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German Pages 311 [316] Year 1905
Thermodynamik technischer Gasreaktionen.
Sieben Vorlesungen von
Dr. F. Haber, a. o . P r o f e s s o r an d e r T e c h n i s c h e n H o c h s c h u l e K a r l s r u h e i. B.
Mit 19 A b b i l d u n g e n .
M ü n c h e n und B e r l i n . D r u c k u n d V e r l a g v o n R. O l d e n b o u r g . 1905.
Meiner
lieben
Frau
Clara Haber, Dr. phil.
zum D a n k für stille Mitarbeit zugeeignet.
Vorwort. Im Februar dieses Jahres habe ich die Thermodynamik der technischen Gasreaktionen an sieben Besprechungsabenden mit meinen jüngeren Mitarbeitern erörtert, denen sich einige befreundete Kollegen anschlössen. Die Kenntnis der chemischen und technischen Grundlagen durfte im wesentlichen vorausgesetzt werden. Die Sätze der mechanischen Wärmetheorie hingegen waren aus den Grundtatsachen heraus zu entwickeln. Die Ausführungen, mit denen ich diese Besprechungen einleitete, sind hier abgedruckt. Fragen, die im Anschlufs an das Vorgetragene an mich gerichtet wurden, Schwierigkeiten, denen die Aufnahme mancher Gedanken begegnete, haben mich veranlafst, bei der Niederschrift mehr ins Breite zu gehen und den Stil des Vortrages mit dem der Abhandlung zu vertauschen. Atomistische Theorien habe ich nicht benutzt; nicht aus Abneigung gegen diese Auffassungsweise, sondern auf Grund der Überzeugung, dafs die Anwendung der mechanischen Wärmetheorie auf die Chemie um so durchsichtiger und einfacher wird, j e mehr man sich auf die Betrachtung der Wärme- und Arbeitsleistungen sinnlich gegebener Massen beschränkt. Für die Darstellung der theoretischen Grundlagen habe ich als Ausgangspunkt die H e l m h o l t z s c h e Vorstellung gewählt, dafs die chemische Reaktion gleich den einfachen Änderungen der Formart eine latente Wärme besitzt. Die beiden Teile, in •vyelche die Gesamtenergie beim chemischen Umsatz getrennt wird, heifsen in meiner Darstellung danach nicht wie gewöhnlich freie und gebundene Energie, sondern Reaktionsenergie und latente Wärme. Zu dieser formalen Abweichung haben mich verschiedene Gründe bestimmt. Zunächst läfat sich die latente Wärme unmittelbar sinnlich veranschaulichen, während die Vorstellung der gebundenen Energie eine Abstraktion erfordert. Sodann wird die gedankliche Verknüpfung der Gasreaktionen mit
VI
Vorwort.
den Dissoziations- und Verdampfungserscheinungen fester Stoffe, die theoretisch und praktisch in naher Beziehung stehen, durch Benutzung dieser Auffassung vereinfacht. SchlieMich gelangt man mit ihrer Hilfe gleich leicht zu dem Temperaturkoeffizienten der maximalen Arbeit, auf den v a n ' t H o f f, O s t w a l d und N e r n s t die Einzelbetrachtungen gründen, wie zu der Entropievorstellung und damit zu der P l a n c k sehen Betrachtungsweise. Der Einflufs der spez. Wärmen auf die Energie der Gasreaktionen ist im Anschluls an H e l m h o l t z und unmittelbar angeregt durch v a n 't H o f f s Ausführungen in der Festschrift z u B o l t z m a n n s sechzigstem