Schenkel wird durch Heben oder Senken des rechten Schenkels immer auf einer Höhe gehalten, so dass das Volumen des eingeschlossenen Gases konstant bleibt. Der Flüssigkeitsstand im rechten Schenkel misst dann über die Gleichgewichtsbedingung (4.16) den gesuchten Gasdruck.

5 Kinetische Gastheorie

98

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie

5.1 Die Begründung der Thermodynamik aus der klassischen Mechanik Auf unserem bisherigen Weg durch die Thermodynamik haben wir mit dem Druck und der Temperatur neue physikalische Größen eingeführt, die der klassischen Mechanik fremd sind. Weitere Begriffe wie innere Energie oder Entropie werden folgen. Die neuen thermodynamischen Variablen stehen zunächst unverbunden neben denen der klassischen Mechanik. Es stellt sich die Frage, ob den neuen Größen auch gänzlich neue Eigenschaften der Materie entsprechen – wie es etwa in der Elektrizitätslehre bei der elektrischen Ladung oder dem Magnetfeld der Fall ist, die im begrifflichen Rahmen der klassischen Mechanik keinen Platz finden. Oder lassen sie sich – gegebenenfalls mittels geeigneter Modelle – auf mechanische Begrifflichkeiten zurückführen? Die kinetische Gastheorie zeigt, dass ein solcher Ansatz, der die Begriffe der Thermodynamik durch diejenigen der klassischen Mechanik erklärt, tatsächlich mit Erfolg durchgeführt werden kann. Diese hart errungene Erkenntnis war einer der großen Erfolge der Physik im 19. Jahrhundert. Mikroskopische Beschreibung Damit die angestrebte Rückführung der thermodynamischen Begriffe auf die Mechanik gelingt, müssen wir von der makroskopischen zur mikroskopischen Beschreibungsebene wechseln und uns in die Welt der Moleküle begeben. Bisher war der Druck durch eine makroskopische Messvorschrift bestimmt, etwa über den Flüssigkeitsstand in den Schenkeln eines U-Rohres. Dieser Definition geben wir nun eine mikroskopische Grundlage. In der kinetischen Gastheorie betrachten wir Gasmoleküle, die auf eine Gefäßwand treffen und dabei Impuls übertragen. Der Druck des Gases wird durch diesen Impulsübertrag definiert, also über eine mikroskopische mechanische Größe. Notwendigkeit statistischer Methoden Kennzeichnend für die kinetische Gastheorie ist der Übergang zu einer statistischen Beschreibung. Hier liegt auch das eigentlich Neue gegenüber der klassischen Mechanik. Statt die Bahnen und Geschwindigkeiten der einzelnen Teilchen zu verfolgen, wird eine große Anzahl von Teilchen als statistische Gesamtheit betrachtet. Die makroskopischen thermodynamischen Variablen gehen durch Mittelwertbildung aus den mikroskopischen Bewegungsgrößen hervor – so ist zum Beispiel die Temperatur eng mit der mittleren kinetischen Energie der Gasteilchen verknüpft. Die statistische Vorgehensweise ist einerseits durch die bloße Notwendigkeit diktiert. Die Systeme, mit denen wir in der Thermodynamik umgehen, enthalten sehr viele Teilchen. So befinden sich etwa in einem winzig kleinen Würfel mit einem Drittel Mikrometer Kantenlänge schon eine Million Luftmoleküle. Bei dieser unvorstellbar großen Zahl von Teilchen ist an eine individuelle Beschreibung gar nicht zu denken. Auf der anderen Seite ist die Reduktion an Komplexität, die die statistische Betrachtungsweise mit sich bringt, auch sehr fruchtbar. Es ist nämlich keineswegs selbstverständlich, dass sich

Abschnitt 5.2 Mikroskopisches Modell des idealen Gases

99

Abb. 5.1: Schematische Darstellung des mikroskopischen Modells für das ideale Gas

ein mikroskopisch derart komplexes Geschehen überhaupt sinnvoll mit nur wenigen Variablen beschreiben lässt. Man unterscheidet gewöhnlich die kinetische Gastheorie von der statistischen Mechanik und der Quantenstatistik. Die kinetische Gastheorie zieht nur elementare statistische Methoden zur Beschreibung heran. Daher sind ihr nur einfache Modellsysteme zugänglich, in erster Linie das ideale Gas. Komplexeren Systemen muss man mit verfeinerten statistischen Herangehensweisen begegnen. Dies geschieht in der statistischen Mechanik. Berücksichtigt man noch die Quantennatur der Materie, legt man also die Quantenmechanik statt der klassischen Mechanik zugrunde, gelangt man zur Quantenstatistik. In diesem Buch wollen wir uns auf die einfachen Modelle der kinetischen Gastheorie beschränken.

5.2 Mikroskopisches Modell des idealen Gases Im vorangegangenen Kapitel haben wir das ideale Gas rein phänomenologisch beschrieben. Unsere Definition lautete: Ein ideales Gas ist das, was der Zustandsgleichung p · V = n · R · T gehorcht. Eine abstrakt definierte Substanz also, die ihre Rechtfertigung daraus bezieht, dass die in der Wirklichkeit vorkommenden Gase sich damit gut beschreiben lassen. Das mikroskopische Modell der kinetischen Gastheorie gibt eine konkretere Vorstellung von der Beschaffenheit des idealen Gases. Die Gasmoleküle werden durch Teilchen modelliert, die sich nach den Gesetzen der klassischen Mechanik bewegen. Quantenmechanische Effekte werden nicht berücksichtigt. Folgende Modellannahmen werden zugrunde gelegt (Abb. 5.1): (1) Die Gasteilchen bewegen sich geradlinig und mit konstanter Geschwindigkeit, solange sie nicht zusammenstoßen. (2) Ein Stoß zwischen zwei Gasteilchen erfolgt elastisch. Energie und Impuls bleiben erhalten. Das Modell setzt voraus, dass der Abstand zweier Gasteilchen normalerweise so groß ist, dass anziehende oder abstoßende Kräfte zwischen ihnen vernachlässigt werden können. Anders als in einem Flüssigkeitstropfen oder einem

100

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie

Festkörper sollen im Gas auch keine Bindungskräfte wirken. Diese Annahme spiegelt die experimentelle Erfahrung wider, dass Gase keine Kohäsion, keinen inneren Zusammenhalt zeigen. Sie strömen frei auseinander, wenn man die begrenzenden Gefäßwände entfernt. Die freie Bewegung der Gasteilchen soll nur kurzzeitig durch Stöße unterbrochen werden. Über die Details der Wechselwirkung während eines Stoßes müssen wir nichts wissen. Wir müssen nur voraussetzen, dass Energie- und Impulserhaltung gelten.

5.3 Statistische Beschreibung des Drucks 5.3.1 Die makroskopische Druckdefinition

Bevor wir uns mit der mikroskopischen statistischen Deutung des Drucks befassen, rufen wir uns seine makroskopische Definition noch einmal ins Gedächtnis. Sie lässt sich am besten anhand der Funktionsweise des in Abb. 5.2 dargestellten Dosenbarometers verdeutlichen. Es besteht aus einem festen, luftleer gepumpten Gehäuse, das durch eine bewegliche Membran von der Atmosphäre abgetrennt ist. Der Atmosphärendruck verschiebt die Membran gegen die Kraft einer Feder nach innen. Je höher der Atmosphärendruck, umso stärker wird die Membran nach innen verschoben. Über einen Hebelmechanismus, der in der Abbildung nicht dargestellt ist, wird die Verschiebung in einen Zeigerausschlag umgesetzt. An der Membran herrscht Kräftegleichgewicht zwischen der Federkraft von innen und der Kraft, mit der die Luft von außen drückt. Die quantitative Druckdefinition verknüpft diese Kraft mit der Fläche der Membran. Ein Gas, in dem der Druck p herrscht, übt auf eine Fläche A, mit der es in Berührung steht, eine Kraft F aus. Dabei gilt unabhängig von der Lage oder der Orientierung der Fläche: p=

F . A

(5.1)

Der Druck ist nicht der Membran oder der Feder zugeordnet. Das Messgerät zeigt nur eine Eigenschaft der umgebenden Luft an. Diese Eigenschaft kann man sich am besten als „Gepresstsein“ veranschaulichen. Im Einklang mit dieser Vorstellung ist der Druck, anders als die Kraft, eine ungerichtete Größe. Daher kann man das Dosenbarometer in alle Richtungen drehen und wenden – die Auslenkung der Membran bleibt immer gleich. Die Druckdefinition (5.1) gilt für Flüssigkeiten ebenso wie für Gase. Das Gepresstsein der Festkörper dagegen wird durch den Begriff der mechanischen Spannung beschrieben, für die kompliziertere Gesetzmäßigkeiten gelten.

101

Abschnitt 5.3 Statistische Beschreibung des Drucks

Gas oder Flüssigkeit Fläche A

Druck p Federkraft F Abb. 5.2: Dosenbarometer zur Veranschaulichung der makroskopischen Druckdefinition

Abb. 5.3: Mikroskopische Definition des Drucks durch einzelne Stoßprozesse

5.3.2 Mikroskopische Deutung des Drucks

Zur mikroskopischen Deutung des Drucks ziehen wir das oben erläuterte Modell des idealen Gases heran. Die Kraft auf die Membran des Dosenbarometers wird durch Molekülstöße erklärt. Die Gasmoleküle befinden sich in ungeordneter Bewegung. In unregelmäßigen Abständen trifft eines der Teilchen auf die Membran und prallt daran ab (Abb. 5.3). Bei der Kollision wirkt kurzzeitig eine Kraft, die die Membran nach innen treibt. In jeder Sekunde stößt eine große Anzahl von Molekülen mit verschiedenen Geschwindigkeiten gegen die Membran, die dadurch eine ganze Folge von kurzen, unterschiedlich starken Stößen erfährt (Abb. 5.4). Die Kraft auf die Membran ist nicht konstant, der Kraftverlauf hat die Form eines „Zackengebirges“. Dies macht es notwendig, die Druckdefinition aus Gl. (5.1) zu modifizieren. In der kinetischen Gastheorie wird der Druck über das zeitliche Mittel der Kraft definiert: ⟨ F⟩ p= . (5.2) A

102

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie

Kasten 5.1 Eine Espressomaschine als Druckwandler

Oberseite Kolben

Unterseite Kolben

Hohe Drücke erzeugt man gewöhnlich mit einer Pumpe. Dass es auch einfacher geht, zeigt die oben abgebildete Espressomaschine „Bacchi“. Ihre Funktionsweise wird im Katalog des Warenhauses Manufactum folgendermaßen beschrieben: Elektrische oder elektromechanische Bauteile und Pumpen sucht man bei dieser Espressomaschine vergebens – sie funktioniert allein mit Dampfdruck. In der unteren der beiden Wasserkammern im Boden des Geräts wird wenig Wasser auf eine Temperatur von mehr als 140 °C erhitzt. Der dadurch entstehende Dampfdruck (etwa 3 bar) bewegt einen Kolben nach oben, der (jetzt wird es ein wenig kompliziert) den Druck auf die im Kaffeewasserbehälter befindliche Flüssigkeit auf etwa 9 bar erhöht. Ein konstruktiver Trick: Allein durch die Reduzierung des Kolbendurchmessers im Wasserbehälter wird exakt der zur Bereitung eines „richtigen“ Espresso nötige Wasserdruck erreicht. (www.manufactum.de) Wie es unter Physikern Brauch ist, interessiert uns die Passage nach „jetzt wird es ein wenig kompliziert“ am meisten. Darin wird der rein mechanische Druckwandler beschrieben, der sich im Inneren der „Bacchi“ befindet. Es handelt sich um den Kolben zwischen unterer und oberer Wasserkammer, der an beiden Enden unterschiedliche Querschnittsflächen aufweist. An der Unterseite beträgt sein Durchmesser 10,0 cm, an der Oberseite 6,0 cm (Abbildung oben und auf der folgenden Seite). Die Kraft, die der Dampf von unten auf den Kolben ausübt, ist ebenso groß wie die Kraft, mit der das Wasser oben durch das Kaffeemehl gepresst wird (der Einfachheit halber lassen wir die Kraft der Rückstellfeder außer Acht). Der Kolben ist unbeschleunigt; nach dem zweiten newtonschen Gesetz herrscht Kräftegleichgewicht.

103

Abschnitt 5.3 Statistische Beschreibung des Drucks

Wie groß der Druck in der oberen Wasserkammer ist, können wir mit Hilfe von Gl. (5.1) beantworten. Wir setzen Foben = Funten und erhalten:

poben · Aoben = punten · Aunten ,

p=? 6 cm

(5.3)

so dass:

poben = punten ·

Aunten . Aoben

(5.4)

Kolben

Einsetzen der im Text genannten Werte liefert:

10 cm

π 2 4 (10 cm) π 2 4 (6 cm)

p = 3 bar

poben = 3 bar ·

= 8,3 bar.

(5.5)

Das Wasser in der oberen Kammer wird mit einem Druck von mehr als 8 bar durch das Kaffeepulver gepresst. Der mechanische Druckwandler, der dies bewirkt, ist eine einfache, aber intelligente Anwendung der Druckdefinition (5.1).

Die spitzen Klammern in Gl. (5.2) stehen für die zeitliche Mittelung über ein hinreichend großes Zeitintervall (über viele Zacken). In Abb. 5.4 ist die mittlere Kraft ⟨ F ⟩ auf die Membran als waagerechte Linie eingezeichnet. Als Folge der fluktuierenden Kraft bleibt die Membran niemals streng in Ruhe. Nur im zeitlichen Mittel herrscht Kräftegleichgewicht. Könnte man die Position der Membran genau genug verfolgen, würde man eine winzige, unregelmäßige Zitterbewegung feststellen – ein Phänomen, das man brownsche Bewegung nennt und das wir in Abschnitt 5.7 ausführlicher behandeln werden. Von Bedeutung ist diese Schwankungserscheinung deshalb, weil sich hier die statistische Natur der thermodynamischen Größen zum ersten Mal bemerkbar macht. Wir begegnen einer experimentell nachweisbaren Abweichung von der makroskopischen Thermodynamik, die auf die atomare Struktur der Materie zurückzuführen ist. 10 F(t)

60 Stöße

8 6

Abb. 5.4: In unregelmäßiger Folge prallen Moleküle gegen die Membran. Der resultierende Kraftverlauf hat die Form eines „Zackengebirges“.

mittlere Kraft áFñ

4 2

t

104

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie

F(t)

F(t)

50

500

40

400

30

300

20

200

áFñ

áFñ

100

10

t

t

Abb. 5.5: Mit zunehmender Zahl der Stöße sinkt die Größe der relativen Schwankungen im Kraftverlauf.

Den Verlauf der Kraft auf die Membran können wir mit dem Geräusch von Regentropfen vergleichen, die auf ein Blechdach fallen. Setzt der Regen ein, kann man den Aufprall der einzelnen Tropfen deutlich unterscheiden. Wird der Regenguss stärker, verschmilzt das Prasseln der einzelnen Tropfen nach und nach zu einem gleichmäßigen Rauschen. Etwas Ähnliches geschieht mit der Kraft auf die Membran, wenn man sukzessive die Zahl der Stöße erhöht. In Abb. 5.4 wird die Kraft durch eine kleine Zahl von Stößen (n = 60) im betrachteten Zeitintervall modelliert. Es ergibt sich ein stark schwankender Kraftverlauf. Wie sich dies ändert, wenn in jeder Sekunde mehr Teilchen gegen die Membran prallen, können wir in Abb. 5.5 für 1000 und 10 000 Stöße verfolgen. Der Kraftverlauf scheint gleichmäßiger zu werden, die Kurven werden „glatter“. Tatsächlich nimmt die relative Größe der Schwankungen ab. Es handelt sich um ein typisches Beispiel für das Gesetz der großen Zahlen: Weil durch die vermehrte Zahl der Molekülstöße die Kraft auf die Membran insgesamt größer wird, fallen die Schwankungen nicht mehr so stark ins Gewicht. Für große Teilchenzahlen lässt sich auf diese Weise der Anschluss an die makroskopische Druckdefinition herstellen, die von einer konstanten Kraft ausgeht.

5.4 Zustandsgleichung des idealen Gases Die kinetische Gastheorie macht es sich zur Aufgabe, die Zustandsgleichung des idealen Gases aus der in Gl. (5.2) gegebenen statistischen Definition des Drucks und den Modellannahmen von S. 99 herzuleiten. Wir folgen dazu einem Gedankengang, der schon 1738 von Daniel Bernoulli angestoßen und erst mehr als 100 Jahre später zu Ende geführt wurde (u. a. von Herapath, Krönig, Clausius, Maxwell und Boltzmann). Wir betrachten ein Gefäß mit dem Volumen V, in dem sich N Gasteilchen befinden sollen. Im Modell der Molekülstöße berechnen wir den Gasdruck auf ein Teilstück der Gefäßwand. Wir gehen dazu in drei Schritten vor. Um das Prinzip zu verdeutlichen, analysieren wir zunächst eine stark vereinfachte Situation. In den folgenden Schritten wird das Modell dann nach und nach realistischer gestaltet.

105

Abschnitt 5.4 Zustandsgleichung des idealen Gases

–u

Wand

u

Abb. 5.6: Zunächst besitzen die Moleküle eine einheitliche Geschwindigkeit. Bei einem elastischen Stoß gegen die Wand (grau unterlegt) ändert sie sich von u auf −u.

Erster Schritt: Eindimensional, einheitliche Molekülgeschwindigkeit Die Moleküle sollen sich zunächst genau senkrecht zur Wand bewegen. Wir nehmen an, dass sie bei einem Stoß elastisch reflektiert werden (Abb. 5.6). Wie generell bei Stoßprozessen ist es vorteilhaft, Energie- und Impulserhaltungssatz zu verwenden (vgl. Band I, Kapitel 11). Für elastische Stöße besagen sie: Nähert sich ein Molekül der Wand mit der Geschwindigkeit u, dann prallt es von ihr ab und besitzt nach dem Stoß die gleich große, aber entgegengesetzt gerichtete Geschwindigkeit −u. Vor dem Aufprall beträgt der Impuls des Moleküls m · u. Danach, wenn es in die entgegengesetzte Richtung läuft, hat es den Impuls −m · u. Die Differenz wird auf die Wand übertragen, die folglich bei jedem einzelnen Stoß den Impuls 2 · m · u aufnimmt. Nach der statistischen Definition des Drucks müssen wir ⟨ F ⟩ berechnen, d. h. wir müssen das „Zackengebirge“ aus Abb. 5.4 über einen ausreichend langen Zeitraum T mitteln. Mathematisch ist der zeitliche Mittelwert der kontinuierlichen Größe F (t) wie folgt definiert:

⟨ F⟩ =

1 T

Z T 0

F (t) dt.

(5.6)

Nach dem zweiten newtonschen Gesetz ist die Kraft gleich der zeitlichen Än˙ derung des Impulses P: F (t) = P˙ (t). (5.7) Damit wird

⟨ F⟩ =

1 T

Z T 0

P˙ (t) dt,

(5.8)

so dass wir das Integral ohne jede Rechnung lösen können:

⟨ F⟩ =

P ( T ) − P (0) in der Zeit T übertragener Impuls = . T Zeitintervall T

(5.9)

106

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie Volumen VT

u –u

F



ch

e

A

Abb. 5.7: Im Zeitintervall T erreichen all diejenigen Moleküle die Wand, die sich im grau schattierten Volumen befinden und sich nach rechts bewegen.

·

Da nach unserer Annahme jedes Molekül die gleiche Geschwindigkeit besitzt, ist auch der Impulsübertrag bei jedem Aufprall der gleiche. Wie oben berechnet überträgt jedes Molekül den Impuls 2 · m · u auf die Wand. Es gilt also:

⟨ F⟩ =

(2 · m · u) · Zahl der Stöße im Intervall T . Zeitintervall T

(5.10)

Die Zahl der Stöße ermitteln wir mit Hilfe von Abb. 5.7. Es erreichen all diejenigen Teilchen im Zeitintervall T die Wand, die sich im grau schattierten Bereich befinden und im Moment nach rechts laufen. Sie legen in der Zeit T die Strecke u · T zurück. Der schattierte Bereich besitzt daher das Volumen VT = u · T · A. Sein Anteil am Gesamtvolumen beträgt VT /V, so dass sich bei gleichmäßiger Verteilung der Moleküle der entsprechende Bruchteil N·

VT u·T·A = N· V V

(5.11)

der Gesamtteilchenzahl N im schattierten Bereich befindet. Durchschnittlich die Hälfte davon läuft gerade nach rechts und kollidiert im Zeitintervall T mit der Wand. Damit haben wir die Zahl der Stöße gegen die Wand ermittelt. Eingesetzt in Gl. (5.10) ergibt sich für die mittlere Kraft:

⟨ F⟩ =

(2 · m · u) · 12 N · T

u· T · A V

= N · m · u2 ·

A . V

(5.12)

Diesen Ausdruck setzen wir in die statistische Druckdefinition aus Gl. (5.2) ein und erhalten: ⟨ F⟩ N p= = · m · u2 . (5.13) A V Damit ist das erste Teilziel erreicht und die gedankliche Hauptarbeit bereits geleistet. Nun muss das Modell noch verfeinert werden.

107

Abschnitt 5.4 Zustandsgleichung des idealen Gases

u1

u2

N2 Abb. 5.8: Um unterschiedliche Geschwindigkeiten zu berücksichtigen, werden die Moleküle gedanklich in verschiedene Gruppen mit jeweils gleicher Molekülgeschwindigkeit unterteilt.

Nk

Wand

N1

uk

Zweiter Schritt: Eindimensional, verschiedene Geschwindigkeiten Im zweiten Schritt verläuft die Bewegung der Gasmoleküle immer noch in einer Dimension. Wir berücksichtigen nun aber die unterschiedlichen Teilchengeschwindigkeiten. Nehmen wir an, es gibt N1 N2 .. .

Moleküle mit der Geschwindigkeit u1 , Moleküle mit der Geschwindigkeit u2 , .. .

Nk

Moleküle mit der Geschwindigkeit uk .

Mit dieser Aufstellung teilen wir die Moleküle gedanklich in verschiedene Gruppen ein (Abb. 5.8). In jeder dieser Gruppen besitzen alle Moleküle die gleiche Geschwindigkeit,1 und somit gelten die Ergebnisse aus dem ersten Schritt für jede Gruppe einzeln. Ohne weitere Rechnung können wir daher sagen, dass für die Moleküle aus der ersten Gruppe die mittlere Kraft auf die Wand durch Gl. (5.12) gegeben ist, wobei wir für die Geschwindigkeit den Wert u1 und für die Teilchenzahl N1 einsetzen müssen:

⟨ F1 ⟩ = N1 · m · u21 ·

A . V

(5.14)

Entsprechendes gilt für die zweite und alle übrigen Gruppen. Die gesamte Kraft auf die Wand ist die Summe all dieser Beiträge:

⟨ F⟩ =

  1 · m · A N1 · u21 + N2 · u22 + · · · + Nk · u2k . V

(5.15)

Ausklammern der Gesamtteilchenzahl N = N1 + N2 + · · · + Nk ergibt: ! N1 · u21 + N2 · u22 + · · · + Nk · u2k N ⟨ F⟩ = ·m·A . (5.16) V N 1

Da die Geschwindigkeit kontinuierliche Werte annimmt, müsste man eigentlich kleine Geschwindigkeitsintervalle betrachten. Um die Notation einfach zu halten, sehen wir davon ab.

108

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie

nach dem Stoß uy

Wand

–ux

vor dem Stoß ®

u

uy Abb. 5.9: Bei der Reflexion an der Wand ändert sich nur die Geschwindigkeitskomponente in x-Richtung (senkrecht zur Wand).

ux

In der Klammer steht nun gerade die mathematische Definition des Mittelwerts von u2 über alle Teilchen im Gas. Gl. (5.16) nimmt damit die folgende einfache Gestalt an: N ⟨ F⟩ = · m · A · ⟨ u2 ⟩, (5.17) V und entsprechend gilt für den Druck: p=

N · m · ⟨ u2 ⟩. V

(5.18)

Im Vergleich zu Gl. (5.13) ist das Quadrat der Geschwindigkeit durch seinen Mittelwert über alle Gasteilchen ersetzt. Dritter Schritt: Dreidimensional, verschiedene Geschwindigkeiten Im letzten Schritt unserer Überlegung berücksichtigen wir nun auch noch, dass sich die Gasteilchen in Wirklichkeit in allen drei Raumrichtungen bewegen (vgl. Abb. 5.1). Wieder können wir auf den Ergebnissen der vorherigen Schritte aufbauen. Wenn wir nämlich weiterhin von elastischen Stößen der Teilchen gegen die glatte Wand ausgehen, ist von dem Stoß nur die Impulskomponente senkrecht zur Wand (in x-Richtung) betroffen. Ein einzelner Stoßvorgang verläuft wie in Abb. 5.9 gezeigt. Das Molekül wird an der Wand reflektiert, wobei sich nur die Geschwindigkeitskomponente senkrecht zur Wand ändert, und zwar wie im eindimensionalen Fall von u x auf −u x . Parallel zur Wand bleiben die Impulskomponenten unverändert. Für den Impulsübertrag auf die Wand gilt deshalb wie vorher: ∆Px = 2 · m · u x .

(5.19)

Der weitere Gang der Überlegungen bleibt unverändert. Analog zu Gl. (5.18) erhalten wir: N p= · m · ⟨u2x ⟩. (5.20) V

Abschnitt 5.4 Zustandsgleichung des idealen Gases

109

Etwas unbefriedigend an diesem Ergebnis ist das Auftreten der Vektorkomponente u x . Wir wissen, dass der Druck eine skalare (ungerichtete) Größe ist. Er gibt eine Eigenschaft des Gases wieder, die nicht von der Orientierung einer Wand oder der Wahl unseres Koordinatensystems abhängen darf. Die „wirkliche“ Druckdefinition sollte daher keine Vektorkomponenten, sondern nur skalare Größen enthalten. Das Quadrat der Molekülgeschwindigkeit erfüllt diese Anforderung: ⃗u2 = ⃗u · ⃗u = u2x + u2y + u2z . (5.21) Um es in Gl. (5.20) „unterzubringen“, argumentieren wir wie folgt: In einem nicht strömenden Gas ist keine Raumrichtung bevorzugt. Die Geschwindigkeitsverteilung der Gasteilchen muss im Mittel isotrop (unabhängig von der Richtung) sein. Daher muss gelten:

und somit

⟨u2x ⟩ = ⟨u2y ⟩ = ⟨u2z ⟩,

(5.22)

⟨⃗u2 ⟩ = ⟨u2x ⟩ + ⟨u2y ⟩ + ⟨u2z ⟩ = 3 ⟨u2x ⟩.

(5.23)

Damit gelangen wir zu einer „sauber formulierten“ Version von Gl. (5.20). Mikroskopische Definition des Drucks eines idealen Gases: p=

1 N · m · ⟨⃗u2 ⟩. 3 V

(5.24)

Dieses Ergebnis wurde schon 1738 von Bernoulli gefunden. Er konnte auch begründen, weshalb der Druck proportional zum mittleren Quadrat der Molekülgeschwindigkeit sein muss: Bei höherer Molekülgeschwindigkeit erhöht sich die Zahl der Stöße gegen die Wand, aber auch die Stärke der Stöße (d. h. der Impulsübertrag) wird größer. Bernoulli spekulierte sogar schon über eine Beziehung zwischen Temperatur und Molekülgeschwindigkeit. Unglücklicherweise gab er sie nicht explizit an – und verpasste damit knapp einen frühen Triumph der kinetischen Gastheorie. Zustandsgleichung und statistische Deutung der Temperatur Um den von Bernoulli versäumten Schritt nachzuholen, müssen wir Gl. (5.24) noch etwas umformen. Die kinetische Energie eines Gasteilchens ist durch Ekin = 12 m⃗u2 gegeben. Daher können wir schreiben: p·V =

2 N · ⟨ Ekin ⟩. 3

(5.25)

Was besagt diese Gleichung? Sie enthält das Gesetz von Boyle-Mariotte (die Aussage p ∼ 1/V), sofern die mittlere kinetische Energie der Gasmoleküle als konstant angenommen werden kann. Schon dies gibt einen Hinweis auf eine Verbindung zwischen Temperatur und mittlerer kinetischer Energie. Ihre

110

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie

endgültige Gestalt erlangt die Vermutung durch den Vergleich von Gl. (5.25) mit der Zustandsgleichung des idealen Gases in der Form von Gl. (4.6): p · V = N · kB · T.

(5.26)

Die beiden Gleichungen werden identisch, wenn wir 23 ⟨ Ekin ⟩ mit kB · T identifizieren. Damit ist die mikroskopische Definition der Temperatur gefunden. Mikroskopische Definition der Temperatur: 3 kB · T = ⟨ Ekin ⟩. 2

(5.27)

Mit diesem Ergebnis ist das eingangs gesetzte Ziel erreicht. Es ist nicht nur gelungen, die Zustandsgleichung des idealen Gases aus der kinetischen Gastheorie herzuleiten, sondern wir haben auch die makroskopischen Größen Druck und Temperatur auf mikroskopische Grundlagen zurückgeführt. Dies gibt eine weitreichende Einsicht in die Natur der thermischen Begriffe: Weil die Temperatur durch die mittlere kinetische Energie der Gasteilchen definiert ist, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die Gasteilchen bei einer gewissen Temperatur immer eine bestimmte mittlere kinetische Energie besitzen. Der Begriff der Temperatur wird auf diese Weise mit mikroskopischer Bewegung („Wärmebewegung“) verknüpft.

5.5 Maxwell-Boltzmann-Verteilung Im zweiten Schritt der vorangegangenen Überlegung haben wir die Gasteilchen nach ihrer Geschwindigkeit sortiert. Damit haben wir die Frage nach ihrer Geschwindigkeitsverteilung aufgeworfen. Wir mussten sie nicht beantworten, denn zur Herleitung des Gasgesetzes benötigten wir lediglich den Mittelwert des Geschwindigkeitsquadrats. Die Verteilung der Geschwindigkeiten in einem idealen Gas wurde 1860 von Maxwell angegeben und von Boltzmann später tiefer begründet. Sie trägt daher den Namen Maxwell-Boltzmann-Verteilung. Statt Aussagen über einzelne Gasteilchen zu treffen, fasst man in ihrem Ansatz das Gas als statistische Gesamtheit auf und gibt die Wahrscheinlichkeitsverteilung für jede der drei Vektorkomponenten der Geschwindigkeit an. Maxwell-Boltzmann-Verteilung (Geschwindigkeitskomponenten): r p x (u x ) =

  m mu2x exp − . 2πkB T 2kB T

(5.28)

Maxwells Begründung dieser Wahrscheinlichkeitsverteilung ist vielleicht die kürzeste Herleitung, die jemals vom Entdecker einer fundamentalen Gesetzmäßigkeit gegeben wurde (Maxwell 1860). Sie ist in Kasten 5.1 wiedergegeben und nimmt auch im Original nicht mehr Platz ein.

111

Abschnitt 5.5 Maxwell-Boltzmann-Verteilung

Kasten 5.1 Maxwells Herleitung der Geschwindigkeitsverteilung in einem idealen Gas Mit einem Symmetrieargument, das demjenigen von S. 109 ähnelt, leitet Maxwell die Geschwindigkeitsverteilung gleichsam „aus dem Nichts“ her. Er nimmt an, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Gasteilchen, eine bestimmte Geschwindigkeit u x in xRichtung zu besitzen, unabhängig von den entsprechenden Wahrscheinlichkeiten in y- und in z-Richtung ist. Die Geschwindigkeitskomponenten in den drei Raumrichtungen sind dann statistisch unabhängig voneinander, so dass sich die dreidimensionale Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Geschwindigkeitskomponenten (u x , uy , uz ) als Produkt schreiben lässt:

p ( u x , u y , u z ) = p x ( u x ) · p y ( u y ) · p z ( u z ).

(5.29)

Nun argumentiert Maxwell, dass p(u x , uy , uz ) nicht von der Orientierung des gewählten Koordinatensystems abhängen darf (das ja „menschengemacht“ ist und beliebig gelegt werden kann). Daher müssen erstens die Funktionen p x , py und pz alle gleich sein, und zweitens darf p(u x , uy , uz ) nur von der skalaren, also koordinatenunabhängigen Größe

⃗u2 = u2x + u2y + u2z

(5.30)

p(u x , uy , uz ) = p xyz (u2x + u2y + u2z ).

(5.31)

abhängen. Somit muss gelten:

Für die in diesen Gleichungen auftretenden, noch unbekannten Funktionen ergibt sich damit die folgende Beziehung:

p x (u x ) · py (uy ) · pz (uz ) = p xyz (u2x + u2y + u2z ).

(5.32)

Was sofort auffällt, ist die Ähnlichkeit mit der Funktionalgleichung der Exponentialfunktion: ea · eb = ea+b . Völlige Übereinstimmung erzielt man mit dem Ansatz einer Gauß-Verteilung:  

p x (u x ) = γ exp −αu2x .

(5.33)

Mit unserem Vorwissen über das ideale Gas lassen sich sogar die Konstanten α und γ bestimmen. Die Normierung der Wahrscheinlichkeitsverteilung verlangt: Z +∞ −∞

p x (u x ) du x = 1

(5.34)

(u x muss mit der Wahrscheinlichkeit 1 zwischen −∞ und +∞ liegen). Die Auswertung √ dieses Gauß-Integrals mit einer Integraltabelle liefert die Beziehung γ = α/π . Die noch fehlende Konstante α ergibt sich aus der Forderung, dass nach Gl. (5.27) der Mittelwert der kinetischen Energie 32 k B T sein soll: +∞ 3 1 1 kB T = m ⟨⃗u2 ⟩ = 3 · m u2x · p x (u x ) du x . 2 2 2 −∞

Z

(5.35)

Wieder handelt es sich um ein tabelliertes Gauß-Integral. Wir erhalten α = m/(2k B T ) und gelangen so zu Gl. (5.28).

112

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie p ( u x) 0,0012

0,0008

0,0004

ux in m/s -1000

-500

500

1000

Abb. 5.10: MaxwellBoltzmann-Verteilung für Sauerstoffmoleküle bei 300 K (m = 32 · 1,66 · 10−27 kg). Die Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Geschwindigkeitskomponenten hat die Gestalt einer gaußschen Glockenkurve.

Nach Gl. (5.28) folgt die x-Komponente der Geschwindigkeit einer GaußVerteilung (die gleiche Verteilung gilt auch für die y- und die z-Komponente). Was bedeutet diese Aussage praktisch? Stellen wir uns vor, wir führen an einer großen Zahl von Gasteilchen Messungen der Geschwindigkeit durch. Wir messen nur die x-Komponente der Geschwindigkeit und lassen die y- und die z-Komponente unbeachtet. Wenn wir die relativen Häufigkeiten der Messwerte von u x in einem Histogramm auftragen, ergibt sich eine symmetrische glockenförmige Kurve, die sich für hinreichend viele und feine Messungen der Gauß-Verteilung annähert. Bei einer kontinuierlichen Variablen wie der Geschwindigkeit lässt sich einem einzelnen Wert (etwa 200,00 m/s) keine Wahrscheinlichkeit zuordnen. Kein einzelnes Molekül wird exakt diese Geschwindigkeit besitzen. Wie bei jeder Wahrscheinlichkeitsverteilung für eine kontinuierliche Variable handelt es sich daher bei der Maxwell-Boltzmann-Verteilung um eine Wahrscheinlichkeitsdichte, d. h. um eine Wahrscheinlichkeit pro Geschwindigkeitsintervall. Zur Wahrscheinlichkeit gelangt man durch Integration über den betreffenden Geschwindigkeitsbereich. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die x-Komponente der Geschwindigkeit zwischen u1 und u2 liegt, beträgt demnach: Z u2 u1

p x (u x ) du x .

(5.36)

Beispielaufgabe Berechnen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass ein Sauerstoffmolekül in einem Gas mit einer Temperatur von 300 K in x-Richtung eine Geschwindigkeit u x > 350 m/s besitzt. Lösung: Die gesuchte Wahrscheinlichkeit entspricht dem in Abb. 5.10 grau hinterlegten Bereich. Nach Gl. (5.36) müssen wir das folgende Integral berechnen, das unter dem Namen der Fehlerfunktion erf( x) tabelliert ist: Z +∞ 350 m/s

p x (u x ) du x ≈ 10 %.

(5.37)

Etwa 10 % aller Sauerstoffmoleküle haben in x-Richtung eine Geschwindigkeit größer als 350 m/s. Die Aufgabe zeigt, dass die Moleküle in einem Gas beträchtliche Geschwindigkeiten besitzen.

Abschnitt 5.5 Maxwell-Boltzmann-Verteilung

113

Kasten 5.2 Bose-Einstein-Kondensation Die Abbildung oben zeigt das Ergebnis einer Messung, für die Eric Cornell und Carl Wieman 2001 mit dem Nobelpreis belohnt wurden. Sie stellt den Übergang eines Gases aus kalten Rubidiumatomen in ein Bose-Einstein-Kondensat dar. Die Atome wurden mit Hilfe von Lasern in einer Atomfalle eingefangen und dann durch Laser- und Verdampfungskühlung auf sehr tiefe Temperaturen gebracht. Bei der Verdampfungskühlung lässt man gezielt die Atome mit der größten kinetischen Energie aus der Falle entkommen. Dadurch sinkt der Mittelwert der kinetischen Energie und somit – nach Gl. (5.27) – auch die Temperatur. Auf diese Weise gelang es, die Atomwolke auf 400 Nanokelvin abzukühlen. Das linke Teilbild zeigt die Geschwindigkeitsverteilung der Atome. Die zweidimensionale GaußVerteilung ist gut zu erkennen. In der Tat geschah die Temperaturbestimmung über das Ausmessen der Geschwindigkeitsverteilung. Das mittlere Teilbild, das bei einer Temperatur von 200 Nanokelvin entstand, zeigt etwas qualitativ Neues. Aus dem „Maxwell-Boltzmann-Untergrund“ erhebt sich ein ausgeprägter Bereich mit einer sehr schmalen Geschwindigkeitsverteilung. Dies ist das Bose-Einstein-Kondensat. Bei weiterer Abkühlung auf 50 Nanokelvin gehen alle Gasatome in das Kondensat über (rechtes Teilbild). Der Maxwell-BoltzmannUntergrund ist nun nicht mehr vorhanden. Das Bose-Einstein-Kondensat ist ein Materiezustand, der von der Quantenmechanik vorhergesagt wird. Eine große Anzahl von Atomen sammelt sich dabei im quantenmechanischen Grundzustand des Systems und bildet so ein makroskopisches Quantensystem. Das Kondensat verhält sich nicht mehr wie eine Ansammlung einzelner Atome; das „molekulare Chaos“ in einem gewöhnlichen Gas weicht einem geordneteren Zustand. Der Unterschied ist vergleichbar mit demjenigen zwischen Glühlampenund Laserlicht.

114

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie

uy

u + du u

ux

Abb. 5.11: Für größere Geschwindigkeitsbeträge fällt die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Komponenten ab. Dagegen nimmt das Volumen der Kugelschalen gleichen Geschwindigkeitsbetrages zu (zweidimensionale Veranschaulichung).

Maxwell-Boltzmann-Verteilung für den Betrag der Geschwindigkeit Die Verteilung des Geschwindigkeitsbetrages ist in vielen Zusammenhängen wichtiger als diejenige der Komponenten. Wenn es z. B. darum geht, welcher Prozentsatz der Atome bei der in Kasten 5.2 beschriebenen Verdampfungskühlung aus der Falle entkommt, ist allein der Betrag der Geschwindigkeit maßgebend – die Richtung spielt keine Rolle. Wegen der statistischen Unabhängigkeit der Geschwindigkeitskomponenten in den drei Raumrichtungen lässt sich die dreidimensionale Geschwindigkeitsverteilung als Produkt schreiben (vgl. Gl. (5.29)): !  3 2 m(u2x + u2y + u2z ) m p(u x , uy , uz ) = exp − . (5.38) 2πkB T 2kB T Die Richtung der Geschwindigkeit soll unerheblich sein. Deshalb müssen wir für jeden Geschwindigkeitsbetrag u über alle möglichen Geschwindigkeitsrichtungen integrieren, d. h. über eine Kugelschale im Geschwindigkeitsraum (Abb. 5.11). Ihr Volumen beträgt 4πu2 du. Da der Integrand in ihr konstant ist, gilt p(u) du = p(u x , uy , uz ) 4πu2 du. So gelangen wir zur Maxwell-BoltzmannVerteilung p(u) für den Geschwindigkeitsbetrag. Maxwell-Boltzmann-Verteilung für den Geschwindigkeitsbetrag:  p(u) =

m 2πkB T

3 2

mu2 4πu · exp − 2kB T 2



 .

(5.39)

Die Form der Verteilung ist in Abb. 5.12 für verschiedene Temperaturen dargestellt. Man bemerkt sogleich, dass die Verteilung ein Maximum besitzt, des-

115

Abschnitt 5.5 Maxwell-Boltzmann-Verteilung

p (u ) T = 100 K 0,003

0,002

Abb. 5.12: Wahrscheinlichkeitsverteilung für den Geschwindigkeitsbetrag bei drei verschiedenen Temperaturen

T = 300 K

0,001

T = 1000 K

u in m/s 500

1000

1500

sen Lage von der Temperatur abhängt. Je größer die Temperatur, desto höher ist die wahrscheinlichste Geschwindigkeit. Bei der Verteilung für die Komponenten gab es ein solches Maximum nicht, der wahrscheinlichste Geschwindigkeitswert war u x = 0. Den Grund für diese Auffälligkeit kann man sich anhand von Abb. 5.11 aus dem Widerstreit zweier gegenläufiger Tendenzen erklären. Einerseits fällt die Wahrscheinlichkeitsverteilung für die drei Komponenten mit zunehmendem u ab (symbolisiert durch die Dichte der Punktwolke). Andererseits steigt die Zahl der Möglichkeiten, aus den drei Komponenten den Geschwindigkeitsbetrag u zu realisieren (das Volumen der Kugelschale nimmt mit u zu). Es resultiert ein Wahrscheinlichkeitsmaximum bei einem mittleren Wert von u. Besonders deutlich wird das Argument bei der Erklärung des Minimums für u = 0. So wie es beim Würfeln mit drei Würfeln nur eine Möglichkeit gibt, die kleinste mögliche Augenzahl 3 zu erreichen, gibt es im Geschwindigkeitsraum nur eine Möglichkeit, den Wert u = 0 zu realisieren: Alle drei Vektorkomponenten müssen gleichzeitig den Wert null annehmen. Wahrscheinlichste Geschwindigkeit und mittlere Geschwindigkeit Da die Maxwell-Boltzmann-Verteilung für den Geschwindigkeitsbetrag nicht symmetrisch ist, weicht die wahrscheinlichste Geschwindigkeit von der mittleren Geschwindigkeit ab. Die wahrscheinlichste Geschwindigkeit liegt am Maximum der Verteilung p(u): r 2kB T umax = . (5.40) m Die mittlere Geschwindigkeit ergibt sich dagegen aus der mathematischen Definition des Mittelwerts einer kontinuierlichen Verteilung: r Z ∞ 8kB T ⟨u⟩ = u · p(u) du = . (5.41) πm 0 Weil die Maxwell-Boltzmann-Verteilung zu hohen u-Werten verhältnismäßig sanft ausläuft, ist die mittlere Geschwindigkeit immer etwas größer als die wahrscheinlichste Geschwindigkeit.

116

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie

10

–10

m

10

–10

Abb. 5.13: Veranschaulichung eines Stickstoff- oder Sauerstoffmoleküls

m

Beispielaufgabe: Geschwindigkeit von Sauerstoffmolekülen Berechnen Sie für Sauerstoffmoleküle bei 300 K den wahrscheinlichsten und den mittleren Betrag der Geschwindigkeit. Lösung: Zur Berechnung der wahrscheinlichsten Geschwindigkeit setzen wir in Gl. (5.40) die Werte m = 32 · 1,66 · 10−27 kg und T = 300 K ein:

r umax =

2kB T = m

s

2 · 1,38 · 10−23 J/K · 300 K m = 395 . s 32 · 1,66 · 10−27 kg

(5.42)

Die mittlere Geschwindigkeit erhalten wir aus Gl. (5.41):

r

⟨u⟩ =

8kB T = πm

s

8 · 1,38 · 10−23 J/K · 300 K m = 445 . s π · 32 · 1,66 · 10−27 kg

(5.43)

Die mittlere Geschwindigkeit der Moleküle in einem Gas nimmt mit der Temperatur zu. Die Wurzel in Gl. (5.40) und (5.41) lässt den Anstieg allerdings nicht allzu stark ausfallen. Um die mittlere Geschwindigkeit zu verdoppeln, muss man die Temperatur (in Kelvin) vervierfachen.

5.6 Luft, statistisch betrachtet 5.6.1 Größe der Gasmoleküle

Das Modell des idealen Gases kann uns ein anschauliches Bild von der mikroskopischen Beschaffenheit von Gasen vermitteln. Wie sieht ein so vertrauter Stoff wie Luft „aus der Nähe betrachtet“ aus? Mit unseren bisher erarbeiteten Ergebnissen können wir uns eine Vorstellung davon verschaffen. Wir wissen bereits, dass Luft ein Gemisch verschiedener Gase ist (vgl. S. 58). Ihre beiden Hauptbestandteile, Stickstoff und Sauerstoff, liegen als zweiatomige Moleküle vor (N2 und O2 ). Die einzelnen Atome besitzen einen Durchmesser von etwa 10−10 m, und im Molekül liegen die Mittelpunkte der beiden Atome ebenfalls in diesem Abstand. Die ungefähre Größe der Gasmoleküle können wir daher mit 10−10 m abschätzen (Abb. 5.13).

117

Abschnitt 5.6 Luft, statistisch betrachtet

50

100

150

200

250

t in s u

-0.02 -0.04

Steigung m -0.06 -0.08 -0.10

angezeigte Masse m in g

nach Aufsetzen des Deckels

Dm

kg

Kasten 5.3 Molekülgeschwindigkeiten mit der Waage messen Mit Hilfe einer sehr genauen Waage (Genauigkeit: 1/100 g) lässt sich die Größenordnung der Molekülgeschwindigkeiten auf geradezu unglaublich einfache Weise abschätzen (Ganci 2002). Auf die Waage stellt man eine Schale mit einer verdunstenden Flüssigkeit. Durch die kontinuierliche Verdunstung nimmt die angezeigte Masse ˙ ab (Datenpunkte in der Abbildung oben). Die Massenabnahstetig mit der Rate m me geht auf Moleküle zurück, die die Flüssigkeitsoberfläche mit einer mittleren Geschwindigkeit u verlassen. Wie eine Rakete oder eine Kanone erfährt die Schale nach dem dritten newtonschen Gesetz eine nach unten gerichtete Rückstoßkraft (Band I, Abschnitt 5.3 und 9.5).

FRückstoß = m˙ · u.

(5.44)

Die Waage interpretiert diese Kraft nach F = ∆m · g fälschlich als Massenanteil ∆m. Der Rückstoß lässt sich unterbinden, indem man einen Deckel auf die Schale setzt (den man natürlich vorher mitgewogen haben muss). Die Waage zeigt danach eine ˙ aus den um ∆m kleinere Masse an (Datenpunkt rechts). Da sich sowohl ∆m als auch m Daten ablesen lassen, kann man die Molekülgeschwindigkeit u wie folgt berechnen:

u=

∆m · g . m˙

(5.45)

Die Messwerte in der Abbildung wurden mit Isopropanol gewonnen. Es ergibt sich u = 370 m/s; der theoretische Wert nach Gl. (5.41) beträgt 325 m/s.

Wie viel Raum befindet sich zwischen zwei Molekülen, wie groß ist ihr mittlerer Abstand? Eine einfache Abschätzung können wir mit dem Ergebnis von S. 86 gewinnen, wonach ein Mol eines idealen Gases bei Normaldruck und 0 °C ein Volumen von 22,4 Liter einnimmt. Beispielaufgabe: Mittlerer Abstand zwischen zwei Luftmolekülen Schätzen Sie den mittleren Abstand zwischen zwei Luftmolekülen ab. Nehmen Sie dazu an, dass die in einem Mol eines idealen Gases enthaltenen Moleküle regelmäßig in einem Würfel angeordnet sind (Abb. 5.14).

118

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie

a

Abb. 5.14: Modell zur Abschätzung des mittleren Abstands zweier Moleküle

L

Lösung: Das Modell widerspricht zwar unserer Vorstellung von einem Gas, nach der die Moleküle zufällig verteilt und nicht regelmäßig angeordnet sind. Es erlaubt aber eine einfache Größenordnungsabschätzung der Molekülabstände. Die Seitenlänge des Würfels beträgt L = 28 cm, denn (0,28 m)3 = 22,4 Liter. Auf jeder Seite sitzen k = 84 Millionen Moleküle, denn (84 · 106 )3 = 6 · 1023 . Folglich ist der Abstand a zweier benachbarter Moleküle:

a=

L 0,28 m = = 33 · 10−10 m. k 84 · 106

(5.46)

In Luft beträgt der Abstand zweier Moleküle demnach etwa das 30fache ihres Durchmessers. Zwischen zwei Molekülen befindet sich nichts – nur der leere Raum.

5.6.2 Gasgemische und das Gesetz von Dalton

Bevor wir die Zustandsgleichung des idealen Gases für Luft anwenden, sollten wir uns vergewissern, ob sie für Gasgemische tatsächlich gültig ist. Die folgende Beispielaufgabe begründet das Gesetz von Dalton (vgl. S. 60), nach dem sich der Gesamtdruck eines Gasgemisches aus der Summe der Partialdrücke ergibt. Beispielaufgabe: Gesetz von Dalton Begründen Sie das Gesetz von Dalton mit Hilfe der mikroskopischen Druckdefinition (5.24). Zeigen Sie, dass die Zustandsgleichung des idealen Gases auch für Gemische von idealen Gasen gilt. Lösung: Im mikroskopischen Modell des Gasdrucks haben wir die durch Stöße von Gasmolekülen verursachte Kraft auf eine Wand berechnet. Wenn wir nun verschiedene Gaskomponenten berücksichtigen, gilt das Modell für jede Komponente einzeln. Für den Partialdruck der i-ten Gaskomponente finden wir analog zu Gl. (5.24):

pi =

1 Ni · mi · ⟨⃗u2i ⟩. 3 V

(5.47)

119

Abschnitt 5.6 Luft, statistisch betrachtet

Die Gesamtkraft ⟨ F ⟩ auf die Wand ergibt sich aus der Summe aller Molekülstöße. Da sich die einzelnen Gasmoleküle gegenseitig nicht beeinflussen, gilt ⟨ F ⟩ = ∑⟨ Fi ⟩. Dividieren wir diese Gleichung durch A, erhalten wir das Gesetz von Dalton:

p=

∑ pi .

(5.48)

Sofern also für alle Gaskomponenten die Modellvoraussetzungen des idealen Gases erfüllt sind, ergibt sich der Gesamtdruck aus der Summe der Partialdrücke. Gilt die Zustandsgleichung des idealen Gases auch für das Gasgemisch? Wir nehmen an, dass sie für jede der Gaskomponenten einzeln gültig ist:

pi · V = Ni · kB · T,

(5.49)

wobei T die allen Komponenten gemeinsame Temperatur des Gemisches ist. Wir summieren über alle Komponenten und verwenden dabei Gl. (5.48) sowie die Definition der Gesamtteilchenzahl N = ∑ Ni . Es ergibt sich die Zustandsgleichung des idealen Gases,

p · V = N · kB · T,

(5.50)

die somit auch für Gasgemische gilt, solange wir die Komponenten als ideale Gase auffassen dürfen.

5.6.3 Molekülgeschwindigkeiten und freie Weglänge

Die mittlere Geschwindigkeit von Sauerstoffmolekülen bei 300 K beträgt (wie bereits berechnet) 445 m/s. Haben Stickstoffmoleküle die gleiche mittlere Geschwindigkeit? Das ist nicht der Fall, und den Grund dafür kann man mit Gl. (5.27) leicht nachvollziehen. Die Moleküle zweier Gase haben bei gleicher Temperatur die gleiche mittlere kinetische Energie. Das bedeutet aber, dass die leichteren Moleküle eine höhere Geschwindigkeit besitzen müssen. Dies zeigt sich explizit in der Formel (5.41) für die mittlere Geschwindigkeit. Für die Stickstoffmoleküle ergibt sich bei 300 K der im Vergleich zu Sauerstoff etwas größere Wert von 476 m/s. Welchen Weg legt ein Gasmolekül im Mittel zurück, bevor es mit einem anderen kollidiert? Die mittlere freie Weglänge l können wir abschätzen, wenn wir die Größe der Moleküle und ihren Abstand kennen. In Kasten 5.4 findet man eine einfache Herleitung der Formel l=

1 . ¯ 2nσ

(5.53)

Hierbei ist n¯ = N/V die Teilchenzahldichte und σ = π (2r )2 der in Kasten 5.4 erläuterte Wirkungsquerschnitt. Für n¯ haben wir mit 22,4 Mol pro Liter bereits einen Zahlenwert berechnet. Setzen wir r ≈ 10−10 m ein, so ergibt sich für die mittlere freie Weglänge der folgende Wert: l=

22,4 Liter = 1,5 · 10−7 m. 8π · 6 · 1023 · (10−10 m)2

(5.54)

120

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie

Projektion auf die Frontfläche

A

2r 2r

x Kasten 5.4 Mittlere freie Weglänge Wir betrachten ein Gas aus N Teilchen, die in einem Volumen V = A · x zufällig verteilt sind (Abbildung oben). Die Teilchenzahl pro Volumen (Teilchenzahldichte) ist n¯ = N/V . Die Teilchen werden als Kugeln mit dem Radius r modelliert. Ein Stoß erfordert, dass sich die Mittelpunkte der beiden Kugeln bis auf einen Abstand nähern, der kleiner als 2r ist (rechts in der Abbildung). Um geometrisch komplizierte Betrachtungen zu vermeiden, ist es günstiger, einen äquivalenten Ersatzprozess zu untersuchen, bei dem ein Punktteilchen auf Kugeln mit Radius 2r stößt. Man ordnet den Kugeln eine „effektive Fläche“ zu (als graue Scheibe dargestellt) und spricht vom Wirkungsquerschnitt σ = π (2r )2 für den Stoß. Wir denken uns die Schatten der so vergrößerten Kugeln auf die Frontfläche projiziert und fragen nach dem Schattenanteil an der Gesamtfläche. In unserer groben Näherung vernachlässigen wir gegenseitige Überdeckungen. Die Gesamtfläche der Schatten beträgt dann N · σ, was wir folgendermaßen umformen können:

N · σ = n¯ · V · σ = n¯ · A · x · σ.

(5.51)

Wir definieren die mittlere freie Weglänge l wie folgt: Für ein Teilchen, das eine Gasschicht der Dicke l durchquert, soll die Stoßwahrscheinlichkeit 12 sein. Das ist der Fall, wenn die Schatten die Hälfte der Frontfläche einnehmen:

A = n¯ · A · l · σ, 2

woraus folgt:

l=

1 . ¯ 2nσ

(5.52)

Eine genauere Überlegung, die neben der gegenseitigen Überdeckung auch noch die Eigenbewegung der Gasmoleküle berücksichtigt, führt auf ein strukturell gleiches Ergebnis mit einem geringfügig verschiedenen Zahlenfaktor. In einer realistischen Theorie müssen die Gasmoleküle quantenmechanisch beschrieben werden. Die Vorstellung von klassischen Körpern mit einer wohldefinierten Gestalt wird dann ersetzt durch die in Abb. 5.13 angedeuteten quantenmechanischen Wahrscheinlichkeitswolken. Die Stoßvorstellung der klassischen kinetischen Gastheorie ist daher nur modellhaft zu verstehen; präzise Stoßwahrscheinlichkeiten oder Wirkungsquerschnitte erhält man damit nicht. Abgesehen davon ist das Modell der kinetischen Gastheorie in der Praxis jedoch recht tragfähig.

Abschnitt 5.7 Brownsche Bewegung

121

Zwischen zwei Stößen legen die Gasmoleküle demnach ungefähr den 1500fachen Molekülradius zurück. Auf einer makroskopischen Skala ist die mittlere freie Weglänge mit 150 nm jedoch immer noch äußerst klein. Diese letzte Feststellung erklärt auch ein Problem, das in der Anfangszeit der kinetischen Gastheorie noch für Bedenken sorgte: Wenn die Gasmoleküle tatsächlich die vorhergesagten hohen Geschwindigkeiten besitzen, müsste man eigentlich erwarten, dass nach dem Öffnen einer Parfümflasche der Geruch innerhalb von Sekundenbruchteilen im gesamten Zimmer wahrnehmbar wäre. In Wahrheit breiten sich die Duftmoleküle sehr viel langsamer aus. In der Tat bewegen sich die Gasmoleküle mit der hohen Geschwindigkeit, die von der kinetischen Gastheorie vorhergesagt wird. Da jeder Stoß aber eine Richtungsänderung bewirkt, ist die Bewegung eines Moleküls sehr unregelmäßig. Im großen Maßstab betrachtet kommt es daher nur langsam von der Stelle (vgl. auch den folgenden Abschnitt über die brownsche Bewegung).

5.7 Brownsche Bewegung 5.7.1 „. . . many of them very evidently in motion“

Eigentlich wollte der schottische Botaniker Robert Brown den Mechanismen der Pflanzenbestäubung auf die Spur kommen, als er im Jahr 1827 den Pollen des Mandelröschens unter dem Mikroskop beobachtete. Was er sah, musste er als Bewegung lebenserfüllter Objekte interpretieren: eine unaufhörliche, ungerichtete, ziellose Bewegung der im Wasser fein verteilten Pollenbestandteile. Sie ließ sich über Stunden hinweg beobachten, ohne je zum Stillstand zu kommen oder auch nur schwächer zu werden. In bester wissenschaftlicher Manier ließ er sich vom äußeren Anschein nicht gleich überzeugen. Um seine Hypothese zu untermauern oder zu widerlegen, wiederholte er den Versuch mit dem Pollen anderer Pflanzen. Die ungeordnete Bewegung der winzigen Körner zeigte sich bei allen untersuchten Arten. Er fragte sich: Würde sich das eigentümliche Phänomen auch an toten Pflanzen nachweisen lassen? Wie lange würde die Bewegungsfähigkeit der Pollenkörner erhalten bleiben? Er trocknete einige Pflanzen und legte andere in Alkohol ein. Nach einigen Tagen war die ziellose Bewegung immer noch sichtbar. Sein Ehrgeiz war jetzt offenbar geweckt. Er beschaffte sich getrocknete Präparate, die zwanzig und hundert Jahre alt waren – die mikroskopische Bewegung der kleinen Pflanzenteilchen war nicht weniger stark als zuvor. Es wunderte ihn nun kaum noch, dass er das gleiche Ergebnis sogar mit fein zerriebenen fossilen Pflanzen erhielt. Brown forschte weiter. Als Nächstes nahm er sich anorganische Materie vor. Der Londoner Straßenstaub erwies sich als besonders ergiebig, aber auch an verschiedenen zerriebenen Steinen, an Vulkanasche und Meteoriten ließ sich die mikroskopische Bewegung beobachten. Das ungewöhnlichste Präparat, das Brown untersuchte, war ein zerriebenes Stück Stein von der Sphinx in Gizeh (und auch hier zeigte sich der Effekt).

122

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie

5.7.2 Deutung der brownschen Bewegung

Es war nach diesen Experimenten offenkundig, dass es sich nicht um die aktive Bewegung lebender Organismen handelte. Eine überzeugende Erklärung konnte Brown für seine Beobachtungen aber nicht geben. Er konnte nicht ahnen, dass seine Untersuchung das Fenster zu einem wichtigen Forschungszweig aufgestoßen hatte – nicht für die Botanik, sondern für die Physik. Die heute akzeptierte Erklärung der brownschen Bewegung wurde erst im Jahr 1905 von Albert Einstein und Marian von Smoluchowski gegeben. Wir haben sie schon auf S. 103 angesprochen. Die brownsche Bewegung ist eine Schwankungserscheinung, die auf die unregelmäßig erfolgenden Molekülstöße des umgebenden Mediums zurückgeht. In jeder Sekunde ist ein Pollenkorn einer Unzahl von Stößen mit Wassermolekülen ausgesetzt. Nur im zeitlichen Mittel heben sich die dabei übertragenen Kräfte gegenseitig auf. Auf kurzen Zeitskalen fluktuiert die Gesamtkraft auf ein Pollenkorn, und diese Fluktuationen treiben die brownsche Bewegung an (vgl. Abb. 5.4 und 5.15). Wie Einstein sehr genau erkannte, wird in diesen Schwankungen die atomare Struktur der Materie zum ersten Mal direkt sichtbar. Sein Artikel beginnt wie folgt: In dieser Arbeit soll gezeigt werden, dass nach der molekularkinetischen Theorie der Wärme in Flüssigkeiten suspendierte Körper von mikroskopisch sichtbarer Größe infolge der Molekularbewegung der Wärme Bewegungen von solcher Größe ausführen müssen, dass diese Bewegungen leicht mit dem Mikroskop nachgewiesen werden können. Es ist möglich, dass die hier zu behandelnden Bewegungen mit der sogenannten „brownschen Molekularbewegung“ identisch sind; die mir erreichbaren Angaben über letztere sind jedoch so ungenau, dass ich mir hierüber kein Urteil bilden konnte. Wenn sich die hier zu behandelnde Bewegung samt den für sie zu erwartenden Gesetzmäßigkeiten wirklich beobachten lässt, so ist die klassische Thermodynamik schon für mikroskopisch unterscheidbare Räume nicht mehr als genau gültig anzusehen und es ist dann eine exakte Bestimmung der wahren Atomgröße möglich. Erwiese sich umgekehrt die Voraussage dieser Bewegung als unzutreffend, so wäre damit ein schwerwiegendes Argument gegen die molekularkinetische Auffassung der Wärme gegeben. (Einstein 1905)

Abb. 5.15: Das unter dem Mikroskop sichtbare große Teilchen wird von unzähligen nicht sichtbaren Molekülen gestoßen. Die Schwankungen des damit verbundenen Impulsübertrags führen zur brownschen Bewegung.

123

Abschnitt 5.7 Brownsche Bewegung

(a)

ŸŸ

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(b)

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Ÿ Ÿ

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Ÿ

10 mm

Abb. 5.16: Brownsche Bewegung eines Staubteilchens in der Schwerelosigkeit bei niedrigem Druck. (a) Ort des Teilchens in Abständen von 2 ms, (b) Verteilung der durchlaufenen Orte für verschieden lange Zeitdauern (Daten: Blum et al. 2006).

Smoluchowski argumentiert ähnlich und vermittelt dabei ein anschauliches Bild vom Charakter der brownschen Bewegung: Wenn man die brownsche Bewegung unter dem Mikroskop beobachtet, erhält man unmittelbar den Eindruck, dass so die Bewegungen der Flüssigkeitsmoleküle aussehen müssen. Es ist das keine schwingende Bewegung und auch keine fortschreitende, sondern ein Zittern oder [ein Wimmeln]; die Teilchen beschreiben unregelmäßige Zickzackbewegungen, als ob sie infolge der zufälligen Zusammenstöße mit den Flüssigkeitsmolekülen angetrieben würden, und trotz ihrer fieberhaften Bewegung rücken sie nur langsam von der Stelle. (Smoluchowski 1906)

Die theoretischen Vorhersagen von Einstein und Smoluchowski wurden in der Folge durch sorgfältig durchgeführte Experimente bestätigt. Damit war die Natur der brownschen Bewegung aufgeklärt. Ein Beispiel für eine experimentelle Untersuchung der brownschen Bewegung ist in Abb. 5.16 gezeigt. Ein Staubteilchen wurde bei niedrigem Druck in der Schwerelosigkeit beobachtet. Die Momentaufnahmen seiner Position im Abstand von jeweils 2 ms vermitteln einen Eindruck von der irregulären Gestalt seiner Bahn. 5.7.3 Das Random-Walk-Problem

Die geraden Linien, mit denen die Datenpunkte in Abb. 5.16 verbunden sind, darf man nicht als die tatsächliche Teilchenbahn interpretieren. Zwischen zwei Ortsmessungen liegen etwa 1010 Molekülstöße mit ihren jeweiligen Impulsüberträgen. Die Bahn des Teilchens zwischen zwei Messpunkten ist ebenso verschlungen wie ihre Gestalt im Ganzen. Diese Irregularität vereinfacht

124

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie

die Beschreibung der brownschen Bewegung. Wenn nämlich die Bewegungsrichtung des Teilchens zwischen zwei Messungen in völlig unkontrollierbarer Weise variiert, kann man sie als Zufallsvariable auffassen. Zwei aufeinanderfolgende Messungen können als statistisch unabhängig voneinander angesehen werden, weil die „Erinnerung“ an den Bewegungszustand bei der vorigen Messung durch die vielen dazwischenliegenden Stöße gewissermaßen ausgelöscht wird (Zufallsprozesse mit dieser Eigenschaft nennt man MarkowKetten). Das Modell der aufeinanderfolgenden Zufallsschritte wird als RandomWalk-Modell bezeichnet. Es lässt sich einprägsam durch die Geschichte eines Seemanns illustrieren, der mit der aufrichtigen Absicht, seinen Heimweg anzutreten, aus einer Hafenkneipe tritt. Aufgrund milieubedingter Anfechtungen ist sein Orientierungsvermögen leider geschwächt. Er kann zwar noch aufrecht gehen, aber jeden seiner Schritte setzt er in eine völlig zufällige Richtung. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, ihn nach n Schritten in einem bestimmten Abstand von seinem Ausgangspunkt zu finden? Das Random-Walk-Modell wurde der wissenschaftlichen Welt im Jahr 1905 in recht ungewöhnlicher Weise vorgestellt. In einem Brief an die Zeitschrift Nature bat Karl Pearson, einer der Begründer der mathematischen Statistik, die Leser um Mithilfe: „The problem is one of considerable interest. . . . I should be extremely grateful for aid in the matter“. Glücklicherweise konnte ihm geholfen werden. Schon die nächste Ausgabe, die eine Woche später erschien, enthielt eine Antwort von Lord Rayleigh, der das Problem in einem anderen Zusammenhang bereits gelöst hatte. Random Walk in einer Dimension Im eindimensionalen Fall ist die Argumentation besonders einfach (siehe z. B. Chandrasekhar 1943). Wir stellen uns vor, dass der Trunkenbold entlang einer geraden Linie n gleich große Schritte zuwege bringt, wobei jeder Schritt mit der Wahrscheinlichkeit 12 nach links oder nach rechts führt. Am Ende seiner Wanderschaft findet er sich an einem der folgenden Orte wieder (gemessen in Schrittweiten):

−n,

−n + 1, . . . − 1,

0,

+1, . . . n − 1,

n.

(5.55)

Ausgehend vom Nullpunkt kann er an die beiden äußersten Positionen nur dann gelangen, wenn er alle Schritte in die gleiche Richtung setzt. Entsprechend mehr Möglichkeiten gibt es, einen der mittleren Orte zu erreichen. Um mit n Schritten eine bestimmte Position m zu erreichen, muss der Seemann genau (n + m)/2 Schritte nach rechts und die restlichen (n − m)/2 Schritte nach links setzen (die Zahlen n und m sollten beide entweder gerade oder ungerade sein). Weil es auf die Reihenfolge der Schritte nicht ankommt, gibt es hierfür   n! n 1  1  = n+m (5.56) 2 2 (n + m) ! 2 (n − m) !

125

Abschnitt 5.7 Brownsche Bewegung W(m,n) n = 10 n = 20

Abb. 5.17: Binomialverteilung (Punkte) und Gauß-Verteilung (grüne Linie) beim RandomWalk-Problem für n = 20. Die grauen Linien entsprechen n = 10 und n = 30.

0.10

n = 30 m -20

-10

10

20

Möglichkeiten.2 Jede dieser Möglichkeiten wird mit der Wahrscheinlichkeit  1 n realisiert. Die gesuchte Wahrscheinlichkeit, den Matrosen nach n Schrit2 ten am Ort m zu finden, wird daher durch eine Binomialverteilung bestimmt:    n n 1 W (m,n) = n+m · . (5.57) 2 2 Diese Wahrscheinlichkeitsverteilung, deren Form für n = 20 die blauen Punkte in Abb. 5.17 zeigen, lässt sich wie folgt interpretieren: Wir denken uns eine ganze Schiffsbesatzung (eine statistische Gesamtheit), die wir in der gleichen Hafenkneipe bewirten und anschließend nach Hause torkeln lassen. Die Werte der Wahrscheinlichkeitsverteilung (die blauen Punkte) geben an, welchen Anteil der Mannschaft wir nach jeweils 20 Schritten an der betreffenden Stelle aufsammeln können. Approximation durch eine Gauß-Verteilung Wenngleich das Problem damit grundsätzlich gelöst ist, kann man seine physikalische Interpretation noch etwas erleichtern, wenn man weiß, dass für große n die Binomialverteilung in eine Gauß-Verteilung übergeht: r   2 m2 W (m,n) = · exp − . (5.58) nπ 2n Der Vergleich der beiden Wahrscheinlichkeitsverteilungen in Abb. 5.17 (blaue Punkte und grüne Linie) zeigt, dass die Verteilungen bereits für n = 20 sehr gut übereinstimmen. Aus der Wahrscheinlichkeitsverteilung (5.58) lassen sich mehrere Schlüsse ziehen. Erstens liegt das Maximum der Wahrscheinlichkeit bei m = 0. Die Bedeutung dieser Feststellung brachte Karl Pearson in seinem Antwortbrief an Nature prägnant zum Ausdruck: „The lesson of Lord Rayleigh’s solution is that in open country the most probable place to find a drunken man who is at all capable of keeping on his feet is somewhere near his starting point!“. 2

Die Formel beschreibt die Zahl der Permutationen (Anordnungen) von insgesamt n Objekten, von denen 12 (n + m) vom Typ „nach rechts“ und 12 (n − m) vom Typ „nach links“ sind.

126

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie

Wichtiger noch ist die zeitliche Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsverteilung. In Abb. 5.17 sind auch die Wahrscheinlichkeitsverteilungen für n = 10 und n = 30 Schritte eingezeichnet (graue Linien). Die Verteilung verbreitert sich nur langsam. Je mehr Schritte der Seemann macht, desto größer wird zwar das Gebiet, in dem man ihn suchen muss. Die Breite der Verteilung wächst aber nicht proportional zur Zahl der Schritte. Der Grund liegt in der unregelmäßig-verschlungenen Bahn beim Random√Walk – die Standardabweichung der Gauß-Verteilung (5.58) hat den Wert n. Wenn man von einer festen Zahl von Schritten pro Zeiteinheit ausgeht, √ so folgt, dass die Breite der Verteilung beim Random Walk proportional zu t ist. Dies war eines von Einsteins wichtigsten Ergebnissen zur brownschen Bewegung, das von den experimentellen Daten in Abb. 5.16 bestätigt wird. 5.7.4 Brownsche Bewegung und zentraler Grenzwertsatz

Nur noch zwei Ergänzungen fehlen, damit wir die brownsche Bewegung mit dem Modell des Random Walks beschreiben können: Erstens muss das Modell auf drei Dimensionen erweitert werden. Dies bereitet keine Schwierigkeiten: Wir können die drei Raumrichtungen unabhängig voneinander betrachten; die Gauß-Verteilung stellt sich für jede von ihnen ein. Zweitens ist zu berücksichtigen, dass die „Schrittlänge“ nicht immer gleich ist. Über die Stöße zwischen zwei Messungen können wir nicht Buch führen. Wir müssen daher die Größe der Verrückung zwischen zwei Messungen als Zufallsvariable auffassen, die sich aus der Summe der mikroskopischen Einwirkungen ergibt. Ohne nähere Angaben zur mikroskopischen Dynamik scheint dies eine schwierige Aufgabe zu sein. Erfreulicherweise stellt uns die mathematische Statistik mit dem zentralen Grenzwertsatz ein überaus mächtiges Werkzeug zur Verfügung. Der Satz befasst sich mit der Summe einer großen Zahl von identisch verteilten Zufallsvariablen, deren Wahrscheinlichkeitsverteilung wir nicht kennen müssen. Allein der Mittelwert µ und die Standardabweichung σ müssen existieren. Der zentrale Grenzwertsatz besagt, dass die Wahrscheinlichkeitsverteilung einer Summe von n unabhängigen Zufallsvariablen für große √ n gegen eine Gauß-Verteilung mit Mittelwert nµ und Standardabweichung nσ konvergiert. Da sich der Ort des brownschen Teilchens aus der Summe der statistisch verteilten Schrittlängen ergibt, lässt sich der zentrale Grenzwertsatz anwenden. Eine Gauß√ Verteilung analog zu Gl. (5.58), deren Breite zu n proportional ist, stellt sich als Wahrscheinlichkeitsverteilung somit auch dann ein, wenn die Schrittlänge der Teilchen zwischen zwei Messungen stochastisch variiert. Generell beschreibt der zentrale Grenzwertsatz das Zusammenwirken vieler unabhängiger Einzeleffekte. Er wurde von Laplace in langer Arbeit unter anderem zum Erfassen des Einflusses vieler einzelner unkontrollierbarer Fehlerquellen auf physikalische Messungen entwickelt. Mit ihm lässt sich begründen, warum man beim Experimentieren immer mehrere Messungen √ durchführt und den Mittelwert bildet – der Fehler verringert sich mit 1/ n.

127

Abschnitt 5.8 Reale Gase

5.8 Reale Gase Die Zustandsgleichung des idealen Gases, die wir in diesem und dem vorigen Kapitel ausführlich behandelt haben, besitzt offensichtlich Gültigkeitsgrenzen. Sie kennt zum Beispiel keinen Phasenübergang. Die Kondensation eines Gases zur Flüssigkeit kann sie nicht vorhersagen. Es stellt sich daher die Frage, in welchen Druck- und Temperaturbereichen man der Zustandsgleichung des idealen Gases vertrauen darf und wann man besser zu Tabellen oder erweiterten Zustandsgleichungen greift. Es lassen sich einige Regeln dafür angeben, unter welchen Umständen die Näherung des idealen Gases angemessen ist. Die entscheidenden Größen sind dabei der Druck pkrit und die Temperatur Tkrit am kritischen Punkt (vgl. S. 30). Die Kriterien lauten wie folgt: (1) Bei Drücken, die klein gegenüber pkrit sind, verhalten sich Gase wie ein ideales Gas, und zwar unabhängig von der Temperatur. (2) Bei Temperaturen, die deutlich über Tkrit liegen, verhalten sich Gase wie ein ideales Gas, solange ihr Druck nicht viel größer als pkrit ist. (3) Bei Gasen, die sich aus polaren Molekülen zusammensetzen, sind die Abweichungen größer als bei unpolaren Gasen. Als Faustregel kann man sich merken, dass die Näherung des idealen Gases bei niedrigen Drücken und hohen Temperaturen gut ist.

ar

ar

p=2b

p=1b

p = 10 b

p = 30

bar

bar p = 100

p = 200 b

500

ar

T in °C

ar

600

400

300

200

kritischer Punkt Wasserdampf ideales Gas

100 v in m³/kg 0 0,001

0,01

0,1

1

10

Abb. 5.18: v-T -Diagramm für Wasserdampf mit den realen Stoffdaten aus der Wasserdampftafel (grüne Punkte) und der Vorhersage der Zustandsgleichung des idealen Gases (blaue Linien). Nahe dem kritischen Punkt werden die Abweichungen groß.

128

Kapitel 5 Fundamentale Konzepte: Kinetische Gastheorie

Abb. 5.18 illustriert das Gesagte für Wasser, einen der technisch wichtigsten Stoffe. Der kritische Punkt liegt bei 374 °C und 221 bar. In seiner Nähe weichen die tabellierten Werte drastisch von der Vorhersage nach dem Modell des idealen Gases ab. Man erkennt aber auch, dass bis zu einem Druck von 10 bar die Abweichungen vom idealen Gas sogar unmittelbar vor der Kondensation praktisch nicht relevant sind. Bei 100 °C und 1 bar liegt der Fehler zum Beispiel bei nur 1,6 %, und bei 120 °C und 2 bar beträgt er 2,5 %. Die van-der-Waals-Gleichung Wenn die Näherung des idealen Gases nicht tragfähig ist und Tabellenwerte nicht zur Verfügung stehen, kann man auf eine genauere Zustandsgleichung zurückgreifen, von denen im Lauf der Zeit über 100 vorgeschlagen wurden. Die bekannteste davon ist die van-der-Waals-Gleichung:  a (5.59) p + 2 · (v − b) = RT. v Hierbei sind a und b Konstanten, die sich für den betreffenden Stoff aus Temperatur und Druck am kritischen Punkt berechnen lassen: a=

2 27 R2 Tkrit , 64 pkrit

b=

R Tkrit . 8 pkrit

(5.60)

Die van-der-Waals-Gleichung hat den Vorzug, dass man die Korrekturen zum idealen Gas physikalisch deuten kann. Ihnen entsprechen zwei Modellannahmen der kinetischen Gastheorie, die sich als nur beschränkt gültig erweisen: (1) Die Gasmoleküle dürfen nicht als Punktteilchen angesehen werden; sie besitzen eine endliche Ausdehnung. Auch bei noch so hohem Druck lässt sich das Volumen einer realen Substanz nicht auf null reduzieren. Mit dem Faktor b (dem sogenannten Kovolumen) wird die Ausdehnung der Moleküle berücksichtigt. (2) Der Faktor a geht auf die Wechselwirkungen der Moleküle untereinander zurück, die in der kinetischen Gastheorie unberücksichtigt geblieben sind. Ein Gasmolekül, das sich wie in Abb. 5.7 nach rechts auf die Wand zu bewegt, spürt die anziehende Kraft der übrigen Gasmoleküle links von ihm. Diese Anziehung reduziert den Impulsübertrag auf die Wand, so dass der Druck entsprechend korrigiert werden muss.

Der erste Hauptsatz Thermodynamik des Backofens

6

130

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

6.1 Der Sonntagsbraten als thermodynamisches Problem An höheren Fest- und Feiertagen wird in vielen Küchen nicht geruht, bis zum feierlichen Anlass ein repräsentativer Braten auf dem Tisch steht. Was an der Festtafel andächtig verzehrt wird, hat zuvor einige Mühe bereitet. So lecker ein saftiger Schweine- oder Rinderbraten auch schmeckt – seine Zubereitung erfordert vor allem ein gehöriges Maß an Geduld. Je nach Größe kann der Braten durchaus einige Stunden im Backofen verbringen. Für die Zubereitung eines Bratens sind wir auf molekularer Ebene bereits gut gerüstet: Was beim Garen vor sich geht, haben wir schon ausführlich in Kapitel 1 besprochen. Daher soll es im Folgenden auch gar nicht mehr um den Garvorgang im Bratenstück selbst gehen. Wir wollen die thermischen Bedingungen analysieren, die im Backofen herrschen müssen, damit das Ergebnis nicht nur satt macht, sondern auch die feineren Ansprüche des Geschmacksempfindens zu befriedigen vermag. Wie hoch müssen wir zum Beispiel die Temperatur wählen, damit MaillardReaktionen einsetzen und es eine schöne Kruste gibt – ohne dass der Braten dabei anbrennt? Welche Faktoren bestimmen die Gardauer? Diese Fragen lassen sich physikalisch untersuchen, und wir werden sie mit Hilfe der Thermodynamik in Kapitel 14 beantworten. In diesem Kapitel soll es zunächst um die energetischen Aspekte des Backens und Bratens gehen. Wir werden uns mit dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik beschäftigen, dem thermodynamischen Energieerhaltungssatz. Aus seiner Perspektive ist der Backofen ein Gerät, das mit elektrischer Energie versorgt wird (manchmal auch mit Gas), und mit dieser Energie die Speisen in seinem Inneren auf eine höhere Temperatur bringt.

Bedienfeld

Heizstäbe

Ventilator für Umluftbetrieb

Abb. 6.1: Aufbau eines elektrischen Backofens

Abschnitt 6.1 Der Sonntagsbraten als thermodynamisches Problem

131

Abb. 6.2: Im Inneren des Backofens erkennt man die glühenden Heizstäbe für die Unterhitze.

6.1.1 Aufbau und Funktionsweise eines Backofens

Der Aufbau eines Elektrobackofens ist in Abb. 6.1 gezeigt. Für seine Funktion am wichtigsten sind die Heizstäbe für Ober- und Unterhitze. Es sind massive Eisenstäbe, die in mehreren Windungen an der Ober- und Unterseite des Innenraums verlaufen. Zum Schutz vor Verschmutzungen werden die unteren Heizstäbe meist verdeckt geführt. Der elektrische Strom, der durch die Heizstäbe fließt, erhitzt sie bis zur Rotglut (Abb. 6.2). Dazu sind hohe Stromstärken erforderlich. Nicht ohne Grund wird der Elektroherd als einziges Haushaltsgerät nicht aus einer normalen Steckdose, sondern über einen Drehstromanschluss versorgt. In elektrischer Hinsicht ist ein Heizstab als Widerstand anzusehen. Die aufgenommene Leistung ergibt sich aus dem Produkt aus anliegender Spannung und Stromstärke: P = U · I. Ein Elektromotor oder eine Leuchtdiode können mit der entsprechenden Energie eine Last bewegen oder Licht erzeugen. Anders der Widerstand, das Mauerblümchen unter den elektrischen Bauteilen. Eine „wertvolle“ Aktionsform ist ihm nicht gegeben, und so muss er sich mit der aufgenommenen Leistung eben erwärmen. Die Elektrotechniker sehen das nicht gern und beklagen, dass die Energie am Widerstand „sinnlos verbraten“ wird. Beim Backofen liegt im Verbraten jedoch der Sinn des Gerätes; die elektrische Heizwirkung ist hier beabsichtigt. Durch Wärmeübertragung wird Energie von den Heizstäben zum Braten transportiert. Bei der Besprechung der Garmethoden in Kapitel 1 haben wir die verschiedenen Mechanismen der Wärmeübertragung schon kurz angesprochen. Beim Backofen sind hauptsächlich zwei von ihnen beteiligt: (1) Wärmestrahlung: Die glühenden Heizstäbe strahlen nicht nur sichtbares Licht ab, sondern auch elektromagnetische Strahlung im Infrarotbereich, die zur Erwärmung des Bratens führt. (2) Konvektion: Die durch die Heizstäbe erhitzte Luft gerät in Bewegung, strömt am Braten vorbei und erwärmt ihn dabei.

132

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

Die Wärmeleitung, der dritte Mechanismus der Wärmeübertragung, ist beim Backofen von untergeordneter Bedeutung. Wichtiger ist sie zum Beispiel beim Braten in der Pfanne, wo Energie von der heißen Kochplatte durch den Pfannenboden zu den Speisen strömt. Die meisten Backöfen verfügen neben der konventionellen Beheizung mit Ober- und Unterhitze über die Möglichkeit des Umluftbetriebs. An der Backofenrückwand befindet sich ein Ringheizkörper mit einem Ventilator, der die erhitzte Luft in Richtung der Speisen bläst. Der Braten wird dabei effektiver erwärmt als im Normalbetrieb, weil eine größere Menge heißer Luft an ihm vorbeiströmt und dabei Wärme überträgt. Wenn das wärmeübertragende Medium (die Luft) durch technische Maßnahmen zum Strömen veranlasst wird, spricht man von erzwungener Konvektion. Im Umluftbetrieb stellt sich eine gleichmäßigere Temperaturverteilung im Backofen ein. Weil die Wärmeübertragung durch Strahlung eine verhältnismäßig geringere Rolle spielt, fallen die gegenseitigen „Wärmestrahlungsschatten“ der Speisen weniger ins Gewicht. Mit Umluft kann man daher auf mehreren Ebenen gleichzeitig garen. Ein Nachteil ist die stärkere Austrocknung der Speisen durch die vorbeiströmende Luft. Als erprobtes Gegenmittel gilt eine Tasse mit Wasser, die man in den Backofen stellt.

6.2 Systemgrenzen Um den Energieerhaltungssatz anzuwenden, müssen wir das betrachtete System von seiner Umgebung abgrenzen. Dies geschieht durch Angabe von Systemgrenzen. Schon bei der Anwendung des Energiesatzes in der Mechanik war die Festlegung der Systemgrenzen hilfreich (Band I, Kapitel 7). In der Thermodynamik wird die Terminologie erweitert und modifiziert. Für den im Backofen schmorenden Braten sind in Abb. 6.3 zwei unterschiedliche Möglichkeiten gezeigt, die Systemgrenzen zu wählen (gestrichelte Linien). Wir können sie zum Beispiel dicht um den Braten legen, oder sie kön-

(a)

(b)

Abb. 6.3: Zwei Möglichkeiten für die Wahl der Systemgrenzen beim Backofen

Abschnitt 6.2 Systemgrenzen

133

Abb. 6.4: Mit der Bewegung des Deckels verschieben sich auch die Systemgrenzen.

nen den ganzen Backofen umfassen. In der Wahl der Systemgrenzen ist man frei, es gibt keine Vorschrift dafür. Wie wir bei der Anwendung des ersten Hauptsatzes feststellen werden, erleichtert aber eine geschickte Festlegung der Systemgrenzen oftmals die Lösung des Problems. Statische und bewegliche Systemgrenzen Die Grenzen eines Systems lassen sich in zweierlei Hinsicht klassifizieren. Zum einen können sie statisch oder beweglich sein: (1) Statische Systemgrenzen: Im Verlauf des betrachteten Prozesses ändert sich die Lage der Systemgrenzen nicht. In statischen Situationen (wie etwa beim Backofen) ist diese Art von Systemgrenzen immer sinnvoll. (2) Bewegliche Systemgrenzen: Der Verlauf der Systemgrenzen ändert sich während des betrachteten Prozesses. Eine solche Wahl ist oft zweckmäßig, wenn bewegliche Teile vorkommen. Ein Beispiel ist der dampfgefüllte Topf mit verschiebbarem Deckel von S. 23. Hier sollten die Systemgrenzen der Bewegung des Deckels folgen (Abb. 6.4). Auch den von einem Kolben abgeschlossenen Verbrennungsraum eines Automotors oder den Brühraum der Bacchi-Espressomaschine (S. 102) versieht man am besten mit beweglichen Systemgrenzen. Offene, geschlossene und isolierte Systeme Die folgenden Kategorien erfassen, ob das System mit seiner Umgebung Materie oder Energie austauschen kann: (1) Geschlossenes System: Über die Systemgrenzen hinweg kann Energie ausgetauscht werden, nicht aber Materie. Die Stoffmenge im System ist konstant. Das Volumen kann sich jedoch ändern, denn die Systemgrenzen können beweglich sein (Abb. 6.5 (a)). (2) Isoliertes System: Weder Materie noch Energie können die Systemgrenzen überqueren. Ein Beispiel für die näherungsweise Realisierung eines isolierten Systems ist die Thermoskanne in Abb. 6.5 (b). (3) Offenes System: Die Systemgrenzen sind sowohl für Materie als auch für Energie durchlässig. Ein offenes System liegt z. B. bei der Rohrströmung in Abb. 6.5 (c) vor, wo ein festes, unbewegliches Kontrollvolumen von Flüssigkeit durchströmt wird.

134

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

(a) geschlossenes System

(b) isoliertes System

(c) offenes System

Abb. 6.5: Beispiele zur Einteilung in geschlossene, isolierte und offene Systeme

Es muss betont werden, dass die Systemgrenzen nur gedachte Objekte sind. Durch ihre Festsetzung lässt sich nicht einfach verordnen, das System solle nun isoliert oder geschlossen sein (jeder Bauherr wäre dafür überaus dankbar). Die Klassifizierung in offene, geschlossene und isolierte Systeme muss sich auf materielle Gegebenheiten stützen, etwa auf eine Trennwand oder eine wärmedämmende Styroporschicht.

6.3 Energieformen Lösen wir uns nun von den konkreten Beispielen und gehen zur quantitativen Formulierung des Energiesatzes über, der in der Thermodynamik als „erster Hauptsatz“ bezeichnet wird. Wir müssen dabei berücksichtigen, dass Energie in verschiedenen Formen auftreten kann. Einige davon sind uns bereits aus der klassischen Mechanik bekannt (Band I, Abschnitt 7.1). Wir stellen sie im Folgenden überblicksartig zusammen. Kinetische Energie Ein Körper der Masse m, dessen Schwerpunkt sich mit der Geschwindigkeit ⃗u bewegt, besitzt die kinetische Energie: Ekin = 12 m |⃗u|2 .

(6.1)

In der Thermodynamik tritt die kinetische Energie seltener in Erscheinung als in der Mechanik, denn in vielen thermodynamischen Systemen (etwa beim Backofen) spielen Bewegungen nur eine untergeordnete Rolle. In diesen Fällen kann die kinetische Energie außer Acht bleiben. Wichtig kann sie hingegen bei der Strömung von Flüssigkeiten und Gasen werden.

135

Abschnitt 6.4 Innere Energie

Potentielle Energie Die potentielle Energie ist mit der Lage von Körpern im Gravitationsfeld verbunden. Befindet sich der Körper in der Höhe z über dem Erdboden, so beträgt seine potentielle Energie: Epot = m · g · z,

(6.2)

wobei g = 9,81 m/s2 die Erdbeschleunigung ist. Ähnlich wie die kinetische Energie ändert sich die potentielle Energie in vielen thermodynamischen Vorgängen nicht und wird deshalb in die Energiebilanz von vornherein nicht einbezogen. Chemische Energie Beim Gasherd wird Energie durch die Verbrennung von Gas freigesetzt, also durch eine chemische Reaktion. Vom Motorroller bis zum Hochofen gibt es noch unzählige weitere technische Geräte, die auf der Verbrennung von Öl, Gas oder Kohle beruhen. Die jeweils freigesetzte chemische Energie Echem ist spezifisch für die entsprechende Reaktion. Die pro Kilogramm Brennstoff frei werdende Energiemenge bezeichnet man als Brennwert. Auch bei Batterien und Akkus, die auf elektrochemischen Reaktionen beruhen, sowie beim Stoffwechsel von Tieren und Menschen sind chemische Energieumsetzungen maßgeblich beteiligt (vgl. Band I, Abschnitt 7.6). Weitere Energieformen Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Energieformen, die man im Energiesatz berücksichtigen muss, wenn sie im jeweiligen System vorkommen. In thermodynamischen Zusammenhängen können zum Beispiel die Energie rotierender Körper, die Spannenergie von Federn oder elastischen Materialien, elektrische und magnetische Energien sowie die Kernenergie von Bedeutung sein.

6.4 Innere Energie 6.4.1 Makroskopische und mikroskopische Energieformen

Keine der bisher angeführten Energieformen lässt sich mit der Temperatur verknüpfen. Kinetische, potentielle, elektrische Energie – ihre Definitionsgleichungen zeigen, dass sie alle nicht von der Temperatur abhängen. Man bezeichnet sie als makroskopische Energieformen, weil sie dem System (oder seinen Teilen) als Ganzem zugeordnet sind. Die Energie, die wir einem Gas beim Erhitzen zuführen, findet man in den makroskopischen Energieformen nicht wieder. Wie wir aus der kinetischen Gastheorie wissen, geht sie in die mikroskopische Bewegung der Gasteilchen. Bei höherer Temperatur bewegen sich die Moleküle mit höherer Geschwindigkeit, und entsprechend größer ist auch ihre kinetische Energie. Dies ist in Gl. (6.1) für die kinetische Energie nicht berücksichtigt. Die Gleichung bezieht sich nur auf die Schwerpunktsbewegung des Systems. Das ungeordnete Wimmeln der Gasmoleküle trägt hierzu nicht bei.

136

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

6.4.2 Beiträge zur inneren Energie

Um die Anteile der Energie zu erfassen, die mit der mikroskopischen thermischen Bewegung und den molekularen Bindungen der Atome verknüpft sind, wird eine neue Energieform eingeführt: die innere Energie U. Verschiedene Mechanismen tragen zur inneren Energie bei: (1) Thermische Bewegung von Gasteilchen: Die mittlere kinetische Energie der Moleküle in einem idealen Gas haben wir in Kapitel 5 bereits berechnet. Um den Beitrag aller Moleküle zur inneren Energie zu erhalten, müssen wir Gl. (5.27) mit der Teilchenzahl N multiplizieren: U=

3 2

N · kB · T.

(6.3)

Der zentrale Grenzwertsatz garantiert, dass die statistischen Schwankungen in dieser Summe von 1023 und mehr Termen äußerst gering sein werden (vgl. S. 126). Falls die Gasteilchen jeweils nur aus einem einzelnen Atom bestehen, wie es bei den Edelgasen der Fall ist, spricht man von einem „einatomigen idealen Gas“. Dann gibt es keine weiteren Beiträge zur inneren Energie, und Gl. (6.3) ist der vollständige Ausdruck für U. (2) Rotations- und Schwingungsenergien: Gasteilchen, die aus mehreren Atomen bestehen, können um eine Achse rotieren oder die Atome können gegeneinander schwingen. Auch diese Bewegungen liefern einen Beitrag zur inneren Energie. (3) Bindungen zwischen den Molekülen: Beim Phasenübergang von flüssigem Wasser zu Dampf muss Energie zugeführt werden, ohne dass sich die Temperatur ändert. Es werden Bindungen aufgebrochen, die in der flüssigen Phase zwischen den Molekülen bestehen. Die entsprechende Bindungsenergie ist Bestandteil der inneren Energie. Das Gleiche gilt für Festkörper, wo die Bindungen noch zahlreicher und stärker sind. (4) Thermische Schwingungen in Festkörpern: In Festkörpern sind die Atome an ihre Plätze gebunden. Anders als die Gasteilchen können sie sich nicht frei bewegen. Die thermische Bewegung besteht hier in Schwingungen um die Ruhelage, die ebenfalls zur inneren Energie beitragen.

kinetische Energie der Schwerpunktsbewegung chemische Energie der Kohle

innere Energie von Wasser und Dampf Rotationsenergie der Räder

Abb. 6.6: Beiträge zur Gesamtenergie einer fahrenden Dampflokomotive

137

Abschnitt 6.5 Gesamtenergie 6.4.3 Innere Energie idealer Gase

Neben der thermischen Zustandsgleichung, die p als Funktion von T und V angibt (wie in Gl. (4.1)), werden die thermodynamischen Eigenschaften der Stoffe durch eine zweite Zustandsgleichung charakterisiert: die kalorische Zustandsgleichung für die innere Energie U als Funktion von T und V. Für ideale Gase nimmt sie eine besonders einfache Gestalt an. Kalorische Zustandsgleichung für ideale Gase: U=

f 2

n · R · T.

(6.4)

Bemerkenswert ist: Die innere Energie idealer Gase hängt nur von der Temperatur ab, nicht vom Volumen. Für den Wert von f gibt es eine einfache Regel: f = 3 bei einatomigen Gasen. In diesem Fall ist Gl. (6.4) identisch zu Gl. (6.3); f = 5 bei Gasen aus zweiatomigen oder gestreckten Molekülen, z. B. N2 , O2 ; f = 6 für mehratomige geknickte Moleküle bei tiefen Temperaturen. Mikroskopisch lässt sich die Konstante f als die Zahl der Bewegungsfreiheitsgrade der Gasmoleküle interpretieren. Starre, gestreckte Moleküle besitzen zwei Freiheitsgrade der Rotationsbewegung, räumliche Moleküle drei. Nach Gl. (6.4) trägt jeder dieser Freiheitsgrade ebensoviel zur inneren Energie des Gases bei wie einer der drei Freiheitsgrade der Translationsbewegung. Dies ist ein Beispiel für den Gleichverteilungssatz, eine allgemeine Gesetzmäßigkeit, auf die wir in Abschnitt 6.11 näher eingehen werden. Die kalorische und die thermische Zustandsgleichung beinhalten zusammen die gesamte thermodynamische Information über eine Substanz. Alle thermodynamischen Größen lassen sich aus ihnen herleiten. Ideale Gase werden also vollständig durch die Gleichungen (4.1) und (6.4) beschrieben.

6.5 Gesamtenergie Die Gesamtenergie des Systems ist die Summe aller makroskopischen und mikroskopischen Energieformen innerhalb der Systemgrenzen: Eges = U + Ekin + Epot + Echem + . . . .

(6.5)

Beispielsweise müssen wir bei der Berechnung der Gesamtenergie für die Dampflokomotive in Abb. 6.6 die chemische Energie der Kohle, die innere Energie von Wasser und Dampf, die kinetische Energie von Lokomotive und Anhänger, von Kolben, Stangen und Hebeln sowie die Rotationsenergie der Räder berücksichtigen. Weil in thermodynamischen Anwendungen fast immer nur Energieänderungen betrachtet werden, ist es gängige Praxis, diejenigen Energieformen, die sich während des betrachteten Prozesses nicht ändern, von vornherein nicht in die Gesamtenergie einzubeziehen. Wenn die Lokomotive etwa auf ebener Strecke fährt, bleibt die potentielle Energie konstant und braucht nicht berücksichtigt zu werden.

138

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

6.5.1 Konventionen bei der Aufteilung der Energie

Die Aufteilung in makroskopische und mikroskopische Energieformen ist bis zu einem gewissen Grad willkürlich. Sicher ist, dass die Gesamtenergie innerhalb der Systemgrenzen einen festen Wert besitzt. Man könnte diesen Wert im Grunde dadurch berechnen, dass man für alle Atome im System die jeweiligen kinetischen, potentiellen und Bindungsenergien aufsummiert. Zur Berechnung der Gesamtenergie müsste dann eine ungeheure Summe von Termen addiert werden. Die Definition einer inneren Energie wäre nicht erforderlich, denn die mikroskopische Teilchenbewegung wäre ja bereits erfasst. Aus guten Gründen geht man so nicht vor. Man identifiziert die leicht erfassbaren makroskopischen Bewegungen und ordnet ihnen die oben besprochenen Energieformen kinetische und potentielle Energie zu. In der inneren Energie wird dann nur noch die Molekülbewegung bezüglich des Schwerpunkts erfasst, also im Beispiel der Dampflokomotive relativ zum Dampfkessel, zum Rad oder zum Kolben. Wie die kinetische Gastheorie gezeigt hat, kann man aus der Temperatur auf die Energie der mikroskopischen Teilchenbewegung schließen und so die innere Energie bestimmen. Wo zieht man aber die Grenze zwischen mikroskopischer und makroskopischer Bewegung? Das ist eine Frage der Konvention. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, von denen keine richtiger oder falscher ist als die andere. Zum Beispiel kann man die chemische Energie ganz oder teilweise in die innere Energie mit einbeziehen. Man kann sie aber auch zu den makroskopischen Energieformen rechnen – je nachdem, was zweckmäßiger ist. In diesem Sinn ist die innere Energie eine „flexible“ Energieform. Man kann sie als eine Schublade mit der Aufschrift „Sonstiges“ auffassen. Wichtig ist nur eines: Wie auch immer man die Konvention wählt – man muss sie von Anfang bis Ende konsequent durchhalten. Sonst kann es passieren, dass man Anteile der Energie doppelt zählt oder vergisst und den Energiesatz dadurch fehlerhaft anwendet.

6.6 Wärme und Arbeit Wir nähern uns einem thermodynamischen Begriff, der den Lernenden große Schwierigkeiten bereitet. Nicht weil er so schwierig ist, sondern weil er einen ungünstigen Namen trägt. Es handelt sich um die Wärme. Mit dem Wort „Wärme“ sind im vorphysikalischen Sprachgebrauch unzählige Vorstellungen verbunden. Davon zeugen zahlreiche Redewendungen: (1) Schließ das Fenster, damit die Wärme im Raum bleibt! (2) Durch Reibung wird Wärme erzeugt. Deshalb werden beim Bremsen die Bremsscheiben heiß. (3) Am Meer sind die Winter mild, weil Wasser ein guter Wärmespeicher ist. Mit allen drei Sätzen ist etwas physikalisch Richtiges gemeint. Aber der Begriff Wärme wird hier in seiner Alltagsbedeutung verwendet, nicht in seinem

139

Abschnitt 6.6 Wärme und Arbeit

Umgebung System Energie Abb. 6.7: Beim Austausch von Energie zwischen System und Umgebung fließt Energie über die Systemgrenzen.

thermodynamischen Sinn. Im alltäglichen Sprachgebrauch neigen wir dazu, die Wärme als eine Eigenschaft eines Körpers oder gar als eine eigenständige Substanz anzusehen. Die Grenzen zum Temperaturbegriff sind oft unscharf. Der thermodynamische Begriff „Wärme“ knüpft an alle diese Vorstellungen leider gar nicht an. Er bezeichnet etwas dezidiert anderes. Beim Erlernen der thermodynamischen Terminologie muss man sich daher aktiv von seinen Alltagsvorstellungen lösen. Wenn man sich dieses Hindernis bewusst gemacht hat, ist der Umgang mit dem physikalischen Wärmebegriff nicht mehr sonderlich schwierig. 6.6.1 Wärme und Arbeit: Energietransport über Systemgrenzen

Das Begriffspaar „Arbeit“ und „Wärme“ wird in der Thermodynamik in Bezug auf die Grenzen des betrachteten Systems definiert. Dies ist der Grund, weshalb wir in den vorherigen Abschnitten den Systemgrenzen so viel Aufmerksamkeit geschenkt haben. Der erste Hauptsatz beschreibt den Energieaustausch des Systems mit seiner Umgebung. Er besagt, dass sich die Gesamtenergie des Systems nur dadurch ändern kann, dass Energie die Systemgrenzen überquert (Abb. 6.7). Für diese Energie, die aus dem System heraus oder in das System hinein strömt, wird eine besondere Terminologie eingeführt. Sie kann die Systemgrenzen nämlich als Wärme oder als Arbeit überqueren. Das Unterscheidungskriterium für die beiden Begriffe lautet wie folgt: Wärme und Arbeit: Energie, die eine Systemgrenze aufgrund einer Temperaturdifferenz überquert, bezeichnet man als Wärme. Energie, die eine Systemgrenze überquert und keine Wärme ist, nennt man Arbeit. Die in Abb. 6.7 veranschaulichte Aussage: „Energie strömt über die Systemgrenzen“ wird durch die Definition von Wärme und Arbeit verfeinert. Die beiden Arten des Energietransfers unterscheiden sich in ihrer Ursache (Abb. 6.8).

