Textproduktion: Ein interdisziplinärer Forschungsüberblick [Reprint 2013 ed.] 9783110962109, 9783484220485


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German Pages 564 [568] Year 1991

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Table of contents :
Einleitung
I. Textlinguistik
Textproduktion: Ein einleitender Überblick
From Linguistics to Text Linguistics to Text Production: A Difficult Path
Zur Genese von Textformen - Prolegomena zu einer pragmatischen Texttypologie
Sprechwissenschaftliche Aspekte des Schreibens - Ein Überblick über Forschungsfragen
Gedächtnis, Lexikon, Text
II. Psycholinguistik
Textproduktion
Textoptimierung unter Verständlichkeitsperspektive
Psycholinguistik der Sprachproduktion
Textreproduktion
III. Schreibforschung
Empirische schreibforschung
Schreiben und Kognition
Zur Ontogenese der Schreibkompetenz
IV. Muttersprachendidaktik und Sprachlehrforschung
Die Produktion von Texten im Deutschunterricht - Tendenzen in der Aufsatzdidaktik und ihre Herkunft
Didaktik schriftlicher Textproduktion in der Fremdsprache
Schreiben in der Fremdsprache - Prozeßanalysen zum ’vierten skill’
Prozesse der mündlichen Textproduktion
V. Patholinguistik
Textproduktion bei Aphasie
VI. Computerlinguistik
Maschinelle Textproduktion
VII. Textproduktion in der Praxis
Das Berufsbild des Technischen Autors/Redakteurs. Gegenwärtige Situation und neuere Entwicklungen im Arbeitsfeld “Technische Dokumentation” (TD)
Das Redakteurhandbuch - Eine Arbeitshilfe für den Technischen Redakteur
Der Text lebt nicht vom Wort allein - oder: Welche Aufgaben der Philologe als PR-Fachmann in der freien Wirtschaft finden kann
Zu den Autoren
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Textproduktion: Ein interdisziplinärer Forschungsüberblick [Reprint 2013 ed.]
 9783110962109, 9783484220485

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Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft

Herausgegeben von Klaus Baumgärtner

48

Textproduktion Ein interdisziplinärer Forschungsüberblick

Herausgegeben von Gerd Antos und Hans P. Krings

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1989

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Textproduktion : ein interdisziphnärer Forschungsüberblick / hrsg. von Gerd Antos u. Hans P. Krings. - Tübingen : Niemeyer, 1989 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft; 48) NE: Antos, Gerd [Hrsg.]; GT ISBN 3-484-22048-1

ISSN 0344-6735

© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1989 Das Werk etnschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervieißltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Gennany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt

Inhaltsverzeichnis Gerd Antos (Saarbrücken)/Hans P.Krings (Hildesheim) Einleitung

I. Textlinguistik Gerd Antos (Saarbrücken) Textproduktion: Ein einleitender Überblick

5

Robert de Beaugrande (Singapore) Prem Linguistics to Text Linguistics to Text Production: ADifficultPath

58

Konrad Ehlich (Dortmund) Zur Genese von Textformen Prolegomena zu einer pragmatischen Texttypologie

84

Norbert Gutenberg (Saarbrücken) Sprechwissenschaftliche Aspekte des Schreibens Ein Überblick über Forschungsfragen

100

Udo L. Figge (Bochum) Gedächtnis, Lexikon, Text

126

n . Psycholinguistik Theo Herrmann (Mannheim)/Siegfried Hoppe-Graff (Heidelberg) Textproduktion 146 Norbert Groeben/Ursula Christmann (Heidelberg) Textoptimierung unter Verständlichkeitsperspektive

165

Richard Wiese (Düsseldorf) Psycholinguistik der Sprachproduktion

197

Gert Rickheit/Hans Strohner (Bielefeld) Textreproduktion

220

VI

Inhalßverzcichnis

n i . Schreibforschung Jürgen Baurmann (Vechta) Empirische schreibforschung

257

Sylvie Molitor-Lübbert (Tübingen) Schreiben und Kognition

278

Helmuth Feilke/Gerhard Äugst (Siegen) Zur Ontogenese der Schreibkompetenz

297

IV. Muttersprachendidaktik und Sprachlehrforschung Otto Ludwig (Hannover) Die Produktion von Texten im Deutschunterricht Tendenzen in der Aufsatzdidaktik und ihre Herkunft

328

Wolfgang Börner (Hamburg) Didaktik schriftlicher Textproduktion in der Fremdsprache

348

Hans RKrings (Hildesheim) Schreiben in der Fremdsprache Prozeßanalysen zum 'vierten skill'

377

Dorotheader Möhle/Manfred Raupach (Kassel) Prozesse mündlichen Textproduktion.

437

V. Patholinguistik Anneliese Kotten (Bad Heilbrunn) Textproduktion bei Aphasie

463

VI. Computerlinguistik Annely Rothkegel (Saarbrücken) Maschinelle Textproduktion

483

Inhaltsverzeichnis

VII

Vn. Textproduktion in der Praxis Herbert Herzke/Dietrich Juhl/Rafael de la Roza (Dortmund) Das Berufsbild des Technischen Autors/Redakteurs. Gegenwärtige Situation und neuere Entwicklungen im Arbeitsfeld "Technische Dokumentation" (TD)

502

Walter HofTmannAVerner Schlummer (München) Das Redakteurhandbuch Eine Arbeitshilfe für den Technischen Redakteur

523

Hartwig Frankenberg (Düsseldorf) Der Text lebt nicht vom Wort allein oder: Welche Aufgaben der Philologe als PR-Fachmann in der freien Wirtschaft finden kann

539

Zu den Autoren

548

IX

Vorwort Die Arbeiten an dem vorliegenden Band erstreckten sich über einen Zeitraum von fast drei Jahren. In dieser Zeit haben eine Reihe von Institutionen und Einzelpersonen in unterschiedlicher Weise dazu beigetragen, daß diese Arbeiten zu einem positiven Abschluß geführt werden konnten. Es ist uns ein Bedürfnis, ihnen an dieser Stelle unseren aufiichtigen Dank auszusprechen. Dieser gebührt zunächst dem Institut der Gesellschaft zur Förderung der Angewandten Informationsforschung e.V. an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken, der Prisma Untemehmensberatung für Telefonkommunikation GmbH, Rodgau, der Siemens AG, München, der Universität Hildesheim, der Universität des Saarlandes, Saarbrücken, und der Vereinigung der Freunde der Universität des Saarlandes e.V., Saarbrücken, die durch Druckkostenzuschüsse zum Erscheinen dieses Buches ganz erheblich beigetragen haben. Unser Dank gilt femer allen Personen in der Universität Hildesheim, die die dortige Produktion des Bandes unterstützt haben, insbesondere dem Dekan des Fachbereichs HI "Sprachen und Technik", Herrn Prof. Dr. Reiner Amtz, und dem Leiter des Instituts für Angewandte Sprachwissenschaft, Herrn Prof. Dr. Norbert Wegner, für die optimalen organisatorischen Rahmenbedingungen, den Mitarbeitem des Rechenzentrums für die tatkräftige Hilfe in allen Hardund Software-Fragen während der Produktion des Manuskripts, den Sekretärinnen des Fachbereichs in, insbesondere Frau Annette Linde, für die sorgfältige Erfassung der nicht auf Datenträger eingereichten Beiträge, sowie Frau Sigrid Relke für die fachkundige Anfertigung eines Großteils der Grafiken. Unser besonderer Dank als Herausgeber gilt schließlich allen Beitragsautorinnen und -autoren, die durch ihr engagiertes Eingehen auf unsere Idee zu diesem Band dessen Entstehung überhaupt erst ermöglicht haben.

Hildesheim und Saarbrücken, im Juni 1989 Die Herausgeber

Gerd Antos/Hans Peter Krings

Einleitung Wie soll ich reden? Wie schreiben? Was kann ich beim Formulieren in der eigenen oder fremden Sprache verbessern? Welchen Anforderungen müssen eigene Rede- bzw. Textbeiträge genügen? Wie müssen verständliche, wirkungsorientierte oder adrcssatenbezogene, kurz: "gute" Texte aussehen? Diese Fragen spiegeln für den Laien wie für den Linguisten einige der wichtigsten Probleme seiner eigenen Kommunikationspraxis wider. Sie haben daher auch entscheidend zur Entwicklung der Rhetorik beigetragen, die über 2000 Jahre lang die Sprachwissenschaft stark beeinflußt hat. Daß heute Fragen der Entstehung von Texten wieder stärker in den Vordergrund rücken, hat folgende Hauptursachen: 1. Texte sind angesichts der explosionsartigen Zunahme menschlichen Wissens zu einem entscheidenden Faktor in der Auffindung, Aneignung, Darstellung, Weitergabe und Speicherung von Wissen geworden. 2. Immer mehr Menschen haben in immer mehr Berufen nicht nur rezeptiv mit Texten Umgang (Rezeption, Interpretation, Bearbeitung und Archivierung von Texten), sondern sie müssen in zunehmendem Maße selber kommunikativ produktiv werden, d.h. sich mündlich eigenverantwortlich äußern und Texte eigenständig herstellen. 3. In der modernen, durch Medien geprägten Informationsgesellschaft nehmen sowohl die innersprachlichen Kommunikationsbarrieren (Fach-, Sondersprachen) als auch die durch die zunehmende internationale Verflechtung bedingten interlingualen und interkulturellen Probleme zu. 4. Die seit Ende der 70er Jahre entstandene Schreibforschung ist eine Reaktion darauf, daß der Erwerb der Schriftsprache und das Formulieren (-lernen) von Texten in der Schule zunehmend als ein didaktisches Problem gesehen wird. Diese Probleme haben das Interesse an der Textproduktion, d.h. an den Bedingungen der Entstehung von Texten, wesentlich gefördert und u.a. zu folgenden erkenntnisleitenden Fragen geführt: Welche Kommunikationsbedürfnisse führen zu welchen Texten bzw. Textsorten? Welche sprachlichen und nicht-sprachlichen Probleme treten im Produktionsprozeß auf? Was passiert bei der Diskurs-/Textplanung? Welche Fähigkeiten und

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Antos/Krings

Strategien müssen - etwa beim Darstellen, Erzählen, Argumentieren oder Erklären - aktiviert, welche sprachlichen Handlungen vollzogen werden? Wie beeinflussen bestimmte kognitive, emotionale, soziale oder mediale Bedingungen die Textproduktion? Welche Rolle spielen bei der Textproduktion die Adressaten oder bestimmte Anforderungen an den Text (z.B. Verständlichkeit)? Wie wird die Fähigkeit, Texte zu produzieren, erworben und wie stark variiert diese Fähigkeit von einem Menschen zum anderen, wie kann sie verändert, verbessert, vertieft werden? Und nicht zuletzt: Wie läßt sich Textproduktion maschinell unterstützen oder gar simulieren? Zur Beantwortung dieser Fragen ist - wie in anderen Bereichen der Wissenschaft - zunächst Grundlagenforschung nötig. Eine solche Forschung wird zwar durch Probleme der Praxis (vgl. die Beiträge von Herzke/Juhl/de la Roza und Hoffmann/Schlummer über das technische Schreiben) stimuliert: Auf den Weg gebracht und vorangetrieben werden muß sie jedoch im Rahmen der bestehenden Disziplinen. Und da gilt noch immer der Topos, daß die Sprachproduktion bislang ein "Stiefkind" sowohl der Sprachpsychologie wie der Linguistik ist. Dies hat vor allem wissenschaftshistorisch bedingte methodische Gründe: Nach der Überwindung des anti-mentalistischen Strukturalismus und Behaviorismus setzte zunächst ein starkes Interesse an der Textrezeption ein, das sich bis in die in jüngster Zeit entstandene Kognitionswissenschaft ("cognitive Science") unvermindert fortsetzt Charakteristisch für diese Entwicklung ist die starke Fixierung auf das "Input-Problem" (Dijk/Kintsch 1983:262), so daß der Weg für eine entsprechend breit angelegte "Output-zentrierte" (Herrmann 1982:7f) Forschung lange Zeit verstellt war. Darüber hinaus standen einer diskurs- bzw. textbezogenen Sprachproduktionsforschung in der Linguistik drei weitere Barrieren entgegen: Erstens tut sich die Linguistik nach ihrer Emanzipation aus den klassisch textzentrierten Disziplinen (Philologie, Rhetorik, Stilistik) trotz Textlinguistik und Diskursanalyse noch immer schwer, von der Hauptanalyseeinheit Satz zum Text als der zentralen kommunikativen Einheit zurückzukehren (für eine nähere Beschreibung dieser Schwierigkeit s. Beaugrande i.d.Bd.). Zweitens ist die wiam-ifrgam-Linguistik immer noch eindeutig struktur- und nicht prozeß-orientiert. Und drittens wird erst allmählich die Rolle der kommunikativ relevanten Parameter (Produzenten, Adressaten, Situation, Textsorte, Intention usw.) herausgearbeitet (vor allem in der "Pragmatik" und der Soziolinguistik).

Einleitung

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Seit dem Beginn der 80er Jahre ist aber ein wachsendes Interesse an Fragen der Sprach- und Textproduktion zu beobachten. Ganz grob sind es folgende, z.T. sehr unterschiedliche Strömungen, die allmählich einen "synergetischen" Effekt zu bewirken scheinen: 1. Psycholinguistische und sprachpsychologische Arbeiten zur "speech production", insbesondere zu den sog. temporalen Variablen 2. prozedurale Ansätze der Kognitionswissenschaft, 3. linguistische und kognitionswissenschaftliche Forschungen zu textuellen Makrostrukturen (Alltagserzählungen, Wohnungs- und Wegbeschreibungen), 4. empirische Schreibforschung, 5. Forschungen zu "second language productions" in der Sprachlehrforschung, 6. Rhetorik, Stilistik, Formulierungstheorien, 7. Diskurs-Zkonversationsanalytische Ansätze (Korrekturen, repairs, interaktioneile Gesprächsorganisation). Der vorliegende Sammelband greift diese Entwicklungen in unterschiedlicher Gewichtung auf und versucht eine erste, sicherlich noch unvollständige Synopse. Er setzt den Schwerpunkt bewußt bei den textlinguistischen und psycholinguistischen Ansätzen und der empirischen Schreibforschung, ergänzt diese um die didaktische Perspektive mit Beiträgen zur muttersprachlichen und fremdsprachlichen Textproduktion, stellt femer flankierend den entsprechenden Diskussionsstand im Bereich der Patholinguistik und der Computerlinguistik vor und schließt mit Beiträgen aus der Textproduktionspraxis. Aus Gründen des Umfangs mußte auf die Berücksichtigung literaturwissenschafüicher und editorischer sowie auf mediale (Buchdruck, Femsehen usw.) und sprachhistorische Ansätze der Textproduktion verzichtet werden. Das gilt auch für eine - sicherlich notwendige - Klärung des Verhältnisses zur Rhetorik und Stilistik. Ziel des fachübergreifenden Forschungsüberblicks ist es somit, ein erstes Forum für die zum Teil noch isoliert voneinander betriebenen Ansätze zu den oben genannten Aspekten von Textproduktion im deutschsprachigen Raum zu schaffen. Die einzelnen Beiträge sollten einerseits einen stateof-the-art-Bericht über das jeweilige Forschungsgebiet geben, andererseits aber auch ausführlich über die eigenen Forschungen berichten sowie weiterführende Perspektiven aufzeigen. Angesichts der unterschiedlichen Forschungslage innerhalb der einzelnen Gebiete haben wir auf weitere inhaltiiche Restriktionen verzichtet.

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Antos/Krings

In der gegenwärtigen Phase einer sich erst konstituierenden Forschungsrichtung scheint es uns femer wenig sinnvoll zu sein, den Begriff "Textproduktion" vorschnell terminologisch gegenüber "Sprachproduktion" und "Diskursproduktion" abzusetzen (siehe dazu Antos i.d.Bd.)- Bei unserer Wahl, das gesamte Spektrum unter den Terminus "Textproduktion" zu fassen, geht es uns daher weniger um Ab- oder Ausgrenzung, als vielmehr um die Fokussierung eines über den Satz hinausgehenden Bereichs einer produktionsorientierten Sprachwissenschaft. Wir hoffen, mit diesem Band einen Anlaß für den Beginn einer breitgefächerten interdisziphnären Diskussion zu geben, die, so wünschen wir uns, zu einem gemeinsamen systematischen Forschen, aber auch zu einem intensiven Dialog mit der Praxis über den vielschichtigen Gegenstand 'Textproduktion' führen soll. Literatur: Antos,G. (i.d.Bd.): Textproduktion. Ein einleitender Überblick. Bcaugrande,R. (i^.Bd.): From Linguistics to Text Linguistics to Text Production: A DifficultPath. Dijk,T.vyKintsch,W. (1983): Strategies of Discourse Comprehension. New Yoik: Academic Press. Herrmanii.Th. (1983): Sprechen und Situation. Eine psychologische Konzeption zur situationsspezifischen Sprachproduktion. Berlin: Springer.

1. Textlinguistik

Gerd Antos (Saarbrücken)

Textproduktion: Ein einführender Überblick Abslract: Part One outlines the object and the aims of research into lext production. Part Two then gives a summary of approaches to text production. Part Three skeiches the linguistic background and, finally, Part Four discusses the prospects of future research.

1. Produktions-orientierte Sprachwissenschaft: 1.1 Zum Verhältnis von Sprachproduktion und Textproduktion "Where do sentence come from?". Dieser Aufsatztitel von Osgood (1971), einem der Pioniere der Psycholinguistik, könnte als Leitfrage über den Forschungen zur Sprachproduktion stehen. Ziel ist die Analyse der zu durchlaufenden Verbalisierungsstationen "irom intention to articulaöon" (Levelt 1988, ähnlich: Schlesinger 1977). Der Sprecher wird dabei dem Paradigma der 'cognitive science' entsprechend - als informationsverarbeitendes System modelliert (Herrmann 1985; zu Sprachproduktionsmodellen: Foss/Hakes 1978, Grimm/Engelkamp 1981, Wiese i.d.Bd.). "Woher" unsere Äußerungen kommen, gehört zweifellos zu den faszinierendsten Fragen bei der Erforschung von 'Denken und Sprechen' (Wygotski). Nur: aus der Sicht sprachwissenschaftlicher Laien dürften sie eher akademisch anmuten. Was sie interessiert, sind vielmehr Fragen, die ihre eigene Formulierungspraxis betreffen: Wie stelle ich's an, ein Thema zu entwickeln, nicht abzuschweifen, "auf den Punkt einer Sache zu kommen", "der Reihe nach" zu erzählen? Wie führe ich ein sachliches Gespräch; wie gelingt es mir, den richtigen Ton zu treffen; wie "bringe" ich das, was ich sagen will, auch bei unterschiedlichen Adressaten "rüber";

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Antos

wie vermeide ich Mißverständnisse? Und: Wie kann ich präzise berichten, überzeugend argumentieren, nachvollziehbar erklären, einfühlsam beraten, spannend erzählen, gewinnend telefonieren, verständlich schreiben, etwas interessant darstellen, usw? Solche Fragen zeigen: Sprecher und Schreiberinnen, aber auch Fremdsprachenlemer oder Übersetzerinnen, haben oft mit sehr realen und folgenreichen Rede-, Gesprächs- oder Schreibproblemen zu kämpfen. Kein Wunder: Denn für die diskursiven bzw. textuellen Lösungen dieser "Formulierungsprobleme" (Antos 1982), einschließlich der Vermeidung von Problemlösungen (Krings 1986a:466ff.), kann man verantwortlich gemacht werden. Vor allem aber hängt von der Art der Lösungen wesentlich der Erfolg des Kommunikationsversuches ab. Die Erforschung der Sprachproduktion, die von realen Formulierungsproblemen kommunikativer Laien ausgeht, zielt also nicht auf die Erklärung der Struktur des Verbalisierungsprozesses als solchen ab, sondern auf den Einfluß typischer "Barrieren" beim Formulierungsprozeß. Eine solche Sprachproduktion im Hinblick auf Barrieren, soll im Mündlichen Diskurs-, im Schriftlichen Textproduktion heißen. (Einfachheitshalber verwende ich häufig "Textproduktion" als pars pro toto). Gegenstand der Diskurs- und Textproduktion ist also die Sprachproduktion im Hinblick auf die Überwindung bestimmter Barrieren - oder präziser ausgedrückt: die Sprachproduktion unter Bedingungen. Zusammen mit 'un-bedingter' Sprachproduktion bilden Diskurs- und Textproduktion den Gegenstand einer produktions-orientierten Sprachwissenschaft. Welche Bedingungen sind bei der Diskurs- und Textproduktion vor allem im Spiel? A. Restriktionen: - begrenztes Wissen (sprachliches, diskursives und textuelles Wissen, etwa bei Schreibern, Fremdsprachenlemerinnen, bei Aphasikem); - begrenztes Wissen über Emotionen, Erwartungen und Kenntnisse von Adressaten, mangelndes situatives Wissen; - begrenzte typische (z.B. entwicklungsbedingte) bzw. situativ induzierte Sprech- bzw. Sprachfertigkeiten (etwa bei Stress, unbekannten Kommunikationssituationen oder mangelnder kommunikativer Übung); - begrenztes Musterwissen (mangelndes Wissen bei bestimmten Textsorten, z.B. jemanden beraten, ein Referat schreiben usw.) - begrenztes kommunikativ relevantes Weltwissen; - begrenzte stilistische, fachsprachliche oder rhetorische Fähigkeiten; - begrenzte Fähigkeiten, vorhandenes Wissen rechtzeitig und vollständig

Textproduktion: Ein einführender Überblick

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zu aktivieren (z.B. Wortfindungsschwierigkeiten, "Gemeintes" präzise auszudrücken), zu fokussieren (z.B. klare Gliederung, Themenkonstanz) und/oder zu kontrollieren (Versprecher, Stilblüten, Unklarheiten oder inhaltliche wie sprachliche Inkohärenzen zu korrigieren); - begrenzte Antizipationsfähigkeiten hinsichtlich Adressatenerwartungen oder Nebenwirkungen; - begrenzte Aufmerksamkeit, emotionale Belastbarkeit und Motivation. B. Kommunikative Rahmenvorgabe: Medium, kommunikative Situation, Publikumsorgan und -ort, zur Verfügung stehende(r) Zeit/Umfang, Adressaten. C. Erfüllung bestimmter Maximen: Sachlichkeit, Klarheit, Kürze, Verständlichkeit, Gegliedertheit, thematischer Zusammenhang, sowie interaktionelle, situative, stilistische oder textsortenspezifische Angemessenheit, usw. D. Ziele: kompositorische, ästhetische Wirkungen, Interessantheit, Spannung, poetische Stimmungen, Weckung von Emotionen, Imagearbeit, usw. E. Persönliche Konstanten: Alter, Geschlecht, körperliche, psychische und geistige Verfassung, soziale Schicht, Ausbildung, Rede-Schreibroutine, kommunikative Erfahrungen, usw. (vgl. 2.17). F. Constraint Proliferation: Bei jedem längeren Diskurs oder Text findet eine "Vermehrung der Zwänge" statt, d.h. die anfänglich offenen Gestaltungsmöglichkeiten reduzieren sich in dem Maße, wie die "innere Logik" des produzierten Diskurses/Textes wächst (Dömer 1976:96). Sofern nicht Widersprüche entdeckt oder in Kauf genommen werden, ist also der prozessualisierte Diskurs/Text selbst Quelle neuer "Zwänge". Da diese Bedingungen nicht vereinzelt oder zufällig auftreten, sondern rekurrente Formulierungsprobleme (von bestimmten Produzentengruppen) darstellen, ist es Aufgabe der Textproduktionsforschung, sowohl typische Formulierungsprobleme wie auch deren typische Lösungsstrategien, muster und -prozesse zu analysieren. Aus der Sicht der Diskurs- und Textproduktionsforschung ist die gegenwärtig dominierende Analyse der Sprachproduktion ein - mehr oder minder - idealisierter Spezialfall der Textproduktion. Ein Beispiel: "Sprach"-produktion ist - konkret betrachtet - natürlich entweder immer Schreib- oder Sprechproduktion. Von der medialen Bedingung ist streng genommen nicht zu abstrahieren. Trotzdem ist eine solche Idealisierung notwendig - vor allem, wenn es um die Erhellung der automatisierten

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Antos

kognitiven Prozesse bei der Verbalisierung geht. Im übrigen schließt die kognitionswissenschaftliche Sprachproduktionsanalyse die Berücksichtigung von zentralen Bedingungen nicht aus (so schon programmatisch: "Sprechen und Situation" von Herrmann 1982). Umgekehrt stellt die Analyse bestimmter Produktionsbedingungen einen Beitrag zu nicht kontingenten Aspekten der Verbalisierungsstruktur dar: So ist die Analyse von Umformulierungsprozessen zwischen Ausgangsund Zieltexten (Vorgaben, Entwürfe, Vorfassungen oder adressatenspezifische Veränderungen, Antos 1982, Börner i.d.Bd.) oder die Analyse von gemeinsam betriebener interaktioneller Textherstellung (Gülich 1988b) ein legitimer Beitrag zur "Ideengenerierung" bzw. zur Wissensproduktion. Entsprechendes gilt für die psycholinguistische Beschreibung der "message generation" (Levelt 1988) oder die "Wissensaktualisierung und Fokussierung" (Herrmann 1985, Herrmann/Hoppe-Graff i.d.Bd.). Femer: Die Analyse von Revisionsprozessen (Baurmann/Ludwig 1985, Äugst 1988, Streitz/Hannemann 1988) ist sowohl für die Ideengenerierung als auch für die Erforschung der "verbalen Enkodierung" oder des Monitorings wichtig. Ein Parameter wie Aufmerksamkeit (Labov 1980:49ff.) kann die Stilwahl nachhaltig beeinflussen. Zeit bzw. Platzmangel oder unterschiedliche Adressaten verändern die Art der lexikahschen Wahl, die Komposition und womöglich die Wahl der Textsorte usw. Wie man sieht: Textproduktionsansätze liefern wichtige Daten für die Modellierung von Planungs-, Ausformulierungs- und Revisionsprozessen. Allerdings sind dies Daten über kommunikative Handlungsweisen, nicht "un-vermittelte" Daten über kognitive Operationen oder Prozesse. Dieser Unterschied kommt auch terminologisch zum Ausdruck, wenn einerseits von Sprachproduktion und andererseits von Formulieren gesprochen wird. Diesem methodischen Unterschied entspricht ein theoretischer: Bei der Analyse der Textproduktion gehen viele Ansätze zumindest implizit davon aus, daß das Formulieren eines Beitrags/eines Textes eine sprachliche Handlung (Antos 1982, Gülich/Kotschi 1987) mit entsprechenden Konsequenzen ist. D.h. Sprecherinnen/Schreiber werden nicht als informationsverarbeitende Systeme modelliert, sondem als Handelnde (zum Problem "Akteur oder System", vgl. Herrmann 1985:17), die auf einen Teil ihrer Informationsverarbeitung stimulierend und (was das Ergebnis betrifft) auch kontrollierend (Monitoring) einwirken können. Die Redeweisen von "kognitiver Operation" und "Handeln" bzw. von "System" und "Akteur" unterscheiden sich (zumindest) darin, daß nur bei Handelnden eine Zuschreibung von Verantwortung möglich ist. Zugespitzt aus-

Textproduküon: Ein einführender Überblick

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gedrückt: Für kognitive Prozesse kann man nicht verantwortlich gemacht werden, wohl aber für Formulierungen!

1.2 Programm der Textproduktionsforschung Was rechtfertigt eine im Rahmen der produktions-orientierten Sprachwissenschaft betriebene Textproduktionsforschung? Neben zwei wissenschaftsintemen Gründen sollen einige wichtige Probleme genannt werden, die sich (womöglich nur) im Rahmen einer Textproduktionsforschung analysieren und mit Aussicht auf Erfolg einer Erklärung zuführen lassen. Kommunikationstheoretischer Grund: Jedes auch noch so reduktionistisches Kommunikationsmodell unterscheidet mindestens drei Komponenten der Kommunikation: PRODUZENT - DISKURS/TEXT - REZIPIENT(EN) Nachdem in den 70er Jahren durch die sog. "pragmatische" und in den 80er Jahren durch die "kognitive Wende" die Beschränkung auf sprachliche Strukturen wieder aufgebrochen wurde und u.a. Fragen des gemeinsamen sprachlichen Handelns, des gemeinsamen Wissens, der Rezeption und der Textverarbeitung in den Vordergrund rückten, ist es nur konsequent, nun auch nach der verbleibenden dritten Komponente und damit nach der Rolle der Diskurs- und Textproduktion zu fragen. Historischer Grund: Sprachliche Kommunikation aus der Sicht des "Produzenten" darzustellen, ist Erbe der klassischen Rhetorik. Seit Aristoteles gehört eine produzenten-orientierte Betrachtungsweise zum selbstverständlichen Kanon einer wissenschaftlichen, literarischen und schulischen Beschäftigung mit Sprache und Kommunikation: Sie ersetzte überdies bis weit in das 18. Jahrhundert hinein zentrale Bereiche einer Kommunikationstheorie (Beetz 1980:2). Als "System zur Produktion von Rede" (Spillner 1977:99) umfaßt die Rhetorik die Phasen der Textherstellung ("inventio", "dispositio", "amplificatio"; zur bislang vernachlässigten Topik: Bomscheuer 1976, Breuer/Schanze 1981). Das "wissenschaftliche Interesse an Rhetorik als Theorie der Textproduktion" (Spillner 1977:97, auch Antos 1981) profitiert ganz erheblich von dem Studium der klassischen Rhetorik (Breuer 1974). Wie Beetz (1981) zeigt, reflektieren schon die Autoren barocker Poetiken, z.T. empirisch wie theoretisch überraschend fundiert, die verschiedenen Stadien, Strategien und Handlungsweisen des Textherstellens.

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Antos

Linguistische Asymmetrien: Ein Grund für die stiefmütterliche Behandlung der Textproduktion ist die zumeist nicht thematisierte Prämisse, daß die Produktion lediglich eine "umgekehrt verlaufende" Rezeption sei. Demgegenüber ist in den letzten Jahren Zusehens stärker die Asymmetrie zwischen Produktion und Rezeption betont worden: - So weist Labov nach, daß "Negeijungen in Satzwiederholungstests ihnen vorgesprochene Standardsätze in der phonologischen und grammatischen Eigenart des Nonstandard wiederholen; sie konnten Standard und NonStandard perzipieren, jedoch lediglich Nonstandard produzieren" (Dittmar 1973:175). - Aktive und passive Fremdsprachbeherrschung ist zwar ein Faktum, eine dieses Faktum erklärende allgemeine "Theorie sprachlicher Asymmetrie" fehlt aber noch. - Dies gilt auch für den ebenfalls nicht bestreitbaren Unterschied zwischen aktiver und passiver Wortschatzbeherrschung. - Im Hinblick auf syntaktische Strukturen glauben Deutsch/Jarvella (1984) Asymmetrien zwischen Sprachproduktion und SJjrachverstehen nachweisen zu können. - Daneben gibt es mindestens zwei grundlegende kommunikationsspezifische Asymmetrien, die zusammengenommen zwar "formal", aber nicht immer "material" symmetrisch sind: In der Regel wird weniger gesagt, als mitgeteilt wird! Es wird mehr verstanden, als gesagt wird! (Engelkamp 1976:44, Hörmann 1978) Wer jemals lektoriert hat, ist mit zwei weiteren Asymmetrien von Autorinnen/Sprechern konfrontiert, die in dieser Ausprägung den "suppletorischen Charakter von Sprachrezeption und Sprachproduktion" (Herrmann 1985:191ff.) in Frage stellen: Wir können manches nicht in intendierter Weise so ausdrücken, wie es uns vorschwebt! Deshalb die Anerkennung für diejenigen, die etwas "auf den Punkt", "auf den Begriff' bringen können. Die Konsequenzen des Gesagten/Geschriebenen sind häufig nicht (oder nicht sofort) überschaubar. (Das "Meinst-du-wirklich-das, wasdu-gesagt-hast"-Phänomen). Diese Phänomen ist u.a. für die "Blindheit" bei der Korrektur eigener Texte verantwortlich. Offenbar ist unsere Rezeptionskompetenz "größer" oder zumindest anders fokussiert als unsere Formulierungskompetenz. Ohne die beiden letzten Asymmetrien wären Schreib-, Rhetorik- oder Gesprächstrainings sinnlos.

Textproduktion: Ein einführender Überblick

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Übrigens auch die gesellschaftlich-didaktische Begründung der Schreibforschung. Formelhafte Sprache: Eine produktions-orientierte Sprachwissenschaft hat ferner eine ebenfalls übersehene, komplementäre Tatsache zu erklären: - Warum gebrauchen wir beim Kommunizieren Stereotype, Redewendungen, Sprichwörter, Hoskeln, idiomatische (Gr6ciano 1988) oder phraseologische Wendungen (Burger/Buhofer/Sialm 1983, Gülich 1988a), sprachliche Fertigteile und Routinen (Coulmas 1981) oder Gemeinplätze (Gülich 1978)? Zu den - meist übersehenen - "Großformen" vorfabrizierter Sprache gehören femer formelhafte Texte wie Begrüßungsansprachen, Danksagungen, Vorworte (Gülich 1984), Grußworte (Antos 1986), Gottesdienste, Rituale (Werlen 1984,1987, Lüger 1988) oder Formulare. - Und: Warum kommunizieren wir nicht noch häufiger in (einer Kombination von) vorformulierten Diskurs-/Textbausteinen? Die Vorteile von Formeln und Formularen sind offenkundig. Für institutionelle Kontexte (Verwaltung, Politik) sind sie sogar charakteristisch. Daß das keine absurde Frage ist, zeigt die Forschung zu oralen Kulturen (Ong 1987, Goody 1981; zur Formelhaftigkeit, insbesondere zur "homerischen Frage", Havelock 1963), in denen "formulaic language" (Tannen 1982) typisch ist. Aufgabe der Textproduktionsforschung ist es daher, die medialen, kognitiven, identitätstangierenden und sonstigen Gründe für die soziokulturell verschiedene Verteilung von formelhaftem und unikalem Sprachgebrauch (Antos 1982:119, Sandig 1986) zu beschreiben. Formelhafte Sprache ist als Spezialfall "kreativer", problemlösender Textproduktion, nämlich als Rückgriff auf schon gefundene und sozial eingespielte Lösungen, zu erklären (Gülich 1984). Ein sich daran anschließendes Forschungsgebiet ist die Analyse der Entstehung fester bis formelhafter Formulierungen/Texte (Kallmeyer/Keim 1986, Antos 1987). Textproduktion als Problemlösen: Man ist sich weitgehend einig, daß Schreiben als Problemlösen zu modellieren ist (Hayes/Flower 1980a, 1980b, Hower/Hayes 1980, Beaugrande/Dressler 1981, Ludwig 1983a, Molitor i.d.Bd.).Das gilt insgesamt fürs Formulieren (Antos 1982). Dieser theoretische Rahmen ist so integrativ wie spezifisch, daß er erlaubt, Textproduktion als Informationsverarbeitung oder als kommunikativ relevantes Handeln (als "Poiesis" vgl. Antos 1982:100ff) zu beschreiben - je

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nach dem Ziel der Modellierung. Darüber hinaus gibt es zwei weitere Erklärungsmöglichkeiten: - Die von Saussure und Chomsky geprägte Linguistik kann das Faktum von Planung und Revision und damit den Leistungsaspekt des Formulierens (Antos 1982) aus der Perspektive der 'Langue/Parole'- bzw. der 'Kompetenz/Performanz'-Perspektive nicht erklären. Demgegenüber ist das Problemlöseparadigma (etwa in der Version von Dömer 1976) u.a. in der Lage, die kreative oder epistemische Funktion (Scardamalia/Bereiter 1985, Molitor i.d.Bd.) des Formulierens zu modellieren, insbesondere die von Kleist beschriebene "allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden". Eine daten-gestützte Möglichkeit der Ideengenerierung ist dabei das Studium von Umformulierungsprozessen, etwa bei gemeinsamer Textherstellung (Antos 1982, 1984) wie sie auch im WIBAS-Ansatz favorisiert wird ("Ideengenerierung als wiederholte, zyklisch erfolgende Revision von Zwischenprodukten" (1988:5, Streitz/Hannemann 1988.). - Angesichts der vielen Einflußfaktoren auf konkrete Textproduktionsprozesse, stellt sich vor allem für den Schreiber das Problem, die Anforderungen einer mehrschichtigen Informationsverarbeitung (Ludwig 1983a) so zu koordinieren, daß ein homogenes Produkt daraus entsteht (oder ein "guter Stil" wie Anderson sagt). Die Annahme eines solchen "Koordinationsproblems" (Anderson 1988:363) und seine unterschiedlich guten Lösungen (etwa "stimmiger Stil") sind ein Ansatz, der erklärt, warum einerseits die Linearisierung nicht nur häufig fehlerhaft (Fromkin 1973, 1980), sondern auch schwierig ist (Beaugrande 1982:IV); femer, warum Sprecher/Schreiberinnen trotz "linguistischer Kompetenz" situative oder typische Ausdrucksdefizite, vor allem Schreibschwächen, haben können: Sie sind nicht immer oder nur ungenügend in der Lage, die verschiedenen kommunikativ relevanten Parameter zu koordinieren. Holistische Phänomene: In unserem alltagssprachlichen Handeln können wir zumeist ohne größere Schwierigkeiten beurteilen, ob ein Gespräch langweilig oder interessant geführt wird, ob ansprechend geredet, spannend erzählt, ob überzeugend argumentiert oder ob kurzweilig geplaudert wird. Diese aus der Rezipientenperspektive gefällten Urteile korrespondieren auf der Produktionsseite mit Fragen, die in der bisherigen Linguistik noch kaum gestellt werden: Wie führe ich zusammen mit meinen Partnern ein "gutes" Gespräch? Was ist ein "guter", insbesondere ein "gut gestalteter" Text? Welche sprachlich-kompositorischen Mittel bewirken, daß Formulierungen, Gesprächsbeiträge oder Texte in einer bestimmten

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Hinsicht überhaupt als "besser" oder "schlechter" beurteilt werden können? Wenn man die Verständlichkcitsforschung (Groeben 1982, Groeben/ Christmann i.d.Bd.) unter der Perspektive: "Wie einen verständlichen Text gestalten?" (Ballstaedt/Mandl/Schnotz/Tergan 1981) betrachtet, so ist dies ein Beitrag zur Erklärung holistischer Diskurs-/Textphänomene. In Anlehnung an die Gestaltpsychologie könnte man vielleicht eine "Gestaltlinguistik" postulieren, die sich mit den Bedingungen für die Gestaltung eines "guten" Textes beschäftigt. In diese Richtung zielt ein Ansatz von Klein/Stutterheim (1987): Sie zeigen, daß (in Erzählungen) die Äußerungsfolge, aber auch der Aufbau der einzelnen Äußerung einer Reihe von Beschränkungen unterliegt. Sie erklären dies anhand wichtiger Phänomene (Vordergrund/Hintergrund, Topik-Fokus-Struktur, anaphorische Beziehungen, Temporalität, Modalität usw.) damit, daß ein Text ein "wohlgeordneter" Text ist/wird, wenn er als Antwort auf eine Quaestio aufgefaßt werden kann. Themaprogression P a n e s 1974), Kohärenz, stilistische Stimmigkeit, das Verhältnis von illokutiver Dominanz/Subsidiarität (Rosengren 1987) lassen sich m.E. ebenso als holistische Diskurs-/Textphänomene verstehen wie Realisierung der Grice'schen Maximen (Relevanz, Klarheit). Ja, es stellt sich sogar die Frage, ob nicht auch scheinbar lokale Phänomene "gestaltiinguistisch" dann erfaßbar sind (etwa das "Prägen eines Wortes/ Begriffs", zumeist mit Angabe des Urhebers), wenn sie als "gute Lösung" (= Fokus) eines Benennungsproblems (= Topik) verstanden werden können. Rehabilitierung der sprachlichen "Oberfläche": In der sprachanalytischen Philosophie (Wittgenstein) wie in der Linguistik (Chomsky) galt bis vor kurzem die "sprachliche Oberfläche" - salopp gesagt - als zu "demaskierende Kostümierung von (Tiefen-)Strukturen". Inzwischen scheint sich das Bild zu ändern: Die Rolle von Formulierungen wird nicht nur in der Textverarbeitung neu bewertet (Rickheit/Strohner i.d.Bd.). Neben den grammatischen, semantischen und illokutiven Strukturen erkennt man Zusehens die Bedeutung folgender diskursiver bzw. textueller Implikationen: Stil (Sandig 1986), Emotion (Fiehler 1986), Imagearbeit (Holly 1979), Identität (Kallmeyer/Keim 1986), Ästhetik (Techtmeier 1987, Fix 1987), institutioneller Kontext (Redder 1984, Ehlich/Rehbein 1986), Strategie (Somig 1986), kompositionelle Aspekte (Brinker 1985) und Akzeptanz (Stolt 1988). Die tentative Berücksichtigung und Integration all dieser Faktoren produziert jene Koordinationsprobleme, die den konkreten

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Herstellungsprozeß oft recht mühsam machen (Krings 1986b, Königs 1988, Keseling 1988). Andererseits: Man kann beim Übersetzen, beim Schreiben usw. eben nicht immer nur "ins Unreine formulieren". Soziogenese kommunikativer Formen: Gegenstand einer produktionsorientierten Sprachwissenschaft sind nicht nur die Aktualgenese, sondern auch die Bedingungen der soziokulturellen Genese sprachlicher Formen (vgl. Ehlich i.d.Bd.) oder sprachlicher Handlungsmuster (Ehlich/ Rehbein 1986). So läßt sich beispielsweise die Entwicklung des Schreibens als eine gesellschaftliche Problemlösung beschreiben (Ehlich 1983). Femer ist aus dem Problemlöse-Paradigma die Notwendigkeit einer "DeProblematisierung durch Standardlösungen" und damit die Ausbildung von kommunikativen Mustern (Ehlich/Rehbein 1986: lOff.) abzuleiten. Da Muster aber nur situationsinspezifische Standardlösungen sein können, folgt daraus das Faktum einer graduell unterschiedlichen Festigkeit (Kallmeyer 1986, Gülich 1986, Ehlich 1986). Die Entstehung und Veränderung der Lexik (Begriffsgeschichte) unter bestimmten medialen (Giesecke 1978), religiösen oder sozialen Faktoren ist hier ebenso einzuordnen wie die gegenwärtig diskutierten Prozesse der "grammaticalization" (Givön 1979a, 1979b). In all den genannten Fällen geht es darum, die Genese sprachlicher Formen und Handlungsweisen als sozial akzeptierte (womöglich inzwischen verselbständigte) Lösung von kommunikativen Problemen zu erklären. Kommunikative Ontogenese und berufliche Sprachpraxis: Die individuelle Aneignung kommunikativer Verkehrsformen ist mit dem primären Spracherwerb nicht abgeschlossen, sondern setzt - etwa beim Schreiben oder beim reflektierten Reden - erst damit richtig ein (Martlew 1983, Augst/Faigel 1986, Feilke/Augst i.d.Bd.). Die Vernachlässigung dieser Erkenntnis in Schule (Äugst 1986, Antos 1988a, Feilke 1988) und Beruf hat wesentlich die Schreibforschung stimuliert. Im übrigen hat aber die neuere Linguistik den kommunikativen Bedürfnissen von Laien bisher wenig Beachtung geschenkt, obwohl es eine blühende, wenngleich zweifelhafte "Laien-Linguistik" (Antos in Vorb.) in Form der "praktischen Rhetorik" (Bausch/Grosse 1985, Kallmeyer 1985, Blumenthal 1985, Hundsnurscher/Franke 1985) sowie in Form von Stilfibeln, Schreibhilfen usw. gibt. Aufgabe einer angewandten produktions-orientierten Sprachwissenschaft ist es, die legitimen kommunikativen Qualifikationsbedürfnisse von Laien zu erforschen (Antos 1988b, 1989) und auf der Basis von Grundlagenforschung verständliche und anwendbare Problemlösestrategien für "gutes" Reden und Schreiben zu erarbeiten.

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2. Ein Überblick Daß bei uns Forschungen zur "Textproduktion" vergleichsweise unbekannt geblieben sind, liegt neben einer noch wenig entwickelten Programmatik vor allem daran, daß es kaum einen informierenden Überblick über sie gibt. Symptomatisch dafür ist, daß die Schreibforschung unter "Kognitionswissenschaft", die Versprecher- und Pausenforschung unter "Psycholinguistik", die Erzählforschung z.T. unter "Diskursanalyse", die Rhetorik, Stilistik und Formulierungstheorien unter "pragmatischer Linguistik" usw. firmieren. Infolgedessen kann auch die Vielfalt der Ansätze bisher nur schwer als Einheit verstanden werden. Der fehlende Überblick behindert auch eine erste Einordnung und Relationierung der Ansätze. Dies betrifft die Gegenstände, Ziele und Methoden ebenso wie Theorien und die bisher gewonnenen Ergebnisse. Daher soll im folgenden Teil eine erste Bestandsaufnahme über Ansätze zur Textproduktion mit folgender Zielsetzung versucht werden: 1. Die vielfältigen Strömungen und Ansätze sollen möglichst vollständig genannt werden. Angesichts des wenig fortgeschrittenen Standes der Forschung ist es häufig informativer, nicht nur pauschal die an der Textproduktion interessierten Disziplinen zu nennen, sondern auch den Ansatz und die Protagonisten hinzuzufügen. Innerhalb der (soweit möglich) systematisch ausgerichteten Rubriken werden die Ansätze historisch geordnet dargestellt. 2. Aus Raumgründen konzentriere ich mich auf solche Ansätze, die zur Zeit in der deutschsprachigen Diskussion eine Rolle spielen. 3. Um Wiederholungen zu vermeiden, bleiben die in den Beiträgen des Sammelbandes ausführlich diskutierten Ansätze weitgehend unberücksichtigt, insbesondere die Darstellung der amerikanischen Schreibforschung. 4. Schließlich hat der Überblick die Aufgabe, jene Ansätze besonders hervorzuheben, die nicht in den Sammelband aufgenommen werden konnten. Die aus den Punkten 2.-4. resultierenden Darstellungsselektionen stellen eine notwendige Verzerrung dar, die aber durch den Kontext des Buches teilweise wieder ausgeglichen wird.

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Bei der Auswahl der Ansätze habe ich mich u.a. an Bezeichnungen orientiert, die auf einen produktions-orientierten Ansatz schließen lassen. "Sprachproduktion, speech production, sentence production, language production, text production, composition, production strategies, discourse production, Textherstellung, Formulieren, Reformulieren, Textkonstitution, Textorganistion, Textplanung, genese du textes, produzierendes bzw. reproduzierendes Sprechen, rhetorische bzw. ästhetische Kommunikation, Schreiben, Schreibenlemen, Schreibprozesse, Produktion schriftlicher Texte, Autorensystem, Übersetzungsprozeß" usw. Die endgültige Auswahl hat sich an drei gleichberechtigten Kriterien orientiert: 1. Berücksichtigung von Produktionsbedingungen, 2. von Produktionsprozessen und/oder 3. Analyse von Diskurs-ZTextprodukten aus der Perspektive ihrer Genese. Daß angesichts der noch bestehenden Konstitutionsphase der produktions-orientierten Sprachwissenschaft eine klare Zuordnung zu Disziplinen oder Forschungsaspekten nicht immer zwingend ist, muß eingeräumt werden.

PSYCHOLINGUISTISCHE UND SPRACHPSYCHOLOGISCHE ANSÄTZE 2.1 Sowjetische Psycholinguistik: Wygotski und Leont'ev Wygotski (1974/34) hat im letzten, mit "Gedanke und Wort" betitelten Kapitel seines Buches über "Denken und Sprechen" einen weit vorgreifenden Anstoß zu einer produktions-orientierten Sprachwissenschaft gegeben: Er stellt den Unterschied zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit (vgl. 3.2.3) als zwei Formen des entwicklungs- und funktional bedingten Ausformulierens dar. Sein Konzept der "inneren Sprache" - aus der egozentrischen Sprache entstanden - kann als Konzeptualisierung und somit als erste Phase der Produktion aufgefaßt werden. Strukturell steht die mündliche Sprache zwischen der expliziten und situationsentlasteten geschriebenen Sprache und der verkürzten, prädikativen 'inneren Sprache*. Damit erscheint bei Wygotski die Konzeptualisierung zumindest ontogenetisch - als wesentlich sprachbedingt. In dieser Tradition stehen auch die Arbeiten von A. A. Leont'ev (1971, 1974) zur "Erzeugung sprachlicher Äußerungen" (Leont'ev 1975). Für unsere Thematik einschlägig ist vor allem die Darstellung über "Pläne,

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ihre Struktur und Realisierung (1975:152-257). Theoretisch bedeutsam ist auch hier die präzisierte Konzeption der kognitiven Repräsentation ("innere Sprache", "inneres Sprechen") sowie das Problem der "Automatisierung" in der Sprachproduktion. Fragestellungen des mutter- und vor allem des fremdsprachlichen Unterrichts bilden den praktischen Hintergrund dieses Ansatzes.

2.2 Psycholinguistische Ansätze der "speech production" Die Erforschung der Sprachproduktion in den 60er Jahren ist (trotz Chomsky) phonetisch bis neurolinguistisch geprägt (Laver 1975). Bevorzugte Untersuchungsgegenstände sind Verzögerungsphänomene wie Pausen und Wiederholungen (Goldman-Eisler 1968) sowie Versprecher (Fromkin 1973, 1980). Die Ziele liegen in der Enträtselung der Sprechplanung (Goldman-Eisler 1968) und allgemein: in der Modellierung der Sprechproduktion (Foss/Hakes 1978, Wiese 1983). Zentral für die Analyse der Sprechplanung im Sinne von Goldmann-Eisler ist der Zusammenhang zwischen (der Schwere) der Formulierungsaufgaben und dem unterschiedlichen Auftreten von Pausen und Wiederholungen (Wiese 1983). Zur weiteren Entwicklung vgl. Dechert/Raupach (1980) und Appel/Dechert/Raupach (1980).

Richard Wiese (1983) R. Wiese hat die erste deutsche Monographie zu Fragen der mündlichen Sprachproduktion vorgelegt. Neben der skizzierten Tradition ist er theoretisch von der Kognitionswissenschaft und damit von Fragen der Sprachverarbeitung beeinflußt. Zum Design: 16 Deutsche und 16 Anglo-Amerikaner sollten jeweils in ihrer Muttersprache und in der Fremdsprache eine einfache Bildergeschichte verbalisieren. Die auf Tonband aufgenommenen Geschichten wurden transkribiert und unter zwei Aspekten ausgewertet: 1. Temporale Variablen (z.B. Pausenlänge, Artikulationsgeschwindigkeit, Phrasenlänge), 2. Verzögerungsphänomenen (Wiederholungen, Korrekturen, Versprecher, Abbrüche, Gefüllte Pausen). Zu wichtigen Ergebnissen vgl. Wiese (i.d.Bd.). Darüber hinaus ist dreierlei erwähnenswert: 1. Wiese diskutiert sehr sorgfältig die verschiedenen Produktionsmodeile (1983:23ff.). 2. Dabei hebt er Modularität, die Interaktion von sprachlichem und nichtsprachlichem Wissen, Kreativität, Automatisierung und Realzeitprozesse hervor. 3. In jeder Phase der Produktion - so ein wichtiges Ergebnis - ist der Zugriff auf alle Komponenten

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möglich, d.h. es besteht keine Dominanzrelation zwischen Komponenten ("heterarchische Kontrollstruktur", Wiese 1983:193ff.). Neben einem generativ-grammatisch orientierten Beitrag von Leuninger (1987) hat Berg (1988) die deutsche Diskussion über Versprecher weitergeführt (vgl. Wiese i.d.Bd.). Anhand eines großen Corpus von Versprechern versucht er, die Existenz paralleler Verarbeitung im Kontext eines Aktivationsflußmodells nachzuweisen.

KAPPA: Second Language Production Einen besonderen Glücksfall für die Erforschung der Textproduktion in der BRD stellt die "Kasseler Psycho- und Pragmalinguistische Arbeitsgruppe" um Hans D. Dechert, Dorothea Möhle und Manfred Raupach dar: Anglisten und Romanisten haben sich hier zusammengetan, um eine langfristig angelegte, empirisch wie theoretisch orientierte Erforschung von vor allem fremdsprachlicher (und kontrastiv dazu: muttersprachlicher) Sprech- und Sprachproduktion zu betreiben. Startpunkt der international beachteten KAPPA-Aktivitäten war u.a. der 1980 in Kassel abgehaltene Workshop "Psycholinguistic Models on Production" (Dechert/Raupach 1987 (!)), auf dem das Thema bereits sehr breit diskutiert wurde (u.a. "Second Language Speech Production", "Cognition and Production", "Narrative Understanding and Production" und "Verbal Interaction"). Eine wesenüiche Grundlage für den bisherigen Erfolg der KAPPAGruppe ist - wie für sprachlich-empirische Forschung überhaupt - die systematische Anlage eines inzwischen beachtlichen Sprachkorpus mit "quasi-natürlichen" Daten (vgl. Dechert 1984: 231-291: "Extracts from the Kassel Corpus"). Die theoretischen Schwerpunkte sind in sechs Hypothesen zur "Second Language Production" von Dechert (1984) zusammengefaßt worden, auf die in Möhle/Raupach (i.d.Bd.) näher eingegangen wird.

"Speaking: From Intention to Articulation": Willem Levelt Den gegenwärtig erreichten theoretischen wie empirischen Stand der Sprechproduktionsforschung spiegelt jetzt die umfangreiche Monographie von Levelt (1989) wider. Traditionell ist noch der Aufriß der "Blaupausen" des Sprechers: Konzeptualisierung, Formulierung (grammatische und phonologische Enkodierung), Artikulation und Monitoring. Bemerkenswert sind darüber hinaus die "Flanken" des Modells: Im 2. Kapitel: "Der Sprecher als Gesprächspartner" wird dem dialogisch-diskursiven Primat der Sprech-Modellierung insofem Rechnung getragen, als hier

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auch kommunikationstheoretische Aspekte (Kooperation, Tum-Taking, Sprechakte, Höflichkeit usw.) gestreift werden. Im letzten Kapitel wird das "Self-Monitoring" zusammen mit den aus der Konversationsanalyse stammenden Untersuchungen über Repair-Phänomene behandelt.

2.3 Sprachpsychologische Ansätze Sprechen und Situation: Theo Herrmann Ein weiteres Zentrum, das sich in der Bundesrepublik schon seit geraumer Zeit mit Fragen der Sprach- und Textproduktion befaßt, gruppiert sich um den Mannheimer Sprachpsychologen Herrmann. In einer ganzen Reihe systematisch aufeinander bezogener Arbeiten (Herrmann 1982, 1985, Laucht/Herrmann 1978, Winterhoff-Spurk 1986) wird versucht, Sprachproduktion am Sprechakt des Auffordems in Abhängigkeit situativer Determinanten zu untersuchen. Zu dem dabei verwendeten Sprachproduktionsmodell, vgl. Herrmann/Hoppe-Graff (i.d.Bd.). Charakteristisch für die von Herrmann favorisierte Theorie der Sprachproduktion ist es u.a., daß der Unterschied von Gesagtem und Gemeintem berücksichtigt wird. "Meint der Sprecher etwas, so sagt er etwas, was Teil des Gemeinten ist: Er verbalisiert pars pro toto" (Herrmann 1982:40). Durch die Annahme von Transformationen zwischen propositionaler Basis und dem semantischen Input einer Äußerung werden nach dem Pars-pro-toto-Prinzip situationsspezifische Formulierungen erklärbar. In Herrmann (1985) wird dieses Modell in ein übergreifendes "Hörer/Sprecher-System" eingebettet. Anders als bei van Dijk (1980) ist hier die Sprachproduktion weder Anhängsel der Sprachrezeption, noch wird sie isoliert von ihr behandelt. Dies findet ihren Ausdruck in der These von "dem suppletorischen Charakter von Sprachrezeption und Sprachproduktion" (1985:191ff.).

Sprachreproduktion Der ausführliche Beitrag von Rickheit/Strohner (i.d.Bd.) über Sprachreproduktion markiert wissenschaftshistorisch wie systematisch den Übergang zwischen der Sprachrezeptions- und der Sprachproduktionsforschung.

Ironie: Norbert Groeben und die Heidelberger Gruppe Groeben/Scheele (1984) und Groeben/Seemann/Drinkmann (1985) haben in ihrer zwei Bände umfassenden Studie über Ironie gleich in dreifacher

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Weise Grenzen überschritten: Zum einen handelt es sich bei der Wahl des Themas um ein kommunikatives Phänomen, das über das Wörtliche hinausgeht und zu dessen Verständnis "kognitive Konstruktivität" nötig ist. Zum zweiten haben die Autoren disziplinare Grenzen mit Gewinn mißachtet: So werden pragmalinguistische Beschreibungen ironischer Sprechakte zum Ausgangspunkt einer psycholinguistischen Erklärung gemacht und diese um eine empirisch-experimentelle Untersuchung zu Bedingungen und Wirkungen ironischer Sprechakte ergänzt. Schließlich umfaßt dieser Ansatz - keineswegs selbstverständlich - die Produktion wie die Rezeption von Ironie. Diese Ironie-Studie ist die einzige mir bekannte Arbeit, die sich mit den Bedingungen der Produktion einer kommunikativen Modalität (wie Spaß, Emst, usw.) beschäftigt.

2.4 Sentence Production Die historisch zweite Station der (amerikanischen) Psycholinguistik bilden die Beiträge zur "Sentence-Production"-Forschung (Fodor/Bever/ Garrett 1974, Rosenberg 1977, Butterworth 1980). Charakterisieren lassen sich diese breit gefächerten und keineswegs einheitlich ausgerichteten Arbeiten dennoch als Auseinandersetzung mit Chomsky. "Psycholinguistik als Spiegelbild der generativen Grammatik" hat Engelkamp (1976:14ff.) daher diese erste Phase zusammengefaßt (Überblicke bei: Engelkamp 1974:146ff., Grimm/Engelkamp 1981:131ff.). Eine immer wieder zu Recht zitierte Arbeit (etwa Möhle/Raupach i.d.Bd.) ist die von Kempen (1977). Darin zeigt er, daß keine Einbahnstraße zwischen Konzeptualisierung und Formulierung besteht, sondern daß gewählte Formulierungen ebenfalls auf die weitere Konzeptualisierung einwirken können. Zu weiteren Aspekten und neueren Ansätzen der 'SentenceProduction'-Forschung, vgl. auch Wiese (1983, i.d.Bd.) und Rickheit/ Strohner (i.d.Bd.).

2.5 Semantische Ansätze zur Diskursproduktion: Wallace Chafe Chafe hat in einer Reihe von Arbeiten einen sehr eigenständigen, zwischen Kognitionspsychologie und Linguistik angesiedelten Ansatz entwickelt (1977, 1979, 1980). Auf der Grundlage des "Bimenfilms" (vgl. Möhle/Raupach i.d.Bd.) untersucht er das Erzählen unter Aspekten einer

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semantisch orientierten Diskursproduktion. Im Zentrum seines Interesses stehen neben Fragen der Produktionszeit (Chafe 1982) vor allem Probleme der Konzeptualisierung. Einen besonderen Akzent legt er auf die Rolle der Kreativität: Danach hat der Textproduzent bei der Konzeptualisierung wie der Formulierung eine Reihe von Entscheidungsmöglichkeiten, so daß von der kognitiven Repräsentation angefangen bis zur Artikulation eine Vielfalt von Alternativen bei der Planung und Realisierung bestehen (vgl. Wiese 1983:41ff.).

Herbert Clark/Eve Clark Clark und Clark (1977) sehen innerhalb der Diskursplanung drei Aspekte der semantisch orientierten Satzplanung vor: Wahl des propositionalen Gehaltes, Wahl der Illokution und Festlegung der thematischen Struktur.

L M. Schlesinger Schlesingers (1977) Ansatz zeichnet sich dadurch aus, daß hier - wohl zum ersten Mal - die Produktion von Äußerungen ("from Intention to utterance") und ihre Rezeption ("from utterance to intention") - in dieser Reihenfolge! - behandelt werden. Große Resonanz gefunden hat seine Ausarbeitung des Intentions-Konzepts ("I-Marker"), der er vor allem in der Planungs-Komponente eine Schlüsselrolle zuweist.

2.6 Textverstehen und Textproduktion Teun van Dijk: Super- und Makrostrukturen als Planungshilfen Die Frage, wie global angelegte Diskurse oder Texte nicht nur verarbeitet, sondern - zumindest was die Grobgliederung betrifft - geplant werden, ist durch die Arbeiten zu einer "Story Grammar" (Rumelhart 1975) und durch van Dijks Konzeption von "Superstrukturen" nachhaltig vorangetrieben worden. In van Dijk (1980:129) wird die Superstruktur auch als "Produktionsschema" betrachtet. Superstrukturen sind globale Strukturen, die den Typ eines Textes kennzeichnen (Erzähl- oder Argumentationsstruktur). Anders als die Makrostruktur, die sich grob gesagt auf den Textinhalt bezieht, geben Superstrukturen eine Art "Textform" wieder (1980:128). Mit Super- und Makrostrukturen werden kognitive Pläne gebildet, die über Strategien spezifiziert und konkretisiert werden. Wenngleich van Dijk Textproduktion eher als "umgekehrte Rezeption" beschreibt (charakteristisch der Titel: "Reproduktion, Rekonstruktion und

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Produktion von Texten", 1980:198), ist diese Perspektive dennoch geeignet, das bisher kumulierte Wissen aus dem Bereich der rezeptiven Textverarbeitung systematisch für Fragen der Textproduktion auszuwerten.

Teun van Dijk und Walter Kintsch: "Production Strategies" In Dijk/Kintsch (1983) wird der Schwerpunkt von den Problemen der Repräsentation weg auf Fragen der dynamischen Verarbeitung gelegt und dies terminologisch mit dem Strategiebegriff betont. Gegenüber algorithmischen, regel-geleiteten Prozessen (etwa vom Typ der generativen Grammatik) garantieren Strategien keine eindeutige Repräsentation. Vielmehr repräsentieren sie unser prozedurales Wissen über Diskurse und sind daher vom Sprachbenutzer, von seinem Wissen, seinen Interessen etc. abhängig. Gegenüber der Dominanz von 'strategies of discourse comprehension' widmen die Autoren in einem eigenen Kapitel den 'production strategies' ihre Aufmerksamkeit. Sie behandeln u.a. semantische Produktionsstrategien (Makro- und Mikrostrukturen), Strategien der lokalen Kohärenz und propositionale Produktionsstrategien. An einem Beispiel diskutieren sie femer soziokulturelle, kommunikative und pragmatische Strategien und am Rande stilistische "Formulation Strategies". Abschließend befassen sie sich mit Experimenten zur 'Ideengenerierung'. Damit haben van Dijk und Kintsch - wie sie selbst feststellen - einen fruchtbaren theoretischen Rahmen für die "discourse production" geschaffen (1983:301).

2.7 Textproduktion und Lexikon Ein zentraler Parameter der Ausdrucksfähigkeit ist das vom Sprecher bzw. von der Schreiberin zu aktivierende Lexikon. Zur Berücksichtigung dieses Aspekts unter der Perspektive einer "gedächtnisorientierten Linguistik", vgl. den im Grenzgebiet zwischen Psycho- und Textlinguistik angesiedelten Beitrag von Figge (i.d.Bd.).

2.8 Aphasie und Textproduktion Daß die Erforschung der Aphasie ein wichtiges Fenster zur Erforschung der Sprachproduktion ist (Butterworth 1980), zeigt das steigende Interesse an diesem Thema selbst über die engeren Fachgrenzen hinaus (z.B. Dressler/Wodak 1984, Klein 1988, Heeschen/Kolk 1988). Auch für ande-

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re Ansätze geradezu exemplarisch ist etwa der Vergleich einer mündlichen mit einer schriftlichen Textproduktion von Peuser (1983). Zu dieser Thematik mehr bei Anneliese Kotten (i.d.Bd.).

SCHREIBFORSCHUNG 2.9 Rhetorik des Schreibens: Gert Ueding, Dieter Breuer, Umberto Eco Mit Uedings "Rhetorik des Schreibens " (1985) liegt eine an der klassischen Rhetorik orientierte produkt-orientierte Schreiblehre (im besten Sinn des Wortes) vor. - Aus der gleichen Tradition stammt der Versuch von Breuer (1974), Rhetorik im Rahmen einer kybernetisch orientierten "pragmatischen Texttheorie" zu rekonstruieren. - Eine ganz und gar praxisorientierte Arbeit, die aber Modellfall für eine fachspezifische Produktionslehre sein könnte, ist Ecos (1988) erfolgreiches Buch: "Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt". Der Wert eines solchen kumulierten Praxiswissens ist für die Theoriebildung der Textproduktion nicht hoch genug einzuschätzen.

2.10 Kognitionsorientierte Schreibforschung Science of Composition: Robert-Alain de Beaugrande Beaugrande hat dem Programm einer "Text Production" (1984) international zum Druchbruch verholfen. Im deutschsprachigen Raum hat dieses Programm durch die Verbindung mit der Textlinguistik (Beaugrande/ Dressler 1981) zusätzlich an Einfluß gewonnen. Aus dem umfangreichen Ouevre (1980, 1982, 1984) soll hier nur folgendes hervorgehoben werden: Empirie: Beaugrande wendet sich gegen die in der Linguistik traditionell herrschende Praxis einer vorgängigen Datenreduktion. Demgegenüber plädiert er nachhaltig dafür, daß linguistische Daten grundsätzlich als DiskursA'extdaten verstanden werden müssen: "Text in discourse is the ultimate source of data" (Beaugrande i.d.Bd.). Damit wendet er sich gegen zwei weitverbreitete Tendenzen der Gegenstandskonstitution in der Linguistik: "independence of syntax from the rest of language" und "independence of language from sociological and cognitive contexts" (Beaugrande 1984:69).

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Hieraus begründet sich für ihn auch die Notwendigkeit einer Analyse der Textproduktion. Theorie: Auf der Grundlage des "prozeduralen Ansatzes" werden Eigenschaften und Phasen der Textproduktion zusammenhängend und umfassend dargestellt. Damit wird angesichts mancher Vorbehalte der Nachweis erbracht, daß eine theoretisch fundierte Modellierung der Textproduktion möglich ist (Beaugrande 1984:111 und Beaugrande/Dressler 1981). Linearität: Besondere Beachtung verdient das Kapitel über Linearität, in dem sieben Prinzipien unterschieden werden: CORE-AND-ADJUNCT, PAUSE, LOOK-BACK, LOOK-AHEAD, HEAVINESS (unterschiedliche Grade der Wichtigkeit, der Fokussierung, Länge, Kontrast, Neuheit) und DISAMGIBUATION, LISTING (Beaugrande 1984: 153ff.). Praxis: Research on text production fulfills its responsibility to society (1984:6). Gemeint ist: Solche Forschungen kommen über die Förderung des Schreibens unmittelbar dem individuellen wie gesellschaftlichen Wissenserwerb zugute. Beaugrande (1984) ist ein Beispiel für diese enge Verbindung von Forschung und (universitärer) Schreibausbildung (composition). In diesem Sinn ist "science of composition" eine Forderung nach einer notwendigen Verwissenschaftlichung traditioneller Schreiblemtechniken und zugleich Beispiel für eine angewandte Sprach- und Kognitionswissenschaft.

Schreiben als kognitiver Prozeß: Sylvie Molitor Einem größeren Publikum sind die wichtigsten amerikanischen Forschungen zur kognitionswissenschaftlichen Schreibforschung vor allem durch den übersichtlichen und prägnanten DIFF-Forschungsbericht "Kognitive Prozesse beim Schreiben" (1984) bekannt geworden. Dieser Publikation Hegt eine weniger bekannte - empirisch orientierte - Untersuchung von Molitor zugrunde. Für eine psychologische Arbeit eher ungewöhnlich (Fallstudien, also qualitative Forschung, vgl. Molitor 1987), sind in Molitor (1983) Selbstberichte von Autoren über Prozesse und Bedingungen der wissenschafthchen Textproduktion enthalten. Dabei geht es vor allem darum, die Bedingungen eines differenzierten Textproduktionsmodells zu spezifizieren, das in der Lage sein soll, personen- und aufgabenspezifisch verschiedene Schreibstrategien zu erklären (Molitor 1985). In Weiterführung von Bereiter (1980) liegt ein weiterer Schwerpunkt von Molitor auf der Erklärung der reflexiven Planung durch das Schreiben ("epistemisch-heuristische Funktion", vgl. auch Molitor i.d.Bd.).

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Freiburger Grupe um Gunther Eigler Dem Freiburger Erziehungswissenschaftler Eigler ist es zu danken, daß er in der von ihm mitherausgegebenen Zeitschrift "Unterrichtswissenschaft" seit 1985 dem Thema "Textproduktion" einen breiten Raum eingeräumt hat. In Eigler (1985) werden Entwicklungstendenzen angewandter kognitiver Wissenschaften dargestellt und die Komplementarität von Textverarbeitung und Textproduktion unterstrichen. In Eigler/Jechle/ Merziger/Winter (1987) wird in einer empirischen Arbeit dem Verhältnis von Wissen und Schreiben nachgegangen: Kernpunkte sind einmal die Frage nach dem Einfluß von (themenspezifischem) Wissen auf den Schreibprozeß und zum anderen, was mit dem Wissen im Schreibprozeß geschieht.

2.11 Muttersprachliche Schreibforschung Otto Ludwig Ludwig hat als erster die amerikanische Schreibforschung in der Linguistik und Pädagogik der Bundesrepublik bekannt gemacht (Ludwig 1983a, 1983b). Sein Eintreten für eine an den kognitiven Wissenschaften orientierte Erforschung des Schreibprozesses geht allerdings nicht soweit. Schreiben zukünftig nur noch unter der Perspektive der Textverarbeitung zu sehen. Dazu gehört auch seine intensive Aufarbeitung der Tradition des Aufsatzunterrichts (Ludwig 1988 und i.d.Bd.). Sein Verdienst in der Linguistik ist es, die Schreibforschung in die Diskussion um "Schrift und Schriftlichkeit" (Günther/Ludwig 1988) mit eingebracht zu haben.

Jürgen Baurmann Baurmanns Schwerpunkt liegt neben Problemen der Textüberarbeitung von Schülem (Baurmann/Ludwig 1984) in der empirischen Analyse von Schreibprozessen bei Kindern (Baurmann i.d.Bd.). Wie aufwendig dabei das methodische Design inzwischen geworden ist, soll hier exemplarisch erwähnt werden: Der gesamte Schreibvorgang wird mit zwei VideoKameras festgehalten (der Schreiber von vom und 'Blick über die Schulter' zur Dokumentation der Schreibhand). Anschließend werden alle Schreibaktivitäten fixiert und analysiert, um Messungen zur Schreibzeit, Ermittlung von Pausen und die Klassifizierung von Revisionen anzuschließen. Elizitiertes 'lautes Denken' und Gespräche mit dem Versuchsleiter während des Schreibens werden auf Band mitgeschnitten und transkribiert. Als Ergänzung: Kommentierung ausgewählter Video-Passagen durch den Schreiber, Beantwortung standardisierter Fragebogen, Unter-

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suchung über die Vertrautheit der produzierten Textsorte (vgl. Baurmann/ Gier/Meyer 1987):

Didaktische Konzepte In den letzten Jahren ist der Aufsatzunterricht wieder stärker ins Interesse der (Sprach-)Didaktiker gerückt (Ludwig i.d.Bd.). Damit einher geht auch die Entwicklung von Konzepten zu einer produktions-orientierten Textgestaltung. So haben sich im Hinblick auf die spezifischen Bedingungen des Schriftspracherwerbs in der Schweiz Sitta (1982) und Portmann (1982) mit den Aufsatzleistungen von Schülern auseinandergesetzt. Hervorzuheben sind die Entwicklung einer Situationsanalyse als zentraler Leitfaden für die schulische Aufsatzgestaltung und die Betonung einer "Ausdrucksschulung" gegenüber der kaum kontrollierbaren Spontaneität der Planung (Portmann 1982). - Probleme und Chancen des Erwerbs individueller Sprachprofile durch eigenschöpferische Schreibprozesse behandelt König (1983) und bringt damit (wieder) den Aspekt der Identitätsbildung beim Schreiben in die Diskussion.

2.12 Ontogenese des Schreibens Gerhard Äugst und die Siegener Gruppe Der Siegener Germanist Äugst und seine Gruppe haben in einer umfangreichen empirischen Studie den Erwerb schriftsprachlicher Fähigkeiten bei Schülern und Studenten untersucht (Augst/Faigel 1986). Kernpunkt ist ein Vergleich von argumentativen Schüler- und Studentenbriefen unter Aspekten der Lexik, der Syntax und vor allem der Textstruktur (zum Design Feilke/Augst i.d.Bd.). Besonders zu unterstreichen ist ein Modell, mit dessen Hilfe die Entwicklung der Fähigkeit zur Strukturierung (argumentativer) Texte möglich wird (Feilke 1988). Keineswegs selbstverständlich ist im übrigen die komplette Veröffentlichung eines Corpus (von Briefen, beginnend im 2. Schuljahr bis zu thematisch damit verwandten Studentenbriefe, Augst/Faigl 1986:193-264). - Diese ersten empirischen Ergebnisse rechtfertigen es, ein zeitlich langfristiges und thematisch umfangreicheres Erwerbsprojekt zu fordern, das gleichermaßen die Linguistik, die Entwicklungspsychologie und die Sprachdidaktik umfassen müßte. Dabei wäre im Hinblick auf die Erforschung der Textproduktion - neben dem Erwerbsaspekt - vor allem der im Design schon berücksichtigte Vergleich der Erforschung mündlicher und schriftiicher Textproduktion sowie zusätzlich der Erwerb von Unterschieden zwischen (etwa narrativen und argumentativen) Textsorten bedeutsam.

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Textgestalten im Schulalter: Forschungen in der DDR Die DDR-Pädagogen Friedrich/Friedrich (1987) haben in einer Längsschnittstudie das mündliche und schriftliche Textgestalten im Unterricht miteinander verglichen und besonders die schriftliche Textproduktion von 15 jüngeren Schülern kontinuierlich 3 Jahre lang und von 4 älteren Schülem 6 Jahre lang untersucht. Sie stellen dabei ab dem 5. Schuljahr einen deutlichen Zuwachs an Gestaltungsmerkmalen fest. Femer konstatieren sie einen Einfluß lehrerspezifischer Strategien der Wissensübermittlung auf Fähigkeiten der Textgestaltung (vor allem bei jüngeren Schulkindern) und von Aufgabentypen auf die Gestaltungsmerkmale von Texten (vor allem bei älteren Schülern). In der Potsdamer Grappe um Zech (1988) wurden (seit etwa 1978) in Longitudinalstudien das schriftliche Erlebniserzählen von Schülern der 5.-9. Klasse u.a. im Hinblick auf Erzählgegenstände und zeitliche Dauer untersucht. Dabei konnte eine relative Abnahme verlaufsdarstellender sowie eine absolute Zunahme interpretierender erzähltypischer Operationen ermittelt werden. Insgesamt ergab sich folgendes Stufenmodell: Geschehnisaneinanderreihung - Geschehnisakzentuierung - Erlebnisgestaltung. In einer ähnlich angelegten Fortsetzungsstudie konnte Seidel (1988) anhand von 160 schriftlichen Erlebniserzählungen von Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren feststellen, daß die im Unterricht favorisierte Erzählstruktur vom Labov/Waletzky-Typ (vgl. 3.1.3) im zunehmenden Jugendalter an Bedeutung verliert. Spezifische Erzählvarianten oder ganz andere Erzählstrukturen wurden von Jungen häufiger gebraucht als von Mädchen.

Türkische Schüler erzählen und schreiben: Ingelore Oomen-Welke Eine logitudinal angelegte vergleichende Studie über die mündliche und schriftliche Ausdrucksfähigkeit von türkischen Grundschülem läßt nach Oomen-Welke (1987) den Schluß zu, daß Migrantenkinder im Spracherwerbsprozeß bereits deutlich zwischen mündlichen und schriftlichen Texten unterscheiden können ("da macht der raus - Er riß den Baum aus" so der exemplifizierende Untertitel). Innerhalb des Untersuchungszeitraums von drei Jahren konnte eine Verbesserung der schriftsprachlichen Ausdrucksfähigkeit festgestellt werden, die mit der besonderen Aufmerksamkeit, die dem Lemziel 'Schriftsprachlichkeit' gewidmet wurde, in Zusammenhang gebracht wird.

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2.13 Schreibprozesse beim Übersetzen und in der Fremdsprache Hans P. Krings Mit dem Aufkommen introspektiver Verfahren (Thinking-aloud ProtokoUe) und dem Perspektivwechsel von Sprachprodukt zum Textherstellungsprozeß (Faerch^asper 1987) hat die Sprachlehr- und lemforschung neue Impulse erhalten: Damit wird es z.B. methodisch vertretbar, die Frage "Was in den Köpfen von Übersetzern vorgeht" (Krings 1986a) mit Aussicht auf Erfolg zu beantworten. Das gilt auch für freie, vorlagenungebundene Textproduktion in einer Fremdsprache. In einem solchen Kontext hat Krings (1986b) die Satzplanung näher untersucht und u.a. herausgefunden, daß syntagmatische Grobplanung und paradigmatische Feinplanung sowie das dort anzusiedelnde Zusammenspiel hierarchischer und kompetitiver Planungselemente in Form einer spiegelverkehrten Sieben zu strukturieren ist (vgl. auch Krings i.d.Bd.).

Frank Königs Königs (1988) hat in einer empirischen Studie: "Auf der Suche nach dem richtigen Wort" den Zusammenhang zwichen dem Übersetzen in die Fremdsprache und dem Schreiben in der Fremdsprache analysiert und damit einen Beitrag zum Vergleich aufgabenspezifisch unterschiedlicher Textproduktion geleistet (ausführlicher in Krings i.d.Bd.).

Wolfgang Lörscher Unter der gleichen Zielsetzung wie Krings (1986a) hat Lörscher (1989) eine "übersetzungsprozessuale, performanzanalytische" Untersuchung mit 52 mündlichen und 9 schriftlichen Übersetzungen durchgeführt. Ziel sind Erkenntnisse über Übersetzungsstrategien, die als Verfahrensweisen definiert werden, die "die Testpersonen benutzen, um von ihnen erkannte Übersetzungsprobleme zu lösen" (1989:55).

2.14 Textproduktion und Computer Wie der Beitrag von Annely Rothkegel (i.d.Bd.) zeigt, spielt die automatisierte Textgenerierung bzw. Computermodellierung der Textproduktion u.a. stimuliert durch Expertensysteme und/oder durch linguistische und rhetorische Fragestellungen - inzwischen eine wichtige Rolle in der Computerlinguistik und der KI-Forschung. Neben unterschiedlichen Arten von

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Wissensrepräsentaüonen sind hier vor allem Probleme der Systemarchitektur mit Strukturkomponenten und -prozessen zu nennen. In diesem Bereich, der voll in der Entwicklung begriffen ist, kann mit neuen Impulsen gerechnet werden. So gibt es z.B. Planungen im Projekt WIBAS ('Wissensbasierte Autoren- und Hypertextsysteme der "Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung" in Darmstadt), kognitive Prozesse der Autorentätigkeit zu modellieren. Abgebildet werden soll dabei "schwerpunktmäßig das Problemlöseverhalten bei der Ideengenerierung und strukturierung, der Planung, der Erstellung und der Revision von Dokumenten" (WIBAS 1988:5, Streitz/Hannemann 1988).

TEXTLINGUISTISCHE ANSATZE 2.15 Formulieren Gegenüber den rein kognitions-orientierten Ansätzen wird in den formulierungstheoretischen Ansätzen davon ausgegangen, daß die Diskursbzw. die Textproduktion primär eine Handlungsweise ist, die auch gemeinsam und daher sprachlich manifest durchgeführt werden kann. Textproduktion wird daher nicht auf die Analyse kognitiver Operationen oder Prozesse reduziert, sondern umgekehrt: Die Analyse von "textproduktivem Handeln" (Keseling 1986) ist ein Fenster für das Studium kognitiver Prozesse. Und noch ein Unterschied: In den meisten Ansätzen wird Formulieren als eine Folge lokaler Prozeduren, z.B. als Lösen von interaktiven, sprachlichen oder textorganisatorischen Problem beschrieben.

Planen von komplexen Handlungen: Jochen Rehbein Planen ist eine Handlung, die in vielen gesellschaftlichen und privaten Kontexten ausgeführt werden muß. In einer umfassenden handlungstheoretischen Analyse hat Rehbein (1977) an "komplexen Handlungen" verschiedene "Stadien des Handlungsprozesses" herausgearbeitet, die auch auf die Diskurs- und Textplanung übertragen werden können: Handlungskontext, Einschätzung, Motivation, Zielsetzung, Planung, Ausführung, Resultat, Nachgeschichte (1977:141ff.). Diese Differenzierung bewährt sich nicht nur bei dem normalerweise als Grundterm gebrauchten Intentionsbegriff (vgl. 3.1.2), sondern schafft auch die Vergleichsgrundlage zu Planungsprozessen bei nicht-sprachlichem Handeln.

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Formulieren als Problemlosen: Gerd Antos Antos hat 1982 eine Formulierungstheorie vorgelegt, die in dreifacher Hinsicht zu charakterisieren ist: Anders als die amerikanische Schreibforschung umfaßt sie sowohl mündliches wie auch schriftliches Formulieren; Formulieren wird als problemlösendes, sprachlich weitgehend manifestes Handeln betrachtet, d.h. es ist gleichermaßen handlungs- wie kognitionswissenschaftlich beschreibbar und schließlich wird das Formulieren als ein wiederholtes (zyklisches) Umformulieren von Zwischenlösungen (z.B. Vorfassungen) modelliert. Theoretischer Rahmen bildet Dömers Theorie des "dialektischen Problemlösens", in dem auch die nach Kleist - "allmähliche Verfertigung" der Texte beim Formulieren erklärbar wird: Nicht nur die Ausdifferenzierung und (Neu-)Strukturierung des Wissensbestandes (Molitor i.d.Bd.), sondern auch die Hierarchisierung von sozial vorgegebenen oder voluntativen Zielen sowie die Beseitigung von Widersprüchen, Inkonsistenzen etc. treiben die Formulierungsarbeit voran (Antos 1988a). Gegenüber den gegenwärtig präferierten introspektiven Methoden wird das gemeinsame Textherstellen favorisiert, weil hier der "Zwang" zu wechselseitigen Vorschlägen und Evaluierungen kommunikativ funktional ist (das auf Tonband aufgenommene und verschriftlichte Protokoll heißt nicht besonders glücklich "Textherstellungstext"). - Ein besonderer Schwerpunkt wird auf die Analyse "textorganisierender Ausdrücke" (1982:57ff.) gelegt. Beim "Textkonstitutionshandeln" (Gülich/Kotschi 1987:205ff.) tut der Sprecher/Schreiber zweierlei: Indem jemand formuliert, stellt er/sie einmal einen Beitrag/Text her; zum anderen stellt er/sie eine Sache in einer bestimmten selektiven Art und Weise dar, d.h. jemand macht sich in und mit dem Text ein bestimmtes Verständnis von einer "Sache". - In Antos (1984) wird anhand einer gemeinsamen Briefplanung gezeigt, wie diverse Formulierungsprobleme (Sachadäquanz, Textorganisation, Verständnisbildung, Wirkung, Beziehung, Stil) nacheinander gelöst werden.

Textproduktives Handeln: Marburger Gruppe um Gisbert Keseling Ein weiteres - wiederum germanistisches - Zentrum für Textproduktion hat sich in Marburg aus einem DFG-Projekt entwickelt (Keseling 1984, 1987). Untersucht wird anhand von schriftlichen Summaries und Wegauskünften, wie "textproduktives Handeln organisiert ist und in welchem Zusammenhang es mit Formen unmittelbar mündlichen Kommunikationshandeln steht" (Keseling/Wrobel/Rau 1987:349). Methodische Schwerpunkte: Die Analyse von Randnotizen und Stichworten, um die vorgängigen Aktivitäten des Formulierungsprozesses aufzuhellen und Analyse von Planungsprozessen anhand der Untersuchung des Pausenver-

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haltens. Wichtige Ergebnisse: Die Rolle des "Textmusterwissens" ijeim Formulieren spielt eine bislang unterschätzte Rolle in der Textproduktion, ebenso Diskontinuitäten (Pausen) im Schreibhandlungsprozeß. Femer wird darauf verwiesen, daß der Unterschied von Textplanung und -formulierung aufgrund externer (z.B. durch Notizen, Entwürfe) oder interner sprachlicher Repräsentationen verschwimmt.

2.16 Formulieren als interaktiver Prozeß Textkonstitutionshandlungen: Elisabeth Gülich und Thomas Kotschi Bei unkritischer Redeweise von "Textproduktion" und "Planung" gerät leicht aus dem Blick, daß viele Diskurse als gemeinsame Leistung der Interaktionspartner konstituiert werden. Schegloff (1981) hat das auf die Formel "discourse as an interactional achievement" gebracht. Bei der gemeinsamen Textkonstitution werden teilweise systematisch die Grenzen zwischen Produktion und Rezeption verwischt. Dies zeigt sich besonders gut an Reformulierungshandlungen (Gülich/Kotschi 1987) wie Paraphrasen, Korrekturen oder Redebewertungen: Mit ihnen können Interaktionspartner reparierend, aber auch antizipierend eine "bessere" Lösung von Formulierungsproblemen durchführen. Dabei führt die Interpretation/ Revision einer Formulierung zu der Produktion einer neuen, eben einer Reformulierung. Dies ist nur ein Typ von "Textkonstitutionshandlungen", die Gülich/Kotschi (1987) etwa gegenüber illokutiven Handlungen systematisch unterscheiden. Zu Textkonstitutionshandlungen zählen sie u.a. (1987:214): "Abschwächen, Aufmerksammachen, Beginnen, Betonen, Charakterisieren, Diagnostizieren, Differenzieren, Enden, Ergänzen, Erinnern, Etikettieren, Evaluieren, Exemplifizieren, Identifizieren, Interpretieren, Isolieren, Kennzeichnen, Klassifizieren, Kommentieren, Paraphrasieren. Präzisieren, Rekapitulieren, Relativieren, Spezifizieren, Verallgemeinem, Verdeuüichen, Vervollständigen, Wiederholen, Zusammenfassen" (vg. Gülich/Kotschi 1983).

Textherstellung und Interaktion: Elisabeth Gülich In Gülich/Kotschi (1987) ist der interaktive Formulierungsprozeß Gegenstand der Analyse, allerdings nur in soweit er sich textuell manifestiert. Gülich (1988b) dehnt nun den Gegenstand auf die interaktive Produktion eines geschriebenen Textes aus: In Weiterführung der Methode des gemeinsamen Formulierens (Antos 1982, 1984) wird der "Textherstellungstext" nicht nur als "Protokoll" der verbalisierten Planung und damit als

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"Fenster" für das Studium kognitiver Prozesse verstanden. Unter dem methodischen Primat, daß jedes Miteinandersprechen als Interaktion aufzufassen ist, muß die "Verbalisierung der Planung" primär ebenfalls als Interaktion gedeutet werden. Als Analysegrundlage reicht allerdings das Tonbandprotokoll nicht aus, sondern es muß um die Tondbandaufzeichnungen ergänzt werden. Das Studium von - wie man sie nennen könnte "Produktionsinteraktionen" hat den großen Vorteil, daß kognitive Prozesse aus interaktionalen und sprachlichen Prozessen sozusagen "ausgefiltert" und damit hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Konstituierung überprüfbar gemacht werden können. Und umgekehrt: Mit Hilfe von Produktionsinteraktionen ist die interaktive Dimension kognitiver Prozesse erfaßbar.

Interaktive Textorganisation: Wolfdietrich Härtung Zusammen mit einer Gruppe meist jüngerer DDR-Wissenschaftler hat Härtung (1983, 1985, 1987, 1990) einen eigenständigen Ansatz zu Fragen der Organisationsprinzipien von Texten entwickelt. Hauptuntersuchungsziel sind Prozesse der interaktiven Informationsbe- und -Verarbeitung und deren Spuren in Texten. Theoretisch wird in dem Ansatz versucht, Methoden der Ethnomethodologie und des Symbolischen Interaktionismus mit Anregungen zu verbinden, die aus der in den letzten Jahren resultierenden "kognitiven Orientierung" der Linguistik resultieren.

Erzählen: Uta Quasthoff Die latent produktions-orientierte Ausrichtung der Erzählforschung (vgl. 3.1.3, Quasthoff 1980a) tritt spätestens dort offen zu Tage, wo das gemeinsame Erzählen in Gesprächen (Quasthoff 1980b) als Sonderfall der konversationeilen Erzählung untersucht wird. Entsprechend muß man bei diesem Konzept "mit der mental fundierten Intentionalität des Handelns folgerichtig auch die kognitiven Prozesse bei der verbalen Interaktion in die Analyse einbegreifen" (1980b: 114). Wenngleich der Aspekt der kognitiven Planung in (1980b: 115) erst ansatzweise Berücksichtigung findet, rückt die Integration interaktiver und kognitiver Aspekte in Gülich/ Quasthoff (1986) in den Vordergrund, so daß zu erwarten ist, daß die "Story-telling"-Forschung in Zukunft verstärkt unter der Perspektive der Textproduktion betrieben wird.

Erzählen bei Kleinkindern: Katharina Meng Das Verwischen von Grenzen zwischen der Erzähler- und der Zuhörer-

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rolle, zwischen Produktion, Koproduktion und Rezeption, zwischen 'Interaktion und Kognition' ist besonders dort gut zu studieren, wo die Ontogenese dieser Rollen, Aktivitäten und Prozesse beginnt: bei Kleinkindern. Am Zentralinstitut für Sprachwissenschaft der "Akademie der Wissenschaften der DDR" geht Katharina Meng mit ihrer Forschungsgruppe u.a. der Frage nach, wie anhand des Erzählens und Zuhörens bei Dreijährigen die Ontogenese des Kommunikationswissens im Vorschulalter zu rekonstruieren ist. Zwei korrespondierende Ergebnisse belegen die Wichtigkeit des Ansatzes: So ist einerseits davon auszugehen, daß Dreijährige noch keine umfassendere Ereignisdarstellung planen können und daß die gerade beginnenden Zuhöraktivitäten der Kinder zwischen schweigendem Zuhören und konkurrierendem Erzählen schwanken (Meng 1986:135f.).

2.17 Soziopsychologische Theorie der Textplanung: Ruth Wodak Kognitionspsychologisch beeinflußte Ansätze zur Textproduktion stehen gegenwärtig in Gefahr, nicht nur die interaktiven, sondern auch die soziolinguistischen Faktoren zu übersehen. Dies in einer beeindruckenden Reihe von thematisch ganz unterschiedlichen Arbeiten empirisch wie theoretisch herausgearbeitet zu haben, ist das große Verdienst der Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak. Ob in einer Untersuchung von Angeklagten bei Gericht (Leodolter 1975a), bei schizophrenen Patienten (Leodolter 1975b), bei suizidgefährdeten Menschen (Wodak 1981), oder bei normalen wie gestörten Kindern (und ihren Müttern) (Wodak 1983) - überall scheint sich folgende These zu bestätigen: "Sozialpsychologische Faktoren beeinflussen die Textplanung in konstitutiver Form: dasselbe Thema, in derselben Sprechsituation, wird von Sprechern verschiedener Schicht, verschiedenen Geschlechts, von Gesunden oder Kranken, verschiedenen Alters, in verschiedenen Kulturen, auch abhängig von Persönlichkeitsfaktoren, systematisch unterschiedlich realisiert" (Wodak 1984:172). Dies glt auch für den schriftlichen Bereich wie sich an geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Aufsatzgestaltung (Wodak 1985) zeigt. In einem Modell der "Soziopsychologischen Textplanung" wird versucht, diese Faktoren entsprechend zu berücksichtigen (Wodak 1984). Linguistische Arbeiten zur Textproduktion werden in dem Maße gegen rein kognitions-orientierte an Profil gewinnen können, in dem sie systematisch kommunikative Parameter isolieren und deren Wirkung auf die unterschiedliche Textproduktion nachweisen können. Insofern kommt der momentan etwas unter Wert gehandelten Soziolinguistik eine wichtige Rolle zu.

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2.18 Sprechwissenschaft: Hellmut Geißner und Norbert Gutenberg Argumentierendes Sprechdenken im Fünfsatz (Geißner 1968), reproduzierendes Sprechdenken (Kurka 1973/1956), rhetorische Kommunikation oder (ästhetisch) gestaltendes Sprechen sind seit langem Gegenstand der traditionellen Sprecherziehung. Darauf aufbauend hat sich eine Sprechwissenschaft (Geißner 1981) etabliert, die über die bloße Lehre von (Sprech-)Fertigkeiten hinausgeht und die Spezifik des Sprechens als Grundlage jeder Kommunikationstheorie herausarbeitet. Trotz dieses nicht-reduktionistischen Ansatzes ist die praktische Sprecherziehung wie die theoretische Reflexion primär produktions-orientiert geblieben. Gerade unter dieser Perspektive ist eine engere Zusammenarbeit zwischen Sprech- und Sprachwissenschaft zu erhoffen; ein guter Ansatzpunkt dazu ist die in beiden Disziplinen noch nicht hinreichend reflektierte Dialektik zwischen Sprechen und Schreiben (Gutenberg i.d.Bd.).

2.19 Spieltheoretische Modelle Aus der logischen Tradition stammen spieltheoretische Modelle, die sich mit formalen bzw. rationalen Modellen der Texterzeugung als Entscheidungsprozeß befassen: Heringer (1974) diskutiert die Struktur verschiedener Kommunikationsspiele, nämlich Frage- und Behauptungsspiele. - In Kummer (1972) wird Argumentieren und in Kummer (1975) die Planung der Sprechtätigkeit anhand eines entscheidungstheoretisch orientierten Problemlösemodells diskutiert. - Pasierbsky (1976) entwirft ein Modell, in dem die Texterzeugung als ein optimierter Entscheidungsprozeß dargestellt wird. - Mit Godglück (1985) liegt bisher die wohl einzige deutschsprachige Monographie zu diesem Ansatz vor: Seine "Textspiele" sind grammatiktheoretische Rekonstruktionen der Entscheidungen von textherstellenden Sprechern. Das Repertoire der möglichen Züge in einem Textspiel wird durch ein Produktionssystem (z.B. kontextfreie Phrasenstrukturgrammatiken) festgelegt sowie durch "Situationsgraphen" und durch die Bewertungskomponente (probalistische Gewichtung von Ersetzungsregeln) ergänzt. Aber erst mit einer vierten Komponente, den Strategien, wird die Tätigkeit des Sprechens (Textherstellens) grammatiktheoretisch reflektiert. Mittelalterliche Schwänke bilden die Materialgrundlage (Corpus) dieser Arbeit. - Ein spieltheoretisches Modell der Wahl von Formulierungen wird als Beitrag zu einer formalen Stilistik in Ossner (1986) vorgestellt.

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2.20 Vertextung und Illokutionsstrukturen Textkonstitution: Lund/Schweden und Berlin/DDR In dein Projekt: "Satz, Text, sprachliche Handlung" zur textlinguistischen Analyse von Geschäftsbriefen (Brandt/Koch/Motsch/RosengrenA'iehweger 1983) wird das Verhältnis von Illokutionsstruktur und Vertextung auch unter dem Aspekt beschrieben, wie die "Textstruktur als Ergebnis strategischer Überlegungen des Senders" (Rosengren 1983) dargestellt werden kann. Zwar liegt dem Projekt primär ein Textanalysemodell zugrunde, in dem Sprachkenntnisse und Merkmale des kommunikativen Kontextes spezifiziert werden. Doch werden diese Wissensbestände (sprachliches Wissen, Sachwissen, Wissen über allgemeine Konversationsprinzipien, Wissen über Text- und Gesprächsabläufe) - nicht zuletzt unter dem Einfluß des prozeduralen Ansatzes - im Hinblick auf ihre Funktion bei der Textproduktion und Textinterpretation verstanden (Viehweger 1983, Viehweger/Spies 1987). So betrachten Motsch/Pasch (1987:12) als grundlegende Aufgabe einer "Textkonstitution": "Mit welchen Begriffen kann man die fundamentalen Absichten bzw. Zielsetzungen von Sprechern beschreiben, die sie mit der Produktion von Texten verbinden, und wie wirken sich diese Absichten auf die Textstruktur aus?" Eine zusammenfassende Auseinandersetzung mit dem Reformulierungsansatz von Gülich/Kotschi findet sich in Rosengren (1987).

Sprechplanung und Illokution Wagner (1978) hat ebenfalls auf sprechakttheoretischer Grundlage eine allerdings didaktisch ausgerichtete Arbeit über "Sprechplanung" vorgelegt. Er zeigt an einer Fülle von Beispielen auf, wie typische Sprecherstrategien unter Berücksichtigung möglicher "Gegenpläne" des Kommunikationspartners (1978:9) aussehen können. Dazu auch Wagner (1984).

2.21 Textorganisation: CSSR In einer Reihe von Arbeiten aus der CSSR werden aus unterschiedlichen Perspektiven Fragen der Textorganisation behandelt. Sie stehen teilweise in der Tradition der Prager Schule zur "Funktionalen Satzperspektive". Ausgehend von der Annahme einer "Ebene der Organisation der Äußerungen" (Danes 1974) versuchen sie, einerseits den hypersyntaktischen Aspekt der Textorganisation zu beschreiben (HlavsaA'ieweger 1985) und andererseits ein Verfahren zur mehrdimensionalen Analyse der Textorga-

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nisation zu entwickeln (HoffmanoväA^ieweger 1985, Korensky/ Hoffmanovä/Müllerovä 1989). Wichtig ist die Einbeziehung von Analysen der gesprochenen Kommunikation in das Konzept der Textorganisation (Kofensky/Hartung 1989).

2.22 Genese du texte: Grtsillon und die Pariser I.T.E.M.Gruppe Seit 1981 wird am "Institut des Textes et Manuscrits Modernes" des Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) eine literaturwissenschaftliche wie linguistisch ausgerichtete Forschung der Textgenetik (Culioli 1982) betrieben. Auf der Grundlage von literarischen Handschriftenkorpora (Heine, Flaubert, Proust usw.) versuchen die jetzige Leiterin Almuth Grösillon und ihre Gruppe (Grösillon/Lebrave 1983, Grösillon 1988, Schlieben-Lange/Gr6sillon 1988, Hay 1988) eine Produktionsforschung zwischen Editionstechnik und Produktionsästhetik (vgl. Curtius 1976, Beetz/Antos 1984). Da der Ansatz in Baurmanns Beitrag als Beispiel für eine empirisch orientierte Erforschung des Schreibprozesses kurz vorgestellt wird, ist hier nur noch folgendes hervorzuheben: Die Analyse der Entstehung von Texten samt ihren Entwürfen, Versionen und Revisionen ist ein Ansatz, der prinzipiell auch für nicht-literarische Texte möglich und sinnvoll ist. Die Entstehung von (SPIEGEL-)Artikeln, von durch Ghost-writer vorbereiteten (Politiker-)Reden, die Genese von Gesetzentwürfen, Verordnungen etc. und Koautorschaften, etwa bei wissenschaftlichen Arbeiten, könnten ebenso Material liefern, wie eine Dokumentation von PC-gestütztem Schreiben - und sonstigen handschriftlichen Manuskriptanalysen. Empirische Analysen von Textgenesen wären ein wichtiger Beitrag für eine strikt linguistisch motivierte Produktionstheorie.

PRAXIS 2.23 Personales, kreatives, wildes Schreiben Gegenüber instrumentalisierten Funktionen des Schreibens ist auf solche Arten des Schreibens hinzuweisen, die sich als Alternativen zum sprachgestaltenden Schreiben verstehen: So gibt es seit einiger Zeit eine Aufsatz-Didaktik, die das "Personale Schreiben" als "Medium der Ich-Entwicklung" thematisiert (Boueke/Schülein 1985). Einen Überblick über

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Formen des "kreativen Schreibens an Hochschulen" gibt Rau (1988). "Graffiti, Sprüche und Zeichen am Rande der Straßen" sind Gegenstand einer Monographie über das "wilde Schreiben" (Neumann 1986). In dieser Arbeit wird gezeigt, wie groß die Gefahr ist. Schreiben auf das 'domestizierte Schreiben' zu reduzieren.

2.24 Textproduktion im Beruf Schreiben im beruflichen Alltag Weitgehend Neuland sind Untersuchungen darüber, wie im Beruf tatsächlich kommuniziert wird. Häcki-Buhofers Studie (1985) über die Schriftlichkeit von Arbeitern in einem Schweizer Industriebetrieb zeigt, daß sehr viel mehr als vermutet geschrieben wird; daß aber die dort im Berufsalltag entstehenden Texte sehr viel stärker durch Merkmale der Mündlichkeit geprägt sind. - In Antos (1989) wird die Ausbildung zum "optimalen Telefonieren" (Beratung, Reklamationsbehandlung, Terminvereinbarung, Verkauf) untersucht.

Textoptimierung in Berufen Die Forschungen zur Verständlichkeit von Informations-ZLehrtexten, Sachtexten bis hin zu Gebrauchsanweisungen zielen implizit oder explizit auf die Erstellung von "Regeln und Techniken für eine optimale Textgestaltung" (Groeben/Christmann i.d.Bd.) hin. Damit wird es möglich, über die psychologische oder linguistische Analyse hinausgehend Empfehlungen für das Formulieren von Texten zu geben (z.B. zur Verwaltungs- und Rechtssprache: Radtke 1981, Pfeifer/Strouhal/Wodak 1987, zu Anweisungstexten: Grosse/Mentrup 1982, Hoffmann 1984). - Gleichwohl hat eine zwischen Wissenschaft und beruflicher Praxis angesiedelte kooperative Forschung erst begonnen: Forschungsdesiderate bleiben daher Untersuchungen zur faktischen Textproduktion in Wirtschaft, Verwaltung und Technik (Frankenberg, Herzke/Juhl/de la Roza und Hoffmann/ Schlummer i.d.Bd.).

3. Linguistik: Rückblick und Hintergründe In folgenden sollen einige im engeren Sinn sprachwissenschaftliche Berührungspunkte zwischen Linguistik und Textproduktion hervorgehoben werden. Dies vor allem deshalb, um zumindest ansatzweise den Beitrag

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der Linguistik zu einer produktions-orientierten Sprachwissenschaft festzuhalten.

3.1 Rückblick: Auf dem Wege zum realen "Sprecher" Nachdem der Strukturalismus das kommunikative Subjekt aus der Sprachwissenschaft ausgetrieben hatte, begann mit Chomskys generativistischem Programm das, was man die Rehabilitierung des kommunikativen Subjekts nennen könnte. Im folgenden sollen wichtige Stationen des Weges vom "idealen Sprecher/Hörer" zum empirischen Sprecher/Schreiber nachgezeichnet werden.

3.1.1 John L. Austin Mit Austins zentraler Formel "to say something is to do something" wird der Vollzug einer semiotischen Handlung durch den Sprecher als primär für das Gelingen von Kommunikation postuliert (Austin 1976/62). Damit kommt dem Sprecher (anders als im Strukturalismus) als dem initiierenden kommunikativen Subjekt eine nicht kontingente Rolle in der Kommunikation zu. Insofern hat Austin mit seiner Sprechakttheorie den Handlungscharakter des Kommunizierens auf eine neue (nicht-triviale) Grundlage gestellt. Ähnliches gilt für seine Rehabilitierung sprachlicher Wirkungen (Coulmas 1977). Austin zeigt femer, daß das Vollziehen sprachlicher Handlungen mit der Zuschreibung von Verantwortung verbunden ist. Seine Auseinandersetzung mit dem Wahrheitsbegriff des logischen Positivismus führt ihn zur Erkenntnis, daß sprachliche Äußerungen nicht nur unter den Kriterien "wahr" und "falsch", sondern unter einer Vielzahl von "happiness conditions" zu beurteilen sind. In der Sprechakttheorie ist diese "Multidimensionalität des Glückens" (Antos 1982:77ff.) auf das Glücken/Mißglücken des illokutiven Aktes reduziert worden. Weitgehend unbeachtet blieben Austins Hinweise, daß wir Äußerungen beispielsweise auch als "überflüssig", "übertrieben", "vage", "nichtssagend", "irreführend", als "allgemein" oder als "zu gedrängt" bezeichnen (Austin 1979:129). Dies gilt natürlich insbesondere für "längere Texte" - etwa für Darstellungen, Berichte oder komplexe Argumentationen.

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3.1.2 Paul Grice: Intentionalität und Maximen Intentionalität: Gegenüber konventionalistischen ist den intentionalistischen Konzepten (Grice 1979) die Annahme gemeinsam, "daß ein Sprecher eine primäre Intention hat, beim Adressaten eine bestimmte Wirkung hervorzubringen und daß ein Sprecher sekundäre Intentionen unterschiedlicher Komplexität hat, die sich auf das Erkennen der primären und sekundären Intentionen durch den Adressaten beziehen" (Harras 1983:159). Aus der produktions-orientierten Perspektive ist diese Debatte insofern von Bedeutung, als hier - zum Teil äußerst subtil - Bedingungen fiir das Hervorbringen von sprachlichen Wirkungen expliziert werden. Damit wird das Konzept der Intentionalität und die Rolle des initiierenden kommunikativen Subjekts in einer bisher nicht gekannten Weise herausgearbeitet. Zu kurz greifen allerdings beide Positionen, wenn sie mit (rekonstruierten) empirischen Fällen konfrontiert werden: Zum einen beschränken sie sich zumeist auf Sprecherbeiträge in der maximalen Dimension von Sprechakten. Zum anderen zeigt sich, daß 1. häufig eine Vielzahl von "Intentionen" für die Textherstellung eine Rolle spielt (Rehbein 1977) und 2., daß oft erst während der Textherstellung Intentionen ganz neu gebildet werden können (Molitor i.d.Bd.). Auch unter empirischer Perspektive gilt daher: "Der Sprecher ist und bleibt ein riskantes Subjekt, und es gibt keine theoretischen Bestimmungen, durch die sich das tatsächliche Durchsetzen von Sprecherintentionen ein für allemal garantieren ließe" (Harras 1983:165). Diskurs- oder Textbeiträge sind daher nicht mehr, aber auch nicht weniger als adressatenspezifisch anpaßbare (Gülich/ Kotschi 1987:210) Verständnisangebote (Antos 1982:116ff.). Maximen: Grice (1979) hat mit seinem "Kooperationsprinzip" und den ihm untergeordneten vier Konversationsmaximen eine Regelformulierung gewählt, die trotz ihrer prinzipiell für alle Kommunikationsteilnehmer bestimmten Geltung die (imperative) Form einer Produktions- oder Formulierungsmaxime hat: "Mache deinen Beitrag ...". Des weiteren bezieht sich der Inhalt der Anweisungen korrespondierend zur rezeptions-orientierten "konversationeilen Implikatur" auf den Formulierungsmodus von Beiträgen ("Sei relevant", "Sei klar", "Vermeide Dunkelheit des Ausdrucks", "Der Reihe nach!" usw.). Formulierungsmaximen und die Berücksichtigung von Maximenkonflikten ermöglichen daher eine dezidiert linguistische, d.h. strikt handlungs- bzw. kommunikationstheoretische Produktionstheorie (Gazdar 1980).

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3.1.3 William Labov oder: Der Weg zum realen Sprecher Einen womöglich unterschätzten Beitrag zur Etablierung einer produzenten-orientierten Sprachwissenschaft hat Labov geleistet: Gegenüber Chomskys Homogenitätsannahme zeigt Labov, daß sprachliche Heterogenität für Sprachen grundlegend ist. Bedeutsam ist, daß dieser Sachverhalt sprecherorientiert als "Prinzip des Stilwechsels" beschrieben wird ("es gibt keine Sprecher, die nur einen einzigen Stil benutzen" 1980:16). Damit zusammen hängt das "Prinzip der Aufmerksamkeit": Es besagt, daß Stilwahlen von Maß der Aufmerksamkeit des Sprechers abhängen können (1980:16f.). Verallgemeinert bedeutet das: Wie etwas gesagt wird, kann von den Umständen der Produktionssituation abhängen. Gegenüber der Unterstellung, daß Sprecher/Hörer (etwa im Sinne Chomskys) über sprachliches Wissen verfügen, kann Labov zeigen, daß sprachliche Unsicherheiten und damit verschiedene Maßstäbe der Korrektheit nichts Ungewöhnliches sind (Labov 1971:144). Linde/Labov (1985) haben mit ihrer Arbeit über Wohnungsbeschreibungen ein fruchtbares Paradigma (Klein 1979; Ehrich 1985) für die "raumbezogene Sprachproduktion (Richter/Schweizer 1984) entwickelt. Sie weisen nach, daß zwischen Sachverhalten (Wohnung) und ihrer kognitiven Repräsentation einerseits und der (syntaktisch realisierten) Beschreibung andererseits "Diskursregeln" wirksam sind. Solche "Diskursregeln", die das Hervorbringen der Wohnungsbeschreibung regeln sollen, werden - wie schon bei Grice - produktions-orientiert formuliert, z.B.: "Regel 1: Gehe von außen in den ersten Raum" (1985:53). Einen sicheriich noch nachhaltigeren Anstoß haben Labov/ Waletzky (1973/1967) mit der Analyse von (natüriichen) Erzählungen gegeben. Aus der Produktionsperspektive bedeutsam ist die sog. "Normalform" für mündliche Versionen persönlicher Erfahrungen, die in Labov (1980:302) folgende Komponenten umfaßt: Abstrakt: worum handelt es sich?, Orientierung: wer, wann, was, wo?, Handlungskomplikation: was passiert dann?, Evaluation: was soll das ganze?, Resultat: wie ging es aus? Wie im Fall der Wohnungsbeschreibungen ist es auch hier schwer, dieses Analyseschema nicht zugleich als Beschreibung von Produktionsregeln für Erzählungen zu verstehen. Fazit: Obwohl Labov kaum das Programm einer linguistischen Produktionstheorie zu unterschieben ist, liefert er mit einer Fülle von Erkenntnis-

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sen einen entscheidenden Beitrag zu ihr. Dies läßt sich als Konsequenz seines Versuchs deuten, die Rolle der realen Sprecher(gruppen) und damit zusammenhängend, die verschiedenen Parameter sprachlichen Verhaltens herauszustellen.

3.2 Hintergründe 3.2.1 Sprachbewußtheit und Monitoring Ausgehend von Chomskys 'tacit-knowledge'-These, wird in der Linguistik, allerdings unter verschiedenen Begriffen (Haueis 1989), eine intensive Diskussion zur Sprachbewußtheit geführt. Stimuliert wurde diese Diskussion durch die Einsicht, daß Schreiben und Sprachbewußtsein eng miteinander verknüpft sind. So zeigt Andresen (1985) den Zusammenhang zwischen dem Schriftspracherwerb und der Entstehung von Sprachbewußtsein auf. Vor allem unter dem Einfluß von Krashens "Monitor"Theorie ist dabei der produktive Aspekt in den Vordergrund der Diskussion gerückt worden: Der "Monitor" ist eine Kontrollinstanz des Sprecher/Schreibers, mit der er sein sprachliches Wissen in der konkreten Sprachverarbeitung beeinflussen kann (Krashen 1981). Welchen Einfluß Sprachbewußtsein und Monitoring auf die Textproduktion haben kann und auf welche Parameter sich Kontrollprozesse überhaupt richten können, ist aber momentan noch offen.

3.2.2 Kommunikation als Prozeß Die Beschränkung der Linguistik auf Sprach- bzw. Wissensstrukturen (Saussure/Chomsky) hat dazu geführt, von der Rolle der Zeit und damit vom Prozeßcharakter bei der Produktion und bei der Rezeption zu abstrahieren (Wiese 1983, van Dijk/Kintsch 1983). Die Konsequenz: Nahezu alle Phänomene, die durch den Prozeßcharakter der Produktion bedingt sind, wurden, wie z.B. die charakteristischen Phänomene der Gesprochenen Sprache, lange Zeit als angebliche Performanz-Phänomene ausgeklammert. Gerade diese Phänomene, also Pausen, Gliederungssignale, Wiederholungen und Korrekturen stehen aber nicht nur im Zentrum psycholinguistischer Analysen (2.2), sondern sind zugleich bevorzugte Gegenstände der Forschungen zur Gesprochenen Sprache bzw. zur Konversationsanalyse

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(Gülich 1970, Ramge 1973, Rath 1979, Schegloff/Jefferson/Sacks 1977). Zugespitzt ausgedrückt: Typische Planungsphänomene werden zugleich als typische Phänomene der interaktioneilen Organisation beschrieben. Beiden Ansätzen gemeinsam (zu einer integrativen Darstellung Müller 1984 u. Auer 1986) ist sicherlich ihre prozessuale "Grundierung", wenngleich bei konversationsanalytischen Ansätzen neben der zeitlichen, vor allem die kooperative Komponente entscheidend ist. Erst beides zusammen macht als notwendige Bedingung des interaktionellen Prozesses beispielsweise das aus, was Kallmeyer/Schütze (1976:12) als "Ablaufkonstitution" bezeichnen (z.B. Organisation der Sequenzen; Abwicklung von Handlungsschemata; Fragen, was man gerade miteinander tut bzw. worüber man redet, vgl. Auer 1986; prospektive und retrospektive Verständnissicherung, vgl. Cicourel 1975). Zentrale Begriffe wie "Kooperation", "Aushandeln", "Gesprächsorganisation" oder "Bedeutungsproduktionsprozeß" suggerieren, daß Gesprächspartner ihre hergestellten Beiträge nicht nur wechselseitig interpretieren, sondern sie auch nach Maßgabe des Partnerverhaltens zunächst herstellen. Die tatsächliche Ausblendung der Produktion - vergleichbar der inzwischen überwundenen Beschränkung auf die Sprachrezeption in der kognitiven Psychologie - könnte etwas mit der Hypostasierung des Faktischen dieses Ansatzes zu tun haben (Flader/von Trotha 1988). Ansätze, dem interaktioneilen Prozeßcharakter in produktions-orientierter Weise gerecht zu werden, finden sich bei Gülich/Quasthoff 1986, Gülich/ Kotschi 1987, Gülich 1988 und Kallmeyer/Keim 1986).

3.2.3 Kommunikative Medien Mündlichkeit und Schriftlichkeit Neues Interesse an Fragen der Diskurs- und Textproduktion resultiert aus der seit Anfang der 80er Jahre belebten Diskussion über Mündlichkeit und Schriftlichkeit (Ehlich 1980, 1984, Tannen 1982, 1984, Coulmas/ Ehlich 1983, Häcki-Buhofer 1985). So wurde beispielsweise der Unterschied von "mündlicher" und "schriftlicher Sprache" auf die unterschiedliche Produktionssituation und ihre Bedingungen ("ungeplant" vs. "geplant" bei Ochs 1979, Antos 1982) zurückgeführt (vgl. Augst/Faigel 1986). Wie der Überblick in 2. gezeigt hat, verlaufen Ansätze zur mündlichen Diskursproduktion und Schreibforschung noch weitgehend isoliert nebeneinander her. Versuche zu einer Integration beider Ansätze finden sich in

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Martlew (1983), Gumperz/Kaltman/O'Connor (1984), Tannen (1982, 1984). Eine Kernfrage dabei ist: Wie verändert sich beim Übergang von Mündlichem zum Schriftlichen der sozial erwartete Sprachgebrauch, etwa bei der Herstellung von Kohärenz. Wie verändern sich welche Produktionsbedingungen ausgehend von kooperativen Interaktionsformen bis hin zu textsortenspezifischen Kompositionen?