Geburtstag theoretisch ausführlich behandelt. Über die Wichtigkeit, welche die Berücksichtigung der spez. Wärmen gerade bei den Gasreaktionen besitzt, ist am Schlüsse der vierten Vorlesung näheres gesagt. Die Bestimmungsmethoden dieser Gröise und die numerischen Daten, die wir besitzen, sind ausführlich und an manchen Stellen sogar breit erörtert worden, um dem Leser eine Kritik der Auswahl zu ermöglichen, die unter den Zahlen getroffen worden ist. Denn vorerst ist unsere Kenntnis der spez. Wärmen so bestellt, dafs wir die brauchbaren Werte oft mit einem fachlichen Takte auf Grund einer Übersicht des Gebietes auswählen müssen, ohne im einzelnen Falle eindeutige Beweise für und wieder die voneinander abweichenden Ergebnisse verschiedener Forscher zu haben. Das Buch ist nicht um der Theorie, sondern um der Technik willen geschrieben worden. Es soll dem Unterrichte und der experimentellen Forschung auf dem Gebiete der technischen Gasreaktionen dienen und die Behandlung ergänzen, welche diese Prozesse in den üblichen technologischen Werken erfahren. Es ist kein Handbuch und strebt nicht vollständige Darstellung des Materials, sondern Verdeutlichung der wichtigsten Fälle an. Wie weit es mir gelungen ist, diese Verdeutlichung zu erreichen, mufs ich dem Urteil der Fachgenossen anheimstellen. Bei der Kontrolle der zahlreichen numerischen Rechnungen, welche das Buch enthält, haben mir die Herren G o t t l o b und M o s e r vielfach ihre wertvolle Hilfe geliehen. Sollten sich Ungenauigkeiten finden, so werde ich den Fachgenossen für freundlichen Hinweis dankbar sein. K a r l s r u h e , 20. Mai 1905.
F. Haber.
Inhaltsverzeichnis. I. Vorlesung. Die latente Wörme der chemischen Umsetzung und ihre Beziehung1 zur Reaktionsenergie. Seite
Rechnungen von Jüptner Jonstorff 2 Technisches Interesse der Gasreaktionen bei hoher Temperatur 3 Das Gasgrundgesetz 4 Die Gaskonstante in LiterAtmosphären 5 Die Gaskonstante in absoluten Einheiten 5 Die Kalorie in absoluten Einheiten 5 DieGankonstante imW'ärmemafB 6 Gleichgewicht und Triebkraft der Reaktion 6 Reaktionsenergie u. Zusammensetzung 6 Mafs der Reaktionsenergie . 7 Ausdruck der Zusammensetzung 7 Reaktionsenergie u. Temperatur 9 Reaktionsenergie u. Reaktionswärme 9 Messung der Reaktionswärmen bei Gasen 10 Reaktionswärme und Abnahme der Gesamtenergie 11
Bestimmung der Reaktionsenergie Die latente Wärme der Reaktion Vergleich mit Formartänderungen Direkte Messung der latenten Wärme Latente Wärme und Temperatur Der Überströmungsversuch . . Isotherme Gasexpangion . . . Die Arbeitsleistung A ist die größtmögliche Allgemeingültigkeit des Ausdruckes 20) dA j Y ist der partielle Differentialquotient von A nach T . Integration von Gleichung 21 . Eigenart der latenten Wärme . Unterschied der Grundsätze für latente Wärme und für Wärmeausnutzung Bedingung isothermer Verwandlung von Wärme in Arbeit Berthelots Prinzip und Helmholtz' Kritik desselben . . .
Seite
11 12 13 15 17 17 18 19 20
22 22 23
25 25 25
vrn
Inhaltsverzeichnis.