140

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

Umgebung

Wärme System Arbeit Abb. 6.8: Energie kann Systemgrenzen als Wärme oder als Arbeit überqueren.

Immer wenn der Energiefluss durch eine Temperaturdifferenz hervorgerufen wird, handelt es sich um Wärme. Der Ofen in Abb. 6.8 hat zum Beispiel eine höhere Temperatur als das Systeminnere. Die Energie, die vom Kamin ausgehend die Systemgrenzen überquert, nennen wir daher Wärme. Man kann sich die Definition der Wärme am Beispiel des Backofens veranschaulichen: Sein Zweck liegt darin, die Temperatur des Bratens dadurch zu erhöhen, dass Energie von den Heizstäben auf den Braten übertragen wird. Dazu werden die Heizstäbe erhitzt, damit sie eine höhere Temperatur als der Braten haben. Aufgrund der Temperaturdifferenz wird Wärme übertragen. Thermisches Gleichgewicht Aus der Definition der Wärme folgt sofort: Ohne Temperaturdifferenz gibt es keine Wärmeübertragung. Man spricht vom thermischen Gleichgewicht. Zwei Systeme mit gleicher Temperatur befinden sich im thermischen Gleichgewicht; zwischen ihnen findet keine Wärmeübertragung statt. Formelsymbole und Einheiten In Formeln wird die Wärme mit dem Symbol Q bezeichnet, die Arbeit mit W. Da es sich um Energien handelt, haben sie die Einheit Joule (J). In der Praxis ist oft die pro Sekunde über die Systemgrenzen strömende Energiemenge wichtig, d. h. die aufgenommene oder abgegebene Leistung: ∆Q Q˙ = , ∆t

˙ = ∆W . P=W ∆t

(6.6)

Die entsprechende Einheit ist das Watt (= J/s). 6.6.2 Wärme ist keine Zustandsgröße

Variablen wie Temperatur oder innere Energie, die den makroskopischen Zustand thermodynamischer Systeme charakterisieren, werden als Zustandsgrößen bezeichnet (vgl. S. 19). Sie beschreiben Eigenschaften des Systems. Die Vorgeschichte des Systems ist dabei unerheblich. Gemäß ihrer Definition sind Arbeit und Wärme keine Zustandsgrößen. Sie kennzeichnen nicht den

Abschnitt 6.6 Wärme und Arbeit

141

Zustand des Systems, sondern die Art der Energieübertragung über Systemgrenzen. Man nennt sie daher Prozessgrößen. Anders als die potentielle, die kinetische und die innere Energie sind Arbeit und Wärme auch keine Energieformen. In Gl. (6.5) für die Gesamtenergie treten sie nicht auf. Ein Vergleich kann den Unterschied zwischen Zustands- und Prozessgrößen verdeutlichen. So wie verschiedene Energieformen zur Gesamtenergie eines Systems beitragen, besteht die Bevölkerung eines Landes aus Angehörigen verschiedener Nationen, etwa Deutschen, Engländern, Türken und Japanern. Die Zahl der Japaner in Deutschland ist ein Beispiel für eine Zustandsgröße, die uns eine Information über das System liefert. An der Grenze des Landes kann man die Menschen, die die Grenze von außen überqueren, als Einreisende bezeichnen. Um die Analogie zu vervollständigen, unterscheiden wir noch EU-Bürger von Nicht-EU-Bürgern, die sich an verschiedenen Schaltern anstellen müssen. Der entscheidende Punkt ist nun, dass die Bezeichnung Einreisende nur während des Grenzübertritts eine Bedeutung hat. Sie verliert ihren Sinn unmittelbar nach der Einreise. Die Zahl der Einreisenden ist somit eine Prozessgröße. Sie lässt sich nicht zur Beschreibung eines Zustands verwenden. Mit der Aussage: „Es befinden sich gerade 20 000 Einreisende in Deutschland“ kann man keinerlei Bedeutung verbinden. Prozessgrößen sind höchstens zur Buchführung über die Änderung von Zustandsgrößen geeignet. Man kann sinnvoll aussagen: „In der letzten Woche sind 500 Japaner eingereist, die Zahl der Japaner in Deutschland hat sich also um diesen Betrag erhöht.“ Alltagsvorstellungen und physikalischer Wärmebegriff Spricht man im Alltag von der „Wärme in einem Zimmer“, so soll dies den Zustand des Zimmers beschreiben. Das Zimmer enthält „viel Wärme“. Der Wärmebegriff wird hier als Zustandsgröße verwendet, also nicht in seiner physikalischen Bedeutung als Prozessgröße. Die Alltagsvorstellung von Wärme lässt sich nicht eindeutig auf einen physikalischen Begriff abbilden. Am ehesten entspricht ihr die Temperatur oder die innere Energie. Die Begriffsverwirrung kann man der Alltagssprache nicht anlasten, denn sie ist älter als die Fachterminologie. Es ist der physikalische Ausdruck Wärme, der in seiner heutigen Bedeutung unglücklich definiert ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die physikalische Fachsprache geradezu mit Ausdrücken durchsetzt ist, in denen Wärme als Zustandsgröße oder gar als Substanz aufgefasst wird. Einige Beispiele dafür sind: Wärmeübertragung, Wärmekapazität, Wärmeleitung und Wärmetauscher. Die Fachsprache entstand eben zum Teil in einer Zeit, als man die Wärme noch als stoffliche Substanz angesehen hat. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass auch die korrekte Verwendung der Fachterminologie nicht verhindert, dass wir allein durch unsere Sprache immer wieder unphysikalische Wärmevorstellungen vermitteln. Umso wichtiger ist es, sich bei thermodynamischen Problemen jedes Mal aufs Neue Klarheit über Zustandsgrößen und Prozessgrößen sowie über das aktuell betrachtete System und seine Grenzen zu verschaffen.

142

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

(a)

(b)

(c) F

s

s Abb. 6.9: Verschiedene Beispiele für mechanische Arbeit

6.6.3 Arbeit

Der Begriff Arbeit wird in der Thermodynamik in einer sehr allgemeinen Weise verwendet. Wie die Wärme ist die Arbeit eine Prozessgröße, die nur in Bezug auf die Systemgrenzen definiert ist. Auch hier handelt es sich also um „Energie auf dem Weg“. Die Definition der Arbeit knüpft an den entsprechenden Begriff aus der Mechanik an, ist aber weiter gefasst. Jede Energie, die die Systemgrenzen überquert und dies nicht aufgrund einer Temperaturdifferenz tut, wird als Arbeit bezeichnet. Arbeit lässt sich also nicht nur mit mechanischen Kräften verrichten. Auch andere Wechselwirkungen können dazu beitragen. In der Praxis spielt neben der mechanischen Arbeit die elektrische Arbeit die größte Rolle. 6.6.4 Elektrische Arbeit

Viele technische Geräte werden mit elektrischem Strom betrieben. Wenn elektrischer Strom die Systemgrenzen überquert und dabei Energie transportiert, spricht man von elektrischer Arbeit. Ein Anzeichen dafür ist ein Kabel, das über die Systemgrenzen hinweg verläuft (Abb. 6.8). Die in der Zeit t verrichtete elektrische Arbeit Welektr berechnet man mit der folgenden Formel: Welektr = U · I · t. (6.7) Dabei ist U die jeweils anliegende Spannung und I die Stromstärke. Oftmals ist die elektrische Leistung relevant, also die elektrische Arbeit pro Zeit: ˙ elektr = U · I. Pelektr = W

(6.8)

Beispielaufgabe: Ein Braten braucht zum Garen im Backofen zwei Stunden. Dabei fließt in den Heizstäben eine Stromstärke von 2,8 A bei einer Spannung von 400 V. Berechnen Sie die elektrische Leistung und die insgesamt verrichtete elektrische Arbeit. Lösung: Die elektrische Leistung wird mit Gl. (6.8) berechnet:

Pelektr = U · I = 400 V · 2,8 A = 1120 W.

(6.9)

143

Abschnitt 6.6 Wärme und Arbeit Die in zwei Stunden verrichtete elektrische Arbeit beträgt entsprechend:

Welektr = Pelektr · t = 1120 W · 7200 s = 8,06 MJ.

(6.10)

Häufig wird die elektrische Arbeit in Kilowattstunden angegeben (1 kWh = 3,6 MJ). In unserem Fall kann man direkt schreiben: Welektr = 1120 W · 2 h = 2,24 kWh.

6.6.5 Mechanische Arbeit

Mechanische Arbeit wird verrichtet, wenn Kräfte über die Systemgrenzen hinweg greifen und dabei Energie übertragen. Der Angriffspunkt der Kraft muss sich dabei um eine Strecke s verschieben, während die Kraft wirkt. Zwei Beispiele sind in Abb. 6.9 gezeigt: (a) Während die vom Hammer ausgeübte Kraft am Kopf des Nagels angreift, bewegt sich dieser um eine Strecke s ins Holz hinein; (b) die vom Kran mit der Kraft F angehobene Last bewegt sich um eine Strecke s nach oben. Generell wird der Betrag der mechanischen Arbeit über das folgende Integral berechnet, das die Formel „Kraft mal Weg“ verallgemeinert: Z Wmech =

F ds.

(6.11)

Dabei ist nur die zum Weg parallele Kraftkomponente zu berücksichtigen. Der Begriff der mechanischen Arbeit ist nicht frei von Tücken. Eine ausführliche Diskussion der Schwierigkeiten findet man in Band I, Kapitel 7. Beispielaufgabe: Der Kran in Abb. 6.9 (b) hebt eine Last von 2 Tonnen innerhalb von 15 Sekunden um 6 Meter an. Berechnen Sie die mechanische Arbeit und die Leistung. Lösung: Damit die Last mit konstanter Geschwindigkeit angehoben werden kann, muss der Kran eine Kraft aufbringen, die so groß ist wie die an der Last angreifende Schwerkraft FG = m · g. Kraft und Weg sind parallel gerichtet, so dass die in Gl. (6.11) einzusetzende Parallelkomponente der Kraft den konstanten Wert m · g hat. Die mechanische Arbeit ist somit:

Wmech = m · g · s = 2000 kg · 9,81 m/s2 · 6 m = 118 kJ.

(6.12)

Die dafür erforderliche Zeit ist in die Berechnung der Arbeit nicht eingeflossen. Es zählt nur der Energiebetrag, der über die Systemgrenzen übertragen wird, unabhängig von der benötigten Zeit. Sie ist erst bei der Berechnung der Leistung relevant:

Pmech =

Wmech 118 kJ = = 7,8 kW. t 15 s

(6.13)

Warum wird in diesem Problem bei der Berechnung der Arbeit nur die Kraft berücksichtigt, die der Kran auf die Last ausübt, nicht aber die Schwerkraft, die ja ebenfalls über die Systemgrenzen hinweg wirkt? Diese Frage ist ein wenig knifflig. Sie illustriert eine der Schwierigkeiten mit dem Arbeitsbegriff. Sie wird ausführlich in Band I, Abschnitt 7.7 diskutiert.

144 300

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

Drehmoment in Nm

200

Leistung in kW 100

Drehzahl in U/min 2000

4000

6000

Abb. 6.10: Drehmoment und Leistung bei einer Prüfstandsmessung an einem Golf VI GTI

Mechanische Arbeit bei Drehbewegungen In technischen Zusammenhängen wird mechanische Arbeit meist von Motoren verrichtet, bei denen die Drehbewegung einer Welle zur Kraftübertragung genutzt wird (Abb. 6.9 (c)). Statt einer Kraft gibt man in diesem Fall ein Drehmoment M an (Band I, Kapitel 13). Die mechanische Arbeit ist das Produkt aus Drehmoment und Drehwinkel ϕ: Wmech = M · ϕ.

(6.14)

Ein nützlicher Ausdruck für die entsprechende Leistung wird in Kasten 6.1 hergeleitet. Wenn n˙ die Drehzahl bezeichnet (die Anzahl der Umdrehungen pro Sekunde), beträgt die mechanische Leistung bei der Drehbewegung: ˙ Pmech = 2π M · n.

(6.15)

Beispielaufgabe: Drehmoment und Leistung Abb. 6.10 zeigt das Ergebnis einer Prüfstandsmessung, bei der das Drehmoment und die Leistung eines Golf VI GTI in Abhängigkeit von der Drehzahl gemessen wurden. Überprüfen Sie den Zusammenhang (6.15), indem sie einen Drehzahlwert einsetzen und die zugehörige Leistung ablesen. Lösung: Bei der Messung auf einem Leistungsprüfstand wird das Drehmoment gemessen und die Leistung daraus berechnet (untere Kurve). Nach Gl. (6.15) sollte die Leistung bei konstantem Drehmoment linear mit der Drehzahl ansteigen. Zwischen 3000 und 5000 min−1 ist dies in der Abbildung auch näherungsweise der Fall. Das Auto erreicht seine maximale Leistung bei n˙ = 5700 min−1 = 95 s−1 und einem Drehmoment von 300 Nm. Aus Gl. (6.15) ergibt sich damit:

Pmech = 2π M · n˙

= 2π · 300 Nm · 95 s−1 = 179 kW.

(6.16)

Die maximale Leistung des Wagens beträgt also 179 kW oder 244 PS. Dieser Wert ergibt sich auch, wenn man die Leistung an der unteren Kurve abliest.

145

Abschnitt 6.6 Wärme und Arbeit

Kasten 6.1 Mechanische Leistung bei der Drehbewegung Die mechanische Leistung bei der Drehbewegung ergibt sich, wenn wir Gl. (6.14) bei konstantem M nach der Zeit ableiten. Aus Band I, Anhang A.9 benutzen wir die Definition der Winkelgeschwindigkeit ω = ϕ˙ und schreiben:

Pmech = M · ω.

(6.17)

Die Winkelgeschwindigkeit ist über ω = 2π/T mit der Umlaufzeit T verknüpft (Band I, Anhang A.8), und diese ist wiederum der Kehrwert der Drehzahl: n˙ = 1/T . Also können wir schreiben:

Pmech = M ·

2π ˙ = 2π M · n, T

(6.18)

und gelangen so zu Gl. (6.15) für die Leistung bei konstantem Drehmoment.

6.6.6 Volumenänderungsarbeit

Eine besondere Form der mechanischen Arbeit tritt bei beweglichen Systemgrenzen auf. Betrachten wir zum Beispiel ein Gas in einem Zylinder mit einem beweglichen Kolben. Die in Abb. 6.11 eingezeichneten Systemgrenzen umschließen das Gas. Beim Verschieben des Kolbens bewegen sie sich mit. Man kann den Kolben nur mit einem gewissen Kraftaufwand nach unten schieben, denn das Gas wird dabei komprimiert. Es wird mechanische Arbeit verrichtet, die Volumenänderungsarbeit WVolumen . Ihr Betrag ist durch das Arbeitsintegral (6.11) gegeben. Für F ist dabei die vom Kolben auf das angrenzende Gas ausgeübte Kraft einzusetzen, während s die vom Kolben zurückgelegte Wegstrecke bezeichnet. Setzt man die Druckdefinition p = F/A in Gl. (6.11) ein, ergibt sich: WVolumen =

Z

F ds =

Z

p · |{z} A ds = −

Z

p dV.

(6.19)

=−dV

A ds F=p·A

Abb. 6.11: Zur Definition der Volumenänderungsarbeit

d V = A · ds

146

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

Die letzte Gleichung gilt, weil dV = − A · ds gerade der Volumenänderung des Gases bei der Kolbenverschiebung um ds entspricht (Abb. 6.11). Das negative Vorzeichen ergibt sich, weil das Volumen abnimmt, wenn die Verschiebung in Richtung der von außen wirkenden Kraft erfolgt. In Gl. (6.19) steht p für den Gasdruck direkt am Kolben. Falls der Prozess hinreichend langsam abläuft, ist der Druck jederzeit räumlich konstant, weil er sich innerhalb des Zylinders ausgleichen kann. Nach dieser (meist stillschweigend getroffenen) Annahme durchläuft das System reversibel eine Folge von Gleichgewichtszuständen. Gl. (6.19) behält ihre Gestalt, das Formelzeichen p bezeichnet nun aber den Gasdruck im gesamten Zylinder – eine experimentell wie theoretisch weitaus leichter zu behandelnde Größe. Volumenänderungsarbeit: WVolumen = −

Z

p dV .

(6.20)

Für das Vorzeichen von WVolumen gibt es verschiedene Konventionen. Wenn man Motoren entwirft, liegt es nahe, die vom Gas am Kolben verrichtete Arbeit als positiv zu definieren. In diesem Buch hat die am betrachteten System (hier also am Gas) verrichtete Arbeit ein positives Vorzeichen. Dies entspricht der Arbeitsdefinition (6.11): Die Arbeit ist positiv, wenn die von außen am System angreifende Kraft und der zurückgelegte Weg gleich gerichtet sind. Beispielaufgabe: Volumenänderungsarbeit bei konstantem Druck In Kapitel 2 haben wir Dampf bei konstantem Druck in einem Topf mit beweglichen Deckel erhitzt (Abb. 2.6 auf S. 23; in Abb. 6.12 noch einmal gezeigt). Berechnen Sie die Volumenänderungsarbeit, die zwischen den beiden Teilbildern verrichtet wird. Lösung: Auf S. 23 haben wir 1 kg Wasserdampf betrachtet, der bei konstantem Druck von 100 °C auf 300 °C erhitzt wird. Er verschiebt dabei einen beweglichen Kolben. Um

(a)

(b) p = 1 bar T = 100 °C

gesättigter Dampf

p = 1 bar T = 300 °C überhitzter Dampf

Abb. 6.12: Erhitzen von Dampf bei konstantem Druck

147

Abschnitt 6.6 Wärme und Arbeit

die Volumenänderungsarbeit zu berechnen, charakterisieren wir zuerst Anfangs- und Endzustand und wenden sodann Gl. (6.20) an. Im Anfangszustand liegt gesättigter Dampf bei 1 bar und 100 °C vor. Das spezifische Volumen entnehmen wir der Wasserdampftafel für gesättigten Dampf (Tabelle B.1):

vg = 1,672 m3 /kg,

für 1 kg Dampf also:

V = 1,672 m3 .

(6.21)

Im Endzustand haben wir überhitzten Dampf bei 1 bar und 300 °C. Aus der Wasserdampftafel für überhitzten Dampf (Tabelle B.2) lesen wir ab:

v = 2,64 m3 /kg,

für 1 kg Dampf also:

V = 2,64 m3 .

(6.22)

Die Berechnung der Volumenänderungsarbeit fällt leicht, weil der Prozess bei konstantem Druck abläuft. Z

WVolumen = −

p dV

p = konst.

=

− p · (V2 − V1 ).

(6.23)

Das Einsetzen der Zahlenwerte ergibt:

WVolumen = − p · (V2 − V1 ) = −105 Pa · (2,64 m3 − 1,672 m3 ) = −96,8 kJ.

(6.24)

Die Volumenänderungsarbeit ist negativ, weil das Gas expandiert. Es verrichtet dabei Arbeit am Kolben, mit der man z. B. eine Maschine antreiben kann. Die Grundidee aller Verbrennungsmotoren besteht darin, den Kolben anschließend bei geringerem Druck in seine Ausgangsposition zurückkehren zu lassen, so dass bei einem Zyklus insgesamt mechanische Arbeit an die Umgebung abgegeben wird. Beispielaufgabe: Berliner Rohrpost Von 1865 bis 1976 besaß Berlin (wie viele andere Städte auch) ein verzweigtes Rohrpostnetz mit über 200 km Gesamtlänge. Briefe und Telegramme wurden in zylindrischen Behältern durch unterirdische Röhren von Ort zu Ort geschickt (Abb. 6.13). Die Zylinder wurden durch Über- oder Unterdruck angetrieben und erreichten dabei Geschwindigkeiten von bis zu 20 m/s. In Berlin hatten die Rohre einen Durchmesser von 6,5 cm und wurden mit einer Druckdifferenz von 0,5 bar betrieben. Schätzen Sie die mechanische Arbeit und die Leistung ab, die benötigt wurde, um einen Rohrpostbehälter über die Strecke von 1253 m vom Haupttelegrafenamt Oranienburger Straße bis zum Postamt W 64 (Unter den Linden) zu befördern. Lösung: Wir wählen die sich ständig vergrößernde Luftsäule zwischen Startort und Rohrpostbehälter als das betrachtete System. Der Zylinder soll durch einen konstanten Überdruck von 0,5 bar angetrieben werden. Am Ausgangsort muss sich daher ein Kompressor befinden, der das Rohr mit Druckluft von 1,5 bar versorgt. Gesucht ist die mechanische Arbeit, die dieser Kompressor verrichtet, wenn er Luft in das Rohrsystem pumpt und dadurch den Zylinder durch das Rohr treibt. Ist der Zylinder am Ziel angekommen, so hat die Luftsäule das Volumen eines Zylinders mit 6,5 cm Durchmesser und 1253 m Länge:

V2 = (3,25 cm)2 · π · 1253 m = 4,16 m3 .

(6.25)

Da der Prozess beim konstanten Druck von 1,5 bar ablaufen soll, können wir die Volumenänderungsarbeit mit der einfachen Formel (6.23) berechnen:

WVolumen = − p · (V2 − V1 ) = −1,5 · 105 Pa · (4,16 m3 − 0) = −624 kJ.

(6.26)

148

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

Abb. 6.13: Rohrpostanlage in Berlin

Die vom Kompressor verrichtete Arbeit ist das Negative dieses Wertes. Geht man von einer Geschwindigkeit von 20 m/s aus, legt der Zylinder die Strecke in 63 Sekunden zurück. Die Leistung des Kompressors beträgt dabei:

Pmech =

624 kJ = 9,95 kW. 63 s

(6.27)

Zum Antrieb der Rohrpost muss der Kompressor also umgerechnet 13,5 PS leisten.

6.7 Der erste Hauptsatz der Thermodynamik Alle bisherigen Überlegungen in diesem Kapitel waren Vorarbeiten für die Formulierung des ersten Hauptsatzes. Was wir an begrifflichen Zutaten dafür benötigen, haben wir inzwischen zusammengetragen: (1) Die Abgrenzung von System und Umgebung durch Systemgrenzen, (2) die Beiträge zur Gesamtenergie innerhalb der Systemgrenzen einschließlich der inneren Energie, (3) die Definition der Prozessgrößen Wärme und Arbeit. Die Energie ist eine erhaltene Größe – im Grunde enthält der erste Hauptsatz der Thermodynamik nichts anderes als diese Aussage. Wir können für seine Anwendung ein Schema in vier Schritten angeben. Es ist das gleiche wie beim Energieerhaltungssatz in der Mechanik (Band I, Abschnitt 7.4). Um es zu erläutern, greifen wir das Beispiel des Bratens wieder auf, den wir zu Beginn des Kapitels in den Backofen gestellt haben. Wir möchten wissen, um welchen Betrag sich seine innere Energie im Verlauf von einer Stunde erhöht.

149

Abschnitt 6.7 Der erste Hauptsatz der Thermodynamik

Q

Abb. 6.14: Zur Anwendung des ersten Hauptsatzes auf den Braten im Backofen

a) Prozess identifizieren Zuerst muss klargestellt werden, welcher Prozess betrachtet wird. Dazu gehört das Festlegen der Systemgrenzen sowie die Angabe von Anfangs- und Endzeitpunkt. Wir wählen die Systemgrenzen so wie in Abb. 6.3 (a), d. h. sie verlaufen innerhalb des Backofens eng um den Braten (Abb. 6.14). Anfangszeitpunkt t1 und Endzeitpunkt t2 liegen eine Stunde auseinander. b) Systemgrenzen klassifizieren Die in Abschnitt 6.2 erläuterte Klassifikation in statische und bewegliche Systemgrenzen muss vorgenommen werden, und es muss geprüft werden, ob das System isoliert, geschlossen oder offen ist. In unserem Fall sind die Systemgrenzen statisch. Weil die Systemgrenzen zwar von Energie, nicht aber von Materie überquert werden, ist das System geschlossen. c) Gesamtenergie, Wärme und Arbeit bestimmen Alle Energieformen innerhalb der Systemgrenzen müssen identifiziert und daraus die Gesamtenergie berechnet werden. Sofern es sich nicht um ein isoliertes System handelt, müssen auch die verschiedenen Beiträge zu den Prozessgrößen Wärme und Arbeit ermittelt werden. Beim Braten spielen kinetische und potentielle Energie keine Rolle. Nur die innere Energie (in die wir die chemische Energie mit einbeziehen) ist relevant. Von den Heizdrähten und den Ofenwänden wird Energie auf den Braten übertragen. Sie überquert dabei die Systemgrenzen. Weil für den Energiefluss eine Temperaturdifferenz verantwortlich ist, handelt es sich um Wärme. Arbeit spielt bei dieser Wahl der Systemgrenzen keine Rolle (Abb. 6.14). Aber Achtung: Hätten wir die Systemgrenzen so wie in Abb. 6.3 (b) gewählt, würde nur am Stromkabel Energie die Systemgrenzen überqueren. Da der elektrische Strom nicht aufgrund einer Temperaturdifferenz fließt, würde es sich in diesem Fall um elektrische Arbeit handeln. d) Energiebilanz aufstellen Der letzte Schritt besteht im Aufstellen der Energiebilanz. Wir werden im Folgenden isolierte und geschlossene Systeme getrennt betrachten; auf offene Systeme gehen wir in Abschnitt 6.14 ein.

150

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

6.7.1 Der erste Hauptsatz für isolierte Systeme

Bei isolierten Systemen sind die Systemgrenzen undurchlässig für Energie. Energieerhaltung bedeutet in diesem Fall, dass die Gesamtenergie innerhalb der Systemgrenzen konstant ist und im betrachteten Zeitintervall ihren Wert nicht ändert. Die Energiebilanz hat eine sehr einfache Gestalt. Erster Hauptsatz der Thermodynamik für isolierte Systeme: Eges (t1 ) = Eges (t2 ).

(6.28)

Diese Gleichung ist identisch mit dem Energiesatz in der Mechanik für den Fall, dass keine Energie die Systemgrenzen überquert (Band I, Abschnitt 7.4.2). Beim Vergleich sind die Begriffsunterschiede in der Klassifikation der Systemgrenzen zu beachten. Während in der Thermodynamik isolierte, geschlossene und offene Systeme unterschieden werden, ist in der Mechanik von offenen und abgeschlossenen Systemen die Rede, wobei die beiden Bedeutungen von „offen“ sich unterscheiden. 6.7.2 Der erste Hauptsatz für geschlossene Systeme

Bei geschlossenen Systemen können die Systemgrenzen von Energie überquert werden. Dadurch ändert sich die Gesamtenergie im System, und zwar exakt um die Energiemenge ∆E, die zwischen den Zeitpunkten t1 und t2 über die Systemgrenzen geflossen ist: Eges (t2 ) − Eges (t1 ) = ∆E.

(6.29)

Mit dieser Fassung des Energiesatzes für geschlossene Systeme könnte die Formulierung des ersten Hauptsatzes abgeschlossen sein. Man geht aber noch einen Schritt weiter und unterteilt ∆E in Arbeit und Wärme. So ergibt sich die endgültige Fassung des ersten Hauptsatzes für geschlossene Systeme. Erster Hauptsatz der Thermodynamik für geschlossene Systeme: Eges (t2 ) − Eges (t1 ) = Q + W.

(6.30)

In Worten ausgedrückt: Die Gesamtenergie im System ändert sich dadurch, dass Energie die Systemgrenzen überquert. Dies kann auf zwei Arten erfolgen, als Wärme oder als Arbeit. Wenn sich nur die innere Energie ändert In vielen Fällen geht die Änderung der Gesamtenergie des Systems allein auf die Änderung der inneren Energie zurück, das heißt: Eges (t2 ) − Eges (t1 ) = ∆U,

(6.31)

Abschnitt 6.7 Der erste Hauptsatz der Thermodynamik

151

mit ∆U = U (t2 ) − U (t1 ). Potentielle und kinetische Energie sowie andere Energieformen spielen keine Rolle und können in der Energiebilanz unbeachtet bleiben. In diesem speziellen Fall nimmt der erste Hauptsatz für geschlossene Systeme die folgende Gestalt an, die in den meisten Büchern als einzige Form zu finden ist. Erster Hauptsatz für geschlossene Systeme, bei denen sich nur die innere Energie ändert: ∆U = Q + W.

(6.32)

Besteht zudem die Arbeit einzig in Volumenänderungsarbeit, können wir die Formel (6.20) für W einsetzen, und es ergibt sich: ∆U = Q −

Z

p dV.

(6.33)

Vorzeichenkonvention Die Frage der Vorzeichenkonvention wurde bereits bei der Definition von Arbeit und Wärme angesprochen. Beide werden in diesem Buch als positiv definiert, wenn sie die Energie des betrachteten Systems erhöhen, wenn also Energie von außen in das System übertragen wird. Dem entspricht eine Zunahme der Gesamtenergie (linke Seite von Gl. (6.30)). Da es unterschiedliche Konventionen gibt, ist Vorsicht beim Vergleich verschiedener Texte geboten. Warum werden Arbeit und Wärme unterschieden? Wozu dient eigentlich die doch recht unhandliche Aufteilung von ∆E in Arbeit und Wärme? Bisher ist noch kein Vorteil erkennbar, der damit verbunden wäre. Reicht es nicht aus, sich auf Gl. (6.29) zu beschränken? In der Tat ist die Aufteilung der übertragenen Energie in Arbeit und Wärme vom Standpunkt des ersten Hauptsatzes nicht begründbar. Sie wird erst aus der Perspektive des zweiten Hauptsatzes verständlich. Mit Wärmeübertragung ist nämlich immer eine Entropieänderung des Systems verbunden, während dies für die Arbeit nicht der Fall ist. Diese Tatsache hat Auswirkungen auf die Verfügbarkeit bzw. Nutzbarkeit der übertragenen Energie. Beispielaufgabe: Rinderfilet I (Energieübertragung) Laut „Dr. Oetkers Schulkochbuch“ benötigt 1 kg angebratenes Rinderfilet im vorgeheizten Backofen etwa 30 Minuten, um gar zu werden. Gehen Sie von einer durchschnittlichen Wärmeübertragungsrate von 90 W aus und berechnen Sie die Änderung der inneren Energie des Bratens. Lösung: Wir wählen die Systemgrenzen wie in Abb. 6.14. Es handelt sich um ein geschlossenes System mit statischen Systemgrenzen. Die Zeit, über die wir den Braten betrachten, beträgt 30 Minuten. Da sich die kinetische und die potentielle Energie des

152

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

DU Q DT

1. Hauptsatz:

Abb. 6.15: Zusammenhang zwischen Wärmezufuhr, Änderung der inneren Energie und Temperaturerhöhung

Q ® DU

Wärmekapazität: Q ® DT

Bratens nicht ändern, müssen wir nur die Änderung der inneren Energie betrachten und können den ersten Hauptsatz in der Form (6.32) anwenden:

∆U = Q + W . =0

(6.34)

Wie schon auf S. 149 festgestellt, überquert die übertragene Energie die Systemgrenzen aufgrund einer Temperaturdifferenz. Es handelt sich also um Wärme. Arbeit spielt in diesem Problem keine Rolle. Bei einer Wärmeübertragungsrate Q˙ = 90 W beträgt die in 30 Minuten über die Systemgrenzen fließende Wärme:

Q = Q˙ · ∆t = 90 W · 30 · 60 s = 162 kJ.

(6.35)

Nach Gl. (6.34) ändert sich somit die innere Energie des Bratens um 162 kJ.

6.8 Spezifische Wärmekapazität Die eigentlich interessante Frage hat uns die voranstehende Beispielaufgabe nicht beantwortet: Welche Temperatur hat das Rinderfilet nach 30 Minuten? Genügt die Wärmezufuhr von 162 kJ, um es überall auf mindestens 65 °C zu erhitzen, so dass es gar wird? Unsere bisherigen Mittel reichen zur Beantwortung dieser Frage nicht aus. Wir müssen uns auf die langjährige Erfahrung der Kochbuchautoren im Zubereiten von Rinderfilet verlassen. Um diesen Mangel zu beheben, benötigen wir einen Zusammenhang zwischen der übertragenen Wärme und der dadurch verursachten Temperaturänderung. Wie viel Wärme müssen wir einem Körper zuführen, damit seine Temperatur um 1 °C bzw. 1 K ansteigt? Die spezifische Wärmekapazität c stellt diesen Zusammenhang her (Abb. 6.15). Spezifische Wärmekapazität c: Q = c · m · ∆T.

(6.36)

Hierbei ist Q die zugeführte Wärmemenge, m die Masse des Körpers und ∆T die Temperaturänderung, die durch die Wärmezufuhr erreicht wird. Die spezifische Wärmekapazität ist eine Materialeigenschaft, die durch Messungen

153

Abschnitt 6.8 Spezifische Wärmekapazität cWasser in Einheiten von 4,1868 kJ/(kg K)

1.02 1.01

Abb. 6.16: Temperaturabhängigkeit der spezifischen Wärmekapazität von Wasser bei einem Druck von 1 bar (Daten: NIST Standard Reference Database)

1.00

0.99 Temperatur in °C 0

20

40

60

80

100

bestimmt werden muss. In den Tabellen im Anhang finden sich Werte für viele Stoffe. Für mageres Rindfleisch beträgt die spezifische Wärmekapazität beispielsweise 2,8 kJ/(kg K). Um die Temperatur von einem Kilogramm Rindfleisch um 1 K zu erhöhen, ist demnach eine Wärmezufuhr von 2,8 kJ nötig. Temperaturabhängigkeit der Wärmekapazität In Gl. (6.36) wird angenommen, dass c über den Bereich der Temperaturänderung konstant ist. Wenn dies nicht der Fall ist, muss man die Gleichung in Integralform schreiben: Z Q=m

c( T ) dT.

(6.37)

In vielen Fällen ist es ausreichend, Gl. (6.36) mit einem „mittleren Wert“ der Wärmekapazität zu verwenden. Dies gilt z. B. für Wasser, bei dem die Wärmekapazität in einem Temperaturbereich zwischen 0 °C und 100 °C um weniger als 1 % variiert (Abb. 6.16). Wenn das Wasser siedet, ist die Wärmekapazität formal unendlich, denn beim Verdampfen wird Wärme zugeführt, ohne dass sich die Temperatur ändert. Statt der Wärmekapazität wird daher an Phasenübergängen generell die Verdampfungsenthalpie oder eine entsprechende Größe angegeben. Beispielaufgabe: Rinderfilet II (Temperaturerhöhung) Das Rinderfilet aus der vorigen Aufgabe wird mit einer Temperatur von 20 °C in den Backofen gestellt. Berechnen Sie seine Temperatur am Ende der Garzeit. Lösung: Dem Rinderfilet wird eine Wärmemenge von 162 kJ zugeführt. Um die dadurch verursachte Temperaturänderung zu berechnen, lösen wir Gl. (6.36) nach ∆T auf:

∆T =

Q . m·c

(6.38)

Bei der Berechnung berücksichtigen wir, dass es bei Temperaturdifferenzen keine Rolle spielt, ob man die Werte in ◦ C oder K angibt:

∆T =

162 kJ = 58 K = 58 ◦ C. 1 kg · 2,8 kJ/(kg K)

(6.39)

154

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

Die Endtemperatur nach 30 Minuten beträgt 20 °C + 58 °C = 78 °C. Man kann also davon ausgehen, dass der Braten gar ist (vgl. S. 11). Bei der Berechnung haben wir vorausgesetzt, dass sich der gesamte Braten gleichmäßig erwärmt und überall eine einheitliche Temperatur aufweist. Beispielaufgabe: Rinderfilet aus dem Kühlschrank Wir haben vergessen, das Rinderfilet rechtzeitig aus dem Kühlschrank zu nehmen und stellen es deshalb mit einer Temperatur von 4 °C in den Backofen. Berechnen Sie die Wärmemenge und die Garzeit, die jetzt zum Erhitzen auf 78 °C nötig sind. Lösung: Die Temperaturänderung des Rinderfilets beträgt nun 78 °C − 4 °C = 74 °C. Nach Gl. (6.36) beträgt die zum Erhitzen erforderliche Wärmemenge:

Q = 2,8

kJ · 1 kg · 74 K = 207 kJ. kg K

(6.40)

Die zum Garen erforderliche Energie erhöht sich also um 28 %, wenn man den Braten direkt aus dem Kühlschrank in den Backofen stellt. Bei einer Wärmeübertragungsrate von 90 W beträgt die nun erforderliche Garzeit:

t=

Q 207 kJ = = 2300 s = 38 min. 90 W Q˙

(6.41)

Auch die Garzeit verlängert sich somit um 28 %. Bevor wir von unserem Rinderfilet ablassen, müssen noch zwei vereinfachende Annahmen angesprochen werden, die wir in unserem Modell zugrunde gelegt haben: (1) Annahme einer zeitlich konstanten Wärmeübertragungsrate Die Wärmemenge, die pro Sekunde über die Systemgrenzen übertragen wird, ist näherungsweise proportional zur Temperaturdifferenz ∆T zwischen den Innenwänden des Ofens und der Außenseite des Bratens. Am Anfang ist der Braten noch kalt und die Temperaturdifferenz groß. Im Verlauf des Garens steigt die Bratentemperatur, und ∆T wird kleiner. Daher nimmt die Wärmeübertragungsrate Q˙ im Lauf der Zeit ab. In unserem Beispiel sind wir deshalb von einer relativ niedrigen durchschnittlichen Wärmeübertragungsrate von 90 W ausgegangen. Im Extremfall, wenn die Bratentemperatur gleich der Ofentemperatur ist, liegt thermisches Gleichgewicht vor, und es findet überhaupt keine Wärmeübertragung mehr statt (vgl. S. 140). Das Rinderfilet möchte man allerdings in diesem Fall nicht mehr essen. (2) Annahme einer gleichmäßigen Erwärmung Wir sind von einer einheitlichen Temperatur für den gesamten Braten ausgegangen. Dahinter steht die Annahme, dass sich das Fleisch überall gleichmäßig erwärmt. Für gute Wärmeleiter wie Metalle kann eine solche Annahme zutreffen. Aus Erfahrung wissen wir aber, dass sich ein Braten schichtweise von außen nach innen erwärmt. Die Temperatur in den äußeren Schichten steigt relativ rasch an, während es in der Mitte länger dauert, bis es zu einer nennenswerten Temperaturerhöhung kommt. Das Problem der ungleichmäßigen Erwärmung werden wir in Kapitel 14, in dem es um instationäre Wärmeleitung geht, noch einmal aufgreifen und ausführlicher behandeln.

155

Abschnitt 6.8 Spezifische Wärmekapazität

37 °C Q

Q

8 °C Abb. 6.17: Abnehmen durch Biertrinken?

Beispielaufgabe: Abnehmen durch Biertrinken? Um der Gewichtszunahme durch das viele Essen vorzubeugen, nehmen Sie ein kühles Bier (0,5 Liter) zu sich. Ihre Begründung: Das Bier wird bei 8 °C getrunken und muss auf Körpertemperatur erwärmt werden. Dem Körper wird dadurch Energie entzogen (Abb. 6.17). Also macht Biertrinken schlank. Überprüfen Sie die Stichhaltigkeit der Argumentation. Lösung: Aufgrund der Temperaturdifferenz zwischen Körper und Bier wird tatsächlich Wärme übertragen und dem Körper Energie entzogen. Bier hat die gleiche Wärmekapazität wie Wasser (c = 4,19 kJ/(kg K); vgl. Tabelle B.7). Zum Erwärmen von 0,5 kg Bier ist daher die folgende Wärmemenge erforderlich:

Q = c · m · ∆T

= 4,19

kJ · 0,5 kg · 29 K kg K

= 61 kJ.

(6.42)

Diesem Energiebetrag steht der physiologische Brennwert von Bier entgegen, d. h. der „Nährwert“, der dem Körper mit dem Getränk zugeführt wird. Für 0,5 Liter Bier beträgt er etwa 900 kJ. Die Gesamtbilanz fällt also positiv aus – für die Energievorräte des Körpers und in Richtung auf eine rundliche Körperform. Wenn man jedoch Wasser statt Bier trinkt, kann man das Abnehmen tatsächlich unterstützen. In einer Studie mussten Probanden 0,5 Liter Wasser trinken, dessen Temperatur 22 °C betrug. Der Energieumsatz ihres Körpers, der im Anschluss gemessen wurde, war danach für etwa eine Stunde um 30 % gegenüber dem Normalwert erhöht (Boschmann et al. 2003). Etwa 40 % des Effekts ließ sich auf die Erwärmung des Wassers im Körper zurückführen, der Rest beruht anscheinend auf einer allgemeinen Aktivierung des Stoffwechsels.

156

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

c bzw. cp in kJ/(kg K)

4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5

Abb. 6.18: Vergleich der spezifischen Wärmekapazitäten verschiedener Stoffe

Beispielaufgabe: Wärmekapazität von Wasser Vergleichen Sie die Wärmemengen, die man 5 kg Eisen, 5 kg Wasser und 5 kg Holz zuführen muss, um die Materialien von 20 °C auf 30 °C zu erwärmen. Lösung: Zum Anwenden von Gl. (6.36) benötigen wir die Wärmekapazitäten der Materialien. Aus den Tabellen B.7 bis B.10 im Anhang lesen wir folgende Werte ab: 0,45 kJ/(kg K) für Eisen, 4,19 kJ/(kg K) für Wasser und 1,7 kJ/(kg K) für Holz. Mit ∆T = 10 °C und m = 5 kg ergeben sich aus Gl. (6.36) die folgenden Werte: Eisen: Wasser: Holz:

22,5 kJ 209,5 kJ 85,0 kJ

Um die gleiche Temperaturerhöhung zu erzielen, muss bei Wasser fast zehn Mal soviel Wärme zugeführt werden wie bei Eisen. Wie man in Abb. 6.18 erkennt, besitzt Wasser im Vergleich zu anderen Stoffen eine außerordentlich hohe spezifische Wärmekapazität. Nur Wasserstoffgas hat wegen seines geringen Molekulargewichts eine noch höhere spezifische Wärmekapazität (in der Abbildung nicht dargestellt). Metalle haben dagegen im Allgemeinen niedrige Wärmekapazitäten. Über die Wärmekapazität von Wasser ist die alte Energieeinheit der Kalorie definiert, die uns vor allem im Zusammenhang mit dem Energieinhalt von Lebensmitteln noch oft begegnet. Eine Kalorie entspricht der Wärmemenge, die nötig ist, um 1 g Wasser um 1 °C zu erwärmen: 1 cal = 4,19 J. Weil Wasser in der Natur so allgegenwärtig ist, hat seine hohe Wärmekapazität vielfältige Auswirkungen auf Wetter und Klima (milde Winter am Meer, Bodenseeklima). Im Haushalt ist der Effekt eher störend: Wegen des großen Energieaufwandes beim Erhitzen von Wasser braucht das Nudelwasser so lange, bis es siedet. Ebenso ist beim Duschen und Baden viel Energie nötig, um Wasser auf die gewünschte Temperatur zu bringen.

157

Abschnitt 6.8 Spezifische Wärmekapazität

Kasten 6.2 Gedeckter Apfelkuchen nach DIN Warum werden Backöfen mit einer elektrischen Leistung von über 1000 W betrieben (vgl. Gl. (6.9)), wenn die mittlere Wärmeübertragungsrate auf das Gargut bei nur 100 W liegt? Wo die „fehlende“ Energie hingeht, erschließt sich, wenn wir die Systemgrenzen wie in Abb. 6.3 (b) wählen und den ersten Hauptsatz in der Form

W = ∆U − Q

(6.43)

schreiben. Die zugeführte elektrische Arbeit ändert zum einen die innere Energie. Dabei wird nicht nur die Temperatur der Speisen erhöht, sondern auch die Temperatur des gesamten Innenraums, einschließlich der Ofenwände. Zum anderen ist das System im Allgemeinen nicht isoliert. Wärme kann nach außen entweichen und geht dem System dadurch verloren. Bei Untersuchungen wurden in dieser Hinsicht zwischen verschiedenen Fabrikaten große Unterschiede festgestellt. Um den Verbraucher vor dem Kauf eine Informationsmöglichkeit zu geben, werden Energieeffizienzklassen für Backöfen festgelegt. Die Einstufung erfolgt durch den „Brick-Test“. Dabei wird ein gewässerter Ziegelstein, der das Gargut simulieren soll, nach einem vorgeschriebenen Verfahren erhitzt und die dafür benötigte elektrische Energie gemessen. Die europäische Norm DIN EN 50304 für die Gebrauchseigenschaften von Backöfen beinhaltet auch weniger prosaische Testverfahren. Hier wird gebacken und gegrillt, um die Eigenschaften der Backöfen zu überprüfen. Wenn Sie irgendwann einmal einen gedeckten Apfelkuchen backen wollen – hier ist das amtliche Rezept, mit dem Sie definitionsgemäß nichts falsch machen können. Gedeckter Apfelkuchen nach DIN EN 50304 Teig: 300 g 175 g 75 g 1 Ei 50 ml

Weizenmehl ohne Triebmittel Backmargarine mit 80 % Fettgehalt oder gesalzene Butter Kristallzucker (max. Korngröße 0.3 mm) (55 g bis 60 g, mit Schale) Wasser

Füllung: 25 g frisches Paniermehl 50 g Rosinen (kernlos) 400 g Äpfel zum Backen (Masse der vorbereiteten Äpfel) 75 g Kristallzucker, max. Korngröße 0,3 mm

Mehl und Zucker verrühren, Margarine unterkneten. Das Ei und so viel Wasser hinzufügen, dass sich alles zu einem weichen Teig verbindet. Den Teig zu einer Kugel kneten und mindestens eine halbe Stunde abgedeckt im Kühlschrank bei einer Temperatur von (5 ± 2) °C lagern. Die Äpfel schälen, das Kernhaus entfernen und die Äpfel in max. 13 mm dicke Scheiben schneiden. Den Teig aus dem Kühlschrank nehmen und in Portionen von einem und zwei Dritteln teilen. Jede Portion wird auf eine Dicke von 5 mm ausgerollt. Dabei den Teig nicht erneut kneten. Die größere Portion wird zum Belegen des Bodens und der Seiten einer Backform mit einem Durchmesser von 200 mm ± 10 mm und einer Höhe von 50 mm ± 15mm verwendet. Das Paniermehl gleichmäßig über den Teig streuen. Apfelscheiben, Rosinen und Zucker gleichmäßig darauf verteilen. Die Oberseite mit dem restlichen Teig bedecken. Die Teigränder gut verschließen. Oberseite einschneiden, damit der Dampf entweichen kann. Den Kuchen backen, bis er durchgebacken ist. Die Bräunung ist unter Verwendung der Farbkarte nach Anhang B zu bewerten. Kleine Unregelmäßigkeiten werden vernachlässigt.

158

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

6.9 Spezifische Wärmekapazität von Gasen Die spezifische Wärmekapazität beschreibt den Zusammenhang zwischen der Wärmemenge, die auf einen Körper übertragen wird, und der dadurch verursachten Temperaturerhöhung. Diese Definition ist allerdings noch nicht vollständig. Wie wir beim Erhitzen von Wasser in Kapitel 2 festgestellt haben, gehört zur vollständigen Beschreibung eines Prozesses die Angabe der Prozessführung. Es macht einen Unterschied, ob das Wasser mit beweglichem Deckel bei konstantem Druck erhitzt wird oder mit festem Deckel bei konstantem Volumen. Bei gleicher Temperaturerhöhung resultieren unterschiedliche Endzustände, und auch die während des Prozesses zugeführten Wärmemengen unterscheiden sich. Deshalb definiert man für die beiden häufigsten Prozessführungen jeweils eigene spezifische Wärmekapazitäten: cp:

die spezifische Wärmekapazität bei konstantem Druck,

cV :

die spezifische Wärmekapazität bei konstantem Volumen.

Bei Festkörpern und Flüssigkeiten ist der Unterschied zwischen c p und cV in der Regel vernachlässigbar. Man geht deshalb von einer einheitlichen spezifischen Wärmekapazität c aus. Bei Gasen ist die Unterscheidung jedoch notwendig, so dass c p und cV immer separat angegeben werden (vgl. Tabelle B.8). Experimentell stellt man fest, dass c p immer größer als cV ist. Anhand von Abb. 2.3 auf S. 18 lässt sich dies anschaulich verstehen. Wenn der Druck konstant gehalten wird, schiebt das sich erwärmende Gas den Deckel nach oben. Es wird Volumenänderungsarbeit verrichtet. Die zum Heben des Deckels nötige Energie, die einzig aus der zugeführten Wärme stammen kann, ist nicht mehr zum Erwärmen des Inhalts verfügbar.

6.10 cV , c p und die Mathematik des ersten Hauptsatzes Für viele Anwendungen der Thermodynamik ist es nötig, mit Hilfe der Differentialrechnung Beziehungen zwischen verschiedenen Zustandsgrößen herzustellen. Die beiden Varianten der Wärmekapazität bieten eine gute Gelegenheit, die damit verbundenen mathematischen Techniken kennenzulernen. Wir leiten eine Beziehung zwischen c p und cV her und lernen dabei eine neue Zustandsgröße, die Enthalpie, kennen. Wir betrachten ein System, bei dem wir kinetische und potentielle Energie außer Acht lassen können. Die verrichtete Arbeit soll ausschließlich Volumenänderungsarbeit sein, so dass wir den ersten Hauptsatz in der Form (6.33) anwenden können: Z ∆U = Q − p dV. (6.44) Die in Gl. (6.44) auftretenden Variablen sind integrale Größen: ∆U ist die Änderung der inneren Energie während des gesamten betrachteten Prozesses, Q und W sind die summierten Wärme- und Arbeitsmengen, die während der Dauer des Prozesses über die Systemgrenzen strömen.

Abschnitt 6.10 cV , c p und die Mathematik des ersten Hauptsatzes

159

Drehwinkel f

Kolbenposition x Abb. 6.19: Zur Definition des Kontrollparameters z

Volumen V

Prozessbeschreibung durch einen Kontrollparameter Oft ist eine differentielle Analyse vorteilhaft, bei der man sich auf infinitesimale Änderungen konzentriert. Dazu führen wir einen Kontrollparameter z ein, der den Verlauf des Prozesses beschreibt. Zur Veranschaulichung betrachten wir den in Abb. 6.19 dargestellten Kolben eines Verbrennungsmotors, der sich hebt und senkt und dabei das Volumen V verändert. Zur Beschreibung des Prozessablaufes kommen verschiedene Kontrollparameter in Frage, die sich gleichermaßen eignen: die Zeit t, der Drehwinkel ϕ, die Kolbenposition x oder das Volumen V. Je nach Zweckmäßigkeit können wir eine dieser Variablen zum Kontrollparameter z bestimmen und damit den Prozessverlauf kennzeichnen. Differentielle Form des ersten Hauptsatzes In der differentiellen Formulierung des ersten Hauptsatzes betrachten wir alle Variablen als Funktionen des Kontrollparameters z. Der erste Hauptsatz nimmt dann die folgende Form an. Erster Hauptsatz (differentielle Form): dU dQ dV = −p . dz dz dz

(6.45)

In der Gleichung (6.45) bedeutet dQ/dz nicht die Änderung einer Zustandsgröße (denn die Wärme ist keine Zustandsgröße). Ähnlich wie man die elektrische Stromstärke über die Ladungsmenge definiert, die einen Drahtquerschnitt passiert, steht der Ausdruck dQ/dz für die Wärmemenge, die eine Grenzfläche durchquert. Da gewöhnlich alle thermodynamischen Variablen vom Kontrollparameter z abhängen, muss man bei der Auswertung der Ableitungen auf implizite Abhängigkeiten achten. Beispielsweise kann die innere Energie von der Temperatur abhängen, die Temperatur aber wiederum von z. Dann muss man

160

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

(a)

(b)

Q

Q

konstantes Volumen

W

( , )

konstanter Druck

Abb. 6.20: Zur Definition von cV und c p

beim Differenzieren die Kettenregel beachten und innere Ableitungen bilden. So ergibt sich der letzte Term auf der rechten Seite von Gl. (6.45) aus der Identität: Z d V (z) dV p dV = p · . (6.46) dz V0 dz Notation für partielle Ableitungen Um die Prozessführung zu kennzeichnen, ist in der Thermodynamik eine Notation für partielle Ableitungen üblich. Die Änderung der inneren Energie U mit der Temperatur bei konstant gehaltenem Volumen beschreibt man durch   ∂U . (6.47) ∂T V Der Index bezeichnet die Größe, die bei der Differentiation konstant gehalten wird. Die Funktion U ( T, V ) wird also partiell nach T abgeleitet und V als eine Konstante behandelt. Spezifische Wärmekapazität bei konstantem Volumen Wir gehen von dem in Abb. 6.20 (a) gezeigten Prozess aus: Einem Gas wird bei konstantem Volumen die Wärmemenge Q zugeführt. Wir nehmen an, dass wir die Funktion U ( T, V ), also die kalorische Zustandsgleichung des Gases, kennen (für das ideale Gas ist dies Gl. (6.4)). Wir wählen in Gl. (6.45) die Temperatur des Gases als Kontrollparameter: dU dQ dV = −p . dT dT dT

(6.48)

Da das Volumen konstant gehalten wird, ist der zweite Term auf der rechten Seite null, und es ergibt sich:     ∂U dQ = = m · cV . (6.49) ∂T V dT V Die zweite Gleichung folgt aus der Definition von cV in Abschnitt 6.9. Durch Gl. (6.49) wird cV mit der Änderung von U bei konstantem Volumen verknüpft. Folgt man der Konvention, bei extensiven Variablen die auf die Masse

Abschnitt 6.10 cV , c p und die Mathematik des ersten Hauptsatzes

161

bezogenen Werte mit Kleinbuchstaben zu bezeichnen (also u = U/m), kann man Gl. (6.49) wie folgt schreiben:   ∂u cV = . (6.50) ∂T V Es muss noch einmal wiederholt werden: Terme wie (dQ/dT )V dürfen nicht als Ableitungen von Zustandsgrößen aufgefasst werden. Im oben beschriebenen operationalen Sinn beschreibt der Ausdruck die Wärmemenge, die bei einer Änderung des Kontrollparameters (hier der Temperatur) über die Systemgrenzen strömt. Um dies zu kennzeichnen, verwenden viele Bücher die Notation (δQ/dT )V . Differentiale Die Schreibweise mit dem Kontrollparameter z ist eine begrifflich saubere Rekonstruktion der allgemein üblichen Notation. Generell werden thermodynamische Gleichungen nämlich mit Differentialen geschrieben. Gl. (6.45) lautet gewöhnlich: dU = dQ − p dV. (6.51) Formal erhält man daraus „unsere“ Gleichung zurück, indem man „auf beiden Seiten durch dz dividiert“. Die Interpretation bleibt gleich: Eine „infinitesimale Änderung“ der inneren Energie wird durch die entsprechend infinitesimalen Arbeits- und Wärmemengen ausgedrückt. Mathematisch gesehen muten isoliert stehende Differentiale ziemlich waghalsig an. Die Notation lässt sich aber mit Hilfe der Theorie der pfaffschen Formen bzw. 1-Formen rechtfertigen. Der Vorteil der Differentialschreibweise: Für den Experten ist sie, gerade in verwickelten Gleichungen, leichter lesbar. Der Nachteil: Ohne den Bezug auf den Kontrollparameter wird die Bedeutung von Ausdrücken wie dQ, die sich nicht auf Zustandsfunktionen beziehen, noch stärker verdunkelt. Wo es nötig erscheint, werden wir im Folgenden die Notation mit dem Kontrollparameter benutzen. An anderen Stellen wird die Differentialschreibweise verwendet. Auf der reinen Formelebene ist der Wechsel zwischen den beiden Schreibweisen mit dem oben angegebenen Rezept leicht zu erreichen. Enthalpie Wir führen eine neue Zustandsgröße ein, die die Behandlung von Prozessen bei konstantem Druck erleichtert: die Enthalpie H. Enthalpie:

H = U + p · V.

(6.52)

Wenn wir die Definitionsgleichung (6.52) nach dem Kontrollparameter z ableiten, ergibt sich: dH dU dp dV = +V· +p· . (6.53) dz dz dz dz

162

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

Wir setzen dU/dz aus dem ersten Hauptsatz (6.45) ein:   dH dQ dV dp dV = − p · + V · + p · . dz dz dz dz dz  

(6.54)

Das Ergebnis ist der erste Hauptsatz der Thermodynamik, ausgedrückt durch die Enthalpie. Erster Hauptsatz (Formulierung mit der Enthalpie): dH dQ dp = +V · . dz dz dz

(6.55)

Spezifische Wärmekapazität bei konstantem Druck Die spezifische Wärmekapazität bei konstantem Druck c p ist definiert durch die Wärme, die bei dem Prozess in Abb. 6.20 (b) zugeführt wird. Das Gas dehnt sich beim Erwärmen aus und hebt den Deckel mit den Massestücken an: Es wird Arbeit verrichtet. Weil der Energiefluss in Pfeilrichtung erfolgt, ist W negativ. Wir gehen von Gl. (6.55) aus und wählen wie bei der Diskussion von cV die Temperatur als Kontrollparameter. Bei konstantem Druck ist dp/dT = 0, und analog zu Gl. (6.49) erhalten wir die Beziehung:     ∂H dQ = = m · cp. (6.56) ∂T p dT p Mit der spezifischen Enthalpie h = H/m = u + pv können wir schreiben:   ∂h cp = . (6.57) ∂T p Differenz von c p und cV beim idealen Gas Nachdem wir c p und cV mit den Änderungen von innerer Energie und Enthalpie in Verbindung gebracht haben, leiten wir für das ideale Gas einen Zusammenhang zwischen den beiden spezifischen Wärmekapazitäten her. Wir bilden die Differenz     ∂h ∂u c p − cV = − . (6.58) ∂T p ∂T V Wir nutzen aus, dass nach der kalorischen Zustandsgleichung des idealen Gases (6.4) die innere Energie nur von der Temperatur (d. h. nicht von den anderen Variablen) abhängt. Damit hängt wegen Gl. (6.52) und p · V = n · R · T auch die Enthalpie ausschließlich von T ab. Unter Fortlassung der nunmehr überflüssigen Indizes ergibt sich also: c p − cV =

dh du d( h − u ) d( p · v ) − = = . dT dT dT dT

(6.59)

Abschnitt 6.11 Wärmekapazitäten und der Gleichverteilungssatz

163

Setzen wir nun die Formel p · v = Rspez · T (also Gl. (4.7)) ein, so ergibt sich: c p − cV = Rspez .

(6.60)

Dies ist die gesuchte Beziehung zwischen c p und cV . Beim idealen Gas unterscheiden sich die beiden spezifischen Wärmekapazitäten gerade um den Wert der spezifischen Gaskonstanten. Anhand von Tabelle B.8 aus dem Anhang kann man sich von der Gültigkeit dieser Relation überzeugen. Gl. (6.60) ist eine thermodynamische Beziehung, die auf nur geringen Voraussetzungen beruht. Sie folgt allein aus der Zustandsgleichung des idealen Gases und der Tatsache, dass U nur von T abhängt. Die kleinen Abweichungen von Gl. (6.60), die sich etwa im Fall von Ammoniak oder Wasserdampf zeigen, bedeuten, dass diese Substanzen durch das Modell des idealen Gases weniger gut beschrieben werden. Wie Wasser ist Ammoniak ein stark polares Molekül, das zu Wasserstoffbrückenbildungen neigt (vgl. S. 127).

6.11 Wärmekapazitäten und der Gleichverteilungssatz Aus der kalorischen Zustandsgleichung (6.4) können wir mit Gl. (6.50) einen expliziten Ausdruck für cV herleiten:   ∂u f n·R f = = Rspez , (6.61) cV = ∂T V 2 m 2 wobei wir Rspez = R/mmol benutzt haben. Mit Gl. (6.60) ergibt sich auch c p sofort, so dass wir insgesamt das folgende Ergebnis erhalten. Spezifische Wärmekapazität idealer Gase: cV =

f · Rspez , 2

cp =

f +2 · Rspez . 2

(6.62)

Über den Wert von f kann die Thermodynamik keine Aussage machen. Die klassische statistische Mechanik, die von einer mikroskopischen Beschreibung der Gasteilchen ausgeht, führt hier weiter. Sie macht für f eine klare und experimentell prüfbare Vorhersage, die auf dem Gleichverteilungssatz beruht. Gleichverteilungssatz der klassischen statistischen Mechanik: Im thermischen Gleichgewicht verteilt sich die innere Energie gleichmäßig über alle verfügbaren Freiheitsgrade. Auf jeden Freiheitsgrad entfällt der Betrag 12 kB T. Zur inneren Energie sollte demnach jeder Rotations- oder Schwingungsfreiheitsgrad ebenso viel beitragen wie ein Freiheitsgrad der Translationsbewegung (vgl. Kasten 6.3). Die Zahl f , die sowohl in der kalorischen Zustandsgleichung (6.4) als auch in den Ausdrücken für die spezifische Wärmekapazität

164

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

Kasten 6.3 Der Gleichverteilungssatz Mit den Methoden der klassischen statistischen Mechanik lässt sich ein bemerkenswertes Theorem beweisen: der Gleichverteilungssatz. Er geht von der Energie E(⃗p, ⃗x ) eines einzelnen Teilchens (in einem Gas, einer Flüssigkeit oder einem Festkörper) aus, die als Funktion von Impuls und Ort beschrieben wird. Er lautet:

 y·

∂E ∂y



= kB T,

(6.63)

Hier kann y für jede der in E auftretenden dynamischen Variablen stehen. Wie in Kapitel 5 bedeutet ⟨. . . ⟩ die statistische Mittelung. Im idealen Gas besitzen die Teilchen nur kinetische Energie. Es gilt E = ⃗p2 /2m. Setzen wir in Gl. (6.63) für y nacheinander die drei Impulskomponenten ( p x , py , pz ) ein, so ergibt sich sofort die in Kapitel 5 mit großem Aufwand hergeleitete Gleichung (5.27):

⟨ Ekin ⟩ =

3 kB T. 2

(6.64)

Die drei Freiheitsgrade der kinetischen Energie tragen jeweils mit 12 k B T zur Gesamtenergie bei. Dasselbe gilt für die kinetische Energie der Rotation von Molekülen: Auch jeder Rotationsfreiheitsgrad trägt 12 k B T bei. Bei Schwingungsfreiheitsgraden lautet die Gesamtenergie (eindimensional) dagegen:

E=

p2 + 12 kx2 . 2m

(6.65)

Gl. (6.63) lässt sich auf x und auf p anwenden. Die Schwingungsfreiheitsgrade gehen damit zweifach ein, nämlich über ⟨ Ekin ⟩ = 12 k B T und über ⟨ Epot ⟩ = 12 k B T . Generell trägt jede dynamische Variable, die in der Formel für die Energie quadratisch vorkommt, 12 k B T zur Gesamtenergie bei.

idealer Gase auftritt (Gl. (6.62)), ist in der klassischen statistischen Mechanik ganzzahlig und unabhängig von allen äußeren Variablen – sie entspricht der Anzahl der Bewegungsfreiheitsgrade der Moleküle. Der Vergleich dieser Vorhersage mit den gemessenen Daten in Abb. 6.21 fällt desaströs aus. Nur für die Edelgase (die einatomigen Gase Helium, Neon und Argon) ist die Übereinstimmung sehr gut. Mit f = 3 werden sie durch das Modell des idealen Gases ohne innere Freiheitsgrade beschrieben. Die innere Energie des idealen Gases ist durch Gl. (6.3) gegeben (vgl. auch Gl. (5.27)). Bei den zweiatomigen Gasen ist die Übereinstimmung mit der Regel f = 5, die auf S. 137 aufgestellt wurde, im Temperaturbereich zwischen 0 °C und 200 °C einigermaßen gut. Für höhere Temperaturen steigt die Wärmekapazität dagegen an und nähert sich der theoretischen Kurve für f = 7. Es scheint, als besäßen die Gase für hohe und für tiefe Temperaturen eine unterschiedliche Zahl von Freiheitsgraden. Einige Freiheitsgrade scheinen bei tiefen Temperaturen „einzufrieren“.

165

Abschnitt 6.11 Wärmekapazitäten und der Gleichverteilungssatz 7

cp /Rspez

Methan CO2

6

Wasserdampf 5

Luft

f=7

9

Sauerstoff

2

4

f=6

Wasserstoff

7 2

f=5

CO

3

Stickstoff

5 2

f=3

Helium, Neon, Argon

2

T in °C –200

0

200

400

600

800

1000

1200

Abb. 6.21: Temperaturabhängigkeit der spezifischen Wärmekapazität c p für verschiedene Gase (Daten: NIST Standard Reference Database)

Dunkle Wolken Dieser experimentelle Befund stellt für die klassische Physik eine wirkliche Schwierigkeit dar. Das war den damaligen Schöpfern der Theorie durchaus bewusst. Im Jahr 1900 schreibt z. B. Lord Rayleigh in einem Aufsatz: The difficulties connected with the application of the law of equal partition of energy to actual gases have long been felt. In the case of argon and helium and mercury vapour, the ratio of specific heats (1.67)1 limits the degrees of freedoms of each molecule to the three required for translatory motion. The value (1.4) applicable to the principal diatomic gases, gives room for the three kinds of translation and for two kinds of rotation. Nothing is left for rotation round the line joining the atoms, nor for relative motion of the atoms in this line. Even if we regard the atoms as mere points, whose rotation means nothing, there must still exist energy of the last-mentioned kind, and its amount (according to law) should not be inferior. We are here brought face to face with a fundamental difficulty, relating not to the theory of gases merely, but rather to general dynamics. [. . . ] However great may be the energy required to alter the distance of the two atoms in a diatomic molecule, practical rigidity is never secured [. . . ]. The two atoms, however related, remain twin atoms, and the degrees of freedom remain six in number. (Rayleigh 1900)

Lord Kelvin machte in einem berühmt gewordenen Vortrag im gleichen Jahr zwei „dunkle Wolken“ am Himmel der klassischen Physik aus. Eine davon 1

Damit ist das Verhältnis c p /cV = ( f + 2)/ f gemeint.

166

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

Kasten 6.4 Quantenmechanische Erklärung des „Einfrierens“ von Freiheitsgraden

cosz/Rspez 0.8 0.6 0.4 0.2

kBT/hw 0.2

0.4

0.6

0.8

1.0

In der Quantenmechanik sind Schwingungs- und Rotationsenergien quantisiert. Moleküle können nicht mit jeder beliebigen Energie schwingen oder rotieren, sondern es sind nur ganz bestimmte Energiewerte möglich. Das einfachste quantenmechanische Modellsystem ist der harmonische Oszillator, bei dem  die möglichen Energiewerte alle den gleichen Abstand ¯h ω besitzen: En = n + 12 ¯h ω . Ein Oszillator kann sich im Grundzustand oder in einem der angeregten Zustände befinden. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist von der Temperatur abhängig und durch die Bose-Verteilung der Quantenstatistik bestimmt. Nach ihr ist die mittlere Anregungsenergie in einem Ensemble von N unabhängigen Oszillatoren:

Uosz = N ·

¯h ω . e¯h ω/(kB T ) − 1

(6.66)

Die Wärmekapazität des Oszillator-Ensembles (mit dem wir die schwingenden oder rotierenden Moleküle in einem Gas modellieren) ist auch quantenmechanisch durch Gl. (6.49) definiert. Wenn wir Gl. (6.66) nach T ableiten, erhalten wir:

 cosz ( T ) = Rspez

¯h ω kB T

2

e¯h ω/(kB T ) 

e¯h ω/(kB T ) − 1

2 .

(6.67)

Diese Funktion ist in der Abbildung oben dargestellt. Wir erkennen, wie für niedrige Temperaturen die Wärmekapazität der Oszillatoren gegen null geht, weil die thermische Energie k B T nicht mehr ausreicht, um die angeregten Zustände zu besetzen.

war der Gleichverteilungssatz, den er wegen der daraus folgenden Probleme mit der spezifischen Wärmekapazität von Gasen in recht drastischen Worten einer vernichtenden Kritik unterzog. Wie sich in der Folge zeigte, handelte es sich bei dem Nagel, den die beiden Lords damit auf den Kopf getroffen hatten, um den Sargnagel der klassischen Physik. Die Kurven, die wir in Abb. 6.21 sehen, lassen sich nur quantenmechanisch erklären. Mit seiner zweiten Wolke bewies Lord Kelvin übrigens ein

Abschnitt 6.11 Wärmekapazitäten und der Gleichverteilungssatz

167

ähnlich gutes Gespür für zukunftsweisende Entwicklungen. Es war das Problem des Lichtäthers, das zur anderen physikalischen Revolution des 20. Jahrhunderts führte: zu Einsteins Relativitätstheorie. Das „Einfrieren“ der Schwingungsfreiheitsgrade Quantenmechanisch ist das Einfrieren der Schwingungsfreiheitsgrade bei den zwei- und mehratomigen Molekülen gut zu verstehen (vgl. Kasten 6.4). Voraussetzung ist die Quantisierung der Energie: Die Atome in einem Molekül können nur mit ganz bestimmten Energien gegeneinander schwingen. Bei niedrigen Temperaturen reicht die vom Gleichverteilungssatz bereitgestellte thermische Energie 12 kB T nicht aus, um die Moleküle aus dem Grundzustand in einen angeregten Zustand zu bringen. Die Schwingungsfreiheitsgrade werden effektiv unzugänglich und tragen deshalb nicht zur Wärmekapazität bei. Auch die Rotationsfreiheitsgrade sind quantisiert. Allerdings sind hier die Anregungsenergien etwa hundertfach kleiner als bei den Schwingungen. In der Regel sind daher schon Temperaturen von einigen 10 K und weniger zur Anregung ausreichend. Bei gewöhnlichen Temperaturen leisten sie daher ihren Beitrag zur Wärmekapazität. Interpretation der experimentellen Kurven Mit diesem quantenmechanischen Bild der nicht verschwindenden, sondern bloß unzugänglich werdenden Freiheitsgrade lässt sich der Verlauf der Kurven in Abb. 6.21 interpretieren. Die einatomigen Gase sind unproblematisch, denn sie besitzen weder Rotations- noch Schwingungsfreiheitsgrade. Unabhängig von der Temperatur ist f = 3, so dass die Wärmekapazität konstant ist. Gase aus zweiatomigen Molekülen Diese Gase starten bei niedrigen Temperaturen mit zwei Rotations- und drei Translationsfreiheitsgraden, also bei f = 5. Der Schwingungsfreiheitsgrad, den ein zweiatomiges Molekül besitzt, ist eingefroren und taut erst allmählich auf. Die Kurven in Abb. 6.21 nähern sich nach und nach dem Wert f = 7, der in der Realität von den meisten Gasen jedoch nicht erreicht wird, weil die Moleküle vorher thermisch dissoziieren. Quantitativ wird der Kurvenverlauf durch die quantenmechanische Gleichung (6.67) beschrieben. Wasserstoff ist die einzige Substanz, bei der man das Einfrieren der Rotationsfreiheitsgrade beobachten kann. Alle anderen Gase kondensieren schon vor Erreichen der entsprechenden Temperatur. Die orangefarbene Kurve in Abb. 6.21 zeigt zwischen 0 °C und −200 °C den Übergang von f = 5 zu f = 3 . Gase aus mehratomigen Molekülen Mehratomige Moleküle wie Wasser und Methan besitzen drei Translationsund drei Rotationsfreiheitsgrade. Bei niedrigen Temperaturen erreichen jedoch nicht alle Kurven in Abb. 6.21 den Wert f = 6, weil vorher der Phasenübergang in den flüssigen oder festen Zustand stattfindet. Für höhere Temperaturen nimmt die Wärmekapazität der mehratomigen Moleküle wegen der größeren Zahl von Schwingungsfreiheitsgraden recht schnell zu.

168

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

6.12 Modelle für Festkörper und Flüssigkeiten Das ideale Gas ist als Modell zur thermodynamischen Beschreibung von Gasen deshalb so hilfreich, weil hier die thermische und die kalorische Zustandsgleichung eine so einfache Gestalt haben. Für Flüssigkeiten und Festkörper besitzen wir noch kein vergleichbar einfaches Modell. In diesem Abschnitt werden wir zwei idealisierte Stoffe kennenlernen (die inkompressible und die kompressible Substanz), die diese Aufgabe übernehmen können. Festkörper und Flüssigkeiten verhalten sich – wenn man von der Fähigkeit zu strömen absieht – in thermodynamischer Hinsicht recht ähnlich. In der Modellierung lassen sie sich daher gleich behandeln. Mit der inkompressiblen und der kompressiblen Substanz beschreiben wir sowohl feste als auch flüssige Stoffe. Ähnlich wie beim idealen Gas und dem van-der-Waals-Gas gibt das zweite Modell ein etwas besseres Abbild der realen Stoffe. 6.12.1 Die inkompressible Substanz

Das Modell der inkompressiblen Substanz knüpft an eine Haupteigenschaft von Flüssigkeiten und Festkörpern an: Im Gegensatz zu Gasen lässt sich ihr Volumen durch Druck kaum ändern. In einer Arztspritze mit verschlossenem Ende kann man Luft leicht zusammendrücken, Wasser dagegen nicht. Und dem tapferen Schneiderlein ist es als Einzigem je gelungen, einen Stein durch Druck zu komprimieren. Die inkompressible Substanz verändert ihr Volumen weder bei Druck- noch bei Temperaturänderungen. Die thermische Zustandsgleichung nimmt damit die einfachst denkbare Form an. Das Volumen bleibt konstant: v = v0 . Die kalorische Zustandsgleichung ist ähnlich einfach aufgebaut. Zustandsgleichungen der inkompressiblen Substanz: v( T, p) = v0 ,

u( T, v) =

Z

c( T ) dT.

(6.68)

Durch die beiden Zustandsgleichungen (6.68) ist die inkompressible Substanz vollständig beschrieben, sofern der Verlauf der Wärmekapazität c( T ) bekannt ist. Einige Bemerkungen sollen zum Verständnis des Modells beitragen: (1) Die Volumenänderungsarbeit tritt – wie alle anderen volumenabhängigen Effekte – bei der inkompressiblen Substanz nicht auf. Daher fallen die Wärmekapazitäten c p und cV zusammen, sie unterscheiden sich nicht. Dieser Umstand wurde schon in Gl. (6.36) vorweggenommen und durch die einheitliche Bezeichnung c ausgedrückt. (2) Die Wärmekapazität c( T ) ist nur von der Temperatur abhängig. Folglich hängt auch die innere Energie nur von der Temperatur ab. (3) Ähnlich wie beim idealen Gas macht die Thermodynamik keine Aussage über die Temperaturabhängigkeit der Wärmekapazität. Aussagen dieser Art können nur aus mikroskopischen Überlegungen gewonnen werden.

169

Abschnitt 6.12 Modelle für Festkörper und Flüssigkeiten

(4) Für kleine Temperaturdifferenzen kann man einen konstanten mittleren Wert für c einsetzen und erhält dann u( T ) − u( T0 ) = cmittel ( T − T0 ).

(6.69)

(5) Setzt man die beiden Zustandsgleichungen (6.68) in die Definition der Enthalpie h = u + pv ein, ergibt sich mit v = v0 unmittelbar: h( T, p) =

Z

c( T ) dT + v0 · p.

(6.70)

Die Enthalpie hängt daher von Temperatur und Druck ab. 6.12.2 Die kompressible Substanz

Wenn auch die inkompressible Substanz als einfaches Modell für viele Zwecke tauglich ist und für Modellierungen auch häufig verwendet wird, stellt sie doch eine recht grobe Näherung dar. Mit einem solchen Stoff könnten wir z. B. kein Flüssigkeitsthermometer bauen, weil er sich bei Erwärmung nicht ausdehnt. Ein etwas verfeinertes Modell berücksichtigt in der thermischen Zustandsgleichung lineare Änderungen des Volumens, die durch Druck- oder Temperaturänderungen hervorgerufen werden. Zustandsgleichungen der kompressiblen Substanz:  v( T, p) = v0 1 + β T − κp , u( T, v) =

Z

cV ( T ) dT +

(v − v0 )2 . 2κv0

(6.71) (6.72)

Die Konstante β beschreibt die Volumenausdehnung bei zunehmender Temperatur, während κ die Kompression des Körpers durch Druck wiedergibt. Auch hier erleichtern einige Bemerkungen das Verständnis: (1) Die Enthalpie der kompressiblen Substanz lautet wie folgt: h( T, p) =

Z

c p ( T ) dT + v0 · p −

v0 κ 2 p . 2

(6.73)

(2) Durch Differenzbildung von Gl. (6.73) und (6.72) kann man überprüfen, dass c p und cV nicht mehr gleich sind. Für ihre Differenz gilt: c p − cV =

β2 v0 T. κ

(6.74)

In der Praxis ist die Differenz allerdings meist vernachlässigbar klein. (3) Die beiden Wärmekapazitäten c p und cV hängen auch bei der kompressiblen Substanz allein von der Temperatur ab.

170

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

Für die beiden Modellsubstanzen sind die oben aufgeführten Beziehungen in Strenge richtig, für reale Stoffe stellen sie eine Näherung dar. Woher aber stammen diese Zusammenhänge? Wie kann man sie begründen? Es ist ein Beleg für die erstaunliche Leistungsfähigkeit der Thermodynamik, dass sich die oben genannten Eigenschaften allesamt aus der jeweils zugrunde gelegten thermischen Zustandsgleichung herleiten lassen. Für einige der Eigenschaften werden wir dies in Kapitel 9 auch explizit zeigen. Wir benötigen dazu die Zustandsgröße Entropie, die das Begriffsgebäude und den Formalismus der Thermodynamik erst abschließt. Wenn wir dann die volle Macht des thermodynamischen Instrumentariums zur Verfügung haben, werden wir eine ganze Reihe von verborgenen Zusammenhängen und unterirdischen Verbindungen zwischen den verschiedenen Zustandsgrößen aufspüren. Ein Beispiel ist die doch recht komplexe kalorische Zustandsgleichung der kompressiblen Substanz. Bis auf den Verlauf von c( T ), über den wir nichts weiter sagen können, wird sie durch die thermische Zustandsgleichung vollständig festgelegt. Beim idealen Gas ist das übrigens auch nicht anders, auch wenn wir dort zur Herleitung den Weg über die kinetische Gastheorie gegangen sind. 6.12.3 Das Dulong-Petit-Gesetz

Um den Temperaturverlauf der Wärmekapazität von Festkörpern zu bestimmen, betrachten wir ein einfaches mikroskopisches Modell, das die Vorgänge auf atomarer Ebene beschreiben soll. Wir modellieren einen Festkörper als Kristall, in dem die regelmäßig angeordneten Atome wie in Abb. 6.22 durch Federn gekoppelt sind. Die innere Energie geht auf die Anregung von mikroskopischen Schwingungen der Atome um ihre Ruhelage zurück. Jeder Schwingungsfreiheitsgrad liefert nach den Ergebnissen aus Kasten 6.3 einen Beitrag von 2 · 12 kB T zur Gesamtenergie, und jedes Atom kann in drei unabhängigen Raumrichtungen schwingen. Bei N Atomen macht das insgesamt: U = 3 N kB T = 3 n R T.

(6.75)

Abb. 6.22: Die Schwingungsfreiheitsgrade in einem Kristall werden durch Federn symbolisiert.

171

Abschnitt 6.13 Isobare Prozesse und die Enthalpie

Die Wärmekapazität von Festkörpern sollte daher unabhängig von der Temperatur den Wert J c = 3 n R = n · 24,9 (6.76) mol K aufweisen. Dies ist das Dulong-Petit-Gesetz, das für alle Festkörper die gleiche molare Wärmekapazität von 25 J/K vorhersagt. Für viele Stoffe ist diese Regel bei Zimmertemperatur recht gut erfüllt. Bei tiefen Temperaturen frieren die Schwingungsfreiheitsgrade aber auch bei Festkörpern quantenmechanisch ein, und die Wärmekapazität sinkt nach dem in Kasten 6.4 beschriebenen Muster ab. Einige Festkörper haben eine auffallend niedrige Wärmekapazität, zum Beispiel Diamant. Hier sind die Schwingungsfreiheitsgrade auch bei Zimmertemperatur noch nicht vollständig aufgetaut. Bei Metallen sind die Elektronen im Kristall frei beweglich (man spricht vom „Elektronengas“). Auch sie sollten daher einen Beitrag zur Wärmekapazität leisten. Es stellt sich heraus, dass ihr Beitrag – wiederum aus quantenmechanischen Gründen – erst bei sehr niedrigen Temperaturen von wenigen Kelvin merklich ins Gewicht fällt.

6.13 Isobare Prozesse und die Enthalpie Die Definition von c p hat es schon gezeigt: Die Enthalpie ist zur Beschreibung isobarer (bei konstantem Druck ablaufender) Prozesse nützlich. Die Volumenänderungsarbeit wird dabei „automatisch“ berücksichtigt. Um dies zu illustrieren, gehen wir zurück zum ersten Hauptsatz (Gl. (6.32)) und betrachten ein System, in dem neben der Volumenänderungsarbeit die elektrische Arbeit stellvertretend für alle anderen Arbeitsformen steht (Abb. 6.23). Die Änderung der inneren Energie zwischen zwei Zuständen 1 und 2 ist: U2 − U1 = Q + Welektr −

Z V2 V1

p dV.

(6.77)

Bei isobaren Prozessen ist p konstant und das Integral leicht zu berechnen: U2 − U1 = Q + Welektr − p(V2 − V1 ).

(6.78)

Durch Umgruppieren der Terme erhalten wir: Q + Welektr = (U2 + pV2 ) − (U1 + pV1 ) = H2 − H1 .

(6.79)

Der erste Hauptsatz nimmt also für isobare Prozesse die folgende einfache Gestalt an, in der die Volumenänderungsarbeit nicht mehr auftritt: ∆H = Q + Welektr .

(6.80)

Für Berechnungen können die Wasserdampftafeln im Anhang benutzt werden. Dort ist die spezifische Enthalpie für Wasser und Wasserdampf tabelliert.

172

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

Wasserdampf 270 W

1,5 bar

Q Heizdraht

Welektr

Abb. 6.23: Wasserdampf wird isobar erhitzt.

315 W

Beispielaufgabe: Enthalpie bei einem isobaren Prozess In einem Behälter befinden sich 80 g Wasserdampf bei einem Druck von 1,5 bar und einer Temperatur von 150 °C (Abb. 6.23). Mit einem elektrischen Heizdraht soll der Dampf 3 Minuten lang bei konstantem Druck erhitzt werden. Die Heizleistung beträgt 315 W. Gleichzeitig kommt es zu Wärmeverlusten in Höhe von 270 J/s, da die Wände des Behälters nicht isoliert sind. Berechnen Sie die Endtemperatur des Dampfes sowie sein Volumen am Anfang und am Ende des Prozesses. Lösung: Um das Volumen des Dampfes und seine Enthalpie zu Beginn des Prozesses zu ermitteln, multiplizieren wir die spezifischen Größen (die wir aus der Wasserdampftafel für überhitzten Dampf auf S. 411 unter 1,5 bar und 150 °C ablesen) mit der Masse:

v = 1,29

m3 kg



h = 2773

kJ kg

⇒ H1 = 2773

V1 = 1,29

m3 · 0,08 kg = 103 Liter, kg

(6.81)

kJ · 0,08 kg = 222 kJ. kg

(6.82)

Der Prozess dauert 180 s, so dass für die elektrische Arbeit des Heizdrahts bzw. für die entweichende Wärme gilt:

Welektr =

315 W · 180 s =

56,7 kJ,

(6.83)

Q = −270 W · 180 s = −48,6 kJ.

(6.84)

Mit Gl. (6.80) können wir die Enthalpie des Dampfes im Endzustand berechnen:

H2 = H1 + Q + Welektr

= 222 kJ + 56,7 kJ − 48,6 kJ = 230,1 kJ.

(6.85)

Um die Stoffdaten im Endzustand aus der Wasserdampftafel ablesen zu können, dividieren wir durch m und erhalten so die spezifische Enthalpie:

h2 =

H2 230,1 kJ kJ = = 2876 . m 0,08 kg kg

(6.86)

Abschnitt 6.14 Erster Hauptsatz für stationäre Fließprozesse

173

In der Wasserdampftafel B.2 suchen wir beim Druck 1,5 bar die Temperatur und das spezifische Volumen, die zur spezifischen Enthalpie h2 gehören. Wir finden:

T = 200 ◦ C und v = 1,44

m3 . kg

(6.87)

Damit ist unsere Aufgabe gelöst: Die Endtemperatur beträgt 200 °C und das Endvolumen 115 Liter. Weil wir mit der Enthalpie gearbeitet haben, war es zum Aufstellen der Energiebilanz nicht nötig, die Volumenänderungsarbeit zu berechnen. Das „Rückwärtsablesen“ in der Wasserdampftafel mag als etwas mühsam empfunden werden. Hierfür gibt es inzwischen aber freie Online-Rechner und sogar Smartphone-Apps. Alternativ hätten wir die Temperaturdifferenz auch über die spezifische Wärmekapazität berechnen können. Wenn wir c p als konstant voraussetzen, gilt nach Gl. (6.56):

H2 − H1 = m · c p · ∆T

(6.88)

(c p variiert im entsprechenden Temperatur- und Druckbereich zwischen 2,00 kJ/(kg K) und 2,02 kJ/(kg K); die Näherung ist also gerechtfertigt). Mit Gl. (6.80) schreiben wir:

∆T =

H2 − H1 Q + Welektr 56,7 kJ − 48,6 kJ = = = 50,4 K. m · cp m · cp 0,08 kg · 2,01 kJ/(kg K)

(6.89)

Man erhält auf diese Weise das gleiche Ergebnis wie vorher.

6.14 Erster Hauptsatz für stationäre Fließprozesse In Abschnitt 6.7 haben wir den ersten Hauptsatz für isolierte und für geschlossene Systeme betrachtet. In diesem Abschnitt wollen wir ihn für eine bestimmte Klasse von offenen Systemen formulieren, nämlich für Fließprozesse. Wir gehen von einem System aus, bei dem das betrachtete Volumen von einer Gasoder Flüssigkeitsströmung durchflossen wird (Abb. 6.24). Wie bisher grenzen wir das betrachtete System durch gedachte Systemgrenzen ab. Der Bereich innerhalb der Systemgrenzen wird bei Fließprozessen oft als Kontrollvolumen bezeichnet. Bei offenen Systemen werden die Systemgrenzen von Materie überquert. Damit ist auch ein Energietransport verknüpft, der im ersten Hauptsatz berücksichtigt werden muss. Wir beschränken uns auf einen speziellen, in der Praxis häufig vorkommenden Fall und betrachten stationäre Fließprozesse. Dabei werden die folgenden Annahmen zugrunde gelegt: (1) Während das System durchströmt wird, ändern sich die Zustandsgrößen im Systeminneren nicht. Insbesondere bleiben die Gesamtmasse und die Gesamtenergie konstant. (2) Die Energiezufuhr durch Wärme und Arbeit bleibt während des betrachteten Prozesses konstant. (3) Die Strömung ist stationär, d. h. Eigenschaften wie Temperatur, Druck und Geschwindigkeit sind an den Zu- und Abflüssen zeitlich konstant.

174

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

in EMaterie

nin

W

out EMaterie

Flüssigkeit oder Gas

Zufluss

nout Abfluss

Q Abb. 6.24: Veranschaulichung stationärer Fließprozesse

6.14.1 Massenbilanz

Mit m˙ in und m˙ out bezeichnen wir den ein- und austretenden Massenstrom (den „Durchsatz“ mit der Einheit kg/s). Damit wird beschrieben, wie viel Materie pro Zeiteinheit die Systemgrenzen in der jeweiligen Richtung überquert. Bei einer stationären Strömung bleibt die Gesamtmasse innerhalb der Systemgrenzen konstant. Es muss also ebenso viel Materie aus dem System herauswie hineinströmen, und es gilt: m˙ in = m˙ out .

(6.90)

Für beide können wir kurz m˙ schreiben. Mit der Gleichheit der Massenströme ist noch nicht gesagt, dass auch die Strömungsgeschwindigkeiten V in und V out an den Zu- und Abflüssen gleich sein müssen, denn es können sich z. B. die Rohrquerschnitte Ain und Aout unterscheiden. Wie man sich an Abb. 6.25 verdeutlichen kann, fließt in der Zeit t die Masse m = ρ·V = ρ·A·V ·t

(6.91)

durch das Volumen. Der Massenstrom beträgt daher: m˙ = ρ · A · V .

(6.92)

Aus der Massenbilanz (6.90) ergibt sich damit die folgende Beziehung zwischen den Strömungsgeschwindigkeiten, Rohrquerschnitten und Dichten am Zu- und Abfluss: (6.93) ρin · Ain · V in = ρout · Aout · V out . An dieser Gleichung kann man den Vorteil erkennen, eine strömende Flüssigkeit als inkompressible Substanz zu modellieren: Die Dichte ist dann konstant und fällt aus der Betrachtung heraus, so dass sich die Strömung mit den „einfachen“ Größen Querschnittsfläche und Geschwindigkeit beschreiben lässt. Im anderen Fall muss man zusätzlich noch auf thermodynamische Zustandsgleichungen zurückgreifen, um die Dichte des strömenden Stoffes unter den jeweiligen Bedingungen zu ermitteln. Die Berechnungen werden dann deutlich komplizierter.

175

Abschnitt 6.14 Erster Hauptsatz für stationäre Fließprozesse

A V = A·L V L=nt

Abb. 6.25: Zur Energiebilanz bei stationären Fließprozessen

6.14.2 Energiebilanz

Der erste Hauptsatz verknüpft die Änderung der Gesamtenergie des Systems mit der Energie, die während des betrachteten Prozesses über die Systemgrenzen tritt. Bisher waren das Arbeit und Wärme. Nun kommt noch die Energie hinzu, die mit der Materieströmung die Systemgrenzen überquert. Wir bein out zeichnen sie mit EMaterie und EMaterie . Der erste Hauptsatz nimmt damit die folgende Gestalt an: in out ∆Eges = Q + W + EMaterie − EMaterie .

(6.94)

Definitionsgemäß ändert sich bei einem stationären Fließprozess die Gesamtenergie im System nicht (insgesamt fließt so viel Energie zu wie ab). Die linke Seite der Gleichung ist also null, und es gilt: out in Q + W = EMaterie − EMaterie .

(6.95)

in out Wie groß die Energiebeträge EMaterie und EMaterie sind, lässt sich anhand von Abb. 6.25 bestimmen. Hier wird ein Flüssigkeits- oder Gasvolumen V betrachtet, das von einem Kolben über die Systemgrenzen verschoben wird. Welche Energiemenge wird dem System dadurch zugeführt? Zum einen ist da die Gesamtenergie der Materie im Volumen V, also die Summe aus innerer, kinetischer und potentieller Energie. Nach dem Verschieben des Kolbens befindet sich diese Energiemenge innerhalb der Systemgrenzen. Sie muss als zugeführte Energie berücksichtigt werden. Zum anderen wird beim Verschieben des Kolbens Volumenänderungsarbeit verrichtet:

Z

p dV = p · V.

(6.96)

in Auch sie wird dem System zugeführt. EMaterie setzt sich aus beiden Anteilen zusammen: in EMaterie = U + 12 mV 2 + m g z + p · V, (6.97)

176

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

oder, wenn wir die Masse ausklammern:   in EMaterie = m u + p · v + 12 V 2 + g z ,   = m h + 12 V 2 + g z .

(6.98)

Im zweiten Schritt wurde die Definition der Enthalpie h = u + pv benutzt. out Entsprechendes gilt für EMaterie . Mit Gl. (6.95) können wir den ersten Hauptsatz wie folgt formulieren. Erster Hauptsatz für stationäre Fließprozesse: " # 2 V2 out − V in ˙ ˙ Q+W = m ˙ hout − hin + + g (zout − zin ) . 2

(6.99)

Noch einfacher wird der Ausdruck, wenn wir die Änderungen der potentiellen und der kinetischen Energie vernachlässigen können (was in der Praxis oft der Fall ist): ˙ = m˙ (hout − hin ). Q˙ + W (6.100) Die Enthalpie ist die maßgebliche Größe bei der Beschreibung von stationären Fließprozessen. Sie erspart uns die explizite Berücksichtigung der Volumenänderungsarbeit. Beispielaufgabe: Dimensionierung eines Gehäuselüfters In einen Computer soll zur Kühlung ein Gehäuselüfter eingebaut werden (Abb. 6.26). Indem er warme Luft aus dem Inneren des Computers nach außen befördert, soll der Lüfter einen stetigen Luftstrom erzeugen, der am Prozessor und an der Grafikkarte vorbeistreicht und diese dabei kühlt. Die einströmende Luft hat eine Temperatur von 20 °C. Um eine hinreichende Kühlwirkung zu gewährleisten, soll die ausströmende Luft nicht wärmer als 35 °C sein. Die maximale elektrische Leistung der verbauten Komponenten beträgt 600 W. Der „Airflow“ des Lüfters wird für den „Ultra-Silent-Modus“ mit 63,4 m3 /h angegeben und für den „Normalmodus“ mit 92,3 m3 /h. Überprüfen Sie, ob der Lüfter ausreichend dimensioniert ist. Lösung: Da eine stationäre Strömung vorliegt und da sich die kinetische und die potentielle Energie der strömenden Luft nicht wesentlich ändern, können wir den ersten Hauptsatz in der Form (6.100) benutzen. Die elektrische Leistung, die über die Systemgrenzen fließt, beträgt maximal 600 W. Um bei der Dimensionierung des Lüfters „auf der sicheren Seite“ zu sein, berücksichtigen wir die immer vorhandene Wärmeabgabe über das Gehäuse nicht. Im ersten Hauptsatz für diesen stationären Fließprozess tritt also nur die elektrische Leistung auf:

˙ elektr = m˙ (hout − hin ). W

(6.101)

˙ einsetzen, können wir überprüfen, ob die Wenn wir die entsprechenden Werte für m angestrebte Kühlleistung erreicht wird.

Abschnitt 6.14 Erster Hauptsatz für stationäre Fließprozesse

177

Abb. 6.26: Ein Gehäuselüfter erzeugt zur Kühlung eine stationäre Luftströmung im Inneren des Computers.

Der „Airflow“ wird in der Einheit m3 /s angegeben. Um daraus den Massenstrom zu erhalten, multiplizieren wir mit der Dichte von Luft, die bei 20 °C den Wert 1,2 kg/m3 hat. Es ergibt sich: „Ultra-Silent-Modus“:

m˙ = 63,4

m3 kg kg · 1,2 3 = 0,0211 , 3600 s s m

(6.102)

„Normalmodus“:

m˙ = 92,3

m3 kg kg · 1,2 3 = 0,0308 . 3600 s s m

(6.103)

Nun bestimmen wir die Enthalpiedifferenz der Luft zwischen Eintritt und Austritt. Über den betrachteten kleinen Temperaturbereich können wir c p in guter Näherung als konstant annehmen und mit Gl. (6.57) schreiben:

hout − hin = c p · ( Tout − Tin ),

(6.104)

so dass sich mit Gl. (6.101) für die maximale Kühlleistung ergibt:

˙ elektr = m˙ · c p · ( Tout − Tin ). W

(6.105)

Setzen wir nun Zahlen ein. Aus Tabelle B.8 lesen wir für Luft c p = 1,005 kJ/(kg K) ab. Damit ergibt sich die maximale Kühlleistung für den „Ultra-Silent-Modus“:

˙ elektr = 0,0211 kg · 1,005 kJ (35 ◦ C − 20 ◦ C) W s kg K

= 319 W.

(6.106)

Soll die Temperatur der austretenden Luft nicht höher als 35 °C liegen, so darf die Leistung der elektrischen Komponenten nicht mehr als 319 W betragen. Bei hoher Belastung des Computers ist der Lüfter daher mit der Kühlung überfordert. Die Temperatur steigt an, und der Computer erwärmt sich. Im Extremfall kann dadurch der Prozessor zerstört werden. Führen wir die gleiche Rechnung für den Normalmodus durch, so ergibt sich als maximale elektrische Leistung:

˙ elektr = 0,0308 kg · 1,005 kJ (35 ◦ C − 20 ◦ C) = 464 W, W s kg K

(6.107)

178

Kapitel 6 Der erste Hauptsatz – Thermodynamik des Backofens

was ebenfalls den Anforderungen nicht entspricht. Der Lüfter ist unter den angegebenen Bedingungen also unterdimensioniert. Mit einer kleinen zusätzlichen Rechnung können wir durch Gl. (6.92) die Strömungsgeschwindigkeit der Luft bestimmen, die vom Lüfter ausgestoßen wird: V

=

m˙ . ρ·A

(6.108)

Aus dem Lüfterdurchmesser von 12 cm lässt sich die Fläche A berechnen. Für den „Ultra-Silent-Modus“ ergibt sich damit: V

=

0,0211 kg/s = 1,56 m/s. 1,2 kg/m3 · (0,06 m)2 · π

Die Luft wird also mit einer Geschwindigkeit von 1,6 m/s ausgestoßen.

(6.109)

7 Adiabatische Prozesse

Luftdruck, Thermik und Wolken

180

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken

7.1 Die barometrische Höhenformel An diesem Samstag würde man auf den Puy de Dôme steigen können. Als Florin Périer am 19. September 1648 um fünf Uhr früh aus dem Fenster blickte, konnte er den Gipfel in der Ferne sehen. Er würde also heute im Auftrag seines Schwagers einen Berg besteigen – eine einigermaßen befremdliche Tätigkeit für einen gutsituierten Steuerbeamten. Sein lieber Schwager Blaise Pascal, der sonst auch nicht eben zu körperlichen Ertüchtigungsübungen neigte, hatte ihm vor einem knappen Jahr in einem langen Brief wortreich dargelegt, dass er allein der rechte Mann für ein wichtiges Experiment sei. Es gehe darum, dem Geheimnis des Luftdrucks auf die Spur zu kommen und der alten aristotelischen Vorstellung vom horror vacui ein für alle Mal den Garaus zu machen. Dazu müsse man mit einem Barometer auf einen hohen Berg steigen und dort den Luftdruck messen. Hier in Paris habe er nun einmal keine hohen Berge und außerdem fände man niemanden sonst, der die Messungen ähnlich zuverlässig durchführen könne wie er, Florin Périer. Kurz und gut . . . schreiben konnte er ja, der Herr Schwager. Immerhin hatten sich einige der Honoratioren von Clermont so interessiert gezeigt, dass sie an dem Bergabenteuer teilnehmen wollten. Für acht Uhr bestellte er sie in den Garten des Minimiterklosters. Rechtzeitig machte er zwei toricellische Röhrenbarometer und sechzehn Pfund Quecksilber für den Marsch bereit. Mit beiden Barometern maß er mehrere Male den Luftdruck im Garten des Klosters. Es ergab sich immer die gleiche Höhe der Quecksilbersäule, nämlich sechsundzwanzig Zoll und dreieinhalb Striche (71,2 cm). Eines der beiden Barometer ließ er im Klostergarten unter der Aufsicht des ebenso frommen wie vertrauenswürdigen Vater Chastin zurück. Mit der anderen Röhre und dem übrigen Quecksilber führte ich zusammen mit den genannten Herren das gleiche Experiment auf dem Gipfel des Puy de Dôme durch, der etwa 500 Toises (975 m) höher ist als der Garten der Minimiter. Dort fanden wir eine Quecksilberhöhe von nicht mehr als dreiundzwanzig Zoll und zwei Strichen (62,7 cm). In derselben Röhre stand das Quecksilber bei den Minimitern sechsundzwanzig Zoll und dreieinhalb Striche (71,2 cm) hoch. Zwischen den beiden Versuchen gab es also einen Unterschied von drei Zoll und anderthalb Strichen (8,5 cm), was uns mit Bewunderung und Erstaunen erfüllte. Wir waren so sehr überrascht, dass wir den Versuch – nur zu unserer eigenen Genugtuung – wiederholten. Ich tat dies fünf Mal sehr genau an verschiedenen Stellen auf dem Gipfel des Berges, einmal geschützt in einer kleinen Kapelle, dann wieder draußen, dann wieder geschützt, dann wieder im Wind, dann bei schönem Wetter, dann im Regen und Nebel, den wir ab und zu hatten, dabei jedes Mal die Luft ganz sorgfältig aus der Röhre entfernend. Immer wieder erreichte das Quecksilber die gleiche Höhe von dreiundzwanzig Zoll und zwei Strichen [. . . ]. Damit waren wir vollauf zufriedengestellt. Nachher, während des Abstiegs, führte ich den Versuch noch einmal durch, noch immer mit der gleichen Röhre, dem gleichen Quecksilber und dem gleichen Topf. Das geschah an einem Ort, der „Font de l’Arbre“ genannt

Abschnitt 7.1 Die barometrische Höhenformel

181

Abb. 7.1: Florin Périer und seine Begleiter auf dem Puy de Dôme. An der Darstellung fällt auf, dass der Zeichner der Vorlage offenbar ebenso wenig Erfahrung mit Quecksilber hatte wie die Regisseure von Piratenfilmen mit Goldschätzen: Ein Liter Quecksilber wiegt nämlich 13,5 kg.

wird, und der viel höher liegt als die Minimiter, aber viel niedriger als der Gipfel des Berges. Dort fand ich eine Quecksilberhöhe von fünfundzwanzig Zoll (67,7 cm). Ich wiederholte dies ein zweites Mal an der gleichen Stelle und Herr Mosnier, einer der oben genannten Herren, hatte die Wissbegierde es selbst zu tun: Er führte den Versuch an der gleichen Stelle durch, und auch jetzt zeigte das Quecksilber eine Höhe von fünfundzwanzig Zoll [. . . ]. Zu sehen, dass die Höhe des Quecksilbers tatsächlich mit der Höhe des Ortes abnimmt, erhöhte unsere Befriedigung nicht wenig. Nach der Rückkehr zu den Minimitern fand ich im dort hinterlassenen Gefäß noch immer die gleiche Quecksilberhöhe vor wie bei meinem Weggang, nämlich sechsundzwanzig Zoll und dreieinhalb Striche. Diese Höhe, so sagte der ehrwürdige Pater Chastin, der zur Beobachtung hier unten geblieben war, hat sich während des ganzen Tages nicht verändert, obwohl das Wetter unbeständig war. (Brief von Périer an Pascal vom 22. September 1648)

Mit dem Experiment wollte Pascal den Ursprung des Luftdrucks aufzeigen, den wir mit unseren Barometern messen. Der Luftdruck in einer bestimmten Höhe ging nach seiner Auffassung auf die Gewichtskraft der darüberliegenden Luftschichten zurück. Auf der Luft am Boden lastet die gesamte Atmosphäre. Je höher man steigt, umso größere Teile der Atmosphäre lässt man un-

182

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken

z A z + Dz V

Dz

z

FG Abb. 7.2: Zur Herleitung der barometrischen Höhenformel

ter sich. Mit zunehmender Höhe sollte der Luftdruck folglich abnehmen. Aus dieser Überlegung resultierte der experimentelle Auftrag an seinen Schwager. Vierzig Jahre später gelang es Edmond Halley, eine theoretische Gesetzmäßigkeit für die Höhenabhängigkeit des Luftdrucks zu finden. Er stellte die barometrische Höhenformel auf, die wir auch heute noch benutzen. Um sie herzuleiten, betrachten wir zwei Ebenen der Atmosphäre in den Höhen z und z + ∆z (Abb. 7.2). Geht man von der oberen zur unteren Ebene, nimmt der Luftdruck zu. Nach dem Argument von Pascal ist dies auf die Gewichtskraft der dazwischenliegenden Luftschicht zurückzuführen. Für das Volumen V = A · ∆z können wir schreiben: F p(z) = p(z + ∆z) + G . (7.1) A Wir schreiben FG = m · g und drücken die Masse des Luftvolumens durch die Dichte ρ aus: FG = m · g = ρ · V · g = ρ · A · ∆z · g, (7.2) so dass sich ergibt:

p(z + ∆z) − p(z) = −ρ · g · ∆z.