Technisierung der Kommunikation Welche Konsequenzen hat die Einführung von Printmedien, des Femsehens, Telefons, Anrufbeantworters, des Computer oder die Einführung von Expertensystemen auf unsere Kommunikation (und auf das Verständnis von ihr) (Gutenberg 1987, Weingarten/Fiehler 1988). Die damit einhergehenden Veränderungen der Produktionssituation(en) und der kommunikativen wie ökonomischen Produktionsbedingungen werden zukünftig ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet für Forschungen zur Textproduktion werden - nicht zuletzt deshalb, weil immer mehr Personen bzw. Instanzen von der Initiierung, über die Formulierung, Standardisierung und Kontrolle bis hin zur medialen Realisierung in den Produktionsprozeß eingreifen (Hoffmann/Schlummer, Herzke/Juhl/de la Roza i.d.Bd.).

3.2.4 Stilistik Die in 1. angesprochene Rehabilitierung der sprachlichen Oberfläche zeigt sich eindrucksvoll an der Mitte der 70er Jahre beginnenden StilistikRenaissance (Spillner 1974, 1984) und Sandig (1970, 1978, 1983, 1988). Zugleich setzt damit eine von der linguistischen Pragmatik ausgehende Theoretisierung der Stilistik ein (zu einer entsprechenden Entwicklung in der DDR: Michel 1988). Sandig (1986) hat eine ethnomethodologische Begründung der Stilistik vorgelegt. Mit "der Hervorhebung des Wie, des prozeßhaften Vollzugs und der Mitteilung von Sinn" (Sandig 1986:14) bestimmt sie Stil als "die sozial relevante (bedeutsame) Art der Handlungsdurchfuhrung" (Sandig 1986:23). Damit weist sie dem stilistischen Handeln seinen ihm zukommenden handlungslogischen Stellenwert zu. Aus der Sprecher/SchreiberPerspektive können Stile dann als (z.T. konventionalisierte) Invarianzen der Vollzugsorganisation (Antos 1986:65) aufgefaßt werden.

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4. Desiderate Für eine Zwischenbilanz ist es angesichts der erst anlaufenden Diskussion noch zu früh. Daher beschränke ich mich abschließend auf die Nennung einiger Desiderate: 1. Zur Theoriebildung: Trotz zureichender Präzisierung (Dömer 1976, Brander/Kompa/Peltzer 1985) wird der Problem-Begriff weithin eher in einem Common-sense-Sinn verwendet. Wenn das Problemlöse-Paradigma für die Diskurs- und Textproduktionsforschung nutzbar bleiben soll, muß es einerseits strikter und andererseits für die Erklärung kommunikativer Phänomene spezifischer apphziert werden. 2. Während aufgrund neurer Forschungen die motivationeilen und emotionalen Aspekte beim Problemlösen in dem Modell gut berücksichtigt werden können (Dömer/Kreuzig/Reither 1983), stellt sich - besonders aus linguistischer Sicht - die Frage, ob und inwieweit die bisherigen Erkenntnisse (z.B. der Phonetik, der Morphosyntax, der Semantik, der Pragmatik) in das Modell integrierbar sind. Dahinter steht die noch offene Frage, inwieweit prozeß-orientierte Ansätze mit sprachstruktur-orientierten Ansätzen überhaupt kommensurabel sind. 3. Neben den in der Psychologie vorherrschenden experimentellen Methoden ist im Bereich der Textproduktion die ganze Palette der Datengewinnung vertreten: Sie reicht von der Gewinnung natürlicher Daten bei Alltagsgesprächen und -erzählungen (Gülich, Kotschi, Quasthoff), über Interviews (Molitor), Thinking-aloud-Protokolle (Krings), Video-Aufnahmen (Baurmann), gemeinsames Textherstellen (Antos, Gülich), Textgenese ("Pariser ITEM-Gruppe") bis hin zu (experimentellen) Pausen- und Koirekturanalysen. Ziel ist in vielen Fällen die Gewinnung zumindest "quasi-natürlicher" Daten (KAPPA). Die Kontroversen über die Thinking-aloud-Protokolle scheinen vorerst ausgestanden (Huber/Mandl 1982, Krings 1986a). Einen Streit über die gewonnenen Daten und den darauf basierenden Methoden scheint es gegenwärtig nicht zu geben. Für die Zukunft wünschenswert, ja für eine produktions-orientierte Sprachwissenschaft geradezu unabdingbar ist, daß 1. größere Corpora von Daten erstellt und daß sie 2. öffentlich zugänglich gemacht werden. Eine dritte Forderung kommt auf dem Hintergrund der Diskussion um die Aussagekraft von Thinking-aloud-Protokollen hinzu: Die verschiedenen Datentypen müssen - zumindest in der Schreibforschung - als unterschiedlich approximierte Widerspiegelungen kognitiver Prozesse gedeutet

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werden. Erst ein kontrastiver Vergleich unterschiedlicher Datentypen stellt sicher, daß methoden-induzierte Verzerrungen ausgeglichen werden können. 4. Bisher sind erst an wenigen Textsorten Produktionsprozesse differenziert studiert worden: Z.B. Verbalisierung von Cartoons (Wiese, Kasseler Corpus), "Schreiben einer Krimigeschichte" nach einer Bilderfolge (BaurmannAjier/Meyer), Nacherzählungen (Kasseler Corpus), Zusammenfassungen (Keseling, Eigler/Nenninger), Briefe (Antos, Gülich), Bewerbungsschreiben (Krings), PR-Text (Königs). Angesichts dieser schmalen empirischen Basis stellt sich die Textsortendiversifikation als eines der wichtigsten Forschungsdesiderate an die zukünftige Textproduktionsforschung dar. 5. Hinzu treten sollten medial- und textsorten-kontrastive Untersuchungen: Nicht jeder, der gut/leicht etc. erzählen kann, kann auch jemanden gut beraten; nicht jeder der überzeugend telefonisch argumentieren kann, kann auch gute Bedienungsanleitungen schreiben usw. 6. Empirische Untersuchungen zur Textplanung sollten verstärkt von der "Writing-is-Rewriting"-Methode Gebrauch machen: D.h. Formulieren als ein zyklisches Umformulieren zu analysieren, hat den Vorteil, daß der Einfluß von vielen der Formulierungsbedingungen weitgehend kontrolliert untersucht werden kann (etwa: Kürzung oder adressatenspezifische Umformulierungen). Zusammen mit der Analyse von Revisionsprozessen (einschließlich Monitoring) beugt dieses Vorgehen der Gefahr vor, daß prozeß-orientierte Analysen die sprachlichen Produkte aus den Augen verlieren. 7. Anders als die weitgehend muttersprachlich ausgerichtete amerikanische Schreibforschung dominiert bei uns das Formulieren in der Fremdsprache (Wiese, KAPPA, Krings, Königs, Lörscher, Gülich). Die Konsequenzen - etwa im Hinblick auf die teilweise anders gelagerten Produktionsstrategien (Krings 1986a im Vergleich etwa zu Molitor 1983) - sind noch nicht überblickbar. Außer Frage scheint aber zu stehen, daß eine integrative, Mutter- und Fremdsprache umfassende Textproduktionsforschung davon nur profitieren kann. 8. Unberücksichtigt sind weithin Emotionen, Dispositionen und Kontexteinflüsse auf das Reden und Schreiben (Molitor 1984:52). Dazu gehören sowohl die Alltagskonzepte der Produzenten in Bezug auf ihre Produktionskompetenz als auch auf vermeintliche Wirkungen.

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9. Ganz wichtig scheinen soziolinguistisch ausgerichtete Analysen im Sinne von Wodak, weil hieran die kurzfristig nicht änderbaren Bedingungen der Textproduktion erforscht werden können. Dies wiederum hängt mit der nicht nur Sprachdidaktiker interessierenden Frage zusammen, inwieweit sprachliche Produktionsprozesse vom Produzenten überhaupt gesteuert werden können. Gegenüber kognitionswissenschaftlichen, stellen soziolinguistische Untersuchungen femer ein Korrektiv dar, als es hier um die Frage nach der (z.B. sozial) begrenzten Handlungsfähigkeit kommunikativer Subjekte geht. 10. Unter didaktischem Aspekt müßten Konzeptionen für die Umsetzung der Forschungsergebnisse erarbeitet werden. Denn der Erfolg dieses Forschungsansatzes wird davon abhängen, in wieweit er gesellschaftliche, insbesondere berufliche Bedürfnisse der Praxis wissenschafüich begründet befriedigen kann.

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Robert de Beaugrande (Singapore)

From Linguistics to Text Linguistics to Text Production: A Difficult Pathi Abslract: As its data linguistics always has only the produced texL Yet linguistic theorists for a long time argued that their concem was an abstract system behind the texts, and failed to clarify how one moves from knowledge of or experience with texts over to some model of the system. So procedures were largely intuitive and data selections werc incidental or arbitrary. A retrospect is undertaken here in terms of three steps: recognizing that one's data are text, recognizing texts (rather than minimal units, sentences, etc) as data, and studying text production itself. Only an explicit focus on aU three steps and the issues involved can resolve the most fundamental Problems of linguistics by situating it realistically in respect to its domain.

1. Two lines of demarcation in linguistic theory and method Throughout its history, linguistics has had an uncertain relation to the status and nature of the "text". The text is undeniably given, the major vehicle and result of a discourse event2 - indeed one of the most pervasive products or artifacts of human activity in general. Yet this same prevalence confronts the linguist with an explosion of potential data which, taken at face value, provide few reliable indicators of which criteria are the essential ones for a "theory of language". Depending on the prevailing social, political, and scientific climate, linguistics may adopt a wide variety of views about such criteria; but so far, no consensus obtains about the best overall framework for identifying and organizing one's data. This dilemma was only to be expected. Language is so many things, and can be put to so many uses, that some leap of faith must be made to select any one framework for studying it. As the great British linguist J. R. Firth remarked, "four-fifths of linguistics" "is invention rather than discovery" 1 To remain within the length allotted here, I do not give numerous references to the research literature, but I have provided them elsewhere. On the trends among the founders, see Beaugrande (1990); on text and text production, see Beaugrande (1980, 1980-81,1982,1984a, 1987a, b). Compare Note 9. 2 As usual, 1 am using "text" and "discourse" in a closely related sense: "text" as a communicative event, and "discourse" as a set of mutually relevant texts (Beaugrandc/Dressler 1981).

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(1957:173). Its "schematic constructs" "have no ontological status", "being, or existence"; "they arc neither immanent nor transcendent, but just language tumed back on itself (1957:181, 190, 121, 147). "We are all participants in those activities which linguistics sets out to study" (1957:169). At best, such "fictions" as "speech" and "language" "have a certain practical value" (1964 [1937]:135). Similarly, Firth insists that "there are no scientific facts until they arc stated" "in technical language" mithin "a system of related statements all arising from a theory and application" (1968:30, 43, 154, 199). He suggests we "regard" "facts" as "myths in which we believe", and quotes Goethe's epigram: "the highest State would be to grasp that all facticity is already theory" (1968:156, 146, my trans.).3 Firth's Statement of the matter may seem a bit polemical, but his point is valid: linguistics deal with a phenomenon that pervades social life, including scientific activities, yet whose reality is surprisingly difficult to establish with a straightforward theory or method. Disquieted by a constant sense of reductionism and intervention in regard to the data, linguists continually struggle to reach some firm ground. Each small piece cut out from the entirety of available data has to be laboriously built and rebuilt within a theory that can never be fully free of arbitrary constructs, any more than language itself can. We can thus expect that every project to set up a science of language must entail some characteristic moves for deciding how to get at language as such (cf. survey in Beaugrande 1990). I should like to propose a scheme for comparing various moves in terms of two "lines of demarcation" (Fig. 1). The first line is to recognize one's data as text. Here, the linguist acknowledges that text in discourse is the ultimate source of all data, because the system never steps forward in its abstract selfhood. By implication, this acknowledgement puts the linguist under pressure to clarify how data originally occurring as text might or might not count as a part or instantiation of the system. To circumvent that difficult task, linguists have often stopped short of this line of demarcation by claiming that the abstract language system is independent of text in discourse or even in Opposition to it.

3 "Das Höchste wäre zu begreifen, daß alles Faktische schon Theorie ist."

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The second line of dcmarcation borders a still more neglected domain: to advocate or undertake explicit studies of text production. Here, the linguist draws the consequence that if text in discourse is the ultimate souce of data, we should explore how texts are produced. This consequence is hardly abstruse; indeed, it seems to follow fairly straightforwardly. In fact, however, extremely few linguists have actually gone so far, most linguists have indicated, at least by omission, that the production of text or

Hartmann K i n t s c h / v a n Dijk Beaugrande/Dressler Firth Pike Halliday/Hasan Harweg Bloomfield ? Koch? Wienold ? Rieser/Ihwe?? Saussure Hjelmslev Chomsky

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F i g . 1 L i n e s of d e m a r c a t i o n in l i n g u i s t i c s discourse is not a concem of their discipline (or "science", as they are prone to call it during such defensive moves). Consider the example of Ferdinand de Saussure, a founder of linguistics who was keenly aware of theoretical problems. At one point, he declared himself "disgusted" "with the difficulty there is in general to write ten

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lines conceming the facts of language which have any common sense", and with "the very great vanity of everything that can ultimately be done in linguistics" (letter to Antoinc Meillet, 4 Jan., 1894, quoted in Benveniste 1971:33f.). He was dismayed at "the absolute ineptness of current teminology, the necessity to reform it, and, in order to do that, to show what sort of subject language in general is" (ibid.). In his view, "no other field" is so replete with "mistakes", "aberrations", "absurd notions, prejudices, mirages, and fictions" (1966 [1916]:7, 3f., 97,215). Saussure thus set out afresh to assign language some theoretically tractable dimensions. He proceeded essentially by dichotomizing - postulating two aspects of a domain and placing them in direct Opposition; one aspect was then made to dominate the other, to triumph within a hierarchy of figure and ground. In one famous move, his Course vowed that "language [langue] is not to be confused with human speech [langage], of which it is only a definite part, though certainly an essential one" (1966:9). This move was justified with the startling claim that "language" "can be classified among human phenomena, whereas speech cannot" (1966:15). "We cannot put" "speech" "in any category of human facts, for we cannot discover its unity"; only "language gives unity to speech" (1966:9, 11). "Speech cannot be studied, for it is not homogeneous" (1966:17). Yet in the very face of these Claims, we were counseled to "set up the science of language within the Overall study of speech"; and "the subject matter of linguistics" was said to "comprise all manifestations of human speech" (1966:17, 6). Another famous move, advertised as the way to attain "the rational form linguistic study should take", was to differentiate "language" [langue] from "speaking [parole]" (1966:98, 13). Here again, problems and contradictions impended: "the two objects are closely connected" and "interdependent", yet are "two absolutely distinct things" (1966:18f.). "Speaking is necessary for the establishment of language, and historcally, its actuality always comes first" (1966:18). But "language" is "passive", "receptive", "collective", and "homogeneous", while "speaking" is "active", "executive", "individual", and "heterogeneous" (1966:13, 15). Unlike "language", "speaking is not a collective Instrument; its manifestations are individual and momentary", and "depend on the will of speakers" (1966:19). Yet Saussure hedged again: "there is no clear-cut boundary between the language fact, which is the sign of collective usage, and the fact that belongs to speaking and depends on individual freedom" (1966:125). "In a great numberof instances", "both forces have combined

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in producing" "a combination of units" and have done so "in indeterminate proportions" (1966:125). The dilemma we can detect behind such convoluted and vacillating argument is typical of linguistic theorizing that does not cross the first line of demarcation and recognize one's date as text. Saussure's dichotomizing nwthod led him to construct a stark Opposition between the abstract language system and text in discourse, despite his awareness of how precarious the Opposition was. Though according to his editors, he one "promised" a "linguistics of speaking", he never produced one; and the Course indicates that such a "science" wouldn't belong to "linguistics proper" anyway: "the activity of the Speaker should be studied in a number of disciplines which have no place in linguistics except through their relation to language" (1966:xix, 20,18). Saussure's case illustrates why the first line of demarcation can be so haid to cross. He feared that if we recognize our data as text, we might stand accountable for every imaginable language event, including those that have not yet occurred. Beyond this lies the fear that the data of available texts in discourse would be not merely too vast to manage, but also too specialized, personal, or idiosyncratic to directly subsume in a "general" theory. So Saussure elected to tum away the activities of communication in favor of an abstraction whose validity even he found hard to accept. Together with Meillet, he wanted to see "language" as a system in which "everything holds everything eise in place" ("tout se tient"4), but evidently did not hold the same view of "speech" of "speaking" in texts. One consequence was a heavy reliance on "phonetics" and "phonology"5, domains where language tnost readily reveals a "system" with "a fixed number of well-differentiated" units (1966:34); this trend remained a trademark of structural and systemic linguistics for a long time. Even "the sentence", though it ought to be "the ideal type of syntagm", was relegated "to speaking, not to language", except for "pat phrases in which any change is prohibited by usage" (1966:124). Had semantics been the

4 This "tout se tient" is an unassuming but trickier formulation than is widely supposed, and my rendering of it here is deliberately interpretive. 5 Saussure's use of these teims is not fully consistent with modern use. He held "phonetics" to be "the study of the evolution of sounds", and "phonology" to be "the physiology of sounds" (1966:33). In addition, he avers that "phonetics is a basic part of the science of language; phonology" "is only an auxiliary discipline and belongs exclusively to speaking" (ibid.). Elsewhere, though, he uses "phonology" for "the description of the sounds of a language-state" (1966:140), "We must draw up for each language studies a phonological system" comprising "a fixed number of welldifferentiated phonemes" (1966:34).

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main concem, the rcfusal to address texts and contexts would have seemed far less workable. Since Saussure's theorizing did not cross the first line of demarcation, he could haidly cross the second. Still, if we accepted his framework, we could infer that text production would be viewed as a process of "thinking unconsciously of diverse groups of associations" and "mentally eliminating everything that does not help to bring out the desired differentiation at the desired point" (1966:130). Saussure sometimes speaks of language Units "Galling up" or "recalling" others (1966:130, 134, 164). "Our memory holds in reserve all the more or less complex types of syntagms, regardless of their class or length, and we bring in the associative groups to fix Our choice when the time for using them arrives" (1966:130). If this view of text production seems abstruse, it nonetheless follows a predictable cycle. Having set up the system in Opposition to text, the text can only be viewed as selection of systemic options that are recovered and arranged in ways that directly reflect the Organization of the system, rather than of the communicative Situation. One's original abstraction (system) takes on a life of its own and gets projected back onto the data (text). When a theorist emphasizes binary oppositions, this back-projection gives rise to the thesis that "every" "unit is chosen after a dual mental Opposition" (Saussure 1966:131). Such thesis is a corollary of the phonological precept that "the isolated sound" "stands in syntagmatic Opposition to its environing sounds and in associative Opposition to all other sounds that may come to mind" (1966:131). Impressed with this idea, Saussure advocated a "science that uses binary combinations and sequences of phonemes as a point of departure" (1966:50). The reality of this "science" would rest on "articulatory moves": "a binary combination implies a certain number of mechanical and acoustical elements that mutually condition each other" (1966:51). By a further extension, "from the synchronic viewpoint" - being "the true and only reality to the Community of speakers" - a given word "stands in Opposition to every word that might be associated with it" (1966:90, 95). Moreover, the "parts" of "syntagms", such as the "subunits" of "words", can also be "analyzed" because they can be "placed in Opposition" (1966:129). Louis Hjelmslev was a particularly ardent Saussurian in respect to maintaining a high level of theoretical abstraction. But he was nonetheless more prominenüy concemed with how to organize and obtain data, and his maneuvers for doing so without lowering his plane of abstraction were particularly tortuous. He matched up the duality of "language" versus

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"text" with a duality of "system" versus "process" (1969 [1943]:39). Intriguingly, he rcpeatedly portraycd the "system" as "paradigmatic", and the "process" as "syntagmatic" (1969:85, 109, 135); like Saussure's decision about the sentence, this step leaves syntax either outside the language system or in an undetermined relation to it. Yet Hjelmslev declared: "if the linguistic investigator is given anything (we put this in conditional form for epistemological reasons), it is the as yet unanalyzed text in its undivided and absolute integrity" (1969:12). So "linguistic theory starts from the text as its datum" and "object of interest" and attempts to produce "a self-consistent and exhaustive description through an analysis" (1969:21, 16). "To order a system to the process of that text", "the text is regarded as a class analyzed into components, then these components as classes analyzed into components, and so on until the analysis is exhausted" (1969:12f.). "Linguistic theory" must also "indicate how any other text of the same premised nature can be understood in the same way" by "fumishing us with tools that can be used on any text" (1969:16). "Obviously, it would be humanly impossible to work through all existing texts", and "futile" as well "since the theory must also Cover texts as yet unrealized" (1969:17). Though it "must be content" with a "selection", "linguistic theory" may draw enough "Information" to "describe and predict" "any conceivable or theoretically possible texts" "in any language whatsoever" (1969:16f.). The push toward abstraction in the face of texts led Hjelmslev to some remarkable assertions. He vowed that "linguistic theory cannot be verified (confirmed or invalidated) by reference to any existing texts and languages" (1969:18). If "the existence of a system does not presuppose the existence of a process, we could envision "a language without a text constructed in that language", and he required "linguistic theory" to "foresee" such a language "as a possible system"; its "textual process is Virtual" rather than "realized" (1969:39f.). Such assertions leave us in the dark about the real status and methods of the textual analysis he prescribed. The "analysis" was to "consist of a continued partition", "each operation" being "a Single minimal partition", until all "partitions" are "exhausted"; "the analysis must move from the invariants" with "the greatest extension conceivable" to those with "the least", "traversing" in between "as many derivative degrees" "as possible" (1969:30, 97). Yet nowhere in his two volumes on theory nor in his two volumes of essays does Hjelmslev actually analyze or describe a text in

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any detail, doubtless because he realized how vulnerable such a demonstration might be as a valid application of such a rarified theory. Normally, a linguist who does not recognize the data as text will also not recognize the text as data. Noam Chomsky is a well known illustration, and many more can be found in the formalist and generative camps, where the theoretical rigor on the one side corresponds to the casual introduction of idealized artificial data on the other. Yet Hjelmslev shows that a linguist may recognize the text as data and yet not address the issue of data as text. He accepted the text as a linguistic object, but by making the "system" radically independent of the "process", he gave no Clues about how data from texts might actually reveal the nature of the system or confirm a theory. His recommendations for analysis indicate a belief that we could find everything in pairs and place a "single partition" in between, much as Saussure had back-projected the binary Opposition onto both word sequences and word parts. Yet this belief is already precarious for Syntax and utterly inappropriate for semantics. An intriguing counter-example can be found in the work of J.L.Firth which set British linguistics on a very different course from research in Switzerland, France, Czechoslovakia, and Denmark following the Saussurian plan. For Firth, "the text" "is the main concem of the linguist" (1968 [1952-57]:24, 85, 98, 108). "Linguistic analysis must first State the structures it finds both in the text and in the context" (1968:17). "The first abstraction" is to "isolate a piece of text or part of the social process of speaking" (1957 [1934-51]:192). "The longer units we study, the better statements we can make" (1968:93). Even "the categories of grammar are abstractions from texts, from pieces of stretches of discourse spoken or written" (1968:121). Within this approach, "the processes and pattems of life in the environment can be generalized in contexts of Situation, in which the text is the main concem of linguist" (1968:24). "The context of Situation" is a "schematic construct to be applied to language events" (1968:154). "A Speech event in a context of Situation" is "a technical abstraction from utterances and occurrences" and is an "expression of the language system from which they arise and to which they are referred" (1957: 144). "Speech consists of myriads of such events" (ibid). "We can only arrive at some understanding of how" "language" "works" if we "take our facts from Speech sequences" "operating in contexts of Situation which are typical, recurrent, and repeatedly observable"; and the "context" should in

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turn "be placcd in categories" "within the wider context of culture" (1957:35). The contrast with Saussure was so marked for a powerful motive: Firth espoused the precept that "structural linguistics" "deals with meaning throughout the whole ränge of the discipline"; "meaning must be included as a fundamental assumption" (1968:50). And "meaning is best regarded" "as a complex of relations between component terms of a context of Situation (1957:110). Only a "contextual theory of meaning employs abstractions which enable us to handle language in the interrelated processes of personal and social life" (1968:14). Against the "logicians" who "treat words and sentences as if they could somehow have meanings in and by themselves", Firth saw "meaning" "deeply embedded in the living processes of persons maintaining themselves in society" (1968:13). Thus, "analysis of discourse" cannot be "directiy developed from phonemic procedures or even devised by analogy to such procedures" (1968:191). Firth is thus a prime case of a linguist who recognized both text as data and data as text. Yet he too feit a bit uneasy about his proceedings becoming too dependent on specific real data. He wanted his "situational approach" to seek "general theoretical abstraction with no trace of 'realism'" (1968:154). He stipulated that his "context of Situation", although "at a different level from grammatical categories", has "the same abstract nature" (ibid.). "We study the flux of experience and suppress most of the environmental coordination", looking for "instances of the general categories of schematic constructs" (1968:16). Specifically excluded from "the concem of linguistic science" were "the Intention of a particular person in a particular instance of speech" (compare Saussure's already cited exclusion of "the will of speakers" [1955:19]) and "all mental states" in the "private consciousness of man" (Firth 1968: 16, 56). "Even notionally descriptive terms" like "Situation of personal address" must "not involve the description of mental processes or meaning in the thoughts of the participants", nor of "Intention, purport, or purpose" (1968:177f.). His insistence on this point was so strong that Firth was even reluctant to "regard language as expressive or communicative", lest we "imply it is an Instrument of inner mental states", which are "mysterious" because "not observable" (1964 [1930]: 173). Firth accordingly stopped short of the second line of demarcation in Fig. 1. He paid füll tribute to the text in context as the only source for data, but excluded the study of text production in any sense involving cognitive

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processes. His major contribution was thus limited to the domain he called "prosody", which differed from the analytic and segmental approaches by "emphasizing synthesis" and "referring" "features" "to the structurc taken as a whole" (1957:138, 1968:100). For an "analysis of longer pieces", we can "take as first isolated stretches that can be regarded as prosodic groups" (1968:193). This approach was offered as a means to deal with such issues as "syllable structure" (including "vowel harmony", "stress", "intonation", "quantity", and "grammatical correlations" (1968:193,122, 1957:130, 134). Though he commended the approach for Atting the "view that syntax is the dominant discipline in grammar" and for being relevant to "the study of literature", "literary criticism", and "stylistics" (1957:138, 1968:195), he resembled Saussure in finding his best demonstrations in the domain of sounds and articulation, with the reassuring base of physical activities. "The sounds and prosodies of speech are deeply embedded in organic processes in the human body" (1968:90). He thus brought up such matters as the number of "expirations per minute", the "active control" of "the outgoing column of air", and the workings of the "diaphragm" and the "abdomen" (1964:31, 153f.) issues that seem hard to relate either to meaning or text production. A comparison between Firth and Leonard Bloomfield is instructive here. Though Bloomfield voiced "the modern demand" "for a description" "of any language" to address "copious texts", and advised we should "leam from the texts all we can" (1933:323, 294), he nowhere made any theoretical recognition of the "text" as a linguistic object, and his interest was plainly in small units - minimal ones in fact. Moreover, his definition of "the sentence" as "an independent linguistic form not included in any larger" form (1933:170) imposed a "limitation" which, according to Kenneth Pike (1967:146), "prevented" "the development of linguistics" in America toward the study of "large language units". This restriction left Bloomfield behind Firth; and it is hard to say if Bloomfield genuinely recognized data as text. Bloomfield's argument why we cannot study text production - i. e., "understand the mechanism which makes people say certain things in certain situations" and "makes them respond appropriately" (1933:31f.) is also interesting. Being an adept of behaviorism and physicalism, he had to admit that due the "complexity" of "the human body" and "the mechanism which govems speech", "we usually cannot predict whether" "a Speaker" "will speak or what he will say" (1933:32f.). "The possibilities are almost infinite", and the chain of consequences" is "very complicated" (1933:32f.). "The situations which prompt people to utter speech include

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every objcct and happening in their universe" - "almost anything in thc whole World", plus "the momentary State of thc nervous system" (1933:139, 158). Moreover, Blootnfield saw no way to deal with meaning, because "the meaning of any given speech utterance" couid be "registered" only "if we had an accurate Knowledge of every speaker's Situation and of every hearer's response", so the linguist would have to be "onmiscient" (BL 74). Alarmed by his own vision, Blootnfield anxiously insisted (some twenty times in his book) that "meaning cannot be analyzed within the scope of our science" (1933:161; cf. 1933:93, 162, 167, 266,268, etc.). Pike, on the other hand, was much closer to Firth, whom he cited frequently. Pike's recognition of data as text was revealed when he cautioned that in "practical field work", even the "methodologically helpful" tactic of "working with 'cleaned-up text'" and "sentences" "separated" or "dictated" "by the Informant" can be "fatal" for "theory" (1967:571). "The analysis of words or sentences outside of normal behavioral contexts" "itself constitutes an activity" whose "analysis" "in structural terms" is a further task for "the Student of human behavior" (1967:134). "In the analysis of utterances" "one is not discussing thc meanings of word or sentences in themsclves", but "analyzing verbal behavior" within a "frame", i. e., an "identified context" (LB 134) - like Firth's "context of Situation". Yet Pike too was a behavorist, and "insisted" on "explicit observable reactions" as the proper kind of "data" and "objective evidence" (LB 352, 63, 67). Citing the interest of "psycholinguistics" for "publicly observable indices of subjective events" (Carroll 1953:72), he was undismayed by demurrals that "the linguistics processes of the 'mind' as such are quite simply unobservable" (Twaddell 1935:9), and that "the native speaker's feeling" "is inaccessible to investigation by the techniques of linguistic science" (Block/Trager 1942:40) (1967:351f.. 66f.). Pike hoped that "evidence" can be separated from any "'mentalistic' context" in which it originally received "attention" (1967:67). Once again, the consequence was predictable: like Saussure, Bloomfleld, and even Firth, Pike centcred his theorizing on the domain of sound and articulation. Pike saw in "phonological movement" the "clearest" model to "be generalized to other linguistic levels" (1967:547) - a claim Firth expressly denied, as we saw. And Pike went far beyond Firth in detailed coverage, meticulously grinding upward for over 130 pages (1967:290423) through "the phoneme", "thc hyperphonemc", "the syllable", "thc

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rhythm group", "the stress group", "the pause group", and "the breath gioup", and prominently featuring "sets of muscles" and "kinesthetic cvidcnce" (1967:393f.), notably the movements of the "ehest" and "abdomen". I have tried to show so far that "systemic linguistics" was by no means unified in respect to the status and source of data. We find a range of positions about whether and how data is in fact drawn from text in discourse, and a widespread reluctance to address text production in any case. In general, the concem for meaning encouraged cioser attention to texts, but the firmest ground for getting data organized was consistently sought in phonemics and phonetics - even if (as in Firth's case), phonemic method was rejected as a nKxlel for discourse analysis at large. In retrospect, we may well appreciate why the study of sounds has stood up the longest and best among the domains of linguistics, whereas syntax and semantics have been highly unstable. This unbalanced Situation, I submit, is unlikely to improve until the second line of demarcation has been emphatically crossed, and text production is studied in its own right and on a large scale.

2. Text linguistics and the issue of production Probably as a reflex of their own famiharity with traditional grammar and written prose, linguistic researchers readily assumed that the status of the "sentence" was not particularly problematic. Even during the upheaval in linguistic theory when descriptive structuralism was assailed by generativists, "the sentence remained" "immune from attack" "because it was taken, in a regulaiized form, as an axiomatic starting point" (Pike 1967:8). As Firth himself granted, "most linguists would agree that the study of the sentence as our primary datum is the oider of the day", and in the midst of discussing "the context of Situation", he coolly says: "linguistics treats the verbal process of speaking by writing down, let us say, a sentence" (1957:170,183). Thanks to their apparent consensus about the sentence, linguists tended toward two "safe" views: either the sentence is the essential linguistic unit and hence the only legitimate starting and stopping place for linguistic theory; or the text can be admitted, but only if defmed as a set, string, or sequence of sentences, thereby preserving linguistic theory with minor modifications. Though these two views vigorously fought each other during the rise of "text linguistics" in the 1960s and 1970s, they seem

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rather dose to each other in retrospect. Whether linguistics remained a closed World of isolatcd sentences or a slighüy expanded world of sentences in short series (preferably only in twos) hardly seems an earthshattering issue now. Although it has been fashionable to talk about "crossing the boundary of the sentence", I would suggest that the really cogent crossing was the theoretical line of demarcation I suggested above: a characteristic stance about the relation between abstract system and actual data. There was something appealingly self-evident about a simple, banal sentence (like "The man hit the ball"), lulling linguists into imagining that no account was needed of where the sentence came from. Thus, the sentence boundary was a cut-off point not merely for the sequence of words, but also for the theoretical responsiblity of the linguist to consider who produces language data, and how or why. We should thus expect that early work in text linguistics or discourse analysis - the two are roughly the same, though in a moment I shall note a divergence in formality - was concemed mainly with applying established linguistic conceptions to units "above" (or "beyond") the sentence. Halliday and Hasan's argument was typical: In the analysis of texts, relations within the sentence are fairly adequately expressed already in structural terms, so that there is no need to involve the additional notion of cohesion to account for how the paits of a sentence hang together. Between sentences, however, there are not structural relations, and this is where the study of cohesion becomes importanL (1967:146)

Still, Halliday (a pupil of Firth's) and Hasan did envision the "textforming component of the linguistic system": It is the meaning derived from this component which characterizes a text language that is operational in some context. [...] The textual component creates text, as opposed to non-text. It is the continuity provided by cohesion that enables the reader or listener lo supply all the missing pieces, all the components of the picture which are not present in the text but are necessary to its Interpretation. (1976:299)

Yet their notion of "cohesion", as expounded so far, certainly does not Cover all Operations for "supplying all the missing pieces" "not present in the text" yet "necessary to its interpretation", but at most, only some of the factors relevant to this extensive activity. Firth's counterpart in West German linguistics was Peter Hartmann.6 More than any other theorist I can discover, Hartman was aware of the 6 All quoiations from Hartmann are in my own translation.

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complex problematics of data; and yet he did not withdraw into secure abstractions (like Saussure, Hjelmslev, and Chomsky) nor into a reassuring reliance on sounds and body movements (like Firth, Bloomfield, and Pike). His volume on "The Theory of Language Science" (Theorie der Sprachwissenschaft) (1963) argues against approaches in which "Constitution", i. e., "operational" "production", is "considered a secondary, merely accidental aspect" reserved for "specialized research" (1963:223, 210). Instead, "the major practice of language research consists in isolating, characterizing, and determining language manifestations according to issues that are structurally latent in the handling of language, yet relevant for Constitution": (1963:167, 163f.). Admittedly, "linguistic treatment" will have to address "issues" or "structurcs" that "need not be grasped by non-scientific acceptance [Hinnehmen] nor become conscious during the naive production of language" (1963:162, 72n). Since "linguistic formalization is an observational procedure" that "emphasizes forms where none would be noticed by a different method", "the observer regularly discovers more forms than the language user" (the "participant" in Pike's scheme) (1963:132). "In general practice, in contrast, forms (structures) are obeyed, but not as conscious formalizing" (1963:132). So "scientific treatment" "makes an issue out of functional forms that are normally not an issue, and foregrounds them" with the aid of "specialized" "concepts and terms" (1963:162f.). The "functions appear coupled with a continual activity of deciding" "seldom a conscious one", because "language is mainly used through Imitation" (1963:100). "Due to the spced" and "familiarity of discourse, a process is experienced only for longer expressions produced consciously, e. g., disceming discussions or public speeches". Hence, we cannot "expect the effects of functions" to be "feit by any Speaker" (1963: lOlnf.). "Discursive consciousness can be viewed as a ceaselessly running mechanism for identifying and representing [Vorstellung]"; only in such cases as "dreams" and "illnesses" does it "overstep the limits of the combinable" (1963:101, 98n). Because "a continual drifting among concepts altemates with the actuahzing of factual givens", "we live among continual possibilities of combination": "not among words and sentences but among meanings that can but need not be actualized via woids" (1963:101). For Hartmann, "scientific" work "attempts to interrelate different modes of characterization within a determining context" (1963:159). "Throughout history, all directions in linguistics have been attempts and results of various representations and transpositions into other" "determining con-

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texts" "that were supposed to explain the Constitution or so-called essence of language" (1963:159). As with Firth, the self-reflecting nature of the enterprise is strongly emphasized: "science is a language vis-a-vis its object in the sense of characterizing and foregrounding from a distance, and has a language as expression of its activity; its terminology is the language of a special" "determining context", whereas the "determining context" of "ordinary language" is "not based on some real states or distinctions of things", but "enables communication and discourse about any correlates whatsoever, including ones unknown as facts" (1963:159). "Language could be aphoristically described as a pre-scientific type of intersubjective knowledge", or as "a pre-science of everything humans encounter" (1963:17, 21). Hartmann appreciated why the text may be rejected as linguistic object: "the smaller the structural sectors to which we are limited, the easier it is to find commonalities"; "the more we move toward the total extent of the text, the harder" this becomes (1963:236). Still, "as far as the linguist is concemed, syntax is to be aproached operationally, as the production of sentences in combinatorial groupings"; and "descriptively as the discovery and analysis of such groupings" (1963:245). Though "structure" is a matter of "static description", "Constitution" is a matter of "operational production" (1963:233). Also, "the scientific description of a language manifestation, e. g., a discourse or a text, clearly detaches it from its original or direct status and puts it" into a "static" "form" (1963:157). We see here an intricate balancing of theoretical demands rather than the extreme assertions made under high pressure by Saussure, Hjelmslev, and so on. A consequence of this balance was that Hartmann's pupils, who produced most of the major early treatises in "text linguistics", adopted a great variety of positions. Roland Harweg (1968 [1964]) thought "pronominalization", including all linguistic means for referring to the same objects or events, was the basis of textuality. Walter A. Koch (1971 [1965]) proposed a complicated "taxology" for formal reconstruction of texts in symbols, a project later taken up, within a different paradigm, by Thomas T. Ballmer (1975). Götz Wienold (1971) proposed a "theory of formulation", but dealt only with a limited corpus (Old English versc types), somewhat like Firth's "restricted language". Hannes Rieser and Jens Ihwe, with input from Teun van Dijk and Janos Petöfi, attacked the problem of constructing a formal "text grammar" for just one text (van Dijk et al. 1972).

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Though Hartmann and all his pupils recognized text as data, they had very divergent views about data as text. The projects of Rieser/Diwe and Ballmer seem to disregard the textuality of the materials they attempted to reconstruct in a pure formalism; and as far as I know, such projects are hardly attempted any more7 Early German "text linguistics" got a reputation for being more abstract and formal than "discourse analysis" along Anglo-American lines. Harweg and Wienold did stay much closer to data and brought in numerous contextual factors well beyond the scope of the formalists. Yet few of these studies actually crossed the second line of demarcation to consider text production, not even in the relatively highlevel perspective recommended by Hartmann. Once again the perspective of the analyst after the fact was preferred, with both production and comprehension process being presupposed. And yet that line had to be crossed eventually. The most compelling factor, I think, was the emergence of a new "unsafe" view: the text was not a set or sequences of sentences, but an entity of an entirely different Order. The hunt began for a new definition of the text, though without tuming to production right away. In keeping with the received wisdom of the discipline, linguists cast about for criteria to set up a binary Opposition or dichotomy between "text" and "non-text". Yet all criteria suggested seemed unsatisfactory: too broad for admitting samples that seemed very doubtful; and too narrow for excluding samples that had in fact been produced in actual discourse. If we stipulate for instance that a text must be "coherent" in the sense of "consistent" (cf. Vasiliu 1979), then the opening of Dickens' Tale ofTwo Cities should not be a text: (1) It was the best of times. It was the worst of times. We would not normally expect the two statements of (1) to be asserted about the same "time", but when such an assertion does occur, we don't reject it as a non-text"; we can assume that it was a "time" of stark contrasts, sudden changes, ambivalent values, and so on. I suspect that any inquiry into the admissability of texts will eventually lead to the same insight: whether something is a text depends not on its abstract form or systemic features, but on whether someone produces, presents, or accepts it as such. In real communication, people view each language event as textual, unless they have some exceptional and com71 have also heard Eugenio Coseriu (who considcrs himself a text linguist, and maybe the only one) deny that we can get to the language from the texts, but his argument (attacking Harald Weinrich) seemed to me expedient and contrived.

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pelling evidence to the contrary. Disturbances which might be diagnosed on closer inspection or analysis are often overlooked. Misprints are an obvious instance: (2) Major quack kills two schoolchildren in Idaho {The Herald, 28 Oct., 1983) (3)Wonian inherits antique lust fix)m mother-in-law she never met (Freeman, 21 April, 1985) The events described here are not impossible, but less probable than versions where "quack" and "lust" are replaced with "quake" and "bust". Though the reasoning involved in making these changes demands little effort, it is nonetheless quite complex and subde, and thus very hard to formalize out of context. Another striking instance is the unintentional omission in a text: (4) Murder Delayed (Daily Times and Chronicle, 1 Aug., 1980) (5) Police Brutality Postponed (Mishakawa Enterprise, 1 Oct., 1981) We feel something is semantically wrong here that was not involved in sample (1). This reaction has little to do with the fact that (4) and (5) do not have the format of sentences; in the "restricted language" (a Firthian term) of English news headlines, the sentence format is as much the exception as the rule. Instead, our reaction lies in the reasoning that criminal acts are very seldom announced in advance and then moved to a later time by public notice. Evidently, something crucial was omitted, and we feel justified in supplying "missing pieces", even though "cohesion" in the sense of Halliday and Hasan is not at stake (see above), e. g.: (4a) Murder Trial Delayed (5a) Police Brutality Hearing Postponed In cases like (6) and (7), antonyms seem to have been interchanged: (6) Mental Health Prevention Begins with Children (Valley NewsTribune, 9 May, 1978) (7) Nicaragua Sets Goal to Wipe out Literacy (Boston Globe, 1 Oct, 1979) Again using our world knowledge about the kind of goals people are likely to profess, we probably assume that the writers intended to say: (6a) Mental Illness Prevention Begins with Children (7a) Nicaragua Sets Goal to Wipe out Illiteracy In all the instances illustrated in samples (1) through (7), we manage to accept texts when something seems wrong. We make unprovable but probable assumptions about what the text producer intended. We must therefore not merely address text production in our models, but the factors whereby it can suffer partial failures or errors without precluding communication.

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If a text seems ambiguous, we can again consider what the text producer probably had in mind. If we read: (8) Service Master Keeps Schools Cleaner: Helps Control Infections, Head Lice, Teachers, Custodians, Others Claim (The Intermountain [Elkins, West Virginia], 21 Oct., 1985) (9) Teacher strikes idle kids (Las Vegas Sun, 1 Sept., 1983) we are likely to accept the more probably interpretations, though others are not impossible, ff improbable ones had been intended, we would expect more reliable evidence, as in: (8a) Service Master Praised for Keeping Schools Cleaner by Controlling Infections, Head Lice, Teachers, Custodians (9a) Idle kids Struck by teacher Here too, we reach out conclusion by building a mental model of what was probably intended. We join in the text production and proceed as if we were the ones producing the text in question. I suspect that linguists do much the same whenever they adduce a language sample, but for various motives, this productive activity is usually kept out of sight, e. g., by picking banal materials no one would challenge. Firth's (1967:182) "sentence representing a typical Cockney event" was selected so that we may "be able to provide a typical context of Situation": (10) Ahng gunna gi' wun for Ber'8 [I'm going to get one for Bert] Firth finds the matter "obvious", but he offers no account of the Operations involved - no doubt because, as we saw, he abjures all "description of mental processes". Ultimately, then, the second line of demarcation must fall if linguistics and text linguistics are going to establish a firm empirical base. The hesitancy is not merely because text production is a fairly new and complex issue, but because linguists like to have a model which allows for a determinate representation of data. The formalisms for which linguistics is so well known are most often selected by this very criterion. Given a sample sentence like (10), linguists can generally agree about its grammatical structure, e. g., what counts as "noun", "verb", "propositional phrase", and so on. But if they were asked to say how and why it was produced, agreement would rapidly disappear. Firth's production was certainly not of the same order as for a real Cockney ("in a pub", as he suggests). Nor need we have the "same" production on two different occasions, even in the same pub with the same Bert.

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marks a glottal stop in place of a dental stop.

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Thus, the future of linguistic research and its empirical base rest on revising our detnands for determinacy betwecn a theory or mcxlel and its domain (Beaugrandc 1987b, 1988a, 1988b, 1988c). All too oftcn, linguists havc bypassed both text and text production because of the great difficulty of flnding any determinate representation. Generally, determinacy of form has been purchased at the price of non-determinacy of content, Intention, purpose, and Situation. This exchange means that the more formally determinate the model is, the more indeterminate is its relation to the domain of language data. Samples like (2) though (9) show that the ratio between Virtual and actual must be non-determinate: text production can miscarry somewhat without obscuring the producer's intention and meaning. But this same factor shows that non-determinacy is by no means the same as randomness or arbitrariness: people must agree reasonably well about how and why to produce texts, or we couldn't so easily decide what had been intended when something has gone wrong. The results of detailed textual analysis can be expected to contain quite a bit of specific material, some of it idiosyncratic in respect to the system. Yet even the most specific and idiosyncratic event derives its meaning and function only within the general and normal, the more so if someone is making a deliberate departure, as in modemist poetry. So we must not discount the importance of the lesson when linguists had to admit that "the text" is not a formal or categorical entity. In retum, the text is a richly documented phenomenon: why not investigate the occurrence and use of texts and develop an empirical description instead of a categorical definition? Recognizing the promise of this recourse, Beaugrande and Dressler (1981) placed all of "text linguistics" in the purview of a "procedural approach" which adopts just that Solution. We proposed seven broad criteria of "textuality" which cut across all older schemes of levels (phonemes, morphemes, words, sentences) or planes (syntax, semantics, pragmatics) in order to foreground human activities and contexts. Despite some understandable outcry, our projection was certainly vindicated by later trends not merely in West Germany and Britain, but all across Europe, and to a lesser degree, in Asia and the Americas. Our new "Introduction" is in the works now, and we shall have much more to say on this point. Looking back to the foundations of linguistics, both agreement and divergences should also be kept in mind. All the authorities I reviewed realized the awkwaid involvement of the investigator in the data, but whereas

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Saussure and Hjelmslev responded by abstracting far away from data, Firth, Pike, and Hartman proposed to address linguistic investigation as an object of study in its own right. In parallel, Saussure and Hjelmslev situated the abstract system at considerable distance from text events, while Firth, Pike and Hartman kept the two sides closely linked and called for "operational", not merely "descriptive" (or "static") models but except for Hartman, their reluctance to address mental processes drove them to focus on bodily movements, which are to some degree epiphenomena of communication. Whereas Firth looked to "longer units" for "better statements", Hartman expected "smaller sectors" to show "easier commonalities". None of these issues is by any means trivial, and failure to remain aware of them will endanger any further entreprises on empirical grounds.

3. Text production as an empirical domain Once the text is defined as a communicative event and text production becomes a legitimate issue for study, the features or aspects we might discover in texts can be seen in relation to the conditions in which texts are produced, presented, and accepted. A major consequence is that text linguistics must reach out to other disciplines, such as psychology, sociology, anthropology, and artificial intelligence, much more urgently than a linguistics of abstract systems or invented sentences had done. Indeed, I often overhear the question: "but is that still linguistics?" Moreover, text production is undeniably complex, hard to control or to sort out into component processes. It is typically open, adapting to a steadily evolving Situation, rather than closed, fixed for all situations; and open-ended, not terminating definitively at a particular moment, rather than closed-ended, with an obvious end. Text production is normally spontaneous, reacting to some ongoing context, and extemporaneous, improvised, not previously prepared. The production of one text often follows upon reception of another, and the two processing acts influence each other. All these factors make it difficult to determine how the natural conditions of text production can be approached under the Standard conditions of research - Observation, elicitation, experiment, and so on. Special methods are needed for discovering the essentials of texts from among the bewildering ränge of possible issues. In addition, the prospect that the research design might influence the conditions of text production constitutes an-

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other disturbing factor. Presumably, the exclusion of "parole" (or "Performance") from linguistic study had been motivated precisely by the desire to make language hold still while we study and describe it. Just as Firth, Pike, and Hartmann recognized that linguists intervene in their data and its contexts, we must now raise the same issue for controlled experiments (KintschA'an Dijk 1983). Nonetheless, such experiments cannot be dispensed with; we need merely bear in mind that only certain factors can come into focus in any one case. Some results are already available. The simplest approach has been to present test subjects some "stimulus" to which the expected "response" was, or included, the production of a text. The usual "dependent variables" were the test subjects' latency or reaction time: how long they take to get started; time on task: how long they take to get finished; and error ratio: how often they go wrong. Some common experimental designs were:9 1. duplicating a message: subjects have to respond with a text, usually formatted as a Single sentence, by reproducing it either immediately or after a precisely timed delay; 2. using text components within a message: subjects get only some key words or phrases they have to use in a sentence or utterance; 3. reformatting a message: subjects are asked to paraphrase what they see or hear, often just a sentence, but sometimes as much as a whole Story; 4. verifying a message: subjects must say if a Statement or assertion conveyed by a sentence is "true" of "false" in everyday life or in a presented picture; 5. responding to events or objects in a visual scene: subjects describe in a text what they see in a staged scene, a picture, or a film; 6. producing a monologue: subjects have to compose a discourse on some topic; 7. participating in a dialogue: subjects have to interact with an experimenter or collaborator, e. g., in an interview; 8. self-commenting: subjects pnxluce text reporting on what they are doing (make a "protocol"). In much of this research, the activity of text production was not the major focus. More often, researchers were concemed with "behavioral variables" - motor actions, anxiety, accuracy - being influenced by such factors as presented pictures or approving versus disapproving audiences. Text production was a helpful auxiliary mode of getting data on how people respond. Researchers could count word rate, observe hesitation or 9 Detailed references are in Beaugrande 1984:88f.

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stress, tabulate errors, and so on, without elaborating an explicit model of text production itself. In fact, what the test subjects actually said was often of less interest than how they behaved while saying it. In one experimental design (Reece and Whitman 1962), subjects were even asked to produce texts composed of disconnected words! Presumably, the experimenters believed this design could avoid the tendency to structure the response according to phrases and clauses and thus bypass the problem presented by connected discourse of deciding what constitutes a behavioral unit. In retum, it's hard to imagine how the findings could apply to ordinary discourse: indeterminacy was merely shifted about, not removed (see above). When cognitive psychologists began to study the comprehension of discourse (usually stories), more attention was focused on the structure and meaning of texts. But the main concem was comprehension, and the act of production still remained out of focus, treated either as a source of accurate statements about what people understand or remember, or as some Operation running much like comprehension, only in reverse. Among all the factors that influence text production, only the effects of prior comprehension received widerspread consideration. Even the excellent work of Kintsch and van Dijk (1978, 1983), though largely a new exploration the best I know of in this field - and free from the formalism of van Dijk's earlier work (cf. van Dijk 1972; van Dijk et al. 1972), reached text production by the route of text comprehension. So far, then, the status of a text production in regard to experimental evidence may be hardly more secure than the status of linguistic data as text. In both cases, the problem is much the same: the prevailing expediencies of theory and method decide which manifestations of language are relevant for investigation, and what criteria they should fit. Researchers have been hesitant to propose general models showing how these manifestations correspond to presumed activities of production as a whole. This reluctance was hardly surprising. Obviously, the open and openended qualities of text production make it risky to predict exactly what will be said (or written) in a given Situation, or to fully Interpret resulting texts in terms of a single theoretical model or formalism. Many Operations are too intricate and rapid to be consciously monitored and reported, e. g., memory searches for content or phrase pattems. Automatic processes can be fully monitored only by making them conscious and thereby posssibly changing their function. Or, the text producer might have an inaccurate Impression, or want to make processing appear more orderly than it is.

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Or, producing the report-text may add a special layer of Organization to the expcricnce, no matter how the research is designed. To circumvent such difficulties, some researchers build models by using a (more or less) logical task-analysis: given the total Output, how might a person go about producing a text? Answers to this question are govemed by the features or aspects the analyst is disposed to discover in the Output. For example, models like immediate constituent analysis suggest that putting words into binary structures should be the major operation; models like transformational grammar suggest that an abstract base stnicture is set up and then transformed and interpreted into a more concreto and elaborate one. In both cases, the main emphasis is placed upon the grammatical or syntactic structures that (as Pike and Hartmann stressed) linguists are so much better at discovering than ordinary text producers. Meanwhile, the general meaning and purpose of texts are downplayed because hnguists cannot agree about how to account for them, either by taxonomies or by rules. Despite such obvious drawbacks, alternative models have been infrequently proposed so far, and tend to be viewed with suspicion when they are. In addition to the sheer complexity and diversity of the activities involved, researchers are wary lest a model imply that established linguistic categories reflect an unduly specialized preoccupation with language rather than the general scope linguistics purports to have. I have thus argued for a compromise: to retain the theoretical notion of "linguistic levels" in our models but to define them in terms of processing rather than unit size (like Bloomfield) or part-whole relations (like Pike), and to justify the status of each level with empirical research indicating that the level can be dissociated under certain conditions, though it is not normally so in discourse. My own attempt to do so (Beaugrande 1984a) remains one of the few published so far; and has not been widely recognized as fundamentally different from task analysis. Within a future science of texts, we must openly confront the relation between language at large and linguistics, between normal discourse and linguistic metadiscourse. Prior work in linguistics can be reassessed as a specialized domain for producing texts about texts rather than a self-sufficient enterprise of detached Observation, analysis, and description (Beaugrande 1984b, 1987b, 1988a, 1988b, 1988c). In that perspective, the relation between text as "scientific discourse" and text as "scientific data" will always be highly problematic, because the conditions of production are in some ways clearly affected by scientific activities. If linguists do

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have an atypically high awareness of forms and structures, we should devote all the more attention to exploring how much agreement and reliability their results can claim as compared to ordinary text users; notorious cases include "zero elements" and "minus features" where ordinary people would see "nothing at all". Can we generalize then about the production conditions for both texts and for linguistic metatexts? At least three prospects seem plausible. The conditions for metatext production might be: (a) less complex than ordinary text production, because the linguist addresses only certain explicit aspects of language and abstracts away from others; (b) more complex than ordinary text production, because the linguist sees more features; or (c) complex in a novel way not direcdy comparable to ordinary text production, because linguistic discussions do not actually remove contexts, but create new and special contexts with a mode of complexity peculiar to them alone. I suspect that each of these three prospects is to some extent relevant. Although every science must be carried out to some extent in ordinary discourse with some special purpose modifications, the Situation of linguistics is unique in that its object, language, is potentially related to everything people might talk about under all possible contexts; and text linguistics collides with this problem head-on defining the text as a communicative event. It would be premature at this stage for text linguistics to declare in principle what factors are and are not relevant for the production of texts at large. We need the insights of other disciplines for any such task; and we need to organize textual data into empirically justifiable domains - not taxonomic "text types", but characteristic domains of communicative interaction. Only in this way can we resolve the impasse that led linguists to put texts at a distance in the first place: the fear that the quantity and diversity of data might undermine the unity of linguistic theory. Domains of discourse are undoubtedly numerous, and may not all be definable within any one set of unifying criteria. Situations of production may be subject to a ränge of additional transient factors, including limitations related to time, effort, energy, attention, empathy, solidarity, and so on. Yet we still have excellent grounds to believe that the production of texts is both systematic and reconstructable: people not only know what someone eise means, but how they themselves might have produced a similar text. Comprehension entails simulated production just as much as viceversa. And though different people do not say the same thing in a given Situation, at least not in any strict sense of the type Bloomfield and

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Chomsky would demand, they do say similar things; and the aspects that make these things similar must be reflected in out major concepts, instead of things we find easy to mark off in segments or to relate to movements of mouth and body. Text production may look chaotic because established linguistic categories do not guide us much in discovering its Organization. To Claim that text production is a matter, or has the goal, of "linking noun phrases with verb phrases to make sentences", for instance, is to miss the point; only a conventional linguist would even think to say so. Such a goal would apply only under rare circumstances, notably linguistic discussions, and even there only in the bracketing action of inventing samples. Otherwise, real oral discourse would have to be laboriously idealized into abstract sentence structures, and in the process, the original act of production fades away. If we were to be polemical in a Firthian style, we might proclaim a precarious trade-off: the more a description is organized in terms of conventional (systemic) linguist categories, the less it is suited to represent the actions of ordinary text production. Aside from the phonemic system, with its ultimate appeal to articulatory events keeping its abstractions implicitly dose to the activities of uttering language, most of the abstract systems have been imposed upon language by virtue of the transparency of their categories to linguists - and, perhaps, to linguists alone. In exchange, categories of text processing can be stated in the same way only at the price of roundabout or confusing extrapolations, idealizations and exclusions, e. g., to the effect that on some "level", text producers are "generating well-formed sentences" described by a formal model. I am often asked what role conventional linguistics might have in a new science of texts centred on processes of production and reception. Despite all the traditional polemics in linguistics, criticism of an approach should not be taken as a demand for abolishing it, but as an occasion to Step back from OUT familiar assumptions and methods, and see them from the outside. Accordingly, my proposal would be that conventional linguistics without prejudice as to schools, theories, and methods - be retained within text science, but explicitly situated within the larger issues of how people communicate about anything, including language. Despite all its past achievements, linguistics cannot accomplish this task with its own resources alone; but neither can the experiences gained from its enterprises be discounted in broader sciences of the future.

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Konrad Ehlich (Dortmund)

Zur Genese von Textformen Prolegomena zu einer pragmatischen Texttypologie Abstract: The aiticle discusses the categories 'text', 'text fwm' and 'text lypology' within the framework of a theory of linguistic action. "Text" is Seen as the answer to a specific deficit Situation in linguistic communication, i.e. its evanescence. The genesis of text forms is a Solution to the problem of keeping common knowledge present to group members across the borders of the individual. Written texts make up a second line of answering the same p'oblem.

0. Vorbemerkung Im folgenden wird der Versuch unternommen, einige für die Begriffe 'Text', 'Textform' und 'Texttypologie' zentrale Bestimmungen in einer Theorie des sprachlichen Handelns zu bezeichnen und ihren Zusammenhang zu erörtern. Dies geschieht, indem "Genese" systematisch, nicht bloß historisch verstanden wird (Abschnitt 1). Die Kennzeichnung des Artikels als "Prolegomena" ist dabei gleichfalls in einem theoretischen Sinn gemeint: erst die Ausführung in der konkreten Rekonstruktion der Texttypologien als Systematik von Textformen für einzelne Gruppen und Gesellschaften kann das, was hier in nahezu thesenhafter Form dargestellt ist, in seiner analytischen Berechtigung im einzelnen aufweisen; dies kann selbstverständlich nicht in der Form eines kurzen Artikels geschehen. 'Text' als Erscheinungsform von Sprache wird auf die Bedingungen und Erfordernisse sprachlichen Handelns bezogen, dessen Flüchtigkeit eine spezifische Problemkonstellation bietet (Abschnitt 2). Für einfachste sprachliche Tätigkeiten (Abschnitt 3) wie für komplexe sprachliche Handlungen (Abschnitt 4) verlangt sie geeignete Bearbeitungen. Die Einbindung von sprachlichem Handeln in andere Tätigkeiten (Empraxie, Abschnitt 5) überdeckt das Problem zunächst. Doch bereits bei allen die unmittelbare Sprechsituation übersteigenden sprachlichen Handlungen wird seine Bearbeitung unabweisbar (Abschnitt 6). Herausragende Qualität er-

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langt es insbesondere im generationsübergreifenden Wissenstransfer für die Kommunikation von Gruppen (Abschnitt 7). In der Überlieferung (Abschnitt 8) bildet sich der Text als Problemlösung neuer Art heraus, in dessen Formen ein sprachspezifisches Widerstandsmittel gegen das Vergessen gefunden wird (Abschnitt 9, 10). Archaische Poesie (Abschnitt 11), Ritus und Mythos (Abschnitt 12) sind Orte der Texte; besonderen gesellschaftlichen Teilgruppen obliegt deren Erhaltung (Abschnitt 13). Solche Textformen sind auf mündliche Texte bezogen; ihre Strukturen sind aus den Überlieferungszwecken abgeleitet (Abschnitt 14, 15). Eine Texttypologie im systematischen Sinn ergibt sich aus diesen pragmatischen Bestimmungen (Abschnitt 16). Die Herausbildung von Schriftlichkeit (Abschnitt 17), aus Visuahsierungserfordemissen heraus entwickelt (Abschnitt 18), bietet für die Typologie der mündlichen Texte und ihrer Formen eine - zunächst aufgrund ihrer formalen Kargheit kaum erhebliche - Konkurrenz (Abschnitt 19), die über Subsidiarität (Abschnitt 20, 21) erst allmählich zur eigentlichen Materialisierung von Text und Sprache in Texten führt (Abschnitt 22).

1. Genese Genese kann in einem bloß historischen Sinn verstanden werden. Durch die Koppelung von Geschichte an Schriftlichkeit ergibt sich so für ein weit verbreitetes wissenschaftliches Präsuppositionssystem eine beinahe tautologische Bestimmung von Text'und 'Geschichte': Geschichte ist das, wovon es Texte gibt, und die Gesamtheit der Texte "ist" die Geschichte. Diese Gleichungen unterstellen Text immer schon als schriftlichen und reduzieren damit seine Charakteristik in einer Weise, die einen sprachwissenschaftlichen Zugang von vornherein verstellt. Der stärkste Verbündete des Historikers in diesem Sinne ist der Philologe: der schriftliche Text ist die Basis seiner Existenz, wie die Quelle die raison d'etre des Historikers ist. Genese kann aber auch in einem systematischen Sinn verstanden werden. Ihre Rekonstruktion wird dann unternommen als Aufspüren der wesentlichen Bestimmungen dessen, was wird. Das Verhältnis dieser Art von Genese - nennen wir sie die systematische Genese zur historischen stellt sich als ein eigenes Problem dar. Die historische Genese kann der systematischen parallel oder doch ihr ähnlich verlaufen; die systematischen Bestimmungen können aber auch in einer zerfahrenen Zerstreutheit in die Wirklichkeit treten. Reflexionslose Empirie kollektioniert sie dann als inkommensurables Auseinander, das sich systematischer Analyse nicht nur sperrt, sondern sie a limine ausschließt.

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Wenn im folgenden von Genese gesprochen wird, so geht es um systematische Genese.

2. Flüchtigkeit Ein sprachwissenschaftlicher Zugang zum Text hat den Text als spezifisch sprachliche Kategorie aus der Struktur des sprachlichen Handelns zu entwickeln. Wie an anderer Stelle dargelegt, ergibt sich die wesentliche Bestimmung von Text aus einer spezifischen Defizienzstruktur des sprachlichen Handelns, die zunächst geradezu eine Bedingung seiner Möglichkeit ist: Sprachliches Handeln, an die akustische Dimension der Mündlichkeit geknüpft und sie für seine Zwecke funktionalisierend, ist flüchtig. Der Laut als das primäre Substrat sprachlichen Handelns vergeht in seiner Produktion. Diese Flüchtigkeit ermöglicht die Serialisierung der Differenz und damit die Artikulation. Die Serialisierung ist im Prinzip unbegrenzt. Das vergehend Produzierte, wesentliche Voraussetzung für die Bildung aller sprachlichen Einheiten, ermöglicht die Schnelligkeit sprachlichen Handelns. Diese Schnelligkeit ihrerseits ist für die Vermittlungsfunktion des Sprachlichen zur Aktionalität der Interaktanten ein fundamentales Kennzeichen. Der Nutzen des sprachlichen Handelns gegenüber anderem Handeln liegt nicht zuletzt in seiner räum- und zeitüberwindenden Qualität und in der Leichtigkeit, die ihr eignet. Ohne eine andere als die extrem "leichte Materialität" der Luft bewegen zu müssen, geschieht Veränderung.

3. Sprache Bereits für die einfachsten sprachlichen Formen, Prozeduren wie die Ostension oder die Exklamation, ergibt sich gerade aus der Flüchtigkeit des sprachlichen Handelns aber ein fundamentales Problem. Die Leistungsfähigkeit von Sprache ist an die Kombinatorik von Flüchtigem gebunden. Um überhaupt als Kombinatorik wiricsam und so wirklich zu sein, erfordert sie die weitere Präsenz des soeben Vergangenen. Diese Problematik kann lediglich mental verarbeitet werden, über die Speicherung des Vergangenen. Die Fähigkeit dazu liegt phylogenetisch wahrscheinlich dem Entstehen von Sprache voraus. Die Leistungen des Kurzzeitgedächtnisses sind in gewissem Umfang bereits entwickelt. Zugleich erfahren sie durch die Entwicklung von Sprache eine ungeheure qualitative Steigerung, wie Wygotski herausgestellt hat.

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Die Entwicklung sprachlicher Strukturen ist selbst ein erstes zentrales Mittel, um die Problematik der Flüchtigkeit der Laute zu bearbeiten. Sprachliche Strukturen sind formale Remedien für die Überwindung dieser Flüchtigkeit. Sie sind zu einem wesentlichen Teil spezifische Gestalten, die als solche vom Gedächtnis leicht rekogniszierbar sind und gespeichert werden können - und zwar durchaus bezogen auf das jeweils einzelne, in seiner beliebigen Vervielfachung mannigfaltige sprachliche Ereignis. Die Formen bieten sich dem sprachlich Handelnden dar, um den Widerspruch zwischen Flüchtigkeit und Präsenz nicht eklatieren zu lassen. Sprache ist ein Ensemble von Bewegungsformen dieses Widerspruchs.

4. Sprechhandlungen In der Herausbildung komplexerer sprachlicher Tätigkeiten repetiert sich diese Bestimmung, und zwar - systematisch gesehen - auf einer höheren Stufe. Die Basiseinheit für entwickeltes sprachliches Handeln, die Sprechhandlung, ist ihrerseits eine derartige Form. Sie erhält ihre Strukturierung als jeweils spezifische konkrete Vermittlung unterschiedlicher in sie eingehender sprachlicher Akte und Prozeduren, die von Sprache als Ensemble von Formen jeweils einen besonderen Gebrauch machen. Alle diese Formen bleiben auf die Leistung des Kurzzeitgedächtnisses bezogen. Als Formen der Bearbeitung des Elementarwiderspruches von Sprache wiederholen sie ihn: auch i e Sprechhandlung als ganze bleibt flüchtig. Sie findet ihre Grenze an den Grenzen des Gedächtnisses. Deshalb ist die Bearbeitung von Rupturen in der Herstellung einer jeweiligen konkreten Formeinheit für das mündliche sprachliche Handeln so wichtig. Die oft als bloße "Signale" verstandenen sprachlichen Äußerungen vom Typ "äh" usw. tragen viel zur Erreichung der Formeinheit, zu ihrer sich selbst erfüllenden Prozessierung bei. Die Gefahr des Zusammenbruchs von Kommunikation beim Ausbleiben dieser Einheit realisiert sich - in Übereinstimmung mit der Schnelligkeit der sprachlichen Tätigkeit - schnell und direkt. Der scheinbar ungeduldige Hörer, der sich von der die Form nicht erfüllenden sprachlichen Produktion abwendet, indem er die Kontinuität der Kommunikation aufgibt, bearbeitet ein zentrales Problem seiner psychischen Apparate, die eine jeweilige Neuorientierung in kürzesten Abständen schon aus biologischen Gründen kaum umgehbar machen.

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5. Empraxie Die Begrenzung der Sprechhandlungen, die mit ihrer Flüchtigkeit gegeben ist, ist für zahlreiche Handlungszusammenhänge unproblematisch. Dies gilt vor allem für die Empraxie, die für einen Großteil der Sprechhandlungen kennzeichnend ist. Nicht nur die phatischen Handlungen, sondern auch Handlungen wie Warnungen, Aufforderungen, wie Assertionen und Fragen oder Begründungen sind empraktisch in die jeweiligen Handlungsabläufe eingebunden. Ihre Zwecke verstehen sich aus der Empraxie, ihre formalen Kennzeichen setzen sich in interaktionale Qualität um. Dies gilt insbesondere für die zuletzt genannten {Frage, Begründungen), die direkt der Bearbeitung von Wissen bzw. von mentalen Teilsystemen dienen.

6. Situations-Transzendenz Für einige Sprechhandlungstypen, z.B. das Versprechen, ist freilich durchaus charakteristisch, daß sie geeignet sind, auch längere zeitliche Distanzen zu überbrücken. Ähnliches gilt zum Teil auch für Assertionen. Sie führen im Langzeitgedächtnis zu Veränderungen des jeweiligen mentalen status quo ante und sind für die Herstellung solcher Veränderungen entwickelt. Das Versprechen ist über den Zweck dieses Musters ausgelegt auf seine Komplementärfunktion zu einer Handlung, die "jetzt nicht, aber dann" erfolgt. Würde dann, wenn das "dann" zum "jetzt" wird, diese Komplementärhandlung nicht mehr mental präsent gehalten werden, so wäre der Zweck nie erreichbar und die sprachliche Handlung nichtig. Diese die Situation ihrer Realisierung übersteigende Qualität einzelner sprachlicher Handlungstypen bezieht sich auf die jeweiligen Inhalte, also primär auf die propositionalen Akte oder Teile von ihnen bzw. auf Verarbeitungsprodukte, die vom Hörer mental hergestellt werden. Der Hörer erarbeitet sich also gleichsam ein Kondensat der propositionalen Gehalte, soweit das Objekt des sprachlichen Handelns in seiner Einzelheit betroffen ist. Das sprachliche Handlungsmuster hingegen als Form des sprachlichen Handelns bietet ihm - wie dem Sprecher - eine Möglichkeit der Transzendenz über die Sprechsituation als Zeit-Raum des Ereignetseins der sprachlichen Handlung hinaus.

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7. Erfahrungsverluste Mit dieser Struktur ist das Übergangsmoment entwickelt, das die - systematisch gesehen - nächste Phase in der Bearbeitung des Widerspruchs von Flüchtigkeit und Kontinuität im sprachlichen Handeln bildet. Es zeigt sich hier, im Übersteigen der Sprechsituation, zugleich die Möglichkeit der Herauslösung des sprachlichen Handelns aus der empraktischen Dimension in ihrer Unmittelbarkeit. Wohlgemerict, bei den genannten Typen des sprachlichen Handelns ist diese Herauslösung noch nicht vollzogen. Es bedarf weiterer Handlungserfordemisse, damit sie realisiert werden kann. Solche Erfordernisse ergeben sich spätestens dort, wo die Grenze des Gedächtnisses der Aktanten physisch erreicht wird: in deren Tod. Der Tod der einzelnen Aktanten vernichtet - neben den Möglichkeiten der Aktion und des sprachlichen Handelns - auch die Kontinuität dessen, was im Langzeitgedächtnis niedergelegt war. Der Tod vernichtet das Bewußtsein der einzelnen und bietet eine scheinbar unüberwindbare Schranke für die Weitergabe von Erfahrung. Diese freilich ist für die Gattung des Menschen nicht zuletzt deshalb (über)lebenswichtig, weil ihre Aktionen in einem akzelerierten Ausmaß die Welt der Aktanten eingreifend verändern. Die Speichermöglichkeiten, die anderen komplexen Organismen eignen, reichen dafür nicht mehr aus. Das interaktionale Handlungsmittel Sprache gewinnt für diese biologische Problemlösung eine neue Qualität. Sprache wird zum Medium des Wissenstransfers über die Grenzen der Tode der einzelnen Aktanten hinaus. Hier nun ist die Flüchtigkeit des sprachlichen Handelns von fatalen Folgen, und die Überwindung von Flüchtigkeit erweist sich als Bedingung des Überlebens. Die Erfahrung kann zu Teilen in der Empraxie und aus ihr jeweils neu konstituien werden. Für zentrale Wissensbestände, die Generationen übergreifende Erfahrungen umfassen, gilt das jedoch nicht. Offenbar ist die Bearbeitung der Generationenfolge selbst ein in Jahrtausenden entwickelter Bereich, in dem die Flüchtigkeit sprachlichen Handelns überwunden wird: Die Herausbildung komplexer Genealogien in ihren ethnographisch unterschiedlichen Formen bildet ein erstes zentrales Ergebnis einer sprachlichen und nur sprachlichen Verfaßtheit von Wissensbeständen, die die Radikalisierung der Flüchtigkeit von Sprache und Wissen

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übersteigen. Andere sind ihnen parallel, z.B. geographische oder solche der Kenntnis von "geheimen Kräften" in Pflanzen und Tieren, in Himmel und Erde.

8. Überlieferung All derartiges Wissen kann zwar "re-empraktiviert" werden - es geht aber in keiner Empraxie auf. Dies macht es erforderlich, eine qualitativ neue Form für das Wissen zu erarbeiten. Sie ist bezogen auf eine qualitativ neue Form des sprachlichen Handelns, nämlich die Überlieferung. Das Überliefern radikalisiert die Problematik, die allem sprachlichen Handeln inhärent ist. Es geht gegen dessen Flüchtigkeit an, und zwar auf einer neuen Stufe. Denn selbstverständlich könnte man auch die Weitergabe von Sprache als solcher bereits als Überlieferung verstehen. Doch würde dadurch die qualitative Differenz dessen, was hier Überliefern genannt wird, zur Kontinuität in der ontogenetischen Aneignung der sprachlichen Inventare übersehen. Diese werden nämlich ihrerseits in einer Empraxie eigener Art weitergegeben: die sprachliche Praxis ist die Voraussetzung für ihre Kontinuität, und diese Voraussetzung aktualisiert sich in der Kontinuität der jeweils einzelnen sprachlichen Handlung. Der ontogenetische Erwerb von Sprache setzt sein Resultat immer schon voraus, und das Erreichen dieses Resultates ist die Bedingung für die Kontinuität der sprachlichen Formen selbst. Die sprachliche Praxis bildet also die Empraxie für die sprachliche Praxis. Anders bei der Überlieferung. Die Überlieferung ist nicht selbst-verständlich, wie es die Weitergabe von Sprache ist. Die Überlieferung ist eine spezifische Veranstaltung der sprechenden Gruppe gegen die Bedrohung ihrer Identität. Die Überlieferung bearbeitet die permanente Bedrohung der gruppenspezifischen Erfahrungsakkumulation durch das Vergessen, eine Bedrohung, die sich gerade dort am schärfsten aktualisiert, wo der Wissenserhalt am wichtigsten ist. Diese Bearbeitung erfordert eine qualitativ neue Form. Diese qualitativ neue Form ist der Text. Der Text ist das Mittel des sprachlichen Handeins zur Überwindung von dessen Flüchtigkeit.

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9. Die zerdehnte Sprechsituation Die Überwindung von Flüchtigkeit im sprachlichen Handeln wird dort klar herausgearbeitet, wo die einzelne Sprechsituation überstiegen und die sprachliche Produktion von ihrer Rezeption systematisch getrennt wird. Das Ergebnis dieses Prozesses ist die zerdehnte Sprechsituation. Der Text ist die Vermittlung der ohne ihn ins Nichts des Vergessens fallenden disparaten Teile von Wissensproduktion und Wissensrezeption. Das gruppenkonstitutive Wissen geht in keiner Empraxie auf. Seine Tradierung aktualisiert sich in einer Reihe von solchen zerdehnten Sprechsituationen. Deren wichtigste sind die die Generationen übergreifenden. Die Aufgabe der Tradition ist von äußerster Komplexität, bezogen auf die Herauslösung aus den Selbstverständlichkeiten einer sprachlichen Praxis und auf die Selbstverständlichkeiten eines sich in der Empraxie selbst reproduzierenden Wissens. Ohne die vorgängige Entwicklung des Mittels der Sprache wäre eine Lösung dieser Aufgabe kaum auch nur vorstellbar. Doch, wie gesagt, Sprache allein reicht in ihrer systematischen Verfaßtheit noch nicht aus. Vielmehr erfordert das sprachliche Handeln in zerdehnten Sprechsituationen die Herausbildung neuer Strukturen für dieses Handeln. Es sind dies die Strukturen der Texte, die Textformen.

10. Textformen Textformen sind also keineswegs beliebige Arrangements sprachlicher Versatzstücke. Ihre Strukturen sind vielmehr aus den Zwecken der Handelnden heraus zu verstehen - wie sie für diese entwickelt wurden. Textformen haben ihre primäre Aufgabe zunächst darin, die Bearbeitung des Vergessens innerhalb der Gruppe der sprachlich Handelnden für die gruppenkonstituierenden Wissensbestände zu ermöglichen. Dies bedeutet vor allem, daß Textformen eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der individuellen Gedächtnisse zustandezubringen haben. Um dieses Ziel zu erreichen, macht die Entwicklung von Textformen systematischen Gebrauch von all den in der Sprache bereits entwickelten Strukturkennzeichen. Alle Aspekte von Sprache können für die Genese von Textformen eingesetzt werden. So kann etwa der komplexe phonologische Bereich für die memorierende Tätigkeit in seinen unterschiedlichen Dimensionen funktionalisiert werden. Es können aber auch konzeptuell-wortbezogene Vernetzungen, semantische Felder oder gedanklich bereits eingeschriebene Komplexe eine neue, sekundäre Funktion erhalten.

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11. Poesie Die sprachliche Praxis, in der dies geschieht, ist die archaische Poesie. Die Textformen, die für die gruppenstiftenden Wissensbestände von primärer Bedeutung sind, sind also zunächst solche der Poesie. (Dabei ist von den Assoziationen, die sich mit Poesie heute verbinden, weitestgehend abzusehen. Die Poesie im hier genannten Sinn hat eine konstitutive, nicht, wie heute weithin, eine periphere Funktion.) Die eben genannten möglichen Dimensionen, die für die Herstellung von Textformen eingesetzt werden, lassen deuüich eine systematische Zweiteilung erkennen, die eine Grundtypologie der poetischen Produktion und damit eine Grundtypologie von Textformen ergibt: Poesie semantische Strukturen

parallelismus membrorum

phonoiogische Strukturen

Reim

Rhythmik

Modulation

Abb. 1

Die Schwierigkeit in der Bewältigung der gestellten Aufgabe erfordert zudem den Rückgriff' auf eine weitere Problemlösung: Das sprachliche Handeln, das der Genese der Textformen vorausliegt, war charakterisiert worden als sprechsituativ und empraktisch eingebundenes Handeln:

12. Ritus Diese Charakteristik vollends zu verlassen, hätte die erforderliche Problemlösung zu einem Abstraktionsgrad verpflichtet, der nicht erreichbar gewesen wäre. So ist es nicht erstaunlich, daß die vorausliegende Bestimmung des sprachlichen Handelns auch für die Erarbeitung der Textformen seine bleibende Relevanz behielt - indem sie in der Praxis des sprachlichen Handelns in zeidehnten Sprechsituationen hergestellt wurde. Dies geschah durch die Herausbildung künstlicher Empraxien. Diese künstiichen Empraxien sind die Riten. Die Traditionsweitergabe der gruppen-

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konstitutiven Wissensbestände wird eingebunden in eine neue Praxis, die selbst im Traditionsprozeß als solchem erst herausgebildet wird. Dadurch ist die Möglichkeit der Anknüpfung an den ontogenetisch vermittelten Kennzeichen des sprachlichen Handelns gewährleistet. Die Textformen zur Tradierung des gruppenkonstitutiven Wissens, deren Formbestimmtheit die von Poesie im systematischen Sinn ist, entfalten sich als Formen des Mythos. Mythos und Ritus haben also eine keinesfalls äußerliche, sie haben vielmehr eine wesentliche Beziehung im Horizont der Genese von Textformen miteinander gemein. Mit der künsüichen Empraxie des Ritus wird den Prozessen der Überlieferung das erforderliche Gewicht im sozialen Leben der die Überlieferung tragenden Gruppen gegeben. Diese gesellschaftliche Praxis macht das Wissen in mehr sinnlichen Dimensionen zugänglich als der für die Sprache primär kennzeichnenden akustischen. Die Exekutierung des Ritus agiert das Wissen und verdoppelt den Mythos zur unmittelbaren Sinnlichkeit.

13. Textgaranten Sobald das gruppenkonstitutive Wissen eine gewisse Komplexität erreicht, schließt sich an diese Verobjektivierung eine zweite an, die im eigentlichen Sinn eine Versubjektivierung ist: Das Wissen wird in der Person eines oder einiger Mitglieder der Gruppe sozusagen inkorporiert, dem Schamanen oder dem Priester. Diese Aktanten, von der Gruppe unterhalten und von anderen Tätigkeiten der gesellschaftlichen Reproduktion (jedenfalls teilweise) freigesetzt, werden zu den Repräsentanten und Garanten der Texte. Eine wissensbezogene Arbeitsteilung bildet sich heraus. Die Wissensrepräsentanten werden zu Spezialisten für die Textformen dies freilich nicht in dem Sinn von deren beliebiger Vermehrung oder Modifizierung, sondern im Sinn ihrer Perpetuierung und immer neuen rituellen Applikation.

14. Mündlichkeit Textformen, die in dieser Phase entstehen und praktiziert werden, sind durchgehend mündlich; ja, sie ergeben sich gerade aus der mündlichen Medialität des sprachlichen Handlungsproblems "Überiieferung".

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Die Strukturen der Textformen leiten sich aus den Überlieferungszwekken ab. Die Verzahnung der Textformen mit den Formen des Ritus als ihrer künstlichen Empraxie verstärkt das, was die Formen in sich selbst leisten: Bewältigung der Flüchtigkeit sprachlichen Handelns und des im sprachlichen Handeln allein präsentivierbaren Wissens.

15. Überformungen Auch in die Praxis der Texte und damit in ihre Formbestimmungen gehen einfachere sprachliche Handlungen ein. Die Zweckbestimmungen, die die Form dieser sprachlichen Handlung aus sich herausgesetzt haben, sind dafür auf die neuen Zwecke der Texte zu beziehen. Dies drückt sich darin aus, daß die Formen der sprachlichen Handlungen überformt werden. Die bloße Addition anderer, einfacherer sprachlicher Handlungsformen reicht für die Zwecke der Überlieferung nicht aus - und zwar gerade deshalb, weil die empraktischen Einbindungen der sprechsituativen Situierung für die Zwecke der Überlieferung fehlen. Die Einzelheiten der Textgenese - Gegenstand der empirischen diachronen und synchronen Ethnographie - entfalten sich in der Gattungsgeschichte vielfältig und differenziert, bis hin zu einer weitgehenden Inkommensurabilität für den "ersten Blick"; die grundlegenden Bestimmungen hingegen erweisen sich als ein Problemfeld, das in den verschiedenen Gruppen und Kulturen offenbar ähnlich aufgetaucht ist und ähnlich bearbeitet wurde.

16. Typologien So, wie eine differenzierte Typologie von Sprachen die Strukturbestimmung einer einzelnen Sprache als das Ergebnis einer Reihe von Problemlösungsverfahren in ihrer wechselseitigen Determination füreinander zu bestimmen hätte, wäre eine systematische Texttypologie auf der Grundlage der herausgearbeiteten Bestimmungen möglich und erforderlich. Die in Abbildung 1 angezeigten Alternativen bilden für die Textgenese und ihre systematische Analyse fundamentale Strukturentscheidungen, die die konkrete Genese der Textformen ebenso bestimmen, wie ihr kombinatorisches Verhältnis eine Vielzahl von typologischen Komplexionen ermöglicht.

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17. Schriftlichkeit Das, was bisher dargestellt wurde, läßt sich auf eine Grundannahme heutiger Textverständnisse nicht ein: die Koppelung von Text und Schrifdichkeit. Gründe für die Notwendigkeit der Annahme mündlicher Texte wurden oben im einzelnen angegeben. Selbstverständlich hat aber die Koppelung von Text und Schriftlichkeit für das heutige Bewußtsein ihr fundamentum in re: Texte präsentieren sich heute im wesentlichen als schriftliche und, was schwerer wiegt, mündliche Texte sind in Gesellschaften wie der unseren kaum noch existent. Dort, wo sie eine Rolle spielen, stehen ihnen nahezu immer schriftliche Texte auxiliar bzw. subsidiär zur Seite. Die Reaktualisierung des mündlichen Textes ist so im allgemeinen nur noch Vermündlichung von Schriftlichem. Dies betrifft alle institutionellen Bereiche, vom Gericht zur Schule, vom Theater zu denen der Religion. Wie ist es zu dieser dramatischen Veränderung im Blick auf die Texte gekommen?

18. Visualität Die Prozesse, die zu den heutigen Verhältnissen geführt haben, sind komplex, und sie weisen eine paradoxe Struktur auf: Die Schriftlichkeit hat sich - jedenfalls im vorderorientalisch-europäischen Bereich - ausgesprochen als ein besonderes Verfahren von Überlieferung herausgebildet. Dieser Prozeß, durch die archäologischen Funde von den Zählsteinen bis zur entwickelten Keilschrift und dem Alphabet relativ gut rekonstruierbar, nimmt seinen Ausgangspunkt bei eben jenen Bereichen des sprachlichen Handelns, die jenseits der fundamentalen gruppenspezifischen Wissensbestände an der Repetitivität spezifischer sprachlicher Handlungen anknüpfen. Die Aufbewahrung von Wissen in bezug auf einzelne, zählbare und damit, systematisch gesehen, beliebige Ereignisse oder Sachverhalte bedurfte lange keinerlei spezifischer Aufbewahrung über die einfache Gedächmisleistung deijenigen Aktanten hinaus, zu deren Erfahrungsbereich sie gehörten. Erst die Entfaltung einer austauschenden Ökonomie mit rudimentärem Mehrprodukt und dessen Aneignung führte in den sich entwickelnden Stadtstaaten zum Erfordernis einer elementaren Buchführung. Sie setzte Visualisierungen des Merkbaren voraus und erhob damit die Visualität vorgängiger Merkzeichen als stein- oder baumgewordener Anlässe für die Aktualisierung mündlicher Texte auf eine qualitativ neue Stufe, indem sie ihr einen Bereich des Wissens und des darauf bezogenen sprachlichen Handelns zugänglich machte, der zuvor

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für die Handelnden keinen Zweck hatte oder auch nur hätte haben können.

19. Mediale Konkurrenz Visualisierung von Sachen und Visualisierung von Sprache stellen dabei zwei wesentlich voneinander verschiedene Phasen der Entwicklung dar. Erst, wenn Sprache visualisierungsfähig wird, gewinnt Visualisierung, also Schrift, Relevanz für die Genese von Textformen. Die ersten und lange Zeit einzigen Formen für diesen Bereich zeichnen sich durch ihre formale Dürftigkeit aus. Die Kargheit der Zahlen und der einfachen Prädikationen, in die Reihung simpler Assertionen gefaßt, steht im Ergebnis so einer reich entwickelten Welt mündlicher Textformen gegenüber. Für die zentralen Überlieferungszwecke, denen die mündlichen Textformen dienen, erweist sich das neue Überlieferungsmittel als ebenso ungeeignet, wie jene den Zwecken der ephemeren Überlieferung im Quittungswesen gegenüber gleichgültig sind. Auf zwei Wegen ist also das, was überlieferungsfähig ist, überliefert worden: Während die primären Bereiche der schriftlichen Texte der Empraxie, und zwar einer sehr spezifischen Empraxie, zunächst bleibend verbunden sind, sind die mündlichen Texte über die künstlichen Empraxien aus der alltäglichen Praxis herausgehoben und von ihr abgesondert. Die Doppelgleisigkeit der Entwicklung führt zu jeweils ganz anderen Textformen. In ihrem Reichtum bzw. in ihrer Wirklichkeit sind diese Formen ebenso voneinander geschieden, wie es die Funktionsberciche der sprachlich Handelnden füreinander bleiben. Die Tradition der Tradition und ihrer Mittel hat somit einen jeweils spezifischen Weg vor sich. Es bedarf besonderer Umstände, daß beide Wege sich überhaupt miteinander berühren.

20. Subsidiarität Eine naheliegende Weise, in der die entwickelten schriftlichen Formen sich der reichen Welt mündlicher Textformen annähern können, ist die Subsidiarität. Schriftliche Verfahren werden eingesetzt als Mittel der Mnemotechnik für die mündlichen: eine Mnemotechnik also für eine Mnemotechnik.Ein Bedarf hierfür entsteht insbesondere dort, wo die entwickelte Mündlichkeit in die Krise gerät. Dies kann exemplarisch dann

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der Fall sein, wenn die Gruppenidentität einer Gruppe mit der einer anderen so konfrontiert wird, daß das Ausagieren der Grenze als Grenze nicht ausreicht. Indem - auf die eine oder die andere Weise - eine Gruppe sich mit einer anderen vereint, ohne daß dabei eine von ihnen verloren geht, ergibt sich die Notwendigkeit, die Wissensbestände beider zueinander in Beziehung zu setzen. Geschieht dies unter den Bedingungen einer bestehenden Schriftlichkeit, so kann die schriftliche Niederlegung der in die Krise geratenen Traditionsbestände ein Mittel darstellen, sich ihrer in einer Weise zu vergewissem, die die durch Textformen mündlicher Tradition abgesicherte Kontinuität übersteigt. Eine Situation, in der ein solches Erfordernis auftritt, ist die Zusammenfassung von Gruppen zu größeren soziologischen Einheiten - eben das also, was für die Herausbildung von Schriftlichkeit gleichfalls die Voraussetzung war: komplexe gesellschaftiiche Agglomerationen, wie sie in den frühen Stadtstaaten sich realisierten. Eine andere solche Situation ist die einer entwickelten Zweisprachigkeit, wie sie im sumerisch-akkadischen Bereich für Jahrhunderte der Fall war.

21. Mechanische Verschriftlichung Im Stadium der subsidiären Schriftiichkeit ist die Formgenese gering. Es sind die rein mechanischen Umsetzungen akustisch vermittelbarer Traditionsbestände in deren Visualisierung, die hier bestimmend sind. Die künstlichen Empraxien wie die mündlichen Textformen bleiben von dieser mechanischen Verschriftlichung unberührt. Diese Jahrhunderte dauernde Parallelität ist ein Stadium der formgenetischen Stagnation. Es ist zu vermuten, daß gerade die grundlegenden gesellschafüichen Umwälzungen einerseits die allmähliche Krise der mündlichen Textformen heraufführen - indem der Ritus tendenziell dysfunktional, mit den neuen gesellschaftlichen Entwicklungen diskordant wird -, daß andererseits die Dürftigkeit der schriftlichen Texte aufgrund der Besonderheit ihrer funktionalen Einbindung bis äußerstenfalls hin zur Subsidiarität die Umsetzung der fundamentalen Überiieferungsprozesse in das neue Medium in dieser Phase kaum recht von der Stelle kommen lassen. Jedenfalls für den vorderorientalisch-europäischen Kulturbereich ist es erst die prinzipiell nächste systematische Stufe, die zur Auflösung des vergleichsweise prekären Gleichgewichts führte; sie ist erst mit der Herausbildung der sogenannten "Buchreligionen" erreicht. Die Buchreligio-

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nen ihrerseits bleiben freilich weithin gekennzeichnet durch die Bindung an den Formenreichtum mündlicher Traditionen.

22. Text-Materialität Die allmähliche Herausbildung von neuen schriftlichen Formen, die langsam die Dürftigkeit der Anfänge dieses Mediums überwinden, bedarf nicht zuletzt der gesellschaftlichen Umstrukturierungen, die eine produktive Formentfaltung im neuen Medium nahelegen, ja erfordern. Im schriftlichen Medium wird der Text unmittelbar materiell. Seine Herauslösung aus der zerdehnten Sprechsituation wird greifbar. Kleinformen wie der Änef, Lapidarformen wie das ins semiotische System der Architektur einbezogene Inschrifienv/csm bilden wichtige Etappen des Übergangs. Eine Formgeschichte, die diesen komplexen Übergangsprozessen sowie der endlichen Herausbildung eines Kosmos schriftlicher Textformen die erforderliche Aufmerksamkeit schenkte, ist meines Wissens für nahezu alle, wenn nicht für alle Kulturbereiche ein Desiderat, zu dem wir bisher günstigstenfalls über umfangreichere Fragmente verfügen.

Die hier vorgetragenen Überlegungen setzen eine Reihe von Einzelstudien fort, die an anderer Stelle publiziert wurden, und versuchen, deren inneren Zusammenhang zu verdeutlichen. Sie berühren sich mit Arbeiten, wie sie in den letzten Jahren zunehmend in der deutschen Linguistik entstanden sind, die sich verstärkt den Problemen der Schrifüichkeit zuwendet. Insbesondere die Forschungen von F. Coulmas, M. Giesecke, H. Glück, H. Günther und O. Ludwig wären hier zu nennen. Der allgemeinere ethnologische und historische Hintergrund bezieht sich vor allem auf den vorderorientalischen Bereich und die reiche form- und traditionsgeschichtliche Literatur, die dafür vorliegt. Zum europäischen Problembereich sind besonders die in der von P. Goetsch, W. Raible, H.-R. Roemer und H. Rix herausgegebenen Reihe "ScriptOralia" erscheinenden Arbeiten heranzuziehen. Bei den eigenen Arbeiten, die hier vorausgesetzt sind, handelt es sich vor allem um die im folgenden aufgeführten (sie enthalten im übrigen eine Reihe von Einzelnachweisen und weiterführenden Hinweisen zu den Phänomenbereichen, auf die in den obigen "Prolegomena" nur indirekt Bezug genommen werden konnte):

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(1979)

(1980) (1982) (1983) (1983a)

(1984)

(1986)

(1986a)

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Sprachliche Handlungsmuster (zus. mit J. Rehbein); in: H.-G. Soeffner (Hg.) Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften, Stuttgart: Metzler, 243-274. Schriftentwicklung als gesellschaftliches ftoblemlösen; in: Zeitschrift für Semiotik 2, 335-359. Tekst over "Tekst"; in: Openbare Redes. Tilburg Studies in Language and Literature 3. Tilburg: KHT, 5-34. Writing Ancillary to Telling; in: Journal of Pragmatics 7,495506. Text und sprachliches Handeln. Die Entstehung von Texten aus dem Bedürfnis nach Überlieferung; in: A. und J. Assmann, Chr. Hardmeier (Hgg.) Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation, München: Fink, 24-43. Zum Textbegriff; in: A. Rothkegel, B. Sandig (Hgg.), Text Textsorten - Semantik. Linguistische Modelle und maschinelle Verfahren, Hamburg: Buske, 9-25. Die Entwicklung von Kommunikationstypologien und die Formbestimmtheit sprachlichen Handelns; in: W. Kallmeyer (Hg.) Kommunikationstypologien. Düsseldorf: Schwann, 47-72. Funktional-pragmatische Kommunikationsanalyse - Ziele und Verfahren; in: W. Härtung (Hg.) Untersuchungen zur Kommunikation - Ergebnisse und Perspektiven. Berlin: Akademie, 15-40.

Norbert Gutenberg (Saarbrücken)

Sprechwissenschaftliche Aspekte des Schreibens Ein Überblick über Forschungsfragen In memoriam Christian Winkler Abstract: The first part of this paper gives reasons why writing/written communication is a subject of speech communication: 1) systematic: the mutual influence of oral and written communication in the age of written cultute tums writing into a speech communication subject if this discipline aims at the entirety of speaking; a) historical: the history of rhetorics is pointed out in relation to oral and written communication and the development of similar discipiines in other countries (taalbeheersing in the Netheriands, speech communication in the USA). Parts 2-4 attempt to present possible problems conceming the interrelation between oral and written language in the field of speech communication: - elementary processes - rhetorical communication and its didactics - aesthetical communication and its didactics - disorders in oral communication/speech therapy. The paper closes by pointing out bodcs and training programs aiming at an improvement of oral communication. How are they written, how should they be written? The paper intends to show writing as a necessary field of study for speech communication and at the same time give Stimuli for its linguistic research from a speech communication point of view.

"Ist sie aber einmal geschrieben, so schweift auch überall jede Rede gleichermaßen unter denen umher, die sie verstehen, und unter denen, für die sie nicht gehört, und versteht nicht, zu wem sie reden soll und zu wem nicht." (Piaton, Phaidros, 275e)

1. Schreiben als sprechwissenschaftlicher Gegenstand Sprechwissenschaft ist die Theorie der mündlichen Kommunikation (Geißner 1981). Sie hat "im Gespräch ihren prototypischen Gegenstand" (Geißner 1981:12): Sie ist die "Disziplin, die auf die Totalität des Sprechensreflektiert" (Gutenberg 1986:152).

SjHwhwissenschaftliche Aspekte des Schreibens

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Was hat Sprechwissenschaft dann mit dem Schreiben zu schaffen? Welche sprechwissenschaftlichen Aspekte des Schreibens kann es geben? Diese Frage ist umso berechtigter, als ein Blick in die Fachgeschichte zeigt, daß die frühen sprechkundlichen Bemühungen, einen eigenen Forschungsgegenstand zu konstituieren, auf den Versuch hinauslaufen, das Fach als die von Saussure postulierte Parole-Linguistik darzustellen (Gutenberg 1981:181-194). Dies ist nicht nur als der Versuch zu werten, Sprechkunde/Sprechwissenschaft als die parole-linguistische Ergänzung der Saussureschen Langue-Linguistik aufzubauen, sondern immer auch als ein Abgrenzungsversuch, als eine Negation des immer steriler werdenden strukturalistischen Konzepts von Sprache. Aber gegen was wehrte sich eigentlich die ältere Sprechkunde so vehement mit ihrer z.T. emphatischen Akzentuierung der "einmalig-besonderen Sprechleistung" (Winkler 1969:28; ebenso Drach 1930: Sp. 1136)? Dies ist zu beantworten, wenn man einer Kritik Volosinovs (1975) an 'abstrakt-objektivistischen' wie auch an 'individualistisch-subjektivistischen' Sprachbegriffen folgt. Diese besteht nämlich darin, daß er offenlegt, welche reale Existenz von Sprache dieser Begriff voraussetzt. Er nennt also dasjenige Redegenre, denjenigen Typus sprachlicher Kommunikation, von dem diese Sprachbegriffe als Abstraktion angesehen weiden können, von dem sie auch selber einen heimlichen Begriff voraussetzen. Dieser Typus sprachlicher Kommunikation, zu dem also z.B. Saussures Sprachbegriff paßt, ist die "tote, schriftliche, fremde Sprache (Volosinov 1975:130), also Text aus der Vergangenheit in einer toten unbekannten Sprache; allerdings eine sehr entlegene, sehr spezielle Kommunikationsform, die auch nur durch das wissenschaftliche Interesse des Philologen (Volosinov 1975:134) zu dieser Kommunikationsform überhaupt wird!" (Gutenberg 1981:172). Die Problematik eines auf dieser Kommunikationsform basierenden Begriffs der sprachlichen Realität besteht in der Verabsolutierung einer entlegenen, verzerrten, abstrakten Ab-Art sprachlicher Kommunikation zur Existenzform der Sprache schlechthin. Die dem Saussureschen Sprachbegriff paradigmatisch zugrundeliegende Vorkommensweise von Sprache ist der "Text aus der Vergangenheit" als "abgeschlossene monologische Äußerung" (Gutenberg 1981:173). Dieses Paradigma gilt auch für alle anderen strukturalistischen 'Linguistiken', was dazu geführt hat, gesprochene Sprache vom Regelsystem der geschriebenen her begreifen zu wollen. Auch nach der 'pragmatischen Wende' hin zum 'Paradigma Gespräch' (vgl. Gutenberg 1981:97) ist noch in der linguistischen Gesprächsanalyse ein Festhalten am transkribierten Text, ein Das-Gespräch-von-der-Sprache-her-begreifen-Wollen zu beob-

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achten. Für die Sprechkunde/Sprechwissenschaft, die sich als Parole-Linguistik zu konstituieren versuchte, bedeutete dies implizit, daß Mündlichkeit derart akzentuiert wurde, daß die konkrete Bestimmtheit des Sprechens durch das Schreiben nicht mehr gesehen werden konnte. Die Einseitigkeit des vom Schriftparadigma geprägten Sprachbegriffs (trotz der von Saussure postulierten Priorität der gesprochenen Sprache) in der Philologie führt zur Einseitigkeit eines Begriffs vom Sprechen, der so zwar negativ vom Schreibparadigma selbst bestimmt war, aber explizit das Sprechen als das ganz andere des Schreibens konzipierte. So verkürzt in der Sprachwissenschaft der langue-linguistische Begriff der Sprache ist, so verkürzt ist auch der parole-linguistische des Sprechens in der Sprechkunde/Sprechwissenschaft. Dies hatte auch Auswirkungen auf die sprecherzieherischen Ansätze. So ist eine Grundtendenz sprecherzieherischer Arbeit, etwa im Felde rhetorischer Kommunikation, entsprechend immer mit der Maxime Vischers zu charakterisieren gewesen "Eine Rede ist keine Schreibe". Auf den ersten Blick klingt dies wie eine endgültige Abgrenzung sprecherzieherischer Ziele und mithin sprechwissenschaftlicher Fragestellungen von allem, was mit Schreiben auch nur entfernt zu tun hat. Genau besehen spiegelt diese Maxime jedoch ein höchst komplexes Wechselverhältnis von Sprechen und Schreiben wider. Wer so vehement betont, daß eine Rede eben keine Schreibe ist, muß drastisch erfahren haben, wie sehr im Zeitalter der Schrift alle Rede eben auch Schreibe ist, wie sehr Mündlichkeit durch Schriftlichkeit geprägt ist (vgl. Abschnitt 2). Dies bedeutet nichts weniger als daß das Nicht-Schreibe-Sein zwar Rede-Kriterium ist, aber nicht im Sinne einer abstrakten Negation. Vielmehr ist Mündlichkeit im Zeitalter der Schrift, besser gesagt des Buchdrucks, der Schreibmaschine und der Textverarbeitung zwar als Negation von Schriftlichkeit anzusehen, aber als konkrete Negation, als historisch notwendig gewordene Negation, die Schriftlichkeit eben immer auch in sich enthält, von ihr bestimmt ist, vom genuin Sprachlichen (Wortwahl und Satzbau) über den Sprechausdruck bis zur Verwendung von Geschriebenem beim Halten der Rede. So gesehen gehört zu einem vollständigen Begriff des Miteinandersprechens der Menschen seine historisch gewordene Beeinflussung durch die Jahrtausende alte Praxis des Schreibens. Der Hinweis auf den phylogenetischen, historischen und ontogenetischen Primat des Mündlichen darf dies nicht verleugnen. Will also Sprechwissenschaft die "Disziplin" sein, "die auf die Totalität des Sprechens reflektiert" (Gutenberg 1986:152), so muß sie das Schreiben mitreflektieren.

Sprechwissenschaftliche Aspekte des Schreibens

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Nimmt man dieses Postulat ernst, so müssen sämtliche sprechwissenschaftlichen Grundsatzüberlegungen, die das Verhältnis zwischen Sprechen und Schreiben als ein Verhältnis des unverbundenen Unterschieds begreifen, ergänzt werden um Reflexionen, die zwar den Gegensatz herausarbeiten, aber die konkrete wechselseitige Beeinflussung, eben die widersprüchliche Einheit von Sprechen und Schreiben genauer bestimmen. Damit ist nicht ausschließlich gemeint die Sprache als System, die nur ein - selber widersprüchliches - Element dieser Einheit bildet. Alle meist sprecherzieherischen - Arbeiten, die den negativen Einfluß geschriebener Sprache auf die mündliche Rede beklagen, sind dabei kritisch zu revidieren in dem Sinne, daß in den möglicherweise negativen Einflüssen des Schreibstils auf das Sprechen die konkrete historische Bestimmtheit des Sprechens durch das Schreiben herauspräpariert wird. So ist etwa die Bestimmung des Schreibens als einer Erscheinungsform der Sprache, "die historisch vom Sprechen abgeleitet ist, zunächst dort auftritt, wo Sprechen unmöglich ist, und Sprechen unter bestimmten Bedingungen auch ersetzt" (Gutenberg 1981:30), zu ergänzen. Zwar ist einerseits Schreiben bzw. besser "schriftliche Kommunikation", wenn nicht Schreiben rein technisch-operational verstanden werden soll (Gutenberg 1981:6), eine Form, die "logisch und historisch vom Sprechen her verstanden werden muß, deren Eigenarten also gerade als vom Sprechen verschiedene, seine Nachteile kompensierende verstanden werden" müssen (Gutenberg 1981:30), nämlich: Raum- und Zeitdistanzen überwindend, das Sprachwerk aus seiner transitorischen Existenz in Dauerhaftigkeit überführend, es so mehrfach verfügbar machend und in identischen Formulierungen vervielfältigend. Es wäre nun ausgesprochen naiv anzunehmen, die unterschiedlichen Stufen und Variationen der Entwicklung schriftlicher Kommunikation hätten das Sprechen unberührt gelassen. Damit ist nicht nur die Prägung des sprachlichen Regelwerks, der Grammatik, durch die Schreibpraxis gemeint, sondern auch die Einflüsse auf Gesprächs- und Redeformen, auf die Sprechdenk- und Hörverstehensprozesse, auf die Ontogenese der Kommunikation, auf die Lautungsnorm, auf die mündliche Kommunikation in den AV-Medien usw. Die bisherigen Überlegungen zielten vor allem in die Richtung, am Schreiben diejenige Dimension zu entdecken, die es zu einem die mündliche Kommunikation beeinflussenden Faktor macht. Sprechwissenschaftliche Konsequenz daraus kann nur sein, Schriftiichkeit als determinierende Größe von Mündlichkeit allgemein immer mitzureflektieren. Sprechen immer auch als epochen- und/oder individual-historisch konkrete Nega-

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tion schriftlicher Kommunikation zu verstehen. Sprechwissenschaft ist nicht nur anthropologisch gewendet Theorie der mündlichen Kommunikation überhaupt, historisch ist sie auch Theorie der mündlichen Kommunikation im Zeitalter der Schriftkultur. Über dieser Einsicht, die konkret dazu führt, über die 'Schreibgeprägtheit' unterschiedlichster Aspekte des Sprechens nachzudenken, sollte allerdings die umgekehrte Fragerichtung nicht vergessen werden: die Prägung des Schriftlichen durch das Mündliche. Dies wurde angesprochen mit der Funktionsbestimmung schriftlicher Kommunikation als spezifischer Ersatz für Sprechen. Im Rahmen dieser Fragerichtung geht es darum, wie genau welche sozialen Aufgaben des Miteinandersprechens durch Schreiben gelöst werden, wenn Sprechen unmöglich ist. Hier sind die Disziplinen, die das Schreiben erforschen, gefordert, sich sprechwissenschaftliche Ergebnisse anzueignen, um die mittelbare und unmittelbare Bestimmtheit des Schreibens durch das Sprechen begreifen zu können. Vor dem im Abschnitt 2 versuchten heuristischen Streifzug soll nun eine vorläufige systematische Zuordnung von Aspekten des Schreibens zur sprechwissenschaftlichen Gegenstandskonstitution erfolgen. Diese Zuordnung basiert auf einem aus Bühler (1934) entwickelten 'Funktionskreis', mit dem sich Objekte und Gegenstände der Sprechwissenschaft verorten lassen (s. Graphik 1). Die Zuordnung greift drei kategorielle Ebenen des Funktionskreises analog auf: I.Schreiben als Operation (vgl. Gutenberg 1981:233 und Gutenberg 1986:154f.) analog zu den Sprechoperationen auf der Ebene der somatischen und psychischen Elementarprozesse, die (analog zur mündlichen) schriftliche "Verwendungshandlung des Systems 'Langue'" (Gutenberg 1981:69). 2. Schreiben auf der Ebene der "Schreibhandlungstypen" (Gutenberg 1981:233), der Raum- und Zeitdistanz überwindenden, multiplikatorischen Prozesse schriftlicher Kommunikation, analog zu den Sprechhandlungstypen im Sinne von Formen der "Handlung durch Sprechen" (Gutenberg 1981:61), also Korrespondenz, wissenschaftliche Kontroverse in Zeitschriften etc. 3. Schreiben auf der Ebene von Sprachwerken, also Texten, SchriftStücken, geschriebenen Sprachwerken im Bühlerschen Sinne, also Briefe, Bücher, Flugblätter, die schriftlich fixierten Produkte der Prozesse schriftlicher Kommunikation unter (2), analog zu den gesprochenen Sprachwerken wie den Dichtungen der oral poetry, Sprichwörter, Tonbandbriefe etc. (vgl. Gutenberg 1981:231).

Sprechtoli gkeitstronszendente M u ster (soz.. psych., psychosoz.. phys.. sprochl. I

i

wissenschaftliche Rekonstruktion durch A n o l y s e - S y n t h e s e - P r o z e s s e

Sprechtötigkeitsmuster: c l l t ä g l i c h e s Lernen und Weiterentwickeln

Sprechhandlungsmuster ( M a k r o - u n d Mesoebene) Sprechoperationsmuster (Mikroebene)

Strukturmuster Muster zur Aktivierung der Strukturmuster: Objekte wiss. Untersuchung

(rhetorisierbare) Sprechoperations-" muster: Sprechdenk-und Hörverstehensmuster

= S c h a l l b i l d e r f ü r sprachliche und n i c h t s p r a c h l i c h e Muster

Sprechbewegungsmuster: (psycho)phys.

erinnert oder als dokumentierte Sprach werke

transitor

(der wahrnehmbaren Sprechereignisse und (ev.) ihrer Produkte)

Muster der physiol. Elementarprozesse

intentional sprachwerkproduzierende

empirische intersubjektive

• empirische i n t r a - s u b j e k t i v e

Sprechoperationen und -hondlungen •

• Sprechoperotionen und - h a n d l u n g e n

Graphik 1: s p r e c h w i s s e n s c h a f t l i c h e r F u n k t i o n s k r e i s (aus Gutenberg 1986:159)

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Die konkrete Bestimmung des Sprechens durch das Schreiben wie auch umgekehrt des Schreibens durch das Sprechen erscheint, bezogen auf den Funktionskreis, in Fragen wie: Welche wechselseitigen Dependenzen bestehen zwischen Schreib- und Sprechhandlungsmustem? Welche zwischen Schreib- und Sprechoperationen, zwischen geschriebenen und gesprochenen Sprachwerken, zwischen geschriebenen Sprachwerken, (Vor-) "Lesehandlungen" und "Hörhandlungen" (Gutenberg 1981:233), zwischen Sprechoperationen und Schreibhandlungstypen und umgekehrt usw. Hinzu kommen die Fragen nach dem Wechselverhältnis zwischen der Geschichte mündlicher und der schriftlicher Kommunikation und dem zwischen Prozessen des Sprechen- und Schreibenlemens, sowohl im Erstspracherwerb als auch im Fremdsprachenunterricht. Die im Funktionskreis enthaltene Unterscheidung zwischen 'transitorischen' und 'sprachwerkproduzierenden' Sprechhandlungen geht zurück auf die Unterscheidung Bühlers zwischen Sprechhandlungen und Sprachwerken. Diese Konzepte auszudifferenzieren, führte zu präziseren Kategorien für die Auffassung der Produktion und des Vorkommens von gesprochener Sprache, als sie mit dem linguistischen Textbegriff möglich sind. Mit 'Text' werden in der Linguistik nicht nur Transkriptionen, sondern auch Gespräche und Reden, die darin vorkommende und die in Funk und Femsehen gesprochene Sprache bezeichnet. Allein diese Aufzählung zeigt, daß 'Text' äquivok verwendet wird, ganz unterschiedliche Phänomene von sehr unterschiedlicher Seinsweise bezeichnet. Zur Klärung des ontologischen und methodologischen Status von 'Text' verweise ich auf meine Ausführungen zu Karl Bühler und zur Textiinguistik in Gutenberg 1981:63-65 und 140-161, deren Ergebnisse ich ganz knapp zusammenfasse: Mit dem Bühlerschen Begriffen von 'Sprechhandlung und Sprachwerk' ist eine Theorie von 'Text' entwickelt, die folgende Unterscheidungen möglich macht: Text 1: intentional auf Entbindbaikeit aus der konkreten Produktionshandlung gestaltetes geschriebenes Sprachwerk (Brief, Roman etc.) Text 2: intentional auf Entbindbarkeit aus der konkreten Produktionshandlung gestaltetes gesprochenes Sprachwerk (Tonbandbrief, nicht-live gesendeter Rundfunkbeitrag, Spruch, Sprichwort u.ä.) Text 3: Dokumentation (akustisch, schriftlich protokolliert, erinnert) einer transitorischen Sprechhandlung (ohne Intention der Produktion von Text 2).

Sprechwissenschafüiche Aspekte des Schreibens

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Der Vergleich linguistischer Textbegriffe mit diesen von Bühler gewonnenen Unterscheidungen zeigt klar: - es wird nicht unterschieden zwischen Text 1 und Text 2, was zu einer grundsätzlichen Fehleinschätzung des für Text 2 konstitutiven Sprechausdnicks führen muß; - es wird nicht unterschieden zwischen Text 1, 2 als intendierte Sprachwerke und Text 3 als Dokument von Sprechereignissen, das entweder eine soziale Funktion der Dokumentation von Sprechhandlungen oder einen methodologischen Status innerhalb wissenschaftlicher Untersuchungen hat. Die Unterscheidungen (Text 1 vs. Text 2; Text 1, 2 vs. Text 3) folgen jedoch aus der Eigenart des Gegenstandes bzw. der wissenschaftlichen Untersuchung. Bei der intensiven Bühlerrezeption in Sprechkunde und Sprechwissenschaft wäre es von hier aus schon früher möglich gewesen, sich dem Schreiben und dem Wechselverhältnis von Sprechen und Schreiben als sprechwissenschafüichen Gegenständen zu nähern. Aber die bei Emst Otto und Erich Drach versuchte parole-linguistische Grundlegung des Fachs verhinderte eine Zusammenschau der Teilbereiche und auch die Entdeckung des Schreibens als einer 'riietorischen Form', der Literatur als eines ästhetischen Typs rhetorischer Kommunikation, trotz des Weiterlebens der elocutio-LehK in der Poetik. Daß diese Überlegungen nicht blinde konjunktivische Spekulation sind, zeigt die in diesen Punkten anders geartete Entwicklung der amerikanischen Speech education, die durch ihre Herkunft aus der anglistischen Composition-Lehre und literarischen Rhetorik das Schreiben nie völlig aus dem Blick verlor, auch in den Niederlanden behandelt das der deutschen Sprechwissenschaft korrespondierende Fach 'Taalbeheersing' die schriftliche und mündliche Rhetorik von Anfang an völlig gleichmäßig nebeneinander. Dabei galten in den Anfangszeiten ausdrücklich die deutschen Spiechkundler Winkler und Weller als Gewährsleute für die Notwendigkeit einer auf Theorie und Didaktik der Kommunikationspraxis ausgerichteten Disziplin neben 'Taalkunde' und 'Letterkunde'. So ist es historisch naheliegend, sich auch aus sprechwissenschaftlich-sprecherzieherischer Sicht einer 'Rhetorik des Schreibens'(Ueding) zu nähern. Daß innerhalb der Sprechwissenschaft/Sprecherziehung nicht erst seit kurzem eine Bewegung auf das Problemfeld Sprechen/Schreiben hin stattfindet, zeigt die gerade erschienene Arbeit Geißners "Mündlich: schriftlich - sprechwissenschaftliche Analysen 'freigesprochener' und

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'vorgelesener' Berichte" (1988). Der Argumentationsgang dieser Arbeit zielt mit der dort vertretenen 'Kohäsionshypothese' (15:172f.) in eine ähnliche Richtung wie die bisher entwickelten Gedanken.