II. Vorlesung. Die Entropie und ihre Bedeutung bei den Gasreaktionen. Seite
Wärmetönung und Temperatur Wärmekapazität, mittlere und wahre spez. Wärme . . . . Wärmetönung bei konstantem Druck und bei konstantem Volumen Latente Wärme und Entropie . Entropieänderung bei nicht isothermen Verwandlungen . . Entropieänderung bei nicht umkehrbar verlaufenden Vorgängen Die Entropie eines einfachen Gases und die Entropie einer Gasmischung Adiabatischer Vorgang . . . . Nicht adiabatischer Vorgang. . Wahl des Anfangszustandes. . Entmischung von Gasen ohne Wärme- und Arbeitsaufwand Die Entmischungsvorrichtung . Die Entropieänderung bei der Gasreaktion Allgemeine Formulierung . . . Der Ausdruck von Helmholtz . Die thermodynamisch unbestimmte Konstante k . . . . Benutzung von Berthelots Prinzip zur Bestimmung von k . Anderer Versuch zur Bestimmung von k
Seite
27 | Die Beziehung der Konstante k zum Gradintervall der Temperatur 28 Das Gradintervall der Temperaturskala betrachtet für den 30 Fall -2V gleich Null . . . . Einflufs des Gradintervalls auf 31 die Konstante k 33 Th. W. Richards Nachweis, dafs k bei galvanischen Elementen Null ist 33 Das chemodynamische und das Celsiussche Gradintervall . . Möglichkeit, das Gradintervall 34 experimentell zu bestimmen 34 Umbildung der Formeln für 25 °v=f(T) 36 Annahme bezüglich der mitt- • leren spez. Wärmen . . . . Beziehung des Ausdrucks 22 a 36 zu Helmholtz' allgem. Formel 37 Nochmals der Einflufs des Gradintervalls 38 Beziehung zu Le Chateliers Satz 39 von den wahren spez. Wärmen 40 Einführung der Partialdrucke 41 statt der Konzentrationen. . Bedeutung von A bei Benutzung 41 der Partialdrucke Änderung der Formeln, wenn A anders definiert wird. . . 42
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43 44
45 46 47 47 48 50 50 51 62 53 54
III. Vorlesung. Andere Ableitung der gewonnenen Beziehungen nebst Darlegung des Zusammenhangs mit Veränderungen fester Stoffe. Die Vorstellung von van 't Hoff Der Umweg durch den Gleichgewichtskasten als Mittel der Bestimmung von A . . . .
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Die maximale Arbeit ist unabhängig vom Weg Das Perpetuum mobile zweiter Art
56 57
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Inhaltsverzeichnis.
Seite
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Die Reaktionsenergie, abgeleitet aus der Vorstellung von van tHoff Die Verknüpfung mit Helmholtz' Ausdruck Einführung des Kirchhoftschen Satzes Partialdrucke an Stelle der Konzentrationen Die thermodynamisch unbestimmt bleibende Konstante Andere Art der Verknüpfung . Die Näherungsformeln . . . . Die Näherung von van 't Hoff. Die in der theoretischen Physik gebräuchliche Näherung . . Die zugrunde liegende Annahme von Buff und Clausius . . . Clausius' molekularmechanische Vorstellung Historisches zu Formel 25 a . . Die gröbste Näherung . . . .
58 59 60 60 62 62 64 64 66 66 67 68 69
Die Mitwirkung fester Stoffe bei der Reaktion Die Spaltung des kohlensauren Kalkes Die Bedeutung der Dissoziationsgleichgewichte für die Gasreaktionen Andere Beispiele Analogie z.Verdampfungsvorgang Die Konstante der Formel (28) Die Dissoziation als Verdampfung betrachtet Einführung des Kirchhoffschen Satzes b. Verdampfungsvorgang Der Satz von den festen Reaktionen Dissoziation und Verdampfung quantitativ verknüpft durch den Satz von den »festen« Reaktionen Belege für (30) Beziehung zu Troutons Regel .
70 71
72 74 74 75 76 77 79
80 82 83
IV. Vorlesung. Beispiele, bei denen die Reaktion ohne Änderung der MolekUlzahl verläuft. Allgemeine Bemerkungen . . . Bedeutung hoher und niedriger Werte der Gleichgewichtskonstante Wahl der Molekülzahlen . . . Klassifikation der betrachteten Fälle Fall I : Stickoxydbildung . . . Wftrmetönung und spezifische Wärmen Beobachtungsdaten über die spez. Wärmen Fall I I a : Salzsäurebildung . . Chlorwasserstoffspaltung bei hoher Temperatur
84
85 85 86 86 87 88 89 92
Einflufs der spez. Wärmen . . Fall I I b : Bromwasserstoffbildung Vernachlässigung des Unterschiedes der spez. Wärmen . Einflufs der spez. Wärmen . . Bromwasserstoffspaltung bei hoher Temperatur Fall H e : Jodwasserstoffbildung Wärmetönung und spez. Wärmen Eingreifen der Joddissoziation in der Jodwasserstoffspaltung . Fall HI: Die Wassergasreaktion Geschichte der Untersuchung der Wassergasreaktion . . .
