Vorlesungen über Thermodynamik 9783110825435, 9783110006827


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German Pages 379 [384] Year 1964

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Table of contents :
Aus dem Leben von MAX PLANCK
I. Grundtatsachen und Definitionen
1. Die Temperatur
2. Das Molgewicht
3. Die Wärmemenge
II. Der Erste Hauptsatz der Thermodynamik
1. Allgemeine Formulierung
2. Anwendungen auf homogene Systeme
3. Anwendungen auf inhomogene Systeme
III. Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik
1. Vorbereitendes
2. Beweis
3. Folgerungen
IV. Anwendungen der beiden Hauptsätze
1. Gleichgewichtszustand eines homogenen Systems
2. Gleichgewichtszustand eines Systems in verschiedenen Aggregatzuständen
3. Gleichgewicht eines Systems von beliebig vielen unabhängigen Bestandteilen (Komponenten)
4. Das gasförmige System
5. Verdünnte Lösungen
6. Das Le CHATELIER-BRAUNsche Prinzip
V. Der Dritte Hauptsatz der Thermodynamik
1. Der absolute Wert der Entropie
2. Das NERNSTsche Theorem
3. Folgerungen
VI. Bemerkungen zur Thermodynamik irreversibler Prozesse
1. Allgemeines und Historisches
2. Erklärung einiger Grundbegriffe
3. Die Entropiebilanzgleichung
4. Die ONSAGER-Relationen
5. Einfache Anwendungsbeispiele
6. Eine Invarianzeigenschaft der ONSAGER-Relationen
7. Schlußbemerkung
8. Nachweis einiger Originalarbeiten zur Thermodynamik irreversibler Prozesse
VII. Literatur zur Theorie der Wärme
Sachregister
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Vorlesungen über Thermodynamik
 9783110825435, 9783110006827

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PLANCK

VORLESUNGEN ÜBER THERMODYNAMIK

M **

VORLESUNGEN ÜBER

THERMODYNAMIK VON

MAX PLANCK ELFTE A U F L A G E erweitert um eine Biographie von MAX PLANCK und ein Kapitel über einige Grundbegriffe aus der Thermodynamik irreversibler Prozesse

VON

MAX PÄSLER

1964 WALTER DE G R U Y T E R & CO. VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLACSHANDLUNG J. GUTTENTAC, VERLAGSBUCHHANDLUNG GEORG REIHER KARL J. TRÜBNER VEIT & COMR

B E R L I N 30

Copyright 1064 by WALTER DE GRUYTER & CO., vormals G. J. Gtachen'aohe Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. — Alle Rechte, auch die des auszugswelsen Naohdraokes, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten. Archiv-Nr. 624164. Printed in Germany

Vorwort zur 11. Auflage Seit dem ersten Erscheinen der PLANCKschen Vorksungen über Thermodynamik im Jahre 1897 konnte — zwei Weltkriege überdauernd — ein stets gleichbleibendes Interesse für dieses Werk verzeichnet werden. In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach den Vorlesungen sogar gestiegen, was zur Folge hatte, daß deren 10. Auflage seit einiger Zeit vergriffen ist. Weil indessen nach diesem Buch unvermindert stark gefragt wurde, beschloß der Verlag, die — heute als klassisch zu bezeichnenden —Vorlesungen über Thermodynamik v on PLANCK in der Originalfassung („Historisches Werk") abermals erscheinen zu lassen. Jedoch war beabsichtigt, die neue Auflage dieses Buches durch einige Zusätze zu erweitern. Der Verlag bot mir an, die vorgesehene Erweiterung vorzunehmen. Bei dem Versuch, diese Aufgabe im Rahmen des Gegebenen zu erfüllen, ließ ich mich durch folgende Überlegungen leiten: Der Verlag möchte die Neuauflage der PLANCKschen Vorlesungen im Sinne eines „Historischen Werkes" verstanden wissen. Weil nun ein solches eine Biographie über seinen Autor enthalten sollte, erschien es angebracht, der neuen Auflage einen Abschnitt hinzuzufügen, der den Leser mit dem Wichtigsten aus dem Werdegang von PLANCK bekannt macht und die wissenschaftliche Leistung dieses bedeutenden Physikers umreißt. Dies zu erreichen, ist Aufgabe des Kapitels Aus dem Leben von MAX PLANCK. Weiterhin meine ich, daß sich in einem heutzutage erscheinenden Lehrbuch der Thermodynamik auch ein Hinweis auf die in den letzten drei Jahrzehnten entstandene Thermodynamik der irreversiblen Prozesse finden sollte. Diese Auffassung war Anlaß dafür, in das vorliegende Buch noch den Abschnitt VI aufzunehmen. Mit ihm soll in erster Linie erreicht werden, auf die Thermodynamik der irreversiblen Prozesse aufmerksam zu machen und anzuregen, sich mit diesem jungen Zweig der Theoretischen Physik anhand der einschlägigen Literatur — die

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Vorwort

in einem Schrifttumsverzeichnis (S. 332 bzw. 333) angegeben ist — zu beschäftigen. Wenn es Abschnitt VI außerdem noch vermag, dem Leser auch einen ersten Einblick in die Thermodynamik der irreversiblen Prozesse zu vermitteln, so hat dieser Zusatz seinen Zweck erfüllt. Ich glaube, mit der Erweiterung dieser Vorlesungen durch die Aufnahme des Abschnittes VI im Sinne von PLANCK gehandelt zu haben. Die Thermodynamik war schließlich sein Lieblingsgebiet, weswegen angenommen werden kann, daß PLANCK — hätte er die Gelegenheit dazu gehabt — in einer Neuauflage seiner Thermodynamik auch auf Fortschritte hingewiesen hätte, die auf jenem Gebiet inzwischen erzielt wurden. Außer durch die Aufnahme der vorstehend genannten Zusätze hat die Neuauflage noch geringfügige äußere Änderungen erfahren: es wurde aus dem Abschnitt IV das darin behandelte NERNSTsche Theorem „ausgeklammert" und erscheint nunmehr gesondert als Abschnitt V. Ferner wurden einige Kapitelüberschriften dem heutigen Sprachgebrauch angepaßt. Bei der Durchsicht der Korrekturen und der Anfertigung des neuen Sachregisters halfen mir meine Mitarbeiter H. LÜBBIG und K. RIBTZEL, denen ich für ihre wertvolle Unterstützung bestens danke. Berlin, den 17. Dezember 1963

M. Päsler

Aus dem Vorwort zur ersten Auflage Die erste Anregung zur Abfassung des vorliegenden Buches empfing ich durch mehrfach an mich ergangene Aufforderungen, meine in das Gebiet der Thermodynamik fallenden Abhandlungen gesammelt herauszugeben bzw. zu einer zusammenfassenden Darstellung zu verarbeiten. Wenn auch das erstere Verfahren als das einfachere näher gelegen hätte, so entschied ich mich doch für eine neue Überarbeitung des ganzen Stoffes, weil sich auf diese Weise Gelegenheit bot, mittels einer entsprechenden Erweiterung des behandelten Themas das ganze Gebiet der Thermodynamik in eine einheitliche Darstellung zusammenzufassen. Hierdurch ist dem Werke allerdings der Charakter einer Forschungsarbeit genommen und ihm mehr derjenige eines Lehrbuches gegeben, bestimmt zur Einführung in das Studium der Thermodynamik für jeden, der einen Anfangerkurs in Physik und Chemie durchgemacht hat und mit den Elementen der Differential- und Integralrechnung vertraut ist.

In der bisherigen Entwicklung der Thermodynamik lassen sich deutlich drei voneinander verschiedene Methoden der Forschung unterscheiden. Die erste greift am tiefsten hinein in das Wesen der betrachteten Vorgänge, sie wäre daher, wenn sie sich exakt durchführen ließe, jedenfalls als die vollkommenste zu bezeichnen. Nach ihr wird die Wärme bedingt durch bestimmte Bewegungen der als diskrete Massen gedachten chemischen Moleküle und Atome, die für gasförmige Körper verhältnismäßig einfache Eigenschaften haben, während sie sich für feste und flüssige Körper bisher nur in rohen Zügen angeben lassen. Diese kinetische Theorie hat seit ihrer Begründung durch JouiiE, WATEBSTON, KBÖNIG und CLATTSIUS besonders durch MAXWELL und BOLTZMANN wesentliche Erweiterung und Vertiefung erfahren, scheint aber in ihrer weiteren Entwicklung auf vorläufig

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Vorwort

unüberwindliche Hindernisse zu stoßen, die nicht nur in der hochgradig komplizierten mathematischen Durchführung der angenommenen Hypothesen, sondern vor allen Dingen in prinzipiellen, hier nicht näher zu erörternden Schwierigkeiten bei der mechanischen Deutung der thermodynamischen Hauptsätze begründet sind. Derartige spezielle Schwierigkeiten vermeidet eine zweite, namentlich von HELMHOLTZ ausgebildete, Methode der Thermodynamik, indem sie sich auf die wichtigste Voraussetzung der mechanischen Wärmetheorie beschränkt, daß Wärme auf Bewegung beruht, dagegen auf ein Spezialisieren der Vorstellungen von der Natur dieser Bewegungen zunächst grundsätzlich verzichtet Dieser Standpunkt ist sicherer als der vorige, er gewährt auch die volle philosophische Befriedigung, die die mechanische Naturauffassung überhaupt liefert, aber der Halt, den er bietet, ist bis jetzt nicht breit genug, um darauf eine Theorie im einzelnen aufzubauen. Alles, was man von ihm ausgehend erreichen kann, ist die Bestätigung einiger allgemeiner schon anderweitig direkt aus der Erfahrung abgeleiteter Gesetze. Am fruchtbarsten hat sich bisher eine dritte Behandlung der Thermodynamik erwiesen. Diese Methode unterscheidet sich von den beiden zuerst besprochenen wesentlich dadurch, daß sie die mechanische Natur der Wärme nicht in den Vordergrund stellt, sondern, indem sie sich bestimmter Annahmen über das Wesen der Wärme ganz enthält, statt dessen direkt von einigen sehr allgemeinen Erfahrungstatsachen, hauptsächlich von den sogenannten beiden Hauptsätzen der Wärmelehre, ausgeht Daraus ergeben sich dann auf rein logischem Wege eine große Reihe neuer Sätze der Physik und Chemie, die sich weitgehender Anwendungen fähig gezeigt und bis jetzt überall ausnahmslos bewährt haben. Diese letzte Behandlungsart» welche im vorliegenden Werke ausschließlich benutzt ist, entspricht wohl am besten dem heutigen Stande der Wissenschaft, sie ist aber kaum als die abschließende zu betrachten, sondern wird wahrscheinlich künftig einmal einer mechanischen oder vielleicht auch einer elektromagnetischen Betrachtungsweise Platz machen müssen. Denn wenn es auch eine Zeitlang Vorteil gewähren mag, die einzelnen Wirkungen der Natur: Wärme, Bewegung, Elek-

Vorwort

XI

trizitat usw. zunächst als qualitativ verschieden voneinander einzuführen und die Frage nach ihrer etwaigen Wesensgemeinschaft zu unterdrücken, so wird doch unser durch die Entdeckung des Prinzips der Erhaltung der Energie so mächtig gefordertes Streben nach einer einheitlichen Naturanschauung, sei es auf mechanischer oder auf anderer Grundlage, sich niemals auf die Dauer zurückhalten lassen; würde doch schon heute ein Zurücktreten von der Annahme der Wesensgleichheit aller physikalischen Vorgänge gleichbedeutend sein mit dem Verzicht auf das Verständnis einer Reihe bereits erkannter Gesetzmäßigkeiten zwischen verschiedenen Gebieten der Natur. Dann werden selbstverständlich die hier aus den beiden Hauptsätzen der Wärmelehre abgeleiteten Ergebnisse nicht erschüttert werden, sondern es werden nur diese beiden Sätze nicht mehr selbstständig eingeführt, sondern ihrerseits aus anderen noch allgemeineren Sätzen abgeleitet werden. Es ist aber bis jetzt die Zeit noch nicht abzusehen, in welcher der weite Weg zu diesem Ziel zurückgelegt werden kann. Berlin, im April 1897

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Vorwort

Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage Die zahlreichen und wertvollen Untersuchungen, durch welche seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches die Thermodynamik bereichert worden ist, haben, besonders auf dem Gebiete der physikalischen Chemie, die Fülle der bekannten Tatsachen erheblich vermehrt, ohne jedoch die Grundlagen der Theorie irgendwie zu verändern. Da nun dies Buch hauptsächlich der Darstellung der letzteren gewidmet ist, und die speziellen hier gegebenen Anwendungen mehr den Charakter von Erläuterungsbeispielen besitzen, so glaubte ich von einer Neubearbeitung des Stoffes ganz absehen zu dürfen und habe mich darauf beschränkt, einzelne numerische Daten zu verbessern und im übrigen nur die allgemeineren Gedankengänge sorgfältig nachzuprüfen. Dabei habe ich eine Reihe von kleinen Änderungen und Zusätzen zweckmäßig gefunden, deren manche mir von wissenschaftlichen Bekannten und Fachgenossen freundlichst nahegelegt wurden. Im Hinblick auf den Schlußpassus im Vorwort zur ersten Auflage sei mir noch die Bemerkung verstattet, daß die Theorie der Wärme auf dem -dort angedeuteten Wege in der Zwischenzeit einen bemerkenswerten Schritt vorwärts getan hat Die neueren Forschungsergebnisse auf dem Gebiete der Wärmestrahlung, bei deren Erwähnung ich hier nur auf die Namen W. WIEN, F. PASCHEN, 0. LUMMEB und E. PBINGSHEIM, H. RUBENS und F. KUBLBAUM hinweisen möchte, haben nämlich immer deutlicher erkennen lassen, daß, ebenso wie der erste Hauptsatz der Thermodynamik nur eine Seite des universalen Prinzips der Erhaltung der Energie bildet, so auch der zweite Hauptsatz, das Prinzip der Vermehrung der Entropie, keine selbständige Bedeutung besitzt, sondern sich seinem vollen Inhalt nach verstehen lassen wird, wenn man seine Wurzel, entsprechend der von CLAUSIUS und MAXWELL begründeten

Vorwort

XIII

und dann namentlich von L. BOLTZMANN weiter gebildeten Auffassung, in den bekannten Sätzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung sucht. Danach ist die Entropie irgendeines natürlichen Zustandes ganz allgemein gleich dem Logarithmus der „Wahrscheinlichkeit" des betreffenden Zustandes, multipliziert mit einer universellen Konstanten von der Dimension einer Energie dividiert durch eine Temperatur. Eine nähere Besprechung dieser Beziehung, welche tiefer als bisher in die Erkenntnis der Molekularvorgänge sowohl, wie auch der Strahlungsgesetze hineinführt, würde jedoch den von vornherein ausdrücklich festgelegten Rahmen des vorliegenden Werkes überschreiten und ist daher nicht in dasselbe aufgenommen worden, zumal ich dieselbe in einem besonderen Buche zu behandeln gedenke. Berlin, im Januar 1905

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Vorwort

Aus dem Vorwort zur dritten Auflage Eine sachliche Erweiterung von prinzipieller Bedeutung aber bildet die Einführung des im Jahre 1906 von W. NEBNST aufgestellten Wärmetheorems. Wenn dieser Satz, wie es bis jetzt den Anschein hat, sich nach allen Richtungen hin bewähren sollte, so wäre damit die Thermodynamik um ein Prinzip bereichert, dessen Tragweite, nicht nur in praktischer, sondern auch in molekulartheoretischer Hinsicht, noch gar nicht abzusehen ist Um den wesentlichen Tnhalt dieses neuen Theorems ganz rein, in einer für die experimentelle Prüfung möglichst geeigneten Form darstellen zu können, ist es aber nach meiner Meinung notwendig, seine Bedeutung für die atomistische Theorie, die heute noch keineswegs klar gestellt ist, einstweilen ganz aus dem Spiele zu lassen; und dieser Standpunkt entspricht gerade der auch sonst überall in diesem Buche befolgten Methode. Andrerseits habe ich dem Theorem, um seine Anwendungen so einfach wie umfangreich zu gestalten, eine möglichst weitgehende Fassung geben zu sollen geglaubt, und bin dabei, nicht nur in der Form, sondern auch inhaltlich, über die von NEENST selber gegebene noch etwas hinausgegangen. Ich erwähne diesen Punkt auch an dieser Stelle, weil die Möglichkeit im Auge zu behalten ist, daß, wenn die weitergehende Fassung sich nicht bewähren sollte, die ursprüngliche NEBNSTsche deswegen doch möglicherweise zu Recht bestehen bleiben könnte. Berlin, im November 1910

Vorwort

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Vorwort zur achten Auflage Für die achte Auflage habe ich den ganzen Inhalt des Buches wieder einmal überarbeitet, und bei dieser Gelegenheit auch meinem Beweise des zweiten Hauptsatzes (§ 118 ff.) insofern eine andere Fassung gegeben, als ich ihn nicht, wie bisher, zunächst auf ideale Gase, sondern gleich von vornherein auf beliebige Körper erstreckte, ebenso wie das C. CABATHÜODOBY bei seiner sorgfältigen aromatischen Begründung des zweiten Hauptsatzes im 67. Band der Mathematischen Annalen, 8. 355, vom Jahre 1909, durchgeführt hat. Von der Benutzung des CAB sehen Ausgangsprinzips glaubte ich allerdings absehen zu sollen, wegen gewisser Bedenken, die ich an andrer Stelle, in den Sitzungsberichten der Preußischen Akademie der Wissenschaften vom Jahre 1926, S. 453, auseinandergesetzt habe. Eine wesentliche Verbesserung konnte auch die Darstellung der Thermodynamik starkdissoziierter Elektrolyte (§273) erfahren, da die in der Zwischenzeit erschienenen Arbeiten von P. DEBTE und E. HÜCKEL durch ihre tiefere Erfassung des Problems einen bedeutenden Schritt über die von GHOSH erzielten Resultate hinausgeführt haben. Endlich erwähne ich hier noch als besonders bemerkenswert die Tatsache, daß in neuester Zeit durch Messungen von F. SIMON die Nullpunktsentropie einer Lösung (§ 291) zum erstenmal nicht nur wohl einwandfrei nachgewiesen, sondern auch in merklicher Übereinstimmung mit der Theorie gefunden worden ist. Berlin-Grunewald, im Januar 1927