(7.3)

Wenn wir nun auf beiden Seiten durch ∆z dividieren und den Grenzwert ∆z → 0 bilden, wird aus dem Differenzenquotienten die Ableitung: dp = −ρ · g. dz

(7.4)

Bis hierher gilt die Überlegung noch völlig allgemein. Es ist noch keine Aussage über den Stoff eingeflossen, der den Raum erfüllt. Dies wird nun erforderlich, denn zur Lösung der Differentialgleichung (7.4) müssen wir wissen, in welcher Weise die Dichte (bzw. das spezifische Volumen) vom Druck abhängt. Diese Abhängigkeit wird durch die thermische Zustandsgleichung beschrieben. Zur Lösung des Problems müssen wir daher die Stoffeigenschaften durch Angabe der Zustandsgleichung spezifizieren. In thermodynamischen Problemen tritt diese Situation sehr häufig auf. Inkompressible Substanz: Schweredruck von Wasser Wenn wir den Stoff als inkompressibel betrachten können, ist die Dichte konstant (vgl. Gl. (6.68)). Für Luft ist dies natürlich nicht der Fall, aber Wasser

183

Abschnitt 7.1 Die barometrische Höhenformel

können wir so beschreiben. Die Differentialgleichung (7.4) lässt sich dann sofort integrieren, und wir erhalten die Gleichung für den Schweredruck des Wassers, die wir auf S. 53 schon verwendet haben. Ideales Gas: Barometrische Höhenformel Im Gegensatz zu Wasser ist Luft kompressibel. Durch Druck lässt sich ihr Volumen verringern. Die unteren Luftschichten der Atmosphäre sind daher dichter als die oberen. Den Zusammenhang zwischen Druck und Dichte liefert uns die Zustandsgleichung des idealen Gases p · v = Rspez · T, oder umgeformt: p ρ= . (7.5) Rspez · T Einsetzen in Gl. (7.4) ergibt die Differentialgleichung für die Luftdruckabnahme mit der Höhe: dp g =− · p. (7.6) dz Rspez · T Wir können sie durch Trennung der Variablen lösen. Alle von p abhängigen Terme bringen wir auf die linke, alle von z abhängigen auf die rechte Seite: dp g =− dz. p Rspez · T

(7.7)

Wir integrieren auf beiden Seiten und erhalten:   Z z p(z) g ln =− dz′ , ′ p0 0 Rspez · T ( z ) wobei z′ eine Integrationsvariable ist. Nach p(z) aufgelöst ergibt sich:  Z z  g ′ p(z) = p0 · exp − dz . ′ 0 Rspez · T ( z )

(7.8)

(7.9)

Die Integrationskonstante p0 entspricht dabei dem Luftdruck an der Erdoberfläche (bei z = 0). Zur Auswertung des Integrals müssen wir T (z) angeben, also die vertikale Temperaturverteilung der Luft. Am einfachsten – und in der Praxis auch brauchbar – ist die Annahme, dass die Temperatur überall den gleichen Wert T hat. Damit erhalten wir das gesuchte Ergebnis: Barometrische Höhenformel:  p(z) = p0 · exp −

gz Rspez T

 .

(7.10)

Der Luftdruck nimmt nach der barometrischen Höhenformel exponentiell mit der Höhe ab. Die Atmosphäre hat keine definierte obere Grenze. Die Dichte der Luft – die nach Gl. (7.5) bei konstanter Temperatur ebenfalls exponentiell

184

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken 1000

Druck in hPa

800

600

Druck nach barometrischer Höhenformel

400

200

ICAO-Standardatmosphäre Höhe in km 2

4

6

8

10

12

14

Abb. 7.3: Höhenabhängigkeit des Luftdrucks nach der barometrischen Höhenformel im Vergleich zur Standardatmosphäre der ICAO

abnimmt – wird immer geringer, bis sich die Atmosphäre sanft im Vakuum des Weltraums verliert. Skalenhöhe Da das Argument der Exponentialfunktion dimensionslos sein muss, hat die Konstante Rspez T/g die Dimension einer Länge. Sie bestimmt die Längenskala der Luftdruckabnahme und damit die Ausdehnung der Atmosphäre. Deshalb wird sie als Skalenhöhe bezeichnet. Innerhalb einer Skalenhöhe nimmt der Luftdruck auf e−1 = 36,7 % seines Ausgangswertes ab. Für die Erde beträgt die Skalenhöhe (bei einer angenommenen Atmosphärentemperatur von 15 °C = 288 K): 0,287 kgkJK · 288 K Rspez T = = 8,4 km. (7.11) g 9,81 m/s2 Die Skalenhöhe der Atmosphäre entspricht also (zufällig) der Höhe der höchsten Berge auf der Erde – eine einfache Merkregel. Für andere Planeten mit anderer Gravitation, Temperatur und Zusammensetzung der Atmosphäre ergeben sich auch andere Werte für die Skalenhöhe. Genauigkeit der barometrischen Höhenformel Anders als bei der Herleitung der barometrischen Höhenformel vorausgesetzt, ist die Temperatur in der Atmosphäre nicht überall konstant. Sie nimmt mit der Höhe um 0,5 °C bis 1 °C pro 100 m ab. Wir dürfen von der barometrischen Höhenformel daher nur eine begrenzte Genauigkeit erwarten. Abb. 7.3 vergleicht die von der barometrischen Höhenformel vorhergesagte Luftdruckverteilung mit der Standardatmosphäre der ICAO (International Civil Aviation Organization), einem Modell für den „durchschnittlichen“ Zustand der

Abschnitt 7.1 Die barometrische Höhenformel

185

Kasten 7.1 Höhenmessung beim Fliegen Eine wichtige Anwendung findet die barometrische Höhenmessung in der Luftfahrt. Selbst in den großen Verkehrsflugzeugen ist sie noch nicht von der GPS-Messung verdrängt worden, weil deren Ungenauigkeiten zu unkalkulierbar sind. Im Prinzip kann man die Höhe eines Flugzeuges sehr genau durch Luftdruckmessungen bestimmen. Nach der barometrischen Höhenformel muss dazu der Bezugsdruck p0 (der Luftdruck am Boden) bekannt sein. An den Höhenmessern in Flugzeugen, die sich nach der ICAO-Standardatmosphäre richten, muss der jeweilige Bezugsdruck manuell eingestellt oder eingegeben werden. Bei den großen Strecken, die die Flugzeuge zurücklegen, ist die Angabe des Bezugsdrucks jedoch problematisch: Der Luftdruck am Boden ändert sich nicht nur mit der Zeit, sondern auch von Ort zu Ort. Wollte man dies berücksichtigen, wäre ein ständiges Nachjustieren der Höhenmesser erforderlich. Man wendet daher zur Höhenbestimmung ein etwas kompliziertes, aber funktionierendes Verfahren an. Oberhalb von 5000 Fuß Flughöhe wird der reale Bezugsdruck schlichtweg ignoriert. Jeder Pilot muss in dieser Höhe den Höhenmesser auf 1013 hPa einstellen. Das führt zwar zu falschen Höhenangaben, vermeidet aber Unfälle: Die atmosphärenbedingten Abweichungen sind für alle Flugzeuge gleich. Wenn daher alle Piloten ihren zugewiesenen „Flight Level“ einhalten und „richtig in der falschen Höhe“ fliegen, kommt es nicht zu Kollisionen. Bei der Landung ist die korrekte Höhenangabe dagegen unabdingbar. Unterhalb von 5000 Fuß werden die Höhenmesser daher auf den sogenannten QNH-Wert eingestellt. Er ist vom jeweiligen Flughafen zu erfragen und entspricht derjenigen Einstellung, bei der der Höhenmesser am Boden die korrekte Höhe über dem Meeresspiegel anzeigt. Weil die tatsächliche Atmosphäre nicht der ICAO-Standardatmosphäre entspricht, nach der der Höhenmesser kalibriert ist, muss die Anzeige in anderen Höhen nicht unbedingt korrekt sein. Beim nächsten Flug können Sie die Exaktheit der Höhenansagen aus dem Cockpit mit Fug und Recht anzweifeln. Sie können sich aber darauf verlassen, dass dieser Fehler nicht die Ursache für einen Zusammenstoß sein wird.

Atmosphäre. Für große Höhen überschätzt die barometrische Höhenformel den Luftdruck. Die Luft dort oben ist in Wirklichkeit kälter und somit auch dichter. Sie nimmt daher weniger Raum ein, so dass die Atmosphäre schon etwas früher endet als von der barometrischen Höhenformel vorhersagt. Wer einen barometrischen Höhenmesser zum Wandern oder Radfahren in den Bergen benutzt, weiß um eine andere Ungenauigkeit dieser Messmethode. Je nach Wetter ändert sich der Bezugsdruck p0 , der Luftdruck am Boden. Der Höhenmesser muss deshalb täglich neu kalibriert werden. Wenn sich das Wetter während des Tages ändert, etwa bei Wetterumschwüngen, wird die Anzeige des Höhenmessers unzuverlässig.

186

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken

7.2 Temperaturmessungen mit Radiosonden Für die Wettervorhersage ist der vertikale Temperaturverlauf in der Atmosphäre, der sich von Tag zu Tag ändert, von entscheidender Bedeutung. Die Temperatur am Boden lässt sich leicht messen. Aber wie kann man die Lufttemperatur in großen Höhen feststellen? Im Prinzip einfach dadurch, dass man ein Thermometer aufsteigen lässt und regelmäßig abliest. Das hört sich heute, wo man im Flugzeug routinemäßig über die Außentemperatur informiert wird, nicht besonders schwierig an. Aber zur Pionierzeit der Meteorologie stellte die Temperaturmessung in der Höhe ein echtes Problem dar. Die ersten Temperaturmessungen in der Atmosphäre Die erste überlieferte Messung fand 1749 statt. Alexander Wilson von der Universität Glasgow und sein Kollege Thomas Melvill hatten eine originelle Idee, wie man ein Thermometer in beachtliche Höhen transportieren kann: mit Papierdrachen. Weil ein einzelner Drachen nur eine relativ geringe Höhe erreicht, ließen sie ein Drachengespann steigen. Sie konstruierten dazu sechs große Papierdrachen von einem bis über zwei Meter Größe. Unter reger Anteilnahme der Bevölkerung von Wilsons Heimatstadt Camlachie, die sich aus Neugier und Schaulust auf dem Versuchsfeld eingefunden hatte, wurde das

Abb. 7.4: Vorbereitung eines Radiosondenaufstiegs am Kodiak Launch Center, Alaska. In dem weißen Behälter am Ende der Schnur befinden sich Messfühler für Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit.

Abschnitt 7.2 Temperaturmessungen mit Radiosonden

187

Unternehmen in die Tat umgesetzt. Den kleinsten Drachen ließen die Forscher zuerst aufsteigen. Als er seine maximale Höhe erreicht hatte, befestigten sie seine Schnur an der Rückseite des zweiten Drachens und ließen nun diesen in die Höhe steigen. Nach und nach ergab sich auf diese Weise eine ganze Kette von Drachen, die in eine ganz beachtliche Höhe stieg. Es wird berichtet, dass ein einzelner Mann das Drachengespann nicht festhalten konnte und dass der oberste Drachen immer wieder in den Sommerwolken verschwand. Nach einigen Probeflügen mit dem Drachengespann nahmen sie die Temperaturmessungen in Angriff. An den Drachen konnte man Thermometer befestigen und in die Höhe bringen. Es ergab sich dabei jedoch die folgende ungünstige Situation: In der Höhe zeigten die Thermometer zwar die Atmosphärentemperatur an, man konnte sie dort aber nicht ablesen. Wenn man die Drachenschnur wieder einzog, kamen die Thermometer zur Erde zurück, sie zeigten nun allerdings die Temperatur am Boden an. Wilson und Melvill lösten das Problem auf originelle Weise. Eine Zündschnur durchtrennte nach einer bestimmten Zeit den Faden, mit dem das Thermometer am Drachen befestigt war. Das mit Papierbüscheln gegen den Aufprall geschützte Thermometer fiel zu Boden und konnte von einem in der Nähe postierten Beobachter abgelesen werden. Leider sind die Ergebnisse der Messungen nicht überliefert, aber im Prinzip war das Verfahren geeignet, die Temperaturabnahme in der Höhe festzustellen. Radiosonden Heutzutage werden Temperaturprofile mit Radiosonden erhoben (umgangssprachlich sind sie besser als Wetterballons bekannt). In Deutschland gibt es zwölf Beobachtungsstationen, von denen Radiosondenaufstiege erfolgen. Bis zu viermal täglich lässt man dort einen Ballon in die Höhe steigen, der einen Behälter mit Messinstrumenten trägt (Abb. 7.4). Die Radiosonde misst Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit und funkt das Ergebnis zum Boden. Die Position der Sonde wird mittels Radarpeilung oder GPS festgestellt. Interpretation des Temperaturprofils In Abb. 7.5 sind die Ergebnisse einer Radiosondenmessung dargestellt. Sie wurden am 26. Juli 2011 (einem schönen, leicht bewölkten Sommertag mit Temperaturen um 22 °C) an der Station Bergen bei Celle gewonnen. Temperatur und Taupunkttemperatur sind als Funktion der Höhe aufgetragen. Ein solches Diagramm heißt im Meteorologenjargon „der Temp“. Aus ihm kann man schon zahlreiche Hinweise auf das Wetter des Tages gewinnen. Als Erstes fällt auf, dass die Temperatur bis zu einer Höhe von ca. 10 000 m fast stetig abnimmt. Die Temperaturabnahme mit der Höhe (der Temperaturgradient) beträgt an diesem Tag etwa 0,75 °C pro 100 m. Es sind aber auch mehrere Inversionen zu erkennen, in denen die Temperatur mit steigender Höhe zunimmt. Das morgens um 6 Uhr gemessene Temperaturprofil zeigt eine Bodeninversion. Nachts hat sich die Erdoberfläche durch Abstrahlung abgekühlt, und dadurch ist morgens die Luft am Boden kälter als in der Höhe. Die

188

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken

12 000

Höhe in m

Bergen (10238) 26. Juli 2011, 6 Uhr Tropopausen-Inversion

10 000

Temperatur 8000

Taupunkttemperatur 6000

trockene Luft 4000

Inversion

feuchte Luft (Wolken)

2000

Bodeninversion -60

-50

-40

-30

-20

-10

0

10 T in °C

Abb. 7.5: Bei einem Radiosondenaufstieg gemessene Temperatur- (rot) und Taupunktkurve (blau)

Bodeninversion reicht 200 m hoch. Durch Sonneneinstrahlung wird sie sich im Verlauf des Vormittags wieder auflösen. Der horizontale Abstand zwischen Temperatur- und Taupunktkurve gibt Aufschluss über die Luftfeuchtigkeit. Je näher die beiden Kurven aneinanderrücken, umso feuchter ist die Luft in der jeweiligen Höhe. Bis in eine Höhe von 2000 m ist die Luft an diesem Tag ziemlich feucht (70–80 % Luftfeuchtigkeit). Zwischen 3000 m und 3500 m berühren sich die beiden Kurven sogar. In dieser Höhe wird man auf Wolken stoßen. Oberhalb der Inversionsschicht bei 3400 m, die den vertikalen Luftaustausch behindert, ist die Luft dagegen sehr trocken. Die Temperaturkurve entfernt sich hier weit von der Taupunktkurve. Skew-T-Diagramm Die Temperaturkurve ist in Abb. 7.5 stark nach links geneigt. In der Meteorologie ist daher eine Darstellungsart gebräuchlich, in der die Linien konstanter Temperatur nicht senkrecht verlaufen, sondern um 45 Grad nach rechts gekippt sind (Abb. 7.6). In dieser Darstellung, dem „Skew-T-Diagramm“, hat die Temperaturkurve eine weniger starke Neigung.

189

Abschnitt 7.2 Temperaturmessungen mit Radiosonden 10238 ETGB Bergen 06Z 26 Jul 2011 100

16520 m

13860 m

Taupunkttemperatur 200

Temperatur

11940 m

10450 m

9260 m

400

7250 m

500

5610 m

Isobaren

eu ch teg eh

alt

300

1444 m

1000

743 m 87 m

−40

0.4

−30

ko

800 900

ns tan te

en

3006 m

Is ot he rm

700

rF

600

1

−20

2

−10

4

0

7

10

10

16

20

24

30

32 40g/kg

40

Abb. 7.6: Darstellung der Daten in einem „Skew-T -Diagramm“, in dem die Isothermen um 45 Grad gekippt sind. Auf der horizontalen Achse ist die Temperatur in °C aufgetragen, auf der vertikalen der Druck in mbar (in logarithmischer Darstellung).

In den professionellen Temps der Wetterdienste sind neben den Linien konstanter Temperatur (Isothermen) und konstanten Drucks (Isobaren) noch etliche andere Linienscharen eingezeichnet (Abb. 7.6). Sie erleichtern den praktischen Umgang mit dem Diagramm, und wir werden sie später für die Vorhersage von Thermik und Wolkenbildung benötigen. In Abb. 7.6 findet man die braun dargestellten Trockenadiabaten und die grünen Feuchtadiabaten, die das Verhalten aufsteigender Luftpakete beschreiben, sowie die blau gestrichelten Linien konstanten Feuchtegehaltes. Die Symbole auf der rechten Seite veranschaulichen Richtung und Stärke des Windes in der jeweiligen Höhe. Der in Abb. 7.6 gezeigte Temp reicht über die Troposphäre, in der sich das gesamte Wettergeschehen abspielt, bis in die viel ruhigere Stratosphäre hinein. Der Übergang, die Tropopause, ist an dem charakteristischen Knick in der Temperaturkurve bei 10 500 m zu erkennen. Oberhalb der Tropopause, in der Stratosphäre, liegt die Temperatur fast konstant bei −50 °C. Die Temperaturkurve verläuft hier parallel zu den Isothermen, die in dieser Darstellung um 45 Grad nach rechts geneigt sind.

190

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken

7.3 Thermik Gleitschirmflieger, Segel- und Drachenflieger sind immer auf der Suche nach Thermik – warmer, aufsteigender Luft, die das Fluggerät nach oben trägt und dadurch die Flugdauer verlängert. Nur die Thermik ermöglicht es den Segelfliegern, in größere Höhen vorzustoßen und weite Streckenflüge zu unternehmen (Abb. 7.7). Zu Beginn der Segelflugära wusste man noch nicht viel über Thermik. Zum Segelfliegen nutzte man den Hangaufwind, der vor einem Berg entsteht, wenn der Wind durch die Geländeform nach oben umgelenkt wird. An der Ostsee (Rossitten), in der Rhön (Wasserkuppe) und im Gebirge gelangen beim Flug von Hang zu Hang immerhin Segelflüge mit einer Dauer von mehreren Stunden. Aber erst die Erfindung des Variometers machte den echten Thermikflug möglich. Dieses Messgerät zeigt an, ob das Segelflugzeug gerade steigt oder sinkt, indem es Luftdruckänderungen misst. Der Segelflugpionier Wolf Hirth beschreibt in seinen Erinnerungen einen der ersten kontrollierten Thermikflüge, bei dem das Variometer zum Auffinden und Ausnutzen der Thermik eingesetzt wurde: Lange Zeit war für uns Segelflieger der Begriff „Thermik“ ein Zauberwort. Wir wussten wohl von der Wissenschaft her, dass es thermische Aufwinde gab, Aufwinde, die am häufigsten durch Erwärmung der Erde durch Sonnenbestrahlung entstehen und die wir dann und wann unerwartet durchflogen und so erfolgreich nützen konnten. Aber diese Thermik half uns doch nur ganz zufällig und unverdient [. . . ]. Der Grund dafür, warum es so schwer war, die Thermik, sofern sie sich nicht durch Wolkenbildung von selbst verriet, wahrnehmen und systematisch für den Flug ausnützen zu können, lag darin, dass man es unter normalen Verhältnissen nicht merkt, ob man steigt oder fällt. Die meisten, die sich das einbilden, verwechseln die Bewegung in einer Richtung mit der Beschleunigung oder Verzögerung in einer Richtung. Beschleunigungen und Verzögerungen kann man spüren, die Richtung einer gleichmäßigen Bewegung aber nicht. Es fehlte uns damals das Instrument, das den systematischen Thermikflug erst ermöglichte, das Variometer. Nur einer besaß es schon seit 1928 und wandte es stillschweigend und mit steigendem Erfolg an, Robert Kronfeld. Ehe ich es noch richtig ausprobieren konnte, reiste ich, von amerikanischen Segelfliegerkameraden eingeladen, nach Amerika. [. . . ] Bei meinen Flügen im Sportflugzeug über den Oststaaten von USA steckte ich mein Variometer einfach vorn in die Lederjacke hinein. Nun konnte ich jeweils ablesen, wie schnell ich im Geradeausflug stieg oder fiel. So bekam ich langsam ein Bild von der Thermik. Aber erst als ich am Ersten Nationalen Segelflug-Wettbewerb in Elmira im Staate New York teilnahm, hatten meine vorbereitenden Versuche den erstrebten Erfolg. [. . . ] An diesem Tage glückte mir der erste reine Thermikflug. Es war ein klarer, blauer Tag ohne Wolken und mit herrlicher Fernsicht. Mit einigen anderen Segelfliegern flog ich im Hangwind des South Hill bei Elmira und erreichte dabei mit Gus Haller, der die „Schloß Mainberg“ von Edgar Dittmar flog, eine Höhe von 400 Metern über Start. Als

Abschnitt 7.3 Thermik

Abb. 7.7: Segelflieger nutzen die Thermik, um länger in der Luft zu bleiben.

ich schon eine halbe Stunde in der Luft war, sah ich plötzlich, wie Haller am anderen Ende des Hanges rasch in die Höhe stieg. Sofort flog ich in dieselbe Gegend und beobachtete genau mein Variometer, das bis dahin auf 0 gestanden hatte. Kaum war ich in die Zone gekommen, die Haller kurz vorher durchflogen hatte, zeigte mein Variometer 2 m/s Steiggeschwindigkeit an. Jetzt begann ich zum erstenmal zu kreisen und legte das Flugzeug bald so steil, wie man es normalerweise beim Hangfliegen nie macht. Ich stieg weiter und hörte nicht auf zu kreisen, bis mein Variometer endlich in 950 Meter Höhe wieder auf 0 zurückging. In dieser Höhe entschloß ich mich zum erstenmal in den USA, einen Streckenflug zu versuchen, und zog geradeaus nach Osten. Ich war sehr glücklich, weil ich nun wußte, daß wir großen Menschenvögel das gleiche tun konnten wie die Adler und Geier. Bisher hatte die Fachwelt geglaubt, daß bei so steilem Kreisen die Sinkgeschwindigkeit eines Seglers viel zu groß sein würde, um im Thermikaufwind noch steigen zu können. Auch das Kreisen der Raubvögel, dessen Bedeutung bisher nur wenigen bekannt war, hatte nun seine praktische Bestätigung gefunden. Da die „Wärmeschächte“, die gleichsam wie unsichtbare Paternoster von der Erde aufsteigen, räumlich sehr begrenzt waren, so erforderte dieses „Wärmesegeln“ die besondere Taktik des Steilkreisens. – Kurze Zeit später begegnete ich zwei Bussarden, die etwas unter mir kreisten. Ich schloß mich ihnen an und hatte das Glück, dabei feststellen zu können, dass ich genau so eng kreiste wie sie und nicht weniger schnell stieg. (Hirth 1951)

191

192

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken

Thermikblase entsteht ...

(a) Boden wird erwärmt

(b)

(c) ... und löst sich ab

Abb. 7.8: Entstehung und Ablösung einer Thermikblase (nach Martens 2011)

Entstehung von Thermik Abb. 7.8 illustriert die Entstehung und Ablösung einer Thermikblase. An einem schönen, sonnigen Tag erwärmt sich der Boden durch Sonneneinstrahlung. Dadurch wird auch die Luft aufgeheizt. Sie wird dabei nicht direkt von der Sonne erwärmt, sondern durch Wärmeübertragung vom Boden. Oft sieht man die Luft am Boden „in der Hitze flimmern“ (Abb. 7.9). Die Sonne erwärmt den Erdboden nicht gleichmäßig. So wie ein schwarzes T-Shirt in der Sonne besonders warm wird, heizt sich die Luft über dunklen Asphaltflächen und trockenen Getreidefeldern stärker auf als in der Umgebung. Diese Flächen sind gute Thermiklieferanten. Beim Erwärmen dehnt sich die Luft aus und verdrängt die darüber liegende kühlere Luft zur Seite (blaue Pfeile in Abb. 7.8 (a)). Weil wärmere Luft eine geringere Dichte als die Umgebungsluft hat, erfährt sie wie ein Öltropfen im Wasser eine Auftriebskraft. Wenn der Temperaturunterschied groß genug ist, löst sich die Thermikblase vom Boden ab und steigt nach oben (Teilbilder (b) und (c) in Abb. 7.8). Luftströmungen in der Thermik Aufsteigende Luft kann es nur geben, wenn dafür an einer anderen Stelle Luft nach unten strömt. Wie in Abb. 7.8 (b) und (c) dargestellt, geschieht dies oberhalb und neben einer Thermikblase. Es bildet sich eine Zirkulationsströmung aus. Eine Thermikblase kann man sich als dreidimensionalen aufsteigenden „Wirbelring“ vorstellen (Martens 2011). Im Zentrum der Blase strömt die Luft relativ ruhig und ungestört nach oben. Hier steigt es sich am besten. Das ist der Bereich, den die Piloten gezielt aufsuchen und möglichst nicht mehr verlassen, bis sie am Kopf der Thermik oder der Untergrenze der Wolken angekommen sind. Da man aufsteigende Luft nicht sehen kann, ist es nicht ganz einfach, die richtige Stelle zu finden und dann nicht wieder zu verlieren.

Abschnitt 7.3 Thermik

193

Kasten 7.2 Wo die Thermik zu finden ist Thermik entsteht über Flächen, die sich in der Sonne stärker als ihre Umgebung erwärmen. Wie stark sich der Boden aufheizt, wird von zwei physikalischen Faktoren beeinflusst: von der Albedo (dem Ausmaß, in dem der Boden das Sonnenlicht reflektiert) und dem Feuchtegehalt des Bodens. Das Sonnenlicht kann den Boden nur erwärmen, wenn es absorbiert wird. Flächen mit hoher Albedo, die das Sonnenlicht stark reflektieren, erwärmen sich nur schlecht. Dazu zählen Schnee, Wasser und Sand. Im Gegensatz dazu haben Asphalt, trockene Getreide- und Kartoffelfelder und Nadelwald eine geringe Albedo. Sie absorbieren einen Großteil des Sonnenlichts und erwärmen sich dadurch gut. Nachteilig für die Thermik sind auch feuchte Flächen, etwa Moore und Wiesen. Hier geht ein Teil der Energie, die mit der Sonnenstrahlung absorbiert wird, in die Verdampfungswärme des verdunstenden Wassers. Die Erwärmung des Bodens fällt über feuchten Böden deshalb geringer aus.

Am Kopf der Blase und an ihrem Rand sinkt die Luft ab. Ein Flieger, der in diese Bereiche gerät, beginnt zu sinken. Er muss umkehren und das Zentrum der Thermik suchen. Im unteren Bereich der Thermik strömt Luft von außen hinzu, und es kommt zu Verwirbelungen. Hier kann der Pilot der Luftströmung folgen, die ihn in den Bereich der Aufwinde führt. Aufsteigen einer Thermikblase Wie gut die Thermikblase aufsteigt, hängt von der Temperaturdifferenz zur Umgebungsluft ab. Die Auftriebskraft ist umso größer, je höher die Temperaturdifferenz zwischen der warmen Luft in der Blase und der kalten Luft in der Umgebung ist. Um die Stärke der Thermik einzuschätzen, beschafft man sich daher einen aktuellen Temp und betrachtet die Temperaturabnahme mit der Höhe. Je größer der Temperaturgradient, d. h. je kälter es in der Höhe wird,

Abb. 7.9: Das „Hitzeflimmern“ zeigt an, dass sich die Luft über dem Boden erwärmt hat.

194

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken

Abb. 7.10: Thermikablösung an einem Hang. An der Wolke im Vordergrund erkennt man vier „Pulsationen“ aufsteigender Thermikblasen, die vom Wind versetzt werden.

umso stärkere Thermik kann man erwarten. Man muss allerdings berücksichtigen, dass die Temperatur der Thermikblase beim Aufsteigen nicht konstant bleibt. Wegen des mit der Höhe abnehmenden Drucks dehnt sie sich aus und kühlt sich dabei ab. Die „Prozessführung“, unter der das Aufsteigen erfolgt, nennt man adiabatisch. Wir werden uns im folgenden Abschnitt detailliert damit auseinandersetzen. Je nachdem wie hoch die Luftfeuchtigkeit am Boden ist, kann die Abkühlung beim Aufsteigen dazu führen, dass es in einer bestimmten Höhe zur Kondensation von Wasser und zur Wolkenbildung kommt. Wir haben diesen Prozess schon in Abschnitt 3.7 besprochen und dort auch die Höhe der Wolkenuntergrenze abgeschätzt. Frisch gebildete Cumuluswolken sind somit für die Flieger ein gutes Anzeichen für Thermik, und meist lohnt es sich, dorthin zu steuern. Man muss die Wolken jedoch sorgfältig beobachten. Wer nämlich zu einer Wolke fliegt, die sich gerade auflöst, hat Pech gehabt. Dort sinkt die Luft ab. Es ist gar nicht einfach, die einzelnen Wolken zu verfolgen und entstehende von vergehenden zu unterscheiden.

195

Abschnitt 7.4 Der adiabatisch-reversible Prozess

Thermikformen und Abrisskanten Je nach den Gelände- und Wetterbedingungen kann die Thermik viele verschiedene Gestalten annehmen. Wenn sich nach dem Ablösen einer Thermikblase an der gleichen Stelle eine neue bildet, die etwas später ebenfalls aufsteigt, spricht man von pulsierender Thermik (Abb. 7.10). Bei noch stärkerer Sonneneinstrahlung kommt es zur Ausbildung von Thermikschläuchen, in denen die warme Luft kontinuierlich aufsteigt. Die warme Luft wird hier ebenso schnell nachgeliefert, wie sie vom Erdboden aufsteigt. Inhomogenitäten im Gelände erleichtern das Ablösen der Thermik vom Boden. Man nennt sie Abrisskanten. Lokale Erhebungen oder Vegetationsunterschiede stellen mögliche Abrisskanten dar. Die Thermik kann aber auch schon ausgelöst werden, wenn der Schatten einer Wolke über ansonsten sonniges Gelände hinwegstreicht. Weil Waldränder gute Abrisskanten bilden, findet man häufig Aufwind über Wäldern, obwohl sie eigentlich schlechte Thermiklieferanten sind: Die über den benachbarten Feldern entstandene warme Luft löst sich am Waldrand vom Boden und wird beim Aufstieg vom Wind noch weiter versetzt. Diese Versetzung der Thermik mit dem Wind muss man auch beachten, wenn man unter Cumuluswolken nach Aufwinden sucht. Etwas Besonderes ist die Thermik an Berghängen. Hier gleitet die warme Luft schräg am Hang nach oben und löst sich erst an der Bergspitze vom Boden. Im Gebirge sieht man deshalb oft Cumuluswolken über den Bergspitzen, während der Himmel über dem Tal blau ist (vgl. auch Abb. 3.21 auf S. 77).

7.4 Der adiabatisch-reversible Prozess Um die Abkühlung und Ausdehnung beim Aufstieg einer Thermikblase zu verstehen, müssen wir – wie immer in der Thermodynamik – nach der Prozessführung fragen. Zum Leidwesen der Meteorologen ist allerdings schon das System (die Thermikblase) nicht besonders gut von ihrer Umgebung abgegrenzt. Wir wenden uns daher für einen Moment einem System mit besser kontrollierbaren Prozessbedingungen zu: einem luftgefüllten Zylinder mit einem beweglichem Kolben (Abb. 7.11). Wärmeisolierung

Luft Abb. 7.11: Beim adiabatisch-reversiblen Prozess wird keine Wärme mit der Umgebung ausgetauscht.

196

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken

Bezüglich der Prozessführung kann man schon jetzt sagen, dass sie für uns neu ist. Keine der Größen p, T und V bleibt beim Aufstieg konstant: Mit der Höhe ändert sich der Druck; die Thermikblase dehnt sich beim Aufstieg aus, und ihre Temperatur nimmt ab. Wir müssen den gesuchten Prozess auf andere Weise charakterisieren. Wir begegnen hier zum ersten Mal einer wichtigen Art der thermodynamischen Prozessführung: den adiabatischen Prozessen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass kein Wärmeaustausch mit der Umgebung erfolgt. Eine solche Prozessführung ist auf zweierlei Weise möglich: (1) durch eine Wärmeisolierung, wie etwa bei der Thermoskanne, (2) dadurch, dass der Prozess so schnell abläuft, dass es dabei nicht zu einer nennenswerten Wärmeübertragung kommt. Der Prozess, den wir im Folgenden betrachten, ist zusätzlich noch reversibel – ein weiterer überaus wichtiger Begriff. Er besagt, dass man den Prozess im Anschluss wieder „rückgängig“ machen kann, indem er in umgekehrter Richtung durchlaufen wird. Es dürfen dann keinerlei Veränderungen im System oder in der Umgebung zurückbleiben. Wir werden reversible und irreversible Prozesse in Kapitel 10 näher besprechen. Beim adiabatisch-reversiblen Prozess ändern wir das Volumen des eingeschlossenen Gases durch Verschieben des Kolbens. Jede Wärmeübertragung über die Systemgrenzen hinweg wird durch eine Isolierung verhindert. Die Reversibilität wird dadurch erreicht, dass der Kolben sehr langsam bewegt wird. Es dürfen keine lokalen Druck- oder Temperaturungleichgewichte entstehen, die zu innerer Reibung führen und damit die Reversibilität zerstören. Nach der Diskussion auf S. 146 gilt dann Gl. (6.20) für die Volumenänderungsarbeit, wobei p den momentanen Gasdruck im Zylinder bezeichnet. Herleitung der Adiabatengleichungen Mit dem Volumen ändern sich beim adiabatisch-reversiblen Prozess auch der Druck und die Temperatur. Eine Gleichung, die bei dieser Prozessführung zusätzlich zur Zustandsgleichung gilt, können wir mit den folgenden Voraussetzungen herleiten: (1) Die im Zylinder eingeschlossene Substanz soll als ideales Gas zu beschreiben sein. Mit Gl. (6.60) gilt dann: p · v = Rspez · T = (c p − cV ) · T.

(7.12)

Die Wärmekapazitäten c p und cV sollen temperaturunabhängig sein. (2) Da die innere Energie beim idealen Gas nur von der Temperatur abhängt, gilt mit Gl. (6.49) für die spezifische innere Energie u = U/m: du = cV dT



du = cV · dT.

(7.13)

(3) Die Energiebilanz lautet du = q − p dV. Bei einem adiabatischen Prozess ist q = 0. Damit gilt: du = − p dv. (7.14)

197

Abschnitt 7.4 Der adiabatisch-reversible Prozess

Diese drei Gleichungen werden nun kombiniert. Wir setzen Gl. (7.12) und Gl. (7.13) in Gl. (7.14) ein und erhalten: cV · dT = −(c p − cV ) · T ·

dv . v

(7.15)

Die Differentialgleichung lässt sich durch Trennung der Variablen lösen, indem wir auf beiden Seiten durch T dividieren und anschließend mit den Integrationsvariablen T ′ und v′ zwischen Anfangszustand ( T0 , v0 ) und Endzustand ( T, v) integrieren: Z T dT ′ T0

T′

=−

c p − cV Z v dv′ · . ′ cV v0 v

Mit der Abkürzung κ = c p /cV können wir schreiben:     T v ln = (1 − κ ) ln . T0 v0 Aus dem Logarithmengesetz b · ln a = ln( ab ) folgt: "  #   T v 1−κ ln = ln . T0 v0

(7.16)

(7.17)

(7.18)

Nun wenden wir auf beiden Seiten die Exponentialfunktion an und befreien uns auf diese Weise vom Logarithmus: T = T0



v v0

 1−κ



=

V V0

 1−κ .

(7.19)

Damit haben wir das Endergebnis erreicht. Beim adiabatisch-reversiblen Prozess ist jeder Zustand ( T, V ) mit dem Anfangszustand ( T0 , V0 ) über die sogenannte Adiabatengleichung verknüpft: T · V κ −1 = T0 · V0κ −1 = konst.

(7.20)

Der jeweils zugehörige Druck ergibt sich aus der Zustandsgleichung (7.12). Die Konstante κ heißt Adiabatenkoeffizient. Sie ist für die einzelnen Gase in Tabelle B.8 in der letzten Spalte enthalten. Setzt man die Zustandsgleichung (7.12) in Gl. (7.20) ein, erhält man zwei äquivalente Adiabatengleichungen für die Variablenkombinationen p, V und p, T: p · V κ = p0 · V0κ = konst.

(7.21)

p1−κ · T κ = p10−κ · T0κ = konst.

(7.22)

Jede dieser drei Gleichungen beschreibt – zusammen mit der Zustandsgleichung des idealen Gases – den adiabatisch-reversiblen Prozess vollständig.

198

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken

Zur Übersicht stellen wir die Adiabatengleichungen im folgenden Merksatz noch einmal zusammen. Adiabatengleichungen: Der adiabatisch-reversible Prozess wird für das ideale Gas durch jede der folgenden Gleichungen beschrieben:

Die Konstante κ =

cp cV

p · V κ = konst.

(7.23)

T · V κ−1 = konst.

(7.24)

p1−κ · T κ = konst.

(7.25)

bezeichnet man als Adiabatenkoeffizient.

7.5 Der Aufstieg eines Luftpaketes Das Aufsteigen einer Thermikblase wird in der Meteorologie als adiabatischreversibler Prozess modelliert. Aber auch andere vertikale Luftströmungen lassen sich damit beschreiben. Deshalb sprechen die Meteorologen ganz allgemein von Luftpaketen, die sie in der Atmosphäre auf- oder absteigen lassen. Dabei handelt es sich um eine gedanklich von der Umgebung abgegrenzte Luftmenge, die man in der Atmosphäre verschieben kann, ohne dass sie sich mit ihrer Umgebung nennenswert vermischt. Das Luftpaket soll z. B. nicht vom Wind verwirbelt werden, sondern kompakt zusammenbleiben. Ein idealisiertes Modell also, das sich zur Beschreibung der Atmosphäre gleichwohl als höchst nützlich erweist. Beschreibung des adiabatischen Aufstiegs Ein Luftpaket wird aus der Höhe z0 vertikal nach oben verschoben. Es soll adiabatisch-reversibel aufsteigen, so dass die Adiabatengleichung (7.25) gilt (Abb. 7.12). Gesucht wird die Temperaturänderung des Luftpaketes beim Aufsteigen, d. h. der Temperaturgradient dT dz . Kondensationsprozesse sollen dabei nicht auftreten (wir behandeln sie im folgenden Abschnitt). In der Meteorologie spricht man vom trockenadiabatischen Aufstieg des Luftpaketes. Wir differenzieren Gl. (7.25) auf beiden Seiten nach z und benutzen die Produktregel der Differentiation. Es ergibt sich:

(1 − κ ) p −κ T κ

dp dT + κ p 1−κ T κ −1 = 0. dz dz

(7.26)

Wir multiplizieren auf beiden Seiten mit pκ T −κ :

(1 − κ ) ·

dp p dT +κ· · = 0. dz T dz

(7.27)

199

Abschnitt 7.5 Der Aufstieg eines Luftpaketes

z

( , , ) z adiabatisch Luftpaket (p0, v0, T0)

Abb. 7.12: Ein Luftpaket wird in der Atmosphäre adiabatisch-reversibel nach oben transportiert.

z0

Auflösen nach dem Temperaturgradienten liefert: dT 1 − κ T dp =− · · . dz κ p dz

(7.28)

Diese Gleichung verknüpft den Temperaturgradienten mit der Höhenabnahme des Drucks. Dafür haben wir jedoch schon mit Gl. (7.6) einen allgemeingültigen Ausdruck gefunden.1 Wir setzen ihn ein und erhalten: dT 1−κ g = · . dz κ Rspez

(7.29)

c −c

Wenn wir nun noch 1−κ κ = Vc p p und Rspez = c p − cV benutzen, ergibt sich eine einfache Beziehung für die Abkühlung des Luftpaketes beim Aufstieg: dT g =− . dz cp

(7.30)

Setzen wir die Wärmekapazität von Luft ein, erhalten wir den entsprechenden Zahlenwert: dT 9,81 m/s2 K =− = −0,98 . (7.31) dz 1,005 kJ/(kg K) 100 m Das ist die Faustregel, die wir bereits auf S. 77 verwendet haben. Wir formulieren Sie noch einmal explizit: Beim trockenadiabatischen Aufstieg kühlt sich ein Luftpaket um ein Grad pro 100 m ab.

1

Das Symbol T in Gl. (7.6) bezeichnet die Temperatur der umgebenden Atmosphäre, die mit der des Luftpaketes nicht übereinstimmen muss. Da die Differenz in realen Situationen jedoch nur wenige Kelvin beträgt, vernachlässigen wir den Unterschied.

200

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken

Beispielaufgabe: Abkühlung einer aufsteigenden Thermikblase Eine trockene Thermikblase hat am Boden (0 m) eine Temperatur von 23 °C (= 296 K). Welche Temperatur erreicht sie beim adiabatischen Aufstieg auf 2500 m Höhe? Berechnen Sie die Endtemperatur mit der Adiabatengleichung und vergleichen Sie das Ergebnis mit der Vorhersage der Faustregel. Lösung: Wir gehen von Gl. (7.25) aus und lösen nach der gesuchten Endtemperatur T auf:

 T=

p0 p

 1−κ κ

· T0 .

(7.32)

Das Verhältnis des Drucks auf Meereshöhe zu dem auf 2500 m Höhe lässt sich mit der barometrischen Höhenformel berechnen:

p0 = exp p



z − z0 8,4 km





2,5 km 8,4 km



= exp = 1,35.

(7.33)

Aus Tabelle B.8 lesen wir den Adiabatenkoeffizienten von Luft ab: κ = 1,40. Damit ergibt sich aus Gl. (7.32):

T = (1,35)

1−1,4 1,4

· 296 K

= 272 K = −1 ◦ C.

(7.34)

In 2500 m Höhe hat die Thermikblase sich demnach auf −1 °C abgekühlt. Die Faustregel sagt eine Abkühlung um 25 °C vorher, also auf −2 °C. Der Unterschied kommt von der Annahme konstanter Temperatur bei der Herleitung der barometrischen Höhenformel. Die „Faustregel“ ist also in diesem Fall genauer.

7.6 Thermik und Temperaturkurve Wie gut die Thermik an einem bestimmten Tag ist, kann man anhand einer Radiosondenmessung beurteilen. Die von den Wetterstationen mitgeteilten Ergebnisse sind für Segel- und Gleitschirmflieger ein wertvolles Hilfsmittel. Betrachten wir noch einmal die gleiche Messung wie in Abb. 7.5 und untersuchen damit den Aufstieg einer Thermikblase. Die rote Linie in Abb. 7.13 zeigt die gemessene Temperaturkurve bis in eine Höhe von 4000 m. Über einer sonnenbeschienenen Stelle am Boden soll sich die Luft bis auf 21 °C erwärmt haben. Der Einfachheit halber betrachten wir zunächst trockene Luft, die keine Luftfeuchtigkeit enthält. Sie steigt als Thermikblase auf. Dabei folgt sie der braun eingezeichneten Trockenadiabate und kühlt sich um 1 °C je 100 m ab. Die Thermikblase steigt aus dem gleichen Grund auf wie ein Heißluftballon. Warme Luft hat eine geringere Dichte als kalte. Nach dem archimedischen

201

Abschnitt 7.6 Thermik und Temperaturkurve 4000

Höhe in m

Temperatur

3000

2000

Abb. 7.13: An diesem Tag steigt eine trockene Thermikblase, die am Boden mit 21 °C startet, bis in eine Höhe von 1800 m.

Trockenadiabate: Temperaturabnahme von 1 °C pro 100 m Ende des Auftriebs

1000

DT T in °C

0 -10

-5

0

5

10

15

20

Prinzip wirkt auf eine Thermikblase in einer kühleren Umgebung somit eine Auftriebskraft, die proportional zur Temperaturdifferenz ist. Die Temperaturdifferenz ∆T in einer bestimmten Höhe kann man aus dem horizontalen Abstand der beiden Kurven ablesen. Steighöhe einer Thermikblase In der Abbildung erkennt man, dass die Trockenadiabate stärker geneigt ist als die Temperaturkurve. Die Thermikblase kühlt sich beim Aufstieg stärker ab, als die Temperatur der umgebenden Luft sinkt. Die Temperaturdifferenz ∆T wird mit der Höhe immer kleiner, bis schließlich der „Temperaturüberschuss“ der Thermikblase in einer bestimmten Höhe aufgebraucht ist. Sie hat nun die gleiche Temperatur wie ihre Umgebung und erfährt keinen Auftrieb mehr. Deshalb steigt sie nicht weiter auf. Das Ende des Auftriebs ist dort erreicht, wo die betreffende Trockenadiabate die Temperaturkurve schneidet (grüner Kreis in Abb. 7.13). An diesem Tag steigt die Thermikblase bis in eine Höhe von etwa 1800 m. Im Skew-T-Diagramm (Abb. 7.6) sind die Trockenadiabaten als Kurvenschar braun eingezeichnet. Dies erleichtert es, den Aufstieg eines Luftpaketes zu verfolgen. Die Trockenadiabate für die gerade betrachtete Thermikblase ist in Abb. 7.6 etwas fetter dargestellt. Starke und schwache Thermik Über Mitteleuropa hat der Temperaturgradient durchschnittlich einen Wert von etwa 0,65 °C je 100 m. Die Temperatur in der Atmosphäre variiert allerdings von Tag zu Tag (daher die Notwendigkeit der Radiosondenaufstiege). Für die Beurteilung der Thermik am jeweiligen Tag ist der Temperaturgradient das entscheidende Kriterium. Ein größerer Temperaturgradient führt zu stärkerer Thermik. Man erkennt dies in Abb. 7.14. Es sind zwei Temperatur-

202 4000

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken

Höhe in m Temperaturgradient größer

3000

kleiner 2000

1000

0 -10

DT T in °C -5

0

5

10

15

20

Abb. 7.14: Je höher der Temperaturgradient in der Atmosphäre, umso größer ist die Temperaturdifferenz ∆T und damit der Auftrieb der Thermikblase. Bei höherem Temperaturgradient steigt die Thermikblase auch in größere Höhen.

kurven mit unterschiedlichen Temperaturgradienten eingezeichnet. Die linke Kurve ist stärker geneigt, sie hat den größeren Temperaturgradienten. Für diese Kurve ist ∆T – und damit auch der Auftrieb einer Thermikblase – größer als für die rechte. Die Thermik reicht zudem in eine größere Höhe (grüne Kreise). Man kann die Stärke der Thermik grob untergliedern (Martens 2011): (1) schwache Thermik bei Temperaturgradienten von weniger als 0,5 °C, (2) starke Thermik bei Temperaturgradienten von 0,6 °C bis 0,8 °C, (3) sehr starke Thermik bei größeren Temperaturgradienten. Eine zu starke Thermik ist allerdings vor allem für Drachen- und Gleitschirmflieger nicht günstig, denn sie ist oft mit Turbulenzen verbunden. Zudem besteht Gewittergefahr, wenn bei starker Thermik die warme Luft bis in große Höhen steigt und es dort zur Kondensation und Wolkenbildung kommt.

7.7 Feuchtadiabatischer Aufstieg Wie immer in der Meteorologie macht der Wasserdampf, der in jedem Luftpaket enthalten ist, alles ein wenig komplizierter. Wir müssen ihn gesondert berücksichtigen, denn er kann beim Aufstieg eines Luftpaketes kondensieren. In der Höhe, in der dies geschieht, bilden sich Wolken. Ein wasserdampfhaltiges Luftpaket, das vom Boden aufsteigt, kühlt zunächst trockenadiabatisch ab. Seine Temperatur nimmt so lange um 1 °C pro 100 m ab, bis die Taupunkttemperatur erreicht ist. An dieser Stelle beginnt der Wasserdampf zu kondensieren. Dabei wird – wie wir aus Kapitel 2 wissen – Energie frei: die Verdampfungsenthalpie, die man in diesem Zusammenhang auch als Kondensationswärme bezeichnet.

Abschnitt 7.8 Wolkenbildung

203

Beim weiteren Aufstieg des Luftpaketes kondensiert wegen der weiter sinkenden Temperatur fortlaufend Wasserdampf. Die dabei freigesetzte Energie wirkt der Abkühlung des Luftpaketes entgegen, und seine Temperatur nimmt nur noch um 0,4 °C bis 0,8 °C je 100 m ab (der genaue Wert hängt von Temperatur und Druck ab). Ein solches Luftpaket steigt feuchtadiabatisch auf. Bevor Kondensation einsetzt, steigt ein Luftpaket trockenadiabatisch auf, danach feuchtadiabatisch. Beim feuchtadiabatischen Aufstieg kühlt es sich um 0,4 °C bis 0,8 °C je 100 m ab. Für jeden Radiosondenaufstieg wird auch die Taupunkttemperatur in der Höhe mitgeteilt (vgl. Abb. 7.5). Davon darf man sich nicht irritieren lassen. Für ein vom Boden aufsteigendes Luftpaket ist nur die am Boden gemessene Taupunkttemperatur relevant: Das Luftpaket steigt mitsamt dem darin enthaltenen Wasserdampf wohlabgegrenzt von seiner Umgebung in die Höhe und bleibt dabei von der Luftfeuchtigkeit in der Umgebung unberührt. Näherungsweise kann man sagen, dass ein vom Boden aufsteigendes Luftpaket seine Taupunkttemperatur „mit in die Höhe nimmt“. Man macht keinen großen Fehler, wenn man die Taupunkttemperatur als höhenunabhängig ansieht und alle Überlegungen zur Wasserdampfkondensation mit der am Boden gemessenen Taupunkttemperatur durchführt. Will man es allerdings genau nehmen, muss man berücksichtigen, dass die Taupunkttemperatur vom Druck abhängt – und dieser sich mit der Höhe ändert. Man kann dann die schon auf S. 77 angegebene Faustregel für die Höhenabhängigkeit des Taupunktes anwenden: Der Taupunkt in einem aufsteigenden Luftpaket nimmt um etwa 0,2 °C pro 100 m ab. Im Skew-T-Diagramm (Abb. 7.6) sind die Feuchtadiabaten als grüne Linien eingezeichnet. Entlang der blau gestrichelten Linien, die mit „konstanter Feuchtegehalt“ beschriftet sind, kann man auch die Taupunkttemperatur vom Boden aus nach oben verfolgen. Was der konstante Feuchtegehalt mit der Höhenabhängigkeit der Taupunkttemperatur zu tun hat, werden wir in Abschnitt 7.9 erfahren, wo wir die Faustregel thermodynamisch begründen.

7.8 Wolkenbildung Cumuluswolken sind von Segelfliegern gerne gesehen. An schönen Sommertagen kann man sich an den „Schäfchenwolken“ mit ihrer blumenkohlförmigen Gestalt orientieren, weil sie gute Thermikanzeiger sind. Sie bilden sich dort, wo die Luft aufsteigt und dabei so stark abkühlt, dass der darin enthaltene Wasserdampf kondensiert (Abb. 7.15). In welcher Höhe bilden sich die durch Thermik verursachten Wolken und wie hoch reichen sie? Dies ist – neben der Beurteilung der Thermikstärke – die zweite Frage, die wir mit Hilfe einer Radiosondenmessung beantworten können. Um die Wolkenbildung zu beschreiben, müssen wir die Luftfeuchtigkeit einer aufsteigenden Thermikblase berücksichtigen.

204

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken

Abb. 7.15: Cumuluswolken bilden sich durch Kondensation in aufsteigender Luft.

7.8.1 Bestimmung des Kondensationsniveaus

Beim Aufstieg kühlt sich die Thermikblase zunächst entlang der Trockenadiabate ab (braune Linie in Abb. 7.16). Die Kondensation setzt ein, wenn sie bis zur Taupunkttemperatur abgekühlt ist. Die blau gestrichelte Linie, die mit „konstanter Feuchtegehalt“ beschriftet ist, beschreibt die gerade erwähnte Abnahme der Taupunkttemperatur um 0,2 °C pro 100 m. Am Schnittpunkt der beiden Linien (roter Kreis) hat die Thermikblase die Taupunkttemperatur erreicht, und die Kondensation setzt ein. Die Höhe, in der dies geschieht, wird als Kondensationsniveau bezeichnet. Die Berechnung des Kondensationsniveaus sagt noch nichts darüber aus, ob die aufsteigende Thermikblase tatsächlich als Wolke endet. Denn dies kann nur geschehen, wenn sie das Kondensationsniveau auch wirklich erreicht. Sie darf nicht schon vorher wegen mangelnden Auftriebs steckenbleiben. Man muss daher zwei Fälle unterscheiden: (1) Die in Abschnitt 7.6 ermittelte Steighöhe der Thermikblase liegt unterhalb des Kondensationsniveaus. Dann ist der Auftrieb „erschöpft“, bevor die Kondensation einsetzen kann, und es kommt nicht zur Wolkenbildung. Die Segelflieger sprechen in diesem Fall von Blauthermik.

205

Abschnitt 7.8 Wolkenbildung

4000

Höhe in m

Temperatur 3000

konstanter Feuchtegehalt 2000

Kondensationsniveau Trockenadiabate

1000

Taupunkttemperatur

T in °C 0 -10

-5

0

5

10

15

20

Abb. 7.16: Bestimmung des Kondensationsniveaus

4000 Höhe in m

Ende des Auftriebs Feuchtadiabate

3000

2000

Temperatur

Kondensationsniveau Trockenadiabate

1000

T in °C 0 -10

-5

0

5

10

15

Abb. 7.17: Wolkenunter- und -obergrenze

20

206

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken

(2) Im anderen Fall wird das Kondensationsniveau vor dem Ende des Auftriebs erreicht. Es bildet sich eine Cumuluswolke, deren Untergrenze in Höhe des Kondensationsniveaus liegt. In unserem Beispiel liegt der zweite Fall vor. Die Thermikblase erreicht das Kondensationsniveau, bevor der Auftrieb endet. Aus Abb. 7.16 lesen wir ab, dass das Kondensationsniveau bei etwa 1370 m liegt. Die Untergrenze der entstehenden Wolke befindet sich in dieser Höhe. Die hier grafisch durchgeführte Bestimmung der Wolkenuntergrenze ist übrigens vollkommen äquivalent zu der auf S. 77 besprochenen rechnerischen Methode. In beiden Fällen wird die Temperaturabnahme der Thermikblase bis zur Taupunkttemperatur in der jeweiligen Höhe verfolgt. 7.8.2 Wolkenobergrenze

Nach Erreichen des Kondensationsniveaus hat die Thermikblase noch Auftrieb und steigt weiter nach oben. Weil dabei fortwährend Wasserdampf kondensiert, erfolgt der Aufstieg nun aber nicht mehr trockenadiabatisch, sondern feuchtadiabatisch entlang der in Abb. 7.17 grün eingezeichneten Feuchtadiabaten. Die Feuchtadiabaten verlaufen wegen der geringeren Abkühlungsrate steiler als die Trockenadiabaten. Die Thermikblase steigt nun innerhalb der sich bildenden Cumuluswolke auf. Das Ende des Auftriebs ist am Schnittpunkt der Feuchtadiabaten mit der Temperaturkurve erreicht. In unserem Fall bleibt der Auftrieb bis zum Erreichen der Inversionsschicht in 3400 m Höhe erhalten. Erst dort trifft die Feuchtadiabate auf die Temperaturkurve (grüner Kreis). Der Aufstieg unserer Thermikblase ist hier beendet. In dieser Höhe liegt die Obergrenze der Wolke. 7.8.3 Inversionen und Gewitterwolken

Es ist kein Zufall, dass die Thermikblase gerade an einer Inversionsschicht zum Stillstand kommt. Inversionen sind regelrechte Barrieren für aufsteigende Luftpakete, weil deren Auftrieb wegen der hier plötzlich ansteigenden Temperatur verloren geht. An Inversionsschichten kommen die Vertikalbewegungen in der Atmosphäre zum Erliegen. Berüchtigt sind die Inversionswetterlagen im Winter, wo sich an der Inversion eine dünne Schichtwolkendecke bildet, unter der es trüb und dunkel ist. An diesem Sommertag ist die Inversionsschicht für Segelflieger allerdings günstig. Sie führt dazu, dass nur harmlose Schönwetterwolken mit einer relativ niedrigen Wolkenobergrenze entstehen. Ohne die Inversionsschicht würde der Auftrieb der Thermikblasen weitaus höher reichen, möglicherweise sogar bis zur Tropopausen-Inversion in mehr als 10 000 m Höhe (Abb. 7.5). Es könnten sich dann mächtige und hoch aufgetürmte Gewitterwolken entwickeln, die das Fliegen gefährlich machen.

Abschnitt 7.9 Höhenabhängigkeit der Taupunkttemperatur

207

7.9 Höhenabhängigkeit der Taupunkttemperatur Die Faustregel für die Höhenabhängigkeit der Taupunkttemperatur, die wir bei der Bestimmung des Kondensationsniveaus verwendet haben, ist bisher noch unerklärt geblieben. Auf den ersten Blick ist es nicht selbstverständlich, dass die Taupunkttemperatur in einem aufsteigenden Luftpaket von der Höhe abhängt. Noch weniger einsichtig ist die Bezeichnung „konstanter Feuchtegehalt“ bzw. „konstantes Mischungsverhältnis“ für die blau gestrichelten Linien im Skew-T-Diagramm. Dabei ist die Physik, die sich dahinter verbirgt, eigentlich gar nicht so schwierig. Die Höhenabhängigkeit der Taupunkttemperatur beruht auf einer Tatsache, die uns schon seit unseren Überlegungen zum Schnellkochtopf wohlvertraut ist: Die Siedetemperatur von Wasser hängt vom Druck ab. Wenn der Phasenübergang wie hier in der Richtung von gasförmig nach flüssig stattfindet, spricht man besser von der Kondensationstemperatur, aber der Zusammenhang bleibt der gleiche. Quantitativ wird er durch die Clausius-ClapeyronGleichung (2.3) beschrieben, die den Wasserdampfdruck pDampf und die Temperatur am Phasenübergang TP miteinander verknüpft. Beim Aufstieg eines Luftpaketes fungiert die Höhe z als Kontrollparameter. Wir differenzieren Gl. (2.3) auf beiden Seiten nach z: 1 pDampf

·

dpDampf ∆hfg 1 dTP = · · . dz RWasser TP2 dz

(7.35)

Hier ist ∆hfg die spezifische Verdampfungsenthalpie und RWasser = R/mmol die spezifische Gaskonstante von Wasserdampf. Während das Luftpaket aufsteigt, ändern sich Druck, Volumen und Temperatur. Was jedoch konstant bleibt, ist der Feuchtegehalt: Die Wasserdampfmoleküle werden zusammen mit den Luftmolekülen in die Höhe transportiert. Dabei ändert sich ihr Zahlenverhältnis nicht. In der Meteorologie drückt man den Feuchtegehalt allerdings nicht durch ein Zahlenverhältnis aus, sondern bezieht ihn auf die Masse: Das Mischungsverhältnis w wird in Gramm Wasserdampf pro Kilogramm trockener Luft angegeben. Es bleibt beim Aufstieg konstant. Auf diese Weise erklärt sich die Bezeichnung der blau gestrichelten Linien im Skew-T-Diagramm. Bei konstantem Mischungsverhältnis sind nach der Zustandsgleichung des idealen Gases die Partialdrücke von Luft und Wasserdampf proportional. Es gilt: pDampf = w · pLuft . Wenn wir diese Beziehung in Gl. (7.35) einsetzen, fällt der konstante Faktor w heraus: 1 pLuft

·

∆hfg dpLuft 1 dT = · 2 · P. dz RWasser TP dz

(7.36)

208

Kapitel 7 Adiabatische Prozesse – Luftdruck, Thermik und Wolken

Für die hier auf der linken Seite auftretende Änderung des Luftdrucks mit der Höhe haben wir schon früher den allgemeinen Ausdruck (7.6) hergeleitet, den wir nun einsetzen:



∆hfg g 1 dTP = · · . RLuft · T RWasser TP2 dz

(7.37)

Durch Umformen erhalten wir eine Gleichung für die Kondensationstemperatur TP des Wasserdampfes im Luftpaket: T2 dTP g R =− · Wasser · P . dz ∆hfg RLuft T

(7.38)

Die darin auftretenden Konstanten können wir den Tabellen im Anhang entnehmen. Wenn wir für TP und T näherungsweise jeweils 273 K einsetzen, ergibt sich für die Änderung von TP mit der Höhe der folgende Zahlenwert: dTP K = −0,19 . dz 100 m

(7.39)

Die Kondensationstemperatur des im Luftpaket enthaltenen Wasserdampfes sinkt um 0,2 °C pro 100 m Höhenunterschied. Das ist die Aussage der oben verwendeten Faustregel, die wir damit begründet haben.

8

C

T H

=

adiabatische Expansion D

20

°C

adiabatische Kompression B

T L

=−



C

isotherme Expansion

Thermodynamische Kreisprozesse

Heizen mit Wärmepumpen

A

210

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

1.5

1.0

0.5

500

1000

1500

2000

-0.5 Abb. 8.1: Abweichung der mittleren Atmosphärentemperatur vom Mittelwert 1850– 1900 für die vergangenen 2000 Jahre (gleitender Durchschnitt über Jahrzehnte). Rot: gemessene Daten seit 1850, blau: rekonstruierte Daten, grau: 95 %Konfidenzbereich für die rekonstruierten Daten. Quelle: IPCC, Summary for Policymakers. In: Climate Change 2021: The Physical Science Basis (2021), doi: 10.1017/9781009157896.001.

8.1 Klimawandel und CO2 -Emissionen Das Problem des globalen Klimawandels lässt zu Beginn des 21. Jahrhunderts viele Menschen mit Sorge in die Zukunft sehen. Der Anlass für die Besorgnis lässt sich an Abb. 8.1 ablesen: Seit 1900 hat sich die mittlere Temperatur der Erdatmosphäre im Vergleich zu den 1000 Jahren zuvor signifikant erhöht, seit 1850 um inzwischen 1,2 °C. Besonders auffällig ist, dass die zehn weltweit wärmsten Jahre zwischen 1850 und 2021 ausnahmslos nach 2000 zu verzeichnen sind.1 Die Modellrechnungen der Klimaforscher zeigen, dass sich die Erwärmung noch fortsetzen wird und die Auswirkungen wenig erfreulich für den Menschen und seine Umwelt sein werden. Um dem Klimawandel entgegenzuwirken, muss man an seinen Ursachen ansetzen. Aus den Klimamodellierungen folgt, dass der Temperaturanstieg mit großer Sicherheit auf menschliche Aktivitäten zurückgeht, vor allem auf die Zunahme von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Eine Hauptrolle spielt dabei das Kohlenstoffdioxid (CO2 ). Dieses Treibhausgas entsteht bei allen Verbrennungsvorgängen, zum Beispiel bei der Verbrennung von Kohle, Öl oder Gas. Dadurch sind die durch den Menschen verursachten CO2 -Emissionen naturgesetzlich an den Energieumsatz aus fossilen Energiequellen gekoppelt. 1

Die wärmsten Jahre waren 2016, 2020, 2019, 2015, 2017, 2021, 2014, 2010, 2005, 2013.

211

Abschnitt 8.2 Mit kalter Luft heizen?

Wenn man als Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft (oder einfach als mündiger Bürger) beurteilen möchte, welche Maßnahmen zur Reduzierung der CO2 -Emissionen mit dem besten Verhältnis von Aufwand und Nutzen durchführbar sind, sollte man danach schauen, wo die „großen Effekte“ zu erwarten sind – eine Methode, die typisch für die Arbeitsweise in der Physik ist. Sehen wir uns als Beispiel den Energieumsatz der privaten Haushalte in Deutschland an. Sein Anteil am gesamten Energieumsatz beträgt etwa 40 %. Abb. 8.2 zeigt die Anteile der verschiedenen Energienutzungsformen. Man erkennt, dass über 80 % des privaten Energieumsatzes auf zwei Bereiche zurückgehen: Wohnungsheizung und Autofahren. Auf die Beleuchtung entfallen dagegen nur 1,4 %. Das bedeutet: Es ist zwar ehrenwert, immer das Licht auszumachen, wenn man ein Zimmer verlässt. Menschheitsprobleme löst man auf diese Weise aber nicht. Es ist wesentlich nutzbringender, Anstrengungen in die Reduzierung des Autoverkehrs oder in Einsparungen bei der Wohnungsheizung zu investieren. Die Thermodynamik kann bei der Suche nach Möglichkeiten zum sparsameren Heizen helfen. Zur effektiven Wärmedämmung von Häusern muss man z. B. die Wärmeleitung durch Wände und andere Bauteile verringern (Kapitel 13). Im vorliegenden Kapitel geht es um eine heutzutage bereits in den meisten Neubauten verwirklichte Möglichkeit, den Energieaufwand für das Heizen zu reduzieren: den Einsatz einer Wärmepumpe.

8.2 Mit kalter Luft heizen? Menschen, die in den kühleren Gegenden der Welt wohnen, müssen im Winter ihre Wohnungen heizen. Früher wurden Holz, Torf und Kohle als Brennstoffe verwendet und in Kaminen und Öfen verbrannt. Ein guter Teil der Energie entwich dabei ungenutzt durch den Schornstein. Um eine effizientere Nutzung der immer knappen Brennstoffe zu erreichen, suchte man nach neu-

Kühlen, PC, Unterhaltungselektronik: 6% Kochen, Bügeln usw.: 3% Beleuchtung: 1% Warmwasser: 8%

Pkw: 30% Abb. 8.2: Energieumsatz der privaten Haushalte in Deutschland 2006: Prozentuale Anteile der verschiedenen Nutzungsformen (Quelle: Statistisches Bundesamt)

Wohnungskeizung: 53%

212

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

en Lösungen. Schon im Mittelalter wurden in Klöstern und Pfalzen nach antikem Vorbild Luft-Zentralheizungen installiert. Technikhistoriker haben experimentell ermittelt, dass diese Anlagen bereits eine Energieausbeute von 90 Prozent erreichten. Für Normalbürger setzte sich die Idee der Zentralheizung jedoch erst im 20. Jahrhundert durch, als es auch zu einer allmählichen Umstellung der Brennstoffe auf Öl und Erdgas kam. Forciert wurde das Bemühen zur Energieeinsparung durch die Ölkrise in den 1970er Jahren. Als Reaktion auf die sprunghaft angestiegenen Energiekosten wurden die Wärmeschutzverordnung und die Heizungsanlagenverordnung mehrere Male verschärft. 2002 wurden beide in der Energieeinsparverordnung (EnEV) zusammengefasst, und seit 2020 gilt das nochmals erweiterte Gebäudeenergiegesetz. Auch die Heizungstechnik wurde immer weiter verfeinert: Die Verbrennung in den Heizkesseln ist heutzutage effizienter, und die Anlagen sind mit elektronischen Steuerungen versehen, um sie gezielter einsetzen zu können. In Brennwert-Heizkesseln wird sogar die Kondensationswärme des im Abgas enthaltenen Wasserdampfes ausgenutzt. Ein effizienterer Weg zur Wohnungsheizung? Bei all diesen Verbesserungen ist die Grundidee der Wohnungsheizung jedoch immer gleich geblieben. Ein Brennstoff wird verbrannt, und dabei wird eine bestimmte Energiemenge freigesetzt – der Brennwert des Stoffes. Er ist durch die chemische Natur der Verbrennungsreaktionen bestimmt und lässt sich nicht verändern. Die maximal mögliche Effizienz scheint erreicht, wenn die gesamte bei der Verbrennung freiwerdende Energie den Wohnräumen zugeführt wird (Abb. 8.3 (a)). Besser geht es nicht – so könnte man jedenfalls glauben. Was so unmittelbar evident erscheint, entspricht allerdings nicht den Tatsachen. Man kann der Wohnung mit der gleichen Brennstoffmenge noch mehr Energie zuführen. Unter den vielen erstaunlichen Erkenntnissen der Thermodynamik ist die folgende Aussage eine der verblüffendsten: Der thermodynamisch effizienteste Weg, ein Haus zu heizen, besteht nicht darin, Erdöl oder Erdgas zu verbrennen und die gesamte dabei freiwerdende Energie zur Erwärmung der Räume zu nutzen. In Anbetracht des Energiesatzes fällt es schwer, sich Alternativen vorzustellen. Mehr als den entsprechenden Brennwert kann man aus einem Liter Öl oder einem Kubikmeter Erdgas nicht herausholen – soviel ist richtig. Man kann die im Brennstoff enthaltene Energie aber intelligenter einsetzen als zum direkten Heizen. Man kann zum Beispiel eine Wärmepumpe damit betreiben. Die Aufgabe einer Wärmepumpe Eine Wärmepumpe führt dem Haus Energie zu, die sie der kalten Außenluft (oder dem kalten Erdreich) entzieht. Um das warme Haus noch wärmer zu machen, wird also kalte Luft noch weiter abgekühlt. Das erscheint auf den ersten Blick als ein Ding der Unmöglichkeit. Denn wie die Alltagserfahrung lehrt, findet Wärmeübertragung normalerweise vom warmen zum kalten Körper

213

Abschnitt 8.2 Mit kalter Luft heizen?

der Außenluft entzogene Wärme

Q

TL

Wärmepumpe

QL

QH

W (a) Traditionelle Heizung

dem Haus zugeführte Wärme TH

(b) Heizen mit einer Wärmepumpe

Abb. 8.3: Energieflüsse bei der traditionellen und bei der Wärmepumpenheizung

statt. Die Wärmepumpe kehrt diese Richtung des Energietransports um. Entgegen ihrer „natürlichen Flussrichtung“ strömt dann die Energie vom kalten zum warmen Körper (Abb. 8.3 (b)). Der Prozess kann allerdings nicht von selbst ablaufen. Wir müssen Energie zum Betrieb der Wärmepumpe investieren: die in Abb. 8.3 (b) eingezeichnete Arbeit W. Eine Wärmepumpe entzieht einem kalten Körper Energie, um damit einen warmen Körper noch weiter zu erwärmen. Dieser Vorgang läuft nicht von selbst ab. Man muss dafür Energie aufwenden. Der Einsatz einer Wärmepumpe ist der oben angesprochene Weg, thermodynamisch effizient zu heizen. Die zur Verfügung stehende Energie „verheizt“ man nicht direkt, sondern man betreibt damit eine Wärmepumpe, die zusätzlich Energie aus der Umgebung „zapft“. In der Praxis werden Wärmepumpen meist nicht mit Brennstoffen wie Öl oder Gas betrieben, sondern mit Strom. Abb. 8.4 zeigt die Energieflüsse bei einer Wärmepumpe in einer etwas abstrakteren Form, die uns später noch häufiger begegnen wird. Das Haus und die Umgebungsluft werden als thermische Reservoirs betrachtet. Darunter versteht man Körper, die so groß sind, dass sich ihre Temperatur nicht ändert, selbst wenn ihnen Wärme zugeführt oder entnommen wird. Für die Außenluft trifft das in unserem Fall sicher zu; für das Haus ist es eine Idealisierung: Der Zweck einer Wohnungsheizung liegt ja gerade darin, das Haus zu erwärmen. Für die kurze Zeitspanne, die wir betrachten, soll die Temperaturänderung aber unwesentlich sein. Mit TL und TH werden die Temperaturen der beiden Reservoirs bezeichnet (der Index L steht für low, H steht für high). Energiebilanz einer Wärmepumpe Die Wärmepumpe transportiert Energie zwischen den beiden Reservoirs. Sie entnimmt dem Reservoir mit der niedrigeren Temperatur die Wärmemenge QL und führt dem Reservoir mit der höheren Temperatur die Wärmemenge

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

Wärmepumpe

QL

TL

QH

W

TH

Reservoir mit warmer Luft (Temperatur TH)

Reservoir mit kalter Luft (Temperatur TL)

214

Abb. 8.4: Energieflüsse bei einer Wärmepumpe

QH zu. Für ihren Antrieb muss die Arbeit W aufgewendet werden. Nach dem ersten Hauptsatz lautet die Energiebilanz für das geschlossene System: ∆U = QL + QH + W.

(8.1)

Gemäß der in diesem Buch verwendeten Vorzeichenkonvention sind Wärme und Arbeit positiv, wenn sie die Energie des Systems erhöhen (vgl. S. 151). Die Richtung der Pfeile in Abb. 8.4 definiert nicht etwa das Vorzeichen der jeweiligen Energien, sondern sie veranschaulicht nur den Energiefluss. Im Vergleich mit anderen Texten ist hier Vorsicht geboten. Für die Wärmepumpe gilt: QL > 0,

QH < 0

und W > 0.

(8.2)

Die innere Energie der Wärmepumpe soll im Ganzen unverändert bleiben (sie soll sich im Betrieb nicht immer weiter aufheizen). Daher gilt ∆U = 0, und für die Energiebilanz ergibt sich:

− QH = QL + W.

(8.3)

Eine erste Aussage können wir aus der Energiebilanz ablesen: Vom thermodynamischen Standpunkt aus ist das Heizen mit einer Wärmepumpe effizienter als das traditionelle Heizen, sofern überhaupt Energie aus der Umgebung entnommen wird, wenn also QL von null verschieden ist. Dann ist die dem Haus zugeführte Wärmemenge − QH größer als die aufgewendete Arbeit W. Unter Praxisbedingungen muss man strengere Anforderungen an die Effizienz von Wärmepumpen stellen. Darauf werden wir in Abschnitt 8.8 eingehen. Zuvor muss aber die Frage nach der prinzipiellen Funktionsweise einer Wärmepumpe geklärt werden. Wir wissen bisher, was eine Wärmepumpe tut, aber nicht wie sie es tut. Bevor wir auf die etwas komplizierte Prozessführung einer realen Wärmepumpe eingehen, wollen wir mit dem Carnot-Prozess ein Verfahren betrachten, das einfacher zu analysieren ist und darüber hinaus für die Thermodynamik grundlegende Bedeutung besitzt.

Abschnitt 8.3 Die Carnot-Wärmepumpe

215

8.3 Die Carnot-Wärmepumpe 8.3.1 Thermodynamische Kreisprozesse

Der Carnot-Prozess wird erstmals in Sadi Carnots einziger Veröffentlichung „Über die bewegende Kraft des Feuers“ beschrieben. Diese beeindruckende Arbeit erschien im Jahr 1824, noch bevor der thermodynamische Wärmebegriff ausreichend geklärt und der Energieerhaltungssatz gefunden war. Seine Analyse des Prozesses wies den Weg zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik und hatte überdies eine enorme technische Bedeutung: Er konnte damit die maximal mögliche Effizienz von Wärmekraftmaschinen bestimmen. Der Carnot-Prozess ist ein thermodynamischer Kreisprozess: eine Abfolge von Prozessschritten, bei der sich das verwendete Arbeitsmittel am Ende wieder im Ausgangszustand befindet. Man betrachtet zum Beispiel ein Gas in einem Zylinder mit einem beweglichen Kolben. Zu Beginn sollen Druck, Temperatur und Volumen die Werte p0 , T0 und V0 haben. Wir führen nun eine Folge von Operationen durch, bei denen sich diese Zustandsgrößen ändern. Dabei wird Wärme übertragen und Arbeit verrichtet. Wenn sich das Gas nach einer Anzahl von Prozessschritten wieder im Ausgangszustand befindet, wenn also Druck, Temperatur und Volumen wieder die Werte p0 , T0 und V0 haben, dann liegt ein Kreisprozess vor. 8.3.2 Der Fahrradpumpen-Kreisprozess

Bei der Wärmepumpe möchten wir mit Hilfe eines Kreisprozesses Wärme von einem kalten auf ein warmes Reservoir übertragen. Eine Grundidee dafür liefert uns das Beispiel der Fahrradluftpumpe. Wie man als Fahrradfahrer weiß, erwärmt sich die Luft, wenn sie beim Pumpen komprimiert wird. Nach dem Aufpumpen eines Reifens fühlt sich die Luftpumpe warm an. Mit dieser Beobachtung können wir eine einfache Wärmepumpe konstruieren, mit der wir (im Prinzip) ein Haus heizen könnten: Wir füllen die Luftpumpe mit kalter Winterluft und verschließen anschließend mit dem Daumen die Öffnung. Nun wird die eingeschlossene Luft komprimiert, wobei sie sich erwärmt. Die Kompression muss so stark sein, dass die Luft anschließend mindestens die gleiche Temperatur hat wie das Innere des Hauses. Je kälter es draußen ist, desto mehr Arbeit müssen Sie dabei verrichten. Laufen Sie jetzt schnell ins Haus hinein und lassen Sie die Luft in der Pumpe bis auf Zimmertemperatur abkühlen. Mit der übertragenen Wärme wird das Haus geheizt. Damit haben zwei der drei Energieübertragungsprozesse aus Abb. 8.4 stattgefunden. Innerhalb des Hauses expandieren Sie jetzt die eingeschlossene Luft. Die Temperatur der Luft sinkt dabei. Auch hier muss die Expansion so stark sein, dass sich die Luft mindestens bis auf die Außentemperatur abkühlt. Nun laufen Sie wieder nach draußen und warten, bis sich die Luft in der Pumpe bis auf die Temperatur der Außenluft erwärmt hat. Dabei wird Wärme von der Umgebung auf die eingeschlossene Luft übertragen, wie in Abb. 8.4 gefordert. Wenn nun das Volumen, die Temperatur und der Druck wieder ihre Aus-

216

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

gangswerte angenommen haben, ist der Kreisprozess vollendet. Es ist vielleicht keine sehr effiziente Wärmepumpe, die wir hier entworfen haben, aber sie zeigt die grundlegende Möglichkeit, eine Energieübertragung in Kreisprozessen zu realisieren. 8.3.3 Reversible Prozessführung

Der Carnot-Prozess ist nichts weiter als die physikalisch strengere Formulierung unseres Fahrradpumpen-Kreisprozesses. Wie dieser besteht er aus einer Abfolge von vier Teilschritten: Kompression – Wärmeübertragung – Expansion – Wärmeübertragung. Die Besonderheit beim Carnot-Prozess liegt darin, dass alle Prozessschritte als reversibel angenommen werden. Eine reversible Form der Expansion und Kompression haben wir schon im letzten Kapitel mit dem adiabatisch-reversiblen Prozess kennengelernt. Ihn können wir für den ersten und den dritten Schritt des Carnot-Prozesses verwenden. Problematischer sind die beiden Wärmeübertragungsprozesse. Normalerweise geschieht jede Wärmeübertragung irreversibel in der Richtung vom warmen zum kalten Körper. Eine reversible Wärmeübertragung kann es nur zwischen Körpern gleicher Temperatur geben. Allerdings geht die Rate der Wärmeübertragung (die pro Sekunde übertragene Energiemenge) mit der Temperaturdifferenz gegen null – die Wärmeübertragung zwischen zwei Körpern gleicher Temperatur ist zwar reversibel, findet aber nicht statt. Man muss sich daher mit einer idealisierten Annäherung an die reversible Wärmeübertragung begnügen. Der eine Körper soll nur infinitesimal wärmer sein als der andere, so dass zwar eine Wärmeübertragung stattfindet, aber eben nur mit infinitesimal geringer Rate. Die reversible Wärmeübertragung ist somit vor allem eines: Sie ist langsam. Näherungsweise realisiert wird sie durch die isotherme Kompression oder Expansion (Abb. 8.5). Das Gas im Zylinder soll zu Beginn die gleiche Temperatur haben wie das umgebende Reservoir. Um eine isotherme Kompression durchzuführen, wird nun der Kolben sehr langsam bewegt, so dass die Tem-

äußerst langsam

Temperatur T + dT

dQ

Reservoir mit Temperatur T

Abb. 8.5: Bei der isothermen Kompression wird der Kolben so langsam bewegt, dass sich das Gas nur unmerklich gegenüber dem umgebenden Reservoir erwärmt.

Abschnitt 8.3 Die Carnot-Wärmepumpe

217

peratur des eingeschlossenen Gases geringfügig ansteigt. Durch die gut leitenden Zylinderwände wird sofort Wärme an die Umgebung abgeführt, damit sich keine nennenswerte Temperaturdifferenz ausbilden kann. Auf diese Weise wird das Gas bei konstanter Temperatur komprimiert und dabei Wärme an das umgebende Reservoir abgegeben. Die beiden Wärmeübertragungsschritte im Carnot-Prozess werden in dieser Weise als isotherme Kompression bzw. Expansion ausgeführt. 8.3.4 Die Teilschritte des Carnot-Prozesses

Der Carnot-Prozess besteht somit aus zwei adiabatischen und zwei isothermen Schritten. Fügen wir sie nach dem Vorbild des Fahrradpumpen-Kreisprozesses zusammen. Wir wählen Luft als Arbeitsmittel, die wir als ideales Gas beschreiben: p · v = Rspez · T. (8.4) Nach Tabelle B.8 gilt für Luft Rspez = 287 J/(kg · K). So wie beim Fahrradpumpen-Beispiel beginnt der Kreisprozess mit kalter Winterluft (TL = −5 °C und pA = 1 bar), die im Zylinder der Wärmepumpe eingeschlossen ist. Ihr spezifisches Volumen vA im Ausgangszustand lässt sich aus Gl. (8.4) berechnen: vA =

287 kgJ·K · 268 K Rspez · TL m3 = = 0,769 . pA kg 105 Pa

(8.5)

Der nun folgende Ablauf des Prozesses wird in Abb. 8.6 veranschaulicht, wo die jeweiligen Endzustände der Teilschritte mit A, B, C und D bezeichnet sind. Erster Prozessschritt: Adiabatische Kompression A → B Im ersten Schritt wird die kalte Luft erwärmt. Sie wird dazu adiabatischreversibel komprimiert, bis sie die Innentemperatur des Hauses (TH = 20 °C) erreicht hat. Es gilt die Adiabatengleichung (7.23): p · vκ = konst.

(8.6)

Am Ende des Prozessschrittes, wenn die Temperatur TH erreicht ist, beträgt das spezifische Volumen vB = 0,615 m3/kg (vgl. die Beispielaufgabe auf S. 219). Der dazugehörige Druck folgt aus der Zustandsgleichung des idealen Gases: pB =

Rspez · TH = 137 kPa = 1,37 bar. vB

(8.7)

Im ersten Prozessschritt wird die Luft somit von 1 bar auf 1,37 bar komprimiert, wobei sich ihre Temperatur von −5 °C auf 20 °C erhöht. Zur Kompression muss die Arbeit WA→B verrichtet werden. Ein Wärmeaustausch findet beim adidabatisch-reversiblen Prozess nicht statt (der Zylinder soll während dieses Teilschrittes gut isoliert sein).

218

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

WC®D Zustand D pD = 1,46 bar TL = −5 °C

Zustand C pC = 2 bar TH = 20 °C

WD®A

adiabatische Expansion

WB®C

QL

QH adiabatische Kompression WA®B

isotherme Expansion

isotherme Kompression

Zustand B pB = 1,37 bar TH = 20 °C

Zustand A pA = 1 bar TL = −5 °C

Abb. 8.6: Die Teilschritte des Carnot-Wärmepumpenprozesses

Zweiter Prozessschritt: Isotherme Kompression B → C bei 20 °C Analog zum Fahrradpumpen-Kreisprozess soll nun im zweiten Schritt die Wärmeübertragung stattfinden. Dazu wird das Gas bei TH = 20 °C isotherm komprimiert, so dass die Wärmemenge QH ins Innere des Hauses fließt. Zur Kompression der Luft ist die Arbeit WB→C erforderlich. Je stärker die Luft komprimiert wird, umso mehr Arbeit muss verrichtet werden, umso mehr Wärme wird aber auch übertragen. Das Ausmaß der Kompression lässt sich – je nach den technischen Gegebenheiten – beliebig festlegen. Wir entscheiden uns für eine Kompression bis zum Enddruck pC = 2 bar. Das spezifische Volumen im Zustand C ergibt sich aus Gl. (8.4) zu vC = 0,420 m3 /kg. Dritter Prozessschritt: Adiabatische Expansion C → D Im dritten Schritt wird die Luft durch adiabatische Expansion wieder auf die niedrige Außentemperatur TL gebracht. Analog zur Beispielaufgabe auf S. 219 berechnen wir das spezifische Volumen im Endzustand des Prozessschrittes:  vD =

κ pC · vC Rspez · TL



1 κ −1

= 0,525

m3 . kg

(8.8)

219

Abschnitt 8.3 Die Carnot-Wärmepumpe

Der Druck im Zustand D lässt sich aus der Zustandsgleichung des idealen Gases berechnen; es ergibt sich pD = 1,46 bar. Bei der Expansion des Gases wird Arbeit verrichtet; Wärme wird bei diesem adiabatischen Prozessschritt nicht übertragen. Vierter Prozessschritt: Isotherme Expansion D → A bei −5 °C Um im letzten Schritt Wärme von der Außenluft auf die Luft im Zylinder zu übertragen, lässt man sie isotherm expandieren. Der Kreisprozess ist vollendet, wenn das Anfangsvolumen vA und der Anfangsdruck pA wieder erreicht sind (die Anfangstemperatur TL herrscht ja schon seit dem vorigen Schritt). Zur Kontrolle unserer Zahlenwerte können wir bestätigen, dass die Relation, die einen isothermen Prozess charakterisiert, in der Tat erfüllt ist: p · v = konst.



pD · vD = pA · vA .

(8.9)

Beispielaufgabe: Spezifisches Volumen bei der adiabatischen Kompression Berechnen Sie das spezifische Volumen der Luft nach der adiabatischen Kompression im ersten Prozessschritt. Lösung: Die Luft wird im ersten Prozessschritt adiabatisch-reversibel komprimiert, bis ihre Temperatur von −5 °C auf TH = 20 °C angestiegen ist. Die Adiabatengleichung (7.23) besagt:

pB · vBκ = pA · vAκ ,

(8.10)

wobei κ = 1,40 der Adiabatenkoeffizient von Luft ist (vgl. Tabelle B.8). Nach der Zustandsgleichung des idealen Gases gilt ferner im Zustand B:

pB · vB = Rspez · TH .

(8.11)

Zur Berechnung des spezifischen Volumens im Zustand B dividieren wir Gl. (8.10) auf beiden Seiten durch die rechte bzw. linke Seite von Gl. (8.11):

vBκ −1 =

pA · vAκ , Rspez · TH

so dass:

 vB =

pA · vAκ Rspez · TH



(8.12)

1 κ −1

(8.13)

.

Das Einsetzen der Zahlenwerte ergibt:

" vB =

105 N/m2 · 0,769 m3 /kg 287 J/(kg · K) · 293 K

1,4 # 0,41

= 0,615

m3 . kg

(8.14)

8.3.5 v-p-Diagramm

Oft werden thermodynamische Kreisprozesse in einem v-p-Diagramm dargestellt, aus dem der Verlauf von Druck und Volumen für die einzelnen Prozessschritte ersichtlich wird. Für den Carnot-Wärmepumpenprozess ist das

220

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen p in bar

2.0

C

isotherme Kompression

1.8

T H

=

1.6

adiabatische D 1.4 Expansion

20

°C B

T

L

=−



1.2

1.0

adiabatische Kompression

C

isotherme Expansion 0.4

0.5

A 0.6

3

0.7 v in m /kg

Abb. 8.7: v-p-Diagramm für den CarnotWärmepumpenprozess

v-p-Diagramm in Abb. 8.7 dargestellt. Man erkennt, dass in den beiden Kompressionsschritten A → B und B → C das spezifische Volumen sinkt und der Druck steigt. Bei den Expansionsschritten ist es umgekehrt. Nach Gl. (7.23) gilt für die Adiabaten p ∼ v−κ mit κ > 1, (8.15) während für die Isothermen (T = konst.) nach der Zustandsgleichung des idealen Gases p ∼ v −1 (8.16) gilt. Die Adiabaten verlaufen deshalb im v-p-Diagramm steiler abfallend. Sie sind in Abb. 8.7 blau bzw. grau gepunktet dargestellt. Die Isothermen sind grün bzw. grau gestrichelt gezeichnet. Ein Vorzug der Darstellung im v-pDiagramm ist, dass man wegen W=−

Z

p dV

(8.17)

die insgesamt während des Kreisprozesses verrichtete Arbeit ablesen kann. Sie entspricht der grau schattierten Fläche, die von den Kurven eingeschlossen wird. Im folgenden Abschnitt werden wir die Arbeit auch rechnerisch ermitteln und mit der übertragenen Wärme in Beziehung setzen. 8.3.6 Arbeit und Wärme bei der Carnot-Wärmepumpe

Kommen wir noch einmal auf Abb. 8.4 zurück, wo die Energieflüsse bei einer Wärmepumpe schematisch dargestellt sind. In einem Zyklus des Kreisprozesses wird dem kälteren Reservoir die Wärmemenge QL entzogen und dem wärmeren Reservoir die Wärmemenge QH zugeführt. Dafür muss die Arbeit W investiert werden. Für die Carnot-Wärmepumpe werden wir diese drei Größen nun konkret bestimmen. Wir erstellen eine Energiebilanz und ermitteln Arbeit und Wärme für jeden Prozessschritt.

221

Abschnitt 8.3 Die Carnot-Wärmepumpe

W1®2 >0

T = konst. U = konst.

Abb. 8.8: Arbeit und Wärme bei der isothermen Kompression

Q1®2 p1 , so dass die Arbeit positiv und die Wärme negativ ist (Arbeit wird dem System zugeführt, Wärme verlässt es). Bei der isothermen Expansion ist es umgekehrt. An dieser Stelle lohnt es sich, einen Moment innezuhalten und einen Blick auf das Kommende zu werfen. Wir haben soeben Arbeit und Wärme für eine

222

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

bestimmte Prozessführung zwischen zwei vorgegebenen Zuständen berechnet. Für die Arbeit war das auf direktem Weg durch Berechnung des Integrals (8.18) möglich. Gibt es eine entsprechende Formel auch für die Wärme, so dass wir uns den Umweg über den ersten Hauptsatz ersparen könnten? Hier zeigt sich, dass wir das Gedankengebäude der Thermodynamik noch nicht vollständig erschlossen haben. Uns fehlt noch eine entscheidende Zustandsgröße. Wir werden sie im nächsten Kapitel kennenlernen. Es ist die Entropie S. Mit ihr lässt sich die bei reversiblen Prozessen übertragene Wärme analog zu Gl. (8.18) durch ein Integral mit dem Integranden T dS berechnen. Arbeit und Wärme beim adiabatisch-reversiblen Prozess Die spezifische Arbeit wird mit Gl. (8.18) berechnet, wobei aufgrund der adiabatischen Prozessführung nun p ∼ v−κ gilt. Die Berechnung erstreckt sich über einige Zeilen; wir geben nur das Ergebnis an: 1 ( p2 · v2 − p1 · v1 ) κ−1 Rspez = ( T2 − T1 ) . κ−1

w1→2 =

(8.23) (8.24)

Per Definition wird bei einem adiabatischen Prozess keine Wärme übertragen. Es gilt also auch beim adiabatisch-reversiblen Prozess q1→2 = 0. Im Anhang des Buches findet sich in Tabelle B.12 auf S. 420 eine Zusammenstellung der Formeln für Arbeit und Wärme bei verschiedenen Prozessführungen. Dort sind nicht nur die hier hergeleiteten Formeln aufgeführt, sondern auch die entsprechenden Ausdrücke für isotherme oder isobare Prozesse, die in anderen thermodynamischen Kreisprozessen häufig zum Einsatz kommen. Wärme bei einem ganzen Zyklus der Carnot-Wärmepumpe Sammeln wir unsere Ergebnisse, um eine Gesamtbilanz des Carnot-Wärmepumpenprozesses aufzustellen. Beginnen wir mit der insgesamt übertragenen Wärme. Vom kalten Reservoir fließt zwischen D und A die Wärmemenge qL ins System, während zwischen B und C die Wärmemenge qH vom System zum warmen Reservoir fließt. Nach Gl. (8.22) gilt: qL = − Rspez TL ln

pA , pD

qH = − Rspez TH ln

pC . pB

(8.25)

Wir erhalten eine nützliche Beziehung, wenn wir berücksichtigen, dass die Zustände A und B bzw. C und D durch adiabatisch-reversible Prozesse verbunden sind. Nach Gl. (7.25) gilt: κ p1A−κ TLκ = p1B−κ TH ,

κ p1D−κ TLκ = p1C−κ TH .

(8.26)

223

Abschnitt 8.3 Die Carnot-Wärmepumpe

Wenn wir die jeweils linken und rechten Seiten beider Gleichungen dividieren, ergibt sich: pA p = B. (8.27) pD pC Einsetzen in die Gleichungen (8.25) ergibt eine Relation zwischen qL und qH : qH q = − L. TH TL

(8.28)

Arbeit bei einem ganzen Zyklus der Carnot-Wärmepumpe Um die in einem ganzen Zyklus verrichtete Arbeit zu berechnen, müssen wir die Beiträge der einzelnen Teilprozesse aufsummieren: w=

Rspez Rspez p p ( TH − TL ) + Rspez TH ln C + ( TL − TH ) + Rspez TL ln A . κ−1 pB κ−1 pD | {z } | {z } | {z } | {z } A→B

C→D

B→C

D→A

(8.29) Man erkennt, dass sich die Beiträge der beiden adiabatischen Prozesse gegenseitig aufheben. Mit Gl. (8.27) können wir weiter vereinfachen: w = Rspez ln

pC ( TH − TL ) . pB

(8.30)

Wegen pC > pB ist die Arbeit bei einem Zyklus der Carnot-Wärmepumpe positiv. Zum Betrieb der Wärmepumpe muss Arbeit zugeführt werden. Wir sind nun am Ziel unserer Überlegungen angelangt. Durch die Analyse der Carnot-Wärmepumpe haben wir gezeigt, dass es prinzipiell möglich ist, einem kalten Reservoir Energie zu entziehen, um sie einem wärmeren zuzuführen. Und was noch bedeutsamer ist: Wir können quantitativ beurteilen, wie viel Energie wir mit der Wärmepumpe transportieren können. Beispielaufgabe: Heizen mit einer Carnot-Wärmepumpe Die gerade beschriebene Carnot-Wärmepumpe soll ein Haus auf eine Innentemperatur von TH = 20 °C heizen. Die Außentemperatur beträgt TL = −5 °C. Als Arbeitsmittel wird 0,002 kg Luft verwendet (das entspricht bei Normaldruck einem Volumen von etwa 1,5 Liter). Berechnen Sie für einen Zyklus der Wärmepumpe, wie viel Energie als Arbeit zum Antrieb nötig ist und welche Wärmemenge dem Haus zugeführt wird. Lösung: Wir nutzen die oben hergeleiteten Gleichungen (8.25) und (8.30), um Arbeit und Wärme für einen Zyklus der Carnot-Wärmepumpe zu berechnen. Mit pC = 2 bar und pB = 1,37 bar ergibt sich für w:

w = 287

J ln kg · K

= 2,73 kJ/kg.



2 bar 1,37 bar



· (293 K − 268 K)

(8.31) (8.32)

224

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

Die das System in Richtung Haus verlassende spezifische Wärmemenge beträgt:

qH = −287

J · 293 K · ln kg · K



2 bar 1,37 bar



= −32,04 kJ/kg.

(8.33)

Zur Kontrolle berechnen wir noch die von der Außenluft zur Wärmepumpe fließende spezifische Wärmemenge:

qL = −287

J · 268 K · ln kg · K



1 bar 1,46 bar



= 29,30 kJ/kg.

(8.34)

Wie es die Energieerhaltung verlangt, gilt qL + qH + w = 0 (vgl. Gl. (8.3)). Um von den spezifischen Größen zu den übertragenen Energien zu gelangen, müssen wir mit der Masse des Arbeitsmittels multiplizieren: Q = m · q und W = m · w. Wir erhalten:

W = 5,46 J,

QH = −64,1 J,

QL = 58,6 J.

(8.35)

Das bedeutet: Wir müssen bei einem Zyklus gut 5 Joule für den Betrieb der Wärmepumpe aufwenden, um dem Haus 64 Joule zuzuführen. Das bedeutet eine satte Rendite für die eingesetzte Energie. Beispielaufgabe: Heizen mit einer Carnot-Wärmepumpe? Für ein durchschnittliches Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 170 m2 kann man im Winter einen Wärmeverlust von 250 Watt pro Grad Temperaturdifferenz zwischen innen und außen ansetzen. Berechnen Sie für unser Beispiel, wie viele Zyklen der Carnot-Wärmepumpe pro Minute nötig sind, um das Haus zu heizen. Lösung: Um das Haus auf konstanter Temperatur zu halten, muss die von der Wärmepumpe zugeführte Energie den Wärmeverlust des Hauses kompensieren. Bei einer Temperaturdifferenz von 25 °C zwischen innen und außen beträgt der Wärmeverlust des Hauses pro Minute:

QHaus = 250

J · 25 K · 60 s = 375 kJ. s·K

(8.36)

Da dem Haus bei einem Zyklus der Carnot-Wärmepumpe nur 64 J zugeführt werden, müsste sie mit fast 6000 Zyklen pro Minute arbeiten, um das Haus zu heizen. Abgesehen von einem ernsthaften Lärmproblem ist das vom mechanischen Standpunkt noch nicht einmal unrealistisch: Auto- und Motorradmotoren erreichen diese Drehzahlen. Allein die Thermodynamik spielt nicht mit. Damit die Wärmeübertragungsschritte tatsächlich isotherm erfolgen, müssen sie möglichst langsam durchgeführt werden, was hier sicher nicht mehr der Fall ist. Der Carnot-Wärmepumpenprozess ist ein einfach zu analysierender Kreisprozess, der das Prinzip einer Wärmepumpe zu verstehen hilft. Für praktische Zwecke müssen jedoch Wärmepumpen mit anders gearteten Kreisprozessen und anderen Arbeitsmitteln zum Einsatz kommen.