93 94 96 96 97 97 100 101 103 104
X
Inhaltsverzeichnis.
Die spez. Wärmen der am Wassergasgleichgewicht teilnehmenden Gase Die spez. Wärme des Wasserdampfes bei niederer Temperatur Fliegners Einwände Versuche von Lorenz Rechnungen von Thiesen . . . Folgerungen für unsere Zwecke Die spez. Wärme der Kohlensäure bei niederer Temperatur . . Die spez. Wärmen bei hoher Temperatur Das Hinausschiersen der Explosion über das Gleichgewicht Zusammenstellung der Werte der spez. Wärmen
Seite
104
105 105 106 108 108 109 110 111 115
Seite
Hoitsemas Betrachtungen über das Wassergasgleichgewicht . 117 Luggins Betrachtungen über das Wassergasgleichgewicht. . . 1 1 8 Kritik von Hoitsemas Betrachtungen 119 Versuche von Harries . . . . 121 Versuche von Boudouard . . . 121 Versuche von Hahn 122 Hahns Ergebnisse b.12050 u.14050 123 Einstellungsgeschwindigkeit des Wassergasgleichgewichts . . 124 Gasdurchlässigkeit von Quarz u. Porzellan 124 Zusammenfassung 125 Die thermodynamisch unbestimmte Konstante 126 Schlufsbetrachtung 128
V. Vorlesung. Beispiele von Reaktionen, die nnter Änderung der Holekttlzahl verlaufen. Vorbemerkung über die numerischen Konzentrationen . . Übersicht der Beispiele . . . . Stickstoffdioxyd und Stickstofftetroxyd Gleichgewichtskonstante i. Falle der Stickstofftetroxydbildung Dissoziationsgrad des Stickstofftetroxydes Die thermodynamisch unbestimmte Konstante im Falle der Stickstofftetroxydbildung Unterschied der spez. Wärmen i. Falle d. Stickstofftetroxydes Analogien zum Falle des Stickstofftetroxydes Die Stickstoffsauerstoffverbindungen im Zusammenhang betrachtet Das Stickstoffdioxyd
130 132 132 133 134
135 135 136
137 138
Das Stickoxyd Das Stickoxydul Fall I : Die Kohlensäurebildung Grundlagen unserer Kenntnisse De villes Versuch bei 1300« C . Devilles Versuch m. d. Flamme Diskussion des Devilleschen Flammenversuches Le Chateliers Auffassung des Devilleschen Versuches . . . Mallard und Le Chateliers Explosionsversuche Die Beziehung von Explosionsdruck und Explosionstemperatur Die Beziehung von Explosionsdruck und Dissoziationsgrad . Temperaturschätzung der Devilleschen Flamme auf Grund der Explosionsversuche. . .