XVI

Vorwort

Vorwort zur zehnten Auflage In den schwerenZeiten seit der neuntenAuflage vom Jahrel930 ist Plancks Thermodynamik nicht mehr neu erschienen. Sie fehlt schon seit Jahren im Buchhandel, sehr zum Schaden der Ausbildung der Studierenden, aber auch zum Schaden der Forschung überhaupt. Es ist manchmal erschreckend, wie wenig selbst ausgereifte, kluge, sonst gut ausgebildete Forscher mit thermodynamischen Methoden umzugehen wissen. Darin liegt die buchhändlerische Rechtfertigung für die zehnte Auflage. Es gibt aber noch eine andere Rechtfertigung. Plancks Thermodynamik ist nicht nur ein Lehrbuch, sie enthält implizite auch die Geschichte seiner eigenen Entwicklung in den beiden ersten Jahrzehnten seiner Tätigkeit. Der jugendliche Student fand keinen Lehrer der theoretischen Physik, dessen Unterricht ihn befriedigte. So warf er sich auf die thermodynamischen Schriften von R u d o l f Clausius, ohne daß ihm ein persönlicher Kontakt mit diesem gelungen wäre. Er entwickelte sich gerade in seinem Hauptfach, man muß schon sagen als Autodidakt. Seine Selbständigkeit zeigte sich auch darin, daß er in der Methode der eigenen Arbeiten über das, was er gelesen hatte, sogleich hinausging. Der Entropiebegriff stammt von Clausius, aber die ihm gebührende zentrale Stellung in der Thermodynamik gab ihm erst Planck. Seinem Wirken ist es zu verdanken, wenn heutzutage sogar die Technik oftmals mit Entropiediagrammen arbeitet. Aus der Geschichte der Quantentheorie aber ist bekannt, wie gerade die Betonung des Entropiebegriffs Planck zu seiner größten Tat führte, der Entdeckung des Strahlungsgesetzes. Das Werk ist nicht veraltet und wird so leicht nicht veralten; das liegt an der Beschränkung des Stoffs auf die eigentliche, ausschließlich mit den drei Hauptsätzen mathematisch operierende Thermodynamik. Auch wo eine Abschweifung zur

Vorwort

XVII

statistischen Methode nahegelegen hätte, die Planck an anderer Stelle so erfolgreich verwandt hat, hat er hier mit vollem Bewußtsein darauf verzichtet. In der Beschränkung zeigt sich auch hier der Meister; sein Werk ist dadurch klassisch geworden. Darum durfte der Herausgeber nur mit äußerster Vorsicht einige wenige Änderungen vornehmen Die neue Auflage ist fast ganz ein photomechanischer Nachdruck der neunten. Die Umbenennung der Wärmefunktion W in H (,,Heatfunction") ist eine Äußerlichkeit, welche dem heutigen internationalen Brauch entgegenkommen soll. Nur zwei sachliche Änderungen erschienen geboten. § 282 der neunten Auflage spricht mit einer gewissen Zurückhaltung von der „bisherigen" Bestätigung des damals noch etwas umstrittenen N ernst sehen Wärmesatzes. Heute haben wir ein klareres und sichereres Urteil über diesen; Planck selbst hätte wohl in späteren Auflagen, wenn er welche erlebt hätte, den Wortlaut entsprechend geändert. So ist der jetzige §289 gegenüber dem früheren § 282 neu gefaßt. Die Hinaufnumerierung aller Paragraphen und Gleichungen von § 281 alter Zählung an ist die Folge des einzigen Zusatzes, nämlich des neuen Kapitels 6 im Abschnitt IV, handelnd vom Le Chatelier-Braunschen Prinzip. Der 76jährige Planck hat diesem Prinzip in den Annalen der Physik, Band 19 (1934) eine Abhandlung gewidmet, die letzte thermodynamische Veröffentlichung aus seiner Feder. Der Herausgeber ist überzeugt, Planck hätte selbst diese Erweiterung seines Buches vorgenommen, hätte sich ihm Gelegenheit geboten. Bei Abfassung dieses Zusatzes hat sich der Herausgeber freilich mehr an die Darstellung von C. Wagner in der Thermodynamik von W. Schottky, H. Ulich und C.Wagner (Berlin 1929) gehalten, die Planck selbst in dem folgenden Bande der Annalen als zutreffend anerkannt hat. Beide Darstellungen erstreben und erreichen dieselbe Säuberung der Ideen über dieses vielverwendete Prinzip. Und auch bei seiner eigenen Darstellung hat sich der Herausgeber bemüht, im Geiste seines hochverehrten Lehrers Planck vorzugehen. Ein wissenschaftliches Buch soll man kühl und sachlich würdigen, das hat niemand schärfer betont als Planck. Und dennoch läßt jedes mit Hingabe der ganzen Persönlichkeit geschriebene

XVIII

Vorwort

Werk etwas von dieser Persönlichkeit durchblicken. Was für eine Persönlichkeit dieses Werk geschrieben hat, wird dem Leser klarwerden, wenn er sich in das Buch versenkt. Nicht ohne Ehrfurcht vor dem großen Toten wird er es dann wieder aus der Hand legen. Herrn Dr. W. F. Schottky danke ich für seine Mitwirkung. Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, im Januar 1954

M. v. Laue.

Inhaltsverzeichnis Seite

Aus dem Leben von MAX PLANCK

XXI

L Grundtatsachen und Definitionen 1. Die Temperatur 2. Das Molgewicht 3. Die Wärmemenge

l 21 31

. Der Erste Haoptsatx der Thermodynamik 1. Allgemeine Formulierung 2. Anwendungen auf homogene Systeme 3. Anwendungen auf inhomogene Systeme

38 46 67

DL Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik 1. Vorbereitendes 2. Beweis 3. Folgerungen

77 87 102

IV. Anwendungen der beiden Hauptsätze 1. Gleichgewichtszustand eines homogenen Systems 2. Gleichgewichtszustand eines Systems in verschiedenen Aggregatzuständen 3. Gleichgewicht eines Systems von beliebig vielen unabhängigen Bestandteilen (Komponenten) 4. Das gasförmige System 6. Verdünnte Lösungen 6. Das Le CnATELiER-BRAUNsche Prinzip

120 133 173 209 224 266

V. Der Dritte Hauptsatz der Thermodynamik 1. Der absolute Wert der Entropie 2. Das NERNSTsche Theorem 3. Folgerungen

279 281 283

VI. Bemerkungen zur Thermodynamik irreversibler Prozesse 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Allgemeines und Historisches 302 Erklärung einiger Grundbegriffe 305 Die Entropiebilanzgleichung 309 Die ONSAGER-Relationen 315 Einfache Anwendungsbeispiele 321 Eine Invarianzeigenschaft der ONSAQER-Relationen 328 Schlußbemerkung 331 Nachweis einiger Originalarbeiten zur Thermodynamik irreyersibler Prozesse . 332

. Literatur zur Theorie der Wärme Sachregister

333 340

Aus dem Leben von MAX PLANCK Max PLANCK wurde als Sohn des Universitätsprofessors der Jurisprudenz Wilhem PLANCK und dessen Ehefrau Emma, geb. PATZIG, am 23. April 1858 in Kiel geboren. In dieser Stadt verbrachte PLANCK nur einen Teil seiner Kindheit, weil die Familie PLANCK im Jahre 1867 nach München umzog. Hier besuchte Max PLANCK das MaximiliansGymnasium, wo er erstmalig mit der Physik in Berührung kam. In diesem Fach unterrichtete der Mathematiklehrer Hermann MÜLLER, den PLANCK als „einen mitten im Leben stehenden, scharfsinnigen und witzigen Mann" bezeichnete, dessen er sich später gern und dankbar erinnerte [l*, S. l u. 15]1. PLANCK verließ das Gymnasium — etwas über 16 (!) Jahre alt — nach erfolgreich abgelegter Reifeprüfung im Jahre 1874. Er hatte die Absicht, sich anschließend dem Studium der Mathematik und Physik zu widmen und befragte daher den damaligen Ordinarius für Physik an der Münchener Universität, Philipp v. JOLLY (1809—1884), nach den Aussichten eines solchen Studiums. Der jugendliche PLANCK erhielt auf seine Frage von v. JOLLY die Antwort, daß sich eine Beschäftigung mit der Physik wohl nicht mehr recht lohne, denn diese sei eine „hochentwickelte, nahezu voll ausgereifte Wissenschaft, die nunmehr, nachdem ihr durch die Entdeckung des Prinzips der Erhaltung der Energie gewissermaßen die Krone aufgesetzt sei, wohl bald ihre endgültige stabile Form angenommen haben würde... . . . und die theoretische Physik nähere sich merklich demjenigen Grade der Vollendung, wie ihn etwa die Geometrie schon seit Jahrhunderten besitze" [l*, S. 169]. 1

Die mit einem Stern * versehenen Zahlen weisen auf Literatur hin, die im Anschluß an diese Biographie (auf S. XXXV) angegeben ist. Dagegen beziehen sich Zahlen in eckigen Klammern [] auf das Schrifttumsverzeichnis, das auf 8.333 ff. zu finden ist.

XXII

Aus dem Leben von Max Planck

Diese Äußerung kennzeichnet die Auffassung über den Stand der Physik vor knapp einem Jahrhundert: Man war damals wohl einhellig der Meinung, alle grundlegenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten zu kennen und hoffte bestimmt, eine Reihe von Erscheinungen, die man mit den s. Zt. bekannten Gesetzen nicht zu erklären vermochte, doch eher oder später mit eben dem damaligen Wissen, also ohne grundsätzlich neue Erkenntnisse, verstehen zu können, denn: „... das System als Ganzes stehe ziemlich gesichert da". Trotz des so wenig Aussicht versprechenden Bescheides, den PLANCK bzgl. einer Beschäftigung mit der Physik von v. JOLLY erhielt, entschloß sich jener dennoch, seine Absicht zu verwirklichen und er nahm das Studium der Mathematik und Physik im Jahre 1875 auf. Er führte dieses zunächst an der Universität München durch, wo zur gleichen Zeit auch Heinrich HERTZ (1857—1894) studierte. Es waren lediglich äußere Gründe, die es mit sich brachten, daß sich diese beiden bedeutenden Physiker nicht schon damals als Studenten, sondern erst später kennenlernten, Näheres hierzu vgl. [l*, S. 3]. Im Jahre 1877 ging PLANCK zur Fortsetzung seiner Studien nach Berlin, wo s. Zt. Hermann v. HELMHOLTZ (1821—1894), Gustav KIBCHHOFF (1824—1887), Karl WEIERSTRASS (1815—1897) u.a. wirkten. Unter den „Auspizien" dieser Forscher wurde zwar PLANCKS „wissenschaftlicher Horizont beträchtlich erweitert", indessen war er von der Form ihrer Vorlesungen keineswegs begeistert, da sie ihm „keinen merklichen Gewinn brachten" [l*, S. 3/4]. Dennoch ist jene Berliner Studienzeit für PLANCK von entscheidender Bedeutung geworden, weil er damals die grundlegenden wärmetheoretischen Arbeiten [107] von Rudolf CLAUSIUS (1822—1888) kennenlernte, mit denen er sich sogleich eingehend befaßte. Diese Studien waren für die Richtung der späteren wissenschaftlichen Arbeit PLANCKS von ausschlaggebender Bedeutung. Nach einjährigem Aufenthalt in Berlin ging PLANCK wieder nach München zurück. Dort meldete er sich zu der Prüfung für das Höhere Lehramt, die er später erfolgreich ablegte. Anschließend beschäftigte sich PLANCK mit der Abfassung einer Dissertation. In ihr legte er eine Reihe von Überlegungen dar, die er im Anschluß an das Studium der Arbeiten von CLAÜSIUS anstellte, um einige Punkte der „Mechanischen Wärmetheorie", die ihm ergänzungsbedürftig erschienen, zu verbessern. Insbesondere erschien PLANCK eine Verschärfung der Begründung des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik erforderlich. Als er glaubte, diese gefunden zu haben, faßte er seine Betrachtungen in eine Arbeit

Aus dem Leben von Max Planck

XXIII

mit dem Titel „Über den Zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie" [118, Bd. I, S. 1], zusammen und reichte diese als Dissertation an der Universität München ein. Das Promotionsverfahren endete am 28. 6.1879, an welchem Tage PLANCK den mündlichen Teil seiner Dr. phil.-Prüfung bestand, an die sich die feierliche Promotion anschloß. Die Opponenten, denen gegenüber PLANCK, wie es damals üblich war, den Inhalt seiner Dissertation zu verteidigen hatte, waren Carl RUNGE (1856—1927) und Adolf HURWITZ (1859—1919). Etwa ein Jahr nach seiner Promotion habilitierte sich PLANCK mit einer Arbeit über „Gleichgewichtszustände isotroper Körper" [118, Bd. I, S. 62], in der er die Ergebnisse seiner Dissertation auf die Beschreibung einiger physikalisch-chemischer Vorgänge anwendet. In seiner Eigenschaft als Privatdozent hielt PLANCK Vorlesungen über alle Gebiete der Theoretischen Physik. Diese Vorlesungen wurden sauber ausgearbeitet und bildeten den Grundstock zu einer fünfbändigen „Einführung in die Theoretische Physik" [5], die zwischen 1916 und 1930 erschien und inzwischen mehrfach aufgelegt wurde. Die vorliegenden „Vorlesungen über Thermodynamik" f sowie ein weiteres Buch mit „Vorlesungen über Wärmestrahlung" [95] gehören zwar nicht zu den Bändet der „Einführung in die Theoretische Physik", sondern wurden gesondert verfaßt, jedoch sind sie als Ergänzung zu dem einführenden Werk gedacht. Über die Geschichte der Entstehung dieses Buches unterrichtet das Vorwort zu dessen 1. Auflage. PLANCK hatte gehofft, daß die von ihm in seiner Dissertation und in seiner Habilitationsschrift niedergelegten Beiträge zur Thermodynamik Anklang und Beachtung finden würden. Indessen war dies keineswegs der Fall, was PLANCK stark enttäuschte. Seine Enttäuschung wuchs, als er erfuhr, daß v. HELMHOLTZ seine Arbeiten vermutlich überhaupt nicht gelesen hatte, und KIRCHHOFF ihren Inhalt gänzlich ablehnte. Ein Versuch seitens PLANCKS, mit CLAUSIUS zusammenzukommen, um mit ihm über die Grundlagen der Thermodynamik zu diskutieren, scheiterte, und ein mit Carl NEUMANN (1832 — 1926), der damals in Leipzig tätig war, aufgenommener Schriftwechsel über jene Fragen verlief ergebnislos. Daher sah es PLANCK als einen „Lichtstrahl in dieser thermodynamischen Dunkelheit" [l*, S. 5] an, daß von der Universität Göttingen die Behandlung des Themas „Das Prinzip der Erhaltung der Energie" als Preisaufgabe ausgeschrieben wurde. PLANCK beschloß, an diesem wissenschaftlichen Wettbewerb teilzunehmen und begab sich an die Bearbeitung des genannten Themas. S$ine Bemühungen wurden belohnt, denn die von ihm eingereichte

XXIV

Aus dem Leben von Max Planck

Schrift [116] wurde als einzige von den insgesamt nur drei eingegangenen Arbeiten preisgekrönt. Die verständliche Freude, die PLANCK ob dieser Auszeichnung empfand, wurde indessen insofern etwas gedämpft, als ihm nur der zweite Preis erteilt wurde. Daß er nicht den ersten Preis erhielt, führte PLANCK darauf zurück, daß er in seiner Arbeit ausdrücklich Partei für v. HELMHOLTZ ergriff, der sich damals in einem scharfen wissenschaftlichen Streitgespräch mit Wilhelm WEBER (1804—1891) befand. Dieser war damals Professor der Physik an der Universität Göttingen, deren Philosophische Fakultät (die das Preisausschreiben veranstaltet hatte), an der PLANCKschen Arbeit kritisierte, daß sie „den Bemerkungen, durch welche sich der Verfasser mit dem ,WEBEBschen Gesetz' abzufinden sucht, ihre Zustimmung versagen" muß. Diese Äußerung sieht PLANCK im wesentlichen als Grund dafür an, daß „die Göttinger Fakultät mir den ersten Preis verweigerte" [l*, S. 5]. Nach öjähriger Tätigkeit als Privatdozent erhielt PLANCK einen Ruf als Extraordinarius an die Universität Kiel. Er nahm diesen Ruf an und blieb in seiner Geburtsstadt von 1885 bis Anfang 1889. In dieser Zeit befaßte sich PLANCK insbesondere mit Fragen über die Elektrizitätsleitung in Elektrolyten. Durch einige Arbfeiten zu diesem Problem kam PLANCK mit Svante ARRHENIUS (1859—1927, Nobelpreisträger für Chemie 1903) in Verbindung, der um etwa diese Zeit seine Theorie der elektrolytischen Dissoziation aufgestellt hatte. Während seiner Kieler Zeit gründete PLANCK einen eigenen Hausstand. Er ging 1887 mit Marie MERCK die Ehe ein, der im Verlauf der Zeit vier Kinder entsprossen. Es bereitete später PLANCK sehr viel Leid, daß er nicht nur seine (erste) Gattin, sondern auch einige seiner Kinder „in der Blüte ihrer Jahre" [4*, S. 119] verlor. Anfang 1889 erhielt PLANCK einen Ruf an die Universität Berlin, um dort als Nachfolger KIRCHHOFFS zu wirken, der inzwischen (1887) "erstorben war. PLANCK nahm den an ihn ergangenen Ruf an und vertrat die Theoretische Physik zunächst als Extraordinarius, ab 1892 als Ordinarius. Im gleichen Jahr wurde er Vorstand des neugegründeten „Instituts für Theoretische Physik" an der Universität Berlin, in welcher Eigenschaft er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1926 ununterbrochen tätig war. Einen 1907 erhaltenen Ruf, die Nachfolge Ludwig BOLTZMANNS (1844—1906) in Wien zu übernehmen, hatte PLANCK abgelehnt. Die Berliner Jahre waren eine Zeit, in der, wie es PLANCK selbst betont, er die „stärkste Erweiterung seiner ganzen wissenschaftlichen