8.4 Leistungszahl von Wärmepumpen Der Zweck einer Wärmepumpe ist die „Verzinsung“ der aufgewendeten Energie. Dem Haus soll mehr Wärme zugeführt werden, als zum Betrieb der Wärmepumpe an Arbeit nötig ist. Um eine Wärmepumpe zu beurteilen, bildet

225

Abschnitt 8.4 Leistungszahl von Wärmepumpen

man daher das Verhältnis von Nutzen (dem Haus zugeführte Wärme) zu Aufwand (die zum Betrieb nötige Arbeit). So ergibt sich die Leistungszahl ϵWP : Definition der Leistungszahl einer Wärmepumpe: ϵWP =

Nutzen | QH | = . Aufwand W

(8.37)

International spricht man vom „coefficient of performance“, abgekürzt COP. Diese Bezeichnung setzt sich auch in Deutschland immer mehr durch. Berechnen wir die Leistungszahl der luftgefüllten Wärmepumpe im Beispiel oben. Für einen Zyklus ergaben sich die Werte:

| QH | = 64,1 J

W = 5,46 J.

und

(8.38)

Die Leistungszahl beträgt somit ϵWP = 11,7. Für jedes Joule, das man zum Betrieb der Wärmepumpe investiert, werden dem Haus 11,7 J zugeführt. Leistungszahl einer Carnot-Wärmepumpe Für die Carnot-Wärmepumpe haben wir bereits alle Angaben berechnet, die wir benötigen, um die Leistungszahl ganz allgemein zu ermitteln. Mit den Gleichungen (8.25) und (8.30) erhalten wir: ϵWP (Carnot) =

Rspez TH ln Rspez ln

pC pB

pC pB

( TH − TL )

.

(8.39)

Dies lässt sich noch weiter vereinfachen, und es ergibt sich: Leistungszahl einer Carnot-Wärmepumpe: ϵWP (Carnot) =

1 1−

TL TH

.

(8.40)

Beispielaufgabe: Leistungszahl einer Carnot-Wärmepumpe Eine Carnot-Wärmepumpe soll das gleiche Haus wie in den Aufgaben zuvor heizen (Innentemperatur TH = 20 °C, Außentemperatur TL = −5 °C). Berechnen Sie ihre Leistungszahl direkt aus Gl. (8.40). Lösung: Die Leistungszahl wird mit Gl. (8.40) berechnet, wobei wir darauf achten müssen, die Temperaturen in Kelvin anzugeben:

ϵWP (Carnot) =

1 1−

268 K 293 K

= 11,7.

(8.41)

Dieser Wert ist identisch mit dem oben gefundenen Ergebnis. Beachten Sie, dass wir von den Details des Prozesses (wie etwa dem Anfangs- und Enddruck der Prozessschritte oder der Menge an verwendetem Arbeitsmittel) nichts wissen mussten, um

226

10

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

Wirkungsgrad eWP(Carnot)

8 6 4 2

Verhältnis TL/TH 0,2

0,4

0,6

0,8

1,0

Abb. 8.9: Leistungszahl einer Carnot-Wärmepumpe in Abhängigkeit vom Verhältnis TL /TH

die Leistungszahl der Carnot-Wärmepumpe zu berechnen. Noch nicht einmal die thermischen Eigenschaften des Arbeitsmittels (etwa seine Wärmekapazität) gingen ein. Die Leistungszahl einer Carnot-Wärmepumpe hängt nur von einem einzigen Parameter ab: dem Verhältnis zwischen den Temperaturen der beiden Reservoirs, zwischen denen die Wärmepumpe operiert.

Die Universalität reversibler Kreisprozesse Es ist kein Zufall, dass sich aus Zähler und Nenner der Gleichung (8.39) alle Größen, die den konkreten Prozess charakterisieren, auf geradezu wundersame Weise herauskürzen. Es ist ein Hinweis auf eine tiefe Gesetzmäßigkeit, die wir im Zusammenhang mit dem zweiten Hauptsatz diskutieren werden. Das Ergebnis (8.40) gilt nämlich nicht nur für den Carnot-Prozess, sondern für eine ganze Klasse von Prozessen: die reversiblen Kreisprozesse, d. h. diejenigen Kreisprozesse, die gänzlich aus reversiblen Teilprozessen zusammengesetzt sind. In Abschnitt 10.7 wird sich zeigen, dass die Leistungszahl aller reversiblen Wärmepumpen durch Gl. (8.40) gegeben ist und dass sie (bei gleicher Temperaturdifferenz) von keiner anderen Wärmepumpe übertroffen wird. Die reversiblen Wärmepumpen stellen einen Grenzfall dar, der von realen Maschinen zwar angestrebt, aber niemals verwirklicht werden kann. In der Praxis verhindern Reibung, Wärmeverluste und andere Irreversibilitäten, dass eine Wärmepumpe das Ideal der reversiblen Prozessführung – und damit die Leistungszahl (8.40) – tatsächlich erreicht. Temperaturverhältnis und Leistungszahl Abb. 8.9 zeigt die Leistungszahl einer Carnot-Wärmepumpe nach Gl. (8.40) in Abhängigkeit vom Temperaturverhältnis TL /TH . Man erkennt, dass die Wärmepumpe umso effizienter arbeitet, je stärker die Temperaturen der beiden Reservoirs sich annähern. Für Heizzwecke lohnt sich eine Wärmepumpe also vor allem dann, wenn die Außentemperatur nicht zu sehr unter der Innentemperatur liegt. Negativ formuliert bedeutet das: Die Wärmepumpe funktioniert gerade dann schlechter, wenn es draußen kalt ist.

227

Wärmekraftmaschine

QH

QL

W

kälteres Reservoir (Temperatur TL)

Abb. 8.10: Energieflüsse bei einer Wärmekraftmaschine

wärmeres Reservoir (Temperatur TH)

Abschnitt 8.5 Die Carnot-Wärmekraftmaschine

8.5 Die Carnot-Wärmekraftmaschine Die reversible Prozessführung, die bei der Carnot-Wärmepumpe angenommen wird, hat zur Folge, dass man den Kreisprozess auch „rückwärts“ laufen lassen kann, indem man alle Prozessschritte umkehrt. Wie in einem rückwärts laufenden Film wird aus einer Kompression nun eine Expansion (und umgekehrt), und alle Energieflüsse kehren sich um. Das Energieflussdiagramm für den „rückwärts laufenden Wärmepumpenprozess“ ist in Abb. 8.10 gezeigt. Gegenüber Abb. 8.4 haben die Pfeile ihre Richtung geändert. Hier wird nun plausibel, warum Sadi Carnot viel mehr an der Analyse dieses Prozesses interessiert war als am Wärmepumpen-Prozess. Abb. 8.10 zeigt, dass die „rückwärts laufende Wärmepumpe“ Arbeit nach außen abgibt. Es handelt sich um eine Wärmekraftmaschine, die sich die „bewegende Kraft des Feuers“ zunutze macht. Carnot wollte Dampfmaschinen analysieren; er wollte mit seiner reversiblen Gedankenmaschine eine Obergrenze für den Wirkungsgrad von Dampfmaschinen finden. Wenn man allgemein vom „Carnot-Prozess“ spricht, meint man normalerweise die CarnotWärmekraftmaschine aus Abb. 8.10 Wärme und Arbeit bei der Wärmekraftmaschine Eine Wärmekraftmaschine nutzt eine Temperaturdifferenz zwischen einem wärmeren und einem kälteren Reservoir, um einen Teil der Energie, die sie als Wärme empfängt, als Arbeit wieder abzugeben. Analog zu Gl. (8.3) besagt der erste Hauptsatz: − w = qH + qL , (8.42) wobei für die Vorzeichen nun w < 0 sowie qH > 0 und qL < 0 gilt. Bei der Carnot-Wärmekraftmaschine wird der Kreisprozess in Abb. 8.6 und Abb. 8.7 entgegengesetzt zu vorher durchlaufen, also im Uhrzeigersinn. Gegenüber Gl. (8.25) und Gl. (8.30) ändern sich dadurch die Vorzeichen, so dass für Arbeit und Wärme bei der Carnot-Wärmekraftmaschine die folgenden Relationen gelten: qL = + Rspez TL ln

pA , pD

qH = + Rspez TH ln

pC , pB

(8.43)

228

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

w = − Rspez ln

pC ( TH − TL ) . pB

(8.44)

Wie bei der Wärmepumpe wird die Effektivität einer Wärmekraftmaschine durch das Verhältnis von Nutzen zu Aufwand beurteilt. Der Nutzen liegt – anders als bei der Wärmepumpe – in der Abgabe von Arbeit. Der Aufwand besteht darin, der Maschine die Wärmemenge QH zur Verfügung zu stellen (in der Praxis geschieht dies durch Verbrennung eines Treibstoffs). Daher definiert man: Definition des Wirkungsgrades einer Wärmekraftmaschine: η=

Nutzen |W | = . Aufwand QH

(8.45)

Aus Gl. (8.43) und Gl. (8.44) ergibt sich für die Carnot-Wärmekraftmaschine: Wirkungsgrad einer Carnot-Wärmekraftmaschine: ηCarnot = 1 −

TL . TH

(8.46)

Wie im Fall der Wärmepumpe kommt dem Carnot-Prozess eine grundlegende Bedeutung zu: Alle realen Wärmekraftmaschinen haben (bei gleicher Temperaturdifferenz) einen kleineren Wirkungsgrad als die Carnot-Maschine. Für alle reversiblen Wärmekraftmaschinen ist der Wirkungsgrad durch Gl. (8.46) gegeben. Diese Aussagen haben ungeheure Konsequenzen, wenn sie auf Verbrennungsmotoren und Wärmekraftwerke angewandt werden. Wir werden in Kapitel 10 ausführlicher darauf eingehen.

8.6 Wärmepumpen zur Wohnungsheizung Abb. 8.11 zeigt, wie die Installation einer Wärmepumpe zur Wohnungsheizung in der Praxis aussehen kann. Die Wärmepumpe selbst ist im Außenbereich montiert. Es ist ein unauffälliger grauer Kasten, von dem ein schnurrendes Geräusch ausgeht (Abb. 8.12). Die Wärmepumpe entzieht der Außenluft Energie und überträgt sie auf das Wasser, das im primären Heizkreislauf zirkuliert. Die eigentliche Wohnungsheizung erfolgt über den sekundären Heizkreislauf. Die beiden Heizkreisläufe können über einen Pufferspeicher entkoppelt werden. Dies ist erforderlich, weil die Wärmepumpe im Betrieb einen relativ konstanten Wasserdurchfluss benötigt – im Gegensatz zur Wohnungsheizung, wo der Durchfluss (z. B. durch sich öffnende und schließende Thermostatventile) variabel geregelt wird. Die Leistungszahl einer Wärmepumpe ist umso geringer, je höher die zu überwindende Temperaturdifferenz ist. Daher sind hohe Wassertemperaturen im Heizkreislauf unwirtschaftlich, wenn man mit einer Wärmepumpe heizt.

229

Abschnitt 8.6 Wärmepumpen zur Wohnungsheizung

Speicher- und Hydraulikmodul

Wasser Fußbodenheizung (sekundärer Heizkreislauf)

Wärmepumpe

primärer Heizkreislauf

Abb. 8.11: Schemazeichnung eines Hauses mit Luft-Wasser-Wärmepumpe

Wärmepumpen erfordern Heizungssysteme mit niedrigen Vorlauftemperaturen. In der Regel versieht man das Haus mit einer Fußbodenheizung (Vorlauftemperatur um 35 °C). Ein elektrischer Heizstab heizt das Wasser bei sehr kalten Außentemperaturen, wenn die Leistungszahl der Wärmepumpe zu stark absinkt, zusätzlich nach dem Prinzip eines Tauchsieders. Verschiedene Wärmepumpen-Systeme Bisher haben wir Wärmepumpen besprochen, die Energie von der Außenluft auf das Heizungswasser übertragen. Sie werden entsprechend als LuftWasser-Wärmepumpen bezeichnet. Man kann aber auch dem Erdreich oder dem Grundwasser Energie entnehmen. Das hat den Vorteil, dass die kältesten Perioden im Winter, die den Luft-Wasser-Wärmepumpen so zu schaffen machen, nicht so sehr ins Gewicht fallen. Schon in einem Meter Tiefe sinkt die Bodentemperatur auch im Winter nicht unter 0 °C. Beim Neubau eines Hauses kann man daher im Garten ein Rohrschlangensystem verlegen, das dem Erdreich Energie entzieht. In diesen Erdwärmekollektoren zirkuliert konzentrierte Salzlösung (Sole). Sie transportiert die Energie aus dem Erdreich zur Wärmepumpe. Dort wird die Energie in den Heizkreislauf übertragen. Nach dem Transportmedium wird diese Art von Wärmepumpen als Sole-Wasser-Wärmepumpen bezeichnet. Eine Alternative zum flächenintensiven Verlegen von Erdwärmekollektoren ist eine Tiefbohrung ins Erdreich. Man bohrt bis in höchstens 100 m Tiefe, weil sonst das Bergrecht greift. Je nach den geologischen Verhältnissen herrschen hier Temperaturen um 10 °C. In die Bohrung werden Erdsonden eingelassen. Das sind U-förmige Leitungen, durch die Sole gepumpt wird. Auch hier handelt es sich also um eine Sole-Wasser-Wärmepumpe.

230

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

Abb. 8.12: Luft-WasserWärmepumpe zur Wohnungsheizung

8.7 Leistungszahlen in der Praxis Die theoretische Obergrenze für die Leistungszahl ist diejenige der CarnotWärmepumpe. Für den Bauherren interessant ist die tatsächliche Leistungszahl eines bestimmten Fabrikats. In der DIN EN 14511 ist dafür ein standardisiertes Messverfahren festgelegt. Nach diesem Verfahren werden die Modelle verschiedener Hersteller regelmäßig von unabhängigen Messinstituten geprüft und die Ergebnisse veröffentlicht. Die genaue Angabe der Messbedingungen ist deshalb so wichtig, weil es dabei viel Spielraum für geschönte Werte gibt. Die Carnot-Leistungszahl, die bei der Angabe der Messdaten den Maßstab abgibt, hängt empfindlich vom Temperaturverhältnis TL /TH ab. Hohe Leistungszahlen erhält man daher am ehesten dann, wenn man bei hohen Außen- und niedrigen Innentemperaturen misst. Die Angabe der Leistungszahl einer Wärmepumpe ist wertlos, wenn dabei nicht auch die Messbedingungen (d. h. die Temperaturen TL und TH ) genannt werden. Andernfalls lässt sich nicht beurteilen, wie weit unter dem Carnot-Wert das geprüfte Modell bleibt. Die Leistungszahlen werden aus diesem Grund immer von Kürzeln wie A2/W35 oder B0/W35 begleitet. Dabei bedeutet: A2: Luft (engl.: air), die mit einer Temperatur von 2 °C in die Wärmepumpe einströmt, B0: Sole (engl.: brine), die mit einer Temperatur von 0 °C in die Wärmepumpe einströmt, W35: Wasser, das die Wärmepumpe verlässt und mit einer Temperatur von 35 °C in den Heizkreislauf strömt.

Abschnitt 8.8 Primärenergiebilanz von Wärmepumpen

231

In der Praxis haben sich die Messbedingungen A2/W35 und B0/W35 für LuftWasser- bzw. Sole-Wasser-Wärmepumpen zum Standard entwickelt, auf den man sich üblicherweise bezieht. Theoretische und reale Leistungszahlen Welche Leistungszahlen werden in der Realität erreicht? Das theoretische Maximum für eine Messung am Betriebspunkt A2/W35 wäre nach Gl. (8.40): ϵWP (Carnot) =

1 1−

275 K 308 K

= 9,3.

(8.47)

Die tatsächlichen Werte, die in den Jahren 2005–2011 vom WärmepumpenTestzentrum Buchs (Schweiz) für die Luft-Wasser-Wärmepumpen verschiedener Hersteller gemessen wurden, liegen zwischen 3,0 und 4,4. Das sind typische Ergebnisse. Die Leistungszahlen realer Wärmepumpen liegen in der Praxis bei weniger als der Hälfte des theoretisch möglichen Wertes. Jahresarbeitszahl Während die Messung der Leistungszahl unter normierten Bedingungen vor allem vergleichbare Ergebnisse für verschiedene Wärmepumpen-Modelle liefert, soll die Jahresarbeitszahl Aufschluss über die Effizienz unter realen Nutzungsbedingungen liefern. Es geht also eine Vielzahl von Parametern ein: von den Wetterbedingungen über das Nutzerverhalten bis zu den Details der Installation (etwa Pumpen oder Abtauvorrichtungen). Die Jahresarbeitszahl ist definiert als das über ein Jahr gemittelte Verhältnis von abgegebener Heizenergie zur insgesamt zugeführten elektrischen Energie. In einem Feldtest des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme aus dem Jahr 2019 erreichten Luft-Wasser-Wärmepumpen für Gebäude im Bestand Jahresarbeitszahlen zwischen 2,5 und 3,8, während Sole-Wasser-Wärmepumpen mit 3,3 bis 4,7 etwas besser abschnitten. Bemerkenswert ist, dass die sehr ineffiziente Erwärmung von Wasser mit dem Elektroheizstab bei den untersuchten Wärmepumpen mit knapp 2 % der eingesetzten Energie nur in ganz geringem Umfang nötig war.

8.8 Primärenergiebilanz von Wärmepumpen Spart man mit Wärmepumpen überhaupt Energie? Die Frage klingt verwunderlich, weil die Antwort auf der Hand zu liegen scheint: Selbst wenn eine Wärmepumpe nur eine Jahresarbeitszahl von 3 hat, entnimmt sie immer noch doppelt so viel Wärme aus der Umwelt, wie zu ihrem Betrieb an Arbeit hineingesteckt werden muss. Diese Antwort greift jedoch zu kurz. Wärmepumpen werden elektrisch betrieben, und der dafür nötige Strom kommt momentan immer noch zum guten Teil aus einem Kraftwerk, in dem fossile Brennstoffe verbrannt werden. In einer vollständigen Analyse darf man nicht nur die beim Verbraucher ankommende Endenergie zugrunde legen, sondern eine Primärenergie- und CO2 Bilanz erstellen. Dafür ist die Herkunft der eingesetzten elektrischen Energie

232

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

Wärmepumpe

Kraftwerk 7519 kWh Primärenergie

elektrische Energie 2632 kWh 4887 kWh 7368 kWh Abwärme

aus der Umgebung

zum Haus

Abb. 8.13: Primärenergiebilanz einer zum Heizen verwendeten Wärmepumpe

entscheidend. Stammt sie aus erneuerbaren Energiequellen wie Wind oder Solarenergie, ist die Frage nach dem Wirkungsgrad weniger relevant, weil keine CO2 -Emissionen damit verbunden sind. Damit dieses Argument greift, muss allerdings für jede neu installierte Wärmepumpe (wie auch für jedes neu in Betrieb genommene Elektroauto) die entsprechende Kapazität an erneuerbaren Energiequellen zusätzlich geschaffen werden. Wenn dagegen der zum Betrieb der Wärmepumpe eingesetzte Strom aus fossilen Energiequellen kommt, sieht die Energiebilanz anders aus. In einem Kohlekraftwerk wird nur ein Teil der in der Kohle enthaltenen Energie für die Stromerzeugung genutzt. Ein beträchtlicher Teil – der Großteil sogar – wird als Abwärme an die Umgebung abgeführt. Bei der Stromerzeugung liegt der Wirkungsgrad inklusive der Leitungsverluste bei etwa 35 %. Mit anderen Worten: 65 % der eingesetzten Primärenergie kommen nicht beim Verbraucher an.2 Abb. 8.13 zeigt die vereinfachte Primärenergiebilanz einer Wärmepumpe. Die Grafik lässt sich am besten von rechts nach links lesen: Das betrachtete Haus soll einen Heizbedarf von 10 000 kWh pro Jahr aufweisen. Bei einem konventionellen Heizsystem würde dieser Energiebedarf direkt durch Verbrennen von Primärenergieträgern – Gas oder Öl – gedeckt. Für die Wärmepumpen-Heizung legen wir die Jahresarbeitszahl 3,8 zugrunde. Dementsprechend stammen von den 10 000 kWh, die dem Haus pro Jahr zugeführt werden, 7368 kWh aus der Umgebung, während 2632 kWh als elektrische Energie zum Betrieb der Wärmepumpe erforderlich sind. Damit in diesem Fall das Kraftwerk die entsprechende Menge an elektrischer Energie liefern kann, benötigt es z. B. Kohle mit einem Brennwert von 7519 kWh (bei einem Wirkungsgrad von 35 %). Dies ist der Primärenergiebedarf für das Heizen des Hauses. Die Gesamtbilanz ist also positiv, aber nicht in überwältigendem Ausmaß: Für 10 000 kWh Wärme beträgt der Primärenergieeinsatz 7519 kWh. Da die CO2 -Bilanz direkt an die Energiebilanz gekoppelt ist, lassen sich die Resultate unmittelbar übertragen, wenn man berücksichtigt, wie viel CO2 beim Verbrennen von 1 t Kohle frei wird. 2

Das ist der Grund, warum jede Form von Elektroheizung als ausgemachte Energieverschwendung bezeichnet werden muss. Der geringe Wirkungsgrad von Kraftwerken ist nicht auf technische Mängel zurückzuführen, sondern er hat einen thermodynamischen Grund: Der CarnotWirkungsgrad (8.46) ist auch hier die Obergrenze, die nicht überschritten werden kann.

Abschnitt 8.9 Der Kältemittelkreislauf in einer Wärmepumpe

233

8.9 Der Kältemittelkreislauf in einer Wärmepumpe Der Carnot-Wärmepumpenprozess hat uns gezeigt, wie eine Wärmepumpe prinzipiell funktionieren kann. Die Realisierung in kommerziell angebotenen Modellen sieht jedoch anders aus – es ist die gleiche Technik wie in einem Kühlschrank. Wie in Kasten 8.1 deutlich wird, ist ein Kühlschrank nichts anderes als eine spezielle Wärmepumpe, und so kann man auf die dort bewährte Konstruktionsweise zurückgreifen. Die im Carnot-Prozess angelegte Grundstruktur – die Abfolge von zwei Wärmeübertragungs- und zwei adiabatischen Schritten – bleibt dabei erkennbar. Technische Wärmepumpenprozesse unterscheiden sich vom Carnot-Prozess hauptsächlich in zweierlei Hinsicht: (1) Der Prozess wird nicht als eine Folge von Operationen an einem eingeschlossenen Arbeitsmittel realisiert, sondern als stationärer Fließprozess. Das Arbeitsmittel strömt in einem geschlossenen Kreislauf und durchläuft dabei verschiedene „Stationen“, die den vier Prozessschritten bei der Carnot-Wärmepumpe entsprechen (Abb. 8.14). (2) Wie wir auf S. 224 festgestellt haben, vermag eine Carnot-Wärmepumpe pro Zyklus nur eine verhältnismäßig kleine Energiemenge zu transportieren. Der Grund dafür liegt in der geringen Wärmekapazität des verwendeten Arbeitsmittels (Luft bzw. ideales Gas). Hier hilft die Idee weiter, die großen Energiebeträge zu nutzen, die bei einem Phasenübergang als Verdampfungs- bzw. Kondensationsenthalpie in Erscheinung treten. Bei geschickter Prozessführung kann man auf diese Art erhebliche Energiemengen befördern. Grundstruktur des Kältemittelkreislaufs Der Bezeichnung Kältemittel für das im Kreis strömende Arbeitsmittel einer Wärmepumpe merkt man die Herkunft aus der Kältetechnik noch an. Um die Verdampfungsenthalpie zu nutzen, wählt man einen Stoff, der in dem betreffenden Druck- und Temperaturbereich einen Phasenübergang zwischen flüssigem und gasförmigem Zustand durchläuft. Die Wärmeübertragung wird nach dem folgenden Grundprinzip realisiert: (1) Auf der warmen Seite der Wärmepumpe lässt man den Stoff kondensieren; die dabei freiwerdende Kondensationsenthalpie wird der zu heizenden Wohnung als Wärme QH zugeführt. (2) Auf der kalten Seite lässt man das Kältemittel verdampfen, wobei die Verdampfungsenthalpie QL aus der Umgebung aufgenommen wird. (3) Die Verdampfung des Kältemittels soll bei einer niedrigeren Temperatur erfolgen als die Kondensation. Das ist nur bei geringerem Druck möglich. Im Kältemittelkreislauf muss also zwischen Kondensation und Verdampfung eine Expansions- bzw. Kompressionsphase liegen. Damit ist die in Abb. 8.14 dargestellte Struktur des Kältemittelkreislaufs prinzipiell schon beschrieben. Sehen wir uns die Prozessschritte nun im Detail an.

234

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

Flüssigkeit + Dampf

siedende Flüssigkeit

QH

Verdichter W

A gesättigter Dampf

warmes Reservoir (Wohnung)

Verflüssiger

QL

C

Expansionsventil

Verdampfer

kaltes Reservoir (Außenluft)

D

B überhitzter Dampf

Abb. 8.14: Kältemittelkreislauf in einer Wärmepumpe oder einem Kühlschrank. Beim Kühlschrank ist das kalte Reservoir der zu kühlende Innenraum, in dem die Speisen aufbewahrt werden. Das warme Reservoir ist die umgebende Luft der Küche, an die die abgeführte Wärme abgegeben wird (vgl. Kasten 8.1).

Erster Prozessschritt: Adiabatische Kompression A → B Die Wärmepumpe soll zwischen der Außentemperatur TL = 2 °C und der Vorlauftemperatur der Fußbodenheizung TH = 35 °C operieren. Wir beginnen die Betrachtung mit dem Zustand A am Ausgang des Verdampfers. Das Kältemittel liegt hier im gasförmigen Zustand vor, und zwar als gesättigter Dampf bei der Temperatur TL . Im Verdichter wird es adiabatisch komprimiert. Dabei steigen Druck und Temperatur an. Das Kältemittel liegt nun als überhitzter Dampf vor (Zustand B). Zweiter Prozessschritt: Verflüssigung mit Wärmeabgabe B → C In diesem Zustand tritt es in den Verflüssiger ein. Bei konstantem Druck kühlt es sich zunächst ab und erreicht schließlich die Siedetemperatur. Den entsprechenden Prozess haben wir für Wasser schon in Kapitel 2 betrachtet. Das Kältemittel folgt im Verflüssiger einer Isobare wie sie in Abb. 2.10 auf S. 31 eingezeichnet ist. Bei konstantem Druck und konstanter Temperatur kondensiert es, bis es am Ausgang des Verflüssigers schließlich als siedende Flüssigkeit vorliegt. Dieser Zustand ist in Abb. 8.14 mit C bezeichnet. Beim Phasenübergang wird die Verdampfungsenthalpie frei, die als Wärme QH an das Wasser im Heizkreislauf der Wohnung abgegeben wird.

Abschnitt 8.10 Kältemittel

235

Dritter Prozessschritt: Expansion C → D Im nächsten Schritt wird der Druck in einem Expansionsventil wieder auf den Anfangswert verringert. Der Druck sinkt, die Temperatur ebenfalls. Ein kleiner Teil der Flüssigkeit verdampft bei der Expansion. Im Zustand D liegt also ein Gemisch aus siedender Flüssigkeit und gesättigtem Dampf bei niedrigem Druck und niedriger Temperatur vor. In der einfachsten Ausführung besteht das Expansionsventil einfach aus einem sehr dünnen Kapillarrohr (vgl. das Foto in Kasten 8.1). Dass es in einem dünnen Röhrchen tatsächlich zu einem erheblichen Druckabfall kommt, kann man in einem einfachen Experiment selbst erfahren, wenn man kräftig in einen langen, dünnen Strohhalm bläst. Vierter Prozessschritt: Verdampfung mit Wärmeaufnahme D → A Im letzten Schritt gelangt das Kältemittel in den Verdampfer. Dort verdampft es bei konstanter Temperatur und konstantem Druck und nimmt dabei die Wärmemenge QL aus der Umgebung auf. Der Kreislauf ist damit geschlossen; das Kältemittel liegt am Ausgang des Verdampfers wieder als gesättigter Dampf im Zustand A vor.

8.10 Kältemittel Prinzipiell ist als Kältemittel jede Substanz geeignet, die im relevanten Druckund Temperaturbereich einen Phasenübergang zwischen flüssigem und gasförmigem Zustand aufweist. In der Praxis ergeben sich jedoch einige Einschränkungen, die die Suche nach geeigneten Kältemitteln erschweren. Ammoniak wird zum Beispiel in großtechnischen Anlagen häufig als Kältemittel verwendet, scheidet jedoch für den Haushaltsbereich aus, weil es bei unsachgemäßer Handhabung zu Vergiftungen kommen kann. Ein Kältemittel sollte auch nicht brennbar oder explosiv sein. Schließlich darf es auch keine Korrosionswirkung in technischen Anlagen haben. Ein Hauptfaktor bei der Auswahl von Kältemitteln ist auch der Umweltschutz. Bis in die 1980er Jahre kamen in Kälte- und Klimaanlagen vor allem Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) zum Einsatz, die die physikalischchemischen Anforderungen an Kältemittel in sehr guter Weise erfüllten. Sie wurden ab 1990 verboten, nachdem sich herausstellte, dass sie zum Abbau der Ozonschicht in den oberen Schichten der Atmosphäre beitragen. In der Folge wurde versucht, „klimaneutrale“ Kältemittel zu entwickeln. Dabei mussten jedoch Kompromisse in Bezug auf die Kälteeigenschaften gemacht werden. Ein ideales Kältemittel für alle Zwecke gibt es nicht. In der Praxis kommt eine Vielzahl von Stoffen und Stoffgemischen zum Einsatz, deren Eigenschaften auf den jeweiligen Anwendungsbereich abgestimmt sind. Da es sich bei den organischen Kältemitteln meist um chemisch komplexe Moleküle handelt, werden sie mit einer besonderen Nomenklatur bezeichnet. Sie besteht aus einem „R“ (für „refrigerant“) und einem dreistelligen Zahlencode, in dem die chemische Zusammensetzung codiert ist. Propan wird zum

236

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

Kasten 8.1 Der Kühlschrank als Wärmepumpe

Verflüssiger

Filter- und Trocknerpatrone zum Verdampfer im Kühlschrankinneren

Kompressor

Expansionsventil (Kapillarrohr)

Wohl nur die wenigsten könnten auf Anhieb die Wärmepumpe benennen, die sich sicher in ihrem Haushalt befindet. Es ist der Kühlschrank. Er arbeitet nach dem in Abb. 8.4 dargestellten Funktionsschema einer Wärmepumpe. Das kalte Reservoir entspricht dabei dem Kühlschrankinneren, das durch Wärmeabfuhr kühl gehalten werden soll. Die umgebende Raumluft übernimmt die Rolle des warmen Reservoirs. An sie wird die in diesem Fall unerwünschte „Abwärme“ über die Kühlschlangen des Verflüssigers abgegeben. Auch der Kältemittelkreislauf in einem Kühlschrank entspricht exakt der Darstellung in Abb. 8.14. In der Abbildung oben, die die Rückseite eines Kühlschranks zeigt, sind der Kompressor, der Verflüssiger und das Expansionsventil (das als aufgerollte Kapillare ausgeführt ist) zu erkennen. Da es sich vom physikalischen Standpunkt bei Kühlschränken, Klimaanlagen und Wärmepumpen um die gleichen Geräte handelt, haben die in diesem Kapitel erarbeiteten Ergebnisse auch in der Kälte- und Klimatechnik Gültigkeit.

Beispiel mit R-290 bezeichnet, Butan mit R-600. Die Nummern für anorganische Kältemittel beginnen mit einer 7 (etwa R-717 für Ammoniak). Diese Kennzeichnungen sind in den Tabellen B.7 und B.8 im Anhang auch denjenigen Substanzen beigefügt, die als Kältemittel eingesetzt werden. Für das häufig verwendete Kältemittel R-134a (1,1,1,2-Tetrafluorethan) sind darüber hinaus Dampftafeln für den Sättigungszustand und für den überhitzten Dampf wiedergegeben (S. 412–413).

8.11 Quantitative Analyse des Kältemittelkreislaufs Bei dem in Abb. 8.14 dargestellten Kältemittelkreislauf handelt es sich um einen stationären Fließprozess. Um ihn energetisch zu analysieren, müssen

237

Abschnitt 8.11 Quantitative Analyse des Kältemittelkreislaufs

siedende Flüssigkeit

QL

Zustand C pC = 8,87 bar TH = 35 °C

Verflüssiger

Expansionsventil

Verdampfer

kaltes Reservoir (Außenluft)

Zustand C pD = 3,15 bar TL = 2 °C

warmes Reservoir (Wohnung)

Flüssigkeit + Dampf

QH

W

Zustand A pA = 3,15 bar TL = 2 °C

Verdichter

gesättigter Dampf

Zustand B pB = 8,87 bar TB = 38,8 °C überhitzter Dampf

Abb. 8.15: Kältemittelkreislauf in einer Wärmepumpe

wir daher den ersten Hauptsatz in der Form (6.100) anwenden. Abb. 8.15 zeigt den Kreislauf noch einmal in schematisierter Form. Es sind vier Kontrollvolumina eingezeichnet, auf die wir den ersten Hauptsatz jeweils anwenden, um die vier Zustände A bis D miteinander zu verknüpfen. Es ergeben sich unmittelbar die folgenden sehr einfachen Beziehungen: Verdichter: Verflüssiger: Expansionsventil: Verdampfer:

˙ = m˙ (hB − hA ) , W

(8.48)

Q˙ H = m˙ (hC − hB ) ,

(8.49)

0 = m˙ (hD − hC ) ,

(8.50)

Q˙ L = m˙ (hA − hD ) .

(8.51)

Wie es für stationäre Fließprozesse charakteristisch ist, spielt die Enthalpie h eine zentrale Rolle. Insbesondere lässt sich die Leistungszahl der Wärmepumpe, die durch Gl. (8.37) definiert ist, mittels Enthalpiedifferenzen ausdrücken: ϵWP =

| QH | | Q˙ | · ∆t h − hC = H = B . ˙ · ∆t W hB − hA W

(8.52)

Um die Wärmepumpe vollständig zu analysieren, müssen wir nur die vier Zustände A bis D genauer spezifizieren und die jeweiligen Enthalpiedifferenzen für das verwendete Kältemittel ermitteln.

238

40

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

p in bar

R-134a 90 °C

20

70 °C 50 °C

10 8

qH B

C 30 °C

6 20 °C 4

10 °C

A

D

w

qL

0 °C 2 −10 °C −20 °C 1

Isothermen −30 °C

h in kJ/kg 160

200

240

280

320

360

400

440

480

Abb. 8.16: h-log p-Diagramm für das Kältemittel R-134a mit den Zuständen des grün eingezeichneten Kältemittelkreislaufs

h-log p-Diagramm Zur Veranschaulichung wird der Kältemittelkreislauf oft in einem Diagramm dargestellt, das den Zustandsdiagrammen ähnelt, mit denen wir in Kapitel 2 die Koexistenz von Wasserdampf und flüssigem Wasser beschrieben haben. Da die Enthalpie bei der Analyse des Kältemittelkreislaufs so wichtig ist, wird sie auf einer der Koordinatenachsen aufgetragen. Die andere Achse belegt der Druck (in logarithmischer Auftragung). Auf diese Weise gelangt man zum h-log p-Diagramm, das für das Kältemittel R-134a in Abb. 8.16 gezeigt ist. Wie in den Diagrammen in Kapitel 2 erkennt man die kuppelförmige Struktur, die den Nassdampfbereich einschließt und von den fett gezeichneten Kurven der siedenden Flüssigkeit und des gesättigten Dampfes begrenzt wird. Zustände im Kältemittelkreislauf Wir kehren zur vorher betrachteten Wärmepumpe zurück, die zwischen der Außentemperatur TL = 2 °C und der Heizungs-Vorlauftemperatur TH = 35 °C arbeitet. Als Kältemittel setzen wir R-134a ein. Die beiden Zustände A und C aus Abb. 8.14 können wir mit diesen Festlegungen bereits angeben. Sie sind dadurch bestimmt, dass das Kältemittel am Ausgang des Verdampfers als gesättigter Dampf und am Ausgang des Verflüssigers als siedende Flüssig-

239

Abschnitt 8.11 Quantitative Analyse des Kältemittelkreislaufs

keit vorliegen soll. Aus der Dampftafel für den Sättigungszustand von R-134a (S. 412) können wir die Daten der beiden Zustände ablesen. Zustand A: Gesättigter Dampf von R-134a bei TL = 2 °C In der Dampftafel findet man für Druck, spezifische Enthalpie und spezifische Entropie des gesättigten Dampfes die Angaben: pA = 3,15 bar,

hA = 399,8

kJ , kg

sA = 1,726

kJ . kg · K

(8.53)

Zustand C: Siedende Flüssigkeit von R-134a bei TH = 35 °C Für die siedende Flüssigkeit findet man die folgenden Werte: pC = 8,87 bar,

hC = 249,0

kJ . kg

(8.54)

Alles Weitere ist durch diese Angaben bereits festgelegt, insbesondere die beiden Drücke pA und pC , zwischen denen die Wärmepumpe arbeitet. Der Verdichter muss beim Übergang A → B das Kältemittel vom niedrigen Druck pA = 3,15 bar auf den hohen Druck pC = 8,87 bar komprimieren; die gleiche Druckdifferenz herrscht am Expansionsventil. Zustandsänderung bei der adiabatischen Kompression Einzig die Bestimmung des Zustands B bereitet noch etwas Mühe. Er wird im Verdichter durch adiabatische Kompression des gasförmigen Kältemittels erreicht, das sich vorher im Ausgangszustand A befindet. Näherungsweise könnten wir das Kältemittel als ideales Gas modellieren und die Adiabatengleichung (7.25) benutzen. In der Nähe des Phasenübergangs führt diese Näherung aber zu sehr ungenauen Ergebnissen. Wir greifen daher inhaltlich etwas voraus und benutzen, dass bei einem adiabatisch-reversiblen Prozess die Entropie konstant bleibt. Für den Enddruck von 8,87 bar suchen wir also denjenigen Zustand, der die gleiche spezifische Entropie sA = 1,726 kJ/(kg · K) wie Zustand A besitzt. Auch hier hilft die Dampftafel weiter. Zustand B: Überhitzter Dampf mit s = 1,726 kJ/(kg · K) und p = 8,87 bar In der Dampftafel für den überhitzten Dampf von R-134a (S. 413) lassen sich Temperatur und spezifische Enthalpie näherungsweise ablesen. Die exakten Werte lauten: kJ TB = 38,8 ◦ C, hB = 421,2 . (8.55) kg Zur Bestimmung der Leistungszahl und der Wärmeflüsse müssen jetzt nur noch Enthalpiedifferenzen gebildet werden. In der folgenden Beispielaufgabe wird die Vorgehensweise illustriert.

240

Kapitel 8 Thermodynamische Kreisprozesse – Heizen mit Wärmepumpen

Beispielaufgabe: Leistungszahl einer Wärmepumpe Eine mit dem Kältemittel R-134a betriebene Wärmepumpe soll bei den Bedingungen A2/W35 eine Heizleistung von 10 kW erbringen. Berechnen Sie die Leistungszahl der ˙ des Wärmepumpe, die erforderliche Verdichterleistung sowie den Massenstrom m Kältemittels, das in der Wärmepumpe zirkuliert. Lösung: Für die Betriebsbedingungen A2/W35 können wir die zuvor ermittelten Kältemittelzustände (8.53) bis (8.55) zugrunde legen. Der Massenstrom des Kältemittels ergibt sich aus der Forderung, dass die Heizleistung q˙ H den Wert 10 kW besitzen soll. Nach Gl. (8.49) gilt:

m˙ =

Q˙ H . | hC − hB |

(8.56)

Einsetzen der oben gefundenen Werte ergibt die Masse an R-134a, die pro Sekunde an jeder Stelle im Kreislauf vorbeiströmt:

10 kW kg = 0,058 . m˙ = kJ kJ s 249,0 kg − 421,2 kg

(8.57)

Die Verdichterleistung bestimmen wir mit Gl. (8.48):

˙ = m˙ (hB − hA ) W   kg kJ kJ = 0,058 · 421,2 − 399,8 = 1,24 kW. s kg kg

(8.58)

Die Leistungszahl der Wärmepumpe können wir direkt aus den Werten für q˙ H und w˙ oder aus Gl. (8.52) berechnen. Auf beiden Wegen muss sich das Gleiche ergeben:

ϵWP =

kJ kJ 421,2 kg − 249,0 kg hB − hC = kJ kJ hB − hA 421,2 kg − 399,8 kg

= 8,05.

(8.59)

Die theoretische Leistungszahl für diese Betriebsbedingungen liegt somit bei 8,05. Zum Vergleich: Für eine Carnot-Wärmepumpe, die zwischen den gleichen Temperaturen arbeitet, ergab sich in Gl. (8.47) die Leistungszahl 9,3. Dass in der Praxis nur weitaus niedrigere Leistungszahlen erreicht werden, als nach der Theorie möglich wären, hat verschiedene Ursachen. Der Hauptverantwortliche ist der Verdichter mit seiner Reibung, den Undichtigkeiten und dem nicht nutzbaren „toten Raum“, die seine Leistung herabsetzen. Aber auch die unvermeidlichen Druckabfälle in den Leitungen sowie die Temperaturdifferenzen von mehreren Grad, die für eine effiziente Wärmeübertragung immer erforderlich sind (etwa zwischen Verflüssiger und Heizungsvorlauf), begrenzen die praktisch erreichbaren Leistungszahlen.

Die Entropie als Zustandsgröße

9

242

Kapitel 9 Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße

9.1 Die Qualität der Energie Kann Energie verloren gehen? Nach dem ersten Hauptsatz ist das nicht möglich. Die Energie ist eine erhaltene Größe, deren Gesamtbetrag konstant bleibt. Merkwürdigerweise spiegelt sich diese physikalische Tatsache nicht in unserer Alltagswahrnehmung wider, die von andersartigen Vorstellungen tief geprägt ist. Wir halten zum Beispiel ein Auto mit benzingefülltem Tank für nützlicher als eines, das mit leerem Tank in einer durch Reibung leicht erwärmten Umgebung steht. Auch ein voller Handyakku erscheint uns wertvoller als ein leerer, auch wenn das Handy mit dem leeren Akku zum Ausgleich ein wenig wärmer ist. Unsere intuitiven Vorstellungen sind offenbar weniger von der Erhaltung der Energie geprägt als von ihrer begrenzten Verfügbarkeit. In ihren verschiedenen Erscheinungsformen besitzt die Energie für uns einen unterschiedlichen Grad an Verfügbarkeit, einen unterschiedlichen Wert für die praktische Nutzung. Hinter dieser Erfahrung aus dem Alltag verbirgt sich eine tiefe physikalische Erkenntnis. Die Weiterverfolgung dieses Gedankens führt uns zum Kern der Thermodynamik, nämlich zum zweiten Hauptsatz und zum Begriff der Entropie. Die Entropie lässt sich charakterisieren als eine quantitative Beschreibung der Verfügbarkeit, der „Qualität“ der Energie in einem thermodynamischen Zustand. Die Nutzbarkeit als Maß der Qualität von Energie Vergleichen wir zur Illustration dieser Idee vier Systeme, denen jeweils die gleiche Energiemenge von 10 kJ zugeführt worden ist: (1) Ein Stein mit einer Masse von 100 kg, der sich in 10 m Höhe über dem Erdboden befindet. Seine potentielle Energie ist m · g · h ≈ 10 kJ. (2) Eine Schraubenfeder, die mit einer Spannenergie von 10 kJ gespannt ist. (3) Ein wärmeisolierter Zylinder mit einem Gas, das mit einem Arbeitsaufwand von 10 kJ adiabatisch-reversibel komprimiert worden ist. (4) Ein wärmeisoliertes Gefäß mit Wasser, das mit einer Wärmemenge von 10 kJ auf eine Temperatur T erhitzt wurde, die über der Umgebungstemperatur T0 liegt. Was ist die Bedeutung der Aussage, die Energie von 10 kJ habe in einem dieser Zustände eine höhere oder geringere Qualität? Wir müssen den Begriff der Qualität als „Wert“ der Energie operational definieren, um ihm einen Sinn zu verleihen. Bezogen auf unser Beispiel könnte der Wert der Energie darin liegen, dass man mit ihr eine Aufgabe vollbringen kann. Die in jedem der vier Systeme deponierte Energie von 10 kJ soll genutzt werden, um einen Metallklotz mit einer Masse von einer Tonne um einen Meter anzuheben. Der Wert der Energie im jeweiligen Zustand bemisst sich danach, ob diese Aufgabe ganz oder nur teilweise gelöst werden kann. Die Energieerhaltung stellt dabei keine Einschränkung dar, denn die potentielle Energie des Metallklotzes ändert sich beim Anheben gerade um m · g · h ≈ 10 kJ. Wenn die Aufgabe nicht

Abschnitt 9.1 Die Qualität der Energie

243

gelöst werden kann, so ist die Ursache dafür jedenfalls nicht im Energiesatz zu suchen. Vergleichen wir unsere vier Kandidaten bei ihrem Wettbewerb: (1) Mit dem angehobenen Stein kann man die Aufgabe erfüllen. Er wird abgesenkt, und dabei wird der Metallklotz über einen Flaschenzug in die Höhe gehoben. Mit gut geschmierten Rollen ist dies nahezu reibungsfrei zu bewerkstelligen. Die potentielle Energie des Steins lässt sich im Prinzip vollständig in potentielle Energie des Metallklotzes umwandeln. (2) Die Schraubenfeder wird über einen Hebelmechanismus entspannt. Die Spannenergie der Feder kann im reibungsfreien Idealfall vollständig zum Heben des Metallklotzes verwendet werden. (3) Das komprimierte Gas wird ebenfalls über einen Hebelmechanismus entspannt. Auch hier kann die Energie von 10 kJ im Idealfall vollständig zum Anheben des Metallklotzes nutzbar gemacht werden. Unter adiabatisch-reversiblen Bedingungen kann man das Gas im Zylinder als elastische „Druckluftfeder“ ansehen. (4) Das Sorgenkind ist der Tank mit erwärmtem Wasser. Wie lässt sich mit heißem Wasser ein Metallklotz anheben? Dafür kennen wir bisher nur eine Möglichkeit: Wir nutzen die Temperaturdifferenz zwischen Wasser und Umgebung, um eine Wärmekraftmaschine zu betreiben. Aus dem vorigen Kapitel wissen wir jedoch, dass dabei nur ein Teil der eingesetzten Energie als Arbeit nutzbar gemacht werden kann. Mit erwärmtem Wasser gelingt die Lösung der Aufgabe also nur unvollständig. Nach unserem Kriterium, die Qualität der Energie in einem Zustand anhand ihrer Nutzbarkeit für eine Aufgabe festzulegen, ist die Energie im System „warmes Wasser“ von geringerer Qualität als in den anderen Systemen – obwohl es sich überall um die gleiche Energiemenge von 10 kJ handelt. Temperatur, innere Energie und die Qualität der Energie Eine Folgerung, die sich unmittelbar aufzudrängen scheint, erweist sich jedoch als Trugschluss. Es liegt nahe, den Fall des warmen Wassers zu verallgemeinern und die „thermischen Energieformen“ insgesamt für geringerwertig zu erklären als die „mechanischen Energieformen“. Dass dies zu einfach gedacht ist, zeigt sich am Beispiel des komprimierten Gases. Bei der Kompression erhöht sich seine Temperatur. Die gesamte zugeführte Energiemenge von 10 kJ wird in Form von innerer Energie gespeichert. Trotzdem kann sie vollständig wieder entnommen und in mechanische Energieformen umgewandelt werden. Wenn auch die Qualität der Energie nicht allein an der Temperatur oder der inneren Energie festgemacht werden kann, so besteht natürlich dennoch ein Zusammenhang. Wir müssen etwas differenzierter argumentieren, um ihn aufzudecken. Dazu untersuchen wir in der folgenden Beispielaufgabe quantitativ, welcher Anteil der Energie des warmen Wassers als Arbeit nutzbar gemacht werden kann.

244

Kapitel 9 Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße

TA ® TL

QH

Umgebung mit Temperatur TL

Wärmekraftmaschine

QL

W

Abb. 9.1: Wasser der Temperatur TA kühlt auf die Umgebungstemperatur TL ab. Die entnommene Wärme dient zum Antrieb einer CarnotWärmekraftmaschine.

Beispielaufgabe: Wärmekraftmaschine mit erschöpfbarer Quelle In einem Tank befindet sich Wasser mit einer Temperatur TA , die höher ist als die Umgebungstemperatur TL (Abb. 9.1). Die Temperaturdifferenz soll genutzt werden, um eine Carnot-Wärmekraftmaschine zu betreiben. Das Wasser im Tank kühlt sich ab, wenn Wärme entnommen wird. Berechnen Sie, wie viel Arbeit die Wärmekraftmaschine maximal verrichten kann. Lösung: Da ständig Wärme entnommen wird, kühlt sich das Wasser im Tank von der Anfangstemperatur TA allmählich auf die Umgebungstemperatur TL ab. Die zum Betrieb der Carnot-Wärmekraftmaschine nutzbare Temperaturdifferenz wird dadurch immer geringer. Die Prozessführung der Maschine muss entsprechend angepasst werden. Wir betrachten zunächst nur einen kleinen Teil des Abkühlungsvorgangs. Er soll sich über mindestens einen ganzen Zyklus der Wärmekraftmaschine erstrecken; die Temperatur T des Wassers soll sich dabei aber nur so unwesentlich ändern, dass wir sie als konstant ansehen können. Der Wirkungsgrad der Wärmekraftmaschine ist durch Gl. (8.46) gegeben. Er gibt – für die momentane Temperatur T – den Anteil der entnommenen Energie an, der als Arbeit genutzt werden kann:

  TL ∆W = −ηCarnot · ∆QH = − 1 − · ∆QH . T

(9.1)

Das negative Vorzeichen spiegelt wider, dass die abgegebene Wärme ∆QH dem System verloren geht, während wir ∆W als positiv festlegen wollen. Wenn das Wasser die Wärmemenge ∆QH abgibt, sinkt seine Temperatur um ∆T gemäß:

∆QH = c · m · ∆T,

(9.2)

wobei m die Masse des Wassers im Tank und c seine Wärmekapazität ist. Eingesetzt in Gl. (9.1) ergibt sich:  

∆W = − 1 −

TL T

· c · m · ∆T.

(9.3)

Die gesamte während des Abkühlens verrichtete Arbeit erhalten wir durch den Übergang zu infinitesimalen Größen und Integration vom Anfangs- zum Endzustand:  Z TL 

WA→L = −

TA

1−

TL T

c · m dT.

(9.4)

Wir könnten das Integral ohne Weiteres berechnen (es ergibt sich die Logarithmusfunktion). Für spätere Zwecke lassen wir es aber teilweise unausgerechnet stehen: Z TA

WA→L = c · m · ( TA − TL ) − TL ·

TL

c·m

dT . T

(9.5)

245

Abschnitt 9.2 Die Entropie der inkompressiblen Substanz

Mit U ( TA ) − U ( TL ) = −∆QH = c · m · ( TA − TL ) lässt sich diese Gleichung auch durch die innere Energie des Wassers vor und nach der Abkühlung ausdrücken: Z TA

WA→L = U ( TA ) − U ( TL ) − TL ·

TL

c·m

dT . T

(9.6)

Der in einer Umgebung mit Temperatur TL maximal als Arbeit nutzbare Teil WA→L der Gesamtenergie wird in der Technik als Exergie bezeichnet. Die ersten beiden Terme in Gl. (9.6) beschreiben die „im Wasser gespeicherte innere Energie“, für die wir oben 10 kJ angenommen haben. Der letzte Term ist die „nicht verfügbare Energie“ oder Anergie. Er zeigt an, dass die im Wasser gespeicherte Energie auch mit Hilfe einer Wärmekraftmaschine nicht vollständig als Arbeit nutzbar gemacht werden kann. Wie groß die nicht verfügbare Energie ist, hängt nicht nur von der Temperatur des Wassers, sondern auch von der Temperatur der Umgebung ab. Die Bezeichnung „nicht verfügbare Energie“ soll nicht besagen, dass diese Energie „verschwunden“ oder „nicht sichtbar“ ist. Wir können zum Beispiel den vollen Energiebetrag U ( TA ) − U ( TL ) zum Heizen der Umgebung verwenden. Allein zum Verrichten von Arbeit ist nur ein Teil der inneren Energie nutzbar. Wir operieren hier mit einer eingeschränkten Bedeutung der Begriffe „nutzbar“ und „verfügbar“.

9.2 Die Entropie der inkompressiblen Substanz In einem ersten Schritt konstruieren wir die Entropie für ein einfaches Modellsystem: die inkompressible Substanz mit konstanter Wärmekapazität. Ihre kalorische Zustandsgleichung lautet U ( T ) = c · m · T. Das Modell beschreibt Flüssigkeiten und Festkörper, zum Beispiel das erwärmte Wasser aus der letzten Beispielaufgabe. Wir gehen von der Grundidee aus, dass die Entropie die Qualität der Energie eines thermodynamischen Zustands charakterisiert, wobei wir Qualität wie zuvor im Sinne von Nutzbarkeit verstehen. Um die Quantität der Energie (mit der sich der erste Hauptsatz beschäftigt) von ihrer Qualität abzugrenzen, soll zunächst klargestellt werden, worum es nicht geht. Stellen wir uns zwei Behälter mit heißem Wasser vor. Die Wassermengen sollen gleich sein, die Temperaturen aber unterschiedlich. Wenn wir den Betreiber einer Wärmekraftmaschine fragen, welcher der beiden Behälter für ihn nützlicher ist, wird er zweifellos denjenigen mit der höheren Wassertemperatur wählen – einfach weil mehr Energie darin gespeichert ist. Seine Antwort wird von der Quantität der Energie bestimmt, nicht von der Qualität. Unsere Fragestellung greift zu kurz. Wir müssen sie modifizieren, um unser eigentliches Anliegen zu erreichen. Um uns von allen Komplikationen zu lösen, die mit dem unterschiedlichen Energieinhalt zweier Systeme einhergehen, ergreifen wir eine rigorose Maßnahme: Wenn es um die Qualität der Energie geht, vergleichen wir nur Systeme mit gleicher Gesamtenergie Eges . Allerdings werden zwei Systeme A und B, die wir vergleichen möchten, im Allgemeinen nicht von vornherein die gleiche Gesamtenergie aufweisen. Wir statten sie daher mit einem Vorrat an potentieller Energie in Form eines angehobenen Massestücks aus. Wenn etwa System A die geringere Temperatur und damit auch eine niedrigere innere Energie hat, gibt man ihm zum Ausgleich mehr potentielle Energie mit

246

Kapitel 9 Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße System A

System B

TA

TB

( A)

Epot, A

A

( B)

B

Epot, B

Abb. 9.2: Zwei Zustände einer inkompressiblen Substanz mit verschiedener Temperatur werden verglichen. Damit beide Systeme die gleiche Gesamtenergie haben, werden ihnen Massestücke mit unterschiedlicher potentieller Energie mitgegeben.

(Abb. 9.2). Die Summe aus innerer und potentieller Energie soll für beide Systeme gleich sein: Eges = U ( TA ) + Epot, A = U ( TB ) + Epot, B .

(9.7)

Wir vergleichen somit zwei Systeme aus dem gleichen Material, mit der gleichen Masse, aber unterschiedlichen Temperaturen und daher – was entscheidend ist – unterschiedlicher Aufteilung der Gesamtenergie in innere und potentielle Energie. Vergleich der nutzbaren Energie Für den Vergleich bringen wir beide Systeme in die gleiche Umgebung mit der Temperatur TL . Dann lässt sich die potentielle Energie direkt zum Verrichten von Arbeit verwenden, während nur der in Gl. (9.6) berechnete Anteil der inneren Energie als Arbeit genutzt werden kann (Abb. 9.3). Für die insgesamt von System A verrichtbare Arbeit ergibt sich: Wmax (A) = Epot, A + WA→L ) +  ) − U ( T ) − T · = Eges −  U ( TA U ( TA L L

Z TA TL

c·m·

dT , T

(9.8)

insgesamt also: Wmax (A) = Eges − U ( TL ) − TL ·

Z TA TL

c·m

dT . T

(9.9)

Eine entsprechende Gleichung ergibt sich für System B. Für sich allein genommen ist dieser Ausdruck noch nicht besonders aufschlussreich. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Differenz ∆SAB =

Z TB Wmax (A) − Wmax (B) dT = c·m TL T TA

(9.10)

247

Abschnitt 9.2 Die Entropie der inkompressiblen Substanz

vollständig zum Verrichten von Arbeit nutzbar TA

Epot, A selbst mit Hilfe einer Wärmekraftmaschine nur teilweise zum Verrichten von Arbeit nutzbar

( A)

A

Abb. 9.3: Die Anteile der Gesamtenergie sind unterschiedlich nutzbar.

unabhängig von der Umgebungstemperatur sowie von der willkürlich wählbaren Gesamtenergie ist. Sie hängt nur von den Eigenschaften der beiden zu vergleichenden Systeme ab und eignet sich daher als das gesuchte Maß für die Qualität der Energie. Wir können daher die Entropie einer inkompressiblen Substanz durch diese Gleichung definieren. Entropie einer inkompressiblen Substanz: Die Entropiedifferenz zwischen zwei Zuständen einer inkompressiblen Substanz mit den Temperaturen TA und TB beträgt: SB − SA =

Z TB TA

c·m

dT . T

(9.11)

Einige Kommentare können dieses Ergebnis erläutern: (1) Die rechte Seite von Gl. (9.11) ist positiv, wenn TB > TA . Die Entropie von Zustand B ist dann höher als die von A. Unter der Bedingung gleicher Gesamtenergie fällt die Wahl des Wärmekraftmaschinen-Betreibers anders aus als im einführenden Gegenbeispiel. Das System mit der höheren Temperatur ist für ihn nun weniger wertvoll, denn es hat einen höheren Anteil an nur teilweise nutzbarer innerer Energie. Die geringere Nutzbarkeit der Energie spiegelt sich in einer höheren Entropie wider. (2) Die in einer Umgebung mit der Temperatur TL verrichtbare Arbeit ist für System B um den Betrag TL · ∆SAB geringer als für A. Das ist die quantitative Aussage von Gl. (9.10). Damit sie Gültigkeit besitzt, ist auch hier die Bedingung gleicher Gesamtenergie zu berücksichtigen, verkörpert durch das angehobene Massestück. (3) Vollzieht man die Herleitung von Gl. (9.10) noch einmal im Detail nach, so stellt man fest, dass sie nicht nur für die inkompressible Substanz gilt. Sie ist für beliebige Körper gültig, wenn deren Volumen konstant gehalten wird. Die Wärmekapazität c wird dann durch cV ersetzt; sie darf dabei durchaus temperaturabhängig sein. Für andere Prozessführungen gilt die Gleichung jedoch nicht. Bei konstantem Druck stünde

248

Kapitel 9 Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße

z. B. in Gl. (9.6) die Enthalpie statt der inneren Energie, und die beiden entsprechenden Terme in Gl. (9.8) würden sich nicht mehr aufheben. (4) Mit der Schreibweise dQ = c · m · dT wird aus Gl. (9.11): SB − SA =

Z TB dQ TA

T

.

(9.12)

Die Entropie wird hier durch die Wärme ausgedrückt, die man von System B abführen muss, um es auf die Temperatur von System A abzukühlen. In dieser Form werden wir der Definition der Entropie noch wiederbegegnen. An Gl. (9.12) können wir bereits ablesen, dass die Entropie die Einheit J/K hat. (5) In der Thermodynamik lassen sich generell keine Absolutwerte für die Entropie von Zuständen berechnen, sondern immer nur Entropieunterschiede zwischen zwei Zuständen. Das ist auch in Gl. (9.11) der Fall. Um konkrete Zahlenwerte angeben zu können (wie in den Tabellen im Anhang) muss man für jeden Stoff einen Referenzzustand festlegen, auf den sich die Angaben beziehen.

9.3 Adiabatische Erreichbarkeit als Ordnungsrelation Mit Gl. (9.11) können wir die Entropie für beliebige Körper berechnen, wenn deren Volumen konstant gehalten wird. Das ist schon ein wichtiges Ergebnis, denn Flüssigkeiten und feste Körper lassen sich in guter Näherung als inkompressible Substanzen modellieren. Wir möchten aber auch Gase beschreiben. Dabei hilft uns Gl. (9.11) jedoch nicht weiter, denn es lassen sich damit keine Zustände mit unterschiedlichem Volumen vergleichen. Der Grund dafür wird deutlich, wenn man auf die Interpretation der Entropie als Maß für die nutzbare Energie in einem Zustand zurückkommt: Sobald wir Volumenänderungen zulassen, müssen wir in der Bilanz die entsprechende Volumenänderungsarbeit berücksichtigen, und diese ist – weil die Arbeit eine Prozess- und keine Zustandsgröße ist – im Allgemeinen von der Prozessführung abhängig. Man könnte zur Lösung dieser Komplikation eine exakte Prozessführung vorschreiben. Aber eine solche Vorgehensweise, die womöglich noch auf Besonderheiten des jeweils untersuchten Stoffes eingehen müsste, ist nicht sehr elegant. Wir werden vielmehr einen systematischen Weg suchen, mit dem sich verschiedene thermodynamische Zustände hinsichtlich des Nutzwertes ihrer Energie vergleichen lassen. Wir gehen dazu in zwei Schritten vor. Als erstes geben wir ein operationales Verfahren an, mit dem sich thermodynamische Zustände nach der Qualität ihrer Energie ordnen lassen. Dieser Schritt geht einer quantitativen Angabe voraus – ähnlich wie man Kinder nach ihrer Größe geordnet in einer Reihe aufstellen kann, ohne ihre Körpergröße mit einem Zollstock zu ermitteln (Abb. 9.4). Insbesondere definieren wir die Relation „gleich groß“. Im zweiten Schritt versehen wir die so geordneten thermodynamischen Zustände mit einer Zahlenangabe: der Entropie. So werden – wie bei der Körpergröße der Kinder – quantitative Vergleiche möglich.

Abschnitt 9.3 Adiabatische Erreichbarkeit als Ordnungsrelation

249

Abb. 9.4: Die Kinder können sich der Größe nach ordnen, ohne dass jemand ihre Größe messen muss. Ein paarweiser Größenvergleich reicht aus.

9.3.1 Definition der adiabatischen Erreichbarkeit

Die Ordnungsrelation „adiabatische Erreichbarkeit“ vergleicht zwei Zustände A und B. Es sollte sich um Systeme mit gleicher chemischer Zusammensetzung und gleicher Masse handeln, aber ansonsten lassen sich ganz beliebige thermodynamische Zustände vergleichen (Abb. 9.5). Der Grundgedanke der adiabatischen Erreichbarkeit liegt darin, Zustand A in Zustand B zu überführen, wobei ein unbegrenzter Vorrat an mechanischer oder elektrischer Energie zur Verfügung steht. Allerdings – und dies ist der entscheidende Punkt – darf keine Wärme abgeführt werden. Als Hilfsmittel erlaubt sind alle denkbaren Werkzeuge und Maschinen, die jedoch am Ende wieder in ihren Ausgangszustand gebracht werden müssen. Wir orientieren uns an der Definition von Lieb und Yngvason (1999), deren Formulierung mit minimalen begrifflichen Voraussetzungen auskommt: Adiabatische Erreichbarkeit: Zustand B ist ausgehend von Zustand A adiabatisch erreichbar, wenn es möglich ist, A in B zu überführen und dabei keine anderen Auswirkungen in der Umgebung zu hinterlassen als das Heben oder Senken eines Massestücks. Wir schreiben in diesem Fall A ≺ B (gesprochen: „A liegt vor B“). Vergleichbarkeit von Zuständen Es ist von großer Bedeutung, dass sich alle thermodynamischen Zustände auf diese Weise vergleichen lassen. Sofern die Voraussetzung gleicher Masse und gleicher chemischer Zusammensetzung erfüllt ist, gilt stets A ≺ B oder B ≺ A. Wenn wir also feststellen, dass Zustand B nicht adiabatisch von A erreichbar ist (A ̸≺ B), so gilt zwangsläufig B ≺ A. Dieser keineswegs selbstverständliche Umstand erlaubt uns, eine eindeutige Ordnung unter den Zuständen herzustellen.

250

Kapitel 9 Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße

Zustand A

Zustand B

Abb. 9.5: Zustand B ist ausgehend von Zustand A adiabatisch erreichbar, wenn außer dem Heben oder Senken eines Massestücks keine Spuren in der Umgebung hinterlassen werden.

Aus der Existenz einer Ordnungsrelation für thermodynamische Zustände können wir schon jetzt erste Aussagen über die Entropie gewinnen. Ähnlich wie wir, ohne die Körpergröße zu messen, sagen können, dass das jeweils rechte von zwei Kindern das größere ist, legen wir in der Thermodynamik fest: Wenn A ≺ B, so gilt auch S( A) ≤ S( B). Dies ist eine Forderung, die wir an unsere spätere Definition der Entropie stellen müssen. Adiabatische Erreichbarkeit und Entropie: Wenn A ≺ B gilt, dann ist S( A) ≤ S( B).

(9.13)

Es kann sein, dass sowohl A ≺ B als auch B ≺ A gilt, dass also die Zustände A und B gegenseitig adiabatisch erreichbar sind. Solche Zustände heißen adiabatisch äquivalent. Nach Gl. (9.13) haben sie die gleiche Entropie. Adiabatische Äquivalenz: Zwei Zustände A und B heißen adiabatisch äquivalent, wenn sowohl A ≺ B als auch B ≺ A gilt. Adiabatisch äquivalente Zustände haben die gleiche Entropie: S( A) = S( B). Bevor wir einige Beispiele für adiabatische Erreichbarkeit und Nicht-Erreichbarkeit betrachten, muss noch ein mögliches Missverständnis angesprochen werden. Im alltäglichen Sprachgebrauch ist oft von „adiabatisch“ die Rede, wenn eigentlich „adiabatisch-reversibel“ gemeint ist. Das ist hier ausdrücklich nicht der Fall. Von Reversibilität ist nicht die Rede. Über die Prozesse, die von A nach B führen, wird keine Aussage gemacht. Sie dürfen reversibel sein, müssen es aber nicht. „Adiabatisch“ bedeutet hier, wie auf S. 196 definiert, „ohne Wärmeübertragung“. In der Lieb-Yngvason-Definition wird dies durch die Bedingung ausgedrückt, dass keine anderen Spuren in der Umgebung hinterlassen werden dürfen als das Heben oder Senken eines Massestücks. Insbesondere darf sich die Temperatur in der Umgebung nicht erhöhen.

Abschnitt 9.3 Adiabatische Erreichbarkeit als Ordnungsrelation

251

Beispielaufgabe: Tank mit Wasser – Joule-Experiment Überprüfen Sie die adiabatische Erreichbarkeit für die beiden folgenden Zustände: A: Ein Tank mit 100 kg Wasser mit einer Temperatur von 20 °C, B: Ein Tank mit 100 kg Wasser mit einer Temperatur von 80 °C. Lösung: Erste Frage: Ist B ausgehend von A adiabatisch erreichbar? Um Zustand B zu erreichen, muss das Wasser in Zustand A um 60 °C erwärmt werden. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten. Da sich mechanische und elektrische Energie über Generatoren und Elektromotoren im Prinzip verlustfrei ineinander umwandeln lassen, könnten wir das Wasser mit einem Tauchsieder erwärmen, der durch das Absenken des Massestücks betrieben wird. Eine zweite Möglichkeit wurde 1849 im Joule-Experiment realisiert, einem berühmten historischen Versuch. Durch Absenken eines Massestücks wurde ein Rührwerk in einem Wasserbehälter in Bewegung gesetzt (Abb. 9.6). Aufgrund der inneren Reibung erwärmte sich das Wasser. Die Messung dieser Temperaturerhöhung war das Ziel von Joules Experiment. Der gemessene Wert war damals mit 0,3 °C weitaus geringer als die hier angestrebten 60 °C, aber es gibt keinen prinzipiellen Hinderungsgrund, Zustand B auf diese Weise zu erreichen. Zusammenfassend stellen wir fest, dass A ≺ B gilt. Zweite Frage: Ist A ausgehend von B adiabatisch erreichbar? Die Aufgabe besteht darin, einen inkompressiblen Körper nur durch Heben oder Senken eines Massestücks abzukühlen. Dabei ist keine Wärmeübertragung in die Umgebung erlaubt. Das schlichte Warten, bis das Wasser von selbst abgekühlt ist, scheidet also aus. Auch der Einsatz einer Wärmepumpe kommt nicht in Frage, denn die Wärmepumpe braucht immer ein Reservoir, um sich der „Abwärme“ zu entledigen. Es ist eine experimentelle Tatsache, dass niemand bisher einen Weg gefunden hat, die Aufgabe zu lösen. Zustand A ist also von B nicht adiabatisch erreichbar, B ̸≺ A. Dieses Ergebnis passt zu unserem Ergebnis (9.11) für die Entropie einer inkompressiblen Substanz: Der Körper mit der höheren Temperatur hat die höhere Entropie. Der erwartete Zusammenhang zwischen Entropie und adiabatischer Erreichbarkeit bestätigt sich: Es gilt A ≺ B und S(A) < S(B).

Thermometer sinkendes Massestück

Abb. 9.6: Prinzipskizze des Experiments von Joule

Rührwerk im Wasserbehälter

252

Kapitel 9 Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße

2 bar 3

1m 300 K

1 bar 3

2m 300 K

Vakuum

Zustand A

Zustand B

Abb. 9.7: Adiabatische Erreichbarkeit bei der freien Expansion

Beispielaufgabe: Ideales Gas – freie Expansion Überprüfen Sie die adiabatische Erreichbarkeit für die beiden folgenden Zustände: A: Ein ideales Gas mit den Parametern pA = 2 bar, VA = 1 m3 , TA = 300 K, B: Ein ideales Gas mit den Parametern pB = 1 bar, VA = 2 m3 , TA = 300 K. Lösung: Die beiden Zustände unterscheiden sich dadurch, dass in A das Volumen nur halb so groß ist wie in B, der Druck dagegen doppelt so hoch. In beiden Zuständen hat das Gas die gleiche Temperatur und daher auch die gleiche innere Energie (die innere Energie hängt beim idealen Gas nur von der Temperatur ab, vgl. S. 137). Wir benutzen gleichartige Behälter mit einem Fassungsvermögen von 2 m3 für beide Zustände. Einer davon wird jedoch durch eine Trennwand in zwei Hälften geteilt. Nur eine der Hälften wird mit Gas befüllt, die andere bleibt leer. Auf diese Weise wird Zustand A realisiert (Abb. 9.7). Erste Frage: Ist B ausgehend von A adiabatisch erreichbar? Es ist sehr leicht, von A nach B zu gelangen. Man entfernt einfach die Trennwand (was bei geeigneter Konstruktion mit einem vernachlässigbaren Arbeitsaufwand möglich ist). Das Gas expandiert daraufhin in den freien Raum und füllt rasch das gesamte Volumen aus. Dieser Prozess heißt freie Expansion. Die Temperatur bleibt dabei konstant (denn U hängt beim idealen Gas nicht von V ab). Bei konstanter Temperatur gilt nach der Zustandsgleichung des idealen Gases p · V = konst., so dass die Volumenverdopplung mit der Halbierung des Drucks einhergeht. Zustand B stellt sich somit nach Entfernen der Trennwand ein, ohne dass das Massestück gehoben oder gesenkt werden muss. Es gilt also A ≺ B. Zweite Frage: Ist A ausgehend von B adiabatisch erreichbar? Am praktischsten wäre es, wenn wir den gerade beschriebenen Vorgang einfach umkehren könnten. Das funktioniert jedoch nicht. Wir können die Trennwand zwar wieder einsetzen, aber dies wird das Gas nicht dazu veranlassen, sich in einer Hälfte des Behälters anzusammeln. Die freie Expansion ist ein irreversibler Prozess. Man kann das Gas allerdings auf andere Weise von 2 m3 auf 1 m3 komprimieren, zum Beispiel mit einem beweglichen Kolben. Nach den Spielregeln darf bei der Kompression keine Wärme abgeführt werden. Eine Prozessführung, die das gewährleistet, ist die adiabatisch-reversible Kompression. Nach Gl. (7.24) gilt hierbei T · V κ −1 = konst., so dass für Temperatur und Volumen vor und nach der Kompression gilt:

 Tnach = Tvor ·

Vvor Vnach

 κ −1 .

(9.14)

253

Abschnitt 9.3 Adiabatische Erreichbarkeit als Ordnungsrelation

Bei einer Halbierung des Volumens und einem Adiabatenkoeffizienten von beispielsweise 1,4 ergibt sich eine Endtemperatur von 792 K. Die Temperatur bleibt bei der adiabatisch-reversiblen Kompression auf das angestrebte Volumen also nicht konstant. Dieses Ergebnis ergibt sich auch für andere denkbare Prozessführungen. Nun stehen wir vor dem gleichen Problem wie im vorherigen Beispiel. Wärmeabfuhr ist nicht erlaubt, und auf andere Weise gelingt es nicht, die Temperatur zu senken. Wir schließen also, dass A ausgehend von B nicht adiabatisch erreichbar ist: B ̸≺ A. Nach der oben angesprochenen Regel ist damit die Entropie von Zustand B höher als diejenige von A, es gilt S(A) < S(B). Mit anderen Worten: Bei der freien Expansion steigt die Entropie an. Das ist die erste Aussage, die wir über die Entropie des idealen Gases erhalten. Bei beiden Beispielaufgaben mussten wir die adiabatische Nichterreichbarkeit B ̸≺ A feststellen, weil sich für B beim angestrebten Volumen eine zu hohe Temperatur ergab. Es hätte Wärme abgeführt werden müssen, um Zustand A zu erreichen. Diese „abzuführende Wärme“ wird im folgenden Abschnitt eine Schlüsselrolle bei der allgemeinen Definition der Entropie spielen. Beispielaufgabe: Ideales Gas – adiabatisch-reversibler Prozess Überprüfen Sie die adiabatische Erreichbarkeit für zwei Zustände eines idealen Gases, die durch einen adiabatisch-reversiblen Prozess miteinander verknüpft sind, für die also gilt:

pA · vAκ = pC · vCκ .

(9.15)

Lösung: Schon im Zusammenhang mit dem Carnot-Prozess hatten wir die Adiabaten für das ideale Gas im v- p-Diagramm dargestellt (S. 220). Es sind die Kurven, die durch

p · vκ = konst.

(9.16)

beschrieben werden (Abb. 9.8). Die beiden Zustände A und C liegen auf der gleichen Adiabate. Bei der adiabatisch-reversiblen Kompression bewegt man sich entlang der blau eingezeichneten Linie von A nach C.

p in bar Adiabaten (Isentropen) 6

C

4

2

Abb. 9.8: Die adiabatischäquivalenten Zustände des idealen Gases bilden Kurvenscharen im v- p-Diagramm.

A

0 0.0

0.2

0.4

0.6

0.8

1.0

3

v in m /kg

254

Kapitel 9 Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße

pA VA

pC VC

TA Zustand A

TC adiabatischreversibel

Zustand C

Abb. 9.9: Der adiabatisch-reversible Prozess verbindet adiabatisch äquivalente Zustände eines idealen Gases.

Der adiabatisch-reversible Prozess findet definitionsgemäß ohne Wärmeaustausch mit der Umgebung statt – diese Forderung ist also von selbst erfüllt. Ausgehend von Zustand A wird das Gas durch einen Kolben komprimiert, bis Zustand C erreicht ist (Abb. 9.9). Die zur Kompression nötige Arbeit wird durch Absenken des Massestücks aufgebracht. Der Prozess ist reversibel und kann auch umgekehrt stattfinden. Das Gas wird dann von C nach A entspannt, wobei das Massestück angehoben wird. Damit gilt sowohl A ≺ C als auch C ≺ A. Die Zustände A und C sind adiabatisch äquivalent und haben die gleiche Entropie. Die Adiabaten sind daher auch gleichzeitig Isentropen, also Linien konstanter Entropie. Vom Standpunkt des Nutzwertes sind die Zustände A und C somit gleichwertig. Das entspricht unserer früheren Feststellung: Bei konstanter Gesamtenergie lässt sich über einen adiabatisch-reversiblen Prozess ein umkehrbarer Austausch zwischen innerer Energie und potentieller Energie erreichen (vgl. die Druckluftfeder).

9.4 Die Entropie Wir haben nun alle Bausteine für eine allgemeine Definition der Entropie beisammen. Wir wissen, dass adiabatisch äquivalente Zustände jeweils gleiche Entropien haben, und wir können mit Gl. (9.11) oder Gl. (9.12) die Entropiedifferenz für Zustände mit gleichem Volumen berechnen. Um die Entropiedifferenz zweier beliebiger Zustände A und B eines thermodynamischen Systems zu bestimmen, gehen wir in zwei Schritten vor (Abb. 9.10): (1) Wir suchen einen Zwischenzustand C, der adiabatisch äquivalent zu A ist und das gleiche Volumen wie B hat. Wegen der adiabatischen Äquivalenz hat dieser Zustand die gleiche Entropie wie A. Es gilt SA = SC . (2) Mit Gl. (9.12) bestimmen wir die Entropiedifferenz zwischen den Zuständen B und C, die beide das gleiche Volumen haben: SB − SC =

Z B dQ C

T

.

(9.17)

Wegen SA = SC ist dies auch die Entropiedifferenz zwischen A und B: SB − SA =

Z B dQ C

T

.

(9.18)

255

Abschnitt 9.4 Die Entropie

Zustand A

Zustand C

SA = SC

pA TA

pC TC

VA

VC

V = konst.

adiabatisch äquivalente Zustände

Entropiedifferenz bei konstantem Volumen: B

SB – SC = C

Zustand B

dQ T

pB, TB, VB=VC

Abb. 9.10: Vorgehensweise zur Ermittlung der Entropiedifferenz zwischen zwei Zuständen A und B: Der Zwischenzustand C ist adiabatisch äquivalent zu A und hat das gleiche Volumen wie B. Gleiche Grauwerte bezeichnen gleiche Entropiewerte.

Den Bezug auf den Zwischenzustand C können wir ganz vermeiden. Wir berücksichtigen, dass die Transformation zwischen A und C adiabatisch, also ohne Zu- oder Abfuhr von Wärme erfolgt und verschieben die untere Integrationsgrenze nach A. Damit haben wir einen quantitativen Ausdruck für die Entropie gefunden. Definition der Entropie: Die Entropiedifferenz zwischen zwei Zuständen A und B eines thermodynamischen Systems beträgt: SB − SA =

Z B dQ A

T

.

(9.19)

Die Entropie als Zustandsgröße Die durchgezogenen Linie in Abb. 9.11 veranschaulicht die Prozessführung für ein ideales Gas im v-p-Diagramm. Im ersten Schritt geht es entlang einer Adiabaten von A nach C; danach im zweiten Schritt bei konstantem Volumen von C nach B. Zum Berechnen des Integrals in Gl. (9.19) muss man über die zu- oder abgeführte Wärme Q bei der jeweiligen Temperatur T Buch führen. Unbefriedigend ist hierbei, dass die Definition der Entropie an eine bestimmte Prozessführung gebunden zu sein scheint. In Wirklichkeit ist das nicht der Fall. Die Entropie ist eine Zustandsgröße, die bestimmte Eigenschaften eines Systems in seinem jeweiligen Zustand beschreibt – unabhängig von seiner Vorgeschichte. Dies erkennt man schon an der Tatsache, dass man mit

256

Kapitel 9 Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße

p

V = konst.

C adiabatischreversibel andere mögliche Prozessführungen A B

Abb. 9.11: Veranschaulichung der Entropiebestimmung für das ideale Gas

Adiabate v

der Ordnungsrelation „adiabatische Erreichbarkeit“ thermodynamische Zustände eindeutig nach ansteigender Entropie ordnen kann. Dies ist nur möglich, wenn man jedem Zustand einen genau bestimmten Wert der Entropie zuordnen kann, wenn also die Entropie eine Zustandsgröße ist. Man kann tatsächlich zeigen – wenngleich das für eine beliebige Substanz gar nicht so einfach ist –, dass das Integral in Gl. (9.19) für alle reversiblen Prozessführungen unabhängig vom Integrationsweg ist und nur vom Anfangsund vom Endzustand abhängt. Bei der Berechnung der Entropie für das ideale Gas muss man daher nicht der durchgezogenen Linie in Abb. 9.11 folgen, sondern kann sich auch für einen der gestrichelten Wege entscheiden. Für alle reversiblen Prozessführungen ergibt sich das gleiche Resultat. Die Reversibilität bezieht sich dabei nur auf die Zustände des betrachteten Systems selbst, nicht aber auf die der Umgebung, mit der der Wärmeaustausch stattfindet. Man spricht daher von „interner Reversibilität“ und schreibt Gl. (9.19) mit dem symbolischen Index „rev“ oder „int rev“: SB − SA =

Z B dQrev A

T

.

(9.20)

Bemerkungen zur Entropiedefinition (1) Die Entropie ist eine extensive Größe (vgl. S. 21). Sie halbiert sich, wenn man ein System in zwei zustandsgleiche Teilsysteme aufspaltet. (2) Die Entropie ist additiv. Wenn ein System aus mehreren Körpern besteht, kann man den Entropienullpunkt der Teilsysteme jeweils so wählen, dass die Entropie des Gesamtsystems gleich der Summe der Entropien der Teilsysteme ist: Sges = S1 + S2 + S3 + . . . (3) Absolutwerte der Entropie lassen sich in der Thermodynamik nicht berechnen. Auch Gl. (9.19) enthält nur eine Aussage über Entropiedifferenzen. Wie schon erwähnt legt man daher einen Referenzzustand für den jeweiligen Stoff fest und gibt die Entropiedifferenz zu diesem Zustand an. Für Wasser bezieht man sich z. B. auf die flüssige Phase am Tripelpunkt (bei 0,01 °C und einem Dampfdruck von 6,12 mbar; vgl. Tabelle B.1).

257

Abschnitt 9.5 Die Entropie des idealen Gases

9.5 Die Entropie des idealen Gases Wenden wir das soeben erläuterte Schema an, um einen allgemeinen Ausdruck für die Entropie des idealen Gases zu finden. Wir ermitteln die Entropiedifferenz zwischen zwei Zuständen A und B gemäß den beiden Schritten aus Abschnitt 9.4. Die entsprechende Prozessführung ist in Abb. 9.11 als durchgezogene Linie eingezeichnet. (1) Als Erstes suchen wir den Zwischenzustand C, der adiabatisch äquivalent zu A ist und das gleiche Volumen wie B hat. Für das ideale Gas sind alle Zustände adiabatisch äquivalent, die durch eine adiabatischreversible Transformation verknüpft sind. Die erste Bedingung ist daher erfüllt, wenn: TA · VAκ −1 = TC · VCκ −1 . (9.21) Die zweite Bedingung verlangt, dass VC = VB . Damit ist der Zwischenzustand C festgelegt. (2) Um die Entropiedifferenz zu bestimmen, berechnen wir das Integral SB − SA =

Z TB dQ TC

T

=

Z TB TC

m · cV

dT . T

(9.22)

Für konstante Wärmekapazität lässt sich das Integral direkt auswerten: SB − SA = m · cV · ln

TB . TC

(9.23)

Der Bezug auf den Zwischenzustand C lässt sich eliminieren, wenn wir Gl. (9.21) nach TC auflösen,   VA κ −1 TC = TA · , (9.24) VB und in Gl. (9.23) einsetzen: "

TB SB − SA = m · cV · ln TA



VB VA

 κ −1 # .

(9.25)

Wir formen die Gleichung mit den Logarithmengesetzen ln ab = b · ln a und ln a · b = ln a + ln b um: SB − SA = m · cV · ln

TB V + m · cV · (κ − 1) · ln B . TA VA

(9.26)

Zuletzt teilen wir auf beiden Seiten durch m und gehen zur spezifischen Entropie s = S/m über. Wir benutzen die Relation cV · (κ − 1) = Rspez , die für das ideale Gas gilt (vgl. S. 421 unten), und erhalten das Ergebnis: sB − sA = cV · ln

TB v + Rspez · ln B . TA vA

(9.27)

258

Kapitel 9 Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße

Damit haben wir den gesuchten Ausdruck für die Entropie des idealen Gases gefunden: Entropie eines idealen Gases: Die Differenz der spezifischen Entropie zweier Zustände A und B eines idealen Gases beträgt: sB − sA = cV · ln

TB vB + Rspez · ln . TA vA

(9.28)

Beispielaufgabe: Entropie von Wasserdampf Berechnen Sie die Differenz der spezifischen Entropie von Wasserdampf in den Zuständen TA = 200 °C und vA = 2,17 m3 /kg bzw. TB = 500 °C und vB = 0,89 m3 /kg. Vergleichen Sie mit den Angaben in der Wasserdampftafel auf S. 411. Lösung: Wir setzen die oben angegebenen Werte in Gl. (9.28) ein. Für cV und Rspez verwenden wir die Angaben aus Tabelle B.8:

0,89 kJ 773 K kJ sB − sA = 1,548 · ln + 0,462 · ln kg · K 473 K kg · K 2,17 Man erhält:

sB − sA = 0,348

kJ . kg · K

m3 kg m3 kg

.

(9.29)

(9.30)

In der Wasserdampftafel ist die spezifische Entropie tabelliert. Für die beiden Zustände lesen wir ab:

sA = 7,84

kJ , kg · K

sB = 8,19

kJ . kg · K

(9.31)

Die Differenz der beiden tabellierten Werte stimmt mit dem aus Gl. (9.28) berechneten Wert überein:

sB − sA = 0,35

kJ . kg · K

(9.32)

p isobare Kompression D

p = konst.

A

isochore Abkühlung V = konst. B v

Abb. 9.12: Alternative Prozessführung für die Berechnung der Entropie des idealen Gases

259

Abschnitt 9.5 Die Entropie des idealen Gases

Beispielaufgabe: Unabhängigkeit der Entropie von der Prozessführung Illustrieren Sie die Unabhängigkeit der Entropiedefinition von der Prozessführung, indem Sie eine alternative Herleitung von Gl. (9.28) mit dem in Abb. 9.12 gezeigten Integrationsweg geben. Lösung: Gesucht ist die Entropiedifferenz zwischen zwei Zuständen A und B eines idealen Gases. Das Integral aus der Entropiedefinition (9.19) wird entlang eines Weges ausgewertet, der zwei reversible Teilstücke enthält: eine isobare Kompression von A nach D, gefolgt von einer Abkühlung bei konstantem Volumen (isochor) von D nach B. Der Zwischenzustand D hat den gleichen Druck wie Zustand A und das gleiche Volumen wie Zustand B. Aus der Bedingung p A = p D lässt sich mit der Zustandsgleichung des idealen Gases die Temperatur von D ermitteln:

TD = TA ·

VD V = TA · B . VA VA

(9.33)

(1) Isobare Kompression von A nach D: Bei konstantem Druck gilt nach Gl. (6.56) für die übertragene Wärme dQ = m · c p · dT . Daher ist für das Teilstück A → D: Z TD

SD − SA =

TA

m · cp

dT T = m · c p · ln D . T TA

(9.34)

VB . VA

(9.35)

Mit Gl. (9.33) erhält man:

SD − SA = m · c p · ln

(2) Isochore Abkühlung von D nach B: Die Abkühlung bei konstantem Volumen von D nach B verläuft nach dem nun schon vertrauten Muster: Z TB

SB − SD =

TD

m · cV

dT T = m · cV · ln B . T TD

(9.36)

Einsetzen von TD ergibt:

 SB − SD = m cV ln

TB VA · TA VB



= m cV ln

TB V − m cV ln B . TA VA

(9.37)

Nimmt man die beiden Teilprozesse zusammen, so folgt insgesamt:

SB − SA = ( SB − SD ) + ( SD − SA )

= m cV ln

TB V + m (c p − cV ) ln B . TA VA

(9.38)

Berücksichtigt man nun noch Rspez = c p − cv , und geht zu spezifischen Größen über, so erhält man das gleiche Ergebnis wie in Gl. (9.28):

sB − sA = cV ln

TB v + Rspez ln B . TA vA

(9.39)

Die Wegunabhängigkeit des Integrals in der Entropiedefinition (9.19) bestätigt sich somit für die beiden hier betrachteten unterschiedlichen Prozessführungen.

260

Kapitel 9 Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße

9.6 Unterirdische Verbindungen 9.6.1 Der Satz von Duhem

Mit der Entropie haben wir eine neue Größe zur Beschreibung thermodynamischer Zustände kennengelernt. Anders als z. B. die Enthalpie, die aufgrund ihrer Definitionsgleichung H = U + pV unmittelbar durch andere Zustandsgrößen ausgedrückt werden kann, lässt sich die Entropie nicht ohne Weiteres auf die bisher bekannten Zustandsgrößen zurückführen. Sie charakterisiert thermodynamische Zustände auf neue Weise. Das Neue, das sie ausdrückt, haben wir als die Qualität der Energie im jeweiligen Zustand interpretiert. Die Fülle der Zustandsgrößen, die wir zur Beschreibung thermodynamischer Systeme verwenden können, führt allerdings auch zu einer gewissen Unübersichtlichkeit – einer der Hauptgründe, weshalb die Thermodynamik vielen Lernenden so schwierig erscheint. Müssen wir, um den Zustand eines Systems vollständig zu beschreiben, wirklich die ganze lange Liste der thermodynamischen Variablen einzeln aufführen? Oder reicht die Angabe einiger weniger Größen dazu aus? Auf diese Frage gibt es eine erstaunlich einfache Antwort: Mit zwei beliebigen unabhängigen Variablen ist der Zustand eines einfachen thermodynamischen Systems vollständig beschrieben. Alles andere ist durch diese Angabe festgelegt (Abb. 9.13). Um die Aussage präziser zu formulieren, muss der Begriff des einfachen thermodynamischen Systems genauer bestimmt werden werden. Man versteht darunter ein System, in dem Oberflächeneffekte, magnetische und elektrische Effekte sowie makroskopische Bewegungen und Gravitation keine Rolle spielen. Es darf aus verschiedenen chemischen Komponenten und verschiedenen Phasen bestehen, darf aber nicht inkompressibel sein. Für einfache thermodynamische Systeme gilt der Satz von Duhem: Unabhängig von der Zahl der Phasen ist der Gleichgewichtszustand eines geschlossenen einfachen thermodynamischen Systems mit bekannter chemischer Zusammensetzung durch die Angabe von zwei unabhängigen Variablen vollständig bestimmt. Wichtig ist die Voraussetzung, dass die beiden angegebenen Variablen unabhängig sein müssen. Bei Druck und spezifischem Volumen ist dies beispielsweise immer der Fall, nicht aber bei Druck und Temperatur, die am Phasengleichgewicht von Wasser und Dampf nicht unabhängig voneinander variiert werden können. Mit „bekannter chemischer Zusammensetzung“ ist gemeint, dass man wie bei einem Kuchenrezept die jeweiligen Mengen der Stoffe angibt, aus denen das System besteht. Damit ist insbesondere die Masse des Systems bekannt. Oft wird der Satz auch spezieller für chemisch homogene Systeme (vgl. S. 17) formuliert: Ihr Zustand ist durch die Angabe zweier unabhängiger Zustandsgrößen und der Gesamtmasse bestimmt. Wir wollen uns im Folgenden auf diesen Fall beschränken.

261

Abschnitt 9.6 Unterirdische Verbindungen

Druck: p (T, V) =

Rspez· T V /m

Innere Energie: U(T, V) = m · cV · T T, V Entropie: S(T, V) = m · cV · ln

T V + m ·Rspez· ln + S0 V0 T0

Abb. 9.13: Illustration des Satzes von Duhem für das ideale Gas: Sind zum Beispiel T und V bekannt, so lassen sich alle anderen Zustandsgrößen bestimmen.

9.6.2 Stoffmodelle und Zustandsgleichungen

Unsere Liste der thermodynamischen Variablen umfasst inzwischen die Zustandsgrößen p, V, T, U und S. Nach dem Satz von Duhem wären so viele Größen zur Festlegung des Zustands eines thermodynamischen Systems gar nicht notwendig. Trotzdem ist es sinnvoll, an ihnen allen festzuhalten – und bei Bedarf sogar noch neue Zustandsgrößen wie die Enthalpie aus ihnen zu konstruieren. Welche Größen zur Beschreibung eines Zustands herangezogen werden, hängt ganz von den jeweiligen experimentellen Umständen ab. Oft lassen sich Temperatur und Druck leicht messen und kontrollieren. Bei einem adiabatisch-reversiblen Prozess bleibt die Entropie konstant; bei isobaren Prozessen ist die Enthalpie eine nützliche Größe. Weil alle experimentellen Bedingungen adäquat darstellbar sein sollen, benötigt die Thermodynamik eine große Flexibilität in der Wahl ihrer Variablen. Sie ist eine Theorie, die Systeme mit wenigen Freiheitsgraden durch viele Variablen beschreibt. Zustandsgleichungen und Stoffmodelle in Tabellenform Vor diesem Hintergrund stellt sich eine der Grundaufgaben der Thermodynamik wie folgt dar: Durch Experimente oder theoretische Überlegungen bemüht man sich um eine möglichst vollständige Beschreibung der untersuchten Stoffe. Ein vollständiges Stoffmodell muss es uns ermöglichen, aus zwei Zustandsgrößen alle übrigen zu erschließen. Wie dies funktionieren kann, illustrieren die Dampftafeln im Anhang. Aus den Tabellen für den überhitzten Dampf von Wasser und von R-134a lassen sich aus jeweils zwei Angaben die restlichen Zustandsgrößen ermitteln. In den Beispielaufgaben haben wir dies schon mehrfach ausgenutzt (etwa auf S. 147 oder S. 239). Das Stoffmodell kann auch – wie beim idealen Gas – in Gleichungsform vorliegen. Man könnte meinen, dass in diesem Fall eine Vielzahl von unabhängigen Relationen gefunden werden muss, um aus zwei vorgegebenen Zustandsgrößen alle anderen zu berechnen. Überraschenderweise ist das nicht der Fall. Die vollständige thermodynamische Information über einen Stoff ist in zwei Gleichungen enthalten: (1) in der thermischen Zustandsgleichung, die eine Beziehung zwischen den Zustandsgrößen p, T und V herstellt, und (2) der kalorischen Zustandsgleichung, die ebendies für U, T und V leistet.

262

Kapitel 9 Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße

Diese beiden Gleichungen beinhalten ein vollständiges Stoffmodell für chemisch homogene Systeme. In ihnen sind implizit die zahlreichen Verknüpfungen enthalten, die zwischen den anderen Zustandsgrößen existieren. Thermische und kalorische Zustandsgleichung reichen aus, um einen Stoff thermodynamisch vollständig zu charakterisieren. Es existieren noch weitergehende Verknüpfungen: Die beiden Zustandsgleichungen sind nicht voneinander unabhängig. Wir werden auf S. 265 einen Zusammenhang zwischen ihnen aufzeigen, der es in der Praxis erlaubt, die kalorische Zustandsgleichung aus der thermischen Zustandsgleichung mit Hilfe weniger zusätzlicher Angaben zu gewinnen. 9.6.3 Die gibbssche Fundamentalgleichung und die T-dS-Relation

Noch mächtiger ist eine Beziehung zwischen den drei Zustandsgrößen S, U und V, die in einer der beiden folgenden Formen angegeben wird: S = S(U, V )

oder

U = U (S, V ).

(9.40)

Eine solche Relation wird (nach J. W. Gibbs) als gibbssche Fundamentalgleichung bezeichnet. Sie enthält – als einzelne Gleichung – die vollständige Information über ein chemisch homogenes System. Mehr gibt es nicht herauszufinden; alles andere folgt aus allgemeinen thermodynamischen Beziehungen. Die Fundamentalgleichung S = S(U, V ) oder U = U (S,V ) enthält die vollständige thermodynamische Information über ein chemisch homogenes System. Aus der Fundamentalgleichung lässt sich eine wichtige Relation gewinnen, die infinitesimale Entropiedifferenzen zwischen zwei Zuständen durch andere Zustandsgrößen ausdrückt. Zur Herleitung nehmen wir die Fundamentalgleichung in der Form U = U (S,V ) als gegeben an. Wir betrachten die Änderung der inneren Energie in Abhängigkeit von einem Kontrollparameter z (vgl. S. 159). Wird U als Funktion der Variablen S und V aufgefasst, so gilt nach der Kettenregel der mathematische Zusammenhang:     dU ∂U dS ∂U dV = · + · . (9.41) dz ∂S V dz ∂V S dz Wir erinnern noch einmal daran, dass der Index an der Klammer eine Größe bezeichnet, die bei der Differentiation als Konstante behandelt wird. Zur physikalischen Interpretation dieser mathematischen Beziehung führen wir einen Koeffizientenvergleich mit dem ersten Hauptsatz (Gl. (6.45)) durch: dU dQ dV = −p . dz dz dz

(9.42)

Abschnitt 9.6 Unterirdische Verbindungen

Aus dem Vergleich ergeben sich die beiden folgenden Relationen:     ∂U ∂U −p = und dQ = · dS. ∂V S ∂S V

263

(9.43)

Da sich die Entropiedifferenz durch die bei einem reversiblen Prozess übertragene Wärme ausdrücken lässt, dS = dQ/T, identifizieren wir in der zweiten Relation:   ∂U T= . (9.44) ∂S V Mit diesen beiden Beziehungen wird aus Gl. (9.41): dU dS dV =T −p , dz dz dz oder, unter Fortlassung des Kontrollparameters: dU = T dS − p dV.

(9.45)

(9.46)

Damit haben wir eine der zentralen Gleichungen der Thermodynamik gefunden. Sie wird oft ebenfalls als Fundamentalgleichung bezeichnet. Häufiger begegnet man ihr unter dem Namen T-dS-Relation. Man kann sie als eine Gleichung für infinitesimale Entropiedifferenzen auffassen. T-dS-Relation für die Entropie: T dS = dU + p dV .

(9.47)

Es muss betont werden, dass es sich bei der T-dS-Relation nicht um eine Variante des ersten Hauptsatzes handelt. Der erste Hauptsatz drückt die Energieerhaltung aus, während Gl. (9.47) thermodynamische Zustandsgrößen in Verbindung setzt – was deutlich an der Ausgangsgleichung (9.41) erkennbar ist. Der Vergleich mit dem ersten Hauptsatz dient nur zur Interpretation der auftretenden Terme. Im strikt thermodynamischen Sinn ist der Bezug auf die Energieerhaltung nicht notwendig; die Gleichungen (9.43) und (9.44) kann man als axiomatische Definition des Drucks und der Temperatur auffassen. Ebenso ist der zur Interpretation verwendete Bezug auf reversible Prozesse nebensächlich. Gl. (9.47) stellt eine Beziehung zwischen thermodynamischen Zuständen her. Sie sagt nichts über die Vielfalt der möglichen Prozesse aus, die zwischen diesen Zustände ablaufen können. Versuchen wir nun, diese recht abstrakten Überlegungen mit Leben zu erfüllen, indem wir sie auf konkrete Beispiele anwenden. Wir werden dabei auf einige der zahlreichen verborgenen Verknüpfungen stoßen, die nach dem Satz von Duhem zwischen den Zustandsgrößen der Thermodynamik im Verborgenen existieren. Das Aufspüren dieser oftmals nicht leicht zu entdeckenden unterirdischen Verbindungen trägt einen Reiz in sich, der die Physiker von jeher fasziniert hat. Hier wird sichtbar, weshalb die Thermodynamik als die vornehmste Disziplin der klassischen Physik gilt.

264

Kapitel 9 Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße

Beispielaufgabe: Fundamentalgleichung und Zustandsgleichungen Zeigen Sie, dass sich aus der Fundamentalgleichung des idealen Gases

S(U,V ) − S0 = m · cV · ln

U V + m · Rspez · ln U0 V0

(9.48)

sowohl die thermische als auch die kalorische Zustandsgleichung herleiten lassen. Lösung: Wir schreiben die T -dS-Relation als Beziehung für die differentielle Änderung der Größe S(U,V ):

dS 1 dU p dV = + dz T dz T dz

(9.49)

und lesen durch Vergleich mit der zu Gl. (9.41) analogen Gleichung ab:

p = T



∂S ∂V

 und U

1 = T



∂S ∂U

 (9.50)

. V

In die erste der beiden Gleichungen setzen wir S(U,V ) aus Gl. (9.48) ein (wobei wir nicht vergessen, die innere Ableitung des Logarithmus zu berücksichtigen):

p V @0 · 1 . = m · Rspez · @ T V @ V @0

(9.51)

Mit v = V/m ergibt sich die thermische Zustandsgleichung des idealen Gases:

p · v = Rspez · T.

(9.52)

Aus der zweiten Gleichung (9.50) erhalten wir:

1 U0 1 Z = m · cV · Z · . T U Z U Z0

(9.53)

Das ist die kalorische Zustandsgleichung des idealen Gases:

U = m · cV · T.

(9.54)

Die innere Energie ist unabhängig vom Volumen und proportional zur Temperatur. Setzt man Gl. (9.54) in die Fundamentalgleichung (9.48) ein, so erhält man S als Funktion von T und V , und die resultierende Gleichung stimmt mit Gl. (9.28) überein.