138 138 139 139 139 140 141 142 144
144 145
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Inhaltsverzeichnis. Seite
Die Annahmen über d. Dissoziation bei 3000° C Unsicherheiten der Le Chatelierschen Schätzung: 1. Die Erreichung des Gleichgewichtes ist nicht sicher 2. Die Höchsttemperatur ist nicht direkt vergleichbar . 3. Die Kühlwirkung des Wasserrohres ist schwer zu schätzen Le Chateliers spätere Angaben über die spez. Wärmen . . . Dichtemessungen an hocherhitzter Kohlensäure Beobachtung von V Meyer und Langer Deutung des Ergebnisses von Victor Meyer und Langer. . Nernsts Versuche Le Chateliers Berechnung der Kohlensäuredissoziation. . . Le Chateliers Rechenergebnis im Vergleich zur Beobachtung . Beurteilung der Le Chatelierschen Rechnung Betrachtung vom technischen Standpunkt Betrachtung vom theoretischen Standpunkt Fall II: Die Wasserbildung . . Die Knallgaskctte bei gewöhnlicher Temperatur Genauigkeit des Wertes der Knallgaskette bei gewöhnlicher Temperatur Die Knallgaskette bei hoher Temperatur Fall III: Der Deaconsche ChlorprozefB
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148 149
149 150 151 151 151 153 153 154 155 155 157 158 160
161 161 163
Versuche von Lunge u. Marinier 163 Gleichgewichtskonstante und Zersetzungsgrad beim Deaconprozefs 164
XI Seite
Berechnungsweise der Versuche von Lunge und Marmier . . Die Rolle der Reaktionsgeschwindigkeit beim Deaconprozefs Die Veränderung des Katalysators bei den Versuchen . . Die Ergebnisse von Lunge und Marmier bei 480 0 Vergleich von Theorie und Beobachtung Einflufs der Temperatur beim Deaconprozefs Die Ergebnisse von Lunge und Marmier bei 430 »C Aufklärung einiger Punkte in den Versuchsergebnissen . . Werte oberhalb 480° C . . . . Die chemische Stärke von Chlor und Sauerstoff Wahl der vergleichbaren Bedingungen Vergleich der Knallgas- und der Chlorknallgaskette unter vergleichbaren Bedingungen Fall IV: Schwefelsäurekontaktverfahren Die Formel der Reaktionsenergie Bestimmungen der Gleichgewichtskonstante Wärmetönung nach Bodländer und Koppen Bodensteins Untersuchung . . Die Ausbeute Die Ausbeute als Funktion der Zusammensetzung des Röstgases Folgerungen aus der Ausbeuteformel Ausbeutemaximum im praktischen Falle Clemens Winklers Anteil am Schwefeltrioxydprozefs . . .
165
166 166 IGT 108 168 169 170 170 171 172
173 174 175 176 177 178 179
180 181 182 182
XII
Inhaltsverzeichnis. Seite
Seite
Andere Katalysatoren . . . . 183 Eisenoxyd als Kontaktstoff . . 1 8 4 Fall V : Ammoniakbildung . . 185 Bedingungen der Ammoniakbildung aus den Elementen . . 185 Mögliche Ausbeute an Ammoniak beim theoretischen Gemisch 187 Einflufs von Stickstoffüberschufs auf die Ausbeute 187
Einflufs von Wasserstoffüberschufs auf die Ausbeute . . 188 Bemerkung über die thermodynamisch unbestimmte Konstante 189 Reaktionsträgheit des Stickstoffs und technische Mög lichkeitender Ammoniakgewinnung 189
VI. Vorlesung. Die Bestimmung: der spezifischen Wärme der Gase. Erste Bestimmungen der spez. Warme Versuche von Lavoisier und Laplace Gav-Lussacs Versuche . . . . Apjohn u. Suermanns Versuche Versuche von Delaroche und B) Sitzungsberichte Berliner Akad. (1882) 1 S. 22 und O s t w a l d s Klassiker Nr. 124 (herausgegeben von P l a n c k \ ») Grundr.d. Elektrochemie, Wien 1895 S. 180. Z.phys.Chem. 18,399.
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Latente Wärme und Reaktionsenergie.