Aits dem Leben von Max Planck

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Denkweise erfuhr" [l*, S. 6]. Insbesondere freute sich PLANCK darauf, in Berlin Gelegenheit zu haben, „mit den Männern, welche damals die Führung in der wissenschaftlichen Forschung der Welt innehatten", persönlichen Kontakt aufnehmen zu können. Indessen wurde ihm, wie er selbst sagte, „der Einstand nicht leicht gemacht". PLANCK war „eben damals weit und breit der einzige theoretische Physiker, gewissermaßen ein Physiker sui generis", dem man zwar sehr freundlich („die Herren Assistenten am Physikalischen Institut mit einer gewissen betonten Zurückhaltung") begegnete, den man aber „eigentlich für ziemlich überflüssig hielt" [l*, S. 9]. Allmählich gelang es PLANCK jedoch, mit den damaligen Berliner Kollegen nähere persönliche Beziehungen aufzunehmen und er sah insbesondere sein enges Zusammenkommen mit v. HELMHOLTZ und dessen Familie als „eine der wertvollsten Bereicherungen seines Lebens" an (vgl. hierzu [l*, S. 7ff.])· Auch in wissenschaftlicher Hinsicht hatte es PLANCK viele Jahre hindurch außerordentlich schwer, denn es gelang ihm zunächst nicht, auch nur einem seiner Gedanken zum Erfolg zu verhelfen und ihm Anerkennung zu verschaffen, obwohl er für jede seiner Überlegungen stichhaltige theoretische Beweise hatte. Diese wenig erfreuliche Erfahrung hatte er bereits nach Veröffentlichung seiner Dissertation und der Habilitationsschrift gemacht und er mußte ähnliche Enttäuschungen auch weiterhin noch mehrfach hinnehmen. So hatte, um hierfür wenigstens ein Beispiel anzugeben, PLANCK aus der 1889 von Walter NEBNST (1864—1941, Nobelpreisträger für Chemie 1920, damals in Göttingen tätig) aufgestellten Theorie über die „Entstehung der EM K in galvanischen Zellen" eine Formel für die Potentialdifferenz zwischen zwei Elektrolyten hergeleitet. Numerische Werte, die PLANCK aus seiner Formel erhielt, stimmten mit von NEBNST gemessenen Werten aufs beste überein. PLANCK war daher überzeugt, daß seine Überlegungen zutreffend waren und kündigte einen Vortrag über „Potentialdifferenzen zwischen zwei Elektrolyten" in der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin an, um sich dort „recht vorteilhaft" einzuführen. Der erwartete Erfolg blieb jedoch gänzlich aus: nach Beendigung des Vertrages meldete sich niemand zur Diskussion, lediglich der Vorsitzende der Sitzung, Emil DU BOIS-REYMOND (1818—1896), einer der Mitbegründer der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin, äußerte sich zu den Ausführungen PLANCKS in sehr negativer. Weise: nach seiner Meinung war die Grundlage der PLANCKschen Überlegungen höchst unsicher und DU BOIS-REYMOND bezeichnete es als einen Zufall, daß die von PLANCK aus seiner Theorie berechneten Werte mit den Meßergebnissen

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von NERNST übereinstimmen. Diese Kritik war für PLANCK „eine kalte Dusche auf seine glühende Begeisterung", die ihn verständlicherweise erheblich deprimierte. Die extrem großen Schwierigkeiten, die damals zu überwinden waren, um einer neuen Idee zum Durchbruch zu verhelfen, kennzeichnet PLANCK durch den Satz: „Gegen die Autorität von Männern wie W. OSTWALD, CH. HELM, E. MACH war eben nicht aufzukommen" [l*, S. 12]. Ähnlich wie mit seinen bisherigen Arbeiten, erging es PLANCK auch mit seiner unvergänglichen Hauptleistung, der Herleitung des Strahlungsgesetzes und der Begründung der Quantentheorie: seine diesbzgl. Arbeiten fanden anfänglich überhaupt keinen Widerhall, z. T. erfuhren sie sogar, wohl wegen des für die damalige Zeit so überaus fremdartigen Gedankens der „Energiestufenhypothese", von der Fachwelt deutliche Ablehnung. Aus der Geschichte der Auffindung des Strahlungsgesetzes und der Entdeckung des elementaren Wirkungsquantums, über die PLANCK selbst im einzelnen berichtet—[3*], letzte Fassung [l*, S. 15] — sei hier nur folgendes bemerkt. Nachdem sich PLANCK seit seiner Habilitation ausschließlich mit Fragen der Klassischen Thermodynamik und ihrer Anwendung auf die Physikalische und Elektro-Chemie befaßt hatte, wandte sich um 1894/95 sein Interesse dem Problem der Wärmestrahlung zu. Mit der Erforschung der Gesetzmäßigkeiten dieser Erscheinung, deren Begriff von dem Chemiker Carl SCHEELE (1742—1786) geprägt wurde, hatte man etwa in der Mitte des 18. Jahrhunderts begonnen. Anfänglich konnte nur ein verhältnismäßig geringer Einblick in dieses Gebiet gewonnen werden. Es dauerte ziemlich genau ein Jahrhundert, bis KIBCHHOFF im Jahre 1859 die ersten grundlegenden, heute ihm zu Ehren benannten Gesetze der „Hohlraum-Strahlung" auffand und dabei das Modell des „Schwarzen Körpers" einführte. KIRCHHOFF wies als erster theoretisch nach, daß die Dichte der Gesamtenergie der „Schwarzen Strahlung" nicht von den Eigenschaften der Oberfläche des Strahlers, sondern allein von dessen absoluter Temperatur T abhängt. Die explizite Form dieses Gesetzes wurde 1879 von Joseph STEFAN (1835—1893) auf experimentellem Wege ermittelt und etwas später, 1884, von BOLTZMANN — allein mittels einer Aussage der MAXWELLschen Theorie (über den Straljlungsdruck) und des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik — theoretisch begründet. Diese ebenso kurze wie auch überaus elegante Herleitung des STEFAN-BoLTZMANNsehen Gesetzes nannte Hendrik Antoon LORENTZ (1853—1928, gemeinsam mit

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Pieter ZEEMANN, 1865—1943, Nobelpreisträger für Physik 1902) in seinem Nachruf auf BOLTZMANN eine „wahre Perle der Theoretischen Physik" [2*]. Mit dem STEFAN-BoLTZMANNschen Gesetz hatte man das Strahlungsgesetz in integraler Form gefunden und es verblieb die Aufgabe, seine differentielle Form aufsuchen. Damit ist jene Gesetzmäßigkeit , dv = u, (v, T) dv gemeint, die angibt, welcher Anteil der von einem schwarzen Körper von der absoluten Temperatur T ausgestrahlten Energiedichte auf den Frequenzbereich v ... v + dv entfällt. Nach diesem Naturgesetz zu suchen, erschien PLANCK als eine „besonders verlockende Aufgabe", der er sich höchst interessiert zuwandte. Seine steten Bemühungen um ihre Lösung führten schließlich zum Erfolg: nach einiger Zeit „angestrengter Arbeit" gelang es PLANCK, eine Formel anzugeben, die als endgültige Antwort auf die Frage nach der spektralen Energieverteilung eines Strahlers anzusehen und heute als PLANCKSCÄCS Strahlungsgesetz bekannt ist. PLANCK war keineswegs der erste, der sich mit dem Strahlungsproblem beschäftigte, vielmehr wurde schon vor ihm mehrfach versucht, jene Aufgabe zu lösen. Wenngleich dies damals noch nicht gelungen war, so konnten immerhin gewisse bemerkenswerte Teilergebnisse verzeichnet werden. Als eines von ihnen ist das EAYLEiOH1-JEANSscÄea Gesetz zu nennen. Dieses beschreibt zwar die Strahlungsvorgänge für kleine Frequenzen sehr gut, es stimmt aber mit der Erfahrung nicht mehr im Bereich hoher Frequenzen überein, wo es ob seiner Form unweigerlich zur „Ultraviolett-Katastrophe" führt. Dieses Mangel besitzt ein anderes, 1896 von Wilhelm WIEN (1864—1928, Nobelpreisträger für Physik 1911) angegebenes Strahlungsgesetz nicht, das, wie es übrigens anfänglich schien, durch das Experiment vollauf bestätigt wurde. Jedenfalls sprachen Ergebnisse von Strahlungsmessungen zunächst durchaus für die Richtigkeit des WiENscAew Gesetzes. Diese Messungen sind insofern erwähnenswert, als sie mit einer Anordnung durchgeführt wurden, die dem von KTRCHHOFF theoretisch eingeführten Modell des „Schwarzen Körpers" sehr nahe kamen. Seine Realisierung gelang erstmalig Otto LUMMER (1860—1925) und WIEN im Jahre 1895. Später haben mit ihm LUMMER und Ernst PRINGSHEIM (1859—1917) Strahlungsmessungen durchgeführt und erhielten 1

Lord RAYLBIGH, vormals John William STBTTTT, 1842—1919, Nobelpreisträger für Physik 1904. 2 James JEANS, später Sir James HOPWOOD, 1877—1946.

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dabei Ergebnisse, die uneingeschränkt zugunsten des WiENschen Gesetzes sprachen, so daß dessen Gültigkeit vorab unzweifelhaft erschien. Diese Ansicht wurde noch wesentlich erhärtet, nachdem sich PLANCKS Interesse dem Strahlungsproblem zugewandt hatte und er zeigen konnte, daß das von WIEN auf Grund anfechtbarer Überlegungen gefundene Verteilungsgesetz der Strahlungsenergie sich als Folge einer Theorie der irreversiblen Strahlungsvorgänge in strenger Weise herleiten läßt. PLANCK war daher, wie wohl auch alle Physiker der damaligen Zeit, fest davon überzeugt, daß dem WiENschen Gesetz Allgemeingültigkeit zukomme. Dem war indessen durchaus nicht so. Denn das Ergebnis weiterei, von LUMMER und PBINGSHEIM im Jahre 1900 durchgeführter Strahlungsmessungen bestätigte zwar erneut, daß im Bereich hoher Frequenzen die WiENsche Strahlungsformel wohl gut zutrifft, jedoch zeigten die Messungen erstmalig, daß das WiENsche Gesetz für niedrige Frequenzen eindeutig versagte. Vielmehr erwiesen etwa zur gleichen Zeit von Ferdinand KURLBAUM (1857—1927) und Heinrich RUBENS (1865—1922) durchgeführte Messungen, daß die Energieverteilung für niedrige Frequenzen sehr zufriedenstellend durch das RAYLEIGHjEANSsche Gesetz beschrieben wird. Dieser Tatbestand veranlaßte PLANCK zu einer Revision der bisher bekannten Aussagen der Strahlungstheorie. Es war für PLANCK klar, daß sowohl die RAYLEIGHjEANSsche als auch die WiENsche Strahlungsformel „höchstens den Charakter eines Grenzgesetzes" haben konnten und er setzte es sich daher als Ziel, eine „verbesserte Spektralgleichung" aufzufinden. Seine Bemühungen in dieser Richtung waren erfolgreich, denn es gelang ihm, aus den beiden bekannten Strahlungsgesetzen durch Interpolation eine neue Strahlungsformel zu gewinnen, die die Gesetze von RAYLEIGHJEANS und WIEN als Grenzfälle enthielten. Über dieses Ergebnis seiner Überlegung berichtete PLANCK am 19.10.1900 vor der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Berlin [5*]. Er hatte die Genugtuung, bei dieser Gelegenheit mitteilen zu können, daß alle bis damals bekannten Meßergebnisse uneingeschränkt in zufriedenstellender Weise durch seine neue Strahlungsformel wiedergegeben wurden. Wenngleich es auch anfänglich manche Anzweiflung erfuhr, so wurde das PLANCKsche Strahlungsgesetz im Verlauf der nächsten Zeit durch weitere Messungen — von KUBLBAUM und RUBENS durchgeführt im Gebiet langer Wellen und von Friedrich PASCHEN (1865—1947) durchgeführt im Gebiet k u r z er Wellen —immer wieder aufs beste be-

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stätigt. Man kann heute sagen, daß es wohl kaum eine andere Aussage der Theoretischen Physik gibt, die in derartig kritischer Weise auf ihre Richtigkeit hin untersucht wurde wie die PLANCKSche Strahlungsformel, die jedweder Prüfung ausnahmslos standhielt. Dieser große Erfolg, den PLANCK damit erzielt hatte, erfreute ihn zwar sehr, jedoch war er mit seiner Leistung nicht zufrieden. Er war zu seinem neuen Strahlungsgesetz auf „halb-empirischem" Wege gelangt und daher erschien ihm jene lediglich „als eine glücklich erratene Interpolationsformel". PLANCK sah es deswegen als nächste wichtige Aufgabe an, für sein neues Strahlungsgesetz eine theoretisch fundierte Herleitung zu geben. Hierbei ging er, was für PLANCKS Arbeitsmethode charakteristisch ist, nicht etwa in der Weise vor, daß er versuchte, das von ihm selbst auch eine Zeit lang verteidigte WiENsche Gesetz „in geeigneter Weise" abzuändern, vielmehr begann er mit unbestechlicher Selbstkritik die Arbeit ganz von vorn und schlug hierbei einen völlig neuen Weg ein. Auf Grund seiner guten thermodynamischen Kenntnisse führte PLANCK das Strahlungsproblem auf das Aufsuchen der Abhängigkeit der E n t r o p i e S der Strahlung von deren Energie U und der Frequenz v zurück: S — S (U, v)- Die Benutzung des Entropiebegriffes war s. Zt. noch ungewöhnlich, da seine Bedeutung damals noch keineswegs klar erkannt war und „so kümmerte sich niemand um die von mir benutzte Methode, und ich konnte in aller Muße und Gründlichkeit meine Berechnungen anstellen, ohne von irgendeiner Seite eine Störung oder Überholung befürchten zu müssen" [l*, S. 21]. Die unablässigen Bemühungen PLANCKS um das Auffinden einer streng begründeten Strahlungsformel führten schließlich zum Erfolg. Allerdings mußte dieser mit der Aufgabe der bis dahin als unerschütterlich angesehenen Anschauung einer stetigen Energieänderung erkauft werden, an deren Stelle nunmehr der Begriff der quanterihäiten Energieänderung trat. Über dieses Thema trug PLANCK am 14.12.1900 wiederum vor der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin vor[6*], [7*]. Indem er dabei das nachihm benannte elementare Wirkungsquantum h einführte, begründete er die Quantentheorie, die seit diesem Tage datiert. Es gehört nicht zu der Aufgabe dieses Abschnittes, von der grandiosen Entwicklung und den so überaus großen Erfolgen der Quantentheorie seit ihrer Begründung in der Folgezeit im einzelnen zu berichten1. 1

Man wird vielleicht meinen, daß die Geschichte der Quantentheorie gut bekannt ist, was jedoch durchaus nicht zutrifft. Denn es hat sich in letzter Zeit erwiesen, daß man über eine Menge von Einzelheiten aus der Entwicklung

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Hier sei allein nur bemerkt, daß die PLANCKsche Quantenhypothese zunächst überhaupt keinen Anklang fand. Da sich allerdings zeigte, daß das auf Grund der Quantenvorstellung gefundene PLANCKsche Strahlungsgesetz jeder experimentellen Prüfung standhielt und sich ausnahmslos bewährte, wurde es zwar als richtig angesehen, jedoch versuchte man, es auf „rein klassischer Basis zu verstehen". Zu den Physikern, die dieses eifrigst anstrebten, gehörte übrigens PLANCK selbst. Er sah es als ein besonderes Anliegen an, den durch Einführung der Quantenidee vollzogenen Bruch mit der klassischen Theorie, „der viel radikaler war, als ich anfangs vermutete", zu überbrücken und dem von ihm entdeckten Wirkungsquantum , dieser „sonderbaren Konstanten", einen physikalischen Sinn beizulegen und sie „irgendwie in das System der klassischen Physik einzubauen". Aber, so lautet das Facit seiner erfolglosen Bemühungen etwas resigniert: „... es ist mir das nicht gelungen" [l*, S. 27]. Nachdem ab 1905, eingeleitet durch Arbeiten von Albert EINSTEIN (1879—1955, Nobelpreisträger für Physik 1921), die Quantentheorie sich zu entwickeln begann, wurde dies von PLANCK zwar sehr interessiert verfolgt, indessen hat er sich an dem Ausbau der von ihm begründeten Theorie weiterhin nicht mehr beteiligt. In seinen Vorlesungen ging PLANCK auf die Quantentheorie erst ab etwa 1907 ein1. Nachdem sich die so außerordentlich große Bedeutung des von ihm entdeckten elementaren Wirkungsquantums gezeigt hatte, wurde PLANCK für diese Leistung der NosELpreis für Physik des Jahres 1918 zuerkannt. Zu diesem Beschluß kam das NoBELkommitee der Schwedischen Akademie der Wissenschaften in seiner Sitzung am 13. Nov. 1919 und begründete jenen wie folgt: „... en reconnaissance des services qu'ü a rendus pour le developpement de la physique par la decouverte de element d'action" [4*, S. 6]. PLANCK nahm den ihm zugesprochenen NOBELpreis, die höchste Auszeichnung für eine wissenschaftliche Leistung, während einer feierlichen Sitzung der Schwedischen Akademie der Wissenschaften am 1. Juni 1920 in Stockholm in Empfang. Im Verlauf dieser Sitzung wurde übrigens auch u. a. der NosELpreis für Chemie von 1918 an Fritz HABER (1868—1934) und der NoBELpreis für Physik von 1919 an Johannes STARK (1874—1957) verliehen. Während des am Abend des gleichen Tages stattfindenden NoBELbanketts hielt PLANCK der Quantentheorie nur sehr wenig, teilweise sogar überhaupt nicht Bescheid weiß. Dieser Umstand gab kürzlich Anlaß zu einem Aufruf zu einer „Quellensammlung zur Geschichte der Quantenphysik". Vgl. hierzu etwa [8*]. 1 Nach einer mündlichen Mitteilung von W. WESTPHAL.