9.6.4 Maxwell-Relationen

Die Gleichungen (9.43) und (9.44) zeigen, dass man die intensiven Zustandsgrößen als partielle Ableitungen der inneren Energie oder der Entropie schreiben kann. Aus dieser Tatsache folgen einige weitere nützliche Beziehungen. Aus der Analysis wissen wir, dass bei den zweiten partiellen Ableitungen die Reihenfolge der Differentiationen keine Rolle spielt. Es gilt: ∂2 U ∂2 U = . ∂S ∂V ∂V ∂S

(9.55)

265

Abschnitt 9.6 Unterirdische Verbindungen

Angewendet auf Gl. (9.43) und (9.44) ergibt sich:     ∂p ∂T − = . ∂S V ∂V S

(9.56)

Es lassen sich noch mehrere Beziehungen dieser Art gewinnen. Sie tragen den Namen Maxwell-Relationen und lauten: Maxwell-Relationen:     ∂p ∂T − = , ∂S V ∂V S     ∂S ∂p = , ∂V T ∂T V



 ∂V , ∂S P S     ∂S ∂V =− . ∂P T ∂T P ∂T ∂P





=

(9.57)

Beispielaufgabe: Thermische und kalorische Zustandsgleichung Zeigen Sie mit Hilfe der T -dS-Relation und der Maxwell-Relationen, dass zwischen thermischer und kalorischer Zustandsgleichung eine Verknüpfung besteht. Lösung: Wir suchen eine Verknüpfung zwischen U und den Variablen p, V , T aus der thermischen Zustandsgleichung. Wir sehen T und V als vorgegebene Variablen an und schreiben ganz allgemein für die Änderung von U in Bezug auf diese Variablen:

 dU =

∂U ∂T



 dT +

V

∂U ∂V

 dV.

(9.58)

T

Nach Gl. (6.49) ist der erste Term auf der rechten Seite gleich m cV :

 dU = m · cV · dT +

∂U ∂V

 dV.

(9.59)

T

Wir setzen Gl. (9.59) in die T -dS-Relation ein:

1 p dU + dV T T     1 1 ∂U p = m · cV · dT + + dV. T T ∂V T T

dS =

(9.60)

Wenn man S als Funktion von T und  V betrachtet, entspricht der Ausdruck in eckigen ∂S ∂V T , für den nach der dritten Maxwell-Relation gilt:

Klammern gerade dem Term



∂S ∂V





= T

∂p ∂T

 (9.61)

. V

Wir setzen dies mit dem Ausdruck in eckigen Klammern gleich:



∂p ∂T



= V

1 T



∂U ∂V



+ T

p , T

(9.62)

266

Kapitel 9 Fundamentale Konzepte: Die Entropie als Zustandsgröße

oder, umgeformt:



∂U ∂V





=T· T

∂p ∂T





∂p ∂T

− p.

(9.63)

V

Das Zurück-Einsetzen in Gl. (9.59) ergibt:

 dU = m · cV · dT +





 − p dV.

(9.64)

V

Damit ist das Ziel erreicht. Die Gleichung drückt die innere Energie als Funktion von T und V aus, den unabhängigen Variablen der kalorischen Zustandsgleichung. Auf der rechten Seite, in der nur die Variablen p, V und T vorkommen, lässt sich p mit der thermischen Zustandsgleichung eliminieren, und es ergibt sich eine Differentialgleichung für U ( T,V ). Auf diese Weise kann die kalorische auf die thermische Zustandsgleichung zurückgeführt werden. Nur die bei der Integration auftretenden Integrationskonstanten müssen experimentell bestimmt werden.

Beispielaufgabe: Zustandsgleichungen beim idealen Gas Wenden Sie den in Gl. (9.64) gefundenen Zusammenhang an, um aus der thermischen Zustandsgleichung des idealen Gases die kalorische Zustandsgleichung herzuleiten. Lösung: Wir gehen von der thermischen Zustandsgleichung aus und schreiben p als Funktion von T und V :

p( T, V ) =

Rspez · T . V/m

(9.65)

Demnach wird die partielle Ableitung in Gl. (9.64):



∂p ∂T



= V

Rspez . V/m

(9.66)

Einsetzen in Gl. (9.64) führt zu:

 dU = m · cV · dT +

T· |

 Rspez − p dV. V/m {z }

(9.67)

=0

Der Term in eckigen Klammern verschwindet wegen der thermischen Zustandsgleichung des idealen Gases, und es bleibt:

dU = m · cV · dT.

(9.68)

Die Tatsache, dass beim idealen Gas die innere Energie unabhängig vom Volumen ist, wird somit bereits durch die thermische Zustandsgleichung des idealen Gases erzwungen. Durch Gl. (9.68) ist die kalorische Zustandsgleichung bis auf eine Integrationskonstante festgelegt:

U ( T,V ) = m · cV · T + U0 .

(9.69)

10 Der zweite Hauptsatz

268

Kapitel 10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz

Abb. 10.1: Das Abbrennen einer Kerze ist ein irreversibler Prozess.

10.1 Irreversible Prozesse Ein Luftballon platzt, eine Kerze brennt nieder, eine Tasse Kaffee kühlt sich auf Zimmertemperatur ab. Vorgänge wie diese erleben wir tagtäglich (Abb. 10.1). Sie haben gemeinsam, dass sie von selbst nur in eine Richtung ablaufen. Sie sind irreversibel. Die umgekehrte Prozessrichtung kommt in der Natur nicht vor. Nimmt man einen irreversiblen Prozess mit einer Filmkamera auf und lässt den Film anschließend rückwärts ablaufen, merkt man sofort, dass der Prozess sich so nicht ereignet haben kann. Die Kerze, die Wärme und Gase aus der Umgebung aufnimmt und dabei langsam größer wird, kommt in der Realität ebenso wenig vor wie die lauwarme Tasse Kaffee, die sich durch Wärmeaufnahme aus der Umgebung spontan auf Trinktemperatur erhitzt. Irreversible Vorgänge sind oft komplex. Viele davon lassen sich aber auf eine kleine Anzahl prototypischer Prozesse zurückführen, die die Mechanismen der Irreversibilität illustrieren: (1) Wärmeübertragung beim Ausgleich einer Temperaturdifferenz ∆T Bringt man zwei gleichartige Kupferblöcke mit T = 20 °C und T = 80 °C in Kontakt, so gleichen sich ihre Temperaturen im Lauf der Zeit an. Wenn Wärmeverluste vermieden werden, haben beide am Ende eine Temperatur von 50 °C. Der umgekehrte Prozess kommt nicht vor, obwohl er mit dem Energieerhaltungssatz verträglich wäre: Niemals heizt sich einer von zwei gleich warmen Kupferblöcken selbständig auf, während der andere sich abkühlt. Auch das Mischen von Flüssigkeiten oder Gasen mit verschiedener Temperatur ist ein irreversibler Prozess. Gießt man heißes und kaltes Wasser zusammen, erhält man lauwarmes Wasser mit einer mittleren Temperatur. Das Umgekehrte geschieht niemals.

Abschnitt 10.2 Bilanzgleichung für die Entropie

269

(2) Materietransport beim Ausgleich einer Druckdifferenz ∆p Den für diese Art von Irreversibilität charakteristischen Prozess haben wir schon auf S. 252 behandelt: die freie Expansion eines Gases. Zwischen den beiden Kammern in Abb. 9.7 herrscht zu Anfang eine Druckdifferenz von 2 bar. Wird die Trennwand entfernt, so verteilt sich das Gas gleichmäßig im zur Verfügung stehenden Raum, bis der Druck überall gleich ist. Der umgekehrte Prozess, das spontane „Zusammenballen“ des Gases in der einen Hälfte des Kastens, kommt in der Natur nicht vor. (3) Reibung und die Dissipation von Energie Eine Kugel rollt in einer Mulde hin und her. Durch Reibung wird ihre kinetische Energie immer geringer, bis sie nach einer Weile zum Stillstand kommt. Die Kugel selbst und der Untergrund haben sich dabei leicht erwärmt. Die ursprüngliche Energie der Kugel ist also nicht verloren gegangen, sondern sie ist „zerstreut“ worden. Diese Zerstreuung von Energie bezeichnet man als Dissipation. Sie tritt in zahlreichen Vorgängen des Alltags auf. Ein Tennisball, den man auf den Boden fallen lässt, springt z. B. nicht mehr bis zu seiner ursprünglichen Höhe, weil beim Aufprall auf den Boden Energie dissipiert wird. Der umgekehrte Prozess, bei dem ein ruhender Tennisball unter Abkühlung des Untergrunds spontan in die Höhe springt, ist noch nie beobachtet worden. (4) Entladen eines Kondensators über einen Widerstand Elektrische und magnetische Prozesse können ebenfalls irreversibel verlaufen. Entlädt man z. B. einen Kondensator über einen Widerstand, so steigt dessen Temperatur, und die ursprünglich im Kondensator gespeicherte Energie wird als Wärme an die Umgebung abgegeben. Auch hier handelt es sich um Dissipation von Energie. Einen ähnlichen Prozess haben wir am Beispiel der Heizdrähte in einem Backofen diskutiert (vgl. S. 131). Der umgekehrte Vorgang findet dagegen nicht statt. Der Kondensator lässt sich nicht dadurch aufladen, dass am Widerstand Wärme aus der Umgebung aufgenommen wird. (5) Irreversible chemische Reaktionen Viele chemische Reaktionen sind irreversibel, z. B. die Verbrennung von Benzin oder die chemischen Vorgänge beim Abbrennen einer Kerze. Ein großes Teilgebiet der Thermodynamik widmet sich den chemischen Reaktionen. Der begrenzte Umfang dieses Buches lässt es nicht zu, auf diese Themen einzugehen. Dennoch halten wir fest, dass chemische Reaktionen eine wichtige Ursache von Irreversibilität darstellen.

10.2 Bilanzgleichung für die Entropie Die Beschreibung irreversibler Prozesse mit dem Begriff der Entropie führt uns zu einer zentralen Aussage der Thermodynamik – zum zweiten Hauptsatz. Um Verständnisprobleme zu vermeiden, muss dabei eine wichtige Unterscheidung vorausgeschickt werden: Im vorigen Kapitel haben wir die En-

270

Kapitel 10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz

Entropie zu Beginn

Entropieerzeugung DiS

S(t1)

DeS

Entropie am Ende S(t2)

Q Anfangszustand

Entropieübertragung

Endzustand

Abb. 10.2: Die Entropie kann sich durch Entropieübertragung über die Systemgrenzen und durch Entropieerzeugung innerhalb der Systemgrenzen ändern.

tropie als eine Größe eingeführt, die Auskunft über Zustände thermodynamischer Systeme gibt. Wir haben sie als ein Maß für die Qualität der Energie in einem Zustand interpretiert. Jetzt wollen wir uns der Beschreibung von Prozessen zuwenden, die zwischen einem Anfangs- und einem Endzustand ablaufen. Während eines Prozesses kann sich die Entropie des Systems ändern. Beim Erstellen der Entropiebilanz gehen wir nach dem gleichen Schema wie in Kapitel 6 vor. Dort haben wir eine Bilanzgleichung für die Energie aufgestellt und damit den ersten Hauptsatz formuliert. Auch bei der Entropie analysieren wir den betrachteten Prozess in drei Schritten: a) Prozess identifizieren Wir grenzen das System von seiner Umgebung ab und geben die Zeitdauer des betrachteten Prozesses an: In einer Skizze (Abb. 10.2) zeichnen wir die Systemgrenzen als gestrichelte Linien ein. Außerdem notieren wir den Anfangszeitpunkt t1 und den Endzeitpunkt t2 des betrachteten Prozesses. b) Systemgrenzen klassifizieren Sind die Systemgrenzen so beschaffen, dass der Austausch von Energie und Materie unterbunden wird? Dann ist das System isoliert. Wenn Energie über die Systemgrenzen ausgetauscht werden kann, aber keine Materie, so ist das System geschlossen. Offene Systeme, bei denen auch Materieaustausch möglich ist, werden wir in Abschnitt 10.8 analysieren. c) Entropiebilanz erstellen Das Aufstellen der Entropiebilanz wird in Abb. 10.2 veranschaulicht. Wir ermitteln zunächst die Entropie S(t1 ) des Systems im Anfangszustand. Mit Hilfe der Formeln aus dem vorigen Kapitel berechnen wir die jeweilige Entropie für alle Flüssigkeiten, Gase und Festkörper (und gegebenenfalls auch für Strahlung) innerhalb der Systemgrenzen. Die Summe all dieser Beiträge ergibt die Entropie S(t1 ) des Systems zum Zeitpunkt t1 . Auf die gleiche Weise wird auch die Entropie S(t2 ) des Endzustands ermittelt. Die Entropieänderung während des Prozesses ist durch die Entropiedifferenz zwischen Anfangs- und Endzustand gegeben.

Abschnitt 10.2 Bilanzgleichung für die Entropie

271

Mechanismen der Entropieänderung Nun tritt der entscheidende Unterschied zwischen Energie- und Entropiebilanz zutage. Im Gegensatz zur Energie ist die Entropie keine Erhaltungsgröße. Während der erste Hauptsatz jede Änderung der Energie darauf zurückführt, dass Energie die Systemgrenzen überquert, gibt es bei der Entropie zwei unabhängige Mechanismen der Entropieänderung: (1) Entropie kann – wie die Energie beim ersten Hauptsatz – während des Prozesses über die Systemgrenzen zu- oder abgeführt werden (blauer Pfeil in Abb. 10.2). Diesen Beitrag zur Entropieänderung bezeichnet man mit einer auf Prigogine (1947) zurückgehenden Notation mit ∆e S. Der Index „e“ steht für „extern“, also „von außen kommend“. (2) Entropie kann aber auch innerhalb des Systems erzeugt werden, selbst wenn die Systemgrenzen weder von Energie noch von Materie überquert werden. Dieser Beitrag zur Entropieänderung wird mit ∆i S bezeichnet (der Index „i“ steht für „intern“). Die Entropieerzeugung wird durch irreversible Vorgänge verursacht, die während des betrachteten Prozesses im System ablaufen. Ein Beispiel ist die freie Expansion eines Gases ins Vakuum (S. 252), wo die Entropie ansteigt, wenn sich das Gas irreversibel über das ganze Volumen verteilt. Die Bilanzgleichung der Entropie besagt, dass die Entropiedifferenz zwischen End- und Anfangszustand auf diese beiden Mechanismen der Entropieänderung zurückgeht: Entropiebilanz für geschlossene Systeme: S(t2 ) − S(t1 ) = ∆e S + ∆i S.

(10.1)

Bei offenen Systemen kann Entropie zusätzlich noch durch ein- oder ausströmende Materie über die Systemgrenzen transportiert werden. Man kann die Bilanzgleichung für die Entropie auch in differentieller Form schreiben, indem man durch ∆t dividiert und das betrachtete Zeitintervall immer kleiner macht. Dann erhält man eine Gleichung für die Änderungsrate der Entropie im System: dS de S di S = + . (10.2) dt dt dt Der erste Term auf der rechten Seite steht für die Entropie, die pro Sekunde die Systemgrenzen überquert, während der zweite Term die Rate der Entropieerzeugung innerhalb des Systems angibt. Das Denken in Raten ist immer dann von Vorteil, wenn man kontinuierlich ablaufende Prozesse betrachtet. So wie man die Ergiebigkeit einer Wasserquelle nicht in Litern, sondern in Litern pro Sekunde angibt, kann man auch Entropie- oder Energieumsätze durch die Angabe einer Rate – der zeitlichen Ableitung der betreffenden Größe – auf die Zeiteinheit beziehen.

272

Kapitel 10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz

Abb. 10.3: Beim Mischen von heißem und kaltem Wasser wird Entropie erzeugt.

Beispielaufgabe: Entropieerzeugung beim Mischen von heißem und kaltem Wasser In den Duschen von Hotels und Sportstätten hat das warme Wasser oft eine Temperatur von 60 °C. Zum Duschen ist das viel zu heiß; es besteht sogar Verbrühungsgefahr. Eine angenehme Temperatur wird durch Mischen von heißem und kaltem Wasser erreicht. Bei diesem irreversiblen Prozess wird Entropie erzeugt. Heißes Wasser von 60 °C und kaltes Wasser von 20 °C sollen so vermischt werden, dass sich eine angenehme Duschtemperatur von 40 °C ergibt. Berechnen Sie die dabei erzeugte Entropie ∆i S. Nehmen Sie an, dass für einmal Duschen 40 Liter Wasser benötigt werden. Modellieren Sie das Wasser als inkompressible Substanz und vernachlässigen Sie Wärmeverluste an die Umgebung. Lösung: Um 40 Liter Wasser mit einer Temperatur von 40 °C zu erhalten, benötigt man 20 Liter Wasser mit 60 °C und 20 Liter Wasser mit 20 °C. Das unvermischte Wasser bildet den Anfangszustand des Prozesses, das vermischte Wasser den Endzustand (Abb. 10.3). Da wir es mit einem isolierten System zu tun haben, ist ∆e S = 0. Die Bilanzgleichung für die Entropie lautet: ∆i S = S(nachher) − S(vorher). (10.3) Wir betrachten das Wasser als inkompressible Substanz mit der konstanten Wärmekapazität c = 4,19 kJ/(kg K). Entropiedifferenzen zwischen zwei Zuständen A und B lassen sich deshalb mit Gl. (9.11) berechnen:

SB − SA =

Z TB TA

c·m

dT T = c · m · ln B . T TA

(10.4)

Um diese Gleichung anzuwenden, ist es rechnerisch von Vorteil, den Endzustand gedanklich in 2 × 20 Liter Wasser aufzuteilen und die Entropieänderung für beide Anteile separat zu berechnen. Die ersten 20 kg kühlen sich beim Temperaturausgleich von 60 °C auf 40 °C ab. Die Entropieänderung beträgt somit:

S40 ◦ C − S60 ◦ C = 4,19

kJ · 20 kg · ln kg · K



313 K 333 K



= −5,19

kJ . K

(10.5)

Der zweite Anteil erwärmt sich von 20 °C auf 40 °C. Für ihn ist die Entropieänderung:

S40 ◦ C − S20 ◦ C = 4,19

kJ · 20 kg · ln kg · K



313 K 293 K



= +5,53

kJ . K

(10.6)

273

Abschnitt 10.2 Bilanzgleichung für die Entropie

Die Entropieänderung des gesamten Systems ergibt sich durch Addition der beiden Einzelergebnisse:

∆i S = S(nachher) − S(vorher) = −5,19

kJ kJ kJ + 5,53 = +0,34 . K K K

(10.7)

Die Entropie des Systems nimmt beim Mischen von heißem und kaltem Wasser also insgesamt zu. Da mit der Entropieerzeugung durch irreversible Prozesse immer eine Energieentwertung (also eine Verminderung der Qualität der Energie) verbunden ist, kann man nach Optimierungsmöglichkeiten suchen. Im vorliegenden Fall läge die thermodynamisch effizienteste Lösung darin, auf das Mischen zu verzichten und das heiße Wasser nur bis zur wirklich benötigten Temperatur von 40 °C zu erhitzen. Im öffentlichen und gewerblichen Bereich kann dieses Einsparpotential aus hygienischen Gründen nicht genutzt werden. Bei Wassertemperaturen zwischen 20 °C und 60 °C besteht die Gefahr, dass sich bestimmte Bakterien, die Legionellen, im Rohrleitungssystem vermehren. Beim Einatmen von zerstäubtem Wasser, das Legionellen enthält, kann es zur lebensgefährlichen Legionärskrankheit kommen. Die hohen Wassertemperaturen haben den Zweck, die Bakterien abzutöten.

10.2.1 Eine Formel für die übertragene Entropie ∆e S

Um eine Formel für ∆e S zu gewinnen, greifen wir auf die Ergebnisse aus dem letzten Kapitel zurück. Wir betrachten einen Prozess, bei dem im Inneren des Systems nur reversible Vorgänge ablaufen (d. h. einen intern reversiblen Prozess). Da in diesem Fall im Systeminneren keine Entropie durch irreversible Vorgänge erzeugt wird, ist ∆i S = 0, und Gl. (10.1) wird zu: S(t2 ) − S(t1 ) = ∆e S.

(10.8)

Andererseits können wir die Entropiedifferenz zwischen Anfangs- und Endzustand mit Hilfe der Entropiedefinition (9.20) durch die Wärme ausdrücken, die bei einem intern reversiblen Prozess übertragen wird: S ( t2 ) − S ( t1 ) =

Z t2 dQ

T

t1

.

(10.9)

Durch Vergleich von Gl. (10.8) mit Gl. (10.9) erhalten wir den folgenden Ausdruck für ∆e S, der auch seine Gültigkeit behält, wenn im Systeminneren nicht nur reversible Vorgänge ablaufen: Bei einem Prozess über die Systemgrenzen übertragene Entropie: ∆e S =

Z t2 dQ t1

T

.

(10.10)

Die Gleichung besagt, dass sich die Entropie eines Systems durch Wärmezufuhr oder -abfuhr ändern lässt. Wird dem System Wärme zugeführt, dann nimmt seine Entropie zu. Durch Wärmeabfuhr kann die Entropie des Systems verringert werden.

274

Kapitel 10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz

Anders als beim ersten Hauptsatz spielt die Arbeit, die bei einem Prozess die Systemgrenzen überquert, für die Entropiebilanz keine Rolle. Dies steht im Einklang mit der Interpretation der Entropie als ein Maß für die Qualität der Energie im System. Die Zufuhr von elektrischer oder mechanischer Arbeit vermindert die Qualität der Energie nicht. Es handelt sich um „hochwertige“ Energie, die man prinzipiell für alle Zwecke einsetzen kann, etwa zum Anheben einer Last. Entsprechend ändert sich die Entropie des Systems nicht, wenn Energie als Arbeit die Systemgrenzen überquert. Die „weniger wertvolle“ Wärme hingegen vermindert die Qualität der Energie im System und erhöht so die Entropie. In der Entropiebilanz liegt die eigentliche Rechtfertigung, warum man bereits im ersten Hauptsatz die Unterscheidung zwischen Arbeit und Wärme vornimmt (vgl. S. 151). Beispielaufgabe: Entropieänderung bei einem reversiblen Prozess Analysieren Sie die Entropieänderung bei der reversiblen isothermen Kompression eines idealen Gases und interpretieren Sie das Ergebnis. Lösung: Die reversible isotherme Expansion und Kompression eines idealen Gases haben wir bereits auf S. 216 und S. 221 im Zusammenhang mit dem Carnot-Prozess behandelt. Ein Zylinder mit einem idealen Gas befindet sich in einer Umgebung, die für eine konstante Temperatur sorgt, z. B. in einem Wasserbad. Der Kolben wird so langsam bewegt, dass die Wärmeabfuhr über die Systemgrenzen näherungsweise reversibel erfolgt (Abb. 10.4). Die Temperatur des Gases bleibt bei der Kompression konstant, und weil die innere Energie eines idealen Gases nur von T abhängt, bleibt auch sie konstant. Schon beim Carnot-Prozess hatten wir für Arbeit und Wärme die folgenden Ausdrücke gefunden (Gl. (8.20) und (8.22)):

Q1→2 = −W1→2 = −m · Rspez T ln

p2 . p1

(10.11)

Die Entropie, die bei der isothermen Kompression über die Systemgrenzen übertragen wird, berechnen wir mit Gl. (10.10). T ist bei dem Prozess konstant und lässt sich deshalb vor das Integral ziehen, das dadurch sehr einfach auszuwerten ist:

∆e S =

Q1→2 p = −m · Rspez ln 2 . T p1

(10.12)

W1®2 >0

T = konst. D S, Q e 1®2 U = konst. S nimmt ab

Abb. 10.4: Entropie- und Wärmeübertragung bei der isothermen Kompression

275

Abschnitt 10.3 Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik

p1 Abb. 10.5: Vergleich von Anfangs- und Endzustand bei der isothermen Kompression

S1

p2 > p1 S2 < S1

Anfangszustand

Endzustand

Es wird Wärme abgeführt, und so ist die Entropieänderung bei der isothermen Kompression negativ (Abb. 10.5). Weil auch im Systeminneren keine irreversiblen Prozesse stattfinden sollen (∆i S = 0), sinkt die Entropie des Systems. Die Entropie im Endzustand ist niedriger als diejenige im Anfangszustand. Lässt sich dieses Ergebnis mit unserer Interpretation der Entropie vereinbaren? Hat sich bei dem reversiblen Prozess die Qualität der Energie im System geändert? Die innere Energie ist konstant geblieben, so dass die Quantität der Energie die gleiche ist. Der Endzustand ist aber „wertvoller“ als der Anfangszustand, da man das komprimierte Gas entspannen und dabei Arbeit verrichten kann. Die Qualität der Energie im Endzustand ist daher tatsächlich höher. Schematisch lässt sich der Sachverhalt an den Energieflüssen in Abb. 10.4 veranschaulichen. Bei der Kompression wird „wertvolle“ Energie (Arbeit) ins System übertragen, während „weniger wertvolle“ Energie (Wärme) das System verlässt. Insgesamt wird dadurch die Energie im System „wertvoller“ im Sinne von „vielfältiger nutzbar“.

10.3 Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik Das eigentlich Tiefgründige an der Entropiebilanz hängt mit dem Umstand zusammen, dass die Entropie keine Erhaltungsgröße ist. Dies wird durch den Term ∆i S in Gl. (10.1) ausgedrückt. Er beschreibt denjenigen Anteil der Entropieänderung, der nicht auf eine Entropiezufuhr von außen zurückgeht. ∆i S steht für die Erzeugung von Entropie innerhalb des Systems. An dieser Stelle kommt ein neues Naturgesetz ins Spiel, das sich letztlich nur durch die experimentelle Erfahrung begründen lässt. Es besagt, dass ∆i S niemals negativ sein kann. Für alle Prozesse gilt ∆i S ≥ 0. Diese Gesetzmäßigkeit nennt man den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik: Die in der Natur stattfindenden Vorgänge laufen so ab, dass dabei Entropie höchstens erzeugt, niemals aber vernichtet werden kann: ∆i S ≥ 0.

(10.13)

Die Wichtigkeit dieser Aussage für die Physik ist gar nicht zu überschätzen. Am deutlichsten werden seine Konsequenzen bei isolierten Systemen, wo keine Wärmeübertragung stattfindet und folglich auch keine Entropie über die

276

Kapitel 10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz

DiS ³ 0

D iS ³ 0

DiS < 0

DiS < 0

D iS ³ 0 DiS ³ 0

Abb. 10.6: Auch lokal kann die Entropieerzeugung nicht negativ sein. Legt man die Systemgrenzen um eines der Gebiete mit ∆i S < 0, so ergibt sich ein Konflikt mit dem zweiten Hauptsatz.

Systemgrenzen fließt (∆e S = 0). Die Entropie kann sich in diesem Fall nur durch Entropieerzeugung im System ändern. Die Entropiebilanz für isolierte Systeme lautet: S(t2 ) − S(t1 ) = ∆i S. (10.14) Nach dem zweiten Hauptsatz muss ∆i S ≥ 0 gelten, und daher kann die Entropie eines isolierten Systems nur konstant bleiben oder anwachsen. Die Entropie eines isolierten Systems kann niemals abnehmen. Die folgenden Bemerkungen sollen die Bedeutung des zweiten Hauptsatzes verdeutlichen: (1) Alle Prozesse mit ∆i S > 0 sind irreversibel. Für den umgekehrten Prozess gälte nämlich ∆i S < 0, und solche Prozesse lässt der zweite Hauptsatz nicht zu. Auf die Entropieerzeugung in irreversiblen Prozessen werden wir im folgenden Abschnitt näher eingehen. Irreversibilität ist ein Anzeichen für Ineffizienz. Immer wenn in einem Prozess ∆i S > 0 gilt, könnte man ihn durch reversible Prozessführung effizienter gestalten. (2) Prozesse mit ∆i S = 0 sind thermodynamisch reversibel. Wir haben dafür bereits einige Beispiele kennengelernt, etwa den adiabatisch-reversiblen Prozess oder die reversible isotherme Kompression (S. 274). (3) Der zweite Hauptsatz verbietet nicht, dass die Entropie eines Systems abnimmt. Wie bei der isothermen Kompression kann dies aber nur dadurch geschehen, dass Entropie über die Systemgrenzen abgeführt wird (∆e S < 0). Der zweite Hauptsatz macht keine Aussage über ∆e S, sondern nur über ∆i S, also über die Entropieerzeugung innerhalb des Systems. (4) Selbstverständlich gilt die Aussage des zweiten Hauptsatzes auch für alle von Menschen konstruierten Maschinen und Geräte. Selbst eine noch so raffiniert erdachte Maschine kann das Anwachsen der Entropie nicht verhindern. Auch Menschen, Tiere oder Pflanzen, die sich innerhalb der Systemgrenzen befinden, können Entropie nicht vernichten.

Abschnitt 10.3 Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik

277

Kasten 10.1 Max Planck und die „Umwandlung von Wärme in Arbeit“ Die auf S. 274 analysierte reversible isotherme Kompression ist auch deshalb von Interesse, weil ihre Umkehrung, die isotherme Expansion, ein Gegenbeispiel für eine populäre, aber falsche Formulierung des zweiten Hauptsatzes ist. Darauf wies schon Max Planck 1897 in seinen „Vorlesungen über Thermodynamik“ hin: „So findet man auch heute noch manchmal den zweiten Hauptsatz dahin charakterisiert, dass die Verwandlung von Arbeit in Wärme vollständig, die von Wärme in Arbeit dagegen nur unvollständig stattfinden könne [. . . ]. Dieser Ausspruch ist in gewissen ganz speziellen Fällen richtig; ganz allgemein genommen trifft er aber durchaus nicht das Wesen der Sache, wie der Deutlichkeit halber an einem einfachen Beispiel gezeigt werden soll. Eine der allerwichtigsten mit der Entdeckung des Energieprinzips verknüpften Errungenschaften für die Wärmetheorie ist der [. . . ] Satz, dass die gesamte innere Energie eines idealen Gases lediglich von der Temperatur abhängt und nicht vom Volumen. Lässt man nun ein ideales Gas sich unter Arbeitsleistung ausdehnen, und verhindert man die Abkühlung des Gases durch gleichzeitige Zuleitung von Wärme aus einem Wärmebehälter von höherer Temperatur, so behält das Gas mit seiner Temperatur zugleich auch seine Energie unverändert bei, und man kann sagen, dass die vom Reservoir abgegebene Wärme vollständig in Arbeit verwandelt wird, ohne dass sonst irgendwo ein Energieumsatz stattfindet.“

(5) Auch lokal kann Entropie nicht vernichtet werden, denn für jede mögliche Wahl der Systemgrenzen muss ∆i S ≥ 0 gelten. Eine lokale Entropievernichtung, die durch eine anderswo erhöhte Entropieproduktion wieder ausgeglichen wird, ist daher ausgeschlossen (Abb. 10.6). (6) Wenn von „Entropieerzeugung“ und „Entropieübertragung“ die Rede ist, darf man sich die Entropie nicht als eine materielle Substanz vorstellen, die tatsächlich erzeugt oder vernichtet werden kann. Wie die Energie ist sie nicht Bestandteil der Natur, sondern ein Produkt des menschlichen Geistes, das diesem bei der Beschreibung der Natur hilft. (7) Der zweite Hauptsatz findet seine Geltungsgrenze dort, wo die thermodynamische Beschreibung der Stoffe nicht mehr anwendbar ist: bei Systemen mit einer so kleinen Anzahl von Atomen, dass Schwankungserscheinungen relevant werden (vgl. S. 103). Bei einer thermischen Schwankung kann die Entropie kurzzeitig und lokal auch abnehmen. (8) Eines der wesentlichen Elemente bei der Definition der Entropie im vorigen Kapitel war das Ordnen der Zustände nach gegenseitiger adiabatischer Erreichbarkeit. Die Vorstellung, dass gewisse Zustände „vor“ anderen liegen, schließt bereits eine Kernaussage des zweiten Hauptsatzes ein. Wegen der adiabatischen Prozessführung ist ∆e S = 0, so dass nur ∆i S in der Entropiebilanz auftritt. Wenn nun Zustand A von B aus adiabatisch nicht erreichbar, so gilt ∆i S < 0 für alle denkbaren Prozesse, die von B nach A führen – was der zweite Hauptsatz nicht zulässt.

278

Kapitel 10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz

Wärme + Entropie DiS > 0

Temperatur T

Abb. 10.7: Wärme- und Entropieübertragung bei einem elektrischen Widerstand

10.4 Entropieerzeugung in irreversiblen Prozessen Am Anfang dieses Kapitels haben wir eine Reihe von prototypischen irreversiblen Prozessen aufgezählt (S. 268). Sie alle sind dem zweiten Hauptsatz unterworfen; bei jedem von ihnen wird Entropie erzeugt. In den folgenden Aufgaben sollen zwei besonders einfache Beispiele analysiert werden, um explizite Ausdrücke für die im System erzeugte Entropie ∆i S zu gewinnen. Eine einheitliche Formel, mit der sich ∆i S berechnen ließe, gibt es nicht. Angesichts der Verschiedenheit der oben genannten Prozesse ist das auch nicht verwunderlich. Irreversible Prozesse müssen individuell analysiert werden, und das ist nicht leicht, weil sie oft komplexer Natur sind. Die Thermodynamik irreversibler Prozesse ist ein aktives Forschungsgebiet. Beispielaufgabe: Entropieerzeugung an einem elektrischen Widerstand Wenn an einem elektrischen Widerstand die Spannung U anliegt, wird er nach dem ohmschen Gesetz von einem elektrischen Strom I = U/R durchflossen. Der Widerstand erwärmt sich, und Wärme wird irreversibel an die Umgebung abgegeben. Berechnen Sie, wie viel Entropie dabei pro Sekunde erzeugt wird. Lösung: Wir betrachten den stationären Zustand, in dem sich der Widerstand nicht weiter erwärmt. Alle Zustandsgrößen des Systems, einschließlich der Entropie, sind dann zeitlich konstant. Entropie wird zwar erzeugt, aber sogleich über die Systemgrenzen nach außen abgegeben (Abb. 10.7). Nach Gl. (10.2) gilt:

di S dS de S Q˙ = − =− . dt dt T dt

(10.15)

=0

Weil die gesamte umgesetzte Energie nach außen abgegeben wird, ist − Q˙ gleich der elektrischen Leistung P = U · I . Damit erhalten wir für die Rate der Entropieerzeugung am Widerstand das folgende Ergebnis:

di S U·I = . dt T

(10.16)

Auf den ersten Blick verwundert es, dass an einem gekühlten Widerstand (niedrigere Temperatur) mehr Entropie produziert wird. Zur Interpretation muss man wieder thermodynamisch argumentieren: Die am Widerstand umgesetzte elektrische Leistung U · I ist „verloren“ und kann nicht mehr genutzt werden, um z. B. einen Elektromotor anzutreiben. Höchstens kann man mit der abgegebenen Wärme noch eine Wärmekraftmaschine betreiben. Das gelingt mit umso höherem Wirkungsgrad, je größer die Temperatur des Widerstandes ist. In der Praxis wird allerdings die Abwärme von elektrischen Großverbrauchern – wenn überhaupt – eher zu Heizzwecken genutzt.

279

Abschnitt 10.4 Entropieerzeugung in irreversiblen Prozessen

Block 1

Block 2

. Q

Abb. 10.8: Wenn Wärme eine endliche Temperaturdifferenz durchquert, wird Entropie erzeugt.

. deS1 Q = T1 dt

Wärme

. Q

Entropie

. deS2 Q = T2 dt

Beispielaufgabe: Entropieerzeugung bei der Wärmeübertragung Ein warmer und ein kalter Kupferblock (Temperaturen T1 und T2 ) werden in Kontakt gebracht (Abb. 10.8). Aufgrund des Temperaturunterschiedes wird Wärme übertragen. Dieser Prozess ist irreversibel. Berechnen Sie, wie viel Entropie pro Sekunde erzeugt wird. Benutzen Sie dabei, dass die Wärmeübertragungsrate Q˙ proportional zur Temperaturdifferenz ist: Q˙ ∼ ( T1 − T2 ). Lösung: Wir betrachten die in Abb. 10.8 eingezeichneten Systemgrenzen, die einen schmalen Bereich um die Kontaktstelle zwischen den beiden Blöcken umfassen. Innerhalb des Systems ändert sich die Temperatur von T1 auf T2 . Wir gehen von einem stationären Zustand aus, in dem sich die Temperaturverteilung innerhalb des Systems für die Zeitdauer des betrachteten Prozesses nicht ändert. Das System wird dann – nach dem ersten Hauptsatz – von einem konstanten Wärmestrom Q˙ durchquert. Ähnlich wie in Gl. (10.15) lautet die Entropiebilanz:

  di S dS de S Q˙ Q˙ 1 1 = − =− + = Q˙ − . dt dt T1 T2 T2 T1 dt

(10.17)

=0

Wegen T1 > T2 ist der Entropiestrom aus dem System heraus größer als derjenige in das System hinein (Abb. 10.8). In der schmalen Zone, in der sich die Temperatur ändert, wird Entropie erzeugt. Wenn wir in Gl. (10.17) nun Q˙ ∼ ( T1 − T2 ) einsetzen, erhalten wir nach kurzer Umformung:

di S ( T − T2 )2 ∼ 1 ≥ 0. dt T1 · T2

(10.18)

Dieser Ausdruck beschreibt die Entropieerzeugung durch Wärmeübertragung. Im Einklang mit dem zweiten Hauptsatz ist die rechte Seite von Gl. (10.18) positiv, solange die beiden Temperaturen unterschiedlich sind. Im Zustand des thermischen Gleichgewichts, also bei gleichen Temperaturen, wird die Entropieerzeugung null.

Mit dem Ergebnis dieser Aufgabe lässt sich nun auch die Frage beantworten, welche Temperatur bei der Berechnung von ∆e S in Gl. (10.10) eingesetzt werden muss. Die naheliegende (und richtige) Antwort ist: Die Temperatur an

280

Kapitel 10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz

Block 1

Block 2 . dS2 dS Q + i = dt dt T1

. Q

(a)

T1

Block 1

T2

Block 2 . dS2 Q = T2 dt

. Q

(b)

T1

T2

Abb. 10.9: Je nach Wahl der Systemgrenzen muss die an einem Temperatursprung erzeugte Entropie bei der Entropiebilanz berücksichtigt werden.

der jeweiligen Systemgrenze. Oft jedoch ändert sich an einer Systemgrenze die Temperatur sprunghaft, etwa wenn zwei Körper verschiedener Temperatur aneinanderstoßen. Dann ist Vorsicht geboten. Für die Energiebilanz spielt der genaue Verlauf der Systemgrenze in einem solchen Fall keine Rolle, wohl aber für die Erstellung der Entropiebilanz. Möchte man z. B. die Entropiebilanz für Block 2 aufstellen, gibt es zwei Möglichkeiten für die Wahl der Systemgrenze (Abb. 10.9). Entweder verläuft sie wie in Bild (a) links des Temperatursprungs. Dann muss in die Definition von ∆e S die dortige Temperatur T1 eingesetzt werden. Weil die mit der Wärmeleitung verbundene Entropieproduktion innerhalb des Systems liegt, muss der entsprechende Beitrag in der Entropiebilanz berücksichtigt werden: dS2 Q˙ dS = + i . dt T1 dt

(10.19)

Man kann aber auch wie in Bild (b) die Systemgrenze rechts des Temperatursprungs verlaufen lassen. Dann muss in Gl. (10.10) für ∆e S die Temperatur T2 eingesetzt werden. Da die Systemgrenzen nun den Ort der Entropieerzeugung ausschließen, ist ddti S = 0 und die Entropiebilanz lautet: dS2 Q˙ = . dt T2

(10.20)

Durch Einsetzen von Gl. (10.17) in Gl. (10.19) kann man sich überzeugen, dass beide Möglichkeiten zur Wahl der Systemgrenze das gleiche Ergebnis liefern.

10.5 Das Maximum der Entropie Um das Anwachsen der Entropie in isolierten Systemen zu diskutieren, betrachten wir noch einmal die zuletzt behandelte Beispielaufgabe zur Wärmeübertragung. Der Anfangszustand, zwei sich berührende Kupferblöcke mit verschiedenen Temperaturen, wird künstlich vom Experimentator hervorgebracht („präpariert“). Es handelt sich um einen thermodynamischen Nicht-

Abschnitt 10.6 Freie Energie und freie Enthalpie

281

gleichgewichtszustand: Sofort setzt die Wärmeübertragung ein, die zum Ausgleich der Temperaturdifferenz führt. Die Entropie des aus beiden Blöcken bestehenden Gesamtsystems steigt an, weil bei dem irreversiblen Ausgleichsprozess Entropie erzeugt wird. Die Wärmeübertragung dauert an, bis beide Blöcke die gleiche Temperatur haben. Dann kommt die Entropieerzeugung zum Erliegen (vgl. Gl. (10.18)); die Entropie hat ihren maximalen Wert erreicht. Dem Anwachsen der Entropie ist jedes isolierte System unterworfen. Aus seinem Anfangszustand kann es sich nur in Richtung auf Zustände höherer Entropie entwickeln. Wann immer sich der Wert einer physikalischen Größe ändert, kann das nur derart geschehen, dass die Entropie dabei ansteigt. Wenn das isolierte System schließlich in einem Zustand angekommen ist, in dem keine mögliche Änderung eines Parameters noch zu einem Anwachsen der Entropie führt, ist der Endpunkt seiner Entwicklung erreicht: das thermodynamische Gleichgewicht. Im thermodynamischen Gleichgewicht hat die Entropie isolierter Systeme den maximal erreichbaren Wert. Jedes isolierte System entwickelt sich in Richtung auf das thermodynamische Gleichgewicht, d. h. den Zustand maximaler Entropie.

10.6 Freie Energie und freie Enthalpie Der zweite Hauptsatz macht keine direkte Aussage über die Zustandsgröße Entropie. Er befasst sich mit der Entropie di S, die während eines Prozesses im System erzeugt wird. Bei entsprechender Wahl der Prozessführung kann die erzeugte Entropie ganz oder teilweise über die Systemgrenzen abgeführt werden, so dass die Entropie des Systems nicht unbedingt ansteigt. Nur bei isolierten Systemen, für die de S = 0 gilt, ist dies nicht möglich, und die Entropie strebt zwangsläufig ihrem Maximum zu. Doch auch für Prozessführungen mit de S ̸= 0 lässt sich der zweite Hauptsatz in eine Aussage über thermodynamische Zustandsgrößen überführen. Betrachten wir zum Beispiel ein System, bei dem Temperatur und Volumen konstant gehalten werden (etwa in einem Wasserbad). Wir führen eine neue Zustandsgröße ein, die freie Energie F = U − T · S, die manchmal auch als Helmholtz-Potential bezeichnet wird. Bei konstanter Temperatur gilt für die Änderung von F bezüglich eines Kontrollparameters (z. B. der Zeit): dF dU dS = −T· . (10.21) dt dt dt Nach dem ersten Hauptsatz ist bei konstantem Volumen dU = dQ = T · de S: dF de S dS =T· −T· . (10.22) dt dt dt Somit gilt für Prozesse, bei denen T und V konstant gehalten werden: dF dS = −T · i . dt dt

(10.23)

282

Kapitel 10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz

Wie wir aus dieser Gleichung ablesen können, haben wir mit der freien Energie eine Zustandsgröße gefunden, die sich für die betrachtete Prozessführung mit di S und daher mit dem zweiten Hauptsatz verknüpfen lässt. Nach Gl. (10.23) können bei konstanter Temperatur und konstantem Volumen nur solche Prozesse stattfinden, bei denen die freie Energie abnimmt (wegen des Minuszeichens in Gl. (10.23) nimmt F ab, wenn di S positiv ist). Das thermodynamische Gleichgewicht ist bei einem Minimum von F erreicht. Wenn Temperatur und Volumen konstant gehalten werden, ist der thermodynamische Gleichgewichtszustand durch ein Minimum der freien Energie F = U − T · S gekennzeichnet. Beispielaufgabe: Barometrische Höhenformel Zwei gleiche Behälter sind durch ein langes, dünnes Rohr verbunden, dessen Volumen vernachlässigbar sein soll (Abb. 10.10). Die Anordnung wird im Gravitationsfeld senkrecht aufgestellt, und alle ihre Teile werden auf konstanter Temperatur gehalten. Zu Beginn des Prozesses sind beide Behälter gleichmäßig von einem idealen Gas erfüllt. Dann wird der Hahn, der die beiden Behälter trennt, geöffnet. Berechnen Sie welcher Anteil des Gases sich nach dem Wiedereinstellen des thermodynamischen Gleichgewichts noch im oberen Behälter befindet. Lösung: In den Behältern befindet sich ein ideales Gas mit der Gesamtmasse M. Gesucht ist die Massenverteilung nach dem Öffnen des Hahns. Mit m1 bezeichnen wir die Gasmasse im unteren Behälter, mit m2 diejenige im oberen Behälter, wobei m1 + m2 = M gelten muss.

z2

vorher

nachher

M/2

m2 V

V

Temperatur T g

z1

m1

M/2 V

V

Abb. 10.10: Welche Massenverteilung stellt sich in den beiden Behältern ein, nachdem der Hahn geöffnet wird?

283

Abschnitt 10.6 Freie Energie und freie Enthalpie

Während des Prozesses werden Temperatur und Volumen konstant gehalten. Der Gleichgewichtszustand stellt sich daher bei einem Minimum der freien Energie ein. Zur Berechnung von F benötigen wir die innere Energie des idealen Gases (zu der wir hier auch die potentielle Energie zählen) und seine Entropie. Mit Gl. (9.54) und Gl. (9.28) schreiben wir:

Ui = mi cV T + mi g zi ,

(10.24) 

Si − SA = mi cV ln



T mi VA − mi Rspez ln . TA V mA

(10.25)

Der Index i bezieht sich auf den jeweiligen Behälter, während der Index A den Referenzzustand für die Definition der Entropie bezeichnet. Er darf sich auf das Ergebnis nicht auswirken. Zu beachten ist, dass die Entropie in Gl. (9.28) über das spezifische Volumen indirekt von der Masse abhängt. Diese Abhängigkeit wurde in Gl. (10.25) explizit ausgeschrieben. Wir müssen die freie Energie für beide Behälter berechnen:

F = U1 + U2 − T · (S1 + S2 ).

(10.26)

Mit den Ausdrücken (10.24) und (10.25) ergibt sich:

T F = (m1 + m2 ) cV T + m1 g z1 + m2 g z2 − (m1 + m2 ) cV T ln TA | {z } | {z } =M

=M



+ m1 Rspez T ln m1

   VA V + m2 Rspez T ln m2 A . mA V mA V

(10.27)

Weil m1 und m2 keine unabhängigen Parameter sind, sondern durch die Bedingung m1 + m2 = M gekoppelt, ersetzen wir überall m1 durch M − m2 :

  T F = M cV T 1 − ln + ( M − m2 ) g z1 + m2 g z2 TA     V V + ( M − m2 ) Rspez T ln ( M − m2 ) A + m2 Rspez T ln m2 A . mA V mA V

(10.28)

Wir leiten F nach m2 ab und vereinfachen mit Hilfe der Logarithmengesetze:

  ∂F m2 = g (z2 − z1 ) + Rspez T ln . ∂m2 M − m2

(10.29)

Um das Minimum zu finden, wird die Ableitung gleich null gesetzt. Außerdem schreiben wir wieder m1 statt M − m2 :

 0 = g (z2 − z1 ) + Rspez T ln

 m2 . m1

(10.30)

Damit erhalten wir als Bedingung für das Minimum der freien Energie:

  m2 g ( z2 − z1 ) = exp − . m1 Rspez T

(10.31)

In den beiden Behältern stellt sich im thermodynamischen Gleichgewicht eine Massenverteilung ein, die stark an die barometrische Höhenformel (7.10) erinnert. In der

284

Kapitel 10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz

Tat können wir Gl. (10.31) in die gleiche Form bringen. Nach der Zustandsgleichung des idealen Gases gilt nämlich:

 pi = mi ·

Rspez T Vi

 ,

(10.32)

wobei der Term in Klammern bei konstanter Temperatur und konstanten Volumina Vi konstant ist. Daher ist pi ∼ mi , und wir können Gl. (10.31) wie folgt schreiben:

  p2 g ( z2 − z1 ) = exp − . p1 Rspez T

(10.33)

Gl. (10.31) ist die „binäre Version“ der barometrischen Höhenformel mit nur zwei möglichen Höhenwerten z1 und z2 . Man kann die freie Energie auch für eine kontinuierliche Gasverteilung minimieren. Dann stellt sich die Aufgabe, statt einer Zahl (dem Verhältnis m2 /m1 ) eine Funktion m(z) zu finden, für die die freie Energie ihren minimalen Wert annimmt. Dies ist ein Problem mit einem beträchtlich höheren mathematischen Schwierigkeitsgrad als das hier betrachtete. Der Zweig der Mathematik, der sich mit Aufgaben dieser Art befasst, heißt Variationsrechnung. Auch im kontinuierlichen Fall ergibt sich die barometrische Höhenformel.

Wenn das Minimum der freien Energie F = U − T · S gesucht wird, kann man oftmals ein charakteristisches Wechselspiel zwischen dem „Energieterm“ U und dem „Entropieterm“ T · S beobachten. So behält im gerade besprochenen Beispiel bei niedrigen Temperaturen (wenn also T · S klein ist) der Energieterm die Oberhand. Das Gas nimmt einen Zustand mit möglichst geringer Energie ein. Fast die gesamte Gasmasse ist im unteren Behälter zu finden; die Materie fällt gewissermaßen zu Boden. In Gl. (10.31) äußert sich dies dadurch, dass die Exponentialfunktion gegen null geht. Für hohe Temperaturen dagegen überwiegt der Entropieterm, und das Gas strebt danach, sich gleichmäßig über das gesamte zur Verfügung stehende Volumen auszudehnen. Entsprechend geht in Gl. (10.31) die Exponentialfunktion für hohe Temperaturen gegen 1. Bei Temperaturen im Zwischenbereich ist keiner der beiden Grenzfälle realisiert, und das thermodynamische Gleichgewicht entsteht durch einen „Wettstreit zwischen Energie und Entropie“. Konstante Temperatur und konstanter Druck Auch für Prozesse, bei denen Temperatur und Druck konstant gehalten werden, lässt sich der zweite Hauptsatz als eine Aussage über eine thermodynamische Zustandsgröße formulieren. Unter diesen Bedingungen wird die freie Enthalpie G = U + p · V − T · S minimal (sie wird auch Gibbs-Potential genannt). Man kann dies ähnlich wie oben bei der freien Energie zeigen. Die Änderung von G bei konstanter Temperatur und konstantem Druck ist: dG dU dV dS = +p· −T· . dt dt dt dt

(10.34)

Wir benutzen den ersten Hauptsatz in der Form dU = T · de S − p · dV: dG de S dS dS =T· −T· = −T · i . dt dt dt dt

(10.35)

285

Abschnitt 10.7 Klassische Fassungen des zweiten Hauptsatzes

Damit haben wir eine Verknüpfung zu der Entropieproduktion im Inneren von Systemen hergestellt, die nach dem zweiten Hauptsatz niemals negativ werden kann. Wir gelangen so zu der Aussage, dass bei Prozessen mit konstanter Temperatur und konstantem Druck die freie Enthalpie G niemals zunehmen kann. Im thermodynamischen Gleichgewicht wird G minimal: Wenn Druck und Temperatur konstant gehalten werden, so ist das thermodynamische Gleichgewicht an einem Minimum der freien Enthalpie G = U + p · V − T · S erreicht. Weil diese Prozessbedingungen in der Chemie die Regel sind, besitzt die freie Enthalpie hier eine besondere Relevanz. Chemische Reaktionen laufen von selbst ab, wenn dabei die freie Enthalpie abnimmt. Wie wichtig dabei der Entropieterm ist, zeigt die Tatsache, dass es spontan ablaufende endotherme Reaktionen gibt, bei denen die Reaktionsenthalpie ∆H positiv ist. Die in die Reaktion „hineingesteckte“ Enthalpie muss durch eine entsprechend große Entropiezunahme kompensiert werden.

10.7 Klassische Fassungen des zweiten Hauptsatzes

Wärmekraftmaschine

QH

QL

W

kälteres Reservoir (Temperatur TL)

Abb. 10.11: Energieflüsse bei der CarnotWärmekraftmaschine

wärmeres Reservoir (Temperatur TH)

Die historischen Wurzeln der Thermodynamik liegen in ihrer technischen Anwendung. Die Pioniere und die Begründer der Theorie – von Sadi Carnot über William Thomson (Lord Kelvin) bis Rudolf Clausius (der als Erster den zweiten Hauptsatz formulierte) – gingen in ihren Überlegungen allesamt von der Dampfmaschine aus. Die Verbesserung des Wirkungsgrades von Wärmekraftmaschinen war seit den Tagen von Watt ein drängendes Problem, das überhaupt erst den Anstoß zur Beschäftigung mit den tiefergehenden Fragen der Thermodynamik gab. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die klassischen Formulierungen des zweiten Hauptsatzes sehr „technisch“ anmuten. Betrachten wir noch einmal das Energieflussdiagramm der Carnot-Wärmekraftmaschine aus Kapitel 8 (Abb. 10.11). Der Maschine wird die Wärme QH zugeführt, was bei den meisten Wärmekraftmaschinen durch Verbrennen von Treibstoff (Öl, Kohle, Gas oder Holz) erreicht wird. Ein beträchtlicher Teil die-

Kapitel 10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz

Super-KP-Maschine

QH

QL

W = −QH

kälteres Reservoir (Temperatur TL)

wärmeres Reservoir (Temperatur TH)

286

Abb. 10.12: Die „Super-KPMaschine“ wird vom zweiten Hauptsatz ausgeschlossen.

ser Energie wird ungenutzt (als Wärme QL ) wieder an das kühlere Reservoir abgegeben. Nur ein kleinerer Teil wird als Arbeit genutzt. Ist das nicht eine enorme Energieverschwendung? Wohl jedem, der das Diagramm zum ersten Mal sieht, erscheint die folgende Optimierungsmöglichkeit evident: Man verändere die Konstruktion der Wärmekraftmaschine so, dass ein größerer Anteil der im Treibstoff gespeicherten Energie als Arbeit nutzbar gemacht wird. Am besten wäre ein Wirkungsgrad von 100 %: An das kältere Reservoir wird gar nichts abgegeben (QL = 0), so dass die gesamte zugeführte Wärme QH als Arbeit genutzt wird (Abb. 10.12). 10.7.1 Kelvin-Planck-Formulierung

Eine hypothetische Wärmekraftmaschine, die das leistet, bezeichnen wir als Super-KP-Maschine. Die Kelvin-Planck-Formulierung des zweiten Hauptsatzes ist eine Aussage über die Unmöglichkeit einer solchen Maschine. Die Original-Formulierung von Planck lautet folgendermaßen: Kelvin-Planck-Formulierung des zweiten Hauptsatzes: Es ist unmöglich, eine periodisch funktionierende Maschine zu konstruieren, die weiter nichts bewirkt als Hebung einer Last und Abkühlung eines Wärmereservoirs. Zum Verständnis dieser Aussage muss man auf die genaue Wortwahl achten: (1) Eine „periodisch funktionierende Maschine“ muss sich am Ende des Prozesses wieder in ihrem Anfangszustand befinden. Sie durchläuft einen Kreisprozess. Wie das Beispiel der isothermen Expansion zeigt, gibt es sehr wohl nichtperiodische Prozesse, bei denen die zugeführte Wärme vollständig zum Verrichten von Arbeit genutzt wird (vgl. Kasten 10.1). (2) Mit „weiter nichts“ ist gemeint, dass am Ende des Prozesses auch in der Umgebung keine Änderungen festzustellen sein dürfen. Insbesondere darf auf keine Weise Entropie an die Umgebung abgeführt worden sein. Dass die Kelvin-Planck-Aussage aus dem zweiten Hauptsatz folgt, lässt sich mit Hilfe einer Entropiebilanz zeigen, die sich über einen vollständigen Zy-

Abb. 10.13: Auch eine „Super-Clausius-Maschine“ kann es nicht geben.

kälteres Reservoir (Temperatur TL)

Super-Clausius-Maschine

QL

QH = −QL

W=0

wärmeres Reservoir (Temperatur TH)

287

Abschnitt 10.7 Klassische Fassungen des zweiten Hauptsatzes

klus der Maschine erstreckt. Für das in Abb. 10.12 eingezeichnete System nimmt Gl. (10.1) die folgende Gestalt an: S(nachher) − S(vorher) = ∆e S + ∆i S = 0.

(10.36)

Die linke Seite verschwindet, weil die Maschine am Ende eines Zyklus wieder in ihrem Anfangszustand angekommen ist. Infolgedessen muss gelten: ∆i S = − ∆e S = −

QH . TH

(10.37)

Da ∆e S positiv ist (mit der Wärme wird Entropie zugeführt), müsste nach Gl. (10.37) für eine Super-KP-Maschine ∆i S < 0 sein. In ihrem Inneren müsste Entropie vernichtet werden. Das aber ist nach dem zweiten Hauptsatz ausgeschlossen. Eine Super-KP-Maschine kann es deshalb nicht geben. 10.7.2 Clausius-Formulierung

Die zweite der klassischen Formulierungen stammt von Clausius. Nach ihm kann die Wärme „nicht von selbst aus einem kälteren in einen wärmeren Körper übergehen“. In anderen Worten: Clausius-Formulierung des zweiten Hauptsatzes: Es ist unmöglich, eine periodisch funktionierende Maschine zu konstruieren, die weiter nichts bewirkt, als Wärme von einem kälteren zu einem wärmeren Körper zu übertragen. Auch hier ist das „weiter nichts“ wichtig. Denn die Wärmeübertragung von kalt nach warm ist natürlich gerade das, was Kühlschränke und Wärmepumpen jeden Tag tun (Kapitel 8). Aber sie benötigen dazu einen Antrieb in Form von elektrischer oder mechanischer Arbeit. Eine hypothetische „Super-Clausius-Maschine“ dagegen dürfte keine Veränderungen in der Umgebung hervorrufen und bräuchte daher keinen äußeren Antrieb (Abb. 10.13). Abb. 10.14 zeigt einen „grafischen Beweis“ für die Clausius-Formulierung. Wir führen sie auf die Kelvin-Planck-Formulierung zurück. Dazu gehen wir

Q1

Q1

Carnot-Maschine Q2

Q1

=

Super-KP-Maschine

Q2 −Q1

kälteres Reservoir (Temperatur TL)

Super-Clausius-Maschine

wärmeres Reservoir (Temperatur TH)

Kapitel 10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz

kälteres Reservoir (Temperatur TL)

wärmeres Reservoir (Temperatur TH)

288

WSC Wrev

QH

QL, rev

=

Super-KP-Maschine

kälteres Reservoir (Temperatur TL)

QH

wärmeres Reservoir (Temperatur TH)

Super-Carnot-Maschine

kälteres Reservoir (Temperatur TL)

wärmeres Reservoir (Temperatur TH)

Abb. 10.14: Gäbe es eine Super-Clausius-Maschine, so könnte man aus ihr und einer Carnot-Maschine eine Super-KP-Maschine konstruieren.

Carnot-Wärmepumpe Abb. 10.15: Ein Teil der Arbeit von einer Super-Carnot-Maschine könnte zum Antrieb einer Carnot-Wärmepumpe genutzt werden. Es entstünde eine Super-KP-Maschine.

von einer Carnot-Maschine aus, die dem wärmeren Reservoir die Wärme Q2 entnimmt. Mit dem Carnot-Wirkungsgrad gibt sie die Arbeit W ab und führt die Wärme Q1 dem kälteren Reservoir zu (Abb. 10.14 unten). Die Super-Clausius-Maschine soll nun gerade die Wärmemenge Q1 aus dem kälteren Reservoir entnehmen und sie unvermindert auf das wärmere Reservoir übertragen. Wenn wir beide Maschinen in das gleiche Gehäuse einbauen (grau gestrichelte Linie), so braucht die kombinierte Maschine das käl-

Abschnitt 10.7 Klassische Fassungen des zweiten Hauptsatzes

289

tere Reservoir nicht mehr. Sie erzeugt Arbeit allein dadurch, dass sie Wärme aus dem wärmeren Reservoir entnimmt. Es ist eine Super-KP-Maschine entstanden. Wenn es also eine Super-Clausius-Maschine gibt, kann man mit ihrer Hilfe eine Super-KP-Maschine konstruieren – die aber nach dem zweiten Hauptsatz nicht existieren kann. Damit ist gezeigt, dass der zweite Hauptsatz auch die Super-Clausius-Maschine verbietet. 10.7.3 Carnot-Aussage

Schon in Kapitel 8 wurde bemerkt, dass keine Wärmekraftmaschine einen höheren Wirkungsgrad als eine Carnot-Maschine haben kann. Diese Aussage können wir nun präzisieren und auf den zweiten Hauptsatz zurückführen. Carnot-Aussage: Alle reversiblen Wärmekraftmaschinen, die zwischen den Temperaturen TH und TL arbeiten, haben den gleichen Wirkungsgrad ηCarnot = 1 −

TL . TH

(10.38)

Reale Wärmekraftmaschinen haben einen kleineren Wirkungsgrad. Mit einer ganz ähnlichen Argumentation wie zuvor können wir die CarnotAussage auf die Kelvin-Planck-Formulierung des zweiten Hauptsatzes zurückführen. Wir denken uns eine Carnot-Wärmepumpe, die dem kühleren Reservoir die Wärme QL, rev entnimmt, dem wärmeren Reservoir die Wärme QH zuführt und dazu die Arbeit Wrev benötigt (Abb. 10.15 unten). In das gleiche Gehäuse bauen wir eine Super-Carnot-Maschine ein, die dem wärmeren Reservoir die Wärmemenge QH entnimmt, dabei die Arbeit WSC produziert und die Wärme QSC abgibt. Dank ihres höheren Wirkungsgrades gibt sie mehr Arbeit ab, als zum Betrieb der Carnot-Wärmepumpe erforderlich ist. Wir können also mit einem Teil von WSC die Carnot-Wärmepumpe betreiben. Den Rest führen wir nach außen ab und nutzen ihn anderweitig. Da die Gesamtapparatur dem wärmeren Reservoir ebenso viel Wärme zuführt, wie sie ihm entnimmt, braucht sie es zum Betrieb nicht mehr. Insgesamt ist eine Super-KP-Maschine entstanden, die dem kälteren Reservoir Wärme entnimmt und vollständig in Arbeit umsetzt. Damit ist gezeigt, dass es eine Super-Carnot-Maschine nicht geben kann. Keine Wärmekraftmaschine kann einen höheren Wirkungsgrad haben als den Carnot-Wirkungsgrad (10.38). Der Wirkungsgrad reversibler Wärmekraftmaschinen Eine reversible Wärmekraftmaschine kann auch keinen kleineren Wirkungsgrad als die Carnot-Maschine haben. Dann könnte man – da sie reversibel ist – ihre Laufrichtung umkehren und hätte nun eine Wärmepumpe, die zum Betrieb weniger Arbeit benötigt als eine Carnot-Wärmepumpe. Man könnte nun das

290

Kapitel 10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz

W

Q

Abb. 10.16: Ein Wärmekraftwerk, das allein das Meer abkühlt, um dadurch Arbeit zu gewinnen, kann es nicht geben.

in Abb. 10.15 dargestellte Argument mit vertauschten Rollen wiederholen und hätte eine Super-KP-Maschine geschaffen. Eine reversible Wärmekraftmaschine kann nach dem Gesagten weder einen größeren noch einen kleineren Wirkungsgrad als die Carnot-Maschine haben – also muss er gleich dem Carnot-Wirkungsgrad sein. Das ist die Aussage des Merksatzes auf S. 289, und das verleiht dem Carnot-Prozess als thermodynamischem Referenzprozess eine so zentrale Bedeutung. Beispielaufgabe: Energie aus dem Meer? Wäre man im Besitz einer Super-KP-Maschine, so könnte man das Wasser der Weltmeere abkühlen, um elektrische oder mechanische Arbeit zu gewinnen. Um wie viel müsste man die Meere (geschätzte Masse: 1,4 · 1021 kg) abkühlen, um den EnergieJahresbedarf der Menschheit (ca. 5 · 1020 J) zu decken? Lösung: Die gedachte Super-KP-Maschine soll Wärme aus dem Meer entnehmen und die entsprechende Energie vollständig als Arbeit wieder abgeben (Abb. 10.16). Wenn wir annehmen, dass die Abkühlung des Meeres gleichmäßig erfolgt und die Wärmekapazität von Wasser einsetzen, können wir die Temperaturabnahme berechnen:

∆T =

Q 5 · 1020 J = = 8,5 · 10−5 K. m·c 1,4 · 1021 kg · 4,19 kgkJ·K

(10.39)

Die Meere müssten also um weniger als ein zehntausendstel Grad abgekühlt werden, um den Energiebedarf der Menschheit für ein Jahr zu decken – eine sehr attraktive gedankliche Möglichkeit, die leider durch den zweiten Hauptsatz verhindert wird. Wirkliche Wärmekraftmaschinen benötigen immer eine Temperaturdifferenz, um zu funktionieren. Und sie arbeiten nach Gl. (10.38) mit umso höherem Wirkungsgrad, je größer diese Temperaturdifferenz ist. Geringe Temperaturunterschiede lassen sich normalerweise nicht wirtschaftlich zum Betrieb einer Wärmekraftmaschine nutzen. Würde man eine Wärmekraftmaschine vom Super-KP-Typ zum Funktionieren bringen, hätte man ein Perpetuum mobile 2. Art gebaut. Anders als beim Perpetuum mobile 1. Art (das antriebslos Energie liefern soll und damit den Energiesatz verletzt) ist die Unmöglichkeit einer solchen Maschine anschaulich nicht leicht einzusehen. Deshalb stellen findige Entwickler immer wieder Entwürfe für derartige Geräte vor – leider stets ohne einen funktionierenden Prototyp.

Abschnitt 10.7 Klassische Fassungen des zweiten Hauptsatzes

291

Der Carnot-Wirkungsgrad als Maßstab für reale Wärmekraftmaschinen Die Carnot-Aussage ist eine Erkenntnis von ungeheurer praktischer Tragweite, weil sie einen Maßstab liefert, mit dem sich der Wirkungsgrad von realen Wärmekraftmaschinen beurteilen lässt. Von der Dampfmaschine bis zur Dampfturbinenanlage in einem Kohlekraftwerk: Dem Carnot-Wirkungsgrad können sie sich höchstens annähern, ihn aber niemals überschreiten. Eine hundertprozentige Ausnutzung der im Brennstoff enthaltenen Energie ist für eine Wärmekraftmaschine niemals möglich. Dagegen sind der Erhöhung des Wirkungsgrades unterhalb des Carnot-Wertes höchstens technische oder wirtschaftliche Grenzen gesetzt – eine physikalische Unmöglichkeit ist es nicht. Beispielaufgabe: Entropiebilanz einer reversiblen Wärmekraftmaschine Zeigen Sie mit Hilfe einer Entropiebilanz, dass sich der maximale Wirkungsgrad einer periodisch arbeitenden Wärmekraftmaschine allein aus dem zweiten Hauptsatz herleiten lässt, ohne Bezug auf den konkreten Prozess. Lösung: Wir erstellen die Entropiebilanz für das in Abb. 10.11 eingezeichnete System. Bei der Berechnung von ∆e S müssen eintretende und austretende Entropie berücksichtigt werden:

∆e S =

QH Q + L. TH TL

(10.40)

wobei QH > 0 und QL < 0. Analog zu Gl. (10.36) gilt für einen reversiblen periodischen Prozess (∆i S = 0):

∆e S +  ∆ i S = ∆e S = 0,

(10.41)

QL T =− L. QH TH

(10.42)

=0

so dass aus Gl. (10.40) folgt:

Bereits in Kapitel 8 hatten wir mit Gl. (8.28) die gleiche Relation für den CarnotProzess hergeleitet. Ebenso wie dort gilt nach dem ersten Hauptsatz für die verrichtete Arbeit: −W = QH + QL . Setzen wir diese Beziehung zusammen mit Gl. (10.42) in die Definition des Wirkungsgrades ein, so ergibt sich:

η=

|W | Q + QL T = H = 1− L. QH QH TH

(10.43)

Damit sind noch einmal – nur unter Verwendung der beiden Hauptsätze – zwei wichtige Ergebnisse gezeigt: (1) Alle reversiblen und periodisch arbeitenden Wärmekraftmaschinen haben den gleichen Wirkungsgrad, der durch Gl. (10.43) gegeben ist. (2) Weil nach dem zweiten Hauptsatz ∆i S nicht negativ werden kann, ist dies gleichzeitig der maximal erreichbare Wirkungsgrad. Interessant ist, dass höhere Wirkungsgrade möglich sind, wenn man das plancksche „weiter nichts“ fallen lässt. In offenen Systemen, in denen Materie das System durchquert, kann die austretende Materie mehr Entropie abtransportieren, als in das System eintritt, so dass hier der Carnot-Wirkungsgrad keine Grenze ist.

292

m· · sin

Kapitel 10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz

Entropieerzeugung DiS

Zufluss

m· · sout

Abfluss DeS Q Entropieübertragung

Abb. 10.17: Veranschaulichung der verschiedenen Beiträge zur Entropiebilanz

10.8 Entropiebilanz für offene Systeme Bisher kennen wir zwei Möglichkeiten, wie sich die Entropie eines Systems ändern kann: (1) Im Inneren des Systems kann Entropie erzeugt werden, und (2) durch Wärmeübertragung kann Entropie zu- oder abgeführt werden. Doch in offenen Systemen kann sich die Entropie auch dadurch ändern, dass Materie in das System hineinströmt und in einem anderen Zustand – mit größerer oder kleinerer Entropie – wieder herausströmt (Abb. 10.17). Diesen Beitrag zur Entropiebilanz, der vor allem bei den technisch wichtigen Strömungsvorgängen von Bedeutung ist, wollen wir nun diskutieren. Wir knüpfen dabei an unsere Überlegungen aus Abschnitt 6.14 an, wo wir im Zusammenhang mit dem ersten Hauptsatz bereits die Massen- und Energiebilanz für offene Systeme behandelt haben. Wie dort betrachten wir ein Kontrollvolumen, das von einer Gas- oder Flüssigkeitsströmung durchflossen wird (Abb. 10.17). Bei der Entropiebilanz müssen wir berücksichtigen, dass

Abb. 10.18: NiederdruckRotor einer KraftwerksDampfturbine. Der Dampf wird an der schmalsten Stelle von der Seite zugeführt.

293

Abschnitt 10.8 Entropiebilanz für offene Systeme

dem System mit der über die Systemgrenzen strömenden Materie auch Entropie zugeführt wird: ∆SMaterie = ∆m · s. (10.44) Dabei ist s die spezifische Entropie des Stoffes bei den am Zufluss herrschenden Bedingungen (wie Druck oder Temperatur), und ∆m ist die zugeführte Masse. Entsprechendes gilt für die am Abfluss aus dem System strömende Entropie. Ergänzt man Gl. (10.1) um diese Beiträge, lautet die Entropiebilanz: S(t2 ) − S(t1 ) = ∆e S + ∆i S + (∆min · sin − ∆mout · sout ) .

(10.45)

In differentieller Form nimmt sie die folgende Gestalt an: dS de S di S = + + (m˙ in · sin − m˙ out · sout ) . dt dt dt

(10.46)

Bei stationären Fließprozessen schließlich, wo die Strömung stationär und die Entropie des Systems konstant ist (vgl. S. 173), vereinfacht sich die Entropiebilanz zu: de S di S 0= + + m˙ (sin − sout ) . (10.47) dt dt Hierbei ist m˙ der an Zu- und Abfluss jeweils gleiche Massenstrom. Beispielaufgabe: Dampfturbine eines Kraftwerks Eine Niederdruck-Dampfturbine in einem Kohlekraftwerk (Abb. 10.18) wird mit 450 °C heißem Wasserdampf bei 8 bar betrieben. Pro Stunde strömen 120 Tonnen Dampf durch die Turbine. Mit dem immer noch warmen Dampf, der die Anlage mit einem Druck von 0,8 bar verlässt, wird über einen Wärmetauscher das Wasser in einem Fernwärmenetz erhitzt. Berechnen Sie die mechanische Leistung der Turbine unter idealen Bedingungen, d. h. bei Vernachlässigung von jeglicher Entropieerzeugung. Geben Sie außerdem die Temperatur des ausströmenden Wasserdampfes an. Lösung: Es handelt sich um einen stationären Fließprozess, denn die drei auf S. 173 genannten Bedingungen sind erfüllt: stationäre Strömung, Konstanz der Zustandsgrößen im Inneren sowie konstante Energieströme. Die Bilanzgleichungen für Masse und Energie können wir aus Abschnitt 6.14 übernehmen, für die Entropiebilanz verwenden wir Gl. (10.47). In der Aufgabenstellung ist der Massenstrom des Dampfes mit

m˙ = 120 Tonnen/Stunde

m· · sin

(10.48)

m· · sout

Turbine W

Abb. 10.19: Entropieflüsse bei einer Dampfturbine

8 bar 450 °C

0,8 bar

294

Kapitel 10 Fundamentale Konzepte: Der zweite Hauptsatz

angegeben. Für die Energiebilanz des stationären Fließprozesses gilt Gl. (6.100):

˙ = m˙ (hout − hin ). W

(10.49)

Dabei wurde angenommen, dass die Änderung der kinetischen Energie des Dampfes gegenüber der Enthalpieänderung hout − hin vernachlässigbar ist. Das ist bei Kraftwerksprozessen in aller Regel eine sehr gute Näherung. Weiterhin haben wir berücksichtigt, dass zwar Arbeit über die Systemgrenzen hinweg übertragen wird (an der Turbinenwelle), aber kein Wärmeaustausch stattfindet (Abb. 10.19). Die Entropiebilanz des Prozesses ist durch Gl. (10.47) gegeben. Da keine Wärme über eS die Systemgrenzen fließt, ist ddt = 0, und da wir von einem idealen Prozess ausgehen, bei dem jegliche Entropieerzeugung durch Reibung oder Strömungsverluste iS außer Acht bleibt, gilt auch ddt = 0. Die ersten beiden Terme auf der rechten Seite von Gl. (10.47) sind daher null, und die Gleichung vereinfacht sich zu:

sin = sout .

(10.50)

Den Endzustand des Dampfes bestimmen wir aus der Entropiebilanz. Aus der Dampftafel für überhitzten Dampf (S. 411) lesen wir die spezifische Enthalpie und die spezifische Entropie für den Anfangszustand ab: Anfangszustand:

Tin = 450 ◦ C

)



pin = 8 bar

hin = 3374 kJ/kg sin = 7,73 kJ/kg K.

(10.51)

Nun suchen wir den Endzustand, der nach Gl. (10.50) bei einem Druck von 0,8 bar die gleiche Entropie besitzen muss: Endzustand:

pout = 0,8 bar sin = sout

)



Tout = 150 ◦ C hout = 2778 kJ/kg.

(10.52)

Damit ist bereits das erste Ziel, die Temperatur des austretenden Dampfes zu ermitteln, erreicht. Sie beträgt 150 °C. Die mechanische Leistung der Turbine ergibt sich, wenn man die spezifischen Enthalpien von Anfangs- und Endzustand in den ersten Hauptsatz (10.49) einsetzt:

˙ = m˙ (hout − hin ) W   103 kg kJ kJ = 120 · · 2778 − 3374 3600 s kg kg

= −19,9 MW.

(10.53)

Die Turbine gibt unter den hier angenommenen idealen Bedingungen eine Leistung von 19,9 Megawatt ab. Das negative Vorzeichen zeigt an, dass Energie aus dem System nach außen abgegeben wird.

Die mikroskopische Deutung der Entropie

11

296

Kapitel 11 Fundamentale Konzepte: Mikroskopische Deutung der Entropie

11.1 Irreversibilität und die Zerstreuung von Energie In Kapitel 5 konnten wir die Begriffe Druck und Temperatur, die in der Thermodynamik neu auftreten, mikroskopisch interpretieren. Dabei argumentierten wir wie folgt: Wegen der immens großen Teilchenzahlen ist es unmöglich, die Bewegungen der Atome und Moleküle im Detail zu verfolgen. Um unsere mit makroskopischen Messgeräten durchgeführten Messungen zu beschreiben, müssen wir zu statistischen Methoden greifen. Die der Messung zugänglichen Größen ergeben sich durch Mittelwertbildung. Eine mikroskopische Deutung wollen wir nun auch für den zweiten Hauptsatz und den Begriff der Entropie suchen. Wir möchten verstehen, wie es kommt, dass die Entropie eines isolierten Systems nur zu-, aber niemals abnehmen kann. Lässt sich diese zentrale Aussage – die wir in der Thermodynamik als grundlegendes Naturgesetz einführen mussten – auf der mikroskopischen Ebene besser begründen? Bei der Untersuchung irreversibler Prozesse mit statistischen Methoden werden wir zu einem tieferen und auch anschaulicheren Verständnis des zweiten Hauptsatzes gelangen. Die Zerstreuung von Energie Die mikroskopische Interpretation der Entropie ist begrifflich sehr einfach und lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Die Entropie beschreibt, wie sehr die Energie im System zerstreut ist. Sie beschreibt nicht, wie viel Energie im System vorhanden ist (das macht die innere Energie), sondern wie gleichmäßig sie verteilt ist. Das Zerstreuen umfasst sowohl die räumliche Ausbreitung als auch die Verteilung der Energie über die verschiedenen mikroskopischen Freiheitsgrade. Leff (1996) hat dies durch den treffenden Ausdruck „the spreading and sharing of energy“ charakterisiert. Eine niedrige Entropie haben diejenigen Zustände, bei denen die vorhandene Energie auf wenige Freiheitsgrade konzentriert ist. Ist die Energie dagegen gleichmäßig verteilt und über alle zur Verfügung stehenden mikroskopischen Freiheitsgrade zerstreut, liegt ein Zustand mit hoher Entropie vor. Mikroskopische Deutung des zweiten Hauptsatzes Der zweite Hauptsatz erhält in diesem Bild eine einfache Interpretation: Energie kann sich ausbreiten, sich aber nicht spontan auf einen kleinen Raumbereich oder wenige Freiheitsgrade konzentrieren. Das Zerstreuen von Energie ist nicht mehr rückgängig zu machen; jeder Prozess, bei dem es geschieht, ist irreversibel. Das Anwachsen der Entropie spiegelt diese Tendenz zur Ausbreitung von Energie wider. Entropie wird erzeugt, wenn Energie sich zerstreut. Betrachten wir einige Beispiele für diese Deutung des zweiten Hauptsatzes: (1) Beim Spielen fällt der Teddybär eines Kindes auf den Boden (Abb. 11.1). Vor dem Herunterfallen hat der Bär eine gewisse potentielle Energie, die von seiner Höhe über dem Boden abhängt. Sie ist auf einen einzigen ma-

Abschnitt 11.1 Irreversibilität und die Zerstreuung von Energie

297

kroskopischen Freiheitsgrad (der Lage des Schwerpunkts) konzentriert. Wenn der Teddy auf dem Boden aufkommt, verteilt sich diese Energie auf die vielen mikroskopischen Freiheitsgrade der Moleküle des Fußbodens und des Bären. Es werden zum Beispiel Gitterschwingungen angeregt, die sich im Festkörper ausbreiten. Diese mikroskopischen Freiheitsgrade haben wir in Kapitel 6 der inneren Energie zugeordnet und über die Wärmekapazität mit der Temperatur verknüpft. Teddybär und Fußboden erwärmen sich also ein wenig. Auf jeden dieser mikroskopischen Freiheitsgrade entfällt nur ein winziger Bruchteil der ursprünglichen potentiellen Energie. Energie wird somit zerstreut; der Prozess ist irreversibel. Der umgekehrte Prozess, bei dem die Energie sich spontan konzentrieren müsste, kommt in der Natur nicht vor. Noch nie hat jemand beobachtet, dass sich der Erdboden etwas abkühlt und dabei ein Teddy in die Arme eine Kindes geschleudert wird. (2) Zwei Kupferblöcke mit gleicher Masse, aber unterschiedlicher Temperatur werden in Kontakt gebracht. Zu Beginn hat der heißere der beiden Blöcke eine höhere innere Energie. Die Energie ist also in einem der beiden Blöcke stärker konzentriert. Wenn sich die beiden Blöcke berühren, kühlt sich der wärmere ab, während sich der kältere Block erwärmt. Die Energie breitet sich aus, bis sie maximal zerstreut ist, d. h. gleichmäßig über die beiden Blöcke verteilt ist. Im thermodynamischen Gleichgewicht haben beide Blöcke die gleiche Temperatur. Auch hier findet der umgekehrte Prozess, also die spontane Konzentration von Energie auf einen der beiden Blöcke, in der Natur nicht statt. (3) Öffnet man das Ventil eines Fahrradreifens, so strömt die Luft im Reifen irreversibel nach außen. Die ausströmenden Gasteilchen transportieren ihre kinetische Energie aus dem Reifen in die Umgebung. Energie wird somit räumlich zerstreut; der Prozess ist irreversibel. (4) Eine oft angeführte Faustregel besagt, dass ein System immer den energetisch günstigsten Zustand anstrebt, d. h. den Zustand mit der niedrigsten Energie. Zum Beispiel kommt eine Kugel, die in einer Mulde hin und her rollt, nach einer Weile am tiefsten Punkt der Mulde zum Stillstand. Natürlich weiß jeder Physiker, der diese Sprechweise benutzt, dass auch für diesen Prozess der Energieerhaltungssatz gilt und die Energie des Systems nicht abnimmt, sondern konstant bleibt. Gemeint ist etwas anderes: Aus den makroskopischen Freiheitsgraden der kinetischen und der po-

Abb. 11.1: Der Aufprall eines Teddybären auf dem Boden ist ein irreversibler Prozess, weil dabei Energie zerstreut wird.

Zerstreuung von Energie

298

Kapitel 11 Fundamentale Konzepte: Mikroskopische Deutung der Entropie

tentiellen Energie des Schwerpunkts geht die Energie – ähnlich wie beim heruntergefallenen Teddybär, nur allmählicher – irreversibel auf viele mikroskopische Freiheitsgrade über. Wenn man vom energetisch günstigsten Zustand spricht, meint man also in Wirklichkeit den Zustand mit der maximalen Entropie. Irreversibilität, Zerstreuung und die Qualität der Energie Die Interpretation der Entropie als Zerstreuungsgrad der Energie fügt sich nahtlos in unsere thermodynamische Deutung aus Kapitel 9 ein. Dort haben wir die Entropie als die Qualität von Energie beschrieben und dies genauer als den Nutzwert zum Heben einer Last definiert. Im mikroskopischen Zugang können wir direkt an diese Vorstellung anknüpfen. Bei den wertvollen mechanischen Energieformen (z. B. kinetische, potentielle und Spannenergie) ist die Energie auf nur wenige Freiheitsgrade konzentriert (etwa die Lage des Schwerpunkts beim Teddybär) und kann dadurch leicht nutzbar gemacht werden. Bei der inneren Energie ist dagegen die Energie auf sehr viele mikroskopische Freiheitsgrade zerstreut (vgl. die Diskussion in Kapitel 6). Sie ist thermodynamisch weniger wertvoll, weil wir sie nur unvollständig zum Heben einer Last nutzen können. Und auch hier gilt: Je konzentrierter die innere Energie, umso wertvoller ist sie. Mit innerer Energie, die in einem Raumbereich mit hoher Temperatur zusammengeballt ist, kann man eine Wärmekraftmaschine betreiben, mit gleichmäßig verteilter innerer Energie dagegen nicht.

11.2 Makrozustand und Mikrozustände Wenn wir vom Zustand eines Systems sprechen, das aus sehr vielen Teilchen besteht, ist es hilfreich, die folgende Begriffsunterscheidung einzuführen: (1) Makrozustand: Der Makrozustand eines Systems wird durch die wenigen Variablen beschrieben, die wir experimentell kontrollieren können. Für einen Behälter mit Gas sind dies zum Beispiel die thermodynamischen Variablen Druck, Temperatur, Volumen und die Masse des Gases. (2) Mikrozustand: Der Mikrozustand beschreibt das System auf molekularer Ebene. Um ihn zu kennen, müssten wir den Ort und die Geschwindigkeit für jedes einzelne der 1023 Gasteilchen erfassen und alle diese Größen angeben. Aus dem Mikrozustand kann man auf den Makrozustand schließen: Temperatur und Druck ergeben sich durch Mittelwertbildung (vgl. Kapitel 5). Die umgekehrte Aussage gilt nicht. Mit einem bestimmten Makrozustand ist eine immens große Zahl von Mikrozuständen vereinbar. Immer wenn zum Beispiel in einem Gas zwei Moleküle kollidieren, ändert sich der Mikrozustand – der Makrozustand bleibt davon unberührt. Gegenüber dem Mikrozustand ist der Makrozustand durch einen Mangel an Information gekennzeichnet: Information über die mikroskopischen Details eines Systems, die durch die makroskopische Präparation und Messung im Labor nicht zu erlangen ist.

Abschnitt 11.3 Statistische Mechanik: Das Zählen von Zuständen

299

Beispielaufgabe: Makrozustand und Mikrozustände Der Mikrozustand von einem Mol Luft ändert sich, wenn zwei Gasteilchen kollidieren. Schätzen Sie ab, wie oft dies pro Sekunde geschieht. Lösung: In Kapitel 5 haben wir die statistischen Eigenschaften von Luft analysiert. Für die mittlere freie Weglänge ergab sich auf S. 119 der Wert 1,5 · 10−7 m, für die Geschwindigkeit etwa 450 m/s. Die Zeit zwischen zwei Zusammenstößen beträgt also

t=

1,5 · 10−7 m = 3,3 · 10−10 s. 450 m/s

(11.1)

Da es 6 · 1023 Teilchen in einem Mol gibt, finden somit 2 · 1014 Kollisionen pro Sekunde statt. Allein durch die Zusammenstöße von Gasmolekülen ändert sich der Mikrozustand eines Gases ständig, ohne dass der Makrozustand davon beeinflusst wird.

11.3 Statistische Mechanik: Das Zählen von Zuständen Die kinetische Gastheorie, die wir in Kapitel 5 diskutiert haben, beschreibt die Begriffe der Wärmelehre, indem sie Stoßprozesse zwischen Gasteilchen analysiert. Es zeigt sich, dass dieser Ansatz mathematisch sehr komplex wird, sobald man stärker wechselwirkende Teilchen betrachtet. Ein konzeptionell einfacherer Zugang wird in der statistischen Mechanik verfolgt. Hier fragt man nicht nach Bahnen und Kräften, sondern man geht von der Energie aus und fragt nach ihrer Verteilung auf die mikroskopischen Freiheitsgrade des Systems. Diese Vorgehensweise hat zwei Vorteile. Erstens ist sie der Quantenmechanik sehr viel angemessener, wo Zustand und Energie adäquatere Begriffe sind als Bahn und Kraft. Zweitens ist die mathematische Grundoperation, die der statistischen Mechanik zugrunde liegt, die einfachst denkbare: Es ist das Zählen. Die statistische Mechanik zählt die mikroskopischen Möglichkeiten für die Realisierung eines gegebenen Makrozustands. Die Grundannahme der statistischen Mechanik und ihre wesentliche Aussage, die das Zerstreuen der Energie bei irreversiblen Prozessen beschreibt, lassen sich schon an dieser Stelle in zwei Sätzen beschreiben. Grundannahme der statistischen Mechanik: Alle mikroskopischen Realisierungen eines Makrozustands sind im thermodynamischen Gleichgewicht gleich wahrscheinlich. Der zweite Hauptsatz reduziert sich dann auf die Aussage, dass ein System demjenigen Zustand zustrebt, der unter den gegebenen makroskopischen Bedingungen die meisten mikroskopischen Realisierungsmöglichkeiten besitzt. Einfacher scheint es nicht zu gehen. Und doch wird schnell deutlich, dass es sich bei dem Abzählen von Zuständen in der statistischen Mechanik keineswegs um eine triviale Angelegenheit handelt. Denn um die Mikrozustände zu zählen, muss man sie erst einmal kennen. Das Problem verlangt also im Grunde die Kenntnis der Energien aller Mikrozustände des betrachteten Systems.

300

Kapitel 11 Fundamentale Konzepte: Mikroskopische Deutung der Entropie

Dies erklärt, warum die statistische Mechanik – bei aller grundsätzlichen Einfachheit – in der Anwendung eine doch schwierig zu handhabende Theorie ist. Man ist auf Näherungsverfahren und in aller Regel auf numerische Simulationen angewiesen. Mikrokanonisches Ensemble und Ergodenhypothese In einem statistischen Ensemble werden gedanklich alle möglichen mikroskopischen Realisierungen eines Makrozustands zusammengefasst. Es bildet die Grundgesamtheit für die statistischen Aussagen der Theorie. Ein spezieller Fall ist das mikrokanonische Ensemble. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass die makroskopischen Variablen U, V und N vorgegeben sind. Nach der Grundannahme der statistischen Mechanik sind alle Mikrozustände, die dem System zugänglich sind, gleich wahrscheinlich. Um dieses Postulat plausibel zu machen, erinnern wir uns an das Beispiel des Gases auf S. 299. Es ändert seinen Mikrozustand mehr als 1014 Mal pro Sekunde. Im Lauf der Zeit wird es alle ihm zugänglichen Mikrozustände durchlaufen (das ist die „Ergodenhypothese“, auf die wir noch zurückkommen werden). Gelänge es, zu verschiedenen Zeitpunkten den Mikrozustand des Gases zu ermitteln, würde man im thermischen Gleichgewicht jeden der möglichen Zustände mit gleicher Wahrscheinlichkeit finden – im Einklang mit der Grundannahme. Alternativ könnte man auch Messungen an einem Ensemble vornehmen, indem man eine große Zahl identisch präparierter Systeme vermisst. Nach der Ergodenhypothese führen beide Verfahren zum gleichen Ergebnis, was man oft mit der Kurzformel „Zeitmittel gleich Ensemblemittel“ ausdrückt. Statistisches Gewicht Das statistische Gewicht Ω eines Makrozustands ist die Anzahl aller Mikrozustände, die mit einem gegebenen Makrozustand verträglich sind. Ω ist also eine reine Zahl ohne Einheit – man merkt, dass es auf das Zählen hinausläuft. Für ein Gas in einem Behälter, das durch die Variablen U, V und N beschrieben wird, gibt Ω(U, V, N ) die Anzahl der Zustände an, die ein System aus N Gasteilchen im Volumen V annehmen kann, unter der Bedingung, dass die Summe aller mikroskopischen Energien gleich U ist. Schon an dieser Stelle erkennt man zweierlei: Erstens ist Ω eine riesige Zahl, und zweitens wird es nicht leicht sein, sie zu ermitteln.

11.4 Das Boltzmann-Einstein-Modell Die Mikrozustände eines Gases werden durch die Angabe von Ort und Geschwindigkeit aller Gasteilchen beschrieben. Doch wie soll man die Zustände zählen? Ort und Geschwindigkeit sind kontinuierliche Variablen, und wenn man nur genau genug misst, werden keine zwei Gasteilchen jemals die gleiche Geschwindigkeit haben. Ähnlich wie bei der Maxwell-Boltzmann-Verteilung (S. 112) muss man mit Zustands- und Wahrscheinlichkeitsdichten operieren. Da dies die mathematische Behandlung deutlich erschwert, greifen wir ein einfaches Modell auf, das schon der Begründer der statistischen Mechanik,

301

Abschnitt 11.4 Das Boltzmann-Einstein-Modell

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e

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Abb. 11.2: Es gibt vier mikroskopische Realisierungsmöglichkeiten für die Verteilung von drei Energieportionen auf zwei „Kästen“.

Ludwig Boltzmann, in seiner zentralen Arbeit von 1877 einführt. Um das Problem der kontinuierlichen Variablen zu umgehen, geht er zu diskreten Energieportionen über, die er auf die Moleküle verteilt: Wir wollen also vorläufig an Stelle des zu behandelnden Problems ein rein schematisches setzen. Wir nehmen an, wir hätten N Moleküle. Jedes derselben sei imstande, die kinetische Energie1

0, ϵ, 2 ϵ, 3 ϵ, . . . , u ϵ anzunehmen, und zwar sollen diese kinetischen Energien auf alle mögliche Weise unter den N Molekülen verteilt werden, jedoch so, dass die Gesamtsumme der kinetischen Energien aller Moleküle immer dieselbe, z. B. gleich u · ϵ = U ist. (Boltzmann 1877)

Indem er die Energieportionen gedanklich beliebig klein macht, kann sich Boltzmann einer kontinuierlichen Verteilung mit beliebiger Genauigkeit annähern, um so die Maxwell-Boltzmann-Verteilung für die Geschwindigkeiten der Moleküle in einem Gas zu erhalten. Was Boltzmann zu dieser Zeit noch nicht wissen konnte: Nach der Quantenmechanik ist die Energie tatsächlich quantisiert. Schon auf S. 166 haben wir den harmonischen Oszillator erwähnt, der in der Quantenmechanik nur Energieportionen aufnehmen kann, die ein Vielfaches von ¯h ω0 betragen. Dieser Umstand eröffnet dem Boltzmann-Modell ganz neue Anwendungsmöglichkeiten. Viele mikroskopische Anregungen, z. B. die Gitterschwingungen in Festkörpern, lassen sich als harmonische Oszillatoren beschreiben. Das Modell spielte deshalb in der Frühzeit der Quantenmechanik eine wichtige Rolle: Einstein gelang es mit seiner Hilfe im Jahr 1907, das auf S. 166 dargestellte Ergebnis für die Wärmekapazität von Festkörpern herzuleiten. Hier erkennt man, wie flexibel das Modell ist: Anders als bei Boltzmann werden die Energieportionen bei Einstein nicht auf Gasmoleküle, sondern auf die Schwingungszustände von Atomen in einem Festkörper verteilt. Formulierung des Modells Wir betrachten ganz allgemein n „Kästen“, auf die u Energieportionen verteilt werden. In welcher Weise die Kästen physikalisch realisiert sind, ist zunächst nebensächlich. Sie können für Gasmoleküle wie bei Boltzmann, Atome wie bei Einstein oder auch für räumliche Bereiche stehen. Vom Standpunkt der statistischen Mechanik ist nur die Grundidee des Verteilens von Energie auf 1

Boltzmann schreibt statt „kinetische Energie“ noch „lebendige Kraft“; gegenüber dem Original wurden ferner die Variablenbezeichnungen verändert.

302

Kapitel 11 Fundamentale Konzepte: Mikroskopische Deutung der Entropie

mikroskopische Freiheitsgrade wichtig. Wie in Abb. 11.2 gezeigt, symbolisieren wir jede Energieportion durch das Formelzeichen ϵ. Der Makrozustand des Systems ist durch zwei ganzzahlige Parameter charakterisiert: die Zahl der Kästen n und die Zahl der Energieportionen u. Die innere Energie ist somit durch U = u · ϵ gegeben. Gesucht wird die Zahl Ω(u, n) der mikroskopischen Realisierungen eines gegebenen Makrozustands. Nach der Grundannahme der statistischen Mechanik ist jeder dieser Mikrozustände gleich wahrscheinlich, weil ständig Übergänge zwischen ihnen stattfinden, an denen sie gleichberechtigt teilnehmen – ähnlich wie die Kollisionen von Gasteilchen den Mikrozustand des Gases ständig ändern. Die Entstehung von Irreversibilität Als erste Anwendung des Modells behandeln wir einen irreversiblen Vorgang: die freie Expansion eines Gases (vgl. S. 252). Den Behälter, in dem sich das Gas befindet, geben wir in grober Näherung durch vier nebeneinanderliegende Kästen wieder. Mit einer Trennwand soll der Behälter in zwei Hälften geteilt sein; das Gas ist zunächst auf die linke Hälfte beschränkt. In Abb. 11.2 ist dies dadurch symbolisiert, dass die beiden rechten Kästen als „unzugänglich“ markiert sind. Wir nehmen an, dass drei Energieportionen zu verteilen sind, die man sich physikalisch durch die kinetische Energie von Gasteilchen realisiert denken kann. Nach Abb. 11.2 gibt es vier Möglichkeiten, sie auf die zwei Kästen der linken Behälterhälfte aufzuteilen. Es gilt also Ω(3, 2) = 4. Nun wird die Trennwand entfernt. Das Volumen verdoppelt sich dadurch; die Zahl der zugänglichen Kästen erhöht sich auf vier. Der entscheidende Punkt: Die Zahl der Mikrozustände, die mit dem neuen Makrozustand verträglich sind, nimmt in weitaus stärkerem Maße zu als die Zahl der Kästen. In Abb. 11.3 sind die möglichen Mikrozustände dargestellt; es sind Ω(3, 4) = 20. e e e

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e

e

e e e e e

Abb. 11.3: Die 20 Möglichkeiten, drei Energieportionen auf vier Kästen zu verteilen

Abschnitt 11.4 Das Boltzmann-Einstein-Modell

303

Unter diesen 20 Zuständen befinden sich auch die vier ursprünglichen, in denen das Gas auf die linke Hälfte konzentriert war. Nach der Grundannahme der statistischen Mechanik werden sie vom System auch immer wieder durchlaufen. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 4/20 = 20 % kommt es vor, dass man alle Energieportionen auch bei geöffneter Trennwand in der linken Hälfte findet. Aber dieser Prozentsatz nimmt rasch ab, wenn man zu einer größeren Zahl von zu verteilenden Energieportionen übergeht: Bei 8 Energieportionen sind es bereits 5 %, bei 100 Energieportionen nur noch 0,06 %. So wird es immer unwahrscheinlicher, dass das Gas sich von selbst in der linken Hälfte konzentriert, einfach weil im Verhältnis die Zahl der entsprechenden Zustände immer kleiner wird. Die mikroskopische Deutung des zweiten Hauptsatzes Wir kommen wieder auf das Bild von der Zerstreuung von Energie zurück: Irreversibilität entsteht dadurch, dass Energie sich zerstreut, und dies geschieht nicht aufgrund irgendwelcher besonderer Wechselwirkungen, sondern allein deshalb, weil es – bei gleichen makroskopischen Bedingungen – mehr Zustände mit zerstreuter Energie als solche mit konzentrierter Energie gibt. Wenn wir die Geschehnisse nach dem Entfernen der Trennwand verallgemeinern, können wir sagen: Jedes isolierte System entwickelt sich in Richtung auf den Makrozustand, der unter den gegebenen äußeren Bedingungen die größte Anzahl mikroskopischer Realisierungen besitzt. Die unmittelbare Verwandtschaft dieses Merksatzes mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ist unverkennbar. Es liegt nahe, die Entropie eines Makrozustands mit der Zahl seiner mikroskopischen Realisierungen in Verbindung zu bringen. Dies war die große Einsicht von Boltzmann, mit der er die Verbindung zwischen statistischer Mechanik und Thermodynamik hergestellt hat. Mikroskopische Definition der Entropie Die Entropie wird nicht direkt mit der Zahl der Mikrozustände Ω identifiziert, sondern mit ihrem Logarithmus. Der Grund dafür lässt sich einsehen, wenn man zwei unabhängige Systeme A und B betrachtet, für die die Entropie additiv sein muss: Sges = SA + SB . (11.2) Die Zahl der Zustände des Gesamtsystems ist aber multiplikativ: Da A und B unabhängig sind, kann das System B für jeden Zustand von A einen beliebigen seiner ΩB Zustände annehmen. Für die Gesamtzahl der Mikrozustände im kombinierten System gilt daher: Ωges = ΩA · ΩB .

(11.3)

304

Kapitel 11 Fundamentale Konzepte: Mikroskopische Deutung der Entropie

Logarithmieren wir beide Seiten dieser Gleichung, so gilt nach den Logarithmengesetzen: ln Ωges = ln ΩA + ln ΩB . (11.4) Die angestrebte Additivität der Entropie ist demnach gesichert, wenn wir sie mit dem Logarithmus von Ω identifizieren. Um den Anschluss zur thermodynamischen Entropie herzustellen, muss aus Dimensionsgründen noch eine Proportionalitätskonstante mit der Einheit J/K eingefügt werden: die Boltzmann-Konstante kB , die wir schon auf S. 86 kennengelernt haben. Statistische Definition der Entropie: S(U, V , N ) = kB ln Ω(U, V , N ).