2. Fragestellungen im System der sprechwissenschaftlichen Arbeitsgebiete 2.1 Sprechen/Schreiben im Feld 'Eiementarprozesse' 'Elementarprozesse', in der Sprecherziehung 'Sprechbildung' genannt, gelten weithin als der eigentliche, der ursprüngliche Gegenstandsbereich von Sprechkunde/Sprechwissenschaft und Sprecherziehung. Ich will gegen dieses durch die landläuflge Praxis vieler Sprecherzieher/innen seit 50 Jahren mitverschuldete Vorurteil an dieser Stelle nicht weiter argumentieren, sondern nur unterstreichen, daß Sprechwissenschaft nicht auf Elementarprozesse mündlicher Kommunikation zu reduzieren ist. Die 'Handlung des Sprechens' als 'Aktualisierungshandlung des Sprachsystems' (Gutenberg 1981) habe ich mit der Kategorie der die Strukturmuster aktivierenden 'Sprechoperationen' zu fassen versucht, wobei diese natürlich auch solche Operationen umfassen, die nicht von der Aktualisierung des Sprachsystems aus zu begreifen sind wie Atmung, Phonation im engeren Sinn, Erzeugung affektiv-emotional bestimmter Klangfarben etc. Genauer ist hier zu fragen nach der Bestimmung (= Abhängigkeit, Geprägtheit, Ersatzfunktion) von Schreiboperationen und 'Schi«ibmustem' durch Sprechoperationen und die zugrundeliegenden Muster und umgekehrt nach der Bestimmung (= historische und ontogenetische Prägung) der Sprechoperationen und -muster durch die entsprechenden Schreiboperationen und -muster. Das Stichwort 'Artikulation' oder 'Lautung' ist das erste, das hier in Betracht kommt. 'Artikulation' ist genaugenommen der Parameter des Katalogs sprecherischer Ausdrucksmittel, der alle auf das phonetische und phonologische System einer 'Sprache' (Nationalsprache, Dialekt) bezogenen Merkmalsausprägungen des Sprechschalls umfaßt. Von den Subkategorien des artikulatorischen Parameters liegt die 'Lautung' unmittelbar im Kembereich des Verhältnisses von Sprechen und Schreiben. Nicht nur die alltagssprachliche unkorrekte Bezeichnung der 'Hochlautung' oder 'Standardaussprache' als 'Schriftdeutsch' verweist auf den engen Zusammenhang von Orthographie und Orthoepie (Rechtlautung), sondern auch die Feststellung über die 'Hochlautung' im Ausspracheduden

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(1962): "Sie ist schriftnahe. Die Aussprache wird weitgehend, besonders bei Fremdwörtern, durch das Schriftbild bestimmt." (28; ähnlich auch die letzte Auflage 1974:30). Daß hier ein Problem des Wechselverhältnisses zwischen Orthographie und Orthoepie vorliegt, spiegelt sich z.B. in den verzweifelten Versuchen von Deutschlehrern wider, die Schreibung von 'das' und 'daß' durch einen Ausspracheunterschied zu erläutern: [da:s] vs. [das] oder, schlimmer noch, [da:z] vs. [das]. Das in der hochdeutschen Rechtschreibung tendenziell angelegte Prinzip der phonetischen Schreibung (= die Schrift wird durch die Lautung bestimmt) wird auch an Stellen gesucht, wo es nicht gilt, und irritiert zumindest die Aussprachegewohnheiten (= die Lautung wird durch die Schrift bestimmt) - [ein Fall 'graphonemischer Irritation' bei Deutschlehrern, vgl. Slembek 1981]. Wenn die Sprachgeprägtheit der 'Hörmuster' (Geißner 1984) auch eine Schriftgeprägtheit ist, dürfte dies das Problem zusätzlich komplizieren. Rechtschreibreform, DAF, Erstlese- und -schreibunterricht, Alphabetisierung sind Bereiche, die von einer Klärung der Zusammenhänge unmittelbar profitieren könnten. Naumann hat dies ausfiihrlich untersucht. Nicht nur auf phonetisch-phonologischer Ebene ist hier interessant, daß Erstlese-/Schreibunterricht und Alphabetisierung für Dialektsprechende vielfach bedeutet: eine Sprache lesen und schreiben lernen, die sie weder sprechen noch (außer in den Medien) hören. Diese Art 'niederer Leselehre' (Winkler) mag nun mit dazu beitragen, daß Hochsprache als Schriftdeutsch empfunden wird, Hochlautung als schriftnah. Paradoxerweise mag hier eine Hörerziehung (vgl. Naumann 1987b), eine darauf aufbauende Lautbildung (Lernen der Standardaussprache) die beste Voraussetzung für Ersriese- und Schreibunterricht und für die Alphabetisierung der ca. 2 Millionen 'Sekundäranalphabeten' in der BRD bilden. Der Aspekt 'Orthoepie/Orthographie' macht nur einen geringen Teil der Berührungspunkte zwischen Sprechen und Schreiben aus. Das Stichwort 'Lesen' zielt unmittelbar auf einen traditionellen sprechkundlich-sprecherzieherischen Kembereich, die 'Leselehre': "Ihr Gegenstand sind die Gesetzmäßigkeiten desjenigen Sprechdenkprozesses (...), bei dem eine adäquate Schallform für eine gegebene Sprachgestalt entwickelt wird, so daß eine Sinnintention ausgedrückt werden kann, die mit dieser Sprachgestalt möglich ist" (Gutenberg 1988:22). Die Definition arbeitet mit drei Bestimmungsstücken, die als gleichwertig anzusehen sind: Sinnintenüon, Sprachgestalt, Schallform. Seit Drach (1926, 1937) gehört zu den sprechwissenschaftlichen Trivialitäten: "Werden nun Sprachgestalt und Schallform in Akteinheit erzeugt, so können Regeln der Sprachgestalt nicht unabhängig von Regeln der Schallform existieren" (Gutenberg 1988:9). Diese von Drach aufgezeigte, von Winkler und Geißner weiterentwickelte

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Einsicht, daß Schallform (sprecherische Ausdrucksmittel, Intonation i.w.S.) und Sprachgestalt (Wortwahl und Satzbau) durch die Sinnintention in der konkreten Sprechhörsituation gemeinsam und in wechselseitiger Abhängigkeit erzeugt werden, hat nun ganz eriiebliche Konsequenzen für die Einsicht in den Zusammenhang zwischen Sprechen und Schreiben. Das Schreiben von Texten müßte den regelhaften Zusammenhang von Schallform und Sprachgestalt insofern berücksichtigen, als zum Vorlesen bestimmte Texte umso verständlicher und leichter lesbar werden, je mehr die Sprachgestalt die Sinnintention so ausdrückt, daß die Schallform, die ebenfalls diese Sinnintention ausdrücken soll, sich ihr anpassen läßt. Dies gilt gleichermaßen für das 'stille Lesen', denn: "wir alle würden beim stummen Lesen den Sinn eines Textes nicht verstehen, wenn wir den Wortlaut nicht wenigstens vorstellten" (Winkler 1962:16). Auszunehmen ist hier sicherlich das 'diagonale Lesen', bei dem offensichtlich keine auditiven, sondern ausschließlich visuelle Erkennungsmuster benutzt werden. Von hier aus sind sämtliche Forschungen zur Textverständlichkeit, die ausschließlich lexikalische, syntaktische und graphische Fragestellungen aufwerfen, zu ergänzen (vgl. auch Slembek 1984 zu Problemen von Leseverstehen und Hörverstehen). Wenn Slembek recht hat mit der Annahme, daß nicht nur Schreibdenken und Leseverstehen einerseits, Sprechdenken und Hörverstehen andererseits komplementär, sondern auch Schreib- und Sprechdenken, Hör- und Leseverstehen interferierend aufeinander bezogen sind, so führt das zu folgender Vermutung: Die "Formen mündlich geprägter Schriftlichkeit" (Geißner 1988:25) sind auch auf der Ebene der somatischen und psychischen Elementarprozesse von Operationsmustem des 'schriftfemen' Sprechdenkens und Hörverstehens geprägt. Das dürfte insbesondere für Schreibdenken und Leseverstehen schreibungeübter Verfasser von Briefen und schriftlichen Mitteilungen aller Art von Relevanz sein. Demgegenüber sind die in "Formen schriftgeprägter Mündlichkeit" (Geißner 1988:27) verwendeten Muster des Sprechdenkens und Hörverstehens von solchen des 'sprechfemen' Schreibdenkens und Hörverstehens geprägt, was sich mitunter in syntaktischen und lexikalischen Prägungen ausdrücken kann, die in krassem Widerspruch zu Regeln der Schallgestalt stehen (Beispiele schon bei Drach 1937:25), und das auch bei 'Freigesprochenem'. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die Vermutung, daß nicht nur unter dem Einfluß des Schreibdenkens die Sprechdenkmuster, sondern unter dem des Leseverstehens auch die Hörverstehensmuster so geprägt werden, daß auch auf der Ebene des 'synthetisierenden Hörverstehens' (Stoffel 1979:53) die Fähigkeit vorhanden ist, Widersprüche zwischen Sprachform und Regeln der Schallgestalt zu 'korrigieren', wofür die Fähigkeit 'geübter' Hörerein

Sprechwissenschaftliche Aspekte des Schreibens

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Beleg ist, auch 'schlecht' geschriebene und 'schlecht' gesprochene Nachrichten zu verstehen (vgl. Geißner 1975a). Als erster Schritt dazu schiene mir sinnvoll, die Ablaufmodelle für Sprechdenken und Hörverstehen (Gutenberg 1988:15,18) um den Aspekt der Prägung durch Operationsmuster des Schreibdenkens und Leseverstehens zu erweitem und gleichzeitig für Schreibdenken und Leseverstehen analoge Modelle zu entwickeln, die die 'Mündlichkeitsgeprägtheit' berücksichtigen. Dabei wäre es wichtig, nicht nur wie bisher die psychische Komponente zu berücksichtigen, sondern auch die somatische, also nach dem Wechselverhältnis zwischen den physiologischen Bewegungsabläufen und Sprechdenken/Hörverstehen und Schreibdenken/Leseverstehen zu fragen. Die Relevanz dieser Frage wird belegt durch die bei Slembek wiedergegebenen Ergebnisse über den sensomotorischen Mitvollzug der Sprechorgane bei Lesen und Schreiben (Slembek 1984:60f.). Damit ist auch die weitere Frage nach der Ontogenese des Lesens und Schreibens und den pädagogischen Konsequenzen zu stellen (Slembek 1984 und Geißner 1988:161-184). Der Erwerb von Lesen und Schreiben beginnt zu einer Zeit, da weder der Spracherwerb und noch weniger der Erwerb aller anderen Muster mündlicher Kommunikation vollständig abgeschlossen ist. Es ist daher folgerichtig anzunehmen, daß wenigstens die Entwicklung deijenigen Muster mündlicher Kommunikation, die nach dem Lesen- und Schreibenlemen einsetzt, von Mustem schriftlicher Kommunikation auf allen Ebenen (sprachlich, Sprechdenken, Hörverstehen, Sprachwerke, Sprechhandlungstypen usw.) geprägt sein wird. Die Bestätigung einer solchen Vermutung würde die Kohäsionshypothese (Geißner 1988) stützen. Wenn bisher von 'Schreiben fürs Sprechen' die Rede war, so im Sinne des Verfassens von zum Vorlesen bestimmten Texten. Eine andere Form davon kommt in den Blick, wenn man vom Vorlesen zur zweiten Form 'reproduzierenden Sprechdenkens' übergeht, die innerhalb der Sprecherziehung eine wesenüiche Rolle spielt: dem Freisprechen nach Stichwortzettel. Dies ist ein Gebiet, für das keine gegenstandstheoretischen sprechwissenschaftlichen Untersuchungen vorliegen, sondern lediglich sprechkundlich-sprecherzieherische Methodisierungen für die unmittelbare pädagogische Praxis (Kurka 1956, Jesch 1973, Winkler 1969, Geißner 1975b, 1982). Diese könnten freilich den Ausgangspunkt dafür bieten, Zusammenhänge zwischen Schreiben, Lesen, Sprechen zu studieren. Beispielsweise ist die von Geißner (1975b, 1982) vorgestellte Methode des graphischen 'Abtreppens' von Sinnschritten zurückzuführen auf die

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Drachschc und Winklersche Konzeption der Einheit von Sinnintention, Schallform und Sprachgestalt im Sinnschritt, einer gleichzeitig sprachlichen und sprecherischen Kategorie. Hier zu untersuchen, welche Stichworte (Wortart, Morphologie, syntaktisches Muster etc.) welche Prozesse von Sprechdenken auslösen, welche Prozesse von ausprobierendem Sprechdenken man vollziehen muß, um zu brauchbaren Stichworten zu kommen, dürfte nicht nur zu Einsichten über Sprechen, Schreiben, Lesen und ihre Interdependenzen führen, sondern auch sprecherzieherische Konzepte weiterentwickeln helfen. Hinzuweisen ist femer auf die Gegenstücke des vorleseorientierten Schreibens, also die Formen schriftorientierten Sprechdenkens wie Diktieren (live oder ins Diktiergerät), ZuProtokoll-Geben, Zum-Mitschreiben-Sprechen von Auskünften (medial oder nicht) u.ä. Ergiebiger scheint der Gegenstand, der die wechselseitige Vermittlung von Sprechen, Lesen, Schreiben konkret ausdrückt, das Vor-Lesen geschriebener Texte. Wie Geißners empirische Analyse zeigt, liegen die Unterschiede nicht so sehr zwischen der geschriebenen und der gesprochenen Sprache, sondern im Sprechausdruck des Freisprechens und des Vorlesens, allerdings " zu einem nicht unerheblichen Teil auch durch das sprachliche 'Material' mitverursacht" (Geißner 1988:160). Daher ist es sinnvoll, außer den Gesetzmäßigkeiten von 'Schreiben fürs Vorlesen' auch diejenigen des 'Vorlesens von Geschriebenem' intensiver zu erforschen, also Leselehre gegenstandstheoretisch zu betreiben. Es scheint geboten, diesen Aspekt von Leselehre mit der von Drach als "Artikulationslesen" (1922:156), von Winkler auch als "technische Lesefertigkeit" (1962:93) bezeichneten "niederen Leselehre" zu integrieren. Die Segmentierung in der lautbezogenen Buchstabenschrift hat hier den segmentalphonetisch beschreibbaren Teil des Sprechausdrucks von dem anderen unmittelbar sprachbezogenen prosodischen Teil so getrennt, daß die Aufteilung in zwei Stufen von Leselehre, bzw. die schulische Reduktion auf das 'Artikulationslesen' unmittelbar verantwortlich ist für die Defekte im 'Lesestil', die Slembek (1984) beschreibt. Die Leselehre, ebenso wie der bis jetzt verwendete Begriff von Sprechdenken, bezieht sich auf denjenigen Teil des Sprechausdrucks, der im "regelhaften Zusammenspiel der drei Faktoren Sprachgestalt, Sinnintention und Schallform" (Gutenberg 1988:21) zustandekommt, nämlich die auf die Sprachgestalt bezogene Schwereabstufung, Kadenzierung und Gliederung. Im unmittelbaren Bezug auf Regelmäßigkeiten gesprochener Sprache ist hier auch ein Teil der Wechselbeziehungen von Sprechausdruck und Interpunktion erfaßt (intonationswiedergebende vs. rein grammatische Interpunktion) - ein

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vielfältiger Untersuchungsgegenstand im Wechselverhältnis Sprechen/ Schreiben. Mit den meisten oben skizzierten Fragen der Artikulation wurde der im engeren Sinne linguistisch-phonologisch relevante Teil des Sprechausdrucks angesprochen. Damit verwoben sind quantitativ sogar wohl umfänglichere Teile des Sprechausdrucks, die gleichzeitig und interdependent mit den sprachlichen einen ganzen Komplex anderer Muster in spezifischen Konfigurationen von Schallmeikmalen ausdrükken: - sprechtätigkeitstranszendente, soziale (Schicht, Institution usw.), psychische (Affekte, Haltung usw.), psychosoziale (Rolle, Situation^usw.), physiologische (Körperbau, somatische Krankheiten), physikalische (Raum, Zeit, Technik) Muster - Sprechhandlungsmuster der Makroebene wie Gespräch (Debatte, Beichte usw.). Rede (Ansprache, Standpauke, Vorlesung) und der Mesoebene wie Argumentation und Erzählung - Sprechoperationsmuster der Mikroebene, aus denen sich komplexe Sprechhandlungen aufbauen (Sprechakte wie Fragen, Behaupten u.a.) Im Sinne der Fragestellung dieses Beitrages ist nun zweifach zu fragen: - Inwieweit wird der Sprechausdruck in schriftlicher Kommunikation ersetzt, wird er verwortet ('er sagte spöttisch'), wird er durch Interpunktion wiedergegeben, durch Schrifttypen oder andere druckgraphische Mittel? Oder fällt er einfach nur weg und ist in der Phantasie des Lesers aufgrund des Kontextverständnisses präsent? - Inwieweit prägt Schriftkultur den Sprechausdruck von Sozialrollen, Institutionen etc. allein aufgrund des Vorhandenseins von Schriftlichkeit, aufgrund der Verwortung von Affektiv-Emotionalem in schriftlicher Kommunikation (s.o.)? Zu denken ist hierbei nicht nur an die Schriftgeprägtheit des Sprechausdrucks durch falschverstandene Interpunktionsregeln ('beim Komma hebt sich die Stimme'), sondern auch den Ersatz des unmittelbar sprecherischen Ausdrucks von Emotionen durch die ComicVerwortungen dieser Emotionen ('Schluck', 'Kreisch', 'Staun'), die ja ursprünglich als schriftlicher Ersatz für durch Schriftveränderung nicht mehr wiederzugebenden Affektausdruck der Comic-Figuren gedacht waren. Als solcher ist er nun auch keine Innovation, sondern konsequente Fortsetzung von Inteijektionen auch der gesprochenen Alltagssprache wie 'Pfui', 'Igittigitt' u.ä. Generell ist hier die Frage zu untersuchen, inwieweit durch Schriftlichkeit auch die Mündlichkeit sich von einer primär indexikalischen zu einer Kundgabe und Kundnahme via symbolische Darstellung verschiebt (vgl. Bühler 1934). Beide Fragerichtungen sind sowohl für das vorleseorientierte Schreiben als auch für produzierendes Sprechdenken als auch für Hör- und Lesever-

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stehen (gibt es - über die Onomatopoetika hinaus - schriftgeprägte Hörmuster für Freigesprochenes, sprechgeprägte Lesemuster über die Intonationskonturen hinaus?) zu verfolgen, um die 'sekundäre Oralität' einer Sprechkultur im Zeitalter der Schriftkultur präziser zu erfassen.

2.2 Sprechen/Schreiben im Feld 'rhetorischer Kommunikation' Hier handelt es sich um den Kembereich von Sprechwissenschaft und Sprecherziehung als Theorie und Didaktik des Miteinandersprechens. Hierhin gehören auch die Rhetorik der Medien und das Sprechen von Texten, die nicht als 'schöne' Literatur intendiert sind, als Gegenstände. Damit ist die Relevanz der Fragestellung Sprechen vs. Schreiben auch für diesen Bereich deutiich, für den Vischers oben zitiertes Diktum ganz besonders gemeint war. Dabei ist dieses Diktum immer auch auf dem Hintergrund der Geschichte der Rhetorik zu sehen, die ja auch als eine Geschichte der Literarisierung einer ehemals nur mündlichen Disziplin und als der bis heute andauernde, immer wiederholte Versuch ihrer 'ReOralisierung' erzählt werden kann. Es liegt nahe, als erster Schritt der Untersuchung des Wechselverhältnisses von Sprechen und Schreiben sub specie rhetoricae zu rekonstruieren, wie die heutige mündliche Rhetorik durch die Tradition der literarisierten Rhetorik und wie heutige schriftliche durch die aktuellen Formen mündlicher Rhetorik konkret bestimmt sind. Dazwischen stehen, z.T. als die offenkundigsten Auswirkungen jener schriftlichen Rhetoriktradition, die Formen rhetorischer mündlicher Reproduktion rhetorischer Schrifttexte in- und außerhalb der Medien (vgl. Geißners Aufzählung 'schriftgeprägter Mündlichkeit', 1988:25). Alles oben über Sprechdenken, Schreibdenken, Hör- und Leseverstehen und Leselehre unter dem Rubrum 'Elementarprozesse' Gesagte kann jetzt unter dem Aspekt der Komplexprozesse funktional begriffen werden, eben als 'Elemente', aus denen sich Sprech- und Schreibhandlungstypen aufbauen, auch solche, in denen geschriebene durch mündliche Reproduktion zu gesprochenen Sprachwerken werden (vgl. S.9). Hier wäre also in Prozessen schriftlicher Kommunikation wie Briefwechsel, wissenschaftliche Diskussion in Zeitschriften, Leserbriefe usw. nach den Auswirkungen des Mündlichkeitsverlustes zu forschen; über die Ebene von Sprechdenken und Hörverstehen hinaus etwa nach dem Moment der Gesprächshaftigkeit, das schriftlichen Auseinandersetzungen juristi-

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scher, wissenschaftlicher oder privater Art noch anhaftet bzw. signifikanterweise eben nicht mehr anhaftet (die Abkunft wissenschaftlicher Abhandlungen aus zunächst aufgeschriebenen, später geschriebenen Dialogen und Reden ist hierfür prototypisch). Andererseits ist in aktuellen Prozessen mündlicher Kommunikation, in rhetorischen Gesprächen und Reden inner- und außerhalb der Medien zu suchen nach den Momenten von Schreibgeprägtheit, wiederum über die Ebene von Sprechdenken und Hörverstehen hinaus: Inwieweit sind wissenschaftliche oder politische mündliche Diskussionen etwa geprägt von den schriftlichen Formen der Argumentation, der journalistischen Polemik, den Pressemitteilungen, Verlautbarungen, den Mustern schriftlicher Kommunikation in Ämtern, Organisationen, anderen Institutionen? Die Formen der Rede sind ohnehin der Beeinflussung durch Muster schriftlicher Kommunikation weit stärker ausgesetzt als die Formen des Gesprächs (vgl. Geißner 1988:43f.). Dies gilt nicht nur für die Redehaftigkeit monologischer schriftlicher Äußerungen. Es gilt mehr noch in der umgekehrten Richtung: Fand die 'actio' in der Antike noch ohne schriftliche Aufzeichnung statt aufgrund einer wörtlich zu nehmenden 'memoria', so ist dieser heutzutage das Anfertigen eines Stichwortzettels gleichzusetzen. Die Ausführungen über das Schreiben von Stichwortzetteln für mündliche Reden sind hier über die Gesetzmäßigkeiten der Ebene des Sprechdenkens hinaus zu ergänzen um Überlegungen zur redetypusspezifischen Ausformung: Informationsvortrag vs. Meinungsrede, Predigt vs. Laudatio, Vorlesung vs. Büttenrede. Unterschiedliche Genera erfordern unterschiedliche Sprach- und Sprechstile, diese brauchen unterschiedliche Sprechdenkimpulse, also möglicherweise unterschiedliche Stichwortmethoden. Von hier aus liegt der Übergang nahe zu den zahlreichen Spielarten mündlichen Vortrags schriftlicher Redetexte, solchen, die sich zur zugrundeliegenden Schriftlichkeit und dem sekundären Charakter der Mündlichkeit bekennen, solchen, die ihre primäre Schriftlichkeit zu verheimlichen suchen, und solchen, die mitunter offen gegen ein z.T. kodifiziertes Mündlichkeitsgebot verstoßen. Zur ersten Gruppe gehören Rundfunk- und Femsehnachrichten, andere Hörfunksendungen wie Feature, die sich als Vorlesen 'gebauter Beiträge' verstehen, alle gelesenen Off-Texte in Femsehbeiträgen, alle liturgischen Lesungen, die abgelesenen performativen Sprechakte von Richtern und Notaren (deren Mündlichkeit ihnen erst Rechtsgeltung verleiht, die Notwendigkeit zu rechtlich unanfechtbarem Wortlaut zwingt jedoch zum Vorformulieren), politische Erklärungen auf internationalem Parkett. Zur zweiten Gruppe gehören vor allem diejenigen Medienbeiträge, die zwar z.T. sehr sorgfältig vorformuliert sind, deren Darbietungsweise aber

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ein spontanes Sprechdenken suggerieren soll (Einsatz von Teleprompter, Wörter und Wendungen gesprochener Alltagssprache, z.T. manieriert eingesetzte Mittel des Sprechstils spontanen Sprechdenkens wie Planpausen zwischen Artikel und Substantiv, Dehnungen, Accelerandi u.ä.) bei TVKommentaren, Gesprächseinleitungen, Moderationen bei U-Musik usw. Zur dritten Sorte schließlich gehören all die Parlamentsreden, die laut Geschäftsordnung zwar freigesprochen sein sollen, aber aus Unfähigkeit oder auch politischem Kalkül mit diplomatisch-spitzfindigen Formulierungen eben doch - mit Ausnahmen gelegentlicher Extempores - z.T. höchst unkommunikativ abgelesen wenden, nicht anders als Referate in Senninaren. Die Notwendigkeit einer Erforschung des leseorientierten Schreibens und des Vorlesens von Texten, die im vorigen Abschnitt auf der Ebene der Elementarprozesse entwickelt wurde, wird hier sektoral rhetorisch untermauert. Hier sind die Besonderheiten der Redefoim bzw. der Sendeformen der Medien zu berücksichtigen. Es ist sowohl zu fi-agen, inwieweit beim jeweiligen Typus Schriftlichkeit wirklich entbehrlich ist, als auch inwieweit Prägungen durch Muster reiner Schreibkommunikation überwindbar sind und durch eine zwar sekundäre, aber dennoch 'anhörlichere' Mündlichkeit ersetzt werden können. In diesem Zusammenhang möchte ich gerade fürs Femsehen auf zwei strukturell bedeutsame Momente hinweisen, die die Schriftgeprägtheit mündlicher Konnmunikation illustrieren: Geißner schildert präzise, daß durch Herrschaftsstrukturen und durch schreiborientierte Berufsausbildung in den AV-Medien wenige Sendungen ohne Manuskript und Ablesen des Manuskripts vorkommen. Dabei gibt es "keine einzige Sendeform, die Schreihdenken nötig machte" - "Nachrichten, Konnmentare, Moderation, Feature, Reportage" (Geißner 1988:177), sie alle könnten sprechdenkend, z.T. mit Stichwortvorlage, vor dem Mikrophon oder der Kamera, für die Hörenden und Zuschauenden produziert statt vor ihnen reproduziert werden. So wird es uns mitunter bei guten Sportreportagen, vor allem aber in ausländischen Medien demonstriert. Eine gegensätzliche Entwicklung führt bei uns bis zur Verschriftlichung gesprächshafter Sendungen: zumindest Sprach- und Sprechstil vieler Politikerinterviews legen die Vermutung nahe, hier würden auf vorformulierte Fragen vorformulierte Antworten auswendig (die alte memoria!) vorgetragen bzw. vom Teleprompter abgelesen. Der Stichwortzettel schließlich hat schon Eingang in die mündlichste aller Sendeformen gefunden, die bis zur Geschwätzigkeit mündliche Talkshow. Umgekehrt scheint Schriftiichkeit keine Gewähr für Inhalt zu bieten, wie den z.T. schrifdich vorformulierten Moderationen der diversen Hörfunk-'Fließwellen' unschwer anzumerken ist.

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Gerade im Femsehen besteht das Problem nun nicht mehr allein in einer wechselseitigen oder einseitigen Determination zwischen Sprechen und Schreiben. Vielmehr ist hier ein Dreieck anzusetzen - was sich besonders an TV-Beiträgen mit Off-Text studieren läßt - von Bild, Text und Sprechen, wenn man sich von der Utopie verabschiedet, es müsse fiir TVJoumalisten möglich sein, analog zu den von Geißner erwähnten Sprechdenkübungen (1988:176) frei oder nach Stichworten sprechdenkend Fernsehbilder zu kommentieren. Die Bestimmung des Vorlesens durch den Text bzw. die Sprechorientiertheit des Schreibens ist hier überdeterminiert durch die Bildbestimmtheit von Text und Sprechen (Geißner 1987a). Alles bisher Skizzierte ist also für das Schreiben, Vorlesen und Freiformulieren im Femsehen bei allen Beiträgen, die Film oder 'Elektronische Berichterstattung (EB)' als Medium verwenden, unter dem Gesichtspunkt der Bilddominanz zu sehen. Vieles von dem für die öffentlichen Medien Gesagten gilt auch für das privateste aller Medien, das Telephon, weniger für die transitorischen Sprechhandlungen am Telephon als für die vielfältigen 'gesprochenen Sprachwerke'. Unter diesem Aspekt sind die zahlreichen Telephonansagen und -durchsagen zu begreifen, sowohl die öffentlichen Ansagen der Post (23 'Telephonansagen' sind in meinem Telephon buch angeboten) als auch die geschäftlichen und privaten auf den automatischen Anrufbeantwortern unterschiedlichen Typs (vgl. Gutenberg 1987a). In den Ansagediensten der Post und in den nicht von der Post, sondern von eingetragenen Vereinen oder Stellen der städtischen Kulturämter betriebenen Poesie-Telephonen hat sich etwas von der 'radioähnlichen Nutzung des Telephons' erhalten, die als spektakulärste Verwendungsweise seine Einfühmng im vorigen Jahrhundert bestimmte. 'Aktuelles aus dem Gesundheitswesen', 'Börsennachrichten', 'kirchliche Nachrichten', 'Wettervorhersage', um nur einige der Telephonansagen der Post zu nennen, sind Formen, die auch in Rundfunk und Femsehen vorkommen. Der Sprechausdruck dieser Ansagen ebenso wie der von Ansagen bei gesperrten Anschlüssen oder von 'Bitte-warten-Ansagen' von Firmen, Behörden oder der Telephonauskunft nahm in seiner melodischen, dynamischen und temporalen Isotonie Computersprechweisen schon vorweg, bevor noch sprechende Computer wirklich serienreif waren. Die Ideologie der Sachlichkeit und Nichtpersönlichkeit, die wir auch in den informierenden Sendeformen von Rundfunk und Femsehen antreffen, treibt hier mitunter dilettantische Blüten. Diese meist aufgrund geschriebener Texte erzeugten gesprochen Sprachwerke unter den Kriterien von Leselehre zu untersuchen, dürfte kuriose Ergebnisse zeitigen, wie z.B. " den defizienten

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Modus des 'Verlesens'" (Geißner 1988:178), den Geißner als Gefahr zitierenden Vorlesens in den Medien ausmacht, sowohl bei abgelesenen als auch bei freigesprochenen Anrufbeantworteransagen. Diese und andere Folgen der Schriftprägung sind auch bei den Ansagen auf geschäftlichen oder privaten Anrufbeantwortern auszumachen; bei den Anrufern, die mit einer Ansage statt mit dem gewünschten Gesprächspartner konfrontiert sind, ist, außer daß sie möglicherweise wegen der unkommunikativ 'verlesenen' Ansagen überhaupt nichts sagen, mitunter ein Muster zu finden, das unmittelbar dem Reservoir der Schreibkommunikation entnommen ist: Sie sprechen einen Brief mit 'Anrede', 'Schlußformel' und 'Unterschrift'. Hier liegt Forschungsmaterial vor, das auch technisch unschwer zu beschaffen ist, wenn sich auch pädagogisch zunächst nur wenig Konsequenzen ergeben können (außer für die Ansagedienste der Post und der Unternehmen). Allerdings erweitert sich das Blickfeld, wenn man den Anrufbeantworter als die erste Stufe einer komplexen technischen Erweiterung des Telephons sieht, die nicht nur in einer Vervielfältigung seiner Übermittlungsfunktionen besteht (Telekopieren usw.), sondern auch immer mehr Anteile des eigentlichen Telephongesprächs automatisiert (Anrufverweigerung, selektive Anrufannahme aufgrund von Programmen mit höflicher Tonbandstimme, automatische Anrufrückverfolgung bei telephonischen Belästigungen usw.). Damit rückt die Entwicklung der 'neuen Medien' in den Blick, die zwar an sich schon Fragen über die Veränderung menschlicher Kommunikation durch den Datenaustausch mit Maschinen aufwirft. Sie unter dem Aspekt des Verhältnisses Sprechen/ Schreiben, speziell der weiteren Schreibprägung auch mündlicher Kommunikation durch den Umgang mit Computern, zu betrachten, dürfte zu Präzisierungen der von Geißner 1987b aufgeworfenen Fragen nach "MMK" (Mensch-Maschine-Kommunikation) führen.

23 Sprechen/Schreiben im Feld 'ästhetische Kommunikation' 'Ästhetische Kommunikation' oder 'Sprechkunst' ist nicht nur als 'interpretierendes Textsprechen' (Geißner 1981) und als Sprechen beim Schauspiel aufzufassen (vgl. Gutenberg 1985a, b, c): zwar liegt hier ein zumindest quantitativer Schwerpunkt des Faches und eine der historischen Wurzeln (vgl. Gutenberg 1985c: 147f.), aber in diesem Zusammenhang sind die künstlerischen und nicht-künstlerischen Prozesse von Sprechen und Spielen auch in Bezug auf die Schreibprägung des Sprechens, die Sprech-

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prägung des Geschriebenen für das Fach imnier noch Neuland (vgl. Geißner 1988:26 über die Simultangedichte der Dadaisten und 1982:193198 über experimentierendes Mit-dem-Text-Spielen als Methode einer Hörspielproduktion). Auch die Verfahren, über textfreies improvisierendes Spiel Stücke zu entwickeln, sind theaterhistorisch (Commedia dell'arte) und in der Praxis sogenannter 'Freier Theatergruppen' für Sprechwissenschaft und Sprecherziehung erst noch zu entdecken. Hier wären, neben historischen Untersuchungen zur 'oral poetry', Elemente einer Sprechkultur im Zeitalter der Schrift sprechwissenschaftlich zu erforschen und in Sprecherziehung als Teil einer umfassenden ästhetischen Erziehung umzusetzen. Dabei ist allerdings nicht von einer 'Schriftfreiheit' dieser theatralischen und auch nicht-theatralischen Formen von 'Sprechspielen' (Gutenberg 1985a) auszugehen, sondern von ihrer 'sekundären Mündlichkeit', die - etwa beim Erzählen (vgl. Gutenberg 1987b) - nur auf dem Hintergrund analoger Muster der Schriftkultur zu begreifen ist. Die Tatsache, daß in der konventionellen Fachgliederung die ästhetische neben die rhetorische Kommunikation gestellt wird, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß unter einem erweiterten Ästhetikbegriff Literatur ebenso als 'Wiedergebrauchsrede' (Lausberg), Vorlesen von Dichtung als 'rhetorical act' (Ecroyd 1985) anzusehen sind wie die 'Rede als Kunst' (Dessoir) verstanden werden kann (vgl. Gutenberg 1985a). Die Gegenstände, init denen Sprechwissenschaft und Sprecherziehung sich hier befassen, sind: - die geschriebenen Sprachwerke der Literatur - die Prozesse der sprecherischen Interpretation (als Deutungsvorgang) dieser Sprachwerke - die Prozesse der ästhetischen Kommunikation in Sprechhörsituationen interpretierenden Textsprechens und Textspielens -die gesprochenen Sprachwerke (Sprechfassungen/Spielfassungen), die auf Tonträgem konserviert und (auch in Medien) wiederholt rezipiert werden können. An dieser Stelle sind zwei Anmerkungen nötig: Einmal dürfen die Prozesse des Sprechens von lyrischen, epischen, aber auch des Vorlesens von dramatischen Texten nicht gleichgesetzt werden mit dem Sprechen beim darstellenden Spielen von Figuren bei der Aufführung von Dramen, in Film und Hörspiel. Im ersten Fall handelt es sich immer um die Rezitationsfassung eines konkret-historischen Subjekts (vgl. Gutenberg 1985: 12f.). Im zweiten handelt es sich um das (dargestellte) Sprechen einer (dargestellten) Figur in einer (dargestellten) Welt (vgl. Gutenberg 1985a:

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129). Dieser Unterschied ist z.T. auch an Eigenschaften der jeweiligen Texte ablesbar: Dramen, Hörspiele, Drehbücher sind vielfach als "Formen mündlich geprägter Schrifdichkeit" (Geißner 1988:25) anzusehen, besser gesagt, sie verwenden Merkmale gesprochener (Alltags-)Sprache, sie stellen Mündlichkeit dar. Umgekehrt interessieren die Prägungen literarischer Werke durch Sprechmuster bis hin zur Verwortung, druckgraphischen und Interpunktionswiedergabe von Sprechausdruck, je nach literarischer Gattung höchst unterschiedlich: z.B. Gesprächs- und Redemuster in der dramatischen Literatur als Prägungen der Dramaturgie und Bauform. Gegenüber der Prägung der Literatur durch mündliche Formen nach der Prägung des Miteinandersprechens durch die Literatur zu fragen, scheint ein wenig verwegen im Zeitalter des Femsehens. Ganz sicher aber wäre es lohnenswert zu untersuchen, analog zu historischen Studien zum Einfluß der Literatur auf die Sprechkultur früherer Zeiten, in welcher Weise etwa Trivialliteratur (vom Groschenroman über Krimi und Science Fiction bis zu Comics) die Formen des Sprechens beeinflußt auf allen Ebenen: Wortwahl, Satzbau, Sprechausdruck, Sprechhandlungstypen (Gesprächsformen, Gruß- und Anredeformen, Argumentations- und Erzählformen). Eine in dieser Hinsicht interessante Gruppe sind Schauspieler/innen, deren lebenslange intensivste Beschäftigung mit Literatur - wobei Auswendiglernen eine große Rolle spielt - ihre Sprechgewohnheiten prägen, was auch schon im Alltag spürbar ist. Die zweite Anmerkung bezieht sich auf die schon oben ausführlicher erwähnte Leselehre. Keinesfalls darf der Prozeß des Umsetzens eines Textes in eine Sprechfassung auf Leselehre reduziert werden, ebensowenig wie der Gesamtprozeß des inneren Sprechaktes (Bühler 1934) reduziert werden darf auf 'Sprechdenken im engeren Sinne' (Gutenberg 1988:6). Leselehre, die ja auch im Zusammenhang mit nicht-literarischen Texten steht (s.o.), ist nur Teil und Voraussetzung einer "Theorie des interpretierenden Textsprechens" (Geißner 1981:175) und seiner Didaktik. Interpretierendes Textsprechen hat auch alle anderen Eigenschaften literarischer Texte in Sprechfassungen umzusetzen, nicht nur die Sprachgestalt (die phonetische, morphologische, semantische und syntaktische Struktur auf allen Ebenen - Segment, Wort, Satz, Text -), sondern auch die Textgraphik (visuelle Strukturierung), besonders bedeutsam bei Texten konkreter Poesie, die Texttektonik (in den Kategorien der Poetik beschreibbare Textstrukturierung durch Gattungsspezifik, Vers- und Strophenformen u.ä.). Die Historizität des Faktors 'Text' bedingt eine sprach-, literaturund rezeptionsgeschichtliche Verortung und auch eine Rezeption der Rezitationsgeschichte des Textes.

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Damit sind alle wesentlichen Momente für eine Untersuchung dieser spezifischen Prägung von Mustern des Textsprechens als Prozeß und von Mustern der gesprochenen Sprachwerke 'sprecherische Interpretation literarischer Texte' durch die Muster der geschriebenen Sprachwerke 'Literatur' beisammen. Solche Untersuchungen beziehen sich: - auf Fragen der Sprechbarkeit (Sprechorientiertheit) literarischer Werke - auf Fragen der Methoden, mit denen sprecherische Interpretation als hermeneutischer Prozeß durchgeführt wird (vgl. dazu Geißner 1982, Gutenberg 1985b). Die hierzu nötige Reflexion auf den Nexus von geschriebenem Text und Mündlichkeit der Kommunikation könnte eine ganze Reihe von Einsichten auch in solche Fragestellungen ermöglichen, ^ e in anderen Abschnitten angeschnitten wurden; - auf Fragen der je einzelnen Sprechhörsituationen, in denen vor Zuhörenden und für sie Texte gesprochen werden. Hier sind die textdeterminierten Weisen des Partner-, Selbst- und Situationsbezugs interessant, ebenso die Hör- und Verstehensmuster der Rezipienten (vgl. die Modi des Hörverstehens von Vorgelesenem in Gutenberg 1988:22). - auf Fragen der gesprochenen Sprachwerke, also Sprechfassungen auf Ton- und Tonbildträgem. Analysen von Sprechplatten (vgl. Geißner 1965, Rösener 1987), neuerdings auch 'Hörbüchem', Cassetten usw. sind hier durchzuführen, ebenso wie von gesprochener Dichtung in Rundfunk und Fernsehen. Im Sinne der Problemstellung dieses Aufsatzes richtet sich das Interesse hier auf die Prägung der Sprechmuster durch die Muster des Geschriebenen und auf diejenigen Hörverstehensprozesse, die durch das Verstehen des Gesprochenen das Geschriebene zu verstehen suchen. Die 'Hermeneutik des Gesprochenen' (Geißner 1968) ist hier für die Hermeneutik des Geschriebenen notwendige Durchgangsstation. Insgesamt bleibt anzumerken, daß der Bereich der ästhetischen Kommunikation zu exemplarischen Einsichten in die Schriftprägung des Mündlichen führen könnte, weil hier intentional gestaltete geschriebene Sprachwerke in intentional gestalteten sprecherischen Interpretationsprozessen zu intentional gestalteten gesprochenen Sprachwerken geführt werden. Häufig werden sie zudem noch in sehr bewußten und kritischen Prozessen des Hörverstehens rezipiert. Für all diese Prozesse, vom Schreiben bis zum Hören, liegen darüber hinaus z.T. jahrtausendealte Methodenlehren vor. Es ist zu erwarten, daß bei Untersuchungen in diesem Bereich auch Rückschlüsse gezogen werden können auf andere, 'blinde', Prägungen des Sprechens durch Formen der Schriftkultur. Die didaktische Relevanz solcher Untersuchungen für Deutschunterricht, DAF, Fortbildung in Medien,

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Theaterpädagogik usw. liegt auf der Hand, insbesondere wenn es gelingt, in einzelnen Bereichen der ästhetischen Erziehung Schreiben und Sprechen ästhetischer Texte zu integrieren, was als 'creative writing' in den 'speech and drama departments' amerikanischer Universitäten längst Tradition hat.

2.4 Schreiben und Störungen mündlicher Kommunikation Dieser Bereich ist in einer viel umfassenderen Weise interdisziplinär als die bisher durchgemusterten Felder: Außer Sprech- und Sprachwissenschaft befassen sich Stimm- und Sprachheilkunde, Sonderpädagogik, klinische Psychologie, Psychoanalyse und Soziologie mit Störungen mündlicher Kommunikation. Systematik, Terminologie und schließlich der Begriff von 'Störung' selber sind nicht nur zwischen den Disziplinen, sondem auch innerhalb in höchstem Maße strittig. Ich möchte daher nur darauf hinweisen, daß allein durch Rezeption von bereits vorliegender Forschung einige Aufschlüsse über das Wechselverhältnis von Sprechen und Schreiben auf allen Ebenen (vgl. S.9f.) und in allen übrigen Feldern zu gewinnen sein dürften: etwa aus dem Zusammenhang von Aphasie, Agraphie und Alexie über die zentralnervösen Grundlagen der Sprech- und Schreibbewegungen und -Operationen und ihren Zusammenhang. Meines Wissens unerforscht ist die Möglichkeit von Zusammenhängen zwischen Legasthenie und der Redeflußstörung Poltern, die in ihrer Symptomatik mitunter wirkt wie 'Legasthenie des Sprechens'. Auch Auswirkungen des Stottems auf das Schreiben wären zu untersuchen. Im Sekundäranalphabetismus wird vielfach eine Mehrfachproblematik beobachtet: Bei den Ursachen tritt häufig außer familiären Schwierigkeiten, Schulwechsel u.ä. Legasthenie, Verhaltensstörungen, Sprachentwicklungsverzögerungen, Hörstörungen, Dyslalien, Dysarthrien u.ä. auf. Es ist also ein Zusammenhang zwischen Behinderungen des Erwerbs von Schriftlichkeit und solchen von Mündlichkeit anzunehmen. Dies müßte bei den erwachsenenpädagogischen Angeboten eine Integration von Lese- und Schreibunterricht auf der einen und Sprechtherapie, Hör- und Sprecherziehung auf der anderen Seite zur Folge haben. Mit dem Ziele einer über Gebärdensprache hinausgehenden Kommunikationsbefähigung Gehörloser wäre auch die Ersatzfunktion von Schreiben und Lesen für Sprechen und Hören genauer zu erforschen. Ganz allgemein ist auch zu überlegen, in welcher Weise Schreiben und Lesen bei der Genese von Störungen mündlicher Kommunikation überhaupt eine Rolle spielt. Hier ist zu denken an die allseits beklagten Defizite von

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Mündlichkeit, den Primat der Schriftlichkeit in der Schule (vgl. Slembek 1984, Geißner 1988:182-184). Dies führt zur Frage: bedeutet der Primat der Schrift, neu belebt im Computerzeitalter (vgl. Abschnitt 2.2), eine 'Störung' im Sinne struktureller Verzerrung der Sprechkultur?

2.5 Schlußbemerkung Abschließen möchte ich mit dem Hinweis auf ein Untersuchungsfeld, das Schreibforscher, Sprechwissenschaftler und Sprecherzieher in gleicher Weise interessieren dürfte: Wie sind Bücher und Trainingsprogramme geschrieben, die beanspruchen, daß man aus ihnen Sprechen lernen kann, sei es im Feld 'Elementarprozesse' sei es im Feld 'rhetorische', sei es im Feld 'ästhetische Kommunikation'? Korpus wären hier sämtliche Übungsbücher zur Atem-, Stimm- und Lautbildung, Redesteller und Rhetorik-Ratgeber, alle schriftiichen Trainingsprogramme in der Fortbildung, alle Begleitmaterialien zu Cassetten- oder Videolehrwerken, in einem erweiterten Sinne von Sprechen-Lehren aber auch alle Schulbücher, die für den Mutter- und Fremdsprachunterricht auf Mündlichkeit zielen. Wie sind sie geschrieben, wie sollten sie geschrieben sein?

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Udo L. Figge (Bochum)

Gedächtnis, Lexikon, Text Abstract: Text pnxluction begins and text reception ends in the conceptual memory of the individual. Conceptual memory is a memoiy system consisting of a set of concepts of different kinds and a set of relations between the concepts. Text production begins with the activation of a section of conceptual memory. This section is transformed into a syntactic structure according to a specific linguistic procedure. The CM-ganization of a structure of this kind is due to interconceptual relations, its elements being lexical entities derived from concepts. Another linguistic procedure transforms this structure into articulatory or graphic movements by means of which a Signal is produced. This form of Signal is perceived by the receiver as a linear structure or "text". Its Organization makes it possible to derive an intermediate syntactic structure from it. By means of the further processing of such a structure the receiver arrives at an image of the section of conceptual memory manifested by the senden - The manifestation of certain interconceptual relations makes texts (thematically) coherent as well as (globally) cohesive. As texts are composed of lexical entities, such entities play a major role at all stages of text production and reception.

1. Einleitung In dieser Einleitung will ich vor allem die Begriffe, die im Titel dieses Beitrags aufscheinen, und deren gegenseitige Beziehungen vorläufig erläutem. Im Zusammenhang damit werde ich aber auch schon einige der Thesen erwähnen, die dem Beitrag zugrunde liegen.

1.1 Gedächtnis und Text Nach einer alten, jedoch durchaus treffenden Definition dient Sprache zum Ausdruck von Gedanken. Man wird allerdings heute und insbesondere angesichts der Intention dieses Sammelbandes hinzufügen müssen: zum Ausdruck von Gedanken durch Texte. Außerdem erscheint es zeitgemäßer, nicht von Gedanken, sondern von Wissen oder - was ich angesichts der Geläufigkeit des Begriffs "Gedächtnis" in der Psychologie vorziehe - von Gedächtnisausschnitten zu reden. Auch läßt sich - vor allem im Hinblick auf den Titel "Textproduktion" dieses Sammelbandes - das Wort "Ausdruck" präzisieren:

Gedächtnis - Lexikon - Text

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Sprache besteht in Verfahren, die es möglich machen. Gedächtnisausschnitte durch aitikulatorische oder manuelle Bewegungen zu manifestieren, wobei die Produkte dieser Bewegungen als (gesprochene oder geschriebene) Texte wahrgenommen werden.

Natürlich gehören auch die rezeptiven Verfahren, die zur weiteren Verarbeitung solcher Wahrnehmungen dienen, zur Sprache, doch fallen sie nicht in die Thematik dieses Bandes. Bemerkt sei nur, daß auch sie das Gedächtnis berühren. Die produktiven wie auch die rezeptiven sprachlichen Verfahren sind natürlich auch ihrerseits im Gedächtnis gespeichert. Doch möchte ich obwohl sich dies zunehmend einbürgert - davon absehen, sie wie die von ihnen manipulierten Gedächtnisausschnitte als Wissen zu bezeichnen. Es handelt sich hier eher um Können, um Fähigkeiten (s. Becker 1987), um etwas, was dem bewußten Zugriff nicht ohne weiteres zugänglich ist. In Anlehnung an eine vor längerem von Ryle mit Hilfe der Umschreibungen know how und know that getroffenen Unterscheidung (1949:25-61), aber in jüngerer Terminologie (s. Tergan 1986:8f.) ließe sich ein prozeduraler Gedächtnisteil (Verfahren) von einem deklarativen (eigentliches Wissen) abteilen.

1.2 Gedächtnis und Lexikon Nach meiner Auffassung haben die Einheiten des (deklarativen) Gedächtnisses die Dimension von Wörtern und nicht die von Sätzen oder Texten.

Dieser Auffassung stehen jedoch andere gegenüber; ich werde darauf im Kapitel 2 meines Beitrages zurückkommen. Doch auch wenn man von relativ kleinen Grundeinheiten des Gedächtnisses ausgeht, wird man Annahmen über dessen Struktur machen müssen, die erklären, wieso durch die Aktivation von Gedächtnisausschnitten Prozesse eingeleitet werden können, die nicht zur Produktion einzelner Wörter, sondern zu der ganzer Texte führen. Im wesentlichen besteht meine Annahme darin, daB zwischen den elementaren Einheiten des Gedächtnisses vielfältige und dichte Beziehungen bestehen, durch die Texq)roduktionsprozesse gesteuert werden können.

Daß die Einheiten des Gedächtnisses Wortdimensionen haben, bedeutet keinesfalls, daß sie Wörter sind. Sie sind vielmehr Einheiten eigener Art, eben mnemische Einheiten; ich nenne sie Konzepte. Wörter werden den Konzepten erst im Textproduktionsprozess zugeordnet. Die sprachlichen

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Verfahren enthalten also auch Prozeduren, die der Auswahl von Wörtern (textlichen Elementen) für Konzepte (Gedächtniselemente) dienen. Man mag diese Prozeduren Lexika nennen, muß aber bedenken, daß es sich dabei um Teile sprachlicher Manifestationsprozesse handelt.

1.3 Text und Lexikon Texte zeichnen sich als Texte durch zwei spezifische Eigenschaften aus, die begrifflich als Kohärenz bzw. als Kohäsion gefaßt werden. Das eine dieser beiden Spezifika besteht darin, daß sich normalerweise in mehreren oder vielen verschiedenen Sätzen desselben Textes dieselben Personen oder Gegenstände manifestieren, wobei sich die Kontexte dieser Manifestationen, vor allem deren verbale Kontexte, deutlich voneinander unterscheiden.

Den Zusammenhang, der durch solche Wiederholungen entsteht, nenne ich Kohärenz (andere nennen ihn Kohäsion). Das zweite Spezifikum besteht darin, daß sich durch die Verknüpfungen der einzelnen Sätze eines Textes häufig verschiedene inhaltliche (mnemische) Beziehungen manifestieren.

Den Zusammenhang, den solche Beziehungen stiften, nenne ich Kohäsion (andere nennen ihn Kohärenz). Textkohärenz wird - soweit ich sehe - ausschließlich mit lexikalischen Mitteln hergestellt, wobei entsprechend spezialisierte Textelemente (Pronomina und Artikel) eine wesentliche Rolle spielen. Textkohäsion kann rein syntaktisch bewerkstelligt werden, durch schlichte Aufeinanderfolge von Sätzen. Doch gibt es auch in diesem Bereich spezialisierte Textelemente, vor allem bestimmte Konjunktionen, Adverbien und Tempusmorpheme.

2. Gedächtnis In diesem Kapitel möchte ich vor allem darlegen, wie der Begriff des Gedächtnisses für die Linguistik interessant wurde, welche grundlegenden Arten von Gedächtnismodellen es gibt, wie ich sie einschätze und welche Perspektiven sich einer gedächtnisorientierten Linguistik eröffnen.

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2.1 Stand der Forschung Vor mehr als zwanzig Jahren hat der nordamerikanische Psychologe QuUlian Untersuchungen durchgeführt, die in eine Theorie und ein Computermodell der Struktur des menschlichen Langzeit-Gedächtnisses münden sollten. Die Grundelemente dieses Modells - von Quillian "Konzepte" genannt - stammten aus einem gängigen Wörterbuch des Englischen und wurden unter der Kontrolle des von Quillian so genannten "sennantischen Gedächtnisses" des Bearbeiters eingegeben. Das semantische Gedächtnis war für Quillian eine Komponente des menschlichen Langzeit-Gedächtnisses, in der solche Konzepte gespeichert werden, die gleichzeitig Bedeutungen von Wörtern sind (1967:410f.). In Quillian 1967 wird der Begriff "semantisches Gedächtnis" noch eher beiläufig erwähnt. In einer Neufassung dieser Arbeit hat er sich aber bereits verselbständigt: Sie trägt den Titel "Semantic Memory" (1968). Dies wurde dann auch der Name für ein Gebiet, dem sich im Anschluß eine lebhafte psychologische Forschung widmete. Eine nachhaltige Wirkung ging von einem Modell des semantischen Gedächtnisses aus, das Collins und Quillian vorgestellt hatten (1969). Nach dieser Konzeption ist das semantische Gedächtnis ein Gebilde aus semantischen Einheiten und zwei verschiedenen Arten von Beziehungen zwischen diesen Einheiten, nämlich Sub- bzw. Superordinationen und Attributionen. Danach wird etwa ein Kanarienvogel als etwas konzipiert, was ein Vogel ist (Subordination) und was gelb ist und singen kann (Attributionen). Einheiten, die in Sub- bzw. Superordination zueinander stehen, heißen Konzepte, Einheiten, die in Attribution zu Konzepten stehen, heißen Merkmale. Das Modell wird als eine Art Netz dargestellt, dessen Knoten Konzepte oder Merkmale und dessen Kanten Beziehungen repräsentieren. Diesem Modell haben Smith, Shoben und Rips 1974 ein Modell entgegengesetzt, das auf Beziehungen verzichtet und das Wortbedeutungen (Konzepte) als Mengen von semantischen Merkmalen auffaßt. Danach setzt sich etwa das Konzept 'robin' aus Merkmalen wie 'being a biped', 'having wings', 'having certain distinctive colors', 'perching in trees', 'being undomesticated' zusammen. Solche und ähnliche sehr stark lexikalisch orientierte Modelle lassen nicht erkennen, wie sich Ausschnitte des semantischen Gedächtnisses in Sätzen oder gar Texten manifestieren könnten (s. Smith 1978:46f.). Es sind daher

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auch Netzwerkmodelle entwickelt worden, wie etwa das von Norman und Rumelhart (1975), die für das Gedächtnis Prädikat-Argument-Strukturen, also propositionale Strukturen annehmen, in denen überdies jeweils zwischen Prädikat und Argumenten kasusartige Beziehungen bestehen. Kintsch geht darüber hinaus, indem er als Komponenten des semantischen Gedächtnisses auch Listen von Propositionen gelten läßt, die dann Entsprechungen oberflächlicher Texte sind (1974). Dieser kurze Überblick läßt erkennen, daß die Modellierungen des semantischen Gedächtnisses in der Psychologie mit der Anwendung linguistischer Forschungsergebnisse begonnen haben, nämlich mit der von Bedeutungsbeschreibungen in einem einsprachigen Wörterbuch. Sie haben sich dann aber, vor allem aufgrund der Ergebnisse einer großen Zahl psychologischer Experimente, verselbständigt und Resultate erzielt, die wiederum die Linguistik unbedingt zur Kenntnis nehmen sollte. Ein Aspekt ist dabei von besonderem Interesse: Öffnet man eine Darstellung der zeitgenössischen allgemeinen Gedächtnisforschung (etwa Arbinger 1984), so zeigt sich, daß die verschiedenen Modelle der Struktur des menschlichen Langzeit-Gedächtnisses, die dort vorgestellt werden, mit denjenigen Modellen identisch sind, die für das semantische Gedächtnis entwickelt worden sind. Das entspricht ja auch im wesentlichen einer Annahme, von der - wie oben erwähnt - Quillian ausgegangen war. Angesichts dessen empfiehlt es sich, im Zusammenhang mit dem Begriff "Gedächtnis" auf das Epitheton "semantisch" zu verzichten. Übersichten über Modelle des (semantischen) Gedächtnisses finden sich etwa bei Breuker 1976, Smith 1978, Wimmer/Pemer 1979:187-202, Wender/Colonius/Schulze 1980:11-41, Kintsch 1980, Hörmann 1981: 68-82, Grimm/Engelkamp 1981:84-88, Arbinger 1984:75-91, Eysenck 1984:307-314, Wessells 1984:250-279, Tergan 1986, Chang 1986.

2.2 Ein integratives Modell Das Langzeit-Gedächtnis wird man grundlegend in zwei Sektionen einteilen müssen: einen Könnens-Speicher, in dem die von einem Individuum beherrschten Verfahren wie beispielsweise die Textproduktionsund -rezeptionsverfahren verwaltet werden, und ein Wissens-Gedächtnis, das als dynamischer Speicher des Welt- und Selbstbildes dieses Individuums fungiert. Doch auch diesen Wissens-Speicher wird man unterteilen müssen, und zwar in eine Art Analog- und in eine Art Digital-

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Speicher: Der eine umfaßt räumliches und zeitliches Wissen ("innere Landkarten", "innere Kalender"), der andere dagegen diskrete Elemente, nämlich Konzepte. Ich will ihn konzeptuelles Gedächtnis nennen und betrachte ihn als die eigentliche Grundlage von Textproduktion und -rezeption. In seinen Grundstrukturen ist das konzeptuelle Gedächtnis zweifellos keine spezifisch menschliche, sondern eine allgemein tierische Eigentümlichkeit, wie die evolutionäre Erkenntnistheorie zeigt (etwa Riedl 1981), die allerdings nicht von Konzepten, sondern von Merkmalen und von Koinzidenzen von Merkmalen redet. Als ein Weltbildapparat speist es sich primär aus den verschiedenen sensorischen Quellen, die einem Organismus zur Verfügung stehen. Da das konzeptuelle Gedächtnis also ein beträchtlich höheres biologisches Alter hat als der moderne Mensch, ist es auch beträchtlich älter als dessen Sprache. Das sollte zur Vorsicht gegenüber GedächtnisModellen veranlassen, die mit eher textähnlichen Organisationsprinzipien rechnen, also gegenüber propositionalen Modellen. In der von ihnen für das Gedächtnis angenommenen prädikatenlogischen Prädikat-ArgumentDichotomie spiegelt sich eine Art dependenzsyntaktischer Satzorganisation wider, und die von ihnen angenommenen Kasusbeziehungen entsprechen den syntaktischen Beziehungen zwischen dem Verb eines Satzes und dessen verschiedenen Substantiven. Noch augenfälliger oberflächenorientiert ist die Annahme, daß sich Propositionen im Gedächtnis zu textähnlichen Listen zusammenordnen. Daß sich das konzeptuelle Gedächtnis primär aus den Sinnen speist, hat Konsequenzen für dessen Struktur: Ein Organismus verfügt normalerweise über eine ganze Reihe unterschiedlicher sensorischer Modalitäten, so daß die eingehenden Informationen stark fragmentiert sind: Es handelt sich keineswegs um Informationen über Gegenstände, sondern um Informationen über stark partikularisierte Umweltaspekte (Farben, Formen, Bewegungen, Geräusche, Gerüche usw.; s. Treisman 1986, 1987). Dieser Sachverhalt ist für die Konstitution der Elemente des konzeptuellen Gedächtnisses von entscheidender Bedeutung. Er spricht nämlich stark für ein Merkmalmodell wie das oben skizzierte von Smith, Shoben und Rips (1974). Es muß jedoch berücksichtigt werden, daß, wie in dem ebenfalls skizzierten Modell von Collins und Quillian (1969) angedeutet, die Elemente des Gedächtnisses keineswegs voneinander isoliert sind, sondern miteinander in Beziehung stehen.

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Ebenso muß ein Modell des Gedächtnisses dessen Manifestierbarkeit durch Sätze und Texte Rechnung tragen, wenn auch nach Möglichkeit angemessener als durch die Annahme propositionaler Strukturen. Außerdem ist auch systematischer als manche Modelle es tun zu beachten, daß es sowohl ein Wissen von konkreten, individuellen Gegenständen, Personen und Fakten als auch ein allgemeines "begriffliches" Wissen gibt, ein Unterschied, der sich in gewisser Weise in Tulvings Unterscheidung zwischen "episodischem" und "semantischem" Gedächtnis wiederfindet (1983). Ich betrachte das konzeptuelle Gedächtnis als ein netzartiges Gebilde aus Elementen, die ich unter Verzicht auf den Begriff "Merkmal" sämtlich Konzepte nenne, und aus verschiedenartigen Beziehungen zwischen diesen Elementen.

Ich nehme vier verschiedene Arten von Konzepten an, nämlich Eigenschaftskonzepte, individuelle Gegenstandskonzepte, Kategorienkonzepte verschiedener Stufen und allgemeine Gegenstandskonzepte. Ein Eigenschaftskonzept ist ein Konzept, das ein Individuum sich von einem konkreten, individuellen Aspekt seiner Umwelt gebildet hat. Beispiele für solche Konzepte sind etwa die Einheiten, die sich in Formulierungen wie ist schwarz hat ein gekräuseltes Fell heißt Balduin ist 1980 geboren worden ist kürzlich geimpft worden hat soeben gebissen manifestieren. Diese Beispiele zeigen, daß Eigenschaftskonzepte ebensogut aus eher dauerhaften wie aus eher nur kurzfristig dargebotenen Umweltaspekten hervorgehen können. Weil das Individuum die Erfahrung gemacht hat, daß zwischen bestimmten einzelnen Umweltaspekten deutliche Kontiguitäten, vorwiegend temporaler und lokaler Natur, bestehen, hat es einzelne Eigenschaftskonzepte zu individuellen Gegenstandskonzepten zusammengefügt. Diese in^viduellen Gegenstandskonzepte kann es immer wieder mit weiteren Eigenschaftskonzepten auffüllen ebenso wie es einzelne Eigenschaftskonzepte eines individuellen Gegenstandskonzepts wieder verwerfen oder vergessen kann. Ein individuelles Gegenstandskonzept ist jedenfalls eine bestimmte Menge von Eigenschaftskonzepten, über die ein Individuum

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zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügt. Umgekehrt ist ein bestimmtes Eigenschaftskonzept stets Element eines bestimmten individuellen Gegenstandskonzeptes. So könnten die soeben umschriebenen Eigenschaftskonzepte zu einem individuellen Hundekonzept gehören. Eigenschaftskonzepte beziehen sich auf Partikulares, auf Konkretes, auf Individuelles, also etwa auf die spezifische schwarze Färbung eines individuellen Hundes. Das Individuum verfugt aber nun auch über abstraktere, allgemeinere Konzepte, und zwar auf verschiedenen Niveaus der Allgemeinheit, etwa über das der Pudelfarbe, das der Hundefarbe, das der Tierfarbe, das der Farbe im allgemeinen. Konzepte dieser Art nenne ich Kategorienkonzepte. Ein Kategorienkonzept ist eine Äquivalenzklasse entweder von Eigenschaftskonzepten oder von Kategorienkonzepten der nächstniedrigeren Stufe. Kategorienkonzepte bilden also eine Hierarchie. Neben den individuellen gibt es abstraktere allgemeine Gegenstandskonzepte wie etwa das allgemeine Konzept des Pudels, des Hundes oder des Tiers. Allgemeine Gegenstandskonzepte sind Mengen von Kategorienkonzepten. So kann ein Individuum das allgemeine Wissen haben, daß ein Hund eine Farbe hat, typischerweise Braun, daß sein Fell eine Oberflächenbeschaffenheit aufweist, typischerweise eher glatt als kraus ist, daß er meist einen Namen hat, daß er geimpft oder sonstwie tierärztlich behandelt werden kann oder daß er zum Beißen neigt. Zwischen Konzepten bestehen Beziehungen. Dazu gehören zunächst Beziehungen, die sich daraus ergeben, daß bestimmte Konzepte Elemente bestimmter anderer Konzepte sind. Dazu gehören weiterhin Beziehungen, die auf der Vermutung von Beziehungen zwischen einzelnen Umweltaspekten und der Generalisierung solcher Vermutungen beruhen, beispielsweise kausale Beziehungen. Schließlich gehören dazu Beziehungen, die aus der internen Organisation des Gedächtnisses resultieren. Eine dieser Beziehungen möchte ich besonders hervorheben, weil sie der syntaktischen Strukturierung von Sätzen zugrundeliegt. Sie verdankt sich der Tatsache, daß ein und dasselbe Gedächtnis unter bestimmten Bedingungen denselben Umweltaspekt, denselben Sachverhalt in verschiedene Eigenschaftskonzepte fassen kann, wobei diese Eigenschaftskonzepte jeweils einem anderen individuellen Gegenstandskonzept zugeordnet werden. Das manifestiert sich etwa in dem Satz Die Ruhr-Universitat ist am 18.7.1961 durch den Düsseldorfer Landtag gegründet worden.

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Dieser Satz beruht auf einem Ausschnitt eines konzeptuellen Gedächtnisses, der ein Eigenschaftskonzept 'Gegründet werden' als Element eines individuellen Gegenstandskonzepts 'Ruhr-Universität' und ein Eigenschaftskonzept 'Gründen' als Element eines individuellen Gegenstandskonzepts 'Landtag' enthält (und außerdem auf Ausschnitten einer inneren Landkarte und eines inneren Kalenders). Die beiden Eigenschaftskonzepte sind unterschiedliche Konzeptualisierungen desselben Umweltaspekts, desselben Ereignisses. Die Beziehung, die ich zwischen solchen Eigenschaftskonzepten annehme, nenne ich "konvers". Eine konverse Beziehung kann natürlich auch zwischen Kategorienkonzepten bestehen. Diese Modellskizze ist recht knapp gehalten. Daher verweise ich auf Figge 1982, 1984a, 1984b, Figge/Job 1987.

23 Perspektiven Die experimentellen psychologischen Untersuchungen des semantischen Gedächtnisses haben wichtige Erkenntnisse erbracht, konnten jedoch wegen ihrer spezifischen Methodik kein Material ergeben, das von einem linguistisch einigermaßen interessanten Umfang wäre. Erfreulicherweise macht es aber die grundlegende Einsicht, daß Texte Gedächtnisausschnitte manifestieren, möglich, Gedächtnis auch mit linguistischen Methoden zu untersuchen, nämlich durch Textanalyse. Meine Erfahrungen zeigen, daß sich auf diese Weise ein Material gewinnen läßt, dessen Umfang es überhaupt erst erlaubt, Gedächtnisstrukturen in der Vollständigkeit nachzubilden, die erforderlich ist, um Textproduktion aufgrund von Gedächtnisausschnitten zu beschreiben.

3. Textproduktion In diesem Kapitel will ich skizzieren und exemplifizieren, wie man sich Textproduktion als Manifestation von Gedächtnisausschnitten vorstellen kann.

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3.1 Gedächtnisaktivierung Textproduktion beginnt im Gedächtnis. Dort findet sich das Wissen, das offenbart und dadurch mitgeteilt werden soll. Dort findet sich aber auch das Wissen über die Situation, in der manifestiert und kommuniziert werden soll, pragmatisches Wissen, das einen erheblichen Einfluß auf den Textproduktionsprozeß hat. Ich will diesen Aspekt hier nicht vertiefen, aber doch einen besonders wesentlichen Punkt hervorheben. Normalerweise geht ein kommunikationsbereites Individuum davon aus, daß einerseits sein Partner über einen ähnlichen Satz an allgemeinen und bis zu einem gewissen Grade - auch an individuellen Gegenstandskonzepten verfügt wie es selber, daß aber andererseits zwischen ihm und seinem Partner Unterschiede in der Zusammensetzung dieser Gegenstandskonzepte aus Kategorien- bzw. Eigenschaftskonzepten bestehen. Das eine hängt damit zusammen, daß kommunizierende Individuen im Normalfall in derselben Umwelt leben, das andere damit, daß es bei verschiedenen Individuen, bedingt durch unterschiedliche Erfahrungen, erhebliche Unterschiede in der Zusammensetzung äquivalenter individueller und allgemeiner Gegenstandskonzepte aus Eigenschafts- bzw. Kategorienkonzepten geben kann. Welche Unterschiede ein Individuum tatsächlich zwischen seinem und dem Gedächtnis des Partners vermutet, hängt vom Einzelfall ab. Beispielsweise wird ein mit Öffentlichkeitsarbeit betrautes Mitglied der Pressestelle der Ruhr-Universität normalerweise zu Recht davon ausgehen dürfen, daß sein individuelles Gegenstandskonzept von der Ruhr-Universität wesentlich besser aufgefüllt ist als die entsprechenden seiner Partner. Sie über die Ruhr-Universität zu informieren, heißt dann, sie zur Auffüllung ihres Konzepts 'Ruhr-Universität' mit weiteren Eigenschaftskonzepten (mitunter auch zur Bekräftigung vorhandener oder zur Elimination unzutreffender Eigenschaftskonzepte) anzuregen. Jedenfalls beginnt (nach Prüfung des relevanten pragmatischen Wissens) die Textproduktion mit der Aktivation von Eigenschaftskomepten (im konkreten Fall, z.B. Text über die Ruhr-Universitat) oder von Kategorienkonzepten (im abstrakten Fall, z. B. Text über die Universität im allgemeinen), wobei, da diese Konzepte Elemente bestimmter individueller bzw. allgemeiner Gegenstandskonzepte sind, insofern auch diese Gegenstandskonzepte aktiviert werden.

So ist ohne weiteres eine Situation vorstellbar, in der das Mitglied der Bochumer Pressestelle als Element seines individuellen Konzepts von der Ruhr-Universität das Eigenschaftskonzept 'Errichtet werden' (und dessen Verbindung mit seiner inneren Landkarte) aktiviert. Dieses Eigenschaftskonzept wird in seinem Gedächtnis in Beziehung zu verschiedenen

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anderen Eigenschaftskonzepten stehen. Eines dieser anderen Eigenschaftskonzepte könnte das Konzept 'Beschließen' sein, als Element seines Konzepts vom nordrhein-westfälischen Landtag. Eine Beziehung wie die zwischen 'Beschließen' und 'Errichtet werden' nenne ich InhaltsBeziehung. Das Konzept 'Beschließen' könnte nun ohne weiteres mit einem Verweis auf einen inneren Kalender im Gedächtnis des Pressereferenten ausgestattet sein. Das Produkt, das diese Aktivationen nach sich zieht, könnte ein Satz wie Am 18.7.1%1 beschloß der Landtag von Nordrhein-Westfalen, daß in Bochum die Ruhr-Universität errichtet werden solle.

sein. Man kann sich vorstellen, daß der Referent sodann ein Eigenschaftskonzept aktiviert, das demselben individuellen Gegenstandskonzept zugehört wie 'Beschließen', etwa das Konzept 'Wollen'. Weitere Aktivationen könnten sich daraus ergeben, daß dieses Konzept in einer Inhaltsbeziehung zu 'Fördern' als Element von 'Ruhr-Universität' und dieses wiederum in konverser Beziehung zu einem Eigenschaftskonzept 'Gefördert werden' steht, das dem individuellen Gegenstandskonzept 'Ruhr-Gebiet' angehört. Dies alles könnte in einen Satz wie Nach dem Willen des Landtags sollte die Ruhr-Universität das RuhrGebiet fördern.

münden, der sich im Text an den oben angedeuteten anschlösse. Es könnte dann mit der Aktivation eines Eigenschaftskonzepts weitergehen, das in temporaler Beziehung zu einem bereits aktivierten steht, usw. Die Manifestation eines Gedächtnisausschnittes durch einen Text setzt jedenfalls die Aktivation der Elemente dieses Ausschnitts voraus, und das heißt, seiner Eigenschafts- oder seiner Kategorienkonzepte und insoweit auch bestimmter individueller bzw. allgemeiner Gegenstandskonzepte. Der Weg von einem aktivierten Eigenschafts- oder Kategorienkonzept zum nächsten führt über die verschiedenartigen Beziehungen, die zwischen diesen Elementen bestehen.

3.2 Lexikalisierung Eigenschafts- und Kategorienkonzepte sind, wie gezeigt, elementare Einheiten des Gedächtnisses. Daß sie bei der Textproduktion meist in elementare lexikalische Einheiten überführt werden (nämlich in Adjektive und Verben oder besser: Adjektiv- und Verbstämme, die in der vielfältigsten Weise morphologisch erweitert werden können), läßt sich ohne wei-

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teres verstehen. Beeinträchtigt wird dieses Bild durch die Möglichkeit, Verben und Adjektiven Adverbien beizugesellen. So wird man sich etwa fragen müssen, was es für das Eigenschaftskonzept 'Eröffnet werden' bedeutet, daß in dem Satz Die Ruhr-Universitflt wurde am 30.6.1%5 feierlich eröffnet,

das entsprechende Verb von dem Adverb feierlich begleitet wird. Die traditionellerweise als disparat geltende Klasse der Adverbien verhält sich jedoch auch unter Gesichtspunkten des Gedächmisses so disparat, daß ich es hier mit der Andeutung der Problematik bewendet sein lassen muß. Die Behauptung einer weitgehend elementaren Lexikalisierung elementarer Gedächtniseinheiten (Eigenschafts- und Kategorienkonzepte) läßt sich trotzdem aufrecht erhalten. Merkwürdig scheint dann aber, daß auch die zusammengesetzten Konzepte, nämlich die individuellen und die allgemeinen Gegenstandskonzepte, in elementare Einheiten, Substantive, oder besser Substantivstämme, überführt werden. Doch ist hier zweierlei zu bemerken. Zum einen dienen alle syntaktischen Verfahren der Spezifizierung von Substantiven (rote Tinte, Rotwein, Brille für die Nähe, Vierkantschlüssel usw.) der Manifestation zusammengesetzter Konzepte als zusammengesetzter Konzepte. Zum anderen ist eine durch einzelne ihrer Elemente gesteuerte elementare Manifestation von Gegenstandskonzepten gang und gäbe: Dasselbe individuelle Personenkonzept läßt sich je nach aktiviertem Eigenschaftskonzept durch Max, Mann, Vater, Nachbar, Ch^, Autofahrer, Delinquent und eine Unzahl weiterer lexikalischer Elemente manifestieren. Derartige Möglichkeiten gibt es bei der Manifestation von Eigenschaftsoder Kategorienkonzepten nicht. Es muß daher ein prinzipieller Unterschied zwischen der Lexikalisierung von Eigenschafts- und Kategorienkonzepten einerseits und der von individuellen und allgemeinen Gegenstandskonzepten andererseits konstatiert werden.

3J Syntaktische Strukturierung Ein ähnlicher Unterschied ist auch bei der syntaktischen Strukturierung aktivierter Gedächtnisausschnitte festzustellen. Er ergibt sich allerdings nicht aus der Konstitution, sondern aus der kommunikativen Gewichtung der einzelnen Konzeptarten. Wie oben ausgeführt, sind die Eigenschaftsund Kategorienkonzepte die primären Objekte der Kommunikation: Ein Textproduzent hält das Gedächtnis seines Partners normalerweise im Hin-

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blick auf derartige elementare, nicht im Hinblick auf ganze Gegenstandskonzepte für defizitär - in dieser Hinsicht nimmt er vielmehr Ähnlichkeiten mit seinem eigenen Gedächmis an. Die menschliche Umwelt ist aber im Normalfall so reich, daß Eigenschafts- oder Kategorienkonzepte nicht ohne die Gegenstandskonzepte manifestiert werden können, zu denen sie gehören (auf einem Güterwagen mag der subjektlose Satz Darf nicht abgestoßen werden. Stehen). Ich nehme jedoch, von dependenzsyntaktischen Erwägungen ausgehend, eine unterschiedliche syntaktische Gewichtung von lexikalischen Elementen, die auf Eigenschafts- oder Kategorienkonzepte, und von lexikalischen Elementen, die auf individuelle oder allgemeine Gegenstandskonze^te zurückgehen, an. Die einen werden in Gestalt von Verben oder prädikativen Adjektiven (oder auch von prädikativen Substantiven) satzsyntaktisck zentralisiert, die anderen in Gestalt von Substantiven in eine satzsyntaktisch abhängige Position gebracht.

So werden, um meine oben begonnene Exemplifizierung fortzusetzen, das Substantiv Landtag einer Form des Verbs beschließen und das Substantiv Ruhr-Universität einer Form des Verbs errichten untergeordnet. Ich bin der Auffassung, daß die syntaktische Dependenz primär zur Manifestation des Unterschieds in der kommunikativen Gewichtung eingeführt wurde, der Eigenschafts- und Kategorienkonzepte von individuellen und allgemeinen Gegenstandskonzepten abhebt, und daß andere Dependenzen als die zwischen dem verbalen Kern eines Satzes und den ihm untergeordneten Substantiven (etwa solche zwischen Substantiv und Substantivsatelliten) auf einer sekundären Verallgemeinerung des Dependenzprinzips beruhen. Nun können von demselben Verb mehrere Substantive abhängen, beispielsweise zwei wie in dem oben zitierten Satz mit dem transitiven Verb fördern. In einem solchen Fall manifestiert das Verb mehrere verschiedene Eigenschafts- oder Kategorienkonzepte, die jeweils zu einem der in den einzelnen Substantiven manifestierten unterschiedlichen Gegenstandskonzepte gehören und die in der oben erläuterten konversen Beziehung zueinander stehen. So amalgamiert das Verb fördern die Manifestation des Eigenschaftskonzepts 'Fördern' von 'Ruhr-Universität' mit der des Eigenschaftskonzepts 'Gefordert werden' von 'Ruhr-Gebiet'. Es bleibt aber erkennbar, daß demselben Verb mehrere Konzepte zugrunde liegen, und zwar durch Unterschiede in der Art der Dependenzen. So hängt Ruhr-Universität in einem anderen Kasus von fördern ab als RuhrGebiet. Nach meiner Auffassung wurden fCasus primär eingeführt, um zu markieren, daß und wie in demselben verbalen Satzkern mehrere verschiedene (in konverser Beziehung zueinander

Gedächtnis - Uxikon - Text stehende) Eigenscfurfts- oder Kategorienkonzepte sind.

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Kasus von Dependenzen mit substantivistischer Dominanz (ein typisches Beispiel ist der Genitiv) lassen sich mit dieser Funktion in Einklang bringen. Ein begonnener Text wird im wesendichen dadurch fortgesetzt, daß aufgrund einer durch Gedächtnis-Beziehungen geleiteten Aktivation weiterer Eigenschafts- oder Kategorienkonzepte weitere Verben gebildet werden, zusammen mit den von ihnen abhängigen Substantiven. Mit den bereits eingeführten können diese Verben zum einen eine Dependenzbeziehung eingehen, etwa temporaler oder kausaler Natur, es entstehen dann Hauptsatz-Nebensatz-Gefüge. Verben können aber auch auf demselben Dependenz-Niveau miteinander in Beziehung gesetzt werden; es entstehen dann Gefüge von durch nebenordnende Konjunktionen oder asyndetisch miteinander verknüpften Sätzen. Ebenso wie den Begriff der Dependenz enmehme ich auch den hier einschlägigen Begriff der syntaktischen Theorie Tesniöres (1965): Es handelt sich um den Begriff der Junktion (den Tesniöre allerdings auf Beziehungen innerhalb des Satzes beschränkt hat) (s. auch Figge 1978).

3.4 Manifestation Die aktivierten Gedächtnisausschnitte sind ebenso wie die sprachlichen Verfahren zu ihrer Lexikalisierung und dependenz- und junktionssyntaktischen Strukturierung im menschlichen Langzeitspeicher lokalisiert, allerdings, wie oben dargesteUt, in einer anderen Abteilung. Man wird in der Vorstellung nicht fehlgehen, daß beide im menschlichen Arbeitsspeicher zusammenkommen und daß dort auch die syntaktischen Zwischenstrukturen entstehen, und zwar als durchaus ephemere Gebilde. Ein weiteres sprachliches Verfahren sorgt dafür, daß nach Maßgabe der syntaktischen Zwischengebilde und ihrer lexikalischen Elemente Muskulatur an den Atem- und Speiseaufnahmewegen (Lunge, Kehlkopf, Rachen, Mund) bzw. im dominanten Arm und in der dominanten Hand innerviert wird. Auf diese Weise kommt es zu signalproduzierenden Bewegungen. Diese Signale werden zunächst als lineare Gebilde, als Folgen von textlichen (lexikalischen) Grundelementen wahrgenommen. Trotz ihrer Linearität lassen sich die Folgen vom Rezipienten in Gebilde von Depen-

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denz- und Junktionsstruktur zurücktransformieren, und zwar aus dreierlei Gründen: Zum einen gibt es eine Menge textlicher Grundelemente, die auf die Manifesution von Dependenzen und Junktionen spezialisiert sind, nänüich Präpositionen, Konjunktionen und Kasusendungen und deren Äquivalente in anderen Sprachen. Sodann gibt es einige Wörter, die eine bestinninte Dependenz mitmanifestieren, etwa das Pronomen ich, das, ohne eine entsprechende Markierung zu tragen, auf den Nominativ (das Subjekt, den Agens) festgelegt ist. Schließlich verteilen sich die übrigen texüichen Grundelemente so auf verschiedene syntaktische Klassen ("Wortarten"), daß aus Folgebeziehungen zwischen ihnen Dependenzoder Junktionsbeziehungen erschlossen werden können. So kommt es für eine syntaktische Interpretation von The iion hunts the beautiful tiger. darauf an, daß lion ebenso wie tiger ein Substantiv, hunts eine Verbform und beautiful ein Adjektiv ist. Dann ergibt sich nämlich, daß lion als Subjekt und tiger als Objekt von hunts dominiert wird und daß tiger seinerseits beautiful dominiert. Die Manifestation textsyntaktischer Dependenz-Junktions-Gebilde an der menschlichen Peripherie bedeutet zwar deren Linearisierung, doch erfolgt diese Linearisierung eben so, daß das zugrunde liegende syntaktische Gebilde rekonsiruierbar bleibt. Da auch die Syniaktisierung und Lexikalisiening von Gedächtnisausschnitten nach klaren Prinzipien vonstatten geht, bedeutet das letztlich, daß sich der Rezipient ein Bild von dem konzeptuellen Teilnetz machen kann, das der Produzent mit Hilfe sprachlicher Prozeduren lautlich oder schriftlich manifestiert hat.

4. Lexikon Ich komme hier auf die bereits eingangs (1.3) eingeführten Begriffe Kohärenz und Kohäsion zurück. Beide lassen sich nunmehr auf den Begriff der Gedächtnis-Beziehung zurückführen. Beispiele entnehme ich dem folgenden Text: Am 18. Juli 1961 beschloß der Landlag des Landes Nordrhein-Westfalen die Errichtung einer Universität in Bochum. Diese Universität sollte drei Hauptaufgaben erfüllen: Entlastung der bestehenden Universitäten, Mobilisierung der Bildungsreserven des Ruhrgebiets und Förderung der Hochschulreform. Der Grundstein fUr die als Campus-Universität unter ZusammenfUhrung aller klassischen Fakultäten mit ingenieurwissenschafüichen Abteilungen konzipierte Hochschule wurde am 2. Juli 1962 gelegt Nach der feierlichen Eröffnung am 30. Juni 1965 konnte zunächst in den geisteswissenschaftlichen und einigen naturwissenschaftlichen Abteilungen am 1. November 1965 der Vorlesungsbetrieb aufgenommen werden. Im WS 1969/70 haben alle Abteilungen den Lehrbetrieb aufgenommen.

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4.1 Kohärenz Textkohärenz beruht auf der Beziehung, die Eigenschafts- oder Kategwienkonzeple miteinander unterhalten, wenn sie demselben individuellen bzw. allgemeinen Gegenstandskonzept angehören.

Solche Beziehungen sind wichtige Bahnen, wenn es darum geht, während desselben Textproduktionsprozesses von einem Eigenschafts- oder Kategorienkonzept zum nächsten zu kommen. Es werden daher während eines solchen Prozesses auch nur relativ wenige Gegenstandskonzepte aktiviert, jedenfalls gemessen an der Zahl der aktivierten Eigenschaftsoder Kategorienkonzepte. Auf diese Weise erfiillt der Textproduzent eine generelle kommunikative Regel, nämlich die, beim Thema zu bleiben. Im Beispieltext geht es im wesentlichen um die Ruhr-Universität und deren Abteilungen. Kohärenz wird in Texten lexikalisch angezeigt, nämlich durch Elemente mit anaphorischer Funktion. Dazu gehören die bestimmten Artikel und die Demonstrativpronomina {die und diese im Beispieltext), Personalund Possessivpronomina der dritten Person singular und plural und Relativpronomina. So könnte es statt ... die Errichtung einer Universität in Bochum. Diese Universität sollte drei Hauptaufgaben erfüllen ...

auch ... die Errichtung einer Universität in Bochum, Sie sollte drei Hauptaufgaben erfüllen ...

oder ... die Errichtung einer Universität in Bochum, (tie drei Hauptaufgaben erfüllen sollte...

und statt Der Grundstein für die ... Hochschule ...

knapper auch Ihr Grundstein...

heißen. Es sei angemerkt, daß die zur Anzeige von Kohärenz dienenden Elemente auch andere Funktionen haben können. Systematisierte Detail-Informationen findet man vor allem bei Harweg (1968:178-260).

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4.2 Kohäsion Textkohäsion beruht auf Gedächtnisbeziehungen, die in der Umwelt vermutete Beziehmgen repräsentieren, beispielsweise auf kausalen, temporalen oder adversativen Gedächtnisbeziehungen. Solche Beziehungen manifestieren sich in der Art, wie in einem Text die dependentiell hochrangigen Elemente, also die verbalen Kerne, miteinander veiicnüpft sind, und begründen insofern die Globalstruktur dieses Textes. Die Kohäsion des Beispieltextes wird im wesentlichen durch temporale Beziehungen gestiftet. Kohäsion kann in Texten durchaus durch reine Folgebeziehungen gestiftet werden. Im Beispieltext ist das sogar weitgehend der Fall. Es gibt aber auch einschlägige lexikalische Elemente: bestimmte neben- und unterordnende Konjunktionen, ihnen äquivalente Präpositionen (nach im Beispieltext, als Entsprechung der Konjunktion nachdem) sowie Adverbien (zunächst). Kohäsion wird jedoch auch durch Tempusmorpheme gestiftet. Ein gut verständliches Beispiel ist das Plusquamperfekt-Morphem in Zunächst konnte, als die Universität feierlich eröffnet worden war, in den geisteswissenschaftlichen Abteilungen der Betrieb aufgenommen werden.

Dieses Morphem manifestiert eine Vorzeitigkeits-Beziehung zwischen den Eigenschaftskonzepten 'Betrieb aufnehmen' und 'Eröffnet werden'. Etwas schwerer zu durchschauen ist die Funktion der Präteritum-Form sollte. Die französische Übersetzung lautet: Lc 18 juillet 1961, le Parlement de Rhdnanie du Nord-Westphalie d&ida la construction d'une universit6 ä Bochum. Cette universit6 devait remplir trois buts principaux:...

Hier setzt sich ein Imperfekt gegen ein voraufgehendes einfaches Perfekt ab. Dadurch wird letztlich eine finale Beziehung zwischen den Eigenschaftskonzepten 'Beschließen' und 'Aufgaben erfüllen' manifestiert. Die Unmöglichkeit eines Tempuswechsels macht die Manifestation dieser Beziehung im deutschen Text undeutlicher. Weiterführende Informationen lassen sich etwa bei Halliday/Hasan 1976:266-273, Fritsche 1981, Biascia 1982, U n g 1984, Rothe 1986, Monse 1987 (mit ausführlicher Bibliographie) gewinnen.

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5. Zusammenfassung Das konzeptuelle Gedächtnis eines Individuums ist Ausgangsbereich seiner Textproduktion und Endbereich seiner Textrezeption. Ein solches konzeptuelles Gedächtnis ist ein Gebilde aus einer Menge verschiedenartiger Konzepte (Eigenschafts-, Kategorien-, individueller und allgemeiner Gegenstandskonzepte) und einer Menge interkonzeptueller Beziehungen. Textproduktion beginnt mit der Aktivation eines (pragmatisch bestimmten) Ausschnittes des konzeptuellen Gedächtnisses, d. h. mit der Aktivation eines Netzes von Eigenschafts- und Kategorienkonzepten als Elementen individueller bzw. allgemeiner Gegenstandskonzepte. Ein spezifisches sprachliches Verfahren arbeitet einen solchen Ausschnitt in ein syntaktisches Gebilde um, dessen Elemente nicht mehr Konzepte, sondern lexikalische Einheiten sind. Die Struktur dieses Gebildes wird von interkonzeptuellen Beziehungen bestimmt und besteht aus Junktionen und Dependenzen verschiedener (kasushafter) Natur. Verbale Einheiten bilden als Manifestanten von Eigenschafts- oder Kategorienkonzepten wegen deren hoher kommunikativer Gewichtung zentrale Knoten, substantivische Einheiten, soweit sie Gegenstandskonzepte manifestieren, wegen deren kommunikativer Zweitrangigkeit abhängige Knoten. Durch ein weiteres sprachliches Verfahren werden solche syntaktischen Zwischengebilde in artikulatorische oder graphische Bewegungen umgesetzt, durch die Signale produziert werden. Solche Signale werden vom Rezipienten als lineare Gebilde, als Texte wahrgenommen, die jedoch so strukturiert sind, daß er ihnen eine syntaktische Struktur unteriegen kann. Durch deren weitere Verarbeitung kann er schließlich ein Bild von dem Gedächtnisausschnitt gewinnen, den der Produzent manifestiert hat. Durch Manifestation bestimmter interkonzeptueller Beziehungen werden Texte sowohl kohärent als auch kohäsiv. Kohärenz beruht auf der Beziehung zwischen Elementen desselben Gegenstandskonzepts und ist daher ein thematischer Zusammenhang. Kohäsion beruht auf umweltbezogenen Gedächtnisbeziehungen; sie macht die Globalstruktur von Texten aus. Da Texte Gebilde aus lexikalischen Einheiten sind, spielen lexikalische Einheiten auf allen Etappen der Textproduktion und -rezeption eine herausragende Rolle.

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Gedächtnis - Lexikon - Text

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II. Psycholinguistik

Theo Herrmann/Siegfried Hoppe-Graff (Mannheim/Heidelberg)

Textproduktion" Abstract: Text production is one of the fields of the psychology of language which have been neglected for a long time. A process model of text production is presented here, explained by means of examples and compaied with similar models. Three subprocesses of text production are distinguished: (i) the Provision of a cognitive basis of utterance, (ü) the selection and linearization of inputs for verbal encoding, and (iii) the encoding of these inputs. These three processes are specifically influenced by the Speaker's goals and the way s/he mentally represents her/his partner. Focusing as well as selection and linearization can be inteipreted as making use of disparate kinds of cognitive Schemata ("what-to-do"-scheniata vs. "how-todo-something"-schemata).

Nach wie vor ist die Sprachproduktion ein vernachlässigtes Teilgebiet der Sprachpsychologie. Das gilt insbesondere für die Produktion von zusammenhängenden satzübergreifenden Äußerungen, also von Texten oder Diskursen. Zum Beispiel existiert unseres Wissens nicht ein einziges ausgearbeitetes Modell für den Gesamtprozeß der Textproduktion: Was vorliegt, sind einerseits Vorstellungen über einzelne Prozesse oder Prinzipien, andererseits allgemeine Sprachproduktionsmodelle, die primär nicht für Texte, sondern für Sätze oder Wörter formuliert und auf der Satz- und Wortebene angewendet und überprüft worden sind (vgl. Butterworth 1980, Molitor 1984). Wenn wir bei diesem Forschungsstand dennoch ein Sprachproduktionsmodell (vgl. Herrmann 1982, 1985, Hoppe-Graff et al. 1985) an den Anfang stellen, so hat das drei Gründe. Erstens nehmen wir an, daß es, als Rahmenmodell, prinzipiell auch die Produktion von Texten beschreiben kann. Zweitens gliedert es den Prozeß der Sprachproduktion in eine Abfolge von Produktionsstufen und ist so als advance Organizer für die Ein* Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung der Psychologie Verlags Union aus: Spada,HyMandl,H. (Hrsg.): Wissenspsychologie. München/Weinheim 1988.

Textproduktion

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Ordnung der Einzelfragen und Befunde zur Textproduktion geeignet. Drittens läßt sich anhand des Modells der Bezug der Textproduktion zum Rahmenthema dieses Buches deutlich aufweisen: Wir möchten zeigen, daß und wie das Wissen in verschiedenen Formen und in mehrfacher Weise in den Prozeß der Sprachproduktion eingreift. Wir werden in unserem Beitrag die Ausdrücke Text und Diskurs bzw. Textproduktion und Diskursproduktion synonym gebrauchen, denn in der Fachliteratur wird zwischen Text und Diskurs keine eindeutige Abgrenzung getroffen; allenfalls bezieht sich Diskurs eher auf den Vorgang des Äußems, Text eher auf das Ergebnis der Äußerung und dessen Merkmale. Texte können mündlich oder schriftlich produziert werden. Die kognitions- und sprachpsychologische Forschung hat sich vor allem mit der mündlichen ("phonetischen") Sprachproduktion befaßt. Die wenigen Untersuchungen zum Schreiben von Texten legen es nahe, sowohl Übereinstimmungen in den Grundprinzipien als auch Besonderheiten, die mit der Eigenart des Schreibens zu tun haben, anzunehmen (Gregg/Steinberg 1980, Rubin 1980, Nystrand 1982).

1. Ein begrifflicher Rahmen: Die drei Stufen der Textproduktion Menschen, die Texte gestalten, wollen damit Ziele erreichen, sie erfüllen damit eine ihnen gesetzte oder selbstgewählte Aufgabe, und sie beachten bei ihrer Textproduktion immer auch den oder die Kommunikationspartner, den oder die Adressaten, für den/die der Text bestimmt ist. Weitere Gesichtspunkte der Situations- und Kontextabhängigkeit des Schreibens und Sprechens mögen hinzukommen; man denke beispielsweise an die "institutionelle Rahmung" des Sprechens, etwa an den Unterschied von Diskussionen in der Schule und auf dem Sportplatz. Die grundlegende Ziel- und Partnerbezogenheit ist ein in unserer Sicht entscheidender, aber bei der Erforschung der Textproduktion bisher nur unzureichend beachteter Gesichtspunkt, der bei der mündlichen Diskursproduktion in face-ro-/ace-Situationen vielleicht offensichtlicher ist als bei der Abfassung schriftlicher Texte. Wenn zum Beispiel während eines Besuchs im Sozialamt der Klient dem ihm gegenübersitzenden Beamten etwas erzählt, so hat dies innerhalb des jeweiligen Sozialamtsgesprächs eine bestimmte kommunikative Funktion, und die Erzählung wird vom Sprecher auf die soziale Rolle ausgerichtet, die er selbst und der Beamte einnehmen. Eine solche Erzählung kann etwa der Selbstdarstellung oder der psychischen Entiastung oder aber

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Herrmann/Hoppe-Graff

auch der Unterhaltung und Belustigung des Partners dienen (Quasthoff 1980). So wird die Erzählung - unabhängig vom erzählten Sachverhalt unterschiedlich geplant und gestaltet. Bei der Abfassung schriftlicher Texte ist die Lage komplexer: Nicht jeder Text ist ausdrücklich (in erster Linie) an einen anderen gerichtet. Der Schreiber kann einen Text einfach "aus sich herausschreiben", er kann etwas zum Zwecke verbesserter intellektueller Problemdurchdringung zu Papier bringen, oder er kann bereits gewonnene Lösungsansätze für ein Problem aufschreiben, er kann sich Notizen für eine Rede machen oder Gedanken konservierend festhalten. Hier erlebt der Produzent sich selbst und nicht einen anderen als Adressaten, und die Art der Textproduktion richtet sich nach den soeben genannten Handlungszielen. Oder aber der Schreiber will sein Wissen an bestimmte Leser weitergeben, und/oder er will bestimmte Leser bezüglich ihrer Einstellungen und Handlungen beeinflussen und lenken (s. Ludwig 1980; vgl. auch GüntherAjünther 1983, Molitor 1984). Auch die schriftliche Textverfertigung ist danach stets ziel- und adressatenbezogen; so schreiben wir selbst diesen Lehrbuchbeitrag anders als einen an Insider gerichteten Forschungsbericht über unsere Arbeiten zur Textproduktion. Es kann also festgehalten werden, daß die mündliche und schriftliche Textproduktion immer auch ziel- und partnerbezogen ist. Allenfalls handelt es sich beim Adressaten um einen "abstrakten", "generalisierten" Partner (etwa um die Leserschaft eines Buches oder um die Zuhörerschaft einer Vorlesung). Die Art des Kommunikationsziels und des Partners bestimmen mit, wie die Textproduktion jeweils beschaffen ist. Dabei sind mindestens die drei folgenden Stirfen der Textproduktion zu unterscheiden: (l)Der Sprecher oder Schreiber kann ziel- und parmerbezogen unterschiedliche Aspekte oder Komponenten eines ihm bekannten oder von ihm erlebten Sachverhaltes zum Thema des Diskurses machen; er kann zum Beispiel den Sachverhalt unter unterschiedlichen Perspektiven verbalisieren (Anderson/Pichert 1978). Erzählt jemand jemandem etwas über eine Party, an der er teilnahm, so mag er - ziel- und partnerbezogen - einmal die Bewirtung, ein andermal die Wohnungseinrichtung oder zum dritten einige während der Party vernommene Gerüchte über die Gastgeber zum Inhalt seines Berichts machen: Gekannte oder erlebte Sachverhalte werden ziel- und partnerbezogen fokussiert. Das "Worüber" des Texts, seine Thematik, nennen wir den Fokus bzw. die (fokussierte) "gedankliche" (informationale, kognitive, propositionale) Basis der Textproduktion. Der Fokus besteht aus strukturierter Fokusinformation. Man

Textprodiiküon

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kann diese Informationsstruktur als ein Gefüge von Propositionen (Prädikat-Argument-Zusammenhängen) auffassen (vgl. auch Schlesinger 1977, Sidner 1983, Herrmann 1985). (2) Bei demselben Fokus, der sich auf denselben Sachverhalt bezieht, kann der Textproduzent - wiederum ziel- und partnerbezogen - Unterschiedliches verbalisieren, um die Fokusinformation an den Adressaten zu transferieren. Zur Fokusinformation eines Sprechers möge der erinnerte Tatbestand gehören, daß er einer ihm zugewandten Frau gegenüberstand, die ihr Kind an ihrer linken Hand hielt. Er kann dann verbalisieren, daß das Kind links von der Frau stand. Oder er äußert, daß das Kind auf der rechten Seite der Frau stand (vgl. Miller/Johnson-Laird 1976, Ehrich 1986). Oder man kann angesichts eines und desselben Tatbestands davon sprechen, Anna habe dem Otto das Fahrrad verkauft, oder Otto habe von Anna das Fahrrad gekauft (Gentner 1975). Das seligierte "gedankliche Material" für die sprachliche Verschlüsselung (Enkodier-Input) ist hier jeweils bei gleicher Fokusinformation verschieden. Aus einer vorliegenden Fokusinformation können unterschiedliche Enkodier-Inputs seligiert weiden (= Input-Selektion). Und die einzelnen Enkodier-Inputs können zudem in unterschiedlicher Reihenfolge seligiert werden. Man kann bei einer Wohnungsbeschreibung zuerst vom Eßzimmer und dann erst von der Küche sprechen - oder umgekehrt; man kann zuerst die Pointe erzählen und dann erst, wie es dazu kam, usf. Bei gleicher Fokusinformation kann also eine unterschiedliche Input-Linearisierung (Linearisierung der Enkodier-Inputs) stattfinden. (3) Liegt ein und derselbe Endkodier-Input (als Element einer bestimmten Enkodier-Reihenfolge bzw. Linearisierung) vor, so kann dieser Input wiederum ziel- und partnerbezogen - sprachlich unterschiedlich verschlüsselt werden. Man kann den Sachverhalt, daß Anna das Fahirad verkaufte, in verschiedenen Sprachen, Subsprachen, Dialekten, Soziolekten (zum Beispiel "Anne verhökerte den Drahtesel") usf. verbalisieren, und man kann den Tatbestand auch mittels desselben Sprachkodes verschieden enkodieren: "Anna verkaufte das Fahrrad", vs. "Das Fahrrad wurde von Anna verkauft", vs. "Es war Anna, die das Fahrrad verkaufte" (usf.). Von der Fokussierung, der Input-Selektion und der Input-Linearisierung ist also die verbale Enkodierung zu unterscheiden. Es sei schon hier darauf hingewiesen, daß auf den drei Stufen der Textproduktion - Fokussierung, Selektion/Linearisierung und Enkodierung zeitlich parallele Prozesse ablaufen, und daß die Stufen funktional eng miteinander interagieren bzw. durch Rückkopplungsschleifen verbunden sind.

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Herrmann/Hoppe-Graff

Die hier verwendete Stufeneinteilung (vgl. Herrmann 1982, 1985) unterscheidet sich von einigen anderen Klassifizierungen. So verwendet auch Chafe (1977, 1979) ein dreistufiges Sprachproduktionsmodell, demzufolge der Sprachproduzent (1) zunächst auf der Basis seines Weltwissens eine "Semantische Struktur" aus Propositionen bereitstellt. Will er diese gedankliche Konfiguration sprachlich mitteilen, so bringt er das Mitzuteilende in eine Reihenfolge (= Linearisierung). So entsteht (2) die "Oberflächenstruktur" einer Äußerung. Schließlich wird diese "Oberflächenstruktur" - beim Sprechen - in eine Reihenfolge von Lauten umgesetzt; es resultiert (3) die "Phonetische Struktur". Bei Chafes Modell spielt die Bezogenheit des Sprechens bzw. Schreibens auf das jeweilige Kommunikationsziel und den Partner kaum eine Rolle. Dies gilt in abgeschwächtem Maße auch für die Sprachproduktionstheorie von Schlesinger (1977). Schlesinger unterscheidet ebenfalls drei Produktionsstufen. Der Sprecher hat (1) eine (nonverbale) "Kognitive Struktur" zur Verfügung; sie besteht aus allem demjenigen, was der Sprecher beachtet und worüber er sprechen will. Nach und nach entnimmt er der "Kognitiven Struktur" (2) sogenannte "I-Markers", die - in der Regel: satzweise - alle relevanten Informationen enthalten, die für die sprachliche Verschlüsselung in einer Einzelsprache erforderlich sind. "I-Markers" bestehen sowohl aus gedanklich-kognitiven als auch aus einzelsprachlich-verbalen Informationselementen (Lexemen) und werden demzufolge "protoverbal" genannt. Aus den "I-Markers" entstehen endlich im Wege der Anwendung von einelsprachenspezifischen "Realisationsregeln" (3) "verbale Äußerungen". Kommunikationsziel- und partnerbezogene Spezifizierungen dieser Äußerungen erfolgen erst bei der Anwendung der "Realisationsregeln". Dies, neben anderen theoretischen Differenzen, unterscheidet Schlesingers Einteilung von der hier verwendeten Klassifikation. Wie dargestellt, ist bereits die Bildung des Fokus als erste Stufe der Sprachproduktion (siehe oben) dezidiert ziel- und partnerspezifisch. Der für uns zentrale Punkt der Ziel- und Partnerbezogenheit der Diskursproduktion wird auch im Produktionsmodell für das Schreiben von expositorischen Texten von Hayes und Flower (1980) und im "Strategiennodell" von van Dijk und Kintsch (1983) betont. Hayes und Flower, die dem Denkansatz und dem Vorgehen der Artificial Intelligence-Forschung nahestehen, leiten aus der Analyse vorliegender Schreibresultate (verbaler Protokolle) die Unterscheidung von drei globalen Stufen bei der planvollen Abfassung schriftlicher Texte ab. Textproduktion besteht danach aus (1) dem Planen, (2) dem Übersetzen (engl, translating) und (3) dem Überprüfen (reviewing), wobei das Übersetzen etwa der Stufe der verba-

Textproduktion

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len Enkodicrung in unserem Modell entspricht und mit Überprüfen (bestehend aus den Subprozessen des Lesens und Editierens) ein unmittelbar an das Enkodieren anschließender Kontroll- und ggf. Korrekturprozeß gemeint ist. Innerhalb der Planungsphase unterscheiden Hayes und Flower die Subprozesse des Generierens, Organisierens und Zielsetzens. Die Funktion des Generierens ist das Abrufen von diskursrelevanten Informationen aus dem Langzeitgedächtnis - insofern unserer Fokussierung vergleichbar. Die Funktion des Organisierens ist es, daraus unter der Kontrolle eines übergeordneten Schreibplans das am besten geeignete "Material" und dessen Reihenfolge (Linearisierung) auszuwählen. Hayes und Flower gehen nun, abweichend von unserer Vorstellung, davon aus, daß beim "Generieren" nicht nur die "Gegenstände" von Äußerungen aktualisiert werden, sondern auch schon gleichzeitig und nicht deutlich getrennt davon die Kriterien, nach denen unter dem Aspekt der Ziel- und Partnerangemessenheit das "Enkodierergebnis" in der Überprüfungsphase zu beurteilen sein wird. Die Aufgabe des Zielsetzens ist es dann, diese Kriterien zu identifizieren und für das Überprüfen zu speichern. Bei van Dijk und Kintsch (1983) wird die Ziel- und Partnerbezogenheit der Diskursproduktion im Begriff der Produkttonsstrategie berücksichtigt. Produktionsstrategien - van Dijk und Kintsch unterscheiden unter anderem interaktive und pragmatische Strategien, semantische Sti-ategien, Makrosti-ategien, propositionale Strategien und Formulierungsstrategien sind dadurch ausgezeichnet, daß sie die Flexibilität des Sprechers, mit der er während des gesamten Produktionsprozesses seine spezifische Zielsetzung und die Besonderheiten der Sprechsituation und des Sprechpartners berücksichtigt, in den Mittelpunkt rücken. Auch wenn die Abfolge der Anwendung der Strategien im Produktionsprozeß bei van Dijk und Kintsch nicht genau festgelegt ist, so stimmt doch dieses Modell mit unserer Auffassung auch darin überein, daß das Produzieren von Diskursen nicht als strikt lineare Abarbeitung von "Strategiestufen" zu verstehen ist, sondern als ein komplexes System von Teilprozessen, das sowohl vielfältige Hierarchiebeziehungen als auch Rückkopplungen enthält.

2. Wissensaktualisierung und Fokussierung (1) Wenn jemand in einer Kommunikationssituation Äußerungen produziert, so geschieht das auf der Grundlage von gespeicherten (deklarativen) Wissensbeständen, die sich auf die "Welt", die Wirklichkeit beziehen - so wie der Sprachproduzent die Wirklichkeit versteht (Chafe 1977). Derart berichtet man über dasjenige, was man erlebt oder erfahren hat; man er-

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zählt so, wie man über die Welt - selbst über eine fiktive Welt - zu denken gelernt hat; man beantwortet Fragen auf der Basis seines Wissens; man fragt sogar so, wie man die Dinge versteht (vgl. Flammer 1981). Neben diese Art, beim Sprechen und Schreiben "Weltwissen" zu verwenden, tritt eine andere Art der Wissensnutzung: Wissen über das Funktionieren des menschlichen Zusammenlebens, über die Bewältigung von kommunikativen Aufgaben und Problemen, über soziale Konventionen, über Eigentümlichkeiten von (Klassen von) Partnern und dergleichen bestimmen bereits mit, (a) ob man überhaupt in einer Konnmunikationssituation Äußerungen produziert und (b) auf welche Aspekte oder Komponenten des zuerst genannten Weltwissens man sich dabei bezieht. (2) Die jeweils "ersten" (vorgeordneten) Entscheidungen in einer Kommunikationssituation bestehen darin, ein Handlungsziel (oder entsprechende Unterziele) überhaupt mittels produzierter Äußerungen erreichen zu wollen (vgl. van Dijk/Kintsch 1983, Kap. 8). Und diese Ziel-MittelVerknüpfung erfolgt auf der Basis von Wissen über soziale Zusanunenhänge, Konventionen und Partnereigenschaften: Man fordert jemanden zu einer Handlung auf, weil man die aktuelle Situation erlemtermaßen so einschätzt, daß die Aufforderung an den Partner effektiver zu sein verspricht, als etwas selbst zu tun (Herrmann 1982); man erwidert einen Gruß, um eine soziale Konvention zu erfüllen; man weiß, daß man Fragen, im Regelfall, zu beantworten hat; man beginnt etwas zu erzählen, weil man gelernt hat, angesichts einer bestimmten sozialen Rollenkonstellation den Partner dadurch für sich einzunehmen (Quasthoff 1980), usf. Desgleichen weiß man oft, unter welchen Bedingungen man Äußerungen unterläßt. Man spricht den Pfarrer nicht während des Gottesdienstes an, auch wenn man etwas auf dem Herzen hat; man verweigert jemandem den Gruß, weil man weiß, daß man ihn damit ärgern oder kränken kann, usf. Kommunikationssituationen unterscheiden sich danach, ob man bei der Entscheidung, sich überhaupt zu äußern, auf gewissermaßen fertig vorliegende Wissensbestände zurückgreifen kann. Gehört eine Kommunikationssituation zu einer Klasse von häufig eintretenden, "routinisierten" Situationen (= Standardsituationen), so genügt es, diese singulare Situation der betreffenden Situationsklasse zu subsumieren, um damit bereits entschieden zu haben, ob man sich äußert oder nicht. In anderen Fällen (= Nichtstandardsituationen) kann der Entschluß, etwas zu sagen (oder auch zu schreiben), das Ergebnis eines echten Problemlösungsprozesses sein; doch auch dieses Problemlösen geht nicht ohne die Nutzung von Wissen -

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sogenannter heuristischer Information - vor sich (Dömer 1979, Heitmann et al. 1984; "heuristisch" bedeutet: "dem Auffinden dienlich"). (3) Soweit man in einer Kommunikationssituation überhaupt Äußerungen plant und manifestiert, stellt man Wissensbestände bereit, deren Auswahl ersichtlich zum einen davon abhängt, was man weiß, erlebt oder erfahren hat oder was man auf der Basis dieses Wissens schlußfolgern kann. Zum anderen erfolgt diese Auswahl aber nach dem Handlungsziel und den Besonderheiten der Kommunikationssituation und insbesondere des Kommunikationsparrners. Nehmen wir an, daß jemand eine Party besuchte (Kognitionssituation), um sich richtig sattzuessen, und daß ihn die Wohnungseinrichtung des Gastgebers wenig interessierte. Wird er aber nun von einem Gesprächspartner gebeten, über die Wohnungseinrichtung zu berichten, und folgt er dieser Bitte in der Kommunikationssituation, so erzählt er über das kalte Büffet, das ihn seinerzeit dominant interessiert hatte, nur wenig oder nichts; vielmehr berichtet er primär über die Wohnungseinrichtung. Vielleicht aktiviert er zu diesem Zweck auch "einrichtungsspezifisches" Wissen, das er nicht während der Party, sondern anderweitig erworben hat Die Information, die der Sprachproduzent kommunikations- und sprachzielbezogen bereitstellt und die sich nach allem von dem seinerzeit in der Kognitionssituation eingespeicherten Sachverhaltswissen beträchdich unterscheiden kann, macht die wesentiichen Komponenten der Fokusinformation aus. Diese Fokusinformation, die in der Kommunikationssituation bereitgestellt wird, und das Sachverhaltswissen, das während der Kognitionssituation (vgl. Party) entstand, bilden informational eine Schnittmenge: Bestimmte Informationselemente des Sachverhaltswissens weiden bei der Fokussierung nicht berücksichtigt; auch enthält der Fokus Informationselemente, die nicht zum Sachverhaltswissen aus der Kognitionssituation gehören (Herrmann 1985). Manche Elemente der Fokusinformation sind nicht das Resultat eines bloßen Abrufs von bereitliegendem Wissen aus dem Gedächtnis, sondern entstehen durch "mnestisches" Rekonstruieren auf der Basis des noch abrufbaren Wissens (Spiro 1977,1980) und durch verschiedenartige Schlußfolgerungen (Omanson et al. 1978, Bransford 1979, Schnotz 1984; vgl. dazu auch Anderson/Pichert 1978). Wird auch nach allem dasjenige, worüber gesprochen bzw. was aufgeschrieben wird, primär durch die Zielsetzung bestimmt, die der Sprachproduzent in der Kommunikationssituation mit Hilfe der Textproduktion

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Herrmann/Hoppe-Graff

verfolgt, so ist doch das spezifische, seinerzeit während der Kognitionssituation gebildete Sachverhaltswissen für die Textproduktion nicht bedeutungslos. So sprechen einige Befunde dafür, daß dasjenige, worüber man berichtet, genauer bzw. detailreicher formuliert werden kann, wenn die während der Kognitionssituation eingenommene Kognitionsperspektive mit der aktuellen ziel- und partnerspezifischen Fokussierung übereinstimmt (Herrmann et al. 1985). Wer bereits auf der Party auf die Wohnungseinrichtung besonders geachtet hatte, kann seinem Kommunikationspartner über die Wohnungseinrichtung genauer und detailgetreuer berichten als deijenige, der die Party unter der Perspektive, delikate Speisen und Getränke zu sich zu nehmen, erlebte. (4) Betrachten wir die Fokussierung an einem Beispiel (Herrmann 1982): Jemand hat das situationsspezifische Ziel, daß ein bestimmtes, jetzt noch geschlossenes Fenster offen sein soll. Er hat gelernt, den Partner zum Öffnen des Fensters aufzufordern, falls - neben dem Vorliegen des Ziels bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Zu diesen Bedingungen gehört unter anderem, daß der Partner (auf entsprechende Aufforderung hin) zum Öffnen des Fensters bereit und daß er dazu imstande ist. Außerdem liegt eine soziale Konvention vor, derzufolge der Sprecher zum Auffordern des Partners legitimiert ist (Nicht immer, wenn jemand will, daß das Fenster geöffnet ist, und wenn der Partner zum Öffnen bereit und in der Lage ist, bedeutet das schon, daß die Aufforderung einer geltenden Konvention entspricht; man denke an die Zugluftempfindlichkeit eines anwesenden Dritten.) Dieses erlernte und aktivierte "Aufforderungswissen", konkret auf das Fensteröffnen bezogen, kann man als einen wesentlichen Teil der Fokusirrformation des Auffordemden auffassen, wobei diese Fokusinformation die Informationsbasis für die zu produzierende Aufforderungsäußerung bildet. Man kann diese Fokusinformation wie in Abb. 1 als partielle Implikationsstruktur rekonstruieren. Es handelt sich hierbei um einen schematisierten Wissensbestand oder um ein kognitives Schema (vgl. unter anderem Rumelhart/Ortony 1977), der bzw. das situationsspezifisch konkretisiert wurde. Anders formuliert, besteht ein Aufforderungsschema partiell aus variablen Größen, die situationsgerecht mit konkreten Werten belegt - instantiiert - werden. Nach demselben Schema würde danach auch ein Kiosk-Verkäufer aufgefordert, den SPIEGEL zu verkaufen; oder der Mitbewohner einer Wohngemeinschaft würde aufgefordert, heute die Suppe zu kochen, usf Stets handelt es sich um fokussierte Information, die einer Klasse von zu produzieren-

Tex^roduktion

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r - Ü / l P R Ä F E R I E R E N (SPRECHER: FENSTER OFFEN)] '-{ly[FENSTER

GESCHLOSSEN)

folgt aus

r - ^ [ W O L L E N ( SPRECHER : FENSTER OFFEN)) - ^ ( K Ö N N E N (PARTNER: FENSTER ÖFFNEN)) ^ - { 1 7 [WOLLEN ( P A R T N E R : F E N S T E R Ö F F N E N ) ) folgt a u s

6/ [WOLLEN ( S P R E C H E R : PARTNER: F E N S T E R Ö F F N E N ) ) — [ j ] [REGEL ( X IST B E F U G T : X AUFFORDERN Y: F E N S T E R ÖFFNEN )) [SPRECHER IST EIN X ] [PARTNER IST E I N Y ) folgt a u s

^ [ A U F F O R D E R N (SPRECHER,PARTNER: FENSTER ÖFFNEN)]

Abbildung 1: Fokusinformation als kognitive Basis für eine Ai^orderung zum Fensteröffnen - vereinfachte Darstellung

den Äußerungen (Aufforderungen) als kognitive Basis dient. Dieses Aufforderungsschema kann in abstracto wie in Abb. 2 rekonstruiert werden.