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eine Ansprache und sagte bei dieser Gelegenheit u. a.: „Der Gelehrte ist es gewohnt, den Lohn für seine Leistung in der Arbeit selber zu sehen. Nichts kann ihn für unausgesetzte Opfer an äußeren Gütern, an Zeit, an Kraft, sogar an Gesundheit, besser entschädigen als das Bewußtsein, daß er Werte schafft, die ihn überdauern werden und die ihm dafür bürgen, daß er nicht umsonst gelebt h a t . . . " [4*, S. 40]. Daß PLANCK für seine so bedeutungsvolle wissenschaftliche Leistung noch eine Vielzahl anderer Auszeichnungen erhielt und mannigfaltige weitere Ehrungen erfuhr, braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden. Diese hier im einzelnen anzugeben, würde zu weit führen, vgl. hierzu [7*, S. 179]. Erwähnt sei nur, daß PLANCK u. a. auch Träger des Pour le merite (Friedensklasse) war und diesem Orden von 1915 als Ritter angehörte und ab 1930 der Kanzler des Ordens war, vgl. hierzu etwa [9*]. Nach seiner Emeritierung im Jahre 1926 machte PLANCK keineswegs davon Gebrauch, die wohlverdiente Ruhe zu genießen, sondern stellte sich auch weiterhin in den Dienst der Wissenschaft. Nachdem er bereits 1894 zum Ordentlichen Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften gewählt wurde, übernahm er ab 1912 das Amt eines ihrer Ständigen Sekretare, das er auch nach seiner Emeritierung weiterhin ausübte. Am 11. Januar 1911 war auf Anregung von Friedrich ALTHOFF (1839—1908), Adolf v. HABNACK (1851—1930), Friedrich SCHMIDTOTT (1860—1956) u. a. in Berlin die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. (KWG) gegründet worden, deren erster Präsident HABNACK war. Nach dessen Tod im Jahre 1930 übernahm PLANCK die Präsidentenschaft der KWG und betreute in dieser Eigenschaft mehr als 30 (vornehmlich naturwissenschaftliche) Institute bis 1937. Er trat damals aus Altersgründen von diesem Amt zurück, verfolgte aber die wissenschaftliche Tätigkeit der KWG weiterhin mit größtem Interesse. Als nach dem Ende des letzten Weltkrieges die KWG ebenso arbeitsunfähig war wie wohl auch jede andere Institution in Deutschland, stellte sich PLANCK — obwohl damals fast 90 (!) Jahre alt — selbstlos der Aufgabe zur Verfügung, gemeinsam mit anderen namhaften Wissenschaftlern die über ganz Deutschland verstreuten Institute der Gesellschaft zusammenzufassen und deren Wiederaufbau in Gang zu setzen. Wörtlich genommen ist diese Aufgabe zwar nicht gelungen, wohl aber formal. Die KWG wurde liquidiert, an ihre Stelle trat aber sofort (am 26. 2.1948) eine neue Einrichtung: die „Max-Planck-Gesell-

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schaft zur Förderung der Wissenschaften e. F.". Daß diese in unverhältnismäßig kurzer Zeit gegründet werden konnte, ist ein wesentliches Verdienst von PLANCK, da es ohne den Einsatz seiner Persönlichkeit zur Schaffung der „MPG" wohl nicht so schnell gekommen wäre, wie es seinerzeit geschah. PLANCK lebte damals in Göttingen, wohin ihn die Ereignisse des letzten Weltkrieges verschlagen hatten. Bei einem der vielen Luftangriffe auf Berlin wurde sein Haus in Berlin-Grunewald getroffen und gänzlich zerstört. Daß PLANCK dabei seine gesamte Habe verlor, ist zweifellos bedauerlich. Mehr aber zu bedauern ist die Tatsache, daß bei der Ausbombung auch die vielfältigen schriftlichen Aufzeichnungen und Tagebuchnotizen PLANCKS verbrannt sind. Es ist zu vermuten, daß

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diese eine Menge von Einzelheiten enthielten, die wenig oder gar nicht bekannt sind und denen heute vielleicht besondere historische Bedeutung zukommen könnte1. Der Verlust seines Hauses und seines gesamten Eigentums war nur einer von noch vielen anderen harten Schicksalsschlägen, die PLANCK erleiden mußte. Wenn hierzu einiges gesägt werden soll, so scheint es geboten, sich diesbzgl. an Berichte von Wilhelm WESTPHAL (geb. 1882) zu halten [10*], [11*], [12*], weil dieser zu dem Freundeskreis PLANCKS gehörte und der wohl letzte heute noch lebende Physiker ist, der PLANCK und seine Angehörigen besonders gut kannte. Über die schicksalsschweren Ereignisse im Bereich der Familie PLANCKS berichtet WESTPHAL: ,,... Auf das fröhliche und unbeschwerte Leben im Hause PLANCK fiel ein erster schwerer Schatten, als Frau PLANCK im Jahre 1909 einem tückischen Leiden erlag. Zwei Jahre später schloß PLANCK eine neue Ehe mit einer Nichte seiner ersten Gattin2 Das fröhliche Leben, das mit der jungen Gattin in das Haus PLANCK eingezogen war, sollte nur von kurzer Dauer sein. Im ersten Weltkrieg fiel der Sohn Karl vor Verdun, und seine beiden Töchter starben kurz nach der Geburt ihrer ersten Kinder. Es blieben nur die beiden Jüngsten, Erwin und Hermann. Fortab wurde es still in dem Hause in der Wangenheimstraße. . . . Aber es sollte PLANCK an Herzeleid auch künftig nichts erspart bleiben. Im zweiten Weltkrieg, als er mit seiner Gattin bereits eine Zuflucht auf dem Gut eines Freundes gefunden hatte, vernichteten die Bomben sein geliebtes Heim mit allen dort gesammelten Dokumenten eines unendlich reichen Lebens und Wirkens. Doch das Allerbitterste stand noch bevor. Im Januar 19453 erlitt sein Sohn Erwin, dessenName mit den Ereignissen des 20. Juli 1944 verknüpft war, einen grauenvollen Tod ..." Wenn PLANCK diese schweren Schicksalsschläge mit Fassung ertragen hat, so gelang ihm dies wohl lediglich infolge seiner tiefen Religiosität und seines unerschütterlichen Gottvertrauens. Dies wird vielleicht am besten durch eine Äußerung gekennzeichnet, die sich in einem Schreiben findet, das PLANCK nach der Hinrichtung seines Sohnes Erwin an A. BERTHOLET, einen Freund seiner Familie, richtete. 1

Vgl. hierzu Fußnote l auf S. XXIX. Vielleicht ist es nicht uninteressant, zu bemerken, daß einige Originalschreiben PLANCKS, die im Zusammenhang mit der Veröffentlichung dieses Buches stehen, erhalten geblieben sind» s. Faksimile auf S. XXXII. 2 geb. Marga v. HÖSSLTN. 3 23.1.1945.

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Aus dem Leben von MAX PLANCK

PLANCK schreibt u. a.: „... ich gehöre nicht zu denen, die sich verbittern lassen. Denn über unserem gegenwärtigen Jammertal gibt es noch eine andere Welt, die sich himmlisch über diese erhebt und in die wir uns jederzeit flüchten können ..." [13*]. Im übrigen hat sich PLANCK mit Themen wie „Religion und Naturwissenschaft", „Wissenschaft und Glaube" u. ä. in seinen späteren Jahren sehr eingehend befaßt und darüber auch häufig öffentlich vorgetragen [l*, S. 246, 301, 318]. Außer der tiefen Religiosität und der stets großen Begeisterung für die Physik wie aber auch für jede andere Wissenschaft darf, im Zusammenhang mit einer Beschreibung der Person PLANCKS, auf keinen Fall seine große Liebe zur Musik unerwähnt bleiben. PLANCK war höchst musikalisch und ein ausgezeichneter Pianist. Es wird berichtet, daß er, bevor er sich endgültig für die Physik entschieden hatte, ernstlich den Plan in Erwägung gezogen haben soll, Musiker zu werden. Wenn dies dann auch nicht der Fall war, so hat sich dennoch PLANCK in seinen Mußestunden während seines ganzen Lebens der Musik hingegeben, durch die er „immer wieder Beglückung und im Leid Aufrichtung" erfuhr [11*]. Nach einem fast 90jährigen, stets mit Arbeit ausgefüllten Leben, das ihn viel Leid erfahren ließ, starb PLANCK am 4.10.1947 in Göttingen. Seine letzte Ruhestätte befindet sich auf dem dortigen Stadtfriedhof, wenige Meter neben den Gräbern von v. LAUB und von NEBNST.

Literaturnachweis [l*] PLANCK, M.: Vorträge und Erinnerungen. Stuttgart: S. Hirzel 1949. Vgl. auch [118, Bd. III]. [2*] LORBNTZ, H.A.: Verh. d. Dtsch. Phys. Gesellschaft (1907.) [3*] PLANCK, M.: Naturw. 31, (1943), 153. [4*] LES PRIX NOBEL en 1919—1920. Stockholm: Imprimerie Royale, P. A. Nordstedt 1922. [5*] PLANCK, M.: Verh. d. Dtsch. Phys. Gesellschaft 2, (1900), 202. [6*] PLANCK, M.: Verh. d. Dtsch. Phys. Geselkchaft 2, (1900), 237. Ein teilweise Faksimile dieser Arbeit findet der Leser in [7*, S. 146]. [7*] Phys. Blätter 4, (1948), MAX PLANCK-Heft [8*] Phys. Verh. 2, (1962), 234. [9*] HABNACK, A. v.: Phys. Blätter 4, (1918), 170. [10*] WESTPHAL, W.: Aus der großen Zeit der Berliner Physik. (Gedenkschrift der Westdeutschen Rektorenkonferenz und der Freien Universität Berlin zur 150. Wiederkehr des Gründungsjahres der Friedrich-WilhelmUniversität zu Berlin.) Berlin: W. de Gruyter 1960. [11*] WESTPHAL, W.: Naturw. 45, (1958), 234. [12*] WESTPHAL, W.: Phys. Blätter 4, (1948), 167. [13*] BEBTHOLET, A.: Phys. Blätter 4, (1948), 161.

I. Grundtatsachen und Definitionen 1. Die Temperatur § l. Der Begriff „Wärme" entspringt aus derjenigen Sinnesempfindung, die uns einen Körper bei direkter Berührung als warm oder als kalt erscheinen läßt Ein quantitatives, wissenschaftlich brauchbares Maß für den Wärmezustand eines Körpers läßt sich aber aus der unmittelbaren Empfindung, die nur qualitative und je nach den äußeren umständen veränderliche Resultate ergibt, nicht ableiten. Man benutzt zu diesem Zweck eine andere Erscheinung, die erfahrungsgemäß bei allen Körpern gleichzeitig mit der Erwärmung auftritt, wenn der äußere Druck konstant bleibt, und die den Vorteil einer genauen Messung darbietet: die Volumenänderung. Bei den meisten Substanzen ist mit der Erwärmung eine Volumenvergrößerung verbunden. Sonach läßt sich nicht nur durch direkte Berührung, sondern auch durch eine rein mechanische Beobachtung, und zwar durch letzteres Mittel in viel feinerem Grade, entscheiden, ob ein Körper wärmer oder kälter wird. Auch läßt sich genau angeben, wenn ein Körper einen früher einmal innegehabten Wärmezustand wiederum einnimmt § 3. Wenn zwei Körper, die sich sehr verschieden warm anfühlen, z. B. eine erhitzte Metallmasse und kaltes Wasser, in Berührung gebracht werden, so findet man immer, daß der wärmere sich abkühlt, der kältere sich erwärmt, bis zu einer gewissen Grenze, wo jede Veränderung aufhört Dann sagt man mit einem aus der Mechanik übertragenen Sprachgebrauch: die beiden Körper stehen im Wärmegleichgewicht Ein solches Wännegleichgewicht tritt erfahrungsgemäß schließlich immer PLAMCK, Thermodynamik.

XT.Aufl.

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Grundtatsacken und Definitionen

ein, auch wenn nicht zwei, sondern beliebig viele verschieden warme Körper in beliebige wechselseitige Berührung miteinander gebracht werden. Hieraus folgt sogleich der wichtige Satz: Wenn ein Körper A mit zwei anderen Körpern B und im Wärmegleichgewicht steht, so stehen auch B und G unter sich im Wärmegleichgewicht. Verbindet man nämlich die Körper A, B, 0 hintereinander zu einem Ringe, so daß jeder der drei Körper die beiden ändern berührt, so besteht nach der Voraussetzung an den Bertthrungsstellen (A B} und (A C) Wännegleich.gewicht, folglich auch an der Stelle (B0}; denn sonst würde überhaupt kein allgemeines Wärmegleichgewicht möglich sein, was der durch den vorigen Satz angegebenen Erfahrung widerspräche. § 3. Hierauf beruht die Möglichkeit, den Wärmezustand irgend zweier Körper B und G zu vergleichen, ohne sie direkt miteinander in Berührung zu bringen. Man bringt nämlich jeden einzeln mit dem als Meßinstrument dienenden, zunächst beliebig ausgewählten Körper A zusammen (z. B. einem in ein enges Rohr ausmündenden Quecksilbervolumen) und kann so durch jedesmalige Beobachtung des Volumens von A entscheiden, ob B und C im Wärmegleichgewicht stehen oder nicht, bez. welcher von beiden Körpern der wärmere ist. Den Wärmezustand des Körpers A und somit auch jedes mit A im Wärmegleichgewicht befindlichen Körpers kann man einfach definieren durch das Volumen von A, oder auch, wie gewöhnlich, durch die Differenz des Volumens von A und eines nach Willkür fixierten „Normalvolumens", nämlich desjenigen Volumens, welches der Körper A einnimmt, wenn er sich mit schmelzendem Eis unter Atmosphärendruck im Wärmegleichgewicht befindet. Ist die Einheit dieser Volumendififerenz so gewählt, daß sie gleich 100 wird, wenn sich A mit dem Dampfe siedenden Wassers unter Atmosphärendruck im Wärmegleichgewicht befindet, so heißt sie die Temperatur (in Celsiusgraden) in bezug auf den Körper A als thermometrische Substanz. Zwei Körper von gleicher Temperatur stehen also immer im Wärmegleichgewicht, und umgekehrt. § 4. Die Temperaturangaben zweier verschiedener thermometrischer Substanzen stimmen, außer bei 0° und bei 100°, im allgemeinen niemals überein, weshalb in der bisherigen Definition der Temperatur noch eine große Willkür herrscht. Dieselbe

Temperatur

kann hier nur bis zu einem gewissen Grade beseitigt werden, nämlich durch die Benutzung der Erfahrung, daß die verschiedenen Gase, besonders die schwer kondensierbaren, wie Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenoxyd und alle sogenannten Edelgase, als thermometrische Substanzen innerhalb eines beträchtlichen Temperaturbereichs eine fast vollkommene, für die meisten Messungen genügende Übereinstimmung in den Temperaturangaben liefern. Ja noch mehr: auch die absolute Größe der Ausdehnung ist bei allen diesen Gasen insofern die nämliche, als gleiche Volumina derselben sich bei gleicher Erwärmung immer um gleichviel ausdehnen, konstanten äußeren Druck vorausgesetzt. Der Betrag dieser Ausdehnung ist für eine Erwärmung von 0° auf l ° etwa der 273. Teil des Volumens. Da nun außerdem auch der Einfluß des äußeren Druckes auf das Volumen eines dieser Gase durch ein sehr einfaches Gesetz dargestellt wird, so ist der Schluß gestattet, daß diese Regelmäßigkeiten auf einer besonders einfachen Konstitution dieser Substanzen beruhen, und daß es daher rationell ist, die von ihnen angegebene gemeinschaftliche Temperatur als Temperatur schlechthin zu definieren. Es müssen also die Angaben aller anderen Thermometer auf das Gasthermometer reduziert werden. § 5. Bei Genauigkeitsanforderungen, für welche die Übereinstimmung in den Angaben der verschiedenen Gasthermometer nicht genügt, bleibt die Willkür in der Definition der Temperatur bestehen, da kein Grund vorliegt, ein bestimmtes Gas vor den anderen zu bevorzugen. Eine von den Eigenschaften einzelner Körper vollkommen unabhängige Definition der Temperatur, gültig für alle Wärme- und Kältegrade, wird erst möglich auf Grund des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie (siehe unten § 129). Bis dahin wird daher nur von solchen Temperaturen die Rede sein, welche durch das Gasthennometer mit hinreichender Schärfe definiert sind. § 6. Wir beschäftigen uns im folgenden vorwiegend mit homogenen isotropen Körpern von beliebiger Form, die im Innern gleichmäßige Temperatur und Dichte besitzen und einem gleichmäßigen, überall senkrecht auf ihre Oberfläche wirkenden Druck unterworfen sind, folglich auch den nämlichen Druck nach außen hin ausüben. Von Oberflächenerscheinungen sehen wir dabei ab. Der Zustand eines solchen Körpers ist bestimmt durch seine l*