(11.5)

11.5 Die Verbindung zur Thermodynamik Versuchen wir nun, nachdem wir mit Gl. (11.5) die mikroskopische Deutung der Entropie quantitativ formuliert haben, eine Verknüpfung zur makroskopischen Thermodynamik herzustellen. Wie Einstein analysieren wir das einfachste Modell eines Festkörpers. Die Kästen entsprechen den Schwingungsfreiheitsgraden der Atome im Kristallgitter, die Energieportionen ihren Anregungen. n und u nehmen sehr große Werte an, denn die Zahl der Atome liegt in der Größenordnung von 1023 pro Mol und die Zahl der Energieportionen ist je nach Temperatur vergleichbar groß. Wegen der drei Raumrichtungen, in denen Schwingungen stattfinden können, verknüpft man mit jedem Atom drei unabhängige Oszillatoren; es gilt also n = 3N. Bisher haben wir Ω(u, n) durch Abzählen bestimmt. Das ist jedoch nur für kleine Werte von u und n praktikabel. Wir brauchen eine Formel für die Zahl der Möglichkeiten, u Energieportionen auf n Kästen aufzuteilen. Eine elegante Möglichkeit, diese Aufgabe auf ein Grundproblem der Kombinatorik zurückzuführen, ist in Abb. 11.4 gezeigt. Die Energieportionen werden durch Kugeln symbolisiert, die Wände zwischen den Kästen durch Stäbe. Die Außenwände des ersten und letzten Kastens werden nicht dargestellt; zwei aufeinanderfolgende Stäbe entsprechen einem leeren Kasten. Das Problem reduziert sich damit auf die Frage, wie viele Möglichkeiten es gibt, u Kugeln und n − 1 Stäbe in einer Reihe anzuordnen, d. h. die Permu-

e

e e

^

=

Abb. 11.4: Symbolik zur kombinatorischen Ermittlung von Ω

Abschnitt 11.5 Die Verbindung zur Thermodynamik

305

Kasten 11.1 Entropie und Information Es gibt eine weitere Interpretation der Entropie, die sich mit dem Boltzmann-EinsteinModell unmittelbar veranschaulichen lässt: die Entropie als fehlende Information über den Mikrozustand des Systems. Um dies zu erläutern, kehren wir noch einmal zu Abb. 11.3 zurück. Dort sind die 20 Mikrozustände gezeigt, die mit dem Makrozustand u = 3, n = 4 verträglich sind. Die vollständige Kenntnis des Mikrozustands ist gleichbedeutend mit der Information, in welchem dieser 20 Zustände sich das System gerade befindet. Die Zahl der Bits, die nötig ist, um diese Information zu übermitteln, liegt bei etwas über vier (denn es gilt: 24 =16). Genau gerechnet sind es log2 20 ≈ 4,32 bit. Diese Überlegung lässt sich verallgemeinern: Wenn Ω die Zahl der Mikrozustände ist, die zu einem Makrozustand gehören, so ist die Information

Sinf = log2 Ω

(11.6)

erforderlich, um vom Makrozustand auf den Mikrozustand zu schließen. Die hier definierte Informationsentropie unterscheidet sich von der statistischen Definition der thermodynamischen Entropie (11.5) nur durch den konstanten Faktor k B ln 2. Die von Shannon 1948 eingeführte Informationsentropie hat einen größeren Anwendungsbereich als die thermodynamische Entropie. Während Information auch beim Würfeln oder bei der Kommunikation in Datenleitungen eine Rolle spielt, befasst sich die thermodynamische Entropie ausschließlich mit der mikroskopischen Verteilung von Energie. Entsprechend gilt der zweite Hauptsatz der Thermodynamik auch nur für die thermodynamische Entropie. Die häufig verwendete Erläuterung des zweiten Hauptsatzes als „unausweichliche Zunahme der Unordnung“ leitet in die Irre, wenn sie mit Beispielen zur Informationsentropie illustriert wird (z. B. das immer unordentlicher werdende Kinderzimmer als Beispiel für die Entropievermehrung).

tationen von insgesamt u + n − 1 Objekten zu finden, von denen u vom Typ „Kugeln“ und n − 1 vom Typ „Stäbe“ sind. Das Ergebnis lautet: Ω(u, n) =

(n − 1 + u)! (n + u)! ≈ . u! (n − 1)! u! n!

Die Entropie unseres Modellfestkörpers ist somit:   (n + u)! S = kB ln = kB [ln(n + u)! − ln u! − ln n!] . u! n!

(11.7)

(11.8)

Im zweiten Schritt wurde das Logarithmengesetz ln( a/b) = ln a − ln b verwendet. Für große n und u können wir für den Logarithmus der Fakultät die Näherungsformel von Stirling benutzen: ln m! ≈ m ln m − m. Damit vereinfacht sich Gl. (11.8) zu: S = kB [(n + u) ln(n + u) − u ln u − n ln n] .

(11.9)

306

Kapitel 11 Fundamentale Konzepte: Mikroskopische Deutung der Entropie

Wenn wir in der eckigen Klammer alle Terme sammeln, die proportional zu n bzw. u sind, und nochmals die Logarithmengesetze anwenden, ergibt sich: h   u n i S = kB n ln 1 + + u ln 1 + . (11.10) n u Wegen U = u · ϵ verknüpft diese Gleichung die Entropie mit der inneren Energie. Sie ist die Fundamentalgleichung des Systems, die die gesamte thermodynamische Information enthält (vgl. S. 262). Zum Beispiel können wir die Temperatur des Systems wie in Gl. (9.50) durch Differentiation ermitteln: 1 ∂S ∂S = = . T ∂U ∂(uϵ)

(11.11)

Wir erhalten nach kurzer Umformung:  ϵ n = ln 1 + . kB T u

(11.12)

Wenn wir dies nach U = u · ϵ auflösen, ergibt sich eine Gleichung für die Energie als Funktion der Temperatur – also die kalorische Zustandsgleichung des Festkörpers. Es ist die gleiche, die wir (mit ϵ = ¯h ω) bereits im Kasten auf S. 166 angegeben haben: n·ϵ U= ϵ . (11.13) e kB T − 1 Wir haben dort auch schon Einsteins Formel für die Wärmekapazität des Festkörpers angegeben, die man aus m · c = dU dT erhält: n kB c= m



ϵ kB T

ϵ

2

e kB T 

ϵ

e kB T − 1

2 .

(11.14)

Abb. 11.5 zeigt die Originalabbildung aus Einsteins Arbeit, in der die Temperaturabhängigkeit der Wärmekapazität nach Gl. (11.14) mit den experimentellen Daten für Diamant verglichen wird. Ein Triumph für Boltzmanns statistische Methode In diesem Abschnitt haben wir viel erreicht. Durch reines Zählen – die einfachste aller mathematischen Operationen – konnten wir thermodynamische Beziehungen herleiten, die so konkret sind, dass sie mit dem Experiment verglichen werden können. Wie Abb. 11.5 zeigt, stimmen Theorie und Experiment sogar recht gut überein. Die Berechnung der Entropie reduziert sich in Einsteins Festkörpermodell auf eine einfache kombinatorische Grundaufgabe. Damit lassen sich Ausdrücke für die Entropie, die Temperatur, die kalorische Zustandsgleichung, die innere Energie und die spezifische Wärmekapazität herleiten. Kurz und gut: Die gesamte thermodynamische Information lässt sich durch Abzählen der Verteilungsmöglichkeiten für die Energie gewinnen.

307

Abschnitt 11.6 Die Boltzmann-Verteilung

Abb. 11.5: Originalabbildung aus Einsteins Arbeit von 1907 (Ann. Phys. 22, S. 180). Die vorhergesagte Temperaturabhängigkeit der Wärmekapazität eines Festkörpers wird mit den Messdaten für Diamant verglichen. Die Ordinate zeigt c in cal/(mol K), die Abszisse k B T/ϵ. Die Messdaten stammen von H. F. Weber (1872).

Einsteins Berechnung der Wärmekapazität von Festkörpern war im Jahr 1907 ein Triumph für Boltzmanns statistische Methode, und es war auch einer der frühen Belege für die Quantisierung der Energie. Boltzmann selbst hat diesen Triumph nicht mehr erlebt. Als er sich im Jahr zuvor das Leben nahm, lag einer der Gründe dafür vermutlich auch in den fortgesetzten Anfeindungen, denen er seine Theorie ausgesetzt sah.

11.6 Die Boltzmann-Verteilung Das thermische Gleichgewicht ist eine dynamische Angelegenheit. Wie wir im Fall der Luftmoleküle gesehen haben, erfährt jedes von ihnen pro Sekunde etwa 109 Stöße, bei denen es seine Geschwindigkeit ändert. Mit der makroskopischen Thermodynamik lässt sich dieser fortwährende Energieaustausch nicht beschreiben. Die statistische Mechanik führt uns einen Schritt weiter: Im Boltzmann-Einstein-Modell können wir ein einzelnes Atom statistisch analysieren, indem wir einen der Kästen herausgreifen und nach der Wahrscheinlichkeit fragen, dass er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem Zustand mit der Energie Ej befindet. „Atom“ Abb. 11.6: Ein „Atom“ in Kontakt mit einem „Reservoir“

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e e

308

Kapitel 11 Fundamentale Konzepte: Mikroskopische Deutung der Entropie

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„Atom“ e

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e ee

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e

e

j=0

1716

0,5

e

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924

0,27

e

j=2

462

0,13

e

e

e

e e

e

e ee

e e

e

j=3

210

0,06

e

ee ee

e

e

j=4

84

0,02

e

j=5

28

0,008

e

j=6

7

0,002

j=7

1

0,0003

ee ee e ee ee e e

e

e eeee e e

Abb. 11.7: Aufteilung von u = 7 Energieportionen auf n + 1 = 8 Kästen, von denen 7 das Reservoir bilden. Die Gesamtzahl der Zustände ist Ω(u, n + 1) = 3432.

Von den n + 1 Kästen, die wir betrachten, stellt einer das Atom dar, während die anderen die Umgebung bilden (Abb. 11.6). Wir modellieren auf diese Weise den Kontakt zwischen dem Atom und einem thermischen Reservoir. Die Temperatur des Reservoirs ist durch die Anzahl u der Energieportionen bestimmt. Einen expliziten Ausdruck für T haben wir in Gl. (11.12) gefunden. Durch den ständigen Austausch von Energie durchläuft das Gesamtsystem „Atom plus Reservoir“ alle Zustände, die mit der vorgegebenen Gesamtenergie U = u · ϵ verträglich sind. Ihre Zahl ist nach Gl. (11.7): Ω(u, n + 1) =

(n + u)! . u! n!

(11.15)

Wir können diese Zustände nach der Anzahl der Energieportionen aufgliedern, die auf das Atom entfallen. Wenn es mit j Energieportionen besetzt ist, verbleiben noch u − j Portionen für das Reservoir (Abb. 11.7).

Abschnitt 11.6 Die Boltzmann-Verteilung

309

Für einen vorgegebenen Wert von j müssen wir herausfinden, wie viele Zustände des Gesamtsystems es unter der Bedingung gibt, dass das Atom j Energieportionen aufnimmt. Diese Zahl bezeichnen wir mit Ω( j, u, n + 1). Gemäß der Grundannahme der statistischen Mechanik ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Atom j Energieportionen auf sich vereint, durch das Verhältnis von Ω( j, u, n + 1) zur Gesamtzahl der Zustände gegeben: pj =

Ω( j, u, n + 1) . Ω(u, n + 1)

(11.16)

Gesucht ist also die Anzahl der Zustände mit j Energieportionen für das Atom und u − j Portionen für das Reservoir. Dies ist wieder ein kombinatorisches Problem. Ebenso wie in Gl. (11.3) lässt sich Ω( j, u, n + 1) als Produkt schreiben: Ω( j, u, n + 1) = Verteilungsmöglichkeiten für j Energieportionen im Atom

× Verteilungsmöglichkeiten für u − j Portionen im Reservoir. Der erste Faktor ist gleich 1, da es im Atom nur eine einzige Verteilungsmöglichkeit für j Energieportionen gibt. Den zweiten Faktor haben wir bereits in Gl. (11.7) berechnet. Dort setzen wir u − j für die Zahl der Energieportionen und erhalten: (n − 1 + u − j)! Ω( j, u, n + 1) = . (11.17) ( u − j ) ! ( n − 1) ! Durch Einsetzen der Gleichungen (11.15) und (11.17) in Gl. (11.16) ergibt sich: pj =

(n − 1 + u − j)! u! n! (n − 1 + u − j)! u! = n· . ( u − j ) ! ( n − 1) ! ( n + u ) ! (u − j)! (n + u)!

(11.18)

Qualitative Analyse Auch wenn wir p j mit dieser Formel berechnen können, ist sie in physikalischer Hinsicht noch nicht sehr aufschlussreich. Bevor wir sie weiter vereinfachen, soll ihre Bedeutung qualitativ analysiert werden. In Abb. 11.7 sind die Verteilungsmöglichkeiten von 7 Energieportionen auf 8 Kästen schematisch dargestellt. Jede Zeile gibt die Verteilungsmöglichkeiten der Energie unter der Bedingung wieder, dass auf das Atom j Energieportionen entfallen. Der physikalische Grundgedanke lässt sich folgendermaßen formulieren: Je mehr Energieportionen auf das Atom entfallen, umso weniger bleiben für das Reservoir übrig, und umso weniger Realisierungsmöglichkeiten gibt es. Die meisten Realisierungsmöglichkeiten existieren für j = 0, wo alle 7 Energieportionen auf das Reservoir verteilt werden können. Für j = 1 sind es schon weniger Möglichkeiten, weil nur 6 Energieportionen zu verteilen sind. Im Fall, dass alle 7 Energieportionen im Atom konzentriert sind, gibt es nur eine einzige Realisierungsmöglichkeit. Da die Wahrscheinlichkeit eines Zustands proportional zur Zahl seiner Realisierungsmöglichkeiten ist, können wir schon jetzt sagen, dass der wahrscheinlichste Zustand immer derjenige ist, in dem alle Energieportionen im Reservoir sind und keine im Atom.

310

Kapitel 11 Fundamentale Konzepte: Mikroskopische Deutung der Entropie

Im Einklang mit der Interpretation, dass im thermischen Gleichgewicht die Energie maximal zerstreut ist, können wir festhalten: Je stärker die Energie auf das Atom konzentriert ist, umso unwahrscheinlicher ist der entsprechende Zustand. Die Zahlen in Abb. 11.7, die nach den Gleichungen (11.17) und (11.18) berechnet sind, spiegeln dies wider. Die Boltzmann-Verteilung und ihre physikalische Bedeutung Versuchen wir nun, Gl. (11.18) für große Werte von n und u in eine handlichere Form zu bringen. Für die Rechnung stellt es sich als nützlich heraus, den Faktor n/(n + u) herauszuziehen: pj =

n (n − 1 + u − j)! u! · . n + u ( u − j ) ! ( n + u − 1) !

Ferner bilden wir auf beiden Seiten den Logarithmus:     n+u (n − 1 + u − j)! u! ln p j · = ln . n ( u − j ) ! ( n + u − 1) !

(11.19)

(11.20)

Wir benutzen wieder die Näherungsformel von Stirling, ln m! ≈ m ln m − m, in der wegen der Abtrennung des Faktors n/(n + u) in Gl. (11.19) der lineare Term nicht beiträgt:   n+u ln p j · = (n + u − j − 1) ln(n + u − j − 1) + u ln u n

− (u − j) ln(u − j) − (n + u − 1) ln(n + u − 1). (11.21) Im Logarithmus, der nur schwach von seinem Argument abhängt, ersetzen wir u − j durch u. Physikalisch entspricht das der Annahme, dass die Energie, die ein einzelnes Atom dem großen Reservoir „wegnimmt“, kaum ins Gewicht fällt. Die Gleichung vereinfacht sich nun stark:    n+u n ln p j · = − j ln 1 + . (11.22) n u Im zweiten Faktor auf der rechten Seite identifizieren wir nach Gl. (11.12) die Temperatur des Reservoirs:   n+u ϵ ln p j · = −j · . (11.23) n kB T Lösen wir nach p j auf, ergibt sich die gesuchte Wahrscheinlichkeit, dass das Atom bei der Temperatur T einen Zustand mit der Energie Ej = j · ϵ annimmt:   n j·ϵ pj = exp − . (11.24) n+u kB T Diese Formel, die Boltzmann-Verteilung, enthält die zentrale Aussage der statistischen Mechanik. Sie ist – so Richard Feynman – ihr Gipfelpunkt, zu

311

Abschnitt 11.6 Die Boltzmann-Verteilung

Kasten 11.2 Entropische Kräfte: Warum ist Gummi elastisch?

gestreckte Konfiguration der Polymerkette verknäulte Konfiguration Mikroskopisch gesehen besteht Gummi aus langen Polymerketten, die an einigen Stellen durch Bindungen miteinander verknüpft sind. Die Polymere kann man sich als die Glieder einer frei beweglichen Kette vorstellen. Anders als etwa bei einer Stahlfeder beruht die Elastizität von Gummi auf der thermischen Beweglichkeit der Kettenglieder und der damit verbundenen Entropie. Im thermischen Gleichgewicht ist die Kette verknäult; ihre Enden haben einen geringen Abstand. Eine gestreckte Konfiguration des Gummibandes hat weniger Realisierungsmöglichkeiten und ist daher weniger wahrscheinlich (wer schon einmal die Kabel hinter seinem Computer sortieren wollte, kann das bestätigen). Beim Strecken des Gummibandes verringert man die Entropie; es wirkt eine rücktreibende Kraft. Bedingt durch die entropische Natur der elastischen Kräfte verhält sich Gummi beim Erwärmen anders als andere Materialien: Es zieht sich zusammen.

dem man entweder aufsteigen kann, indem man die grundlegenden Begriffe des thermischen Gleichgewichts und der Temperatur klärt, oder von dem man in Richtung auf die Anwendung in speziellen physikalischen Zusammenhängen absteigen kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein System in einer Umgebung mit der Temperatur T einen Zustand mit der Energie E j annimmt, ist durch die Boltzmann-Verteilung bestimmt:   Ej p j ∼ exp − . (11.25) kB T Anwendungen der Boltzmann-Verteilung Charakteristisch ist die exponentielle Abhängigkeit von der Energie und der Temperatur. Wir sind ihr in ähnlicher Gestalt schon in verschiedenen Zusammenhängen begegnet, die wir nun auf einen gemeinsamen Ursprung zurückführen können. Der Boltzmann-Faktor exp(− Ej /(kB T )) tritt regelmäßig in Zusammenhängen auf, wo durch thermische Fluktuationen eine gewisse Energieschwelle überschritten werden muss. Das beste Beispiel ist die Aktivie-

312

Kapitel 11 Fundamentale Konzepte: Mikroskopische Deutung der Entropie

rungsenergie in der Arrhenius-Gleichung (2.9). Der Boltzmann-Faktor drückt die Wahrscheinlichkeit aus, mit der bei der Temperatur T die Aktivierungsenergie EA infolge thermischer Schwankungen erreicht wird (Abb. 2.20). Aber auch in der Clausius-Clapeyron-Gleichung, in der barometrischen Höhenformel und in der Maxwell-Boltzmann-Verteilung ist uns der Boltzmann-Faktor schon begegnet. Die technisch bedeutsamste Rolle spielt er bei der thermischen Anregung von Ladungsträgern in Halbleitern, die für die Leitfähigkeit von elektronischen Bauteilen maßgeblich ist. Der Faktor n/(n + u) in Gl. (11.24) hat die Funktion einer Normierungskonstanten. Summiert man alle Wahrscheinlichkeiten p j auf, so muss sich 1 ergeben. Mit Gl. (11.12) findet man in der Tat: ∞

n ∑ pj = n + u j =0



∑e

j·ϵ BT

−k

j =0

n = n+u





j =0



u u+n

j

= 1.

(11.26)

11.7 Mikroskopische Begründung der Irreversibilität Wie kann makroskopisch irreversibles Verhalten aus mikroskopisch reversiblen Gesetzen entstehen? Das ist die Frage, mit der sich Boltzmann konfrontiert sah und die bis heute immer noch umstritten ist. Die newtonsche Bewegungsgleichung der klassischen Mechanik, m

d2⃗x = F (⃗x ), dt2

(11.27)

beschreibt eine reversible Dynamik. Sie ändert sich nicht, wenn man die Zeit umkehrt, indem man t durch −t ersetzt. Jeder Prozess, der durch Gl. (11.27) beschrieben wird, kann folglich auch umgekehrt ablaufen. Hält man den Vorgang auf einem Film fest, lässt sich beim Ansehen des Filmes nicht entscheiden, ob er vorwärts oder rückwärts abgespielt wird. Auch die Quantenmechanik, die die klassische Mechanik später als Grundtheorie ablöste, ändert an der grundsätzlichen Reversibilität nichts. Boltzmann gelang es aus der newtonschen Mechanik, für Gase eine mathematisch recht komplizierte Gleichung für die Teilchenzahldichte f (⃗r, ⃗v, t) im Phasenraum (dem Raum der Orte und Geschwindigkeiten) herzuleiten. Er konnte für die Funktion H=

Z

f (⃗r, ⃗v, t) ln f (⃗r, ⃗v, t) d⃗r d⃗v

(11.28)

das sogenannte H-Theorem beweisen: H kann im Lauf der Zeit nur abnehmen, und f (⃗r, ⃗v, t) geht im thermischen Gleichgewicht in die Maxwell-Boltzmann-Verteilung über.2 2

Boltzmann schreibt bis 1893 E und geht später zum griechischen Großbuchstaben H über. Eigentlich müsste man also vom „Eta-Theorem“ reden – aber niemand tut das.

Abschnitt 11.7 Mikroskopische Begründung der Irreversibilität

313

Damit hatte er das lange gesuchte Kaninchen aus dem Hut gezaubert und konnte dem staunenden Publikum die allein auf den Begriffen der newtonschen Mechanik basierende Größe − H präsentieren. Sie wies die entscheidende Eigenschaft der Entropie auf: beim Übergang ins thermische Gleichgewicht immer zuzunehmen. Das Publikum betrachtete das Kunststück mit Skepsis. Denn so gewiss es war, dass ein Zauberer keine Kaninchen aus dem Nichts erschaffen kann, so sicher erschien es auch, dass irreversibles Verhalten nicht auf reversibler Dynamik beruhen kann. Es wurden konkrete Einwände formuliert, die die Diskussion um Boltzmanns H-Theorem seither begleiten. Wiederkehreinwand von Zermelo Dieses Argument beruht auf einem Satz, der von Henri Poincaré 1890 bewiesen worden war: Jedes räumlich beschränkte mechanische System kommt im Lauf der Zeit seinem Ausgangszustand wieder beliebig nahe. Für das Beispiel der freien Expansion eines Gases bedeutet dies: Sofern man nur lange genug wartet, findet man irgendwann alle Gasmoleküle in der linken Behälterhälfte wieder. Zwar zerstreuen sie sich gleich wieder – aber würde man in diesem Moment die Trennwand hineinschieben, so hätte man damit den zweiten Hauptsatz verletzt. Der Einwand ist zwar berechtigt, trifft aber nicht den Kern von Boltzmanns Argument. Die Wiederkehr des Anfangszustands tritt schon in unserem einfachen Beispiel von S. 301 auf. Wenn das System alle Mikrozustände gleichmäßig durchläuft, wird auch immer wieder der Anfangszustand erreicht. Die drei Energieportionen sind in 20 % der Fälle in der linken Hälfte des Behälters zu finden (Abb. 11.3). Boltzmann hat immer betont, dass das Ansteigen der Entropie nur statistischen Charakter hat und Fluktuationen auftreten können. Die Poincaré-Wiederkehr ist eine solche Fluktuation, und wenn man konkrete Modelle betrachtet, stellt man fest, dass die Wiederkehrzeiten für makroskopische Systeme das Alter des Universums bei weitem übersteigen. Umkehreinwand von Loschmidt Die Zeitsymmetrie der newtonschen Mechanik bedeutet: Zu jeder Lösung der Bewegungsgleichungen für die N Teilchen eines Gases gibt es eine gleichberechtigte andere Lösung, bei der für jedes Molekül ⃗v durch −⃗v ersetzt ist. Gegenüber der ersten Lösung ist die zweite „zeitgespiegelt“; das ganze Geschehen läuft gewissermaßen „rückwärts“ ab. Wenn es also gelänge, durch einen Eingriff von außen in einem bestimmten Augenblick alle Molekülgeschwindigkeiten umzukehren,3 dann würde das System seine bisherige Entwicklung in umgekehrter Richtung durchlaufen. Die Entropie, die vor der Umkehrung zunahm, würde nun absinken – in vollem Einklang mit den newtonschen Gesetzen. Um Boltzmanns Argumentation zu retten, muss man begründen, warum die „zeitgespiegelten“ Lösungen der newtonschen Bewegungsgleichungen in der Natur nicht auftreten. 3

Das ist nicht ganz so realitätsfern, wie es sich anhört. Im Bereich der Kernspinresonanz wird in den „Spin-Echo-Experimenten“ genau diese „Umkehr auf Kommando“ für die KernspinFreiheitsgrade von Atomen erreicht.

314

Kapitel 11 Fundamentale Konzepte: Mikroskopische Deutung der Entropie

Kasten 11.3 Maxwells Dämon Gibt es eine Möglichkeit, den zweiten Hauptsatz durch planvolles Handeln auf mikroskopischer Ebene außer Kraft zu setzen? Maxwell stellte 1871 das folgende Gedankenexperiment zur Diskussion: Er beschrieb ein Wesen, „dessen Fähigkeiten so geschärft sind, dass es jedes Molekül bei dessen Bewegung verfolgen kann“. Der Dämon kontrolliert ein Loch in einem gasgefüllten Behälter mit einer Trennwand. Er lässt überdurchschnittlich schnelle Moleküle von links nach rechts passieren, langsame Moleküle dagegen in umgekehrter Richtung. So kann er eine Temperaturdifferenz erzeugen und den zweiten Hauptsatz verletzen. Der Dämon wurde 1951 von Brillouin ausgetrieben. Er argumentierte, dass der Dämon die Moleküle beleuchten muss, um sie zu sehen. Bei der Absorption dieser Strahlung wird Entropie erzeugt.

Ein Experiment zum Umkehreinwand Wenn man einen Wassertropfen in eine Schüssel mit Wasser fallen lässt, wird die kinetische Energie des Tropfens scheinbar unumkehrbar im Wasser verteilt. Nach Loschmidt sollte auch der umgekehrte Vorgang stattfinden können: Energie wird dem Wasser entzogen, um einen Tropfen nach oben zu schleudern. Dass dies in der Tat möglich ist, sofern nur geeignete Anfangsbedingungen realisiert werden, zeigt ein Experiment, zu dem nur das wichtigste Arbeitsgerät der Physiker benötigt wird: eine Kaffeemaschine mit Glaskanne, in der einige Tassen Kaffee zubereitet werden. Einzelne Tropfen, die am Ende noch in die Kanne fallen, erzeugen kreisförmige Wellen. Diese werden an den Rändern der Kanne reflektiert – das ist die loschmidtsche Umkehr – und treffen sich wieder in der Mitte. Es passiert das scheinbar Unmögliche: Ein kleiner Tropfen springt nach oben. Die Rolle der Anfangsbedingungen Loschmidts Einwand hat uns zum eigentlichen Zentrum des Problems geführt. Denn nicht die Gleichungen weisen eine Zeitasymmetrie auf, sondern die Anfangsbedingungen sind entscheidend. Es ist der Experimentator, der die Gasteilchen in der einen Hälfte des Kastens sammelt – in einem Zustand mit niedriger Entropie, der nur wenige mikroskopische Realisierungsmöglichkeiten besitzt. Von dort führt die zeitliche Entwicklung mit überwältigender Wahrscheinlichkeit nur in eine Richtung: hin zu den Zuständen mit mehr Realisierungsmöglichkeiten, bei denen die Energie stärker zerstreut ist. Dass in der Natur auch ohne menschliches Zutun eine ausgeprägte Richtung aller physikalischen Prozesse zu beobachten ist, dass also auch hier die von selbst ablaufenden Prozesse unwahrscheinliche Anfangszustände besitzen, muss darauf zurückgeführt werden, dass unsere Umgebung, die Erde, das ganze Sonnensystem, weit vom thermischen Gleichgewicht entfernt sind. Die Schwärze des Nachthimmels, in den die fortwährend erzeugte Entropie mit der Wärmestrahlung der Erde entweicht, ist letztlich verantwortlich für die entropiearmen Anfangszustände aller natürlichen Prozesse.

12 Kraftwerksprozesse

Strom von der Sonne

316

Kapitel 12 Kraftwerksprozesse – Strom von der Sonne

Abb. 12.1: Die Parabolrinnenkollektoren von Shumans Solarkraftwerk

12.1 Solarkraftwerke in der Wüste Nichts gibt es in den Tropen so billig und so im Überfluss wie Sonnenlicht; nichts ist dagegen seltener und teurer als Kohle. In den heißen Zonen der Erde hängen die landwirtschaftlichen Erträge in der Regel von künstlicher Bewässerung ab, und in einem effizienten System bedeutet das den Einsatz von Dampfkraft. Seit langem ist den Wissenschaftlern bekannt, dass die Sonne eine unerschöpfliche Energiequelle ist. Sie haben die Energie, die von der Sonne kommt, genau vermessen. Beim Sammeln des diffusen Sonnenlichts gab es in der Praxis jedoch zahlreiche Probleme. Seit ungefähr zehn Jahren widmet sich Frank Shuman, ein Erfinder und Wissenschaftler aus Philadelphia, mit Nachdruck und professionellen Mitteln der Lösung dieses Problems. Wie Mr. Shuman dem Autor mitteilte, ist nun in Kairo (Ägypten) eine Anlage in Betrieb genommen worden, die 6000 Gallonen Wasser in der Minute pumpen kann und dabei allein mit dem Licht der Sonne arbeitet. Das Sonnenlicht wird dabei auf einen Erhitzer konzentriert, in dem der zum Betrieb nötige Dampf erzeugt wird. [. . . ] „Wir haben nachgewiesen, dass ein Sonnenkraftwerk in den Tropen kommerziell erfolgreich sein kann“, so Shuman, „und haben insbesondere gezeigt, dass die Menschheit, wenn die Vorräte an Öl und Kohle erschöpft sind, aus der Sonne immer noch unbegrenzte Mengen von Energie beziehen kann. Soweit ich weiß, bin ich bisher der einzige Erfinder, der seine Erfindung in einer Sondersitzung des Parlaments irgendeiner größeren Nation erklären durfte.“

So beginnt ein Artikel aus der New York Times mit dem Titel „American Inventor uses Egypt’s Sun for Power“. Der Artikel beschreibt ein solarthermisches Kraftwerk, das als Versuchsanlage dient, um politischen Entscheidungsträgern ein Modell für die Energieerzeugung der Zukunft vorzustellen. Eigent-

Abschnitt 12.1 Solarkraftwerke in der Wüste

317

Abb. 12.2: Der Aufbau des Solarkraftwerks (The Electrical Experimenter, März 1916)

lich also nichts Besonderes – wäre da nicht das Datum des Zeitungsartikels. Es ist der 2. Juli 1916, und die Versuchsanlage ist schon drei Jahre zuvor erfolgreich in Betrieb gegangen. Es ist kein Phantast, über den in dem Artikel berichtet wird, sondern ein rühriger Erfinder und geschäftstüchtiger Unternehmer. Er wurde letztlich nur von den Zeitläuften daran gehindert, seine zukunftsträchtige Idee in großem Maßstab zu verwirklichen. Shuman baute in seiner Unternehmung auf den gescheiterten Versuchen von Vorläufern auf, das Sonnenlicht zu konzentrieren und mit einer Wärmekraftmaschine nutzbar zu machen. Von Anfang an behielt er in seinen Versuchen die praktische Anwendbarkeit und die kommerzielle Nutzung im Auge. Wie er der Egyptian Gazette im Juli 1913 erklärte, sollte seine Anlage (1) einen hohen Wirkungsgrad haben, (2) niedrige Betriebskosten sowie (3) lange Wartungsintervalle aufweisen und (4) ohne besonders ausgebildetes Bedienungspersonal zu betreiben sein. Der Aufbau von Shumans Solarkraftwerk Mit Erstaunen stellt man fest, wie viele Gemeinsamkeiten Shumans Solarkraftwerk mit heutigen Entwürfen aufweist. Zukunftsweisend war zum Beispiel die Idee, das Sonnenlicht nicht mit Hilfe von Linsen zu konzentrieren, sondern mit langen, parabelförmig gekrümmten Spiegeln (Abb. 12.1). Solche Parabolrinnenkollektoren sind heutzutage bei kommerziell betriebenen so-

318

Kapitel 12 Kraftwerksprozesse – Strom von der Sonne

Abb. 12.3: Die Kollektoren mit den in der Brennlinie verlaufenden Receivern

larthermischen Kraftwerken wieder Stand der Technik. Die Parabelform ist günstig, weil das Licht bei achsenparallelem Einfall auf einen Punkt gebündelt wird. Damit dies zu jeder Tageszeit funktioniert, müssen die Spiegel allerdings um eine Achse schwenkbar sein, um sie dem Sonnenstand nachzuführen. Während ein schüsselförmiger Parabolspiegel einen Brennpunkt hat, gibt es bei einer parabelförmigen Rinne eine Brennlinie. In dieser Linie werden die sogenannten Receiver verlegt, d. h. die Rohre mit der zu erhitzenden Flüssigkeit (Abb. 12.3). Abb. 12.2 zeigt den Aufbau des ägyptischen Solarkraftwerks. Es handelt sich um ein Einkreissystem: Wasser zirkuliert in den Receiverröhren, wird dort verdampft, und der heiße Dampf gelangt direkt in die Dampfmaschine (Abb. 12.4). Über einen Kondensator wird der Kreislauf geschlossen. Heutige solarthermische Kraftwerke arbeiten dagegen meist als Zweikreissysteme. Die Receiverflüssigkeit – meist spezielle Thermoöle – wird nicht direkt zur Stromerzeugung eingesetzt, sondern fließt durch einen Wärmetauscher. Dort wird die Wärme in den Wasser-Dampf-Kreislauf übertragen, mit dem eine Dampfturbine zur Stromerzeugung betrieben wird. Allerdings ist schon abzusehen, dass wegen der höheren erzielbaren Wirkungsgrade die Entwicklung wieder zurück zum Einkreissystem gehen wird („Direct Steam Generation“). Shumans Anlage umfasste fünf Reihen von Parabolrinnen mit einer Länge von je 62 Meter. Bei einer Öffnungsbreite von 4 Meter ergibt das eine Kollektorfläche von 1200 Quadratmeter. Damit konnte er zur Wasserförderung eine Dampfmaschine mit einer Leistung von 55 PS (40 kW) betreiben.

Abschnitt 12.1 Solarkraftwerke in der Wüste

319

Abb. 12.4: Bei der Konstruktion des Dampfmaschinenhauses

Die Absorption der Sonnenstrahlung Shuman erläutert dem Reporter der New York Times in anschaulicher Art und Weise, wie eine effektive Absorption des Sonnenlichts erreicht wird: Auf die Frage nach dem Arbeitsprinzip seines Sonnenkraftwerks erklärte Mr. Shuman: Wenn man eine flache Blechpfanne mattschwarz anmalt, sie mit Baumwolle am Boden und an der Seite gegen Wärmeverluste isoliert, dann Wasser hineinfüllt und sie mit einer Glasscheibe abdeckt, beginnt das Wasser in der tropischen Sonne nach kurzer Zeit zu sieden, und Dampf entweicht. Es ist nicht allgemein bekannt, dass die tropische Sonne ohne jede Konzentration Wasser zum Sieden bringen kann, aber so ist es. [. . . ] „Wenn [die Sonnenstrahlen] auf eine Wasseroberfläche treffen“, erklärt Mr. Shuman, „werden die meisten von ihnen zurück in den Himmel reflektiert. Sogar wenn sie auf das Grün der Wälder treffen, gibt es Reflexionsverluste. Man kann diese Reflexionsverluste verstehen, wenn man den Mond betrachtet. Die Sonne scheint auf den Mond, der Mond reflektiert das meiste Licht, und ein Teil davon erreicht uns als Mondlicht. Wenn nun die Sonnenstrahlen auf eine schwarze Fläche treffen, werden sie alle absorbiert und in Wärme verwandelt. Wenn man den Mond schwarz anstreichen würde, dann wären wir nicht in der Lage, ihn zu sehen. Wäre die ganze Erde schwarz angestrichen, dann würden alle Sonnenstrahlen absorbiert werden, und noch bevor es Abend wird, wäre eine Temperatur erreicht, bei der Stahl schmilzt und alles Leben ausgelöscht wird.“

Zur Einweihungsfeier seiner Anlage lud Shuman die gesamte höhere Gesellschaft von Kairo ein, insbesondere die offiziellen Vertreter der wichtigsten In-

320

Kapitel 12 Kraftwerksprozesse – Strom von der Sonne

Abb. 12.5: Die Blöcke 1, 3 und 4 des solarthermischen Kraftwerks Solnova im Süden Spaniens. Jeder Block hat eine maximale Leistung von 50 MW.

dustrieländer. Er organisierte eigens einen Sonderzug von Kairo zum Standort, und auch an der Bewirtung der Gäste wurde nicht gespart. Shuman gelang es, internationale Aufmerksamkeit auf sein Projekt zu lenken, „die Tropen durch Sonnenenergie zum Energielieferanten der Welt zu machen, wenn sich nach und nach die Kohlefelder der Erde erschöpfen“. Er plante Anlagen im großen Stil und konnte sogar Geldgeber von seiner Vision überzeugen: In einer eigens angesetzten Sondersitzung des deutschen Reichstags wurde ihm die Summe von 200 000 Mark bewilligt (nach heutigem Wert etwa eine Million Euro), und es wurde eine Audienz beim Kaiser anberaumt. Das Schicksal der frühen Solarkraftwerk-Pläne Als das Ziel von Shumans Bemühungen schon greifbar nahe schien, brach der erste Weltkrieg aus. Der Betrieb seiner Versuchsanlage musste eingestellt werden; seine Ingenieure wurden in ihren jeweiligen Heimatländern zum Militärdienst eingezogen. An den Bau neuer Anlagen war während des Krieges nicht zu denken, und noch vor Kriegsende verstarb Shuman. Nach dem Krieg hatte sich die Situation in einer Weise verändert, die das restliche 20. Jahrhundert prägen sollte: Im nahen Osten wurde billiges Öl in großen Mengen entdeckt. Die Investoren verloren das Interesse daran, das Potential der Sonnenenergie zu erkunden, und die schon so weit vorangetriebenen Ideen versanken in einen Dornröschenschlaf von etlichen Jahrzehnten. Moderne Solarkraftwerke Das Interesse an der Stromerzeugung aus Sonnenenergie erwachte erst wieder in den Ölkrisen der siebziger Jahre. Der amerikanische Präsident Jimmy Carter versuchte im Jahr 1977, seine Landsleute in einer aufrüttelnden Fernsehansprache für das Energiesparen und für alternative Energieformen zu ge-

Abschnitt 12.1 Solarkraftwerke in der Wüste

321

Abb. 12.6: Parabolrinnen im spanischen Solarkraftwerk Alvarado I

winnen. Die Entwicklung solarthermischer Kraftwerke wurde durch finanzielle Fördermaßnahmen vorangetrieben, und im Jahr 1984 ging in der kalifornischen Mojave-Wüste, 160 km von Los Angeles entfernt, der erste Block des Solarkraftwerks SEGS (Solar Energy Generating Systems) in Betrieb. Bis 1991 wurden insgesamt 9 Blöcke errichtet, die mit einer elektrischen Nennleistung von 354 MW bis heute das weltweit größte Solarkraftwerk bilden. Ein geplanter zehnter Kraftwerksblock wurde allerdings niemals fertiggestellt, weil in den beginnenden neunziger Jahren der Ölpreis wieder so weit sank, dass der Bau neuer Solarkraftwerke finanziell nicht mehr attraktiv war. Der nächste große Schub beim Bau solarthermischer Anlagen setzte nach 2004 in Spanien ein, als die spanische Solarförderung den Bau von Solarkraftwerken finanziell attraktiv machte. Das erste große spanische Solarkraftwerk Andasol 1 ging im Jahr 2008 ans Netz. In den darauf folgenden Jahren wurden in Spanien fast monatlich solarthermische Kraftwerke in Betrieb genommen (Abb. 12.5 und Abb. 12.6). Weiteren Auftrieb erhielt die Solarthermie, als sich 2009 die Desertec-Initiative gründete, die sich ein langfristiges Investitionsvolumen von 400 Milliarden Euro für solarthermische Kraftwerke in den Wüstenstaaten Nordafrikas zum Ziel setzte. Die Initiative scheiterte jedoch – sowohl aus politischen Gründen als auch durch den drastischen Preiseinbruch bei der Photovoltaik, der es notwendig machte, die Konzepte der Solarstromgewinnung von Grund auf neu zu überdenken.

322

Kapitel 12 Kraftwerksprozesse – Strom von der Sonne

12.2 Grundaufbau eines solarthermischen Kraftwerks Die Stromgewinnung aus Sonnenlicht kann auf zwei grundsätzlich verschiedenen Wegen erfolgen. Bei der Photovoltaik wird die Energie des Sonnenlichts mit Hilfe von Solarzellen direkt in elektrische Energie umgewandelt. Diese Methode der Stromerzeugung hat durch die immer günstigeren Preise eine weite Verbreitung in Privathaushalten gefunden. Photovoltaikanlagen sind auf vielen Hausdächern und Freiflächen zu sehen, aber auch moderne Solarkraftwerke basieren oft auf dieser Technologie. Aus Sicht der Thermodynamik sind die solarthermischen Kraftwerke relevant. Sie haben technisch viel mit konventionellen Kraftwerken (z. B. Kohlekraftwerken) gemein. Bei beiden wird zur Stromerzeugung ein thermodynamischer Kreisprozess genutzt, in dem erhitzter Dampf eine Turbine antreibt. Der Dampfturbinenprozess ist dabei identisch. Lediglich die Art der Wärmegewinnung ist unterschiedlich: Der heiße Dampf wird durch die Sonne anstatt durch die Verbrennung von Kohle oder Gas erzeugt. Die Analyse des Kraftwerksprozesses bleibt deshalb auch für konventionelle Kraftwerke gültig. Stromerzeugung und die Speicherbarkeit von Energie In einer Photovoltaikanlage wird der Strom direkt erzeugt. Beim solarthermischen Kraftwerk nimmt man stattdessen den „Umweg“ über einen thermischen Kraftwerksprozess. Dies erscheint zunächst nachteilig, denn es bringt Umwandlungsverluste und höhere Investitionskosten mit sich. Vom energiewirtschaftlichen Standpunkt erweist sich dieser scheinbare Nachteil jedoch als ein Vorteil, denn im Gegensatz zur elektrischen Energie kann man die innere Energie der von der Sonne erhitzten Flüssigkeit speichern. Dadurch kann die solare Stromproduktion an die aktuelle Stromnachfrage angepasst werden. Bei der Photovoltaik ist dies nicht möglich: Scheint die Sonne, so wird unabhängig von der Nachfrage Strom ins Netz eingespeist. Scheint sie aber nicht, dann kommt auch sofort die photovoltaische Stromproduktion zum Erliegen. Der mit solarthermischen Kraftwerken erreichbare Ausgleich von Angebotsund Nachfrageschwankungen kann die Stromversorgung stabilisieren und das sonst notwendige Vorhalten von Reservekraftwerken vermeiden helfen. Speicherung und Stromerzeugung Wie die Speicherung funktioniert, ist in Abb. 12.7 zu erkennen, die den Grundaufbau eines solarthermischen Kraftwerks am Beispiel des spanischen Solarkraftwerks Andasol 1 zeigt. Die zirkulierende Receiverflüssigkeit wird in den Parabolrinnen des Solarfeldes auf eine Temperatur von 390 °C gebracht. Im Normalbetrieb erhitzt sie im rechten Wärmetauscher das Wasser aus dem Wasser-Dampf-Kreislauf der Wärmekraftmaschine. In Zeiten des Überangebots an solarer Energie werden über einen zweiten Wärmetauscher (Mitte) die beiden Salzspeicher hinzugeschaltet. Aus dem „kalten“ Speicher (in dem die Temperatur immer noch 290 °C beträgt, damit das Salz nicht erstarrt) fließt das Flüssigsalz in den Wärmetauscher, wo es auf eine Temperatur von 385 °C erhitzt wird, und von dort in den „heißen“ Spei-

Abschnitt 12.2 Grundaufbau eines solarthermischen Kraftwerks

323

Salzspeicher

Thermoöl-Kreislauf

Wärmetauscher

Solarfeld

Wärmetauscher

Wärmekraftmaschine

Flüssigsalz

Strom

Salzspeicher Wasser-Dampf-Kreislauf

Abb. 12.7: Grundaufbau eines solarthermischen Kraftwerks

cher. Wenn die Sonne nicht scheint, d. h. insbesondere nachts, wird das Salz in die umgekehrte Richtung gepumpt und erhitzt nun das Thermoöl, so dass der Kraftwerksbetrieb aufrechterhalten werden kann. Bei Andasol 1 kann so bei voller Last eine Zeitspanne von 7,5 Stunden ohne Sonneneinstrahlung überbrückt werden. Beispielaufgabe: Salzmenge in einem Solarkraftwerk Das Solarkraftwerk Andasol 1 gibt bei voller Auslastung eine elektrische Leistung von 50 MW an das Stromnetz ab. Berechnen Sie die Salzmenge, die benötigt wird, um das Kraftwerk 7,5 Stunden allein aus den Salzspeichern zu betreiben. Die Wärmekapazität des Flüssigsalzes beträgt 1,5 kJ/(kg K), seine Dichte 1950 kg/m3 . Der thermische Wirkungsgrad des Kraftwerks kann mit 35 % abgeschätzt werden. Lösung: Die bei Volllast in 7,5 Stunden aufzubringende elektrische Energie beträgt:

Eel = 50 MW · 7,5 h = 1,35 · 1012 J.

(12.1)

Setzt man den Wirkungsgrad des Kraftwerksprozesses mit 35 % an, entspricht das der inneren Energe U = 3,86 · 1012 J, die im Flüssigsalz gespeichert sein muss. Mit U = c · m · ∆T kann man daraus die benötigte Salzmenge ermitteln:

m=

U = c · ∆T 1500

3,86 · 1012 J = 27 000 t. (385 ◦ C − 290 ◦ C)

J kg·K

(12.2)

Tatsächlich wird Andasol 1 mit einer Salzmenge von 28 500 Tonnen betrieben; die beiden Salzspeicher haben eine Höhe von 14 m und einen Durchmesser von 36 m.

324

Kapitel 12 Kraftwerksprozesse – Strom von der Sonne

Thermoöl-Kreislauf

Dampfturbine WTurbine

WPumpe

B

Speisewasserpumpe

Kondensator

C zum Solarfeld

Strom

A QWärmetauscher

100 bar 0,08 bar

Wärmetauscher

D

Generator

QKondensator Kühlwasser

Wasser-DampfKreislauf

Abb. 12.8: Grundelemente der Wärmekraftmaschine

12.3 Der Kraftwerksprozess Die Wärmekraftmaschine, das Herzstück der Anlage, ist im grau hinterlegten Bereich in Abb. 12.7 nur angedeutet. Abb. 12.8 zeigt diesen Teil noch einmal detaillierter. Es handelt sich um einen thermodynamischen Kreisprozess, wie wir ihn in ähnlicher Form schon aus Kapitel 8 kennen. Als Arbeitsmittel kommt Wasser (bzw. Dampf) zum Einsatz. Wie bei jeder Wärmekraftmaschine wird mit einer Abfolge von Prozessschritten erreicht, dass ein Teil der zugeführten Wärme als Arbeit wieder abgegeben wird. Der Wirkungsgrad ist umso höher, je größer dieser Anteil ist. Nahezu alle Wärmekraftwerke – einerlei ob Solar-, Kohle- oder Kernkraftwerk – erzeugen den Strom in einem Generator, der von einer Dampfturbine angetrieben wird. Im Dampfturbinenprozess wird flüssiges Wasser von der Speisewasserpumpe auf einen hohen Druck von über 100 bar gebracht. Das Wasser gelangt in den Wärmetauscher, wo es erhitzt wird und schließlich verdampft. Am Ausgang des Wärmetauschers liegt heißer Dampf unter hohem Druck vor. Dieser heiße Dampf treibt die Dampfturbine an. Im Turbinengehäuse befindet sich der Rotor, der vom Dampf in Bewegung versetzt wird. Ein Dampfturbinenrotor fällt vor allem durch die verschieden großen Laufräder auf, die nacheinander durchströmt werden (Abb. 12.9). Jedes Laufrad entzieht dem Dampf ein wenig Energie, um damit den Generator anzutreiben. Dabei sinken Druck und Temperatur. Weil das Volumen des entspannten Dampfes zunimmt, muss der Durchmesser der Laufräder von vorn nach hinten größer werden. Der in Abb. 12.9 gezeigte Rotor wird also von rechts angeströmt. Eine Dampfturbinenanlage hat üblicherweise mehrere Stufen: einen Hochdruck-, einen Mitteldruck- und einen Niederdruckteil. Die Gründe dafür werden im Folgenden noch deutlich werden.

Abschnitt 12.3 Der Kraftwerksprozess

325

Abb. 12.9: Rotor einer Dampfturbine bei der Montage

Nach Verlassen der Dampfturbine ist der Dampf kühl und hat einen niedrigen Druck von weniger als 1 bar. Er gelangt in den Kondensator (Verflüssiger), wo er durch Kühlung kondensiert. Wenn das kondensierte Wasser zurück zur Speisewasserpumpe fließt, ist der Kreislauf geschlossen. 12.3.1 Clausius-Rankine-Prozess

Der Wasser-Dampf-Kreislauf in einer Dampfturbinenanlage lässt sich in idealisierter Form durch den Clausius-Rankine-Prozess beschreiben, der das Geschehen durch eine Abfolge von vier reversiblen Prozessschritten modelliert: (1) Speisewasserpumpe: isentrope Verdichtung (B → C), (2) Wärmetauscher: isobare Erwärmung und Verdampfung (C → D), (3) Dampfturbine: isentrope Expansion (D → A), (4) Kondensator: isobare Verflüssigung mit Wärmeabgabe (A → B). Bei Kraftwerksprozessen beschreibt man die Systemzustände bevorzugt im T-s-Diagramm, bei dem Temperatur und Entropie die Koordinatenachsen bilden (Abb. 12.10). Wie das v-T-Diagramm oder das h-log p-Diagramm bietet es eine Darstellungsform für die Zustände von flüssigem Wasser und Wasserdampf, und wie in diesen Diagrammen schließt die glockenförmige Kurve in Abb. 12.10 den Nassdampfbereich ein. Die im Clausius-Rankine-Prozess

326

500

ren

5

1

Isoba

50

200 100

400

T in °C

20 p=1 0 bar

Kapitel 12 Kraftwerksprozesse – Strom von der Sonne

400

200

100

ü Fl

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f s in kJ/(kg K) 8

9

Abb. 12.10: Clausius-Rankine-Sattdampfprozess im T -s-Diagramm

durchlaufenen Zustände sind als grüne Linien eingezeichnet. Zur besseren Übersicht ist das gleiche Diagramm in schematischer Form noch einmal in Abb. 12.12 gezeigt, ergänzt um die einzelnen Komponenten der Dampfturbinenanlage und die jeweils übertragene Arbeit bzw. Wärme. Interpretation des T-s-Diagramms Der Vorzug des T-s-Diagramms liegt darin, dass man für reversible Prozesse die Wärmeflüsse sofort identifizieren kann. Bei einem reversiblen Prozess ist ∆i S = 0, so dass sich nach Gl. (10.10) die Entropie nur durch Zu- oder Abfuhr von Wärme ändert. Bei einem Prozessschritt, der im T-s-Diagramm nach rechts verläuft (bei dem also s anwächst), wird dem System demnach Wärme zugeführt. Umgekehrt wird Wärme abgeführt, wenn die Kurve im T-s-Diagramm nach links verläuft. Reversible Prozesse ohne Wärmezu- oder -abfuhr sind durch senkrecht verlaufende Linien gekennzeichnet. Da bei reversiblen Prozessen nach Gl. (9.20) die Beziehung dQrev = T dS gilt, entspricht die Fläche unter einer Kurve im T-s-Diagramm der Wärme, die bei dem Prozess übertragen wird (Abb. 12.11). Die von der geschlossenen Kurve in Abb. 12.10 eingeschlossene Fläche gibt somit die Differenz der zu- und abgeführten Wärmebeträge an. Nach dem ersten Hauptsatz (Gl. (8.42)) entspricht dies aber gerade der im Kreisprozess verrichteten Arbeit. Die Wärmekraftmaschine verrichtet also bei einem Durchlauf des Kreisprozesses umso mehr Arbeit, je größer die eingeschlossene Fläche ist. Das T-s-Diagramm bietet somit eine einfache Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit einer Wärmekraft-

327

Abschnitt 12.3 Der Kraftwerksprozess D

T

T

D

T

C

C D

zu

B

Qrev = ò C T dS

ab

B

Qrev = ò A T dS

s

B

A

A

s

s Kreisprozess

Wärmezu- und -abfuhr in einzelnen Prozessschritten

Abb. 12.11: Beispiel zur Interpretation des T -s-Diagramms. Die zu- oder abgeführten Wärme entspricht der Fläche unter der Kurve, die den Prozess beschreibt. Bei einer Wärmekraftmaschine wird Wärme zwischen C und D zu- und zwischen A und B ab abgeführt. Es gilt Qzu rev > 0, Qrev < 0 und W < 0 (vgl. S. 227).

maschine visuell zu beurteilen. Man muss dabei aber im Gedächtnis behalten, dass die oben genannten Beziehungen nur für reversible Prozesse gelten. Treten Irreversibilitäten auf, ändert sich die Entropie auch durch den Beitrag von ∆i S, und die Interpretation des T-s-Diagramms wird schwieriger. 12.3.2 Zustände im Clausius-Rankine-Sattdampfprozess

Der Clausius-Rankine-Prozess in einer Dampfturbinenanlage ist ein stationärer Fließprozess, und als solchen können wir ihn nach dem gleichen Muster analysieren wie den Kältemittelkreislauf in einer Wärmepumpe in Abschnitt 8.11. Zunächst behandeln wir den noch nicht sehr realitätsnahen Clausius-Rankine-Sattdampfprozess. Wie in Abb. 12.12 gezeigt, liegt bei diesem Prozess am Ausgang des Wärmetauschers (Zustand D) gesättigter Dampf vor. Wir werden später diskutieren, warum in realen Kraftwerken eine kompliziertere Prozessführung gewählt wird. T

QWärmetauscher

D

WTurbine

WPumpe

QKondensator

C B

A

Abb. 12.12: Arbeit und Wärme beim Clausius-Rankine-Prozess

s

328

Kapitel 12 Kraftwerksprozesse – Strom von der Sonne

In den folgenden Abschnitten werden wir den Kraftwerksprozess eines realen Solarkraftwerks modellhaft beschreiben. Wir orientieren uns dabei an den Betriebsdaten der kalifornischen Anlage SEGS VI, die 1988 in Betrieb ging und deren technische Konzeption als Vorbild für andere Solarkraftwerke diente. Wir benötigen zunächst nur zwei Angaben. Der Druck, den die Speisewasserpumpe erzeugt und der im Leitungssystem bis zur Dampfturbine herrscht, beträgt 100 bar (dunkelgrau hinterlegter Bereich in Abb. 12.8). Der Kondensator arbeitet bei einer Temperatur von 41,5 °C, was einem Sättigungsdampfdruck von 0,08 bar entspricht. Dieser Druck herrscht im hellgrau hinterlegten Teil der Anlage. Mit diesen Informationen können wir die Zustände am Anfang und Ende der einzelnen Prozessschritte genauer spezifizieren. Zustand B: am Ausgang des Kondensators Das Wasser liegt als siedende Flüssigkeit mit einer Temperatur von 41,5 °C vor. Aus der Wasserdampftafel liest man ab: hB = 173,9

kJ , kg

sB = 0,592

kJ . kg · K

(12.3)

Zustand C: hinter der Speisewasserpumpe Die Speisewasserpumpe erhöht den Druck des flüssigen Wassers auf 100 bar. Dies geschieht bei konstanter Entropie (isentrop). Im Maßstab von Abb. 12.10 ist Zustand C von B nicht zu unterscheiden. Die Temperatur bleibt ungefähr konstant, und auch die Enthalpie ändert sich nur wenig: TC = 41,8 ◦ C,

hC = 183,9

kJ . kg

(12.4)

Zustand D: am Ausgang des Wärmetauschers Im Wärmetauscher wird das flüssige Wasser bei einem konstanten Druck von 100 bar erhitzt und beginnt zu sieden. Bei konstanter Temperatur geht es in den gasförmigen Zustand über (waagerechtes Teilstück oben in Abb. 12.10), bis es bei D schließlich als gesättigter Dampf vorliegt. Physikalisch geschieht in diesem Prozessschritt das Gleiche wie in dem Beispiel, das wir im Zusammenhang mit dem Schnellkochtopf in Kapitel 2 ausführlich besprochen haben (vgl. etwa Abb. 2.7). Temperatur, Enthalpie und Entropie des gesättigten Dampfes bei 100 bar haben die folgenden Werte: TD = 311 ◦ C,

hD = 2726

kJ , kg

sD = 5,62

kJ . kg · K

(12.5)

Zustand A: zwischen Dampfturbine und Kondensator In der Turbine wird der Dampf isentrop auf einen niedrigeren Druck und eine geringere Temperatur entspannt. Dabei wird Arbeit an den Generator abgegeben. Einen solchen Prozess haben wir bereits auf S. 294 analysiert. Weil die Entropie konstant bleibt, wird der Prozess im T-s-Diagramm durch eine senkrechte Linie dargestellt. Sie verläuft von TD = 311 °C nach TA = 41,5 °C.

Abschnitt 12.3 Der Kraftwerksprozess

329

Zustand A liegt im Nassdampfbereich, d. h. gasförmiger Dampf und flüssiges Wasser koexistieren. Innerhalb der Dampfturbine kommt es also zur Tropfenbildung. Wie man an den blauen Linien in Abb. 12.10 ablesen kann, liegt der Dampfanteil am Ausgang der Dampfturbine bei 66 %. Die Enthalpie in Zustand A beträgt hA = 1755 kJ/kg. 12.3.3 Wirkungsgrad des Clausius-Rankine-Prozesses

Die Energiebilanz für die einzelnen Prozessschritte lässt sich mit dem ersten Hauptsatz in der Form für stationäre Fließprozesse erstellen. Nach Gl. (6.100) gilt für jeden Teil der Anlage: ˙ = m˙ (hout − hin ). Q˙ + W

(12.6)

Wenn wir diese Gleichung auf die in Abb. 12.12 gezeigten Teile anwenden und die jeweils übertragene Wärme oder Arbeit einsetzen, erhalten wir ähnliche Beziehungen wie bei der Analyse der Wärmepumpe (Gl. (8.48)–(8.51)): ˙ Pumpe = m˙ (hC − hB ) , W

(12.7)

Q˙ Wärmetauscher = m˙ (hD − hC ) ,

(12.8)

˙ Turbine = m˙ (hA − hD ) , W

(12.9)

Q˙ Kondensator = m˙ (hB − hA ) .

(12.10)

Speisewasserpumpe: Wärmetauscher: Dampfturbine: Kondensator:

Wie in Gl. (8.45) definieren wir den Wirkungsgrad der Dampfturbinenanlage als das Verhältnis von Nutzen zu Aufwand: η=

|WTurbine − WPumpe | Nutzen = . Aufwand QWärmetauscher

(12.11)

Die von der Turbine abgegebene Arbeit steht nicht vollständig zur Verfügung, weil ein kleiner Teil davon zum Betrieb der Speisewasserpumpe aufgewendet werden muss. Wie sich an den konkreten Zahlen ablesen lässt, macht dieser Anteil in der Realität nur einen Bruchteil der Turbinenarbeit aus. Mit den Beziehungen (12.7)–(12.10) können wir den Wirkungsgrad durch die Enthalpien der beteiligten Zustände ausdrücken: η=

hD − hA − ( hC − hB ) . hD − hC

(12.12)

Nach Einsetzen der Zahlenwerte ergibt sich ein Wirkungsgrad von 38 %. Dieser Anteil der am Wärmetauscher zugeführten Energie wird von der Dampfturbine an den Generator abgegeben. Vergleich mit dem Carnot-Wirkungsgrad Um den Wirkungsgrad der Dampfturbinenanlage beurteilen zu können, vergleichen wir ihn mit demjenigen einer Carnot-Wärmekraftmaschine, die zwischen der gleichen Minimal- und Maximaltemperatur operiert. Gemäß dem

330

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Kapitel 12 Kraftwerksprozesse – Strom von der Sonne

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f s in kJ/(kg K) 8

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Abb. 12.13: Clausius-Rankine-Prozess mit Überhitzung auf 370 °C

zweiten Hauptsatz ist dies das Optimum, das unter den gegebenen Bedingungen zu erreichen ist. Nach Gl. (8.46) gilt mit den in Kelvin ausgedrückten Temperaturen TL = 41,5 °C und TH = 311 °C: ηCarnot = 1 −

TL 314,5 K = 1− = 0,46. TH 584 K

(12.13)

Mit 46 % hat der entsprechende Carnot-Prozess einen deutlich höheren Wirkungsgrad. Dieses Ergebnis sollte uns stutzig machen. Haben nach dem zweiten Hauptsatz in der Carnot-Formulierung (S. 289) nicht alle reversiblen Wärmekraftmaschinen, die zwischen den gleichen Temperaturen arbeiten, denselben Wirkungsgrad? Bei der Modellierung des Clausius-Rankine-Prozesses haben wir nur reversible Prozessschritte angenommen. Irreversibilitäten wurden an keiner Stelle berücksichtigt. Die Auflösung des scheinbaren Widerspruchs ist subtil, aber lehrreich. Die Carnot-Aussage gilt für Wärmekraftmaschinen, die zwischen genau zwei Reservoirs mit festen Temperaturen operieren. In unserem Beispiel muss das heißere Reservoir folglich eine Temperatur von 311 °C haben. Das Wasser wird zwischen den Zuständen C und D von 41,5 °C auf 311 °C erhitzt. Die dafür erforderliche Wärme kommt vom heißeren Reservoir. Sie wird also teilweise über eine beträchtliche Temperaturdifferenz übertragen, und dies ist ein irreversibler Prozess, bei dem Entropie erzeugt wird (vgl. S. 279). Obwohl also alle Schritte im Dampfturbinenprozess reversibel sind, treten Irreversibilitäten bei der Wärmeübertragung auf. Die effizienzvermindern-

Abschnitt 12.3 Der Kraftwerksprozess

331

de irreversible Wärmeübertragung ist ein verbreitetes Problem in allen Feuerungsanlagen, von der Wohnungsheizung bis zum Kohlekraftwerk. Die Flammentemperatur ist fast immer weitaus höher als die Temperatur des Arbeitsmittels, so dass bei direkter Erwärmung eine große Temperaturdifferenz bei der Wärmeübertragung unvermeidlich ist. Im Kraftwerksbereich lässt sich die dadurch bedingte Ineffizienz durch den Einsatz von Gas-und-Dampf-Kraftwerken abmildern, die wir in Abschnitt 12.4 näher besprechen werden. 12.3.4 Überhitzung und Zwischenüberhitzung

Es ist technisch nicht praktikabel, eine Dampfturbinenanlage mit dem gerade beschriebenen Clausius-Rankine-Sattdampfprozess zu betreiben. Der Grund dafür ist die Kondensation von Wasser innerhalb der Dampfturbine. Bei der isentropen Expansion des Dampfes von D nach A gelangt man in Abb. 12.12 von der schwarzen Linie, die den gesättigten Dampf kennzeichnet, weit ins Innere des glockenförmigen Nassdampfbereichs. Das bedeutet: Bei der Entspannung des Dampfes bilden sich innerhalb der Dampfturbine Wassertröpfchen. Dies ist schädlich für die Schaufeln der Dampfturbine, die immerhin Geschwindigkeiten bis nahe der Schallgeschwindigkeit erreichen können. Ein Wassertropfen hat bei einer solchen Geschwindigkeit ungefähr die gleiche Wirkung wie ein kleiner Stein. Es kommt zu Materialabtragung und verstärkter Korrosion an den Schaufeln. Die Kondensation von Wasser innerhalb der Dampfturbine muss daher so weit wie möglich vermieden werden. Wie wir gesehen haben, beträgt der Dampfanteil in Zustand A am Ausgang der Dampfturbine nur noch 66 % – der Rest ist flüssiges Wasser. Ein so hoher Flüssigkeitsanteil ist in der Praxis vollkommen inakzeptabel. Der Dampfanteil sollte 90 % oder mehr betragen. Erreicht wird dies mit zwei zusätzlichen Prozessschritten: der Überhitzung und der Zwischenüberhitzung. Überhitzung Physikalisch gibt es keinen Grund, das Wasser im Wärmetauscher nur bis zum Zustand des gesättigten Dampfes zu erhitzen (Zustand D in Abb. 12.10). Man kann zu höheren Temperaturen in den Bereich des überhitzten Dampfes fortschreiten, wie es in Abb. 12.13 gezeigt ist. Allerdings geht dies nicht ohne technischen Aufwand. Wie wir aus Kapitel 2 wissen (S. 24), kann Dampf nicht über die Siedetemperatur hinaus erhitzt werden, solange er in Kontakt mit flüssigem Wasser steht. Jede Wärmezufuhr würde sonst nicht zur Erhöhung der Temperatur führen, sondern nur zur Bildung von mehr Dampf. Um höhere Temperaturen zu erreichen muss der Dampf vom flüssigen Wasser getrennt werden und separat erhitzt werden. Die Anlage muss also noch um einen weiteren Wärmetauscher, den Überhitzer, ergänzt werden. Im hier betrachteten Kraftwerk SEGS VI wird der Dampf im Überhitzer auf 370 °C erhitzt. Die erreichbare Temperatur ist durch die thermischen Eigenschaften des Thermoöls (das sich bei Temperaturen über 390 °C zu zersetzen beginnt) sowie durch die Effizienz des Wärmetauschers beschränkt. In konventionellen Kraftwerken, in denen der Dampf durch Verbrennung erhitzt

332

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Kapitel 12 Kraftwerksprozesse – Strom von der Sonne

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Abb. 12.14: Clausius-Rankine-Prozess mit Überhitzung und Zwischenüberhitzung auf 370 °C. Die roten Punkte entsprechen den Daten des kalifornischen Solarkraftwerks SEGS VI (Angaben des Betreibers).

wird, liegen die Temperaturen höher. Sie können zwischen 500 °C und 700 °C betragen und sind durch die Materialeigenschaften der Anlage begrenzt. Abb. 12.13 zeigt das T-s-Diagramm für einen Clausius-Rankine-Prozess mit Überhitzung des Dampfes auf 370 °C. Wie man aus der Darstellung ablesen kann, hat sich der Dampfanteil am Ausgang der Dampfturbine (Zustand A) auf 72 % erhöht. Der Wirkungsgrad hat sich mit 39 % nur unwesentlich verändert, während der entsprechende Carnot-Wirkungsgrad wegen der höheren Maximaltemperatur auf 51 % gestiegen ist. Zwischenüberhitzung Die Überhitzung des Dampfes vor dem Eintritt in die Dampfturbine ist noch nicht ausreichend, um die Tröpfchenbildung genügend zu vermindern. Der Dampfanteil am Ausgang liegt immer noch bei nur 72 %. Abhilfe schafft die Zwischenüberhitzung des Dampfes. Der Dampf, der bei der Entspannung in der Turbine abkühlt und deshalb zu kondensieren beginnt, wird entnommen und bei einem niedrigeren Druck noch einmal überhitzt. In Abb. 12.14 erfolgt die Zwischenüberhitzung auf 370 °C bei einem Druck von 20 bar. Technisch erfolgt die Zwischenüberhitzung, indem man die Dampfturbine in zwei separate Teile aufspaltet, einen Hoch- und einen Niederdruckteil, zwischen denen der Dampf ein weiteres Mal durch einen Wärmetauscher strömt und dort erhitzt wird. Für den grün eingezeichneten Clausius-

Abschnitt 12.4 Gas-und-Dampf-Kraftwerke

333

Rankine-Prozess mit Überhitzung und Zwischenüberhitzung liegt der Wirkungsgrad bei 39 %; der Dampfanteil am Ausgang der Niederdruck-Turbine beträgt 85 %. Vergleich mit realen Daten Wie gut gibt der idealisierte Modellprozess, der als vollständig reversibel angenommen wird, die komplexen Abläufe in einem wirklichen Kraftwerk tatsächlich wieder? In der Realität muss man mit zahlreichen Verlustmechanismen rechnen: Reibungsverluste in den Rohrleitungen, die zu Druckabfällen führen, Wärmeverluste an die Umgebung oder die nicht hundertprozentige Effizienz der Dampfturbine. Zum Vergleich mit der Realität sind in Abb. 12.14 reale Daten eingezeichnet (rote Punkte). Es handelt sich um die Betriebsdaten des kalifornischen Solarkraftwerks SEGS VI, das unserer Modellierung zugrunde liegt. Abweichungen gibt es vor allem im Bereich der Dampfturbinen. Die beiden im idealen Clausius-Rankine-Prozess senkrecht verlaufenden Isentropen geben den tatsächlichen Verlauf der Datenpunkte nur näherungsweise wieder. Der Grund für die Diskrepanzen liegt darin, dass die reale Dampfturbine nicht vollständig isentrop arbeitet. Wenn der Dampf durch die Turbine strömt, treten immer Irreversibilitäten auf, und dabei wird Entropie erzeugt. Der reale Prozess folgt eher den gestrichelt eingezeichneten Linien, die vom senkrechten Verlauf in Richtung ansteigender Entropie abweichen.

12.4 Gas-und-Dampf-Kraftwerke Eine wesentliche Quelle von Irreversibilität – und damit eine Möglichkeit zur Steigerung der Effizienz – ist bei allen Kraftwerken die Wärmeübertragung von der primären Energiequelle in den Wasser-Dampf-Kreislauf. Noch deutlich gravierender als beim hier betrachteten Solarkraftwerk ist dies bei konventionellen Kraftwerken der Fall, wo das Wasser durch einen Verbrennungsvorgang erhitzt wird. Die Flammentemperaturen liegen bei 1200 °C und mehr, während der Dampf nur bis auf etwa 550 °C erhitzt wird. Die Wärmeübertragung von der Flamme auf den Dampf erfolgt also über ein beträchtliches Temperaturgefälle – ein irreversibler Prozess, der die Effizienz vermindert. Es gibt einen speziellen Kraftwerkstyp, die Gas-und-Dampf-Kraftwerke (GuD-Kraftwerke), bei denen dieses Problem auf elegante Weise gelöst ist. Die Dampfturbinenanlage wird hier nicht direkt mit den heißen Verbrennungsgasen betrieben, sondern mit den Abgasen einer vorgeschalteten Gasturbine. Dabei handelt es sich im Grundsatz um ein vergrößertes Flugzeugtriebwerk. In einer Brennkammer wird eine komprimierte Mischung aus Luft und brennbarem Gas verbrannt. Die hier entstehenden heißen Verbrennungsgase treiben eine Turbine an, wobei sie expandieren und dadurch abkühlen. Die Austrittstemperatur der Abgase liegt bei etwa 650 °C – eine ideale Temperatur, um eine Dampfturbinenanlage zu betreiben, ohne dass das Problem der Wärmeübertragung über eine große Temperaturdifferenz auftritt. Sowohl die Gasturbine

334

Kapitel 12 Kraftwerksprozesse – Strom von der Sonne

als auch die Dampfturbine treiben Generatoren zur Stromerzeugung an. In den modernsten GuD-Kraftwerken können auf diese Weise Wirkungsgrade bis zu 60 % erreicht werden.

12.5 Kraft-Wärme-Kopplung Wir wissen, dass jede Wärmekraftmaschine Wärme an ein kühles Reservoir abgeben muss, damit sie funktionieren kann (Kapitel 8). Gewöhnlich wird diese Abwärme als „verlorene Energie“ angesehen. Die Kühlung eines Kraftwerks verursacht sogar Kosten und ist mit technischem Aufwand verbunden. Die Abwärme einer Wärmekraftmaschine ist aber nur in dem Sinne verloren, dass sie nicht mehr zum Verrichten von Arbeit – also etwa zur Stromerzeugung – genutzt werden kann. Sie kann aber ohne Einschränkung zum Heizen verwendet werden (vgl. S. 245). Die Nutzung von Kraftwerks-Abwärme für Heizzwecke wird als KraftWärme-Kopplung bezeichnet. Sie ist in ganz verschiedenem Maßstab möglich: Große Kraftwerke versorgen oft über ein Fernwärmenetz ganze Stadtteile mit Heizenergie (in Deutschland werden etwa 14 % der Haushalte mit Fernwärme beheizt). Auf der anderen Seite gibt es die kleinen Blockheizkraftwerke, deren Wärmekraftmaschine oft nichts weiter ist als ein ursprünglich für Pkws entwickelter Motor, der so angepasst ist, dass er mit Erdgas betrieben werden kann. Die Abwärme wird zu Heizzwecken genutzt, während der Strom in das öffentliche Stromnetz eingespeist wird. Ein Problem bei der Kraft-Wärme-Kopplung liegt darin, dass der Bedarf von Heizwärme und Strom normalerweise nicht synchron verläuft. Insbesondere im Sommer ist der Heizwärmebedarf gering. Kleinere Blockheizkraftwerke sind deshalb nur dann wirtschaftlich, wenn ein nennenswerter Wärmebedarf ganzjährig sichergestellt ist, zum Beispiel wenn damit ein Schwimmbad beheizt wird.

13 Mechanismen der Wärmeübertragung

Windchill

336

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

13.1 Windchillmessungen in der Antarktis Ob der 24-jährige Geologiestudent Charles F. Passel wohl ahnte, was da auf ihn zukommen würde? Als sein Universitätsdozent ins Labor kam und ihn fragte, ob er in die Antarktis wolle, antwortete er ohne zu zögern mit: „Klar!“. Wenige Monate später war er Teilnehmer der „United States Antarctic Service Expedition (1939–1941)“. Er wohnte in einer der Hütten im Camp „Little America III“, das am Rande des antarktischen Schelfeises erbaut worden war (Abb. 13.1). Der Dienst war hart. Bei Schneesturm und Temperaturen von bis zu −50 °C mussten Windmessungen durchgeführt werden. Im Tagebucheintrag vom 8. Mai 1940 gibt er Einblick in seinen Arbeitsalltag:1 Ein exzellenter Tag für unser Experiment. Schneesturm mit einer Windgeschwindigkeit von ungefähr 50 km/h. Ich ging zur ersten Windmessung hinaus auf das Experimentierdach. Als mich der Wind ins Gesicht traf, konnte ich nicht atmen. Es hätte mich fast umgeworfen. Aber nach zwei Minuten war der Kälteschmerz weg, nur im Gesicht stach das Schneetreiben ein wenig. Das Gesicht war überall schön rot und ganz nass. [. . . ] Bei der nächsten Windmessung war der Empfang weniger freundlich. Meine Nase tat nach 30 Sekunden weh, nach 45 Sekunden hatte ich einen stechenden Schmerz am Hals und nach anderthalb Minuten einen dumpfen Kopf und Schmerzen an der Stirn über den Augen. Und, ja, nach 15 Sekunden brannte mein Handgelenk wie Feuer (es war entblößt, weil ich den Windmesser über den Kopf halten musste).

Was war der Zweck der Messungen? Es ging um die Erforschung eines Phänomens, das man als „Windchill“ bezeichnet und das im extremen Klima der Polarregionen besonders ausgeprägt ist. Die „gefühlte Temperatur“ hängt in einer kalten Umgebung nicht nur von der tatsächlichen Temperatur ab, die das Thermometer anzeigt, sondern auch von der Windgeschwindigkeit. Je höher die Windgeschwindigkeit, umso niedriger die gefühlte Temperatur. Windchill und erzwungene Konvektion Die Ursache des Phänomens ist leicht zu verstehen: Ein Thermometer hat die gleiche Temperatur wie die Luft, die es umgibt. Es befindet sich im thermischen Gleichgewicht mit seiner Umgebung. Einerlei wie stark der Wind weht, die Anzeige des Thermometers wird nicht davon beeinflusst. Anders verhält es sich mit dem menschlichen Körper. Seine Temperatur liegt deutlich über der Umgebungstemperatur. Wenn kalte Luft über den Körper streicht, wird ihm mehr Wärme entzogen als in einer windstillen Umgebung gleicher Temperatur. Man bezeichnet diesen Effekt als Wärmeübertragung durch erzwungene Konvektion. Der physikalische Mechanismus ist der gleiche wie beim Kühlen einer heißen Tasse Tee durch Pusten oder der technischen Kühlung durch Ventilatoren (vgl. die Beispielaufgabe zur Computerkühlung auf S. 176). Wir empfinden den Wind als kühlende Brise oder eben 1

Die hier beschriebenen Begebenheiten bei den antarktischen Messungen von Siple und Passel kann man in Siple & Passel (1945), Passel (1995) sowie Goerler (2000) nachlesen.

Abschnitt 13.1 Windchillmessungen in der Antarktis

337

Abb. 13.1: Die Forschungsstation „Little America III“ (1939–1941): Schlafquartiere, Werkstatt, „Science Hall“

Abb. 13.2: In der „Science Hall“

338

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

als eiskalten Schneesturm. Beim Haareföhnen tritt der Effekt mit umgekehrtem Vorzeichen auf – den Haaren wird durch erzwungene Konvektion Wärme zugeführt. Eine Skala für die Kältewirkung des Windes In den extremen Wetterbedingungen der Antarktis wurden die Expeditionsteilnehmer jeden Tag aufs Neue damit konfrontiert, dass eine schlichte Temperaturangabe nicht ausreicht, um die Unwirtlichkeit der Verhältnisse im Freien zu beschreiben. Es wurde eine Skala gesucht, die neben der Temperatur auch die Kältewirkung des Windes berücksichtigt: der „Windchill-Index“. In ihrer Publikation von 1945 beschreiben Siple und Passel einen ersten einfachen Versuch, eine solche Größe zu definieren: Wahrscheinlich gibt es keinen Ort auf der Erde, wo das Bedürfnis nach einem geeigneten Maß für die „gefühlte Temperatur“ so dringlich ist wie in den Polarregionen. Hier gibt es einen markanten Unterschied zwischen relativ erträglichen Tagen mit ruhigem Wetter bei −20 °C und windigen Tagen, die auch bei höheren Temperaturen deutlich unangenehmer sind. [. . . ] Siple (1939) erdachte eine Skala, die speziell für antarktische Vergleiche angelegt war. Sie wurde als Windchill-Index bezeichnet und folgendermaßen berechnet: Die Minustemperatur in Grad Celsius wurde mit der Windgeschwindigkeit in Meter pro Sekunde multipliziert. Das System hatte den offenkundigen Nachteil, dass es bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt nicht mehr anwendbar war. Zudem stellte sich heraus, dass hohe Windgeschwindigkeiten überbewertet wurden: Gleiche Skalenwerte entsprachen nicht dem gleichen relativen Wohlbefinden, wenn man von hohen Temperaturen und hohen Windgeschwindigkeiten zu niedrigeren Temperaturen und niedrigen Windgeschwindigkeiten überging – Letzteres ist weitaus unangenehmer. Trotz ihrer augenscheinlichen Mängel war diese Skala wegen ihrer Einfachheit bei den Angehörigen des United States Antarctic Service sehr beliebt.

Paul Siple, der Leiter der Forschungsstation, wollte durch gezielte Experimente die abkühlende Wirkung des Windes erfassen und aus den Messwerten eine Formel für den Windchill-Index herleiten. Wieder ist es Charles Passel, der eine lebhafte Beschreibung der Experimente gibt: Wie ich zu Pauls Windchill-Experimenten kam? Wir gingen immer auf Zehenspitzen an seinem Büro vorbei, damit er uns nicht hineinrief und mit einem Spezialauftrag versorgte. Als ich also wieder einmal auf Zehenspitzen an seinem Büro vorbeiging, rief er mich hinein und sagte: „Charles, wir werden am Windchill arbeiten. Du wirst das durchführen. Und wir arbeiten zusammen“. [. . . ] Wir benutzten einen Pyrenbehälter mit einem Thermometer, um die Temperatur [des Wassers] darin zu messen. Er wurde an einem Kreuz gleich außerhalb des Gebäudes aufgehängt, und wir hatten auch einen Windmesser. Jeden Tag nahm ich ihn mit nach draußen und habe dann gemessen, wie lange das Wasser brauchte um unter den gegebenen Bedingungen zu gefrieren. Bei minus vierzig Grad und ohne Wind war es z. B. in einer oder sogar zwei Stunden noch nicht gefroren.

Abschnitt 13.1 Windchillmessungen in der Antarktis

339

Abb. 13.3: Die Messvorrichtung von Siple und Passel mit dem Zylinder, der das Wasser enthielt (links), und einem frei hängenden Thermometer (rechts)

Die Windchill-Experimente Hinter den Messungen von Siple und Passel stand die Absicht, das Kälteempfinden des Menschen zu modellieren. Sie waren sich wohl bewusst, dass sie die Vielzahl physiologischer und physikalischer Faktoren, die das Kältegefühl beeinflussen, unmöglich berücksichtigen konnten. Sie entschieden sich daher ˙ für ein rein physikalisches Modell. Sie maßen die Wärmeübertragungsrate Q, mit der ein warmer Körper in einer kalten und windigen Umgebung Energie an seine Umgebung abgibt, und setzten sie mit der Temperatur und der Windgeschwindigkeit in Beziehung. Der Grundgedanke hinter den Experimenten war in Anbetracht der zur Verfügung stehenden begrenzten Mittel gar nicht schlecht. Die Rolle des „warmen Körpers“ wurde von gefrierendem Wasser übernommen. Während des Phasenübergangs von flüssig nach fest weist es eine konstante Temperatur von 0 °C auf – was unter den herrschenden Verhältnissen als „warm“ ange-

Abb. 13.4: Typischer Verlauf der Temperatur als Funktion der Zeit. Vom Beginn des Gefrierens bis zum vollständigen Durchfrieren der Probe bleibt die Temperatur konstant bei 0 °C. Dabei wird die spezifische Schmelzwärme von 334 kJ/kg abgegeben.

340

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill Schmelzwärme 334 kJ/kg 0 °C

Abb. 13.5: Damit flüssiges Wasser zu Eis wird, muss die spezifische Schmelzwärme von 334 kJ/kg entzogen werden. Die Temperatur bleibt während des Phasenübergangs konstant bei 0 °C.

sehen werden konnte. Darüber hinaus ließ sich genau angeben, wie groß die Wärmemenge ist, die zwischen dem Beginn des Gefrierens (wenn das Wasser die Temperatur 0 °C erreicht) und seinem Ende (wenn die Temperatur unter 0 °C abzusinken beginnt) an die Umgebung abgegeben wurde: Es ist die spezifische Schmelzwärme von Eis, nämlich 334 kJ/kg (Abb. 13.5). Zu Beginn des Experiments wurde eine Kunststoffflasche mit 250 g geschmolzenem Schneewasser gefüllt und im Freien aufgehängt (Abb. 13.3). Mit einem elektrischen Thermometer wurde die Temperatur des Wassers in regelmäßigen Abständen gemessen und gegen die Zeit aufgetragen. Ein typischer Verlauf der Temperaturkurve ist in Abb. 13.4 gezeigt (Siple & Passel 1945). Aus der gemessenen Gefrierdauer ∆t und der Schmelzwärme Q konnte die Wärmeübertragungsrate Q˙ = Q/∆t berechnet werden. Bei der Auswertung gingen Siple und Passel davon aus, dass die Wärmeübertragungsrate proportional zur Oberfläche A der Probe und zur Temperaturdifferenz gegenüber der Umgebung ist: Q˙ = h · A · ∆T.

(13.1)

Der Faktor h heißt Wärmeübergangskoeffizient.2 Er konnte aus den gemessenen Werten von Q˙ und ∆T sowie der bekannten Oberfläche des Behälters berechnet werden. In ihrer Veröffentlichung von 1945 bezeichnen Siple und Passel h · ∆T als „Windchill-Faktor“, weil damit die Abhängigkeit der Wärmeübertragungsrate von der Windgeschwindigkeit wiedergegeben wird. Mit ihren Messungen versuchten Siple und Passel, eine empirische Formel für h zu finden, mit der sich der Windchill-Faktor für eine gegebene Windgeschwindigkeit berechnen ließe. Ganz einfach war das nicht. Die Datenpunkte streuten stark, was angesichts der vielen experimentellen Unzulänglichkeiten nicht verwundert. Die gravierendste davon war die unzuverlässige Bestimmung der Windgeschwindigkeit. Die Wetterunbilden, die die Messung für die Experimentatoren mit sich brachte, wurden schon beschrieben. Aber die Kälte brachte auch Geräteprobleme mit sich. Es war so kalt, dass das Öl einfror, mit dem die Lager des Windmessers geschmiert waren. Mit allzu hoher Präzision der Messungen war also nicht zu rechnen. 2

In der deutschsprachigen Literatur wird oft auch das Formelzeichen α verwendet.

Abschnitt 13.1 Windchillmessungen in der Antarktis

341

Die Windchill-Formel von Siple und Passel Unter Experimentalphysikern kursiert der Ausspruch: „Zwei oder drei Monate harter Arbeit im Labor ersparen einem manchmal einen ganzen Nachmittag in der Bibliothek.“ Siple und Passel sind die tragischen Helden dieser Devise. Die Theorie der Wärmeübertragung war 1939 schon so gut ausgearbeitet, dass ihre Experimente eigentlich nicht notwendig waren. Man kann ihnen die Vernachlässigung der Theorie allerdings kaum zum Vorwurf machen: Selten konnte jemand eine bessere Entschuldigung vorweisen als die Teilnahme an einer zweijährigen Antarktis-Expedition in Kriegszeiten. In ihrer Veröffentlichung gestehen sie offen ein, dass die Auswertung ihrer Daten recht unberührt von jeglicher Theorie erfolgte. Sie suchten einfach eine Funktion, die die gemessenen Daten für h(V ) möglichst gut beschreibt. Nach mühevollem Probieren fanden sie die folgende Funktion, die gut zu ihren Daten passte: √ h(V ) = V · 100 + 10,45 − V , (13.2) wobei V die Windgeschwindigkeit in m/s ist und der resultierende Wert für h die Einheit kcal/(m2 · K · h) hat. Dass diese Gleichung nicht den Charakter eines grundlegenden Naturgesetzes haben konnte, war ihnen selbst klar. Das beste Anzeichen dafür erwähnen sie selbst: Die Funktion h(V ) hat ein Maximum bei v = 25 m/s. Bei höheren Windgeschwindigkeiten führt Gl. (13.2) also zu niedrigeren (und später sogar negativen) Wärmeübertragungsraten – eine offensichtlich falsche Vorhersage. Windchill-Formel und gefühlte Temperatur All dies könnte eine amüsante Episode bleiben, wenn da nicht die enorme Nachwirkung der Windchill-Formel (13.2) wäre. Sofort nach ihrer Veröffentlichung im Jahr 1945 wurde sie von der Air Force in Alaska aufgegriffen und auch in Kanada und anderen nördlichen Gegenden verwendet. Sie erwies sich als nützlich, um Personen, die bei Kälte im Freien tätig waren, einen Anhaltspunkt zu geben, wie dick sie sich einmummeln mussten. Im Jahr 1973 ging die Formel sogar in die offiziellen Wettervorhersagen ein: Seither wurde in den USA und Kanada die „gefühlte Temperatur“ angegeben. Dazu wird mit Hilfe von Gl. (13.2) die Wärmeübertragungsrate mit und ohne Wind verglichen. Anschließend wird diejenige Temperatur berechnet, bei der die Wärmeübertragungsrate ohne Wind ebenso groß wäre wie unter den aktuell herrschenden Bedingungen. So sollte auch unerfahrenen Personen eine gefühlsmäßige Einschätzung der abkühlenden Wirkung des Windes ermöglicht werden. Eine hohe Windstärke führt zu einer niedrigen gefühlten Temperatur. Auf diese Weise kam es, dass die unter abenteuerlichen Umständen aufgestellte Windchill-Formel (13.2) von 1945 bis ins Jahr 2001 einen fast amtlichen Status einnahm, ohne dass ihre Herkunft oder Gültigkeit ernsthaft in Frage gestellt wurde. Es war zwar bekannt, dass sie den Windchill-Effekt für hohe Windgeschwindigkeit überschätzte, aber damit konnte man leben.

342

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

Ein neuer Windchill-Index wurde erst im Winter 2001/2002 eingeführt. Er ging auf die von verschiedenen Wissenschaftlern seit etwa 1995 unternommenen Anstrengungen zurück, den Windchill-Effekt auf eine stabilere wissenschaftliche Basis zu stellen. In Windkanälen wurden Tests mit Versuchspersonen durchgeführt, und die Theorie der Wärmeübertragung wurde herangezogen, um das Problem auf analytische Weise anzugehen. All die physiologischen Probleme, die Siple und Passel ausgeklammert hatten, mussten nun von neuem bedacht werden: Soll nur die Wärmeübertragung von der Haut an die Umgebung betrachtet werden oder auch das Auskühlen der oberen Körperschichten selbst? Ist es sinnvoll, den ganzen bekleideten Körper zugrunde zu legen oder macht sich der Windchill-Effekt hauptsächlich im unbedeckten Gesicht bemerkbar? Soll man bei der Berechnung der gefühlten Temperatur berücksichtigen, dass es ja eigentlich nie vollständig windstill ist, und eine „minimale Windgeschwindigkeit“ annehmen? Müssen Luftfeuchtigkeit und Sonneneinstrahlung berücksichtigt werden? Um solche Fragen zu diskutieren, wurde eine „Joint Action Group for Temperature Indices“ gegründet, die im Jahr 2001 eine neue Skala für die gefühlte Temperatur vorstellte (Osczevski & Bluestein 2005). Sie wird seither – zumindest in Nordamerika – für die Wettervorhersage verwendet. In anderen Ländern wurden andere Indizes für die gefühlte Temperatur entwickelt, die von den lokalen klimatischen Gegebenheiten und entsprechend von anderen Modellannahmen ausgehen.

13.2 Die Mechanismen der Wärmeübertragung Das Ziel dieses Kapitels – die Gesetze der Wärmeübertragung kennenzulernen – erreichen wir einfacher, wenn wir von den komplexen physiologischen Bedingungen des menschlichen Körpers absehen. Wir stellen uns die einfachere Aufgabe, die Experimente von Siple und Passel thermodynamisch zu analysieren. Die Frage ist: Wie müsste Gl. (13.2) in Wirklichkeit lauten? Um sie zu beantworten, müssen wir die verschiedenen Mechanismen der Wärmeübertragung betrachten. Den Begriff Wärme haben wir in Kapitel 6 als Energie definiert, die aufgrund einer Temperaturdifferenz die Systemgrenzen überquert. Auf welche Weise kann dies geschehen? Wie kann eine Temperaturdifferenz dazu führen, dass Energie von einem Ort zum anderen fließt? Die Thermodynamik unterscheidet dafür drei Mechanismen (Abb. 13.6): (1) Wärmeleitung: die Ausbreitung einer thermischen Anregung in festen Körpern (oder ruhenden Flüssigkeiten und Gasen) durch Energieaustausch zwischen unmittelbar benachbarten Teilchen, (2) Konvektion: die Wärmeübertragung durch „Mitführung“ der Energie in strömenden Flüssigkeiten oder Gasen, (3) Strahlung: die Wärmeübertragung durch Emission oder Absorption der elektromagnetischen Strahlung, die jeder Körper allein dadurch emittiert, dass er eine bestimmte Temperatur hat.

343

Abschnitt 13.3 Wärmeleitung

Strahlung

Konvektion kalter Wind Abb. 13.6: Die drei Mechanismen der Wärmeübertragung

Wärmeleitung

Alle drei Mechanismen spielen im Experiment von Siple und Passel eine Rolle: (1) Die Wärmeleitung bewirkt, dass die vom gefrierenden Wasser abgegebene Wärme durch die Behälterwände nach außen gelangt. (2) Die abkühlende Wirkung des Windes (die im Experiment ja gerade untersucht werden sollte) ist ein Beispiel für die Wärmeübertragung durch Konvektion. Je stärker der Wind bläst, umso mehr Wärme wird abgeführt. Unsere Aufgabe wird es sein, diesen Effekt quantitativ zu erfassen. (3) Und schließlich tauscht der Behälter durch die Emission von Wärmestrahlung Energie mit seiner Umgebung aus – ein Effekt, den wir am ehesten von glühender Holzkohle oder dem heißen Hufeisen in einer Schmiede kennen, wo die Wärmestrahlung zum Teil als sichtbares Licht abgestrahlt wird. Obwohl jeder Körper auch bei „normalen“ Temperaturen Wärmestrahlung emittiert, nehmen wir sie meist nicht wahr, weil ihre Wellenlänge im unsichtbaren Infrarotbereich des elektromagnetischen Spektrums liegt.

13.3 Wärmeleitung Aus dem Alltag ist uns das Phänomen der Wärmeleitung wohlbekannt. Zum Beispiel setzen ihr die dünnen Wände eines Pappbechers so wenig Widerstand entgegen, dass wir den Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt nicht lange in den Händen halten können. Auch der Silberlöffel im heißen Tee wird schnell so warm, dass wir ihn nicht mehr anfassen können. Bei einem Kunststofflöffel geschieht das nicht – das Material hat bei der Wärmeleitung einen entscheidenden Einfluss. In wirtschaftlicher Hinsicht von großer Bedeutung ist die Wärmeleitung im Bauwesen. Im Winter, wenn die Innentemperatur eines Hauses höher ist als die Außentemperatur, wird Wärme durch die Hauswände nach außen übertragen. Je besser die Wände die Wärme leiten, umso mehr Wärme wird nach außen abgegeben und umso höher sind die Heizkosten. Durch Wärmedämmung wird versucht, die Verluste so gering wie möglich zu halten.

344

Gitterschwingungen

kälteres Reservoir

wärmeres Reservoir

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

Abb. 13.7: Wärmeleitung in einem Festkörper: Dort wo die Temperatur höher ist, sind die Gitterschwingungen stärker.

13.3.1 Mikroskopisches Modell der Wärmeleitung

Die mikroskopischen Mechanismen der Wärmeleitung in einem Festkörper lassen sich anhand von Abb. 13.7 verdeutlichen. Wie bei der Diskussion der Wärmekapazität in Kapitel 6 modellieren wir den Festkörper als eine regelmäßige Anordnung von Atomen, die durch Federn gekoppelt sind. Nach dem Gleichverteilungssatz (S. 164) schwingen die Atome umso stärker um ihre Ruhelage, je höher die Temperatur an der betreffenden Stelle ist. Die Kopplung der Atome durch Federn bewirkt einen Energieübertrag von stärker schwingenden Atomen auf ihre schwächer schwingenden Nachbarn. In einem isolierten, ungleichmäßig erwärmten Festkörper führt diese Energieübertragung zu einem allmählichen Temperaturausgleich innerhalb des Körpers. Thermisches Gleichgewicht mit überall konstanter Temperatur stellt sich ein. Wenn aber wie in Abb. 13.7 eine Temperaturdifferenz aufrechterhalten wird, weil der Körper auf der einen Seite an ein warmes und auf der anderen Seite an ein kaltes Reservoir grenzt, dann führt die Kopplung der Atome zur Wärmeleitung – zu einem stetigen Energiefluss von warm nach kalt. Wärmeleitung durch Phononen und Elektronen Das mikroskopische Modell der Wärmeleitung vermittelt eine Vorstellung davon, wie Energie in einem Festkörper aufgrund einer Temperaturdifferenz übertragen wird. Detailliertere quantenmechanische Modelle verfeinern das Bild. Sie zeigen, dass die Gitterschwingungen quantisiert sind und als Phononen die Energie quasi teilchenhaft transportieren. In elektrischen Leitern kommt noch ein weiterer Mechanismus für den Energietransport hinzu: Hier

Dx

T1

·

Q

A

T2

y x z

Abb. 13.8: Wärmeleitung durch eine Wand der Dicke ∆x

Abschnitt 13.3 Wärmeleitung

345

sind die Elektronen im Inneren des Körpers frei beweglich; sie bilden ein „Elektronengas“, in dem Energie wie in einem gewöhnlichen Gas durch Stöße übertragen werden kann. In Metallen ist dies der Hauptbeitrag zur Wärmeleitung. Metalle sind daher meist viel bessere Wärmeleiter als nichtleitende Festkörper, bei denen zur Wärmeleitung allein die Phononen beitragen. 13.3.2 Fouriers Gesetz der Wärmeleitung

Die mathematischen Gesetzmäßigkeiten für die Wärmeleitung in Festkörpern wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Joseph Fourier entwickelt. Sein 1822 erschienenes Buch „Théorie analytique de la chaleur“ wurde von Arnold Sommerfeld als die „Bibel des mathematischen Physikers“ bezeichnet, weil darin nicht nur die Fourier-Entwicklung (die Reihenentwicklung einer Funktion nach Sinus und Kosinus) eingeführt wird, sondern weil es am Beispiel der Wärmeleitung auch die Grundlage für die Lösung physikalischer Probleme mit Hilfe partieller Differentialgleichungen legt. Im eindimensionalen stationären Fall nimmt Fouriers Gesetz der Wärmeleitung eine ganz einfache Form an. Abb. 13.8 zeigt eine Wand, die in x-Richtung die Dicke ∆x aufweist und die wir uns in y- und z-Richtung als so weit ausgedehnt vorstellen, dass wir von Randeffekten absehen können. Stationär bedeutet, dass sich die Temperaturverteilung zeitlich nicht ändert. Wir können uns z. B. die Außenwand eines Hauses vorstellen, deren Innenseite die Raumtemperatur T1 und deren Außenseite die Außentemperatur T2 annimmt. Wir greifen daraus ein Teilstück mit dem Flächeninhalt A heraus (Abb. 13.8). Fouriers Gesetz gibt Auskunft über die Wärme Q, die in der Zeit t von innen nach außen übertragen wird, also über die Wärmeübertragungsrate Q˙ = Q/t. Für eine Wand der Dicke ∆x ist sie: (1) proportional zur Temperaturdifferenz ∆T = T2 − T1 , (2) proportional zur Fläche A des betrachteten Wandabschnittes, (3) und umgekehrt proportional zur Dicke ∆x. Fasst man diese Aussagen in einer Gleichung zusammen, gelangt man zum Fourier-Gesetz für die Wärmeleitung durch eine Wand mit der Dicke ∆x:3 Fourier-Gesetz für die Wärmeleitung: ∆T Q˙ Wärmeleitung = −λ · A · . ∆x

(13.3)

Die Proportionalitätskonstante λ heißt Wärmeleitfähigkeit; sie ist eine Materialeigenschaft und hat die Einheit W/(m · K). Die Tabellen im Anhang geben 3

In der Theorie der Wärmeleitung ist eine andere Vorzeichenkonvention üblich als die sonst in diesem Buch verwendete: Q˙ ist positiv, wenn die Wärme in Richtung ansteigender Werte der x-Koordinate übertragen wird. Wir geben die Gleichungen hier und in Kapitel 14 in dieser gebräuchlichen Form an. Für Konvektion und Wärmestrahlung gilt die in Kapitel 6 eingeführte Konvention: Q˙ ist positiv, wenn dem betrachteten System Energie zugeführt wird.

346

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

Wärmeleitfähigkeit in W/(m K)

0,01

m

M

et ha n

Gase

el iu

Lebensmittel

H

Flüssigkeiten

Lu Et ft ha n

nichtmetallische Feststoffe

Ka

0,1

Baustoffe

G ra Sp M ni Ka t a M N anp lk Be rmo in ad la s M to er e tt a au n n r al lh e H w ol oh er ds St ol z t w yr lb er ein lo op le k ck or st ei M n et ha W Ac n et ol Am ass on m er on ia Ka k Ei r er G to Sc Mar ur ffe ke ln ho ga R n ko rin in la e Äp dfl de e fe is Br l ch ot

1

Metalle

H ar Le t-P de VC r

10

ut s Ko chu rk k

100

W Por as ze se lla re n is

1000

Si lb Ku er A p E lu fe m r Ba ise Ed in n u iu st Q els m ah ue ta l ck hl si lb er

Diamant

Abb. 13.9: Wärmeleitfähigkeiten für verschiedene Stoffklassen. Es ist zu beachten, dass die Auftragung auf der vertikalen Achse logarithmisch ist: Die Wärmeleitfähigkeit von Diamant ist etwa 100 000 Mal so hoch wie die von Ethan.

die Wärmeleitfähigkeit für eine Vielzahl von Stoffen an. Abb. 13.9 veranschaulicht, dass die Wärmeleitfähigkeit für verschiedene Stoffgruppen ganz unterschiedliche Werte annimmt. Wärmeleitfähigkeiten verschiedener Stoffgruppen Mit dem Beitrag der Elektronen zur Wärmeleitung haben wir bereits begründet, weshalb Metalle bessere Wärmeleiter sind als die meisten nichtmetallischen Festkörper. Die besten elektrischen Leiter (Silber, Kupfer) besitzen auch die größte Wärmeleitfähigkeit. Dagegen sind Gase im Allgemeinen sehr schlechte Wärmeleiter. Sofern man sie am Strömen hindert und die Wärmeübertragung durch Konvektion unterbindet, kann man sie als Isoliermaterialien einsetzen. Das geschieht beim Wollpullover ebenso wie bei der Wärmedämmung mit Styropor oder Mineralwolle. Eine Sonderrolle spielt der Diamant, der die höchste Wärmeleitfähigkeit von allen Stoffen besitzt. Beispielaufgabe: Wärmeübertragungsrate durch eine Außenwand Berechnen Sie die Wärmeübertragungsrate durch die Außenwand eines Hauses, die aus Leichtbeton-Mauerwerk mit einer Dicke von 36,5 cm besteht. Ihre Oberflächentemperatur soll innen bei 19 °C und außen bei 5 °C liegen. Die Wand hat eine Breite von 11,5 m und eine Höhe von 3,8 m. Vergleichen Sie die Wärmeübertragungsrate mit derjenigen, die sich für eine um 5 °C höhere Innentemperatur ergibt.

347

Abschnitt 13.4 Wärmeübertragung durch Strahlung

Lösung: Aus Tabelle B.10 lesen wir ab, dass die Wärmeleitfähigkeit von Leichtbeton-Mauerwerk 0,21 W/(m K) beträgt. Einsetzen der Werte in das Fourier-Gesetz ergibt:

W 5 ◦ C − 19 ◦ C Q˙ Wärmeleitung = −0,21 · 11,5 m · 3,8 m · mK 0,365 m

= 352 W.