3. Selektion und Linearisierung (1) Nicht alle Informationen, die der Sprecher oder Schreiber fokussiert, werden verbalisiert. Der Sprachproduzent seligiert Komponenten des Fokus und macht sie zum Input einzelsprachlicher Verschlüsselung bzw. Enkodierung (= Input-Selektion). Außerdem werden mehrere Fokuskomponenten häufig in einer bestimmten Reihenfolge seligiert und sprachlich enkodiert (= Input-Linearisierung).

1S6

Hemnann/Hoppe-Graff

r - [ Ä ] [PRÄFERIEREN (SPRECHER : S O L L Z U S T A N D ) ] [ N I C H T SOLLZUSTAND 1 folgt a u s (WOLLEN ( S P R E C H E R : SOLLZUSTAND )] [KÖNNEN ( P A R T N E R : H A N D L U N G ) ] - { 1 7 [WOLLEN ( P A R T N E R : H A N D L U N G ) ]

folgt a u s 17[WOLLEN (SPRECHER:PARTNER: HANDLUNG)] [REGEL (X IST B E F U G T : X A U F F O R D E R N Y: H A N D L U N G ) ] [ S P R E C H E R IST E I N X ] - 2 ( 1 7 [PARTNER IST E I N Y ] folgt a u s 5 g (AUFFORDERN (SPRECHER.PARTNER: HANDLUNG)]

Abbildung 2: Abstrakte Rekonstruktion vereinfachte Darstellung

des Aufforderungsschemas

-

(2) Niemand, der seinen Partner zum Öffnen des Fensters auffordert, verbalisiert die gesamte Fokus-Information, wie sie in Abb. 1 dargestellt ist. Statt dessen seligiert er Teile dieses Fokus und verbalisiert sie. Wenn jemand etwa die Komponente 9 aus Abb. 1 verbalisiert, so sagt er vielleicht: "Du bist verpflichtet, das Fenster zu öffnen." Verbalisiert er Komponente 6, so äußert er vielleicht: Ich möchte, daß du das Fenster öffnest." Verbalisiert er Komponente 2, so mag er - sehr indirekt - sagen: "Das Fenster ist immer noch geschlossen." In jedem dieser Fälle seligiert der Sprecher eine unterschiedliche Komponente der Fokusinformation als Enkodier-Input. Über die Bedingungen, durch deren Zusammenspiel determiniert wird, welche Fokuskomponenten zum Enkodier-Input werden und welche nicht, ist bis heute kaum etwas bekannt (siehe aber den Versuch von van Dijk/Kintsch 1983, Kap. 8, erste Annahmen über entsprechende "proposi-

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tionale Produktionsstrategien" aufzustellen). Herrmann et al. (1984) haben für das Auffordern einige Befunde zur Detennination der InputSelektion ermittelt: Es gibt Aufforderungssituationen (vgl. zum Beispiel den Zeitungsverkauf am Kiosk), bei denen der Sprecher mit hoher subjektiver Wahrscheinlichkeit unterstellt, daß der Partner ohne weiteres bereit und imstande ist, der Aufforderung nachzukommen, und daß der Sprecher selbst zum Auffordern hoch legitimiert ist (= Standardsituation; s. o.). In diesen Fällen seligiert man überwiegend Fokuskomponenten der Kategorien 4 - 6 (s. Abb. 2). Beispiel für Kategorie 4: "Sie können mir mal den SPIEGEL geben.") Sehr direkte Aufforderungen der Kategorien 7 - 10 (Beispiel für Kategorie 8: "Ich bin befugt, von Ihnen den SPIEGEL zu verlangen.") fehlen hier so gut wie ganz. In anderen Aufforderungssituationen ist die subjektive Wahrscheinlichkeit von partnerseitiger Bereitschaft, partnerseitigem Können und sprecherseitiger Legitimation bei weitem geringer (= Nichtstandardsituation; s. o.). Hier werden indirekte bzw. nichtexplizite Aufforderungen der Kategorien 1 - 3 bevorzugt, bei denen weder auf den Partner noch auf die von ihm gewünschte Handlung Bezug genommen wird (Beispiel für Kategorie 1: "Ich hätte gern, daß das Fenster offen ist."). Einen besonderen Fall stellt die Bedingungskonstellation dar, bei der eine hohe sprecherseitige Legitimation mit einer geringen partnerseitigen Bereitschaft einhergeht. In dieser Konstellation neigt man zu sehr direkten, expliziten und kaum mißzuverstehenden Aufforderungen der Kategorien 7 - 10 (Beispiel für Kategorie 7: "Man überiäßt Behinderten seinen Sitzplatz."). (3) Produzierte Texte (Diskurse) sind üblicherweise nicht das Resultat der Selektion und sprachlichen Verschlüsselung einer einzigen Fokuskomponente. Vielmehr werden mehrere oder viele Fokuskomponenten seligiert und zugleich in eine Reihenfolge gebracht (= linearisiert) (de Beaugrande 1982). So mag ein Arzt das Handlungsziel haben, mit dem Auto zu einem Patienten zu fahren. Ist nun die Ausfahrt durch ein anderes Auto blockiert und der Fahrer dieses Wagens anwesend, so wird der Arzt häufig eine komplexe Aufforderung verwenden (vgl. Abb. 2): Zuerst mag er vielleicht sein Handlungsziel nennen (Kategorie 3), dann mag er auf eine geltende Konvention verweisen (Kategorie 7), und schließlich mag er eine sehr direkte, Imperativisch formulierte Aufforderung aussprechen (= Kategorie 10): "Ich will zu einem Patienten fahren. Man darf die Ausfahrt von Arztpraxen nicht blockieren. Also fahren Sie bitte Ihren Wagen weg!" - Ähnliche Sequenzen sind offensichtlich zielführend, wenn man jemanden um Hilfe bittet (vgl. Mikula 1977).

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Die Linearisierung von Fokusinfonnation kann in vielen Fällen so betrachtet werden, daß der Sprachproduzent über schematische Linearisierungsprozeduren verfügt. Man erlernt also nicht nur schematisiertes Wissen, worüber man kommunikationsziel- und partnerspezifisch spricht oder schreibt (s. o.: Fokus-Schemata beim Vorliegen von Standardsituationen), sondern man erwirbt auch prozedurale Schemata, nach denen die Sequenzierung von Fokusinformation erfolgt. Die üblichste Linearisierungsprozedur erfolgt nach dem Prinzip, die Dinge in derjenigen Reihenfolge zu sagen oder zu schreiben, in der sie sich zutragen oder zugetragen haben (vgl. auch Flammer et al. 1985). So mag jemand über die erlebte Party derart erzählen, daß er mit seinem Eintreffen anfängt, chronologisch berichtet und mit seinem Weggang endet. Das Erzählen von Märchen und ähnlichen nairativen Diskursen ist in der Regel streng nach der Abfolge der zu erzählenden Ereignisse organisiert (vgl. Bühler Stein/Glenn 1979, Black/Bower 1980). Doch ist die intrinsische Zeitstruktur von Ereignisfolgen keineswegs der einzige Linearisierungsgesichtspunkt Viele Sachverhalte, über die zu berichten ist, haben gar keine solche Zeitstruktur. Das gilt zum Beispiel für die Beschreibung von Räumen bzw. Raumstrukturen. Auch Raumstrukturen werden nicht in zufälliger Weise verbalisiert. So gibt es ein von fast allen Menschen verwendetes Linearisierungsschema für die Beschreibung von Wohnungen, bei dessen Nutzung man - an der Wohnungstür beginnend - mit dem Partner einen virtuellen Rundgang durch die Wohnung macht (Linde/Labov 1975; s. aber auch kritisch hierzu Nirmaier et al. 1984). Beschreibt man Raumstrukturen, so linearisiert man so, daß man selbst und der Partner beim Vorliegen räumlicher Verzweigungen bzw. Gabelungen möglichst wenig Information Zwischenspeichern muß, um nach dem beschreibenden "Abarbeiten" eines "Zweiges" zum Verzweigungspunkt kognitiv zurückfinden zu können (Levelt 1981,1982). Aber auch wenn der zu beschreibende Sachverhalt eine intrinsische Zeitstruktur besitzt, ist man nicht der Sklave dieser Struktur: So kann man zuerst über das turbulente Ende der Party berichten und erst dann erzählen, wie es dazu kam. Oder wenn man das Anfertigen eines Gerichts beschreibt, kann man ein Rezept-Schema verwenden. Die Anwendung dieses Linearisierungsschemas impliziert in der Regel, zuerst alle zu verwendenden Zutaten (mit Mengenangaben) zu verbalisieren und dann erst in einem Zuge die Zubereitung zu beschreiben (Herrman et al. 1985). Bei einer Linearisierung zufolge der intrinsischen Struktur des Kochens wür-

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den demgegenüber Zutaten erst nach und nach genannt, so wie sie bei der Vorbereitung und Zubereitung der Speise sukzessiv ins Spiel kommen. Nicht jede Linearisierung von Fokusinformation erfolgt nach strikten Linearisierungsschemata, wie sie bei der Wohnungsbeschreibung, bei der Angabe von Kochrezepten oder beim Märchenerzählen vorzuliegen pflegen. Ebenso wie die Fokussierung in Nichtstandardsituationen (s. o.) das Ergebnis von zum Teil komplizierten Problemlösungsvorgängen sein kann, so kann die Linearisierung aus der aufwendigen Ad-hoc-Planung von Reihenfolgen der Fokuskomponenten resultieren (vgl. auch Molitor 1984). (Das weiß jeder, der Schwierigkeiten beim "Aufbau" einer wissenschaftlichen Arbeit durchzustehen hatte.) Soweit aber die Textproduktion anhand von etablierten kognitiven Schemata erfolgt, sind nach allem Schemata des Fokussierens ("Was-Schemata") von Linearisierungsschemata ("Wie-Schemata") theoretisch zu trennen.

4. Verbale Enkodierung (1) Als Ergebnis der Fokussierungs-, Selektions- und Linearisierungsprozesse hat der Sprecher entschieden, worüber er sich äußern, was er davon und in welcher Reihenfolge er es in Worte fassen will. Diese Entscheidungen bilden auch den Ausgangspunkt (engl, initial structure) für die verbale Enkodierung. (Sprechplanung implizieri auf den verschiedenen Stufen Entscheidungen; mit dem Begriff der Entscheidung ist hier natürlich nicht gemeint, daß es sich um intentionale und bewußte Entscheidungen handeta muß.) In unserem Partybeispiel hat der Sprecher etwa entschieden, sich über die Wohnungseinrichtung und nicht über die Qualität des kalten Büffets zu äußern, und er hat sich entschieden, die Einrichtung gemäß ihrer räumlichen Anordnung und unter der Maßgabe, den schlechten Geschmack des Wohnungsinhabers deutlich werden zu lassen, zu beschreiben. Es stellt sich nun die Frage: Wie wird dieser nichtsprachliche Enkodierinput in die beobachtbare mündliche oder schriftliche Äußerung übersetzt? Bei der verbalen Enkodierung wird häufig zwischen den Komponenten der syntaktischen, lexikalischen und prosodischen Enkodierung unterschieden (vgl. Satzbau; Wortwahl; Betonungs- und Tonhöhenverlauf). Diese sprachspezifischen Transformationsprozesse werden nochmals von der artikulatorischen (beim Sprechen) bzw. schreibmotorischen (beim Schreiben) Realisierung von Texten abgegrenzt, wobei der letztgenannte Prozeß auch häufig, bei einer groben Einteilung der Sprachproduktion, der vorausgehenden (gesamten) Planungsphase gegenübergestellt wird. Die Prinzipien und Prozesse der verbalen Enkodierung sind seit

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kurzer Zeit Gegenstand intensiver sprachpsychologischer Forschung (vgl. zum Beispiel Schlesinger 1977, Givon 1979, Herrmann 1985), doch gilt wiederum, daß die Überlegungen und Untersuchungen fast ausschließlich auf die Satz- und Wortebene beschränkt waren. (2) Enkodierungsprozesse betreffen zum Beispiel die Wahl der Intonation und der Wortstellung, die Pronominalisierung, die Verwendung emphatischer Partikeln (z. B. natürlich, ja, halt, ohnehin, usf.) und die Verwendung von Soziolekten (für eine Übersicht der im Zusammenhang mit der Textproduktion besonders relevanten "Enkodierstrategien" siehe van Dijk/Kintsch 1983:284). Liegt als propositional darstellbarer Enkodierinput (semantischer Input) in unserem Beispiel unter anderem der "gedankliche Inhalt" vor, daß im Regal ein völlig veralteter Plattenspieler und ein nagelneuer Fernsehapparat standen, so kann der Sprecher etwa äußern (Kursivdruck kennzeichnet die Betonung): (1)... "Im Regal standen ein uralter Plattenspieler und ein nagelneuer Fernseher"... oder (2)... "Ein uralter Plattenspieler und ein nagelneuer Fernseher standen im Regal"... oder (3)... "Im Regal standen ein uralter Plattenspieler und ein nagelneuer Femseher"... oder (4)... "Im Regal standen ein uralter Planenspieler und, natürlich, ein nagelntuer Fernseher"... oder (5)... "Im Regal standen ein uraltes Grammophon und eine nagelneue Glotze"... An diesem Beispiel läßt sich ein Gesichtspunkt demonstrieren, den wir im nächsten Abschnitt in allgemeiner Form ausführen werden: Die Enkodierprozesse sind funktional abhängig von "vorgeordneten" Erwägungen, die die Struktur des Fokus und die kommunikative Specher-Partner-Beziehung betreffen. Im Rahmen der Textproduktion signalisiert die Wortstellung nach Givon (1979) unter anderem: Topic-comment-Strukturen, Topic-Einführungen und -Veränderungen und Veränderungen der raumzeitlichen Gegebenheiten, in denen sich die Handlungen und Ereignisse abspielen, die etwa in einem erzählenden Text vorkommen. Von "Topic" spricht man in diesem Zusammenhang, wenn man diejenige verbalisierte Information bezeichnen will, die beim Sprecher und beim Hörer über mehrere Textäußerungen hinweg im Mittelpunkt der Beachtung bleibt, die also dasjenige ist, worüber in den einzelnen Teiläußerungen jeweils

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etwas verschiedenes (= comments) ausgesagt wird. Betonungen - vgl. (1) vs. (3) - werden im Rahmen von mündlichen Textäußerungen benutzt, um folgende Aspekte zum Ausdruck zu bringen: den Beginn und das Ende von Textepisoden (siehe zum Konzept der Textepisoden auch Black/ Bower 1979), Satz- und Nebensatzgrenzen und die Wichtigkeit von bestimmten Konzepten im Rahmen des Gesamttextes. Emphatische Partikeln haben die Funktion, gedankliche und die kommunikative SprecherHörer-Beziehung betreffende Relationen zu vorausgehenden und nachfolgenen Sätzen, Propositionen oder sogar zum gesamten Diskurs herzustellen - vgl. (1) mit (4), wo "natürlich" die Sprecherabsicht unterstreicht, den schlechten Geschmack des Wohnungsinhabers herauszuheben. Für die Wahl einer bestimmten Sprachschicht - vgl. (1) mit (5) - hat Herrmann (1976) im Zusammenhang mit der Objektbenennung gezeigt, daß dieses Merkmal ebenfalls vorausgesagt werden kann, wenn man die Kommunikationssituation kennt; unter anderem kovariiert die Sprachschichthöhe mit der sozialen Distanz von Sprecher und Kommunikationspartner: Die Wahrscheinlichkeit informeller und "intimer" Äußerungen wächst mit dem Geringerwerden der sozialen Distanz,/a//j auch der Gesprächsgegenstand dem Sprecher und Partner emotional und kognitiv "nahesteht". (3) Die verbale Enkodierung ist die letzte Pianungsstufe in unserem Sprachproduktionsmodell. Das impliziert einerseits, daß wir eine funktionale Abhängigkeit der Erstellung der sprachlichen Oberflächenstruktur von den "vorgeordneten" Planungsprozessen der Fokussierung und der Selektion und Linearisierung annehmen. Welche Wortstellung im Satz gewählt wird, wo die Satzbetonung liegt und ob etwa emphatische Partikeln gebraucht werden, ist davon abhängig, welche Thematik der Sprecher in welcher Reihenfolge und mit welcher kommunikativen Absicht zum Ausdruck bringen will (siehe zur Veranschaulichung das Beispiel im vorhergehenden Abschnitt). Das heißt: Der Sprecher greift nicht auf Syntax-, Lexikon- und Lautbildungssysteme zurück, die autonom, d. h. auch: unabhängig von allem Vorhergehenden, ablaufen. Die Enkodierung erfolgt ebenso ziel- und partnerbezogen wie die vorgängige Erstellung des Enkodier-Inputs und, so nehmen wir an, unter der Kontrolle der Fokussierungs- und Selektions-/Linearisierungsentscheidungen. Die These der "funktionalen (Ko-)Determiniertheit" der verbalen Enkodierung steht nicht im Widerspruch zu der Unterbestimmtheitsthese (vgl. Herrmann 1985, Kap. 7.6), mit der behauptet wird, daß der beobachtbare, mündlich oder schrifüich geäußerte Text durch die Kenntnis der bloßen Beschaffenheit des Enkodier-Inputs unterbestimmt ist. Vielmehr ergänzen

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sich diese beiden Thesen: Aus der Kenntnis des Enkodier-Inputs allein kann man nicht vorhersagen oder erklären, in welchem Sprachkode (z. B. in welchem Sprachstil) die Äußerung vorliegen wird, und es läßt sich nicht einmal vorhersagen, welche Äußerung bei demselben EnkodierInput und demselben Sprachkode vorliegen wird (vgl. den vorhergehenden Abschnitt). Vorhersagen sind aber möglich, wenn man die Ziele des Sprechers und/oder die Merkmale der Kommunikationssituation berücksichtigt. Und sie sind möglich, weil der Sprecher ziel- und partnerbezogen Diskurse produziert. Wenn wir die verbale Enkodierung als funktional abhängig von den vorgeordneten Planungsprozessen charakterisiert haben, so soll damit nicht gesagt sein, daß wir uns den Prozeß der Sprachproduktion als eine strikt lineare Abfolge der Prozeßstufen in einem einfachen Sinne vorstellen, wonach zuerst entschieden würde, worüber sich der Sprecher äußern will, dann für den ganzen Text festgelegt wird, in welcher Reihenfolge er sich äußern will, und schließlich, welche sprachliche Oberflächenstruktur er verwendet. Auch die Produktion von Texten - und gerade die strategisch geplante Produktion kommunikativ angemessener und zugleich inhaltlich komplexer Texte - ist nur möglich, weil die Sprechplanung als ein paralleler Prozeß auf verschiedenen Stufen (Ebenen) vorzustellen ist, wobei die Ergebnisse der aktuellen Planungsprozesse der einen Ebene zugleich "Daten" für die Prozesse auf den anderen Stufen darstellen. Dabei gelten auch Rückkopplungsbeziehungen der Art, daß die Entscheidungen bei der Enkodierung als "Input" in den nächsten Linearisierungs-, Selektions- und Fokussierungsschritt einbezogen werden. Diese Vorstellungen weisen Ähnlichkeiten mit dem von Marslen-Wilson/Tyler (1980, Tyler/MarslenWilson 1982) vertretenen On-line interactive-Amatz des Sprachverstehens auf.

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Norbert Groeben/Ursuia Christmann (Heidelberg)

Textoptimierung unter Verständlichkeitsperspektive Abstract: First, the constnict of comprehensibility is explicaced as a theoretical framewoik for techniques leading to optimally comprehensible texts. The explication accentuates the problem of pedagogical prescription inherent in the o b ^ t i v e of an 'Optimum of Comprehensibility'; consequences for possibilities of optimal textual Organization are discussed (objective: medium comprehensibility, competent reader). Concrete text features and organizational aids leading to an optimum of comprehensibility are presented in the second part of this article. The following features explored by classical instructional research are discussed with regard to practical application: Grammatical and Stylistic Simplicity, Conciseness/Redundancy, Cognitive Siructure/Organization (advance ctganizer, sequencing, summaries, typographical cueing, headings, inserted questions, leaming objectives), and Motivational Stimulance. The explication of text features given by instructional psychology is regarded as incomplete. It seems possible to differentiate and explicate features of comprehensibility more precisely by intcgrating it into cognitive models of text processing (propositional and macropropositional models, Schema theory and mental models), which are discussed in a final chapter.

0. Vorstrukturierung Im Problembereich 'Textoptimierung und Verständlichkeit' werden die sprachlich-stilistischen, kognitiv-inhaltlichen und motivational-interessensorientierten Dimensionen der Rezeption pragmatischer Texte thematisiert. Unter 'pragmatischen Texten' verstehen wir alle Arten von Gebrauchstexten, von Gebrauchsanweisungen über populäre Sachtexte bis hin zu wissenschaftlichen Informations- bzw. Lehrtexten. D i e Forschung auf diesem Gebiet fragt nach den verarbeitungsrelevanten, verständlichkeitsfördemden Merkmalen der Textstruktur, untersucht deren Einfluß auf das Verstehen und Behalten von Texten und leitet auf dieser Grundlage Regeln und Techniken für eine optimale Textgestaltung ab. D e n historischen Beginn dieser Forschungsrichtung markiert die klassische Lesbarkeitsforschung, die eine Fülle von objektiv auszählbaren, sprachlich-stilistischen Textmerkmalen in ihrem Einfluß auf die Lesbar-

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Groeben/Christmann

keit (Lesegeschwindigkeit, Expertenurteile über die Textschwierigkeit, Textverständnis) von Texten untersucht hat. Der Lesbarkeits-Ansatz weist zwei zentrale Beschränkungen auf: die ausschließliche Konzentration auf formal-stilistische Merkmale der Textstruktur und die Vernachlässigung der Verarbeitungsaktivitäten des Rezipienten. Diese Beschränkungen werden im Forschungsprogramm 'Textverständlichkeit' überwunden. Dabei explizieren sowohl der eher induktive Rating-Ansatz als auch das theoretisch-deduktive Modell relativ übereinstimmend neben der StilistikDimension drei weitere Dimensionen der Verständlichkeit: semantische Redundanz, kognitiv-inhaltliche Gliederung und motivationale Stimulanz. Textverständlichkeit wird dabei als ein den Rezeptionsprozeß kennzeichnendes mediatives Konstrukt eingeführt, das zwischen den Textmerkmalen und den Behaltenskriterien vermittelt. Die Messung einer so verstandenen Textverständlichkeit muß daher sowohl Aspekte der Kognitionsstruktur des Rezipienten als auch Merkmale der Textstruktur berücksichtigen. Die vier Dimensionen der Textverständlichkeit stellen den Rahmen für die Präzisierung und Konkretisierung verständlichkeitsfordemder Textmerkmale dar, die zur optimalen Gestaltung von Texten beitragen können. Der damit verbundenen Zielidee der Verständlichkeitsmaximierung sind allerdings unter pädagogisch-psychologischer Zielperspektive bestimmte Grenzen zu setzen: Das Verständlichkeitsoptimum ist nicht im Bereich höchster, sondern im Bereich mittlerer Verständlichkeit anzusiedeln. Die Explikation konkreter verständlichkeitsfördemder Textmerkmale ging historisch insbesondere von Theorieansätzen und Forschungsergebnissen der klassischen Instruktionspsychologie aus. Die vor allem psycholinguistische Präzisierung dieser Merkmale ist noch weitgehend unabgeschlossen. Weitere Präzisierungs- und Ausdifferenzierungsmöglichkeiten anwendungsrelevanter Textmerkmalsoperationalisierungen ergeben sich z.B. in Verbindung mit neueren kognitionspsychologischen Modellen der Textverarbeitung (propositions-, makropropositions- und schematheoretische Modellierungen des Textverstehens sowie mentale Modellansätze).

1. Historische Vorläufer Die klassische Lesbarkeitsforschung ist als Vorläufer des Forschungsprogramms 'Textverständlichkeit' wichtig, weil aus ihren Begrenzungen und Defiziten ex negativo ableitbar ist, welche Aspekte und Merkmale des Forschungsgegenstandes von einer umfassenden Verständlichkeitsforschung zu akzentuieren sind. Die Lesbarkeitsforschung hat sich bereits

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seit Mitte der 30er Jahre mit der sprachlich-stilistischen und drucktechnischen Optimierung von Textmaterial befaßt (zusammenfassend Klare 1963, vgl. auch Ballstaedt et al. 1981, Groeben 1982, Hofer 1976); sie war primär darum bemüht, den Lesbarkeitsgrad von Texten zu ermitteb. Die zentrale Forschungsstrategie besteht in der material-objektiven Identifikation von vornehmlich syntaktisch-stilistischen Textmerkmalen (z.B. Wortlänge, Wortschwierigkeit, Satzlänge, Satzkomplexität), die zu verschiedenen Kriterien der Lesbarkeit in Beziehung gesetzt werden (z.B. Lesegeschwindigkeit, Verständnistests, Expertenurteile). Die bedeutsamsten dieser Merkmale werden regressionsanalytisch ermittelt und in sogenannten Lesbarkeitsformeln zusammengefaßt. In Laufe der Zeit wurden eine ganze Reihe derartiger Lesbarkeitsformeln entwickelt, die sich durch eine je unterschiedliche Gewichtung von Wort-, Satz- und Silbenfaktoren auszeichnen. Beispiel: Die bekannteste Lesbarkeitsfoimel ist die Reading-Ease-Formel (RE) von Flesch (1948; vgl. Klare 1963:23), die die Anzahl der Silben pro 100 Worte (wl) und die durchschnittliche Anzahl von Wörtern pro Sau (sl) berücksichtigt (RE = 206,835 - 0,846 wl - 1,015 sl; für eine an deutschsprachige Texte angepaßte Lesbarkeitsformel vgl. Dickes/Steiwer 1977).

Die faktorenanalytische Aufarbeitung der von der Lesbarkeitsforschung unterschiedenen syntaktisch-stilistischen Textmerkmale zeigt, daß zwei Faktoren für die Lesbarkeit eines Textes ausschlaggebend sind: Wortund Satzschwierigkeit (z.B. Brinton/Danielson 1958, Stolurow/Newman 1959; vgl. Klare 1963:164ff.). Unter dem Aspekt der pädagogischpsychologischen Anwendbarkeit lassen sich aus diesem mittlerweile als abgeschlossen geltenden Ansatz (Groeben 1982:183ff., Klare 1963) begrenzt Hinweise zur sprachlich-stilistischen Gestaltung von Texten ableiten: z.B. Verwendung kurzer, geläufiger Wörter; Gebrauch grammatikalisch einfacher Sätze. Allerdings ist einschränkend festzuhalten, daß hier prädiktive Validität nur fiir die Lesegeschwindigkeit, nicht jedoch für das Textverständnis gesichert werden konnte. Dies ist darauf zurückzuführen, daß Aspekte der inhaltlichen Organisation und Strukturierung unberücksichtigt bleiben (Klare 1963:188). Der Ansatz konzentriert sich überwiegend auf formale Stilcharakteristika (subjektive Stilaspekte bleiben ausgeblendet), vernachlässigt damit inhaltliche Aspekte (Anschaulichkeit, Bildhaftigkeit) und blendet rezipientenseitige Verarbeitungsprozesse sowie individuelle Verstehensvoraussetzungen weitgehend aus (Groeben 1982:186ff.).

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2. Textverständlichkeit: Stand der Forschung 2.1 Konstruktexplikation Diese Beschränkungen und Mängel der Lesbarkeitsforschung führen kontrastiv zu den zentralen Merkmalen des Verständlichkeits-Konstrukts. Verständlichkeit ist als ein Konstrukt zu explizieren, das zum einen über die formal-stilistischen Beschreibungen der Textstruktur hinausgeht und auf möglichst breiter Basis verständlichkeitsrelevante Dimensionen der Textstruktur einbezieht (insbesondere die semantische Struktur und Organisation von Textinhalten); zum anderen sollte eine adäquate Konstruktexplikation erlauben, die Verarbeitungsprozesse des Rezipienten zu berücksichtigen, d.h. den Rezepüonsprozeß selbst zu thematisieren (Groeben 1978:68f., Schulz von Thun 1973:25). Textverstehen ist dabei in Übereinstimmung mit der kognitiv-konstruktivistischen Erklärungsperspektive der Sprachverarbeitung (vgl. Hörmann 1976) als Prozeß der Interaktion zwischen vorgegebenem Text und dem Kognitionssystem des Rezipienten zu sehen. Dem Leser kommt danach eine aktive Rolle zu: Er nimmt nicht passiv Informationen auf, sondern verarbeitet sie kognitivkonstruktiv vor dem Hintergrund seines individuellen Wissens von Welt. Entsprechend richtet sich die Verständlichkeit eines Textes danach, inwieweit die Kenntnisse des Rezipienten den stilistischen und inhaltlichen Textinformationen entsprechen (Groeben 1978:70). Textverständlichkeit kann somit nicht unabhängig vom Rezipienten bestimmt werden, sondern ihre Erfassung macht den Rückbezug auf das Textverständnis konkreter Leser erforderlich. Dabei sind allerdings nicht die interindividuellen Unterschiede im Textverstehen zu akzentuieren, "sondern es wird über die durchschnittlichen Verständniswerte einer möglichst großen Anzahl von Rezipienten ... auf die Verständlichkeit des Textes zurückgeschlossen" (Groeben 1978:153). Diesen Anforderungen entsprechend wurde das Textverständlichkeits-Konstrukt als ein den Rezeptionsprozeß kennzeichnendes mediatives Konstrukt expliziert, das zwischen den Charakteristika der Textstruktur und den Behaltenskriterien vermittelt (Groeben 1978:68ff.). Aus diesen Merkmalen des Verständlichkeits-Konstrukts resultieren drei zentrale Fragen, die den Kern des Forschungsprogramms Textverständlichkeit ausmachen: - Welches sind die relevanten Dimensionen der Textstruktur? - Wie läßt sich Textverständlichkeit messen? - Hat die Textverständlichkeit einen Einfluß auf die Behaltensleistung?

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Zur Beantwortung dieser Fragen wurden zwei unterschiedliche Wege eingeschlagen: ein empirisch-induktiver und ein theoretisch-deduktiver Weg.

2.2 Empirisch-induktiver Ansatz Den empirisch-induktiven Weg der Dimensionsbeschreibung haben Langer et al. (1974) verfolgt. Dabei werden unterschiedlich schwierige Texte aus verschiedenen Bereichen von Experten mit Hilfe eines Eindrucksdifferentials hinsichtlich relevanter Textmerkmale (Merkmale, die sich in der bisherigen Forschung - einschließlich Rhetorik und Stilistik als bedeutsam erwiesen haben) auf einer bipolaren, siebenstufigen Skala eingeschätzt. Als relevante Textmerianale gelten z.B.: folgerichtig vs. zusammenhangslos, weitschweifig vs. aufs Wesentliche beschränkt, flüssig vs. holprig, anregend vs. einschläfernd etc. (Langer et al. 1974:50). Die gewonnenen Rating-Daten erlauben es, die Zusammenhänge zwischen den Merkmalen korrelationsstatistisch zu bestimmen, die dann mittels faktorenanalytischer Verfahren zu Dimensionen der Verständlichkeit gruppiert weiden. Die Verständlichkeitsdimensionen werden somit induktiv durch empirische Abstraktionen aus den Expertenurteilen gewonnen. Diejenigen Textmerkmale, die in der Faktorenanalyse die höchsten Ladungszahlen aufweisen, gehen in die Dimensionsbeschreibungen ein. Die Autoren identifizierten auf diese Weise vier Dimensionen der Verständlichkeit (Langer et al. 1974:13ff.): (1) Sprachliche Einfachheit (Merkmale: einfache Darstellung, kurze Sätze, geläufige Wörter, Eridärung von Fachwörtern, konkret, anschaulich); (2) Gliederung-Ordnung (Merkmale: gegliedert, folgerichtig, übersichtlich, Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem, roter Faden erkennbar, alles kommt der Reihe nach); (3) Kürze-Prägnanz (Merkmale: zu kurz, aufs Wesentliche beschränkt, gedrängt, aufs Lemziel konzentriert, knapp, jedes Wort ist wichtig); (4) Zusätzliche Stimulanz (Mericmale: anregend, interessant, abwechslungsreich, persönlich). Die so gewonnenen Verständlichkeitsdimensionen werden zur Messung der Textverständlichkeit eingesetzt. Dabei wird die Verständlichkeit eines Textes auf jeder der vier Dimensionen (hinsichtiich der konstituierenden Textmerkmale) mittels einer fünfstufigen bipolaren Skala von Experten eingeschätzt. Die resultierenden vier Kennwerte auf den unterschiedenen Dimensionen geben das quantitative Ausmaß der Verständlichkeit eines Textes an. Im Rahmen dieses Forschungsansatzes wurde die Verständlichkeit einer Vielzahl von Texten aus unterschiedlichen Bereichen

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(Gesetzes-, Vertrags-, Schulbuch-, Wissenschafts-, Gebrauchs-, Beratungstexte) auf die angegebene Weise eingeschätzt. Darüber hinaus wurde der Einfluß verschiedener Verständlichkeitsgrade auf die Verstehens-/Behaltensleistung untersucht (Meßverfahren: clozeTests, multiple choice-Verfahren, offene Fragen, freie Wiedergabe). Dabei wurden Originaltexte mit verständlichkeitsoptimierten Versionen verglichen; es zeigte sich, daß die optimierten Texte durchwegs signifikant besser behalten/verstanden wurden als die Originaltexte (Langer et al. 1974:55, 71, 84, 89, 95, lOlf.). Allerdings ertaubt es diese Versuchsanlage nicht, die Bedeutsamkeit der einzelnen Verständlichkeitsdimensionen für den Behaltenserfolg empirisch fundiert abzuschätzen. Aufgrund eines Überblicks über alle Studien gewichten die Autoren die Dimensionen wie folgt: Als wichtigste Dimension gilt die der sprachlichen Einfachheit, gefolgt von der Dimension Gliederung-Ordnung. Als weniger wichtig werden die Dimensionen der Kürze-Prägnanz und zusätzlichen Stimulanz angegeben (Langer et al. 1974:24f.). Insgesamt gesehen erlaubt der Ansatz eine äußerst ökonomische Erfassung des Textverständlichkeits-Konslrukts. Problematisch erscheint allerdings die Theorielosigkeit des Vorgehens, außerdem der Rekurs auf Expertenratings zur Erfassung von Textmerkmalen (Hofer 1976). Hinzu kommt, daß für die Erstellung konkreter Handlungsanweisungen zur Textoptimierung der Rückbezug auf die z.T. wenig explizierten konkreten Textmerkmale kaum ausreichen dürfte (Groeben 1982:198).

2.3 Theoretisch-deduktive Modellierung Den theoretisch-deduktiven Weg bei der Explikation des Verständlichkeits-Konstrukts hat Groeben (1972,21978) eingeschlagen. Ausgehend von sprachpsychologischen (Theorien zur Satzgestaltung/Stilistik), lemtheoretischen (Kognitive Lemtheorie sensu Ausubel) und motivationspsychologischen (Epistemische Neugiertheorie nach Berlyne) Modellen zur Textrezeption wurden vier relevante Dimensionen der Textverständlichkeit theoretisch postuliert, aus denen sich Merkmale zur Textgestaltung ableiten lassen. Die vier relevanten Textdimensionen sind: (1) Stilistische Einfachheit; (2) Semantische Redundanz; (3) Kognitive Strukturierung; (4) Konzeptueller Konflikt. Für die Dimensionsexplikation Stilistische Einfachheit wurden die erwähnten Ergebnisse der Lesbarkeitsforschung, die hermeneutische Stilforschung (Reiners 1963) sowie psycholinguistische Befunde zur Satzver-

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arbeitung (grammatikalische Ebene) herangezogen. Daraus ergeben sich folgende verständlichkeitsfördemde Textmerkmale: kurze Satzteile, aktive Verben, aktiv-positive Formulierungen, keine Nominalisierungen, persönliche Wort-Formulierungen, keine Satzschachtelungen. Die Dimension der Semantischen Redundanz wurde unter Rekurs auf die Informationstheorie (in den für die Gedächtnispsychologie und kybernetische Pädagogik relevanten Ausschnitten) expliziert. Daraus ergeben sich als anzustrebende Textmerkmale: keine wörtliche Wiederholung wichtiger Inhaltselemente, keine Weitschweifigkeit. Die bedeutsamste Verständlichkeitsdimension stellt im Ansatz von Groeben die Ebene der Kognitiven Gliederung dar. Die Dimensionsexplikation erfolgte auf der Grundlage der Kognitiven Lemtheorie nach Ausubel (1963), einer Theorie, die sich explizit auf die Rezeption sinnvollen verbalen Materials bezieht. Der Rezeptionsprozeß wird dabei als Prozeß der Eingliederung von potentiell bedeutungshaltigem Material in die kognitive Struktur des Lemenden aufgefaßt. Die Güte dieses als Subsumption bezeichneten Prozesses der Informationsaufnahme hängt sowohl von der kognitiven Struktur des Rezipienten (Qualität und Quantität der Wissensvoraussetzungen) als auch von den Merkmalen des Lemmaterials ab. Maßnahmen zur Verbesserung des Lernens zielen darauf ab, den Subsumptionsprozeß zu erleichtern und zu effektivieren. Dies wird durch eine adäquate inhaltlich-organisatorische Textgestaltung möglich. Speziell gelten folgende Merkmale als verständnisfördemd: Gebrauch von Vorstrukturierungen (advance Organizer), Hervorhebung wichtiger Konzepte, sequentielles Arrangieren der Textinhalte (nach absteigendem Inklusivitätsausmaß), Zusammenfassungen, Beispielgebung, Unterschiede und Ähnlichkeiten von Konzepten verdeutlichen. Die Explikation der Dimension Kognitiver Konflikt, die sich auf den motivationalen Aspekt der Textrezeption bezieht, erfolgte unter Rückgriff auf die Neugiermotivationstheorie von Berlyne (1960/74). Der Theorie zufolge manifestiert sich ein (kognitiver) Konflikt in unvereinbaren Verhaltensantworten des Individuums auf Reizgegebenheiten. Konflikte lassen sich durch die sogenannten kollativen Variablen Neuheit, Inkongruität, Komplexität und Unsicherheit erzeugen. Im Bereich des Textlemens können kognitive Konflikte durch folgende Textmerkmale ausgelöst werden: Neuheit und Überraschung von Konzepteigenschaften, Einfügen von inkongruenten Konzepten, alternative Problemlösungen und Fragen.

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Für die empirische Überprüfung der vier Verständlichkeitsdimensionen faßte Groeben die Ebenen der Kognitiven Strukturierung und des Konzeptuellen Konflikts zu einem Faktor Inhalüiche Strukturierung zusammen mit den drei Ausprägungsgraden: Textgestaltung nach den Prinzipien der Kognitiven Strukturierung, Textgestaltung nach den Prinzipien des Konzeptuellen Konflikts und zum dritten eine Kombination aus beiden Textgestaltungsmerkmalen. Der Faktor Stilistische Einfachheit hatte drei, der Faktor Semantische Redundanz zwei Ausprägungsgrade. Insgesamt ergab sich ein varianzanalytischer Versuchsplan mit 18 Texten (gleichen Inhalts), der alle Kombinationen der genannten drei Faktoren abdeckt (Groeben 1978:85ff.). Als abhängige Variablen wurden Veständlichkeit, Behalten und Interesse erhoben. Die VersUtndlichkeitsmessung erfolgte mittels eines auf Shannon (1951) zurückgehenden und von Weimer (1967,1970) vereinfachten Rateverfahrens zur Subjektiven Informaticnsmessung, bei dem ein Text von links nach rechts erraten wird und aus den Rateversuchen der Infonnationsgehalt bestimmbar ist (vgl. im einzelnen Groeben 1978:71ff., 1982:74ff.). Diese informationstheoretische Messung der Verständlichkeit wird den oben explizierten Anforderungen an das Konstrukt am besten gerecht; sie setzt direkt am Rezeptionsvorgang an, berücksichtigt sowohl Merkmale der Textstniktur als auch der Kognitionsstruktur des Rezipienten und leistet eine Integration der verschiedenen Verständlichkeitsdimensionen.

Für die Verständlichkeit der Texte erwies sich dabei der Faktor der Inhaltlichen Stiiikturierung als der bedeutsamste (86% Varianzaufklärung); der Faktor der Sprachlichen Einfachheit war ebenfalls signifikant, jedoch beOTig die aufgeklärte Varianz lediglich 3,5%. Darüber hinaus zeigte sich eine signifikante Wechselwirkung zwischen den Faktoren der Sprachlichen Einfachheit und Semantischen Redundanz; bei einem mittieren Grad sprachlicher Einfachheit erwiesen sich semantische Redundanzen als verständlichkeitsfördemd. Bei der Überprüfung der Behaltensleistung (cloze-procedure-Verfahren) war nur der Faktor der Inhaltlichen Strukturierung relevant. Speziell konnte gesichert werden, daß eine Textstinikturierung nach den aus der Ausubelschen Theorie abgeleiteten Textmerkmalen eher konzeptuelles Lernen ermöglicht, während eine Textstrukturierung, in der die konfliktevozierenden Merkmale der Berlyneschen Neugiertheorie realisiert sind, eher zu faktuellem Lernen führt. Die besten Behaltensleistungen ergaben sich bei denjenigen Textvarianten, bei denen die Merkmale beider Dimensionen (Kognitive Gliederung und Konzeptueller Konflikt) verbunden waren. Keinen Einfluß auf die Behaltensleistungen hatten die Faktoren der Sprachlichen Einfachheit und Semantischen Redundanz

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(Groeben 1978:98ff.). In Bezug auf das Interessekriterium resultierte lediglich ein signifikanter Wechselwirkungseffekt mit dem Behaltenskriterium. Zwischen den abhängigen Variablen Textverständlichkeit einerseits und Behalten/Interesse andererseits ergab sich eine kurvilineare Beziehung. Inhaltlich bedeutet dies, daß nicht eine hohe, sondern eine mittlere Textverständlichkeit für das kombinierte Lemerfolgskriterium (Behalten/ Interesse) am günstigsten ist. Bezieht man dieses Ergebnis auf die Verständlichkeitsdimension zurück, dann folgt daraus, daß unter dem Kriterium des Lernerfolgs die kognitive Strukturierung eines Textes nicht so weit maximiert werden sollte, daß der Text an den Rezipienten keine Anforderungen mehr stellt.

2.4 Vergleich und Integration der Ansätze Vergleicht man die beiden Forschungsansätze zur Textverständlichkeit miteinander, so zeigen sich insbesondere hinsichtlich der theoretischen Bedeutung der Verständlichkeitsdimensionen weitgehende Übereinstimmungen; man kann daher davon ausgehen, daß es sich bei den Dimensionen Sprachliche Einfachheit, Kognitive Gliederung, KürzePrägnanz und Motivationale Stimulanz um die zentralen Merkmalsdimensionen der Textstruktur handelt (Groeben 1976:131, 1982:206ff.). Darüber hinaus stimmen die Ansätze auch hinsichtlich der Bedeutsamkeit der Dimension Kognitive Gliederung/Ordnung für den Behaltenserfolg sowie der Vorordnung dieser Dimension gegenüber dem Aspekt der motivierenden, stimulierenden Textgestaltung überein. Dabei ist festzuhalten, daß motivierende Textmerkmale zu einer höheren Komplexität des Textmaterials führen, die sich negativ auf Verständlichkeit und Behalten auswirken, sofern nicht gleichzeitig eine übergeordnete kognitive Strukturierung ermöglicht wird. Allerdings divergieren die Ansätze hinsichtiich der Gewichtung der Dimension Sprachliche Einfachheit. Beim induktiven Ansatz steht die Dimension der Sprachlichen Einfachheit an erster Stelle der Wichtigkeitshierarchie; beim deduktiven Ansatz ist der Faktor der Inhaltlichen Strukturierung am gewichtigsten, während Sprachliche Einfachheit im Vergleich dazu nur in relativ geringem Ausmaß zur Textverständlichkeit beiträgt (s.o.). Diese Divergenz ist allerdings auflösbar, wenn man bedenkt, daß der sprachlich-stilistische Faktor bei der Hamburger Forschergruppe aufgrund der starken Konzentration auf traditionelle Stilmerkmale

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wohl überschätzt, bei Groeben hingegen wegen der Umformulierung eines Standardtextes (bei der Herstellung der Versuchstexte) vermutlich unterschätzt wurde (Groeben 1982:21 If.). Die These von der weitgehenden Übereinstimmung der Verständlichkeitsdimensionen der beiden Ansätze ist allerdings nicht unwidersprochen geblieben. Tergan (1980) kommt aufgrund eines empirischen Vergleichs der beiden Verständlichkeitsansätze zu dem Schluß, daß die Verständlichkeits-Konstrukte inkommensurabel seien, da sie Unterschiedliches messen. Diese Schlußfolgerung ist nach Groeben (1981,1982) verfiüht, da Unterschiede in der Meßmethodik unzulässig auf Konstruktexplikationen ausgedehnt wurden (vgl. Groeben 1982:209ff.).

3. Praktische Anwendung: Perspektiven der Textoptimierung 3.1 Die vorgeordnete Zielexplikation: Verständlichkeitsmaximierung vs. -Optimierung? Unter der Perspektive der praktischen Anwendbarkeit stellt sich zunächst die Frage, ob die in den Verständlichkeitsdimensionen zusammengefaßten Textmerkmale Regeln zur Textoptimierung implizieren, auf die der Praktiker bei der Gestaltung von Texten nicht nur zurückgreifen kann, sondern auch zurückgreifen sollte. Diese präskriptiven Implikationen des Verständlichkeits-Konzepts sind bei der Frage der Textoptimierung vorgeordnet zu diskutieren, denn 'Optimum' ist nicht unbedingt gleich 'Maximum'. Hinsichtlich der Konkretisierung dieses Verständlichkeitsoptimums sind die Positionen bisher z.T. uneinheitlich. Der induktive Verständlichkeitsansatz geht zumindest implizit davon aus, daß ein solches Optimum durch die Maximierung der Verständlichkeit erreichbar ist und daß eine derartige Maximierung immer auch zu einer Verbesserung der Behaltensleistung führt. Groeben (1978:131ff.) hingegen postuliert aufgrund seiner empirischen Forschungsergebnisse (s. oben: kurvilineare Beziehung zwischen Textverständlichkeit und Behaltenserfolg), daß dieses Optimum im Bereich mittlerer Verständlichkeit angesiedelt ist. Dem widerspricht wiederum Schnotz (1987:117) mit der These, daß thematisch kontinuierliche Texte (ein Thema wird so lange wie möglich beibehalten) zu einem signifikant besseren Behalten der Textinformation und zu einer tieferen Verarbeitung führen als thematisch diskontinuierHche Texte (häufige Themenwechsel). Er diskutiert diese eigenen Untersuchungsergebnisse in Abgrenzung von der These der mittleren Verständlichkeit und kommt zu dem Schluß, daß sich didaktisch nicht völlig

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dim;hstrukturierte Texte bei der Mehrzahl der Leser nachteilig auf die Behaltens- und Verstehensleistung auswirken. Angesichts dieser Forschungslage ist zunächst einmal zu fragen, ob es sich bei den konkurrierenden Forschungsergebnissen in der Tat um echte Divergenzen handelt. Bei einer näheren Überprüfung des Hamburger Rating-Ansatzes (Groeben 1981) ergaben sich Hinweise dafür, daß sich bei einer Kombination der unterschiedlichen Verständlichkeitsdimensionen zu einem Gesamtverständlichkeitswert die einzelnen Dimensionen nicht unbedingt additiv zueinander verhalten; d.h. eine maximale Ausprägung auf den Einzeldimensionen entspricht nicht unbedingt einer maximalen Gesamtverständlichkeit. Die Kurvilinearitat läge hier in der Kombination der einzelnen Dimensionen zu einem Gesamtwert (Groeben 1982:209f.). Auch die Befunde von Schnotz (1987) widerlegen die These der mittleren Verständlichkeit nicht zwingend. Das Postulat einer mittleren Textverständlichkeit impliziert ja gerade, daß Texte herzustellen sind, die hinsichtlich ihrer Komplexität/Schwierigkeit zwar motivationale Anreize setzen, dem Rezipienten aber noch eine eindeutige kognitive Gliederung der Textinhalte ermöglichen. Die von Schnotz verwendeten thematischdiskontinuierlichen Texte widersprechen schon ex definitionem dieser Anforderung; darüber hinaus ist auch nie behauptet worden, daß motivationale Anreize durch thematische Ungegliedertheit erzeugt werden.

Für die Beibehaltung der These der mittleren Verständlichkeit lassen sich sowohl motivations- und kognitionspsychologische als auch praktische Argumente anführen. Eine Maximierung der Textverständlichkeit impliziert, daß für die pädagogisch-psychologische Praxis Texte herzustellen sind, die den Erwartungsstrukturen der Rezipienten praktisch völlig entsprechen. Unter motivationspsychologischer Perspektive stellen solche Texte keinen kognitiven Anreiz mehr dar, sondern führen zu einer kommunikativen Unterforderung und dürften auf Dauer sowohl hinsichtlich des Interesses für einen konkreten Inhalt als auch hinsichtlich der Lesemotivation einen destruierenden Effekt haben. Gerade mittlere Schwierigkeiten führen zu einer optimalen Motivierung (vgl. das Prinzip der 'Passung': Heckhausen 1969). Die Bedeutsamkeit des Interessefaktors für den Erwerb von Wissen sowie für die Qualität und Quantität der Wissensrepräsentation wird gerade auch durch neuere motivationspsychologische Arbeiten belegt (z.B. Prenzel 1988, Schiefele 1987). Die Forschung auf diesem Gebiet steht zwar noch am Anfang, aber es ist unmittelbar einsichtig, daß Interesse für einen Gegenstand kaum dadurch geweckt und stabilisiert wird, daß Texte völlig auf die jeweiligen Rezipientenerwartungen abgestimmt werden. Darüber hinaus sprechen auch praktische Gründe gegen die Maximierung der Verständlichkeit. Die völlige Anpassung eines Textes an den Leser würde bedeuten, daß für verschiedene Lesergruppen mit unterschied-

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liehen Wissens- und Erwartungsstrukturen unterschiedlich verständliche Texte hergestellt werden. Dies dürfte in der Praxis kaum realisierbar sein. Daraus aber die Konsequenz zu ziehen, möglichst nur noch auf allen Dimensionen einfachste Texte zu produzieren, wäre nicht nur sprachpädagogisch, sondern auch ideologiekritisch (etc.) ziemlich kurzschlüssig. Dadurch würden die am wenigsten kompetenten Leser die Entwicklung aller Textrezipienten (ver-)hindem. Pädagogisch sinnvoller erscheint uns, über mittlere Verständlichkeitsgrade für die Mehrheit der Leser Entwicklungsmöglichkeiten anzubieten, die von diesen dann auch erreicht werden können. Textoptimierung sollte danach jene Textverständlichkeit als Optimum anstreben, die möglichst vielen Rezipienten (der jeweiligen Adressatengruppe(n)) Anregungsbedingungen für erreichbare Entwicklungen der Verarbeitungskompetenz (auf den explizierten Dimensionen) bieten kann. Damit ist als präskriptiver Rahmen für Textoptimierungsstrategien anzusetzen: Nicht eine völlige Anpassung des Lesers an den Text ist unter pädagogisch-psychologischer Zielperspektive das Wünschenswerte, sondern die Herstellung von Anreizbedingungen bei gleichzeitiger Realisierung kognitiver Strukturierungsaspekte. Erst diese Verbindung dürfte auf Dauer zu einer Verbesserung des Lernerfolgs und einer Erhöhung von Interesse und Lesemotivation führen.

3.2 Textoptimierung: Sprachliche Einfachheit und semantische Kürze/Redundanz Die im folgenden zu besprechenden Strategien der Textoptimierung basieren, soweit möglich, auf gesicherten empirischen Ergebnissen zur Behaltenswirksamkeit konkreter Textmerkmale (vgl. Groeben 1982:214ff.). Da innerhalb des induktiven Verständlichkeitsansatzes keine Angaben zur Effektivität der einzelnen Textmerkmale gemacht werden (s. oben), stammen diese Ergebnisse größtenteils aus dem Bereich des theoretischdeduküven Verständlichkeitsmodells sowie der instruktions-, gedächmisund sprachpsychologischen Forschung zur Textverarbeitung. Dabei sind auf Dauer weitere theoriegeleitete Präzisieiungen und Effektivitätsüberprüfungen notwendig (Groeben 1982:211). Die theoretisch-deduktive Verständlichkeitsmodellierung z.B. greift zur Explikation der Textmeikmale vor allem auf die Merkmalsbeschreibungen der kognitiven Lemtheorie zurück, die zwar präziser sind als die intuitiven Ratingmerkmale des induktiven Ansatzes, ihrerseits aber selbst noch explikationsbedürftig sind. Solche Präzisieningsnotwendigkeit zeigt sich unter anderem daran, daß hinsichtlich der Effektivität einzelner Textmeikmale z.T. einander widersprechende Befunde voriiegen (als paradigmatischer Fall gilt die Forschung zum Konzept des advance Organizer; s.u.). Dabei können die Verständlichkeitsdimensionen den theoretischen Rahmen bilden, innerhalb derer weitere Mefkmalspräzisierungen vorgenommen werden sollten (Groeben 1982:216).

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Innerhalb der Dimension der sprachlichen Einfachheit sind insbesondere Merkmale der Wortwahl sowie Merkmale der grammatikalisch-stilistischen Formulierung hinsichtlich ihrer Behaltenswirksamkeit überprüft worden. Auf Wortebene erwies sich der Gebrauch kurzer, geläufiger, konkreter und anschaulicher Wörter als verständlichkeitsfördemd. Es konnte empirisch belegt werden, daß kuize Wörter leichter zu erkennen und zu verstehen sind als lange Wörter (Teigeier 1972:79fr.), daß die Verarbeitungszeit (Reaktionszeiunessung, Paraphrasierungsaufgabe) für geläufige/einfache Wörter signifikant kürzer ist als für ungewöhnliche/ komplexe Wörter (Hakes 1971, Voß 1979). Dabei bezieht sich das Merkmal der Worthäufigkeit weniger auf die statistisch ermittelte Häufigkeit von Wörtern in einer Sprache, sondern eher auf den Grad der subjektiven Geläufigkeit/Bekanntheit (vgl. Ballstaedt et al. 1981:203).

Auf Textebene konnte der verständlichkeitsfördemde Effekt des Merkmals Worthäufigkeit in Untersuchungen mit Kindern nachgewiesen werden: Texte, in denen wenig geläufige Wörter durch geläufige ersetzt waren, wurden signifikant besser behalten und verstanden (Marks et al. 1974). Die daraus ableitbare Konsequenz, bei der Gestaltung von Texten zur Steigerung der Verständlichkeit auf geläufige Wörter zurückzugreifen, kann jedoch nur bedingt empfohlen werden. Unter motivadonalen Gesichtspunkten ist zu bedenken, daß bekannte Wörter einen geringen Interessantheitswert haben und zu einem langweiligeren Text führen können (Ballstaedt et al. 1981:204, Groeben 1982). Neben der Geläufigkeit von Wörtern hat auch deren Konkretheit/ Anschaulichkeit einen verständlichkeitserleichtemden Effekt. Entsprechende empirische Untersuchungen wurden insbesondere von der Imagery-Forschung (Paivio 1971) durchgeführt. Dabei konnte auf Wort-, Satz- und Textebene belegt werden, daß konkrete sprachliche Items zu höheren Behaltenswerten führen als abstrakte (Marschark/Paivio 1977, Yuille/Paivio 1969). Es ist derzeit noch unklar, ob diese Wirkung darauf beruht, daß zu konkreten Items schneller Vorstellungen generiert werden können, oder daß die Information dual, d.h. sowohl bildlich als auch verbal kodiert wird; eine doppelte Kodierung würde sicher auch zu einer tieferen Verarbeitung führen (Überblick bei Paivio 1983). Anschaulichkeit und Lebendigkeit lassen sich nicht nur durch die Verwendung konkreter Wörter, sondern auch durch eine Stützung der Textkonzepte mittels Bildern, Abbildungen und Graphiken erzeugen. Die Ergebnisse zur Behaltenswirksamkeit von Bild-Text-Kombinationen sind allerdings uneinheitlich (zusammenfassend MacDonald Ross 1978). Vermutlich hängt der behaltensfördemde Effekt bildlicher Veranschau-

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lichungen von der Relation zwischen Bild und dazugehörender Textinformation ab; Bild und Text müssen in dem Sinne aufeinander abgestimmt sein, daß beide Informationsquellen einander ergänzen, komplementär sind (zusammenfassend Ballstaedt et al. 1987). Je größer die Komplementarität, desto eher ist mit einem positiven Behaltenseffekt zu rechnen. Diese Auffassung wird durch Ergebnisse der sprach- und gedächtnispsychologischen Grundlagenforschung gestützt (Bock/Hörmann 1974, Bransford/Johnson 1972). Mit der Wirkung der grammatikalisch-stilistischen Satzgestaltung auf die Textverarbeitung hat sich insbesondere die Psycholinguistik befaßt. Ausgehend von der Transformationsgrammatik Chomskys (1957) und der dort getroffenen Unterscheidung zwischen Tiefenstruktur und Oberflächenstruktur, wurde die Behaltensleistung für tiefenstrukturell gleiche, aber oberflächenstrukturell unterschiedliche Satztypen überprüft (z.B. Coleman 1964, 1965, Savin/Perchonock 1965; Überblick bei Engelkamp 1974). Es wurde angenommen, daß Sätze umso schwieriger zu verarbeiten sind, je mehr Transformationen erforderlich sind, um aus tiefenstrukturellen Kemsätzen (einfache, aktiv-affirmative und deklarativ formulierte Sätze) Satzformen an der Oberfläche zu erzeugen. Dies wurde in der Tat durch eine Reihe von Untersuchungen empirisch belegt: Aktive Sätze werden besser behalten als passive (Coleman 1965), Passivsätze wiederum werden leichter verarbeitet als verneinte Passivsätze (Mehler 1963). Insgesamt ergab sich folgende Rangfolge der Schwierigkeit von grammatikalischen Satztransformationen: aktiv-deklarative Sätze, Frage-, Passiv-, Negativ-, negative Frage- und negativ-passive Fragesätze (nach Savin/Perchonock 1965).

Daneben liegen jedoch auch eine ganze Reihe von Untersuchungen vor, die auf die untergeordnete Bedeutung des syntaktischen Faktors bei der Satzverarbeitung hinweisen und letztlich zu einer Ablösung der generativen Transformationsgrammatik geführt haben. So konnte Mathews (1968) die Befunde von Savin/Perchonock nicht replizieren; Slobin (1966) wies nach, daß nur reversible Passivsätze (Reversibilität der Subjekt-Objekt-Beziehung) schwerer zu verarbeiten sind als aktiv-deklarative Sätze. Sachs (1967) konnte zeigen, daß die syntaktische Information bei der Satzverarbeitung schneller vergessen wird als die semantische. Insgesamt geht man heute davon aus, daß die Semantik bei der Satzverarbeitung die eindeutig dominierende Rolle spielt. Entsprechend kommt dem Aspekt der inhalflich-semantischen Textgestaltung für die Herstellung verständlicher Texte ein größeres Gewicht zu als der grammatikalisch-stilistischen Formulierung (s.o.). Als eindeutig verständlichkeitserschwerend erwies sich allerdings der Faktor der Satzschachtelung:

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Eingebettete Relativsätze sind schwerer zu verstehen als nicht eingebettete Relativ- und Hauptsätze (z.B. Evans 1972/1973, Hamilton/Deese 1971). Verschachtelte Sätze sollten also bei der Herstellung von Texten möglichst vermieden werden. Das gleiche gilt für Nominalisierungen. Gehäufte Nominalisierungen wirken sich stets Verständlichkeitsbelastend aus (z.B. Coleman 1964); sie sollten daher möglichst in kurze Satzteile transformiert werden. Darüber hinaus konnte auch ein verständlichkeitserschwerender Effekt der Satzlänge nachgewiesen werden (Coleman 1962); kurze Sätze werden signifikant besser verstanden als lange Sätze (Coleman 1984, Wieczerkowski et al. 1970). Insgesamt sollten also die genannten verständlichkeitserschwerenden grammatikalischen Formulierungen bei der Textgestaltung vermieden werden, jedoch ist der verständlichkeitsfördemde Effekt des grammatikalisch-stilistischen Faktors nicht als zu hoch zu veranschlagen. Die Frage der Semantischen Redundanz bzw. Informationsdichte ist insbesondere von der Informationstheorie und der kybernetischen Pädagogik thematisiert worden (v. Cube 1982, Shannon/Weaver 1949). Danach richtet sich die Schwierigkeit/Leichtigkeit des Dekodierens von Informationen nach deren Überraschungswert; je geringer der Überraschungswert, je wahrscheinlicher ein sprachliches Item in einem bestimmten Kontext ist, desto schneller erfolgt die Dekodierung. Für den Bereich der Verarbeitung sprachlichen Materials stellt sich die Frage, ob die Reduktion oder die Erhöhung der Semantischen Redundanz zu einer Steigerung der Textverständlichkeit führen. Einen verständlichkeitsfördemden Effekt durch Verkürzung der Textinformation nimmt der induktive Verständlichkeitsansatz (Langer et al. 1974) an; eine Annahme, die jedoch durch die vorliegenden empirischen Befunde kaum gestützt wird. Eine Reduktion von Redundanz führt zwar nicht zu einer Verschlechterung der Behaltensleistung, aber auch nicht zu deren Verbesserung (Bassin/Martin 1976, Peterson 1974). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß informationsdichtere Texte in der Regel zu einer Erhöhung der Lesezeit führen (Keen 1974). Hingegen kann eine Erhöhung der Redundanz (z.B. durch Wiederholungen, Synonyme, Verwendung allgemeinerer Ausdrücke, Verneinungen) einen behaltensstützenden Effekt haben, der sich jedoch weniger in der besseren Reproduktion redundanter Aussagen bemerkbar macht als in der besseren Einprägung spezifischer Satzglieder (Subjekt, Prädikat, Objekt) bei weitschweifigen Sätzen (Pohl 1964). Andersen (1985) untersuchte die Relation zwischen sprachlicher Verständlichkeit und kontextbedingter Vorhersagbarkeit sprachlicher Elemente anhand von vier Texten mit je einer schwer und einer leicht ver-

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Groeben/Christmann standlichen Version anhand eines modifizierten (für Kontextunterschiede sensiblen) cloze-procedure-Verfahrens. Danach weisen die nach Expertenurteilen als leicht verstandlich eingeschätzten Texte einen höheren Grad an Vorhersagbarkeit auf als die schwer verstandlichen Versionen (1985: 178ff.).

Aus den Ergebnissen ist zu folgern, daß sich die Verständlichkeit eines Textes durch die Erhöhung der kontextbedingten Vorhersagbarkeit einzelner Elemente steigern läßt. Eine derartige Erhöhung läßt sich dadurch erzielen, daß man sowohl ungewöhnliche semantische Kombinationen sowie syntaktisch-stilistisch schwierige Satzkonstruktionen vermeidet.

3.3 Textoptimierung: Kognitive Gliederung/Ordnung Der Aspekt der Kognitiven Gliederung/Ordnung (von Textinhalten und Kognitionsstruktur des Rezipienten) stellt die mit Abstand gewichtigste Dimension für die Verständlichkeitsoptimierung dar. Konkrete, anwendungsrelevante Merkmale zur Optimierung der Textorganisation wurden überwiegend im Rahmen der beiden bedeutsamsten instruktionspsychologischen Theorien zur Rezeption sprachlichen Materials, der Kognitiven Lemtheorie nach Ausubel (1963) und dem Modell des mathemagenen Verhaltens (Rothkopf 1965) an längeren Texten überprüft. Speziell handelt es sich dabei um folgende Textmerkmale: Vorstrukturieningen (advance Organizer), Sequentielles Arrangieren, Zusammenfassungen, Hervorhebungen und Unterstreichungen, Überschriften und Randbemerkungen, Fragen sowie Lemzielangaben. Angesichts der Menge der vorliegenden empirischen Untersuchungen (für eine ausführliche Darstellung vergleiche Ballstaedt et al. 1981:117ff., Groeben 1982:234ff.) werden wir im folgenden soweit als möglich auf die Wiiksamkeitsbefunde aus metaanalytischen Studien (Zusammenfassung und zufallskritische Überprüfung der Ergebnisse einer großen Zahl vergleichbarer Forschungsarbeiten; zur Methode vergleiche Glass 1978) zurückgreifen; denn metaanalytische Ergebnisintegrationen erlauben es, mit größerer Sicherheit auf die Effektivität/Ineffektivität überprüfter Merkmale zurückzuschließen (Groeben 1982:218ff.), als dies bei intuitiven Zusammenfassungen möglich ist. Vorstnikturierungen (advance Organizer) Von den genannten Textmerkmalen hat die Technik der Vorstrukturierung die größte Aufmerksamkeit und intensivste empirische Überprüfung erfahren. Advance Organizer sind kurze, dem eigentlichen Lemmaterial vorangestellte Einführungen, die die relevanten Konzepte in abstrakterer und inklusiverer Form benennen, als dies im Text selbst der Fall ist. Die

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Wirksamkeit eines advance Organizer wird in der direkten Beeinflussung des Subsumptionsprozesses gesehen: Bei Verfügbarkeit relevanter hochinklusiver Konzepte läßt sich das neu aufzunehmende Material leichter und dauerhafter in die kognitive Struktur integrieren. Die Lern- und Behaltenswirksamkeit von Vorstrukturierungen ist in einer Fülle von Untersuchungen in einem Zeitraum von ca. 20 Jahren immer wieder empirisch überprüft worden, so daß mittlerweile eine Reihe von kritischen Sammelreferaten (Anderson 1967, FawAValler 1976, West/ Fensham 1974) und mehrere Metaanalysen vorliegen (Bames/Clawson 1975, Luiten et al. 1980, Mayer 1979), die allerdings hinsichtlich des verständlichkeitsfördemden Effekts zu unterschiedlichen Schlußfolgerungen kommen. Während Bames/Clawson (1975) zu der Auffassung gelangen, daß Vorstrukturierungen keinen positiven Effekt auf die Behaltenleistung haben, konstatieren Mayer (1979) sowie Luiten et al. (1980) einen zwar schwachen, aber eindeutig positiven lemerleichtemden Effekt. Diese methodischen Reanalysen haben zugleich deutlich gemacht, daß etliche der experimentellen Wirksamkeitsstudien einen zentralen Mangel aufweisen: Statt Vorstrukturierungen, die per defmitionem auf einem höheren Abstraktionsniveau angesiedelt sind als der nachfolgende Text selbst, wurden häufig schlicht Zusammenfassungen der Textinformation verwendet, was eine Rückbesinnung auf die von Ausubel vwgenommene Organizer-Explikation notwendig erscheinen läßt (Ausubel 1978, Mayer 1979). Offen ist dabei allerdings, ob diese Explikation zur Herstellung von Vorstrukturierungen ausreicht. Angesichts der vielen widersprüchlichen Wirksamkeitsbefunde kommt Mayer (1982:66f.) zu der Schlußfolgerung, daß zukünftige Forschungsbemühungen stärker darauf konzentriert sein sollten, mit Hilfe von text- und wissenspsychologischen Analysetechniken die subsumierende Qualität von Textkonzepten genauer herauszuarbeiten und die Ergebnisse zur weiteren Explikation von Vorstrukuirierungen zu nutzen.

Insgesamt gilt ein schwach positiver Effekt von Vorstrukturierungen als gesichert, der insbesondere unter folgenden Bedingungen auftritt: bei langfristigem Behalten, bei Texten mit sozialwissenschaftlichen Inhalten sowie bei unvertrauter, unüblicher Textorganisation (Groeben 1982:239, Mayer 1982:65f.). Sequentielles Arrangieren Die Technik des Sequentiellen Arrangierens bezieht sich auf die Art der Aufeinanderfolge von Textinformationen. Nach der Subsumptionstheorie soll jeweils bei den inklusivsten Konzepten begonnen und dann sukzessiv zu spezielleren Konzepten bis hin zu konkreten Fakteninformationen abgestiegen werden. Die Wirksamkeit einer derartigen hierarchisch-sequen-

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tiellen Textorganisation ist dabei allerdings von instruktionspsychologischer Seite kaum direkt untersucht worden. Es liegt jedoch eine Reihe von Aibeiten vor, die generell überprüfen, ob die Sequenzierung von Textinhaltselementen überhaupt einen Einfluß auf die Verarbeitung hat Einen indirekten Beleg für die Bedeutsamkeit der Sequentiellen Organisation liefern dabei sogenannte scrambling-Untersuchungen (Vergleich einer natürlichen Textstruktur mit einer zußllligen Aufeinanderfolge der gleichen Textinhaltselemente) sowie Studien zur Konzept- vs. Attribut-Organisation (z.B. Di Vesta et al. 1973, Perlmutter/ Royer 1973). Eine metaanalytische Aufarbeitung entsprechender Studien ergab für die scrambling-Versuchsanordnung in vier von sechs Fällen einen signifikanten negativen Effekt der zerstörten Satzstruktur gegenüber der natürlichen; auf der Ebene von Texten konnte eine destruierende Wirkung nur in einem von vier Fällen nachgewiesen werden (Drinkmann/ Groeben 1981). Im Falle der Konzept-Attribut-Organisation (Metaanalyse mit 14 Studien; vgl. Drinkmann/Groeben 1981:23f.) zeigte sich, daß sich die beiden Sequenzierungsvarianten nicht signifikant voneinander unter schieden, jedoch einer rein zufälligen Anordnung von Textelementen überlegen waren.

Neben diesen indirekten Belegen zur generellen Wirksamkeit der Sequenzieung liegen einige wenige Untersuchungen vor, die eine signifikant bessere Behaltensleistung für einen hierarchischen Textaufbau gegenüber einem durch falsch plazierte Sätze gestörten Aufbau nachweisen (Gagne/ Rothkopf 1975, Wieczerkowski et al. 1970). Insgesamt ist der Einfluß der Sequenzierung von Texten auf die Behaltensleistung empirisch ungenügend überprüft. Zwar kann aufgrund der vorliegenden Forschungsergebnisse angenommen werden, daß die Sequenzierung einen behaltenswirksamen Faktor darstellt, aber die für den Praktiker wichtige Frage nach der optimalen Sequenzierung von Textinhalten kann angesichts des Forschungsstandes nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Ebensowenig wird von der klassischen instruktionspsychologischen Forschung eine Antwort auf die Frage gegeben, ob und wie sich unterschiedliche Sequenzierungsarten auf die Verarbeitung auswirken (für eine deskriptive Zusammenstellung von Sequenzierungsaltemativen vgl. Posner/Strike 1976). Zusammenfassungen Während die Techniken der Vorstrukturierung und der Sequentiellen Organisation darauf abzielen, die Aufnahme der Textinformation zu effektivieren, haben Zusatnmenfassungen nach der Subsumptionstheorie die Funktion, dem Vergessen entgegenzuwirken, indem sie die Stabilität, Klarheit und Unterscheidbarkeit relevanter Konzepte stärken. Zusammenfassungen sollten jeweils nach einzelnen Textabschnitten oder am Ende eines Textes gegeben werden, und zwar - im Unterschied zu Vorstruktu-

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rierungen - auf dem gleichen Abstraktionsniveau wie die zu stützenden Konzepte selbst; dabei sollten sie die Interrelationen zwischen den relevanten Textkonzepten verdeutlichen (Groeben 1982:243ff.). Der lemerleichtemde Effekt von nachgestellten Zusammenfassungen konnte metaanalytisch für das direkte Lernen (der Nachtest bezieht sich auf die in der Zusammenfassung gegebenen Informationen) gesichert werden, nicht jedoch für das direkte^inzidentelle Lemen (der Nachtest prüft das Behalten von Informationen, die in der Zusammenfassung nicht auftauchen: Drinkmann/Groeben 1981). Allerdings sollte man für die Anwendung in der Praxis berücksichtigen, daß Zusammenfassungen zu einer Verlängerung des Textes und damit auch zu einer Erhöhung der Lemzeit führen. Für sogenannte postorganizer (Bereitstellen inklusiver Konzepte am Ende des Textes) konnte metaanalytisch kein lemerleichtemder Effekt festgestellt werden (Drinkmann/Groeben 1981). Hervorhebungen und Unterstreichungen Ebenso wie Zusammenfassungen können auch Hervorhebungen und Unterstreichungen die Stabilität und Klarheit der relevanten Konzepte stützen. Ein signifikant behaltensfördemder Effekt konnte metaanalytisch nicht gesichert werden (Drinkmann/Groeben 1981). Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die aufgenommenen Studien sich hinsichtlich Art und Anzahl der Unterstreichungen sowie hinsichtlich der Größe der markierten Texteinheiten beträchtlich unterschieden. Eine qualitative Auswertung der Befunde zeigt, daß sich Unterstreichungen auf das inzidentelle Lemen eher negativ auswirken, für das direkte Lemen kann ein positiver Effekt zumindest nicht ausgeschlossen werden. Diese Uneinheitlichkeit der Befunde dürfte dadurch zu erklären sein, daß die Unterstreichungen vermuthch mehr Aufmeiksamkeit auf die betreffende Information lenken und daß dies zu Lasten der nicht unterstrichenen Textelemente gehen kann. Darüber hinaus ergaben sich zwei weitere für den ftaktiker relevante Befunde: Einfache Unterstreichungen erweisen sich als wirksamer als komplexe Hervorhebungssysteme (Hershberger/Terry 1965); Lemende mit hohem Fähigkeitsniveau profitieren von Unterstreichungen in stärkerem Maße als Lemende mit niedrigem Fähigkeitsniveau. Überschriften und Randbemerkungen Überschriften und Randbemerkungen haben die Funktion, die Subsumption von Fakteninformationen unter inklusive Konzepte zu erleichtem. Ein lemerleichtemder Effekt konnte tendenziell metaanalytisch gesichert werden. Weitere im Rahmen der sprach- und gedächtnispsychologischen Gmndlagenforschung durchgeführte Untersuchungen lassen vermuten, daß Überschrifteneffekte eher bei längeren, komplexeren Texten zum

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Tragen kommen (z.B. Bransford/Johnson 1972, Dooling/Lachman 1971) und daß die Effektivität offensichtlich mit Textstrukturmerkmalen interagicrt (Schwarz/Flammer 1979). Fragen und Lernzielangaben Die Lemwirksamkeit von Textfragen ist in der Instruktionspsychologie besonders im Rahmen des Forschungsprogramms des mathemagenen Verhaltens überprüft worden (Rothkopf 1965, 1966). Unter mathemagenem Verhalten werden Aktivitäten verstanden, die zum Lernen führen oder Lernen auslösen. Entsprechend stand die Suche nach Bedingungen, die zum Textlemen motivieren, im Mittelpunkt dieses Forschungsprogramms. Dabei haben sich die Forschungsbemühungen lange Zeit fast ausschließlich auf die Überprüfung der mathemagenen Wirkung von Textfragen konzentriert; später wurde dann zunehmend auch der Effekt von Lemzielangaben auf das Texdemen untersucht (Kaplan/Rothkopf 1974, Rothkopf/Kaplan 1972). Das klassische experimentelle Forschungsparadigma zur Überprüfung der Lemwirksamkeit von Textfragen besteht darin, in einen längeren Text Fragen einzufügen und im Anschluß an die Textrezeption einen Behaltenstest durchzuführen, mit dem sowohl das direkte als auch indirekte Lernen überprüft wird. Variiert wurde dabei insbesondere die Position der Fragen im Text (vor und nach der zugehörigen Textpassage), die Art des Textmaterials sowie die Art der Fragen (faktuelle vs. konzeptuelle). Als Indikator für die Auslosung mathemagener Aktivitäten gilt der inzidenteUe Lemzuwachs der Versuchs- gegenüber der Kontrollgruppe.

Die Ergebnisse der vorliegenden empirischen Befunde zur Wirksamkeit von Textfragen sind in einer Reihe von Übersichtsartikeln und Metaanalysen zusammengefaßt worden (Anderson/Biddle 1977, Drinkmann/ Groeben 1981, Faw/Waller 1976, Fräse 1970). Folgende Ergebnisse können als gesichert angenommen werden: Fragen, die nach einem Text abschnitt gestellt werden, haben einen größeren lemerleichtemden Effekt als vorangestellte Fragen. Der positive Effekt nachgestellter Fragen zeigt sich eindeutig für das direkte Lernen (Lemerleichterung in 20 von 25 metaanalysierten Studien); für das inzidentelle Lernen läßt sich ebenfalls ein lemerleichtemder Effekt feststellen, der jedoch weniger prononciert ist als im Falle des direkten Lernens (signifikant bessere Lemleistung in 10 von 28 Fällen: Drinkmann/Groeben 1981:41). Dabei haben faktuelle Fragen sowohl beim direkten als auch beim indirekten Lernen eine deutlich stärkere behaltensfördemde Wirkung als konzeptuelle Fragen. Hinsichtlich der Frageplazierung wurde festgestellt, daß der lemerleichtemde Effekt mit zunehmender Distanz zwischen Frage und dazugehörender Information sinkt. Fragen sollten somit also nicht en bloc gestellt

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werden, sondern über den Text verstreut, d.h. nach relevanten Textabschnitten plaziert sein. Vorangestellte Fragen haben keinen positiven Effekt auf das inzidentelle Lernen und wirken sich auch beim direkten Lernen nicht eindeutig positiv aus (Drinkmann/Groeben 1981). Zu berücksichtigen ist allerdings, daß der durch Fragen angeregte Wiederholungsprozeß zu einer signifikanten Erhöhung der Lemzeit der Kontrollgruppe gegenüber der Experimentalgruppe führt. Für den Praktiker läßt sich daraus die Empfehlung ableiten, bei der Verwendung von Textfragen nicht noch zusätzlich lemzeiterhöhende Textgestaltungstechniken, wie z.B. Zusammenfassungen, anzuwenden. Angezeigt hingegen ist eine Kombination von Textgestaltungstechniken in der Art, daß Zusammenfassungen in Form von konkreten textuellen Fragen eingeschoben werden (Groeben 1982:260). Lemzielbeschreibungen als Textgestaltungstechniken weiden dem zu rezipierenden Text vorgeschaltet. Ihre Funktion wird in der Steuerung und Strukturierung des Lernprozesses gesehen (vgl. Ballstaedt et al. 1981:117ff., Groeben 1982:260). Untersucht wurde insbesondere der Einfluß von spezifischen/generellen Lemzielen auf das direkte/indirekte Lernen (Übersichtsartikel: FawAValler 1976, Lawson 1974, Melton 1978; Metaanalyse: Drinkmann/Groeben 1981). Es kann als gesichert angenommen werden, daß sich nicht generelle, sondern nur spezielle Lemzielangaben auf das direkte Lemen eindeutig behaltensfördemd auswirken. Auf das indirekte Lemen haben sie allerdings einen destruierenden Effekt (vermutiich aufgrund selektiver Aufmerksamkeitsprozesse: Rothkopf & Billington 1979, Groeben 1982:261ff). Die Angabe genereller Lemziele hat keinen eindeutig lemerleichtemden Effekt auf das direkte Lemen, wirkt sich allerdings im Unterschied zu spezifischen Lemzielen auch nicht negativ auf das inzidentelle Lemen aus. Aus diesen Befunden läßt sich folgende Konsequenz ableiten: Die Vorgabe spezifischer Lemziele ist wegen des destruierenden Effektes auf das inzidentelle Lemen nicht empfehlenswert. Ratsamer erscheint es, wenige generelle Lemziele vorzugeben und damit das Behalten der in den Lemzielen angesprochenen Informationen zumindest tendenzmäßig zu verbessem und gleichzeitig das inzidentelle Lemen nicht zu behindem (Groeben 1982:265f.).

3.4 Textoptimierung: Motivationale Stimulanz Textgestaltungstechniken zur Steigemng der motivationalen Stimulanz lassen sich vor allem aus der Neugiermotivationstheorie von Berlyne (1960) ableiten: Danach werden epistemische Neugier und Stimulanz

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durch folgende Merkmale gefördert: konfliktgenerierende Fragen, inkongruenter Rückbezug auf Bekanntes, inkongruente und widersprüchliche Alternativen sowie Neuheit und Überraschung von Inhaltselementen. Im Unterschied zu den bislang genannten Textgestaltungstechniken liegen zu diesem Bereich nur wenige empirische Effektivitätsstudien vor. Konfliktgenerierende Fragen Empfohlen wird die Verwendung von Fragen, in denen eine oder mehrere der kollativen Variablen Neuheit, Inkongruität, Komplexität und Unsicherheit realisiert sind. In Abgrenzung zu den oben besprochenen Fragen hat dieser Fragetypus keine strukturierend-gliedemde, sondern eine Neugier evozierende Funktion (Bull/Dizney 1973). Berlyne (1954) konnte sichern, daß konfliktevozierende Fragen (Beispiel nach Berlyne: "Welches Gemüse bauen manche Ameisen in Untergrundfarmen an?") zu mehr Interesse und einem besseren Behalten der Textinformation führen. Inkongruenter Rückbezug auf Bekanntes Bei dieser Technik werden Textinformationen eingefügt, die zum bisherigen Wissens- und Überzeugungssystem des Rezipienten im Widerspruch stehen. Der inkongruente Rückbezug, der im übrigen auch von der Dissonanztheorie untersucht worden ist (Festinger 1957), soll zu weiterer Informationssuche motivieren. Einen lemerleichtemden Effekt dieser Technik konnte Paradovsky (1967) sichern. Inkongruente/widersprüchliche Alternativen Diese Technik ist textual durch die Vorgabe gleichwahrscheinlicher Problemaltemativen zu realisieren, die zu weiterer und vertiefter Informationssuche führen (sollen). Eine Steigerung des Interesses bei Verwendung dieser Technik haben Berlyne (1962) sowie Eiseman et al. (1973: Inkongruität zwischen Text und Illustration) nachgewiesen. Neuheit und Überraschung Interesse läßt sich außerdem generell durch den Neuheits- und Überraschungswert von Textinhalten wecken. In entsprechenden empirischen Untersuchungen (von Berlyne selbst: 1954, 1963, Berlyne^rommer 1976) wurde der Aspekt der Neuheit durch die Einführung ungewöhnlicher Tiere in einer Fabel operationalisiert, der Aspekt des Überraschungswerts durch den ungewöhnlichen, dem Überzeugungswissen widersprechenden Schluß einer Geschichte. Texte, in denen diese beiden Variablen realisiert waren, führten (bei Kindern) zu einem signifikant höheren Ausmaß an Interesse.

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4. Ausblick: Integration von Anwendungs- und Grundlagenforschung Die Darstellung der Textoptimierungsstrategien macht deutlich, daß auch innerhalb der für die Textoptimierung wichtigsten Verständlichkeitsdimensionen der Kognitiven Gliederung/Ordnung trotz extensiver empirischer Forschung manche Einflußfaktoren noch weitgehend ungeklärt sind. Dabei dürfte die weitere Fortführung der Effektivitätsuntersuchungen innerhalb des üblichen Forschungsparadigmas kaum zu einer Verbesserung dieser Lage führen. Denn das entscheidende Problem der instruktionspsychologischen Forschungsansätze liegt in der mangelnden Präzision und Differenziertheit der zentralen Konstrukte, d.h. in deren vager und umgangssprachlicher Beschreibung (Groeben 1982:215, Seidenstücker/Groeben 1973). So ist z.B. das Konstnikt Inklusivität von Konzepten, das bei der Herstellung aller aus der Subsumptionstheorie Ausubels ableitbaren behaltensfÄ-demden Textmerkmale eine Rolle spielt, völlig unzureichend expliziert. Paradigmatisch für den gesamten Forschungsbereich verdeutlicht die immer noch andauernde Kontroverse um die Behaltenswirksamkeit der Vorstrukturiening, daß es sinnvoll und notwendig wäre, unter Rekurs auf sophistiziertere Textanalysemethoden weitere Präzisierungsanstrengungen in den zentralen Konstruktbereichen vorzunehmen (Groeben 1982, Mayer 1978).

Eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung verständlichkeitsfördemder Textmerkmale im Sinne einer präzisierenden Explikation und Ausdifferenzierung eröffnet die Verbindung mit neueren kognitionspsychologischen Ansätzen zur Textverarbeitung. Dabei ist zunächst festzustellen, daß sich die Forschungssituation im Bereich der Verarbeitung sprachlichen Materials seit Mitte der 70er Jahre drastisch verändert hat. Während bis dahin das Problemfeld Textverstehen/Textverarbeitung fast ausschließlich eine Domäne der anwendungsorientierten Instruktionspsychologie war, hat sich in den 70er Jahren im Zuge der expandierenden Entwicklung sprach- und gedächtnispsychologischer Arbeiten zum Wortund Satzverstehen auch die grundlagentheoretisch orientierte Kognitionspsychologie dem Text als Forschungsgegenstand zugewandt. Obgleich beide Forschungsrichtungen darum bemüht sind, diejenigen Bedingungen herauszuarbeiten, die dem Verstehen und Behalten von Texten förderlich sind, haben sie sich weitgehend getrennt voneinander entwickelt, so daß kaum Versuche vorliegen, die jeweiligen theoretischen Modellierungen und empirischen Befunde systematisch aufeinander zu beziehen. Ein Grund dafür liegt sicherlich in der je unterschiedlichen Akzentuierung der wissenschaftlichen Zielkriterien: Die primär an der technologischen Um-

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setzbarkeit ihrer Forschungsergebnisse interessierte Instniktionspsychologie hat ausgehend von komplexen und umfassenden Merkmalen der kognitiven Wissensstruktur des Rezipienten relativ schnell ökonomische und anwendungsrelevante Prinzipien zur behaltensfördemden Textgestaltung abgeleitet. Gemäß dieser programmatischen Zielsetzung wurde die Effektivität dieser Merkmale an natürlichen und komplexen Texten unterschiedlichen Inhalts unter Berücksichtigung von Rezipientenvariablen (kognitiver Entwicklungsstand, Lemvoraussetzungen etc.) überprüft. Für die kognitionspsychologische Richtung hingegen stand entsprechend ihrer grundlagentheoretischen Orientierung zunächst die Frage nach der möglichst präzisen Beschreibung der semantischen Textstiniktur sowie die theoriegeleitete, empirische Überprüfung spezieller Aspekte des Verarbeitungsprozesses im Vordergrund. Als grundlegende textuale Beschreibungs- und Verarbeitungseinheiten wurden dabei Propositionen (Prädikat-Argument-Strukturen) angesetzt, Modelle zur propositionalen Beschreibung des textualen Inputs (Regelsysteme zur Zerlegung eines Textes in Propositionen sowie Vorschriften zur Etablierung einer hierarchischen Kohärenzstruktur) entwickelt (z.B. Kintsch 1974, Meyer 1975, Turner/Greene 1977) sowie die Behaltenswirksamkeit spezifischer propositionaler Stnikturmeilcmale an (zumeist sehr kurzen) Texten überprüft (z.B. Kintsch/Keenan 1973, Kintsch et al. 1975, Manelis 1980). Im Zuge der weiteren Forschungsentwicklung sind dann zunehmend komplexere Aspekte des Textverarbeitungsprozesses ins Blickfeld gerückt, die zugleich die Entwicklung größerer Beschreibungseinheiten erforderlich machten. Speziell wurden Beschreibungsmodelle zur Reduktion der semantischen Textinformation bei der Verarbeitung längerer Texte erarbeitet (z.B. das Makrostrukturmodell von van Dijk 1980) sowie Modelle, die definierte Vorwissensstrukturen, Erwartungen, Zielsetzungen und Interessen des Rezipienten ber1k;ksichligen. Dazu gehören insbesondere die schematheoretischen Modellierungen wie der Rahmen-AnsaU (Minsky 1975), der Skript-Ansatz (Schank/Abelson 1977), die Geschichlen-Grammatik-Modelle (Black/Bower 1980, Rumelhart 1975, Thomdyke 1977; zusammenfassend Mandler 1983). Den neuesten Trend und zugleich vorläufigen Schlußpunkt dieser Entwicklung stellen die mentalen Modellansätze dar (z.B. van Dijk/Kintsch 1983, Johnson-Laird 1983); der Text wird hier lediglich als Datenbasis für den Aufbau eines mentalen Modells gesehen, in dem Text-, Welt- und Situationswissen integriert enthalten sind.

Trotz dieser unterschiedlichen Ausgangspunkte und gegenseitigen Ignorierung weisen instruktions- und kognitionspsychologische Forschungsrichtungen Ansätze zu einer Konvergenz auf (vgl. Christmann 1989). Auf theoretischer Ebene manifestiert sich diese Konvergenz in der Übernahme der kognitiv-konstruktivistischen Erklärungsperspektive des Sprachverstehens nach Bartlett (1932). Beide Richtungen fassen den Verstehensvorgang als Prozeß der aktiven Bedeutungskonstruktion auf, die als Interaktion zwischen dem vorgegebenen Text und der Kognitionsstruktur des

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Rezipienten beschrcibbar ist. Auch auf Konstrukt- und Ergebnisebene lassen sich Gemeinsamkeiten und potentielle Berührungspunkte feststellen. Beide Richtungen konzeptualisieren den Verarbeitungsprozeß als semantischen und hierarchisch-sequentiellen Organisationsprozeß. Dabei wird der hierarchische Aspekt in der Subsumptionstheorie über die Inklusivität von Konzepten definiert, in den kognitionspsychologischen Ansätzen über die (anhand von semantischen Relationen bestimmte) Hierarchiehöhe von Propositionen. Beide Richtungen postulieren ein besseres Behalten von inklusiven bzw. hierarchiehohen Konzepten. Dabei haben hierarchiehohe^mklusive Konzepte die Funktion von Organisationskernen, auf die die nachfolgende Textinformation bezogen wird (Bock 1978). Damit sie diese Funktion erfüllen können, müssen sie vor den speziellen Konzepten, die sie subsumieren, dargeboten werden (sequentieller Aspekt). Aufgrund des Explikationsstands der Konstrukte und der empirischen Befundlage kann vermutet werden, daß es z.B. zwischen dem Konzept der Hierarchiehöhe und dem Konzept der Inklusivität einen Überlappungsbereich geben dürfte. Entsprechende gegenseitige Präzisierungen zwischen instruktions- und kognitionspsychologischen Ansätzen sind als anstehender Theorienfortschritt zu erwarten und anzustreben, da sich die beiden Forschungsrichtungen aufeinander zu entwickeln: Das instruktionspsychologische Forschungsprogramm ist bei der Erstellung behaltensfÖrdemder Textmerkmale von relativ komplexen, rezipientenseitigen Konstruktexplikationen ausgegangen und sieht sich zunehmend mit den Anforderungen einer präziseren textseitigen Merkmalsexplikation konfrontiert. Der kognitionspsychologische Forschungsstrang hat hingegen bei relativ niedrigkomplexen textseitigen Beschreibungseinheiten angesetzt und gelangte im Zuge der Forschungsentwicklung zu einer kontinuierlich stärkeren Einbeziehung der Kognitionsstruktur des Rezipienten. Für eine präzisierende Operationalisierung der besprochenen verständlichkeitsfördemden Textmerkmale in der Dimension Kognitive Gliederung/Ordnung bieten sich auf den ersten Blick mikropropositionale Beschreibungsmodelle an. Denn sie sollen zum einen den Anspruch auf Präzision erfüllen (van Dijk/Kintsch 1983:45, Kintsch 1974); zum anderen ist in ihrem Rahmen eine Fülle propositionaler Strukturmerkmale herausgearbeitet worden (z.B. Propositionsdichte, Argumentdichte, Anzahl von Inferenzen, Anzahl von Reaktivierungen der im Langzeitgedächtnis abgespeicherten Propositionen, Anzahl der Umorganisationen etc.), die erfolgreich als Prädiktoren für die Lesbarkeit von Texten, die Lesezeit und die Reproduktionswahrscheinlichkeit nachgewiesen werden konnten

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(KintschA^ipond 1979, Miller/Kintsch 1980). Dem steht allerdings entgegen, daß ndkropropositionale Modelle so aufwendig und zeitkonsumierend sind, daß sie für die Anwendung außerhalb der Grundlagenforschung praktisch unbrauchbar sind (Groeben 1982:54f.). Außerdem hat die explizite empirische Nachprüfung ergeben, daß auf der Grundlage des klassischen propositionalen Beschreibungsmodells von Kintsch (1974: Zerlegung in F^positionen und mechanische Hierarchisierung aufgrund des Argumentwiederholungsprinzips) die Inklusivität von Textkonzepten nicht abgebildet werden kann (Korrelation von r = -.02 zwischen einer von Experten erstellten Inklusivitätsrangreihe und der Rangreihe auf der Grundlage der Hierarchiehöhe von Propositionen: Christmann 1989: 205ff.). Vielversprechender erscheinen daher Präzisierungsversuche mit Hilfe von Modellen, die von komplexeren Einheiten ausgehen. Christmann (1989) übeiprüfte dazu die Leistungsfähigkeit von 5 Beschreibungsmodellen (klassisches Propositionsmodell, Konzept-Attribut-Modell, topic-comment-Modell, Makropropositionsmodell und Schema-Modell) in den Zielkriterien Objektivität (intersubjektive Übereinstimmung zwischen drei Textanalysatoren), Ökonomie (mittlere Zeit für Einheitenbildung und -Zerlegung), deskriptive Validität (Übereinstimmung zwischen einer von Experten gebildeten Inklusivitätsrangreihe mit den über die einzelnen Modelle gebildeten Rangreihen nach Hierarchiehöhe) und explanative Validität (Behaltensprognose) anhand von sieben unterschiedlich sequenzierten längeren Textversionen. Die Beschreibungsmodelle unterschieden sich hinsichtlich der Art und Komplexität der Beschreibungseinheiten, des Hierarchisierungsverfahrens sowie des texttheoretischen Status (textimmanenl/texttranszendent).

Dabei erwies sich unter den genannten Zielkriterien das MakrostrukturModell als das brauchbarste. Der Zeitaufwand für eine Zerlegung in Einheiten und deren Hierarchisierung lag in einem auch für die Anwendungsforschung vertretbaren Rahmen (1,42 Stunden vs. 5,32 Stunden für das klassische propositionale Modell). Die Inklusivität von Konzepten ließ sich mit diesem Modell gut abbilden, und es wies trotz der Komplexität der Beschreibungseinheiten signifikant bessere Objektivitätswerte auf als die mikropropositionalen Beschreibungsmodelle. Darüber hinaus machen die Befunde zur explanativen Validität deutlich, daß hierarchiehohe inklusive Konzepte keineswegs, wie von instruktions- und kognitionspsychologischer Seite übereinstimmend postuliert, besser behalten werden als hierarchieniedrige. Vielmehr ist die Behaltensleistung für Konzepte auf hoher, mittlerer und niedriger Inklusivitätsebene annähernd gleich. Dies verweist darauf, daß die bisherigen Erklärungsmodelle einer Modifikation bedürfen, die es erlaubt, auch das Behalten hierarchieniedriger Konzepte

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zu prognostizieren. D a hierarchieniedrige Konzepte durch größere Konkretheit und Anschaulichkeit charakterisiert sind, wäre zu prüfen, ob für eine Behaltensprognose auf der konkreten Faktenebene die duale Kodierungstheorie (Paivio 1973) und die Neugiermotivationstheorie (Berlyne 1960) herangezogen werden können (s.o. 2.3., 3.4. und Christmann 1989:244ff.). Insgesamt veranschaulicht dieses Beispielproblem der Inklusivität/ Hierarchiehöhe von Textelementen, daß durch eine Verbindung von instruktions- und kognitionspsychologischen Modellierungen des Textverstehens Merkmalspräzisierungen und Problemdifferenzierungen möglich sind, die auf Dauer zu (noch) konkreteren Herstellungsregeln für verständlichkeitsfördemde Textmerkmale führen können.

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Richard Wiese (Düsseldorf)

Psycholinguistik der Sprachproduktion Abslract: This paper is an attempt to survey current ihinking on the psycholinguistics of language production. After several clarifying remarks on the domain of this discipline, empirical methods of the study of language production are introduced and discussed. The stnicture and time-course of language production (and, more specißcally, of sentence production) is then outlined as it is currently conceptualized. The focus here is on the role of linguistic knowledge in production. Speech errors, as the major source of evidence in language production, are classified and analyzed with respect to what they reveal about processes and representations in sentence production. Particular attention is then devoted to lexical and phrasal blends. Finally, some methodological aspects of speech error analysis and central questions for future research are raised.

1. Einleitung: Sprachproduktion und Psycholinguistik Die Psycholinguistik ist nicht nur eine der Bindestrichwissenschaften zur Linguistik mit einem ungeklärten Verhältnis zur Sprachpsychologie; die Forschungen etwa der letzten drei Jahrzehnte haben aulkrdem aufgedeckt, daß sich hinter diesem Etikett zwei fast konträre Richtungen der Fragestellung verbergen (siehe auch Cutler 1988, Tanenhaus 1988): Eine Richtung fragt vor allem nach der Rolle sprachlich-grammatischen Wissens in der Sprachverarbeitung. Die experimentelle Untersuchung der Sprachverwendung soll Aufschluß über Repräsentation und Art des grammatischen Wissens (von der Phonologie bis zur Semantik) geben. Diese Forschungen sind (in den sechziger Jahren) vor allem durch die - explizit mental orientierte - generative Grammatik angeregt und beeinflußt worden; die umfassende Darstellung und Verteidigung dieser Position findet sich in Fodor, Bever und Garrett (1974). Konzepte wie das der Modularität (Fodor 1983) oder der Autonomie der Grammatik (Forster 1979) sind weitgehend mit dieser Auffassung verbunden. In psycholinguistischer Perspektive läßt sich ebenso das Sprachverhalten als ein Spezialfall kognitiven Verhaltens untersuchen. Hier wird Sprache (mehr als die Grammatik) untersucht, um seine Leistungen innerhalb der Kognition zu bestimmen oder um Aufschluß über Prinzipien der Kognition zu gewinnen. Positionen des Funktionalismus (Bates/Mac-

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Wiese

Whinney 1982) und der Integration können dieser zweiten Fragerichtung zugeordnet werden. Der Modellierung des Sprachverhaltens mittels eines Zusammenspiels autonomer Komponenten stehen hier Konzepte der parallelverarbeitenden Netzwerke (allgemein dazu: McClelland/Rumelhart 1986, Rumelhart/McClelland 1986; für die Sprachproduktion auch Berg 1988) gegenüber. Diese Begriffsklärung zur Psycholinguistik ist relevant, da sie den Irrtum zu vermeiden hilft, gegenwärtige psychohnguistische Forschung sei eine Domäne mit zumindest einheitlichen Forschungszielen. Auch ist klarzustellen, daß die folgenden Überlegungen weitgehend der erstgenannten Fragerichtung verpflichtet sind. Es werden Studien und Ergebnisse referiert, die die Rolle sprachlichen Wissens in der Sprachproduktion thematisieren. Unter "Sprachproduktion" wird dabei die Planung und Erzeugung sprachlicher Äußerungen von der vorsprachlichen Intention bis zur Artikulation verstanden. In Übereinstimmung mit der Mehrzahl einschlägiger Studien werden Ebenen oberhalb der syntaktischen Organisation (d. h. die Textproduktion) hier nicht berücksichtigt; siehe dazu die Beiträge von Rickheit/Strohner und Heirmann/Hoppe-Graff in diesem Band). Neben der Beschreibung und Erklärung des Spracherwerbs und des Sprachverstehens hat die Psycholinguistik die Sprachproduktion als ihren dritten Gegenstandsbereich. Während in der Psycholinguistik (oder Sprachpsychologie) ansonsten wenig Übereinstimmung herrscht, geht man doch allgemein davon aus, daß diese drei mentalen menschlichen Tätigkeiten hinreichend verschieden voneinander sind, um separat studiert werden zu müssen. Der Spracherwerb wird hier nicht weiter diskutiert; Lemvorgänge auf der Basis von Lemprinzipien, Daten und möglicherweise angeborenen Grammatikprinzipien sind sicherlich nicht mit den mentalen Vorgängen in der Sprachverwendung direkt vergleichbar.' Sprachrezeption und -produktion haben in der psycholinguistischen Forschung eine sehr unterschiedliche Gewichtung erfahren. Die grundsätzlichen Fragen der Psycholinguistik (etwa die oben angeschnittenen Fragen der Modularität und Autonomie) sind durchgehend an der Sprachrezeption (und am Spracherwerb) formuliert worden, und die Zahl der Studien zu Aspekten der Rezeption übersteigt die der Snjdien zur Produktion bei weitem. Autoren von Überblickswerken (Foss/Hakes 1978, Grimm/ Engelkamp 1981, Tanenhaus 1988) stimmen darin überein, daß Sprach'Für einen Überblick über gegenwärtige psycholinguistische Vorstellungen zum Spracherwerb siehe etwa Gleitman/Wanner (1982).

Psycholinguistik der Sprachproduktion

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Produktion im Vergleich zur Sprachrezeption nur sehr oberflächlich verstanden wird. Ein Grund für diesen Zustand liegt in der Natur des rezeptiven vs. produktiven Sprachverhaltens und ihrer jeweiligen Zugänglichkeit mittels empirisch-experimenteller Verfahren. Gerade da Sprachverstehen eine mentale Reaktion auf einen äußeren Stimulus (die wahrgenommene Äußerung) ist, kann man in der psycholinguistischen Forschung zur mentalen Reaktion parallele Verhaltenseinheiten (Beispiel: auf einen Knopf drücken, wenn man einen Satz verstanden hat) beobachten und weiter auswerten. In der Sprachproduktion ist die Situation gerade umgekehrt: Einem mentalen Ausgangspunkt (einem Gedanken, einer Motivation, einer propositionalen Struktur, was auch immer) entspricht ein sehr komplexes äußeres Verhalten - das Sprechereignis. Aus dieser Äußerung kontrolliert Schlüsse über die Natur der mentalen Tätigkeit zu ziehen, ist schwer, da erstens der "Stimulus" eben der mentale Ausgangspunkt ist, der nicht beobachtbar und kaum experimentell manupulierbar ist, und da zweitens die "Reaktion" nicht von der eher geschätzten simplen Art ist, sondern alle Komplexitäten sprachlicher Äußerungen in sich enthält. Wenn man versuchen würde, Äußerungen mit vorher spezifizierten Eigenschaften zu erhalten, würden die Bedingungen natürlicher Sprachproduktion jedoch weitgehend gestört (siehe auch Fodor/Bever/Garrett 1974:397). Experimentelle Studien zur Sprachproduktion liegen daher nur in vergleichsweise stark begrenztem Umfang vor. Ein klassisches Beispiel ist Osgood (1971), der unterschiedliche Verbalisierungen vorgegebener einfacher Vorgänge untersucht. Andere Studien (z. B. Bock 1982) verwenden als Stimulus Bilder, die verbalisiert werden sollen. Die Kontrolle über den Ausgangspunkt der Verbalisierung ist ganz offensichtiich nur bedingt möglich.

2. Methodische Zugänge zur Sprachproduktion Da die experimentell-psychologische Forschung zur Untersuchung der Sprachproduktion aus den oben angegebenen Gründen weitgehend ausfällt, hat die Psycholinguistik andere methodische Wege zur Modellbildung gefunden. Drei wesentliche (siehe auch Butterworth 1980) werden im folgenden vorgestellt. Alle Methoden sind insofern nicht experimentell, da sie bestimmte Aspekte gesprochener Sprache nicht induzieren, sondern einfach beobachten und aufzeichnen. (Die Redesituationen

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können aber herbeigeführt und dadurch in gewissem Maße kontrolliert werden.) In allen drei Methoden werden bestimmte Auffälligkeiten des Sprechens, die nicht zu den systematischen Zügen der Sprache zu zählen sind, als Datenquelle für die Untersuchung der Sprachproduktion herangezogen.

2.1 Verzögerungsphänomene und temporale Variablen Gesprochene Sprache geschieht in realer Zeit, und auch mentale Prozesse des Formulierens benötigen ein meßbares Quantum an Zeit. Unter dieser Voraussetzung lassen sich die Zeitverlaufsmerkmale der Rede als Indikatoren zugrundeliegender Formulierungsprozesse analysieren. Dabei sind zwei Aspekte zu unterscheiden: Erstens zerfällt die Gesamtredezeit in der Regel in eine Artikulations- und eine Pausenzeit. Die Pausenzeit ist umfangreicher, als der Höreindruck nahelegt; nach den zusammenfassenden Berechnungen von Kowal/Wiese/O'Connell (1983) liegt sie bei erzählenden Texten durchschnittlich bei einem Drittel, in Interviews unter zwanzig Prozent der Gesamtredezeit. In beiden Fällen gibt es selbstverständlich ein großes Maß an intra- und interindividueller Variabilität. Rede- und Pausenzeit lassen sich wiederum getrennt studieren. An den Pausen lassen sich Länge, Häufigkeit und Distribution betrachten; an der Redezeit die Artikulationsgeschwindigkeit, die sich (bei muttersprachlichen Sprechern) im Bereich von vier bis sechs Silben/Sekunde bewegt. Diese 2^hlen für die sogenannten temporalen Variablen sollen belegen, daß in diesem Bereich eine Variabilität existiert, die - der Hypothese nach - zu den mentalen Planungsvorgängen in einer Beziehung stehen mag. Neben diesen temporalen Variablen im engeren Sinne werden daneben häufig die sogenannten Verzögerungsphänomene betrachtet. Darunter sind gefüllte Pausen (verschiedene Varianten von hm und ah), Wiederholungen und Korrekturen zu verstehen; also nicht die Versprecher (siehe unten). Während die Ermittlung und Berechnung der temporalen Variablen und Verzögerungsphänomene relativ unproblematisch und universell anwendbar ist, ist ihre Interpretation in Richtung auf die Redeplanung nur unter Schwierigkeiten möglich. Insbesondere ist nicht gesichert, daß jede Verzögerung (als leere oder als gefüllte Pause) auch lokal zu interpretieren ist, d. h. unter Bezug auf den unmittelbar folgenden Textteil, etwa das

Psycholinguistik der Spiachproduktion

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nächste Wort. Dies mag der Grund dafür sein, daß eine Forschungsrichtung, die vor allem durch Goldman-Eisler (1968) begonnen wurde, nur begrenzt weitergeführt wurde.2 In Wiese (1983) werden, mit den soeben genannten Vorbehalten, dennoch die folgenden Schlußfolgerungen über die oben eingeführten Typen von temporalen Variablen und Verzögerungsphänomene gezogen: - Hinsichtlich der Häufigkeit von Redeunterbrechungcn gibt es eine deutliche Häufigkeitsrangfolge: Pausen > Gefüllte Pausen > Wiederholungen > Korrekturen. Daraus läßt sich schließen, daß Sprecher die markanteren Unterbrechungen vermeiden und insbesondere eher vorausplanen als sich korrigieren. - Die verschiedenen temporalen Variablen ermöglichen generell eine Verlangsamung der Rede, die offenbar zur Planung auf allen Ebenen benutzt wird. In diesem Sinne sind Pausen und langsame Artikulation nicht einer einzigen Funktion zuzuordnen. Eben diese Tatsache schränkt ihre Verwendbarkeit für spezifischere Untersuchungen zur Sprachproduktion ein. - Im Gegensatz dazu sind die Wiederholungen primär auf die lexikalische Suche zu beziehen, während gefüllte Pausen eher der Planung größerer Einheiten dienen. - Korrekturen dienen in großer Zahl der lexikalischen Optimierung; sie können jedoch auch zur Veränderung größerer Einheiten verwendet werden. - Die Einheiten, zwischen denen Pausen auftreten, sind am ehesten als prosodische (etwa phonologische Phrasen) zu charakterisieren, nicht als syntaktische und/oder semantische. Eine eingehende Analyse von Korrekturen (repairs) hat Levelt (1983) vorgenommen. Er stellt fest, daß Sprecher in Korrekturen maximale Kohäsion zwischen dem ersten, zu korrigierenden, Teil der Äußerung und dem Reparaturteil suchen. Selbst syntaktisch gesehen sind Korrekturen insofern wohlgeformt, als sich immer eine koordinative Verknüpfung zwischen den Teilen finden läßt.

2.2 Aphasieforschung Während unter Verzögerungsphänomenen Störungen in der Rede jedes Sprechers verstanden werden, sind aphatische Störungen Abweichungen von der "normalen" Redetätigkeit, die als klinisch behandlungsbedürftig ZFOr Literaturüberblicke siehe O'Connell/Kowal (1983) und Wiese (1983).

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eingestuft werden. Die Rede von Aphatikem vermittelt am direktesten den Eindruck, daß Redeplanung und -ausführung nicht so selbstverständlich sind, wie sie im Alltag erscheinen. Die Aphasieforschung kann besonders deshalb zur Analyse der Sprachproduktion beitragen, weil in aphatischen Störungen deutlich abgegrenzte Teilausfälle sichtbar werden. So diskutieren Schwanz, Marin und Saffran (1979) die Störungen bei einer Patientin, deren phonologisches und syntaktisches Verhalten völlig intakt war, die aber schwere Störungen in der Semantik zeigte. In einem Benennenstest war sie nicht in der Lage, den korrekten Namen für Alltagsgegenstände zu identifizieren, obwohl sie zwischen den dargestellten Gegenständen gut differenzieren konnte. Solche Ausfälle sind kaum denkbar, wenn nicht das semantische System eine von Syntax und Phonologie distinkte Komponente in der Sprachproduktion ist. Ähnliche Fallstudien zu anderen Typen von aphatischen Störungen führen annäherungsweise zu Einsichten in den Aufbau des Systems von Fähigkeiten, die zur Sprachproduktion erforderlich sind. Zu betonen ist, daß es nicht primär darum geht, diese Fähigkeitssysteme im Gehirn zu lokalisieren, sondern um die Ermittiung funktionaler Komponenten und ihrer Zusammenhänge. Die Aphasieforschung (allgemeiner, die Neurolinguistik und -psychologie) kann aus den Sprachstörungen Schlüsse über die Sprachproduktion ziehen, weil Störungen keine neuen funktionalen Systeme kreieren, sondern (vermutlich) nur die vorhandenen Systeme und deren Verbindung beeinträchtigen. Aus diesem Grund lassen sich aphatische und andere sprachliche Störungen trotz der häufigen Symptomvielfalt systematisch beschreiben und erklären.

23 Versprecheranalyse Die weitestgehenden Folgerungen für die Sprachproduktion sind aus der Analyse von Versprechern gewonnen worden. Versprecher sind alle Abweichungen von der intendierten Form einer Äußerung. Sie treten in der Rede, besonders in der spontanen, als unbeabsichtigte (und oft auch unbemerkte) Begleiterscheinung immer wieder auf und sind gegenwärtig als die fruchtbarste Datenquelle für die Psycholinguistik der Sprachproduktion anzusehen. Schon Meringer (Meringer/Meyer 1895) erkannte das hohe Maß an Regularität, das in Versprechern sichtbar wird. Seitdem wird die Regelhaftigkeit von Versprechern zur Erforschung der Sprachproduk-

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tion ausgenutzt.3 Auch die Überlegungen des folgenden Abschnitts verdanken sich im wesentlichen der Versprecheranalyse. Weitere Einzelheiten zu Versprechern und ihrer Regelhaftigkeit finden sich in Abschnitt 4.

3. Ein psycholinguistisches Produktionsmodell Im folgenden sollen in einer Art Skizze die wesentlichen Stadien der Sprachproduktion und einige der Prozesse in diesen Stadien dargestellt werden. Wir werden erstens als einleitende Heuristik ein dreistufiges Modell umreißen, das sich im wesentlichen aus der Logik der Sprachproduktion ergibt und unproblematisch scheint. Zweitens werden diesen drei Stufen Details der Planung und sprachliche Wissenskomponenten zugeordnet. Dies führt zu einem Modell, das den gegenwärtigen Stand der Modellbildung zusammenfaßt. Empirische Argumente für die einzelnen Lösungen werden meistens aus der Versprecheranalyse gewonnen.

3.1 Die Erzeugung einer "Botschaft" Der Prozeß des Formulierens und Artikulierens muß mit der Auswahl und Erzeugung einer Botschaft beginnen. ("Botschaft" verwende ich hier als vortheoretischen, neutralen Terminus.) Über diese mentale Einheit der "Botschaft" und die Prinzipien ihres Zustandekommens ist recht wenig bekannt; es muß sich aber offensichüich um ein vorsprachliches, der Redesituation, dem Vorwissen und der Intention des Sprechers angemessenes Objekt handeln. Grundsätzlich kann man weiter annehmen, daß die Botschaft einerseits zeidich vor der Planung der Äußerung existiert, andererseits während der Planung veränderbar ist. Dafür kann man eine Monitor-Instanz vorsehen, die eine Rückkopplung zwischen Botschaft und Äußerungsplanung ermöglicht (siehe Levelt (im Druck, Kap. 1-4) zu detaillierten Überlegungen zur message generation). Die "Botschaft" kann man in kognitiver Perspektive als eine propositionale Söiiktur bestimmen, in motivationspsychologischer Sicht als Intention, und in sprechakttheoretischer Terminologie vielleicht als Perlokution (die angestrebte Wirkung beim Hörer). Durch diese Charakterisie-

3Froiiikin (1973), Fromkin (1980) und Cutler (1982) präsentieren den größeren TeU der wichtigen Literatur zur Verspiecherfwschung, einschließlich umfangreicher (englischer) Beispiele.

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rung wird deutlich, daß manche der hier vorliegenden Fragestellungen außerhalb der linguistischen Domäne liegen.