Grundtatsachen und Definitionen

chemische Natur, seine Masse JLf, sein Volumen V und seine Temperatur t. Alle anderen Eigenschaften des Zustandes sind also von den angegebenen in bestimmter Weise abhängig, vor allem der Druck, welcher gleichmäßig im ganzen Innern herrscht und ebenso nach außen hin wirkt Der Druck p wird gemessen durch die Kraft, welche auf die Flächeneinheit der Oberfläche wirkt, also im C.G.S.-System durch Dynen pro Quadratzentimeter, wobei ein Dyn die Kraft ist, welche der Masse eines Gramms in einer Sekunde die Geschwindigkeit von einem Zentimeter in der Sekunde erteilt § 7. In der Praxis mißt man gewöhnlich den Druck in Atmosphären, es soll daher hier der Wert einer Atmosphäre im absoluten C.G.S.-System berechnet werden. Der Druck einer Atmosphäre ist die Kraft, welche eine Quecksilbersäule von 0° G, 76cm Höhe und l qcm Querschnitt durch ihr Gewicht auf ihre Grundfläche ausübt, wenn sie an einem Orte von der geographischen Breite 45 ° aufgestellt ist Der letzte Zusatz ist notwendig, weil das durch die Erdanziehung bedingte Gewicht sich mit dem Orte ändert Das Volumen der Quecksilbersäule beträgt 76, ihre Masse, durch Multiplikation des Volumens mit der Dichte des Quecksilbers bei 0°, 76· 13,596; daher ihr Gewicht, durch Multiplikation der Masse mit der Beschleunigung der Schwere an einem Orte von 45° Breite: 76-13,596.980,6 = 1013250-^oder cmgsec,. 1 ein* Dies ist also der Druck einer Atmosphäre im absoluten C.G.S.System. Würde man als Krafteinheit nicht ein Dyn, sondern, wie es früher in der Mechanik üblich war, das Gewicht eines Gramms an einem Orte von der geographischen Breite 45° benutzen, so würde der Druck einer Atmosphäre betragen: 76-13,596 = 1033,3. § 8. Da der Druck des betrachteten Körpers offenbar nur von seiner inneren Beschaffenheit, nicht aber von seiner äußeren Form und seiner Masse abhängt, so folgt, daß p außer von der Temperatur nur von dem Verhältnis der Masse M zum Volumen F, d. h. von der Dichte, abhängt, bez. von dem umgekehrten Verhältnis, dem Volumen der Masseneinheit: V

Temperatur welches wir, wie üblich, als das spezifische Volumen des Körpers bezeichnen. Es existiert also eine bestimmte, jeder Substanz eigentümliche Beziehung: P**fM, welche die Zustandsgieichung der Substanz genannt wird. Die Funktion f besitzt für Gase stets positive, für flüssige und feste Körper unter Umständen auch negative Werte. § 9. Ideale Oase. Am einfachsten gestaltet sich die Form der Zustandsgieichung für diejenigen Substanzen, welche wir oben § 4 zur Definition der Temperatur benutzt haben und die, insofern sie übereinstimmende Temperaturangaben liefern, als „ideale" oder „vollkommene" Gase bezeichnet werden. Wird nämlich die Temperatur konstant gehalten, so ist nach dem Gesetz von BOYLE (MARIOTTE) das Produkt aus Druck und spezifischem Volumen konstant: pv = &, (1) wobei &, außer von der Natur des Gases, allein von der Temperatur t abhängt Wenn aber der Druck konstant gehalten wird, so ist nach der Definition § 3 die Temperatur proportional der Differenz des jeweiligen Volumens v und des Normalvolumens: v0> d. h. t = (v-v0)P, (2) worin P nur vom Druck p abhängt. Hierbei ist nach Gleichung (l) i">o = #o>

(3)

wenn #0 den Wert bezeichnet, den die Temperaturfunktion # für t = 0 annimmt Endlich benutzen wir noch die ebenfalls schon oben, § 4, angeführte Erfahrung, daß der Betrag der Ausdehnung bei einer Erwärmung von 0° auf 1° für alle idealen Gase der nämliche Bruchteil et (etwa = j-i^) des Volumens bei 0° ist (Gesetz von GAY LUSSAC.) Setzt mau also t = l, so wird — = a»0, und die Gleichung (2) geht über in: l=«y0P. (4) Durch Elimination von P, v0 und aus den Gleichungen (1), (2), (3), (4) ergibt sich die Temperaturfunktion:

Qrundtaisachen und Definitionen

also linear abhängig von der Temperatur, und die Zustandsgleichung (1) wird: (4a) = ). ( + § 10. Diese Gleichung nimmt eine wesentlich einfachere Form an, wenn man den im § 3 willkürlich festgesetzten Nullpunkt der Temperatur um — Grad verschiebt, indem man den Schmelzpunkt des Eases nicht =0°, sondern = — (etwa = 273°) setzt. Schreibt man nämlich:

(4b)

t

+ ±- = T

(absolute Temperatur), und setzt zur Abkürzung die Konstante a 9·0 = G, so wird die Zustandsgieichung: (5)

p=^.T=C'^.T.

Die Einführung der absoluten Temperatur kommt offenbar im Grunde nur darauf hinaus, daß man die Temperatur nicht, wie in § 3, durch eine Volumendifferenz, sondern durch das Volumen selbst mißt. Die naheliegende Frage nach der physikalischen Bedeutung des Nullpunkts der absoluten Temperatur ist offenbar dahin zu beantworten, daß die absolute Temperatur Null diejenige Temperatur darstellt, bei welcher ein ideales Gas in einem endlichen Volumen den Druck Null, oder unter einem endlichen Druck das Volumen Null besitzt. Für wirkliche Gase hat aber dieser Satz keine Bedeutung, da dieselben bei gehöriger Abkühlung merkliche Abweichungen voneinander, also auch vom idealen Zustand zeigen. Inwieweit ein wirkliches Gas auch bei mittleren Temperaturänderungen von dem idealen Verhalten abweicht, kann natürlich erst dann geprüft werden, wenn die Definition der Temperatur von der Bezugnahme auf eine spezielle Substanz unabhängig gemacht worden ist (Vgl. § .) § 11. Die für die Natur eines idealen Gases charakteristische Konstante G ist bestimmt, wenn man für irgendein Wertenpaar von T und p, z. B. 0° C und Atmosphärendruck, das spezifische Volumen v des Gases kennt, und zwar verhalten sich offenbar für verschiedene Gase, bei derselben Temperatur und demselben Druck genommen, die Werte der Konstanten C wie

Temperatur die spezifischen Volumina v, oder umgekehrt wie die Dichten — . t> Man kann also sagen: Bei derselben Temperatur und demselben Druck genommen stehen die Dichten aller idealen Gase in unveränderlichen Verhältnissen. Man charakterisiert daher oft auch ein Gas durch das konstante Verhältnis seiner Dichte zu der Dichte eines Normalgases bei demselben Druck und derselben Temperatur (spezifische Dichte in bezug auf Luft oder auf Wasserstoff). Bei 0° C (T =273) und l Atmosphäre Druck ist die Dichte von: Wasserstoff ...... Sauerstoff ....... Stickstoff ....... „Atmosphärischer" Stickstoff Luft ......... Argon ........

0,00008988 g 0,0014291 cms 0,0012507 0,0012567 0,0012928 0,0017809

woraus die entsprechenden Werte von C in absolutem Maß leicht zu berechnen. Durch die Zustandsgieichung einer Substanz lassen sich alle Fragen nach dem Verhalten der Substanz in bezug auf beliebige Änderungen der Temperatur, des Volumens und des Druckes vollständig beantworten. § 12. Verhalten bei konstantem Druck. (Isobare oder isopiestische Änderungen.) Ausdehnungskoeffizient heißt das Verhältnis der Zunahme des Volumens bei Erwärmung um 1° zu dem Volumen bei 0° C, d. h. die Größe: + * - , wofiir 0

man, da das Volumen sich in der Eegel verhältnismäßig langsam mit der Temperatur ändert, auch -^=] · ^ setzen kann. Für * 0 J. 'p

KO

ein ideales Gas ist nach der Zustandsgieichung (5) CM und V0 = -- .273, also der Ausdehnungskoeffizient des Gases: § 13. Verhalten bei konstantem Volumen. (Isochore oder isopykne oder isostere Änderungen.) Spannungskoeffizient heißt das Verhältnis der Zunahme des Druckes bei Erwärmung um 1° zu dem Druck bei 0°C, d.h. die Größe:

^

Po

oder

8

Gnmdlatsacken und Definitionen

(^) ' — · Für ein ideales Gas ist nach der Zustandsgieichung (5) ^dJL'V Po

pT+i — px** ^- und pQ = -^.273, also der Spannungskoefnzient des Gases: -^, gleich dem Ausdehnungskoeffizienten cc. 278 § 14* Verhalten bei konstanter Temperatur. (Isotherme Änderungen.) Elastizitätskoei'fizient heißt das Verhältnis einer unendlich kleinen Zunahme des Druckes zu der dadurch bedingten Kontraktion der Volumeneinheit, d. h. die Größe: · . Für ein ideales Gas ist nach der do: r t— \ V- ) — \ ov- ' Zustandsgieichung (5) ( d p \ __ GT \dr>>T~ * ' und daher der Elastizitätskoeffizient des Gases: / /*

—— = p , also gleich dem Druck. v

Der reziproke Wert des Elastizitätskoeffizienten, nämlich das Verhältnis einer unendlich kleinen Kontraktion der Volumeneinheit zu der entsprechenden Druckvermehrung, also — (^~) r 'y> heißt Kompressibilitätskoeffizient. § 15. Die drei Koeffizienten, welche das Verhalten einer Substanz bei isobaren, isochoren und isothermen Änderungen kennzeichnen, sind nicht unabhängig voneinander, sondern, für jede beliebige Substanz, durch eine feste Beziehung verknüpft. Durch Differentiation der Zustandsgieichung ergibt sich nämlich allgemein: wobei, wie üblich, der angefügte Index diejenige Variable bezeichnet, welche bei der Differentiation konstant zu halten ist Setzt man nun dp = 0, so erhält man die Bedingung, welche für eine isobare Änderung zwischen den Differentialen d T und dv gilt, also entsprechend geschrieben:

(*£)

9 \(dp] ' \dv/T

Temperatur

9

Man kann daher für jeden Zustand einer Substanz eine der drei Größen: Ausdehnungskoeffizient, Spannungskoeffizient, Kompressibilitätskoeffizient, aus den beiden anderen berechnen. Nehmen wir z. B. Quecksilber bei 0° G und Atmosphärendruck. Der Ausdehnungskoeffizient (§ 12) ist: (45) - = 0,00018. Der Kompressibilitätskoeffizient (§ 14) ist, bezogen auf Atmosphären: _f|l) 1 = 0,0000039. \dp)T t>0 Also nach ( ) der Spannungskoeffizient (§ 13), bezogen auf Atmosphären: ^P.\ dT)v

_ l*P\ \dvjT

l**\ _ \9TI' = O»00018 \dTjp~ _ (dv\ 0,0000089 \dpJT

= 46

'

d. L um Quecksilber bei der Erwärmung von 0° auf 1° auf konstantem Volumen zu erhalten, bedarf es einer Druckzunahme yon 46 Atmosphären. § 16. Mischungen idealer Gase. Wenn verschiedene beliebig große Quantitäten eines und desselben Gases von gleicher Temperatur und gleichem Druck, welche anfangs durch Scheidewände getrennt sind, mittels plötzlicher Beseitigung derselben in Berührung gebracht werden, so ist und bleibt selbstverständlich das Volumen des gesamten Systems gleich der Summe der Einzelvolumina. Wenn aber die in Berührung gebrachten Gase verschiedener Natur sind, so zeigt die Erfahrung, daß auch dann, bei konstant gehaltener gleichmäßiger Temperatur und konstantem gleichmäßigem Druck, das Gesamtvolumen dauernd gleich der Summe der ursprünglichen Einzelvolumina bleibt, obwohl sich gleichzeitig ein langsamer Mischungsvorgang, die Diffusion, vollzieht, der erst dann sein Ende erreicht, wenn die Zusammensetzung der Mischung in jedem Raumteil überall die nämliche, d. IL die Mischung physikalisch homogen geworden ist. § 17. Man kann sich das entstandene Gemisch von vornherein in zweierlei Weise konstituiert denken. E n t w e d e r könnte man annehmen, daß bei der Vermischung jedes einzelne Gas sich in unwahrnehmbar viele kleine Teile spaltet, deren

10

Qrundtatsachen und Definitionen

jeder aber sein Volumen und seinen Druck unverändert beibehält, und daß diese kleinen Teile der verschiedenen Gase sich bei der Diffusion nebeneinandermengen, ohne sich gegenseitig zu durchdringen; dann hätte auch nach beendigter Diffusion jedes Gas im ganzen noch sein altes Volumen (Partialvolumen) und alle Gase hätten denselben gemeinsamen Druck. Oder aber — und diese Auffassung wird sich weiterhin (§ 32) als die allein berechtigte erweisen — man kann annehmen, daß die Einzelgase sich auch in ihren kleinsten Volumteilen verändern und durchdringen, daß also nach beendigter Diffusion jedes Einzelgas, soweit man überhaupt noch von einem solchen reden kann, das Volumen des ganzen Gemisches einnimmt und demzufolge unter einem geringeren Druck als früher steht. Wir wollen die Drucke, die den einzelnen Gasen zuzuschreiben wären, wenn sie, jedes für sich allein, das ganze Volumen der Mischung einnehmen würden, ihre sog. „Partialdrucke", berechnen. § 18. Bezeichnet man die einzelnen Gase durch angefügte Zahlenindizes, während Temperatur T und Druck p ohne Index gelassen werden, so ist vor Beginn der Diffusion nach der Zustandsgleichung (5): Das Gesamtvolumen: F = Fi+ F a + . . . bleibt nach § 16 durch die Diffusion unverändert. Da nun nach beendigter Diffusion jedem einzelnen Gas das ganze Volumen V zugeschrieben wird, so sind dann die Partialdrucke nach der Gleichung (5) und nach den letzten Gleichungen: ,~

(7)

O^MiT

F,

?! - -^— = -

,

CtMtT

F,

P* = -^y- « - - · - · - .

Durch Addition ergibt sich: ff\\

(8)

.

.