(13.4)

Bei einer um 5°C erhöhten Innentemperatur ergibt die Rechnung den Wert 453 W, also eine um fast 30 % höhere Wärmeübertragungsrate. Die Heizkosten steigen um einen entsprechenden Faktor. Durch das Vermeiden überhöhter Innentemperaturen kann man also in erheblichem Ausmaß Heizkosten sparen. Im Beispiel wird eine Außenwand betrachtet, die nur aus einer Schicht besteht. Heutzutage sind die Außenwände von Häusern fast immer aus mehreren Schichten zusammengesetzt. Um den Anforderungen der Energieeinsparverordnung (EnEV) zu genügen, ist in der Regel eine Wärmedämmung erforderlich, zum Beispiel mit einem Wärmedämm-Verbundsystem. In Abschnitt 13.7 werden wir zeigen, wie man die Wärmeübertragungsrate durch mehrschichtige Bauteile ermittelt. Anders als in der Aufgabenstellung sind auch normalerweise nicht die Oberflächentemperaturen der Wand bekannt, sondern die Temperatur der umgebenden Luft, die sich leicht davon unterscheidet. Dies wird durch den schon erwähnten Wärmeübergangskoeffizienten berücksichtigt, der in Abschnitt 13.5 näher betrachtet wird.

13.4 Wärmeübertragung durch Strahlung 13.4.1 Das plancksche Strahlungsgesetz

Dass heiße Objekte sichtbare Wärmestrahlung emittieren, lässt sich im Alltag oft beobachten: Das Glühen von Holzkohle ist ebenso ein Beispiel dafür wie die orange leuchtenden Glühfäden eines Toasters. Auch bei dem Licht, das die Sonne aussendet, handelt es sich um Wärmestrahlung. Wärmestrahlung ist elektromagnetische Strahlung, also von gleicher Natur wie Licht, Radiowellen oder Mikrowellen. Sie kann sich somit auch im Vakuum ausbreiten. Die Wärmeübertragung durch Strahlung ist daher – anders als die Wärmeleitung – nicht an einen materiellen Träger gebunden. Die Sonne wärmt, auch ohne dass Materie zwischen ihr und uns liegt. Nicht nur heiße Körper, sondern alle Körper senden Wärmestrahlung aus; bei gewöhnlichen Temperaturen liegt diese allerdings im infraroten Teil des elektromagnetischen Spektrums. Strahlung in diesem Wellenlängenbereich ist für das menschliche Auge nicht sichtbar (das nur für den Wellenlängenbereich

l Abb. 13.10: Jede Oberfläche emittiert Wärmestrahlung mit einer bestimmten Verteilung der Wellenlängen λ.

A

348

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

Ml(T) 1013 W/m3

Infrarotstrahlung

lmax

sichtbares Licht 8

T = 6000 K 6

T = 5000 K lmax

4

T = 4000 K T = 3000 K

2

lmax

T = 2500 K lmax

0.5

1.0

1.5

2.0

2.5

l in mm

Abb. 13.11: Das Planck-Spektrum für verschiedene Temperaturen

zwischen 380 nm und 780 nm empfindlich ist). Der Infrarotbereich grenzt an das rote Ende des sichtbaren Spektrums. Er umfasst die Wellenlängen zwischen 780 nm und 1 mm. Zur Orientierung kann man sich merken: Bei Zimmertemperatur liegt die Wellenlänge der Wärmestrahlung bei etwa 10 µm. Ideale Wärmestrahlung ist durch ein charakteristisches Spektrum („PlanckSpektrum“) gekennzeichnet, das durch das plancksche Strahlungsgesetz beschrieben wird. Um es zu formulieren, betrachten wir die Oberfläche eines idealen Wärmestrahlers (Abb. 13.10). Ein Flächenstück A emittiert Wärmestrahlung mit verschiedenen Wellenlängen λ in den umliegenden Halbraum. Das plancksche Strahlungsgesetz gibt Auskunft über die sogenannte spektrale spezifische Ausstrahlung Mλ ( T ). Die Größe Mλ ( T ) · ∆λ gibt die Energie pro Zeit und Fläche an, die der ideale Wärmestrahler im Wellenlängenbereich zwischen λ und λ + ∆λ in den Halbraum abstrahlt. Plancksches Strahlungsgesetz: Mλ ( T ) =

2πhc2 λ5

1 e

hc λkB T

.

(13.5)

−1

Dabei ist c = 2,998 · 108 m/s die Lichtgeschwindigkeit und h = 6,626 · 10−34 J s die plancksche Konstante. Das Auftreten zweier neuer fundamentaler Konstanten deutet darauf hin, dass sich hinter dem planckschen Strahlungsgesetz etwas Tieferes verbirgt – und in der Tat wurde mit seiner Entdeckung im Jahre 1900 die Tür zur Quantentheorie aufgestoßen.

349

Abschnitt 13.4 Wärmeübertragung durch Strahlung

El 3 10 W/m 9

1.5

1.0

0.5

0.0 0.0

0.5

1.0

1.5

2.0

2.5

l in mm

Abb. 13.12: Das Spektrum der Sonnenstrahlung folgt näherungsweise dem planckschen Strahlungsgesetz mit T ≈ 5800 K. Die spektrale Bestrahlungsstärke Eλ (die eintreffende Energie pro Zeit, Fläche und Wellenlängenintervall) wurde mit Satelliten oberhalb der Erdatmosphäre gemessen (Daten: Eumetsat).

Abb. 13.11 zeigt das Spektrum eines idealen Wärmestrahlers für verschiedene Temperaturen. Wie der Vergleich mit dem in Abb. 13.12 dargestellten Spektrum der Sonne zeigt, folgt die Strahlung realer Körper dem planckschen Strahlungsgesetz nur näherungsweise. Im Fall der Sonne werden die „Einbrüche“ bei bestimmten Wellenlängen als Fraunhofer-Linien bezeichnet. Sie gehen auf Elemente wie Natrium, Eisen oder Sauerstoff in der Sonnenatmosphäre zurück, die bei diesen Wellenlängen einen Teil der Strahlung absorbieren. Wiensches Verschiebungsgesetz Die durch Gl. (13.5) beschriebene Kurve hat einen unsymmetrischen Verlauf. Für kurze Wellenlängen steigt sie steil an, auf der langwelligen Seite fällt sie flacher ab. Die Lage des Maximums hängt von der Temperatur des Körpers ab, der die Wärmestrahlung aussendet. Mit zunehmender Temperatur verschiebt es sich zu kleineren Wellenlängen (gestrichelte Linie in Abb. 13.11). Das wiensche Verschiebungsgesetz gibt die Wellenlänge λmax an, bei der das Maximum des Planck-Spektrums liegt: λmax =

2,8978 · 10−3 K · m . T

(13.6)

Für die Sonne, die eine Oberflächentemperatur von etwa 5800 K besitzt, liegt das Maximum bei einer Wellenlänge von 500 nm, also im grünen Bereich des Spektrums (Abb. 13.11). Das Licht der Sonne erscheint uns hell-weiß, weil sie bei allen Wellenlängen im sichtbaren Bereich Wärmestrahlung aussendet.

350

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

Abb. 13.13: Blick in einen Töpferofen

Beispielaufgabe: Wellenlängen-Maximum bei verschiedenen Temperaturen Vergleichen Sie λmax für Körper mit Temperaturen von 20 °C (Zimmertemperatur) und 1100 °C (glühender Stahl in einer Schmiede). Lösung: Nach dem wienschen Verschiebungsgesetz gilt bei Zimmertemperatur:

λmax =

2,8978 · 10−3 K · m = 9,9 µm. 293 K

(13.7)

Das Maximum liegt im Infraroten, weitab vom sichtbaren Bereich des Spektrums. Mit dem Auge ist die Wärmestrahlung eines Körpers dieser Temperatur nicht zu erkennen. Für den glühenden Stahl ergibt sich:

λmax =

2,8978 · 10−3 K · m = 2,1 µm. 1373 K

(13.8)

Das Maximum liegt noch im Infrarotbereich, aber ein kleiner Teil des Spektrums reicht schon in den roten Bereich des sichtbaren Lichts hinein. Der Stahl erscheint daher orange-rot glühend. Für noch heißere Körper liegen immer größere Teile der Wärmestrahlung im sichtbaren Bereich. Das Glühen wird heller, und die Farbe ändert sich mit steigender Temperatur von rot über orange und gelb zum hellen Weiß. Im Zusammenhang mit dem wienschen Verschiebungsgesetz führt übrigens der folgende Umstand immer wieder zu Irritationen: Mit der Beziehung λ · f = c kann man das Spektrum der Wärmestrahlung als Funktion der Frequenz f schreiben. Bei der Kurvendiskussion stellt sich heraus: Für f ergibt sich ein anderes Maximum als aus der direkten Umrechnung von Gl. (13.6) folgen würde (Marr & Wilkin 2012). Die Auflösung des scheinbaren Widerspruchs verlangt etwas Nachdenken: Gl. (13.5) gibt die abgestrahlte Energie in einem Wellenlängenintervall ∆λ an. Gleich große Wellenlängenintervalle, die man bei jeder vergleichenden Angabe stillschweigend voraussetzt, entsprechen aber nicht auch gleichen Frequenzintervallen ∆ f . Die unterschiedlichen Ergebnisse für Frequenz und Wellenlänge entsprechen also verschiedenen Fragestellungen. Welche der beiden Angaben angemessen ist, muss nach der jeweiligen experimentellen Situation entschieden werden.

Abschnitt 13.4 Wärmeübertragung durch Strahlung

351

Abb. 13.14: Ein Hohlraum als schwarzer Körper: Der (eigentlich violette) Kelch der Schwarzäugigen Susanne erscheint noch dunkler als der schwarze Schirm.

Schwarze Körper und Hohlräume Das plancksche Strahlungsgesetz enthält eine bemerkenswerte Aussage über den universellen Charakter der Wärmestrahlung: Im idealen Fall hängt sie nicht von der Beschaffenheit des Körpers ab, der sie abstrahlt, sondern allein von seiner Temperatur. Ein Blick in einen Töpferofen zeigt: Form, Farbe, Material und Oberflächenstrukturen sind nur schwer erkennbar, weil alle Gegenstände im Ofen dieselbe Temperatur haben (Abb. 13.13). Sie emittieren gleichartige Wärmestrahlung, die über diese Eigenschaften keine Auskunft gibt. Auf der Suche nach Objekten, die dem idealen Wärmestrahler nahekommen, entdeckten die Physiker im 19. Jahrhundert, dass diejenigen Körper besonders effiziente Wärmestrahler sind, die die Strahlung bei den entsprechenden Wellenlängen auch besonders gut absorbieren (kirchhoffsches Gesetz). Die Wärmestrahlung wurde daher auch als die Strahlung schwarzer Körper bezeichnet. Noch stärker als von allen Oberflächen wird die einfallende Strahlung jedoch von der Öffnung eines dunkel ausgekleideten Hohlraums absorbiert (Abb. 13.14). Die beste Annäherung an den idealen Wärmestrahler bildet daher ein dunkler Hohlraum. Die Temperatur seiner Innenwände bestimmt das Spektrum der Wärmestrahlung, die aus der Öffnung entweicht. Detektion der Wärmestrahlung Wärmestrahlung lässt sich mit Wärmebildkameras quantitativ erfassen. Sie sind grundsätzlich ähnlich wie optische Kameras aufgebaut, besitzen aber Detektorelemente und optische Komponenten, die der Infrarotstrahlung angemessen sind. Wärmebildkameras erfassen die Wärmestrahlung in schmalen Spektralbereichen (z. B. 3 bis 5 µm oder 7 bis 14 µm). Aus der Intensität der nach-

352

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

Abb. 13.15: Die Heizrohre einer Fußbodenheizung sind in dieser Wärmebildaufnahme deutlich zu erkennen.

gewiesenen Wärmestrahlung lässt sich auf die Temperatur an der jeweils betrachteten Stelle zurückschließen. Auf diese Weise können Wärmebildkameras ein „Temperaturbild“ der Umgebung entwerfen und auch noch kleine Temperaturunterschiede sichtbar machen (Abb. 13.15). 13.4.2 Energieabgabe durch Wärmestrahlung

Mit der Wärmestrahlung wird Energie abgegeben; ein heißer Körper kühlt durch die Emission von Wärmestrahlung ab. Die Wärmeübertragungsrate, d. h. die abgegebene Energie pro Sekunde, lässt sich mit dem planckschen Strahlungsgesetz berechnen. Man muss dazu Gl. (13.5) über alle Wellenlängen integrieren: Q˙ Strahlung = −2πhc2 · A ·

Z ∞ 1 0

λ5

1 e

hc λkB T

dλ.

(13.9)

−1

Das Integral lässt sich mit Hilfe einer Integraltafel auswerten. Es ergibt sich: 2π 5 k4B Q˙ Strahlung = − · A · T4 = − σ · A · T4 . 15c2 h3

(13.10)

Die Konstante σ, die für den unhandlichen Vorfaktor eingeführt wird, heißt Stefan-Boltzmann-Konstante und hat den Wert σ = 5,67 · 10−8 W/(m2 · K4 ). Bemerkenswert ist die starke Abhängigkeit von der Temperatur des Körpers: Weil T in der vierten Potenz eingeht, bewirkt eine Temperaturverdopplung, dass die Wärmeübertragungsrate um den Faktor 16 ansteigt (wobei die Temperatur immer in Kelvin angegeben werden muss). Die Beziehung (13.10) gilt nur für ideale schwarze Körper, deren Wärmestrahlung dem Planck-Gesetz exakt folgt. Um auch nicht-ideale Körper beschreiben zu können, führt man einen phänomenologischen Faktor ein, den Emissionsgrad ϵ, der die Abweichung vom idealen Planck-Spektrum erfasst. Für reale Oberflächen hängt der Emissionsgrad vom Material, von der Oberflächenbeschaffenheit, der Temperatur, vom Betrachtungswinkel und von der

353

Abschnitt 13.4 Wärmeübertragung durch Strahlung

Wellenlänge der emittierten Strahlung ab – von einer Vielzahl von Einflussfaktoren also, die das exakte Arbeiten mit der Wärmestrahlung zu einer komplizierten Angelegenheit machen. Zum Glück geht es einfacher, wenn man nur berechnen will, wie viel Energie insgesamt mit der Wärmestrahlung abgegeben wird. Man erfasst die Abweichung vom idealen schwarzen Körper in diesem Fall pauschal durch einen mittleren konstanten Emissionsgrad ϵ im jeweils relevanten Wellenlängenbereich, der für die verschiedenen Materialien experimentell bestimmt werden muss. Auf diese Weise gelangt man zum Stefan-Boltzmann-Gesetz für die Wärmeübertragung durch Strahlung: Stefan-Boltzmann-Gesetz: Für einen Körper mit der Temperatur T und der Fläche A beträgt die Rate der Wärmeabgabe durch Strahlung: Q˙ Strahlung = − σ · ϵ · A · T 4 .

(13.11)

Schwarze Körper und ideale Spiegel Während ϵ = 1 für einen idealen schwarzen Körper gilt, beschreibt das Gegenteil, ϵ = 0, nicht etwa einen „weißen Körper“, sondern einen idealen Spiegel. Dieser Grenzfall entspricht Körpern, die gar keine Energie durch Wärmestrahlung abgeben, sondern das einfallende Licht vollständig reflektieren. Es gibt eine einfache Faustregel für den Emissionsgrad im Infrarotbereich, die in der Praxis gute Dienste leistet: Nichtmetalle und insbesondere organische Stoffe wie Haut oder Holz, aber auch Bau- und Anstrichstoffe haben Emissionsgrade nahe 1. Der Emissionsgrad von Metallen liegt nahe null, wobei hier aufgrund von Faktoren wie Rauheiten, Korrosion und Anstrichen eine klare Aussage nicht möglich ist. Glas ist im Infraroten nicht durchsichtig, sondern es spiegelt. Beispielaufgabe: Das Alter der Sonne Im Jahr 1871 sprach Herrmann von Helmholtz in einem Vortrag eine Frage an, die die Menschen schon seit alters her beschäftigt: Welchen Ursprung hat die Energie der Sonne? Durch welche Prozesse werden diese ungeheuren Energiemengen freigesetzt, von denen nur ein Bruchteil zur Erde gelangt und dort alles Leben erst ermöglicht? Natürlich dachte man lange Zeit, dass es gewöhnliche Verbrennungsprozesse sind, die auf der Sonne ablaufen. Mit den Gesetzmäßigkeiten der Wärmelehre und der Chemie konnte Helmholtz zeigen, dass dies nicht der Fall sein kann. Vollziehen Sie die Argumentation nach, die er in seinem Vortrag ausführte (Helmholtz 1871): Auf Erden sind die Verbrennungsprocesse die reichlichste Quelle von Wärme. Kann vielleicht die Sonnenwärme durch einen Verbrennungprocess entstehen? Diese Frage kann vollständig und sicher mit Nein beantwortet werden; denn wir wissen jetzt, dass die Sonne die uns bekannten irdischen Elemente enthält. Wählen wir aus diesen die beiden, welche bei kleinster

354

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill Masse durch ihre Vereinigung die grösste Menge Wärme erzeugen, nehmen wir an, dass die Sonne aus Wasserstoff und Sauerstoff bestände, in dem Verhältnisse gemischt, wie diese bei der Verbrennung sich zu Wasser vereinigen. Die Masse der Sonne ist bekannt, die Wärmemenge ebenfalls, welche durch Verbindung bekannter Gewichte von Wasserstoff und Sauerstoff entsteht. Die Rechnung ergiebt, dass unter der gemachten Voraussetzung die durch deren Verbrennung entstehende Wärme hinreichen würde, die Wärmeausstrahlung der Sonne auf 3021 Jahre zu unterhalten. Das ist freilich eine lange Zeit; aber schon die Menschengeschichte lehrt, dass die Sonne viel länger als 3000 Jahre geleuchtet und gewärmt hat, und die Geologie lässt keinen Zweifel darüber, dass diese Frist auf Millionen von Jahren auszudehnen ist. Die uns bekannten chemischen Kräfte sind also in so hohem Grade unzureichend, auch bei den günstigsten Annahmen, eine solche Wärmeerzeugung zu erklären, wie sie in der Sonne stattfindet, dass wir diese Hypothese gänzlich fallen lassen müssen.

Lösung: Wir gehen von folgendem Modell aus: Die Sonne besitzt eine Masse von 1,99 · 1030 kg und einen Radius von 696 000 km. Ihre Oberfläche beträgt somit 6,1 · 1018 m2 . Die von der Sonne emittierte Strahlung beschreiben wir als ideale Wärmestrahlung (ϵ = 1) mit einer Temperatur von 5800 K (Abb. 13.12). Mit Helmholtz nehmen wir an, dass die von der Sonne abgestrahlte Leistung aus der Reaktionsenthalpie der (pro umgesetzter Masse) energiereichsten chemischen Reaktion kommt: der Knallgasreaktion, in der Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser verschmelzen. Die Reaktionsgleichung ist H2 +

1 O → H2 O, 2 2

|∆H | = 286 kJ/mol.

(13.12)

Damit die Reaktionsenthalpie von 286 kJ freigesetzt wird, müssen 2 g Wasserstoff und 16 g Sauerstoff, d. h. insgesamt 18 g Brennstoff miteinander reagieren. Wenn 1 kg Brennstoff reagiert, werden 15,9 MJ frei. Nähme die gesamte Materie der Sonne an der Reaktion teil, könnte also maximal die folgende Energiemenge freigesetzt werden:

Echem = 15,9

MJ · 1,99 · 1030 kg = 3,16 · 1037 J. kg

(13.13)

Die Frage, wie lange die Sonne damit leuchten kann, lässt sich mit dem StefanBoltzmann-Gesetz beantworten. Die Strahlungsleistung beträgt:

Q˙ Strahlung = −σ · A · T 4

= −5,67 · 10−8

W · 6,1 · 1018 m2 · (5800 K)4 m2 K4

= −3,91 · 1026 W.

(13.14)

Daraus folgt die maximale Zeitdauer, die die Sonne leuchten könnte:

E t = chem = 8,09 · 1010 s = 2565 Jahre. Q˙ Strahlung

(13.15)

355

Abschnitt 13.4 Wärmeübertragung durch Strahlung

Abb. 13.16: Der Satellit Snapshot. Der Kernreaktor sitzt an der Spitze; die Radiatoren zum Abstrahlen der Wärme sind unterhalb des Reaktors konisch angeordnet.

Das Ergebnis liegt in der gleichen Größenordnung wie das von Helmholtz angegebene. Mit der Kenntnis des Stefan-Boltzmann-Gesetzes lässt sich somit zeigen, dass eine gewöhnliche chemische Verbrennung nicht für die von der Sonne gelieferte Energie verantwortlich sein kann. Der britische Astronom John Herschel drückte den damals äußerst beunruhigenden Sachverhalt so aus: „Das große Rätsel liegt jedoch darin, wie eine so ungeheure Verbrennung (wenn eine solche wirklich auf der Sonne stattfindet) unterhalten werden kann. Jede Entdeckung der Chemie lässt uns hier völlig im Stich oder scheint uns vielmehr die Aussicht auf eine genügende Erklärung ferner zu rücken.“ Helmholtz hatte die Idee, dass die gravitative Bindungsenergie, die bei einer angenommenen Kontraktion der Sonne freigesetzt würde, für die Energieabstrahlung der Sonne verantwortlich sein könnte. Er kam damit auf eine maximale Leuchtdauer von 40 Millionen Jahren, was beim damaligen Kenntnisstand als plausible Zeitskala gelten konnte. Heute wissen wir, dass Kernreaktionen die entscheidende Energiequelle der Sonne sind, und dass die Sonne viel länger leuchtet und noch leuchten wird, als es sich Helmholtz ausmalte. Beispielaufgabe: Kühlung eines Satelliten In den 1960er Jahren experimentierten sowohl die USA als auch die UdSSR mit Satelliten, die durch Kernreaktoren mit Energie versorgt wurden. Das Abführen der im Reaktor umgesetzten Energie war technisch schwierig: Die einzige Möglichkeit, einen Satelliten zu kühlen, besteht in der Abgabe von Wärmestrahlung. Abb. 13.16 zeigt den Satelliten Snapshot, der 1965 in eine Erdumlaufbahn gebracht wurde und einen Kernreaktor mit einer thermischen Leistung von 30 kW trug. Die Fläche der in der Abbildung sichtbaren Radiatoren betrug 5,81 m2 . Schätzen Sie ihre Temperatur mit Hilfe des Stefan-Boltzmann-Gesetzes ab. Lösung: Die Temperatur der Radiatoren stellt sich so ein, dass die gesamte Energie, die im Reaktor umgesetzt wird, durch Strahlung abgegeben wird:

Q˙ Strahlung = Pnuklear .

(13.16)

Für Q˙ Strahlung gilt das Stefan-Boltzmann-Gesetz, so dass wir schreiben können:

Pnuklear = σ · ϵ · A · T 4 .

(13.17)

356

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

Auflösen nach T ergibt:

 T=

Pnuklear σ·ϵ·A

1 4

(13.18)

.

Wir nehmen an, dass der Anstrich der Radiatoren so gewählt wurde, dass sie den maximal möglichen Emissionsgrad ϵ = 1 besitzen. Die restlichen Zahlenwerte sind bekannt:

" T=

30 000 W 2 5,67 · 10−8 mW 2 K4 · 5,81 m

#1 4

= 549 K.

(13.19)

Die im technischen Bericht zur Snapshot-Mission (Voss 1984) genannte Radiatorentemperatur beträgt 597 K. Das Stefan-Boltzmann-Gesetz liefert auf einfache Weise eine Abschätzung, die nicht weit vom wahren Wert entfernt liegt. Die Aufgabe illustriert das Einstellen einer Gleichgewichtstemperatur. Wird einem Körper Energie zugeführt, dann erhöht sich seine Temperatur so lange, bis die durch Wärmestrahlung und andere Mechanismen der Wärmeübertragung abgeführte Leistung ebenso groß ist wie die zugeführte Leistung. Die Temperatur der Erde und der anderen Planeten wird durch diesen Mechanismus ebenso bestimmt wie die Temperatur eines Autos, das in der Sonne parkt.

13.4.3 Absorption und Emission: Das Gesetz von Kirchhoff

Körper emittieren nicht nur Wärmestrahlung: Sie absorbieren sie auch und erwärmen sich dadurch. Wenn elektromagnetische Strahlung auf einen Körper trifft, kann dreierlei passieren: Ein Teil der Strahlung wird reflektiert, ein Teil wird absorbiert, und bei durchsichtigen Körpern wird auch ein Teil der Strahlung hindurchgelassen (Abb. 13.17). Der Absorptionsgrad α gibt den Prozentsatz der eintreffenden Strahlungsenergie an, die vom Körper absorbiert wird. Zur Erwärmung des Körpers trägt nur dieser Anteil bei. Der Absorptionsgrad hängt von Material, Temperatur und Art der Oberfläche sowie von der Wellenlänge und dem Einfallswinkel der Strahlung ab. Angesichts dieser Fülle an Variablen ist es erfreulich, dass ein Zusammenhang zwischen Absorptions- und Emissionsgrad existiert, der die Zahl der unabhängigen Einflussfaktoren reduziert. Wie schon erwähnt, ist die Emission von Wärmestrahlung eng mit der Absorption verknüpft: Schwarze Körper sind auch effiziente Wärmestrahler. Das Gesetz von Kirchhoff führt den Absorptionsgrad vollständig auf den Emissionsgrad zurück. Nur eine der beiden Größen muss experimentell bestimmt werden. Gesetz von Kirchhoff: Ein Körper der Temperatur T, der von Wärmestrahlung der gleichen Temperatur umgeben ist, emittiert bei jeder Wellenlänge und in jede Richtung ebenso viel Wärmestrahlung, wie er absorbiert. Die Gültigkeit dieser wichtigen Beziehung kann man mit einem Gedankenexperiment plausibel machen. Wir stellen uns zwei Körper mit der gleichen Temperatur T vor, die von Wärmestrahlung derselben Temperatur umgeben

357

Abschnitt 13.4 Wärmeübertragung durch Strahlung

Reflexion

Abb. 13.17: Auf einen Körper einfallende Strahlung kann reflektiert, absorbiert oder durchgelassen werden.

Transmission

Absorption

sind. Für einen der Körper soll das kirchhoffsche Gesetz nicht gelten: Er absorbiert mehr Wärmestrahlung, als er emittiert. Aufgrund der erhöhten Absorption erwärmt er sich stärker und nimmt eine höhere Temperatur an als der zweite Körper. Insgesamt ist somit aus dem thermischen Gleichgewicht (beide Körper haben zu Beginn die gleiche Temperatur) spontan eine Temperaturdifferenz entstanden – ein Vorgang, den der zweite Hauptsatz ausschließt. Weil Absorptions- und Emissionsgrad nicht davon abhängen, ob der Körper tatsächlich von Wärmestrahlung umgeben ist, stellt das Gesetz von Kirchhoff eine allgemeine Beziehung zwischen den beiden Größen her. Für jede Wellenlänge, Temperatur und Richtung gilt α(λ, T ) = ϵ(λ, T ). Zu beachten ist allerdings, dass die Relation nicht dazu verwendet werden kann, Absorption und Emission in unterschiedlichen Wellenlängenbereichen (z. B. Infrarot und sichtbares Licht) in Beziehung zu setzen (vgl. die Diskussion auf S. 359). 13.4.4 Wärmeübertragung zwischen zwei Oberflächen

Alle Körper emittieren Wärmestrahlung – aber nicht alle Körper senden gleich viel Wärmestrahlung aus. Ein frierender Wanderer, der sich zum Wärmen vor den Kaminofen einer Berghütte stellt, empfängt mehr Wärmestrahlung vom Ofen, als er selbst dorthin abstrahlt. Und auch der Braten im Ofen oder das Steak auf dem Holzkohlegrill werden erhitzt, weil sie mehr Wärmestrahlung absorbieren als sie selbst aussenden. Das ist das Grundprinzip der Wärmeübertragung durch Strahlung: Immer, wenn sich zwei Oberflächen mit verschiedenen Temperaturen gegenüber stehen, wird Wärme vom heißeren zum kühleren Körper übertragen. Während die Wärmeübertragung durch Strahlung somit auf recht elementare Weise qualitativ zu verstehen ist, erweist sich ihre quantitative Ausformulierung als außerordentlich verwickelt. So spielt zum Beispiel die Größe, Form und relative Orientierung der beiden Oberflächen eine Rolle: Nur derjenige Anteil der Strahlung eines Körpers, der den anderen Körper auch trifft, kann zu dessen Erwärmung beitragen. Dieser Anteil wird durch den Sichtfaktor F1→2 erfasst, dessen Bestimmung das eigentlich Komplizierte an der Beschreibung der Wärmeübertragung durch Strahlung ist. Daneben spielen die unterschiedlichen Emissionsgrade bzw. die Abstrahlcharakteristiken der beiden Flächen eine Rolle. Generell beschränkt man sich auf diffus emittierende Flächen, die Wärmestrahlung in alle Richtungen gleichmäßig abstrahlen.

358

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

(a)

(b)

e1

(c)

e2 T1

e2

T2

T1 r2

T2

e

TKörper

e1

r1 TUmgebung

Abb. 13.18: Verschiedene Geometrien bei der Wärmeübertragung durch Strahlung.

Abb. 13.18 zeigt drei geometrische Konfigurationen, mit der sich viele der praktisch vorkommenden Problemstellungen behandeln lassen. Stehen sich zwei unendlich große parallele Platten gegenüber, so ist die Wärmeübertragungsrate pro Flächeneinheit für Platte 1:  σ T14 − T24 Q˙ 1 =− 1 . (13.20) 1 A1 ϵ + ϵ −1 1

2

Dabei sind T1 und T2 die Temperaturen sowie ϵ1 und ϵ2 die Emissionsgrade der beiden Platten. Für die in Abb. 13.18 (b) gezeigten unendlich langen, konzentrischen Zylinder mit Radien r1 und r2 lautet der entsprechende Ausdruck:  σ T14 − T24 Q˙ 1  . =− (13.21) r1 1 1 A1 + − 1 ϵ r 2 ϵ2 1

Die Gleichung nimmt im Grenzfall r2 ≫ r1 , wenn die Wand des äußeren Zylinders ins Unendliche rückt, eine sehr einfache Gestalt an, die unabhängig von den Einzelheiten der Geometrie ist:   Q˙ 1 = −σ · ϵ1 · A1 T14 − T24 für r2 ≫ r1 . (13.22) Diese Gleichung gilt sogar ganz allgemein für einen beliebigen konvexen Körper mit der Temperatur TKörper und dem Emissionsgrad ϵ, der sich innerhalb einer sehr großen Einhüllung mit Temperatur TUmgebung befindet. Wärmeübertragung durch Strahlung für einen kleinen Körper in einer ausgedehnten Umgebung:   4 4 Q˙ = −σ · ϵ · A TKörper − TUmgebung . (13.23) Der Emissionsgrad der Einhüllung geht dabei ebenso wenig ein wie irgendwelche geometrischen Faktoren. Diese Tatsache macht Gl. (13.23) zu einem äußerst nützlichen Hilfsmittel für die praktische Anwendung.

359

Abschnitt 13.4 Wärmeübertragung durch Strahlung 13.4.5 Helle und dunkle Körper

Es gibt verschiedene Arten von „hellen“ Körpern: Metalle reflektieren das Licht spiegelnd, während weiße Körper das einfallende Licht diffus zurückwerfen. Generell erscheinen helle Körper nicht deshalb hell, weil sie besonders viel Strahlung emittieren, sondern weil sie besonders viel Strahlung reflektieren. Entsprechend wenig Strahlung absorbieren sie, und das bedeutet – nach dem Gesetz von Kirchhoff – einen niedrigen Emissionsgrad im betreffenden Wellenlängenbereich. Reflektierende Körper strahlen somit weniger Wärmestrahlung ab als dunkle Körper. Wenn es früher in Cafés „draußen nur Kännchen“ gab, wurden in guten Häusern Silberkännchen aufgetragen. Sie leiteten zwar die Wärme gut, hatten aber wegen des geringen Emissionsgrades eine niedrigere Wärmeabgabe durch Strahlung als Porzellankännchen. Emissionsgrade im optischen und im Infrarotbereich Bei der Einschätzung des Emissionsgrades trügt der optische Eindruck oft. Für die Abgabe von Wärmestrahlung ist nämlich der Emissionsgrad im Infrarotbereich, d. h. bei Wellenlängen um 10 µm entscheidend. Der optische Farbeindruck (also „hell“ oder „dunkel“) wird aber bei Wellenlängen um 500 nm (0,5 µm) gewonnen. Für viele Oberflächen unterscheiden sich die Emissionsgrade in den beiden Wellenlängenbereichen erheblich. Zum Beispiel werden Heizkörper oft mit weißer Farbe angestrichen. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass sie dadurch zu besonders schlechten Wärmestrahlern werden. Im Gegenteil: Weiße Anstrichfarbe ist in der Regel „infrarot-schwarz“. Die folgende Tabelle vergleicht die Emissionsgrade verschiedener Materialien im optischen und im Infrarotbereich. Emissionsgrad (= Absorptionsgrad) weiße Anstrichfarbe schwarze Anstrichfarbe Papier Holz Sand Beton Asphalt Dachziegel Schnee

im optischen Bereich (λ ≈ 500 nm)

im Infrarotbereich (λ ≈ 10 nm)

0,12 . . . 0,25 0,95 0,25 0,6 0,5 0,6 0,9 0,65 0,1 . . . 0,35

0,90 . . . 0,95 0,95 0,85 0,9 0,8 0,9 0,9 0,85 0,8 . . . 0,9

Besondere Relevanz besitzt dieser Umstand bei der Erwärmung von Körpern im Sonnenlicht. Absorbiert ein Körper Sonnenlicht, so ist dafür hauptsächlich der Absorptionsgrad bei optischen Wellenlängen entscheidend. Der durch das Sonnenlicht aufgeheizte Körper gibt Wärmestrahlung ab – wofür der Emissionsgrad im Infrarotbereich maßgeblich ist. Auf diesem Unterschied beruht die unterschiedliche Erwärmung heller und dunkler Körper im Sonnenlicht.

360

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

Beispielaufgabe: Weiße und schwarze Körper in der Sonne Eine weiß und eine schwarz angestrichene Metallplatte sind der heißen Mittagssonne ausgesetzt (Bestrahlungsstärke 740 W/m2 ). Im optischen Bereich liegt der Emissionsgrad der weißen Platte bei 0,15, derjenige der schwarzen Platte bei 0,95. Im Infrarotbereich haben beide Platten den Emissionsgrad 0,95. Die Umgebungstemperatur beträgt 300 K. Schätzen Sie ab, auf welche Temperaturen sich die beiden Platten aufheizen. Vernachlässigen Sie dabei die Wärmeübertragung durch Konvektion und Wärmeleitung. Lösung: Ähnlich wie auf S. 355 ist die Gleichgewichtstemperatur eines Körpers zu berechnen, der einerseits Energie aufnimmt (durch Sonneneinstrahlung), andererseits Energie durch Wärmestrahlung abgibt. Für die Wärmeabgabe durch Strahlung in einer Umgebung mit der Temperatur von 300 K lässt sich Gl. (13.23) anwenden. Durch die Absorption des Sonnenlichts erwärmen sich die Platten so lange, bis die Strahlungsleistung der emittierten Wärmestrahlung ebenso groß ist wie die pro Sekunde mit der Sonnenstrahlung aufgenommene Energie. Im Gleichgewicht gilt:

  4 4 Q˙ Sonne · A · ϵoptisch = σ · ϵIR · A · TKörper − TUmgebung .

(13.24)

Hier bezeichnet ϵoptisch den Emissionsgrad im optischen Bereich, der für die Absorption des Sonnenlichts maßgeblich ist und ϵIR den Emissionsgrad im Infrarotbereich. Auflösen nach TKörper ergibt:

TKörper

1

 Q˙ Sonne ϵoptisch 4 = TUmgebung + · . σ ϵIR 

4

(13.25)

Das Einsetzen der Zahlenwerte für die weiße Platte führt auf:

" 4

TKörper = (300 K) +

W 740 m 2

5,67 · 10−8 mW 2 K4

0,15 · 0,95

#1 4

= 317 K = 44 ◦ C.

(13.26)

Für die schwarze Platte ergibt die Formel die deutlich höhere Gleichgewichtstemperatur von 108 °C. Das Beispiel illustriert die Alltagserfahrung, dass sich schwarze Gegenstände in der Sonne stärker aufheizen als weiße. Der Unterschied fällt in Wirklichkeit nicht so drastisch aus, weil in der Realität noch andere Mechanismen der Wärmeübertragung (Konvektion und Wärmeleitung) wirksam sind.

13.5 Wärmeübertragung durch Konvektion Luft ist ein schlechter Wärmeleiter. Zwischen einer warmen und einer kalten Oberfläche, die sich wie in Abb. 13.19 (a) gegenüberstehen, wird durch Wärmeleitung nur wenig Energie übertragen. Erheblich steigern lässt sich die Wärmeübertragungsrate durch Materietransport. Um das Prinzip zu verdeutlichen, betrachten wir das folgende Gedankenexperiment: Wir stellen uns vor, dass wir – wie in der Abbildung angedeutet – ein Luftpaket von der einen zur anderen Oberfläche transportieren. Wir greifen das Luftpaket an der warmen Oberfläche und befördern es mitsamt der darin enthaltenen inneren Energie zur kalten Oberfläche. Dort lassen wir es abkühlen. Auf diese Weise

361

Abschnitt 13.5 Wärmeübertragung durch Konvektion (a)

kalte Oberfläche

(b)

kalte Oberfläche

Konvektionszellen Luftpaket warme Oberfläche

warme Oberfläche

Abb. 13.19: (a) Ein Luftpaket wird von der warmen zur kalten Oberfläche transportiert. (b) Zwischen der unteren warmen Oberfläche und der oberen kalten Oberfläche bilden sich Konvektionszellen aus.

haben wir einen Wärmeübertragungsprozess hervorgerufen, der weitaus effizienter ist als die bloße Wärmeleitung. Wenn die Wärmeübertragung durch die Bewegung von Gasen oder Flüssigkeiten unterstützt wird, bezeichnet man dies als Wärmeübertragung durch Konvektion. Das Bestechende an dem Gedankenexperiment: In der Natur findet es von selbst statt, ohne dass wir dazu beitragen müssten. An der unteren Oberfläche wird die Luft erwärmt. Sie steigt nach oben, weil warme Luft eine geringere Dichte als kalte Luft hat. An der kalten Oberfläche kühlt sie ab, sinkt nach unten und schließt so den Kreislauf. Zwischen den beiden horizontalen Oberflächen bilden sich sogenannte Konvektionszellen aus (Abb. 13.19 (b)). Trotz der schlechten Wärmeleitfähigkeit von Luft kommt es damit zu einer relativ hohen Wärmeübertragungsrate. In komplexeren Geometrien stellen sich kompliziertere Stömungsmuster ein, wie z. B. die turbulente, sich zeitlich rasch ändernde Strömung über einer Tasse mit heißem Kaffee (Abb. 13.20). 13.5.1 Natürliche und erzwungene Konvektion

Je nachdem ob die wärmeübertragende Strömung sich durch die thermischen Verhältnisse von selbst einstellt oder anderweitig erzeugt wird, unterscheidet man zwei Grundformen der Konvektion: (1) Natürliche Konvektion: Die Wärmeübertragung erfolgt durch Gas- oder Flüssigkeitsströmungen, die sich durch Dichteunterschiede eigenständig ausbilden. Das Abkühlen einer Tasse Kaffee gehört ebenso in diese Kategorie wie die Wärmeübertragung von den Außenwänden eines Hauses an die Außenluft und – in viel größerem Maßstab – die Konvektionsvorgänge im Erdmantel und im Inneren der Sonne. (2) Erzwungene Konvektion: Hierzu zählen alle Konvektionsvorgänge, bei denen die Gas- oder Flüssigkeitsströmung von außen verursacht wird. Beispiele aus dem Alltag sind das Pusten, um einen Löffel heißer Suppe abzukühlen oder der Ventilator, der im Sommer eine Luftströmung im

362

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

Abb. 13.20: Kaffee in einer Tasse kühlt durch natürliche Konvektion ab. Der aufsteigende heiße Dampf kondensiert zu Tröpfchen, die im seitlich einfallenden Licht sichtbar werden.

Zimmer erzeugt und uns dadurch Kühlung verschafft. In der Technik nutzen praktisch alle Kühlvorgänge die erzwungene Konvektion: vom Kühlkreislauf in einem Kraftwerk (vgl. Kapitel 12) oder im Auto bis zur Kühlung von Computerprozessor und Grafikkarte mit einem Lüfter (vgl. Kapitel 6). Auch der Windchill und die Kühlung des Behälters von Siple und Passel sind Beispiele für erzwungene Konvektion. Strömungsverhältnisse bei der natürlichen Konvektion Die Wärmeübertragung durch Konvektion wird stark von den Eigenschaften der Strömung und des strömenden Mediums bestimmt. Dies erschwert die Sachlage, denn die mathematische Beschreibung von Strömungen gehört zu den schwierigsten Aufgaben der Physik. Dass einfache Gesetzmäßigkeiten nicht zu erwarten sind, zeigt der Vergleich der drei Konvektionsvorgänge, die in Abb. 13.21 dargestellt sind. Auf den ersten Blick erscheinen sie sehr ähnlich: natürliche Konvektion zwischen einer warmen und einer kalten Oberfläche. Allein die relative Lage der beiden Oberflächen ist verschieden. Und doch unterscheiden sich die Wärmeübertragungsraten erheblich. In Teilbild (a), wo die warme Oberfläche unten liegt, bilden sich die bereits diskutierten Konvektionszellen aus, in denen die Luftströmung die Wärmeübertragung verstärkt. In Teilbild (b), wo sich die kalte Oberfläche unten befindet, ist die Luftschichtung dagegen stabil. Es bildet sich keine Strömung aus: Die kalte, dichtere Luft liegt unter der wärmeren Luft, und es gibt keinen Antrieb, der eine

363

Abschnitt 13.5 Wärmeübertragung durch Konvektion (a)

kalte Oberfläche

(b)

warme Oberfläche

warme Oberfläche

kalte Oberfläche

kaum Konvektion

warme Oberfläche

stabile Schichtung

(c)

kalte Oberfläche

Abb. 13.21: Die Wärmeübertragungsraten bei der natürlichen Konvektion sind stark von der Geometrie abhängig.

Luftströmung verursacht. Dadurch liegt die Wärmeübertragungsrate wesentlich niedriger als in (a). Ein wiederum anderes Strömungsmuster – und damit auch eine andere Wärmeübertragungsrate – stellt sich in Teilbild (c) ein, wo sich die Platten vertikal gegenüberstehen. Die in einer Computersimulation erzeugte Grafik in Abb. 13.22 (S. 365) zeigt ein realistischeres Bild der Strömungs- und Temperaturverhältnisse in den beiden ersten Situationen. 13.5.2 Beschreibung der Wärmeübertragung durch Konvektion

Neben der Geometrie des Problems bestimmen folgende Einflussfaktoren die Wärmeübertragungsrate bei der Konvektion: (1) Wärmeleitfähigkeit, Dichte und Wärmekapazität des strömenden Fluids (Gase und Flüssigkeiten bezeichnet man gemeinsam als Fluide), (2) die dynamische Viskosität η des Fluids, die beschreibt, wie zähflüssig es sich verhält (Zahlenwerte für Luft und verschiedene Flüssigkeiten findet man im Anhang in den Tabellen B.7 und B.11), (3) die Strömungsgeschwindigkeit V bei der erzwungenen Konvektion. Schließlich ist die Wärmeübertragungsrate noch zur Temperaturdifferenz und zur Fläche des Körpers proportional. Diese Abhängigkeiten fasst man in dem phänomenologischen Gesetz zusammen, das schon auf S. 340 erwähnt wurde. Gesetz für die Wärmeübertragung durch Konvektion:  Q˙ Konvektion = h · A · TStrömung − TKörper .

(13.27)

In Gl. (13.27) steht TStrömung für die Temperatur des Fluids in der freien Strömung, d. h. in so großer Entfernung vom Körper, dass dieser keinen Einfluss mehr hat. Trotz der einfachen Gestalt der Gleichung sollte man sich nicht täuschen lassen: Die Komplexität der zugrunde liegenden Physik verbirgt sich im Wärmeübergangskoeffizienten h. Die Bestimmung von h ist die zentrale Aufgabe bei der Behandlung der Wärmeübertragung durch Konvektion.

364

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

Theoretisch begründete Gesetzmäßigkeiten lassen sich kaum aufstellen; im Wesentlichen ist man auf empirisch ermittelte Relationen angewiesen. Einige Anhaltspunkte für die Größenordnung des Wärmeübergangskoeffizienten bei natürlicher und erzwungener Konvektion liefert die folgende Tabelle. Typische Werte für h in W/(m2 K) Natürliche Konvektion von Gasen Natürliche Konvektion von Flüssigkeiten Erzwungene Konvektion von Gasen Erzwungene Konvektion von Flüssigkeiten

5 . . . 25 10 . . . 1500 25 . . . 250 50 . . . 20 000

Beschreibung der natürlichen Konvektion Die Wärmeübertragung durch natürliche Konvektion lässt sich durch eine Anzahl empirischer Formeln beschreiben, die man für verschiedene geometrische Konfigurationen aus Experimenten gewonnen hat. Alternativ kann man auf Richtwerte zurückgreifen, wie es normalerweise im Bauwesen geschieht. Zum Beispiel liegt der Wärmeübergangskoeffizient der natürlichen Konvektion in Luft für Platten, Zylinder, Kugeln und andere Körper fast immer zwischen 5 W/(m2 K) und 10 W/(m2 K), sofern nicht ungünstige geometrische Verhältnisse die Ausbildung einer Konvektionsströmung behindern. Beispielaufgabe: Wärmeabgabe des Menschen Mit einem Infrarotthermometer kann man nachmessen, dass die Oberflächentemperatur eines bekleideten Menschen bei etwa 26 °C liegt. Weil dies um 5 °C über der normalen Zimmertemperatur liegt, gibt der Mensch Wärme an seine Umgebung ab. Die beiden Wärmeübertragungsmechanismen, die dabei eine Rolle spielen, sind die natürliche Konvektion und die Wärmeabgabe durch Strahlung. Vergleichen Sie die Wärmeübertragungsraten der beiden Beiträge. Gehen Sie von einer Körperoberfläche von 1,8 m2 aus und nehmen Sie für den Wärmeübergangskoeffizienten bei der natürlichen Konvektion h = 7 W/(m2 K) an. Lösung: (1) Natürliche Konvektion: Die Wärmeabgabe durch natürliche Konvektion wird mit Gl. (13.27) berechnet:

Q˙ Konvektion = h · A · TUmgebung − TOberfläche

=7



W · 1,8 m2 · (21 ◦ C − 26 ◦ C) = −63 W. m2 K

(13.28)

(2) Wärmeübertragung durch Strahlung: Da der Mensch sich allseits umschlossen in einem Raum der Temperatur TUmgebung befindet, lässt sich Gl. (13.23) anwenden, um die Wärmeübertragung durch Strahlung zu berechnen. Für die Kleidung nehmen wir den Emissionsgrad ϵ = 1 an:

  4 4 Q˙ Strahlung = −σ · ϵ · A TKörper − TUmgebung

= −5,67 · 10−8

  W 2 4 4 · 1,8 m · ( 299 K ) − ( 294 K ) = −53 W. m2 K 4

(13.29)

365

Abschnitt 13.5 Wärmeübertragung durch Konvektion unbeheizte Oberfläche

40 °C

Ausbildung von Konvektionsströmungen

beheizte Oberfläche

20 °C

0 °C

1m

stabile Temperaturschichtung

unbeheizte Oberfläche Abb. 13.22: Simulierte Strömungsmuster bei der natürlichen Konvektion. Die weiße Platte in der Mitte wird beheizt, die obere und die untere Platte erwärmen sich. Beide haben die gleiche Anfangstemperatur. Die Pfeile zeigen die Strömungsgeschwindigkeit an, die Temperaturen sind farbcodiert (erzeugt mit Energy2D von Charles Xie).

Die Wärmeübertragungsraten von natürlicher Konvektion und Strahlung haben ungefähr den gleichen Betrag. Dies ist eine zufällige Koinzidenz, hinter der sich keine tiefere Gesetzmäßigkeit verbirgt. In praktischen Anwendungsfällen (wie etwa bei der Wärmeabgabe durch einen Heizkörper oder eine Außenwand) ist es aber oft der Fall, dass die Beiträge von natürlicher Konvektion und Strahlung etwa gleich groß sind. Die gesamte Wärmeübertragungsrate vom Menschen auf seine Umgebung beträgt nach dieser Rechnung 116 W. Dies ist die „Heizleistung“, mit der er seine Umgebung erwärmt. Dreißig Personen erwärmen also den Raum, in dem sie versammelt sind, mit einer Leistung von über 3000 W – das ist mehr, als mancher Heizkörper abgibt. Es ist kein Zufall, dass sich für die Wärmeübertragungsrate ein Wert von etwas über 100 W ergibt. Die Energiemenge, die der Mensch in 24 Stunden abgibt, beläuft sich damit auf 116 W · 24 · 3600 s = 10 000 kJ. Umgerechnet in die in diesem Zusammenhang geläufigere Einheit Kalorie sind das 2400 kcal. Dies entspricht etwa dem täglichen Energieumsatz des Menschen, der bei sitzender Tätigkeit – je nach Geschlecht und Konstitution – zwischen 1800 und 2500 kcal pro Tag liegt. Nachdem die Energie

366

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

aus der Nahrung entnommen und in Muskeln, Organen und Gehirn für Stoffwechselprozesse genutzt worden ist, muss sie wieder abgegeben werden – zu einem großen Teil durch die beiden hier besprochenen Wärmeübertragungsmechanismen. Kein Zufall ist auch die Oberflächentemperatur der Kleidung, die wir gemessen und unserer Rechnung zugrunde gelegt haben. Wir wählen unsere Kleidung so, dass die sich einstellende Wärmeübertragungsrate gerade den richtigen Wert hat, um die vom Körper erzeugte „Abwärme“ abzuführen. Uns wird heiß, wenn Q˙ zu niedrig ist, und wir frieren, wenn Q˙ zu hoch ist. Nachts, wenn der Energieumsatz des Körpers sinkt, seine Temperatur aber ungefähr konstant bleibt, müssen wir uns zudecken, damit wir nicht frieren. Als Nebenergebnis dieser Rechnung folgt im Übrigen auch, dass im Paradies, wo die Menschen nackt umhergelaufen sind, eine Temperatur geherrscht haben muss, die etwa 5 °C unterhalb der Hauttemperatur lag – also ungefähr 30 °C.

13.5.3 Erzwungene Konvektion

Bei der erzwungenen Konvektion entsteht die Strömung nicht von selbst. Sie wird durch technische Maßnahmen oder auf natürliche Weise erzeugt (wie beim Wind). In physikalischer Hinsicht liegt damit eine einfachere Situation vor als bei der natürlichen Konvektion. Die Strömung ist kontrollierbar; ihre Geschwindigkeit V ist ein Parameter, der sich einstellen oder messen lässt. Trotzdem handelt es sich bei der Wärmeübertragung durch erzwungene Konvektion um einen komplexen Vorgang, der von etlichen Faktoren beeinflusst wird. In Kasten 13.1 wird erläutert, dass es in solchen Fällen sinnvoll ist, das physikalische Problem durch dimensionslose Kennzahlen zu beschreiben. Bei der Wärmeübertragung durch erzwungene Konvektion sind die folgenden Kennzahlen relevant: (1) Reynolds-Zahl Re: Sie charakterisiert die Strömungsdynamik des Problems und zeigt insbesondere an, wo der Übergang von der laminaren zur turbulenten Strömung erfolgt. Die Reynolds-Zahl ist durch Re =

ρ·V·D η

(13.30)

definiert, wobei ρ die Dichte, V die Geschwindigkeit und η die dynamische Viskosität des strömenden Mediums sind. D ist eine charakteristische Länge des betrachteten Objekts, wobei für jede Geometrie vereinbart werden muss, um welche Länge es sich handelt. (2) Prandtl-Zahl Pr: Eine Kenngröße des wärmeübertragenden Mediums. Sie vergleicht die Längenskalen, auf denen Strömungsgeschwindigkeit und Temperatur an der Oberfläche eines umströmten Körpers in diejenigen Werte übergehen, die sie in der freien Strömung besitzen. Sie ist durch η cp Pr = (13.31) λ definiert und vollständig durch die Materialeigenschaften des strömenden Mediums bestimmt. Werte für Luft sind in Tabelle B.11 aufgeführt.

367

Abschnitt 13.5 Wärmeübertragung durch Konvektion

Kasten 13.1 Dimensionslose Kennzahlen Die Wärmeübertragung durch Konvektion wird durch eine Vielzahl physikalischer Parameter beeinflusst. Dimensionslose Kenngrößen vereinfachen sowohl die theoretische Beschreibung als auch die Experimente zur Aufklärung ihrer Gesetzmäßigkeiten. Grundlage ist das Pi-Theorem von Buckingham: Ein System, das von n dimensionsbehafteten Parametern beeinflusst wird, lässt sich durch n − m dimensionslose Kennzahlen vollständig charakterisieren. Dabei ist m die Zahl der vorkommenden Grunddimensionen (wie Kilogramm, Meter oder Sekunde). Als Beispiel betrachten wir ein schwingendes Fadenpendel mit den dimensionsbehafteten Parametern Schwingungsdauer T (Einheit s), Masse m (Einheit kg), Fadenlänge L (Einheit m) und Erdbeschleunigung g (Einheit m/s2 ). Da drei Grunddimensionen (kg, m, s) in dem Problem vorkommen, beträgt die Zahl der dimensionslosen Kenng· T 2

zahlen n − m = 4 − 3 = 1. Durch Probieren findet man die Kombination L . Durch sie ist das System vollständig bestimmt. Daraus folgt insbesondere, dass für die Schwinq gungsdauer T ∼

L g gelten muss. Ohne dass Gleichungen gelöst werden müssen,

zeigt die Dimensionsanalyse, dass die Schwingungsdauer eines Fadenpendels nicht von seiner Masse abhängt, sondern nur von der Wurzel der Fadenlänge. Neben der einfacheren Formulierung von Gesetzmäßigkeiten erleichtern dimensionslose Kennzahlen vor allem die Durchführung von Modellexperimenten: Statt aufwendig ein Flugzeugmodell in Originalgröße im Windkanal zu testen, kann man die Testreihe auch mit einem kleineren Modell durchführen, wenn man darauf achtet, dass die Strömung die gleiche Reynolds-Zahl aufweist. In strömungsdynamischer Hinsicht ist dadurch sichergestellt, dass die am Modell gewonnenen experimentellen Ergebnisse auf das Original übertragbar sind.

(3) Nußelt-Zahl Nu: Sie gibt an, um wie viel effizienter die Wärmeübertragung durch Konvektion im Vergleich zur reinen Wärmeleitung ist. Sie lautet: h·D Nu = , (13.32) λ wobei λ die Wärmeleitfähigkeit des Fluids ist. Die empirischen Formeln zur Wärmeübertragung durch Konvektion sind Relationen für die Berechnung der Nußelt-Zahl. Daraus wird mittels der nach h aufgelösten Gl. (13.32), λ h = Nu · , (13.33) D der Wärmeübergangskoeffizient h bestimmt und anschließend mit Hilfe von Gl. (13.27) die Wärmeübertragungsrate, die uns interessiert. Turbulenz und die Reynolds-Zahl Kein anderer Umstand beeinflusst die Wärmeübertragung durch Konvektion so stark, wie die Frage, ob die Strömung turbulent oder laminar ist. Bei niedrigen Geschwindigkeiten strömt das Fluid laminar, d. h. schichtweise ohne

368

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

Abb. 13.23: In einer Wasserströmung bildet sich beim Überfließen einer Schwelle hinter einem Pfahl ein turbulentes Strömungsmuster aus.

Durchmischung und Verwirbelungen. Bei höheren Strömungsgeschwindigkeiten wird die Strömung nach und nach turbulent. Es kommt zu starken Verwirbelungen, die räumlich und zeitlich fluktuieren und zu einer gründlichen Durchmischung des Fluids führen. Abb. 13.23 zeigt die Entstehung einer turbulenten Wasserströmung hinter einem Pfahl. Die turbulente Durchmischung des strömenden Fluids führt zu einem effizienten Materietransport nahe am umströmten Körper. Dadurch erhöht sich in einer turbulenten Strömung die Wärmeübertragungsrate. Zu beachten ist jedoch, dass für die Wärmeübertragung nur die Turbulenz in der unmittelbaren Umgebung des Körpers relevant ist, in der sogenannten Grenzschicht zwischen Körper und freier Strömung. In Abb. 13.23 strömt das Wasser an der flussaufwärts gerichteten Seite des Pfahls laminar, während sich auf der strömungsabgewandten Seite eine turbulente Grenzschicht entwickelt hat. Bei welcher Strömungsgeschwindigkeit die Turbulenz einsetzt, wird durch die Reynolds-Zahl bestimmt. Eine Rohrströmung ist für Re ≤ 2300 laminar; bei größeren Reynolds-Zahlen setzt die Turbulenz ein. Freie Strömungen um ein Objekt (wie den Pfahl in Abb. 13.23) bleiben bis zu Reynolds-Zahlen von etwa 2 · 105 laminar und werden für größere Reynolds-Zahlen turbulent. Empirische Beziehungen für den Wärmeübergangskoeffizienten Es gibt eine ganze Reihe von empirisch gefundenen Beziehungen für die Wärmeübertragungsrate verschieden geformter umströmter Körper. Sie geben die Nußelt-Zahl Nu als Funktion der übrigen dimensionslosen Kennzahlen Re und Pr an. Alle diese Beziehungen gelten nur in einem begrenzten Bereich von Reynolds-Zahlen. Wir beschränken uns hier auf zwei Beziehungen, die von Sparrow, Abraham und Tong (2004) angegeben wurden und die in einem relativ großen Wer-

369

Abschnitt 13.6 Der Behälter von Siple und Passel

tebereich von Re Gültigkeit besitzen. Für einen quer angeströmten, langen Zylinder mit Durchmesser D gilt: 

1 2

Nu = 0,25 + 0,4 · Re + 0,06 · Re

2 3



0,37

Pr



1 4

η

.

ηWand

(13.34)

In dieser Formel, die für 1 ≤ Re ≤ 105 anwendbar ist, sind alle Größen (wie Geschwindigkeit oder Viskosität) in der freien Strömung auszuwerten, mit Ausnahme von ηWand , wo die dynamische Viskosität des Fluids bei der Temperatur der Körperoberfläche einzusetzen ist. Eine ähnliche Formel gilt für eine umströmte Kugel mit Durchmesser D:    1 2 Nu = 2 + 0,4 · Re 2 + 0,06 · Re 3 Pr0,4

η ηWand

1 4

.

(13.35)

Sie gilt ebenfalls für 1 ≤ Re ≤ 105 , und auch hier sind mit Ausnahme von ηWand alle Größen in der freien Strömung auszuwerten, d. h. in so großer Entfernung von der Kugel, dass die Strömung von ihr nicht beeinflusst wird.

13.6 Der Behälter von Siple und Passel Kehren wir nun in den antarktischen Winter von 1940 zurück. Dort wartet die Auswertung des Experiments von Siple und Passel auf uns. Die Frage ist: Können wir ihre Daten reproduzieren, indem wir die Gesetze der Wärmeübertragung auf das Experiment anwenden? Ihre Versuchsanordnung mit dem Behälter, der im kalten Wind Wärme abgibt, wurde schon zu Anfang des Kapitels beschrieben (Abb. 13.3). In ihrer Arbeit findet man die folgenden Angaben über die Beschaffenheit des Behälters (Siple & Passel 1945): Siple konstruierte einen Zylinder aus 1/8 Inch dickem Pyrolin (einem Produkt aus Celluloseacetat). Der Zylinder hatte die folgenden durchschnittlichen Abmessungen: Länge 5,775 Inch [= 14,9 cm], Durchmesser 2,259 Inch [= 5,74 cm]. Der Zylinder wurde bis zu ungefähr drei Vierteln seiner Höhe mit 250 g frisch geschmolzenem Schneewasser gefüllt. Nach Einführen des Widerstandsthermometers (etwa 10 cm lang und 1 cm im Durchmesser) in den Behälter wurde dieser vollständig verschlossen. Das Thermometer befand sich in der Mitte des Zylinders und wurde fast vollständig vom Wasser bedeckt.

Abb. 13.24 zeigt einen Auszug aus den Messergebnissen. Mit Hilfe dieser Daten können wir mittels der nach h aufgelösten Gleichung (13.1), h(V ) =

Q˙ , A · ∆T

(13.36)

den Wärmeübergangskoeffizienten h aus dem Experiment bestimmen. Die Wärmeübertragungsrate Q˙ ergibt sich aus den gemessenen Daten wie folgt:

370

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

Abb. 13.24: Auszug aus den Messergebnissen von Siple und Passel (1945)

Die vom Beginn des Experiments (flüssiges Wasser bei 0 °C) bis zum vollständigen Durchfrieren abgegebene Wärmemenge Q ist durch die Schmelzenthalpie m · ∆hsf des Wassers gegeben. Die Masse m des Wassers im Behälter wird mit 250 g angegeben; für die spezifische Schmelzenthalpie entnehmen wir aus Tabelle B.9 den Wert ∆hsf = 334 kJ/kg. Die für das vollständige Durchfrieren benötigte Zeit, die gemessen wurde und die in der dritten Spalte von Abb. 13.24 angegeben ist, bezeichnen wir mit tGefrier . Es ergibt sich: h(V ) =

m · ∆hsf . A · ∆T · tGefrier

(13.37)

Die Oberfläche des Wassers lässt sich aus der Angabe abschätzen, dass der Behälter zu drei Vierteln gefüllt war. Man findet A ≈ 0,0232 m2 . Die auf diese Weise ermittelten experimentellen Werte für h als Funktion der Windgeschwindigkeit müssen wir nun mit den Ergebnissen der Theorie vergleichen. 13.6.1 Theoretische Analyse

Die gemessene Wärmeübertragungsrate beinhaltet die Beiträge aller Wärmeübertragungsmechanismen. Während wir die reine Wärmeleitung in Luft vernachlässigen können, müssen wir im Folgenden die Wärmeabgabe des Behälters durch Strahlung und durch Konvektion untersuchen.

Abschnitt 13.6 Der Behälter von Siple und Passel

371

(a) Wärmeübertragung durch Strahlung Für die Wärmeübertragung durch Strahlung können wir Gl. (13.23) zugrunde legen. Der Behälter mit der Temperatur TK befindet sich in einer ausgedehnten Umgebung der Temperatur TU . Eine kleine Komplikation liegt darin, dass Gl. (13.23) nicht die Form Q˙ = h · A · ∆T aufweist, so dass wir die Wärmeübertragung durch Strahlung nicht durch einen Wärmeübergangskoeffizienten hStrahlung charakterisieren können. Die folgende Umformung, bei der die dritte binomische Formel zweimal auf Gl. (13.23) angewendet wird, bringt die Gleichung in die gewünschte Form:   QStrahlung = −σ · ϵ · A TK4 − TU4     = −σ · ϵ · A TK2 + TU2 · TK2 − TU2   = σ · ϵ · A TK2 + TU2 · ( TK + TU ) · ( TU − TK ) , (13.38) so dass wir mit   hStrahlung = σ · ϵ TK2 + TU2 · ( TK + TU )

(13.39)

formal einen „Wärmeübergangskoeffizienten“ definieren können. Er hängt zwar von der Temperatur ab, ist aber für praktische Zwecke dennoch nützlich, denn die Summe der Temperaturen variiert unter den gegebenen Umständen weitaus weniger als ihre Differenz. Für viele Anwendungen, insbesondere im Bauwesen, wird hStrahlung näherungsweise als konstant angesehen und – zusammengefasst mit der Konvektion – als Richtwert in Tabellen angegeben. Für den Behälter von Siple und Passel nehmen wir ϵ = 1 an; für die Behälter- bzw. die Umgebungstemperatur setzen wir 0 °C bzw. −20 °C ein. Damit ergibt sich: W hStrahlung = 4,13 2 . (13.40) m K Die Temperaturabhängigkeit von hStrahlung ist nicht sehr bedeutend. Bei der niedrigsten im Experiment auftretenden Temperatur von −56 °C verringert sich der Wert auf 3,38 W/(m2 K). (b) Natürliche Konvektion Die natürliche Konvektion muss nicht berücksichtigt werden, da sie von der erzwungenen Konvektion vollständig überlagert wird. Das Strömungsmuster der natürlichen Konvektion kann sich nicht ausprägen, weil es sofort „vom Winde verweht“ wird. Es gibt Fälle, wo die Luftströmung der erzwungenen Konvektion so langsam ist, dass sie von der Strömung der natürlichen Konvektion gestört wird. Bei den vorliegenden Verhältnissen wäre das nur bei Windgeschwindigkeiten von weniger als 0,2 m/s der Fall. In Anbetracht des antarktischen Windes können wir die natürliche Konvektion vernachlässigen.

372

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill 2

h in W/(m K) 60 50 æ æ

40

æ æ æ

æ æ

30

æ æ æ

æ æ

æ

æ

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æ

æ æ

æ

æ

æ æ æ æ ææ ææ æ æ æ ææ æ ææ æ æ ææ æ

æ

æ

æ æ æ

æ æ

20 10 Windgeschwindigkeit v in m/s 2

4

6

8

10

12

Abb. 13.25: Vorhersage der Theorie für den Wärmeübergangskoeffizienten (erzwungene Konvektion und Strahlung) im Vergleich mit den Daten von Siple und Passel

(c) Erzwungene Konvektion Die erzwungene Konvektion ist der eigentlich relevante Wärmeübertragungsmechanismus im Experiment von Siple und Passel, weil nur sie von der Windgeschwindigkeit abhängt. Die Kältewirkung des Windes auf den Menschen, der Windchill, geht darauf zurück, dass die erzwungene Konvektion die Wärmeübertragungsrate vom Menschen an die Umgebung erhöht. Wenn wir den Behälter von Siple und Passel als langen Zylinder modellieren, können wir für die Nußelt-Zahl Gl. (13.34) verwenden und daraus mit Gl. (13.33) den Wärmeübergangskoeffizienten hKonvektion (V ) bestimmen: "  1 #   4 1 2 λ η hKonvektion (V ) = · 0,25 + 0,4 · Re 2 + 0,06 · Re 3 Pr0,37 . D ηWand Die Windgeschwindigkeit V geht in diese Formel über die Reynolds-Zahl ein, die zu V proportional ist. Zur Auswertung setzen wir die Materialkonstanten für Luft bei −20 °C ein: •

die Wärmeleitfähigkeit λ = 0,0228 W/(m K),



die dynamische Viskosität η = 1,62 · 10−5 Ns/m2 ,



die Dichte ρ = 1,4 kg/m3 ,



sowie die Prandtl-Zahl Pr = 0,72.

Abschnitt 13.6 Der Behälter von Siple und Passel

373

Schließlich ist ηWand = 1,72 · 10−5 Ns/m2 die dynamische Viskosität von Luft bei der Behältertemperatur von 0 °C und D = 0,058 m der Behälterdurchmesser. Um die Theorie mit den Daten zu vergleichen, addieren wir die Effekte von Strahlung und Konvektion, h(V ) = hKonvektion (V ) + hStrahlung ,

(13.41)

denn beide Mechanismen tragen zur Abkühlung des Behälters bei. Damit haben wir das Ziel von Siple und Passel erreicht: eine Relation aufzustellen, die den Windchill-Effekt beschreibt, die also die Wärmeabgabe mit der Windgeschwindigkeit in Beziehung setzt. 13.6.2 Vergleich zwischen Daten und Theorie

Wir müssen nun überprüfen, ob diese theoretische Vorhersage mit den Messergebnissen von Siple und Passel verträglich ist. In Abb. 13.25 sind die Daten von Siple und Passel als Punkte eingezeichnet. Die grüne Kurve zeigt die Funktion h(V ) aus Gl. (13.41). Für kleine Windgeschwindigkeiten bis etwa 3 m/s stimmt die theoretische Vorhersage recht gut mit den Messwerten überein. Für höhere Windgeschwindigkeiten sind die Abweichungen allerdings so groß, dass man nicht mehr von einer Verträglichkeit der Theorie mit den Daten sprechen kann. Wie ist das zu erklären? Was ist im Experiment von Siple und Passel passiert, dass es zu solch großen Diskrepanzen kommen kann? Die Vorhersage der Theorie ist eindeutig. Sie enthält keine unbekannten Größen, keine freien Parameter, die man zur Anpassung an die Daten variieren könnte. Zwar gibt es Fehlerquellen (Materialeigenschaften, Passung des Modells „langer Zylinder“ sowie die Tatsache, dass die Gesetze für die erzwungene Konvektion nur empirisch gewonnene Relationen sind), aber sie reichen nicht aus, um derart große Abweichungen zu erklären. Könnte es sich um ein Problem mit dem Experiment handeln? Ist es möglicherweise nicht ganz so abgelaufen wie geplant? Gehen wir ein wenig auf Spurensuche: Die großen Abweichungen treten bei hohen Windgeschwindigkeiten auf, wo die Wärmeübertragungsrate groß ist. Was passiert mit einem wassergefüllten Behälter, der stark gekühlt wird? Wer schon einmal eine Flasche Weißwein zum schnellen Abkühlen in die Gefriertruhe gelegt und sie dort für ein paar Stunden vergessen hat, weiß, dass das Gefrieren des Inhalts nicht gleichmäßig erfolgt. Die Eisbildung beginnt an den Seitenwänden und setzt sich nach und nach ins Innere fort. Ist es möglich, dass bei hohen Windgeschwindigkeiten etwas Ähnliches mit dem Behälter von Siple und Passel geschehen ist? Wenn sich an den Seitenwänden Eis bildet, zeigt das Thermometer in der Mitte immer noch die Temperatur 0 °C an, weil dort das Wasser noch flüssig ist. Die Wärmeübertragungsrate verringert sich, weil auf dem Weg von der „warmen“ Behältermitte zur kalten Umgebung noch die Wärmeleitung durch die Eisschicht hinzukommt, die sich an den Wänden gebildet hat.

374 50

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

2

h in W/(m K)

n oh

40

eE

ch is s

t ich

æ æ

30

æ ææ æ ææ æ ææ æ æ æ æ

æ æ

m

æ æ

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æ æ æ æ ææ ææ

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æ

æ

æ

æ

æ

æ

æ

æ

æ æ

h issc it E

icht

æ

æ æ

20

10 Windgeschwindigkeit v in m/s 2

4

6

8

10

12

Abb. 13.26: Gegenüber Abb. 13.25 (obere Kurve) wurde in der unteren Kurve zusätzlich noch die Wärmeleitung durch eine 1,8 cm dicke Eisschicht berücksichtigt.

Rekonstruktion des Experiments Die Spur scheint in die richtige Richtung zu führen, denn in der Tat liegen die experimentellen Werte von h(V ) niedriger als von der Theorie vorhergesagt. Auch quantitativ lässt sich mit der Hypothese, dass der Behälter bei hohen Windgeschwindigkeiten nicht gleichmäßig einfriert, eine befriedigendere Übereinstimmung mit den Daten erzielen. Unser Modell lässt sich um die Wärmeleitung durch eine Eisschicht im Inneren der Flasche ergänzen. Nach Gl. (13.3) hängt die Wärmeübertragungsrate von der Dicke der Eisschicht ab, die von Siple und Passel natürlich nicht gemessen wurde. Da wir die genauen Bedingungen nicht kennen, müssen wir uns mit einer groben Abschätzung begnügen. Die rote Kurve in Abb. 13.26 zeigt die Wärmeabgabe des Behälters, wenn man zusätzlich zur Konvektion und Wärmestrahlung die Wärmeleitung durch eine 1,8 cm dicke Eisschicht berücksichtigt. Für hohe Windgeschwindigkeiten gibt sie die Daten sehr viel besser wieder als die grüne Kurve. Soweit sich die Details eines über 70 Jahre in der Vergangenheit liegenden Experiments heute noch rekonstruieren lassen, ergibt sich damit aus unserer Analyse das folgende Bild: Für niedrige Windgeschwindigkeiten (V < 3 m/s) verlief das Experiment von Siple und Passel wie beabsichtigt. Bei höheren Windgeschwindigkeiten bereitete das ungleichmäßige Gefrieren des Behälters nach und nach immer mehr Probleme und führte zu anderen Versuchsumständen als zur Erforschung des Windchill-Effekts eigentlich geplant.

375

Abschnitt 13.7 Thermische Netzwerke innen

außen

Strahlung

Strahlung Wärmeleitung

Konvektion

Konvektion

Abb. 13.27: Beim Wärmedurchgang durch eine Außenwand wirken Wärmeleitung, Konvektion und Strahlung zusammen.

13.7 Thermische Netzwerke Bei der Analyse des Experiments von Siple und Passel mussten wir mehrmals berücksichtigen, dass verschiedene Wärmeübertragungsmechanismen gleichzeitig wirksam sind. Zum Beispiel treten Strahlung und erzwungene Konvektion gemeinsam auf, und um die Ergebnisse des Experiments zu erklären, mussten wir zusätzlich die Wärmeleitung durch eine Eisschicht annehmen. Bisher haben wir in Abb. 13.26 nur die Ergebnisse dieser letzten Berechnung gesehen; die Vorgehensweise beim Zusammenwirken mehrerer Wärmeübertragungsmechanismen wurde noch nicht besprochen. Besondere Praxisrelevanz besitzt ein verwandtes Problem: die Wärmeleitung durch mehrere aufeinanderfolgende Schichten. Wenn z. B. bei der Planung eines Gebäudes der Wärmedurchgang durch eine Außenwand berechnet werden soll, hat man es immer mit einem mehrschichtigen Aufbau zu tun, und auch der Wärmeübergang zwischen Wand und Umgebung muss berücksichtigt werden (Abb. 13.27). Wegen der Wichtigkeit des Themas im Bauwesen benutzen wir in diesem Abschnitt die in DIN 4108 (Wärmeschutz im Hochbau) festgelegten Begriffe und Formelzeichen. Analogie aus der Elektrizitätslehre Wir beschränken uns auf den stationären, eindimensionalen Fall, wo die Wärmeübertragungsrate und die Temperaturverteilung zeitlich konstant sind. In diesem Fall kann man eine hilfreiche Analogie aus der Elektrizitätslehre heranziehen, um komplexere Wärmeübertragungsprobleme zu behandeln. In der Elektrizitätslehre stellt sich aufgrund einer elektrischen Potentialdifferenz, der Spannung U, ein Stromfluss ein; in der Wärmelehre ist es eine Temperaturdifferenz, die einen „Wärmestrom“ hervorruft. Die Gesetze der Wärmeübertragung haben die gleiche formale Struktur wie diejenigen der elektrischen Stromkreise. Daher kann man die von dort bekannten Regeln übertragen. Abb. 13.28 stellt die jeweils korrespondierenden Größen gegenüber. Zu beachten ist, dass man in der Wärmelehre aus praktischen Gründen mit der „Strom˙ stärke pro Wandfläche“ rechnet, also mit der Wärmestromdichte Q/A.

376

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

Abb. 13.28: Elektrische Analogie für thermische Netzwerke

Wärmewiderstände Die elektrische Stromstärke in einem Widerstand lässt sich nach dem ohmschen Gesetz berechnen. Analog stellt das „ohmsche Gesetz der Wärmelehre“ einen Zusammenhang zwischen der Temperaturdifferenz ∆T und der da˙ durch hervorgerufenen Wärmestromdichte Q/A her. Betragsmäßig gilt: Q˙ 1 = · ∆T. A R

(13.42)

Durch Vergleich dieses Ansatzes mit den Gesetzen für die unterschiedlichen Mechanismen der Wärmeübertragung kann man die jeweiligen „Wärmewiderstände“ ablesen. Für die Wärmeleitung erhalten wir aus Gl. (13.3) den sogenannten Wärmedurchlasswiderstand: R=

d , λ

(13.43)

wobei d die Dicke des Materials und λ seine Wärmeleitfähigkeit ist. Für die Wärmeübertragung durch Konvektion und durch Strahlung geht man von Gl. (13.27) bzw. (13.38) aus und kommt zum Wärmeübergangswiderstand RS : RS =

1 hKonvektion

bzw.

RS =

1 hStrahlung

.

(13.44)

„Parallelschaltung“ von Wärmewiderständen Wenn ein Körper über zwei Wärmeübertragungsmechanismen zugleich Wärme abgibt, kann man dies als eine „Parallelschaltung“ von Wärmewiderständen betrachten. In der Praxis sind es meist die Konvektion und die Wärmestrahlung, die gemeinsam auftreten (wie z. B. in Abb. 13.27 an der Innenseite

Abschnitt 13.7 Thermische Netzwerke

377

und der Außenseite der Wand). In der Elektrizitätslehre beträgt der Gesamtwiderstand einer Parallelschaltung von zwei Widerständen R1 und R2 : 1 1 1 = + . Rges R1 R2

(13.45)

Die gleiche Formel gilt für parallele Wärmewiderstände. Speziell für das gemeinsame Auftreten von Konvektion und Strahlung gilt mit Gl (13.44): 1 = hKonvektion + hStrahlung , RS

(13.46)

so dass Gl. (13.42) die folgende Form annimmt:   Q˙ = hKonvektion + hStrahlung · ∆T. A

(13.47)

Dieses Ergebnis haben wir bei der Untersuchung der antarktischen Experimente bereits benutzt (Gl. (13.41)). „Reihenschaltung“ von Wärmewiderständen Mehrere aufeinanderfolgende Schichten lassen sich als Reihenschaltung von Wärmewiderständen auffassen. Wie in der Elektrizitätslehre gilt für den Gesamtwiderstand: Rges = R1 + R2 + · · · + Rn . . . . (13.48) Für die Wärmeleitung in der vierschichtigen Außenwand aus Abb. 13.27 ergibt sich z. B. für den gesamten Wärmedurchlasswiderstand R: R=

d1 d d d + 2 + 3 + 4, λ1 λ2 λ3 λ4

(13.49)

wobei d1 , d2 , . . . die jeweiligen Schichtdicken sind und λ1 , λ2 , . . . die Wärmeleitfähigkeiten der verwendeten Materialien. Berücksichtigt man zusätzlich noch die Wärmeübergangswiderstände innen und außen, RSi und RSa , die sich mittels Gl. (13.46) aus den Beiträgen von Konvektion und Strahlung zusammensetzen, ergibt sich der Wärmedurchgangswiderstand RT des gesamten Bauteils: RT = RSi +

d1 d d d + 2 + 3 + 4 + RSa . λ1 λ2 λ3 λ4

(13.50)

Der Kehrwert dieser Größe, U = 1/RT , ist der Wärmedurchgangskoeffizient oder U-Wert. Bei jedem neu errichteten Gebäude muss nachgewiesen werden, dass die im Gebäudeenergiegesetz (GEG) festgelegten Anforderungen an die U-Werte der verschiedenen Bauteilklassen eingehalten werden. Abb. 13.29 zeigt ein Berechnungsbeispiel für eine Außenwand aus 24 cm starkem Kalksandsteinmauerwerk mit einer 14 cm dicken Wärmedämmung aus Mineralwolle. Für die Wärmeübergangswiderstände innen und außen werden die in

378

Kapitel 13 Mechanismen der Wärmeübertragung – Windchill

Schicht Material Nr. Wärmeübergangswiderstand 1 Kalkzementputz 2 Kalksandstein (Rohdichteklasse 1,6) 3 Mineralwolle WLG 035 4 Klebe- und Armiermörtel 5 Wärmedämmputz WLG 060 Wärmeübergangswiderstand Gesamtes Bauteil

d cm 1,5 24,0 14,0 0,5 1,5 41,5

innen

l R [W/mK] [m²K/W] 0,130 1,000 0,015 0,790 0,304 0,035 4,000 0,540 0,009 0,060 0,250 0,040 RT = 4,748 außen

Temperatur

20

Raumluft: 20 °C Außenluft: −10 °C

15

Temperatur in °C

T [°C] innen außen 20,0 19,2 19,2 19,1 19,1 17,2 −8,1 17,2 −8,1 −8,2 −8,2 −9,7 −9,7 −10,0

10

4 1

3

2

5

5

U = 1/RT = 0,211 W/m²K

0

Anforderung GEG: U < 0,24 W/m²K

−5 −10 0

5

10

15

20

25

30

35

40 [cm]

Abb. 13.29: Beispiel für die Berechnung des U -Werts einer Außenwand

DIN 4108 angegebenen Werte zugrunde gelegt. In Abb. 13.29 ist auch die Temperaturverteilung im Bauteil eingezeichnet. Der elektrischen Analogie folgend kann man sie auf die gleiche Weise ermitteln wie die Spannungsabfälle an den Widerständen in einem elektrischen Stromkreis. Aus Gl. (13.48) ergibt sich übrigens auch die Formel, die wir bei der Berücksichtigung der Eisschicht im Siple-Passel-Experiment verwendet haben (rote Kurve in Abb. 13.26). Für die Reihenschaltung aus der Wärmeleitung durch eine d = 1,8 cm dicke Eisschicht (λ = 2,25 W/(m · K)) mit einer sich anschließenden Parallelschaltung von Strahlung und Konvektion findet man: Q˙ = A

"

d 1 + λ hKonvektion + hStrahlung

# −1

· ∆T.

(13.51)

14 Instationäre Wärmeleitung

Das perfekte Frühstücksei

380

t = 10 min

Kapitel 14 Instationäre Wärmeleitung – Das perfekte Frühstücksei

t = 20 min

t = 30 min

Abb. 14.1: In der Wärmebildaufnahme wird sichtbar, wie sich ein Kohlrabi im Backofen schichtweise von außen nach innen erwärmt. Dargestellt ist die Temperaturverteilung auf einer Schnittfläche durch den Mittelpunkt.

14.1 Die Wärmeleitungsgleichung Das thermodynamische Grundproblem beim Kochen haben wir in Kapitel 1 klar definiert – aber bis jetzt noch nicht gelöst. Wir wollen erreichen, dass in den zubereiteten Speisen die biochemischen Veränderungen ablaufen, die wir als „Garen“ bezeichnen. Dazu müssen wir das Gargut an jeder Stelle auf eine bestimmte Mindesttemperatur bringen (etwa 60 °C bis 70 °C). Wie wir aus Erfahrung wissen, gelingt das nicht immer. Der Braten im Backofen, das Steak auf dem Grill oder das Frühstücksei im Kochtopf erwärmen sich schichtweise von außen nach innen. Während sich die äußeren Schichten schon bis auf die Gartemperatur erwärmt haben, kann die Temperatur in der Mitte noch völlig unverändert sein (Abb. 14.1). Zur thermodynamischen Modellierung des Garvorgangs brauchen wir eine Gleichung, die den Temperaturverlauf in einem Körper als Funktion des Ortes und der Zeit vorhersagt. Diese Gleichung gibt es: Es ist die Wärmeleitungsgleichung, eine der grundlegenden partiellen Differentialgleichungen in der Physik. Herleitung der Wärmeleitungsgleichung Wir betrachten die in Abb. 14.2 dargestellte eindimensionale Situation: In einem homogenen Körper (z. B. im Braten), dessen Wärmeleitfähigkeit λ räumlich konstant ist, findet Wärmeleitung in x-Richtung statt. Wir greifen uns einen kleinen Quader mit dem Volumen V = A · ∆x heraus. Auf ihn wenden wir den ersten Hauptsatz an, die Bilanzgleichung für die Energie. Die innere Energie innerhalb der Systemgrenzen ändert sich durch Wärmezufuhr auf der linken und Wärmeabfuhr auf der rechten Seite (abweichend von der in Kapitel 6 festgelegten Vorzeichenkonvention wird Q˙ als positiv in Pfeilrichtung angenommen): dU = Q˙ ( x ) − Q˙ ( x + ∆x ). (14.1) dt

381

Abschnitt 14.1 Die Wärmeleitungsgleichung

Dx . Q(x) Abb. 14.2: Zur Herleitung der Wärmeleitungsgleichung

. Q(x+Dx) U

A

x

Die Änderung der inneren Energie im Volumenelement drücken wir mit der spezifischen Wärmekapazität c durch die Temperaturänderung aus: dU = m · c · dT = ρ · A · ∆x · c · dT,

(14.2)

wobei ρ die Dichte ist. Wenn wir Gl. (14.1) auf beiden Seiten durch ∆x dividieren und den Limes ∆x → 0 bilden, ergibt sich: ρ·A·c·

∂T Q˙ ( x ) − Q˙ ( x + ∆x ) ∂ Q˙ ( x ) = =− . ∂t ∆x ∂x

(14.3)

Um Q˙ zu ersetzen, benutzen wir Gl. (13.3), das Fourier-Gesetz für die Wärmeleitung: ∂T Q˙ = −λ · A · . (14.4) ∂x Damit erhalten wir aus Gl. (14.3):   ∂T ∂ ∂T ρ·A·c· = λ·A· . (14.5) ∂t ∂x ∂x Mit der Annahme, dass λ räumlich konstant ist, ergibt sich: Eindimensionale Wärmeleitungsgleichung: ∂T λ ∂2 T = · 2. ∂t ρ · c ∂x

(14.6)

Die Wärmeleitungsgleichung ist eine partielle Differentialgleichung für die Funktion T ( x,t). Sie lässt sich leicht auf drei Dimensionen erweitern:  2  ∂T λ ∂ T ∂2 T ∂2 T = · + 2 + 2 . ∂t ρ·c ∂x2 ∂y ∂z

(14.7)

Der Vorfaktor α=

λ , ρ·c

die sogenannte Temperaturleitfähigkeit, ist eine Materialkonstante.

(14.8)

382

Kapitel 14 Instationäre Wärmeleitung – Das perfekte Frühstücksei Wärmezufuhr von außen

Wärmeleitung im Inneren

Abb. 14.3: Von einer gleichmäßigen Erwärmung des Körpers kann man ausgehen, wenn die Wärmeleitung innerhalb des Körpers wesentlich schneller erfolgt als die Wärmezufuhr von außen.

Partielle Differentialgleichungen sind nicht leicht zu lösen. In diesem Buch können wir nur die einfachsten Beispiele behandeln und müssen ansonsten auf die weiterführende Literatur verweisen (z. B. Sommerfeld 1978). Generell muss man zur Lösung der Wärmeleitungsgleichung Anfangsbedingungen (die Temperaturverteilung zum Anfangszeitpunkt) und Randbedingungen angeben. Je nachdem, ob man Temperatur oder Wärmefluss am Rand vorgibt, spricht man von Randbedingungen vom Dirichlet- bzw. vom Neumann-Typ. Beispielaufgabe: Temperaturverlauf in einer Wand In Abb. 13.29 ist innerhalb der einzelnen Bauteilschichten ein linearer Temperaturverlauf eingezeichnet. Begründen Sie, dass dies richtig ist. Lösung: Bei der Behandlung von Wärmeleitungsproblemen im vorangegangenen Kapitel haben wir angenommen, dass es sich um stationäre Vorgänge handelt, dass sich die Temperaturverteilung also nicht ändert. Die linke Seite von Gl. (14.6) ist dann gleich null, und als Bedingungsgleichung für die räumliche Gestalt der Lösung bleibt:

d2 T = 0. dx2

(14.9)

Die allgemeine Lösung dieser gewöhnlichen Differentialgleichung lautet:

T ( x ) = a · x + b.

(14.10)

Es ergibt sich also in der Tat ein linearer Temperaturverlauf. Die beiden Konstanten a und b können aus den Randbedingungen bestimmt werden, z. B. aus den Temperaturen an der Außen- und der Innenseite der Schicht.

14.2 Die gleichmäßige Erwärmung Bevor man sich an der schwierigen Analyse eines nichtstationären Wärmeleitungsproblems versucht, ist es immer sinnvoll zu prüfen, ob die Näherung einer gleichmäßigen Erwärmung des Körpers erlaubt ist. Anschaulich ist das der Fall, wenn die Wärmeleitung im Inneren des Körpers wesentlich schneller stattfindet, als die Wärme von außen zugeführt wird (Abb. 14.3). Dann kann im Inneren des Körpers ein Temperaturausgleich erfolgen. Der ganze Körper

383

Abschnitt 14.2 Die gleichmäßige Erwärmung Wärmezufuhr von außen T(t)

Abb. 14.4: Bei der gleichmäßigen Erwärmung wird angenommen, dass im Körperinneren zu jedem Zeitpunkt die Temperatur überall gleich ist.

. Q

T(t)

räumlich konstante Temperaturverteilung im Inneren T(t) T(t) T(t) TUmgebung

erwärmt sich gleichmäßig, und wir können von einer räumlich konstanten Temperaturverteilung im Körperinneren ausgehen (Abb. 14.4). Die Biot-Zahl Die anschauliche Vorstellung von den unterschiedlichen Geschwindigkeiten der äußeren Wärmezufuhr und der inneren Wärmeleitung kann durch ein formales Kriterium wiedergegeben werden. Wir nehmen an, dass der Körper in ein Fluid eingebettet ist, so dass die Wärmeübertragungsrate von außen Q˙ = h · A · ∆T ist. Wir bilden das Verhältnis zur Rate der Wärmeleitung (über die gleiche Temperaturdifferenz) im Körperinneren: Q˙ Konvektion außen h · A · ∆T h · ∆x = = . λ Q˙ Wärmeleitung innen λ · A · ∆T ∆x

(14.11)

Das Ergebnis ist eine neue dimensionslose Kennzahl, die Biot-Zahl h·L , (14.12) λ wobei L allgemein eine charakteristische Länge des Körpers ist. Je kleiner die Biot-Zahl, umso besser ist die Näherung der gleichmäßigen Erwärmung erfüllt. Allgemein wird es für Bi < 0,1 als sinnvoll angesehen, das Modell der gleichmäßigen Erwärmung zu verwenden. Man kann in diesem Fall von einem Fehler von weniger als 5 % in der Temperaturverteilung ausgehen. Bi =

Faustregeln für die Näherung der gleichmäßigen Erwärmung Für die Bedingung möglichst kleiner Biot-Zahlen kann man nach Gl. (14.12) einige Faustregeln aufstellen. Sie lauten wie folgt: Bei Wärmezufuhr von außen findet eine gleichmäßige Erwärmung des gesamten Körpers statt, wenn (1) der Körper ein guter Wärmeleiter ist (z. B. aus Metall besteht), (2) sich in einem Medium mit niedriger Wärmeübertragungsrate befindet (z. B. bei natürlicher Konvektion in Luft), (3) möglichst klein ist. Tabelle 14.1 gibt eine Übersicht über die Biot-Zahlen für verschiedene Körper, die in unterschiedlichen Medien erwärmt oder abgekühlt werden. Man erkennt, dass es vor allem bei der Wärmeübertragung in Flüssigkeiten schwierig

384

Kapitel 14 Instationäre Wärmeleitung – Das perfekte Frühstücksei Tab. 14.1: Typische Werte für die Biot-Zahl in verschiedenen Situationen

Braten im Backofen (r = 7,5 cm, h = 10 W/(m2 K)) Kupferkugel in Luft (r = 1 cm, h = 10 W/(m2 K)) Ei in heißem Wasser (r = 2,5 cm, Nu = 110) Kupferkugel in heißem Wasser (r = 1 cm, Nu = 110)

Bi = 1,6 Bi = 5 · 10−4 Bi = 120 Bi = 0,15

ist, das Kriterium für gleichmäßige Erwärmung zu erfüllen. In der Praxis ist die Näherung der gleichmäßigen Erwärmung trotzdem oft nützlich, um auch ohne das aufwendige Lösen der Wärmeleitungsgleichung eine Abschätzung für den zeitlichen Verlauf der Erwärmung oder Abkühlung zu erhalten. Temperaturverlauf bei der gleichmäßigen Erwärmung oder Abkühlung Die Gleichung für den Temperaturverlauf bei der gleichmäßigen Erwärmung oder Abkühlung eines Körpers ist leicht aus der Energiebilanz herzuleiten. Nach dem ersten Hauptsatz ist die Änderung der inneren Energie des Körpers gleich der zu- oder abgeführten Wärmemenge, wobei die Rate der Wärmeübertragung durch Q˙ = h · A · ∆T gegeben ist (Abb. 14.4):   dU = Q˙ = h · A · TUmgebung − T (t) . dt

(14.13)

Hier ist T (t) die sich im Lauf der Zeit ändernde Temperatur des Körpers und TUmgebung die konstante Umgebungstemperatur. Mit Hilfe von dU = c m dT ergibt sich eine gewöhnliche Differentialgleichung für T (t): c·m·

  dT = −h · A · T (t) − TUmgebung . dt

(14.14)

Nach Division durch c m erhalten wir das newtonsche Abkühlungsgesetz:  dT h·A  =− · T (t) − TUmgebung . dt m·c

(14.15)

Es ist eine Differentialgleichung vom Typ dT dt ∼ − T, deren Lösung die Exponentialfunktion ist. Nach Einsetzen der Anfangsbedingungen ergibt sich: Zeitlicher Temperaturverlauf bei der gleichmäßigen Erwärmung:  h· A T (t ) = TUmgebung + T0 − TUmgebung e− m·c ·t .

(14.16)

Dabei ist T0 die Temperatur des Körpers zum Zeitpunkt t = 0. Durch Betrachtung der Grenzfälle t = 0 und t → ∞ kann man sich davon überzeugen, dass sich die Körpertemperatur ausgehend vom Anfangswert T0 exponentiell der Umgebungstemperatur nähert.

385

Abschnitt 14.2 Die gleichmäßige Erwärmung

Kasten 14.1 Wärmeübertragung in einem Backofen

Heizstäbe 270 °C Oberhitze 200 °C

(Konvektion +) Wärmestrahlung

20 °C 20 °C Konvektion + Wärmestrahlung

Unterhitze 200 °C Mit der Theorie der Wärmeübertragung aus Kapitel 13 kann man die Wärmeübertragung von den Backofenwänden zur Oberfläche eines Bratens quantitativ beschreiben, auch wenn sich experimentell die Beiträge der verschiedenen Wärmeübertragungsmechanismen nicht trennen lassen. Wir legen die folgenden Annahmen zugrunde: Der Braten (Fläche 0,08 m2 ) ist auf einem Backblech gerade in den Backofen geschoben worden (Temperatur 20 °C). Der Backofen ist vorgeheizt, die Ofenwände besitzen eine Temperatur von 200 °C. Oben im Backofen sind Heizstäbe angebracht (Abstand 5 cm, Dicke 0,5 cm), die eine Temperatur von 270 °C haben. Das Backblech unterteilt den Backofen in eine obere und eine untere Hälfte (Höhe jeweils 20 cm). Die Konvektion kann daher für beide Hälften getrennt betrachtet werden. Wie bereits im Zusammenhang mit Abb. 13.22 erläutert, bilden sich je nach der Lage der kalten und heißen Flächen sehr unterschiedliche Konvektionsmuster aus. Im Gegensatz zur Unterhitze wirkt die Oberhitze fast ausschließlich durch Wärmestrahlung, kaum durch Konvektion. Die Anteile der verschiedenen Mechanismen zur Gesamt-Wärmeübertragungsrate sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt.

Mechanismus der Wärmeübertragung

Wärmeübertragungsrate Q˙

Wärmestrahlung von den Ofenwänden (200 °C) Direkte Strahlung von den Heizstäben (270 °C) Konvektion obere Ofenhälfte Konvektion untere Ofenhälfte Wärmeleitung

195 W 55 W 2W 48 W 6W

Gesamt

303 W

386

Kapitel 14 Instationäre Wärmeleitung – Das perfekte Frühstücksei

20 T in °C

15

10

5

t in Minuten 100

200

300

400

Abb. 14.5: Temperaturverlauf bei der Abkühlung einer Bierdose im Kühlschrank.

Beispielaufgabe: Abkühlung einer Bierdose im Kühlschrank Zwei Stunden bevor Sie an einem schönen Sommertag den Grill in Gang setzen, legen Sie eine Dose Bier (0,5 Liter) in den Kühlschrank (Temperatur 4 °C). Ermitteln Sie, ob die Zeit ausreicht, das Bier von Zimmertemperatur (20 °C) auf Trinktemperatur abzukühlen. Legen Sie für den Wärmeübergangskoeffizienten der natürlichen Konvektion den Wert h = 10 W/(m2 K) zugrunde. Lösung: Eine Standard-Getränkedose hat einen Durchmesser von 6,7 cm und ist bis zu einer Höhe von ca. 15 cm mit Flüssigkeit gefüllt. Die Zylinderoberfläche beträgt somit A = 0,039 m2 . Da es sich um eine Flüssigkeit handelt, können wir – ohne die Biot-Zahl zu berechnen – davon ausgehen, dass innerhalb der Dose eine gleichmäßige Temperaturverteilung herrscht, denn etwaige Temperaturunterschiede würden sofort durch Konvektionsströmungen ausgeglichen. Wir können somit das Modell der gleichmäßigen Erwärmung anwenden. Die Abkühlung der Behälterwände können wir außer Acht lassen; sie beeinflussen wegen ihrer geringen Wärmekapazität und der hohen Wärmeleitfähigkeit die Temperatur des Bieres kaum (das ist der Grund, weshalb wir in dieser Aufgabe nicht auf eine umweltfreundlichere Glasflasche zurückgegriffen haben). Abb. 14.5 zeigt die nach Gl. (14.16) berechnete Entwicklung der Biertemperatur. Nach 2 Stunden im Kühlschrank ist die Dose zwar noch keineswegs auf Kühlschranktemperatur abgekühlt. Ihre Temperatur beträgt aber immerhin schon 8,7 °C. Das ist der vom Deutschen Brauer-Bund empfohlenen Trinktemperatur von 5 °C bis 8 °C bereits durchaus nahe.

14.3 Morgen bringe ich sie um . . . Wer jemals den Loriot-Sketch „Das Frühstücksei“ gesehen hat, wird zustimmen, dass es sich bei der Frage nach der richtigen Kochdauer für ein weichgekochtes Ei um eines der grundlegenden Menschheitsprobleme handelt. Der Wissenschaft zur Klärung vorgelegt wurde die Angelegenheit im Jahr 1998, als in der Zeitschrift „New Scientist“ die Frage aufgeworfen wurde, ob es eine Formel gibt, nach der man die richtige Kochdauer für ein weichgekochtes Ei berechnen kann, sofern man seine Masse und seine Anfangstemperatur kennt. Charles Williams von der Universität Exeter gebührt das Verdienst,

Abschnitt 14.3 Morgen bringe ich sie um . . .

387

eine thermodynamische Analyse des Problems unternommen zu haben (Williams 1998). Während Loriot für die richtige Kochdauer pauschal viereinhalb Minuten ansetzt und der Volksmund von einem „Drei-Minuten-Ei“ spricht, konnte Williams eine Formel vorlegen, die auf der Theorie der instationären Wärmeleitung beruht und die Kochzeit als Funktion der Anfangsbedingungen und der thermodynamischen Materialparameter angibt. Instationäre Wärmeleitung in einer Kugel Wie man aus Tabelle 14.1 abliest, beträgt die Biot-Zahl für ein Ei im Kochtopf etwa 120. Die Bedingung für gleichmäßige Erwärmung (Bi < 0,1) ist also um mehr als einen Faktor 1000 verletzt. Wir müssen von schichtweiser Erwärmung ausgehen und die Theorie der instationären Wärmeleitung anwenden. Die Wärmeleitungsgleichung (14.7) besitzt nur für wenige geometrische Konfigurationen eine elementar angebbare Lösung, z. B. für Kugeln, unendlich ausgedehnte Wände und unendlich lange Zylinder. Bei der Analyse des Eierkochens tut man daher gut daran, von der Eierform abzusehen und das Ei als eine Kugel mit Radius R zu modellieren. Als Randbedingung an die Lösung geben wir die Oberflächentemperatur des Eies vor: T ( R, t) = TRand . Es handelt sich um Randbedingungen vom Dirichlet-Typ: Am Rand werden die Werte der gesuchten Funktion vorgegeben. Physikalisch verbirgt sich dahinter die Näherung Bi → ∞: die Annahme, dass die Wärmeübertragung vom Wasser auf das Ei so effizient erfolgt, dass der Wärmeübergangswiderstand praktisch null ist. In diesem Fall ist die Oberflächentemperatur des Eies gleich der Temperatur des umgebenden Wassers.1 Für niedrigere Biot-Zahlen, bei denen diese Näherung nicht gerechtfertigt wäre, müssten wir Randbedingungen vom Neumann-Typ ansetzen und den Wärmefluss (d. h. die räumliche Ableitung der Temperatur) an der Oberfläche vorgeben. Mit diesen Voraussetzungen lässt sich die Lösung der Wärmeleitungsgleichung als unendliche Reihe angeben: Instationäre Wärmeleitung in einer Kugel: Die Lösung der Wärmeleitungsgleichung für die Erwärmung oder Abkühlung einer Kugel mit vorgegebener Randtemperatur lautet:    nπr ∞ T (r,t ) − TRand n2 π 2 n−1 sin R = ∑ 2(−1) exp − αt . nπr T0 − TRand R2 R n =1 (14.17) Dabei ist T0 die Anfangstemperatur der Kugel und α = λ/(ρc) die schon auf S. 381 eingeführte Temperaturleitfähigkeit. 1

Wenn der Wärmeübergangswiderstand nicht vernachlässigt werden kann, bildet sich eine Grenzschicht aus, in der der Übergang von der Fluidtemperatur zur etwas niedrigeren (und dann nicht von vornherein bekannten) Oberflächentemperatur des Körpers erfolgt; vgl. den Temperaturverlauf in Abb. 13.29 unmittelbar an der Außen- und Innenseite der Wand.