3.2 Lexikalische und syntaktische Planung Als zweiten, jetzt spezifisch sprachlichen. Schritt in der Sprachproduktion kann man sich die lexikalische und syntaktische Planung auf der Basis der ausgewählten Botschaft ("grammatisches Enkodieren") denken. Der Übergang von der Planung auf der konzeptuellen Ebene zur sprachlichen Formulierung geschieht möglicherweise als erstes in einer Adressierung lexikalischer Einheiten in Abhängigkeit von den Konzepten. Lexikalische Einheiten enthalten, nach neueren Modellen der Lexikonforschung, bereits soviel an syntaktischer Strukturinformation, daß damit auch große Teile der Satzstruktur bereits festgelegt sind. Der lexikalische Zugriff verläuft, wie verschiedene Daten belegen, offenbar in einem zweistufigen Prozeß. Eine offensichtlich auf diesen Prozeß bezogene Klasse von Versprechern sind Wortvertauschungen (siehe 4.1). Da die vertauschten Wörter entweder semantisch nahe verwandt sind oder phonologisch sehr ähnlich sind (erste Segmente, Silbenzahl), kann man schließen, daß sowohl beim Aufsuchen der Adresse eines Wortes auf der Grundlage der Bedeutung als auch bei dem Zugriff auf die Wortform, die dem ausgewählten Wort entspricht, Störungen auftreten können. Diese Argumentation setzt aber voraus, daß diese zwei Prozesse tatsächlich distinkt sind. Garrctt (1988) verweist darauf, daß sich bei Aphasien und bei dem tip-of-the-tongue-Vh^nom&n ("Es liegt mir auf der Zunge") die gleiche Unterscheidung finden läßt. Durch die lexikalische Auswahl nicht festgelegte Elemente des Satzaufbaus beziehen sich besonders auf die Thema-Rhema-Struktur der Äußerung. Der zu äußernde Satz muß an die aktuell von Sprecher und Hörer fokussierten Objekte in geeigneter Weise anknüpfen. Gleichzeitig muß die Äußerung ebenfalls rein formalen Anforderungen der jeweiligen Syntax entsprechen. Auch wenn gesprochene Sprache Fehler, Abbrüche, Wiederholungen und Korrekturen (siehe oben) enthält, so wird das syntaktische System doch in einer Weise abgebildet, die deutlich macht, daß die syntaktischen Regeln zumindest als beschränkendes System über die Äußerungsplanung operieren. Hier stellt sich die schwierige, aber theoretisch wichtige Frage nach der Beziehung zwischen der (durch die Linguistik zu beschreibende) Syntax

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einer Sprache ("Kompetenz") und ihrer Rolle in der Sprachproduktion ("Performanz"). Einerseits kann das syntaktische Wissen nicht direkt für den Aufbau der Sätze verantwortlich sein, da syntaktische Regeln, auch wenn sie generativ konzipiert sind, kein System zur Erzeugung konkreter Sätze auf der Basis der Bedeutung bilden. Andererseits kann die Satzproduktion nicht unabhängig von dem syntaktischen Wissen verlaufen. Erstens sind Äußerungen in hohem Maße (trotz aller Versprecher, Abbrüche und Korrekturen) grammatisch; zweitens ist wenigstens ein gewisses Maß an phrasenstruktureller Information erforderlich, um Äußerungen ihre konkrete Form zu geben. So hängt die prosodisch-rhythmische Gliederung z. T. von der Phrasenstruktur ab, ebenso bestimmte Reduktionsformen. Falls phrasenstrukturelle Information nicht während der Sprachproduktion "berechnet" wird, ist kaum zu erklären, wie diese sehr konkreten phonetischen Erscheinungen Zustandekommen. Versprecher belegen ebenfalls die Realität syntaktischer Strukturen in der Sprachproduktion. Wie besonders Garrett (1975, 1988) hervorgehoben hat, gibt es Typen von Versprechern, die auf einer syntaktisch definierten Repräsentation zu beschreiben sind. Hier sind sowohl Vertauschungen von Wörtern (siehe unten) zu benennen als auch Worrverschiebungen. In beiden Fällen werden die möglichen Versprecher in zweifacher Weise syntaktisch beschränkt: Erstens können nur Wörter gleicher Wortart vertauscht werden, also etwa ein Verb durch ein Verb (siehe unten). Zweitens sind die neuen Äußerungen immer syntaktisch wohlgeformt. Die wortbezogenen Prozesse (siehe oben) operieren ganz offensichtlich auf einer syntaktischen Basis, die auch dann bestehen bleibt, wenn etwas schiefläuft. Eine vorsichtige Schlußfolgerung ist daher die folgende: In der Sprachproduktion werden Repräsentationen erzeugt, die mit einem syntaktischen Vokabular zu beschreiben sind. Garrett (1975, 1988) versucht darüberhinausgehend zu zeigen, daß auch die in der generativen Syntax vertretene Auffassung von mindestens zwei Ebenen der syntaktischen Beschreibung (Oberflächen- und Tiefenstruktur) durch die Versprecherdaten gestützt wird. Levelt (im Druck, Kap. 5) macht darauf aufmerksam, daß die starke lexikalische Komponente in der Sprachproduktion solche syntaktischen Modelle nahelegt, die dem Lexikon einen zentralen Platz einräumen, etwa der Lexical-Functional Grammar (Bresnan 1982).

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3.3 Artikulatorische Planung Ein syntaktischer und lexikalischer Plan einer Äußerung muß schließlich in eine Repräsentation übersetzt werden, die lautlich geäußert werden kann ("phonologisches Enkodieren").^ Artikulatorische Planung und Realisierung überträgt den abstrakten Äußerungsplan über mehrere Verarbeitungsschritte in eine geeignete Anweisung an den artikulatorischen Apparat. Die Aussprache einer Äußerung wird im wesentlichen durch zwei Komplexe gesteuert, durch die phonologische Information der einzelnen Wörter und durch die prosodische Struktur, die sich aus der Syntax und Semantik der gesamten Äußerung ergibt. Diese beiden Bereiche berühren sich insofern, als die phonetische Realisierung einzelner Wörter teilweise vom Kontext abhängt. Assimilationen zwischen benachbarten Wörtern, Reduktionsformen und ähnliche Erscheinungen können nur produziert werden, wenn die lexikalischen phonologischen Formen und die prosodischen oder syntaktischen Kontexte zur Verfügung stehen. Umgekehrt kann man sagen, daß es die Funktion der phonologischen Enkodierung ist, die lexikalischen Einheiten so umzuformen, daß eine flüssige Realisierung erleichtert wird. Die Planungsprozesse im einzelnen stützen sich besonders auf die Silbe als phonologisch-phonetische Einheit. Versprecher auf der Lautebene werden durch die Silbe und ihre Stiiiktur deutiich beeinflußt (siehe etwa Crompton 1982). Während Segmente direkt als manipulierbare Objekte der Verarbeitung erscheinen, sind Silben aber eher die die Verarbeitung beschränkenden Größen. Das zeigt sich daran, daß sie selber von Versprechern kaum betroffen sind. Nicht geklärt ist die Frage, ob nur Segmente (Phoneme) als ganzes, oder auch einzelne Merkmale Einheiten der Sprachproduktion sind (siehe Fromkin 1971 vs. Shattuck-Hufnagel/Klatt 1979).

4. Linguistische Aspekte der Sprachproduktion Versprecher als Fenster Versprecher sind linguistisch gesehen bemerkenswert regulär; eine Fülle von linguistischen Kategorien lassen sich in der Beschreibung von Ver^Weitgehend (wenn auch nicht vollständig) Analoges mag für die Produktion schriftsprachlicher Äußerungen gelten.

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Sprechern wiederfinden. Insofern sind Versprecheranalysen nicht nur für die Psycholinguistik der Sprachproduktion relevant; Versprecherregularitäten lassen sich als "externe Evidenz" in der linguistischen Argumentation verwenden. Beispiele dafür finden sich bei Bierwisch (1970/1982), Fronikin (1971, 1988), Shattuck-Hufnagel (1986) und anderen.' Fronikin (1988) vertritt die Auffassung, daß sich Versprecher auf sämtliche Aspekte der grammatischen Struktur beziehen lassen.

4.1 Eine Typologie der Versprecher Die Versprecher lassen sich unterschiedlichen Typen zuordnen. Eine entsprechende Typologie aufzustellen, ist erforderlich, da für eine Argumentation auf der Basis von Versprechern in der Regel nur eine Untermenge, die Versprecher eines einzelnen Typus, herangezogen werden. Signifikant ist dann die Tatsache, daß sich die Versprecher in eine Ordnung bringen lassen, die sich auf der Basis etablierter linguistischer Einheiten (z. B. Laut, Morphem und Wort) ergibt. Diese Tatsache ist ein erster Beleg dafür, daß Versprecher externe Evidenz liefem, in diesem Fall für die Realität linguistischer Kategorien. Die folgende Typologie kreuzklassifiziert Versprecher nach zwei Dimensionen: Nach den beteiligten Einheiten und nach den zu beobachtenden Fehlertypen. Einheiten können (mindestens) hinzugefügt, weggelassen, verscho^n und ersetzt werden. Für jede Kategorie von Fehlem werden einige Beispiele (aus der Fehlersammlung des Autors) gegeben und Anmeldungen zu ihren Eigenschaften gemacht. Eine besondere Gruppe von Versprechern sind die Verschmelzungen (blends). Sie werden in Abschnitt 4.2 separat studiert. Die vorgestellte Typologie ist nicht die einzig mögliche; siehe etwa Fromkin (1973) und Berg (1988) für andere Vorschläge. Die häufig aufgeführten Antizipationen (Vorwegnahme einer Einheit) und Perseverationen (Wiederholung einer Einheit) habe ich als Sonderfälle von Ersetzungen oder Hinzufügungen betrachtet. Solche weitergehenden Analysen sind selbstverständlich möglich und nötig; sie werden von Berg (1988) auf der "explikativen" Dimension angesiedelt. Es ist auch nicht für jeden Versprecher eindeutig entscheidbar, welcher Klasse er zuzuordnen ist.

5Die Unterscheidung zwischen interner und externer Evidenz (und die generelle Bevorzugung der internen) wird neuerdings in Zweifel gezogen, siehe Ohala (1986).

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Dennoch kann eine Typologie wie die folgende als Ausgangspunkt der Analyse dienen.^ (1.1) Lautersetzungen a. die bürgerliche Fresse (Presse) b. brech dir doch die Gnä- Gräten Versprecher wie diese und die folgenden können erstens illustrieren, daß das Segment eine Einheit der Sprachproduktion ist; es werden nicht beliebige subsegmentale oder suprasegmentale Ausschnitte ersetzt, sondern (mit großer Häufigkeit) einzelne Segmente. Damit soll nicht bestritten werden, daß auch andere Einheiten vorkommen. Auch die Frage, ob es sich bei den betroffenen Einheiten um Phoneme im klassischen Sinne handelt, ist davon zu trennen. Nach Auffassung des Autors werden genau die Segmente affiziert, die am Ausgang des Lexikons zur Verfügung stehen, also weder zugrundeliegende Einträge noch Oberflächensegmente (zu der Konzeption der Lexikalischen Phonologie siehe Wiese 1988). (1.2) Lautauslassungen a.... kontextunabhängige Regel, weil ohne Schrägstich (-strich) b.... kann noch nicht krabben (krabbeln) Alle lautbezogenen Versprecher (1.1 bis 1.4) demonstrieren eine andere Beschränkung, die das phonologische System auf die Produktion ausübt: Es entstehen immer Lautkombinationen, die nach den phonotaktischen Regeln (hier des Deutschen) wohlgeformt sind. Das gilt auch für solche Versprecher, die zu einem Nicht-Wort führen, wie in vlögel oder schrenken: (1.3) Lauthinzufügungen a. Demuth und seine Mannschaft - die Pechviögel (-vögel) der letzten Nacht b.... daß man das nicht schrenken (schenken) kann Die Frage, ob Lautversprecher dazu tendieren, existierende Wörter zu produzieren (lexical bias), ist von besonderer Bedeutung, da sich hier zeigt, inwieweit Prozesse wie die der Lautmanipulation von übrigen Ebenen der Produktion isoliert oder in diese integriert sind. Wenn es richtig ist, daß der Anteil von entstehenden realen Wörtern überzufällig hoch ist (Dell/Reich 1981), muß zugelassen werden, daß die Lautplanung Zugang zu lexikalischer Information hat. Sie ist also (zumindest) nicht völlig autonom.

fißei den folgenden Versprecherbeispielen wird die intendierte Form in Klammem aufgefühtt, wenn sie nicht durch die Sprecherkorrektur vorgegeben wird.

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(1.4) Lautvertauschungen a. meine Kermostanne (Thermoskanne) b. und das einzige, was ich damit assizoiere (assoziiere), ist Dorian Lautvertauschungen werfen die Frage auf, innerhalb welcher sprachlichen Domäne zwei Elemente interagieren können. Die bisherigen Ergebnisse legen nahe, daß zwei Laute nur dann interagieren (z. B. vertauscht) werden können, wenn sie inneriialb eines einzigen Satzes, typischerweise jedoch innerhalb einer einzigen Phrase, stehen. Der starke Unterschied zwischen Laut- und Wortvertauschungen in dieser Hinsicht führte Garrett (1975, 1976) zu der Hypothese von zwei distinkten Verarbeitungsebenen der Auswahl abstrakter Wörter und der Auswahl der Wortformen. Morphembezogene Versprecher sind nicht immer eindeutig von wortbezogenen abzugrenzen; in (2) werden nur solche Beispiele aufgeführt, in denen kein selbständiges und vollständiges Wort betroffen ist. Insgesamt illustrieren diese Beispiele, in welchem Maße in der Produktion auch die wortinternen Strukturen zur Verfügung stehen; jeder Typ von Morphem kann durch Fehlleistungen betroffen sein. Die Zerlegung von Wörtern in Morpheme ist, wie die Versprecher zeigen, kein Artefakt oder ausschließlich Ergebnis sprachwissenschaftlicher Analyse, sondern bildet einen sehr realen Aspekt menschlicher Sprachtätigkeit ab. (2.1) Morphemersetzungen a. mir ist jetzt gerade was ausgefallen (aufgefallen) b. Sammeiste immer noch Verbrecher? (Versprecher) Bei den Morphemersetzungen wie auch bei den Wortersetzungen in (3.1) sind zwei Klassen festzustellen: formbasierte und bedeutungsbasierte. (2.1b) ist ziemlich eindeutig formbasiert, da die Phonemfolge /rf?/ in beiden Morphemen identisch ist. Die Zuordnung zu den form- oder bedeutungsbasierten Versprechern ist für (2.1a) dagegen nicht so eindeutig. Nach Garretts Modell sollten (siehe oben) form- und bedeutungsbasierte Versprecher zu unterschiedlichen Stadien der Produktion stattfmden; nach einem interaktiven Modell sollten auch bedeutungsbasierte Versprecher durch Formähnlichkeit begünstigt werden.'' (2.2) Morphemweglassungen a.... soll man die Lebenszeit (Lebensarbeitszeit) verkürzen. b. Das hörte sich an wie ein verglückter (verunglückter) Urschrei.

''Gerade die Ersetzungen, bei denen Fonn und Bedeutung eine Rolle spielen, produzieren verblüffende Effekte, etwa Gelegenheil macht Triebe oder Neue Lämmer braucht das Land

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(2.3) Morphemhinzufügungen a.... dem amerikanischen Diplomadker (en) und Historiker... b.... vielmehr unverrückbarer stehenderes (0) In (2.3a) ist offensichüich, daß die Ersetzung auch als Antizipation analysiert werden kann, in (2.3b) auch als Perseveration. Morphemhinzufügungen (zumindest die erfaßten Fälle) scheinen häufig dieser Art zu sein. (2.4) Morphemvertauschungen a.... einen schweren Tiefpunkt (tiefen Schwerpunkt) b. Es wartet sich zu lohnen (lohnt sich zu warten) Die Morphemvertauschung in (2.4b) illustriert das Phänomen der Akkommodation: Wenn die Morpheme an einen anderen Platz gelangen, werden die morphophonologischen Regeln so angewandt, daß die richtigen Formen entstehen. Nicht das Flexionssuffix t wird verwendet, sondern die dem Stamm wart angemessene Form et. Ähnliche Akkommodationen finden sich auch in den Wortvertauschungen (3.4). Auf ihrer Basis postuliert Garrett (1975, 1980), daß die Einsetzung von Morphemen in syntaktische Rahmen und die Zuweisung ihrer phonologischen Form zwei distinkte, zeitiich geordnete Prozesse sind. Silbenbezogene Versprecher sind, wie oben gesagt, selten. Immerhin gibt es einzelne Fälle, so in meinem Korpus Kapatäten anstelle von Kapazitäten. Ihre geringe Frequenz ermöglicht auch die alternative Erklärung, daß sie auf dem (zufälligen) Zusammentreffen mehrerer segmentaler Prozesse (hier Auslassungen) beruhen. Versprecher dieser Art existieren in jedem Fall, so etwa Zarillo für Zigarillo. (3.1) Wortersetzungen a. Im Namen der Philosophischen Fakultät danke ich - gratuliere ich Ihnen... b. Bäume und Ärzte (Äste) stürzten auf die Straße. Hier ist (3.1a) eindeutig bedeutungsbasiert; (3.1b) dagegen formbasiert (und eine teilweise Antizipation von stürzten). (3.2) Wortauslassungen a. er soll seinen Kopf arbeiten 0 (lassen) b. Ich geb dir dafür ein Bier an die kalte Brust (kaltes Bier an die Brust). (3.2b) ist eine Wortverschiebung, die man als Auslassung (vor Bier) und Hinzufügung (vor Brust) analysieren kann. Die Hinzufügung von mal in (3.3a) ist interessant, da sich nicht klären läßt, welches Exemplar das irrtümliche ist. Das Lemma ist zweifach in die syntaktische Phrase eingefügt worden, wobei jede einzelne Einfügung zu einem korrekten Satz führt.

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(3.3) Worthinzufügungen a. ich schmeiß das mal endlich mal weg b. Der hat seinen ganzen Schaden zu (0) ersetzt bekommen. (3.4) Wortvertauschungen a. in'n Aldi zum Reisholz (zum Aldi in Reisholz) b. daß du kriegst, was du nehmen kannst (... nimmst, was du kriegen kannst) Insgesamt zeigt sich, daß die vorgenommene Unterscheidung von Wertem und Morphemen nicht sehr weit trägt; einige Prinzipien (Akkommodation, Form- vs. Bedeutungsbasiertheit) gelten für beide Einheiten. Vielleicht weitreichender ist die von Garrett (1975,1976) vorgenommene Unterscheidung von Funktions- und Inhaltswörtem. Funktionswörter werden nach seinem Modell zusammen mit den syntaktischen Konstruktionen ausgewählt; die eigentliche lexikalische Selektion bezieht sich nur auf die Inhaltswörter (Nomen, Adjektive, Verben, Präpositionen (?)). Da Inhalts- und Funktionswörter in verschiedenen Komponenten der Äußerung zugewiesen werden, muß mindestens vorausgesagt werden, daß sie nicht als Einheiten in Versprechern miteinander interagieren können (z. B. in einer Vertauschung).

4.2 Eine Fallstudie: die Struktur von Verschmelzungens Die oben aufgeführten Versprecher sind Fehler entweder in der Selektion oder in der Linearisierung sprachlicher Einheiten. Diese formalen Eigenschaften der Versprecher verweisen auch auf die Grundmechanismen in der Sprachproduktion, eben Selektion und Linearisierung des Selegierten. Etwas anderer Natur sind die in diesem Abschnitt studierten Versprecher, die Verschmelzungen (Contaminationen bei Meringer, blends oder fusions im Englischen, Überblendungen bei Berg 1988). In (5) werden Wortverschmelzungen aufgeführt, in (6) Phrasenverschmelzungen. (5) Wortverschmelzungen a. schlemm (schlimm/schlecht) b. Das Haus verkommelt ja (verkommt/vergammelt) c. und man kann es sprie- (spritzen/gießen) d.... daß die Frau da am Unkraut jupfen ist (jäten/zupfen oder rupfen) e.... sollte das schiefschlagen, also fehlschlagen ... (schiefgehen/ fehlschlagen) «Dieser Abschnitt ist eine Erweiterung einiger Ideen in Wiese (1987). Die Analyse beruht auf 25 Wortverschmeizungen und 24 Phrasenverschmelzungen meiner Sammlung.

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f. greifbercit (greifbar/griffbereit) g. Ich werde mir was überdenken (überlegen, ausdenken) h. betäubenden Lösigkeit gegen Migräne (Flüssigkeit/Lösung) (6) Phrasenverschmelzungen a. Er macht sich über sie lächerlich (über sie lustig/sie lächerlich) b.... das ist ein anderes Bier (eine andere Sache/nicht unser Bier) c.... dann gings mir wohler (gings mir besser/wär mir wohler) d. Wir wären dann ein bißchen eher hier geworden (hier gewesen/fertig geworden) Verschmelzungen haben gemeinsam, daß sie sich immer auf zwei beteiligte Konstruktionen (Wörter oder Phrasen) zurückführen lassen. In der Regel sind die Alternativen von der Formulierungsabsicht her äquivalent. Jede der beteiligten Konstruktionen wird nur teilweise realisiert. Den Punkt des Übergangs von einer Konstruktion zur anderen will ich als Transfer bezeichnen. Betrachten wir die Versprecher in (5), die als Wortverschmelzungen klassifiziert wurden, wird deutlich, daß hier zwei Gruppen zu unterscheiden sind. In (5a-d) werden zwei Morpheme verschmolzen, und zwar derart, daß der Übergang von einem zum anderen Morphem morphemintem erfolgt. Eben diese Verbindung zweier Morpheme entspricht nicht den Wortbildungsmöglichkeiten des Deutschen. In (5e-h) dagegen liegt der Transfer auf einer Morphemgrenze innerhalb eines komplexen Wortes. Die Äußerung ist dennoch fehlerhaft, da von zwei komplexen Wörtern je ein Teil realisiert wird. Die Phrasenverschmelzungen haben im Prinzip denselben Aufbau, mit dem Unterschied, daß die beteiligten Konstruktionen den Status syntaktischer Phrasen (sehr oft Sätze) haben. Verschmelzungen sind in zweierlei Hinsicht von Interesse. Erstens kann man sich fragen, welche Einheiten in welcher Weise miteinander "verschmolzen" werden können. Zweitens lassen sich aus der Existenz der Verschmelzungen allein Rückschlüsse über die grundsätzliche Natur der Sprachproduktion ziehen. Der letztere Punkt wird in Abschnitt 5.2 wieder aufgegriffen. Nicht-Wörter wie schlemm könnten die Hypothese nahelegen, daß ein Transfer in eine andere Konstruktion an jedem Punkt erfolgen kann. Die folgende Analyse soll jedoch zeigen, daß dies nicht so ist. Der Transfer ist systematisch beschränkt, und zwar für die drei oben unterschiedenen Klassen von Verschmelzungen jeweils auf eine spezifische Weise.

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Bei Verschmelzungen für Simplexwörter erfolgt der Transfer immer zwischen zwei Segmenten. Einige Fälle sind in (7) dargestellt. Diese Tatsache ist nur dann selbstverständlich, wenn das Segment eine operationale Einheit darstellt. Wäre es dagegen eine bequeme Fiktion sprachwissenschaftlicher Analyse (siehe Tillmann/Günther 1986), sollte zumindest in einem gewissen Teil der Fälle der Transfer intrasegmental verlaufen. Als Ergebnis entständen durch die Verschmelzung Segmente, die in den konkurrierenden Wörtern nicht vorkommen. Entsprechende Beispiele sind aber nicht bekannt. (7) phonologischer Transfer a. schlemm: schle -i cht schli L» mm b. sprie-: spr -i itzen g U ie(ßen) c. verkommelt: verkomm —i t vergamm elt d. bimmi-: bi —i llig pri mitiv In vielen Fällen ist der Transfer nicht eindeutig festzulegen. In (7c) etwa könnte er auch vor dem /m/ erfolgt sein, in (7d) vor dem /i/. Deutlich wird dadurch, daß phonologische Identität von Segmenten eine mindestens begünstigende Rolle für den Transfer spielt. Darüber hinaus ist das Resultat dieser Verschmelzungen immer phonotaktisch wohlgeformt. Nicht so leicht zu entscheiden ist, ob die phonotaktischen Wohlgeformtheitsbedingungen für den Aufbau der Silbe direkt dafür verantwortlich sind. Die alternative Erklärung ist, daß der Transfer, wie in den obigen Beispielen ersichtlich, nur an Stellen möglich ist, an denen annähernd oder vollständig identische Segmente vorliegen. Durch diese Beschränkung wird die phonotaktische Wohlgeformtheit automatisch sichergestellt. Während die Verschmelzungen in Simplexwörtem phonologischen Beschränkungen folgen, beachten die Verschmelzungen in komplexen Wörtern (siehe (5e-h)) und Phrasen (siehe (6)) morphologische bzw. syntaktische Regularitäten. Zunächst gilt, daß der Transfer in diesen Ausdrücken nur an internen bzw. externen Wortgrenzen erfolgt.' (8) illustriert dies für einige Wortverschmelzungen, (9) für Phrasenverschmelzungen.

'Diese Beobachtung gilt in meinem Korpus uneingeschränkt, während Berg (1988: Kiq>. 10.8) in seiner größeren Sammlung einige Ausnahmen fmdet. Einige der Ausnahmen scheinen allerdings auch alternative Erklärungen zuzulassen.

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(8) morphologischer Transfer a. Lös -1 ung U igkeit b. über -i legen aus denken c. ab -1 ziehen beziehen d. greif -1 bar griff U bereit (9) syntaktischer Transfer a. hier —. gewesen fertig U geworden b. Es liegt ja kein Grund —i vor,... Es ist ja kein Grund L» vorhanden,... c. Mir fiel es am Anfang etwas —i schwer,... Ich fand es am Anfang etwas L» schwierig, d. Er macht sich über sie —i lustig Er macht sie L» lächerlich Die gefundenen Verschmelzungen lassen die Schlußfolgerung zu, daß ein Transfer nur möglich ist, wenn die an einem bestimmten Punkt vorliegenden Einheiten morphologisch oder syntaktisch von der gleichen Kategorie sind. Nur ein scheinbares Gegenbeispiel dafür ist (9b), da der Transfer (der hier immer für den letztmöglichen Punkt angenommen wurde, auch vor Grund, kein oder ja erfolgt sein kann. In jedem dieser Fälle ist die Wortartidentität trivialerweise erfüllt. In diesem Sinne sind Verschmelzungen, wie oben angedeutet, durch das sprachliche System stark eingeschränkt. Nicht eindeutig zu beantworten ist die Frage, wie weit die Idenntät in der morphologischen oder syntaktischen Kategorisierung gehen muß. Völlige Identität kann nicht gemeint sein, wie Verben mit unterschiedlicher Subkategorisierung {helfen vs. behelfen) oder finite Verben vs. Partizipien (verschwindet vs. verschwunden) zeigen. Möglicherweise ist die Zugehörigkeit zu den sogenannten Hauptkategorien (Nomen, Verben, Adjektive, Präpositionen) relevant. Entscheidendes, wenn auch vorläufiges, Ergebnis dieser Analyse von Verschmelzungen ist aber, daß ein Transfer (und damit eine Verschmelzung) auf dem "Vokabular" zu beschreiben ist, das bestimmte Repräsentationsebenen zur Verfügung stellen.

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5. Schlußbemerkungen 5.1 Zum methodologischen Status der Versprecheranalyse Versprechersammlungen sind - in der Regel unsystematische - Beobachtungsdaten. So gibt es z. B. keine Gründe, anzunehmen, daß die in einem Korpus von Versprechern erfaßten Items eine Zufallsstichprobe der wirklich realisierten Versprecher darstellen. Es ist vielmehr wahrscheinlich, daß in jeder Sammlung von Versprechern manche Typen von Versprechern gegenüber anderen überrepräsentiert sind. So ist es wahrscheinlich, daß Versprecher, an denen akustisch prominente Leute beteiligt sind, eher wahrgenommen werden als Versprecher mit akustisch schwächeren Lauten. Versprecher auf der phonetisch-phonologischen Ebene werden darüberhinaus eher überhört als solche auf "höheren" Ebenen (siehe Tent/Clark 1980). Cutler (1982) diskutiert die methodischen Probleme in der Versprecherforschung und stellt besonders heraus, daß es unterschiedliche Typen der Argumentation über Versprecher gibt, die in unterschiedlichem Maße von den methodischen Schwierigkeiten abhängen. Ein Argument der Art "Es gibt Versprecher, die ..." ist eine methodisch abgesichertere Aussage als ein Argument der Form "Es gibt keine Versprecher, die ...". Aussagen über Nicht-Existenz bestimmter Versprecher sind in jedem Fall mit größter Vorsicht zu betrachten. In anderer Hinsicht sind Versprecher jedoch gute Indikatoren der Sprachproduktion. Erstens sind sie ökologisch valide, d. h. als Beiprodukt normalen Sprachgebrauchs sind sie keine experimentellen Artefakte. Zweitens haben sie sich über Zeiten, Sprachen, Sprecher und Sammler hinweg als durchaus konstant und unbeeinflußt erwiesen.'" So vermerkt Garrett (1975), daß sich zwischen den von ihm und den von anderen Forschem gesammelten Versprechern keine Unterschiede finden ließen. Schließlich läßt sich auch festhalten, daß die grundlegenden Eigenschaften von Versprechern sich in allen publizierten Sammlungen, seien es die von Meringer/Meyer (1985), Fromkin (1973), Bierwisch (1970/82) oder Berg (1988) wiederfinden lassen. Die vom Autor erhobenen Daten reihen sich hier ein. Gamham et al. (1982) werten ein großes Korpus gesprochener enghscher Sprache vollständig auf Versprecher aus. Die Erieitung wird die Psycholinguistik weiter beschäftigen; ein Fazit wie das von Berg (1988: Kap. 11, Kap. 19), das keinerlei Evidenz für serielle Verarbeitung vorliegt, scheint ebenso verfrüht wie die Annahme strikter Serialität in den ersten Studien von Gairett.

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Gert Rickheit/Hans Strohner (Bielefeld)

Textreproduktion Abstract: After a survey of several recent text repioduction theories an integrated model is developed in a system framew(^. The model consists of components, environment, processes, and the development of the system of text leproduction. The components of the model are the original text, the reproduced text, and the reproducing system with an internal representation of the original text. The environment of the reproducing system consists of the text medium and the reproduction task. Three reproduction processes are distinguished: input, storage, and reconstniction processes. The development of the system of text reproduction is discussed in terms of controlled and uncontroUed processes of text acquisition. Finally, some possible ^plications of text reproduction research for human and Computer systcms are pointed out.

1. Einleitung Wenn die Leser dieses Kapitels das Abstract überflogen haben, so haben sie sich bereits mit einem konkreten Typ von Textreproduktion befaßt, ohne vielleicht besonders darauf geachtet zu haben. Die Zusammenfassung ist besonders im wissenschafdichen Bereich ein wichtiger Typ der Textreproduktion, sie spielt aber auch in vielen anderen Bereichen eine große Rolle, zum Beispiel bei den täglichen Nachrichten in den Massenmedien, bei einem Gespräch über ein kürzlich gelesenes Buch oder einen kürzlich gesehenen Film oder bei schriftlichen und mündlichen Prüfungen. Da es in unserer heutigen Informations- und Kommunikationsgesellschaft eine Vielzahl von Texten gibt, werden wir häufig auch mit Textzusammenfassungen konfrontiert. Die Zusammenfassung ist ein Typ von Textreproduktion, bei dem es nicht auf wörtliche Wiedergabe, sondern auf sinngemäße Wiedergabe des wichtigsten Textinhaltes ankommt. Bei vielen anderen Textreproduktionen ist jedoch gerade die Exaktheit der Wiedergabe gefragt, zum Beispiel beim Vorlesen eines geschriebenen Textes, beim Schreiben nach Diktat, bei der Rezitation einer Theaterrolle oder beim Erzählen eines Witzes.

Textreproduktion

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Andere Typen von Textreproduktion erfordern sowohl die Beachtung der Formulierung als auch des Inhalts des Originaltextes. Hierzu gehört vor allem der wichtige Bereich der Übersetzung in eine andere Sprache. Diese Hinweise mögen genügen, um die Allgegenwärtigkeit von Textreproduktionen in unserem Alltag zu belegen. Dazu kommt, daß viele scheinbar spontane Textproduktionen bei näherem Hinsehen gar nicht so spontan sind, da sie oft aus stereotypen oder gar formelhaften Äußerungen zusammengesetzt sind. Bei Gesprächen über das Wetter, bei Einkaufsgesprächen oder Höflichkeitsfloskeln ist der Reproduktionscharakter offensichtlich. Im Einzelfall kann oft nicht eindeutig bestimmt werden, welche Anteile einer Textproduktion kreativ und welche reproduktiv sind. Wir gehen deshalb von einem fließenden Übergang zwischen kreativer Textproduktion und angeleiteter Textreproduktion aus. Trotz dieser empirischen Probleme der Einzelfallanalyse läßt sich auf einer abstrakteren Ebene ein für die Zwecke dieses Überblicksartikels ausreichend klarer Begriff der Textreproduktion definieren. Eine Textreproduktion liegt dann vor, wenn sich die Intention der Textproduktion auf einen früheren ähnlichen Text beziehen läßt. Es ist also nicht notwendig, daß der reproduzierte Text äquivalent zu dem Originaltext ist. Wir verlangen lediglich, daß eine intentionale Ähnlichkeitsbeziehung zwischen beiden Texten besteht, wie nah oder weit diese Beziehung auch immer sein mag. Es bleibt bei dieser Definition auch dahingestellt, ob die Absicht einer Textreproduktion auch wirklich zu dem gewünschten Resultat geführt hat. Entscheidend für das Voriiegen einer Textreproduktion ist die Absicht, nicht das Resultat. Wie wir schon angedeutet haben, tut sich damit eine riesige Spannbreite von möglichen Arten der Textreproduktion auf. Diesen Raum nach Dimensionen zu ordnen und mit empirischen Belegen zu füllen, ist die Aufgabe dieses Kapitels. Vorher möchten wir jedoch noch auf zwei aus Platzgründen notwendige Beschränkungen hinweisen. Zum einen werden wir uns nur mit sprachlichen Texten beschäftigen und Reproduktionen anderer semiotischer Textsysteme, wie zum Beispiel bildliche Darstellungen der verschiedensten Art, vernachlässigen. Zum anderen werden wir nicht Textreproduktionen in einer anderen Sprache als der des Originaltextes, das heißt Übersetzungen, behandeln.

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Rickheit/Strohner

Zunächst werden wir einen kurzen Überblick über die neuere Geschichte der Textreproduktionsforschung geben, um darauf aufbauend ein integratives Modell der Textreproduktion zu entwickeln.

2. Theorien der Textreproduktion Vieles, was wir heute über die Textreproduktion wissen, ist ein Nebenprodukt. Das eigentliche Ziel vieler Untersuchungen in den siebziger Jahren, die Daten über die Textreproduktion lieferten, war nicht die Textreproduktion selbst, sondern die Textrezeption. Die verschiedenen Methoden der Textreproduktion boten sich als leicht zu handhabende Instruniente an. Die diesem Vorgehen zugrundeliegende Annahme war, daß die Reproduktion nicht mehr als eine bloße Wiedergabe der gespeicherten Textinformation sei. Erst in den achtziger Jahren setzte sich die Überzeugung durch, daß Textrezeption und Textreproduktion zwei spezifische Forschungsgegenstände sind, die für ihre detaillierte Untersuchung spezifischer Methoden bedürfen (Glowalla 1983, Mandl/Ballstaedt/Schnotz/ Tergan 1980, Mandl/Stein/Trabasso 1984, Rickheit/Strohner 1985). Wegen dieser anfänglichen theoretischen und methodischen Naivität müssen viele Theorien, die ursprünglich als Theorien der Textrezeption formuliert waren, eigentlich als Theorien der Textreproduktion aufgefaßt werden.

2.1 Die Rekonstruktions-Theorie Die Geschichte der Theoriebildung zur Textreproduktion beginnt mit dem Hinweis auf ihren rekonstruktiven Charakter. Bransford und Franks (1971) und Bransford, Barclay und Franks (1972) versuchten nachzuweisen, daß die einzelnen Sätze eines Textes nicht isoliert voneinander verstanden, sondern im Verstehensprozeß zu einer übergreifenden Bedeutungsstruktur verbunden werden. Die Grundlage dieser konstruktiven Verbindung ist das Weltwissen über die im Text dargestellten Sachverhalte. Die Interaktion des Weltwissens mit dem Text bewirkt, daß neue Sachverhalte, die explizit gar nicht im Text enthalten sind, erschlossen werden. Diese erschlossenen Sachverhalte, die Inferenzen, verbinden sich mit dem explizit vorhandenen Text zu einer neuen Bedeutungsstruktur, in der die expliziten und impliziten Bestandteile von den Textrezipienten nicht mehr ohne weiteres voneinander unterschieden werden können (Rickheit/Kock 1983).

Textreproduktion

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Ein von Bransfoid et al. verwendeter Kurztext lautete zum Beispiel: "The turtles rested on (beside) a floating log and a fish swam beneath it (them)". Durch Austauschen von on mit beside und von it mit them können aus dem angegebenen Beispiel vier Kurztexte gebildet werden. Bransford et al. nahmen an, daß die Versuchspersonen beim Hören der Texte mit on im Gegensatz zu den Texten mit beside die räumliche Beziehung des Fisches nicht nur zum Stamm, sondern auch zu den Schildkröten aktivieren, da in diesem Fall die eine räumliche Beziehung aus der anderen erschlossen werden kann. Bei der Version mit on sollte es deshalb für die Beziehung zwischen Schildkröten, Stamm und Fisch keine Rolle spielen, ob im zweiten Teilsatz it oder them steht. Wird nun in einem nachfolgenden Wiedererkennungsexperiment geprüft, inwieweit die Versuchspersonen noch wissen, ob in dem Text it oder them stand, so sollten nach der konstruktivistischen Textverarbeitungstheorie bei der Textversion mit on mehr Verwechslungen zwischen it und them auftreten als bei der Version mit beside. Die Ergebnisse scheinen die Konstruktions-Theorie von Bransford et al. klar zu bestätigen. Bei genauerer Betrachtung werden jedoch einige methodische Schwächen des Experimentes zu deutlich, als daß sie übergangen werden könnten (vgl. Rickheit/Strohner 1985). Einer der schwerwiegendsten Kritikpunkte bezieht sich darauf, daß die für die konstruktivistische Rezeptionstheorie kritischen Inferenzen nicht bereits bei der Textrezeption, sondern erst bei der Reproduktion in Form einer Wiedererkennung gebildet worden sein könnten. Spätere Untersuchungen der Inferenzprozesse erhärten diese Interpretation (vgl. Rickheit/Schnotz/Strohner 1985). Aus der von Bransford und seinen Mitarbeitern intendierten Konstruktions-Theorie der Textrezeption wird so eine Rekonstruktionstheorie der Textreproduktion. Die Rekonstruktivität ist einer der grundlegendsten Merkmale der Textreproduktion. Textreproduzenten geben nicht einfach das wieder, was sie noch vom rezipierten Text gespeichert haben, sondern versuchen, aus den ihnen zur Verfügung stehenden Bruchstücken ein sinnvolles Ganzes zu rekonstruieren (Weaver/Kintsch 1987).

2.2 Die Propositions-Theorie Während Bransford vor allem die impliziten Textstrukturen untersuchte, galt das Hauptinteresse von Kintsch (1974) der Erforschung der expliziten Struktur des reproduzierten Textes. Kintsch entwickelte ein Beschreibungssystem, das Propositionen als Basis für die Struktur des Textes vor-

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Rickheit/Strohner

sah. Propositionen bestehen aus Wortkonzepten, von denen eins als Prädikat, die anderen als Argumente dienen. Das Prädikat spezifiziert eine Beziehung zwischen den Argumenten, so daß die Wortkonzepte durch die Propositionen definiert werden, in denen sie auftreten. Die Bedeutung eines Textes ergibt sich aus der geordneten Liste seiner Propositionen. Als Beispiel für eine hierarchische Propositionsstruktur möge der folgende Text dienen (Kintsch et al. 1975:198): Text: Die Griechen lieben schöne Kunstwerke. Als die Römer die Griechen besiegten, ahmten sie die Griechen nach. Sie lernten so, schöne Kunstweilce zu schaffen. Propositionale Struktur: 1 2 3 4 5 6 7 8

(LIEBEN, GRIECHEN, KUNSTWERKE) (SCHÖN, KUNSTWERKE) (BESIEGEN, RÖMER, GRIECHEN) (NACHAHMEN, RÖMER, GRIECHEN) (ALS, 3,4) (LERNEN, RÖMER, 8) (KONSEQUENZ, 4,6) (SCHAFFEN, RÖMER, 2)

Nach Kintsch et al. bildet Proposition 1 in diesem Text die Ausgangsposition. Sie ist den anderen Propositionen übergeordnet und nimmt deshalb die höchste Hierarchieebene ein. Von ihr hängen die Propositionen 2, 3 und 4 ab. Das Argument (KUNSTWERKE) wird in Proposition 2 als Argument wieder verwendet, das Argument (GRIECHEN) wiederholt sich in den Propositionen 2 und 3. Diese Propositionen bilden deshalb die zweite Hierarchieebene. Die restiichen Propositionen bilden die dritte Hierarchieebene. Sie beziehen sich alle auf Argumente der zweiten Ebene und sind z. T. noch untereinander verknüpft. Die Propositionen 6 und 8 enthalten das Argument (RÖMER) aus den Propositionen 3 und 4. Die Propositionen 5 und 7 verwenden die Propositionen 3, 4 und 6 als Argumente, von denen die beiden Propositionen 3 und 4 zur zweiten Hierarchieebene gehören. Die Annahme einer derartigen Hierarchie läßt erwarten, daß eine Proposition für die Textverarbeitung um so wichtiger ist, je höher die Hierarchieebene ist, die sie einnimmt. Eben dies zeigen die Untersuchungen von Kintsch et al. Die Autoren zählten nicht nur aus, wie viele Propositionen eine Versuchsperson von einem Text reproduzieren konnte, sondern auch, welche Hierarchieebenen die erinnerten Propositionen eingenommen hatten. Die Propositionen der obersten Hierarchieebene wurden mit einer Wahrscheinlichkeit von annähernd 80 % reproduziert, die ihnen unterge-

Textreproduktion

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ordneten Propositionen dagegen lediglich mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 %. Auf der Grundlage der von Kintsch (1974) entwickelten Theorie der propositionalen Textrepräsentation erarbeiteten Kintsch und van Dijk (1978) die erste prozedurale Theorie der Textverarbeitung. Kintsch und van Dijk gehen von dem Grundprinzip einer zyklischen Verarbeitung aus. Ein Zyklus ist die Zeitspanne des Verweilens dieser Propositionen in dem für die Kohärenzbildung zuständigen Arbeitsgedächtnis. Im nächsten Zyklus werden dann nach einem speziellen Verfahren, der Leading-Edge-Stratcgie, neue Propositionen für das Arbeitsgedächtnis ausgesucht. Bei der Leading-Edge-Sxiategie werden sowohl die Hierarchieebene als auch der Zeitpunkt des Auftretens einer Proposition berücksichtigt. Ein weiterer Aspekt ist für eine prozedurale Theoriebildung des Textgedächmisses von größter Bedeutung, nämlich die von Kintsch und van Dijk gesehene Verbindung zwischen Verarbeitung und Gedächtnis. Diese Verbindung wird von ihnen nach dem einfachen Prinzip "je häufiger, desto besser" hergestellt. Je häufiger eine Proposition in das Arbeitsgedächtnis aufgenommen wird, desto besser wird sie eingeprägt und infolgedessen auch wiedergegeben.

23 Die Schema-Theorie Ein Schema ist eine kognitive Struktur, die nicht alle, sondern nur die stereotypen Charakteristika eines Gegenstandes repräsentiert (Rumelhart 1975, 1980). Es bietet damit die Möglichkeit, das Wissen über einen Gegenstand in typische und nebensächliche Eigenschaften einzuteilen und so eine umfassende Grundlage für die Textreproduktion zu bieten. Einem Schema können die vier folgenden Wirkungsweisen auf die Informationsverarbeitung zugesprochen werden (ThomdykeA'ekovich 1980, Spiro 1980, Alba/Hasher 1983): Selektionsfunktion: Nur die Information, die für die bereits vorhandenen Schemata relevant ist, wird für die Verarbeitung ausgewählt. Abstraktionsfunktion: Nur die Bedeutung einer Information, nicht dagegen ihre Form, wird weiter verarbeitet. Interpretationsfunktion: Die zu verarbeitende Information wird in Relation zu den bereits vorhandenen Schemata interpretiert. Integrationsfunktion: Die so aufbereitete Information wird mit den bereits vorhandenen Schemata entweder zu einem neuen System verbunden oder geht ganz in ihnen auf.

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Diese Funktionen spielen sicherlich bei der Textverarbeitung eine große Rolle. Ob die Funktionen im Sinne der Schema-Theorie ausgeübt werden, wurde mehrfach experimentell überprüft. Die ersten Experimente schienen der Schema-Theorie in einem verblüffenden Ausmaß recht zu geben. Die scheinbar eindeutigen Resultate der Experimente von Pichert und Anderson (1977), Anderson und Pichert (1978) sowie Anderson (1978) und Bower (1978) hatten zur Folge, daß die Schema-Theorie als die große Hoffnung für die Theoriebildung der Textverarbeitungsforschung betrachtet wurde. Aber auch hier wurde bald Kritik laut. Thomdyke und Yekovich (1980) kritisierten die Schema-Theorie, weil sie zu wenig spezifisch sei, um genaue Vorhersagen für die Ergebnisse von Verarbeitungsprozessen machen zu können. Auch die Frage, wie Schemata in Lernprozessen entstehen und sich verändern, war ihrer Meinung nach nur unzureichend geklärt. Vor allem griffen sie die Schema-Theorie an, weil sie wegen ihrer Vagheit grundsätzlich nicht zu falsifizieren sei. Alba und Hasher (1983) überprüften im Rahmen einer ausführlichen Literaturübersicht über Resultate der Gedächtnisforschung auch die empirische Tragfähigkeit der Schema-Theorie. Sie beziehen diese Überprüfung auf die vier obengenannten Grundfunktionen eines Schemas. Zwar scheint eine ganze Reihe von Studien die Existenz dieser vier SchemaWirkungen zu zeigen, die Resultate von vielen anderen Studien dagegen sind differenzierter zu beurteilen. Es sieht nach diesen Befunden so aus, daß Informationen aus ganz unterschiedlichen Gründen aufgenommen werden können, daß nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form von Informationen weiter verarbeitet wird, daß Informationen nicht notwendigerweise umfassend interpretiert werden und daß Informationen auch in relativer Isolation eingeprägt werden können. Diese Befunde lassen vermuten, daß die Schema-Theorie nur zum Teil geeignet ist, die Rezeption, Speicherung und Rekonstruktion von Information zu erklären. Ähnlich wie mit der allgemeinen Schema-Theorie verhält es sich mit ihren spezifischen Weiterentwicklungen, zum Beispiel der Script-Theorie (Schank/Abelson 1977) und der Scenario-Theorie (Sanford/Garrod 1981).

2.4 Die Theorie der Geschichten-Grammatik Ausgehend von der Annahme, daß Geschichten mit Hilfe eines abstrakten strukturellen Schemas verarbeitet und erinnert werden, versuchten Mandler und Johnson (1977), Rumelhart (1977) sowie Thomdyke (1977) einen Regelmechanismus zu entwickeln, der das Handlungsgefiige von Erzäh-

Textreproduktion

211

lungen zu strukturieren vermag. So kann beispielsweise eine einfache Handlungssequenz ein wichtiges Problem für die Hauptfigur enthalten, das sie in einer Reihe von Anläufen zu lösen versucht, was ihr dann oft zum Schluß der Geschichte gelingt. Solche erzählerischen Abhängigkeiten unter den einzelnen Ereignissen lösen im Leser/Hörer Erwartungen hinsichtlich der Erzählstruktur aus, die auf der Kenntnis ähnlicher Strukturmuster beruhen. Derartige allgemeine Strukturen dienen dem Leser/ Hörer beim Verstehensprozeß dazu, die betreffende Geschichte als ein Beispiel eines bereits bekannten Organisationsrahmens zu fassen. In einer Reihe von Untersuchungen wurde in den auf die Entwicklung der Geschichtengrammatik-Theorie folgenden Jahren bestätigt, daß die von dieser Theorie postulierten Einheiten eine gewisse Auswirkung auf die Textverarbeitung haben (z.B. Haberiandt 1980, Haberiandt/Berian/ Sandson 1980, Yekovich/Thomdyke 1981, Mandler/Goodman 1982). Trotzdem ist heute von dieser Theorie nur noch selten die Rede. Der Grund für diese Abkehr liegt primär in ihrem Versuch, den reproduzierten Text in ein formales Korsett zu pressen. So kritisierten Black und Wilensky (1979), Gamham (1983) und Wilensky (1983), daß die Geschichtengrammatiken einerseits nicht nur die Struktur von Erzählungen umfassen, sondern unbeabsichtigt auch andere Textsorten und daß sie andererseits nicht alle Erzählungen formal beschreiben können. Die meisten der früheren Vertreter der Geschichtengrammatik sehen deshalb in ihren späteren Veröffentlichungen diese Theorie sehr viel differenzierter (z. B. Mandler 1982, Mandler/Johnson 1980, Rumelhart 1980, Hoppe-Graff/ Schöler/Haas 1981, Stein 1982, Wimmer 1982).

2.5 Die Theorie der Problemlösehandlungen im Text Als eine Alternative zur Geschichtengrammatik entwickelte Black (1978) die am Problemlöse-Begriff orientierte Hierarchical State Transition (//•Srj-Theorie. Die von Black beschriebene Theorie basiert auf zwei Repräsentationssystemen, die in der Künstiichen-Intelligenz-Forschung bereits gut eingeführt sind: den sequentiellen Zustands-Übergangs-Netzwerken und den hierarchischen Problemreduktions-Bäumen. Die grundlegende Annahme der HST-Theorie ist, daß die Gedächtnisrepräsentation einer Geschichte vor allem davon abhängt, wie die Rezipienten diese beiden Problemlösungs-Methoden zum Verstehen der in der Geschichte ablaufenden Handlung einsetzen. Nach Ansicht von Black und Bower

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Rickheit/Strohner

(1980) läßt sich die Handlung einer Geschichte mit Hilfe dieser beiden Problemlösungs-Heuristiken in eine theoretische Struktur bringen, aus der empirische Vorhersagen für die unterschiedlichen Reproduktionsleistungen bei den einzelnen Teilen der Handlung ableitbar sind. Zum Beispiel sollten die am besten reproduzierbaren Teile der Geschichte diejenigen sein, die zur Überführung des Anfangszustandes in den Endzustand beitragen und die von Black und Bower als "kritischer Pfad" bezeichnet werden. Außerdem sollten diejenigen Teile des kritischen Pfads, die weiter oben in der Problemlösungshierarchie stehen, besser reproduziert werden als diejenigen, die weiter unten in der Hierarchie stehen. Black (1978) führte Experimente mit einfachen Geschichten durch, mit denen er die Vorhersagen der HST-Theorie bestätigen konnte: Die aufgrund der Theorie errechneten Erwartungswerte korrelierten mit den tatsächlich gefundenen empirischen Reproduktionswahrscheinlichkeiten durchweg über 0.80, was die Werte der anderen getesteten Gedächtnistheorien, wozu auch Geschichtengrammatiken gehörten, weit übertraf. Ähnlich wie die HST-Theorie verfolgt Glowalla (1981) mit seiner RoterFaden-Theorie das Ziel, ein prozedurales Modell der Verarbeitung von Handlungssequenzen in einem Text zu entwickeln. Die Gedächtnisrepräsentation des Textes besteht in dem roten Faden der Geschichte und den Sackgassen. Der rote Faden ist die Folge derjenigen Teilsätze, die für den letztendlichen Erfolg der Hauptfigur der Geschichte bedeutsame Informationen beinhalten. In den einzelnen Sackgassen stehen Aussagen über solche Handlungen, die die Hauptfigur bei der Verfolgung ihrer Ziele nicht weiterbringen. Erste empirische Bestätigungen dieser Theorie konnten von Glowalla (1981), Glowalla und Colonius (1982) sowie von Pohl (1982) erbracht werden.

2.6 Zu einer integrativen Theorie der Textreproduktion Keine der genannten Theorien ist frei von Mängeln, wie wir zu zeigen versucht haben. Und keine erhebt den Anspruch, eine umfassende Konzeptualisierung der Textreproduktion anzubieten. Dennoch steuern sie alle wichtige Informationen zu einer zukünftigen integrativen Theorie der Textreproduktion bei, mindestens indem sie auf einige Aspekte der hohen Komplexität der Textreproduktion hingewiesen haben. Jede der eben erwähnten Theorien rückt einen wichtigen Aspekt der Textreproduktion in den Vordergrund der Untersuchung. Die Rekonstruk-

Textrepiodukiion

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tions-Thcorie zeigt, daß von Texten nicht einfach das wiedergegeben wird, was noch im Gedächtnis haften geblieben ist, sondern der Versuch einer Rekonstruktion des Originaltextes unternommen wird. Die Propositions-Theorie weist darauf hin, daß die Struktur der Gedächtnisrepräsentation eines Textes weitgehend aus einem hierarchischen Netzwerk von Propositionen besteht. Die Schema-Theorie hebt zusätzlich hervor, daß das Weltwissen, das mit der propositionalen Textbasis interagiert, schennatisch aufgebaut ist. Die Theorie der Geschichten-Grammatik beleuchtet den formalen Rahmen, der die Reproduktion von Geschichten unterstützen kann. Und die Problemlöse-T^eorie schließlich tut dasselbe im Hinblick auf die inhaltliche Struktur von Geschichten. Eine zukünftige Theorie der Textreproduktion sollte zu den durch die einzelnen theoretischen Ansätze hervorgehobenen Aspekten nicht nur einzelne weitere Aspekte hinzufugen, sondern sie sollte sich auch der gesamten Komplexität des Gegenstandes stellen (vgl. van Dijk/Kintsch 1983, Rickheit/Strohner 1985, Günther/Strohner/Terhorst 1986). Hierzu gehört die Integration der einzelnen Teilaspekte in eine übergreifende Gesamttheorie. Wir meinen, daß ein Versuch, die verschiedenen Aspekte der Textreproduktion zu integrieren, sich eines konzeptuellen Instiiimentariums bedienen sollte, das allgemein und differenziert genug ist, um die Textreproduktion im Gesamt der Textverarbeitung zu verorten und ihre Teilaspekte detailliert zu beschreiben. Hierzu bietet sich das Instrumentarium der Systemtheorie an (Snt)hner 1987). Aus systemischer Sicht ist die Textreproduktion ein komplexes System der Wissensverarbeitung, bei dem einzelne Komponenten, Umweltbedingungen, Prozesse und sein ontogenetischer Erwerb unterschieden werden können. Die Komponenten eines Systems sind diejenigen Objekte, aus denen das System zusammengesetzt ist. Beim System der Textreproduktion sind dies der Originaltext, auf den sich die Reproduktion bezieht, der reproduzierte Text und der Reproduzent mit seiner mentalen Repräsentation des Originaltextes. Die kompositionellen Bedingungen der Textreproduktion umfassen somit den Originaltext, den Reproduzenten und die Textrepräsentation. Zu den Umweltbedingungen eines Systems gehören diejenigen Ereignisse, die das Verhalten des Systems beeinflussen. Auf die Textreproduktion wirken sich besonders das Textmedium und die Reproduktionsaufgabe aus.

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Rickheit/Strohner

Die Verarbeitungsprozesse beziehen sich auf die Sequenz der Zustandsveränderungen bis zum Auftreten eines externen Verhaltens. Besonders betrachten wir die drei Phasen der Textrezeption, der Textspeicherung und der Textrekonstruktion. Der ontogenetische Erwerb der Textreproduktion bezieht sich auf die Sequenz der Zustandsveränderungen während der gesamten Lebensdauer eines bestimmten Reproduktionssystems. In Abbildung 1 sind diese Aspekte der Textproduktion, die in den folgenden Abschnitten nacheinander diskutiert werden, veranschaulicht.

Reproduktionsaufgabe

— r Reproduzent

Medium

Medium

Original -

Text-

reproduzierter

text

repräsentation

Text

Prozenphasen Rezeption

Speictierung

ReVconstruktion

Erwerb

Abbildung 1: Das System der Textreproduktion mit seinen Komponenten (Originaltext, Reproduzent mit Subkomponente Textreproduktion und reproduzierter Text), den Umweltbedingungen (Textmedium und Reproduktionsairfgabe), den Prozeßphasen (Rezeption, Speicherung und Rekonstruktion) und dem ontogenetischen Erwerb der Textreproduktion

Textreproduktion

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3. Komponenten der Textreproduktion Die Komponenten des Systems der Textreproduktion, die sich auf den reproduzierten Text auswirken, sind der Originaltext, der Reproduzent und die mentale Reproduktion des Textes im Reproduzenten, d. h. die Textrepräsentation.

3.1 Der Originaltext Der Originaltext ist deijenige Text, auf den sich die Reproduktion bezieht. Nicht jeder Text ist gleich gut reproduzierbar (Schnotz 1983). Eine Reihe von Charakteristika tragen zur besseren Reproduzierbarkeit eines Textes bei, zum Beispiel Zusammenfassungen, thematische Vorstrukturierung, Überschriften, Beispiele und Fragen zum Text. Zusammenfassungen werden in Lehrtexten entweder dem Text voranoder nachgestellt. Diese Funktion einer vorangestellten Zusammenfassung (Abstract) besteht darin, die Leser mit den behandelten Konzepten vertraut zu machen. Nachgestellte Zusammenfassungen wiederholen Konzepte, um so zu einer größeren Stabilität des Textwissens beizutragen (Groeben/Hofer 1978). Proger, Taylor, Mann und Bajik (1970) berichten über einen statistisch bedeutsamen Effekt von Zusammenfassungen bei der Wiedergabe spezifischer Textinformationen und darüber hinaus eine Interaktion von Fähigkeitsniveau der Versuchspersonen und Zusammenfassungen. Die Zusammenfassungen hatten den größten Effekt bei Versuchspersonen mit niedrigem und durchschnittlichem Fähigkeitsniveau. Bei Versuchspersonen mit überdurchschnittlichem Fähigkeitsniveau war kein Effekt nachweisbar. Ballstaedt, Mandl, Schnotz und Tergan (1981) bringen die empirischen Befunde auf die Formel: Zusammenfassungen wirken sich praktisch nie lemhemmend aus, sie können sich hingegen lemfördemd auswirken. Thematische Vorstrukturierungen stellen spezifische Vorinformationen vor dem eigentlichen Text dar. Viele Studien (z. B. Ausubel 1960, Mayer 1978) stellten verstehenserleichtemde Effekte von Vorstrukturierungen fest. Mayer (1984) nimmt an, daß Vorstukturierungen das Verstehen dann beeinflussen, wenn sie inhaltliche Verknüpfungsmöglichkeiten innerhalb des Textes sowie zwischen Text und Weltwissen des Lesers anbieten. Risko und Alvarez (1986) konnten in einer Untersuchung an schlechten Lesern nachweisen, daß thematische Strukturierungshilfen die Textreproduktion erieichtem (Glover et al. 1988).

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Bei Überschriften Icann man zwischen thematischen Überschriften, die sich direkt auf den Text beziehen, und nicht thematischen Überschriften, die nur eine implizite Verbindung zum Text haben, unterscheiden. Dooling und Lachman (1971), Bransford und Johnson (1972) sowie Dooling und Mullet (1973) konnten zeigen, daß thematische Überschriften einen positiven Einfluß bei der Wiedergabe schwer verständlicher Texte haben. Bock (1978, 1981) wies nach, daß durch Überschriften Selektionsprozesse im Wissen der Leser ausgelöst werden. Schwarz und Flammer (1979, 1981) konnten einen Überschrifteneffekt bei geordneten und teilweise geordneten Textinhalten feststellen, aber nicht bei zufälliger Reihenfolge. Thematische Überschriften scheinen in der Wissensstruktur des Lemers die relevanten Konzepte zu aktivieren, in die die neue Information integriert werden kann. Die meist wenigen Propositionen einer Überschrift können sämtiich im Arbeitsgedächtnis gespeichert werden und bilden die Grundlage dafür, daß die folgenden Sätze angehängt und verarbeitet werden können. Treten zwischen den durch die Überschrift aktivierten und den im Text angesprochenen Konzepten Inkongruenzen auf, sind Verarbeitungsprobleme die Folge. Eine dem Inhalt entsprechende Überschrift kann den Textverstehensprozeß dagegen wesentlich erleichtem (Niegemann 1982). Mit Beispielen in Lehrwerken können diese nicht nur aufgelockert, sondern auch verständlicher und damit leichter erlernbar gemacht werden (Simons 1982). Wie Mandl, Schnotz und Tergan (1983) zeigen konnten, tritt dieser Effekt vor allem bei Lesern auf, die bereits einiges Wissen über die im Text angesprochenen Gegenstände und Sachverhalte besitzen. Fragen zum Text können als sprachliche Markierungen die Aufmerksamkeit des Lernenden auf gewisse wichtige Inhalte des Textes, die vielleicht sonst wenig beachtet werden, lenken (KintschA^ipond 1979). Textfragen können darüber hinaus zu einer Steigerung des Interesses und der Aufmerksamkeit des Lemers führen, wenn sie kognitive Konflikte auslösen. Es gibt eine Vielzahl empirischer Untersuchungen, die die Lemwirksamkeit von Textfragen nachweisen (vgl. Anderson/Biddle 1977, Denig 1977, Ballstaedt u. a. 1981). Die Forschung zum textbezogenen Interesse hat sich vorwiegend mit nairativen Texten unter strukturellen Gesichtspunkten beschäftigt. Es wurde festgestellt, daß Geschichten Interesse erzeugen, wenn sie interessante Komplikationen aufweisen (de Beaugrande 1982, van Dijk/ Kintsch 1983, Wilensky 1983), eine gewisse Unterhaltungsfunktion haben (Brewer/Lichtenstein 1981, 1982, Brewer 1983, Kintsch 1980)

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oder wenn sich der Inhalt auf besonders wichtige Themen wie etwa den Tod bezieht (Schank 1979). Kintsch (1980) differenziert zwischen dem kognitiven Interesse, das aufgrund der Relation zwischen Information und Hintergrundwissen produziert wird und dem emotionalen Interesse, das durch direkte emotionale Reaktionen hervorgerufen wird. Hidi und Baird (1986) nehmen an, daß kognitives und emotionales Interesse denselben Ausgangspunkt, nämlich die durch den Text aktivierte Emotionalität, haben (vgl. Abschnitt 3.2).

3.2 Der Reproduzent Neben dem Originaltext ist der Reproduzent die zweite wichtige Ausgangsbedingung der Textreproduktion (Schnotz 1982, Mannes/Kintsch 1987). Für die Textreproduktion relevante Eigenschaften des Reproduzenten sind u. a. sein individuelles und kulturelles Wissen, seine Emotionen und seine Fähigkeiten zur Selbstregulation (vgl. Abschnitt 6). Die Textreproduktion ist abhängig vom individuellen Wissen des Reproduzenten über die durch den Text angesprochenen Sachverhalte (Mandl/ Spada 1988). Eine ganze Reihe von Experimenten belegt, daß Texte von Experten anders verarbeitet werden als von Laien (z. B. Chiesi u. a. 1979, Spilich u. a. 1979, Voss u. a. 1980, Johnson/Kieras 1983, Ankert/Beyer 1987, Walker 1987). Diese Untersuchungen zeigen übereinstimmend, daß durch das größere Wissen der Experten eine stärkere Inferenzbildung angeregt wird. Diese ist häufig so sehr automatisiert, daß sie es den Experten gestattet, zusätzlich auch noch stärker als Laien auf Einzelheiten des Textes zu achten. Neben dem individuellen Wissen sind auch das kulturelle Wissen und die damit verbundenen Konventionen der Kommunikation Rahmenbedingungen der Textverarbeitung (Clark/Carlson 1981, Freedle/Fine 1982). Die kulturellen und Kommunikationskonventionen beeinflussen alle Bereiche der Textverarbeitung: Das Wissen und die Inferenzen, die entsprechend den kulturellen Konventionen auf der Grundlage des Wissens gebildet werden (vgl. Dore/McDermott 1982). Kintsch und Greene (1978) zeigten, daß kulturelles Wissen eine wichtige Voraussetzung für das Verständnis von Geschichten ist. Ihre amerikanischen Versuchspersonen konnten nach dem Lesen einer Geschichte aus Boccaccios Decamerone eine bessere Zusammenfassung schreiben als nach dem Lesen eines Mythos der Indianer Alaskas. In einem zweiten Experiment von Kintsch und Greene waren die Reproduktionen nach dem Lesen eines Märchens

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der Brüder Grimm ausführlicher und genauer als nach dem Lesen einer Erzählung der Apachen-Indianer. Steffenson u. a. (1979) verglichen die Textreproduktion von Amerikanern und Indem, die Briefe über eine amerikanische und eine indische Hochzeit lasen. Dabei ergaben sich viele interessante, durch das unterschiedliche kulturelle Wissen bedingte Interaktionen zwischen den Lesergruppen und den Texten: Die Versuchspersonen reproduzierten mehr Sinneinheiten nach dem Lesen des Briefes der eigenen Kultur, sie produzierten mehr sinnvolle Ergänzungen des eigenen Textes als solche des fremden Textes, und sie machten mehr Fehler bei der Reproduktion des fremden Textes als beim Text der eigenen Kultur. Reynolds u. a. (1982) untersuchten die Auswiikungen kulturellen Wissens auf die Textverarbeitung bei Afro- und Euro-Amerikanern. Diese Studie zeigt, wie stark sich selbst bei einfachen Texten kulturell bestimmte Wissensbestände auf die Textverarbeitung auswirken können. In den letzten Jahren wurden neben dem kognitiven Anteil des Wissens des Reproduzenten immer stärker auch emotionale Aspekte beachtet (Shirey/Reynolds 1988). Anderson (1982) berichtet, daß das subjektive Interesse einen starken Einfluß auf das Lernen und die Wiedergabe von einfachen Sätzen hat. Renninger und Wozniak (1983) konnten zeigen, daß das individuelle Interesse von Kindern an speziellen Texten bereits gut ausgebildet ist. Rickheit und Stiohner (1986) konnten zwar einen allgemeinen Effekt des persönlichkeitsspezifischen Interesses in den erhobenen Textreproduktionen zeigen, jedoch nur eine partielle Auswirkung auf die Verarbeitung einzelner interessenspezifischer Abschnitte des untersuchten Textes. Kognition und Emotion können erst dann zieladäquat für die Texti-eproduktion eingesetzt werden, wenn sie mit einer gewissen Selbstregulation des Textreproduzenten verbunden werden (Fischer/Mandl 1984). Erst mit Hilfe seiner Selbstregulation gelingt es dem Textreproduzenten, den Reproduktionsprozeß zu planen und seine einzelnen Phasen so aufeinander abzustimmen, daß ein zusammenhängendes Produkt entsteht. Eine wichtige Voraussetzung hierzu ist die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und Selbsteinschätzung (Wagenaar 1988).

33 Die Textrepräsentation Die zenti-ale Komponente des Textreproduktionssystems ist die Textrepräsentation. Die Texo^präsentation enthält das Wissen des Rezipienten über den Originaltext (vgl. Aschnitt 3.2).

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Da der Text ein komplexes System mit mehreren Einheiten ist, muß dies auch auf das Textwissen zutreffen. Ein vorherrschendes Ziel vieler Untersuchungen zur Textproduktion ist es, die Repräsentationseinheiten zu beschreiben, mit deren Hilfe die Textproduktion durchgeführt werden kann. Eine der wichtigen Fragen dabei war immer wieder, welches die zentrale Einheit sei, womit man die gesamte Repräsentation eines Textes aufbauen könne. Nacheinander vorgeschlagen wurden zum Beispiel Propositionen, Schemata, Geschichtengrammatiken, Scripts und Problemlösehandlungen (siehe Abschnitt 2 dieses Kapitels). Im Verlauf dieser Auseinandersetzungen wurde jedoch deuüich, daß es so etwas wie eine zentrale Einheit der Textrepräsentation, von der alle anderen Texteinheiten abgeleitet werden können, offensichtlich nicht gibt. Aus heutiger Sicht können wir feststellen, daß nach über zehnjährigem Wettstreit zwischen den repräsentationalen Konzepten kein Sieger auszumachen ist. Es sieht vielmehr so aus, als ob wir uns mit einer Vielzahl von Einheiten befassen müssen, wenn wir uns eine Übersicht über den repräsentationalen Aspekt der Textverarbeitung verschaffen wollen. Dieser pluralistischen Situation trägt am ehesten die Strategietheorie von van Dijk und Kintsch (1983) Rechnung. In dieser Theorie wird eine ganze Hierarchie von semantischen Einheiten vorgeschlagen, die semantischen Grundeinheiten, die Propositionen, die lokale Kohärenz, die Makrostruktur und die Superstruktur. Die unterste semantische Repräsentationsebene der Textverarbeitung ist die der semantischen Grundeinheiten. Es handelt sich hierbei um einzelne Morpheme und Wörter, die jedoch nicht isoliert von ihrem jeweiligen Kontext betrachtet werden, sondern immer in der Interaktion mit dem Kontext. Van Dijk und Kintsch (1983) nennen sie deshalb auch "atomare Propositionen". Für die Textverarbeitungsforschung ist es von größter Bedeutung zu wissen, wie die Struktur dieser semantischen Grundeinheiten aussieht, da diese die Grundlage für alle anderen repräsentationalen Einheiten bilden. Einige Experimente lassen vermuten, daß es so etwas gibt wie eine Modulation der Wortbedeutung, d. h. eine kontextspezifische Interpretation von Wörtern. Barclay et al. (1974) gaben ihren Versuchspersonen Sätze vor wie The man liftet the piano und The man tuned the piano. Anschließend wurde die Wiedergabeleistung für diese Sätze mit Hilfe der Hinweise something heavy oder something with a nice sound geprüft, was jeweils unterschiedliche Reproduktionshäufigkeiten für die beiden Sätze ergab. In einem Experiment von Anderson und Ortony (1975) erwies sich das Wort bottle als ein besserer Reproduktionshinweis für den Satz The Container held the cola, während der Hinweis basket besser bei dem Satz The Container held the apples funktionierte. Ein

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anderes Beispiel ist die Studie von Anderson et al. (1976), in der den Versuchspersonen Sätze geboten wurden, wie z. B. The woman was outstanding in the theatre. Das nicht in diesem Satz enthaltene Wort actress erbrachte bessere Wiedergaberesultate als das in dem Satz enthaltene woman. Bei dem Kontrollsatz The woman lived mar the theatre war dagegen der Hinweis woman effektiver. Auch Gentner (1981) fand Hinweise auf die Modulation von Verben durch den Kontext. Die Propositionen gehören zu den am besten untersuchten repräsentationalen Einheiten der Textverarbeitung. In den Theorien von Kintsch (1974) sowie von Kintsch und van Dijk (1978) wird den Propositionen eine grundlegende Rolle für den Aufbau der Textstruktur zugewiesen. Die neueren Theorien gehen jedoch übereinstimmend davon aus, daß sowohl die lexikalischen als auch die höheren repräsentationalen Einheiten ebenfalls entscheidend zur Textverarbeitung beitragen. Daß Propositionen wichtige Verarbeitungseinheiten sind, wurde immer wieder festgestellt (vgl. Abschnitt 2.2). Unklar ist dagegen heute noch, wie man sich die repräsentationale Struktur der Propositionen genauer vorzustellen hat. Einen wichtigen Beitrag zu dieser Diskussion lieferten van Dijk und Kintsch (1983), indem sie die Propositionen unterteilten in atomare Propositionen, die eine einfache Prädikat-Argument-Struktur besitzen, und in komplexe Propositionen, die der semantischen Struktur ganzer Sätze ensprechen. In den letzten Jahren zeigen einige Befunde, daß der für die früheren Theorien zentrale Begriff der Ebene einer Proposition innerhalb des Kohärenzgraphen nicht überschätzt werden sollte, da es alternative Möglichkeiten der Verbindung von Propositionen gibt. Eine Untersuchung von Manelis (1980) zeigt, daß neben der Ebene einer bestimmten Proposition auch der Grad ihrer Vernetzung mit anderen Propositionen bestimmend für Wiedergabeleistung und Lesezeit war. Yekovich und Thomdyke (1981) fanden, daß sich die Ebene einer Proposition nicht auf ihre Wiedererkennung nach der Textiiezeption auswirkte. Während in früheren Untersuchungen die sprachliche Realisierung der Propositionen als nebensächliche Oberflächeneigenschaft eingeschätzt wurde, zeigen neuere Untersuchungen, daß die sprachliche Realisierung wesentlich die Realisierung einer Proposition beeinflußt. Yekovich und Thomdyke (1981) berichten, daß die Versuchspersonen bei einem Wiedereikennungstest paraphrasierte Propositionen häufig als nicht im Text vorgekommen einstuften. Der Begriff der lokalen Kohärenz bezieht sich auf diejenige repräsentationale Struktur, die durch die Verbindung zweier in einem Text aufeinanderfolgender Propositionen entsteht. Lxx;kman und Klappholz (1980)

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betrachten den Prozeß der Herstellung lokaler Kohärenz als einen ganzheiüichen Vorgang, in den alle Teile des Anschlußsatzes einbezogen werden. Hierbei werden jedoch nicht alle möglichen Referenzbeziehungen aktiviert, sondern nur diejenigen, die dem weiteren Kontext entsprechen. Daß Kohärenzherstellung häufig mehr ist als die bloße Beziehung zwischen zwei Konzepten, wird auch bei der Diskussion um die Inferenzen deutlich. Neben der Referenz ist die Inferenz die zweite wichtige Komponente der lokalen Kohärenz. Eine Inferenz unterscheidet sich von einer Referenz dadurch, daß nicht bloß eine Zuordnung von Konzepten der Propositionen zweier Sätze vorgenommen wird, sondern daß eine nicht explizit im Text stehende Information erschlossen wird, die eine Verbindung zwischen den beiden Sätzen ermöglicht. Die Herstellung lokaler Kohärenz ist ein höchst komplexer Vorgang, der nicht nur vom Text, sondern auch von dem Weltwissen der Hörer oder Leser abhängt. Noch komplexer und noch stärker von pragmatischen Faktoren bestimmt wird das Bild der repräsentationalen Einheiten, wenn wir uns der Makround Superstruktur zuwenden. Mit der repräsentationalen Einheit der Makrostruktur ist die den ganzen Text überspannende Kohärenz gemeint, die vor allem durch das Thema des Textes hergestellt wird. Das Thema bezieht sich auf einen bestimmten Ausschnitt eines Gegenstandsbereichs und kann mehr oder weniger spezifisch sein. Ein wichtiges Ziel der Textverarbeitung ist es gewöhnlich, wenn schon nicht alle Einzelheiten, so doch wenigstens das Thema eines Textes zu erfassen (Graesser et al. 1980, Vipond 1980). Guindon und Kintsch (1984) haben gezeigt, daß Versuchspersonen nach dem Lesen eines Textes Makropropositionen konstruieren, die den wesentlichen Inhalt eines Textes repräsentieren. Es ist in jüngster Zeit immer deutlicher geworden, daß zwischen narrativen und expositorischen Texten zum Teil erhebliche Verarbeitungsunterschiede bestehen. Die Reproduktionsergebnisse sind bei narrativen Texten durchweg besser als bei expositorischen Texten. Reiser und Black (1982) weisen darauf hin, daß die Leser oder Hörer für das Verstehen von narrativen Texten gewöhnlich mehr Weltwissen zur Verfügung haben als für das Verstehen von expositorischen Texten. Geschichten beziehen sich auf soziale Situationen, Handlungszusammenhänge und Handlungen, über die die Leser oder Hörer bereits mehr oder weniger gut Bescheid wissen. Neu ist bei Geschichten vor allem der Zusammenhang zwischen den Ereignissen der Geschichte. Bei expositorischen Texten hingegen sind meistens nicht nur die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Ereignissen unbekannt, sondern auch die Ereignisse selbst. Die Leser oder Hörer werden in Sachverhaltsbereiche

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eingeführt, für deren Verständnis sie weniger alltägliches Vorwissen aktivieren können als bei Erzählungen. Die repräsentationale Einheit der Superstruktur bezieht sich auf die sprachliche Realisierung des gesamten Textes. Ein und dasselbe Thema läßt sich sprachlich ganz unterschiedlich darstellen, z. B. als ein sachlicher Bericht, als spannende Erzählung oder als ein vor allem das ästhetische Empfinden ansprechendes Gedicht. Durch diese sprachliche Variation eines Themas werden in der Textverarbeitung neue Aspekte kognitiver, affektiver, ästhetischer und nicht zuletzt sozialer Erlebnisdimensionen aktiviert, die auf den unteren Ebenen der Textverarbeitung so stark noch nicht ins Spiel kommen. Es scheint daher möglich, aus diesen speziellen Aspekten der sprachlichen Realisierung eines Textes eine separate Verarbeitungsebene zu bilden. Aus linguistischer Sicht handelt es sich bei der Superstruktur weniger um eine semantische, sondern eher um eine pragmatische Einheit.

4. Die Umwelt der Textreproduktion Die Umwelt der Textreproduktion umfaßt diejenigen Bedingungen, die sich neben den Systemkomponenten auf die Textproduktion auswirken. Hierzu gehören in erster Linie die Reproduktionsaufgabe sowie das Medium des Originaltextes und des reproduzierten Textes.

4.1 Die Reproduktionsaufgal)e In vielen Fällen erfolgt die Textreproduktion unter einer bestimmten Anforderung von außen oder durch den Reproduzenten selbst. Diese Reproduktionsaufgabe leitet die Textreproduktion in all ihren Phasen. Bei der experimentellen Untersuchung der Textreproduktion ist es notwendig, den Versuchspersonen eine klar spezifizierte Aufgabe zu geben, um sich einer gewissen Standardisierung der Versuchssituation anzunähern. Die meisten Experimente haben sich der Aufgaben der freien Textreproduktion, der gebundenen Textreproduktion, der Wiedererkennung, der Verifikation und der Beantwortung von Fragen zum Text bedient. Bei der freien Textreproduktion erhält die Versuchsperson die Aufgabe, den gehörten oder gelesenen Text so gut wie möglich mündlich oder schriftlich wiederzugeben. Die Reproduktionsmethode ist leicht anzuwenden und wurde deshalb vor allem in den ersten Jahren der Textverarbei-

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tungsforschung häufig eingesetzt. Aus dem Reproduktionsprotokoll lassen sich gewisse Schlüsse auf die Textwelt ziehen, die während der Textrezeption konstruiert wurde. Die Frage ist hier, wie weitreichend diese Schlüsse sein können. Die Methode der freien Textreproduktion hat zweifellos den Nachteil, daß bei ihr verstehensfeme Gedächtnis-, Motivations- und Reproduktionsfaktoren eine große Rolle spielen. In einigen Studien ist versucht worden, mit Hilfe von Instruktionen gewisse Perspektiven bei den Versuchspersonen zu erzeugen. Pichert und Anderson (1977) baten ihre Versuchspersonen, eine Beschreibung eines Hauses unter der Perspektive eines Hauskäufers oder eines Einbrechers zu lesen. Es zeigte sich, daß die Reproduktionen unmittelbar nach der Textvorgabe und noch deudicher nach einer Woche stark von der jeweils eingenommenen Perspektive abhingen. Goetz u. a. (1983) konnten die Ergebnisse von Pichert und Anderson (1977) replizieren. Ein im Zusammenhang mit den individuellen Unterschieden der Textverarbeitung relevantes Ergebnis der Studie von Goetz u. a. ist, daß die Ergebnisse bei einem Vergleich wirklicher Polizisten und Makler nicht so eindeutig waren wie bei den experimentell eingeführten Perspektiven. Anderson und Pichert (1978) untersuchten die Auswirkungen eines Perspektivenwechels nach der ersten Reproduktion. Die für die neue Perspektive relevanten Textteile wurden jetzt häufiger reproduziert als unter der ersten Perspektive. Introspektive Aussagen der Versuchspersonen deuteten darauf hin, daß sich diese neuen Erinnerungen auf einmal aufgedrängt haben, also echte Gedächtnisphänomene und keine bloßen Wiedergabestrategien waren (Fass/Schumacher 1981, Flammer/Tauber 1982, Anderson u. a. 1983). Die Methode der gebundenen Textreproduktion unterscheidet sich von der freien Textreproduktion dadurch, daß der Versuchsperson nach der Rezeptionsphase jeweils ein Wort vorgegeben wird mit der Aufgabe, denjenigen Satz des Textes zu reproduzieren, in dem dieses Wort vorkommt (Johnson 1982). Der Vorteil dieser Methode besteht darin, daß die Reproduktion speziell auf die Textstellen beschränkt werden kann, die theoretisch besonders interessant sind. In einer ganzen Reihe von Experimenten konnte gezeigt werden, daß nicht nur wirklich vorgekommene Wörter effektive Reproduktionshinweise waren, sondern auch solche Wörter, die aus den gelesenen Sätzen inferiert werden konnten, so z. B. das Wort basket aus dem Satz The Container held the apples (Anderson/Ortony 1975). Wenn bestimmte Inferenzen eine ebenso gute Reproduktionsleistung ermöglichen wie die tatsächlich im Text vorgekommenen Wörter und diese Inferenzen wahrscheinlich erst in der Reproduktionsphase gebildet werden können, dann ist das eine weitere Bestätigung dafür, daß die gesamte Reproduktion eines Textes nicht einfach eine Wiedergabe

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des noch vorhandenen Wissens über den Text ist, sondern eine oft sehr kreative Rekonstruktion darstellt (Schönpflug 1981). Bei der Wiedererkennung einzelner Textteile wird die Textreproduktion auf das Wissen über die Zugehörigkeit eines Textausschnittes zum Originaltext reduziert. Bransford et al. (1972) versuchten in einem der ersten Experimente der Textverarbeitungsforschung mit Hilfe der Wiedererkennungsmethode die konstruktivistische Theorie zu bestätigen. Sie konnten jedoch nicht sicherstellen, daß die beobachteten Inferenzen auch wirklich bereits zum Zeitpunkt der Textrezeption gebildet worden waren und nicht erst zum Zeitpunkt der Prüfung mit den wiederzuerkennenden Sätzen. In den letzten Jahren sind Wiedererkennungstechniken entwickelt worden, in denen auch die Reaktionszeiten für die Wiedererkennungsleistungen erhoben werden. Mit dieser Zusatzinformation ist es besser möglich, Angaben über die Inferenzbildung in den Phasen der Textrezeption oder Textreproduktion zu machen (Singer 1979, 1980, McKoon/Ratcliff 1980, Singer/Ferreira 1983). Bei der Methode der Verifikation von Textaussagen besteht die Aufgabe der Versuchsperson darin, so schnell wie möglich zu entscheiden, ob eine ihr vorgelegte Aussage mit dem Text inhaltlich zu vereinbaren ist oder nicht (z. B. Singer 1979, 1980). Mit der Verifikationsmethode kann ähnlich wie mit der Wiedererkennung der aktuelle Zustand der Textrepräsentation überprüft werden. Die Fragemethode besteht darin, daß der Versuchsperson Fragen nach bestimmten Informationen aus dem Text vorgelegt werden. Die Antwort soll zeigen, inwieweit sie bereits über den Text hinausgehende Hypothesen gebildet hat (Graesser/Clark 1985). Ehrlich, Passerault und Personnier (1982) untersuchten beispielsweise, ob die Hörer oder Leser einer Geschichte bei der Verarbeitung des ersten Abschnitts bereits an die Inhalte der folgenden Abschnitte denken. Der Nachteil der Fragemethode ist ihre Vagheit, sie wird möglicherweise ausgeglichen durch den heuristischen Wert der von den Versuchspersonen geäußerten Vermutungen.

4.2 Das Medium Neben der Reproduktionsaufgabe ist das Medium, in dem der Originaltext und der reproduzierte Text realisiert sind, eine zweite wichtige Umweltbedingung der Textreproduktion.

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Verstehens- und Reproduktionsleistungen scheinen nach dem Lesen schwerer Texte besser zu sein als nach ihrem Hören (Rickheit/Strohner 1983, Müsseler/Rickheit/Strohner 1985, Hron/Kurbjuhn/Mandl/Schnotz 1985). Dieser Befund wurde manchmal damit erklärt, daß beim Lesen gegenüber dem Hören eines Textes unterschiedliche Strategien der Informationsaufnahme relevant werden. Der Leser verfügt nach diesem Erklärungsversuch über ein höheres Maß an Freiheitsgraden als der Hörer. Er könne sowohl die zeitlichen (Fixationsdauer) als auch die räumlichen Parameter (Fixationssorte) selbst kontrollieren. Darüber hinaus habe er die Möglichkeit, mittels regressiver Blickbewegungen einzelne Textsegmente wiederiiolt aufzusuchen. Deshalb sei der Leser gegenüber dem Hörer gerade bei schweren Texten im Vorteil und erziele folglich auch bessere Reproduktionsleistungen. Neuere Arbeiten widerlegen jedoch diese Erklärung (z. B. Müsseier/ Nattkemper 1986). Auch wenn den Lesern die Möglichkeiten genommen werden, die Fixationsdauer und den Fixationsort selbst bestimmen sowie regressive Blickbewegungen durchführen zu können, bleiben die Verstehens- und Reproduktionsleistungen der Leser schwerer Texte gegenüber denen der Hörer überlegen. Größere Freiheitsgrade beim Lesen spielen somit im Verarbeitungsprozeß keine Rolle. Jüngste Studien zeigen vielmehr, daß es sich bei dem bisher festgestellten empirischen Befund wahrscheinlich um ein Resultat der Mediensozialisation der Versuchspersonen handelt (Rickheit/Strohner/Müsseler 1987, Rickheit/Strohner/Müsseler/ Nattkemper 1987). Wird ein schwerer Text gelesen, so führt dies nur dann zu verbesserten Verstehens- und Reproduktionsleistungen, wenn der Schwerpunkt der Aus- und Einübung von Textverarbeitungsstrategien des Rezipienten in der visuellen Modalität liegt Liegt dieser Schweipunkt des Rezipienten in der auditiven Modalität, dann führt das Hören schwerer Texte zu besseren Verstehens- und Reproduktionsleistungen als das Lesen.

5. Die Prozesse der Textreproduktion Die Prozesse der Textreproduktion umfassen die Zustandsveränderungen zwischen der Rezeption des Originaltextes und der Produktion des zu reproduzierenden Textes. Es wäre eine sehr verkürzte Sichtweise der Textreproduktionsprozesse, wollte man sie auf die Vorgänge beim Abruf des Textwissens (^schränken. Die Abrufprozesse können erst dann verstanden werden, wenn sie als Folge der vorausgegangenen Rezeptions- und Speicherprozesse gesehen werden. Auf diesen wichtigen Zusammenhang

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haben bereits Kintsch und van Dijk (1978) hingewiesen. Wir unterscheiden deshalb innerhalb der gesamten Prozesse der Textreproduktion die drei Phasen der Textrezeption, der Textspeicherung und der Textrekonstruktion.

5.1 Textrezeption In der Phase der Textrezeption, auf die wir an anderer Stelle ausführlicher eingegangen sind (Rickheit/Strohner 1985), wird die Textrepräsentation aufgebaut. Dieser Vorgang unterliegt dem Leitprinzip der Sinnkonstruktion, das Hörmann (1976) als Sinnkonstanz bezeichnet hat. Durch dieses Sinnstreben bildet der Rezipient nicht einfach den gehörten oder gelesenen Text in seiner mentalen Repräsentation ab, sondern versucht, die aufgenommene Information zu einem kohärenten Ganzen zusammenzufügen. Er läßt sich dabei mehr oder weniger von der expliziten oder impliziten Intention des Textproduzenten leiten. Die Sinnkonstruktion erfordert die Bildung von Inferenzen, da in Texten immer nur ein gewisser Teil der zu übermittelnden Information explizit ausgedrückt wird. Die Prozesse der Inferenzbildung gehören zu den am heftigsten umstrittenen Fragen der Textverarbeitung. Drei Tendenzen der Theoriebildung haben sich herauskristallisiert (Rickheit/Schnotz/Strohner 1985): - Die Vertreter der Kohärenztheorie meinen, daß Inferenzen nur dann gebildet werden, wenn sie zur Kohärenzherstellung benötigt werden (z. B. Haviland/Clark 1974, Kintsch/van Dijk 1978). - Die Vertreter der Elaborationstheorie sehen Inferenzen vor allem abhängig von übergreifenden repräsentationalen Einheiten wie Scripts, Scenarios und mentalen Modellen (z. B. Schank/Abelson 1977, Sanford/ Garrod 1981, Johnson-Laird 1983). - Die Vertreter der Intentionstheorie stellen die Inferenzen vor allem in den Dienst der Erkennung der Intentionen der Sprecher oder Schreiber (z. B. Clark 1977,1978, Gibbs 1984). Aus heutiger Sicht kann vermutet werden, daß alle drei Typen von Inferenzprozessen ihren Teil zur Textrezeption im Rahmen der sprachlichen Verständigung beitragen (Kintsch 1988, Strohner 1988).

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5.2 Textspeicherung Die Rezeption eines Textes wäre nicht möglich, wenn der Rezipient nicht über eine gewisse Fähigkeit verfügen würde, die aufgenommene Information wenigstens zum Teil zu speichern. Anderenfalls hätte er den Textanfang wieder vergessen, wenn er am Textende angelangt ist. Und noch stärker ist er auf sein Gedächtnis angewiesen, wenn er den Text - in welcher Form auch immer - reproduzieren möchte. Bei Texten, die mehr als zwei Sätze umfassen, stellen sich zwei unterschiedliche Speicheranforderungen. Zum einen müssen die gerade verarbeiteten Sätze in ihrer vollständigen Form präsent gehalten werden, um eine kohärente Textstruktur mit koreferentiellen Verweisen und inferentiellen Bezügen aufbauen zu können. Zum anderen muß der vorausgegangene Teil des Textes möglichst langfristig eingeprägt werden, um den Text als Ganzes verstehen zu können. Die erste Speicheranforderung erfüllt das Arbeitsgedächtnis, die zweite das Langzeitgedächtnis. Der funktionale Ort, an dem die aktuellen Textverarbeitungsprozesse ablaufen, ist das Arbeitsgedächtnis. Hier werden die neuen Textinformationen aufgenommen, geordnet und mit dem bereits verarbeiteten Informationen des Textes sowie mit dem zum Text vorhandenen Weltwissen verknüpft. Um eine effektive Verknüpfung zu gewährleisten, werden nur diejenigen Informationen früherer Textteile im Arbeitsgedächtnis aufbewahrt, die mit großer Wahrscheinlichkeit für diese Verknüpfung benötigt werden (Monsell 1984). Empirische Untersuchungen bestätigen, daß aus den Textinformationen eine für die Integration optimale Menge an Informationen im Arbeitsgedächtnis ausgewählt wird. Glanzer, Dorfman und Kaplan (1981) führten eine ganze Serie von Experimenten durch, um die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses zu messen. Ihre Ergebnisse zeigen, daß der unmittelbar vorausgegangene Satz beinahe vollständig, der zweitletzte Satz noch zur Hälfte, der diittietzte Satz nur zu etwa 20 % und der viertletzte Satz fast nicht mehr reproduziert werden konnte. Glanzer, Fischer und Dorfman (1984) wandten sich der Frage zu, ob der Inhalt des Arbeitsgedächtnisses die wörtliche Information der beiden letzten Sätze ist oder ob es sich um bereits weiterverarbeitete Information handelt. Sie kamen zu dem Schluß, daß die jeweils letzten beiden Sätze wörtlich, d. h. jedes Wort des Satzes und seine Oberflächenstruktur, gespeichert wurden. In der betreffenden Studie räumten sie jedoch ein, daß möglicherweise noch weitere, länger zurückliegende Informationen gespeichert werden können. Um welche Informationen es sich dabei handelt, untersuchten Fischer und Glanzer (1986). Diese Studie zeigt, daß nicht nur die zuletzt gelesenen zwei Sätze wörtlich im Arbeitsgedächtnis gespeichert sind,

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sondern darüber hinaus wichtige Propositionen bzw. das zentrale Thema des vorausgegangenen Textabschnittes. Das Langzeitgedächtnis hat die Aufgabe, die aufgenommene Information möglichst langfristig zu speichern. Die Häufigkeit einer bestimmten Textinformation spielt für ihre langfristige Speicherung eine ausschlaggebende Rolle, wie Kintsch und van Dijk (1978) betont haben (Weingarten/ Rickheit/Strohner 1983). E)em widerspricht nicht, daß es sicherlich auch Textinformationen gibt, die wegen ihrer Interessantheit bereits bei einmaligem Auftreten dauerhaft eingeprägt werden (Schank 1979). Obwohl das Langzeitgedächtnis Informationen permanent speichern kann, ist es gegen Störungen doch nicht ganz gefeit. Es scheint eine gewisse Zerfallsrate der Gedächtnisspuren zu geben, auch wenn wahrscheinlich nicht von einer festen Halbwertzeit ausgegangen werden kann. Daneben spielen sicher Interferenzprozesse eine große Rolle, wodurch sich ähnliche Informationen bis zur Unkenntlichkeit miteinander vermischen und ihre Identität verlieren können. Es gab eine Zeitlang eine gewisse Konzeption von der Funktion der beiden Gedächtnistypen in der Textverarbeitung, die man als "Korn- und Spreu-Theorie" bezeichnen kann. Hierzu gehören vor allem die auf der Zweiteilung von Oberflächen- und Tiefenstruktur aufbauenden Überlegungen, daß die sprachliche Oberflächenform des Textes im Arbeitsgedächtnis in eine semantische Tiefenstruktur transformiert wird. Mit dieser Tiefenstruktur wird anschließend weitergearbeitet, d. h. sie wird im Langzeitgedächtnis abgelegt Die Oberflächenstruktur dagegen wird für die weitere Textverarbeining nicht mehr benötigt und daher vergessen. Muß der Text reproduziert werden, dann wird die jetzt fehlende Oberflächenstruktur aufgrund verschiedener Hinweise der Tiefenstruktur rekonstruiert. Diese Korn- und Spreu-Theorie wurde von einer ganzen Reihe von experimentellen Befunden in Laborsituationen gestützt. So meinte z. B. Sachs (1967) zeigen zu können, daß Versuchspersonen kurze Zeit nach der Darbietung einiger Sätze nicht mehr angeben konnten, ob diese im Aktiv oder Passiv formuliert gewesen waren, die Inhalte dieser Sätze dagegen noch recht gut reproduzieren konnten. Ähnliche Resultate wurden später wiederholt berichtet (z. B. Gemsbacher 1985). Neuere Befunde, die von Untersuchungen in natürlichen Textverarbeitungssituationen berichtet werden, ergeben ein differenzierteres Bild: Sie zeigen eine erstaunlich robuste Gedächtnisleistung auch für viele sprachliche Formulierungen in Texten (z. B. Bates/Kintsch/ Fletcher/Giuliani 1980). Aufgrund dieser Untersuchungen kann vermutet werden, daß die

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sprachliche Formulierung von Textstellen von größter Bedeutung für die Textverarbeitung ist, da sie eine pragmatische Funktion für den Leser besitzt. Die pragmatische Funktion eines Textes kann jedoch nur in der für ihn adäquaten natürlichen Situation voll zur Geltung kommen. Die experimentelle Forschung zur Textverarbeitung hat deshalb auf ihre ökologische Validität genau zu achten.

5.3 Textrekonstruktion In der Phase der Textrekonstruktion treten wohl in stärkerem Maße als bei der Textrezeption und Textspeicherung zu den unkontrolliert ablaufenden Verarbeitungsprozessen kognitive Kontrollen, Bewußtseinsphänomene und Problemlösestrategien hinzu (Kintsch 1980). Vor die Aufgabe gestellt, aus noch behaltenen Bruchstücken des Originaltextes ein sinnvolles Ganzes mit möglichst großem Informationsgehalt zu rekonstruieren, scheint der Textreproduzent vor allem zur Strategie der Inferenzbildung zu greifen. Daß viele Inferenzen bei der Textverarbeitung nicht auf Vorrat, sondern erst sehr gezielt bei Bedarf zur Herstellung der Textkohärenz oder während des Zeitpunktes des Informationsabrufs gebildet werden, ist in einer ganzen Reihe von Experimenten gezeigt worden (z. B. Singer 1979, 1980). Von mehreren Autoren wird auf die dadurch gewonnene Flexibilität hingewiesen: Meistens ist bei der Informationsaufnahme noch gar nicht klar, für welche Aufgaben die Information später verwendet werden kann, so daß eine vorzeitige zu starke Inferenzbildung in eine bestimmte Richtung eine schnelle Umstellung auf eine neue Aufgabenstellung sehr erschweren würde. Daß dies möglich ist, zeigen Anderson (1978) sowie Sherman und Kulhavy (1980), deren Versuchspersonen entsprechend einer neuen Instruktion nach der Rezeption Textbestandteile reproduzieren konnten, die ihnen vorher nicht mehr präsent waren. Wenn bereits einige Stunden oder gar Tage zwischen Rezeption und Reproduktion vergangen sind, sind viele der ehemals noch vollständigen Informationen aus dem Originaltext nur noch vage und schemenhaft vorhanden. Das hat zur Folge, daß der Anteil der Elaborationen ansteigt (Rickheit/Strohner 1983). Zusätzlich wird in dieser schwierigen Situation auch noch eine bewährte Reproduktionsstrategie eingesetzt: Wer nichts zu sagen hat, bringt Selbstverständlichkeiten und Leerformeln. Diese Reproduktionsstrategie dürfte den meisten Lesern z. B. aus Prüfungssituationen nur allzu gut vertraut sein.

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6. Erwerb der Textreproduktion Die einzelnen Verhaltensweisen der Textreproduktion sind das Resultat von Verarbeitungs- und Speicherfähigkeiten, die zum Teil über lange Zeitstrecken hinweg erworben werden (Ackerman 1984). Sowohl innerhalb des ungesteuerten als auch des gesteuerten Spracherwerbs nimmt der Erwerb der Textreproduktion eine wichtige Rolle ein. In beiden Bereichen stellt er nicht nur einen wichtigen eigenständigen Lernprozeß dar, sondern wird auch funktional eingesetzt, um andere Fähigkeiten erwerben zu können.

6.1 Ungesteuerter Erwerb der Textreproduktion Eine bei kleinen Kindern immer wieder auffallende Erscheinung ist, daß sie oft Spaß daran haben, denselben Satz immer wieder zu hören oder selbst zu sagen. Die Textreproduktion ist für diese Kinder ein lustiges Spiel und nicht, wie häufig für Erwachsene, eine anstrengende Tätigkeit. Die Wiederholung sprachlicher Information hat in diesem Alter noch einen Reiz, der später mehr oder weniger auf das Absingen von Schlagerrefrains oder das Einhämmern von Werbeslogans verkümmert. Im zweiten und dritten Lebensjahr gelingt die Wiederholung nur bei einzelnen Wörtern oder einfachen Sätzen. Mit vier Jahren gelingt die Reproduktion auch schon für einfache Texte aus mehreren Sätzen und schon gar für Märchen, die viele Kinder immer und immer wieder hören wollen. Für dieses Anwachsen der Fähigkeit zur Textreproduktion scheint sowohl eine größere Kapazität des Arbeitsgedächtnisses als auch des Langzeitgedächtnisses verantwortlich zu sein, die wahrscheinlich ihrerseits durch das in diesem Alter rapide ansteigende Weltwissen beeinflußt werden (Strohner/Rickheit/Weingarten 1982, Weinert 1988). Hinzu tritt die anwachsende Fähigkeit zur Selbstregulation, die eine wichtige Voraussetzung für die Reproduktion komplexer Texte ist (Waller 1985). Die wachsenden Reproduktionsmöglichkeiten der Kinder können nützlich sein, um den Erweit) anderer Verhaltensweisen im Rahmen des Modelllemens zu unterstützen. In der Spracherwerbsforschung hat es eine große Diskussion um die Rolle der Imitation für den Spracherwerb gegeben (vgl. Strohner 1976, Strohner/Weingarten/Becker 1982). Neuere Untersuchungen (z.B. Moerk 1977, 1980) belegen deutlicher als frühere Studien, daß die Imitation von einigen, wenn auch nicht von allen Kindern als Hilfsmittel des Spracherwerbs eingesetzt wird.

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6.2 Gesteuerter Erwerb der Textreproduktion Aufgaben zur Textreproduktion nehmen einen nicht geringen Teil im Deutschunterricht der Grundschule und im Fremdsprachenunterricht späterer Schulstufen ein. Einfache Beispiele dafür sind das laute Lesen, das Abschreiben, das Diktatschreiben, die Nacherzählung und das Auswendiglernen von Gedichten. In all diesen Bereichen wird geübt, einen Text nach Form und Inhalt möglichst genau wiederzugeben. Später kommt das Üben von Inhaltsangaben hinzu, bei denen es darum geht, wichtige Informationen eines Textes von nebensächlichen zu trennen und nur die wichtigen Informationen wiederzugeben. Im Verlauf der Grundschule steigt die Reproduktionsfähigkeit der Kinder beträchtlich (Glowalla 1983, Terhorst/Rickheit/Strohner/Wirrer 1988). Wie beim ungesteuerten Spracherwerb kann auch beim gesteuerten Spracherwerb die Reproduktionsfähigkeit der Kinder dazu eingesetzt werden, andere komplexe sprachliche Veriialtensweisen zu erlernen. Die Schule muß jedoch darauf achten, nicht bei der Einübung von Textreproduktionen stehenzubleiben. In vielen kommunikativen Bereichen darf nicht die Fähigkeit zur Reproduktion das Ziel des Sprachunterrichts sein, sondern die Fähigkeit zum kreativen und argumentativen Umgang mit Sprache.

7. Die Anwendung der Textreproduktionsforschung Die Textreproduktionsforschung verfügt über eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten. Wir wollen in diesem Beitrag nicht versäumen, wenigstens auf einige dieser Möglichkeiten hinzuweisen. Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich sowohl für Menschen als auch im Bereich der maschinellen Simulation.

7.1 Anwendung für menschliche Textreproduktion Wir haben bereits in der Einleitung darauf hingewiesen, daß Textreproduktionen in der heutigen Informationsgesellschaft eine alltägliche Erscheinung sind. Da es nicht möglich ist, umfassend auf alle diese Anwendungen von Textreproduktion einzugehen, möchten wir vier Reproduktionssituationen paradigmatisch herausgreifen: Textreproduktion im Bildungssystem, in der Massenkommunikation, im wissenschaftlichen Be-

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reich und bei der Sprachtherapie. Wie Textreproduktionen im formalen Bildungssystem der Schule eingesetzt werden, wurde bereits in Abschnitt 6.2 angesprochen (Rickheit 1979). Friedrich u. a. (1985a) haben ein Lern- und Lesestrategieprogramm entwickelt. Es beinhaltet neben Strategien zum Erkennen des formalen Aufbaus von Texten und Strategien zum Erfassen der zentralen Inhalte auch Strategien zum besseren Satzverstehen, zur Verknüpfung der Textinformation mit dem eigenen Vorwissen, zur Wiedergabe des Textinhaltes und zur Selbststeuerung beim Lesen. Eine Evaluationsuntersuchung (Friedrich u. a. 1985b) zeigte, daß von Studierenden besonders die Techniken der reduktiven Verarbeitung als hilfreich angesehen werden (vgl. Schnotz 1986). Die Nachrichten in den öffentlichen Medien sind als weiterer wichtiger Bereich, in dem Textreproduktionen täglich benötigt werden, zu nennen. Für den Nachrichtenredakteur geht es darum, aus der täglichen Informationsflut diejenigen Nachrichten mit dem größten Informationswert auszuwählen und sie formal und inhaltlich so zu reproduzieren, daß sie von den Hörem, Zuschauem oder Lesem leicht verstanden und eingeprägt werden können. Daß dies keine leichte Aufgabe ist, beweisen viele der Nachrichten, die uns täglich vorgesetzt werden. Ein dritter großer Anwendungsbereich der Textreproduktionsforschung ist die Informationsspeicherung im wissenschaftlichen Bereich. Die ständig anwachsende Fülle der Forschungsarbeiten zu einem bestimmten Gegenstand macht es immer stärker erforderlich, Zusammenfassungen und Überblicke zu erstellen. Der vorliegende Band ist ein Beispiel dafür und hat sich somit auch den Kriterien einer guten Textreproduktion zu stellen. Als weiterer äußerst wichtiger Anwendungsbereich ist schließlich die Sprachtherapie zu nennen, bei der viele sprachliche Fähigkeiten der Patienten mit Hilfe von Textreproduktionsübungen aufgebaut werden (Rickheit/Strohner 1984).

7.2 Anwendung für maschinelle Textreproduktion In jüngster Zeit rückt neben der menschlichen Anwendung immer stärker die maschinelle Anwendung der Textreproduktionsforschung in den Vordergrund. Im Rahmen der Kognitiven Wissenschaft werden Erkenntnisse der Psycholinguistik in Simulationssystemen der Künsüichen Intelligenz umgesetzt. Frühe Beispiele solcher Bemühungen sind die Textverarbeitungssysteme der Forschergruppe um Roger Schank an der Yale Univer-

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sity, SAM (Cullingford 1981), PAM (Wilensky 1978,1981) und FRUMP (De Jong 1979), die auf der Basis von Wissen über Scripts oder Pläne Fragen zu kurzen Zeitungsberichten und Geschichten beantworten und Zusammenfassungen erstellen konnten. Die auf diesen ersten Versuchen aufbauenden Systeme IPP (Lebowitz 1980) und BORIS (Lehnert/ Dyer/Johnson/Yang/Hardley 1983) hatten darüber hinaus die Fähigkeit, verschiedene Gedächtnisstrukturen und deshalb auch verschiedene Texte ineinander zu integrieren und verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen. All den genannten Textverarbeitungssystemen ist gemeinsam, daß sie eine Kontrollstruktur mit einem zentralen Interpreter besitzen, der die einzelnen Analyseschritte integriert. Auf einer anderen Konzeption bauen die Wortexpertcn-Parser auf (Small/Rieger 1982). Bei diesem Parsertyp geht die Kontrolle von dezentralen aktiven Wortexperten aus, in denen das gesamte Wissen verteilt realisiert ist. Diesem Theoriestrang, der eine größere Nähe zu empirischen Befunden der Textverarbeitungsforschung aufweist (Aulich/Drexel/Rickheit/Strohner 1988), sind auch Textverarbeitungssysteme zuzurechnen, die im Rahmen konnektionistischer Überlegungen (z. B. Cotrell/Small 1984) oder auf der Basis dynamischer Textaktoren (z. B. Hahn 1987) arbeiten. Das von Hahn und Reimer (1983, 1986) entwickelte TOPIC-System vermag expositorische Texte mit Hilfe einer solchen Systemarchitektur in knappe Zusammenfassungen zu transformieren. Mit diesen Entwicklungen bahnt sich eine fhichtbare Kooperation zwischen empirischer und informatischer Erforschung der Textreproduktion an, die weitreichende Perspektiven für die Zukunft einer kognitiven Linguistik eröffnet (vgl. Felix/Kanngießer/Rickheit 1986). Auch wenn unmittelbar bevorstehende Anwendungen der Textreproduktionsforschung im maschinellen Bereich nicht zu erwarten sind, so ist doch vielleicht der Weg beschritten, um eine solche Anwendung in nicht allzu weiter Zukunft in den Bereich technologischer Möglichkeiten zu rücken.

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III. Schreibforschung

Jürgen Baurmann (Vechta)

Empirische schreibforschung Absiract: Starting from a selected example of experimental research into the writing process, the ideas and possibilities which can be connected with empirical methods are extended to include field research. A categorization into six levels then suggests a finer Classification under epistomelogical and methodological considerations. This is j u x t ^ s e d with a corresponding subdivision of research into the writing process. This can be arranged under the headings "Writing as Text Processing", "Writing as a Process" and "Writing as an Acquired Skill". The multidimensional approach chosen here is a suitable method of surveying the field of research into the writing process and of initiating or accompanying in an apprcq)riate manner the planning, execution and assessment of work on text production.

1. Empirische schreibforschung: experimentelle Forschung und feldforschung "Writing research needs to be varied without being unfocused, guided by theory without being dogmatic, progressive without being mindlessly trendy." Dieser satz von Bereiter/Scardamalia (1983:3) stellt keine wohlfeile, nicht einzulösende und deshalb letztlich unverbindliche losung dar, diese äußerung kennzeichnet vielmehr die schwierige Situation, aus der heraus sich die schreibforschung entwickeln muß. D a s ist nicht einfach, weist die schreibforschung doch ebenso w i e der sie umspannende bereich der Schrift und schriftlichkeit ( s o die Zuordnung durch die Studiengruppe "Geschriebene Sprache" bei der Wemer-Reimers-Stiftung) eine erhebliche "Vielfalt" und "Unterschiedlichkeit der Aspekte" auf, was bisher dazu geführt hat, daß "... die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen Schrift und Schriftlichkeit unter Erkenntnisinteiessen erforscht haben, die ... als partikulär gekennzeichnet werden müssen." (Günther/Ludwig 1988:83) D i e gefahren waren und sind - siehe oben - beliebigkeit, modische attitude, aber auch rigider dogmatismus. Notwendig aber ist, daß die schreibforschung variabel gehalten, theoretisch fundiert und auf aktuelle

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Baurmann

Probleme der textproduktion hin orientiert wird. Das gilt auch für die schreibforschung mit empirischer ausrichtung, deren möglichkeiten und grenzen, chancen und Schwierigkeiten im folgenden erörtert werden. Dabei umfaßt empirische schreibforschung alle jene wissenschaftlichen bemühungen um den komplex 'textproduktion', die über reale erfahrungen zu erkenntnissen gelangen. Welche anforderungen und konsequenzen sich aus den wegen zu diesem ziel (beobachtung und experiment) ergeben, wird zunächst an der experimentellen forschung gezeigt. Deren Standards werden knapp vorgestellt und an einer ausgewählten Untersuchung zum schreiben konkret erläutert.

1.1 Anforderungen an die experimentelle schreibforschung (a) Experimentelle schreibforschung geht von präzise entwickelten, experimentell umzusetzenden und statistisch zu überprüfenden hypothesen aus. Was damit konkret gemeint ist, läßt sich etwa an der Untersuchung von Eigler/Nenninger (1985) zeigen. Auf dem hintergrund der schematheorie fragen Eigler und Nenninger in ihrer Untersuchung, ob sich Zusammenfassungen von lehrtexten verändern, wenn deren leser bestimmte zusatzaufgaben bearbeiten. Unter anderem formulieren die Verfasser dabei folgende (null-) hypothese: "Die Zusammenfassungen unteischeiden sich nicht hinsichtlich des Textumfangs (bzw. des Textzusammenhangs) unter den unterschiedlichen Verarbeitungsbedingungen (Kontrollbedingung, Erarbeitungsbedingungen nur positives bzw. positives und negatives Unterstreichen)." (Eigler/Nenninger 1985:353)

Die hypothese ist präzise entwickelt: Mit "Textumfang" und "Textzusammenhang" sind eindeutige kriterien genannt; zudem werden die unterschiedlichen Verarbeitungsbedingungen konkret beschrieben. Die annähme ist reichlich 'unspektakulär' als nullhypothese gefaßt. Eine solche formulierung hat den vorzug, daß nicht nur die subjektiven erwartungen von forschem und lesem auf distanz gehalten werden, sondern daß von vornherein keine endgültige Verifizierung angesteuert wird. Das ist wissenschaftstheoretisch plausibel und entspricht auch dem gegenwärtig noch bescheidenen stand der schreibforschung. Die genannten kriterien werden außerdem experimentell überprüft und statistisch verrechenbar, sind sie doch über die anzahl wiedergegebener "Bedeutungsblöcke" und "Bedeutungskomponenten" operationalisiert (Eigler/Nenninger 1985:353).

Empirische Schreibforschung

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(b) Experimentelle schreibforschung wählt die Stichprobe, den versuchsplan und die meßinstrumente auf das untersuchungsziel hin. Schon von der auswahl der Schreiber und schreiberinnen hängt es ab, in welchem maße die ermittelten ergebnisse zu generalisieren sind. Keine Schwierigkeiten ergeben sich bei einer repräsentativen Stichprobe von Schreibern oder bei einer umfangreichen zufallsstichprobe. Die 54 schreiberinnen und Schreiber bei Eigler/Nenninger, "Studenten in den Anfangssemestem mit Hauptfach Erziehungswissenschaft" (Eigler/Nenninger 1985:349), sind nun allerdings weder repräsentativ, noch ist auszuschließen, daß bestimmte Schreibermerkmale ungewollt (oder sogar unbemerkt) die ergebnisse verzerren. Das ist schon dann der fall, wenn sich die Schreiber dieser gelegenheitsstichprobe besonders kooperativ und auch motivierter verhalten als die gesamtheit jener, die lehrtexte verarbeiten (müssen). Nun eröffnen sich für forscher gegenwärtig kaum andere möglichkeiten der Stichprobenziehung, sind doch die finanziellen mittel begrenzt, die vorbehalte gegen befragungen aller art erheblich gewachsen. In einer solchen Situation bleibt häufig nur die gelegenheitsstichprobe eine entscheidung, die dann aber die deutung der ergebnisse in ihrer reichweite begrenzt. Es empfiehlt sich deshalb, von einer pilotstudie zu sprechen, die nur zu vorläufigen ergebnissen führen kann und deren funkQon in der Verfeinerung der fragestellung sowie weiterer hypothesen zu sehen ist. Experimentelle forschung setzt des weiteren einen detaillierten versuchsplan voraus, der dem ziel der Untersuchung angemessen und der wissenschaftlichen erörterung zugänglich ist. Das verlangt zunächst eine versuchsanordnung, die nachvollzogen und wiederholt werden kann. Mögliche artefakte müssen dabei kontrolliert werden. Die experimentelle forschung verfügt in diesem Zusammenhang über eine fülle verschiedener Versuchspläne, die auf mögliche fehlerquellen überprüft worden sind (etwa auf die Wahrscheinlichkeit von gefälligkeitsreaktionen, test- und Übungseffekten). Eigler/Nenninger haben einen versuchsplan ausgewählt, der auf einer Variante des bewährten zweigruppenplans basiert, wenn bei zwei lesedurchgängen und wiederholter mündlicher sowie schriftlicher Zusammenfassung mit zwei experimentalgruppen und einer kontrollgruppe gearbeitet wird. Dieses design vermag - Zufallsverteilung der Schreiber auf die gruppen vorausgesetzt - die effekte der unterschiedlichen Interventionen (unterstreichen verschiedener textelemente) intem-valide zu kontrollieren. Die externe Validität allerdings ist erheblich eingeschränkt, fungiert der erste lesedurchgang mit mündlicher Zusammenfassung doch gewissermaßen als ein vortest. Die Übertragung auf leser und Schreiber,

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Baurmann

die keinen vortest absolviert haben, kann infolgedessen nicht vorgenommen werden. Das meßinstrument und die aussagen, die darauf gründen, müssen den gütekriterien der Objektivität, reliabilität und Validität genügen. Bei einiger erfahrung mit experimenten und bei der nötigen umsieht ist jede Untersuchung in durchführung und auswertung objektiv zu halten: Alle schreiberinnen und Schreiber müssen unter den gleichen bedingungen arbeiten. Die auswertungsobjektivität hingegen kann nur mit größerem aufwand gewährleistet werden. Eigler/Nenninger tun dies, indem sie den zu verarbeitenden ausgangstext in einem überprüfbaren "Netzwerk von Bedeutungsstrukturen" abbilden und bei den schrifüichen Zusammenfassungen die kriterien "Textumfang" und "Textzusammenhang" messen (Eigler/Nenninger 1985:352f.). Die reliabilität des meßinstruments ist in der vorliegenden Untersuchung hingegen experimentell nicht überprüft worden; durch eine Wiederholung des Versuchs oder durch einen nachträglichen vergleich von datengruppen (split-half-verfahren) ließe sich die reliabilität fundiert absichem. Schwierigkeiten bereitet es allerdings immer wieder, die Validität des eingesetzten meßinstruments zu sichern also nachprüfbar darzulegen, daß wirklich das gemessen wird, was gemessen werden soll. Die autoren der vorliegenden Untersuchung erörtern diese frage nicht, geschweige denn, daß sie eine Überprüfung vornehmen. Das problem soll hier nicht vertieft werden. Aber die richtung kann angedeutet werden, in der hier zu fragen wäre: Ist der "Textumfang" dadurch zu messen, daß die "Sinneinheiten größeren Umfangs" (= "Bedeutungsblöcke") ermittelt werden, die in den geforderten Zusammenfassungen als korrekt zu bezeichnen sind? Und läßt sich der "Textzusammenhang" dadurch bestimmen, daß nach der Anzahl der "isoliert wiedergegebenen Bedeutungsblöcke" und der "Bedeutungskomponenten" gefragt wird? (Eigler/Nenninger 1985:351 bzw. 353). (c) Die experimentelle schreibforschung trennt die ermittlung der ergebnisse von deren deutung und diskussion. Zwischen dem feststellen der fakten und deren bewertung wird in empirischen arbeiten deutlich getrennt. In der herangezogenen Studie wird dieser forderung beispielhaft rechnung getragen: Zunächst werden in übersichtlichen tabellen (seite 354f.) relevante kennwerte zu den vorgenommenen "univariaten und multivariaten Analysen" mitgeteilt, erst dann werden die ergebnisse deutend erörtert. Bei dem versuch, studierende einen erziehungswissenschaftiichen text in seiner bedeutung erfassen zu lassen, konnten Eigler/Nenninger demnach feststellen, daß vor allem das unterstreichen in zweifacher weise (einmal das bereits nach dem ersten durch-

Empirische Schreibforschung

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gang wiedergegebene, zum andern aber auch das beim zweiten lesen als wichtig erkannte) die "Zahl der isolierten Bedeutungsblöcke vermindert", das ausmaß der "Bedeutungskomponenten" hingegen "verstärkt" (nach Eigler/Nenninger 1985:358). Das stimmt - so die deutung der Verfasser mit ergebnissen von Schnotz/Ballstaedt/Mandl (1981) überein und hat praktische konsequenzen, die nach den bisherigen erörterungen auf der hand liegen: Die textverarbeitung kann durch gezielte Interventionen deutlich verbessert werden. Allerdings weisen die Verfasser auch darauf hin, daß nach zwei mündlichen Zusammenfassungen im schriftlichen resum^ nur geringe effekte festzustellen waren. Dem zusammenfassenden aufschreiben kam demnach lediglich eine konservierende funktion zu; die schriftliche Zusammenfassung trug nicht - wie erhofft - dazu bei, daß durch schreiben selbst stärker wissen aktiviert wurde (epistemische funktion nach Eigler 1985:308). Das liegt wohl daran, daß die in dieser Untersuchung vorausgehenden mündlichen Zusammenfassungen denkbare auswirkungen von vornherein vorweggenommen haben (vgl. Eigler/ Nenninger 1985:360).