Doch wurden dabei nicht Gasreaktionen als Beispiele gewählt. Prinzipiell steht indessen nichts im Wege, diese Versuchsanordn u n g auch auf Gasreaktionen, z. B. auf die Bildung von Wasserdampf aus Wasserstoff und Sauerstoff, zu übertragen. W i r hätten dazu dem Groveschen Gaselement Sauerstoff und Wasserstoff an den Elektroden zuzuführen und anderseits Wasserdampf in dem Mafse (etwa durch einen trockenen Luftstrom, der über die Zellflüssigkeit geht) wegzunehmen, dafs das Element so viel Wasser durch Verdunstung verliert, wie es durch Vereinigung der Elementargase gewinnt. Das Ergebnis wäre eine isotherme Wasserdampfbildung unter Leistung elektrischer Energie, die im zweiten Kalorimeter in Wärme zurück verwandelt und als solche gemessen wird. J e vollkommener es dabei gelingt, Störungen (durch Polarisation der Elektroden) zu vermeiden, u m so mehr wird die Klemmenspannung unserer Zelle ihrer elektromotorischen Kraft n a h e kommen. Die elektromotorische K r a f t aber ist gleich der Triebkraft der zugrunde liegenden chemischen Reaktion. Im Grenzfalle (bei polarisationsfreien Elektroden und verschwindendem inneren Widerstand unserer Zelle) wird die abgegebene elektrische Energie der Reaktionsenergie A gleich. Weiden Sauerstoff und Wasserstoff mit gewöhnlichem atmosphärischen Druck verwandt, während die Temperatur 25° C. beträgt und die Wasserdampfspannung den dieser Temperatur entsprechenden Wert (über der als Elektrolyt dienenden verdünnten Schwefelsäure) besitzt, so ist A f ü r Bildung von 1 Mol Wasserdampf gleich -)- 52654g-cal. nach B ö s e s 1 ) Festeteilung. Die im ersten Kalorimeter beobachtete Wärmeänderung q beträgt dann -f- 5346 cal. Die Summe A + q d. i. 580C0 g-cal. stellt die bekannte Bildungswärme von 1 Mol Wasserdampf dar. 2 ) Bei Verwendung verdünnteren Wasserstoffs ') Zeitschr. f. physik. Chemie 38 (1901) 13. *) Hier ist die Bildungswärme bei konstantem Druck gemeint, welche diejenige bei konstantem Volumen um 1 ! i R T = '/, • 1,98 • 298 = 295 cal. übertrifft. Diese 295 cal. werden von der äufseren Atmosphäre im ersten Kalorimeter geleistet. Sie ändern also q, aber sie lassen A völlig unberührt. Wir können also ebensogut die Summe A q als die Wärmetönung bei konstantem Volumen ansprechen, wenn wir von q die tiröfse von 295 cal. in Abzug bringen. Dies entspricht unserer früheren Feststellung, nach der für die Gröfse der Reaktionsenergie A , welche wir suchen, die Volumenänderung der Gasmasse bei der isothermen Reaktion ohne Belang ist. Das Nähere über die Wärmetönung bei konstantem Druck und Volumen wird in der zweiten Vorlesung mitgeteilt. (Siehe auch diese Vorlesung S. 8.)
Direkte Messung der latenten Wärme.
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oder Sauerstoffs und ebenso bei höherer Spannung des erzeugten Wasserdampfs (wie sie mit Anwendung eines wärmeren Elektrolyten verknüpft ist) sinkt A, während q steigt. Bei Anwendung der Elementarga.se unter hohem Druck oder bei kleinerer Wasserd a m p f s p a n n u n g steigt A, während q abnimmt. Die Summe von A -{- q aber ist stets gleich der Wärmetönung, welche durch diese Veränderungen nicht merklich beeinflufst wird. Unsere Aufgabe besteht nun in der Ermittelang des Zusam- i.atente wärme menhangs der latenten Wärme q mit der Temperatur und Zu- u T e i n p e r a t u r sammensetzung einer reagierenden Gasmasse. Wir lösen zunächst die Aufgabe, den Zusammenhang mit der Temperatur zu finden u n d zwar in zwei Schritten. Angesichts der Verknüpfung der latenten Wärme und der Arbeitsleistung, welche die Gleichung 11 ausspricht, suchen wir zunächst an einem möglichst einfachen Falle, in dem latente W ä r m e und Arbeitsleistung uns entgegentreten, die dort bestehende Verknüpfung mit der Temperatur und weisen dann zu zweit nach, dafs diese Verknüpfung in allen Fällen besteht, weil sie im Wesen von Wärme u n d Arbeit begründet ist. Den einfachsten Fall, in dem sich latente Wärme und Arbeit T,T