388

Kapitel 14 Instationäre Wärmeleitung – Das perfekte Frühstücksei

TRand R 0,69 R Dotter

Abb. 14.6: Geometrische Verhältnisse in Williams’ Modell eines Hühnereies

Ein-Term-Näherung Weil das Argument der Exponentialfunktion in Gl. (14.17) proportional zu n2 ist, konvergiert die Reihe rasch, sofern nur der Faktor αt/R2 nicht allzu klein ist. Allgemein geht man davon aus, dass alle Terme bis auf den ersten vernachlässigt werden können, wenn αt/R2 > 0,2 gilt. Die Näherung wird für große Zeiten immer besser. Gl. (14.17) reduziert sich in diesem Fall auf:    2 sin πr T (r,t) − TRand π2 R ≈ exp − 2 αt . (14.18) πr T0 − TRand R R Die Frühstücksei-Formel Der entscheidende Schritt bei der Lösung des Frühstücksei-Problems ist die thermodynamische Definition des Begriffs „weichgekocht“. Williams argumentiert, dass ein Ei als weichgekocht zu gelten habe, wenn sich die Grenze zwischen Eiweiß und Dotter auf die Denaturierungstemperatur des Eiweißes Tgar = 63 °C erwärmt hat. Dann ist das Eiweiß denaturiert, während der Dotter noch flüssig ist. Weil der Dotter etwa 33 % des Eivolumens ausmacht, liegt die Dotter-Eigelb-Grenze bei r ≈ 0,69 R (Abb. 14.6). Aus Gl. (14.18) erhalten wir damit die Weichkochbedingung in mathematischer Formulierung:   Tgar − TRand 2 sin (0,69π ) π2 λ = exp − 2 tgar . T0 − TRand 0,69π R ρc

(14.19)

Der Zahlenfaktor vor der Exponentialfunktion hat den Wert 0,763. Aufgelöst nach tgar ergibt sich: tgar =

  R2 ρ c T0 − TRand ln 0,763 · . Tgar − TRand π2 λ

(14.20)

Das ist die Formel für die Gardauer eines weichgekochten Frühstückseies, die Williams in seiner Antwort an den New Scientist angab.

Abschnitt 14.3 Morgen bringe ich sie um . . .

389

Abb. 14.7: Versuchsaufbau im Experiment von Berger und Schwarz. Das Ei wird von einem Netz gehalten; der Temperatursensor wird durch ein Loch in der Schale bis zum Mittelpunkt des Eies geführt.

Beispielaufgabe: Vergleichen Sie nach der Williams-Formel die Kochdauer für ein Ei mit Radius 2,5 cm, das (a) gerade aus dem Kühlschrank kommt (T0 = 4 °C) und (b) anfänglich Zimmertemperatur besitzt (T0 = 20 °C). Lösung: Die thermischen Daten von Hühnereiern lesen wir aus Tabelle B.6 ab. Wir setzen die Werte in Gl. (14.20) ein und erhalten für das Kühlschrank-Ei:

tgar =

=

  R2 ρ c T0 − TRand ln 0,763 · Tgar − TRand π2 λ kg kJ (0,025 m)2 · 1012 m 3 · 3,85 kg K

π 2 · 0,56 mWK

(14.21)

  4 ◦ C − 100 ◦ C ln 0,763 · = 301 s = 5 min. 63 ◦ C − 100 ◦ C

Somit braucht nach der Williams-Formel ein Ei aus dem Kühlschrank 5 Minuten, bis es weichgekocht ist. Für ein Ei, das mit T0 = 20 °C in den Kochtopf gegeben wird, ergibt sich die kürzere Kochdauer von 3 Minuten und 40 Sekunden.

Experimentelles Eierkochen Ein Vergleich von Theorie und Experiment wurde von Berger und Schwarz im Jahr 2008 durchgeführt. Sie untersuchten den zeitlichen Temperaturverlauf im Mittelpunkt eines Eies mit dem Versuchsaufbau, der in Abb. 14.7 gezeigt ist. Durch ein Loch in der Schale wurde ein Temperatursensor eingeführt, der die Temperatur im Mittelpunkt des Eies elektronisch erfasste. Das Messergebnis für „Ei Nr. 3“ ist die grüne Kurve in Abb. 14.8. Nach 382 Sekunden wurde im Mittelpunkt eine Temperatur von 63 °C gemessen; die Denaturierungstemperatur des Dotters von 68 °C – und damit der hartgekochte Zustand – war nach 430 s erreicht.

390

Kapitel 14 Instationäre Wärmeleitung – Das perfekte Frühstücksei

100 T in °C

Theorie

Experiment

80

„hartgekocht“ 60

„weichgekocht“

40

t in s 200

400

600

800

1000

Abb. 14.8: Temperaturverlauf im Mittelpunkt eines Eies in Experiment (grün) und Theorie (blau)

Um die Messdaten mit der Theorie kugelförmiger Eier zu vergleichen, errechneten Berger und Schwarz den Mittelwert aus Längs- und Querdurchmesser (52,7 mm bzw. 40,6 mm). Daraus ergab sich ein „mittlerer Radius“ R = 23,3 mm. Die Temperaturleitfähigkeit α wurde als freier Parameter behandelt, durch dessen Variation das Modell bestmöglich an die Daten angepasst („gefittet“) wurde. Die blaue Kurve in Abb. 14.8 zeigt die theoretische Vorhersage nach Gl. (14.17) mit dem „am besten passenden“ Wert α = 2 · 10−7 . Er liegt um etwa 40 % höher, als nach Gl. (14.8) eigentlich zu erwarten wäre. Die auch im Verlauf der Kurven sichtbaren Abweichungen zwischen Theorie und Experiment könnten auf Fehler zurückgehen, die aus den vereinfachenden Annahmen im Modell resultieren. Zum Beispiel sind reale Eier nicht kugelförmig. Dass es hierdurch zu Abweichungen im Erwärmungsverhalten kommt, erkennt man am einfachsten, wenn man sich ein stark flachgedrücktes, scheibenförmiges Ei vorstellt. Seine Erwärmungsdauer wird im Wesentlichen vom kleinsten Durchmesser bestimmt. Ein weiterer Effekt kommt hinzu: In der Theorie der instationären Wärmeleitung, die zu Gl. (14.17) führt, wird Konvektion im Inneren des betrachteten Körpers nicht berücksichtigt. Das Innere von rohen Hühnereiern hat eine gallertartige Konsistenz, die offenbar Konvektion in einem gewissen Ausmaß zulässt. In Experimenten mit Eidotter wurden Nußelt-Zahlen um 10 gemessen (Bernardi et al. 2009). Bevor sich Eiweiß und Dotter verfestigen, findet daher neben der Wärmeleitung auch Wärmeübertragung durch Konvektion statt.

391

Abschnitt 14.3 Morgen bringe ich sie um . . . T in °C 100

exakte Lösung

80 60

Abb. 14.9: Zeitliche Entwicklung der Temperatur im Mittelpunkt des Rinderfilets nach Gl. (14.17) im Vergleich zur Ein-Term-Näherung

„medium gebraten“

40

Ein-TermNäherung

20

t in min 20

40

60

Beispielaufgabe: Garen eines Rinderfilets In Kapitel 6 (S. 153) haben wir uns schon einmal mit der Gardauer eines Rinderfilets im Backofen beschäftigt. Dabei haben wir die Näherung der gleichmäßigen Erwärmung zugrunde gelegt, die in Anbetracht der Biot-Zahl von 1,6 nicht haltbar ist (vgl. Tabelle 14.1). Schätzen Sie mit der Theorie der instationären Wärmeleitung die Gardauer für 1 kg Rinderfilet im vorgeheizten Backofen (Anfangstemperatur des Bratens: 20 °C). Nehmen Sie an, dass die Oberflächentemperatur während des Garvorgangs 160 °C beträgt. Laut Kochbuch ist ein Filet „medium gebraten“, wenn im Mittelpunkt eine Temperatur von 57 °C erreicht ist. Lösung: Wir nehmen an, dass der Braten Kugelgestalt hat und entnehmen die thermischen Daten von Rindfleisch aus Tabelle B.6. Mit der angegebenen Dichte von 1100 kg/m3 ergibt sich für das kugelförmige Filet der Radius R = 6 cm. Die Temperaturleitfähigkeit α beträgt 1,5 · 10−7 m2 /s. Eine Gleichung für den zeitlichen Temperaturverlauf im Mittelpunkt des Bratens lässt sich aus der Ein-Term-Näherung (14.18) in der gleichen Weise wie die Frühstücksei-Formel (14.20) herleiten, mit dem einzigen Unterschied, dass wir nun r = 0 einsetzen. Wir benutzen die mathematische Identität:

lim

x →0

sin x =1 x

(14.22)

und erhalten aus Gl. (14.18) für r = 0:

  Tgar − TRand π2 = 2 exp − 2 αtgar , T0 − TRand R

(14.23)

so dass für die Gardauer folgt:

tgar =

  T0 − TRand R2 ln 2 · . Tgar − TRand π2 α

(14.24)

Einsetzen der Zahlenwerte ergibt eine Gardauer von 40,7 Minuten. Zwei Fehlerquellen verfälschen das Ergebnis: (1) Die Ein-Term-Näherung ist im Mittelpunkt am schlechtesten erfüllt. Anders als bei Willams’ Eierformel, wo dieser Fehler mit 2–3 % vernachlässigbar klein ist, zeigt der Vergleich mit der exakten Lösung nach Gl. (14.17) deutliche Abweichungen (Abb. 14.9). Nach der exakten Lösung ist die Gartemperatur von 57 °C im Mittelpunkt schon nach 38 Minuten erreicht.

392

Kapitel 14 Instationäre Wärmeleitung – Das perfekte Frühstücksei

10 Minuten

20 Minuten 150 T in °C

T in °C

100

100

50

50

30 Minuten 150

40 Minuten 150

100

100

50

50

50 Minuten 150

60 Minuten 150

100

100

50

50

x in cm -6

-4

-2

0

2

4

6

x in cm -6

-4

-2

0

2

4

6

Abb. 14.10: Temperaturverteilung im Braten für verschiedene Zeiten entlang eines Schnitts durch den Mittelpunkt (von − R bis R)

(2) Die Biot-Zahl von 1,6 ist zwar zu groß, um von gleichmäßiger Erwärmung auszugehen, aber nicht groß genug, um die Annahme einer festen Oberflächentemperatur zu rechtfertigen (Näherung Bi → ∞). Schon aus der Alltagserfahrung wissen wir, dass die Oberflächentemperatur des Bratens erst allmählich ansteigt, wenn er in den vorgeheizten Ofen gestellt wird. Eine realistischere (und sehr viel schwierigere) Analyse des Problems würde den Wärmefluss an der Oberfläche vorgeben (Randbedingungen vom Neumann-Typ). Die Bilderfolge in Abb. 14.10 zeigt den nach Gl. (14.17) errechneten Zeitverlauf der Erwärmung. Die Temperatur ist dargestellt als Funktion des Ortes entlang eines Schnittes, der durch den Mittelpunkt der Kugel führt (von − R bis R). Die Temperaturverteilung gibt die schichtweise Erwärmung von außen nach innen wieder, die auch in den Wärmebildaufnahmen in Abb. 14.1 zu erkennen ist. Bemerkenswert ist, dass nach 20 Minuten die Temperatur im Mittelpunkt erst um 4 °C angestiegen ist.

393

Abschnitt 14.4 Warum sich Metall kalt und Holz warm anfühlt

außen

T

Anfangstemperatur T0

feste Oberflächentemperatur TRand

Abb. 14.11: Halbunendlicher Körper mit fester Oberflächentemperatur

x

Wegen der stark inhomogenen Temperaturverteilung empfehlen die Kochbücher, das Fleisch vor dem Schneiden 10–15 Minuten ruhen zu lassen. In dieser Zeit findet ohne weitere Wärmezufuhr ein Temperaturausgleich im Inneren des Bratens statt, der zu einer gleichmäßigeren Temperaturverteilung führt.

14.4 Warum sich Metall kalt und Holz warm anfühlt Die einfachste instationäre Lösung der Wärmeleitungsgleichung wurde bis jetzt noch nicht erwähnt, obwohl sie in der Praxis zahlreiche Anwendungsfälle besitzt: die instationäre Wärmeleitung im halbunendlichen Körper mit fester Oberflächentemperatur. Als halbunendlich bezeichnet man einen Körper, der den gesamten Halbraum x ≥ 0 ausfüllt (Abb. 14.11). Bei x = 0 hat er eine Oberfläche, die an die Umgebung grenzt. Als Beispiel kann man sich eine Wand vorstellen, die so dick ist, dass ihr rechter Rand in thermischer Hinsicht keinen Einfluss hat. Der Körper hat zu Beginn die konstante Anfangstemperatur T ( x, 0) = T0 . Zum Zeitpunkt t = 0 wird die Oberfläche plötzlich auf die Temperatur TRand gebracht und anschließend auf dieser festen Temperatur gehalten. Die Randund Anfangsbedingungen, die an die Lösung T ( x, t) der Wärmeleitungsgleichung gestellt werden, lauten also: T (0, t) = TRand

und

T ( x, 0) = T0 .

(14.25)

Wie im vorher betrachteten Fall entspricht die Vorgabe einer festen Oberflächentemperatur dem Grenzfall Bi → ∞, in dem die Wärmeübertragung von der Umgebung auf die Oberfläche mit sehr hoher Effizienz erfolgt. Es handelt sich um ein eindimensionales Problem, für das die Wärmeleitungsgleichung (14.6) gelöst werden muss, denn aus Symmetriegründen kann die Lösung nicht von x oder y abhängen.2 Mit den Anfangs- und Randbedin2

Die Lösung (14.26) gilt deshalb auch für einen unendlich dünnen Stab mit den gleichen Anfangs- und Randbedingungen.

394

Kapitel 14 Instationäre Wärmeleitung – Das perfekte Frühstücksei

Kasten 14.2 Rezeptvorschlag: Nilpferd in Burgunder Schon in wenigen Monaten steht wieder die Weihnachtszeit ins Haus. Höchste Zeit, das Fest zu planen und ein Menü zusammenzustellen, mit dem die ganze Familie verwöhnt wird. Das folgende Rezept stammt von einem bekannten Fernsehkoch: Etwas für festliche Tage, vorausgesetzt, dass sich das Nilpferd in Burgunder wohl fühlt. Nilpferd waschen und trocknen, in passendem Schmortopf mit 2000 Litern Burgunder, 6 bis 8 Zwiebeln, 2 kleinen Mohrrüben und einigen Nelken 8 bis 14 Tage kochen, herausnehmen, abtropfen lassen und mit Petersilie servieren. (Loriot 1984) Es empfiehlt sich, das Nilpferd vor dem Garen in Kugelgestalt zu bringen. Dies geschieht am besten gleich nach dem Waschen mit angefeuchteten Händen. Ein mittelgroßes Nilpferd ergibt eine Kugel von etwa 2 m Durchmesser. Sind die thermischen Eigenschaften von Nilpferdfleisch nicht zur Hand, kann man sich mit denen von Schweinefleisch behelfen (Tabelle Tab. B.6). Das Nilpferd rechtzeitig aus dem Kühlschrank nehmen, damit es bei Kochbeginn Zimmertemperatur aufweist (T0 = 20 °C). Vorsichtig in den siedenden Burgunder geben. Aufgrund der guten Wärmeübertragungseigenschaften von erstklassigen Weinen kann man für die Nilpferdaußenseite die Temperatur der siedenden Flüssigkeit TRand = 100 °C ansetzen. Soll das Nilpferd auf den Punkt gegart aus dem Ofen kommen, so empfiehlt es sich, die Kerntemperatur mit einem genügend großen Fleischthermometer zu kontrollieren. Die Abbildung unten zeigt, dass nach 3 Tagen die Temperatur im Mittelpunkt noch völlig unverändert ist. Im Verlauf von etwa 13 Tagen steigt sie auf 60 °C an, so dass das Fleisch in der Mitte zu garen beginnt. Noch einmal kurz aufwallen lassen und dann den Topf von der Platte nehmen. Das Nilpferd in eine Charlottenform geben, mit Alufolie abdecken und vor dem Servieren einige Tage ruhen lassen. Auf vorgewärmter Platte mit Petersilie anrichten. Passend als Dessert: Kompott von der Wassermelone mit ganzen Früchten.

3 Tage

9 Tage

T in °C

100

T in °C

100

80

80

60

60

40

40 20

20

x in m -1

-0,5

0

0,5

1

x in m -1

-0,5

0

0,5

1

395

Abschnitt 14.4 Warum sich Metall kalt und Holz warm anfühlt

gungen (14.24) lässt sich die Lösung der Wärmeleitungsgleichung in relativ einfacher Form angeben. Lösung der Wärmeleitungsgleichung für den halbunendlichen Körper mit Anfangstemperatur T0 und Randtemperatur TRand :   T ( x,t ) − TRand x = erf √ . (14.26) T0 − TRand 2 αt Dabei ist α die Temperaturleitfähigkeit des Materials: α = λ/(ρ · c). Die Funktion erf( x ) ist die gaußsche Fehlerfunktion, die durch 2 erf( x ) = √ π

Z x

2

e−u du

(14.27)

0

als Funktion der oberen Integrationsgrenze definiert ist. Sie lässt sich trotz ihres unscheinbaren Äußeren nicht durch elementare Funktionen darstellen, ist aber in höherwertiger Mathematiksoftware als vordefinierte Funktion enthalten. Sie hat die Eigenschaften: erf(0) = 0

und

erf(∞) = 1.

(14.28)

Die Lösung (14.26) der Wärmeleitungsgleichung beschreibt, wie die plötzlich geänderte Oberflächentemperatur gleichsam immer weiter „in den Körper eindringt“. Durch Wärmeleitung erfolgt für zunehmende Bereiche des Körpers ein Temperaturangleich an die von außen vorgegebene Oberflächentemperatur. Die blaue Kurve in Abb. 14.11 zeigt eine „Momentaufnahme“ der Temperaturverteilung im Körper. Beispielaufgabe: Frostsicherheit eines Regenwasserkanals Ein Regenwasserkanal verläuft in trockenem Lehmboden (α = 1,8 · 10−7 m2 /s) in 80 cm Tiefe. Überprüfen Sie die Frostsicherheit des Kanals, indem Sie in einem einfachen Modell einen „Wintereinbruch“ simulieren. Nehmen Sie dazu an, dass die Erdbodentemperatur anfänglich bei 5 °C liegt. Durch plötzlichen Frost sinkt die Oberflächentemperatur des Bodens auf −5 °C. Kontrollieren Sie, ob der Regenwasserkanal bei konstanter Oberflächentemperatur nach 20 Tagen noch frostfrei ist. Lösung: Durch die Modellannahme der plötzlichen Abkühlung wird Gl. (14.26) anwendbar. Die Anfangstemperatur des Erdbodens soll T0 = 5 °C betragen, die Randtemperatur TRand soll bei −5 °C liegen. Gesucht ist die Temperatur in 80 cm Tiefe nach 20 Tagen. Wir lösen Gl. (14.26) nach T ( x, t) auf:

 T ( x,t) = TRand + ( T0 − TRand ) · erf

x √ 2 αt

 .

(14.29)

T ( x,t) = −5 ◦ C + 10 ◦ C · erf (0,717) = 1,89 ◦ C.

(14.30)

Einsetzen der Zahlenwerte ergibt:

396

Kapitel 14 Instationäre Wärmeleitung – Das perfekte Frühstücksei T in °C

2

-2 -4

1T ag

4

3

ge Ta

e e Tag Tag 0 age 20 1 40 T

Bodentiefe in m

Abb. 14.12: Temperaturverteilung in Abhängigkeit von der Bodentiefe im Verlauf der „Frostperiode“

Der numerische Wert für die Fehlerfunktion erf(0,717) = 0,689 kann dabei mit einer Mathematiksoftware oder per Online-Rechner ermittelt werden. Nach 20 Tagen ist die Temperatur in 80 cm Tiefe erst um 3 °C gesunken und liegt nun bei knapp 2 °C. Abb. 14.12 stellt den Temperaturverlauf in Abhängigkeit von der Tiefe für verschiedene Zeiten dar. Die Kurven zeigen, wie der Frost an der Oberfläche allmählich zur Abkühlung immer tieferer Bodenschichten führt. Der Regenwasserkanal ist (unter den hier angenommenen Bedingungen) nach 40 Tagen noch frostfrei. Eine Tiefe von 80 cm gilt in Deutschland allgemein als frostsicher; Kanalrohre werden daher mindestens so tief verlegt.

14.4.1 Kontakt zweier halbunendlicher Körper

Körper im thermodynamischen Gleichgewicht haben die gleiche Temperatur. Das gilt auch für die Stühle, die an einem der ersten Frühlingstage im Schatten vor einem Café stehen und die Passanten ermuntern sollen, die CappuccinoSaison zu eröffnen. Aber niemand glaubt an das thermodynamische Gleichgewicht, und die Erfahrung scheint es auch nicht zu bestätigen. Obwohl der Holzstuhl und der Metallstuhl beide die gleiche Temperatur von 15 °C haben, will sich niemand auf den Metallstuhl setzen, weil er „kälter“ ist als der Holzstuhl. Und auch der geschulte Thermodynamiker, der weiß, dass beide Stühle die gleiche Temperatur haben, mag seine bloßen Unterarme nicht auf die metallene Armlehne des eisernen Kaffeehausstuhls legen. Auf der Suche nach einer physikalischen Rechtfertigung für das Bevorzugen des „wärmeren Holzes“ werden verschiedene Größen ins Spiel gebracht, die an dem Effekt beteiligt sein müssten: die Wärmeleitfähigkeit (die für Metall größer ist) und die spezifische Wärmekapazität (die für Holz größer ist). Aber an welcher Größe liegt es wirklich? In der Regel wird die Diskussion ergebnislos dadurch beendet, dass der Kellner den Cappuccino bringt. Randbedingungen beim Kontakt zweier halbunendlicher Körper Zur Aufklärung des Problems stellen wir ein thermodynamisches Modell der Berührung von Mensch und Stuhl auf. Wir betrachten den Augenblick, in dem der Arm die Lehne berührt und fragen nach der Temperaturverteilung, die sich anschließend einstellt. Sowohl den Stuhl als auch das menschliche Gewe-

397

Abschnitt 14.4 Warum sich Metall kalt und Holz warm anfühlt

T

Körper A (Stuhl) Abb. 14.13: Bei der Berührung zweier halbunendlicher Körper stellt sich an der Berührungsfläche die Kontakttemperatur TKontakt ein.

T0A

T0B

TKontakt



QA

Körper B (Mensch)



QB x

be fassen wir als halbunendliche Körper auf, die nach der Berührung am Ort x = 0 aneinandergrenzen (Abb. 14.13). An der Berührungsstelle gleichen sich die Temperaturen an. Wir nehmen an, dass sich ausgehend von den Anfangstemperaturen T0A und T0B eine zeitlich konstante, aber zunächst noch unbekannte Kontakttemperatur TKontakt einstellt. Die Temperaturverteilungen in beiden halbunendlichen Körpern werden durch Gl. (14.26) mit den jeweiligen Materialparametern beschrieben. Für den sich nach links erstreckenden Körper muss dabei x durch − x ersetzt werden. Kontakttemperatur Die Kontakttemperatur lässt sich aus der Energieerhaltung ermitteln. Wir betrachten ein System, das eine beliebig kleine Umgebung der Berührungsstelle umfasst. Die Energieerhaltung erfordert, dass bei konstanter Temperatur die vom Menschen abgegebene Wärme vollständig vom Stuhl aufgenommen werden muss. An der Kontaktstelle x = 0 muss daher gelten: Q˙ A x=0 + Q˙ B x=0 = 0. (14.31) Die Wärmeübertragungsrate an der rechten Systemgrenze ergibt sich aus dem Fourier-Gesetz durch Differentiation von Gl. (14.29). Die Rechnung ist einfach: Die Ableitung des Integrals in Gl. (14.27) ist schlicht der Integrand; nur die Kettenregel ist bei der Differentiation zu beachten. ∂T Q˙ B x=0 = λB · A · ∂x x=0

= λB · A · ( T0B − TKontakt ) · √

1 . παB t

(14.32)

Setzt man den analogen Ausdruck für die linke Systemgrenze ein, nimmt die Bedingung (14.31) die folgende Gestalt an: 1 1 −λA · ( T0A − TKontakt ) · √ = λB · ( T0B − TKontakt ) · √ . αA αB

(14.33)

398

Kapitel 14 Instationäre Wärmeleitung – Das perfekte Frühstücksei

Hierbei bezeichnen die Indizes A und B die thermischen Parameter der beiden Körper. Gleichung (14.33) lässt sich nach TKontakt auflösen, und es ergibt sich die gesuchte Formel zur Berechnung der Kontakttemperatur zweier halbunendlicher Körper. Kontakttemperatur zweier halbunendlicher Körper: TKontakt =

bA T0A + bB T0B . bA + bB

(14.34)

Die Kontakttemperatur der beiden Körper wird somit durch einen „gewichteten Mittelwert“ bestimmt, wobei die Gewichtungskoeffizienten p b = λ·ρ·c (14.35) von Wärmeleitfähigkeit, spezifischer Wärmekapazität und Dichte der jeweiligen Materialien abhängen. Kontakttemperatur und Temperaturempfindung Mit dem Ergebnis (14.34) lässt sich das Rätsel um das „warme Holz“ und das „kalte Metall“ aufklären: Die Berührung von Arm und Stuhllehne, die als halbunendliche Körper mit den Anfangstemperaturen T0B und T0A beschrieben werden, führt zum Einstellen einer Kontakttemperatur TKontakt an der Berührungsstelle, die niedriger als die Körpertemperatur ist. Die Thermorezeptoren, die für das Wärme- und Kälteempfinden des Menschen verantwortlich sind, befinden sich dicht unter der Hautoberfläche und registrieren diese Temperatur. Die unterschiedliche „Wärmeempfindung“ bei der Berührung von Holz- und Metallgegenständen gleicher Temperatur beruht daher nicht nur auf Einbildung, sondern es liegt ihr ein realer physikalischer Effekt zugrunde. Je größer der Gewichtungsfaktor b für ein Material, umso stärker tendiert die Kontakttemperatur zur Anfangstemperatur des betreffenden Körpers. Ein Stuhl fühlt sich also dann besonders „kalt“ an, wenn er eine hohe Wärmeleitfähigkeit, eine große spezifische Wärmekapazität und eine hohe Dichte hat. Beispielaufgabe: Ermitteln Sie die Kontakttemperatur, die sich einstellt, wenn sich eine Person (a) auf einen Stuhl aus Eisen und (b) auf einen Stuhl aus Holz setzt. Die Anfangstemperatur beider Stühle beträgt 15 °C. Lösung: Zur Berechnung der Kontakttemperaturen benötigen wir Wärmeleitfähigkeit, spezifische Wärmekapazität und Dichte der beteiligten Materialien. Aus den Tabellen im Anhang erhalten wir für Eisen und Nadelholz:

λEisen = 80

W , m·K

ρEisen = 7900

kg , m3

cEisen = 450

J , kg · K

(14.36)

399

Abschnitt 14.4 Warum sich Metall kalt und Holz warm anfühlt

(a)

(b)

T in °C 35

T in °C 35

30

Eisen

30

Mensch

25

Holz

Mensch

25

20

20

x in cm

x in cm -2

1

-1

2 -2

1

-1

2

Abb. 14.14: Temperaturverteilung nach 60 s beim Kontakt zwischen (a) Mensch und Eisen, (b) Mensch und Holz

λHolz = 0,13

W , m·K

ρHolz = 600

kg , m3

cHolz = 1700

J . kg · K

(14.37)

Für das menschliche Gewebe (Haut und Muskeln) legen wir folgende Daten zugrunde:

λMensch = 0,46

W , m·K

ρMensch = 1030

kg , m3

J . kg · K

(14.38)

√ W s = 1162 2 . m ·K

(14.39)

cMensch = 2850

Damit ergibt sich für die Parameter b:

bEisen

√ W s = 16864 2 , m ·K

bHolz

√ W s = 364 2 , m ·K

bMensch

Die Kontakttemperaturen lassen sich nun aus Gl. (14.34) berechnen, wenn wir für die Körpertemperatur des Menschen 37 °C und für die Anfangstemperatur der Stühle 15 °C einsetzen: TMensch-Eisen = 16,4 ◦ C,

TMensch-Holz = 31,8 ◦ C.

(14.40)

Die Kontakttemperaturen für Holz- und Eisenstühle unterscheiden sich deutlich. Dies ist auch in Abb. 14.14 erkennbar, wo die Temperaturverteilung nach 60 Sekunden im Berührungsbereich zwischen Stuhl und menschlichem Gewebe dargestellt ist. In den äußeren Hautschichten, wo sich die Temperaturrezeptoren befinden, herrscht im Fall des Eisenstuhls eine wesentlich niedrigere Temperatur als beim Holzstuhl. Damit wird verständlich, weshalb Metallstühle sich kalt anfühlen, Holzstühle aber warm.

Anhang A: Literatur und Bildnachweis An einigen Stellen im Text werden Inhalte aus der Mechanik benötigt. Mit „Band I“ wird auf den ersten Band dieser kontextorientierten Lehrbuchreihe verwiesen: R. Müller, Klassische Mechanik – vom Weitsprung zum Marsflug, Berlin: de Gruyter (4 2021). Allgemeine Lehrbücher zur Thermodynamik Ein Standardwerk aus der theoretischen Physik, das die Thermodynamik in einem axiomatischen Zugang aus nur wenigen Grundannahmen aufbaut: H. B. Callen, Thermodynamics and an Introduction to Thermostatistics, New York: Wiley (2 1985). Ein weiterer Klassiker der theoretischen Physik: A. Sommerfeld, Vorlesungen über Theoretische Physik, Bd. V: Thermodynamik und Statistik, Thun/Frankfurt: Harri Deutsch (1985). Dieses kleine Buch geht nicht – wie es sonst oft geschieht – über kritische begriffliche Schlüsselstellen sorglos hinweg, sondern sie werden angesprochen und aufgeklärt: W. Döring, Einführung in die Theoretische Physik IV: Thermodynamik, Berlin: de Gruyter (1956). Einen ingenieurwissenschaftlichen und stark von Beispielen und Anwendungen geprägten Zugang verfolgen die beiden folgenden amerikanischen Lehrbücher: Y. A. Çengel, M. A. Boles, Thermodynamics: An Engineering Approach, New York: McGraw Hill (9 2019). M. J. Moran et al., Fundamentals of Engineering Thermodynamics, Hoboken: Wiley (9 2018). Die deutschsprachigen Lehrbücher aus den Ingenieurwissenschaften sind deutlich strenger, aber auch gründlicher als ihre amerikanischen Gegenstücke: H. D. Baehr, S. Kabelac, Thermodynamik: Grundlagen und technische Anwendungen, Heidelberg: Springer (16 2016). G. Cerbe, G. Wilhelms, Technische Thermodynamik: Theoretische Grundlagen und praktische Anwendungen, München: Hanser (19 2021). Kapitel 1: Drei Bücher, die sich mit den physikalischen und chemischen Aspekten des Kochens beschäftigen: Peter Barham, Die letzten Geheimnisse der Kochkunst, Berlin: Springer (2001). Werner Gruber, Die Genussformel, Salzburg: Ecowin (2008). Hervé This-Benckhardt, Rätsel und Geheimnisse der Kochkunst, München: Piper (2001).

402

Anhang A: Literatur und Bildnachweis

Kapitel 2: Zitierte Literatur: E. Gerland, Leibnizens und Huygens’ Briefwechsel mit Papin, Berlin: Verlag der Königlichen Akademie der Wissenschaften (1881). Online verfügbar unter: commons.wikimedia.org/wiki/File:Gerland_1881_Biographie_Denis_Papin.pdf.

U. Thoms, Anstaltskost im Rationalisierungsprozeß, Stuttgart: Steiner (2005). K. J. Laidler, Unconventional Applications of the Arrhenius Law, J. Chem. Ed. 49, S. 343 (1972). Kapitel 3: Die „Schwammtheorie der Luftfeuchtigkeit“ wird im folgenden, insgesamt recht unkonventionellen Buch über die Physik der Atmosphäre heftig verurteilt: C. A. Bohren, B. A. Albrecht, Atmospheric Thermodynamics, Oxford: Oxford University Press (1998). Im Kapitel zitierte Literatur: R. A. Hutchinson, J. A. Westphal, S. W. Kieffer, In situ observations of Old Faithful Geyser, Geology 25, S. 875 (1997). S. W. Kieffer, J. A. Westphal, R. A. Hutchinson, A Journey Toward the Center of the Earth, Yellowstone Science 3, S. 3 (1995). R. Bunsen, Physikalische Beobachtungen über die hauptsächlichsten Geisir Islands, Ann. Phys. Chem. 148, S. 159 (1847). C. Darwin, Die Fahrt der Beagle, Hamburg: Mare (2006). Kapitel 4: Literatur zu den Erfindungen Drebbels, ihren Nachwirkungen und den wissenschaftlichen Umständen seiner Zeit: A. Borrelli, Die bewegende Kraft des Feuers – Naturgeheimnisse und „nutzlose“ Technik in der frühen Neuzeit, Praxis der Naturwissenschaften – Physik in der Schule 4/59, S. 5 (2010). A. Clausing, Cornelius Drebbel: Ein vergessener Pionier der Moderne, Spektrum der Wissenschaft, Juli 2011, S. 88. A. Marr, Gentille curiosité: Wonder-working and the culture of automata in the late Renaissance, in: R. J. W. Evans, A. Marr (Hrsg.), Curiosity and Wonder from the Renaissance to the Enlightenment, Aldershot: Ashgate (2006). Kapitel 5: Im Kapitel zitierte Literatur zur kinetischen Gastheorie: S. Chandrasekhar, Stochastic Problems in Physics and Astronomy, Rev. Mod. Phys. 15, S. 1 (1943). A. Einstein, Über die von der molekularkinetischen Theorie der Wärme geforderte Bewegung von in ruhenden Flüssigkeiten suspendierten Teilchen, Ann. d. Phys. 17, S. 549 (1905). M. v. Smoluchowski, Zur kinetischen Theorie der Brownschen Molekularbewegung und der Suspensionen, Ann. d. Phys. 21, S. 756 (1906). J. Blum et al., Measurement of the Translational and Rotational Brownian Motion of Individual Particles in a Rarefied Gas, Phys. Rev. Lett. 97, 230601 (2006).

Anhang A: Literatur und Bildnachweis

403

J. C. Maxwell, Illustrations of the Dynamical Theory of Gases. Phil. Mag. 19, S. 19 (1860). S. Ganci, Determination of the mean velocity of a molecule, Am. J. Phys. 71, S. 267 (2003). Die Originalarbeit von Robert Brown findet man auf der Webseite des New York Botanical Garden: sciweb.nybg.org/science2/pdfs/dws/Brownian.pdf. Kapitel 6: Literatur zu den energetischen Aspekten von Backöfen: G. E. Wegner, Elektrische Haushaltsgeräte – Technik und Service, Heidelberg: Hüthig & Pflaum (2008). P. Kasanen (Hrsg.), Efficient Domestic Ovens (Save II Project, Final Report), Helsinki (2000). Bohren und Albrecht (1998) plädieren beredt für die Vermeidung von Differentialen in der Thermodynamik. Sie gehen deshalb zu Zeitableitungen über. Die Einführung eines Kontrollparameters erschien mir nur wenig aufwändiger, dafür aber allgemeiner und leichter verständlich. Eine ausführliche quantenstatistische Diskussion der Wärmekapazität ein- und zweiatomiger Gase findet man in: F. Bloch, Fundamentals of Statistical Mechanics. Manuscript and Notes of Felix Bloch, hrsg. v. J. D. Walecka, Singapur: World Scientific (1989). Weitere Literatur, die in diesem Kapitel zitiert wird: J. W. Strutt (Lord Rayleigh), The Law of Partition of Kinetic Energy, Phil. Mag. 49, S. 98 (1900). M. Boschmann et al., Water-Induced Thermogenesis, Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism 88, S. 6015 (2003). Kapitel 7: Eine umfangreiche Quelle zur Thermodynamik der Atmosphäre ist das bereits zitierte Buch von Bohren und Albrecht (1998). Über die Drachenexperimente von Wilson und Melvill wird berichtet in: P. Wilson, Biographical Account of Alexander Wilson, Annals of Philosophy, 12, S. 321 (1826). Gleitschirm- und Segelfliegern gibt das folgende Buch eine Fülle von Erklärungen und praktischen Hinweisen zum Thema Thermik: B. Martens, Das Thermikbuch für Gleitschirm- und Drachenflieger, Gaißach: Thermikwolke (4 2014). W. Hirth, P. Supf, Zwölf Gebote für Segelflieger, Reutlingen: Ensslin & Laiblin (1951). Kapitel 8: Die Daten zum Energiebedarf der privaten Haushalte stammen aus der Denkschrift „Elektrizität: Schlüssel zu einem nachhaltigen und klimaverträglichen Energiesystem“, die 2010 von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft erstellt wurde, online verfügbar unter: www.dpg-physik.de/veroeffentlichungen/publikationen/studien-der-dpg/studie-elektrizitaet.

404

Anhang A: Literatur und Bildnachweis

Die Ergebnisse des Fraunhofer-ISE-Feldtests von Wärmepumpen im Bestand werden im Abschlussbericht wiedergegeben, der auf der Projekt-Homepage verfügbar ist: www.ise.fraunhofer.de/de/forschungsprojekte/wpsmart-im-bestand.html. Kapitel 9: Das oben zitierte Buch von Callen (1985) gibt eine axiomatische Einführung in die Thermodynamik, die wesentlich auf dem Begriff der Entropie aufbaut. Die Entropiedefinition von Lieb und Yngvason wird in den folgenden Arbeiten erläutert: E. H. Lieb, J. Yngvason, The Physics and Mathematics of the Second Law of Thermodynamics, Phys. Rep. 310, S. 1 (1999). E. H. Lieb, J. Yngvason, A Fresh Look at Entropy and the Second Law of Thermodynamics, Physics Today 53, S. 32 (April 2000). E. H. Lieb, J. Yngvason, A guide to entropy and the second law of thermodynamics. Notices of the AMS 45, S. 571 (1998). A. Thess, Das Entropieprinzip, München: Oldenbourg (2007). Zwei Bücher, die sich mit der Entropie und ihrer Bedeutung beschäftigen: J. Dugdale, Entropy and its Physical Meaning, London: Taylor & Francis (2 1996). J. Zernike, Entropy. The Devil on the Pillion. A Popular Exposition, Deventer: Kluwer (1972). Die Deutung der Entropie als „Verfügbarkeit von Energie“ wird am klarsten im folgenden – heute recht vergessenen – Buch diskutiert: G. A. Goodenough, Principles of Thermodynamics, New York: Holt (3 1920). Online verfügbar unter: www.archive.org/details/cu31924004617167. Die im vorliegenden Buch eingeführte Entropiedefinition wird im folgenden Artikel näher begründet: R. Müller, What, if anything, is entropy trying to tell us. Proceedings of the International Conference on Physics Education (ICPE), Prague, S. 750 (2013). Kapitel 10: Die klassischen Formulierungen des zweiten Hauptsatzes (Carnot, Clausius, Kelvin-Planck) finden sich in praktisch allen Lehrbüchern der Thermodynamik. Die Formulierung der Entropiebilanz mit ∆i S und ∆e S geht auf Prigogine zurück (eine äquivalente Formulierung gibt in der deutschsprachigen Literatur z. B. Baehr (2016)): I. Prigogine, D. Kondepudi, Modern Thermodynamics: From Heat Engines to Dissipative Structures, Chichester: Wiley (1998). Kapitel 11: Die mikroskopische Deutung der Entropiezunahme als Zerstreuung von Energie wird engagiert von Leff vertreten: H. S. Leff, Thermodynamic entropy: The spreading and sharing of energy, Am. J. Phys. 64, S. 1261 (1996). Der statistische Zugang über das Abzählverfahren ist besonders verständlich dargestellt in den bereits erwähnten Büchern von Callen (1985), Dugdale (1996) sowie: T. A. Moore, D. V. Schroeder, A different approach to introducing statistical mechanics, Am. J. Phys. 65, S. 26 (1997).

Anhang A: Literatur und Bildnachweis

405

Zum Zusammenhang zwischen Entropie und Information: M. W. Wolkenstein, Entropie und Information, Thun: Harri Deutsch (1990). H. Hinrichsen, Entropie entmystifiziert, Physik in unserer Zeit 43, S. 246 (2012). Viele fundamentale Fragestellungen werden in dem folgenden Übersichtsartikel angesprochen: J. L. Lebowitz, Statistical mechanics: A selective Review of Two Central Issues, Rev. Mod. Phys. 71, S. 346 (1999). Eine fundierte Darstellung der Debatte um Boltzmanns H -Theorem und der weiteren Entwicklung der Nichtgleichgewichts-Thermodynamik gibt: M. Dresden, Non-Equilibrium Statistical Mechanics or the Vagaries of Time Evolution, in: L. M. Brown, A. Pais, B. Pippard (Hrsg.), Twentieth Century Phyics, Bristol: IOP & AIP (1995), S. 585. Die Begründung der Boltzmann-Verteilung ist in der Orginalarbeit von 1877 schon völlig klar dargestellt und konnte für das vorliegende Buch nur mathematisch vereinfacht werden (Herleitung ohne Lagrange-Multiplikatoren): L. Boltzmann, Über die Beziehung zwischen dem zweiten Hauptsatze der mechanischen Wärmetheorie und der Wahrscheinlichkeitsrechnung . . . (1877), in: Wissenschaftliche Abhandlungen, Band II, Leipzig: J. A. Barth (1909), S. 164. Kapitel 12: Kraftwerksprozesse sind ein Standardthema in allen ingenieurwissenschaftlichen Thermodynamik-Büchern. Viele Angaben zu solarthermischen Kraftwerken und insbesondere die Beispielaufgabe auf S. 323 wurden dem folgenden informativen Artikel entnommen: M. Eck, Solarthermische Kraftwerke, Praxis der Naturwissenschaften – Physik in der Schule 1/60, S. 11 (2011). Kapitel 13: Die Umstände bei den Messungen zur Windchill-Formel werden in den folgenden Abhandlungen lebendig geschildert: P. A. Siple, C. F. Passel, Measurements of Dry Atmospheric Cooling in Subfreezing Temperatures, Proceedings of the American Philosophical Society 89, S. 177 (1945). R. E. Goerler, Interview of Charles F. Passel (February 13–14, 2000), Ohio State University Knowledge Bank: hdl.handle.net/1811/6040. C. F. Passel, Ice: The Antarctic Diary of Charles F. Passel, Lubbock: Texas Tech University Press (1995). Zwei ausgezeichnete Bücher, die sich ausführlich mit den Gesetzen der Wärmeübertragung befassen: Y. A. Çengel, Heat Transfer – A Practical Approach, Boston: McGraw-Hill (1998). J. P. Holman, Heat Transfer, New York: McGraw-Hill (10 2009).

406

Anhang A: Literatur und Bildnachweis

Weitere im Kapitel zitierte Literatur: R. Osczevski, M. Bluestein, The New Wind Chill Equivalent Temperature Chart, Bulletin of the American Meteorological Society 86, S. 1453 (2005). J. M. Marr, F. P. Wilkin, A better presentation of Planck’s radiation law, Am. J. Phys. 80, S. 399 (2012). H. v. Helmholtz, Über die Entstehung des Planetensystems (1871), in: Vorträge und Reden, Band 2, Braunschweig: Vieweg. (4 1896), S. 53. Online verfügbar unter urn:nbn:de:bsz:16-opus-125417. S. S. Voss, Snap Reactor Overview, Air Force Weapons Laboratory, Kirtland Air Force Base, NM 87 117, Report No. AFWL-TN-84-14 (1984). E. M. Sparrow, J. P. Abraham, J. C. K. Tong, Archival correlations for average heat transfer coefficients for non-circular and circular cylinders and for spheres in cross-flow, International Journal of Heat and Mass Transfer 47, S. 5285 (2004). A. Žukauskas, Convective heat transfer in cross flow, in: S. Kakaç, R. K. Shah, W. Aung (Hrsg.), Handbook of single-phase convective heat transfer, New York: Wiley (1987). Kapitel 14: Im Kapitel zitierte Literatur: A. Sommerfeld, Vorlesungen über Theoretische Physik, Bd. VI: Partielle Differentialgleichungen der Physik, Thun/Frankfurt: Harri Deutsch (6 1978). C. Williams, New Scientist, 13. Juni 1998, S. 105. R. Berger, D. Schwarz, Wie lange muss ein Ei kochen?, Praxis der Naturwissenschaften – Physik in der Schule, 3/57, S. 15 (2008). M. Bernardi et al., Forced convection to laminar flow of liquid egg yolk in circular and annular ducts, Brazilian Journal of Chemical Engineering, 26, S. 287 (2009). Loriot, Liebesbriefe, Kochrezepte und andere Katastrophen, Deutsche Grammophon-Gesellschaft (1984).

Anhang A: Literatur und Bildnachweis

407

Bildnachweis Abengoa Solar: 12.5. Argonne National Laboratory: 1.5 (b). Bilfinger Berger: 12.6. Joseph Berger, Bugwood.org: S. 45. Roland Berger: S. 379, 14.7. Bundesarchiv: 6.11 (Bild 183-61662-0003). Cornell University Library: 2.13 (a). E. Cornell, A. Wieman, S. 113. Daikin Airconditioning Germany: 8.12. Dreamstime: Smontgom65 3.1, lmaster S. 97. Fissler: S. 13, 2.13 (b), 2.15. flickr: Scion Cho S. 1; Alfred Diem 1.3; Geoff Peters 1.7; Peter Nijenhuis S. 47; Stig Nygaard 3.6; big-ashb 3.7; Charles Roffey 3.11 (links); Scott Akerman 3.11 (rechts); Oskar Karlin 3.13; Chris Willis 3.16; Feuillu 3.19: „through the foggy window“; Jonathan Goforth 3.18; Eric Wittmann 6.2; Nick Ares 6.26; James Gordon 7.4; Jackie 7.9; John Gronberg 7.10; Kables 7.15; mertonium S. 209; Michael Himbeault S. 267; Gabriel Garcia Marengo 10.1; Dennis Skley S. 295; Martin Cathrae 13.13; Jenny Downing 13.20. Harper’s New Monthly Magazine, No. 231, August, 1869: 9.6. Lewis Hine: S. 241, 9.4. Torsten Hinz: 14.1. Historical Society of Tacony, USA: 12.1, 12.4, 12.3. Susan W. Kieffer: 3.3. Library of Congress, Prints & Photographs Division: 2.1, S. 129. Météo-France: 7.1. Mathias Müller: 3.19, 13.15. NASA: 13.16. National Park Service Photo Gallery: Watson 3.2. Charles F. Passel, Byrd Polar Media: S. 335, 13.1, 13.2. pixelio: Dennis Brandt 1.7; S. Hainz 2.5. Charles Shirley (U. S. Navy): 13.3. Siemens-Pressebild: 10.18, S. 315; 12.9. Silit: 2.16. Stiebel Eltron: 8.11. Walters Art Museum, Baltimore: S.79; 4.1. Wikimedia Commons: 1.4; Nevit Dilmen 1.5 (a); Marcel Müller 1.1; 2.14; 2.18; Haneburger 3.20; S. 94; 7.7; 10.7; Aarchiba 13.23. Alle Grafiken stammen vom Autor, sofern nicht anders angegeben.

Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

410

Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

Tab. B.1: Wasserdampftafel, Sättigungszustand (nach IAPWS-IF97) Temperatur T und zugehöriger Sättigungsdampfdruck p in bar (1 bar = 100 kPa), spezifisches Volumen v, Enthalpie h, Verdampfungsenthalpie ∆hfg , Entropie s. Der Index f (wie bei vf ) bezieht sich auf die siedende Flüssigkeit, der Index g (z. B. vg ) bezeichnet den gesättigten Dampf.

T

p

vf

vg

∆hfg

hg

°C

bar

m3 /kg

m3 /kg

kJ/kg

kJ/kg

kJ/kg

0,01 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 80 90 100 110 120 130 140 150 160 170 180 190 200 220 240 260 280 300 320 340 360 373,95

0,006 0,009 0,012 0,017 0,023 0,032 0,043 0,056 0,074 0,096 0,12 0,16 0,20 0,25 0,31 0,47 0,70 1,01 1,43 1,99 2,70 3,62 4,76 6,18 7,92 10,03 12,55 15,55 23,19 33,47 46,92 64,16 85,88 112,84 146,00 186,60 220,64

0,0010002 0,0010001 0,0010004 0,0010010 0,0010018 0,0010030 0,0010044 0,0010060 0,0010079 0,0010099 0,0010121 0,0010145 0,0010171 0,0010199 0,0010228 0,0010290 0,0010359 0,0010435 0,0010516 0,0010603 0,0010697 0,0010798 0,0010905 0,0011020 0,0011143 0,0011274 0,0011414 0,0011565 0,0011902 0,0012295 0,0012761 0,0013329 0,0014042 0,0014991 0,0016375 0,0018950 0,0031059

206,00 147,02 106,31 77,88 57,76 43,34 32,88 25,21 19,52 15,25 12,03 9,565 7,668 6,194 5,040 3,405 2,359 1,672 1,209 0,891 0,668 0,509 0,393 0,307 0,243 0,194 0,156 0,127 0,0861 0,0597 0,0422 0,0302 0,0217 0,0155 0,0108 0,0070 0,0031

0 21 42 63 84 105 126 147 168 188 209 230 251 272 293 335 377 419 461 504 546 589 632 676 719 763 808 852 944 1038 1135 1237 1345 1462 1594 1762 2075

2501 2489 2477 2465 2454 2442 2430 2418 2406 2394 2382 2370 2358 2345 2333 2308 2283 2256 2230 2202 2174 2144 2114 2081 2049 2014 1978 1940 1857 1766 1662 1543 1405 1239 1028 720 25

2501 2510 2519 2528 2537 2547 2556 2565 2574 2582 2591 2600 2609 2618 2626 2643 2660 2676 2691 2706 2720 2733 2746 2757 2768 2777 2785 2792 2801 2803 2797 2780 2750 2701 2622 2481 2100

hf

sf

sg

kJ/(kg K)

0,00 0,08 0,15 0,22 0,30 0,37 0,44 0,51 0,57 0,64 0,70 0,77 0,83 0,89 0,96 1,08 1,19 1,31 1,42 1,53 1,63 1,74 1,84 1,94 2,04 2,14 2,24 2,33 2,52 2,70 2,88 3,07 3,25 3,45 3,66 3,92 4,39

9,16 9,02 8,90 8,78 8,67 8,56 8,45 8,35 8,26 8,16 8,07 7,99 7,91 7,83 7,75 7,61 7,48 7,35 7,24 7,13 7,03 6,93 6,84 6,75 6,67 6,58 6,51 6,43 6,28 6,14 6,00 5,86 5,71 5,54 5,34 5,05 4,43

411

Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

Tab. B.2: Wasserdampftafel, überhitzter Dampf (nach IAPWS-IF97) Druck p, Temperatur T , spezifisches Volumen v, Enthalpie h, Entropie s. Zu jedem Druck gehören die beiden rechts davon stehenden Temperaturblöcke.

p

T

v

h

s

T

v

h

s

bar

°C

m3 /kg

kJ/kg

kJ/(kg K)

°C

m3 /kg

kJ/kg

kJ/(kg K)

0,4

100 150 200 250 300

4,28 4,87 5,45 6,03 6,61

2684 2781 2878 2977 3076

7,80 8,05 8,26 8,46 8,64

350 400 450 500 600

7,19 7,76 8,34 8,92 10,07

3177 3280 3384 3489 3706

8,81 8,97 9,12 9,26 9,52

0,8

100 150 200 250 300

2,13 2,43 2,72 3,01 3,30

2679 2778 2876 2975 3075

7,47 7,72 7,94 8,14 8,32

350 400 450 500 600

3,59 3,88 4,17 4,46 5,04

3176 3279 3383 3489 3706

8,49 8,65 8,80 8,94 9,20

1

100 150 200 250 300

1,70 1,94 2,17 2,41 2,64

2676 2777 2876 2975 3075

7,36 7,61 7,84 8,03 8,22

350 400 450 500 600

2,87 3,10 3,33 3,57 4,03

3176 3279 3383 3489 3706

8,39 8,55 8,69 8,84 9,10

1,5

150 200 250 300 350

1,29 1,44 1,60 1,76 1,91

2773 2873 2973 3073 3175

7,42 7,64 7,85 8,03 8,20

400 450 500 550 600

2,07 2,22 2,38 2,53 2,68

3278 3382 3488 3596 3705

8,36 8,51 8,65 8,78 8,91

2

150 200 250 300 350

0,96 1,08 1,20 1,32 1,43

2769 2871 2971 3072 3174

7,28 7,51 7,71 7,89 8,06

400 450 500 550 600

1,55 1,67 1,78 1,90 2,01

3277 3382 3488 3595 3705

8,22 8,37 8,52 8,65 8,78

4

150 200 250 300 350

0,47 0,53 0,60 0,65 0,71

2753 2861 2965 3067 3170

6,93 7,17 7,38 7,57 7,74

400 450 500 550 600

0,77 0,83 0,89 0,95 1,01

3274 3379 3486 3594 3703

7,90 8,05 8,19 8,33 8,46

8

200 250 300 350 400

0,26 0,29 0,32 0,35 0,38

2840 2951 3057 3162 3268

6,82 7,04 7,23 7,41 7,57

450 500 550 600 650

0,41 0,44 0,47 0,50 0,53

3374 3481 3590 3700 3812

7,73 7,87 8,01 8,14 8,26

412

Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

Tab. B.3: Dampftafel für das Kältemittel R-134a, Sättigungszustand Temperatur T und zugehöriger Sättigungsdampfdruck p in bar, spezifisches Volumen v, Enthalpie h, Verdampfungsenthalpie ∆hfg , Entropie s.1 Der Index f (wie bei vf ) bezieht sich auf die siedende Flüssigkeit, der Index g (z. B. vg ) bezeichnet den gesättigten Dampf.

T

p

vf

vg

∆hfg

hg

°C

bar

m3 /kg

m3 /kg

kJ/kg

kJ/kg

kJ/kg

−40 −37 −34 −31 −28 −25 −22 −19 −16 −13 −10 −7 −4 −1 2 5 8 11 14 17 20 23 26 29 32 35 38 41 44 47 50

0,51 0,60 0,70 0,80 0,93 1,06 1,22 1,39 1,57 1,78 2,01 2,25 2,53 2,82 3,15 3,50 3,88 4,29 4,73 5,21 5,72 6,27 6,85 7,48 8,15 8,87 9,63 10,44 11,30 12,21 13,18

0,000705 0,000710 0,000714 0,000719 0,000723 0,000728 0,000733 0,000738 0,000743 0,000748 0,000754 0,000759 0,000765 0,000770 0,000776 0,000782 0,000789 0,000795 0,000802 0,000809 0,000816 0,000824 0,000831 0,000839 0,000848 0,000857 0,000866 0,000875 0,000885 0,000896 0,000907

0,3611 0,3122 0,2711 0,2363 0,2068 0,1816 0,1601 0,1415 0,1255 0,1116 0,0996 0,0891 0,0799 0,0718 0,0647 0,0584 0,0528 0,0479 0,0434 0,0395 0,0360 0,0328 0,0300 0,0274 0,0251 0,0230 0,0211 0,0194 0,0178 0,0164 0,0151

148,14 151,92 155,71 159,52 163,34 167,19 171,05 174,93 178,83 182,75 186,70 190,66 194,65 198,66 202,69 206,75 210,84 214,95 219,09 223,26 227,47 231,70 235,97 240,28 244,62 249,01 253,43 257,91 262,43 267,00 271,62

225,86 223,98 222,09 220,17 218,23 216,26 214,27 212,24 210,19 208,10 205,96 203,81 201,60 199,36 197,08 194,74 192,36 189,93 187,44 184,89 182,28 179,61 176,87 174,05 171,16 168,18 165,12 161,95 158,68 155,31 151,82

374,00 375,90 377,80 379,69 381,57 383,45 385,32 387,17 389,02 390,85 392,66 394,47 396,25 398,02 399,77 401,49 403,20 404,88 406,53 408,15 409,75 411,31 412,84 414,33 415,78 417,19 418,55 419,86 421,11 422,31 423,44

1

hf

sf

sg

kJ/(kg K)

0,796 0,812 0,828 0,843 0,859 0,875 0,890 0,905 0,921 0,936 0,951 0,966 0,980 0,995 1,010 1,024 1,039 1,053 1,068 1,082 1,096 1,111 1,125 1,139 1,153 1,167 1,181 1,195 1,209 1,223 1,238

1,764 1,760 1,756 1,753 1,749 1,746 1,743 1,740 1,738 1,736 1,733 1,731 1,729 1,728 1,726 1,725 1,723 1,722 1,720 1,719 1,718 1,717 1,716 1,715 1,714 1,713 1,712 1,711 1,710 1,709 1,707

Daten aus: E. W. Lemmon, M. O. McLinden and D. G. Friend, „Thermophysical Properties of Fluid Systems“, in: NIST Chemistry WebBook, NIST Standard Reference Database Number 69, Eds. P. J. Linstrom and W. G. Mallard, National Institute of Standards and Technology, Gaithersburg, online verfügbar unter: webbook.nist.gov.

413

Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

Tab. B.4: Dampftafel für das Kältemittel R-134a, überhitzter Dampf Druck p, Temperatur T , spezifisches Volumen v, Enthalpie h, Entropie s. Die Siedetemperatur beim jeweiligen Druck ist fett gedruckt. Datenquelle wie Tabelle B.3.

p

T

v

h

s

T

v

h

s

bar

°C

m3 /kg

kJ/kg

kJ/(kg K)

°C

m3 /kg

kJ/kg

kJ/(kg K)

1,39

−19 −10 −5 0 5

0,142 0,147 0,151 0,154 0,157

387,17 394,53 398,64 402,77 406,92

1,740 1,769 1,784 1,799 1,814

10 20 30 40 50

0,160 0,167 0,173 0,179 0,186

411,10 419,55 428,14 436,86 445,73

1,829 1,859 1,888 1,916 1,944

2,0

−10 −5 0 5 10

0,100 0,102 0,105 0,107 0,110

392,66 396,94 401,20 405,45 409,73

1,733 1,750 1,765 1,781 1,796

20 30 40 50 60

0,114 0,119 0,123 0,128 0,132

418,33 427,04 435,87 444,83 453,92

1,826 1,855 1,884 1,912 1,940

3,15

2 15 10 15 20

0,065 0,066 0,067 0,069 0,070

399,77 402,47 406,96 411,44 415,91

1,726 1,736 1,752 1,767 1,783

25 30 40 50 60

0,072 0,074 0,077 0,080 0,082

420,39 424,89 433,93 443,07 452,32

1,798 1,813 1,842 1,871 1,899

4,29

11 15 20 25 30

0,048 0,049 0,050 0,051 0,053

404,88 408,65 413,33 417,99 422,63

1,722 1,735 1,751 1,767 1,782

35 40 50 60 70

0,054 0,055 0,057 0,060 0,062

427,28 431,93 441,27 450,69 460,20

1,797 1,812 1,842 1,870 1,899

5,72

20 25 30 35 40

0,036 0,037 0,038 0,039 0,040

409,75 414,70 419,59 424,44 429,27

1,718 1,735 1,751 1,767 1,782

45 50 55 60 70

0,041 0,042 0,043 0,044 0,045

434,09 438,91 443,73 448,56 458,27

1,798 1,813 1,828 1,842 1,871

6,85

26 30 35 40 45

0,030 0,031 0,032 0,033 0,033

412,84 416,96 422,03 427,03 432,00

1,716 1,730 1,746 1,762 1,778

50 55 60 65 70

0,034 0,035 0,036 0,036 0,037

436,94 441,88 446,81 451,74 456,69

1,793 1,809 1,824 1,838 1,853

8,87

35 40 45 50 55

0,023 0,024 0,025 0,025 0,026

417,19 422,62 427,94 433,17 438,35

1,713 1,730 1,747 1,763 1,779

60 65 70 75 80

0,027 0,027 0,028 0,028 0,029

443,50 448,62 453,73 458,84 463,95

1,795 1,810 1,825 1,840 1,855

414

Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

Tab. B.5: Taupunkttabelle für Wasser Taupunkttemperatur in °C als Funktion der Temperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit (berechnete Werte). Zum Ermitteln des Sättigungsdampfdrucks wurde die empirische Näherungsformel nach Magnus verwendet. Bei Temperaturen unter 0 °C kommt es bevorzugt zur Reifbildung, und man spricht von der Reifpunkttemperatur. Zu ihrer Berechnung wurde der Sättigungsdampfdruck über Eis zugrunde gelegt.

T in °C 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32

relative Luftfeuchtigkeit 20 % 30 % 40 % 50 %

−18 −17 −16 −16 −15 −14 −13 −12 −11 −10 −10 −9 −8 −7 −6 −5 −4 −3 −3 −2 −1 0 0 0 0 0 1 2 3 4 5 5 6

−14 −13 −12 −11 −10 −9 −8 −8 −7 −6 −5 −4 −3 −2 −1 0 0 0 0 1 2 3 4 4 5 6 7 8 9 10 11 11 12

−11 −10 −9 −8 −7 −6 −5 −4 −3 −2 −1 −1 0 0 1 2 2 3 4 5 6 7 8 9 10 10 11 12 13 14 15 16 17

−8 −7 −6 −5 −4 −3 −3 −2 −1 0 0 1 2 3 4 5 6 7 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 18 19 20

60 %

70 %

80 %

90 %

100 %

−6 −5 −4 −3 −2 −1 0 0 1 2 3 4 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 20 21 22 23

−4 −3 −2 −1 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

−3 −2 −1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28

−1 0 1 2 3 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32

415

Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

Tab. B.6: Thermische Eigenschaften von Lebensmitteln Wasseranteil w, Dichte ρ, Wärmeleitfähigkeit λ, spezifische Wärmekapazität c und Temperaturleitfähigkeit α.1 Es ist zu berücksichtigen, dass die thermischen Eigenschaften von Lebensmitteln starken Variationen unterliegen.

w

ρ

c

λ

α

%

kg/m3

kJ/(kg K)

W/(m · K)

10−8 m2 /s

Obst und Gemüse Äpfel Bananen Birnen Gurken Kartoffeln Möhren Nektarinen

85 76 85 97 80 88 83

800 980 680 560 1055 540 600

3,80 3,59 2,97 4,10 3,43 3,81 3,77

0,40 0,48 0,46 0,60 0,63 0,54 0,59

13 11 13 15 15 14

Fleisch und Fisch Hähnchenbrust Kabeljau Lamm Rindfleisch, mager Schweinefleisch

75 81 70 74 72

1050 1180 1030 1100 1030

3,50 3,77 2,80 2,78 2,85

0,48 0,54 0,45 0,47 0,46

13 12 13 15 13

Sonstige Lebensmittel Brot (Baguette) Brotteig (Vollkorn) Butter Eier Käse (Cheddar) Kuchen Margarine Milch Olivenöl Schokolade

42 42 16 87 37 32 16 88 0 55

230 1050 959 1012 1090 450 960 880 910 710

2,70 2,00 2,08 3,85 2,10 2,49 1,90 3,89 1,97 2,30

0,14 0,25 0,20 0,56 0,31 0,08 0,23 0,53 0,19 0,15

23 12

87

1048 1039 1200 1040

3,85 4,15 3,89 3,77

0,56 0,48 0,50 0,49

14 15 15 45

Getränke Apfelsaft Bier Orangensaft Wein 1

10 12

9

Daten aus: S. L. Polley, O. P. Snyder, P. Kotnour, A compilation of thermal properties of foods. Food Technology 34, S. 76–94, (1980) sowie zahlreichen Einzelangaben in anderen Publikationen.

3

2

1

532 1357 394 385 460 855 663

1100 430 295 216 2256

80 0 -23 79 181

65 -42 357 -26 100

kJ/(kg)

56 -33

◦C

TSiede 1 ∆hfg ρ

1374 999

749 680 750 874 602 835 736 790 1264 820 888 791 581 13560

kg/m3

a

219 15

140 240 100 120 180 83 485 110 50 83 23 149 490 18

10−5 /K

c

1,28 4,19

2,17 4,43 2,22 1,72 2,40 1,91 2,54 2,84 2,39 2,01 1,88 2,51 2,14 0,139

kJ/(kg K)

λ

0,10 0,59

0,18 0,465 0,15 0,15 0,12 0,14 0,14 0,18 0,29 0,15 0,15 0,21 0,13 9,3

W/(m K)

η

380 1108

330 266 380 653 282 3760 100 1194 1,5 · 106 2400 872 593 198 1550

10−6 N s/m2

Legende: TSiede : Siedetemperatur, ∆hfg : spezifische Verdampfungsenthalpie, ρ: Dichte, a: linearer Ausdehnungskoeffizient, c: spezifische Wärmekapazität, λ: Wärmeleitfähigkeit, η: dynamische Viskosität. Die R-Kennzeichnung zeigt die Verwendung als Kältemittel an. Benzin, Diesel, Kerosin und Maschinenöl sind Stoffgemische variierender Zusammensetzung. Siedetemperaturen und andere thermische Eigenschaften schwanken daher. Additive können die thermischen Eigenschaften stark beeinflussen (Winterdiesel).

Aceton C3 H6 O Ammoniak (R-717)2 NH3 Benzin3 Benzol C6 H6 n-Butan (R-600) C4 H10 Diesel3 Dimethylether C2 H6 O Ethanol C2 H6 O Glycerin C3 H8 O3 Kerosin3 Maschinenöl3 Methanol CH4 O Propan (R-290) C3 H8 Quecksilber Hg Tetrafluorethan (R-134a) C2 H2 F4 Wasser H2 O

Formel

416 Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

Tab. B.7: Thermische Eigenschaften von Flüssigkeiten bei 1000 hPa und 15 °C für Stoffe, die bei dieser Temperatur flüssig sind bzw. bei der Siedetemperatur für Stoffe, deren Siedepunkt unterhalb von 15 °C liegt.

5

4

3

2

1

44,0 28,0 29,0 16,0 20,2 44,1 32,0 28,0 102,0 18,0 2,0

CO2 CO

C2 H2 F4 H2 O H2

CH4 Ne C3 H8 O2 N2

17,0 58,1 30,1 28,1 4,0

0,081 0,462 4,124

0,297 0,287 0,518 0,412 0,189 0,260 0,297

0,189

0,488 0,143 0,277 0,296 2,077

kJ/(kg K)

g/mol

NH3 C4 H10 C2 H6 C2 H4 He

Rspez

mmol 1

-26 100 -253

216 2256 446

215 199 510 87 428 213 199



—3 -192 ca. -1944 -162 -246 -42 -183 -196

1357 385 489 483 23

kJ/kg

∆hfg

-33 0 -89 -104 -269

°C

TSiede

3,52 0,63 0,07

0,97 1,00 0,55 0,70 1,55 1,10 0,97

1,53

0,60 2,11 1,05 0,98 0,14

ρ ρLuft

λ

0,0138 0,0251 0,1870

0,0250 0,0262 0,3410 0,0480 0,0185 0,0263 0,0260

0,0168

0,0251 0,0167 0,0213 0,0206 0,1560

W/(m K)

0,854 2,070 14,307

1,040 1,005 2,254 1,030 1,679 0,918 1,039

0,846

2,165 1,716 1,766 1,548 5,193

0,763 1,548 10,183

0,744 0,718 1,735 0,618 1,491 0,658 0,743

0,657

1,646 1,573 1,490 1,252 3,116

cp cV kJ/(kg · K)

1,119 1,337 1,405

1,400 1,400 1,299 1,667 1,126 1,395 1,400

1,289

1,315 1,091 1,186 1,237 1,667

κ

Legende: mmol : Molmasse, Rspez : spezifische Gaskonstante, TSiede : Siedetemperatur, ∆hfg : spezifische Verdampfungsenthalpie, ρ/ρLuft : Dichteverhältnis zu trockener Luft bei gleicher Temperatur und gleichem Druck,2 λ: Wärmeleitfähigkeit, c p : spezifische Wärmekapazität bei konst. Druck, cV : spezifische Wärmekapazität bei konst. Volumen, κ: Adiabatenkoeffizient. Zur konkreten Berechnung: Bei Atmosphärendruck (1013 hPa) hat ρLuft , die Dichte von trockener Luft, bei 0 °C den Wert 1,29 kg/m3 und bei 300 K den Wert 1,18 kg/m3 . Kohlenstoffdioxid geht bei Atmosphärendruck direkt von der festen Phase in die Gasphase über (Trockeneis). Als Stoffgemisch siedet Luft über einen Temperaturbereich von mehreren Grad. Die Stoffwerte für Wasser beziehen sich auf Wasserdampf bei 100 °C.

Ammoniak (R-717) n-Butan (R-600) Ethan Ethylen Helium Kohlenstoffdioxid (R-744) Kohlenstoffmonoxid Luft (R-729) Methan Neon Propan (R-290) Sauerstoff Stickstoff Tetrafluorethan (R-134a) Wasserdampf5 Wasserstoff

Formel

Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

417

Tab. B.8: Thermische Eigenschaften von Gasen bei 300 K und Normaldruck (1013 hPa). Die Verdampfungsenthalpie wird für die jeweilige Siedetemperatur angegeben.

418

Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

Tab. B.9: Thermische Eigenschaften von festen Stoffen1 Dichte ρ, Schmelztemperatur TS , spezifische Schmelzenthalpie ∆hsf , linearer Ausdehnungskoeffizient a, spezifische Wärmekapazität c, Wärmeleitfähigkeit λ

a

c

λ

◦C

kJ/kg

10−5 /K

kJ/(kg K)

W/(m · K)

2,7 3,9 7,9 11,4 2,7 7,9 7,9 19,3 2,0 1,4 0,9 2,0 0,2 8,9 0,9 3,6

660 2050

397 1065 275 24

2,4 0,5 1,2 2,9 0,1 1,1 1,2 1,4 1,4

237 35 45 35 2300 14 80 317

2800

1,1

0,90 0,89 0,47 0,13 0,52 0,51 0,45 0,13 0,71 0,98 2,15 1,35 2,02 0,39 1,63 0,92

8,5 0,9 21,5 1,0 0,9 1,1 2,8 10,5 3,2 2,1 4,5 0,92 19,3 7,1 7,3

1188

1,9

0,38 1,35 0,13 2,25 2,23 1,31 0,98 0,24 0,66 1,01 0,52 2,03 0,13 0,39 0,23

110 0,3 72 0,5 0,3 0,3 4 429

ρ Aluminium Aluminiumoxid (Al2 O3 ) Baustahl Blei Diamant Edelstahl (V2A) Eisen (rein) Gold Graphit Hart-PVC Kautschuk Knochen Kork Kupfer Leder Magnesiumoxid (MgO) Messing (70% Cu, 30% Zn) Papier Platin Polyethylen (PE-HD) Polyethylen (PE-LD) Polystyrol (PS) Porzellan Silber Siliziumkarbid (SiC) Teflon Titan Wassereis Wolfram Zink Zinn 1

TS

∆hsf

t/m3

327 1670 1535 1063 3650 212

275 271 65

1084

213

1,7

1768 115 105 240

101

0,9

961 2700 327 1668 0 3422 419 231

105 1650

0,6 1,9 0,3

365 334 192 104 59

0,9 5 0,5 3,0 2,2

0,2 0,1 3 0,04 401 0,2 43

0,2 22 2,25 163 116 67

Die aufgeführten Werte für c und λ gelten – außer im Fall von Wassereis – für die reinen Materialien bei 25 °C. Insbesondere die Wärmeleitfähigkeit kann temperaturabhängig sein. Ebenso können Verunreinigungen die thermischen Eigenschaften beeinflussen. Bei Wassereis beziehen sich die Daten auf eine Temperatur von −5 °C.

419

Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

Tab. B.10: Thermische Eigenschaften von Baustoffen Dichte ρ, Wärmeleitfähigkeit λ und spezifische Wärmekapazität c. Die thermischen Eigenschaften der Baustoffe schwanken. Die Zahlenangaben sind daher nur als Richtwerte zu verstehen.

ρ Kalkmörtel, Kalkzementmörtel Leichtputz Zementestrich Vollziegel, Hochlochziegel Wärmedämmziegel Mauerwerk aus Kalksandsteinen Hohlblockstein aus Leichtbeton Vollblöcke Beton Sandstein Marmor Granit Sand und Kies Fichte, Kiefer, Tanne Buche, Eiche Sperrholz (Rohdichte 300 kg/m3 ) Sperrholz (Rohdichte 1000 kg/m3 ) Spanplatte Mineralwolle, Glaswolle Styropor

c

λ

kg/m3

W/(m K)

1800 1300 2000 1200 750 1000 450 450 2200 2200 2600 2640 1800 600 800 300 1000 600 20 25

0,87 0,56 1,4 0,5 0,22 0,5 0,21 0,16 1,6 1,8 2,5 2,5 2,0 0,13 0,18 0,09 0,24 0,14 0,04 0,035

kJ/(kg K)

1,1 0,8 1,0 0,8 0,9 0,9 0,8 1,1 1,0 0,7 0,8 0,8 1,0 1,7 1,7 1,6 1,6 1,7 0,8 1,2

Tab. B.11: Dynamische Viskosität und Prandtl-Zahl für Luft bei 1 bar Dynamische Viskosität η und Prandtl-Zahl Pr als Funktion der Temperatur

T

η

°C

10−5 N s/m2

−50 −20 0 20 50

1,46 1,62 1,72 1,82 1,96

Pr 0,73 0,72 0,72 0,72 0,71

T

η

°C

10−5 Pa · s

75 100 200 500 800

2,07 2,18 2,58 3,56 4,35

Pr 0,71 0,71 0,70 0,70 0,71

420

Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

Tab. B.12: Zustandsänderungen idealer Gase Für verschiedene Prozessführungen zwischen zwei Zuständen 1 und 2 werden jeweils die verrichtete Arbeit, die übertragene Wärme sowie die Änderungen von innerer Energie, Enthalpie und Entropie angegeben. Die Relationen gelten nur für ideale Gase. Die spezifischen Wärmekapazitäten c p und cV werden als konstant angenommen.

A. Allgemeine Relationen für das ideale Gas Zustandsgleichung:

p · v = Rspez · T

(B.1)

Innere Energie:1

u2 − u1 = cV ( T2 − T1 )

(B.2)

Enthalpie:1

h2 − h1 = c p ( T2 − T1 )

(B.3)

Entropie:

s2 − s1 = cV ln

T2 v + Rspez ln 2 T1 v1

(B.4)

= c p ln

T2 p − Rspez ln 2 T1 p1

(B.5)

B. Isotherme Expansion bzw. Kompression (T = konst.) Charakterisierende Gleichung:

p · v = konst.

Arbeit:

w1→2 = − Rspez T ln

Wärme:2

q 1 → 2 = − w1 → 2

(B.8)

Innere Energie:1

u2 − u1 = 0

(B.9)

Enthalpie:1

h2 − h1 = 0

(B.10)

Entropie:

p v s2 − s1 = Rspez ln 2 = − Rspez ln 2 v1 p1

(B.11)

(B.6) v2 p = Rspez T ln 2 v1 p1

(B.7)

C. Isochore Erwärmung bzw. Abkühlung (V = konst.) p∼T

(B.12)

Arbeit:

w1→2 = 0

(B.13)

Wärme:4

q1→2 = cV ( T2 − T1 )

(B.14)

Innere Energie:

u2 − u1 = cV ( T2 − T1 )

(B.15)

Enthalpie:

h2 − h1 = c p ( T2 − T1 )

(B.16)

Entropie:

s2 − s1 = cV ln

Charakterisierende Gleichung: 3

1 2 3 4

T2 T1

Diese Relationen gelten, weil beim idealen Gas u bzw. h nur von T abhängen. Folgt aus dem ersten Hauptsatz wegen u = konst. Nach Definition des Prozesses Dies ist die Definition von cV .

(B.17)

421

Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

Tab. B.12: Zustandsänderungen idealer Gase (Fortsetzung)

D. Adiabatisch-reversibler Prozess Charakterisierende Gleichung:5

p · vκ = konst.

Arbeit:

w1→2 =

(B.18)

1 ( p · v − p1 · v1 ) κ−1 2 2

= cV ( T2 − T1 ) 3

(B.19) (B.20)

Wärme:

q1→2 = 0

(B.21)

Innere Energie:

u 2 − u 1 = w1→2

(B.22)

Enthalpie:

h2 − h1 = c p ( T2 − T1 )

(B.23)

s2 − s1 = 0

(B.24)

Charakterisierende Gleichung:

v∼T

(B.25)

Arbeit:

w1→2 = − p (v2 − v1 ) = − Rspez ( T2 − T1 ) (B.26)

Wärme:6

q1→2 = c p ( T2 − T1 ) =

3

Entropie:

E. Isobarer Prozess (p = konst.)

Innere Energie:

κ p (v2 − v1 ) (B.27) κ−1 p u2 − u1 = cV ( T2 − T1 ) = (v − v1 ) (B.28) κ−1 2

Enthalpie:

h2 − h1 = c p ( T2 − T1 )

Entropie:

s2 − s1 = c p ln

T2 v = c p ln 2 T1 v1

(B.29) (B.30)

F. Freie Expansion Arbeit:3

w1→2 = 0

(B.31)

q1→2 = 0

(B.32)

Innere Energie:

u2 − u1 = 0

(B.33)

Enthalpie:

h2 − h1 = 0

(B.34)

Entropie:

s2 − s1 = Rspez ln

Wärme:3 7

5

6 7

v2 p = − Rspez ln 2 v1 p1

(B.35)

Aus der Definition des Adiabatenkoeffizienten κ = c p /cV und Rspez = c p − cV folgen die für das 1 κ ideale Gas allgemein gültigen Relationen cV = Rspez κ − 1 und c p = Rspez κ −1 . Dies ist die Definition von c p . Nach dem Modell des idealen Gases gilt bei der freien Expansion T = konst.

422

Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

Symbolverzeichnis Kleinbuchstaben bei extensiven Variablen stehen für die jeweils spezifischen Größen. Beispiel: Enthalpie H = U + pV und spezifische Enthalpie h = H/m = u + pv. A

Fläche

Bi

Biot-Zahl, Bi = h · L/λ

c

spezifische Wärmekapazität (bei konstantem Druck: c p , bei konstantem Volumen: cV )

c

Lichtgeschwindigkeit (in Abschnitt 13.4), c = 2,998 · 108 m/s

E

Energie (speziell Eges : Gesamtenergie, Ekin : kinetische Energie, Epot : potentielle Energie, Echem : chemische Energie)

F

freie Energie F = U − T · S

g

Erdbeschleunigung, g = 9,81 m/s2

h

Wärmeübertragungskoeffizient (Formelzeichen oft auch α)

h

plancksche Konstante (in Abschnitt 13.4), h = 6,626 · 10−34 J s

H

Enthalpie, H = U + pV

∆hfg

spezifische Verdampfungsenthalpie („Verdampfungswärme“)

kB

Boltzmann-Konstante, kB = 1,38 · 10−23 J/K

l

mittlere freie Weglänge

M

Drehmoment

m

Masse eines Körpers

mmol

Molmasse eine Substanz (Einheit kg/mol)

N

Zahl der Gasmoleküle im Volumen V

NA

Avogadro-Zahl, NA = 6,022 · 1023

n

Stoffmenge in Mol

n

Zahl der „Kästen“ im Boltzmann-Einstein-Modell

Nu

Nußelt-Zahl, Nu = h · D/λ



Teilchenzahldichte in der kinetischen Gastheorie, n¯ = N/V

P

Impuls eines Moleküls in der kinetischen Gastheorie

P

Leistung

p

Druck

@T psätt Dampf

Sättigungsdampfdruck von Wasserdampf bei der Temperatur T

p x (u x )

Maxwell-Boltzmann-Verteilung für eine Geschwindigkeitskomponente

p(u)

Maxwell-Boltzmann-Verteilung für den Betrag der Geschwindigkeit

Pr

Prandtl-Zahl, Pr = η c p /λ

Q

Wärme. Vorzeichenkonvention: Q > 0, wenn die Gesamtenergie des Systems durch die übertragene Wärme zunimmt.



Wärmeübertragungsrate (Einheit J/s)

Anhang B: Tabellen und Symbolverzeichnis

423

R

allgemeine Gaskonstante, R = 8,314 J/(mol K)

Rspez

spezifische Gaskonstante, Rspez = R/mmol

Re

Reynolds-Zahl, Re =

S

Entropie

∆e S

über die Systemgrenzen übertragene Entropie

∆i S

innerhalb des Systems erzeugte Entropie

T

Temperatur. Der Nullpunkt der Celsius-Skala liegt bei 273,15 K.

TL , TH

Temperaturen thermischer Reservoirs. TL : Reservoir mit niedriger Temperatur, TH : Reservoir mit höherer Temperatur.

U

innere Energie

u, ⃗u

Molekülgeschwindigkeit in der kinetischen Gastheorie

u

Zahl der Energieportionen im Boltzmann-Einstein-Modell

V

Volumen

ρ·V · D η

v

spezifisches Volumen, v = V/m (Kehrwert der Dichte)

V

Strömungsgeschwindigkeit einer Flüssigkeits- oder Gasströmung

W

Arbeit. Vorzeichenkonvention: W > 0, wenn die Gesamtenergie des Systems durch die verrichtete Arbeit zunimmt.

z

Höhe über dem Erdboden.

α

Absorptionsgrad bei der Wärmeübertragung durch Strahlung

α ϵ

Temperaturleitfähigkeit bei der instationären Wärmeleitung, α = ρλ·c Emissionsgrad bei der Wärmeübertragung durch Strahlung

ϵ

„Energieportionen“ im Einstein-Boltzmann-Modell

ϵWP

Leistungszahl einer Wärmepumpe

η

Wirkungsgrad einer Wärmekraftmaschine

η

dynamische Viskosität einer Flüssigkeit oder eines Gases

κ

Adiabatenkoeffizient, κ = c p /cV

λ

Wärmeleitfähigkeit

λ

Wellenlänge der elektromagnetischen Strahlung

ρ

Dichte, ρ = m/V

σ

Stefan-Boltzmann-Konstante, σ = 5,67 · 10−8 W/(m2 · K4 )



statistisches Gewicht: Zahl der Mikrozustände, die mit einem Makrozustand verträglich sind

Sachregister A Ableitung, partielle, 160 Abkühlungsgesetz, newtonsches, 384 Abzählmethode, 299 Adiabatengleichungen, 198 Adiabatenkoeffizient, 197 adiabatisch-reversibler Prozess, 195, 253 adiabatische Äquivalenz, 250 adiabatische Erreichbarkeit, 248 Aktivierungsenergie, 44 Albedo, 193 Anergie, 245 Anfangsbedingungen, 382, 393 Anomalie des Wassers, 32, 95, 156 Arbeit, 138, 142, 149 elektrische, 142 mechanische, 143 Volumenänderungs-, 145 Vorzeichenkonvention, 151 Arrhenius-Gesetz, 41 Arrhenius-Gleichung, 43 Atmosphäre barometrische Höhenformel, 180 Erwärmung durch Klimawandel, 211 Skew-T-Diagramm, 188 Taupunktkurve, 188 Temperaturprofil, 186, 200 Atmosphärendruck, 19, 20, 65, 180 atmosphärische Uhr, 94 Ausstrahlung, spektrale spezifische, 348 Avogadro-Zahl, 85

B Backofen, 131, 140, 151, 157, 385 Bar (Einheit), 20 Barometer, 89, 92, 100, 180 barometrische Höhenformel, 180, 282 Bindegewebe, 6 Biot-Zahl, 383, 387

Blockheizkraftwerk, 334 Boltzmann-Einstein-Modell, 300 Boltzmann-Konstante, 86 Boltzmann-Verteilung, 307 boltzmannsche Abzählmethode, 299 boltzmannsches H-Theorem, 312 Bose-Einstein-Kondensation, 113 Boyle-Mariotte-Gesetz, 85 Brennwert, 135 brownsche Bewegung, 103, 121 Brunnen, Pumphöhe, 90 Buckingham-Pi-Theorem, 367

C Carnot-Aussage, 285, 289 Carnot-Prozess, 215 Arbeit und Wärme, 220, 227 Entropiebilanz, 287 Fahrradpumpen-Beispiel, 215 Prozessschritte, 217 v-p-Diagramm, 219 Wärmekraftmaschine, 227 Wirkungsgrad, 228, 289 Zwischenzustände, 217 Carnot-Wärmepumpe, siehe Carnot-Prozess Carnot-Wirkungsgrad, 228 Cellulose, 4 Celsius-Skala, 20 chemisch homogenes System, 17 chemische Energie, 135 Clausius-Aussage, 287 Clausius-Clapeyron-Gleichung, 29, 207 Clausius-Rankine-Prozess, 325 mit Überhitzung, 331 mit Zwischenüberhitzung, 332 Sattdampfprozess, 327 Vergleich mit Carnot-Prozess, 329 Wirkungsgrad, 329 CO2 -Problematik, 210 COP (Coefficient of Performance), 224

426

D Dalton-Gesetz, 59, 118 Dampf, 21 gesättigter, 23 überhitzter, 24 Dampfdruckkurve, 31 Dampfsperre, 75 Dampfturbine, 293 Entropiefluss, 293 Dampfturbinenprozess, 324 Denaturierung, 6 Dichte, 20, 58, 87, 363 Differentiale, 161 Digester, 15 dimensionslose Kennzahlen, 367 Dissipation von Energie, 269 Drehmoment, 144 Druck, 20, 100, 263 mikroskop. Definition, 101, 109 Schweredruck, 53, 182 Druckwandler, 102 Duhem, Satz von, 260 Dulong-Petit-Gesetz, 170

E Eierkochen, 386 Eis, 32 Emissionsgrad, 352 heller und dunkler Körper, 359 Energie chemische, 135 Gesamt-, 137 innere, 135, 150 kinetische, 134 nutzbare, 246 potentielle, 135 Energiebilanz, siehe Hauptsatz, erster Energieeinsparverordnung, 212 Energieentwertung, 273 Energieformen, 134 Energieportionen, 301 Ensemble, mikrokanonisches, 300 Enthalpie, 161 freie, 281 und isobare Prozesse, 171 Entropie, 245 als Zustandsgröße, 255 Anwachsen, 280, 296 Bilanzgleichung, 269, 291

Sachregister Definition, 255, 304 ideales Gas, 257 inkompressible Substanz, 245 statistische Definition, 304 und adiabat. Erreichbarkeit, 250 und Information, 305 und Irreversibilität, 298 und Zeitrichtung, 280, 314 Wegunabhängigkeit, 259 Entropieübertragung, 273 Entropiebilanz, siehe Hauptsatz, zweiter Entropieerzeugung, 271, 278 am elektrischen Widerstand, 278 bei der Wärmeübertragung, 279 mikroskopische Deutung, 296 entropische Kräfte, 311 Ergodenhypothese, 300 Erreichbarkeit, adiabatische, 248 erster Hauptsatz, siehe Hauptsatz, erster Espressomaschine, 102, 133 Exergie, 245 Expansion, freie, 252 extensive Zustandsgröße, 21, 256

F Feuchtadiabate, 189, 202 Flüssigkeit, siedende, 22 Fließprozess, stationärer, 173 Fluid, 363 Fluktuationen, 103, 121, 313 Flüssigkeitssäule, 88 Fourier-Gesetz der Wärmeleitung, 345 freie Energie, 281 freie Enthalpie, 281 freie Expansion, 252 Freiheitsgrade, 137, 163, 164 „Einfrieren“, 166, 167 und Entropieerzeugung, 296 Frostsicherheit, 395 Fundamentalgleichung, 262 und Zustandsgleichungen, 264

G Gardauer, 42, 391 Gartemperatur, 11, 391 Garverfahren, 11

427

Sachregister Gas, 82 einatomiges, 136, 137, 164 ideales, siehe ideales Gas mehratomiges, 137, 164, 167 reales, 127 Gasgemisch, 58, 118 Gaskonstante, 84 spezifische, 86, 163 Gastheorie, kinetische, 98 Gasthermometer, 95 Gay-Lussac-Gesetz, 85 gefühlte Temperatur, 336, 341, 393, 398 Gemisch, 58 Gesamtdruck, 40, 60 Gesamtenergie, 137 gesättigter Dampf, 23 geschlossenes System, 133 Geschwindigkeitsverteilung, 110 Gesetz von Dalton, 59, 118 Geysir, 48 Bunsen-Modell, 52 Gibbs-Potential, 284 gibbssche Fundamentalgleichung, 262 Gitterschwingungen, 297, 301, 344 Gleichgewicht Druck-, 88 thermisches, 23, 140 gleichmäßige Erwärmung, 382 Abkühlungsgesetz, 384 Faustregeln, 383 Gebäudeenergiegesetz, 212 Gleichverteilungssatz, 163 Goethe-Barometer, 93 Grenzschicht, 387 Grenzwertsatz, zentraler, 126 Gummi, Elastizität, 311

H H-Theorem, 312 halbunendlicher Körper, 393, 396 Hauptsatz, erster, 148 differentielle Form, 159 für geschlossene Systeme, 150 für isolierte Systeme, 150 für stationäre Fließprozesse, 173 und Enthalpie, 162 Vorzeichenkonvention, 151 Hauptsatz, zweiter, 275, 280 für isolierte Systeme, 276

für offene Systeme, 291 klassische Formulierungen, 285 mikroskopische Deutung, 296, 303 und Irreversibilität, 276, 296 Heizkreislauf, 228 Heizstäbe, 131, 142 Heizung, 212 Helmholtz-Potential, 281 Hitzeflimmern, 192 Höhenformel, barometrische, 180, 282 Höhenmessung beim Fliegen, 185 Hohlraumstrahlung, 351 homogenes System, 17 hydrostatisches Paradoxon, 54 Hygrometer, 67, 71

I idealer Spiegel, 353 ideales Gas, 84 barometrische Höhenformel, 183 Entropie, 257 freie Expansion, 252 Freiheitsgrade, 137 innere Energie, 137 kalorische Zustandsgleichung, 137, 164, 266 Molvolumen, 86 thermische Zustandsgleichung, 84, 104, 266 Impulsübertrag, 98, 105 Information, 305 Infrarotstrahlung, 348 inkompressible Substanz, 168, 182 Entropie, 245 innere Energie, 135 instationäre Wärmeleitung, 380 in einer Kugel, 386 intensive Zustandsgröße, 21 Inversion, 187, 206 Irreversibilität, 252, 268, 271, 296 mikroskopisches Modell, 302, 312 prototypische Prozesse, 268 Isobare, 24 isobarer Prozess und Enthalpie, 171 isoliertes System, 133

428

Sachregister

J

L

Joule-Experiment, 251

laminare Strömung, 367 Leistung, 140 Leistung, elektrische, 131, 142 Leistungszahl, 224, 230, 239 loschmidtscher Umkehreinwand, 313 Luft, 58 statistisch betrachtet, 116 Wasseranteil, 60 Zusammensetzung, 58 Luftdruck Höhenabhängigkeit, 180 Luftfeuchtigkeit, 67, 71 Schwammtheorie, 69 Luftpaket, 198 feuchtadiabatischer Aufstieg, 202 trockenadiabatischer Aufstieg, 198

K Kühlschrank, 386 Kalorie (Einheit), 156 Kältemittel, 236 Kältemittelkreislauf, 232 h-log p-Diagramm, 237 Zwischenzustände, 238 Kelvin (Einheit), 20 Kelvin-Planck-Aussage, 286 Kennzahlen, dimensionslose, 367 kinetische Gastheorie, 98 Kirchhoff-Gesetz, 356 Klimawandel, 210 Kochen, 11 eines Frühstückseies, 386 im Gebirge, 65 im Schnellkochtopf, 37 vs. Sieden, 66 Kollagen, 6 kommunizierende Röhren, 89 kompressible Substanz, 169 Kondensatbildung, 71 Kondensationskerne, 76 Kondensationsniveau, 204 Kondensator, 325 Kontakttemperatur, 397 Kontrollparameter, 159 Konvektion, 131, 342, 360 erzwungene, 336, 361, 366, 368, 372 natürliche, 361, 363 Konvektionszelle, 361 Körper, halbunendlicher, 393, 396 Kraft-Wärme-Kopplung, 334 Kraftwerk, 293 Gas-und-Dampf-, 333 Grundaufbau, 322 Kohle-, 322 solarthermisches, 324 Kraftwerksprozess, siehe Clausius-Rankine-Prozess Kreisprozess, 215 Universalität, 226 kritischer Punkt, 30, 127 Kühlschrank, 71, 234

M Maillard-Reaktionen, 8, 130 Makrozustand eines Systems, 298 Markow-Kette, 123 Masse, 20 Massenanteil, 58 Massenbilanz bei stationären Fließprozessen, 174 Massenstrom, 174 Maxwell-Boltzmann-Verteilung, 110 Maxwell-Relationen, 264 Maxwells Dämon, 314 mikrokanonisches Ensemble, 300 mikroskopische Energieformen, 135 Mikrozustände eines Systems, 298 Mischungsverhältnis, 207 Mittelung, zeitliche, 101 mittlere freie Weglänge, 119 Modell Boltzmann-Einstein-, 301 für Wärmekapazitäten, 168 Gasdruck, 99, 128 Mol, 20, 85 Molekülabstand, 118 Molmasse, 85 Molvolumen idealer Gase, 86

N Nassdampf, 22

Sachregister Nebel, 76 Netzwerk, thermisches, 375 Newtonsches Abkühlungsgesetz, 384 Nußelt-Zahl, 367

O offenes System, 133, 173 Old Faithful, 48 Osmose, 3

P Parabolrinnen, 317 Paradoxon, hydrostatisches, 54 Partialdruck, 59 Pascal (Einheit), 20 Perpetuum mobile, 80, 287, 291 Phasenübergang, 21 Phasendiagramm, 31 Pi-Theorem, 367 Planck-Spektrum, 348 plancksche Konstante, 348 plancksches Strahlungsgesetz, 347 Poincaré-Wiederkehr, 313 Prandtl-Zahl, 366 Primärenergiebilanz, 231 Proteine, 5 Prozessführung, 18 Prozessgröße, 140, 159 Pumpe maximale Förderhöhe, 90

Q Qualität der Energie, 242, 298 Quantenmechanik, 99, 113, 165, 348

R Röhren, kommunizierende, 89 Radiosonde, 186 Randbedingungen, 382, 387, 393 Random-Walk-Problem, 123 reales Gas, 127 Receiverröhren, 318 Reibung, 269 Reversibilität, 196, 216 Reynolds-Zahl, 366 Rotationsfreiheitsgrade, 163

S Satellit (Kühlung), 355

429 Sättigungsdampfdruck, 23, 28, 40, 64, 67, 70 Satz von Duhem, 260 Schnellkochtopf, 14, 33 Schwammtheorie der Luftfeuchtigkeit, 69 Schwankungen, 103, 121 schwarzer Körper, 351 Schweredruck, 53, 88, 182 Schwingungsfreiheitsgrade, 163 „Einfrieren“, 167 Segelflug, 190 Sicherheitsventil, 16, 34 Sieden, 61 vs. Kochen, 66 siedende Flüssigkeit, 22 Siedetemperatur, 27 Druckabhängigkeit, 29 im Gebirge, 66 Skalenhöhe, 184 Skew-T-Diagramm, 188 solarthermisches Kraftwerk, 316 Sonne, 353 spektrale spezif. Ausstrahlung, 348 spezifisches Volumen, 20 Spiegel, idealer, 353 Standardatmosphäre, 184 statistische Druckdefinition, 101 Statistische Mechanik, 299 statistisches Gewicht, 300 Stefan-Boltzmann-Gesetz, 353 Stefan-Boltzmann-Konstante, 352 Stoffgemisch, 17, 40 Stoffmenge, 20, 59, 85 Strömung, turbulente, 367 Strahlungsgesetz von Planck, 347 Strahlungsleistung, 348, 352 Stromerzeugung, 322 Strömungsgeschwindigkeit, 363 System chemisch homogenes, 17, 260 einfaches, 260 geschlossenes, 133, 150 isoliertes, 133, 150 offenes, 133, 173 Systemgrenzen, 132, 139, 145, 149 statische und bewegliche, 133 Wärme und Arbeit, 139

430

T T-dS-Relation, 262 T-p-Diagramm, 32 T-s-Diagramm, 326 Taubildung, 70, 72 in Bauwerken, 74 Taupunkttemperatur, 70, 203 Höhenabhängigkeit, 77, 207 Temperatur, 20, 263 gefühlte, 336, 341, 393, 398 mikroskop. Definition, 110 Temperaturausgleich, 268, 344, 393 Temperaturempfinden, 398 Thermik, 190 Ablösung, 195 Steighöhe, 201 Thermikblase, 192, 200 thermische Bewegung, 121, 136 thermisches Netzwerk, 375 thermodynam. Gleichgewicht, 23 Thermometer, 22, 95 Thermorezeptoren, 398 Tripelpunkt, 33 Trockenadiabate, 189 Tröpfchenbildung, 76 Turbine, 293 Turbulenz, 367

U U-Rohr, 88 U-Wert, 377 Überhitzer, 24 überhitzter Dampf, 24 Uhr, atmosphärische, 94 Umgebung, 132 Umkehreinwand, 313 Umluft, 132

V v-T-Diagramm, 24, 127 v-T-p-Diagramm, 31 Vakuum, 29, 62 van-der-Waals-Gleichung, 128 Verdampfen, 61 Verdampfer, 235 Verdampfungsenthalpie, 24, 64, 233 Verdunsten, 61 Verflüssiger, 235, 325 Verschiebungsgesetz, 349

Sachregister Viskosität, 363 Volumen, 20 spezifisches, 20 Volumenänderungsarbeit, 145, 158, 175 Vorlauftemperatur, 228 Vorzeichenkonvention, 146, 151, 345, 380

W Wahrscheinlichkeitsverteilung, 110, 114, 123, 126 Wärme, 138, 149 Vorzeichenkonvention, 151 Wärmebildkamera, 351 Wärmedämmung, 74, 346 Wärmedurchlasswiderstand, 376 Wärmekapazität, 152 bei konstantem Druck, 162 bei konstantem Volumen, 160 Boltzmann-Einstein-Modell, 301 mikroskopische Berechnung, 306 Temperaturabhängigkeit, 153 und Quantenmechanik, 165 von Festkörpern, 168, 170, 306 von Flüssigkeiten, 168 von Gasen, 158, 162, 164 Wärmekraftmaschine, 227 Entropiebilanz, 287 im Kraftwerk, 324 mit erschöpfbarer Quelle, 243 Wirkungsgrad, 228, 286, 289 Wärmeleitfähigkeit, 345 Wärmeleitung, 132, 343 durch eine Wand, 346, 375, 382 Fourier-Gesetz, 345 halbunendlicher Körper, 393 in einer Kugel, 386 instationäre, 380 mikroskopisches Modell, 344 Wärmeleitungsgleichung, 380 Wärmepumpe, 213, 223 Energieflussdiagramm, 213, 232 Jahresarbeitszahl, 231 Kältemittelkreislauf, 232 Leistungszahl, 224, 230, 239 Primärenergiebilanz, 231 zur Wohnungsheizung, 228

431

Sachregister Wärmestrahlung, 131, 342, 347 Absorption und Emission, 356 helle und dunkle Körper, 359 in einer Einhüllung, 358 Kirchhoff-Gesetz, 356 Strahlungsleistung, 352 von der Sonne, 353 zwischen Oberflächen, 357 Wärmetauscher, 324 Wärmeübergangswiderstand, 377 Wärmeübertragung beim Kochen, 11, 131 durch eine Wand, 346, 375, 382 durch Konvektion, 360, 363, 366, 371 durch Strahlung, 347, 371 durch Wärmeleitung, 343 Irreversibilität, 279 Mechanismen, 131, 342 menschlicher Körper, 364 thermische Netzwerke, 375 Windchill, 339 Wärmeübertragungskoeffizient, 340 Wärmeübertragungsrate, 340 erzwungene Konvektion, 340 Wasser Anomalie, 32, 95, 156 Phasendiagramm, 31 Wasserdampf als ideales Gas, 87 gesättigter, 23 in der Atmosphäre, 202 überhitzter, 24 Wasserdampftafel, 21 Wassersäule, maximale, 89 Weglänge, mittlere freie, 119 Wellenlänge, 348 Widerstand elektrischer, 131

Wiederkehreinwand, 313 wiensches Verschiebungsgesetz, 349 Windchill, 336, 341 Wirkungsgrad, 228 Wohnungsheizung, 212, 228 Wolken, 76, 203 -obergrenze, 206 -untergrenze, 76, 204 als Thermikanzeiger, 194, 203

Z Zählen von Zuständen, 299 Zellmembran, 2 zentraler Grenzwertsatz, 126 zermeloscher Wiederkehreinwand, 313 Zerstreuung von Energie, 296 Zufallsschritte, 123 Zustandsgleichung, 84 ideales Gas, siehe ideales Gas inkompressible Substanz, 168 kalorische, 110, 137, 265 kompressible Substanz, 169 thermische, 84, 104, 265 und Fundamentalgleichung, 264 Zustandsgröße, 19, 140, 255 extensive, 21 intensive, 21 zweiter Hauptsatz, siehe Hauptsatz, zweiter