1.2 Einwände An drei forderungen (siehe a bis c) ist zumindest angedeutet worden, was experimentelle schreibforschung meint und woran sie sich messen lassen muß. So manchen leserinnen und lesem wird dieses konzept aufwendig und starr, eng und technokratisch erscheinen - einwände übrigens, die in der wissenschaftstheoretischen diskussion mancherorts geteilt werden. So wird der experimentellen forschung - erstens - vorgeworfen, daß sie technokratisch verfahre und wichtige belange ausblende. Eine solche kritik ist in vielen fällen sicher berechtigt - etwa dort, wo versucht wird, den realen schreibvorgang über zwar einfallsreiche, der schreibpraxis aber fremde wege zu erfassen. Da werden Versuchspersonen besondere durchSchreibpapiere gegeben, die nur auf dem verdeckten blatt eine schreibspur hinterlassen (Atwell in Humes 1983); oder es wird mit spezialstiften oder unsichtbaren tinten geschrieben (Gould 1980 und Hull/ Amowitz/Smith in Humes 1983:204f.). Die experimentelle forschung, so lautet ein weiterer einwand, entwickelt mit erheblichem aufwand hypothesen, methoden und analyseraster, die während der gesamten Untersuchung nicht mehr verändert werden (können). Das läßt sich an der gründlichen Untersuchung von Faigley/Witte (1981) illustrieren. Nach mehreren vorversuchen legen die autoren ihrer Studie zu Überarbeitungen eine "Taxonomie" zugrunde, in die alle auftauchenden formen von revisionen eingeordnet werden sollen. Was aber geschieht dann in einem fall wie dem folgenden?

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Baunnann

In seiner erzählung zu einer bilderfolge schreibt der neunjährige Christian zunächst i4n einem warmen Sommertag ging ... Er ändert dann das adjektiv in regnerischen ab, obwohl auch Christian nicht entgangen ist, daß auf der bildvorlage die sonne scheint (Baurmann/Meyer 1985:318). In einem raster wie bei Faigley/Witte wird diese Überarbeitung entweder als (mißglückter) versuch des verbessems oder als nicht eindeutig 'verbucht'. Aber erst die erweiterung des gesamten ansatzes unter einbeziehung des schreibers führt weiter: Nach dem ende der textproduktion angesprochen, verwies Christian auf zwei mit der vorgenommenen revision stimmige textstellen, die zum Zeitpunkt der Überarbeitung noch nicht geschrieben waren. Für dieses vorgehen ist die bezeichnung "vorausgreifende revision" angemessen (Baurmann/Meyer 1985:318), die eine gängige typologie wie die von FaigleyAVitte sprengt. Das beispiel verdeutlicht - drittens - einen weiteren vorbehält: Die experimentelle forschung trennt zwischen der hochspezialisierten forschung, die 'von außen' kommt, und den betroffenen Schreibergruppen. In aller regel '^planen forscherinnen und forscher ihre Untersuchungen allein, die Schreiber oder Schreibergruppen finden sich daraufhin ein und 'liefern' ihre texte 'ab'. Häufig wissen sie nicht, welche ziele die jeweilige Untersuchung verfolgt. Daß so verfahren wird, liegt nun nicht am fehlenden einfühlungsvermögen einzelner schreibforscher, sondern ist im experimentellen bereich strukturell geboten. Immer wieder drohen unkontrollierbare störvariablen die gesamte Untersuchung zu gefährden, da sollen zumindest verzerrende gefälligkeitsreaktionen, denkbare abwehrhandlungen oder suggestive mitdeutungen von schreibem ausgeschlossen werden (vgl. auch Loser 1979).

1.3 Weiterführungen Die genannten einwände gegen die experimentelle forschung haben verschiedene reaktionen ausgelöst. Sie reichen von einer generellen emotionalen sperre einerseits und einem starren festhalten an deren Standards andererseits; sie haben aber auch einen paradigmenwechsel ausgelöst, der auf der handlungsforschung gründet. Beim gegenwärtigen stand der schreibforschung ist es meines erachtens angebracht, jede ausschließlichkeit zu vermeiden und die Vorstellung von empirischer schreibforschung so weit zu fassen, daß experimentelle Untersuchungen und erfahrungsorientierte Studien aus der schreibpraxis eingeschlossen bleiben und erörtert werden können. Zwischen beiden Positionen lassen sich geeignete

Empirische Schreibforschung

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wege ausmachen, die zu einem "Tatsachenwissen" über das schreiben führen (und weiter kommen wir auf längere zeit nicht). Die so ermittelten ergebnisse und aussagen werden dabei häufig nur singulär sein, kaum generalisierungen zulassen und erst recht nicht zu "nomologischem Wissen" in der form von regeln oder gesetzmäßigkeiten führen (vgl. Perrez/Patry 1982:59). Empirische schreibforschung sollte infolgedessen variantenreiche feldforschung sein, die experimentelle forschung nicht ausgrenzt, sondern bei jedem vorhaben den "Feldanteil" (Patry 1982) empirischen arbeitens neu bestimmt (vgl. auch Westmeyer 1982:67). Das plädoyer für die Vielfalt empirischen forschens löst als konsequenz zwei fragen aus: Welche möglichkeiten kommen in betracht? In welche richtung sollte sich die schreibforschung inhaltlich bewegen? Beide fragen können miteinander verknüpft und übergreifend beantwortet werden, was allerdings schnell zu systematischen Schwierigkeiten führt. Das zeigt sich beispielsweise bei Cooper/Matsuhashi (1983), die in ihrem beitrag "Perspektiven" und methodologische ansätze ("methodologies") vorstellen wie rhetorik und diskurstheorie, einzelberichte von professionellen Schreibern, Zeitstudien zur Sprech- und schreibtätigkeit, experimentelle arbeiten (Cooper/Matsuhashi 1983:4ff.). Theorie-, design- und themenorientierte Zugriffe vermischen sich hier. Will man solchen verschränkungen entgehen, dann liegt es nahe, zumindest heuristisch zwischen ebenen der schreibforschung und forschungsrichtungen zu differenzieren, also zwischen einer methodologischen sieht und dem blick auf die Inhalte.

2. Forschungsebenen Die differenzierung im methodologischen kann sich auf einen beitrag von Carl Bereiter und Marlene Scardamalia stützen, in dem nach steigendem abstraktionsgrad sechs forschungsebenen unterschieden werden. (Daß dabei für deutsche Verhältnisse die trennungslinien sehr scharf gezogen werden, erklärt sich wohl aus der Vertrautheit von Bereiter/Scardamalia mit dem anglo-amerikanischen forschungsbetrieb, in dem immer wieder die wissenschaftstheoretisch karge reflexion gegenüber dem hohen methodologischen Standard überrascht.) Am anfang, auf einer ersten ebene, steht das forschende nachdenken über das schreiben, häufig gestützt durch informelle beobachtungen. So sind zumindest annahmen über die textproduktion zu gewinnen, etwa über einzelne Schwierigkeiten beim verfassen von texten, über schreibstrategien

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Baurmann

oder über wesen und bedeutung des schreibens. Je ein beispiel für schreibschwierigkeiten und schreibstrategien sowie ein Hinweis auf die allgemeine funktion des schreibens mögen das gesagte illustrieren. Eine schreibschwierigkeit kann etwa dort beobachtet werden, wo Christine (7;2 jähre alt) beim verfassen ihres ersten aufsatzes fragt: Soll ich das ganze so schreiben, als ob ich alles weiß und alles gesehen habe? Oder so wie einer, der bei dem unfall dabei (= beteiligt, J.B.) war? Schreibstrategien als "Verfahren ... bei der Konzeption und Durchführung eines ... Schreibvorhabens" hat dann Sylvie Molitor bei fünf akademikem ermittelt, wobei die ergebnisse der befragungen auf drei prototypen von schreibstrategien verweisen: Entweder wird von der übergeordneten Problemstellung (top down geleitet) oder von einzelbelegen und -aussagen ausgegangen (bottom up orientiert) - oder es wird eine mischform aus beiden gewählt (Molitor 1985). Die äußerungen zu wesen und bedeutung des schreibens sind zahlreich, äußerst verdichtet und reflektiert in den selbstzeugnissen von autoren und schriftsteilem. Besonders eindrucksvoll läßt sich das aus der gegenwärtigen diskussion über Franz Kafka und seine einstellung zum schreiben ablesen (vgl. etwa MüllerSeidel und Treichel, beide 1987). Wie ambivalent Kafka das schreiben bewertet hat, belegt beispielsweise Müller-Seidel u.a. mit folgender briefstelle: "... dieses Schreiben ist mir in einer für jeden Menschen um mich grausamsten (unerhört grausamen, davon rede ich gar nicht) Weise das Wichtigste auf Erden, wie etwa einem Irrsinnigen sein Wahn ..." (nach Müller-Seidel 1987:107)

Auf der zweiten ebene sind alle jene versuche anzusiedeln, bei denen einzelne variablen empirisch-statistisch auf unterschiede oder zusammenhänge hin überprüft werden. Die schreibforschung hat dabei vor allem immer wieder schreibanfänger mit versierten schreiben! verglichen (einige ergebnisse siehe unter 3). Es ist nicht zu bestreiten, daß Untersuchungen dieser art wichtig sind, ergänzen sie doch die subjektive sieht der Schreiber oder forscher, lösen sie doch erarbeitete hypothesen möglicherweise ein. Eine gefahr darf allerdings nicht unterschätzt werden: Da von Schreibern und Schreibergruppen viele daten erfaßt werden können, ist eine unreflektierte Verrechnung in theoretischer blindheit und aus reiner datenhuberei nicht auszuschließen. Um dies an einem fiktiven beispiel zu demonstrieren: Es mag einiges dafür sprechen, geschlechtsspezifische unterschiede beim überarbeiten von texten anzunehmen. Wenn die empirisch-statistische Überprüfung diese annahme aber nicht bestätigt, ist es wenig sinnvoll, nun die variablen weiter zu differenzieren - etwa durch hinzunahme eines Intelligenztests oder durch eine auffächerung der Überarbeitung in verschiedene formen der revisionen (vgl. 3.2).

Empirische Schieibforschung

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Im mittelpunkt aller bemühungen, die auf der dritten ebene anzusiedeln sind, steht die analyse der produzierten texte mit ihren gesetzmäßigkeiten, von denen. aus auf das regelhafte verhalten der textproduzenten geschlossen wird - insbesondere auf jene kognitiven Schemata, die den produktionsvorgang steuern. So wenden sich beispielsweise Boueke/ Schülein (zuletzt 1988) im rahmen ihrer Untersuchung zur entwicklung der kindlichen erzählfähigkeit den "Strukturmodellen von Erzähltexten", insbesondere den 'story grammars' zu (Boueke/Schülein 1988: insbesondere 136). Aus vorliegenden Untersuchungen zum verstehen von gehörten erzähltexten ist zu folgern, daß sich kinder beim schriftlichen erzählen auf bereits (früher) erworbene Schemata stützen können. In welcher weise dies geschieht und wie sich durch das schreiben selbst ausdifferenzierungen vollziehen, wird durch weitere forschung zu klären sein. Die analyse der verfaßten texte wird dabei immer eine erhebliche rolle spielen. Auf einer vierten ebene sind dann die forschungen zu sehen, die den Schreibprozeß selbst zu erhellen versuchen. Dabei versprechen protokollanalysen zum lauten denken (siehe unter 3), laborexperimente, retrospektive berichte und die auswertung von video-aufzeichnungen am ehesten aufschluß über den gesamtprozeß und dessen teilvorgänge. Exemplarisch möchte ich das an eigenen Untersuchungen belegen. Video-aufzeichnungen bei 8-12jährigen kindem zeigen zahlreiche (zumeist weniger anspruchsvolle) revisionen (aber nicht ausschließlich solche!). Diese eingriffe in den text werden von vielen schreiberinnen und Schreibern in ihren folgen aber noch nicht hinreichend übersehen, weshalb die koordination der notwendigen teiloperationen immer wieder mißlingt. Zahlreiche Unterbrechungen, die in anlehnung an Keseling/Wrobel/Rau (zuletzt 1987) in sec gemessen und unterschieden werden, zeigen deutlich, wie diskontinuierlich der Produktionsprozeß bei kindem verläuft und wie wenig vorausschauend geplant wird. Videoaufnahmen zeigen insgesamt immer wieder zweierlei: Es gibt zum einen die reine ausführungszeit für die Schreibbewegungen, zum anderen die Unterbrechungen für die Planung, für die weitere umsetzung im detail, für das durchlesen und revidieren. Schreibzeit läßt sich somit unterscheiden als reine ausführungszeit und als gesamte Produktionszeit. Zur quantifizierung kann daraus ein "schreibquotient" (SQ) gebildet werden, der das Verhältnis von ausführungszeit zu gesamter Produktionszeit angibt (werte größer als 0, maximal 1). Erste messungen zeigen, daß für einzelne Schreiber die werte sehr stabil sind; zeilenweise berechnet geben die Schreibquotienten zudem aufschluß über den verlauf der textproduktion im einzelnen (vgl. dazu Baurmann/Gier/Meyer 1987).

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Bauimann

Die beiden letzten ebenen, bei denen das experimentelle überprüfen von theorien (5) bzw. die planvolle Simulation, rechnergestützt oder gezielt manipuliert (6), im Vordergrund stehen, unterscheiden sich dadurch von den bisher erwähnten ebenen, daß ein theoretisches konstrukt durch daten und befunde überprüft wird. Die frage nach dem wesen des kognitiven systems, nach dessen arbeitsweise oder die entscheidung für ein schreibmodell, das die einzelnen prozesse beim schreiben adäquat zu beschreiben vermag, stehen dabei im Vordergrund des forschungsinteresses (nach Bereiter/Scardamalia 1983:14ff.). Die Simulation nimmt dabei bewußt in kauf, daß die vorgesehenen Interventionen - ähnlich wie die manipulationen in den krisenexperimenten der ethnomethodologen - die reale schreibsituation hinter sich zurücklassen. Bereiter/Scardamalia verweisen in diesem Zusammenhang auf eine eigene Untersuchung, die dies illustriert. In anlehnung an Wygotski gehen die autoren davon aus, daß der Übergang vom mündlichen zum schriftlichen unter anderem durch einen Wechsel von der partnerbezogenen kommunikation zum autonomen schreiben geprägt ist. Um diese these zu erhärten, drängen Bereiter/ Scaidamalia kinder nach abschluß ihres aufsatzes weiterzuschreiben. Die Untersuchung zeigt, daß die kinder weder rebellieren noch unsinn zu papier bringen, sondem zu formen des autonomen, vom adressaten unabhängigeren mitteilens vordringen (Bereiter/Scardamalia 1982). In der realität des wissenschaftiichen forschens und arbeitens sind diese ebenen natürlich nicht streng voneinander zu trennen. Darauf verweisen schon die affinitäten zwischen den ebenen 1 und 2 oder 2 und 5; ja, es ist sogar denkbar, daß bei ein und demselben gegenständ die verschränkung von verschiedenen richtungen aus vorgenommen wird. So kann beispielsweise von beobachteten Unterbrechungen im schreibprozeß (ebene 4) auf den geschriebenen text (ebene 3) geschlossen werden, aber auch konkret von einer textanalyse ausgehend (ebene 3) die Vielfalt der Unterbrechungen geordnet und interpretiert werden (ebene 4; vgl. die arbeit von Keseling 1987).

3. Forschungsrichtungen Inhaltlich möchte ich drei forschungsrichtungen unterscheiden. In stichworten lassen sich diese richtungen so kennzeichnen: schreiben als textverarbeitung, schreiben als prozeß und schreiben als aneignung. Eine strenge Scheidung dieser forschungsrichtungen ist natürlich nicht möglich. Die folgenden ausführungen werden immer wieder beziehungen und zusammenhänge aufscheinen lassen, was nicht zuletzt aus der tat-

Empirische Schreibforschung

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Sache resultiert, daß die gesamte schreibforschung bisher vornehmlich von einer interdisziplinär ausgerichteten Wissenschaft, nämlich von der kognitiven Wissenschaft, ihre impulse erhält.

3.1 Schreiben als textverarbeitung Vor der erforschung des schreibens stand (und steht?) die wissenschaftliche analyse des lesens als eines komplexen, bewußt gesteuerten und konstruktiven Vorgangs, bei dem wissen umstrukturiert wird. Auf die dauer wollte und konnte sich diese forschung nicht auf die verarbeitungsprozesse 'im köpf des lesers' beschränken; sie suchte nach möglichkeiten, solche Verarbeitungsprozesse einzusehen. Die Produktion eigener texte nach der lektüre der vorgelegten bot sich dabei zur näheren erforschung geradezu an. Als dann im letzten jahrzehnt in den USA vermehrt über die lese- und schreibfähigkeiten der nachwachsenden generation geklagt wurde, waren der anlaß und die finanziellen mittel für programme gegeben, die bisherigen forschungen zur textverarbeitung mit ersten Untersuchungen zur schreibforschung zu verbinden. Als theoretischer hintergrund diente die "kognitive Wissenschaft", die sich nach Eigler (1985) dadurch auszeichnet, daß sie "auf die Erforschung von Wissen im allgemeinen und von Wahrnehmen und Kommunizieren im besonderen abzielt" (Eigler 1985:301f., Umstellung durch den verf.)

Wie sich lernende wissen zu eigen machen, das ist die kemfrage dieser Wissenschaft. Schreibforschung als "angewandte kognitive Wissenschaft" (Eigler 1985:301ff.) versucht deshalb, die zusammenhänge zwischen wissen, Wissensstrukturen und schreiben aufzuklären. Molitor (1985) hat durch fünf fallstudien zu umfangreichen vorhaben ausgewählter Schreiber präzisiert, was dies konkret bedeuten kann (siehe auch unter 2): Zwei funktionen des schreibens werden realisiert - die epistemische und die heuristische. Über das schreiben ist es generell möglich, intern vorhandenes wissen 'nach außen' zu bringen oder extern zu speichern; zugleich fuhrt das speichern, wiederholen, revidieren beim schreiben zur Umstrukturierung dieses wissens. Beide funktionen spielen beim schreiben so eng zusammen (vgl. dazu Molitor 1984), daß "Schreiben immer etwas erweckt, was man vorher nicht deutlich erkannte, ob es gleich in uns lag." (Lichtenberg)

Halten wir als (zwischen-)ergebnis fest: Zwischen lesen und schreiben wird ein enger Zusammenhang angenommen, für den "Aufbau oder die Veränderung der Wissensstrukturen" ist das schreiben ganz wichtig (Molitor 1987:405). Diese annahme haben kürzlich Eigler/Jechle/

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Merzigcr/Winter (1987) zu präzisieren versucht. In ihrer experimentellen Untersuchung fragen sie nach der rolle des jeweiligen wissens für die entstehenden texte; zudem wollen sie ermitteln, was mit dem voiiiandenen wissen während des schreibens geschieht. Die auswertung der ergebnisse von 18 studierenden zeigt, daß informierte Schreiber deutlich mehr zum thema schreiben. Ein erkennbarer einfluß des schreibens auf das wissen und dessen struktur konnte jedoch nicht festgestellt werden. Am ehesten läßt sich noch sagen, daß "Schreiben als Verarbeitungsbedingung zu ein»- stärkeren Auseinandersetzung mit der bereits gebildeten Wissensstruktur führt und dies insbesondere bei Personen mit gut entwickeltem Wissen." (Eigler/Jechle/ MerzigerAVinter 1987:393)

Die autoren beabsichtigen, eine verfeinerte analyse und weitere Untersuchungen anzuschließen. Es ist allerdings zu fragen, ob der hier gewählte ansatz nicht von vornherein grenzen setzt. Die angebotenen "Anregungstexte" und die verfügbare zeit schränken die denkbare stärke und tiefe der erwarteten Wirkungen in jedem fall ein. Möglicherweise werden effekte eher sichtbar, wenn reichlich unstrukturiertes material vorgegeben wird, das die Schreiber durch eine eigenständige textproduktion erst aufbereiten müssen. Aber vielleicht ist auch die pai^lelität zwischen dem lesen und schreiben generell nicht so groß, wie häufig vermutet wird. Schreiben läßt sich nicht auf textverarbeitung eingrenzen und auch nicht ausschließlich als prozeß des problemlösens beschreiben. Emotionale, motivationale und kreative komponenten 'spielen' beim schreiben ebenfalls 'mit', weshalb eine ausweitung und ergänzung der gesamten diskussion vonnöten ist etwa durch Vorstellungen zum schöpferischen tun oder durch ansätze, die sich von der kreativitätsforschung her eröffnen.

3.2 Schreiben als prozeß Als im dezember 1986 mitglieder einer norddeutschen Universität und angehörige des "Institut des Textes et Manuscrits Modernes" aus Paris einander ausgewählte beiträge zur schreibforschung vorstellten, faszinierten die unübersehbaren parallelen, die sichtbar wurden. Ob nämlich schreibvorgänge bei kindem und jugendlichen unserer tage oder etwa die textfassungen von autoren des frühen 19. jahrtiunderts analysiert werden, ob die daten über video-aufnahmen oder nach den prinzipien und methoden der "Textgenetik" (siehe unten) gewonnen werden - beide ansätze versuchen, schreibprozesse empirisch zu erforschen.

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Die "Tcxtgcnctik" befaßt sich mit dem akt des schreibens, um "literarische SchreibpiDzesse" zu erhellen (vgl. Gr6sillon/Schlieben-Lange 1987). Drei motive bewegen diejenigen forscherinnen und forscher, die in diesem bereich arbeiten (nach Grösillon/LebraveA'iolett 1986). Es gibt literarische texte, die sich durch bewährte literaturwissenschafüiche verfahren allein nicht analysieren und deuten lassen. Das hat beispielsweise Almuth Grösillon kürzlich belegt, indem sie - textgenetisch vorgehend an drei fassungen des Heine-gedichts "Lebensfahrt" die dialektische aufhebung "zweier tradierter Motivkomplexe im Bild des politischen Schiffbruchs" deutiich markiert (Grösillon 1987). Der textgenetische ansatz das zeigt die erwähnte Studie ebenso wie vergleichbare arbeiten - ergänzt eine bloß produktorientierte durch eine prozeßorientierte analyse. Einzelne entwürfe und fassungen eines literarischen werks werden demzufolge nicht nur herangezogen, um eine bestimmte lesart abzusichern. Alle schreibversuche und materiellen spuren in den fassungen werden vielmehr auf das gesamte literarische schaffen des autors oder der autorin bezogen. Aber so mag der leser, die leserin fragen: Was ist an der textgenetik empirisch? Der ansatz zielt - erfahrungswissenschaftlich orientiert und präzise beobachtungen fordernd - darauf ab, "weniger Beliebiges über das Schaffen der Dichter zu sagen." (Louis Aragon nach Hay 1987:19). Einer deutung gehen deshalb explizit formulierte annahmen voraus, die über linguistische verfahren geprüft werden. Die ermittelten ergebnisse werden in eindeutig beschriebene, intersubjektiv nachvollziehbare typologien eingebettet, die sich an definierten grafischen, sprachlichen und textuellen Indikatoren orientieren. Resümierend ist Louis Hay zuzustimmen, der die textgenetik als ein "Kind der Empirie" bezeichnet (Hay 1987:17). Nach den erläuterungen oben (siehe unter 2) werden sich die arbeiten der textgenetik schweipunktmäßig von der dritten ebene aus um die rekonstruktion mentaler prozesse bei autoren bemühen. Die berührungspunkte zu beobachtungen aktuell ablaufender schreibvorgänge sind - so gesehen - deutlich. Zwei Zugänge zu schreibprozessen sind genannt worden. Ordnet man die Zugänge zum schreibprozeß nach dem grad der beteiligung beobachteter schreiberinnen und Schreiber, dann ergibt sich insgesamt folgendes bild. Schreiber können über video beobachtet werden, ohne selbst über sinn und zweck dieser beobachtungen informiert zu sein. Im einzelfall sind zusätzliche gezielte eingriffe des forschers (Interventionen, manipulationen) denkbar. Begründet wird eine solche versuchsanordnung mit dem hinweis auf störvariablen, die - wenn schon nicht auszuschalten - möglichst gering zu halten sind. Die ethischen dimensionen dieser vorgehensweise werden in der regel ebenso wenig erörtert wie die Validität des Verfahrens (siehe

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oben unter 1). Das heißt nun nicht, daß auf video-aufnahmen zu schreibprozesscn verzichtet werden muß. Die Chronologie des schreibens kann nur auf diesem weg minutiös erfaßt, der sichtbare Vorgang nur so beliebig oft reproduziert werden. Dieses verfahren kann natürlich die mitarbeit der schreiberinnen und Schreiber einschließen - nicht nur aus ethischen Überlegungen, sondern auch deshalb, weil die betroffenen selbst kompetent zur deutung der ergebnisse beizutragen vermögen. Selbst bei kindem, deren distanz zum eigenen tun begrenzt ist, sind die erfahrungen mit solchen eigeninterpretationen ermutigend. Erheblich stärker sind dann jene forscher auf die mitarbeit der Schreiber angewiesen, die umfangreiche eigenbeobachtungen der Verfasser auswerten, sich auf die textüberarbeitung durch eine gruppe und deren metakommunikation stützen (Antos 1982) oder die während der textproduktion zum 'lauten denken' auffordern. Dieses insbesondere bei erfahrenen Schreibern erfolgreich praktizierte verfahren soll rückschlüsse auf einzelne teilprozesse beim schreiben ermöglichen. Es ist bei dieser vorgehensweise allerdings nicht geklärt, welche teilprozesse beim schreiben in welchem ausmaß bewußte tätigkeiten sind und was davon einem anderen überhaupt vermittelt werden kann. In welchem umfang und in welcher weise sich durch dieses bewußtmachen die schreibsituation und der schreibprozeß selbst verändern, ist außerdem offen.

Modelle Was können wir, trotz solcher vorbehalte und unklarheien, gegenwärtig über den schreibprozeß sagen? Versuche mit lautem denken, befragungen und auswertungen von (eigen-)beobachtungen bei geübten schreiben! haben zu modellvorstellungen des schreibprozesses geführt. Das modell von Hayes/Flower (1980) mit den teilprozessen "Flanning", "Translating" und "Reviewing" ist wohl am bekanntesten geworden (Hayes/Flower 1980:11). Wichtiger als diese auffächerung in einzelne komponenten ist allerdings die feststellung, daß sich beim schreiben einzelne tätigkeiten überlappen und wiederholen, wobei sich zeitlich spätere mit vorausgehenden aktivitäten vermischen können. De Beaugrande trägt dem in seinem modell rechnung, wenn er die Parallelität, die rekursivität und insbesondere den Wechsel zwischen verschiedenen ebenen herausstellt (de Beaugrande 1984). Aus dem "Textproduktionsmodell", das Sylvie Molitor (1987) aus fallstudien entwickelt, ist dann abzulesen, daß beim schreiben immer wieder das realisierte (teil-)produkt mit der schreibabsicht verglichen wird. Der fertige text oder textteil wirkt so auf die Vorstellung zurück, die dem geschriebenen zugrunde liegt. Und schließlich

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ist es nicht nur ein kleiner mosaikstein, sondern eher 'licht in die black box', wenn Augst/Faigel (1986:175) mit ihrer Übersicht zu den "Kognitiven Konstituenten" die faktoren und prozessc aufschlüsseln, die vornehmlich im langzeitgedächtnis anzusiedeln sind.

Befunde Trotz alledem: Keines der vorgestellten prozeßmodelle (aber auch nicht eine Variante wie etwa die von Martlew 1983) ist bisher im ganzen empirisch überprüft worden. Diese und vergleichbare modellierungen sind jedoch als theoretischer rahmen für weitere Untersuchungen ebenso notwendig wie die sichtung bereits vorliegender arbeiten. Aus ihnen läßt sich entnehmen, daß alle Schreiber sich mit der inhaltlichen erschließung, mit den sprachlichen anforderungen sowie mit der Verknüpfung von inhaltlichem und sprachlichem abmühen. Versierte Schreiber investieren dabei viel zeit in die der schriftlichen fixierung vorausgehende grobplanung, während schwächere Schreiber rasch beginnen, da sie kleinschrittig vorgehen. Dabei wird im letzteren fall jede idee sofort aufgegriffen, die geeignet erscheint, die gestellte aufgabe zu meistern (Scardamalia/Bereiter 31986:786). Unterbrechungen beanspruchen beim schreiben viel zeit. Gould (1980), Matsuhashi (1981), auch KeselingAVrobel/Rau (1987) ermitteln dafür werte, die über die hälfte der gesamten Produktionszeit hinausreichen. So ist auch die beobachtung nachzuvollziehen, daß "im Durchschnitt lediglich 6.8 Wörter pro Minute produziert werden und nur 2 bis 4 Wörter im Fluß." (Keseling/Wrobel/Rau 1987:357)

Ungeklärt ist allerdings bei solchen und ähnlichen auszählungen noch, ob die langen vorbereitungszeiten versierter Schreiber (siehe oben) mitgerechnet, die zumeist schreibmotorisch bedingten Verzögerungen hingegen nicht abgezogen werden sollten. Wohl kaum beeinflußt von dieser entscheidung ist jedenfalls die feststellung, daß sich gute und schwache Schreiber deutlich in der anzahl der pausen unterscheiden, nicht hingegen in deren dauer. Nach Matsuhashi (1981) wählen versierte Schreiber auch textangemessenere stellen für ihre Unterbrechung - eine beobachtung, die sich in eigenen Untersuchungen bestätigt. Auf der grundlage von jeweils 100 geschriebenen wörtem wurden bei 9-lOjährigcn schreibem 6 bis 35 pausen errechnet, wobei Verzögerungen unberücksichtigt blieben. Versiertere Schreiber unterscheiden sich dabei deutlich von solchen, die kleinschrittig planen und viel aufmerksamkeit auf Orthographie und grammatische richtigkeit lenken (Baurmann/Brede-Rettberg 1988). Diese ergebnisse werden jedoch durch Keseling/Wrobel/Rau (1987) relativiert. Ihrer meinung nach werden Unterbrechungen eher durch die jeweilige

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"Komplexität der zu planenden Textsegmente" bestimmt. Außerdem können die autoren nicht bestätigen, daß die Verteilung der pausen regelhaft durch die satz- und textstrukturen bestimmt wird (KeselingAVrobel/ Rau 1987:357). Revisionen (Überarbeitungen) lassen sich klassifizieren: Neben nachtragen und korrekturen von normverstößen können Verbesserungen sprachlich-syntaktischer art, redigierungen im blick auf die zielbildung oder den leser sowie reformulierungen umfangreicherer textpassagen unterschieden werden (Baurmann/Ludwig 1985:259ff.). Die revisionen unterscheiden sich im anspruchsniveau und im Schwierigkeitsgrad; sie reichen auch unterschiedlich 'tief in den gesamten schreibprozeß hinein. Verbesserungen wirken sich auf die innersprachlichen prozesse aus, während redigierungen die gesamte planung beeinflussen (Baurmann/ Ludwig 1985; Molitor 1985). Lillian Bridwell spricht deshalb zu recht davon, daß über die beobachtung der revisionen ein fenster zu den ansonsten nicht beobachtbaren kognitiven prozessen geöffnet wird (Bridwell 1980:220). Bereits kinder können revisionen vornehmen, wenn die äußeren bedingungen dafür geschaffen werden und wenn die kinder zu Überarbeitungen angeregt werden - etwa durch rückfragen zum Inhalt. Wieviel aber in diesem Zusammenhang noch im sinne einer verbesserten schreibpraxis zu tun bleibt, ist aus der bereits erwähnten arbeit von Bridwell abzulesen. Bei 100 nach zufall ausgewählten arbeiten von jugendlichen (!) hat die autorin zwar insgesamt 6 129 revisionen gezählt. Die mehrzahl davon (56 %) bewegte sich jedoch auf einem wenig anspruchsvollen niveau (vgl. oben). Gerade schwächere Schreiber tendierten dazu, bei ihren Überarbeitungen den text als ganzen aus den äugen zu verlieren (Bridwell 1980). Ebenso wie die erwähnten arbeiten informieren viele vergleichbare Studien über die beträchtlichen unterschiede zwischen versierten und schwachen, erfahrenen und unerfahrenen, zumeist älteren und jüngeren Schreibern. Erstere haben klarere Vorstellungen über die darzustellenden Inhalte, sind sicherer bei der wähl geeigneter textschemata und beherrschen auch das zusammenspiel zwischen bereits gefestigten und noch nicht vertrauten anforderungen so gut, daß sie jeder neuen schreibaufgabe besser gewachsen sind. Hinzu kommt, daß versierte Schreiber die aufgabe und ihr geschriebenes zu reflektieren vermögen; unerfahrene Schreiber tun dies bestenfalls gelegentlich (Martlew 1983:306).

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3.3 Schreiben als aneignung Es überrascht nicht, daß bei empirischen arbeiten zum schreiben häufig unerfahrene den versierten Schreibern gegenübergestellt werden. Schon äußere anlässe und methodische erwägungen legen das nahe: Schreiber sind am ehesten unter schülem und studierenden zu finden und zur mitarbeit zu gewinnen; die beträchtlichen unterschiede fallen dabei sofort auf und werden für extrem-gruppen-vergleiche genutzt, die mit einiger Sicherheit prägnante ergebnisse versprechen. Diese anordnung deutet aber vor allen dingen auf das große interesse vieler schreibforscher hin, die entwicklung von Schreibfähigkeiten unter dem einfluß des systematischen lemens zu beschreiben. Daß es zur aneignung des schreibens bislang lediglich einzelbefunde gibt (und keine abgesicherten theorien), verwundert nach dem bisher gesagten nicht. Aber es gibt zumindest einen theoretischen rahmen, der erste Orientierungen ermöglicht. Carl Bereiter hat dieses konzept entwickelt, wobei er von einigen Voraussetzungen ausgeht. Schreibenlemen vollzieht sich demnach als aktive aneignung von Fähigkeiten durch die heranwachsenden selbst. Die aneignung wird dabei 'strukturalistisch' (und nicht gradualistisch) gedacht - das heißt: Wenn zu gesichertem neues hinzukommt, wird alles das, was bereits beherrscht wird, umstrukturiert (vgl. Bruner und Olsen 1978, die Bereiter trotz der ihm eigenen affinität zu Piaget erstaunlicherweise nicht einmal erwähnt). Bereiter unterscheidet insgesamt sechs teilsysteme, die die textproduktion sichern: die Fähigkeit, geschriebene spräche zu produzieren; das vermögen, ideen und einfälle zu finden; das beherrschen von schreibkonventionen; kommunikative Fähigkeiten (vor allem adressatenorientierung); differenzierungs- und Urteilsvermögen gegenüber geschriebenem sowie die befähigung zum reflexiven denken. Diese zunehmend anspruchsvolleren komplexe ordnet Bereiter anschließend hierarchisch und kommt dadurch zu phasen in der schreibaneignung, die aus der Verknüpfung zunehmend anspruchsvollerer teilsysteme resultieren (Bereiter 1980:82ff.). Diese modi lassen sich als assoziativ-expressives schreiben, normbewußtes schreiben, kommunikatives schreiben, authentisches und heuristisches schreiben bezeichnen. Kommunikatives schreiben beispielsweise gründet auf gesicherten kenntnissen und fertigkeiten des schreibens, die schreibnormen sind vertraut, ideen und einfalle werden zunehmend kontrolliert entwickelt. Es kommt auf dieser stufe hinzu, daß der adressat mit seiner sieht vom Schreiber bewußt berücksichtigt wird. Der zuletzt genannte komplex wird beim schreiben in die bisher angeeigneten Fähigkeiten integriert, die selbst eine weitere Umstrukturierung erfahren (siehe oben).

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Es ist gesagt worden, daß Bereiter mit diesem ansatz einen theoretischen rahmen gespannt hat; umfassende empirische Untersuchungen fehlen bislang dazu. Infolgedessen wäre es lediglich möglich, vorhandene einzelbelege auf Bereiters konzept zu beziehen. Ich möchte dies hier nicht tun, sprechen doch neben methodischen erwägungen (die verschiedenen, häufig verstreuten belege sind kaum zu vereinheitlichen) auch praktische Überlegungen gegen ein solches vorgehen. Es gibt nämlich einige vorzüglich zusammengestellte forschungsberichte, die leicht zugänglich sind, und aus denen leser selbst relevante belege entnehmen können (vgl. etwa Humes 1983, Cooper/Matsuhashi 1983 oder Scardamalia/Bereiter 31986). Angemessener erscheint es mir, abschließend eine umfangreichere Untersuchung neueren datums heranzuziehen und zu Bereiters ansatz in beziehung zu setzen. In ihrer arbeit gehen Augst/Faigel (1986) von argumentativen texten in briefform aus, die schüler und Schülerinnen des 7., 10. und 12. schuljahrs sowie studierende verfaßt haben (die autoren verbreitem später ihre datengrundlage dadurch, daß sie texte von zweit- und viertklässem zur gleichen schreibaufgabe hinzunehmen). Die teiluntersuchung zu den verwendeten lexikalischen mittein zeigt, daß siebtklässer zwar einen brief schreiben, aber nicht hinreichend zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch unterscheiden können. Studierende sind sich dagegen der Wahlmöglichkeiten im lexikalischen bereich bewußt, was gelegentlich auch zum 'überzogenen' einsatz von Sprachmitteln führt (Augst^aigel 1986:70f.). Selbst wenn man annimmt, daß die textsorte 'brief eine verquickung des schriftlichen mit dem mündlichen nahelegt, kann man die befunde so deuten, daß noch viel länger, als es Bereiter annimmt, Schülerinnen und schüler Schwierigkeiten mit grundlegenden Schreibfähigkeiten haben (Bereiter 1980:74); und daß erst bei studierenden authentisches schreiben, als suche nach dem eigenen stil, sichtbar wird. Die ergebnisse zur syntax korrespondieren mit diesen folgerungen. Ist bei siebtklässem noch weitgehend eine schlichte, vordergründige reihung von propositionen zu beobachten, so fallen bei den studierenden anspruchsvolle formen der gestaltung auf - bis hin zum "Verzicht auf den explizit-lexikalischen Ausdruck der Verknüpfungsrelationen" (Äugst/ Faigel 1986:102). Auch die analysen zur textstruktur lassen sich in das bisher entworfene bild einfügen. Nimmt man die briefe der grundschüler hinzu, dann ist das lange beharren auf assoziativ-expressivem schreiben augenfällig. Erst ab dem 10. Schuljahr finden zunehmend mehr Schreiber zum authentischen schreiben; die gesamte darstellung wird sicherer und weist "vielfach spielerische Züge einer ironischen Distanz" auf (Äugst/ Faigel 1986:163). Um das 7. Schuljahr herum ist nach Augst/Faigel ein einschnitt festzustellen, der die gesamte entwicklung stören kann, aber auch räum eröffnet für weitere entfaltungen. Dieses ergebnis korrespon-

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diert mit d e m befund von Loban, der um das zwölfte lebensjahr ein plateau annimmt (Loban 1976 bei Bereiter 1980:76). Betrachtet man Bereiters ansatz durch das filter der Untersuchung von Augst/Faigel, dann sind einige entsprechungen so offensichtlich, daß Bereiters ansatz an plausibilität und tragfähigkeit gewinnt. Nicht zu leugnen ist jedoch, daß kommunikatives, heuristisches oder gar authentisches schreiben möglicherweise erst viel später erworben wird, als e s Bereiter annimmt. U m diese abweichungen zu (er)klären, sind weiter empirische Untersuchungen zur schreibforschung nötig. Sicher wird sich dann die frage aufdrängen, in w e l c h e m maße denkbare brüche oder rückschritte b e i m schreiben aus den begrenzten didaktischen und methodischen Zielsetzungen des aufsatzunterrichts i m jeweiligen schulsystem resultieren.

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Sylvie Molitor-Lübbert (Tübingen)

Schreiben und Kognition Abstract: The subject "Writing and Cognition" is considered from two viewpoints: writing as a problem-solving process, in which the emphasis is put on the cognitive demands of the writing piocess, and writing as a problemsolving strategy, in which the possibility of knowledge acquisition through writing is stressed. An outline of research findings on both topics shows that writing as a problem-solving strategy (so-called epistemic writing) has not yet received much attention in current research. An approach which could be fruitful for further research on epistemic writing is presented: the analysis of the writing strategies of "experts" producing various kinds of texts with differing means and for different purposes. Two series of case studies suggest that the epistemic function of different writing pnxesses and subprocesses relies heavily on the reading component of writing and the ability of the writer to generate and manipulate goal-sp^ific mental representations. Both aspects should be given greater emphasis in writing models.

0. Einleitung Seit Mitte der 70er Jahre werdem in der Schreibforschung die kognitiven Prozesse, die der Produktion längerer, komplexerer Texte zugrunde liegen, untersucht. Ausgelöst wurde die kognitiv orientierte Schreibforschung zunächst in den USA durch die Feststellung, daß die Schreibkompetenz breiter Bevölkerungsschichten den geänderten Anforderungen des Berufslebens in einer sich zur Informationsgesellschaft entwickelnden Gesellschaft nicht mehr gewachsen war (vgl CERI 1987). Die Schreibforschung sollte Erklärungen und kompensatorische Maßnahmen für dieses Problem liefern. Mit der neuen Fragestellung wurde eine Umorientierung hinsichtlich der Forschungsschwerpunkte notwendig: Statt, wie in der Schreibdidaktik bisher üblich, das Produkt des Schreibens - d.h. die Merkmale "guter" Texte - zu untersuchen und zu unterrichten, fand eine Akzentverschiebung zugunsten der kognitiven Prozesse statt, die beim Schreibenden während des Verfassens eines Textes ablaufen (Beach/ Bridwell 1984, Bracewell 1980, Bracewell/Frederiksen 1982, Bereiter/ Scardamalia 1986; zur Forschungslage im deutschsprachigen Raum siehe Eigler 1985). Damit rückten folgende Fragen in den Blickpunkt der Forschung: Welche kognitiven Operationen muß jemand durchfuhren, um ziel- und adressatengerechte Texte zu erstellen? Welche kognitiven

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Fähigkeiten liegen diesen Operationen zugrunde? Wie werden diese Fähigkeiten erworben bzw. wie sind sie zu unterrichten? Die kognitive und die pädagogische Psychologie nahmen sich dieser Fragen mit unterschiedlicher Gewichtung an. Ziel der kognitiv orientierten Schreibforschung war es, die während des Schreibens ablaufenden kognitiven Prozesse zu erfassen und zu analysieren, wobei sie auf einige wesentliche Impulse aus der Forschung zum Textverstehen - gewissermaßen die Umkehrung der Textproduktion - zurückgreifen konnte (z.B. Kintsch/ van Dijk 1978; für einen Überblick s. Ballstaedt/Mandl/Schnotz/Tergan 1981 sowie Hammer/Kintsch 1982, Mandl 1981 und Clark/Hecht 1983). Die pädagogisch-psychologisch orientierten Schreibforscher hingegen verglichen die unterschiedlichen Vorgehensweisen von Schreibanfängem und "Experten" beim Verfassen von Texten, um die Defizite der Schreibanfänger zu erkennen und aus diesen Erkenntnissen Interventionsmaßnahmen abzuleiten (z.B.Frederiksen/Dominic 1981, Martlew 1983a, ScardamaUa/Bereiter/Steinbach 1984). Für das Thema "Schreiben und Kognition" ist die Prozeßorientierung der neueren Schreibforschung unter zwei Aspekten interessant: Zum einen können Schreibprozesse mit Problemlöseprozessen verglichen werden. Damit werden die Anforderungen, die das Schreiben an die kognitiven Fähigkeiten des Menschen stellt, thematisiert. Zum anderen kann Schreiben die Lösung bestimmter Probleme erleichtem. Hiermit ist nicht der Aspekt der Belastung, sondern die unterstützende Funktion, die das Schreiben für Denkprozesse haben kann, angesprochen. Diese beiden Aspekte des Schreibens sind in der bisherigen Forschung nicht in gleichem Maße berücksichtigt worden. Im folgenden wird versucht, die wesentlichen Fragestellungen beider Sichtweisen aufzuzeigen: Zunächst werden einige kognitive Aspekte des Schreibens am Beispiel verschiedener Funktionen des Schreibens in Alltag und Beruf erläutert. Anschließend wird der Forschungsstand zum Schreiben als Problemlöseprozeß und zum Schreiben als Problemlösestrategie - auch "epistemisches" Schreiben genannt - kurz dargestellt. Als eine Möglichkeit, weitere Erkenntnisse über beide Aspekte zu gewinnen und vor allem das Defizit in der Forschung zum epistemischen Schreiben auszugleichen, wird abschließend ein Ansatz vorgestellt, der die Analyse von Schreibstrategien zum Forschungsgegenstand hat. Es werden einige äußere und innere (kognitive) Bedingungen epistemischen Schreibens erläutert und weiterführende Fragestellungen vorgeschlagen.

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1. Kognitive Aspekte des Schreibens Einige kognitive Aspekte des Schreibens können daran deutlich gemacht werden, welche Funktionen das Schreiben im Alltag erfüllt. Schreiben gilt zunächst als ein Mittel der Kommunikation: In Briefen, Zeitungsartikeln, Sachtexten oder auch in belletristischer Literatur teilen Autoren und Autorinnen potentiellen Adressaten Informationen, Meinungen oder Fiktionen Uber einen spezifischen Sachverhalt mit. In kognitiver Hinsicht ist kommunikatives Schreiben vor allem unter dem Aspekt interessant, wie gut es dem Autor bzw. der Autorin gelingt, sich die kognitiven Voraussetzungen der gewünschten Adressaten (z.B. Vorwissen zum Thema, Erwartungshaltungen gegenüber dem Text usw.) zu vergegenwärtigen und den Text adressatengerecht zu gestalten. Bei der Erforschung kommunikativer Schreibprozesse liegt die Betonung demnach eher auf den Lesern bzw. deren Verstehensprozesse als auf dem Autor. Diese Thematik ist seit jeher Gegenstand der Rhetorik, und das entsprechende Wissen über zielund adressatengerechte Textgestaltung gehört selbstverständlich zu den notwendigen kognitiven Voraussetzungen eines Autors (Nystrand 1982, Martlew 1983b). Schreibkompetenz umfaßt jedoch auch eine Reihe globalerer kognitiver Fähigkeiten, die die Grundlage für den erfolgreichen Einsatz der eben genannten rhetorischen Kompetenz bilden. Bei der Analyse von Schreibprozessen müssen daher auch solche Funktionen des Schreibens berücksichtigt werden, die eine direkte Rückwirkung auf die Kognition des Schreibenden haben. Der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt daher nicht auf der Wechselwirkung zwischen Autor und Leser - d.h. den Problemen des adressatengerechten Schreibens -, sondern auf der Wechselwirkung zwischen dem Autor und seinem eigenen Text während des Textproduzierens. Dabei soll der Begriff "Textproduzieren" darauf hinweisen, daß nicht nur der Vorgang des Niederschreibens gemeint ist, sondern sämtliche Arbeitsschritte, die beim Verfassen eines Textes von den Vorbereitungen bis zum Druck anfallen und ihre spezifischen Probleme haben. Das können z.B. Probleme bei der Auswahl und Strukturierung der Inhalte oder bei der Formulierung einzelner Sätze und Abschnitte sein. Der erfolgreiche Umgang mit solchen Schwierigkeiten setzt spezifische Problemlösefähigkeiten voraus, so daß der Schreibprozeß sich unter diesem Aspekt als Problemlöseprozeß betrachten läßt. Häufig bedienen wir uns auch des Schreibens, um inhaltliche oder strukturelle Probleme zu lösen (vgl. z.B. Jordan 1980). Hiermit ist die Funktion des Schreibens als "Denkwerkzeug" gemeint. Von einer solchen

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Funktion kann bereits gesprochen werden, wenn jemand sich z.B. Notizen macht, um etwas nicht zu vergessen, oder zu Registrierungszwecken eine Kartei anlegt. Die kognitive Funktion von Notizen besteht darin, Informationen extern zu speichern, um das Gedächtnis zu emlasten (vgl. Klix 1980, Schönpflug 1987). Schreiben kann auch gezielt zu Lemzwecken eingesetzt werden, z.B. beim Exzerpieren von Prüfungsstoff (Emig 1977, Flanagan/Menendez 1980). Diese Art des Schreibens dient zwar auch zunächst der Gedächtnisentiastung, andererseits objektiviert der Schreibende damit sein Wissen in einer Weise, die es leichter überprüfbar macht. Eine ähnliche Funktion hat das Schreiben von Planungsskizzen und Vorfassungen bei den meisten Formen der Textproduktion: Durch das Aufschreiben und damit Sichtbarmachen der Gedanken wird ihre Strukturierung erleichtert. Die Funktionen des Speichems, Wiederholens und Korrigierens, die das Schreiben bietet, ermöglichen den sukzessiven Aufbau von Denk- bzw. Wissensstrukturen unterschiedlicher Komplexität in verschiedenen Textfassungen. In diesem Fall kann das Schreiben als Problemlösestrategie bezeichnet werden. Ein gemeinsames Merkmal der genannten Beispiele ist, daß Schreiben als integraler Bestandteil des Denkens angesehen werden kann und nicht nur als dessen Produkt. Der Begriff des Schreibens, der diesen Beispielen zugrunde liegt, bezieht sich auf Prozesse der Textproduktion zur Wissensspeichening und Wissensentwicklung. Schreiben in diesem Sinne erfüllt eine epistemisch-heuristische Funktion, indem es das Denken durch Entlastung des Gedächmisses unterstützt und das Auffinden neuer gedanklicher Zusammenhänge erleichtert. Es wird im folgenden daher häufig als "epistemisches" Schreiben bezeichnet. Diese Überlegungen sind in der Psychologie nicht neu (z.B. Wygotsky 1934), wurden in der Schreibforschung aber erst in den 80er Jahren explizit aufgegriffen (z.B. Luria 1983, Bereiter 1980, Scardamalia/Bereiter 1982). Wie der folgende Abschnitt zeigen wird, sind diese beiden wichtigen kognitiven Aspekte des Schreibens - Schreiben als Problemlöseprozeß versus Schreiben als Problemlösestrategie - in der bisherigen Schreibforschung mit sehr unterschiedlicher Gewichtung behandelt worden.

2. Stand der Forschung Den Schreibprozeß als Problemlöseprozeß zu beti-achten, ist ein Ansatz, der fast allen Publikationen der kognitiven Schreibforschung zugrunde liegt (vgl. dazu Collins/Gentner 1980, Humes 1983, Eigler 1985, Molitor

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1984, Pintrich/Cross/Kozma/McKeachie 1986). Er entwickelte sich weitgehend infolge der Veröffentlichungen von Hayes und Flower, die mit der Methode des lauten Denkens "Experten" beim Schreiben beobachtet hatten und dabei typisches Problemlöseverhalten feststellten (Flower/ Hayes 1977, 1980, Hayes/Hower 1980a, 1980b). Ein kurzer Abriß dieser Forschungsarbeiten wird im Abschnitt 2.1 dargestellt. Anders verhält es sich mit der Erforschung des Schreibens als Problemlösestrategie: Hier finden sich überwiegend Anwendungsbeispiele, die die Vorzüge des Schreibens als Lemtechnik vermitteln sollen, während theoretische Aspekte eher implizit aus pädagogisch-psychologischen Abhandlungen zu entnehmen sind. Beispiele solcher Arbeiten finden Sie in Abschnitt 2.2. Forschungsdefizite bestehen demnach vor allem in bezug auf das epistemische Schreiben, dessen kognitive Grundlagen noch weitgehend unbekannt sind. Ein Versuch, durch Analyse von Schreibstrategien über die äußeren Erscheinungsformen epistemischen Schreibens zu den kognitiven Grundlagen zu gelangen, wird in Abschnitt 3 vorgestellt.

2.1 Schreiben als Problemlöseprozeß Hayes/Flower stellten 1980 aufgrund von Fallanalysen ein Modell des Schreibens vor, das alle typischen Phasen von Problemlöseprozessen enthielt, z.B.: - die Formulierung von Zielen und Problemen, - Vorwärtsgerichte Suchprozesse nach einer geeigneten Vorgehensweise (d.h. nach einer Sequenz von Operatoren) zur Erreichung der Ziele, -die Analyse und Bewertung der Lösungswege beim Auftreten von Schwierigkeiten im Lösungsvorgang. Die handlungsbegleitenden Verbalisationen der von Hayes/Flower untersuchten Autoren erfüllten somit die klassischen Kategorien der Problemlöse-Literatur (vgl. Mayer 1979, Anderson 1980, Hayes 1981, Dömer 1976). Schreiben als lYoblemlöseprozeß umfaßt demnach folgende, hierarchisch gegliederte Ziele: Als Hauptziele finden sich die aus der Schreibdidaktik bekannten Prozesse des Planens, Formulierens (translating) und Überarbeitens (reviewing). Ihre Abfolge wird durch eine Prüfinstanz dem sogenannten Monitor - gesteuert. Jeder dieser Prozesse ist wiederum in weitere Subprozesse aufteilbar, die zur Erreichung entsprechender Teilziele notwendig sind. Zum Prozeß des Planens gehört z.B. das Bereitstellen von Wissen aus dem Langzeitgedächtnis, das Bestimmen von

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Schreibzielen, oder die Strukturierung des thematischen Wissens. Inhalt und Gestaltung sämtlicher Prozesse sind nach Hayes/Flower durch die Schreibumgebung und das Langzeitgedächtnis des Schreibenden mehr oder weniger stark beeinflußbar. Die Schreibumgebung, die z.B. die Vorgaben der Schreibaufgabe und den jeweils bereits produzierten Text umfaßt, und das Langzeitgedächtnis liefern die Bedingungen, das notwendige Wissen, die Prüfkriterien und Einschränkungen verschiedener Art, denen der Schreibprozeß unterliegt. Weitere wichtige Merkmale des Modells sind die Interaktivität und Rekursivität aller Prozesse: Das Modell setzt keine feste Abfolge zwischen den Prozessen voraus und alle Prozesse können beliebig oft wiederholt werden. An diesem Punkt setzen Überlegungen von Beaugrande an, dessen "Parallel-Stadien-Modell" die Interaktivität der Schreibpiozesse und die damit einhergehende kognitive Belastung besonders hervorhebt (Beaugrande 1982, 1984). Die Interaktivität und/bzw. Parallelität einzelner Teilprozesse des Schreibens veranlaßte Beaugrande, die Verteilung der Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Prozesse während der Textproduktion zu untersuchen und die Engpässe bei der kognitiven Verarbeitung ("bottlenecks") zu identifizieren. Von den Aspekten, die Beaugrande behandelt, ist für unsere Fragestellung vor allem interessant, wie er die Belastung der verschiedenen Gedächmissysteme beim Schreiben einschätzt und wie er das Problem der Aufmerksamkeitsverteilung zu bewältigen glaubt: Während des Schreibens variiert die Belastung des sensorischen Kurzzeitgedächtnisses, des Arbeitsgedächtnisses, des Kurzzeitgedächtnisses und des Langzeitgedächmisses ständig, weil vom produzierten Text jeweils nur der Teil am Stück wahrgenommen werden kann, der momentan gerade geschrieben wird. Der weitaus größere Teil des Textes besteht für den Schreibenden aus der Erinnerung des bereits Geschriebenen und aus einer Vorstellung dessen, was er zu schreiben gedenkt. Wie hoch die kognitiven Anforderungen des Schreibens einzuschätzen sind, hängt demnach davon ab, wie gut oder schlecht der Schreibende mit solchen rückblickenden und vorwärts gerichteten kognitiven Repräsentationen des Textes umgehen kann. Die Durchführung von zum Teil parallel ablaufenden Prozessen wird nur dadurch ermöglicht, daß der Schreibende seine Aufinerksamkeit selektiv und schwerpunktmäßig abwechselnd auf die eine oder andere Prozeßebene richtet. Der Fokus der Aufmerksamkeit wird so sukzessive von einem Teilprozeß des Schreibens (z.B Inhalte für den nächsten Abschnitt planen) zum nächsten (z.B. Formulierung eines Teilsatzes) verlagert. Eine vollständige Trennung in klar abgrenzbare Teilaufgaben ist dabei zwar nicht möglich, aber durch die Konzentration auf jeweils einen Aspekt der Textproduktion, während die anderen Aspekte einen ge-

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wissen Vorläufigkcitscharakter erhalten, lassen sich simultane Prozesse gewissermaßen nacheinander abhandeln. Hiermit spricht Beaugrande Aspekte an, die für die Erforschung des Schreibens als Problemlösestrategie fruchtbar gemacht werden können, denn sie geben Hinweise, worauf es bei einer erfolgreichen Nutzung des Schreibens als kognitives Hilfsmittel ankommt: Einerseits muß der Schreibende gut mit kognitiven Repräsentationen operieren können, d.h. verschiedene Repräsentationen zielgerichtet aufbauen und umstrukturieren können. Andererseits muß er wissen, mit welchen (internen oder extemen) Hilfsmitteln er sich Repräsentationen auf spezifischen Prozeßebenen im richtigen Moment vergegenwärtigen kann, um den Überblick nicht zu verlieren. Beide Fähigkeiten stellen keine spezifischen Schreibfähigkeiten dar, sondern allgemeine Problemlösefähigkeiten und Fähigkeiten der Metakognition, d.h. Wissen über das eigene Wissen und Können, das die Voraussetzung für einen effektiven Umgang mit den eigenen kognitiven Ressourcen bildet (Flavell/Wellmann 1977).

2.2 Schreiben als Problemlösestrategie Im Vergleich zum Schreiben als Problemlöseprozeß steckt die Erforschung des Schreibprozesses als Problemlösestrategie noch in den Anfängen. Die Fachliteratur zu diesem Thema besteht im wesentlichen aus Vorschlägen zur Einführung des Schreibens als Lemtechnik in verschiedenen Schulfächem. Als Vorteil wird angeführt, daß das Schreiben als Lemtechnik vielfältige Formen der Auseinandersetzung mit dem Lemstoff stimuliert: Die Suche nach relevanten oder geeigneten Inhalten erfordere grundlegende Such- und Forschungsstrategien wie Beobachten, Vergleichen, Beschreiben, Kontrastieren, Hypothesen bilden oder Überprüfen von Verallgemeinerungen (Hillocks 1982, Odell 1980). Die Anwendung solcher Strategien auf den Sachverhalt, über den man schreiben will, rege zu einem kritischen Umgang mit dem Lernstoff an (Emig 1977, Francoz 1979, Hamilton 1980, Herrington 1981). Nach einer Bestandsaufnahme von Applebee (1982) wird Schreiben jedoch selten als Problemlösestrategie gelehrt. Vielmehr dient Schreiben außerhalb des Sprachunteirichts meist der Wiedergabe oder der Übertragung des im Unterricht vermittelten Stoffs auf einen verwandten Aufgabenbereich. Mit solchen Aufgaben werden hauptsächlich reproduktive Fähigkeiten gefördert. Was im allgemeinen fehlt, sind heuristische Aktivitäten, durch die themenbezogenes Wissen analysiert und erweitert wer-

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den kann, und die zur Entdeckung neuer Zusammenhänge führen können. Ein souveräner Umgang mit der Kulturtechnik des Schreibens - der zudem die Entwicklung kritischer Lesefähigkeiten unterstützen würde (s. Olson/Torrance 1983) - kann sich allerdings nur dann entwickeln, wenn der Schreibprozeß in Zusammenhänge eingebunden wird, die den konstruktiven Charakter des Verstehens und des Schreibens hervorheben. In der Forschungsliteratur ist der Aspekt des Schreibens als Problemlösestrategie eher implizit vorhanden. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen: Das Problemlöse-Modell des Schreibprozesses von Hayes/Flower, die Analyse von Planungsprozessen durch Scardamalia und Bereiter und ihre Beschreibung der Entwicklung von Schreibstrategien sowie die Untersuchung von Prozessen der Zusammenfassung durch Eigler und Nenniger - all diese Arbeiten enthalten im Ansatz Komponenten, die zur Untersuchung des epistemischen Schreibens geeignet sind. In Hayes/Flower's (1980) Modell ist die Untergliederung des Planungsprozesses in Generierungsprozesse, Strukturierungsprozesse und Zielsetzungsprozesse oder die Aufteilung des Überarbeitungsprozesses in Prozesse des Lesens und Korrigierens für unsere Fragestellung interessant. Bei den Teilprozessen des Planens handelt es sich gerade um jene Punkte, die bei der Textproduktion häufig Probleme schaffen, und die möglicherweise durch Schreiben gelöst werden können. Die Charakterisierung des Überarbeitungsprozesses als eine Kombination von Lesen und Korrigieren deutet wiederum an, in welcher Weise Schreiben zur Lösung der genannten Probleme beitragen kann: Das schriftliche Produkt wird gelesen und kann verändert werden. Die Annahme, daß das schriftliche Produkt die Basis für die epistemische Wirkung des Schreibens bildet, kann aus den Ergebnissen der Forschung zum Textverstehen abgeleitet werden. Demnach ist Lesen kein passiver Vorgang der Bedeutungsextraktion, sondern ein komplexer, konstruktiver Prozeß, bei dem mit Hilfe vielfältiger reduktiver und elaborativer Prozesse eine Makrostruktur der dem Text zugrundeliegenden Bedeutung gebildet wird (vgl. Ballstaedt/Mandl/ Schnotz/Tergan 1981, van Dijk 1980, van Dijk/Kintsch 1983). Das Resultat solcher konstruktiver Textverarbeitungsprozesse kann zu verschiedenen Zeitpunkten und in ständig sich verändernden Kontexten jeweils verschieden ausfallen. Dadurch erhält der Schreibende die Rückmeldung, die er braucht, um das Geschriebene mit seinen eigentlichen Intentionen zu vergleichen und ggf zu verändern. Das wiederholte Lesen der Zwischenprodukte könnte daher eine wesentliche Grundlage für die epistemische Wirkung des Schreibens sein.

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Der ständige Wechsel zwischen Schreiben und Lesen, der ein inhärenter Bestandteil des Schreibprozesses ist und anhand dessen die Interaktivität und Rekursivität der verschiedenen Prozesse deutlich wird, wird in Hayes/Flower's Modell nicht besonders hervorgehoben. Der "writing-reading-feedback-loop" (Bereiter 1980:87) dürfte jedoch die Voraussetzung für die Rekursivität des Schreibens von Experten sein, die die epistemisch-heuristische Funktion des Schreibens zu nutzen wissen. Als "reflective planning" wird dieser Aspekt in den Arbeiten von Scardamalia und Bereiter behandelt (Scardamalia/Bereiter 1982, 1986): Die Autoren bezeichnen damit die Fähigkeit, Pläne während der Textproduktion allmählich zu entwickeln, und erklären diese Art der Planung durch das Zusammenwirken assimilativer und akkomodativer Prozesse im Sinne Piagets. Demnach sind die einzelnen Schreibziele am Anfang des Produktionsprozesses kognitiv noch relativ abstrakt und global repräsentiert. Durch graduelle Assimilation der aktuellen Vorgaben, geltenden Konventionen usw. werden die globalen Ziele im Verlauf des Schreibprozesses den eigenen persönlichen Zielen angepaßt, d.h. akkomodiert, wodurch die Zielhierarchie allmähhch elaborierter und differenzierter wird. Eine solche Schreibstrategie ist laut Bereiter (1980) "epistemisch", weil sie durch den ständigen Wechsel zwischen Exteriorisierung von Wissen und Überarbeitung desselben eine Form der Weiterverarbeitung des eigenen Wissens darstellt. Diese Vorgehensweise setzt die Fähigkeit zum reflexiven Denken voraus - nach Bereiter die letzte und komplexeste der Fähigkeiten, die bei der Entwicklung der Schreibkompetenz in die Kognition integriert werden müssen. Bereiter beschreibt diesen Gedanken im Rahmen seiner kognitiven Theorie zur Entwicklung von Schreibstrategien in der Ontogenese, die den Zusammenhang zwischen altersabhängiger kognitiver Verarbeitungskapazität und den altersmäßig verfügbaren kognitiven Strategien zum Thema hat. Demnach unterscheiden sich die einzelnen Entwicklungsstufen der Schreibstrategien voneinander in der Art und Anzahl jeweils koordinierbarer kognitiver Prozesse. Eine voll entwickelte (und damit epistemisch wirksame) Schreibstrategie umfaßt die sukzessive Entwicklung und Integration folgender Fähigkeiten: -die Fähigkeit, geschriebene Sprache und kontrollierte Assoziationen hervorzubringen, - die Beherrschung der Schreibkonventionen, - die Fähigkeit, sich in andere hineinversetzen zu können und Texte kritisch zu bewerten sowie - reflexives Denken. Expertentum im Schreiben wird erst möglich, wenn der Schreibende alle diese Tätigkeiten gleichzeitig koordinieren kann. Voraussetzung dafür ist.

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daß die meisten davon automatisiert oder so gut entwickelt sind, daß der Schreibende vorübergehend seine Aufmerksamkeit mehreren dieser Ebenen gleichzeitig widmen kann (vgl. den Ansatz von Beaugrande). Wie eine Schreibstrategie aussehen kann, bei der von einem epistemischen bzw. einem reflexiven Schreibprozeß noch nicht die Rede sein kann, wurde auch von Bereiter und Scardamalia untersucht (s. Bereiter/ Scardamalia 1983b, 1985). In einem Modell, das sie "knowledge-tellingntKxlel" nennen, beschreiben die Autoren eine Art, Textinhalte zu generieren, die weitgehend auf Operationen verzichten kann, die Ziele und zielorientierte Planung implizieren. Gerade die vielfältigen zielorientierten Planungsprozesse sind es jedoch, die für epistemisches Schreiben charakteristisch sind: Sie beinhalten eine fortlaufende Elaboration von Zielen und Teilzielen, die eine heuristische Suche nach nicht unmittelbar verfügbarer Information im Gedächtnis ermöglichen. Wer nach dem "knowledge-telling"-Modell schreibt, ruft dagegen sein Wissen nach Kriterien ab, die einerseits durch den Inhalt bestimmt sind, (d.h. das Thema der Schreibaufgabe), andererseits durch das Textschema (d.h. die konventionellen Formen und Elemente der betreffenden Textart). Dabei bleiben diese Abrufprozesse im wesentlichen auf Informationen beschränkt, die im Gedächtnis des Schreibenden momentan am ehesten verfügbar sind. Die Kohärenz des so erzeugten Textes wird daher von der momentanen Organisation des thematischen Wissens im Gedächtnis abhängen, sowie von der Struktur, die durch das Textschema vorgegeben ist. Weitere kohärenzerzeugende Operationen durch interne oder externe Überarbeitung (vgl. Murray 1978) sind dabei nicht vorgesehen. Die "knowledgetelling"-Sti'ategie wird zwar vor allem von Anfängern bevorzugt, sie bleibt aber selbst nach Weiterentwicklung der Schreibkompetenz auf ein höheres Niveau als zweckmäßige Strategie beim routinemäßigen Schreiben erhalten und wird in eine komplexere Struktur des zielorientierten Planens integriert (Scardamalia/Bereiter 1982). Etwas mehr ins Detail als die bisher genannten Arbeiten geht eine Arbeit von Eigler/Nenniger (1985): Hier wird untersucht, welche Bedingungen dazu anregen, einen Lehrtext so zu verarbeiten, daß man ihn konzise zusammenfassen kann. Neben einem Vergleich der Wirkung verschiedener Interventionen auf Länge und Qualität der produzierten Zusammenfassungen wird auch ein Vergleich zwischen mündlicher und schriftlicher Zusammenfassung gemacht. Hintergrund dieser Fragestellung ist die Annahme, daß Schreiben eine klarere Fassung der Beziehungen zwischen den Textinhalten und ein Weiterverarbeiten des eigenen Wissens über das zunächst Gewußte hinaus ermöglicht. Die Versuchsanordnung, die der

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schriftlichen Zusammenfassung zunächst zwei mündliche vorausgehen ließ, hatte den Spielraum für Verbesserungen durch Schreiben allerdings so stark eingeschränkt, daß keine dramatischen Ergebnisse zu erwarten waren: Außer, daß die Versuchspersonen bei der schriftlichen Zusammenfassung des Versuchstextes verstärkt auf ihren Wissenshintergrund zurückgriffen, um einen Zusammenhang herzustellen, waren die Ergebnisse dieser Untersuchung hinsichtlich einer angenommenen epistemischen Wirkung des Schreibens weniger spektakulär. Als Versuch, Merkmale epistemischen Schreibens in bezug auf den spezifischen Fall des Zusammenfassens herauszuarbeiten, ist diese Untersuchung dennoch erwähnenswert, da es sich dabei um einen Aspekt handelt, der bei vielen Formen der Textproduktion eine wichtige Rolle spielt. Aus diesen Beispielen lassen sich einige Hinweise bezüglich der Wirkungsweise und der Untersuchungsmöglichkeiten epistemischen Schreibens enrnehmen. Die von Hayes/Flower identifizierten Teilprozesse des Planens und die Lesekomponente als Teil der Überarbeitungsprozesse deuten im Zusammenhang mit den Ausführungen von Scardamalia und Bereiter zur "Schreib-Lese-Rückkoppelung" und zur "reflexiven Planung" darauf hin, daß die Häufigkeit, die Ebenen und die Gestaltung der Planungs- und Leseprozesse als kritische Merkmale epistemischen Schreibens anzusehen sind, die näherer Betrachtung bedürfen. Dieser Gedanke wird durch die Beschreibung der kognitiven Anforderungen verschiedener Entwicklungstufen von Schreibstrategien und durch die Beschreibung nicht epistemischer Schreibstrategien wie der "knowledge-telling"-Strategie bestätigt. Der Ansatz, Schreibstrategien zu untersuchen, um kognitive Prozesse zu identifizieren, hat sich zudem in dem oben genannten Beispiel als eine vielversprechende Möglichkeit erwiesen, die Erforschung des epistemischen Schreibens zunächst auf dieser Ebene voranzutreiben. Der folgende Abschnitt stellt einen Versuch dar, Schreibstrategien als Forschungsgegenstand für diese Fragestellung fhichtbar zu machen.

3. Schreibstrategien als Forschungsgegenstand Die Untersuchung der Schreibstrategien von Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit - also unter natürlichen Bedingungen - längere Texte unterschiedlicher Komplexität verfassen müssen, kann Aufschluß darüber geben, unter welchen Bedingungen epistemisches Schreiben eingesetzt wird und welche Formen es annehmen kann. Solche Fallstudien

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können zunächst zwar nur Erkenntnisse über sichtbare Merkmale epistemischen Schreibens liefern, es lassen sich jedoch - indem man vom konkreten Phänomen abstrahiert und Vergleiche zwischen den Fällen zieht wertvolle Hypothesen über die kognitiven Hintergründe dieser Phänomene gewinnen. Diese Hypothesen können wiederum empirisch überprüft werden und zur Entwicklung eines Modells epistemischen Schreibens beitragen (vgl. Molitor 1987a). Ein entsprechendes Vorgehen mit zwei Serien von Fallstudien zur Erfassung der äußeren und inneren Bedingungen epistemischen Schreibens wird im folgenden skizziert: Die erste Serie diente dazu, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Schreibstrategien verschiedener, mit ähnlichen Textproduktionen befaßten Personen im Hinblick auf die kognitive Funktion einzelner Arbeitsschritte zu untersuchen. Die zweite Fallstudienserie - bei der das Schreiben mit dem Computer im Vordergrund stand - diente der Überprüfung einiger Hypothesen, die sich aus der ersten Fallstudienserie ergaben. Insbesondere galt es hier, den Stellenwert zu erfassen, den die technischen Möglichkeiten eines Textverarbeitungssystems in den Schreibstrategien von Experten einnehmen können. In einem abschließenden Abschnitt werden aus den zusammengefaßten Ergebnissen beider Untersuchungen Folgerungen für weitere Fragestellungen zur Erforschung des epistemischen Schreibens gezogen.

3.1 Äußere und innere Bedingungen epistemischen Schreibens Als erster Schritt zur Erfassung der Bedingungen, unter denen epistemisches Schreiben eingesetzt wird, wurden die Schreibstrategien von fünf Akademikern beim Verfassen wissenschafüicher Texte untersucht (Molitor 1985). Als eines der Ergebnisse dieser Fallstudien ist festzuhalten, daß die Schreibstrategien der Befragten sich in mehreren Dimensionen voneinander unterschieden, die Hinweise auf epistemisches Schreiben enthalten: 1. Interaktivität der Teilprozesse: Das Ausmaß der Interaktivität zwischen den einzelnen Teilprozessen der Textproduktion schien mit dem Ausmaß an geforderter Kreativität zu variieren, wobei erhöhte Kreativität (in dem Sinne, daß der Autor inhaltlich und/oder strukturell nicht auf "fertige" Wissensbestände zurückgreifen kann) mit erhöhter Interaktivität einherzugehen schien. Die Autoren verfügten zum Teil über sehr differenzierte Planungsstrategien, die einerseits die Interaktivität der Teilprozesse

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(und damit den Anteil an Leseprozessen) erhöhten, andererseits wiederum zusätzliche Möglichkeiten der Kontrolle und Korrektur boten. 2. Verarbeitungsrichtung: Die Autoren, die die verschiedenen Prozesse des Schreibens eher sequentiell durchführten und über ein festgelegtes Textschema für ihren Text verfügten, bevorzugten für den gesamten Produktionsprozeß bzw. Teile davon ein sogenanntes schemageleitetes Vorgehen ("top down processing"). Kennzeichnend dafür waren relativ sequentiell durchgeführte und jeweils abgeschlossene Produktionsphasen mit geringer Interaktivität. Eine textgeleitete Strategie ("bottom up processing") dagegen dominierte, wenn Inhalt und/oder Struktur des Textes vom Autor noch während des Schreibens ausgearbeitet werden mußten. Textgeleitete Strategien zeichneten sich durch stärkere Interaktivität der Prozesse aus, was u.a. dazu führte, daß sie häufig mit schemageleiteten Prozessen abwechselten. 3. Exteriorisierung: Der subjektive Schwierigkeitsgrad der Textproduktion war ausschlaggebend dafür, wie stark einzelne Prozesse durch Notizen und Vorfassungen des Textes exteriorisiert wurden. Wenn der Produktionsfluß durch Probleme der Inhaltsfindung oder Strukturierung gehemmt wurde, neigten die Autoren dazu, das Problem durch Notizen verschiedener Form zu lösen. Diese Notizen waren die Grundlage für die weitere Verarbeitung der betreffenden Gedanken. 4. Materialaufbereitung: Der Erfolg mancher Schreibstrategien hing davon ab, wie gut es dem einzelnen Autor gelang, das Material, das die inhaltliche Grundlage des Textes bilden sollte, in einer für die kognitive Verarbeitung günstigen Form aufzubereiten und zurechtzulegen. Die Aufbereitung schriftlichen Materials erfordert z.B. häufig Zusammenfassungen, die Aufbereitung von nicht textlichem Material - wie Erfahrungen, Bilder, Statistiken usw. - dagegen eher eine Konkretisierung, d.h. eine Versprachlichung und Elaboration des betreffenden Materials. Die Ergebnisse der ersten Fallstudienserie legten die Vermutung nahe, daß die beim Schreiben benutzten Medien und Technologien unter epistemischen Gesichtspunkten nicht ohne Einfluß sein dürften, eine Hypothese, die in einer zweiten Fallstudienserie überprüft wurde. In dieser Studie wurden sieben Informatiker beim Produzieren unterschiedlich langer Texte technischen Inhalts beobachtet und befragt (Molitor 1987b). Sie bedienten sich dabei eines leistungsfähigen Textverarbeitungssystems, das sie teilweise ihren individuellen Bedürfnissen angepaßt hatten. Die Untersuchungsmethode war weitgehend die gleiche wie bei den ersten Fallstudien, außer daß zusätzliche Auswertungskategorien bezüglich der technischen Möglichkeiten und Grenzen des benutzten Textverarbeitungssystems und die Begründungen der Befragten für die Nutzung

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bzw. Nicht-Nutzung der Leistungen des Systems mit aufgenommen wurden. Hinsichtlich der oben genannten Aspekte Interaktivität, bevorzugte Verarbeitungsrichtung, Exteriorisierung und Materialaufbereitung ergaben sich folgende Tendenzen: 1. Interaktivität: Ein Widerspruch schien darin zu liegen, daß die Funktionen des Computers einerseits zu interaktivem Arbeiten anregten, andererseits jedoch am effektivsten genutzt werden konnten, wenn die verschiedenen Stadien der Textproduktion eher sequentiell durchgeführt wurden. Die Art des Lesens, die für epistemische Prozesse notwendig ist, wurde häufig durch die Größe des Bildschirms und die Langsamkeit des Systems beim Vorwärts- und Rückwärtsblättem behindert. 2. Verarbeitungsrichtung: Am effektivsten konnte der Computer bei schemageleiteten Strategien genutzt werden. Das System übernahm dann die Funktion einer leistungsfähigen Schreibmaschine und diente dazu, mehr oder weniger endgültige Textstücke auszuformulieren oder von handschriftlichen Notizen abzuschreiben. Es bestand die Tendenz, am Computer nur auf lokaler (Satz- oder Abschnitts-)Ebene zu planen, während globalere Planungsprozesse und Kohärenzüberprüfungen anhand der übersichtlicheren Ausdrucke durchgeführt wurden (vgl. Bridwell/ Nancarrow/Ross 1984). 3. Exteriorisierung: Das System regte eher dazu an, ganze Sätze zu schreiben, als Notizen. Die einzige Ausnahme waren Gliederungen, die das Programm automatisch aus dem Text exzerpieren konnte. 4. Materialaufbereitung: Das System verfügte über keine Grafik, so daß nicht-sprachliche Notizen zwangsläufig per Hand gemacht werden mußten. Die am häufigsten genutzten Funktionen waren Such- und Kopiervorgänge sowie die Einblendung von Fenstern zum Vergleich von zwei Textversionen. Zusammengefaßt deuten die Ergebnisse beider Untersuchungen darauf hin, daß für epistemisches Schreiben eine gewisse Flexibilität im spontanen Wechsel der Produktionsstrategie und der Medien - möglicherweise in einem dreidimensionalen Raum - Voraussetzung ist. Ein kritischer Punkt scheint femer, bei welcher Art von Planung bzw. von Lesen der formale Aspekt des Textes und der Notizen eine Rolle spielt. Nach diesen ersten Ergebnissen zu urteilen, scheinen Textverarbeitungssysteme besonders hilfreich zu sein bei der Bearbeitung von Informationen, die schon in gewisser Weise "klassifiziert" worden sind oder zumindest klassifizierbar wären. Für spontane Einfälle und viele Prozesse zur Aufbereitung des Ausgangsmaterials sowie für Planungsprozesse auf wechselnden Ebenen

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könnte dieser Klassifikationszwang hingegen eher hinderlich sein in einer Weise, die noch näher zu untersuchen wäre.

3.2 Folgerungen für weiterführende Fragestellungen Die Untersuchung von Schreibstrategien mittels Beobachtung und Befragung - wie eben dargestellt - vermag vorerst nur einen allgemeinen Eindruck davon zu vermitteln, woran epistemisches Schreiben äußerlich zu erkennen ist: - größere Interaktivität der Teilprozesse, - höherer Anteil an Leseprozessen und damit stärkeres Gewicht textgeleiteter Verarbeitungsprozesse, -verstärkte Exteriorisierung der Planungsprozesse und Vorformen des Textes, - vielfaltige Formen der Materialaufbereitung, die die Entwicklung des Inhalts in verschiedene Richtungen (z.B. Zusammenfassen, Konkretisieren, Strukturieren) erleichtem. Eine Konsequenz dieser Ergebnisse ist die Forderung nach einem Modell des Schreibprozesses, das sich zur Analyse und Darstellung der genannten Aspekte eignet, und als Raster für Detailuntersuchungen der einzelnen Komponenten epistemischen Schreibens dienen kann. Ein solches reflexives Schreibmodell wird in Molitor (1984, 1985) vorgestellt und zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: - Die Wissensstruktur des Autors und der Text sind die Hauptkomponenten, die sich "ebenbürtig" gegenüberstehen und mittels Produktionsprozessen einerseits und Leseprozessen andererseits aufeinander einwirken. - Als Prozesse, mit Hilfe derer der Autor sein Wissen exteriorisiert und/ oder verändert, werden im Modell außer den Produktions- und Leseprozessen noch Planungs- und Evaluationsprozesse berücksichtigt, wobei die genannten Prozesse jeweils als ausdifferenzierbare Prozeßgruppen aufgefaßt werden. - Kernpunkt des gesamten Modells sind kognitive Repräsentationen, die beim Schreiben laufend auf- und umgebaut werden. Durch Planungsprozesse entsteht eine Repräsentation des intendierten Textes, die durch Produktionsprozesse exteriorisiert wird. Das Lesen des Geschriebenen wiederum führt zum Aufbau einer Repräsentation des produzierten Textes, die unter Umständen von der Intention abweicht, was durch Evaluationsprozesse erkannt wird. Bei der Feststellung von Diskrepanzen wird erneut geplant, geschrieben, gelesen und evaluiert, bis die Repräsentation des produzierten Textes mit der des intendierten übereinstinunt

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Eine solche Sichtweise epistemischen Schreibens, die den Aufbau und die Entwicklung kognitiver Repräsentationen zum Mittelpunkt hat, birgt vielfältige Forschungsmöglichkeiten in sich, von denen hier nur einige beispielhaft genannt werden können: Die Fokussierung auf kognitive Repräsentationen erfordert eine Präzisierung des Begriffs dahingehend, welche Inhalte und welches Format diese Repräsentation in verschiedenen Stadien der Textproduktion haben können oder müssen (vgl. Kolers 1983). Die Möglichkeiten neuer Schreibtechnologien werfen die Frage nach potentieller Unterstützung oder Behinderung beim Aufbau spezifischer kognitiver Repräsentationen auf (s. Rower/Hayes 1984, Wickens/Kramer 1985, Schwanz 1985), je nachdem, welche Anforderungen sie an die selektive Aufmerksamkeitssteuerung stellen (s. Johnston/Dark 1986). Die Betonung des Lesens und der Lemaspekt beim epistemischen Schreiben erlauben den Rückgriff auf eine lange Forschungstradition, die möglicherweise auf einige Fragen zur Wirkungsweise epistemischen Schreibens bereits Antworten geben kann (vgl. Johnson/Hasher 1987, Foss 1988). Insgesamt bietet sich hier ein breites Forschungsfeld für interdisziplinäre Bemühungen, die reale oder vermutete Wirkung des Schreibens als Denkschulung zu untersuchen und - auch im Hinblick auf eine sinnvolle Nutzung modemer Schreibtechnologien wie z.B. Textverarbeitungssysteme durch geeignete Unterrichtsmaßnahmen und Anleitungen zu fordern.

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IV. Muttersprachendidaktik und Sprachlehrforschung

Otto Ludwig (Hannover)

Die Produktion von Texten im Deutschunterricht Tendenzen in der Aufsatzdidaktik und ihre Herkunft Abstract: In the history of schools in Gennany composition as an exercise in writing primarily had instnimental functions: the development of ihetorical abilities (17th and 18th Century), of specific forces of the soul and the mind (19th centu^), of the personality (20th c e n t i ^ ) etc. The process of text production itself has never been made the subject of didactic theories. and yet these theories always imply ideas as to how students produce texts. The following paper tries to explicate these hidden ideas and presents the outlines of a new concept in which ideas on the process of text production are regarded as the central point in the teaching of composition.

Der Aufsatzdidaktiker setzt dem Aufsatzunterricht Ziele und begründet sie. Der Aufsatzmethodiker entwickelt Verfahren, wie die Abfassung von Aufsätzen vorbereitet und geübt werden kann. Jedoch Vorstellungen von der Produktion von Texten zu entwickeln, kann nicht Aufgabe der Pädagogen sein. Dennoch spielen auf allen Ebenen des Unterrichts Vorstellungen, wie Aufsätze geschrieben oder gar wie sie geschrieben werden sollen, eine nicht unerhebliche Rolle. Jeder Lehrer, der einen Aufsatz schreiben läßt, hat nicht nur Vorstellungen davon, wie der Aufsatz schließlich auszusehen hat, sondern auch, wie er hergestellt werden sollte. Die Methoden, die empfohlen oder vorgeschrieben werden, implizieren stets auch ein bestimmtes Verständnis vom Schreiben, und die Ziele, die der Didaktiker setzt, leiten sich wenigstens zum Teil von den Prozessen ab, die als konstitutiv für den Schreibvorgang angesehen werden müssen. So haben es

Tendenzen in der Aufsatzdidaktik

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die Pädagogen stets, wenn es um den Aufsatzunteiricht geht, auch mit Vorstellungen von der Produktion von Texten zu tun, selbst dann wenn ihnen dieses nicht bewußt ist. Ich gehe im folgenden davon aus, daß diese Vorstellungen nicht so sehr auf eigenen Erfahrungen beim Schreiben beruhen, als vielmehr das Ergebnis von Traditionen sind. Das heißt einmal, daß es sich um unterschiedliche Vorstellungen handelt, da auch die Traditionsströme, denen sie entspringen, unterschiedliche Heikünfte aufweisen (dazu und zum folgenden ausführlich Ludwig 1988b). Das heißt dann aber auch, daß sich der gegenwärtige Stand der Aufsatzdidaktik in der Bundesrepublik eher als ein Konglomerat heterogener Traditionen darstellen läßt denn als ein homogenes Gebilde. Aufgabe des vorliegenden Artikels wird es darum sein, die Vorstellungen von der Produktion von Texten, wie sie im Deutschunterricht anzutreffen sind, nicht nur zu sichten, zu ordnen und darzustellen, sondern auch bestimmten aufsatzdidaktischen Traditionen zuzuordnen und aus diesen heraus verständlich zu machen (im übrigen vgl. die Übersichten bei Fritzsche 1973, 1974, Herrmann 1974, Wittenberg 1975, Schober 1976, Mericelbach 1979, Hoppe 1984, Beck 1985, Boueke/Schülein 1985).

1. Der Aufsatz in der Tradition der Rhetorik (18. Jahrhundert) Vorstellungen davon, wie ein Text zu produzieren sei, hat die Aufsatzdidaktik in der Anfangsphase aus der Rhetorik übernommen. Die Produktion einer Rede wurde in der Rhetorik als eine Abfolge verschiedener Stadien eines zusammenhängenden Produktionsprozesses vorgestellt. Man unterschied insgesamt fünf Stadien: (1) das Auffinden und Bereitstellen geeigneter Stoffe (inventio), (2) die angemessene Anordnung der Stoffe in einem gedanklichen Konzept (dispositio), (3) die Umsetzung des gedanklichen Konzepts in sprachliche Formulierungen (elocutio), (4) die Aneignung und Einprägung des gedanklich-sprachlichen Konzeptes in das Gedächtais {memoria) und (5) schließlich die Handlung des Vortrages selbst (actio). Anzahl und Art der Stadien lassen sich erklären, wenn man die Bedingungen, unter denen eine Rede gehalten wird, und die Absicht, die man in der Regel mit ihr verfolgt, bedenkt

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Ludwig

Der Text einer Rede ist - anders als ein zum Lesen bestimmter Text nicht schon mit der Verfertigung des Vortragsmanuskriptes abgeschlossen, sondern schließt auch seine Inszenierung vor einem Publikum ein. Darum gehört zu seiner Produktion notwendigerweise auch die Speicherung der Rede im Gedächtnis sowie der Vortrag (actio). Als jedoch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus den rhetorischen Übungen der Schüler schriftiiche Aufsätze wurden (vgl. Ludwig 1988b: 105ff.), gab es keinen Anlaß mehr, die beiden letzten Stadien weiter zu berücksichtigen. Aus dem fünfteiligen Modell der Rhetorik wurde ein dreiteiliges. Ein Redner will mit seiner Rede Einfluß nehmen auf seine Zuhörer - auf ihre Gefühle, Gedanken und Überzeugungen. Ihm kommt es auf die Wirkung an, den Effekt seiner Rede. In diesem Punkt sind sich alle rhetorischen Schulen einig. Darum wurden in der Rhetorik genau die Aspekte bei der Produktion von Texten hervorgehoben, von denen eine Wirkung zu erwarten war, und das sind: was jemand zu sagen hat, wie er es in einen Zusammenhang bringt und vor allem wie er es sagt. Nach diesem Schema haben Schüler nicht nur ihre Reden, sondern auch ihre Aufsätze abgefaßt. In der Zwischenzeit ist die Rhetorik aus dem Fächerkanon an unseren Schulen verschwunden. Andere Vorstellungen von der Produktion von Aufsätzen wurden entwickelt (vgl. die beiden folgenden Abschnitte). Dennoch hat die Rhetorik ihre Faszination auf die Aufsatzdidaktiker nie ganz verloren. Die jüngsten Versuche, die Erfahrungen, Einsichten und Erkenntnisse der Rhetorik für den Aufsatzunterricht fruchtbar zu machen, stammen aus den sechziger Jahren (Bukowski 1956, 1960, Bukowski/ Herrlitz 1965/1966, Lehmann 1970, Lucks 1970).

2. Der Aufsatz in der Tradition einer formalen Bildung (19. Jahrhundert) Der Übergang von den rhetorischen Übungen zu den schriftlichen Aufsätzen steht ohne Zweifel im Zusammenhang mit einem kulturellen Wechsel, der allenthalben in Westeuropa während des 18. Jahriiunderts zu beobachten ist: dem Wechsel von einer oralen zu einer literalen Gesellschaft (vgl. Ludwig 1980a). Doch ist die Weise, wie sich der Wechsel in der Schule vollzog, auch abhängig von den dort vorliegenden Bedingungen. Denn auch die Ziele der Schule und des Unterrichtes hatten sich geändert (vgl. Ludwig in Vorbereitung). An den Gelehrtenschulen und Gymnasien kam es nicht mehr auf die Ausbildung rhetorischer Fertigkei-

Tendenzen in der Aufsatzdidaktik

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ten an, als vielmehr auf Weckung, Entfaltung und Ausbildung der Seelenkräfte, also auf das, was man später eine formale Bildung nannte. Im Zusammenhang mit der Ausbildung der Seelenkräfte spielte ein Aspekt von Sprache eine Rolle, der zuvor zwar bekannt, aber nicht beachtet worden war: Sprache als Mittel, die Subjektivität eines Menschen zum Ausdruck zu bringen; Sprechen und Schreiben als Äußerungen, als ein Nachaußenbringen von Gedanken und Gefühlen, als Exteriorisierungen der Subjektivität und - eben infolgedessen auch als Mittel, um auf diese Subjektivität pädagogisch einzuwirken. Welche Art von Unterricht wäre besser geeignet gewesen, die Seelenkräfte in Anspruch zu nehmen, sie zu üben und schließlich zur Entfaltung zu bringen, als der Aufsatzunterricht? "Der Griffel, d. i. bei uns die Schreibfeder", meinte etwa Herder, "schärft den Verstand, (...) sie entwickelt Ideen, sie macht die Seele auf eine wundersame Weise thätig" (G.Herder 1796/1820:170). So kam dem Aufsatzunterricht im Rahmen des Bildungskonzeptes eine höchst bedeutsame Rolle zu. Die neuen Vorstellungen von den Aufgaben der Schule, insbesondere von den Aufgaben des Aufsatzunterrichtes, führten zu einer Umgestaltung des tradierten Modelles von der Textproduktion. Die Lehre von der Disposition konnte man ohne Veränderungen übernehmen. Die Lehre von der Elokution wurde aufgespalten in eine von der guten Schreibart (der Stilistik) und eine von der Verbesserung. Wie nicht anders zu erwarten, waren die Veränderungen im Bereich der Lehre von der Invention gravierender. Man unterschied nun zwischen (1) der Aufgabenstellung, (2) der Findung geeigneter Stoffe (der alten Invention), und (3) der Meditation, dem "absichtliche(n), von bestimmten Gesetzen geleitete(n) Nachdenken über einen Gegenstand" (C.F.Falkmann 1823:351). Aus dem dreiteiligen Modell der noch durch die Rhetorik bestimmten Aufsatzdidaktik war nun ein sechsteiliges geworden. Dieses Modell findet man voll ausgebildet bereits bei dem vielleicht bedeutendsten Aufsatzdidaktiker der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Christoph Ferdinand Falkmann (ebd.:332-421). Er sprach von: 1. Epigraphik (Aufgabenstellung) 2. Heuristik (Stoffindung) 3. Meditation (gedankliche Verarbeitung) 4. Ökonomik (Anordnung der Gedanken) 5. Phrastik (Verbalisierung) 6. Epanorthodik (Verbesserung)

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Ludwig

Das Kernstück der neuen Lehre war die Meditation. In dem Maße, in dem man sich ihrer Bedeutung bewußt wurde, setzte eine Entrhetorisierung der Vorstellungen vom Schreiben ein. Zunächst wurde die Meditation lediglich als "das (...) wichtigste Mittel, Stoff zu finden" (ebd.:351) bestimmt, also als eine Ergänzung zur alten Lehre von der Invention. Eine solche Charakterisierung bewegt sich noch ganz im Rahmen der alten Vorstellungen. Bald aber wurde unter dem Begriff der Meditation alles gefaßt, was nicht sprachlicher Ausdruck war: "Dieses Nachdenken muß nicht allein die frtlher angegebenen Finde-Aiten begleiten, richten und beleben; sondern ist auch für viele Fälle die einzige Weise, um zu passendem Stoffe, d. h. zu Gedanken und Ideen zu gelangen. Es erstreckt sich zugleich auch auf das Ordnen der Gedanken (die Disposition, O.L.) und auf ihr Fassen in Worte (die innere Sprachgebung, O.L.). Es begreift also alle geistigen Verrichtungen in sich, welche sich bei der Sprachdarstellung vereinigen müssen" (ebd.:3Slf).

Auf diese Weise konnten nun alle kognitiven Prozesse bei der Produktion von Texten den rein sprachlichen entgegengesetzt werden. Das sechsteilige Modell war auf ein einfaches zweiteiliges reduziert: Gedanken und ihr sprachlicher Ausdruck. Dieses Modell entsprach exakt den neuen Vorstellungen von der Sprache und paßte lückenlos in das neue, pädagogische Konzept. Das zweiteilige Modell von der Produktion von Texten ist seitdem überall anzutreffen. Es hat sich bald im Bewußtsein der Didaktiker nicht nur, sondem wohl auch allgemein etabliert. Teile des sechsteiligen Modelles findet man im 19. Jahrhundert immer wieder, etwa bei Robert Heinrich Hiecke (1842), Rudolf Hildebrand (1867), Emst Laas (1868, 1877), Ferdinand Schultz (1887) und Max Schießl (1889). Im 20. Jahrhundert scheint es ganz in Vergessenheit geraten zu sein. Hier und da taucht zwar einmal ein Begriff oder ein Aspekt dieses Modelles auf, doch als ganzes ist es nirgends Gegenstand der Überlegungen. Daraus aber den Schluß zu ziehen, daß es keine Rolle mehr gespielt habe, dürfte nicht angemessen sein, zumindest sprechen einige Indizien gegen eine solche Annahme. (1) Die Tatsache, daß immer wieder von einzelnen Teilen des Modelles die Rede ist: - von dem sprachlichen Ausdruck - von der Gliederung - von der gedanklichen Verarbeitung, der Meditation, - von der Aufgabenstellung - von der Korrektur oder der Verbesserung usw., setzt voraus, daß eine wie auch immer geartete Vorstellung von dem Ganzen vorhanden gewesen sein muß.

Tendenzen in der Aufsaudidaktik

333

(2) Die Modelle, die Ende der siebziger Jahre und in den Achtzigern in der kognitiven Psychologie oder in der von ihr inspirierten Sprachwissenschaft entwickelt worden sind, weisen gewisse Affinitäten mit den alten Vorstellungen auf (vgl. 4.2), auch wenn kaum anzunehmen ist, daß sie direkt auf diese zurückgeführt werden können.

3. Der Aufsatz im Dienste funktionaler Aufgaben (20. Jahrhundert) Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bedeutete auch für die Aufsatzdidaktik eine Zäsur, vielleicht die tiefste im Verlaufe ihrer Geschichte. Wie in vielen anderen kulturellen Bereichen, der Musik, der Malerei, der Dichtung, so wollte man auch im Aufsatzunterricht einen Schlußstrich unter das Alte ziehen, die Fesseln rhetorischer Vorstellungen endgültig abstreifen und einen Aufsatzunterricht begründen, der sowohl den Bedürfnissen der Kinder als auch der Gesellschaft gerecht wurde. Und so bestimmte man seine Aufgaben neu. Rückblickend nimmt sich die Entwicklung, die die Aufsatzdidaktik im Verlauf des 20. Jahrhunderts genommen hat, recht konsequent aus, zumindest konsequenter, als es geschichtlichen Prozessen sonst zueigen ist. Man kann die Entwicklung ohne weiteres an dem System der Funktionen sprachlicher Zeichen, wie es Karl Bühler (1934) vorgestellt hat, demonstrieren. Zunächst rückte man die Symptom- oder Ausdrucksfunktion der Texte in den Vordergrund der aufsatzdidaktischen Reflexion. Ein solcher Einstieg legte sich nahe, weil der Prozeß des Ausdrückens grundlegend für alles Sprechen und Schreiben ist. So entstand der freie Aufsatz der Reformpädagogen, noch vor dem ersten Weltkrieg. - Der reine Ausdruck dessen, was man fühlte oder dachte, macht noch keine Aufsätze, es fehlt das Moment der Gestaltung. So wurde in einer zweiten Phase der Entwicklung der Aufsatzdidaktik die Darstellungs- oder Symbolfunküon von Texten ins Spiel gebracht. Man legte Wert auf die Inhalte, die in den Aufsätzen zur Darstellung kamen, aber auch auf die Formen, in denen dies geschah. Das Ergebnis war der sprachgestaltende Aufsatz der Nachkriegszeit. - Schließlich kam die Auslösungs- oder Appellfunktion von Texten zur Geltung. Das geschah in den siebziger Jahren. Man vermißte die Berücksichtigung der Tatsache, daß Aufsätze "Texte für Leser" sind (so der Titel eines Buches: Boettcher u. a. 1973), also Mittel zur Kommunikation mit anderen Menschen. So wurde die Wiricung, die Aufsätze auf Leser ausüben, in den Mittelpunkt des didaktischen und methodischen Interesses gerückt, und es entstand der kommunikative Aufsatz.

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3.1 Der Expressionismus des freien Aufsatzes Der freie Aufsatz ist die Antwort des Aufsatzdidaktikers auf das Bewußtsein einer Krise, die während der Kaiserzeit - vornehmlich vor und nach der Jahrhundertwende - in allen Bereichen der Kultur empfunden wurde: "Die literarische Kultur, besondere die Fähigkeit des einzelnen zur schriftlichen Darstellung", so in einer Beilage zum Hamburger Echo vom 12.10.1912 (Nr. 240) "ist heute vericümmert. Die meisten Menschen sind von einer rührenden Unbeholfenheit, wenn sie irgendetwas Schriftliches aufsetzen müssen. (...) Sie können weder ihrer Freude noch ihrer Trauer Ausdruck geben, wenn sie beglücken, helfen oder trösten sollen". Hilfe erhoffte man sich von einem neuen Aufsatzunterricht an den Schulen. Wie aber sollte ein so hoch gestecktes Ziel erreicht werden? Die Antwort war denkbar einfach. Es mußte alles daran gesetzt werden, das, was einen jungen Menschen im Innersten bewegte, zum Ausdruck kommen zu lassen: "Gelingt es uns, das in Stil und Form zu bringen, was in uns selber lebt, ringt, spielt und lacht, so bannen wir die Gangart, den Rhythmus unserer eigenen Seele und formen unseren persönlichen Stil" (ebd.). Alles, was dem unmittelbaren Ausdruck im Wege stand oder ihn behinderte, mußte aus dem Weg geräumt werden. Also keine Reglementierungen, sondern Freisetzung der Schreibhandlung total! Frei sollten die Stoffe, das Thema, die Formen, die Sprache sein. Frei sollte das Kind bestimmen, wann es schreibt, wo es schreibt, für wen es schreibt und schließlich auch - ob es überhaupt schreibt. Zurecht hat man in diesem Zusammenhang von einem "pädagogischen Expressionismus" gesprochen, weil alle Aktivitäten beim Schreiben reduziert wurden auf ausschließlich einen Prozeß: den Prozeß der Äußerung, des Nachaußenbringens, der Exteriorisierung innerer Zustände. Ein Programm von solcher Radikalität ist, von einigen seltenen Fällen abgesehen, nie verwirklicht worden. Doch im Aufsatzunterricht der Volksschule, der Unter- oder Grundstufe zumal, hat es seine Spuren hinterlassen. Reformpädagogische Vorstellungen vom Schreiben spielen hier heute mehr denn je eine bedeutsame Rolle. Auch in der Aufsatzdidaktik knüpft man wieder an reformpädagogische Forderungen an. 1980 erschienen zwei Publikationen, die Aufsehen erregten. Die eine überschrieben mit "Spaß beim Schreiben oder Aufsatzerziehung?" (Sennlaub 1980), die andere mit "Schreiben kann jeder" (Boehnke/Humburg 1980). Jeder Titel ein Programm! Beiden Publika-

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tionen liegt die Überzeugung zugrunde, daß das reformpädagogische Potential keineswegs schon ausgeschöpft ist und es sich lohnt, diese aufsatzdidaktische Tradition wieder aufzunehmen. In den weiteren Umkreis reformpädagogischer Vorstellungen gehören auch die Konzepte des kreativen und des personalen Schreibens. "Ein Aufsatz - auch ein noch so einfacher oder banaler Aufsatz - ist etwas, was in dieser bestimmten Form der Ausführung noch nicht dagewesen ist" (Pielow 1973:56). Das ist das Credo der Vertreter des kreativen Aufsatzes. Ihnen kommt es auf die Entfaltung der kreativen Kräfte beim Schreiben an (Winterling 1971, Pielow 1973, Ostermann 1973, Hurrelmann 1977, Mattenklott 1979). Reformpädagogische Vorstellungen vom "Künstler im Kinde" haben hier Pate gestanden. Die Vertreter des personalen Schreibens führen Gedanken der Persönlichkeits-Pädagogik fort, einer bedeutsamen Richtung innerhalb der Reformbewegung. Schreiben wird hier als ein Medium der Selbstvergewisserung, der Herausbildung von Identität und damit der Persönlichkeitsbildung begriffen (Spinner 1980, Fritzsche 1980). Zweifelsohne sind beide Konzepte im Zusammenhang mit dem zu sehen, was man den neuen Subjektivismus genannt hat. Doch ist das nur die eine Seite. Die andere wäre die überlieferungsgeschichtliche Einordnung in den Bereich reformpädagogischer Vorstellung, wie sie hier angedeutet wurde.

3.2 Die Sachlichkeit des sprachgestaltenden Aufsatzes Der Grundsatz: "Laßt die Kinder nur schreiben!" konnte nicht das letzte Wort der Aufsatzdidaktik sein. Immer dringlicher stellte sich die Frage nach den unterrichtlichen Folgen. Die Antwort war der sogenannte sprachgestaltende Aufsatz, das Produkt einer merkwürdigen Verbindung. Vorstellungen der Neuen Sachlichkeit aus den zwanziger Jahren (Arbeitsschule, W.Schneider 1926 und G.Kühn 1930) mischten sich mit Absichten einer rigiden Aufsatzerziehung, die von nationalsozialistischen Pädagogen gefordert wurde, und ergaben ein Konzept von Aufsatzunterricht, das in den fünfziger und sechziger Jahren Theorie und Praxis beherrschte. Dieses Konzept läßt sich in vier Punkten zusammenfassen: (1) Schreiben und mithin die Produktion von Texten war nicht schon die bloße schriftliche Äußerung an sich, sondern die angestrengte Arbeit am schriftlichen Text: seine Gestaltung. (2) Unter Gestaltung wurde aber nicht so sehr die Arbeit am sprachlichen Gegenstand, als vielmehr die Darstellung von Wirklichkeit mit Hilfe von

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Ludwig

Sprache verstanden. Das Verhältnis des schreibenden Subjektes zu dem darzustellenden Gegenstand rückte damit in den Mittelpunkt der aufsatzdidaktischen Aufmerksamkeit oder - um mit K.Bühler zu sprechen - die Darstellungsfunktion der Texte. Schreiben war danach die mit Mitteln der Sprache gestaltete Darstellung von Sachverhalten. (3) Spezifisch für die Konzeption des sprachgestaltenden Aufsatzes dürfte die Frage nach den Gestaltungsmitteln gewesen sein. Da die sprachlichstilistische Bearbeitung der Stoffe dem Aufsatzunterricht entzogen und speziellen Stilübungen überantwortet wurde, konnte sich der Aufsatzunterricht ausschließlich auf die textuelle Bearbeitung konzentrieren, insbesondere auf die Verwendung der sogenannten Stil- und Darstellungsformen. Wenn man das auch nie so gesagt haben würde, so beschränkte sich die Produktion von Texten im Rahmen des sprachgestaltenden Aufsatzes doch letzlich auf die sachadäquate Handhabung von Textformen. (4) In dem Maße, in dem sich die Konzeption konsolidierte, reduzierte sich die Zahl der Stil- und Darstellungsformen, die für den Unterricht vorgesehen waren. Mit unterschiedlichen Begründungen unterschied man eine mehr an dem schreibenden Subjekt orientierte Reihe (Erzählung, Schilderung und Betrachtung bzw. Besinnungsaufsatz) und eine mehr auf den zu gestaltenden Sachverhalt bezogene Reihe (Bericht, Beschreibung und Abhandlung). Auch wenn in der Zwischenzeit dem sprachgestaltenden Aufsatz in dem sogenannten kommunikativen Aufsatz (vgl. 3.3) ein emstzunehmender Konkurrent erwachsen und er selbst immer wieder einer herben Kritik unterzogen worden ist, konnten sich Vorstellungen des sprachgestaltenden Aufsatzes bis heute erfolgreich behaupten. Noch 1984 stellte Otfried Hoppe fest: "Wenn man die rege und vielßiltige theoretische Diskussion über den Aufsauunterricht in den leuten zwölf Jahren mit der Praxis vergleicht, so fälh auf, daß nur wenig von der Theorie in der Praxis angekommen ist. An den Methoden und Maßstäben der Bewertung von Aufsätzen hat sich kaum etwas geändert, die traditionellen Aufsatzformen sind - gelegentlich modifiziert- erhalten geblieben" (1984:281; vgl. auch Schober 1976:35 und Boueke/Schülein 1985:279).

Die gegenwärtige Aufsatzdidaktik ergibt jedoch ein etwas anderes Bild. Unter den namhafteren Aufsatzdidaktikem gibt es niemanden, der den Aufsatzunterricht der fünfziger und sechziger Jahre noch propagiert. Doch lassen sich in vielen Publikationen Teile des alten Konzeptes ausfindig machen: die Dominanz der Darstellungsfunktion in Aufsätzen, die Reduzierung möglicher Aufsatzformen, die Trennung von Aufsatzunterricht und Stilübungen u. a. m. Zu solchen Publikationen zählen: Groth

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1971, Ingendahl 1972, 1975, Herrmann 1974, Sauter/Pschibul 1974, Sanner 1975, Wittenberg 1975, Fritzsche 1980, Eckhart/Helmers 1980. Es läßt sich also feststellen, daß die Konzeption des sprachgestaltenden Aufsatzes und dann natürlich auch deren Vorstellungen von der Produktion von Texten bis auf den heutigen Tag noch eine höchst bedeutsame Rolle spielen, in der Praxis an den Schulen vermutlich noch mehr als in der didaktischen Theorie.

3 3 Der Funktionalismus des kommunikativen Aufsatzes Das Konzept des kommunikativen Aufsatzes ist sowohl das Ergebnis einer kritischen Auseinandersetzung mit dem sprachgestaltenden Aufsatz (Ivo 1971, Haueis 1971, Merkelbach 1972) als auch die Folge einer Pragmatisierung der Sprachwissenschaft und der Sprachdidaktik (Wolff 1974). Wie Sprache allgemein, so wurden jetzt auch die schriftlichen Ausarbeitungen der Schüler im Kontext ihrer Verwendungssituationen gesehen, der einzelne Schüleraufsatz als Mittel zu einem konkreten Zweck. Gelernt werden sollte nicht so sehr, wie Texte aufzusetzen, als viehnehr, wie mit ihnen wirkungsvoll zu handeln sei und, da im Aufsatzunterricht natürlich immer auch geschrieben werden mußte, wie Texte im Hinblick auf ihre Funktionen in Handlungen gefaßt werden können (vgl. Good/Sitta 1983). Von den mannigfachen Verwendungsweisen, welche Texte im Leben von Menschen haben können, war für die Schüler allerdings nur eine vorgesehen: die kommunikatve, d. h. der schrifüiche Austausch zwischen Schreiber und Leser. Damit wurde zwar eine Funktion, die in der Aufsatzdidaktik seit ihrer Ablösung von rhetorischen Vorstellungen arg vernachlässigt worden war, wieder in ihr Recht eingesetzt, doch war das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Die anderen Funktionen spielten nun keine Rolle mehr. In der Entwicklung der Konzeption des kommunikativen Aufsatzes lassen sich drei Schübe erkennen: (1) Noch in den sechziger Jahren knüpften einige Aufsatzdidaktiker an Vorstellungen der klassischen Rhetorik an, stellten die Bedeutung der appellativen Funktion des Schreibens für den Aufsatzunterricht heraus und entwickelten so Vorstellungen vom Aufsatzschreiben, die bereits als kommunikativ bezeichnet werden können (vgl. Abschnitt 1). (2) Zu Beginn der sechziger Jahre sind vorübergehend texttheoretische Argumente ins Spiel gebracht worden: die Konstitution von Texten und

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ihre Funktionen (Haueis 1972). (3) Durchgesetzt haben sich sc;hließlich nur solche Ansätze, die sich auf kommunikationstheoretische Untersuchungen beriefen (Weinmann 1970, Hoppe 1972, 1984, Engelen 1972, Boettcher u. a. 1973, Braun 1974, Boettcher 1977 u.a.). Kommunikationstheorien sind geeignet, einen kommunikativen Unterricht zu begründen, in dem Kinder lernen sollen, mit Hilfe schriftlicher Aufzeichnungen untereinander und mit anderen Menschen zu kommunizieren. Geht es im Aufsatzunterricht jedoch nicht in erster Linie um schriftliche Kommunikation, sondern um die Verfertigung von Schriftstücken (in der Geschichte des Aufsatzunterrichtes ist es um nichts anderes gegangen), dann dürften Theorien und Modelle menschlicher Kommunikation wenig hilfreich sein. Ganz unnütz sind sie für den Aufsatzunterricht indes auch wieder nicht, und dieses erklärt, daß auch im Rahmen des kommunikativen Aufsatzes zumindest einige Vorstellungen von der Produktion von Texten vorgebracht worden sind. Jedes Kommunikationsmodell enthält neben Aussagen über die Rezeption von Texten auch Aussagen über deren Produktion, jedoch nicht oder nur wenig expliziert. Bezogen auf das Aufsatzschreiben, hätte man eigentlich eine Explikation erwarten können. Diese beschränkte sich aber in den vorliegenden Arbeiten auf die Analyse der Bedingungen, in der die jeweilige Kommunikation stattfindet, also auf Fragen, die sich der Schreibende stellen soll, bevor er mit dem Schreiben beginnt, z. B. ob es überhaupt sinnvoll sei zu schreiben - oder nicht doch besser miteinander zu sprechen, zu reden oder zu telephonieren; - was seine Absicht (Intention) denn sei; welche Wirkungen er mit seinem Schreiben bezwecke; wem er zu schreiben gedenke (Adressat) und was er von ihm wisse: sein Alter, sein Geschlecht, seine Erfahrungen, seine momentane Ver fassung, die Beziehung, in der er zu ihm steht; auf welchem Wege sein Schreiben den Leser erreichen solle; bei welcher Gelegenheit, zu welchem Anlaß usw. Diese Fragen richten sich auf die Bedingungen des Schreibaktes, es sind "Orientierungspunkte" (O.Schober) oder "Organisationspunkte" (W.Boettcher u.a.), die zweifelsohne den Prozeß des Schreibens bestimmen können. Der Prozeß der Produktion von Texten selbst aber ist mit ihnen nicht erfaßt. Dazu hätte es einer anderen Theorie bedurft: einer Theorie des Schreibens oder der Produktion von Texten.

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4. Die Produktion von Aufsätzen als Prozeß In jüngster Zeit wird der Schreibprozeß, also der Vorgang der Produktion von Texten, in zunehmendem Maße in die aufsatzdidaktischen Überlegungen einbezogen. Annäherungen finden sich bei Boettcher (1982) und Hoppe (1984), ein erster mutiger, aber wohl doch mißglückter Versuch bei Gössmann (1976, 1979), so etwas wie ein Durchbruch in den Arbeiten von Baurmann/Ludwig (1985, 1986), Baurmann (1987), Arnos (1988) und Äugst (1988).