\

*T"

'9 T" · · ·

P! +i>3 + . · · ·= —-- - P - P,

das Gesetz von DALTON, welches besagt, daß in einer homogenen Gasmischung der Druck gleich ist der Summe der Partialdrncke alier einzelnen Gase. Gleichzeitig sieht man, daß (9) Pl:p2:...= ri:Vz:...= C1Ml:CiMi:... d. h. die Partialdrucke der Einzelgase stehen in demselben Ver-

Temperatur

11

hältnis wie die Volumina, welche die Gase der Diffusion hatten, bez. wie die Partialvolumina, welche die Gase nach der im § 17 zuerst geschilderten Auffassung in der Mischung einnehmen würden. § 19. Die Zustandsgieichung der Mischung lautet nach (8) und (7): oder „ _ fi--M t + _ Ct M , +_._. ._ . M _..,,

p

sie entspricht also ganz der Zustandsgieichung (5) eines idealen Gases, dessen charakteristische Konstante ist: r

_ Gi M, + 0, M , + . . . -

Daher kann durch die Untersuchung der Zustandsgieichung niemals entschieden werden, oh ein ideales Gas chemisch einfach ist oder oh es eine Mischung verschiedener chemisch einfacher Gase bildet. § 20. Die Zusammensetzung einer Gasmischung definiert man entweder durch die Verhältnisse der Massen M^, M^ . . . oder durch die Verhältnisse (9) der Partialdrucke pvpz . . . bez. Partialvolumina Fir F2 . . . der Einzelgase. Je nachdem spricht man entweder von Gewichtsprozenten oder von Volumenprozenten. Nehmen wir z. B. atmosphärische Luft, eine Mischung von Sauerstoff (1) und von „atmosphärischem" Stickstoff (2). Das Verhältnis der Dichten von Sauerstoff, atmosphärischem Stickstoff und Luft ist nach § 11 0,001 429 1 : 0,001 256 7 : 0,001 2928 = ^-: ^- : l . GI

Unter Berücksichtigung der Beziehung (11) r

_ C, M . + C3 Jlf, Jtfx + M,

berechnet sich hieraus das Verhältnis

Oj

0

12

Grundtatsachen und Definitionen

d.h. 23,1% Sauerstoff und 76,9°/0 Stickstoff nach Gewichtsprozenten. Dagegen das Verhältnis i j^ 0,1t,'. C2M2 =Pl:p2 = F,: Fa = £—£ = 0,2649,

'ci~~c d.h. 20,9% Sauerstoff und 79,1% Stickstoff nach VolumenProzenten. § 31. Zustandegleichung anderer Substanzen. Stellt schon für die bisher beispielsweise behandelten Substanzen die Zu· standsgleichung idealer Gase nur eine, wenn auch bedeutende, Annäherung an die Wirklichkeit dar, so zeigen die anderen gasförmigen Körper, besonders diejenigen, die sich leicht kondensieren lassen, und die daher früher in die besondere Klasse der Dämpfe zusammengefaßt wurden, ein von den Eigenschaften idealer Gase deutlich abweichendes Verhalten, so daß für sie eine Modifikation der Zustandsgieichung eintreten muß. Dabei ist jedoch bemerkenswert, daß die Abweichungen von dem Verhalten idealer Gase um so geringer auszufallen pflegen, je kleiner die Dichte genommen wird, weshalb man im allgemeinen sagen kann, daß sich die gasförmigen Substanzen bei genügend geringer Dichte wie ideale Gase verhalten, und zwar auch bei beliebig tiefen Temperaturen. Die Zustandsgieichung beliebiger Gase und Dämpfe wird sich also als eine Verallgemeinerung derjenigen für ideale Gase darstellen müssen, welche für große Werte von in die spezielle oben behandelte Form (6) übergeht. § 22. Von dem Sinn und der Größe der Abweichungen von dem idealen Gaszustand kann man sich auf graphischem Wege eine Vorstellung verschaffen, und zwar auf verschiedene Weise. Man kann z. B. eine „isothermische" Kurve aufzeichnen, indem man für eine beliebige konstant gehaltene Temperatur T je zwei zusammengehörige Werte von v und p als Abszisse und Ordinate eines Punktes in einer Ebene auffaßt. Die Schar aller Isothermen liefert ein vollständiges Bild der Zustandsgleichung. Je mehr nun sich das Verhalten des betrachteten Gases dem idealen nähert, um so enger schließen sich die Isothermen an die gleichseitigen Hyperbeln an, welche die Koordinatenachsen zu Asymptoten haben. Denn für ein ideales Gas ist die Gleichung einer Isotherme: p» = konst Die Ab-

Temperatur

13

weichung von der Form dieser Hyperbel gibt also zugleich ein Maß für die Abweichung von dem idealen Gaszustand. § 23. Augenfälliger noch werden diese Abweichungen, wenn man die Isotherme in der Art zeichnet, daß nicht p, sondern das Produkt p v als Ordinate, und als Abszisse etwa p erscheint. Für ein ideales Gas sind dann die Isothermen offenbar gerade, der Abszissenachse parallele Linien. Für die wirklichen Gase zeigt nun eine solche Linie ein allerdings flach verlaufendes Minimum, dessen Lage und Betrag natürlich von der Temperatur und von der Natur des Gases abhängt Für kleinere Drucke (links vom Minimum) nimmt also das Volumen mit steigendem Druck schneller, für höhere Drucke (rechts vom Minimum) nimmt es mit steigendem Druck langsamer ab als bei idealen Gasen. Im Minimum selber ist die Kompressibilität gerade die eines idealen Gases. Beim Wasserstoff liegt das Minimum sehr weit links, und konnte nur bei sehr tiefen Temperaturen nachgewiesen werden. § 24. Die erste auch für den flüssigen Zustand brauchbare analytische Formulierung der verallgemeinerten Zustandsgieichung rührt her von VAN DER WAALS, der zugleich auch eine physikalische Erklärung für die Abweichungen vom idealen Gaszustand, vom Standpunkt der kinetischen Gastheorie aus, gegeben hat Da wir uns hier von den Voraussetzungen der kinetischen Theorie frei halten wollen, haben wir es nur mit der VAN DER W AALS sehen Formel selber, als einem angenäherten Ausdruck der Tatsachen, zu tun. Sie lautet:

wobei R, et und Konstanten sind, die von der Natur der Substanz abhängen. Für große v geht die Gleichung in der Tat in die eines idealen Gases über; für kleine v und entsprechende T stellt sie die Znstandsgleichung der tropfbar flüssigen Substanz dar. Wenn der Druck p in Atmosphären ausgedrückt und das spezifische Volumen v für T = 273 und p = l gleich l gesetzt wird, so ist nach VAN DEK WAALS für Kohlensäure: R = 0.00369

u = 0,00874

= 0,0023.

Da das Volumen von l g Kohlensäure bei 0° C und Atmo-

9

Kubil/itntimtttr pro Gramm

Mg. 1.

Isothermen der Kohlensäure nach CLAUSIÜS.

JO

Temperatur

15

Sphärendruck 506 com beträgt, so bat man die aus der Formel sieb ergebenden Werte von v nocb mit 506 zu multiplizieren, um die spezifischen Volumina in absolutem Maße zu erhalten. § 25. Da die VAN DEE WAALSsche Formel sieb als nicht vollständig exakt herausgestellt hat, so ist sie von CLAUSIUS und später auch von anderen Physikern durch Einführung weiterer Konstanten einer Ergänzung unterzogen worden. Die CLAüsiussche Formel lautet: RT c P = v—a ~ > 7

,10 . (12a)

Auch diese Formel ergibt für große v die Zustandsgieichung eines idealen Gases. In denselben Einheiten wie oben ist nach CLACTSIÜS für Kohlensäure: R = 0,003688, a = 0,000843, 6 = 0,000977, c = 2,0935. Die Beobachtungen über die Kompressibilität gasförmiger und flüssiger Kohlensäure bei verschiedenen Temperaturen werden durch die letzte Formel ziemlich befriedigend dargestellt Andere Formen der Zustandsgieichung sind in großer Anzahl von verschiedenen Forschern, teils auf experimenteller, teils auf theoretischer Grundlage, abgeleitet worden. Eine besonders für Gase bei nicht zu hohen Drucken praktisch gut brauchbare Formel rührt her von D. BEETHELOT, eine weitere von K. WOHL. § 26. Wenn man die Schar der Isothermen, wie sie durch die CLAüsiussche Formel für Kohlensäure dargestellt werden, aufzeichnet, indem man für je einen konstant gehaltenen Wert der Temperatur die Werte von v als Abszissen, die von p als Ordinaten der Punkte einer Kurve aufträgt, so erhält man ein eigentümliches, in Figur l versinnlichtes Bild.1 Für hohe Temperaturen erscheinen gleichseitige Hyperbeln, wie auch aus der Zustandsgieichung (l2a) zu erkennen; im allgemeinen aber entsprechen einem bestimmten Wert von p drei Werte von v. Mithin wird eine Isotherme im allgemeinen in 3 Punkten von einer der Abszissenachse parallelen Geraden geschnitten. Zwei derselben können aber imaginär sein, wie das für große Werte von T tatsächlich zutrifft. Für hohe Temperaturen gibt es also bei gegebenem Druck nur ein einziges reelles Volumen, 1

Die Berechnung und Zeichnung der Kurven ist nach der CLAUSIUSschen Zustandsgieichung von Herrn Dr. RICHARD AFT ausgeführt worden.

16

Gntndtatsachen und Definitionen

während für tiefere Temperaturen einem bestimmten Wert des Druckes 3 reelle Werte des Volumens entsprechen können. Von diesen 3 Werten, die in der Figur beispielsweise durch die Funkte a, , dargestellt sind, können nur der kleinste (a) und der größte ( ] einen stabilen, in der Natur herstellbaren, Zustand der Substanz bedeuten. Denn für den mittleren (ß] steigt offenbar auf der Isotherme der Druck mit wachsendem Volumen an, die Kompressibilität ist also negativ. Ein derartiger Zustand hat daher nur theoretische Bedeutung. § 27. Der Punkt a entspricht der flüssigen, der Punkt der gasförmigen Kohlensäure bei der Temperatur der Isotherme und bei dorn Druck der Geraden a . Doch ist im allgemeinen auch von diesen beiden Zuständen nur einer stabil (in der Figur der Zustand a}. Denn wenn man gasförmige Kohlensäure, die etwa in einen Zylinder mit beweglichem Kolben eingeschlossen ist, komprimiert und dabei die Temperatur der betrachteten Isotherme (in der Figur 20 °) konstant aufrecht erhält, so werden die aufeinanderfolgenden Zustände zunächst durch die ganz rechts gelegenen Punkte der Isotherme bezeichnet. Mit Verkleinerung des Volumens rückt der den Zustand bezeichnende Punkt auf der Isotherme immer weiter nach links, bis er eine bestimmte Stelle G erreicht. Bei weiterer isothermer Kompression der Substanz rückt nun der Punkt über diese Stelle nicht hinaus, sondern die Substanz kondensiert sich zum Teil, d. h. sie spaltet sich in einen flüssigen und einen gasförmigen Teil, die selbstverständlich gemeinschaftlichen Druck und gemeinschaftliche Temperatur besitzen. Der Znstand des gasförmigen Teils wird bei fortschreitender isothermer Kompression nach wie vor immer durch den Punkt (7, der des flüssigen Teils daher durch den Punkt A der nämlichen Isotherme charakterisiert C heißt der Sättigungspunkt der gasförmigen Kohlensäure. Bei dem ganzen isothermen Kompressionsvorgang besteht die einzige Änderung darin, daß sich immer mehr Dampf niederschlägt, während die inneren Zustände der beiden Teile der Substanz (Druck, Temperatur, spezifische Volumina) während des ganzen Kondensationsprozesses immer durch die nämlichen Punkte A und C dargestellt werden. Schließlich, wenn aller Dampf kondensiert ist, befindet sich die ganze Substanz im flüssigen Zustand A, verhält sich also nun wieder homogen. Die

Temperatur

17

weitere isotherme Kompression ergibt dann wieder Zunahme der Dichtigkeit und Steigerung des Druckes längs der Isotherme, wobei auch der Punkt der Figur überschritten wird. Auf dieser Seite ist, wie aus der Figur zu erkennen, die Isotherme viel steiler als auf der ändern, d. h. die Kompressibilität viel geringer. Bisweilen gelingt es bei der Kompression eines Dampfes, die Isotherme über den Punkt C hinaus nach hin eine Strecke weit zu verfolgen und sogenannten übersättigten Dampf herzustellen. Man erhält aber dann nur mehr oder weniger labile Gleichgewichtszustände, wie sich daraus zu erkennen gibt, daß bei minimalen Störungen des Gleichgewichts eine plötzliche Kondensation, also ein sprungweiser Übergang in den stabilen Zustand erfolgen kann. Immerhin erhält durch das Studium der übersättigten Dämpfe auch das theoretische Stück der Isotherme zum Teil eine unmittelbare Bedeutung. § 28. Nach dem Gesagten besitzt jede Isotherme, die für gewisse Werte von p 3 reelle Volumina zuläßt, zwei bestimmte Stellen A und C, die den Zustand der Sättigung angeben. Ihre Lage läßt sich aus der Zeichnung der Isotherme nicht ohne weiteres ersehen. Doch führen die Sätze der Thermodynamik zu einer einfachen Konstruktion dieser Punkte, die im vierten Abschnitt (§ 172) abgeleitet werden wird. Je höher die Temperatur genommen wird, um so mehr schrumpft das Gebiet der Geraden zusammen, welche die Isotherme in 3 reellen Punkten schneiden, und um so näher rücken sich diese 3 Punkte. Den Obergang zu den hyperbelähnlichen Isothermen, welche von jeder zur Abszissenachse Parallelen nur in einem Punkt geschnitten werden, bildet eine bestimmte Isotherme, für welche jene 3 Schnittpunkte in einen einzigen zusammenfallen. Dieser Punkt stellt also einen Wendepunkt der Isotherme yor, in welchem die Tangente der Kurve parallel der Abszissenachse verläuft Es ist der kritische Punkt K der Substanz (s. Figur), er bezeichnet die kritische Temperatur, das kritische spezifische Volumen, und den kritischen Druck; für ihn wird der gesättigte Dampf mit seinem Niederschlag identisch. Oberhalb der kritischen Temperatur und oberhalb des kritischen Druckes gibt es überhaupt keine Kondensation, wie leicht aus der Figur zu ersehen. Daher mußten alle Versuche scheitern, Wasserstoff, Sauerstoff und PLAMCK, Thermodynamik.

XI. Aufl.

2

18

Grundtatsachen und Definitionen

Stickstoff zu kondensieren, solange die Temperatur nicht unter die kritische Temperatur, die bei diesen Substanzen sehr tief liegt, erniedrigt wurde. § 29. Man sieht aus der Figur l auch, daß es gar keine bestimmte Grenze gibt zwischen dem gasförmigen und dem flüssigen Zustand, da man leicht aus dem Bereich der entschieden gasförmigen Zustande, z. B. vom Punkte C aus, auf einer Kurve, die um den kritischen Punkt oben herumführt, in das Gebiet der entschieden flüssigen Zustände, z. B. nach A, kommen kann, ohne irgendwo einen gesättigten Zustand zu überschreiten. Man erwärme z. B. den Dampf bei konstantem Volumen über die kritische Temperatur hinaus, und kühle ihn hierauf bei konstant gehaltenem Druck bis unter das kritische Volumen ab. Dann tritt niemals Kondensation ein, und doch befindet man sich schließlich im Gebiet der unzweifelhaft flüssigen Zustände. Die frühere prinzipielle Unterscheidung zwischen Flüssigkeiten, Dämpfen und Gasen muß daher als nicht mehr durchführbar fallen gelassen werden. Auch der in neuerer Zeit gemachte Vorschlag, diejenigen Zustände, welche einer höheren Temperatur als der kritischen angehören, als gasförmig, die übrigen dagegen als dampfförmig oder flüssig zu bezeichnen, je nachdem sie in der Figur l rechts oder links von den theoretischen Gebieten liegen, hat gewisse Unzuträglichkeiten im Gefolge, da hierdurch namentlich eine Grenze einerseits zwischen Flüssigkeit und Gas, andererseits zwischen Dampf und Gas festgesetzt wird, die keine unmittelbare physikalische Bedeutung hat. Denn das Überschreiten der kritischen Temperatur bei einem anderen als dem kritischen Druck unterscheidet sich in keiner wesentlichen Hinsicht von dem Überschreiten irgendeiner anderen Temperatur. § 30. Der kritische Punkt läßt sich leicht aus der allgemeinen Zustandsgieichung berechnen. Denn für ihn gelten nach § 28 die Gleichungen:

denen die erste besagt, daß die Tangente der Isotherme in K parallel der Abszissenachse verläuft, die zweite, daß die Isotherme in K einen Wendepunkt besitzt

Temperatur

19

Legt mau die VAN DEB WAALSsche Zustandsgleichung (12) zugrunde, so ergibt sich hiernach für den kritischen Punkt: 8

also für Kohlensäure nach den mitgeteilten Zahlen: Tk = 305 = 273° + 32°, pk = 61,2 Atm., vk = 0,0069, und im absoluten Maß vk = 0>0069-506 = 3,49-^5-· O

Statt der 3 Konstanten , und Ä kann man auch die 3 Konstanten Tk, pk und vk in die Zustandsgleichung einführen; dann treten in derselben außer den Variabein Tt p und v nur die Konstanten Tk, pk und vk auf. Da nun die Einheiten, in denen die Temperatur, der Druck und das Volumen gemessen werden, voneinander ganz unabhängig sind, so folgt, daß nur die Verhältnisse der Größen T und Tk, p und pk, v und vk in der Zustandsgleichung vorkommen können, oder mit anderen Worten, daß, wenn man diese Verhältnisse einfuhrt: T p v = ·

*= '

£-«·

(„reduzierte" Temperatur, „reduzierter" Druck, „reduziertes" Volumen), die Zustandsgleichung außer den Variabein , und gar keine auf die spezielle Natur der Substanz bezügliche Konstante mehr enthält In der Tat findet man auf die angegebene Weise für die TAN DEB WAALSsche Zustandsgleichung:

_ a

8

~~ 3 -1

s_ *'

Für = l und = l ist natürlich n = 1. Dieses Gesetz, nach welchem die auf die reduzierten Werte von Temperatur, Druck und Volumen bezogene Zustandsgleichnng für sämtliche Gase die nämliche ist, heißt das „Gesetz der korrespondierenden Zustände". Es ist nach dem Gesagten nicht allein der VAN DEB W AALS sehen, sondern überhaupt jeder Zustandsgleichung eigentümlich, in welcher nicht mehr als 3 auf die Natur der Substanz bezügliche Konstante auftreten. Doch gilt das Gesetz in Wirklichkeit nur in gewisser Annäherung, was vom molekularkinetischen Standpunkt aus deshalb einleuchten muß, weil es keine einzige Substanz gibt, die bei allen Temperatur- und Volumenänderungen im chemischen Sinne absolut einheitlich bleibt (Vgl. unten § 33.)