IT-,
verknüpfen, bieten uns nicht etwa die Veränderungen der Formart, denn bei diesen haben die beiden Zustände verschiedene Gesamtenergie. Wir finden ihn vielmehr bei der einfachen Expansion eines Gases, bei welcher nach dem »Überströmungs«-Versuche 1 ) von G a y - L u s s a c die Gesamtenergie keine Veränderung erfährt. Die Gesamtenergie eines Gases setzt sich aus seiner chemischen und aus seiner thermischen Energie zusammen. Von der chemischen Energie ist ohne weiteres klar, dafs sie so lange dieselbe bleibt, als das Gas sich chemisch nicht ändert. Von der thermischen Energie hat G a y - L u s s a c durch jenen grundlegenden Versuch bewiesen, dafs sie dieselbe bleibt, wenn wir das Volumen des Gases ändern, ohne ihm dabei äufsere Arbeit zuzumuten. Zu dem Ende verband er ein gasgefülltes (I) und ein gleich grofses evakuiertes (II) Gefäfs durch ein Hahnrohr. In beiden Gefäfsen war die Temperatur gleich, öffnete er den Hahn, so strömte das Gas über. Dabei dehnte es sich im Behälter I aus und wurde kälter. Im Behälter I I hingegen stieg die Temperatur, indem die ersten überströmenden Anteile von den nachfolgenden zusammengedrückt wurden. Nach dem Druck') M a c h , Prinzipien der Wärmelehre 2. Aufl. (1900) S. 198 u. S. 310. H a b e r , Thermodynamik.
2
Der
übeistr»-
inungaversuch.
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Latente Wärme und Reaktionsenergie.
auegleich war die Gashälfte im ersten Behälter um ebensoviel unter der Anfangstemperatur, wie die Gashälfte im zweiten Gefäfs darüber. Die Mitteltemperatur der ganzen Gasmasse hatte also keinerlei Änderung erlitten, während eine solche hätte eintreten müssen, wenn bei der Ausdehnung die thermische Energie des Gases verändert und Wärme vom Gase verschluckt oder freigegeben worden wäre. Der Gay-Lussac sehe Versuch1) ist von J o u l e und Thomson 2 ) sehr verfeinert worden, indem sie komprimiertes Gas in konstantem Strome durch ein Stück Buchsbaumholz drückten, welches in einem wärmeundurchlässigen Rohr eingeklemmt war. Vor dem Holz war der Druck P, dahinter p. Das Gas expandierte also, indem es von höherem zu niederem Druck gelangte. Dabei wurde Arbeit oder Wärme nach aufsen nicht abgegeben, und die Temperatur des Gases mufste vor und hinter dem Holzpfropfen identisch sein, wenn die Gesamtenergie durch die Volumvergröfserung keine Änderung erfuhr. Das Ergebnis der Versuche lehrte, dafs die Änderungen der Temperatur zwar nicht ganz ausblieben, aber um so geringer waren, je mehr die benutzten Gase dem idealen Verhalten sich näherten. Beim idealen Gase gilt also die Unabhängigkeit der Gesamtenergie vom Volumen mit Strenge; bei praktischen Gasen existieren, namentlich bei niedrigen Temperaturen, kleine Abweichungen3); doch kommen dieselben für unsere Zwecke nicht in Betracht. isotherme Lassen wir nun ein Gas unter Arbeitsleistung expandieren, Ciasexpansion. j n ( j e m w j r •' oder IlT —>', wo —y' die Summe aller Molekülzahlen bedeutet (die Molekülzahlen der verschwindenden Stoffe negativ genommen). Für unsere Betrachtungen haben wir beschlossen, die Arbeitsleistungen der chemischen Reaktion bei konstantem Volumen zugrunde zu legen. Danach sind auch die Wärmetönung QT und die spez. Wärmen in Gleichung 2 bei konstantem Volumen zu nehmen. Auf das Mol bezogen, ist die spez. Wärme eines (idealen) Gases bei konstantem Druck um i? (d. i. 1,98) gröfser als bei konstantem Volumen. Bezeichnen wir die in der Gleichung 2) auftretende Differenz der Kürze wegen mit