4.1 Der didaktische Ansatz Die folgenden Erwägungen waren Anlaß, den Schreibprozeß in das Blickfeld der aufsatzdidaktischen Reflexion zu rücken: (1) Auch wenn in der Schule die Verfertigung von Aufsätzen unter Bedingungen stattfindet, die im alltäglichen Leben kaum maßgebend sind, ist ^ e Ausarbeitung von Aufsätzen zunächst einmal als Schreiben zu bestimmen, und zwar als eine spezifische Weise des Schreibens. (2) In die Tätigkeit des Schreibens muß der heranwachsende Mensch methodisch eingeführt werden. Auf den Gedanken, daß sich Schreiben von selbst lerne, könnte man kommen, wenn die Bedingungen, unter denen Schreiben gelernt wird, die gleichen wären wie beim Sprechenlemen. Das ist aber nicht der Fall. Das kleine Kind lemt sprechen in der Interaktion mit denen, die bereits ihre Sprache beherrschen. Eine vergleichbare interaktive Grundlage ist aber für das Schreibenlemen nicht gegeben. So lemt der Schüler schreiben, wenn er an einem vor ihm entstehenden Text arbeitet. (3) Der fertige Aufsatz ist lediglich ein Moinent in der Produktion eines Aufsatzes: das abschließende Moment, ihr Produkt. Wenn es um das Schreibenlemen geht, dann muß also der Prozeß der Produktion als ganzer auch Gegenstand des Unterrichts sein. Bisher hat man ihm zu wenig, dem Produkt zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. (4) Die Produktion von Texten, also Schreiben, ist in erster Linie eine mentale Tätigkeit. Zwar zählt zu den verschiedenen Aktivitäten, aus denen sich der Schreibvorgang zusammensetzt, auch die Mechanik des Schreibens, die Koordination und Kontrolle einer Vielzahl von Muskeln, die Betätigung der sogenannten Schreibhand. Doch geht der Mechanik eine Reihe anderer Aktivitäten voraus, die ohne Ausnahme mentaler Art sind (ausführlicher dazu unten). Ein Aufsatzunterricht, der sich das Schreiben angelegen sein läßt, hat sich also vomehmlich um die Ausbildung mentaler Fähigkeiten zu kümmern.

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(5) Wenn die Produktion von Texten in den Mittelpunkt des Aufsatzunterrichtes rückt und die Produktion als ein Prozeß verstanden wird, in dem verschiedene Aktivitäten miteinander interagieren, dann lassen sich diese auch miteinander üben: das Überdenken der kommunikativen Bedingungen und Faktoren ebenso wie die Planung und Organisation sowohl der Produktion als auch des Produktes, die sprachlichen Formulierungen nicht anders als die Auseinandersetzung des Schülers mit den Inhalten. Die Momente, die bisher im Aufsatzunterricht isoliert und meist auch nur selektiv geübt wurden, können so wieder zusammengeführt werden. Ein solcher Aufsatzunterricht wäre integrativ in dem Sinne, daß alle am Schreibprozeß beteiligten Aktivitäten Gegenstand des Unterrichtes sind.

4.2 Informationen über den Schreibprozeß Wie unsicher unser Wissen über den Schreibprozeß ist, zeigt sich schon daran, daß wir bei der Einschätzung seiner Komplexität zwischen zwei Extremen hin und her schwanken. Wir unterschätzen sie auf der einen Seite, wenn wir von den mentalen Anteilen beim Schreiben absehen und Schreiben vornehmlich als eine Angelegenheit der Einführung in die Schrift betrachten. Viele Pädagogen, insbesondere Erstschreibdidaktiker, neigen dazu. Auf der anderen Seite überschätzen wir die Komplexität, wenn wir uns an den höchst artifiziellen Schreibakten der Schriftsteller orientieren. Dann wäre es eigentlich nur der Schriftsteller, der schreibt. Ein solcher Begriff von Schreiben ist bei Literaturwissenschaftiem und Literaturkritikern verbreitet. Beide Begriffe sind für eine Didaktik des Schreibens nicht brauchbar. Damit stellt sich die Frage, wie wir überhaupt etwas über den Schreibprozeß verläßlich in Erfahrung bringen können. Im Verlauf der langen Geschichte des Aufsatzunterrichtes haben aufmerksame Pädagogen immer wieder Selbstbeobachtungen angestellt und mitgeteilt. Doch diese sind folgenlos geblieben, vermutiich weil man selber der Beobachtung keine große Bedeutung beigemessen hat, dann aber doch wohl auch, weil vereinzelte Beobachtungen nie Grundlage einer theoretischen Reflexion sein können. In der Annahme, daß diejenigen, die professionell mit dem Schreiben beschäftigt sind, auch am besten über den Schreibprozeß Bescheid wissen, hat man Schriftsteller und Journalisten befragt (Gössmann 1976, 1979). Es ist nicht viel dabei herausgekommen.

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Ende der siebziger Jahre haben die Ausfiihrungen des sowjetischen Psychologen Lew Semjonowitsch Wygotski (1934/1969) Anlaß gegeben, im Hinblick auf den Aufsatzunterricht über das Verhältnis von innerer Sprache und Schreiben nachzudenken (Gössmann 1976:13, 1979, Wild 1980). Man übersah, daß das eine mit dem anderen nicht viel zu tun hat. Im einen Fall geht es um Entstehung, Funktion und Struktur der inneren Sprache, Sprache also im Sinne der Saussureschen "langue", im anderen um die Realisierung der geschriebenen Sprache beim Schreiben, also um "parole". Darüber aber erfährt man bei dem sowjetischen Gewährsmann nichts. Zu Beginn der achtziger Jahre sind in den USA mehrere Arbeiten zum Schreibprozeß entstanden, die mehr als ephemere Gelning beanspruchen können. Es handelt sich um Anwendungen des kognitivistischen Forschungsansatzes auf die Analyse von Schreibprozessen (zusammenfassend Eigler 1985). Die Ergebnisse sind in der Zwischenzeit auch in der Bundesrepublik rezipiert worden (Ludwig 1983, Molitor 1985, Baurmann in diesem Band). Die Überlegungen gehen in zwei Richtungen, denen zwei miteinander konkurrierende, aber keinesfalls miteinander unverträgliche Modelle des Schreibprozesses entsprechen. Das eine hebt - in ähnlicher Weise wie das rhetorische Modell (vgl. Abschnitt 1 und 2) - ab auf die Differenzierung verschiedener Produktionsphasen oder Komponenten des Schreibprozesses. Den Grundriß dieses Modelles haben John Hayes und Linda Flower (1980) entworfen. Sie unterscheiden drei Grundprozesse beim Schreiben: "planing" (Planungsprozesse, vergleichbar der Disposition in der Rhetorik), "translating" (Prozesse der Übertragung des gedanklichen in ein sprachliches Konzept, vergleichbar der alten Elokution) und "review" (Kontroll- und Korrekturprozesse). Das Modell ist modifiziert und ergänzt worden. So fügte Silvia Molitor (1985) zwischen Planung und Übersetzung eine Phase der "Materialaufbereitung" (vergleichbar der alten Invention) ein. Ich selbst (1983) habe bei der Verbalisierung zwischen innersprachlichen und motorischen Prozessen unterschieden, die Planung und Materialaufbereitung als "konzeptionelle Prozesse" zusammengefaßt und schließlich noch die emotionalen Aspekte beim Schreiben berücksichtigt. Die Selbsteinschätzung, die Hayes und Flower für ihr Modell gefunden haben: "less complete than the ideal" dürfte auch für die auf ihnen aufbauenden Untersuchungen gelten. Neben diesem, wie man es nennen könnte, Phasenverlaufsmodell gibt es zumindest noch einige Elemente, aus denen vielleicht einmal ein anderes Modell entwickelt werden könnte. Es betont den dynamischen Charakter

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des Schrcibprozesscs (Gould 1980, Ludwig 1983:47ff., Antos 1988:40f.). Hier wird berücksichtigt, daß die verschiedenen Teilaktivitäten beim Schreiben fast gleichzeitig ausgeführt werden, zum Teil ineinander verschränkt, einander blockierend oder verstäricend, so daß ein überaus komplexes Bild vom Schreibprozeß entsteht, zu komplex, als daß es in einem Schaubild darzustellen wäre. Im einzelnen lassen sich folgende Momente unterscheiden: (1) Die am Schreibprozeß beteiligten Aktivitäten operieren auf verschiedenen Ebenen. Schreiben vollzieht sich also mehrschichtig (multilevel). (2) Diese Aktivitäten wirken aber zugleich so aufeinander ein, daß der Eindruck eines fast gleichzeitigen (simultanen) Zusammenwirkens aller entstehen kann. Das heißt. Schreiben ist ein in hohem Maße interaktiver Vorgang. (3) Einzelne Aktivitäten können wiederholt werden. Schreiben ist also iterativ. (4) Sie können rekursiv auf sich selbst angewendet werden. (5) Oft sind sie zur Routine geworden, so daß sie ohne viel Aufwand ganz oder fast automatisch ausgeführt werden. Für die aufsatzdidaktischen Konsequenzen dürfte es nicht gleichgültig sein, welches der beiden Modelle den Überlegungen zugrundegelegt wird.

4 J Erste Schritte zu einem auf das Schreiben konzentrierten Aufsatzunterricht An zwei Punkten setzen die jüngsten Versuche an, den Aufsatzunterricht auf die Produktion von Aufsätzen zu konzentrieren: an der Vorbereitung der Schüler auf diese Aufgabe und an der Korrektur des Produzierten. Einige Bemerkungen zu den Aufgaben und didaktischen Prinzipien der Aufsatzvorbeieitung finden sich bei Baurmann und Ludwig (1986). Den "in der schulischen Schreibpraxis (...) eher untergeordneten" Aspekt der Schreibplanung hat Antos (1988) didaktisch aufgearbeitet. Die Prozesse der Bearbeitung von Aufsätzen, sogenannte Revisionen, waren Gegenstand der Untersuchungen von Baurmann/Ludwig (1985) sowie von Äugst (1988). In allen diesen Fällen gehen die Überlegungen von Vorstellungen aus, die in dem Phasenverlaufsmodell gründen. So ist damit zu rechnen, daß in der Zukunft noch weitere Phasen des Produktionsprozesses in die didaktischen Überlegungen zur Vorbereitung von Aufsätzen einbezogen werden.

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Auf der Grundlage des zweiten noch recht unstrukturierten Modelles könnte man einen ganz anderen Zugang zur Vorbereitung von Aufsätzen finden. Er würde vermutlich erlauben, die Vorbereitung direkter auf das konkrete Verhalten der Schüler beim Schreiben zu beziehen. Hier käme es zunächst einmal darauf an, die Strategien, die Schüler entwickelt haben und praktizieren, um die Schreibaufgabe zu erfüllen, zu erfassen, vor allem die Schwierigkeiten auszumachen, die sie beim Schreiben haben: die ersten Worte nicht zu finden; die Idee von einem Text in eine kohärente Abfolge einzelner Aussagen zu bringen; ja, nicht einmal zu wissen, wie sich diese Idee während des Schreibens entfalten oder verändern wird - lauter Erfahrungen, die jeder, der schreibt, tausendfach macht. Solche Erfahrungen wären aufzugreifen, durch empirische Untersuchungen des Schülerverhaltens beim Schreiben zu ergänzen (vgl. Baurmann u.a. 1987) und vor allem didaktisch und methodisch aufzuarbeiten. Dann dürfte es auch leichter fallen, anzugeben, wie Schüler auf ihre schriftlichen Ausarbeitungen vorbereitet werden können. Auch die Aufsatzbeurteilung erscheint in einem anderen Licht, wenn man sie im Zusammenhang mit den Produktionsprozessen betrachtet. Dann stellt man fest, daß die Beurteilung der einzelnen Schritte beim Schreiben, ihre Zurücknahme, Korrektur oder gar auch Umarbeitung nicht erst dann beginnt, wenn der Lehrer seinen Rotstift ansetzt. Bereits bei der Planung des Aufsatzes beurteilt der Schüler das schon Konzipierte, akzeptiert oder verwirft Teile oder das Ganze. Er selbst ist also sein erster Zensor und in nicht wenigen Fällen auch sein strengster. Noch einmal hat er Gelegenheit, Teile oder das Ganze zu überdenken, halb Gelungenes zu verbessern, Mißlungenes zu verwerfen. Überflüssiges wegzunehmen. Fehlendes zu ergänzen, dann nämlich, wenn der Aufsatz vor seinen Augen auf dem Papier entsteht oder fertig vor ihm liegt. Wieder tritt der Schüler als Beurteilender auf den Plan. Erst dann, wenn der Schüler den Aufsatz aus der Hand gegeben hat, hat der Lehrer das Wort. Die Fremdbeurteilung durch den Lehrer setzt also die Selbstbeurteilung durch den Schüler voraus, führt diese fort und ergänzt sie um Teile, die unerledigt geblieben sind. Eine solche Sicht der Dinge hat Konsequenzen für die Praxis der Aufsatzbeurteilung (vgl. zum folgenden Baurmann 1987): (1) Um seiner Rolle als Selbstbeurteiler beim Schreiben gerecht zu werden, braucht der Schüler Zeit. Diese darf ihm nicht vorenthalten werden. (2) Am besten lernt der Schüler die Beurteilung seiner Texte in einer Gruppe: "Eine kleine gruppe, die gemeinsam einen text entwirft, muß einzelne schritte besprechen und sich immer wieder für die eine und gegen

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eine andere formuliening entscheiden. Da in dieser zusammen ständig geschriebenes und zu schreibendes beurteilt wird, bietet sich diese form des schreibens als hinführung zur beurteilung, zur fremd- und selbstbcurteilung geradezu an" (Baurmann ebd.:22). (3) Schon in der Phase der Planung kann der Lehrer in den Produktionsprozeß helfend eingreifen: fragend, wenn der Schüler noch seine Gedanken im Kopf bewegt; ratend, wenn die ersten Formulierungen auf dem Papier erscheinen; korrigierend, wenn die ersten Entwürfe vorliegen. (4) Die Beurteilung und Bewertung der letzten Fassung, der Reinschrift oder des fertigen Aufsatzes, ist dann nur noch der letzte Schritt in einer Reihe von Schritten, die Schüler und Lehrer gemeinsam gegangen sind. Eine solche Praxis der Beurteilung setzt voraus, daß alle Schritte, Phasen und Etappen im Prozeß des Schreibens sowie ihre noch unfertigen, unvollständigen und wohl gar auch unzulänglichen Produkte, seien es einzelne Gedanken, unzusammenhängende Stichwörter, irgendwelche Notizen, die der Schüler gemacht hat, um einen Gedanken nicht zu vergessen, Gliederungsversuche oder erste Entwürfe ernst genommen und vom Lehrer als Gelegenheiten erkannt werden, beurteilend und korrigierend dem Schüler zu helfen und in dem zu fördern, was das eigentliche Ziel des Aufsatzunterrichtes ist: der Ausbildung seines Vermögens zu schreiben.

4.4 Schlußbemerkung Ob es sich bei den vorgetragenen Überlegungen zum Prozeß der Produktion von Aufsätzen um eine neue Konzeption des Aufsatzunterrichts handelt, scheint mir noch nicht ausgemacht zu sein. Sollte es möglich sein, daß die Beschränkungen der Theorie des kommunikativen Aufsatzes, insbesondere die Beschränkung auf ausschließlich kommunikative Funktionen sprachlicher Äußerungen, aufzuheben, dann könnte die Berücksichtigung des Schreibprozesses oder der Produktion von Aufsätzen diese Theorie auf eine sinnvolle und, wie ich meine, notwendige Weise ergänzen. Die theoretischen Überlegungen zum Schreibprozeß wären dann als eine Teiltheorie zu einer Theorie der schriftlichen Kommunikation zu begreifen.

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Ausgangstext Formulierungsmuster (Textgliederungsmerkmale, Register, Wortschatz), die der Lernende im Zieltext wieder aufnehmen kann, allerdings nicht sklavisch kopieren soll. Alle Schreibübungen, in denen Teile des Ausgangstextes übernommen werden sollen (Operator 1), also Nacherzählungen, vor allem aber die verschiedenen Formen der Zusammenfassung und Textergänzung helfen dem Lemer auf diese Weise beim Formulieren. Wenn der oder die Ausgangstexte zuvor im Unterricht schon sprachlich analysiert und angereichert wurden, können die gewonnenen Erkenntnisse als explizite, ggf. schon auf die Erstellung des Zieltextes gerichtete Hilfen verwendet werden. Textabhängige wie textunabhängige Hilfen dieser Art können zweierlei Form annehmen: Sie können dem Lerner als regelhafte Ausdrucksnormen vemiittelt oder als Listen angeboten werden. Die Bestimmung und sinnvolle Vermittlung regelhafter Ausdrucksnormen ist ebenso wichtig wie schwierig. Gemeint sind allgemeine Aussagen zu Ausdrucksmerkmalen einer Textsorte oder gar der Sprache insgesamt, insbesondere dann, wenn ihre Realisierung anders als in der Muttersprache abläuft (spezifische Sprachstile, wie sie etwa Bally exemplarisch fürs Französische beschrieben hat). Als unbrauchbar, weil kaum operationalisierbar, erweisen sich dabei die unlinguistischen Normsetzungen traditioneller Stillehren: "Schreibe klar und verständlich, vermeide komplizierte Formulierungen, wähle den treffenden Ausdruck usw." Geeigneter ist ein anderer Weg, der von einer Ist-Analyse zur Soll-Bestimmung führt. Die Ausdrucksfähigkeit der Lemer wird dabei sprachlich analysiert und mit der Zielnorm verglichen. Die Unterschiede geben das Maß des geforderten Lemfortschritts an. Die Zielnorm wird am besten durch exemplarische Textrekonstruktionen ermittelt (Woodley 1982, Bliesener 1982:44). Lemertexte weiden dabei unter Wahrung ihres Inhalts von Native Speakers normgerecht (u.U. auch nur im Rahmen der den Lemem bekannten didaktischen Norm) umformuliert. Nach einem anderen Verfahren (Rück 1986) kann eine - dann relativ eng gerichtete - Schreibaufgabe auch von beiden Gruppen bearbeitet werden, so daß hinterher die entstandenen Texte verglichen werden können. Dies ist der empirisch gründlichste Weg; andererseits kennt jeder erfahrene Lehrer die lemersprachlichen Charakteristika seiner Schüler so gut, daß er - sehr gute zielsprachliche Fähigkeiten vorausgesetzt - das Gefälle zwischen Ausdrucksnorm und Ausdrucksrealität recht gut auch ohne Textvergleich bestimmen kann. Übungen zur Überwindung dieses Gefälles enthalten z.B. Transformationen vom einfachen zum komplexen Satz, vom Relativsatz zum Attribut, vom Nebensatz zur Partizipialkonstruktion oder zur Nominalisierung, vom Pronomen zur lexikalischen Anapher, von unmarkierter zu

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markierter Rhematisierung, von passe-partout-Verben (faire, make + Nomen) zu Vollverben. Hierher gehört auch, was de Beaugrande (1985:160f.) im muttersprachlichen Kontext als "Streamlining" bezeichnet: eine Aussage verkürzen, etwa nach den eben genannten Punkten, und sie gleichzeit rhetorisch aufs Wesentliche konzentrieren. Gemeinsam ist allen oder der Mehrzahl dieser Umformungen eine Tendenz zur Verdichtung bei gleichzeitiger Wahrung der Aussage (weshalb sie vor allem in deskriptiven oder argumentativen Texten und dort naheliegenderweise in Rösumös und Zusammenfassungen eine Rolle spielen). Tatsächlich neigen fortgeschrittene Lemer schwächeren Niveaus ohne diese Übungen dazu, Texte als Serien von kurzen Hauptsätzen ohne Relief und ohne differenzierte logische Verknüpfungen zu formulieren (Börner 1987a, Woodley 1982). Es gibt allerdings auch Lemer, die - aus Neigung oder eben in gehorsamer Befolgung der geübten Strategien - in ihrer Verdichtung übers Ziel hinaus schießen und dunkel oder syntaktisch kompliziert formulieren: Sie müssen die entsprechenden Gegenstrategien üben. Verdichtungsstrategien können im Schreibprozeß schon prophylaktisch beim Formulieren, aber auch erst beim Revidieren und Korrigieren eingesetzt werden; im letzteren Falle erlauben sie insbesondere schreibschwächeren Lemem ein vorläufiges Ausblenden komplexerer Normvorgaben und damit ein leichteres (E)rauflos-)Schreiben. Verdichtungsübungen, die explizit als Vermittlung von Revisionsstrategien deklariert wären, sind allerdings in der publizierten Literatur sehr selten (vgl. im muttersprachlichen Bereich de Beaugrande 1985), es überwiegt der schreibvorbereitende Typ (z. B. Becker et al. 1984). Beliebter als Regeln oder Strategien, deren Balance zwischen genereller Aussage und konkreter Anwendbarkeit nicht immer leicht zu finden ist, sind Listen von Sprachmitteln, die ja insbesondere in der Lexik beliebig auf die Schreibaufgabe zugeschnitten werden können. Im Bereich der (Text-)Grammaük sind seit den Europarat-Projekten solche Listen zur üblichen Darstellungsform von pragmatischen oder grammatisch-logischen Beziehungen wie Kausalität, Finalität, Konsekutivität, Gegensatz, Reihenfolge geworden (vgl. die pragmatisch orientierten Listen in Rück 1987). Sie sind jeweils konfigurierbar gemäß ihrer Rolle und Häufigkeit in den verschiedenen Textsorten. Der Wortschatz wird heute gern in syntagmatischer Form dargeboten, d. h. in Syntagmen, die u. U. bis zu ganzen alternierenden Satzbauplänen gereiht werden können (vgl. Becker et al. 1984:29ff., 35ff., 50ff. etc.). Das Angebot an Wortschatz in Textbausteinen und nicht nur im paradigmatischen Wortfeld entspricht einem Defizit der Lemer, das charakteristisch für fortgeschrittene Fremdsprachenlemer ist. Bei ihnen steht einem u. U. umfangreichen rezeptiven

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Sprachvermögen in Wortschatz und Textverständnis ein stark eingeschränktes Produktionsvermögen gegenüber in einem Mißverhältnis, das deutlich über das übliche muttersprachliche Rezeptions-ProduktionsGefälle hinausgeht. Dem Lemer fehlt also weniger die hinreichende Kenntnis des Wortschatzes als vielmehr die Erfahrung in dessen normund kontextgerechter Verwendung in Texten: in Kollokationen, sprachlichen Fertigfabrikaten und schwieriger: Halbfertigfabrikaten. Besonders problematisch erweist sich dabei die Tatsache, daß diese lexikalischen Gebrauchsnormen oft so unauffällig sind, daß sie als Lemgegenstand gar nicht ins Blickfeld geraten: Daß in dem Satz "Es ist kalt" die Wahl des Verbs normabhängig ist, erfährt erst, wer die französische Übersetzung "II fait froid" kennenlernt (Möhle 1985). So unbestreitbar hier der Übungsbedarf ist, so schränkt er doch das Übungsziel des freien, vom Lemer selbstverantworteten Schreibens weiterhin ein: Die didaktische Vorgabe reicht damit über die Textplanung bis in die Formulierungen hinein mit dem erklärten Ziel, das sprachlich Unauffällige, Gebräuchliche, gar Stereotype zu vermitteln, nicht aber die originelle Wendung, das besonders treffende Wort, das selbst vom fortgeschrittenen fremdsprachlichen Schreiber wohl schwerlich erwartet werden kann. Hier wird wiederum der Gegensatz zum muttersprachlichen Aufsatzschreiben deutlich. Lemer, von denen überall sonst im Curriculum selbständiges Denken und Formulieren verlangt wird, reagieren denn auch oft unwillig auf vorgegebene sprachliche Hilfen und suchen sie erst post festum bei eintretenden Ausdrucksproblemen im ein- oder (schlimmer:) zweisprachigen Wörterbuch. Schreiben wird dann u. U. zum punktuellen Übersetzen der deutsch formulierten Aussage - mit entsprechend erhöhter Fehlerchance. Formulierungshilfen, seien sie nun Regeln oder Listen, laufen immer Gefahr, vom Lemer verabsolutiert zu werden, da sie ja a priori das Ziel haben, die Qualität des Zieltextes zu verbessern. Im Übermaß verwendet, verstoßen sie jedoch gegen die stilistische Maxime der Variation der sprachlichen Mittel im Text und erzeugen Monotonie oder Unverständnis. Wer ungehemmt verdichtet, erzeugt einen komplexen und damit u.U. schwer lesbaren Text; wer logische Konnektoren aus der vorgelegten Liste im Übermaß verwendet, macht den Text pedantisch und umständlich. De Beaugrande (1985:160ff) versucht dieser Gefahr zu entgehen, indem er die Komplexität von Inhalt und sprachlichem Ausdruck miteinander verknüpft nach der chiastischen Formel: Schreibe einfach bei komplexen Inhalten und komplex (=verdichtet) bei einfachen Inhalten. Die Variationsmaxime gehört also an den Anfang jeglicher Formulierungshilfe.

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7. Korrektur und Bewertung Neben Planungs- und Formulierungshilfen, die dem Lemer während des Schreibprozesses zur Verfügung stehen, spielt traditionell eine Form der Hilfe eine große Rolle, die erst nach Abschluß des Schreibprozesses angeboten wird: die Korrektur des Textes durch den Lehrer. Sie erscheint zuweilen als vollständiger (Modell-)Text, meist aber in Form von punktuellen Randbemerkungen zu Sprache und Inhalt jedes individuellen Zieltextes. Wenn die Korrektur ausführlich ist, listet sie Formulierungs- und Planungsaltemativen auf, dann wäre ein vollständiger Text zumindest rekonstruierbar. Manchmal werden aber auch nur Fehlerklassen durch Buchstabenkürzel wie G, W oder andere Zeichen (+, -) symbolisch markiert, dann bleibt dem Lemer überlassen, herauszufinden, wie der verbesserte Text denn nun aussehen soll. Der Korrekturtext im engeren Sinn, der meist eingebettet ist in einen größeren Korrekturdiskurs, kann als ein weiterer Intertext zu der Abfolge von Ausgangstexten und Zieltext aufgefaßt werden. Er bildet den Abschluß der Schreibübung, kann jedoch im gesamten Lehr- und Lemkreislauf durchaus als eine Art neuer Ausgangstext zu weiteren aufbauenden Übungen funktionieren. Die Korrektur wird im Regelfall gekoppelt mit der Bewertung des Zieltextes durch evaluierende Kommentare und/oder durch Noten. Aus institutionellen Gründen spielen Fragen der Bewertung auch im fremdsprachlichen Schreibunterricht der Schule eine sehr große Rolle. Als in den siebziger Jahren die Textaufgabe ihren Siegeszug begann, wurden die damit teilweise neu entstehenden Probleme der Korrektur und Bewertung von freien geschriebenen Texten intensiv diskutiert (vgl. Christ 1980, Bartenstein 1976 und besonders Nissen 1982). Relativ rasch - und nach Vorarbeiten an der zuvor dominierenden Schreibform der Nacherzählung - konnten die Bewertungsprobleme im Bereich der formalen Korrektheit (Grammatik, auch Wortschatz) gelöst werden. Aber die zunächst aufkeimende Hoffnung, man könne - nach dem Muster der Fehlerklassifikation - quantiflzierbare Bewertungsmaßstäbe nun auch für Inhalt und Ausdrucksqualität freier Texte finden, zerschlug sich bald: Einem sprachlichen Gefüge, in dem Ziele, Aufbau, Inhalt und Ausdruck eng aufeinander abgestimmt sind, wird man nicht gerecht, indem man Satzstrukturen auflistet oder den Wortschatz auszählt. Einen plausiblen Ausweg aus diesem Dilemma, der zudem in Grenzen praxisfähig ist, zeigt Nissen (1982). Er akzeptiert im Prinzip die gesamtheitliche Bewertung eines Schülertextes durch den erfahrenen Lehrer, die nach Vergleichstests zumindest im fremdsprachlichen Bereich einen befriedigenden Grad an Intersubjektivität erreichen kann. Sein Ziel ist vielmehr, den Blick des bewertenden Lehrers zu schärfen und ihm Ordnungshilfen für seine Einzelbeobachtungen zu

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geben. Zu diesem Zweck entwirft er (Nissen 1982:60ff.) ein vielfältiges Raster potentieller Texteigenschaften auf allen sprachlichen Ebenen, aus denen der Lehrer die ihm für den speziellen Fall wichtig erscheinenden Merkmale selber herausfiltem und zusammenstellen muß. Die Bewertung, d. h. Auswahl und Gewichtung dieser Merkmale angesichts eines individuellen Textes, bleibt damit Sache des Lehrers, Teilobjektivität wird gesichert durch eine Art gemeinsamer Beschreibungssprache, deren Anwendung allerdings - wie könnte es bei diesem Gegenstand auch anders sein - eher intuitiv als nach formalen Kriterien erfolgt. In der Lehrpraxis des fremdsprachlichen Schrcibunterrichts beschränkt sich die pädagogische Rückmeldung, der feedback, weitgehend auf den Zeitpunkt nach Fertigstellung des Textes: Der Lemer schreibt einen Text, gibt ihn ab und bekommt ihn korrigiert zurück. Man kann sich fragen, ob dies der einzig mögliche Zeitpunkt ist und wenn nicht, ob er dann wenigstens der günstigste, also effizienteste Zeitpunkt für die angestrebte Änderung des Schreibkönnens ist. Im Mündlichen ist feedback und sogar korrigierender feedback ganz üblich auch im Verlauf des Diskurses, also während eines Klassengesprächs oder einer Diskussion, und nicht erst gesammelt an deren Ende (was natürlich auch vorkommt). Im muttersprachlichen Aufsatz kann feedback schon nach Abschluß der Hauptplanungsphase sinnvoll sein, etwa indem die Stoffsammlung oder erste Gliederung kritisch kommentiert wird. Wenn er im fremdsprachlichen Schreibunterricht an dieser Stelle unüblich ist, mag dies als weiteres Indiz dafür gelten, daß dort Formulierungs- und weniger Planungsprobleme das Hauptinteresse beanspruchen. Nach der Literaturübersicht in Krashen 1984 soll solch früher feedback wirkungsvoller sein als nach Fertigstellung des Textes. Das erscheint lempsychologisch plausibel: Schließlich können ja die dem Lemer bereitgestellten planerischen und sprachlichen Hilfen, wie wir sie oben referiert haben, als eine Art antizipierter feedback gedeutet werden, insofern sie potentielle Probleme des Lemers schon beim Entstehen lösen helfen und nicht erst, wenn sie den Schreibprozess tatsächlich behindern. Ist darüberhinaus effektiver, d. h. auf den bereits produzierten Text gerichteter feedback während des Schreibprozesses möglich? Dies ist eine Frage des Mediums: Mit Papier und Stift wohl nur im Einzelunterricht durchführbar, wäre er am Computer im Netzwerk und mit entsprechend ausgelegter Textverarbeitung technisch auch für Lemgruppen möglich. Erfahrungen hierzu sind uns allerdings noch nicht bekannt. Es müßte geprüft werden, ob sich in einem solchen System Phasen des Schreibprozesses herauskristallisieren, an deren jeweiligem Ende feedback sinnvoll erscheint. Auch on-line-feedback wie im Sprachlabor könnte erwogen werden, der vom Programm oder vom kontrollierenden

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Lehrer käme, im letzteren Fall allerdings wohl mit Sperrmöglichkeiten für den Lemer, um Schreibsituationen Orwellscher Prägung zu verhindern.

8. Ausblick Einer der Vorteile des Schreibmodells von Hayes/Flower liegt in seiner Dynamik: Ein Text entsteht nach diesem Modell nicht als eine lineare Sequenz von Sätzen, die, einmal produziert, unveränderlich stehenbleiben, bis der Text in seiner Gesamtheit fertig ist. Vielmehr kann der Schreiber zu jedem Zeitpunkt der Planung oder Formulierung in Schleifen zurückspringen auf schon produzierte Textstücke, er kann sie ergänzen, umstellen oder umformulieren, er kann Neues einfügen oder Überflüssiges streichen. Wir haben versucht, diese Vorstellung, die den Schreibprozeß sicherlich in einem wesentlichen Punkt charakterisiert, zu ergänzen durch einen ganz analogen dynamischen Aspekt außerhalb der individuellen Textproduktion, nämlich den des Intertextes. So wie - aus der Perspektive des Schreibenden gesehen - der Text mehrere Stadien durchläuft, ehe er aus der Hand gegeben wird, so durchläuft in der Schreibübung - von außen, vom Leser oder Lehrer her gesehen - eine inhaltiiche und/oder strukturelle Textkonstante eine Reihe von Stadien, d.h. von Intertexten. Der Kern einer Schreibübung besteht, wie wir oben dargelegt haben, aus zwei Intertexten: dem Ausgangstext und dem Zieltext. In Übungsserien kann der Ausgangstext seinerseits schon Folgetext zu vorbereitenden Parallel- oder Hintergrundtexten sein. Auf der anderen Seite ist mit dem Zieltext die Serie nicht abgeschlossen: Auf ihn folgt der Korrekturtext des Lehrers, der wiederum im Lemfortschritt als eine spezielle Art Ausgangstext für weitere Übungen dienen kann. Auf dem Wege vom Ausgangs- zum Zieltext erfährt der Schreibende vielfache Unterstützung durch Aufgabenstellung, Planungsvorschläge und Formulierungshilfen. Der Weg selbst wird durch Schreibziele festgelegt. Sie lassen sich auf unterer Ebene mit Hilfe der Sorten von Zieltexten definieren, die der Lemer schreiben können muß. Auf einer höheren Ebene kommen allgemeine kognitive und Bildungsziele hinzu. Angenommen, dies alles stelle eine plausible Landkarte des fremdsprachlichen Schreibübens dar: Wo finden sich weiße Flecken, die durch zukünftige Forschung gelöscht werden können? Wir sehen drei Gebiete, in denen Nachholbedarf besteht: in der Beschreibung und Eridärung allgemeiner fremdsprachlicher Schreibprozesse, in der Entwicklung von Schreibstrategien, die dem Lemer mehr Autonomie verschaffen und schließlich in der didaktischen Reflexion des Computers als Schreibwerk-

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zeug. Die Prozesse der fremdsprachlichen Schreibproduktion sind bisher kaum erforscht (vgl. Beitrag Krings). Besser erforscht sind Schreibprozesse in der Muttersprache einerseits (vgl. de Beaugrande 1984, Nystrand 1982), Produktionsprozesse gesprochener Sprache andererseits (vgl. Arbeiten des Kasseler KAPPA-Projekts wie Möhle/Raupach 1983 oder Dechen et al. 1984) sowie schließlich Übersetzungsprozesse (Krings 1986). Das fremdsprachliche Schreiben wird sicherlich Gemeinsamkeiten mit diesen sprachlichen Produktionsformen aufweisen, die ja auch unter sich teilweise ähnlich sind. Gemeinsamkeiten und in Abgrenzung spezifische Prozesse des Schreibens empirisch zu erfassen und systematisch herauszuarbeiten ist zweifellos eine Aufgabe, die den didaktischen Fortschritt auf diesem Gebiet in der einen oder anderen Weise befördern kann. Die Daten dazu wären durch genaue Textanalyse, durch Beobachtung der Schreibsituation und vor allem durch Introspektion zu ermitteln (vgl. Börner i. D. mit der Vorstellung einer prozeßaufzeichnenden Textverarbeitung per Computer, die die sonst schwierige Erfassung introspektiver Daten ermöglicht). Praxisbezogener als solche Grundlagenforschung ist die Entwicklung lehrbarer Schreib- und Lesestrategien, die dem Lernenden erlauben, Planungs-, Formulierungs- und Revisionsprobleme ohne Hilfe oder feedback des Lehrenden selber zu lösen. Zwar verwenden fortgeschrittene Fremdsprachenlemer in der schulischen Oberstufe oder Hochschule erwartungsgemäß eine Reihe solcher Strategien, da sie im Prinzip über die notwendige kognitive Reife sowie Sprach- und Selbststeuerungserfahrung verfügen. Vielleicht erklärt sich durch diese Erwartung auch deren fehlende fachwissenschaftliche Behandlung (vgl. etwa die einschlägigen Themenhefte 17, 19 und 23 von "Fremdsprachen und Hochschule" mit nur geringer Berücksichtigung des Schreibens). Doch reichen nach unserer Erfahrung diese Kennmisse zur Herstellung akzeptabler Texte nur bei einer Minderheit von Schülern und Studienanfängern aus. Kritisch und lehrbar scheinen zwei Bereiche: Zum einen die Fähigkeiten zur sprachlichen Analyse des oder der Vorlagetexte, oder anders ausgedrückt: die Fähigkeit, die Rezeption sprachlicher Strukturen für die Produktion nutzbar zu machen. Es scheint, daß eine wichtige Vorbedingung fürs Schreibenlemen im richtigen Lesen liegt. Dabei hängt der Erfolg, entgegen Krashen 1984, weniger am Umfang von Lesetätigkeit und Textbreite, sondern eher an der Qualität des Lesens, an der Bereitschaft, neben dem Inhalt auch die sprachliche Form zu verarbeiten (für eine psycholinguistische Deutung dieses Problems vgl. Möhle 1985). Kritisch ist zum anderen der Bereich der Selbstkorrektur gegen Ende des Schreibprozesses oder entsprechender Teilphasen, der von den meisten Lernenden in seiner Bedeutung unterschätzt wird. "Streamlining", Verdichtungsstrategien, kontrollierte lexikalische Variation sind durchaus

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geeignet, die Qualität eines Lemertextes post festum zu erhöhen. Kritisch, aber wegen fehlender Allgemeinheit oder Systematizität schwieriger zu lehren sind demgegenüber die Prozesse "dazwischen": Planen, Gliedern und vor allem Formulieren. Hier helfen weniger explizite Strategien als ein kontinuierlicher Aufbau textueller und sprachlicher Kompetenz. Als drittes Gebiet mit Forschungsbedarf muß der Computereinsatz genannt werden. Leistungsfähige Textverarbeitungen verändern Redaktionsgewohnheiten ganz erheblich und erlauben Strategien der Planung, Formulierung und Revision, die ohne Rechner nicht oder nicht so mühelos anwendbar wären. Davon sollte auch der fremdsprachliche Schreibunterricht profitieren. Zu prüfen wäre darüberhinaus, was in einer konventionellen Schreibübung sinnvoll vom Rechner übernommen werden kann (z. B. Formen der Gliederung, sprachliche, vielleicht sogar interaktive Hilfe zu Ausdrucksproblemen, Unterstützung bei der Textrevision) und was nicht (reine Textdateien, also Vorlagetexte, wenn sie umfangreich sind). Darüberhinaus müßte geprüft werden, ob der Computer Schreibübungen ermöglicht, die ohne ihn nicht durchführbar wären, wie etwa Simulationen mit hohem Schreibanteil. Hier wie auch in den anderen genannten Gebieten ist Forschung notwendig, die dem Unterricht im fremdsprachlichen Schreiben teils mittelbar, teils aber auch unmittelbar nützen kann.

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Hans P.Krings (Hildesheim)

Schreiben in der Fremdsprache Prozeßanalysen zum 'vierten skill' Abslract: The articlc deals with the question of how writing processes in a foreign language can be investigated empirically. After a brief introducüon (chapter 1.1), 17 essential questions for research in this Held are put forward (chapter 1.2). Chapter 1.3 discusses two empirical investigations carried out in Order to shed light on writing processes in the foreign language. In Chapter 1.4 methodological questions of research of this kind are discussed with special reference to the "thinking-aloud technique". The second part of the article deals with two pilot studies carried out by the author. After a brief presentation of the empirical design of these studies (chapter 2.1), the central steps taken in the analysis of the data are expJained (ch^ter 2.2). Chapter 2.3 discusses the resulis of the two studies. Ch^ter 2.4 gives a brief summary of the article and sets out some possible prospects of further research in this field.

1. Allgemeiner Teil: Zur Erforschung fremdsprachlicher Textproduktionsprozesse 1.1 Einleitung Für ältere Methodenkonzepte wie die audiolinguale oder audiovisuelle Methode war das Schreiben die "vierte" und damit nach dem Hörverstehen, Sprechen und Leseverstehen letzte Fertigkeit, sowohl was seine Stellung innerhalb einer Lehreinheit als auch seinen Stellenwert innerhalb des fremdsprachlichen Lernprozesses schlechthin betraf. Entsprechend gering war lange Zeit das Interesse von Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung an dieser fremdsprachlichen Teilkompetenz. Das scheint sich in letzter Zeit nachhaltig zu ändern. Ein Grund ist das wachsende Interesse an Fragen der Textproduktion im weitesten Sinne, von dem z.B. dieser Band als ganzer Zeugnis ablegt. Ein zweiter Grund ist die "kommunikative Wende" des Fremdsprachenunterrichts, die etwa Mitte der 70er Jahre einsetzte und mittlerweile auch zu einer Neubewertung des Schreibens im Fremdsprachenunterricht geführt hat (s. Börner i.d.Bd.; zu ähnlichen Entwicklungen im Bereich des muttersprachlichen Unterrichts s. Ludwig i.d.Bd.). Ein dritter und vielleicht entscheidender Grund ist der "Einbruch" introspektiver Verfahren in das forschungsmethodische In-

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strumentarium der Angewandten Linguistik im allgemeinen und der Sprachlehrforschung im besonderen (vgl. überblicksartig den Sammelband "Introspection in Second Language Research": Faerch/Kasper 1987a). Unterschiedliche Formen von verbalen Daten, insbesondere aber das Verfahren des sog. Lauten Denkens lassen es methodisch möglich und inhaltlich lohnend erscheinen, die lange Zeit vernachlässigte Prozeßdimension unterschiedlicher Sprachverwendungstypen, vor allem solche schriftlicher Art (Lesen, Schreiben, Übersetzen) systematisch zu untersuchen. Mittlerweile liegen zu einer ganzen Reihe wichtiger Themengebiete der Sprachlehr- und -lemforschung Untersuchungen vor, die ausschließlich oder teilweise mit introspektiven Verfahren arbeiten. Doch erst in jüngster Zeit sind solche Untersuchungen auch auf fremdsprachliche Schreibprozesse ausgedehnt worden. Im Mittelpunkt dieser Untersuchungen steht die Frage, wie fremdsprachliche Schreibprozesse mental organisiert sind. Daß die Antwort auf diese Frage nicht schon morgen auf dem Tisch liegt, dafür sorgen die vielen zu berücksichtigenden Texttypen, die Fülle der Faktoren, die den Schreibprozeß beeinflussen, die noch offene Frage nach den besten Forschungsmethoden und nicht zuletzt die bisher extrem kleine Zahl von Forschem, die sich dieser Fragen angenommen hat. Der vorliegende Beitrag kann deshalb kein state-of-the-artArtikel im üblichen Sinne sein, denn eine Kunst, die es so gut wie noch gar nicht gibt, läßt sich schlecht bilanzieren. Es handelt sich vielmehr um einen Werkstattbericht aus einem sich gerade erst konstituierenden Forschungsfeld innerhalb der Sprachlehrforschung (zum wissenschaftstheoretischen Status der Sprachlehrforschung als eigener Disziplin und zur Abgrenzung gegen "Fremdsprachendidaktik", siehe v.a. Koordinierungsgremium 1983). Eine grobe Einordnung des hier verfolgten Ansatzes ist in Abbildung 1 dargestellt. Demnach beschäftigt sich dieser mit Fragen der Textproduktion unter Prozeßgesichtspunkten, und z.B. nicht unter Aneignungsgesichtspunkten (zur Abgrenzung s. Baurmann i.d.Bd.). Er tut dies femer mit dem Ziel einer empirischen Erforschung und z.B. nicht mit dem einer rein linguistischen Modellierung (vgl. etwa die meisten der von Antos i.d.Bd. im Abschnitt "textlinguistische Ansätze" referierten Arbeiten). Er setzt dabei verbale ("introspektive") Verfahren ein und beschränkt sich somit nicht auf "harte", objektiv meßbare Beobachtungsdaten, wie z.B. temporale Variablen. Das gewählte introspektive Verfahren ist das des Lauten Denkens, während andere Arbeiten auf retrospektive Daten, also Verbalisierungen nach Abschluß der eigentlichen Textproduktion, aufbauen. Schließlich bezieht sich die vorliegende Untersuchung primär auf

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Abbildung 1: Zur Einordnung des Ansatzes

fremdsprachliche Textproduktionspiozesse. Daten von muttersprachlichen Textproduktionsprozessen werden nur zu Vergleichszwecken herangezogen. Der vorliegende Beitrag gliedert sich in zwei Hauptteile. Im ersten Teil sollen die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit fremdsprachlichen Schreibprozessen aufgelistet, die wenigen bereits vorliegenden Arbeiten referiert und methodische Probleme introspektiver Verfahren skizziert werden. Im zweiten Teil möchte ich dann das Design zweier eigener Pilotuntersuchungen vorstellen, die eingesetzten Datenanalyseinstrumente skizzieren und einige der Ergebnisse zur Diskussion stellen.

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1.2 Fragestellungen Ein konkretes Programm zur empirischen Erforschung fremdsprachlicher Textproduktionsprozesse hätte nach meiner Einschätzung vor allem folgende Fragen zu beantworten: 1. Wie gehen die Lemer an die komplexe Aufgabe heran, einen schriftlichen Text in der Fremdsprache zu produzieren (Globalvorgehen)? 2. Welche Planungsprozesse sind in der Ausführung der Textproduktionsaufgabe zu beobachten? 3. Welche sprachlichen und nichtsprachlichen Probleme treten bei der Realisierung der Pläne auf? 4. Welche Strategien setzen die Lemer zur Lösung dieser Probleme ein? 5. Wie interagieren im Textproduktionsprozeß sprachliche und nichtsprachliche Wissensstmkturen? 6. Welche Rolle spielt die Muttersprache in der Steuerung der Planungsprozesse? 7. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen muttersprachlichen und fremdsprachlichen Textproduktionsprozessen? 8. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen auf der Prozeßebene zwischen der freien fremdsprachlichen Textproduktion und verschiedenen vorlagegebundenen Formen der Textproduktion, insbesondere dem Übersetzen? 9. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen auf der Prozeßebene zwischen dem Schreiben eines fremdsprachlichen Textes und unterschiedlichen Formen der mündlichen Sprachproduktion in der Fremdsprache? 10. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen Textproduktionsprozessen in der ersten und allen später gelernten Fremdsprachen? 11. Wie beeinflussen unterschiedliche Textproduktionsaufgaben den fremdsprachlichen Textproduktionsprozeß? 12. Welche Beziehungen bestehen zwischen Textproduktionsprozeß und Textprodukt? 13. Welche Beziehungen bestehen zwischen Textproduktionsprozessen und verschiedenen Arten rezeptiver Sprachverwendungsprozesse, insbesondere dem Lesen fremdsprachlicher Texte? 14. Welche intra-individuellen und inter-individuellen Unterschiede sind in den Textproduktionsprozessen der einzelnen Lemer zu beobachten, und auf welche Faktoren sind sie zurückzuführen (Persönlichkeitsmerkmale, Kompetenzgrad in der Fremdsprache, Vertrautheit mit dem jeweiligen Texttyp usw.)?

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15. Wie lassen sich die Ergebnisse solcher Forschungen zu einer Theorie des fremdsprachlichen Textproduktionsprozesses zusammenfassen? 16. Wie groß ist der Aufschlußwert einer solchen Theorie für eine übergreifende Theorie des Fremdsprachenlemens? 17. Welche praktischen Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht legen die erzielten Forschungsergebnisse nahe, insbesondere mit Blick auf eine fremdsprachliche Schreibdidaktik? Diese Liste ist nicht exhaustiv. Hinter jeder einzelnen Frage steckt ein Erkenntnisinteresse, das jeweils in einem konkreten Diskussionszusammenhang innerhalb der Sprachlehrforschung zu sehen ist. So stehen z.B. hinter Frage 4 die intensiven Diskussionen über die Rolle von Lern- und Kommunikationsstrategien (s. exemplarisch den Sammelband von Faerch/Kasper 1983a), hinter Frage 6 die immer noch offene Kontroverse über die mutmaßlich oder tatsächlich zentrale Rolle der Muttersprache in der Steuerung fremdsprachlicher Lernprozesse (für einen Überblick siehe die Beiträge in Gass/Selinker 1983), hinter Frage 9 die wichtigen Befunde des Kasseler KAPPA-Projektes zur mündlichen Textproduktion (siehe z.B. Dechert/Raupach 1980, Möhle/Raupach 1983, Dechert/Möhle/Raupach 1984, Dechert/Raupach 1989), hinter Frage 10 die aktuelle Forschung zum Lernen der sogenannten "Tertiärsprachen" (vgl. Bausch/ Kleppin/Königs/Krings 1986), hinter Frage 11 die zentrale Bedeutung, die dem "input" bzw. "intake" beim Fremsprachenlemen beigemessen wird (vgl. v.a. Krashen 1985) usw. Die Ergebnisse der skizzierten fremdsprachenbezogenen Textproduktionsforschung sind also nicht nur um ihrer selbst willen für die Sprachlehrforschung interessant, sondern könnten deren Theoriebildung insgesamt wesentliche Impulse geben. Zum anderen ist der Fragenkatalog vor dem Hintergrund des aktuellen Diskussionsstandes in der muttersprachlichen Textproduktionsforschung zu sehen. Natürlich sind potentiell alle im Rahmen dieser Forschung erzielten Ergebnisse auch für die fremdsprachliche Textproduktionsforschung von Bedeutung. Dies gilt insbesondere für die Ergebnisse empirischer Arbeiten (für einen guten Überblick siehe Humes 1983 sowie Baurmann i.d.Bd., teilweise auch Scardamalia/Bereiter 1986), wobei in jedem einzelnen Fall wiederum empirisch zu klären wäre, ob die Ergebnisse auf das fremdsprachliche Schreiten übertragbar sind. Im vorliegenden Beitrag wird jedoch bewußt nicht dieser Weg beschritten, sondern versucht, von einem originär auf das fremdsprachliche Schreiben bezogenen Ansatz auszugehen, weil vom Erkenntnisinteresse der Sprachlehrforschung her die Frage nach der Spezifik des fremdsprachlichen Schreibens im Vordergrund steht. Das mit dem oben stehenden Fragenkatalog angedeutete Forschungsprogramm versteht sich somit als Beitrag zu einer "kontrasti-

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ven Psycholinguistik" (etwa im Sinne von Raupach 1980; vgl. auch das Konzept einer "contrastive Performance analysis" bei Faerch 1981:37). Eine Frage allerdings ist allen o.g. forschungslogisch vorgeordnet, nämlich die nach den geeigneten Methoden. Deshalb soll nach einer kurzen Vorstellung von zwei anderen empirischen Arbeiten zu fremdsprachlichen Textproduktionsprozessen in 1.3 in 1.4 auf diese Frage etwas näher eingegangen werden.

1.3 Empirische Arbeiten zum fremdsprachlichen Textproduktionsprozeß Meines Wissens gibt es zur Zeit nur noch zwei weitere Projekte, die sich unmittelbar mit Fragen fremdsprachlicher Schreibprozesse unter Einsatz introspektiver Daten beschäftigen. Königs (1988) gibt einen ersten Zwischenbericht aus einem Projekt, dessen Ausgangsfrage die nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Prozeß des Übersetzens von der Muttersprache in die Fremdsprache einerseits und des freien Schreibens in der Fremdsprache andererseits ist. Königs läßt seine Versuchspersonen zunächst einen ca. 2(X) Wörter umfassenden Text für einen touristischen Werbeprospekt über München auf Spanisch frei schreiben, ausgehend von einigem Bildmaterial als Vorlage. Anschließend läßt er die gleichen vier Versuchspersonen den tatsächlichen Werbetext aus der Broschüre (ebenfalls ca. 2(X) Wörter lang) ins Spanische übersetzen. Bei beiden Aufgaben wird das Verfahren des Lauten Denkens eingesetzt. Außerdem wurden durch Interviews Hintergrund-Informationen zur Lembiographie der Versuchspersonen eingeholt. Die Versuchspersonen waren fortgeschrittene Spanisch-Studenten an der Universität Bochum. Das Gesamtdatenkorpus für die vier Versuchspersonen hat eine Tonträgeraufzeichnungslänge von 672 Minuten und umfaßt transkribiert 114,5 Seiten. Die Ergebnisse der Studie liegen noch nicht in zusammenhängender Form vor. Der hier zugrundegelegte Zwischenbericht stellt im wesentlichen das Design der Arbeit vor und referiert punktuelle Beobachtungen an einer der vier Versuchspersonen, die lt. Verfasser nicht generalisiert werden können (a.a.O.: 112). Königs stellt bei dieser Versuchsperson in der Übersetzungsaufgabe eine wesentlich größere Zahl von fremdsprachlichen Problemen fest (ca. 70) als bei der Schreibaufgabe (ca. 30), was er durch die Möglichkeit der Lemer erklärt, beim Schreiben "durch andere Formulierungen oder durch Aufgabe des Konzepts diesen Problemen aus dem Weg zu gehen" (a.a.O.: 109). Interessant ist auch, daß die Versuchsperson bei der freien Schreibaufgabe nur dreimal, bei der Hinübersetzung jedoch

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41 mal Gebrauch von Wörterbüchern macht. Lt. Königs gehört der Wörterbuchgebrauch beim Hinübersetzen "zum selbstverständlichen Ritual", während er beim freien Schreiben von dieser Versuchsperson so weit wie möglich umgangen wird (a.a.0.:113). Hinsichtlich der Ausgangsfrage nach den Unterschieden zwischen dem Übersetzungs- und dem Schreibprozeß liefert die Versuchsperson noch keine eindeutigen Befunde. Ihr "mentales Vorgehen beim Ä^emdsprachlichen Schreiben und beim Hinübersetzen verläuft in Teilen identisch bzw. ähnlich, in anderen aber relativ unähnlich" (a.a.O.: 113). Auch der Befund hinsichtlich der Rolle der Muttersprache im Schreibprozeß erscheint eher unspczifisch, wenn Königs feststellt, "daß Horst keine feste mentale Strategie bei der Abfassung eines freien Textes in der Fremdsprache zu verfolgen scheint. Es gibt Passagen, in denen zur Problemlösung die Muttersprache gar nicht oder zumindest nicht sichtbar herangezogen wird, femer solche, in denen man das durchaus sehen kann, und schließlich solche, in denen beide Sprachen systematisch miteinander konfrontiert werden" (a.a.O.: 109). Hier wäre natürlich zu klären, bei welchen Produktionsproblemen welche Einflußfaktoren der Muttersprache in welcher Form wirksam werden. Insgesamt darf man auf den endgültigen Projektbericht mit der detaillierten Darstellung der Ergebnisse sehr gespannt sein. Das Projekt von Börner (i.D.) zeichnet sich vor allem durch das originelle Versuchsdesign aus. Wiederum vier Versuchspersonen, Französisch-Studierende im 5. - 9. Semester der Universität Hamburg hatten die Aufgabe, ausgehend von Zeichnungen drei unterschiedliche Typen der Jugendszene sprachlich zu porträtieren und zu jedem eine Art Kurzbiographie zu erfinden. Diese Textproduktionsaufgabe in Französisch fand dabei unmittelbar an einem Personal-Computer mit Hilfe eines vom Versuchsleiter selbst für schreibdidaktische Zwecke erstellten Textverarbeitungsprogramms statt (DET = Didaktischer Editor). Dieses Programm umfaßt einen "FuUScreen-Editor mit allen wesendichen Editier-Funktionen, die Verwaltung von zwei unabhängigen Textfenstem (etwa für Gliederung und Haupttext), umfangreiche Programmhilfsfunktionen sowie - speziell für Sprachlehrzwecke - eine integrierte sprachliche Hilfe, über die Wortschatz, Grammatik und textgrammatische Strukturen abgerufen werden können". Für die Zwecke der Datenerhebung verfügt das System zusätzlich über eine "Echo-Funktion", d.h. es "speichert sukzessive den Redaktionsfortschritt mit allen Lösch-, Zusatz- und Korrekturschleifen usw. ab, ohne daß der Schreibprozeß dabei beeinträchtigt wird". Durch diese EchoFunktion können nach erfolgter Textproduktion alle Teilschritte vollständig und systematisch in ihrer originalen Reihenfolge rekonstruiert und am Bildschirm erneut sichtbar gemacht werden (Cursor-Bewegungen, Lö-

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sehen, Einfügen, Blättern, Fensterwechsel, Formatieren, Hilfesuche usw.). Außerdem hält das Programm automatisch die zeiüichen Abstände zwischen allen aufeinanderfolgenden Betätigungen der Eingabetasten fest, insofern ein vorab definierter zeitlicher Mindestabstand von zwei Sekunden überschritten wird. Die Echo-Funktion dieses interessanten Programms nutzt Börner nun zur Erhebung retrospektiver verbaler Daten. D.h., anders als beim Lauten Denken, das während der Ausführung der jeweiligen Sprachproduktionsaufgabe stattfindet, schreiben die Versuchspersonen hier zunächst den Text ganz normal auf dem Computer. Unmittelbar nach Fertigstellung des Textes (durchschnittliche Dauer: 1 bis 1 1/2 Std.) wurde den Versuchspersonen dessen Entstehen schrittweise mit Hilfe der Echo-Funktion vorgespielt einschließlich der jeweiligen Pausenlängen in der Tastenbetätigung. Sie hatten dabei die Aufgabe zu sagen, "woran sie sich spontan erinnerten", sie sollten jedoch "keine systematischen Rekonstruktionsversuche vornehmen". Auch wurde ihnen explizit die Maxime gegeben: "Lieber schweigen als etwas post festum erfinden". Der Versuchsleiter stellte auch Nachfragen, bat um Erläuterungen usw. Diese retrospektiven Verbalisierungen wurden auf Tonträger aufgezeichnet. Alle Daten wurden dann zu Protokollen aufgearbeitet, die vier Ebenen umfassen: die endgültige Textversion, die Pausen beim Zustandekommen derselben in Sekunden (Minimum: 2 Sek., evti. Textvarianten, die im Laufe des Redaktionsprozesses gelöscht, ersetzt oder erweitert wurden, einschließlich der Pausen innerhalb derselben, sowie das "z.T. vereinfachte Transkript" aus den retrospektiven Verbalisierungen, wiedergegeben unter den Textpassagen, auf die sich die Verbalisierungen jeweils bezogen. Insgesamt entsteht so ein kombinierter Produkt-ftozeßDatensatz, der als Grundlage der weiteren Analysen dient. Als Begründung für die Verwendung eines retrospektiven Ansatzes, auf den in der Sprachlehr- und -lemforschung bisher eher selten zurückgegriffen worden ist (s. aber z.B. Poulisse/Bongaerts/Hellerman 1987), führt Börner gewisse Nachteile des Lauten Denkens, speziell beim Einsatz im Rahmen von Schreibprozessen, an. Eine schriftliche Textproduktionsaufgabe in der Fremdsprache impliziert nach Börners Meinung "subtile Übergänge" zwischen eher muttersprachlich und eher fremdsprachlich gesteuerten Planungsprozessen, die durch das in der Muttersprache ablaufende Laute Denken nachhaltig gestört bzw. verändert werden könnten. Auch reagierten seine Versuchspersonen "eher unwillig auf die Zumutung, in der LI laut zu denken". Sie waren eher gewöhnt, "so einsprachig (fremdsprachig) wie möglich zu planen, zu formulieren und zu revidieren". Wegen dieser Bedenken plädiert Börner im Zusammenhang mit Schreibprozessen für den Einsatz retrospektiver Verfahren, obowhl er

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sich deren Nachteile auch bewußt ist: Die Verbalisierungen entstehen nicht zu dem Zeitpunkt, zu dem die Prozesse, auf die sie sich beziehen, noch im Kurzzeitgedächtnis präsent sind, sondern es fmdet eine zwischenzeitliche Abspeicherung im Langzeitgedächtnis statt, die zu weitgehenden Selektions-, Reduktions-, Abstraktions- und Elaborationsprozessen führen kann. In der Kognitionspsychologie sind deshalb häufig wesentlich größere Bedenken gegen den Einsatz retrospektiver Verbalisierungen geäußert worden als gegen das Laute Denken (s. dazu namentlich die Unterscheidung von level 1-, level 2- und level J-Verbalisierungen bei Ericsson/Simon, siehe 1.4). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein punktueller Validitätstest, den Börner an seinen Daten vornahm. An einigen Stellen wurden beim Vorspielen der Echo-Version Pausen angezeigt, die im tatsächlichen Produktionsverlauf gar nicht aufgetreten waren. Die Mehrheit dieser falschen Pausen wurden von den Versuchspersonen in den Retrospektionsphasen genau wie die echten Pausen nicht kommentiert. In der Hälfte der Fälle, in denen die Pausen kommentiert wurden, wurde diesen ein bestimmtes Problem oder eine andere Begründung zugeordnet. Dies zeigt zumindest, daß die retrospektive Zuordnung von Pausen zu subjektiven Problemen zum Zeitpunkt des Textproduktionsprozesses problematisch ist. Trotzdem sieht Börner in diesem punktuellen Befund keinen Grund für prinzipielle Zweifel an der Validität seiner Daten, weil seiner Meinung nach diese Zuordnung aus gedächtnispsychologischen Gründen sehr störanfällig ist, nicht jedoch die Problemerinnerung selbst. Hinsichtlich der Ergebnisse dieser Studie, die von ihrem Autor ausdrücklich als Pilot-Untersuchung mit begrenzter Generalisierbarkeit charakterisiert wird, berichtet Börner zunächst von deutlichen interindividuellen Unterschieden. Diese bestanden z.B. auf der Ebene der Gliederung bzw. Vorplanung. Das beobachtete Verhalten der Versuchspersonen reichte hier vom Abbruch des Konzepttextes nach zwei Sätzen bis hin zur Erstellung eines Vortextes im Umfang der Hälfte des Haupttextes. Aber auch die Werte der eingesetzten quantitativen Parameter variierten erheblich. So lag z.B. die Zahl der von den Versuchspersonen produzierten Wörter pro Minute zwischen 2,4 und 7,4. In meinem ersten Datensatz variierten sie immerhin noch zwischen 1,7 und 3,7 Wörtern pro Minute. Die insgesamt geringere Textproduktions-Geschwindigkeit in meinem Datensatz erklärt sich zum einen durch den slow-down-Effda des Lauten Denkens, zum anderen aber möglicherweise auch durch die schwerere Textsorte (Bewerbungsschreiben, vgl. 2.1 und 2.3). Interessant ist auch der prozentuale Anteil der Pausen (über 2 sec.) an der Gesamtdauer der Textproduktion: Er schwankte zwischen 53% und 71% (in meinem Datenkorpus:

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zwischen 16% und 53%). Ein Teil dieser Pausenzeit ist dabei allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Bedienung des Textverarbeitungssystems zurückzuführen. Auch hinsichtlich des Verbalisierungsumfangs bestehen erhebliche Unterschiede: Die Zahl der kommentierten Textstellen liegt zwischen einem Minimum von 26 und einem Maximum von 50 (zum Verdacht unterschiedlicher "Verbalisierungswilligkeit" der Versuchspersonen s. Krings 1986b:274ff.). Allerdings berichtet Börner auch von Gemeinsamkeiten in den Textproduktionsprozessen der vier Versuchspersonen. So bestehen z.B. erkennbare Obergrenzen für den Umfang von Textpassagen, die in einem Zug, also ohne Pausen, produziert werden. Diese sind meistens in Form von Satz- bzw. Teilsatzgrenzen gegeben. Auch fehlen Pausen typischerweise innerhalb bestimmter syntaktischer Strukturen, die somit häufig als zu gleichen Planungseinheiten gehörend betrachtet werden können, z.B. Artikel + Nomen, akjektivisches Possessivum + Nomen, Demonstrativum + Nomen, Auxiliarverb + Partizip in zusammengesetzten Zeiten usw.. Für detaillierte Aussagen zu Art und Umfang von Planungseinheiten in Schreibprozessen bezeichnet Börner sein Korpus allerdings als zu klein. Insgesamt bietet die Studie von Börner sowohl methodisch als auch auf der Ebene der Ergebnisse vielfältige Anregungen für weitere Untersuchungen. Zwar setzt sein Instrumentarium grundsätzlich eine Textproduktion am Computer voraus und blendet das traditionelle Verfassen von Texten mit Papier und Bleistift aus. Doch dürfte dieser Nachteil durch die Arbeitserleichterung bei der Aufbereitung der Daten durch die automatische Rekonstruktion des Texterstellungsprozesses mehr als aufgewogen werden. Außerdem nehmen die Textproduktionen, die am Computer erfolgen, ständig zu und sind längst kein Sonderfall mehr. Es bleiben allerdings die grundsätzlichen Bedenken gegen die retrospektive Datenerhebung, die, wie auch die Daten von Börner zeigen, nie den gesamten Textentstehungsprozeß, sondern immer nur mehr oder weniger zufällig von den Versuchspersonen behaltene Teile derselben erhellen können. Sie sind deshalb meiner Meinung nach nicht als Ersatz, wohl aber als wertvolle Ergänzung von LD-Daten von Nutzen. Beide können durchaus auch innerhalb eines E)esigns miteinander verbunden werden. Mit Börners Didaktischem Editor ist dabei ein hervorragend geeignetes Verfahren zur Erhebung solcher retrospektiven Zusatzdaten gewonnen.

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1.4 Introspektive Methoden Wie in 1.3 gesehen, arbeiten die wenigen zu fremdsprachlichen Textproduktionsprozessen bisher durchgeführten empirischen Untersuchungen alle mit introspektiven Verfahren. Die Qualität der dabei erzielten Ergebnisse steht und fällt also mit der Qualität dieser Verfahren - Grund genug, sich mit diesen ausführlich auseinanderzusetzen. Dies kann im Rahmen dieses Beitrags allerdings nicht geschehen. Im folgenden muß ich mich vielmehr auf eine kurze Problemskizze beschränken. Introspektive Verfahren haben in der Psychologie eine ebenso lange wie kontroverse Geschichte (einen Überblick vermitteln Borsch 1986, Weidle/Wagner 1982). Mit der Überwindung des Behaviourismus als dominantem Paradigma der Psychologie kam es auch zu einem Wiederaufleben dieser Tradition, jedoch mit neuen Akzenten. Entscheidende Impulse gingen dabei von der Kognitionspsychologie aus, in der gerade in den letzten Jahren die Diskussion, die an sich nie ganz versiegt war (siehe z.B. die Beiträge von Bakan 1954, Radford 1974, Lieberman 1979, White 1980; eine ausführliche Darstellung der Geschichte introspektiver Verfahren in der Psychologie enthält die Monographie von Lyons 1986), verstärkt geführt wird. Dabei ist sowohl eine Erweiterung der Perspektive von den historischen Formen der "Introspektion" zu einer breiten Skala unterschiedlicher "verbaler Daten" als auch eine systematischere Beschäftigung mit den Fragen der Erhebung und Auswertung solcher Daten zu beobachten (siehe insbesondere Ericsson/Simon 1980, 1984, Huber/ Mandl 1982a). Die Sammelbezeichnung "verbale Daten" (englisch meistens "verbal report data") verweist dabei auf eine Reihe unterschiedlicher Datenerhebungsformen, deren gemeinsames Merkmal darin besteht, daß die Versuchspersonen zu Verbalisierungen von Gedanken, Empfindungen, Einstellungen und dgl. aufgefordert werden und daß diese Verbalisierungen als Daten systematisch dokumentiert und analysiert werden. Dabei sind eine Reihe von Differenzierungen zu beachten, von denen die folgenden drei im Hinblick auf die Diskussion über den Wert introspektiver Daten die wichtigsten sein dürften: - Der Gegenstand der Verbalisierungen, d.h. das, worauf sich diese überhaupt beziehen (z.B. Denkabläufe bei standardisierten Problemlösungsaufgaben in der Kognitionspsychologie oder handlungsleitende Pläne von Lehrern in der Unterrichtsvorbereitung oder Unterrichtsdurchführung) - Die zeitliche Beziehung zwischen den Handlungen oder Prozessen, auf die sich die Verbalisierungen beziehen, und den Verbalisierungen selbst. Die meisten Arbeiten unterscheiden mindestens zwischen Verbalisierungen während der Handlungen/Prozesse (concurrent verbalization) und

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solchen, die erst nach Ablauf der Handlungen/der Prozesse vorgenommen werden (retrospective probing, z.B. Ericsson/Simon 1980:218). Entsprechend sprechen Huber/Mandl (1982b: 18) von "periaktionalem" vs. "postaktionalem" Zugang zu kognitiven Prozessen. Da beim postaktionalen Zugang der zeitliche Abstand unterschiedlich groß sein kann, wird häutig weiter zwischen Verbalisierungen unmittelbar nach Ablauf der Handlungen/Prozesse und solchen, die zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden, unterschieden ("immediate retrospection" vs. "delayed retrospection", z.B. bei Cohen/Hosenfeld 1981:285ff.). - Der Grad der Strukturiertheit der Verbalisierungsaufgabe, so wie sie durch den Versuchsleiter oder die Versuchsinstruktion vorgegeben wird. Sie ist beim Verfahren des Lauten Denkens am geringsten. Die Versuchspersonen sollen alles, was ihnen bei der Ausführung der jeweiligen Aufgabe durch den Kopf geht, ohne irgendeine Art von Selektion verbalisieren. In dem Maße, in dem von den Versuchspersonen eine Selektion der Verbalisierungen unter einem bestimmten inhaltiichen Gesichtspunkt erwartet wird, nimmt der Grad der Strukturiertheit zu (z.B. Gruppendiskussion, narratives Interview, fokussiertes Interview, Fragebogen). Eine weitere Strukturierung ergibt sich durch den Grad der Abstraktheit der Verbalisierungsaufgabe, je nachdem, ob diese an einem konkreten, den Versuchspersonen unmittelbar gegenwärtigen Ereignis festgemacht wird oder in generalisierter Form eingeholt wird (z.B.: "Wie sind Sie bei der Sinnerschließung dieses unbekannten Wortes vorgegangen?" vs. "Wie gehen Sie normalerweise bei der Sinnerschließung unbekannter Wörter in einem Text vor?"). Da der Begriff "Introspektion" häufig auf der Grundlage der ersten dieser drei Differenzierungskriterien, nämlich dem der zeitiichen Distanz, als Gegenbegriff zu "Retrospektion" benutzt wird (z.B. bei Cohen/Hosenfeld 1981:285ff.), er manchmal aber auch mit Selbstbeobachtung des Forschers identifiziert wird (siehe z.B. "introspection proper" bei Cavalcanti 1982:75 beschrieben als: "Analyst-observer reports on mental events"), er schließlich gleichzeitig als Oberbegriff für alle Verfahren fungiert, in denen Verbalisierungen von Versuchspersonen eingesetzt werden, verwende ich den Introspektionsbegriff im folgenden nur in diesem letzten allgemeinen Sinne und spreche ansonsten präziser von einem bestimmten, jeweils konkret zu benennenden Typ verbaler Daten (zu unterschiedlichen Möglichkeiten, verbale Daten zu klassifizieren siehe z.B. Huber/Mandl 1982b:23). Worin bestehen nun die Kontroversen in der Einschätzung verbaler Daten und welche Bedeutung haben diese für den Einsatz des Lauten Denkens

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als Datenerhebungsinstrutnent zur Erforschung von Textproduktionsprozessen? Einigkeit besteht zunächst darüber, daß eine Interpretation von verbalen Daten nur auf der Grundlage eines theoretischen Modells möglich ist, was immer auch die latente Gefahr eines hermeneutischen Zirkels beinhaltet (Ericsson/Simon 1980:223). Die Wahl des theoretischen Modells hängt v.a. vom Forschungsgegenstand ab, auf den man mit der Erhebung verbaler Daten abzielt. So gehen z.B. Huber/Mandl für den Bereich der "handlungsrelevantcn Kognitionen" von einer allgemeinen Handlungstheorie aus, Wagner et al. (1977:246f.) vom Symbolischen Interaktionismus und Ericsson/Simon von einem Informationsverarbeitungsmodell. Einigkeit besteht auch noch darüber, daß Introspektion ein ausgezeichnetes Verfahren zur Gewinnung von Forschungshypothesen sein kann (diese Position wird für den Bereich der Sprachlehr- und -lemforschung z.B. explizit von Seliger vertreten, 1983:184f.). Die eigentliche Kontroverse beginnt, wenn es darum geht, die Erhebung und Auswertung verbaler Daten nicht als bloße Zuarbeit für die "seriösen", meist quantitativ ausgerichteten Verfahren der kontrollierten Fremdbeobachtung in standardisierten Experimentalsituationen, sondern als selbständiges Forschungsinstrument mit theoriebildender Funktion zu betrachten. Die Gegner verbaler Daten stellen deren Validität grundsätzlich in Zweifel (exemplarisch Nisbett/Wilson 1977; für den Bereich der Sprachlehrforschung siehe Seliger 1983:135, der die Befürworter verbaler Daten als "the 'psychoanalytic' school of second language acquisition" abqualifiziert; ähnlich skeptisch Bialystok 1983:1(X)). Die Verbalisierungen stünden weder zu den mentalen Prozessen noch zu handlungsleitenden Kognitionen in einem systematischen Zusammenhang. Statt authentische Berichte über Prozesse und Kognitionen zu geben, produzierten die Versuchspersonen aus ihren subjektiven Alltagstheorien über menschliches Handeln abgeleitete Pseudoericlärungen, die zu einer zwar unbeabsichtigten, aber doch systematischen Irreführung der Forscher führten. Bedingt durch die Erwartungshaltung, der sich die Versuchspersonen durch die Befragungssituation ausgesetzt sähen, rekonstruierten sie handlungsleitende Kognitionen auch dort, wo solche gar nicht an der Handlung beteiligt waren, z.B. weil die Prozesse automatisiert abliefen. Da solche Erklärungen der Versuchspersonen meist aus Alltagswissen abgeleitet sind, klingen sie häufig plausibel. Die als Folge zu beobachtende Inkonsistenz von Handlungen und Verbalisierungen läßt die letztgenannten dann als Instrument der Forschung wertlos erscheinen. Die Verteidigung verbaler Daten ist in der elaboriertesten Form von Ericsson/Simon vorgetragen worden (v.a. 1984). Ohne daß ich hier auf Einzelfragen eingehen kann, z.B. die methodische Kritik an einzelnen Ex-

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perimenten, die die Unbrauchbarkcit verbaler Daten beweisen sollten, möchte ich die Position von Ericsson/Simon hier grob skizzieren, weil sie auch für den vorliegenden Beitrag von zentraler Bedeutung ist Die beiden Autoren bestreiten zunächst nicht, daß es Fälle von Inkonsistenz zwischen Handlungen und Verbalisierungen gibt und daß Verbalisierungen keine Eins-zu-Eins-Abbildungen von mentalen Prozessen sind, sondern behaupten nur, daß die VerbaHsierungen von Versuchspersonen eine wertvolle Datenquelle sind, die es nach Maßgabe eines theoretischen Modells systematisch zu analysieren und zu interpretieren gilt: We will conceive of the recorded verbalizations as data... to be accounted for by a corresponding model... This means that we will not assume that the verbalized description accurately reflects the internal sttucture of processes or of heeded information, or that it has any priviledged status as a direct Observation. (Ericsson/Simon 1980:217)

Die Autoren sehen die Hauptursache für die mangelnde Validität mancher verbaler Daten im falschen "probing". D.h., es wurde eine für die jeweilige Fragestellung ungeeignete Verbalisierungsart gewählt, oder diese wurde methodisch mangelhaft angewendet. Hier werden nun die eingangs getroffenen drei Differenzierungen wieder relevant, insbesondere die nach dem zeitlichen Abstand zwischen Prozeß/Handlung einerseits und Verbalisierung andererseits. In der Tat stellt man bei näherem Hinsehen fest, daß sich sämtliche experimentellen Befunde, die gegen verbale Daten ins Feld geführt wurden, auf retrospektive Verbalisierungen und nicht auf das "concurrent probing" in Form des Lauten Denkens beziehen. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Verbalisierungsarten besteht darin, daß beim Lauten Denken die Informationen, die den Verbalisierungen zugrunde liegen, unmittelbar aus dem Kurzzeitgedächtnis der Versuchspersonen abgerufen werden, während bei einem retrospektiven Zugriff die Informationen im Langzeitgedächtnis der Versuchspersonen wieder aufgefunden werden müssen, was durch spezielle retrieval-Prozessc geschieht. Der Rückgriff auf das Langzeitgedächtnis ist jedoch mit einer Neukodierung verbunden, die häufig ein Element der Selektion, Interpretation oder Elaboration enthält (Norman/Rumelhart 1975). In solchen Fällen ist also mit Verzerrungen und Verbalisierungs-Handlungs-Inkonsistenzen zu rechnen. Das gleiche gilt, wenn von den Versuchspersonen Verbalisierungen zu Prozessen verlangt werden, die automatisiert ablaufen. In diesem Fall können die Versuchspersonen gar nicht anders, als aus ihrem Alltagswissen plausible Eiklärungen zu konstruieren, weil Verbalisierungen immer Bewußtsein für die Prozesse voraussetzen. Ericsson/ Simon treffen deshalb die grundlegende Feststellung, daß verbale Daten nur dort zuverlässig Aufschluß über tatsächlich abgelaufene Prozesse geben, wo diese Prozesse auch im Rahmen des normalen (nicht durch die Verbalisierungsaufgabe beeinflußten) Ablaufs der Handlungen oder Pro-

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zesse im Kurzzeitgedächtnis der Versuchspersonen verarbeitet worden wären. Dieser Grundgedanke wird ergänzt und präzisiert durch die Differenzierung nach der Art der Prozesse im Kurzzeitgedächtnis, auf die sich die Verbalisierungen beziehen. Wenn es sich um Prozesse handelt, die im Kurzzeitgedächtnis selbst in sprachlich kodifizierter Form ablaufen, sprechen Ericsson/Simon von "level 1 "-Verbalisierungen. Wenn die Informationen im Kurzzeitgedächtnis in nicht-verbaler, sondern z.B. in bildhafter Form gespeichert sind (z.B. bei bestimmten Problemlösungsaufgaben, die Operationen mit geometrischen Figuren einschließen), sprechen sie von "level 2"-Verbalisierungen. Und wenn die Verbalisierungen zusätzlich ein Element der Selektion, Filterung, Abstraktion oder Elaboration enthalten, von "level 3"-Verbalisierungen (vgl. das dritte der o.a. Differenzierungskriterien). Auf der Grundlage ihres Informationsverarbeitungsmodells kommen die Autoren so zu der generellen Einschätzung, daß der Verfälschungseffekt von verbalen Daten für das "retrospective probing" größer ist als für das "concurrent probing" (zu dem das Laute Denken gehört) und innerhalb der letzteren für /eve/5-Verbalisierungen größer als für /eve/2-Verbalisierungen. Mit anderen Worten: Der Verfälschungseffekt der Verbalisierungsaufgabe ist dort am geringsten, wo mit Hilfe des Lauten Denkens ohne Selektion oder Absü-aktion von den Versuchspersonen Verbalisierungen zu Prozessen geliefert werden, die im Kurzzeitgedächtnis selbst bereits in sprachlich kodifizierter Form ablaufen. Genau das aber ist bei Textproduktionsprozessen der Fall. Aufgrund verschiedener experimenteller Befunde sagen die Autoren für diese Art verbaler Daten voraus, that thinking aloud will not change the course and structuie of the cognitive processes. Nor will verbalizations under these conditions slow down the processes" (Ericsson/Simon 1980:227)

Mit den größten Verzerrungen ist dagege bei retrospektiven Verbalisierungen, die in großem zeitiichen Abstand zur Verarbeitung der relevanten Informationen im Kurzzeitgedächtnis stattfinden, zu rechnen, v.a. dann, wenn durch die Verbalisierungsinstruktion von den Versuchspersonen zusätzlich eine inhaltliche Eingrenzung, eine Abstraktion oder gar eine Reaktion auf hypothetische Situationen verfangt wird. Man beachte, daß das Modell von Ericsson und Simon für keine dieser Verbalisierungsarten voraussagt, daß die Verbalisierungen eine vollständige Wiedergabe von mentalen Prozessen sind. Automatisierte Prozesse werden nach diesem Modell gar nicht und nicht-automatisierte, das Kurzzeitgedächtnis involvierende Prozesse nur zu einem Teil verbalisiert. Der entscheidende Punkt ist, daß mit Hilfe dieses Modells erklärt werden kann, wann und warum Verbalisierungen nur ein verzemes Bild der mentalen Prozesse vermitteln.

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Natürlich sind mit dem Modell von Ericsson und Simon nicht alle Fragen gelöst und alle Zweifel zerstreut, die im Zusammenhang mit dem Lauten Denken als methodischem Verfahren zur Gewinnung von Prozeßdaten auftreten können. Doch liegt mit diesem Modell erstmals ein fundierter theoretischer Rahmen für die Erhebung, Interpretation und vor allem Bewertung von introspektiv gewonnenen Daten vor. Die Arbeiten von Ericsson und Simon haben sich deshalb als außergewöhnlich fruchtbar für Prozeßforschungen inneiitalb der Sprachlehrforschung erwiesen. So liegen mittlerweile zu einer ganzen Reihe wichtiger Themenbereiche mit introspektiven Verfahren arbeitende Untersuchungen vor: - zum fremdsprachlichen Leseprozeß (Cavalcanti 1982, Cohen et al. 1979, Hosenfeld 1976,1977,1979a, Hosenfeld et al. 1981, Rubin/Henze 1981); - zum Übersetzen (Sandrock 1982, Gerloff 1986, 1987, 1988, Höhlscher/Möhle 1987, Königs 1986, Krings 1986a, Lörscher 1986) - zu Lern- und Kommunikationsstrategien (Hosenfeld 1979b, Rubin 1981, Glahn 1980) - zum Wortschatziemen (Cohen/Aphek 1980,1981); - zur subjektiven Bedeutung von Fehlem (Cohen/Robbins 1976); - zum lexikalischen Inferenzieren (Haastrup 1987); - zum Testen (Cohen 1984, Grotjahn/Stemmer 1985, Feldmann/Stemmer 1987, Feldmann/Grotjahn/Stemmer 1986). Einen Überblick und eine erste Bestandsaufnahme zu den wichtigsten Projekten nüt introspektiven Daten vemrüttelt der Sammelband von Faerch/Kasper 1987. Die wachsende Bedeutung introspektiver Daten im weiteren Sinne spiegelt sich schließlich auch in vielen der empirischen Designs wider, die auf der vierten Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts vorgestellt wurden (s. die Beiträge von Bausch, Börner, Bredeila, Glaap, Knapp, Krumm, Lauerbach, Reich, Schwerdtfeger in Bausch et al. 1984). Trotzdem bleibt grundsätzlich festzustellen, daß mit introspektiven Daten innerhalb der Sprachlehrforschung arbeitende empirische Untersuchungen, und dies gilt auch für meine im zweiten Teil des Beitrags beschriebenen eigenen Untersuchungen, mit dem Vorbehalt einer noch unentschiedenen Grundsatzdiskussion innerhalb der Psychologie, insbesondere der Kognitionspsychologie, zu versehen sind. Denn es liegt auf der Hand, daß im Rahmen der Anwendung introspektiver Verfahren für spezifische Fragestellungen innerhalb der Sprachlehrforschung nicht gleichzeitig psychologische Grundlagenforschung betrieben werden kann, sondem daß die Sprachlehrforschung hier in einem gewissen forschungsmethodischen Abhängigkeitsverhältnis zur Psychologie als Bezugswissenschaft steht.

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Dieser grundsätzliche Vorbehalt ist bei den folgenden Ausführungen zur Anwendung des Lauten Denkens im Rahmen meiner eigenen Untersuchungen im Auge zu behalten. In Abschnitt 2.4 werde ich auf die Methodenfrage noch einmal zurückkommen.

2. Spezieller Teil: Aus zwei Pilot-Untersuchungen 2.1 Zum empirischen Design Die beiden eigenen Untersuchungen, über die ich nun im verbleibenden Teil des Beitrags berichten möchte, hatten explorativen Charakter. Für einen eng umrissenen Bereich sollten erste Hypothesen über die psycholinguistische Struktur von Textproduktionsprozessen in der Fremdsprache entwickelt sowie forschungsmethodische Erfahrungen mit der Anwendung introspektiver Verfahren in diesem Bereich gesanunelt werden. Die beiden Untersuchungen haben außerdem Pilotfunktion für eine geplante größere empirische Studie, die, aufbauend auf den erzielten Ergebnissen, eine Reihe inhaltlich konkretisierter Fragestellungen mit einem methodisch verbesserten Untersuchungsinstramentarium systematisch angehen soll. Die erste der beiden Pilotuntersuchungen wurde bereits 1986 durchgeführt (vgl. Krings 1986b). Damals lagen meines Wissens noch keine anderen mit introspektiven Verfahren arbeitenden empirischen Untersuchungen zu fremdsprachlichen Schreibprozessen vor. Vier Versuchspersonen hatten die Aufgabe, sich ausgehend von einer Zeitungsannonce um eine OM-pa/r-Stellung in einer französischen Familie zu bewerben. Der dazu von mir zusammen mit einer französischen Muttersprachlerin entwickelte Annoncentext lautete: Familie frangaise cherche 6tudiant(e) allemand(e) de bonne famille (ayant des connaissances en fran^ais) pour aider nos enf^ants (fille 17 ans, gar^on 18 ans) ä pr6parer l'^preuve d'allemand au baccalaur6at; dur^e envisagäe pour le s^jour 6 mois; chambre particuli^ (TV, salle de bains); argent de poche possible; £crire en fran^ais ä M Bouigond-Latour, 18, avenue du Chäteau, 78100 St-Germain-en-Laye.

Versuchspersonen waren vier Französischstudenten und -Studentinnen der Universität Bochum im Hauptstudium, die über Frankreich-Erfahrungen verfügten. Ihnen wurde erst nach dem Versuch mitgeteilt, daß es sich um eine fiktive Annonce handelte. Sie hatten die Aufgabe, ein schriftliches Bewerbungsschreiben zu verfassen und dieses dabei in eine möglichst "versandfertige" Form zu bringen. Weitere inhaltliche und/oder formale Vorgaben wurden nicht gemacht. Dieser Aufgabentyp wurde gewählt, weil er in günstiger Weise eine geringe Vorlagegebundenheit mit einem

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festen kommunikativen Rahmen verband, wie er für die Durchführung der Schreibaufgabe und die Vergleichbaikeit der individuellen Lösungen wünschenswert erschien. Es zeigte sich, daß trotz der leichten Überzeichnung des Textes (z.B. "de bonne famiile") keine der Versuchspersonen dessen Authentizität in Frage stellte und folglich alle mit dem entsprechenden Engagement an die Aufgabe herangingen, zumal Auslandsaufenthalte wie der durch die Anzeige in Aussicht gestellte durchaus in den persönlichen Vorstellungsbereich der Versuchspersonen fielen (z.B. zur Examensvorbereitung). Insgesamt darf man hinsichtlich des kommunikativen Rahmens dieser Textproduktionsaufgabe wohl von einer (Fast-) real-life Situation (vgl. Beneke 1979) sprechen. Die Versuchspersonen hatten die Aufgabe, während des gesamten Textproduktionsprozesses "laut zu denken", d.h. alles, was ihnen beim Schreiben durch den Kopf ging, laut und ohne irgendeine Art von Selektion zu äußern. Vor Beginn des Experiments hatten sie Gelegenheit, diese Technik an einem kürzeren Übungstext zu erproben. Durch informelle Gespräche vor und nach den Experimenten wurde versucht, für eine entspannte Atmosphäre zu sorgen. Zum Zweck der Versuche teilte der Versuchsleiter den Probanden mit, daß es um die Erforschung von Prozessen beim Schreiben gehe. Detailliertere Angaben wurden nicht gemacht. Es wurde jedoch betont, daß die Experimente nicht den Charakter von Sprachkompetenztests hätten. Während der Versuche beschränkte sich die Rolle des Versuchsleiters, abgesehen von der Beantwortung technischer Rückfragen, auf die Rolle eines im Raum anwesenden aber stillen Zuhörers. Bei den Versuchen war der Gebrauch aller von den Versuchspersonen gewünschten Hilfsmittel erlaubt, beschränkte sich de facto aber auf jeweils ein einsprachiges und ein zweisprachiges Wörterbuch sowie - in einem Fall - auf eine Grammatik. Auch während des Gebrauchs der Hilfsmittel sollte laut gedacht werden. Alle Verbalisierungen wurden auf Tonträger aufgenommen und vollständig transkribiert. Die Gesamtdauer der vier Aufnahmen beträgt 6 Stunden und 37 Minuten, der Gesamtumfang der Transkriptionen 69 Schreibmaschinenseiten. Die zweite Pilotuntersuchung arbeitete mit zwei Bildgeschichten, die schriftlich nacherzählt werden sollten. Sie wurden so ausgewählt, daß ihre Versprachlichung unterschiedliche Schwierigkeiten implizierte. Die erste Bildgeschichte wurde auch im Rahmen der Kasseler Forschungsprojekte zur mündlichen Sprachproduktion (s. Möhle/Raupach i.d.Bd.) eingesetzt, so daß zusätzliche Vergleichsmöglichkeiten zwischen mündlichen und schriftlichen Sprachproduktionsprozessen geschaffen wurden. (Die Bild-

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geschichte ist abgedruckt in Möhlc/Raupach 1983:160, in etwas abgewandelter Form auch in Dechen 1983:183). Die zweite Bildgeschichte ist eine bände dessinie des bekannten französischen Karikaturisten Sempö. (Auf einen Abdruck der Bildgeschichten wird hier aus Platzgründen verzichtet). Versuchspersonen waren fünf deutsche, zwei spanische, ein französischer und ein italienischer Muttersprachler, alle Sprachstudenten bzw. -Studentinnen im Hauptstudium der Universität Bochum. Da das Ziel dieser Pilotuntersuchung vor allem darin bestand, unterschiedliche Vergleichsdimensionen zu schaffen, wurden hier insgesamt vier Variablen zu Einzelaufgaben kombiniert, nämlich: Textproduktionsaufgabe (Bildgeschichte 1 vs. Bildgeschichte 2), Textproduktionstyp (schriftliche vs. mündliche Versprachlichung), individueller Sprachbesitz (Textproduktion in der Muttersprache vs. Textproduktion in der Fremdsprache) und die jeweilige Sprache selbst Peutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch). Außerdem wurden für eine spezifische Fragestellung (nämlich die Rolle der LI, siehe 2.3) einige der Versuchspersonen aufgefordert, ihre in der Fremdsprache abgefaßte Nacherzählung in ihre jeweilige Muttersprache zu übersetzen. Jede Versuchsperson hatte fünf bis sechs Einzelaufgaben zu lösen. Die Gesamtzahl der in den Daten erfaßten Einzelaufgaben betrug 50. Eine typische Abfolge sah dabei z.B. so aus: 1. BG 1: mündlich versprachlichen in der 1. Fremdsprache 2. BG 1: mündlich versprachlichen in der Muttersprache 3. BG 1: schriftlich versprachlichen in der 1. Fremdsprache 4. BG 2: schriftlich versprachlichen in der 2. Fremdsprache 5. BG 2: übersetzen von Nr. 4 in die Muttersprache 6. BG 2: mündlich versprachlichen in der Muttersprache Bei allen schriftlichen Aufgabentypen (einschl. des Übersetzens) wurde das Verfahren des Lauten Denkens angewandt. Alle anderen Vorgehensweisen waren wie in der ersten Pilotuntersuchung. Die Gesamtdauer der Aufnahmen beträgt 6 Stunden und 7 Minuten, der Transkriptionsumfang (nur elektronisch gespeichert) 182.000 bytes. Zusätzlich zu diesen beiden Prozeßdatensätzen wurde mittlerweile, bereits mit Blick auf die geplante größere Studie, ein Produktdatensatz erhoben. Dieser besteht aus knapp 600 Lemertexten unterschiedlichster Art (Bewerbungsschreiben, identisch mit dem aus der ersten Pilotuntersuchung, Versprachlichung von Bildgeschichten, identisch mit denen aus der zweiten Pilotuntersuchung, Versprachlichung weiterer Bildgeschichten, explications de texte, Resümees von Zeitungsartikeln, Personenbeschreibungen, Biographien, persönliche Reiseberichte, Beantwortung von Leserbriefen aus Zeitschriften u.a.). Sie stammen von Studenten der Universität Paris X-Nanterre und beruhen auf der Sprachenkonstellation

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LI = frz./L2 = dt. Die Erhebung eines entsprechenden Komplementärkorpus mit deutschen Studenten befindet sich in Vorbereitung. Dieses Produktdatenkorpus ist noch nicht ausgewertet.

2.2 Datenanalyseinstrumente LD-Daten weisen definitionsgemäß einen geringen Grad an Vorstrukturiertheit auf. Dies bedeutet, daß das analytische Instrumentarium in der Regel erst nach erfolgter Datenerhebung auf der Grundlage der vollständig vorliegenden Trankripte entwickelt werden kann (zum wissenschaftstheoretischen Hintergrund des zugrundeliegenden "explorativ-interpretativen" Paradigmas s. ausführlich Grotjahn 1987:59ff; zur Analyse von LDProtokollen speziell Ericsson/Simon 1984). Für die Analyse von LD-Protokollen von Übersetzungsprozessen habe ich an anderer Stelle versucht, ein Analyseinstrumentarium mit insgesamt 117 Parametern zu entwickeln (s. Krings 1986:484ff.). Darauf aufbauend wurden in einem ersten Ansatz zur Analyse von LD-Protokollen zu Textproduktionsprozessen in Krings 1986b, der Doppelstruktur dieser Prozesse entsprechend, zwei Hauptanalysekategorien vorgeschlagen, nämlich 'Planungsprobleme' und ' ^ m d sprachliche Realisierungsprobleme' (L2-Probleme). Die erstgenannten sind hierarchisch organisiert und auf die sukzessive Herausbildung des Textes ausgerichtet, während die letztgenannten rein sprachliche Realisierungsprobleme darstellen, die im Gegensatz zu den Planungsproblemen an ganz konkreten muttersprachlichen oder fremdsprachlichen Einheiten festgemacht werden können und mit den für den Prozeß des Hinübersetzens beschriebenen "L2-Kompetenz-Problemen" strukturell identisch sind. Im Rahmen der weiteren Arbeit an den Daten habe ich inzwischen ein zusätzhches Hauptanalyseinstrument entwickelt, mit dem versucht werden soll, die Wechselbeziehungen zwischen beiden Problemtypen sowie die Gesamtstruktur des Texproduktionsprozesses deutlicher herauszuarbeiten. Es handelt sich um ein Analyseraster von ingesamt 14 Kategorien zur Identifizierung von Subprozessen innerhalb des gesamten Textproduktionsprozesses. Die einzelnen Kategorien sind in Anlehnung an das Schreibmodell von Hayes und Flower (Hayes/Flower 1980, auch in Flower/Hayes 1981; vgl. auch die Adaption dieses Modells für fremdsprachliche Textproduktionsprozesse von Börner i.d.Bd.) erarbeitet worden. Die Notwendigkeit der Operationalisierung der einzelnen Kategorien zwang dabei jedoch zu einer Reihe von Abweichungen von diesem Modell. Im einzelnen werden folgende Subprozesse unterschieden:

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1. Planungsprobleme identifizieren 2. Globalpläne generieren 3. Feinpläne generieren 4. Feinpläne realisieren in LI 5. Feinpläne realisieren in L2 6. Pläne organisieren 7. Pläne evaluieren 8. über Pläne entscheiden 9. die Planausfiihrung überwachen 10. Pläne revidieren 11. L2-Probleme identifizieren 12. L2-Problemlösungsstrategien aktivieren 13. Problemlösungen evaluieren 14. über L2-Problenilösungen entscheiden Dieses Raster, das auf der Grundlage aller LD-Protokolle aus beiden Pilotuntersuchungen erarbeitet worden ist, trägt zunächst der bereits erwähnten Doppelstruktur fremdsprachlicher Textproduktionsprozesse Rechnung, so wie sie sich insbesondere aus einem systematischen Vergleich mit den Protokollen zur muttersprachlichen Textproduktion ergeben: Die Kategorien 1 bis 10 beziehen sich auf die sukzessive Hervorbringung der inhaltlichen Struktur des Textes sowie deren sprachlicher Realisierung. Alle Prozesse (mit Ausnahme von 5) sind auch in der muttersprachlichen Textproduktion zu beobachten. An bestimmten Stellen wird die sprachliche Realisierung jedoch durch ein konkretes fremdsprachliches Wissensdefizit unterbrochen, das den eigentlichen Textproduktionsprozeß zunächst einmal stoppt und zu einer "Programmschleife" zwingt mit dem Ziel, das fremdsprachliche Wissensdefizit entweder zu beheben oder zu umgehen, um so das Hindernis in der fremdsprachlichen Realisierung der inhaltlichen Planung aus dem Weg zu räumen: (l)mais enfinj'ai encore-t-j'aimerais-f beaucoup-t- also ich habjetz nich j'ai encore sondem j'aimerais beaucoup que vous + jeiz müßt ich nachgucken jelz weiß ich zum Beispiel nich ob nach aimer beaucoup que ob da subjonclif kommt aber es is n Wunsch also ich nehm jetz ers mal einfach an daß da subjonctif kommt (E-7-14)i

Solche durch fremdsprachliche Kompetenzdefizite ausgelösten Unterbrechungen des eigentlichen Fomiulierungsprozesses sind für fremdsprachliche Textproduktionsprozesse typisch. Sie sind von den normalen sprach'Alle Transkriptausschniue werden im folgenden in Originalfonn wiedergegeben. Kürzungen werden durch [...] angezeigt Das Zeichen + steht für Pausen bis zu 3 Sekunden Länge, bei längeren Pausen wird die Dauer in Sekunden zwischen zwei Pluszeichen angezeigt, z.B. +14+. Wörter in Klammem zwischen zwei Fragezeichen sind Konjekturen.

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liehen Realisierungsproblemen, wie sie in jedem Schreibprozeß auftreten, qualitativ verschieden, da sie im Gegensatz zu diesen nicht aus der generellen Schwierigkeit, Gedanken in Sprache zu bringen, sondern unmittelbar aus fremdsprachlichen Wissensdefiziten resultieren. Entsprechende Wissensdefizite in der Muttersprache sind, zumindest bei vergleichbaren Schreibaufgaben und vergleichbaren Schreibern, eher untypisch und auf bestimmte Standardprobleme beschränkt (z.B. Groß- und Kleinschreibung, Komma-Regeln, Kasus-Gebrauch nach bestimmten Präpositionen usw.). In der fremdsprachlichen Textproduktion dagegen ist ein weites Spektrum solcher L2-Probleme zu beobachten, das von orthographischen über morphosyntaktische und lexikosemantische bis hin zu kommunikativ-stilistischen Problemen reicht. Häufigster Fall eines solchen L2-Problems ist dabei der Typ "Nicht wissen, was X auf Französisch (Englisch, Spanisch) heißt": (2) also pour que vous saviez [...] jetz würd ich also mit erfahren eh mit erfahren also mit deutsch erfahren erfahren woher ich komme und so weiter weitermachen da fällt mir allerdings jetz spontan das Wort nich ein und das müßt ich also jetz mal im zweisprachigen Lexikon nachgucken (A-4-32).

Auf die Identifizierung eines L2-Problems (Kategorie 11) folgt meistens die Aktivierung einer L2-Problemlösungsstrategie (Kategorie 12), im Falle des Problems "erfahren" die Zuhilfenahme eines zweisprachigen Wörterbuchs, im Falle des Problems "Modus nach aimer que" das Abrufen einer grammatischen Regel (rule monitoring: "aber es is n Wunsch also..."; zu den L2-Strategien im einzelnen s.u.). Die Aktivierung von Strategien kann zu einer Problemlösung führen, die sofort als richtig akzeptiert wird. Sie kann jedoch auch zu einer unbefriedigenden, zu mehreren konkurrierenden oder zu überhaupt keiner Lösung führen. In diesen Fällen treten häufig die Subprozesse 13 (L2-Problemlösungen evaluieren) und 14 (über L2-Problemlösungen entscheiden) auf: (3) amicalement würde mir auch noch einfallen aber das scheint mir irgendwie + noch unpassender ohne dcfi ich s jetz begründen könnte also damit (E-14-7)

Bei diesem Problem geht es um die Beurteilung der pragmatischen Angemessenheit verschiedener Grußformeln als Briefschluß. Zwei konkurrierende Lösungen {amicalement und les meilleures amitiis) werden beide negativ bewertet. Die Versuchsperson entscheidet sich trotz Bedenken für die vermeintiich bessere Lösung les meilleures amitiis: (4) also damit bin ich also nich ganz zufrieden wüßte ich auch nich wie ich s jeu korrigieren sollte ich werd jetz aber trotzdem mal les meilleures amiti6s nehmen (A-18-23)

Schreiben in der Fremdsprache

399

Das Entscheiden über L2-Problenilösungen wird als eigener Subprozeß betrachtet, da es selbst strategiehaften Charakter hat (Reduktions- vs. flc/i/evemenf-Strategien). Ist ein L2-Problem entweder durch achievement-Stx2Xe%\cn erfolgreich gelöst oder durch Reduktionsstrategien entschärft bzw. ganz umgangen worden, kann der eigentliche Textproduktionsprozeß wieder aufgenommen werden. Dieser wird durch die Subprozesse 1 bis 10 näher beschrieben. Zunächst sind auch hier häufig Verbalisierungen zu beobachten, mit denen Probleme identifiziert werden (Kategorie 1). Die Probleme können sich auf alle Ebenen der Planung (Kategorie 2 bis 10 ) beziehen. Es wird hier von einem eigenen Subprozeß ausgegangen, weil die LD-Protokolle die Vermutung nahelegen, daß die Identifikation eines Widerstands im Textproduktionsprozeß und die Entwicklung von Strategien zu dessen Überwindung häufig klar auseinanderfallen, wie z.B. längere ungefüllte Pausen zeigen: (5) ja jetz denk ich also darüber nach eh ich will also jetz so n bißchen auch Verbindung zu dem Text herstellen oder zu dem was im Text also gefordert ist also die Kinder vorbereiten auf ehm eh n Abitur in Deutsch [...] und da überleg ich grade ehm also ers mal allgemein so rein von der sachlichen Seite wie man das darstellen könnte +27+ eh das is allerdings jetz ziemlich schwer allerdings vor allem von der inhaltlichen Seite eh (A-6-30)

Der Transkriptausschnitt zeigt, daß ein ins Auge gefaßter Plan ("Verbindung zu dem Text herstellen") auf starke Realisierungsschwierigkeiten stößt und daß auch nach der 27sekündigen Verbalisierungspause noch keine Lösung in Sicht scheint. In diesem Beispiel tritt das Problem bereits in einer sehr frühen Phase des Planungsprozesses auf. Natürlich kann es auch in einer späteren Phase der sprachlichen Realisierung auftreten und entsprechend konkrete Formen annehmen, z.B. als "Konstruktions"-Problem: (6) ich finde da particuliferement und das nehm ich auch +10+ überlege aber jetz genau wie ich das grammatisch konstruieren kann particuliirement ehm +29+ ich überlege (A-11-17)

Die Kategorien 2 bis 5 beziehen sich unmittelbar auf das Hervorbringen und Realisieren von Plänen. Sie sind sozusagen das Herzstück des Textproduktionsprozesses. Ihnen entsprechen im Modell von Hayes/Flower die Subprozesse "generating" und "translating". In der hier vorgestellten Systematik werden jedoch insgesamt vier hierarchische Ebenen der Planung unterschieden. Die erste Ebene ("Globalpläne generieren") bezieht sich zum einen auf Pläne, die Fragen des globalen Vorgehens bei der Texterstellung betreffen (z.B. ob Notizen gemacht werden, ob eine Gliederung angefertigt wird, ob zunächst ein Konzept erarbeitet wird, ob

400

Krings

Hilfsmittel bereitgehalten werden usw.). Zum anderen werden in dieser Kategorie alle Verbalisierungen erfaßt, die sich nicht auf einzelne Inhalte des Textes, sondern auf den Text als ganzen und seine kommunikative Einbettung beziehen, also z.B. Fragen des Adressatenbezugs, des Stils, der Verständlichkeit usw.: (7) ich würd s aber auch nich zu komplex machen (A-9-22)

Es handelt sich also um Planungsprozesse auf der hierarchisch höchsten Ebene, die für den Gesamttext als Vorgaben für die weitere Planung auf den nächstniedrigeren Ebenen fungieren. Dieser Subprozeß wird im Modell von Hayes/Flower teilweise durch die Kategorie "goal setting" abgedeckt, wobei dort aber nicht zwischen Formen des globalen ("Better keep it simple") und des lokalen goal setting ("I need to write a transition here") unterschieden wird (Hayes/Flower 1980:15). Die Kategorie des goal setting wurde hier auch deshalb nicht übernommen, weil jedes Planen den Charakter des goal setting hat und Abgrenzungskriterien deshalb datenanalytisch schwer operationisierbar sind. Die nächst niedrigere (eigentlich: "lokalere") Ebene der Planung wird durch Kategorie 3 ("Feinpläne generieren") erfaßt. Sie ist weitgehend identisch mit der des "generating" bei Hayes/Flower. Von der globalen Planung unterscheiden sich die hier angesprochenen Subprozesse durch ihren konkreten Bezug auf einzelne im Text auszudrückende Inhalte. Die Art der Verbalisierung bietet andererseits klare Indikatoren zur Abgrenzung gegen Planrealisierungen im Sinne der Kategorien 4 und 3. E)enn während die letztgenannten so verbalisiert werden, wie sie in den Text ohne weitere Anpassungen einsetzbar wären, haben die erstgenannten den Charakter von brain-storming-Resülta.\ei\, die als erstes sprachliches Zwischenergebnis des Planungsprozesses fixiert werden, um dem eigentlichen textuellen Formulierungsprozeß als Input zu dienen: (8) ja jetz will ich also versuchen darzustellen eh daß ich das gerne annehmen möchte und ehm ja auch daß ich mit diesen Bedingungen mit den Ausgangsbedingungen einverstanden wäre vielleicht noch was dazu schreiben ehm daß mir also eh ja die Lage also wo der Oit liegt also relativ Paris-nah gut gefallen würde und eh eh wanim er also ganz gelegen ich würde dann also auch schreiben daß ich also Franztisisch studiere und daß das auch für mich ganz positiv wäre und daß k;h dann vielleicht also durch mein Französischstudium dann durchaus so auch naja bestimmte Sachen halt ganz gut verwerten lassen also für Deutschleiner (A-2-21)

An dieser Stelle, die relativ fnih im Textproduktionsprozeß liegt, generiert die Versuchsperson einen ganzen Schub von inhaltUchen Planungen, von denen im weiteren Verlauf nur Teile tatsächlich realisiert werden. Da^-Satz-Strukturen, Abtönungspartikel und Gliederungssignale, passepartout-V/öncT u.ä. signalisieren eindeutig, daß es sich noch nicht um

Schreiben in der Fremdsprache

401

konkrete textuelle Realisierungsversuche handelt, wie es hingegen in den folgenden Textpassagen der Fall ist: (9) jetz fang ich also ers mal wirklich an mit eh je m'intdresse beaucoup (E-4-22) (10) jetz will ich also noch so was wie im Deutschen vielleicht schreiben und eh ich kann mich daher gut in die Situation + der beiden versetzen e/wn (A-15-31)

Die Form dieser Transkriptausschnitte (metasprachliche Verbalisierungen zu dem kursiv gedruckten Formulierungsentwurf mit deutlich erkennbarer Schnittschnelle vor dem und sowie die Einsetzbarkeit dieses Formulierungsentwurfs als koordinierter Hauptsatz an der gerade erreichten Stelle des Textproduktionsprozesses) zeigt, daß es sich nicht um eine Plangenerierung, sondem um eine potentiell endgültige Planrealisierung handelt, die nur "einfachheitshalber" erst einmal in der Muttersprache aktualisiert wird. Natürlich erreicht der Planungsprozeß dann erst mit einer Realisierung in der Fremdsprache seinen vorläufigen Endpunkt wie im folgenden Beispiel: (11) jetz mach ich ers mal so weiter also je m'intdresse beaucoup ä rester eh + pour un sijour eh de six mois en France (A-3-32)

Das Verhältnis von muttersprachlichen zu fremdsprachlichen Planrealisierungen (Kategorie 4 und 5) ist ein wichtiger Indikator für die Rolle der Muttersprache im fremdsprachlichen Textproduktionsprozeß (s. u.). Die durch die Kategorie "Pläne realisieren in LI" erfaßten Subprozesse entsprechen weitgehend denen des "translating" bei Hayes/Flower. Die terminologische Trennung von "planning" und "translating" wurde hier jedoch nicht beibehalten, um die hierarchische Struktur des Planungsprozesses, der bei der Globalplanung (s.o.) beginnt und bei der Realisierung der Pläne in der Fremdsprache seinen (bis zu einem eventuellen "revising") vorläufigen Endpunkt findet. Außerdem wäre die Verwendung des Begriffs "Übersetzen" für "translating" mißverständlich. Nicht mehr auf die Hervorbringung textueller Inhalte, sondem auf deren Anordnung richtet sich die Kategorie 6 ("Pläne organisieren"), die dem "organizing" bei Hayes/Flower entspricht: (12) und eh ja die zweite Information die mir jetz so vorschwebte die schließ ich jetz also eh am besten gleich daran an (A-3-36)

Wie bei der Lösung von L2-Problemen treten schUeßlich auch im inhaltlichen Planungsprozeß die Subprozesse "Evaluieren" (Kategorie 7) und "Entscheiden" (Kategorie 8) auf, wenn auch längst nicht bei allen Planungsschritten. Die Evaluation von Plänen (meist Planrealisierungen) tritt

402

Krings

Überwiegend in negativer Form auf, d.h., die Versuchspersonen signalisieren ihre Unzufriedenheit mit einer Planrealisierung, meist in einer nicht näher spezifizierten Form: (13) also das hier gefällt mir überhaupt nich ne reste [...] le reste de la semaine je reste das is irgendwie unheimlich mies (A-19-17)

Nach negativ evaluierten Planrealisierungen steht für den Textproduzenten häuflg eine Entscheidung an, ob das Defizit in Kauf genommen oder nach alternativen Planrealisierung gesucht wird. Häufig wird das Ende der Suche nach Alternativen durch eine bewußte Entscheidung für ein InKauf-Nehmen des Defizits beendet: (14) +22+ ich werd das jetz doch ehm ers mal so einleiten ehm (E-15-8)

Der zweite Fall, in dem explizite Entscheidungen auftreten, sind konkurrierende Pläne. Diese können in konkurrierenden Planrealisierungen, konkurrierenden Plananordnungen oder auch in der Entscheidung "in den Text aufnehmen" versus" "nicht aufnehmen" bestehen: (15) ich laß es doch so stehen häng das jetz also einfach hinten an (A-9-50) (16) das laß ich jetz aber auch mal raus ich glaub das is auch nich ganz so wesentlich (A-19-5)

Die Subprozesse "Pläne evaluieren" und "über Pläne entscheiden" sind bei Hayes/Flower in der Kategorie des "monitoring" aufgehoben. Dieses umfaßt zusätzlich noch das, was ich als "eigenüiches monitoring" bezeichnen würde, nämlich das Überwachen von Planausführungen (Kategorie 9): (17) jetz fällt mir also ers mal ein, daß ich mein Alter irgendwie ganz rausgelassen habe daß das aber also bestimmt irgendwo ne ganz zentrale Information wär und die sollte auf jeden Fall noch rein (A-10-8)

Typisch für das so verstandene inhaltiiche monitoring ist das Aufdecken einer Abweichung zwischen Ist- und Soll-Wert hinsichtlich des Textinhalts oder der Textform (letztes in den Daten jedoch nicht belegt). Dies gilt besonders dann, wenn vor dem eigentlichen Formulierungsprozeß Gliederungen, Strichlisten oder ähnliches zu den in den Text aufzunehmenden Inhalten angelegt werden. Die Kategorie 10 ("Pläne revidieren") schließlich ist identisch mit dem "editing" im Modell von Hayes/Flower. Das reine "reading", das bei diesen mit dem "editing" zum "reviewing" zusammengefaßt wird, bleibt in der hier vorgestellten Systematik vorerst unberücksichtigt, da ohne den Einsatz von Videotechnik keine zuverlässige Identifikation dieses Subprozesses möglich ist. (Das Lesen im bereits niedergeschriebenen Teil des Textes erfolgt häufig ohne Verbalisierungen und kann deshalb nur durch

Schreiben in der Fremdsprache

403

Beobachtung der Augenbewegungen sicher erfaßt werden.) Von Revisionen wird auch hier nur gesprochen, wenn sie sich auf den bereits schriftlich fixierten Teil des Textes beziehen. (Sonst handelt es sich um konkurrierende Planrealisierungen im Sinne der Kategorien 4 oder 5.) Neben den Revisionen, die infolge inhaltlicher oder sprachlicher Planänderungen ausgeführt werden und die auch in der muttersprachlichen Textproduktion regelmäßig zu beobachten sind, treten in der fremdsprachlichen Textproduktion auch spontane Autokorrekturen auf wie sie für das Schreiben in der Muttersprache eher untypisch sind: (18) jetz war also hier eh jetz hab ich mich also hier in der Form vertan ich (?wollt?) also den falschen Konjunktiv bilden (ersetzt saviez durch sachiez) + ehm das hab ich also jetz verbessert (A-5-10)

Sobald Autokorrekturen nicht spontan erfolgen, sondern ihre Notwendigkeit problematisiert wird, sind sie ein Subprozeß innerhalb der Behandlung eines L2-Problems. Die vorausgehend vorgestellte Systematik konnte hier nur skizziert, nicht aber im einzelnen begründet werden. Insbesondere konnte nicht dargestellt werden, wie die einzelnen Kategorien datenanalytisch operationalisiert werden. Denn nur durch operationale Kriterien - wie gefüllte und ungefüllte Pausen, Sprachwechsel, Verbalisierungsform usw. können die einzelnen Kategorien als zumindest annäherungsweise intersubjektive Analyseeinheiten festgelegt und anwendbar gemacht werden (zu solchen Operationalisierungsversuchen bei der Analyse von LD-Protokollen siehe Krings 1986a: 120ff). Die systematische Anwendung der vorgestellten Systematik auf die gesamten LD-Daten erlaubt nun eine detaillierte Aufschlüsselung jedes einzelnen Textproduktionsprozesses nach den 14 differenzierten Subprozessen. Diese Aufschlüsselung kann graphisch in Form eines fortlaufenden Diagramms veranschaulicht werden, das ich seiner Funktion entsprechend als "Textproduktionsdiagramm" bezeichne. In Abbildung 2 ist ein Ausschnitt aus dem Textproduktionsdiagramm der Versuchsperson 1 aus der ersten Untersuchung wiedergegeben. Es handelt sich um die vollständige Aufschlüsselung der Subprozesse, die zum Satz D des Textes führen, der in seiner endgültigen Form wie folgt lautet: Maintenant, je peux raconter un peu de moi-mfeme pour que vous sachiez ce que je fais et d'oü je viens.