20

Grundtatsachen und Definitionen

§ 30 a« Legt man die vierkonstantige ÜLAusiussche Zustandsgleichung (l2a) zugrunde, so ergibt sich für den kritischen Punkt:

also für Kohlensäure nach den mitgeteilten Zahlen: T= 304 = 273°+ 31°, p = 77 Atm., v = 2,27

ccm 6

Diese Zahlen liegen den gemessenen Werten Tk = 273° + 31°, pk — 73 Atm., vk = 2,22 merklich näher als die obigen VAN DER WAALS sehen. § 31. Auch bezüglich des Überganges aus dem flüssigen in den festen Aggregatzustand lassen sich dieselben Betrachtungen anstellen wie für den aus dem gasförmigen in den flüssigen; auch hier kann man das System der Isothermen zeichnen und „theoretische" Gebiete der Isothermen konstatieren. In der Tat gibt es ja gewisse Erscheinungen, wie z. B. die Unterkühlung einer Flüssigkeit, die auf die Existenz mehr oder minder labiler flüssiger Zustände hinweisen. Die vollkommenste Zustandsgieichung wäre eine solche, welche zugleich den gasförmigen, flüssigen und festen Aggregatzustand umfaßte. Die Aufstellung derselben ist aber bis jetzt noch für keine Substanz durchgeführt. § 32. Mischungen verschiedener Substanzen. Während sich die Zustandsgieichung einer Mischung idealer Gase, wie wir in § 19 sahen, in einfacher Weise auf die der einzelnen Komponenten zurückführen läßt, ist das bei Mischungen beliebiger Substanzen im allgemeinen nicht mehr der Fall. Nur bei Gasen und Dämpfen gilt, wenigstens mit großer Annäherung, das DALTONsehe Gesetz, daß der Gesamtdruck einer Mischung gleich ist der Summe der Einzeldrucke, welche jedes Gas (oder Dampf) ausüben würde, wenn es allein bei derselben Temperatur das ganze Volumen ausfüllte. Dieser Satz gestattet es offenbar, die Zustandsgieichung einer beliebigen Gasmischung anzugeben, falls die der einzelnen Gase bekannt ist, er liefert außerdem auch die Entscheidung der oben § 17 unbeantwortet gelassenen Frage, ob man den einzelnen Gasen in einer Mischung gemeinsamen Druck und verschiedene Volumina, oder ob man ihnen gemeinsames Volumen und verschiedenen Druck zuschreiben

Molgewicht

21

muß. Daß die letztere Auffassung die allein zulässige ist, folgt aus der Betrachtung eines Dampfes, der sich weit von dem idealen Gaszustand entfernt: Nehmen wir z. B. eine Mischung atmosphärischer Luft und Wasserdampf bei 0 ° C unter Atmosphärendruck, so kann man den Wasserdampf unmöglich als unter dem Druck einer Atmosphäre befindlich annehmen, weil Wasserdampf bei 0° C unter diesem Druck gar nicht existiert. Es bleibt also nur übrig, der Luft und dem Wasserdampf ein gemeinsames Volumen (dasjenige der Mischung) und verschiedene Drucke (Partialdrucke) zuzuschreiben. Für Mischungen fester und flüssiger Substanzen ist kein allgemein gültiges Gesetz bekannt, welches die Zustandsgieichung auf diejenigen der einzelnen Substanzen zurückführt 2. Das Molgewicht § 33. Es ist im bisherigen immer nur von solchen Zustandsänderungen die Rede gewesen, welche allein die Temperatur, den Druck und die Dichte betreffen, während sie die chemische Natur des betreffenden Stoffes oder der Mischung ganz unberührt lassen. Es kommt aber auch häufig, — und viel häufiger, als man früher annahm — vor, daß durch eine Änderung der Temperatur oder des Druckes auch die chemische Beschaffenheit einer Substanz geändert wird. Daß auch vom thermodynamischen Standpunkt aus ein prinzipieller Unterschied zwischen physikalischen und chemischen Änderungen einer Substanz, der einen kontinuierlichen Übergang von den einen zu den ändern ausschließt, konstatiert werden muß, ist im Lauf der neueren Entwicklung der Thermodynamik immer deutlicher hervorgetreten (vgl. § 42 f. und § 238), wenn es sich auch bis jetzt als unmöglich gezeigt hat, ein für alle Fälle geeignetes praktisches Unterscheidungsmerkmal aufzustellen. Denn wie auffallend auch oft die chemischen Änderungen sich von den physikalischen abheben, entweder durch die Plötzlichkeit und Heftigkeit ihres Verlaufes oder durch irgendwelche augenfällige Diskontinuitäten (Wärmeerzeugung, Änderungen der Farbe und anderer Eigenschaften), so gibt es doch andererseits zahlreiche Prozesse unzweifelhaft chemischer Natur, z. B. Dissoziationsvorgänge, die sich, wenigstens dem äußeren Anschein nach, vollkommen stetig

22

Grundtatsach&n und Definitionen

und verhältnismäßig langsam abspielen. Es ist eine der Hauptaufgaben der physikalischen Chemie, diesen prinzipiellen Unterschied möglichst klar herauszuarbeiten. § 84. Das eigentümliche Merkmal aller chemischen Umwandlungen ist, daß sie nach konstanten Gewichtsverhältnissen erfolgen. Daher kann man als charakteristischen Ausdruck für die Natur der Reaktionen einer chemisch homogenen Substanz, sei sie ein Element oder eine Verbindung, eine Gewichts- (richtiger Massen-) Größe benutzen: das Äquivalentgewicht. Für irgendein bestimmtes Element setzt man das Äquivalentgewicht willkürlich fest, z. B. für Wasserstoff = l g, und findet dann für ein anderes Element, z. B. Sauerstoff, das zugehörige Äquivalentgewicht als diejenige Gewichtsmenge, welche sich mit l g Wasserstoff chemisch verbindet Die Gewichtsmenge der entstandenen Verbindung ist dann zugleich auch das Äquivalentgewicht derselben. So fortschreitend gelangt man leicht zu Werten des Äquivalentgewichts für alle chemisch homogenen Stoffe, auch für solche Elemente, die sich gar nicht direkt mit Wasserstoff verbinden, da immer eine Anzahl von Elementen aufgefunden werden kann, welche sich sowohl mit dem fraglichen Element als auch mit Wasserstoff verbinden und so den Übergang zwischen beiden vermitteln. Das Gesamtgewicht eines chemisch homogenen Körpers dividiert durch sein Äquivalentgewicht, heißt die im Körper enthaltene Zahl der Äquivalentgewichte oder Äquivalente. Daher kann man auch sagen: Bei jeder chemischen Umsetzung reagiert je ein Äquivalent eines Stoffes mit je einem Äquivalent eines anderen Stoffes. § 35. Indessen leidet diese Definition an einem Mangel. Denn zwei Elemente können häufig mehr als eine einzige Verbindung miteinander eingehen, und dadurch wird die Größe des Äquivalentgewichts mehrdeutig. Doch zeigt die Erfahrung, daß in einem solchen Falle die verschiedenen möglichen Gewichtsverhältnisse immer einfache Multipla oder Submultipla eines bestimmten Verhältnisses sind. Daher reduziert sich die Vieldeutigkeit in dem Wert des Äquivalentgewichts auf einen einfachen ganzzahligen Faktor im Zähler oder Nenner dieser Größe, und man muß den Schlußsatz des vorigen Paragraphen, daß gleichviel Äquivalente aufeinander reagieren, dahin verallgemeinern, daß die Äquivalente nach einfachen ganzzahligen

Molgewicht

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Verhältnissen aufeinander reagieren.1 So z. B. verbinden sich 16 Gewichtsteile Sauerstoff mit 28 Gewichtsteilen Stickstoff zu Stickstoffoxydul, oder mit 14 Teilen zu Stickstoffoxyd, oder mit 9 J/3 Teilen zu Salpetrigsäureanhydrid, oder mit 7 Teilen zu Stickstoffdioxyd, oder mit 53/5 Teilen zu Salpetersäureanhydrid, so daß man, wenn das Äquivalentgewicht des Sauerstoffs zu 16 angenommen wird, dem Stickstoff jede beliebige der obigen Zahlen als Äquivalentgewicht zuschreiben kann. Dieselben stehen aber in einfachen rationalen Verhältnissen, da 28:14:9 1 / 3 :7:5 3 / B

60:30:20:15:12.

§ 36. Die durch die vorstehende Zahlenreihe illustrierte Unbestimmtheit in der Definition der für den Stickstoff charakteristischen Gewichtsgrößte wird nun dadurch beseitigt, daß man aus ihr eine bestimmte Zahl herausgreift und sie als Molgewicht des Stickstoffs bezeichnet In der Definition des Molgewichts als einer ganz bestimmten, nur von dem eigenen Zustand einer Substanz abhängigen, von etwaigen chemischen Umsetzungen mit anderen Stoffen aber unabhängigen Größe, liegt eine der wichtigsten und fruchtbarsten Errungenschaften, welche die theoretische Chemie aufzuweisen hat Dieselbe läßt sich allerdings bis jetzt nur für spezielle Fälle exakt aussprechen, nämlich für ideale Gase und für verdünnte Lösungen. Da der letztere Fall sich, wie in der Folge gezeigt werden wird, mittels der Thermodynamik als durch den ersten mitbestimmt darstellen läßt, so haben wir es hier nur mit jenem zu tun. 1

Wenn diese ganzen Zahlen beliebig groß sein könnten, so wäre das Äquivalentgewicbt im Grunde eine stetig veränderliche Größe; denn man kann jede Größe mit beliebiger Annäherung durch das Verhältnis zweier ganzer Zahlen ausdrücken. Dann könnte der Wert des Äquivalentgewichte aus den aufeinander reagierenden Gewichtsmengen überhaupt nicht definiert werden, und die ganze obige Betrachtung wäre illusorisch. Die Unstetigkeit in der Veränderlichkeit des Äquivalentgewichts ist also charakteristisch für die chemische Natur eines Stoffes, im Gegensatz zu seinen physikalischen Eigenschaften; ja man kann kurz zusammenfassend geradezu sagen, daß chemische Veränderungen, im Gegensatz zu physikalischen Veränderungen, immer unstetig verlaufen. Das gilt allerdings nur für das Gebiet der allgemeinen Thermodynamik. Vom atomistischen Standpunkt aus betrachtet gibt es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen physikalischen und chemischen Vorgängen.

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Qrundtatsache/n und Definitionen

Die Definition des Molgewichts für ein chemisch homogenes ideales Gras wird ermöglicht durch den weiteren Erfahrungssatz, daß die idealen Gase sich nicht nur, wie überhaupt alle Stoffe, nach einfachen Äquivalentzahlen, sondern auch, bei gleicher Temperatur und gleichem Druck genommen, nach einfachen Volumenverhältnissen verbinden (GAY LUSSAC). Daraus folgt sogleich, daß die in gleichen Volumina verschiedener Gase enthaltenen Äquivalentzahlen in einfachen Verhältnissen stehen. Die Werte dieser Verhältnisse unterliegen natürlich der beschriebenen Willkür in der Wahl des Äquivalentgewichts. Diese Willkür wird nun beseitigt durch die Definition des Molgewichts. Setzt man nämlich diese Verhältnisse allgemein = 1:1, d. h. stellt man die Bedingung auf, daß die Zahlen der in gleichen Gasvolumina enthaltenen Äquivalente einander gleich sind, so trifft man damit eine spezielle Auswahl unter den verschiedenen Möglichkeiten, und erhält so ein bestimmtes Äquivalentgewicht für jedes Gas, das nun als Molgewicht des Gases bezeichnet wird, und ebenso für eine gegebene Gasmenge durch Division des Gesamtgewichts durch das Molgewicht eine bestimmte Äquivalentzahl, welche die Anzahl der in der Gasmenge enthaltenen Mole genannt wird. In gleichen Volumina besitzen also alle idealen Gase gleich viel Mole (AYOGADBO). Daher werden in chemisch homogenen Gasen die Verhältnisse der Molgewichte direkt durch die in gleichen Volumina enthaltenen Massen, d. h. durch die Dichten, gegeben. Das Verhältnis der Dichten ist gleich dem Verhältnis der Molgewichte. Nennen wir also ml und ma die Molgewichte zweier idealer Gase, so ist nach §11: (12 b)

ml:m2=^:^.

§ 37. Setzt man das Molgewicht des Wasserstoffs = mfft so ist mithin das Molgewicht irgendeines chemisch homogenen Gases gleich dem Produkte von mH und der spezifischen Dichte des Gases, bezogen auf Wasserstoffgas (§ 11). Folgende Tabelle enthält für einige Gase und Dämpfe die spezifischen Dichten, bezogen auf Wasserstoff, in abgerundeten Zahlen, und das Molgewicht.

Molgewicht

Wasserstoff Sauerstoff Stickstoff Waeserdampf Ammoniak Stickstoffoxydul Stickstoffoxyd

Spezifische Dichte 1 16 14 9 8V, 22 15

25 Molgewicht 1HH

16 mn 14 ms. 9 mH 81ltma 22 mn 15 ms

Mit Hilfe dieser Tabelle läßt sich nun die Frage, wie sich das Molgewicht einer Verbindung aus den Molgewichten seiner Elemente zusammensetzt, vollständig eindeutig beantworten. Da Wasserdampf sich nach der Analyse aus l Gewichtsteil Wasserston7 und 8 Gewichtsteilen Sauerstoff zusammensetzt, so besteht das Mol 9 ms des Wasserdampfes notwendig aus ms Gewichtsteilen Wasserstoff und 8 ms Gewichtsteilen Sauerstoff, d. h. nach der Tabelle aus einem Mol Wasserstoff und einem halben Mol Sauerstoff. Da ferner Ammoniak sich nach der Analyse aus l Gewichtsteil Wasserstoff und 4*/3 Gewichtsteilen Stickstoff zusammensetzt, besteht das Mol 81/., mH des Ammoniak notwendig aus 11/2 ms Gewichtsteilen Wasserstoff und aus 7 mn Gewichtsteilen Stickstoff, d. h. nach der Tabelle aus P/2 Molen Wasserstoff und einem halben Mol Stickstoff. Da ferner Stickstoffoxydul sich nach der Analyse aus 16 Gewichtsteilen Sauerstoff und 28 Gewichtsteilen Stickstoff zusammensetzt, so besteht das Mol 22 ma des Stickstoffoxyduls notwendig aus 8ms Gewichtsteilen Sauerstoff und 14 mH Gewichtsteilen Stickstoff, d. h. nach der Tabelle aus einem halben Mol Sauerstoff und einem ganzen Mol Stickstoff. In derselben Weise fortfahrend kann man auf Grund des AVOGADBO sehen Gesetzes für jedes chemisch homogene Gas, dessen Dichte und chemische Zusammensetzung bekannt ist, den Aufbau des Mols aus den Molen der Elemente in ganz bestimmten Zahlen angeben. § 38. Die kleinste Gewichtsmenge eines chemisch einfachen Stoffes, welche in den Molen der Verbindungen des Stoffes vorkommt, nennt man ein Mol-Atom, kürzer: ein Atom. Daher heißt ein halbes Mol Wasserstoff ein Atom Wasserstoff: H, ebenso ein halbes Mol Sauerstoff ein Atom Sauerstoff: 0, und ein halbes Mol Stickstoff ein Atom Stickstoff: N. Das Mol jedes dieser Elemente besteht also aus zwei Atomen: Hj, 02 und N2.

26

Grwndtatsachen und Definitionen

Bei Quecksilber z. B. dagegen ist das Atom gleich dem ganzen Mol, weil in den Molen der Quecksilberverbindungen immer nur ganze Mole des Quecksilberdampfes Torkommen. Um zu bestimmten Zahlenwerten für die Atom· und Molgewichte zu gelangen, ist es noch nötig, das Atomgewicht eines einzelnen beliebig herausgegriffenen Elements nach Willkür zu fixieren. Früher setzte man allgemein H = l , und daher 0 = 16. Nachdem sich aber gezeigt hat, daß das Verhältnis der Äquiyalentgewichte von Sauerstoff und Wasserstoff nicht genau 16, sondern etwa 15,87 beträgt, ist es mit Rücksicht auf den Umstand, daß die Sauerstoffverbindungen der meisten Elemente viel genauer analysiert sind als die Wasserstoffverbindungen, üblich geworden, von dem Atomgewicht des Sauerstoffs 0 = 16 als Definition auszugehen. Bann wird das Molgewicht des Sauerstoffs : 02 = 32 = 15,87 mB. Daraus folgt das Molgewicht des Wasserstoffs:

und das Atomgewicht des Wasserstoffs: H = 1,008. Die Molgewichte der obigen Tabelle werden dann: Wasserstoff Sauerstoff Stickstoff Waseerdampf Ammoniak Stiekstoffoxydul Stickstoffoxyd

2,016 32,00 28,02 18,02 17,03 44,02 30,01

= Hs = Os = N8 = H,0 = H8N = NjO = NO

§ 39. Allgemein ist also das Molgewicht eines chemisch homogenen Gases gleich 2,0 1 6 mal seiner spezifischen Dichte bezogen auf Wasserstoff, oder gleich 32 mal seiner spezifischen Dichte bezogen auf Sauerstoff. Umgekehrt läßt sich, wenn das Molgewicht m eines Gases bekannt ist, seine spezifische Dichte und somit auch die Konstante G in der Zustandegleichung (5) angeben. Bezeichnet man die auf Sauerstoff bezüglichen Größen mit dem Index 0, so ist nach der Gleichung (12 b) in § 36: (13) (7=!^.

Molgewicht

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Nun ist m0 = 32, während die Konstante C0 sich aus der Dichte des Sauerstoffs bei 0° C und Atmosphärendruck berechnet. Denn hierfür ist nach der Tabelle § 11: - = 0,0014291, «

p = 1013250 (§ 7), T =273. Mitbin und nach (13) m

T

oder: 32*1013250 83110000 »·273·0,0014291 ~~ m

f

m

Von dem Molgewicht des Wasserstoffs ausgehend erhält man für m C eine nur unwesentlich größere Zahl. Setzt man zur Abkürzung die Zahl 8,313- 107 = Ä, (13a) so ist mithin die allgemeine Zustandsgieichung eines idealen chemisch homogenen Gases mit dem Molgewicht m: -€

P* — m--- v >'

'

It

A\

(14) ^ '

worin P von der Natur des Gases unabhängig ist und daher gewöhnlich als die „absolute Gaskonstante" bezeichnet wird. Mit Hilfe von R kann man also auch das Molgewicht m direkt aus der Zustandsgieichung ableiten, da m = |-

(15)

Führt man in (14) statt des spezifischen Volumens v die Masse M und das Volumen V ein, so ergibt sich: ,. T M V =R · —. tli L

Nun ist aber — m die Zahl der im Gase enthaltenen Mole: M — = », m '

folglich

F»^·»,

28

Grundtatsachen und Definitionen

d. h. das Volumen eines Gases bei bestimmtem Druck und bestimmter Temperatur hängt nur von der Anzahl der darin enthaltenen Mole, im übrigen aber gar nicht von der Natur des Gases ab, wie es der Satz von AVOGADBO verlangt § 40. In einer Mischung von chemisch homogenen Gasen mit den Molgewichten ml} m2>... ist nach (9) das Verhältnis der Partialdrucke: Da aber nach (15):

-B

so ist dies Verhältnis: * ) * * ) ·

*/i ·

···· — ——

M, M,

i. * __i ·

·

· · · · -— ^^ A4 " ** - '

d. h. das Verhältnis der Partialdrucke gibt zugleich das Verhältnis der in der Mischung enthaltenen Molzahlen nv n2,.,. an. Ferner ist nach (10) P

ai

p

(16)

VT»! ml

M.

\

m,

]

7? V /

\

7? 71

F = — K + w 2 + ...l = —· ,

d. h. das Volumen der Mischung bestimmt sich aus der Gesamtzahl n der in der Mischung enthaltenen Mole genau ebenso wie bei einem chemisch homogenen Gas. § 41. Dagegen kann man offenbar nicht von einem Molgewicht der Mischung sprechen, sondern höchstens von einem „scheinbaren" oder „mittleren" Molgewicht, indem man darunter dasjenige Molgewicht versteht, welches ein chemisch homogenes Gas haben würde, wenn es in derselben Masse dieselbe Molzahl wie die Mischung enthielte. Bezeichnen wir das scheinbare Molgewicht mit m, so ist demnach die Molzahl Ml + M, + ... _ M t . Mt m ml 7W4

folglich m =

Mt + Mt + ...

Molgewicht

29

Daraus berechnet sich z. B. das scheinbare Molgewicht der Luft folgendermaßen. Da ml = 02 = 32, mz = 2 = 28, Jfj : Jf2 = 0,30 nach § 20, so ist 32

28

— etwas größer als das Molgewicht des Stickstoffs. § 42. Ergibt somit die Zustandsgieichung für jedes ideale Gas, sei es chemisch homogen oder nicht, nach (16) unmittelbar die Gesamtzahl der darin enthaltenen Mole, so liefert sie, wie schon § 19 hervorgehoben wurde, kein Mittel, um zu entscheiden, ob die Mole gleichartig sind oder nicht. Bei der Untersuchung dieser Frage ist man auf andere Methoden angewiesen, von denen aber keine in allen Fällen praktisch brauchbar ist. Häufig führt die Beobachtung der Diffusion, namentlich durch eine poröse oder noch besser semipenneable Wand zum Ziele, indem die einzelnen Gase einer Mischung sich durch ihre ungleiche Diffusionsgeschwindigkeit, die bei semipermeablen Wänden bis auf Null herabsinken kann, voneinander trennen und so die chemische Inhomogenität der Substanz verraten. Oft gibt auch die Entstehungsgeschichte des Gases unmittelbaren Aufschluß über seine chemische Beschaffenheit. Eine prinzipielle Definition für ein chemisch homogenes Gas liefert erst der Ausdruck der Entropie, § 237. § 43. Wenn ein Gas oder ein Dampf den für ideale Gase gültigen Gesetzen nicht folgt, mit anderen Worten: wenn es eine von der Temperatur oder dem Druck abhängige spezifische Dichte besitzt, so kann man dennoch die AvoGADEosche Definition des Molgewichts zur Anwendung bringen und nach Gleichung (16) setzen: n = -£-m ; nur ergibt sich dann offenbar keine konstante, sondern eine von dem augenblicklichen Zustand der Substanz abhängige Molzahl n. Man steht also hier vor der Wahl, für diesen Fall entweder eine veränderliche Molzahl anzunehmen, oder aber die AvoGADKOsche Definition für die Molzahl überhaupt nicht anzuwenden, mit anderen Worten: die Ursache der Abweichung von dem idealen Gaszustand entweder in chemischen oder in physikalischen Umständen zu suchen. Nach der letzteren Anschauung bleibt die

30

Grundtatsachen und Definitionen

chemische Natur des Gases erhalten, also die Mole auch bei veränderter Temperatur und verändertem Druck dieselben, sie unterliegen nur einer komplizierteren Zustandsgieichung als der BoYLE-GAY-LussAC sehen, z. B. der VAN DEB W AALS sehen oder der CLAUSFUS sehen. Wesentlich davon verschieden ist aber die andere Auffassung, nach welcher ein Gas, das Abweichungen von den Gesetzen idealer Gase zeigt, nichts anderes ist als eine Mischung mehrerer verschiedener Molarten (bei Stickstoffdioxyd N204 und N02, bei Phosphorpentachlorid PCJS, PC13 und Gig), deren Volumen in jedem Augenblick genau den durch die Gesamtzahl der Mole für eine Mischung idealer Gase nach Gleichung (16) bestimmten Wert besitzt und sich bei einer Änderung der Temperatur und des Druckes nur deshalb nicht wie bei einem idealen Gase ändert, weil durch gleichzeitige chemische Umsetzungen die verschiedenartigen Mole zum Teil ineinander übergehen und dadurch ihre Gesamtzahl stetig ändern. Diese Anschauung hat sich bisher am fruchtbarsten in allen den Fällen erwiesen, wo es sich um bedeutende Änderungen der Dichten handelt, um die sogenannten abnormen Dampfdichten, und dies namentlich dann, wenn die spezifische Dichte des Dampfes jenseits eines gewissen Temperatur- oder Druckintervalls wieder konstant wird. Dann ist nämlich die chemische Umsetzung vollständig geworden und die Mole verändern sich nicht mehr. So z. B. verhält sich Bromwasserstoffamylen sowohl unterhalb 160° als auch oberhalb 360° wie ein ideales Gas, doch im letzteren Zustand mit halber Dichte, entsprechend einer Verdoppelung der Molzahl: C^Br - CBH10 + HBr. Sind aber die Abweichungen von den Gesetzen idealer Gase unbedeutend, so schiebt man sie gewöhnlich auf physikalische Ursachen, wie bei Wasserdampf und Kohlensäure, und faßt sie als Vorboten der Kondensation auf. Eine prinzipielle Trennung der chemischen von den physikalischen Einflüssen und damit eine Vervollständigung der Definition des Molgewichts für alle variablen Dampfdichten läßt sich zurzeit praktisch noch nicht durchführen; so könnte man die Zunahme der spezifischen Dichte, welche viele Dämpfe in der Nähe ihres Kondensationspunktes zeigen, ebensowohl chemischen Vorgängen zuschreiben,

Wärmemenge

31

nämlich der Bildung von Doppelmolen oder überhaupt vielfachen Molen.1 In der Tat bestehen über diesen Punkt noch öfters Meinungsverschiedenheiten, wie z. B. beim Molgewicht des Schwefeldampfes unterhalb 800°, das gewöhnlich zu Se = 192, von einigen aber auch gemischt mit Molen S8 = 256 und S2 = 64, von anderen noch anders angenommen wird. Im allgemeinen wird man in zweifelhaften Fällen am sichersten gehen, die Frage einstweilen noch offen zu lassen und sowohl physikalische als auch chemische Veränderungen als Ursache der Abweichungen von den Gasgesetzen anzunehmen. Nur so viel — und dies ist ein wichtiger Punkt» von dem wir später Gebrauch machen werden — läßt sich mit Sicherheit behaupten, daß bei geringen Dichten die physikalischen Einflüsse hinter den chemischen immer mehr zurücktreten werden. Denn nach allen Erfahrungen nähern sich alle Gase mit abnehmender Dichte dem idealen Zustand (§ 21). 3. Die Wärmemenge § 44. Taucht man zwei gleich schwere Stücke von Eisen •und von Blei, beide auf 100° erhitzt, in zwei gehörig isolierte, ganz gleiche Gefäße mit gleich viel Wasser von 0° ein, und wartet für jedes Gefäß den Zustand des Wärmegleichgewichts ab, so zeigt das Gefäß mit dem Eisenstück eine bedeutend größere Temperaturerhöhung als das mit dem Bleistück. Umgekehrt wird ein Wasserbad von 100° durch ein Eisenstück von 0° bedeutend stärker abgekühlt, als durch ein gleich schweres Bleistück von 0°. Man unterscheidet daher zwischen Temperatur und Wärmemenge, und nimmt als Maß der von einem Körper bei seiner Abkühlung abgegebenen Wärmemenge diejenige Temperaturerhöhung, welche ein mit dem sich abkühlenden. Körper in Berührung gebrachter Normalkörper (Wasser) erfährt, vorausgesetzt, daß andere Ursachen der Temperaturänderung, wie Kompression, ausgeschlossen sind. Zugleich setzt man dabei die von dem Körper abgegebene Wärmemenge gleich der von dem Nonnalkörper aufgenommenen Wärmemenge. Ans dem 1

So z. B. hat W. NERNST (Verhandlungen der Deutschen Phys. Ges. 11, S. 813, 1909) die Zustandegleichung des Wasserdampfea auf die Bildung von Doppelmolen ( , ), zurückgeführt Vgl. auch H. v. STEDIWEHE, Zeitechr. f. Phys. 3, p. 466, 1920.

82

Grundtatsachen und Definitionen

oben beschriebenen Experiment folgt dann, daß ein Eieenstück bei Abkühlung um ein bestimmtes Temperaturintervall eine größere (etwa die vierfache) Wärmemenge abgibt als ein Bleistück von gleichem Gewicht, und umgekehrt, daß das Eisen zu einer bestimmten Temperaturerhöhung der Zufuhr einer entsprechend größeren Wärmemenge bedarf als das Blei. § 45. Als Wärmeeinheit galt früher allgemein diejenige Wärmemenge, welche einem Gramm Wasser zuzuführen ist, um es von 0° auf 1° zu erwärmen (Nullpunktekalorie). Dieselbe ist nahezu gleich derjenigen, welche l g Wasser von beliebiger Temperatur um 1° erwärmt. Seitdem aber die kalorimetrischen Messungen sich so weit verfeinert haben, daß man den Einfluß der Anfangstemperatur des Wassers berücksichtigen muß, wird häufiger die Kalorie als diejenige Wärmemenge definiert, welche l g Wasser von 14,5° auf 15,5° erwärmt Dieselbe ist etwa 1,008 mal kleiner als die Nullpunktskalorie. Endlich spricht man auch von der „mittleren Kalorie" als dem hundertsten Teil derjenigen Wärmemenge, welche l g Wasser von 0° auf 100° erwärmt, und welche ungefähr ebenso groß ist wie die 15°-Kalorie. Jeder dieser sogenannten „kleinen" Kalorien entspricht eine „große" Kalorie, welche sich auf l kg Wasser bezieht, also den 1 000 fachen Wert hat § 46. Das Verhältnis der von einem Körper aufgenommenen Wärmemenge Q zu der durch sie bewirkten Temperaturerhöhung T — T = heißt die mittlere Wärmekapazität des Körpers zwischen den Temperaturen T und T' ~

'

Die auf l g einer Substanz bezogene Wärmekapazität heißt die spezifische Wärme der Substanz: »

_ _ M

M· AT

AT

Danach ist die mittlere spezifische Wärme des Wassers zwischen 0° und 1° gleich einer Nullpunktskalorie. Geht man zu unendlich kleinen Temperaturintervallen über, so erhält man die Wärmekapazität eines Körpers bez. die spezifische Wärme einer Substanz bei der Temperatur T: C

und

= c'

Wärmemenge

33

welche im allgemeinen mit der Temperatur veränderlich ist, jedoch für die meisten Substanzen sehr langsam. Daher ist es gewöhnlich gestattet, für die spezifische Wärme bei irgendeiner Temperatur die mittlere spezifische Wärme in einem benachbarten mäßig großen Temperaturintervall zu setzen. § 47. Die vorstehende Definition der Wärmekapazität und der spezifischen Wärme bedarf genau genommen noch einer Ergänzung. Denn da der thermodynamische Zustand eines Körpers außer von der Temperatur noch von einer zweiten Variabein abhängt, etwa dem Druck, so ist die Zustandsändernng, welche mit einer Temperaturerhöhung verbunden ist, noch gar nicht bestimmt, so lange nicht angegeben wird, wie sich die zweite Variable dabei verhält. Nun ist allerdings bei festen Körpern und Flüssigkeiten die Wärmekapazität nahezu unabhängig davon, ob die Erwärmung bei konstantem oder bei veränderlichem äußeren Druck vollzogen wird, weshalb man dort bei der Definition der Wärmekapazität in der Regel keine besondere Bedingung hinsichtlich des Druckes hinzufügt Bei Gasen aber wird der Wert der Wärmekapazität ganz wesentlich davon beeinflußt, unter welchen äußeren Umständen die Erwärmung erfolgt; daher muß hier die Definition der Wärmekapazität vervollständigt werden durch die Angabe dieser äußeren Umstände. Als Wärmekapazität eines Gases schlechthin gilt die Wärmekapazität bei konstantem Atmosphärendruck, welche der experimentellen Bestimmung am bequemsten zugänglich ist. § 48. Die Reduktion der Wärmekapazitäten verschiedener Stoffe auf die Masseneinheit ist ganz willkürlich und aus dem Umstand entsprungen, daß sich verschiedene Mengen eines Stoffes am bequemsten durch Wägen vergleichen lassen. Man könnte z. B. ebensogut die Wärmekapazitäten auf die Volumeneinheit beziehen. Am rationellsten ist aber die Vergleichung solcher Gewichtsmengen verschiedener Stoffe, welche im Verhältnis der Molgewichte bez. Atomgewichte stehen, weil sich hier auf den ersten Blick gewisse Regelmäßigkeiten ergeben. Die so zu vergleichenden Größen erhält man durch Multiplikation der auf l g bezogenen Wärmekapazität (der spezifischen Wärme) mit dem Molgewicht bez. Atomgewicht, und bezeichnet dann dies Produkt kurz als Molwärme bez. Atomwärme. § 49. Die Atomwärmen der chemischen Elemente im PLANCK, Thermodynamik.

XLAufl.

3

34

Grundtatsachen und Definitionen

festen Zustand erweisen sich als nahezu konstant = 6,3 (DuiiONG und PETIT) und zwar besonders für Elemente mit hohem Atomgewicht Strenge Gültigkeit kann dies Gesetz schon deshalb nicht beanspruchen, weil die Wärmekapazität sowohl von der molekularen Konstitution des Elementes (z. B. für Kohle) als auch von der Temperatur abhängt, und zwar letzteres bezeichnenderweise in besonders hohem Grade bei denjenigen Stoffen (Kohle, Bor, Silicium), welche die größten Abweichungen von dem DULONG-PETIT sehen Gesetze zeigen. Daraus ist zu schließen, daß diesem Gesetz ein allgemeines Naturgesetz zugrunde liegt, dessen Ableitung aber über das Gebiet der allgemeinen Thermodynamik hinausführen würde. § 50. Wie die Atomwärmen der Elemente, so zeigen auch die Molwärmen der Verbindungen, besonders solche, die eine ähnliche chemische Konstitution aurweisen, gewisse Regelmäßigkeiten. Nach dem Gesetz F. NEUMANN, welches später von EEGNAULT und namentlich yon KOPP bestätigt wurde, ist die Molwänne einer festen Verbindung einfach gleich der Summe der Atomwärmen der in ihr enthaltenen Elemente, indem jedes Element in jeder Verbindung die ihm eigentümliche Atomwärme behält, mag sie nun dem DULONGsehen Gesetz entsprechend = 6,3 sein oder nicht. Doch besitzt auch diese Beziehung nur angenäherte Gültigkeit. § 51. Da alle kalorimetrischen Messungen gemäß der in § 44 gegebenen Definition immer nur die Beträge zugeführter oder abgeleiteter Wärmemengen ergeben, so liefern sie durchaus keinen Aufschluß über die Frage nach der Größe der in einem Körper von bestimmter Temperatur im ganzen „enthaltenen" Wärmemenge. Es würde nämlich widersinnig sein, die in einem Körper von gegebener Temperatur, Dichte usw. enthaltene Wärmemenge etwa gleich der Anzahl der Kalorien zu setzen, welche dem Körper zugeführt werden müssen, um ihn in den betrachteten Zustand zu bringen, ausgehend etwa von einem gewissen Normalzustand. Denn die Größe dieser Zahl würde gaoz verschieden ausfallen je nach der Art und Weise, wie der Körper aus dem einen in den ändern Zustand gebracht wird. Um z. B. ein Gas von 0° unter Atmosphärendruck auf 100° und 10 fachen Atmosphärendruck zu bringen, kann man entweder so verfahren, daß man das Gas zuerst bei konstantem Atmosphärendruck auf

Wärmemenge

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100° erwärmt und dann bei konstant gehaltener Temperatur bis auf den 10fachen Druck komprimiert; oder man kann das Gas zuerst bei 0° isotherm bis zu 10 Atmosphären komprimieren und dann isobar auf 100° erwärmen,t oder man kann endlich Kompression und Erwärmung gleichzeitig in ganz beliebig wechselndem Verhältnis vornehmen. In jedem aller dieser unendlich vielfach verschiedenen Fälle erhält man als Gesamtzahl der zugeführten Kalorien eine andere Größe (vgl. die im § 77 ausgeführte Berechnung von