Einen solchen satzbezogenen Ausschnitt aus dem Textproduktionsdiagramm nenne ich "Satzproduktionsdiagramm". Im Beispiel handelt es sich um einen der wenigen Sätze, die "am Stück", d.h. ohne Unterbrechungen durch Vorgriffe auf spätere oder Rückgriffe auf frühere Sätze

1

PLANUNGSPROBL£ME IDENTIFIZIEREN

2

OLOBALPLÄNE GENERIEREN

3

FEINPLÄNE GENERIEREN

rm h

i

4. F E I N P L Ä N E REALISIEREN IN L1 5

FEINPLÄNE R E A U S I E R E N INL2

6

PLÄNE ORGANISIEREN

7

PLÄNE EVALUIEREN

8. ÜBER PLÄNE ENTSCHEIDEN 9. DIE PLANAUSFÜHRUNG ÜBERWACHEN 10

- Ü - P

H ^ H I r S

r - ®

Ut

PLÄNE REVIDIEREN

11. L2-PROBLEME IDENTIFIZIEREN 12.

L2-PROBLEMLÖSUNGSSTRATEGIEN A K T I V I E R E N

13

L2-PROBLEMLÖSUNGEN EVALUIEREN

U . ÜßER L2-PROBLEMLOSUNGEN ENTSCHEIDEN L2-PROBLEM Abb.2: S a t z p r o d u k t i o n s d i a g r a m m für Satz D. V P 1 , D a t e n s a t z I

5

I

Schreiben in der Fremdsprache

405

des Textes erzeugt werden. Der Ausschnitt aus dem Textproduktionsdiagramm zeigt, daß insgesamt 24 Subprozesse identifiziert wurden. Charakteristisch ist hier die Massierung von Problemidentifikationen (Kategorie 1) im ersten Teil des Diagramms (Schritt 48, 53, 56, 57) sowie die Einlagerung eines L2-Problems (Wiedergabe von dt. erfahren im Französischen) in den Satzproduktionsprozeß (Schritt 64-68). Das Textproduktionsdiagramm als synoptische Rekonstruktion des gesamten Textproduktionsprozesses ist ein zentrales Analyseinstrument in der Aufarbeitung von LD-Daten zu Schreibprozessen. Es vermittelt einen plastischen Eindruck vom schrittweisen Entstehen eines Textproduktes in all seinen Phasen und ermöglicht darüber hinaus die Ableitung einer Reihe quantitativer Parameter, die - bei vorsichtiger Interpretation - wichtige Aufschlüsse über Regelmäßigkeiten im Texterstellungsprozeß erlauben. Es ist femer die Grundlage für zwei weitere Datenanalyseinstrumente. So ist es zunächst möglich, für jeden einzelnen Subprozeß reprospektiv festzustellen, auf welchen Satz des endgültigen Textproduktes er sich bezog und dies wiederum in Diagrammform festzuhalten. Ich spreche in diesem Zusammenhang von einem "Text-Satz-Diagramm". Abbildung 3 zeigt das vollständige Text-Satz-Diagramm für den Text "Bewerbungsschreiben" der Versuchsperson 1. Das endgültige Textprodukt besteht aus 12 Sätzen (A bis L). Anhand des Textproduktionsdiagramms wurden insgesamt 316 Subprozesse identifiziert. Eine Spiegelung dieser Subprozesse an der Satzstruktur des Textproduktes erlaubt eine Zuordnung der einzelnen Subprozesse zu den Sätzen. Diese Zuordnung wird durch die begrenzten Linien unter der Buchstabenkennzeichnung des jeweiligen Satzes veranschaulicht. Subprozesse, die sich auf Inhalte beziehen, die im Textprodukt nicht mehr vorkommen (z.B. Plangenerierungen), werden rechts unter dem Leere-Menge-Zeichen abgetragen. Subprozesse, die sich auf den Text als ganzen beziehen (z.B. Globalpläne) werden links unter dem Summenzeichen abgetragen. (Dieser Fall kommt im vorliegenden Beispiel nicht vor.) Zusätzlich wird durch die rautenförmige Endemarke angezeigt, wie weit das schriftliche Textprodukt bereits vorliegt. Das Diagramm zeigt zunächst, daß die Sätze A und B beide "am Stück" produziert und niedergeschrieben werden, Satz A in 5, Satz B in 11 Schritten. Die bis zu Schritt 25 am Ende von Satz B verweilende Textendemarke drückt aus, daß die weiteren Subprozesse (17-25) noch nicht zu einer schriftlichen Umsetzung führen. Schritt 17 enthält Planungen zu Satz C, die Schritte 18-22 enthalten Planungen, die später gar nicht in den Text aufgenommen werden. Schritt 23 enthält Planungen, die später verteilt auf die Sätze E, G und H realisiert werden. Die Schritte 24 und 25

Krings

406 \ § A T Z SUBPROZESS O Z E ^ ^ 1-

5

6-

16

18-

, I . A , B . C . D , E , F . G , H . I . J . K

17 22

23 2 4 - 25 2 6 - 46 4 7 - 70 71-86 8 7 - 89 9 0 - 98 99 -103 104 105-106 107-112 113 - 138 139- 141 142 143-144 145- 150 151-163 184-185 186 187 -208 209 - 227 228-233 234 - 235 236-270 271 - 281

•—•

4—# •

•—•

-

282-288 289 - 290 291 - 3 0 8 309 310 - 3 1 1 312-316 Abb. 3: S a t z - T e x t - D i a g r a m m für VP1, Datensatz I

•—• • •

Schreiben in der Fremdsprache

407

enthalten eine Revision an der bereits niedergeschriebenen Fassung des Satzes B. Erst mit den Schritten 26-46 wird der Textproduktionsprozeß bis zum Ende von Satz C weitergeführt Alle weiteren Eintragungen sind entsprechend den hier kommentierten Beispielen zu interpretieren. Nach Schritt 281 ist das vorläufige Textende erreicht, wie die Endemarke anzeigt. Es beginnen nun mehrere Revisionsdurchläufe, die zu Änderungen in den Sätzen E, F, H, J und K sowie zu einer neuen Planung führen, die allerdings nicht mehr in den Text aufgenommen wird (Schritt 289-290). Solche Satz-Text-Diagramme vermitteln einen synoptischen Eindruck von der Grobstruktur des Textproduktionsprozesses, insbesondere von prospektiven und retrospektiven Planungsphasen. Alle rechts von den Endemarken stehenden Linien deuten, relativ zum aktuellen Textproduktionsstand, auf Planungsvorgriffe (prospektive Planungen), alle links von den Endemarken stehenden Linien auf Planungsrückgriffe (retrospektive Planungen) hin. Die Streuung der Linien um die Endemarken vermittelt dabei einen unmittelbaren Eindruck vom Grad der Konzentrik bzw. der Linearität des Textproduktionsprozesses. Der Grenzfall einer vollständig innerhalb der Satzgrenzen ablaufenden Planung würde sich in einer von links oben nach rechts unten angeordneten Schar paralleler Linien ausdrücken, die jeweils nur um einen Satz nach rechts versetzt sind (Beispiele: Satz A und D). Jedes Auftreten einer transphrastischen Planung drückt sich in Form von Linien mit nur einer oder ganz ohne Endemarke aus. Je größer der Abstand von den Endemarken, desto größer die Vor- oder Rückgriffe in der Planung. Auch aus solchen Satz-Text-Diagrammen können deshalb wichtige quantitative Parameter für die weitere Analyse abgeleitet werden. Ein drittes Datenanalyseinstrument, das in diesem Zusammenhang von Nutzen ist, habe ich bereits an anderer Stelle vorgestellt (Krings 1986b). Es handelt sich um eine graphische Darstellung der Planungsstuktur eines Satzes in Form eines "Planungsdiagramms". Anders als die bisher vorgestellten Datenanalyseinstrumente bezieht sich das Planungsdiagramm nicht auf alle Subprozesse der Textproduktion, sondern nur auf die der satzbezogenen Plangenerierung und Planrealisierung, d.h. die Subprozesse der Kategorien 3, 4 und 5, damit jedoch sozusagen auf das "Herzstück" des Textproduktionsprozesses. Das Planungsdiagramm entsteht, indem man die Plangenerierungen und Planrealisierungen (als Ausdruck der Prozeßebene) auf die endgültige schriftliche Form der entsprechenden Textteile (als Ausdruck der Produktebene) bezieht. Abbildung 4 zeigt das Ergebnis einer solchen Zuordnung für den Satz B der Versuchsperson 3 im Rahmen der Versprachlichung der ersten Bildgeschichte. Die Planungs-

T e x t : C'e un c a n e legato o un polo e d a v a n t i a lui si t r o v a un n a p p o pieno di m a n g i a r e . (1) (2) (3) (4) (5) (6)

(7) (8)

(9) (10) (11) (12) 113) (14) (15) (16) (17) (18) (19) (20) (21) (22) (23) (24) (25) (26) (27) (28) (M) (30) j31) (33) (34)

un, 'c'g un cone I

angebunden sein anbinden emonden onetwa^ anbinden eoore auolcuno a auolcoso c'd un cane e g o t o ,

m

Ipoty ,c'd un c a n e leqoto a un polo ' ' ,don holt dieser FreOnopt vor ihm steht . c d un cane l e q o t o o un polo e . ^ , si vede , , e dovanti, . trovo, ,0 l u i , , si trovo un . Nopf , .Freflkorb ,t9??o , ,noDpo I si t r o v o un n o p p , don da etwas drin is , n g e f ü l l t e r .füNopf len . ,n vollgr N o p T U : un noDDO pieno ,pi^no di , . Fressen ,mit Fressen a e f ü l l t monqiare ; Essen , c'^ un cane l e q a t o a u n polo e dovonti o lui si trova un nappo pieno di'"mongiore"

Abb. 4 : P l a n u n g s d i a g r a m m für Sotz B. VP 3, D o t e n s o t z I I o

5

Schreiben in der Fremdsprache

409

elemente der insgesamt 34 Subprozesse der Kategorien 3, 4 und S sind dabei jeweils unter die entsprechenden Einheiten des endgültigen Textproduktes angeordnet worden. Die genaue Zuordnung wird durch die parallelen Linien markiert. Solche Planungsdiagramme wurden für jeden einzelnen Satz aller Lemertexte erstellt und anschließend systematisch verglichen. Dabei trat schnell die typische Struktur der Diagramme und dannit - so wird angenommen - auch ein gutes Stück der zugrundeliegenden Planungsprozesse zutage. Diese Struktur läßt sich unter terminologischem Rückgriff auf zwei Konzepte der strukturalen Linguistik etwa wie folgt beschreiben: Auf der 'sytagmatischen' Achse ist als Regelfall naturgemäß das Fortschreiten im Text von links nach rechts zu konstatieren, was den Normalfall einer Vorwärtsplanung anzeigt. Die Planung verläuft jedoch nicht kontinuierlich, sondern schrittweise in kleineren Einheiten, unterbrochen jeweils durch Pausen und andere temporale Indikatoren von Planungsunterbrechungen. Da jedes neue Planungselement um eine Linie weiter nach unten versetzt dargestellt wird, entsteht, wie schon im TextSatz-Diagramm, das typische Bild einer von links oben nach rechts unten angeordneten Linienschar. Auf der 'paradigmatischen' Ebene ist zum einen an bestimmten Stellen eine zunehmende inhaltliche Ausdifferenzierung zu erkennen, d.h., allgemeine werden durch speziellere Pläne konkretisiert (z.B. etwas in (5) durch Pflock, Pfahl, palo in 8, 9, 10 oder daß da etwas drin is in (24) durch mit Fressen gefüllt in (31)). In vielen anderen Fällen ist die hierarchische Struktur des Planungsprozesses noch deutlicher ausgeprägt. Sie schlägt sich im Planungsdiagramm in Form von besonders langen, den ganzen späteren Satz oder zumindest größere Teile desselben umfassenden Linien nieder. Sie signalisieren die Grobplanung des Satzes, die anschließend bis auf Syntagma- oder Wortebene hinunter ausdifferenziert wird. Zum anderen sind in der paradigmatischen Dimension immer wieder hierarchisch gleichrangige, zueinander in unmittelbarer Substitutionsbeziehung stehende Planungselemente zu beobachten, die sich im Planungsdiagramm als Blöcke gleichlanger Linien ausdrücken und die als Nachweis für die Gültigkeit der 'competing plans hypothesis' auch und gerade im Bereich der schriftlichen Textproduktion gelten können (zur 'competing plans hypothesis' s. ausfuhrlich Dechert 1984: 216ff.). Im voriiegenden Beispiel können z.B. Pflock und Pfahl (8, 9), si vede und si trova (14,16), Napfmd Freßkorb bzw. tazza und nappo (18, 21), n gefüllter Napf und n voller Napf (25, 27) usw. im Sinne dieser Hypothese als konkurrierende Pläne betrachtet werden, wobei ein Teil der Pläne charakteristischerweise muttersprachlich organisiert ist (s.u.). Insgesamt baut sich also die paradigmatische Achse aus hierarchischen (und als solche nicht kompetitiven) und aus kompetitiven (und als solche nicht hierarchischen) Planungselementen auf, was der Gesamtstruktur des Pia-

410

Klings

nungsdiagranuns im Zusatnmenspiel mit der syntagmatischen Achse meist die charakteristische Form einer großen oder mehrerer kleiner spiegelverkehrter Sieben verleiht:

(Im hier diskutierten Beispiel nur ansatzweise ericennbar an den längeren Linien in 12 und 24; für ein typisches Beispiel s. Krings 1986b:266). Ungeachtet dieser Grundstruktur weist natürlich jeder einzehie Satz, der Diskontinuierlichkeit der Planung entsprechend, seine eigene unverwechselbare Planungsstruktur auf. Für die weitere Analyse scheint deshalb eine genauere Bestimmung des Verhältnisses der einzelnen Planungselemente zueinander von besonderer Bedeutung. Hinsichtlich der Relation eines Planungselementes zu den vorausgehenden Planungselementen werden dazu 5 Typen unterschieden: 1. Wiederholende Planungselemente: Bereits verbalisierte Planungselemente werden vollständig oder teilweise wiederholt bzw. wieder aufgegriffen. Wiederholende Planungselemente werden im Planungsdiagramm aus Übersichtlichkeitsgründen nicht angegeben. Man kann jedoch annehmen, daß sie im Planungsprozeß eine wichtige Rolle spielen, insofern das ständige Anknüpfen an den bereits realisierten Planungen das Auffinden neuer Pläne katalysiert. 2. Rein fortführende Planungselemente: Ein neues Planungselement ist zu keinem der bereits vorliegenden alternativ, sondern führt den Planungsprozeß ausschließlich weiter. Rein fortführende Planungselemente drücken sich im Planungsdiagramm durch Linien aus, über denen sich an keiner anderen Stelle eine andere Linie befindet (im Beispiel die Elemente 3, 12 und 25). 3. Rein alternative Planungselemente: Ein neues Planungselement ist zumindest zu einem vorausgehenden Planungselement oder einem Teil desselben altemativ (im Sinne von 'konkurrierend'), enthält aber kein fortführendes Planungselement im Sinne von Kategorie 2. Rein alternative Planungselemente drücken sich im Planungsdiagramm durch Linien aus, die vollständig unterhalb von anderen Linien liegen (im Beispiel die Elemente 4, 7, 8, 9, 10, 11,14, 15,16, 17, 18, 19, 20). Auch der Wechsel von der einen in die andere Sprache wird als altemativ eingestuft (z.B. tazza und nappo zu Napf und Freßkorb). 4. Alternativ-fortführende Planungselemente: Ein Planungselement ist sowohl auf der syntagmatischen Achse fortführend im Sinne von Kategorie 2 als auch auf der paradigmatischen Achse altemativ im Sinne von

Schreiben in der Fremdsprache

411

Kategorie 3. Altemativ-fortführende Planungselemente drücken sich im Planungsdiagramm durch Linien aus, die z.T. unter mindestens einer der bereits vorhandenen Linien und zu einem anderen Teil unter keiner der bereits vorhandenen Linien stehen (beide Bedingungen müssen erfüllt sein; im Beispiel: 2,6 etc.). 5. Verbindende Hanungselemente: Ein Planungselement setzt sich vollständig aus vorausgehenden Planungselementen zusammen und enthält an keiner Stelle ein neues alternatives Element im Sinne von Kategorie 3 (im Beispiel: 7,11, 23, 25,29, 31, 34) Es kann nun angenommen werden, daß die quantitative Verteilung der einzelnen Planungselemente auf diese fünf Kategorien etwas über die Struktur des Planungsprozesses aussagt. Je höher der Anteil von fortführenden und verbindenden Planungselementen ist, desto stärker ist die "Vorwärtsdynamik" des Planungsprozesses, d.h. desto schneller kommt die Planung voran. Je höher der Anteil an altemativen Planungselementen ist, desto mehr geht der Planungsprozeß in die Tiefe oder, negativ formuliert, tritt der Planungsprozeß auf der Stelle. Ein hoher Anteil alternativer Pläne kann dabei entweder als Ausdruck der Problemhafligkeit des Planungsprozesses (im Sinne der Notwendigkeit, nach besseren Plänen zu suchen) oder aber als Ausdruck der Kreativität des Planungsprozesses im Sinne eines bewußten Bemühens um eine reichhaltige Auswahl aus Alternativen interpretiert werden. In den vorliegenden Datenkorpora deuten fast alle Verbalisierungen der Versuchspersonen darauf hin, daß alternative Pläne in der Regel als Ausdruck der Problemhaftigkeit von Schreibprozessen in der Fremdsprache zu interpretieren sind. Die Verteilung der Planungselemente auf die fünf Kategorien liefert so wichtige Parameter für die weitere Analyse. Aus den drei hier vorgestellten grundlegenden Datenanalyseinstrumenten und deren graphischer Darstellung (Textproduktionsdiagramm, SatzText-Diagramm und Planungsdiagramm, lassen sich, wie vorausgehend bereits mehrfach angedeutet, eine Reihe quantitativer Parameter ableiten, die eine Untersuchung weiterer Merkmale des Textproduktionsprozesses und insbesondere systematische Prozeßvergleiche in den verschiedenen Vergleichsdimensionen (siehe insbesondere die Fragestellungen 7, 8, 10, 11 und 13 in Abschnitt 1.2) ermöglichen. Jeder einzelne Parameter bedarf natürlich der Herleitung, Begründung und Operationalisierung, was an dieser Stelle nicht geleistet werden kann. Ergänzend zu den vorgestellten Datenanalyseinstrumenten, die auf den LD-Daten basieren, sind zu allen Textproduktionen auch noch eine Reihe

412

Klings

Tab. 1: Ausgewählte Produkt- und Prozeßparameter für den Datensatz "Bewerbungsschreiben" (Ll=Deutsch, L2=Französisch)

A: E: F: G: H: I: J:

A

E

F

G

H

I

J

VPl VP2 VP3 VP4

147 54 57 139

36,6 52.7 49,0 16,0

22,3 21,6 20,4 9.4

8582 2467 2489 9978

295 190 212 236

2.01 342 3.72 1,70

Versuchsperson Gesamtdauer der Textproduktion in Minuten piDzentualer Anteil der ungefüllten Pausen (Minimum 3 Sek.) an der Gesamtdauer der Textproduktion durchschnittliche Länge der ungefüllten Pausen (Minimum 3 Sek.) in Sek. Gesamtumfang der Verfoalisierungen in WOrtem Umfang des produzierten Textes in WOrtem Textproduktionsgeschwindigkeit in Wörtern pro Minute

reiner Beobachtungsdaten erfaßt worden. Es handelt sich um folgende Prozeß- und Produktparameter: 1. die Gesamtdauer der Textproduktion (siehe Spalte E in Tab. 1 und 2) 2. den prozentualen Anteil von ungefüllten Pausen (Minimum 3 Sek.) an der Gesamtdauer der Textproduktion (siehe Spalte F in Tab. 1 und 2) 3. die Zahl der ungefüllten Pausen 4. die durchschnittliche Länge der ungefüllten Pausen (siehe Spalte G in Tab. 1 und 2) 5. die Zahl der gefüllten Pausen 6. den Gesamtumfang der Verbalisierungen in Wörtem (siehe Spalte H in Tab. 1 und 2) 7. den Gesamtumfang des produzierten Textes in Sätzen 8. den Gesamtumfang der produzierten Textes in Wörtem (siehe Spalte I in Tab. 1 und 2) 9. die Textproduktionsgeschwindigkeit in Wörtem pro Minute (siehe Spalte J in Tab. 1 und 2) Die wichtigsten Parameter sind in den Tabellen 1 (Datensatz 'Bewerbungsschreiben' und 2 (Datensatz 'Bildgeschichten') zusammengefaßt. Die Messungen zu den temporalen Variablen wurden ohne Spezialgeräte

Schreiben in der Fremdsprache Tab. 2: Ausgewählte "Bildgeschichten

413

Produkt-

und Prozeßparameter

D

E

F

G

ITA ITA DEU ITA ENG

mün sehr mün sehr sehr

63 380 51 533 500

0 39,5 0 70,9 6U

0 18,8 0 126,0 19,1

BGl BGl BGl BG2 BG2 BG2

DEU DEU SPA DEU ITA SPA

mün sehr mün sehr sehr mün

49 907 51 921 952 63

0 35,3 0 45,2 40,9 0

0 12,3 0 14,9 10,2 0

VP3 VP3 VP3 VP3 VP3

BGl BGl BGl BG2 BG2

ITA ITA DEU ITA ENG

mün sehr mün sehr sehr

2515 83 2075 1015

. 23,4 0 33,8 30,9

8,3 0 8.2 8,3

VP4 VP4 VP4 VP4 VP4

BGl BGl BGl BG2 BG2

ITA ITA DEU DEU D-E

mün sehr mün sehr HIN

97 396 64 402 721

16,5 90,7 0 88,3 69,8

16,0 51,3 0 178,0 50,3

VP5 VP5 VP5 VP5 VP5 VP5 VP5

BGl BGl BGl BG2 BG2 BG2 BG2

FRA ITA ITA DEU DEU ITA ITA

mün mün sehr mün sehr mün sehr

_ 62 239 104 514 91 304

. 0 92,1 0 63,0 0 99,7

0 110,0 0 23,1 0 303,0

VP6 VP6 VP6 VP6 VP6 VP6

BGl BGl BGl BG2 BG2 BG2

DEU DEU SPA DEU D-S SPA

mün sehr mün sehr HER mün

46 159 51 520 696 144

0 5,0 0 7,1 13,8 0

0 4,0 0 6,2 8,0 0

VP7 VP7 VP7 VP7 VP7 VP7

BGl BGl BGl BG2 BG2 BG2

DEU DEU FRA DEU D-F FRA

mün sehr mün sehr HER mün

184 843 163 542 564 216

2,2 22,2 3,7 23,2 31,2 0

4,0 8.1 6,0 7.0 9.8 0

A

B

VPl VPl VPl VPl VPl

BGl BGl BGl BG2 BG2

VP2 VP2 VP2 VP2 VP2 VP2

für den

Datensatz

verbalisieren"

C

_

.

.

H -

77 -

83 117

_ 515 -

377 489 -

_ 2184 -

1030 469 42 -

62 222

_ -

44 -

302 -

0

_ 144 -

245 288 -

420 -

304 357 -

I

J

113 102 135 159 128

107.6 16,1 158.8 17,9 15,4

132 146 126 162 146 185

161,6 9,7 148^ 10,6 9a 176,2

. 91 122 110 144

22 88,2 3,2 8.5

64 78 155 125 168

39,6 11.8 145,3 18,7 14,0

, 114 93 160 102 153 123

110,3 23,3 92,3 11,9 100,9 24,3

107 87 101 191 191 216

139,6 32,8 118,8 22,0 16,5 90,0

380 159 324 114 148 412

123,9 11,3 119,3 12,6 15.7 114,4

-

_

Klings

414

Tab. 2 (Fortsetzung) VP8 VP8 VP8 VP8 VP8

BGl BGl BGl BG2 BG2

ITA ITA DEU ITA I-D

mün sehr mün sehr HER

163 1030 72 1304 1214

16,6 43,9 0 50,3 44,5

27,0 16,1 0 21,2 20,0

VP9 VP9 VP9 VP9 VP9

BGl BGl BGl BG2 BG2

ITA ITA DEU ITA ENG

mün sehr mün sehr sehr

91 266 49

0 16,5 0 36,1 33,7

0 6.3 0 7.6 6,9

A: B: C: D: E: F-J:

296 309

_ 500 -

463 896 .

107 -

102 139

96 113 138 191 211

35.3 6.6 115.0 8.8 10,4

96 78 90 81 70

63,3 17,6 110,2 16,4 13.6

Versuchsperson Textproduktionsaufgabe (BG = Bildgeschichte) Sprache Textproduktionstyp (mün = mündlich, sehr = schriftlich, HER = aus der Fremdsprache in die Muttersprache übersetzen, HIN = aus der Muttersprache in die Fremdsprache übersetzen) Gesamtdauer der Textproduktion in Sekunden wie in Tabelle 1

vorgenommen. Durch Einsatz eines Oszillographen wie z.B. im Rahmen der Kasseler Projekte lassen sich diese Messungen erheblich verfeinem, was für die Zwecke dieser Pilotuntersuchungen jedoch nicht zwingend notwendig erschien, zumal man beim Schreiben mit wesentlich längeren Pausen zu rechnen hat als bei der mündlichen Sprachproduktion. Die 3 Sekunden-Schwelle wurde eingeführt, da unterhalb dieser Schwelle die Meßgenauigkeit deutUch abfällt. Die Daten in den Tabellen 1 und 2 wurden ergänzend zur Interpretation der Verbalisierungsdaten herangezogen. Im verbleibenden Teil des Beitrags möchte ich nun einige Ergebnisse der Datenanalyse vorstellen und diese an die in 1.2 aufgeworfenen Fragestellungen rückbinden. Da dies hier nur ausschnittweise geschehen kann, beschränke ich mich auf die Fragen 3,4, 6 und 7, weil diese unmittelbar auf die Spezifik fremdsprachlicher Textproduktionsprozesse bezogen sind.

Schreiben in der Fremdsprache

415

2.3 Ausgewählte Ergebnisse der Datenanalyse Welche sprachlichen und nichtsprachlichen Probleme treten bei der Realisierung der Pläne auf? Wie bereits in Abschnitt 2.2 dargestellt, werden die eigentlichen Planungsprozesse zur sukzessiven Hervorbringung des Textes immer wieder durch spezifische, meist an konkreten Textsegmenten festzumachende fremdsprachliche Realisierungsprobleme unterbrochen. Mit Hilfe des Textproduktionsdiagramms konnten diese zunächst identifiziert und gezählt sowie anschließend klassifiziert werden. Dabei zeigte sich, daß die mit 44% mit Abstand größte Gruppe aus solchen L2-Problemen besteht, in denen eine fest konzeptualisierte semantische Einheit in der Muttersprache, nicht aber in der Fremdsprache aktiviert werden kann. Im Rahmen einer fremdsprachlichen Textproduktionsaufgabe, in der idealiter "in der Fremdsprache gedacht" werden sollte, können all diese Fälle als Nachweis muttersprachlicher Ausdrucksbedürfnisse gelten, deren Umsetzung in die Fremdsprache nicht spontan möglich ist, d.h., der hohe Grad an Spontaneität muttersprachlicher Konzeptualisierungen wirkt auch bei fortgeschrittenen Lemem stark in die schriftliche Textproduktion hinein. Hier einige Beispiele für semantische Einheiten, die eine solche "muttersprachliche Blockierung" auslösen: Bewerbung, Lebenslauf, Anlage (zu Briefen), Grundschule, Leistungskurs, Praktikum, Umgang, Erfahrung, Spaß machen, vertraut sein, von Nutzen sein, jemandem etwas vermitteln, sich in die Situation von jemandem versetzen können, insbesondere, außerdem, im wesentlichen, aus mehreren Gründen, zum einen - zum anderen usw. im ersten Datensatz oder Pfahl, Freßnapf, Leine, Manager, Streß, Hektik, angebunden sein, bellen, vertreiben, heranreichen, schnappen, stolzieren, sich verwickeln, ungehindert, gefahrlos, stressig, arbeitsaufwendig usw. im zweiten Datensatz. Mit diesem ersten Problemtyp hängt ein zweiter eng zusammen, bei dem die Hervorbringung von Bedeutung ihren Ausgangspunkt ebenfalls in der Muttersprache nimmt, die Lemer jedoch spontan oder über das zweisprachige Wörterbuch zu einer fremdsprachlichen Einheit gelangen und nun nicht sicher sind, ob diese in dem gegebenen Kontext als Äquivalent fungieren kann oder nicht, z.B.: - trouver plaisir ä quelque chose für Spaß machen in es würde mir Spaß machen, die beiden airfs Abitur vorzubereiten - entendre für verstehen in wir werden uns sicherlich gut verstehen - inviluppare für verwickeln in sich um den Pfahl verwickeln

416

Klings

- usare für nutzen in die Therapie hat genutzt - stressed für gestresst in ein gestresster Manager usw. Die restlichen 40% der L2-Probleme verteilen sich auf ein weites Spektrum sehr unterschiedlicher Typen. Die Probleme können sich beziehen auf die Orthographie, die Pluralbildung, den Artikelgebrauch, den Tempus- und Modusgebrauch, die Wortstellung, die Zulässigkeit lexikalischer Kookkurrenzen usw., bis hin zur kommunikativ-stilistischen Angemessenheit eines Wortes oder Ausdrucks (eine vollständige Klassifikation für den ersten Datensatz findet sich in Krings 1986b). Was diese L2-Probleme aus Sicht der Sprachlehrforschung so interessant macht, ist die Tatsache, daß jedes von ihnen ein authentisches, subjektiv als solches von den Lemem wahrgenommenes fremdsprachliches Wissensdefizit darstellt und damit unmittelbarer Ausdruck des spezifischen L2-Sprachstandes des jeweiligen Lemers zum Zeitpunkt des Versuchs ist. Es handelt sich sozusagen um singuläre Koordinaten im System der interlanguage (zum interlanguage-KonT&YH s. Bausch/Kasper 1979). Verteilungsanalysen solcher empirisch ermittelten L2-Probleme geben somit nicht nur wichtige Aufschlüsse über die Quellen von Sprachproduktionsproblemen der Lemer, sondern auch über die Organisation ihrer fremdsprachlichen Wissensbestände. Die bisher vorliegenden Korpora zeigen dabei eine starke Dominanz lexikosemantischer Probleme im weiteren Sinne und belegen damit die große Rolle des noch immer stark vernachlässigten "Bedeutungsiemens" (vgl. Levenston 1979, Scherfer 1985), insbesondere im Rahmen gängiger Fremdsprachenlem- bzw. -erwerbsmodelle (z.B. dem von Krashen 1981, 1982, 1985, Bialystok 1978), die eindeutig syntaxlastig sind. Die Tabellen 3 und 4 geben eine genauere quantitative Aufschlüsselung der L2-Probleme. Die Gesamtzahl für die vier Textproduktionen im ersten Datensatz (Bewerbungsschreiben) betrug 101, für die 20 Textproduktionen im zweiten Datensatz (Bildgeschichten) 120. Die Verteilung auf die einzelnen Versuchspersonen weist starke individuelle Unterschiede auf. Die absolute Zahl der Probleme ist dabei jedoch noch nicht aussagekräftig, da die von den Lemem produzierten Texte unterschiedlich lang sind, die Zahl der Probleme mit wachsender Textlänge aber naturgemäß zunimmt. E)eshalb wurde für jede Textproduktion die 'Problemdichte' ermittelt, d.h. die Zahl der Wörter im endgültigen Textprodukt pro Problem. Die Tabellen zeigen, daß die Werte dieser Parameter zwischen

Schreiben in der Fremdsprache

417

Tab. 3: L2-Probleme und damit zusammenhängende Parameter in der Schreibairfgabe 'Bewerbungsschreiben' (L2=Französisch)

A: B: C: D: E: F:

A

B

c

D

E

F

VPl VP2 VP3 VP4

23 19 15 44

295 190 212 236

12,8 10,0 14,1 5,4

9 12 4 15

39,1% 63,2% 26,7% 34,1%

tot/M

101

933

9,2

40

39,6%

Versuchsperson Zahl der L2-Probleme Umfang des produzierten Textes in Wörtern Problemdichte in Wörter im Textprodukt pro Problem absolute Anzahl der Benutzungen des zweisprachigen Wörterbuchs Anteil der L2-Probleme, bei denen ein zweisprachiges Wörterbuch benutzt wurde, an der Gesamtzahl der L2-Piobleme in Prozent

den Extremen ein Problem pro 3,3 Wörter für die Versprachlichung der ersten Bildgeschichte im Italienischen bei der Versuchsperson 3 und ein Problem pro 191,0 Wörter bei der Versprachlichung der zweiten Bildgeschichte im Deutschen durch die Versuchsperson 6 (Ll=Spanisch) schwanken. Eine weiterführende Hypothese wäre hier, daß diese Unterschiede nicht allein durch unterschiedliche Kompetenzgrade in der jeweihgen Fremdsprache, sondern möglicherweise auch durch unterschiedlich erfolgreiche Kommunikationsstrategien (s. nächster Abschnitt) erklärt werden. Interessant sind auch die unterschiedhchen Durchschnittswerte für die beiden Textproduktionsaufgaben (20,4 für die Bildgeschichten, 9,2 für die Bewerbungsschreiben). Die größere Problemdichte bei den letztgenannten legt die Vermutung nahe, daß das Bewerbungsschreiben die Lemer insgesamt vor größere fremdsprachliche Realisierungsprobleme stellte als die Bildgeschichten. Bei Kontrolle unterschiedlicher Kompetenzniveaus (z.B. durch C-Tests, vgl. Klein-Braley/Raatz 1985) könnte der Parameter der Problemdichte somit ein wichtiger quantitativer Indikator für den Schwierigkeitsgrad einer fremdsprachlichen Textproduktionsaufgabe sein.

Krings

418

Tab. 4: L2-Probleme und damit zusammenhängende Parameter in der Schreibairfgabe 'Bildgeschichten versprachlichen' D

E

F

G

1 1

102 159 128

102,0 159,0 32,0

1 1 3

4

5

7

146 162 146

29,2 40,5 20,9

2 1 5

ITA ITA ENG

28 20 9

91 110 144

3,3 5,5 16,0

26 18 4

BGl

ITA

4

78

19,5

4

VP5

BG2

DEU

6

102

17,0

0

VP6 VP6

BGl BG2

DEU DEU

2 1

87 191

43,5 191,0

1 1

VP7 VP7

BGl BG2

DEU DEU

1 1

159 114

159,0 114,0

1 1

VP8 VP8

BGl BGl

ITA ITA

13 9

113 191

8,7 21,2

10 9

VP9 VP9 VP9

BGl BG2 BG2

ITA ITA ENG

1 1 2

78 81 70

78,0 81,0 35,0

1 1 1

120

2452

20,4

91

A

B

C

VPl VPl VPl

BGl BG2 BG2

ITA ITA ENG

VP2 VP2 VP2

BGl BG2 BG2

DEU DEU ITA

VP3 VP3 VP3

BGl BG2 BG2

VP4

tot/M

A: B: C: D: E: F: G: H:

4

H

75,8%

Versuchsperson Textproduktionsaufgabe (BG = Bildgeschichte) Sprache Zahl der L2-Probleme Umfang des Textprodukts in Wörtern Problemdichle in Wörter im Textprodukt pro Problem absolute Anzahl der Benutzungen des zweisprachigen Wörterbuchs Anteil der L2-PiDbleme, bei denen ein zweisprachiges Wörterbuch benutzt wurde, an der Gesamtzahl der L2-Probleme in Prozent (Mittelwm)

Schreiben in der Fremdsprache

419

Welche Strategien setzen die Lerner zur Lösung der L2-Problenie ein? Dem weiten Spektrum von L2-Problem-Typen entspricht in den Daten keine entsprechend große Fülle an Strategien. (Es wird hier der Strategiebegriff von Faerch/Kasper 1983b zugrunde gelegt). Es gibt vielmehr eine Klasse von Strategien, die quantitativ eindeutig das Bild dominiert, nämlich die Benutzung des zweisprachigen Wörterbuchs als eine Art des appeal for assistance. Die Tabellen 3 und 4 zeigen, daß das zweisprachige Wörterbuch im Falle der Bewerbungsschreiben an 39,6% und im Falle der Bildgeschichten sogar an 75,8% der L2-Probleme beteiligt war. Der geringere Wert bei der ersten Schreibaufgabe erklärt sich aus dem noch breiteren Spektrum an L2-Problemen, von denen einige, z.B. Probleme bei der pragmatischen Einschätzung unterschiedlicher Grußformeln am Anfang und am Ende der Briefe von den Versuchspersonen für "nicht nachschlagbar" gehalten werden. Wie bereits in den Übersetzungsversuchen setzen die Lemer das zweisprachige Wörterbuch als eine Art von Universalnachschlagewerk auch zur Suche solcher Informationen ein, die schneller oder überhaupt nur in anderen, spezielleren Nachschlagewerken gefunden werden können. Die Benutzung des zweisprachigen Wörterbuchs, insbesondere im Rahmen des häufigsten Problemtyps ("nicht wissen, was X in der jeweiligen Fremdsprache heißt") führt dabei nur ausnahmsweise zu einer unmittelbaren Lösung der Probleme. Da in den Wörterbüchern meistens mehrere potentielle Äquivalente angegeben sind, tritt häufig ein Auswahlproblem auf. Die Art, wie die Lemer solche Auswahlprobleme lösen, hat selbst wiederum Strategiecharakter. Eine der Standard-Strategien besteht darin, die deutschen Glossen, die im Wörterbuch häufig zur Differenzierung unterschiedlicher Bedeutungen des jeweiligen Lemmas angegeben werden, auf ihre Eignung als Synonyme oder Paraphrasen für die problemauslösende muttersprachliche Einheit zu prüfen und dann ggf. das dieser Glosse zugeordnete fremdsprachliche Äquivalent in den Text einzusetzen. Die Muttersprache fungiert somit als Steuerungsinstrument für den Problemlösungsprozeß. Dies gilt auch für viele Fälle, in denen keine muttersprachlichen Glossen verfügbar sind. Dazu ein Beispiel. Die Versuchsperson 1 hat im letzten Satz ihres Textes das Problem, nicht zu wissen, wie sie den muttersprachlich verbalisierten Plan für eine Antwort wäre ich sehr dankbar in die Fremdsprache umsetzen kann, d.h. sie verfügt über keine französische Versprachlichung des deutschen Konzepts 'dankbar'. Sie zieht das zweisprachige Wörterbuch zu Rate und findet darin u.a. die Äquivalenzangabe reconnaissant. Von diesem Wort weiß sie aber nicht, wie es im Französischen konstruiert wird, so daß sie auf einen Formulierungsversuch mit reconnaissant ver-

420

Krings

ziehtet (Vermeidungsstrategie). Als nächstes findet sie im gleichen Wörterbuchartikel die Wendung savoir gri de qc. ä qn. für jmd. für etwas dankbar sein. Dieser Ausdruck ist ihr insgesamt unbekannt, insbesondere weiß sie ihn stilistisch nicht richtig einzuordnen. Sie verzichtet deshalb emeut auf einen entsprechenden Formulierungsversuch (erneute Vermeidungsstrategie). Da damit die verwertbaren Angaben des zweisprachigen Wörterbuchs zur Lösung des Problems nach ihrer subjektiven Einschätzung erschöpft sind, greift sie zur Strategie der 'Reverbalisierung' und ersetzt ihren muttersprachlichen Plan fiir eine Antwort wäre ich Ihnen dankbar durch den semantisch benachbarten Plan über eine Antwort würde ich mich freuen. Da sie auch zu sich freuen keine L2-Versprachlichung aktivieren kann, wird eine erneute Wörterbuchbenutzung notwendig. Diesmal akzeptiert sie jedoch sofort etre heureux als Äquivalent und gelangt so zu der endgültigen Wiedergabe ihres Gedankens mit "Je suis trfes heureux d'une röponse ä ma lettre". Der in diesem Beispiel skizzierte Problemlösungsprozeß weist in seiner Grundstruktur überraschend deudiche Parallelen zur Hauptstrategie des Problemlösungsprozesses beim Übersetzen in die Fremdsprache auf Pointiert formuliert: Der bei der Suche nach einer angemessenen Umsetzung des muttersprachlich konkretisierten Ausgangsplans in die Fremdsprache beobachtete Ablauf hätte genauso gut im Rahmen einer Hinübersetzungsaufgabe auftreten können, nur mit dem Unterschied, daß die problemauslösende muttersprachliche Einheit in diesem Fall Teil eines von außen vorgegebenen Ausgangstextes gewesen wäre, während sie in dem dargestellten Beispiel der eigenen sprachlichen Planung des Lemers entsprang. In dem angeführten Beispiel wird bereits ein anderer Strategietyp sichtbar, der, wenn auch in wesentlich geringerem Umfang als die Wörterbuchbenutzung, regelmäßig in den Schreibdaten zu beobachten ist, nämlich die Vermeidungsstrategien. Im Beispiel trat er in der schwächeren Form des "message adjustment" (Varadi 1980) auf, d.h., bei fi-emdsprachlichen Realisierungsproblemen ändert der Lemer seine Ausdrucksabsicht, paßt diese also seinen Ausdrucksmöglichkeiten an statt umgekehrt die Mittel der sprachlichen Realisierung auf die jeweilige Ausdrucksabsicht abzustimmen, wie es bei voller fremdsprachlicher Kompetenz zu erwarten wäre (hier: er ersetzt für eine Antwort wäre ich Ihnen dankbar durch über eine Antwort würde ich mich freuen). In anderen Fällen tritt die Vermeidungsstrategie jedoch auch in der "resignativen" Form des "message abandonment" auf, d.h. der Lemer gibt angesichts der fremdsprachlichen Realisierungsprobleme eine Äußerungsabsicht völlig auf wie im folgenden Beispiel aus den Verbalisierungen zur ersten Bildgeschichte:

Schreiben in der Fremdsprache

421

(19) ich hätte also jetzt gerne auch noch gesagt, daß der Hund weiter versucht den n ihn nach ihm zu schnappen oder so aber wüßt ich also auch jetzt nich wie ich das ausdrücken sollte im Italienischen + also laß ich s weg erstmal (B-8-3)

Introspektive Verfahren sind praktisch die einzige Möglichkeit, einen direkten Zugang zu solchen Vermeidungsstrategien der Lemer zu finden, da sie sich im Sprachverhalten selbst ja per deßnitionem nicht bemerkbar machen außer etwa durch bestimmte temporale Parameter, die dann aber meist nur als allgemeine Indikatoren für Planungsprobleme interpretiert weiden können. Zu untersuchen, wann, wo und wie Lemer auf solche Vermeidungsstrategien zurückgreifen, ist naturgemäß von großer Bedeutung für das Verstehen fremdsprachlicher Lern- und Kommunikationsprozesse. Erwähnt sei schließlich noch, daß die Lemer wie bereits bei den Übersetzungsaufgaben auch beim Schreiben nur sehr selten auf die vieldiskutierte Strategie des Regel-"monitoring" im Sinne Krashens (ausfuhrlich: 1981, 1982; kritisch zu diesem Modell z.B. McLaughlin 1978) zurückgreifen. Eine Erklärung dafür wurde oben bereits angedeutet: Bei fortgeschrittenen Fremdsprachenlemem nehmen die rein grammatischen L2-Probleme zugunsten der lexikosemantischen und stilistisch-pragmatischen Probleme stark ab, wodurch das Regelwissen im klassischen Sinn an Bedeutung verliert.

Welche Rolle spielt die Muttersprache in der Steuerung der fremdsprachlichen Schreibprozesse? In den Ausführungen zu den ersten beiden Fragen war bereits deutiich geworden, daß sich viele L2-Probleme als Schwierigkeiten bei der Realisierung muttersprachlich konzipierter Pläne darstellen, und in Abschnitt (Strategien) war die wichtige Rolle der Muttersprache in der Steuerung der Problemlösungsstrategien aufgezeigt worden. Damit stellt sich die Frage, ob der Muttersprache auch in der Steuerung des gesamten fremdsprachlichen Textproduktionsprozesses eine ähnlich große Bedeutung zukommt. Ein wichtiger Parameter zur Beantwortung dieser Frage ist die Relation der fremdsprachlichen zu den muttersprachlichen Planrealisierungen im Sinne der Kategorien 4 und 5 der in 2.2 vorgestellten Klassifikation von Subprozessen. Tabelle 5 faßt die Ergebnisse einer vollständigen quantitativen Auswertung des ersten Datensatzes hinsichtlich dieses

422

Krings

Tab. 5: Verteilung der Planrealisierungen ai4Muttersprache und Fremdsprache

B

C

D

E

F

VPl VP2 VP3 VP4

150 71 57 207

72 28 25 72

48,0 39,4 43,9 34,8

78 43 32 135

52,0 60,6 56,1 65,2

tot/R

485

197

40,6

288

59,4

A

A: Versuchsperson B: Gesamtzahl der Planrealisierungen C: Planrealisierungen in der MuUersprache D: prozentualer Anteil der Planrealisierungen in der Muttersprache an der Gesamtzahl der PlanreaUsierungen E: Planrealisieningen in der Fremdsprache F: prozentualer Anteil der Planrealisierungen in der Fremdsprache an der Gesamtzahl der Planrealisierungen

Parameters zusammen. Demnach werden 40,6% der Planrealisierungen in der Muttersprache verbalisiert. Man beachte, daß es sich dabei nicht um Plangenerierungen im Sinne von Kategorie 3 handelt. Bei diesen könnte man argumentieren, daß die muttersprachliche Pom durch das Laute Denken induziert wird, denn definitionsgemäß stellen sie nur Zwischenstadien der Planung auf dem Weg zur endgültigen Realisierung dar. In der Tat weiden alle in den Daten belegten Plangenerierungen in der Muttersprache verbalisiert. Sobald aber die endgültige Realisierung selbst betroffen ist, erscheint jede Abweichung von dem durch die Schreibaufgabe vorgegebenen Ziel, einen fremdsprachlichen Text zu produzieren, als ein eher durch die Planungsstruktur selbst induziertes Einbrechen der Muttersprache in die Steuerung des Textproduktionsprozesses. Dazu ein Beispiel: (20) a manager is sitting in his office and seems to be quite [...] ja seems to te seems to have a lot +12+ im Streß sein to be under stress + seems to be quite + under stress + m +4+ seems to be quite under stress there and + even + on + his way home +4+ (2-3 Wörter unverständlich) Verkehrsstau steht + rush hour (1-2 Wörter unverständlich) + äh +5+ m Gott +10+ m gets into the rush hour [...] +14+ finally + he goes to see + Psychiater ps psy +32+ (schlägt im Wörterbuch Psychiater nach) finally he goes to see a psychiatrist + and teils him + about his + m + ja anstrengend anstrengen + (2-3 Wörter unverständlich) + anstrengend + also his his troublesome aber

Schreiben in der Fremdsprache

423

s nich anstrengend auf Deutsch + weiß ich nich was s auf Deutsch heißt aber mir fehlt n Ärger Hektik weiß nich troublesome + working day + working day + his troublesome working day weiß ich jetzt nich ob es das gibt + äh + (B-18-5)

Hier erkennt man deutlich, wie sich Ll-Versprachlichungen aufgrund ihres hohen Automatisieiungsgrades immer wieder in den L2-Textproduktionsprozeß einschieben ("im Streß sein", "Verkehrsstau", "Psychiater", "anstrengend") und L2-Probleme hervorrufen, wenn keine entsprechenden Spontanäquivalente verfugbar sind. In diesem Beispiel sind alle LI-Planrealisierungen auf der Wort- bzw. der Syntagmaebene angesiedelt. Daß ihr Auftreten im Planungsprozeß nicht auf diese Ränge begrenzt ist, zeigt das folgende Beispiel: (21) im ersten Moment hab ich gedacht ich stell mich ers mal vor [...] ich habe Ihre Annoce gelesen in der Zeit (K-1-28)

Während das "ich stell mich ers mal vor" in der ersten Zeile noch als Plangenerierung zu betrachten ist, die nicht zur wörtlichen Übernahme in den Text vorgesehenen ist, erfüllt das zweite Planungelement "ich habe Ihre Annoce gelesen in der Zeit" genau diese Bedingung, wie an der direkten Anrede "Ihr" deutlich zu erkennen ist. Es wird also sozusagen in der Muttersprache eine "textfertige" Formulierung aktiviert, die nur noch in die Fremdsprache "übersetzt" zu werden braucht. Tatsächlich lautet die endgültige Formulierung im Text: "J'ai lu avec beaucoup d'intdret votre annonce dans le Journal 'Die Zeit' de 14/02/84". Der Ll-Plan ist also wörtlich in die Fremdsprache umgesetzt und nur noch um einige Elemente angereichert worden ("avec beaucoup d'intöret", "le joumal", "de 14/02/84"). Wie in diesen kurzen Beispielen nur andeutungsweise sichtbar wurde, zeigt sich in den Daten allenthalben eine starke Verschränkung von muttersprachlichen und fremdsprachlichen Planungsprozessen. Diese geht zwar nicht so weit, daß grundsätzlich zunächst eine vollständige Planrealisierung in der Muttersprache aktiviert und diese dann in die Fremdsprache übersetzt wird, wie im letzten Beispiel. Doch muttersprachliche "Einbrüche" in die fremdsprachliche Planung wie im ersten Beispiel sind in fast jedem Satz zu beobachten. Um weitere Aufschlüsse über die Rolle der Muttersprache in fremdsprachlichen Schreibprozessen zu erhalten, wurden bei insgesamt 4 Versuchspersonen zusätzlich zu den Schreibaufgaben Übersetzungsdaten erhoben. Diese Versuchspersonen hatten dabei die Aufgabe, einen der von ihnen vorausgehend produzierten Texte selbst zu übersetzen. Dreimal handelte es sich um eine Übersetzung aus der Fremdsprache in die Muttersprache (Herübersetzung), einmal um eine Übersetzung aus der Mut-

424

Krings

tersprache in die Fremdsprache (Hinübersetzung). Ausgangstext war in allen vier Fällen die eigene Versprachlichung der zweiten Bildgeschichte. Den Versuchspersonen wurde erst unmittelbar vor Beginn der Übersetzungsaufgabe mitgeteilt, daß sie ihren eigenen Text übersetzen sollten, so daß die Kenntnis der Aufgabenstellung nicht die vorausgehende Produktion dieser Texte beeinflussen konnte. Die Ausgangshypothese war, daß die Herübersetzung eines selbsterstellten fremdsprachlichen Textes für die Lemer völlig problemlos sein müsse, da die Muttersprache, wie oben dargestellt, eine entscheidende Rolle in der Steuerung der Textproduktionsprozesse spielt. (Die These, daß Lemer einschränkungslos in der Lage sein müßten, aus ihrer Interimsprache in die eigene Muttersprache zu übersetzen, wurde in allgemeiner Form bereits 1977 von Bausch aufgestellt, s. Bausch 1977). Darüber hinaus wurde angenommen, daß eine solche Herübersetzung zumindest teilweise den Charakter einer nachträglichen Offenlegung muttersprachlicher Planungsprozesse haben könnte. Umgekehrt wurde vermutet, daß bei der Hinübersetzung selbsterstellter muttersprachlicher Texte, die Begrenztheit der fremdsprachlichen Ausdrucksmittel zu den strukturell gleichen Übersetzungsproblemen führen würde, wie sie in der Hinübersetzung fremder Ausgangstexte beobachtet worden sind. Die Auswertung der LD-Protokolle zu den vier Übersetzungsaufgaben ergab zunächst, daß die Ausgangshypothese (Auftreten von Übersetzungsproblemen nur in den Hinübersetzungen) nicht bestätigt wurde. Zwar traten in der Hinübersetzung der eigenen deutschen Versprachlichung der Bildgeschichte durch die VP4 erwartungsgemäß eine Reihe typischer, durch L2-Defizite ausgelöster Übersetzungsprobleme auf, doch waren auch in den drei Herübersetzungen insgesamt 10 Übersetzungsprobleme zu beobachten. Stellvertretend für den Charakter dieser Probleme sei hier das Übersetzungsproblem 4 der VP6 "rumkommandieren" angeführt. Der entsprechende Satz aus dem L2-Text dieser spanischen Muttersprachlerin lautete: "Aus dem Fenster kann er seine Gartenanlage beobachten und die Leute, die für ihn arbeiten, beobachten und rumkommandieren". Dazu ein Auschnitt aus dem entsprechenden LDProtokoll: (22) desde + la ventana + puede observar + la no su huerta + y la + gente + que trabaja + para £1 y nimkommandieren (lacht) -f hm da gabs auch ein Won im Spanischen + für nimkommandieren +4-)- ach Mensch +4+ im Wörterbuch steht so was bestimmt nicht (lacht) + (unverstandlich, beginnt zu blatten!) •i-12-t- (schlagt ohne das Won schon gefunden zu haben plötzlich wieder zu) ah tiranizar heißt das + tiri tiranizarlos Punkt (N-II-5)

In diesem Fall scheint das problemauslösende rumkommandieren direkt in der Fremdsprache, also im Deutschen, konzeptualisiert zu sein. Die Erklärung liegt hier jedoch ganz offensichlich darin, daß es sich bei der VP um eine Spanierin handelt, die schon sehr lange in Deutschland lebt und

Schreiben in der Fremdsprache

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als Fast-Bilinguale gelten kann. Die starke Stellung des Deutschen in ihrem individuellen Sprachbesitz drückt sich auch darin aus, daß sie auf eigenen Wunsch die Verbalisierungen auf Deutsch vornimmt. In diesem Fall ist natürlich sehr viel eher mit L2-typischen Konzeptualisierungen und daraus resultierenden Übersetzungsproblemen auch bei der Übersetzung in die Muttersprache zu rechnen als bei typischen Fremdsprachenlemem. Ähnliches gilt im Falle der VP7, einem Muttersprachler des Französischen. VP 8 repräsentiert dagegen den typischen Fremdsprachenlemer ohne nennenswerte Spracherfahrungen direkt im Land der Fremdsprache. Ihre beiden Herübersetzungsprobleme resultieren einmal aus der Wiedergabe einer italienischen Gerundialkonstruktion (telefonando), zum anderen aus dem italienischen confusione. Inwieweit es sich hier um Direktkonzeptualisierungen in der Fremdsprache handelt, kann aus den Daten heraus nicht entschieden werden. In beiden Fällen kann man jedoch den Eindruck gewinnen, daß es sich um eher untypische Fälle handelt, weil die VP die jeweilige Übersetzung einerseits zwar problematisiert, andererseits aber keinerlei Schwierigkeiten hat, potentielle Übersetzungen zu aktivieren, während normalerweise gerade deren Fehlen das wichtigste Indiz eines schwerwiegenden Übersetzungsproblems ist. Insgesamt legen die Daten also die Vermutung nahe, daß bei der Herübersetzung dann Übersetzungsprobleme auftreten können, wenn Inhalte direkt in der Fremdsprache konzeptualisiert worden sind, z.B. infolge entsprechend intentiver Kontakte mit der Fremdsprache in real-life situations. Es erscheint sinnvoll, hier weiter systematisch Daten zu erheben, wobei es darauf ankäme. Her- und Hinübersetzungsdaten von muttersprachlichen und firemdsprachlichen Textproduktionen identischer Versuchspersonen aus dem gleichen Sprachenpaar zu gewinnen. Eine sehr niedrige Zahl von L2Problemen in der Herübersetzung eigener fremdsprachlicher Textproduktionen bei einer gleichzeitig hohen Zahl von L2-Problemen in der HinÜbersetzung eigener muttersprachlicher Textproduktionen könnte dann als indirekter Beweis für die Präsenz der Muttersprache in der Steuerung der fremdsprachlichen Textproduktionsprozesse im Sinne der oben begründeten Hypothese gewertet werden.

Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen muttersprachlichen und fremdsprachlichen Textproduktionsprozessen? Weiter oben war bereits ausgeführt worden, daß in der muttersprachlichen Textproduktion keine den L2-Problemen vergleichbare LI-Probleme zu beobachten sind, womit ein erster wichtiger Unterschied zur fremdsprachlichen Textproduktion genannt ist. Für den Vergleich zwischen mutter-

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Krings

Tab.6: Vergleich einiger Parameter für muttersprachliche und fremdsprachliche schriftliche Textproduktionen A

B

C

L2

37,3%

9,21

1:3,21

LI

92,9%

21,65

1:0,31

A: B: C:

prozentualer Anteil der Pausen über 3 Sekunden UInge an der Gesamttextp^uktionszeit Textproduktionsgeschwindigkeit in WOrtem pro Minute Relation des Umfangs des Textproduktes in Wörtern zum Umfang der Veibalisierungen in WÄtem

sprachlichen und fremdsprachlichen Textproduktionsprozessen sollen hier aber noch drei weitere Parameter herangezogen werden, nämlich: der prozentuale Anteil der ungefüllten Pausen über 3 Sekunden Länge an der Gesamtdauer der Textproduktion, die Textproduktionsgeschwindigkeit und die Relation zwischen Textumfang und Verbalisierungsumfang ("Verbalisierungsdichte"). Tabelle 6 faßt die Durchschnittswerte für die insgesamt 20 L2-Textproduktionen und die 3 Ll-Textproduktionen zusammen. Demnach lag der Anteil der ungefüllten Pausen über 3 Sekunden an der gesamten Textproduktionszeit bei den L2-Textproduktionen bei etwas mehr als einem Drittel (37,4%); bei den Ll-Textproduktionen wurde aber fast die ganze Textproduktionszeit von Pausen ausgefüllt (92,9%). Dieser Befund deckt sich mit den Werten für die Verbalisierungsdichte (s. Spalte C). Demnach wurde in den L2-Textproduktionen pro Wort des endgültigen Textprodukts etwas mehr als lOmal so viel verbalisiert wie in den Ll-Textproduktionsprozessen. Die Erklärung, die sich für diesen Zusammenhang zunächst anbietet, ist die, daß der muttersprachliche Textproduktionsprozeß in wesentlich höherem Maße automatisiert ist und deshalb problembezogene Verbalisierungen, die in allen LD-Protokollen von zentraler Bedeutung sind, zu großen Teilen entfallen. Diese Interpretation wird weiter gestützt durch die Textproduktionsgeschwindigkeit (siehe Spalte B). Diese ist in der Muttersprache mit 21,65 Wörtern pro Minute mehr als doppelt so hoch wie in der Fremdsprache (9,21 Wörter pro Minute).

Schreiben in der Fremdsprache

427

Auf der Suche nach einer weiteren Eridäiung dieser Unterschiede bietet sich ein Vergleich der vom Textpioduktionsdiagramm ausgewiesenen Planungsstrukturen an. Dazu als Beispiel der vollständige Transkriptausschnitt für die Versprachlichung der ersten Bildgeschichte durch die VP5 in deren Muttersprache Italienisch: (23) +50f no non mi piace + stavo per scriverc pietanza poi ho detto che fe stupido perch6 non b una persona ma b un cane un animale non si usa questo termine per un per un animale quindi metto cibo che 6 molto piü

generico (ersetzt im Manuskript della sua pietanza in cerca di privarlo della sua pietanza durch del suo cibo) +17(>+finito(L-8-12)

Man sieht, daß die Textproduktion (Gesamtdauer 239 Sekunden) zum größten Teil (220 Sekunden = 92,1%) ohne Verbalisierungen abläuft. Die einzige Verbalisierung wird durch eine Revision im Text, bei der ein bereits realisierter Plan {pietanza) durch einen neuen Plan (cibo) ersetzt und diese Planänderung begründet wird (der Hund ist keine Person und pietanza paßt folglich nicht; vgl das dt. Wort Speise). Eine genauere Untersuchung der anderen LI-Textproduktionen ergab ein vergleichbares Bild: Der Textproduktionsprozeß läuft mit einer sehr hohen Geschwindigkeit (einem hohem "Text-output") und weitgehend ohne Verbalisierungen ab. Wenn jedoch Verbalisierungen auftreten, dann entweder bei Revisionen oder bei Auswahlentscheidungen zwischen konkurrierenden Planrealisierungen. Diese Beobachtung legt die Vermutung nahe, daß, zumindest im Rahmen relativ einfacher Schreibaufgaben wie im vorliegenden Fall, der muttersprachliche Textproduktionsprozeß einen wesenüich geringeren Grad an Altemativplanung, d.h. an konkurrierenden Plänen (im Sinne der competing plans hypothesis, s.o.) aufweist als die Produktion eines vergleichbaren Textes in der Fremdsprache. Dieser Umstand sowie das bereits erwähnte Fehlen der den L2-Problemen der fremdsprachlichen Textproduktion entsprechenden muttersprachlichen Wissensdefizite sind somit höchstwahrscheinlich die Hauptgründe für den wesenüich höheren Automatisierungsgrad in der muttersprachlichen Textproduktion. Weiterführende Untersuchungen hätten hier v.a. zu klären, ob diese Befunde auf einfache Textproduktionsaufgaben beschränkt sind oder ob, wie vermutet werden kann, bei komplexeren muttersprachlichen Textproduktionen eine Annäherung an die beschriebene Struktur fremdsprachlicher Schreibprozesse zu beobachten ist.

428

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2.4 Zusammenfassung und Ausblick Die Ergebnisse der beiden Pilotuntersuchungen konnten hier, wie bereits weiter oben vermerkt, nur auschnittweise vorgestellt und diskutiert werden. Zu fast allen der in 1.2 aufgestellten Fragen sind in den Daten weitere Befunde gesammelt worden (auf einige der Ergebnisse bin ich an anderer Stelle eingegangen, siehe Krings 1987c zu den Piozeßunterschieden zwischen Übersetzen und Schreiben). Es sei hier noch einmal betont, daß alle referierten Ergebnisse nur den Charakter von begründeten Hypothesen für weitere Forschungen haben können, da die beschränkte Datenbasis und v.a. der in dieser Phase bewußte Verzicht auf ein Kontrollgruppenverfahren einen direkten Nachweis einzelner Zusammenhänge ausschloß. Ich habe jedoch versucht zu zeigen, daß sich der große heuristische Wert introspektiver Daten in den hier referierten Untersuchungen erneut erwiesen hat. Solche Daten liefern eine Fülle von Einblicken in die Struktur fremdsprachlicher Textproduktionsprozesse, wie sie mit keinem anderen Verfahren in quantivativ und qualitativ vergleichbarer Form zu erhalten sind. Die Entwicklung spezieller Datenanalyseinstrumente, auf deren Darstellung in diesem Beitrag besonderer Wert gelegt wurde, macht eine schrittweise Rekonstuktion der Gesamtprozesse sowie systematische Vergleiche in verschiedenen Dimensionen möglich. Unsere Vorstellungen vom Ablauf fremdsprachlicher Textproduktionsprozesse sowie vom Einfluß der verschiedenen diese Prozesse steuernden Variablen können so erheblich konkretisiert werden. Dennoch steht die grundsätzliche Frage nach der Qualität der aus introspektiven Daten gewonnenen Einsichten in sprachliche Prozesse nach wie vor im Raum. Ich habe an anderer Stelle (1986b) eine Reihe von Beobachtungen aus dem ersten Datenkorpus referiert, die als Indiz unterschiedlicher "Verbalisierungswilligkeit" der einzelnen Versuchspersonen gewertet werden können, d.h., es besteht der begründete Verdacht, daß die Versuchspersonen nicht alle bewußt ablaufenden sprachlichen Prozesse verbalisieren sondern nur einen Teil derselben, wobei möglicherweise sowohl personale wie situative Faktoren die Auswahl steuern. Solche grundsätzliche Bedenken können jedoch nicht intra-experimentell ausgeräumt werden. Es bedarf vielmehr spezieller Forschungsbemühungen zur Klärung der Frage, wie valide LD-Daten von Sprachverwendungsprozessen tatsächlich sind. Eine kommunikative Validierung (vgl. Lechler 1982) mag hier zwar eine Reihe weiterer Aufschlüsse bringen, reicht aber nicht aus, da sie das Problem im Grunde nur von einem Typ verbaler Daten auf einen anderen verschiebt. Nur eine eindeutige experimentelle Handlungsvalidierung (vgl Wahl 1982) würde die Diskussion entscheidend voranbringen. Dies ist aber mit Bezug auf kognitive Prozesse, um die es hier ja geht, äußerst schwierig. Denn selbst

Schreiben in der Fremdsprache

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relativ aufwendige experimentelle Designs z.B. zur Messung der Augenbewegungen (vgl. Deffner 1984, Liier 1988) können immer nur bruchstückhafte Validierungen erbringen. Andererseits hieße es, das Kind mit dem Bade auszuschütten, würde man auf den Einsatz des Lauten Denkens als methodisches Verfahren so lange verzichten wollen, bis die wissenschaftstheoretische Diskussion über die Validität introspektiver Daten zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen ist. Allein schon der rein heuristische Wert des Verfahrens zur Hypothesenfindung läßt dies als völlig unangemessen erscheinen. Was für die nächste Zeit gefordert ist, ist deshalb meiner Meinung nach v.a. Kreativität in der Entwicklung kombinierter empirischer Designs, die "weiche" introspektive Daten und "harte" behaviorale Daten methodisch integrieren. Dazu wäre an eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit zu denken, namentlich zwischen Psychologen und Sprachwissenschaftlern. Eine vorläufige Kompromißlösung, wie ich sie auch für die geplante größere Untersuchung anstrebe, könnte so aussehen, daß wie beim traditionellen Kontrollgruppenverfahren grundsätzlich mit zwei Gruppen gearbeitet wird, von denen bei der einen das Laute Denken als Verfahren eingesetzt wird, während die andere die gleiche Aufgabe ohne Lautes Denken bei ansonsten völlig gleichen Bedingungen ausführt. Damit entsteht zumindest hinsichtlich einer Reihe von Parametern (z.B. Pausenzahl, Pausenlänge, Pausenverteilung, Textumfang, Textproduktionsgeschwindigkeit, Zahl von Hilfsmittelbenutzungen, Zahl von Revisionen usw.), eine Vergleichsdimension, die es möglich macht, Zufallsgruppen vorausgesetzt, den Einfluß der Verbalisierungsaufgabe auf den Textproduktionsprozeß etwas besser einzuschätzen und bei der Interpretation der Daten zu berücksichtigen. Der Einsatz retrospektiver Befragungen, etwa mit der von Börner entwickelten Technik (siehe 1.3), könnten zusätzliche Aufschlüsse liefern. Neben diesen methodischen ergeben sich natürlich auch inhaltliche Perspektiven für die weitere Forschung. Diese bestehen, was die fremdsprachliche Textproduktion anbelangt, in der schrittweisen Abarbeitung des in 1.2 aufgestellten Fragenkatalogs. Es sei abschließend erwähnt, daß die Untersuchung von Textproduktionsprozessen mit introspektiven Verfahren auch außerhalb der Sprachlehrforschung von großem Interesse ist. Insbesondere Untersuchungen zum Entstehen von Fachtexten erscheinen vor dem Hintergrund der anhaltenden Diskussion über Verständlichkeit (z.B. bei technischen Anweisungstexten wie Gebrauchsanweisungen, Betriebsanleitungen, Softwarehandbüchem etc.) besonders aufschlußreich (vgl. auch den Beitrag von Herzke/Juhl/de la Roza in diesem Band; einen ersten Versuch in diese Richtung unternehme ich in Krings i.V.). Insgesamt scheint das Interesse an der empirischen Erforschung von Textpro-

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Klings

duktionsprozessen dauerhaft geweckt und es wäre zu wünschen, daß möglichst viele Wissenschaftler unterschiedlicher fachlicher Provenienz ihren Beitrag zur Erforschung von Textproduktionsprozessen leisten.

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Schreiben in der Fremdsprache

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Dorothea Möhle/Manfred Raupach (Kassel)

Prozesse der mündlichen Textproduktion. Abstract: This article concentrates on ihe processes underlying oral text production in geltend and, more particularly, narratives in a second language. In a brief survey the most influential approaches to the analysis of narratives are presenied. Of these, Chafe's ideas on the recall and verbalization of past experience (1977) and on the development of consciousness in the production of narratives (1980) are retain«! as guiding principles for the design of a replication of his well-known experiment with narrations of the "Fear Story Film". In modification of Chafe's experiment the film descriptions in the present study are not given by native speakers, but, comparable to Posner (1982), by second language leamers, i.e. by German students of Spanish. One of these texts serves to illustrate some of the mental activities which are assumed to underly the verbalizations of second language leamers.

1. Einleitung Bei der Beschäftigung mit gesprochener Sprache in Abgrenzung von geschriebener Sprache hat der Textbegriff forschungsgeschichtlich zunächst keine wesentliche Rolle gespielt. Erst im Zusammenhang mit der Entwicklung textlinguistischer Ansätze wird das Wort "Text" explizit auch fiir Produkte der gesprochenen Sprache verwendet, "denn die Gemeinsamkeiten zwischen schriftlich konstituierten Texten und mündlich konstituierten Texten sind fundamentaler als alle Unterschiede zwischen ihnen." (Harweg 1968:343). Entsprechend wird aus textlinguistischer Perspektive fiir schriftliche und für mündliche kommunikative Texte gleichermaßen die Erfüllung von Kriterien für Textualität - wie etwa Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität und Intertextualität (de Beaugrande/Dressler 1981) - als Voraussetzung gefordert. Diese Kriterien werden nun allerdings bei schriftlichen und mündlichen Texten systematisch in unterschiedlicher Weise erfüllt, insbesondere dann, wenn es sich bei den mündlichen Textproduktionen um relativ spontane Texte handelt, die nicht etwa auf einer vom Sprecher zuvor kon-

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Möhle/Raupach

zipierten schriftlichen Version basieren. Die zu beobachtenden Unterschiede gelten nicht nur für syntaktische und semantische Kriterien (Kohäsion, Kohärenz), sondern insbesondere auch für solche Kriterien, die im Rahmen eines "prozeduralen Ansatzes" dem Bereich der Pragmatik zugeordnet werden, wie etwa die Einstellung des Textproduzenten (Intentionalität) und des Rezipienten (Akzeptabilität) sowie den kommunikativen Rahmen (Situationalität) (de Beaugrande/Dressler 1981:32). Fragt man aus der Sicht der kognitiven Psychologie nach den mentalen Prozessen, die bei der Produktion von mündlichen Texten und hier speziell von spontanen Texten etwa im Vergleich zu Produktionen vorgeplanter schriftlicher Texte zu postulieren sind, werden weitere Differenzierungskriterien erkennbar. Angesichts der Zwänge, die aus den Besonderheiten der "Mündlichkeit" resultieren, ist die Aufmerksamkeit des Sprechers normalerweise nicht auf den Text als Produkt im Sinne einer strukturierten formalen Ganzheit gerichtet, sondern im wesentlichen auf die Übermittiung von Inhalten, Absichten, Gefühlen usw. Dadurch, daß der Sprecher nur in sehr begrenztem Umfang Zeit für die Verarbeitung von kognitiven und sprachlichen Prozessen beanspruchen kann, wird er einen geringeren Teil seiner Planungsaktivitäten auf die Form der Versprachlichung verwenden, als ihm dies die Produktion eines schriftlichen Textes erlauben würde. Bei der Abfassung eines mündlichen Textes wird in der Regel somit die Sprachproduktion weniger stark vom Sprecher "kontrolliert", als dies bei der Abfassung eines schriftlichen Textes geschehen kann. Nur in Extremfällen wird dabei durch die Sprachproduktionsprobleme die Organisation eines Textes spürbar beeinträchtigt, etwa wenn sich der Sprecher in einer Situation g r o ^ r Belastung befindet oder wenn mit der Versprachlichung einer Aufgabe sehr hohe kognitive Anforderungen verknüpft sind. Zu solchen Ausnahmefällen können häufig auch fremdsprachliche Textprodukrionen gezählt werden. Im Vergleich zu muttersprachlichen Textproduktionen muß der Sprecher hier - in Abhängigkeit vom jeweiligen Spracherwerbstyp und erreichten Grad an Fremdsprachenkompetenz einen größeren Teil seiner Planungsaktivitäten auf eine "kontrollierte" Sprachproduktion verwenden. Es bleibt zu untersuchen, in welcher Weise Probleme der Sprachplanung Auswirkungen auf die Textproduktion haben. Bevor wir im folgenden auf Besonderheiten von mündlichen Textproduktionen in der Fremdsprache eingehen, möchten wir zunächst einige der Merkmale gesprochener Sprache zusammenstellen, die für die Modellbil-

Mündliche Textproduktion

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dung von Sprachplanungsprozessen bedeutsam sein können. Im Anschluß daran werden wir wichtige Forschungsansätze insbesondere zur monologischen Textproduktion referieren, wobei das Schwergewicht auf psychoUnguistischen Untersuchungen zur Produktion narrativer Texte liegen wird, die auch Gegenstand unserer eigenen Arbeiten zur fremdsprachlichen Textproduktion sind.

2. Mündliche Textproduktion 2.1 Merkmale gesprochener Sprache Interessanterweise stehen schon die frühen Untersuchungen zur Erforschung von gesprochener Sprache in engem Zusammenhang mit Fragen der Sprachvermitüung. Dies gilt u.a. auch für zahlreiche Sprachaufnahmen und Arbeiten des Instiwts für deutsche Sprache, das im Jahre 1966 eine Forschungsstelle für gesprochene Sprache unter der Leitung von H. Steger eingerichtet hat. "Dabei ging es von Anfang an (...) ausdrücklich auch um die Erarbeitung von neuen wissenschaftlichen Grundlagen für den Sprachunterricht des Deutschen als Fremdsprache, aber zugleich auch für den Sprachunterricht des Deutschen als Gnindsprache." (Schank/Schoenthal 1983:1)

Schon vorher, zu Beginn der 50er Jahre, hatten in Frankreich Sprachaufnahmen zu einem der ersten umfangreichen Corpora authentischer gesprochener Sprache die Entwicklung eines Grundwortschatzes für die Vermittlung des Französischen als Fremdsprache zum Ziel; die Ergebnisse der Auswertung dieses Corpus haben als Frangais Fondamental zuvor Frangais Elimentaire - auch bei uns die Französischlehrwerke nachhaltig beeinflußt, allerdings weitgehend auf den Bereich der Wortschatzselektion beschränkt. Phänomene der Sprach- oder Textproduktion, die im Zusammenhang mit Prozessen der Sprachverarbeitung zu sehen sind, wurden erst später an diesem Corpus und an neueren Sprachaufnahmen untersucht (Söll 1980:13ff., 50ff. gibt eine Übersicht über Corpora zum gesprochenen Französisch). Eine Zusammenstellung von Spezifika mündlicher Produktionen in Abgrenzung von schriftlichen Produktionen hat zunächst eine Unterscheidung in Rechnung zu stellen, die, wie des öfteren beklagt, nicht immer beachtet wird, was dazu führt, daß "in Einzelanalysen völlig verschiedenartige sprachliche Phänomene zusammengeworfen" werden (Söll 1980:11). In diesem Zusammenhang grenzt Söll (1980:17ff.) auf einer ersten Ebene den code phonique vom code graphique ab und spricht

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Mähle/Raupach

dabei Unterschiede an, die von den Eigenschaften des betreffenden Mediums, des Kommunikationswegs, herrühren. Für Realisationen im Code phonique sind danach etwa die suprasegmentalen Elemente wie Akzentuierung, Melodieverlauf, Pausensetzung usw. konstitutiv, für Realisationen im Code graphique Druckanordnung, Interpunktion, Worttrennung u.ä. Auf einer zweiten Ebene werden in der Gegenüberstellung von Code parM und code icrit solche Faktoren differenziert, die sich nicht auf die Realisation, sondern auf die Konzeption, d.h. auf den unmittelbaren Sprech- oder Schreibakt beziehen. Die für den code parli geltenden Bedingungen und Möglichkeiten wie Spontaneität, geringe Vorbereitungszeit, nur nachträgliche Korrigierbarkeit, Kombination mit Gestik und Mimik usw. führen zu spezifischen Ausprägungen wie Versprechern, Flickwörtern, leeren und gefüllten Pausen usw. (Söll 1980:20ff.). Für eine psychologische Interpretation mündlicher Texte eignen sich Phänomene auf beiden Ebenen, der des code phonique und des code parli, denn sowohl die suprasegmentalen Elemente als auch die Verzögerungsphänomene und temporalen Variablen können als Indikatoren des Verbalisierungsprozesses angesehen werden. Damit eröffnen sich in der Arbeit mit gesprochenen Texten Zugangsmöglichkeiten zur Erforschung von Produktionsprozessen, die bei der Anaylse schriftlich vorliegender abgeschlossener Produkte nicht in gleichem Maße gegeben sind. Hieraus erklärt sich die Bevorzugung gesprochener Texte in Untersuchungen zu psychologischen Aspekten der Sprachproduktion (Wiese 1983). Aber auch weitere linguistische Merkmale, die als charakteristisch für gesprochene Texte angesehen werden, erlauben bis zu einem gewissen Grad Rückschlüsse auf Planungsprozesse. So lassen etwa die für mündliche Texte typischen Gliederungssignale (vgl. Gülich 1980) in Verbindung mit bestimmten Intonationskonturen und Pausenverteilungen Einheiten im Text erkennen, die etwas über die Reichweite einzelner Planungsvorgänge aussagen. Auch die sprecherbezogenen - und nicht so sehr hörerbezogenen - Verbalisierungsformen, die neben der oft beschriebenen Einfachheit und anscheinenden "Unvollständigkeit" als typisch für mündliche Texte angesehen werden, bieten Ansätze für psycholinguistische Interpretationen. Als Beispiel kann die häufige Verwendung subjektiver Sprachmittel wie der sogenannten Abtönungspartikel oder der formelhaften Wendungen dienen. Auch die für gesprochene Texte kennzeichnenden Verfahren der Topikalisierung gehören dazu (Gülich 1981, Givön 1983). Chafe (1982) versucht, die von ihm beobachtete unterschiedliche Häufigkeit, mit der im Englischen bestimmte Sprachmittel - wie Nominalisierungen, Partizipien, attributive Adjektive, Relativsätze, Passivformen usw. -

Mündliche Textproduktion

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in mündlichen im Vergleich zu schriftlichen Texten auftreten, aus dem unterschiedlich großen Zeitdruck bei der jeweiligen Textproduktion und aus der unterschiedlich großen Distanz zum Hörer/Leser zu erklären. Sicher ist, daß die in mündlichen Texten verwendeten Sprachmittel zu charakteristischen Ausprägungen in der Textkonstitution führen können, wie Harweg (1968) am Beispiel der Textanfänge demonstriert hat. Dies wird besonders deutlich bei dialogischen Texten, wie die Arbeiten aus dem Forschungsgebiet der Konversationsanalyse zeigen (Kallmeyer/ Schütze 1976). Wir werden uns im folgenden, einem Schwerpunkt unserer eigenen Arbeiten entsprechend, auf die Darstellung von Untersuchungen zu monologischen Texten, und zwar speziell zum narrativen Bereich, beschränken.

2.2 Monologische Textproduktion Die Erforschung mündlicher Erzählungen, insbesondere die Untersuchung mündlich erzählter Geschichten, hat ihre Wurzeln in unterschiedlichen, wenn auch einander benachbarten Wissenschaftstraditionen. Im Rahmen der traditionellen Literaturwissenschaft und der Poetik sind unterschiedliche Arten der Erzählung seit langem Gegenstand der Untersuchung von Form und Darstellungsmitteln. Ein über die reine Literaturwissenschaft hinausweisender Anstoß kam in den zwanziger Jahren aus der Schule der russischen Fonnalisten, insbesondere durch Propps Morphology ofthe Folktale (1928, englische Übersetzung 1958), ein Werk, das von entscheidendem Einfluß war auf den Kreis firanzösischer Strukturalisten und Kulturanthropologen um LeviStrauss, Barthes, Greimas, Todorov u.a. (vgl. hierzu van Dijk 1980b:8 und 1985b:2). Damit wurde eine Entwicklung eingeleitet, die, im Gegensatz zur traditionellen Literaturwissenschaft, nicht mehr allein den Text als fertiges und bewußt gestaltetes Produkt ins Zentrum ihrer Betrachtung stellte. Vielmehr wurde die Untersuchung narrativer Texte in immer stärkerem Maße ein Mittel zur Erforschung anthropologisch-sozialwissenschaftlicher, linguistischer und kognitionspsychologischer Zusammenhänge. Hinter dem Text trat nun der Erzähler ins Blickfeld, und zwar nicht der gestaltende Künstler, sondern der Alltagsmensch, dessen Beziehungen zur Umwelt in erheblichem Maße bestimmt sind durch sprachliche Kontakte.

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MOhle/Raupach

In einer der frühen Arbeiten aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich analysieren Labov und Waletzky (1967) ein Corpus von mündlichen Erzählungen, in denen Sprecher unterschiedlicher sozialer Herkunft und verschiedener Altersklassen ein persönliches Erlebnis darstellen. Ziel dieser Untersuchung ist es, eine Korrelation zwischen sozialen Merkmalen der Sprecher und der Struktur ihrer Erzählungen aufzuzeigen. Die Reihe der hierdurch eingeleiteten vorwiegend sozialwissenschaftlich orientierten Untersuchungen narrativer Texte setzt sich fort mit Arbeiten von Sacks (1970, veröffentlicht 1986, 1972), Rehbein (1980), Polanyi (1985) u.a. Diese Autoren betonen vor allem den interaktiven Charakter des Erzählens als eines zwischen Sprecher und Hörer sich ereignenden und von daher sich bestimmenden Geschehens. Eine zweite Gruppe von Arbeiten bei der Erforschung narrativer Texte leitet sich aus der Textlinguistik her. Stempel (1987) kennzeichnet in diesem Zusammenhang drei Stränge der Narrationsforschung: Arbeiten, die die Textsorte der Alltagserzählung benutzen, um charakteristische Merkmale von Mündlichkeit und Schriftlichkeit gegeneinander abzugrenzen, insbesondere Chafe (1982) und Tannen (1982b). Daneben stehen Arbeiten, die sich mit den Funktionen alltäglichen Erzählens auseinandersetzen und unter diesem Aspekt Texttypen und Verfahrensweisen zu bestimmen suchen, so z.B. Gülich (1980) und Quasthoff (1980). In der dritten Gruppe schließlich geht es vorrangig um das Veriiälmis von narrativer Textgestaltung im täglichen Leben und im literarisch-ästhetischen Bereich (Bange 1986). In einem 1986 von Gülich und Quasthoff (1986a) herausgegebenen Band der Zeitschrift Poetics mit dem Titel "Narrative Analysis. An Interdisciplinary Dialogue" zeigt sich das Bestreben, Vertreter der bislang von uns angesprochenen Bereiche sozialwissenschaftlicher und textlinguistischer Narrationsforschung und des im folgenden noch darzustellenden Ansatzes kognitionspsychologischer Analyse von Erzähltexten miteinander ins Gespräch zu bringen und zu verdeutiichen, daß jede schwerpunktmäßige Betrachtung aus einer Perspektive auch andere Perspektiven berührt. In ihrem eigenen Beitrag zu diesem Heft, der einen ausführlichen allgemeinen Überblick über die Erzählforschung enthält, zeigen Gülich/ Quasthoff (1986b), welche Aufgaben innerhalb der unterschiedlichen Ansätze der Linguistik zukommen: Geht es beim sozialwissenschaftlichen und beim textlinguistischen Ansatz darum zu untersuchen, welche sprachlichen Mittel der Realisierung unterschiedlicher Interaktionsformen und unterschiedlicher narrativer Texttypen dienen, so richtet sich die Analyse von Sprachmitteln im Rahmen des psycholinguistischen Ansatzes auf die

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Frage: Auf welche Weise wird durch das Erzählen Realität transformiert oder neu geschaffen? Damit wird der mündliche Text im Augenblick seiner Erzeugung als Prozeß der Verarbeitung von Realität ins Blickfeld gerückt. Die Frage nach dem Ablauf mentaler Prozesse bei der Produktion narrativer Texte, d.h. beim Vorgang des Erzählens, hat seit einigen Jahrzehnten Wissenschaftler unterschiedlicher Provenienz beschäftigt. Der entscheidende Anstoß kam 1932 mit Bartletts Buch "Remembering" aus der Gedächmisforschung. Der Anlaß für Bartletts berühmt gewordenes Nacherzählungsexpeiiment mit einer Geschichte aus dem indianischen Kulturkreis, "The War of the Ghosts", war sein Anliegen, der von Ebbinghaus (1885) vertretenen Auffassung einer situationsunabhängigen Funktionsweise des Gedächmisses Einsichten in den Zusammenhang von Weltwissen und Behaltensleistung entgegenzustellen. In diesem Kontext führte er den von Head (1920) übernommenen Schemabegriff in die Diskussion ein, der seit seiner Wiederaufnahme durch die Kogniüonspsychologie Mitte der siebziger Jahre auch in der Textlinguistik eine zentrale Rolle spielt. Schemata sind auf Erfahrung beruhende im Gedächtnis gespeicherte Komplexe geordnetenen Wissens über bestimmte Lebensbereiche, die die Verarbeitung und damit das Behalten neuer Informationen steuern. Die Untersuchungen zum Schemabegriff anhand von Erzähltexten haben einerseits die Bedeutung von im Gedächtnis verankerten Schemata aus den verschiedensten Bereichen von Weltwissen für das Verstehen einzelner Handlungsträger und damit die Bedeutung der Text-Leser/HörerInteraktion erhärtet. Andererseits haben sie zu der Erkenntnis geführt, daß die Prozesse der Produktion und der Rezeption narrativer Texte bestimmt werden durch ein narratives Schema, d.h. durch einen aufgrund von Erfahrung im Gedächtnis von Sprecher und Hörer gespeicherten Bauplan (Rumelhart 1975, 1977). Im Gegensatz zu dem oben im Zusammenhang mit Labov/Waletzky dargestellten statischen, allein auf dem Text als Produkt begründeten Schemabegriff handelt es sich bei aller äußeren Ähnlichkeit hier um ein aktives, mentale Prozesse leitendes Phänomen (Zum Verhältnis des Schemabegriffs zu den ihm verwandten, im Sprachgebrauch einiger Wissenschaftler sogar gleichbedeutenden Begriffen Script und frame vgl. Tannen 1979:138ff.). Ausführliche Darstellungen der weiteren Erforschung von Prozessen der Informationsverarbeitung bei der Rezeption und Produktion von Texten im Rahmen der kognitiven Psychologie und der Forschung zur Künstiichen Intelligenz finden sich bei van Dijk (1980a), Ballstaedt u.a. (1981) und bei Bower/Cirilo (1985). Zu betonen ist, daß die dabei entwickelte Begrifflichkeit - also Begriffe wie Proposition, Textbasis, Mikro- und Makrostrukturen und -prozesse - nicht

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der Charakterisierung von Textoberflächenstrukturen dient, sondern die dahinterstehenden mentalen Prozesse und Strukturen kennzeichnet und zu einer Definition von Text als extemalisierter Wissensstruktur führt (Ballstaedt u.a. 1981:15). Einen in diesem Kontext sehr eigenständigen Ansatz vertritt Chafe, der als Linguist vor allem an den unmittelbar mit der Verbalisierung von realer Erfahrung verbundenen Verarbeitungsprozessen bei narrativer Textproduktion interessiert ist (Chafe 1977a, 1977b). Er geht dabei nicht von einer in Form von Propositionen und Propositionsketten (Textbasis) bereits gegebenen mentalen Repräsentation aus, sondern setzt an bei der Entstehung von Repräsentationen aus Eindrücken der Sinneswahmehmung. Ein wesentliches Moment in diesem Umwandlungsprozeß ist die Zuordnung des je einmaligen Erfahrungsgegenstandes zu abstrakten prototypischen Ordnungskategorien: Schemata, Frames und Kategorien im engeren Sinne. Dabei bilden Schemata den allgemeinen Einordnungsrahmen für einen wahrgenommenen Geschehensablauf, Frames kennzeichnen das individuelle Geschehen als solches, während Kategorien der Zuordnung von Einzelobjekten oder Handlungen dienen. Ein zweiter Schritt ist die Propositionalisierung des zunächst in nicht propositionaler Form aufgenommenen Wissens, d.h. die Bildung von Relationen zwischen einem Prädikat und einem oder mehreren Argumenten. Da nun ein und derselbe außersprachhche Referent bei der Verbalisierung unterschiedlichen Schemata, Frames und Kategorien zugeordnet werden kann (im kategorialen Bereich z.B. Mensch, Mann, Greis), und das, wie Chafe nachweist, bei mehrfacher sprachlicher Darstellung des gleichen Geschehens auch durchaus geschieht, geht er davon aus, daß die mentale Repräsentation von Wahmehmungsinhalten zunächst eine der außersprachlichen Realität analoge Form annimmt und Zuordnungen zunächst nur in sehr loser Form erfolgen. Damit wird sichergestellt, daß der Gedächtnisinhalt bei aktuellen Sprechanlässen der jeweiligen Ausdrucksintenüon des Sprechers angepaßt wird und nunmehr spezifischere Zuordnungen erfahren kann. In weiteren Untersuchungen wendet sich Chafe (1980b, 198(k;) der Frage nach den gedanklichen Fixpunkten bei der Versprachlichung eines Sinnkontinuums zu. Er postuliert dabei die Existenz von Sinneinheiten (idea Units), bestehend aus einem Zentrum und einer Peripherie, und meint damit Bewußtseinsspannen, deren Umfang sich nachweisen läßt durch im Text erkennbare Sprecheinheiten, d.h. zusammenhängend produzierte Redeteile zwischen zwei gemessenen Pausen. Untersucht wurden diese

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Zusammenhänge an Nacherzählungen eines Kurzfilms, "The Fear Story." Dieser Film, der unter der Leitung von Chafe produziert wurde, stellt eine völlig sprachfrei ablaufende Handlung dar, die jedoch bewußt im Hinblick auf bestimmte Verbalisierungsprobleme beim Nacherzählen konzipiert ist. Wir kommen damit zu einem Typ von Narrationsforschung, der keine natürlichen, sondern elizitierte Texte zugrunde legt, welche allerdings, genau wie die im Rahmen der zuvor dargestellten Forschungsansätze benutzten Erzähltexte, mündlich produziert und nach Tonbandaufzeichnungen transkribiert worden sind.

3. Fremdsprachliche Textproduktion Unsere bisherige Darstellung war auf Arbeiten zum Erzählen in der Muttersprache bezogen. Der zu untersuchende Ablauf mentaler Prozesse erfolgte also unter der Voraussetzung eines im wesentlichen abgeschlossenen Spracherwerbs, wenn man von der für alle Erwachsenen normalen und lebenslangen partiellen Erweiterung ihrer Sprachkompetenz einmal absieht. Nun leuchtet ohne weiteres ein, daß Erkenntnisse über den Ablauf von Sprachproduktion bei kompetenten Sprechem auch für die Erforschung von Spracherwerbsprozessen eine wertvolle Grundlage sein können. Infolgedessen sind insbesondere die aus der Gedächtnisforschung und der kognitiven Psychologie hervorgegangenen Arbeiten im Bereich der Fremdsprachenerwerbsforschung auf reges Interesse gestoßen.

3.1 Modelle und Hypothesen Überlegungen zu einer systematischen Beschreibung mentaler Prozesse bei der mündlichen Produktion fremdsprachlicher Texte müssen sich derzeit vorwiegend an Modellvorstellungen orientieren, die für muttersprachliche Produktionen entwickelt worden sind. Zwar existieren im Rahmen der Spracherwerbsforschung zahlreiche Theorien über Prozesse des Zweitsprachenerwerbs (vgl. die Übersichten bei Klein 1984, Ellis 1985, McLaughlin 1987); abgesehen von einigen Adaptationen von LlModellen (Seliger 1980) sind bislang jedoch keine eigenständigen Modelle konzipiert worden, die explizit Gültigkeit fiir die Produktion in der Fremdsprache beanspruchen. Die Auseinandersetzung mit den vorliegenden Ll-Sprachproduktionsmodellen hat gezeigt, daß die meisten der ihnen zugrunde liegenden Annahmen sinnvollerweise auch für Prozesse der fremdsprachlichen Produk-

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tion akzeptiert werden können (Wiese 1983, Dechert/Möhle/Raupach 1984, Dcchert/Raupach 1987). Zu diesen Grundannahmen gehört etwa, daß sich die Versprachlichung eines Gedankens in verschiedenen Phasen oder Stufen vollzieht und sich in einer Folge von Subsystemen darstellen läßt, welche zum großen Teil Analyseebenen der Linguistik entsprechen (Wiese 1983:26). Beispiele für solche Produktionsebenen sind die Konzeptualisierung, die syntaktische, lexikalische und morphologische Planung oder die Ebene der Steuerung der Artikulation. Dabei ist nach Kempen (1977) nicht etwa von einem eindeutigen Informationsfluß "von oben nach unten" auszugehen, sondern die Konzeptualisierungen können sehr wohl auch von Formulierungsprozessen beeinflußt werden. Grundsätzlich wird man ohnehin davon ausgehen müssen, daß bei der Sprachproduktion ständig Interaktion nicht nur zwischen den einzelnen Ebenen, sondern auch zwischen dem sprachlichen und nicht-sprachlichen Wissen stattfindet. In diesen Zusammenhang gehört auch der Hinweis von Antos (1982), daß zu Beginn einer Versprachlichung der Gedanke keineswegs in seiner Vollständigkeit vorhanden zu sein braucht, sondem - etwa im Sinne von Kleist (1805) - sich erst beim Reden allmählich herausbilden kann. Bei unterschiedlicher Betonung einzelner Aspekte der Sprachproduktion und bei Ausrichtung an unterschiedlichen linguistischen Theorien kann als weitere Gemeinsamkeit der meisten Modelle eine Konzentrierung auf die Produktion von Sätzen konstatiert werden. Als Ausnahme sei an dieser Stelle neben Clark/Clark (1977) mit ihren Diskursplänen erneut auf Chafe (1977a, 1977b, 1980a, 1980b, 1980c) verwiesen, dessen Beiträge zu einer Theorie der Textproduktion in unserem Zusammenhang von besonderem Interesse sind. Stellt man die Frage nach den Charakteristika fremdsprachlicher Textproduktion in den Mittelpunkt, so muß mit Wiese (1983:40f.) die "fragwürdige Idealisierung" der vorliegenden Sprachproduktionsmodelle in bezug auf die Beherrschung der jeweiligen Sprache beklagt werden: Ein Sprecher wird eine Sprache und ihre Teilsysteme aber immer mehr oder weniger gut beherrschen, und der Grad der Beherrschung bestimmt die Planungsprozesse auf jeder Ebene mit (...) Die vorgestellten Modelle sind aber zu allgemein, um zu der Frage, wie Sprachproduktion bei Zweitsprachensprechem zu charakterisieren ist, überhaupt etwas aussagen zu können.

Zumindest lenkt die Berücksichtigung sprachlicher Defizite von Fremdsprachensprechem den Blick auf eine Reihe von Aspekten, denen in den Modellen für muttersprachliche Produktion wenig Beachtung geschenkt wird. Diese finden zum großen Teil Eingang in die Hypothesen, die

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Dechen (1984) im Rahmen eines kontrastiv-psycholinguistischen Ansatzes als eine Art Vorstufe für ein umfassendes Modell für Zweitsprachenproduktion vorstellt. Dabei werden u.a. thematisiert: - die Unterscheidung zwischen prozedural und deklarativ repräsentiertem Wissen - die Existenz kompetitiver Sprachpläne, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt der Sprachproduktion gleichzeitig "in Arbeit befinden" - eine Art von Sprachverarbeitung, die in hohem Maße von "Inselwissen" Gebrauch macht, was sich in der Verwendung von automatisierten "Routinen", Formeln usw. niederschlägt - Auswirkungen der kognitiven und sprachlichen Anforderungen der Aufgabenstellung auf die Sprachproduktion und auf die von Lemem bevorzugt aktivierten Kommunikationsstrategien (Faerch/Kasper 1983) - interne Kontrollinstanzen bei der Sprachproduktion, die sowohl rückwärts, d.h. auf bereits Geäußertes, wie auch vorwärts, d.h. auf noch in der Planung Befindliches, gerichtet sind. Die Mehrzahl der Modelle und Hypothesen zur Sprachproduktion gründet sich auf Analysen von Performanzdaten, wobei nach Butterworth (1980:6) drei methodische Zugriffe zu unterscheiden sind: die Analyse von aphatischer Sprache, das Studium von Versprechern (speech errors, slips of the tongue) sowie die Untersuchung von temporalen Variablen (wie Sprech- und Artikulationsgeschwindigkeit, Länge und Häufigkeit von Pausen usw.) und Verzögerungsphänomenen (wie gefüllte Pausen, Silbendehnungen usw.). In jüngerer ^ i t haben zudem vor allem in der Zweitsprachenforschung Methoden der Introspektion (Faerch/Kasper 1987) an Bedeutung gewonnen. Die Sprachaufnahmen von mehr oder weniger spontan produzierter Lernersprache umfassen sowohl dialogische als auch monologische Texte. Erstere, zu denen z.B. Rollenspiele (Kasper 1981), Unterrichtsgespräche (vgl. Henrici 1989) und Interviewkonversationen (Heidelberger Projekt 1975) gehören, dienen vorrangig dem Zweck, pragmatische Aspekte fremdsprachlicher Kommunikation aufzuzeigen. Dagegen stützen sich Arbeiten mit dem Ziel einer kognitiven und linguistischen Analyse der Sprachproduktion bevorzugt auf monologische Texte, wie z.B. auf zusammenhängende Passagen in Gesprächsinterviews, auf Bildbeschreibungen, Bildergeschichten, Nacherzählungen oder Resümees (Möhle/ Raupach 1983, Wiese 1983, Dechert/Möhle/Raupach 1984). Die Untersuchungen von in der Fremdsprache produzierten monologischen Texten haben gezeigt, daß es die Verzögerungsphänomene auf

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Grund ihrer relativ hohen Frequenz und die temporalen Variablen hier noch stärker als bei muttersprachlichen Produktionen erlauben, in den Texten einzelne Sprecheinheiten zu isolieren. Interpretiert man diese Phänomene als Indikatoren für Sprachverarbeitungsprozesse und stellt man sie in einen Zusammenhang mit Intonationskonturen sowie mit sprachlichen Gliederungsmerkmalen (Gülich 1970, Gülich/Quasthoff 1986b), so gelangt man häufig zu Einheiten, die mit großer Wahrscheinlichkeit Planungsprozesse auf der Ebene der Textpnxluktion widerspiegeln (Möhle/Raupach 1983:73ff.). Aber auch die innerhalb dieser größeren Einheiten zu isolierenden kleineren Sprachsegmente und ihre Konkretisierungen können natürlich ihre Auswirkungen auf die gesamte Textstruktur haben. Zumeist stehen in den vorliegenden Untersuchungen jedoch Planungsprozesse rein sprachlicher Art, nicht so sehr das Phänomen "Text" als kommunikatives Ziel fremdsprachlicher Äußerungen, im Mittelpunkt.

3.2 Erzählungen des Pear-Story-Films Angeregt durch die oben erwähnten Arbeiten von Chafe haben wir uns bei der Beschäftigung mit fremdsprachlicher Textprodukion nicht nur dem eigentlichen Texterzeugungsprozeß zugewandt, sondern auch den der Verbalisierung zugrunde liegenden Aufbau einer mentalen Repräsentation in die Untersuchungen einbezogen, insbesondere die Frage, inwieweit schon die Informationsverarbeitung beeinflußt ist durch die Einstellung des Sprechers auf eine Versprachlichung in der Fremdsprache. Als Beispiel möchten wir hier einige Überlegungen und Ergebnisse unserer Auswertung einer spanischsprachigen Erzählung des Pear-Story-Films durch deutsche Romanistikstudenten mit Spanisch als dritter Fremdsprache anfuhren. Eine ausführliche Darstellung der Versuchsbedingungen findet sich in Möhle (im Druck). Erwähnt werden muß an dieser Stelle nur, daß uns außer den transkribierten Filmerzählungen auch die Transkription von zwei im Abstand von einigen Tagen mit den Versuchspersonen geführten Nachgesprächen zur Verfügung stand. Als weitere Untersuchungen zur Erzählung des Films in LI oder L2 sind neben den umfangreichen Arbeiten von Chafe (1980a) und Tannen (1979) noch das DFG-I^ojckt von Posner (1982) sowie einzelne Beiträge wie z.B. von Thieroff (1986), Schnell (1987) und in Dechert/Raupach (im Druck) zu nennen.

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In Chafe (1980a:XIII) findet sich folgende Inhaltsangabe des Films: The film begins with a man picking pears on a ladder. He descends the ladder, kneels, and dumps the pears from the pocket of an apron he is wearing into one of three baskets below the tree. He removes a bandana firom around his neck and wipes off one of the pears. Then he retums to the ladder and climbs back into the tree. Toward the end of this sequence we hear the sound of a goat, and when the picker is back in the tree a man approaches with a goat on a leash. As they pass by the baskets of pears, the goat strains toward them, but is pulled past by the man and the two of them disappear in the distance. We see another closeup of the picker at his work, and then we see a boy iq)proaching on a bicycle. He coasts in toward the baskets, stops, gets off his bike, looks up at the picker, puts down his bike, walks toward the baskets, again looking at the picker, picks up a pear, puts it back down, looks once more at the picker, and lifts up a basket füll of pears. He puts the basket down near his bike, lifts up the bike and straddles it, picks up the basket and places it on the rack in front of his handlebars, and rides off. We again see the man continuing to pick pears. The boy is now riding down the road, and we see a pear fall from the basket on his bike. Then we see a girl on a bicycle a^proaching firom the other direction. As they pass, the boy tums to look at the girl, his hat flies off, and the front wheel of his bike hits a rock. The bike falls Over, the basket falls off, and the pears spül out onto the ground. The boy extricates himself from under the bike, and bnishes off his leg. In the meantime we hear what tums out to be the sound of a paddleball, and then we see Ihree boys standing there, looking at the bike boy on the ground. The three pick up the scattered pears and put them back in the basket. The bike boy sets his bike upright, and two of the other boys lift the basket of the pears back onto it. The bike boy begins Walking his bike in the direction he was going, white the three other boys begin Walking off in the other direction. As they walk by the bike boy's hat on the road, the boy with the paddleball sees it, picks it up, tums around, and we hear a loud whistle as he signals to the bike boy. The bike boy stops, takes three pears out of the basket, and holds them out as the other lx>y iq)proaches with the hat. They exchange the pears und the hat, and the bike boy keeps going while the boy with the paddleball runs back to his two companions, to each of whom he hands a pear. They continue on, eating their pears. The scene now changes back to the tree, where we see the picker again descending the ladder. He looks at the two baskets, where earlier there were three, points at them, backs up against the ladder, shakes his head, and tips up his hat. The three boys are now seen approaching, eating their pears. The picker watches them pass by, and they walk off into the distance.

Der Film läßt sich also kennzeichnen durch folgende Merkmale: Durch den sprachfreien Charakter bedingt wird hier nicht eine Geschichte dargeboten, sondern eine Folge von Handlungen und Geschehnissen. Es bleibt der mentalen Berarbeitung des Zuschauers überlassen, durch Herstellung

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von Beziehungen und durch Heranziehung von Weltwissen zur Interpretation der Handlungen Sinn zu erzeugen, z.B. aus dem Ablauf: auf den Korb zugehen, mehrfach in den Baum schauen, eine Bime nehmen, eine Entwicklung vom beabsichtigten Mundraub zum Diebstahl zu erschließen. Einer unserer Sprecher problematisiert diesen Tatbestand ausdrücklich, indem er im Nachgespräch betont, daß er das spanische Wort robar ("stehlen") ergänzt habe, weil das lediglich die Handlung abbildende sp. tomar ("nehmen") nicht ausschließe, daß der Junge ein Sohn des Bimenpflückers sei und den Korb rechtmäßigerweise abhole. Es bleibt dem Zuschauer auch überlassen, durch Interpretation der Endsituation als Pointe hinter diesem Ablauf ein Geschichtenschema zu erkennen und damit gewisse Fakten und Geschehensabläufe als bedeutungslos oder als blinde Motive zu erfassen, andere in die passenden Schemata, z.B. Mundraub, Diebstahl, Unfall durch Unachtsamkeit, Belohnung für Hilfe, einzuordnen.

3.2.1 Prozesse der inhaltliche Verarbeitung In bezug auf die Verarbeitung der visuell dargebotenen Information, d.h. den Sinnaufbau, lassen sich aus den Texten unserer Probanden und aus den mit ihnen geführten Nachgesprächen eine Reihe von Einflußfaktoren erkennen. Das Wissen darum, daß in einem Film, im Gegensatz zur Realität, auch die scheinbar unbedeutendsten Details nicht dem Wirken des Zufalls, sondern der Regie unterliegen, führt zu der Erwartung, daß sie eine Bedeutung haben können, die es herauszufinden gilt. Daraus ergibt sich das Bemühen, möglichst viele Einzelheiten zunächst einmal wenigstens zu registrieren, darüber hinaus werden aber auch intensive Elaborationsprozesse in Gang gesetzt. Zu den bewußt wahrgenommenen und in den deutschen Nachgesprächen häufig erwähnten Einzelheiten gehören vor allem das Krähen des Hahns zu Beginn des Films, das auffallende Grün der Birnen, das Aussehen und die Kleidung des Pflückers, seine umständliche, langsame Vorgehensweise, die geringe Höhe des Baumes, das Knarren der Leiter und die Widerspenstigkeit der Ziege. Es fällt auf, daß die meisten der von den Sprechem erwähnten für die Filmhandlung aber unbedeutenden Details im ersten Drittel des Films liegen. Offensichtlich führt das allmähliche Erkennen eines Handlungsablaufs zu einer immer stärker gesteuerten Selektion der Wahrnehmung von Details. Demgegenüber betont eine unse-

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rer Piobandinnen ausdrücklich, daß die hohe Konzentration auf E>etails sie daran gehindert habe, einen inhaltlichen Zusammenhang zu erfassen. Zwischen Sinnerfassung und Detailwahmehmung besteht also eine Wechselwiricung: Sich anbahnende Sinnerfassung ist förderlich für den Umgang mit Details. Sie macht Verarbeitungskapazität frei, weil das Registrieren bestimmter Details entfällt und das der verbleibenden Details weniger Konzentration erfordert, denn die Einordnung in den Zusammenhang erleichtert die spätere Rekonstruktion. Eine krampfhafte Konzentration auf Details kann dagegen verhindern, daß Sinnerfassung überhaupt zustandekommt. Als häufigsten Grund dafür, daß bewußt erfaßte Details im Erzähltext nicht erwähnt werden, nennen unsere Probanden in den Nachgesprächen Sprachprobleme. Auch das Vergessen wird öfter als Ursache erwähnt. Erstaunlich selten dagegen erklären die Sprecher, daß sie, als die Sinnerfassung abgeschlossen war, bestimmte Details als unwesendich erkannt und deshalb weggelassen haben. Zur Illustration der elaborativen Verarbeitung von Details mögen folgende Beispiele dienen: AI principio sc ve un paisaje quizä un parque o - im huerto

Die Sprecherin versucht also zu deuten, was das Bild offenläßt. La escalera produce bastante ruidos - al subir el hombre - da la impresiön que va estropearse dentro muy poco - pero el hombre no lo notö o no quiere nolarlo

Hier führt also die Sinnsuche bei der Wahrnehmung zu dem Gedanken an das mögliche Motiv "Unfall bei der Obsternte". Ein Sprecher deutet die umständliche Darstellung der Pflückzeremonie am Anfang als Sorge des Pflückers, nur ja keine Bime zu vergessen: presto atenciön - para que - no olvide ninguna pera

Eine weitere Sprecherin, im Nachgespräch gefragt, wie es wohl komme, daß sie, im Gegensatz zu anderen, den Mann mit der Ziege nicht vergessen hat, weist hin auf die Reihenfolge: erst ein älterer Mann (Bimenpfükker), dann ein jüngerer (Ziegenführer), dann das Kind. Sie zieht also ein aus Märchen und volkstümlichen Geschichten bekanntes Schema heran, um einen Anhaltspunkt für die Sinnerfassung zu gewinnen und gleichzeitig sich selbst eine Gedächtnisstütze zu schaffen.

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Ein weiterer Faktor, der, wie aus den Erzähltexten und den Nachgesprächen ersichtlich ist, die inhaltliche Verarbeitung beeinflußt hat, ist die Erwartung, daß der Film einen bestimmten Darbietungstyp vericörpert, der einen bestimmten Typ der anschließenden sprachlichen Wiedergabe erfordert. Da die Probanden vor der Aufnahme keinerlei Hinweis auf die Art des zu erwartenden Films bekommen hatten, bestand bei einigen zunächst Unsicherheit darüber, ob von ihnen anschließend eine Beschreibung, eine Geschichte oder die Inaltsangabe einer Dokumentation erwartet würde. Die beiden bisher genannten Einflußfaktoren auf die inhaltliche Verarbeitung einer visuellen Darstellung sind allgemeiner Natur und wirken sich auf eine muttersprachliche wie auf eine fremdsprachliche Filmnacherzählung in gleichem Maße aus. Das wird deutlich, wenn man die in Chafe (1980a) veröffentlichten Ll-Texte mit den L2-Texten unserer Probanden vergleicht Demgegenüber kommen wir nun zu Problemen des Aufbaus einer mentalen Repräsentation, die daraus resultieren, daß die Versuchspersonen sich während der Filmdarbietung bereits auf das Erzählen in der Fremdsprache einstellen und zudem den Wunsch haben, einen möglichst guten Eindruck von ihrer Sprachbeherrschung zu erwecken - obwohl allen Sprechern bekannt war, daß die Aufnahme zu Forschungszwecken diente und eine Bewertung ihres Sprachkönnens dabei keine Rolle spielte. Das führt zu zwei für die Bildung der mentalen Repräsentation entscheidenden Konsequenzen: Zum einen wird die Konzentration auf den Filminhalt bei einer Reihe von Versuchspersonen erheblich beeinträchtigt dadurch, daß sie beim Ansehen des Films bereits über Sprachmittel für die anschließende Erzählung nachdenken, um später möglichst flüssig sprechen zu können. Diese Probanden betonen in den Nachgesprächen, daß die Vokabelsuche sie während der Filmvorführung in erheblichem Maße beschäftigt habe, und das umso mehr, als sie die Wichtigkeit von Einzelheiten und deren sprachlicher Erwähnung nicht abschätzen konnten. Eine Sprecherin berichtet sogar, sie habe, um sich an fehlende, aber, wie sie meinte, ihr nicht unbekannte Wörter zu erinnern, im Geist nach schon bearbeiteten Texten mit ähnlicher Thematik und sogar nach entsprechenden Wortfeldern gesucht. Diese Ablenkung von der Inhaltsrezeption hat zu erheblichen Problemen beim Erfassen des Zusammenhangs geführt. Völlig mißlungen ist das zwar nur in einem Fall, und zwar bei der eben erwähnten Sprecherin, die das Aufladen des Bimenkorbes nicht als Diebstahl erkannt hat und von daher der Schlußszene keinerlei Bedeutung beimißt. Auch den Zusammenhang zwischen der Begegnung der beiden Kinder auf dem Fahrrad und dem anschließenden Sturz des Jungen hat sie nicht erkannt Punktuelle Ausfälle im Erfassen des Zusammenhanges zeigen sich jedoch auch bei anderen Versuchspersonen, z.B. in bezug auf den

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Unfall, hinsichtlich der verschiedenen Szenen mit den helfenden Kindern, in bezug darauf, wie die Kinder zu den Birnen gekommen sind und in bezug auf die Abschlußszene. Die naheliegende Annahme, daß sehr fortgeschrittene Sprecher sich nicht so sehr durch sprachliche Antizipationsversuche ablenken lassen, wird sowohl durch die Inhaltsstruktur ihrer Erzähltexte als auch durch Nachgesprächsäußerungen bestätigt. Die zweite Auswirkung der intensiven Hinwendung zur Fremdsprache auf das Zustandekommen der mentalen Repräsentation ist entgegengesetzter Natur, nämlich eine besonders intensive Verarbeitung deijenigen Eindrücke, für die Sprachmittel spontan zur Verfügung standen. So wird z.B. die genaue Unfallursache von den meisten Sprechern dargestellt, weil, wie mehrfach berichtet wird, die Wendung chocar contra una Piedra kurz zuvor im Sprachkurs vorgekommen war oder offenbar als besonders idiomatisch empfunden wurde: Ja, ich war irgendwie ganz froh, als der Junge da gegen diesen Stein, also mit dem Stein praktisch zusammengestoßen ist, weil ich dann chocar con nehmen konnte, und das habe ich irgendwie neulich gelesen. Doch, ich hab mir schon überlegt, was sich vielleicht nachher ganz gut anhört

So begründet eine Sprecherin die Erwähnung dieses Details. Die Tatsache, daß das Sich-Umschauen nach dem Mädchen als Ursache für den Sturz völlig genügt hätte, wird deshalb nicht zu einer Vereinfachung genutzt, wie wir sie an anderer Stelle, z.B. im Zusammenhang mit dem heruntergefallenen Hut, sehr wohl finden. In dem Bemühen, auf jeden Fall eine sprachlich gute Darstellung zu geben, liegt auch die Erklärung für das oben erwähnte Phänomen, daß das Erkennen der Handlungsstruktur vielfach nicht zum Eliminieren unwichtiger Einzelheiten geführt hat. Am stärksten ins Bewußtsein eingedrungen sind nun einmal diejenigen Wahrnehmungen, die spontan mit spanischen Sprachmitteln in Verbindung gebracht werden konnten, und an diesen Möglichkeiten zur sprachlichen Profilierung haben die Sprecher festgehalten, auch wenn das im Sinne einer ausgewogenen Textkonstitution nicht immer förderlich war. Aus alldem ergibt sich der Eindruck, daß die mentale Repräsentation des Films so wie sie sich in der dargestellten, auf die fremdsprachliche Nacherzählung ausgerichteten Situation gebildet hat, sich deutlich unterscheidet von einer Repräsentation, die auf spontanem Interesse an einer Darstellung beruht oder auch auf der inneren Distanz gegenüber einer zufälligen Wahrnehmung.

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3.2.2 Prozesse der sprachlichen Verarbeitung An dieser Stelle muß betont werden, daß die Verarbeitung von Eindrükken, selbst wenn diese auf absolut sprachfreier Wahrnehmung beruhen, natürlich kein sprachfreier Prozeß ist. Ohne uns hier auf eine allgemeine Diskussion des Zusammenhangs von Denken und Sprache einlassen zu wollen, können wir für den vorliegenden Fall aufgrund der Nachgespräche mit unseren Probanden sagen, daß, von dem erwähnten ausdrücklichen Bemühen um die Bereitstellung spanischer Sprachmittel abgesehen, die inhaltliche Verarbeitung weitgehend auf muttersprachlicher Basis erfolgte: Zum Beispiel habe ich am Anfang (d.h. in der Rezeptionsphase (Anm. d.Verf.)) dauernd überlegt, was sage ich für "Korb", weil mir fiel cesto nicht ein. Dann habe ich halt dauernd überlegt, was ich dafür sage, da fiel mir auch nicht ein "Behälter", hab ich gedacht, nimmste "Kiste".

Unsere Unterscheidung zwischen dem Aufbau einer mentalen Repräsentation und deren Umsetzung in Text bezieht sich also auf die im Versuch zeitlich klar voneinander getrennten, wenn auch unmittelbar aufeinander folgenden Phasen der Inhaltsrezeption und der für die Tonbandaufnahme bestimmten zusammenhängenden Textproduktion, schließt aber nicht aus, daß auch die erste Phase bereits partiell interne Textbildungsprozesse umfaßt. Um den Textcharakter der Erzählungen unserer Versuchspersonen untersuchen zu können, müssen wir zunächst einmal feststellen, daß das dem Film zugrunde liegende Handlungsschema im wesentlichen einem aus setting, complication mit diversen episodes und resolution bestehenden narrativen Schema entspricht. (Eine detaillierte Darstellung des Regelsystems der Geschichtengrammatik von Rumelhart mit Hinweisen auf andere, ähnlich strukturierte Geschichtengrammatiken findet sich bei Hoppe-Graff/Schöler 1981). Eine leichte Abweichung von diesem Schema liegt darin, daß die Pointe für die Akteure der Geschichte eine neue Komplikation bringt und damit aus deren Sicht zu einem offenen Schluß führt, während die eigentliche Lösung nur für den Zuschauer oder Zuhörer deutlich werden kann. Ein wirklich vollständiger Text impliziert demnach, daß am Schluß beide Positionen, die des Bimenpflückers und die des Texterzählers, deutlich werden. Die meisten Texte unseres Corpus sind so angelegt, daß zumindest der Versuch, eine dem narrativen Schema entsprechende Geschichte zu entwickeln, deutlich wird. Der schwächste Punkt liegt fast immer in der Verbalisierung der Pointe. Da es im hier gegebenen Rahmen nicht sinnvoll

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wäre, eine detaillierte Analyse aller Aufnahmen vorzunehmen, wollen wir versuchen, die Grundprobleme der Textkonstitution an einer Filmnacherzählung aus unserem Corpus zu illustrieren. Wir haben dazu die spanische Version einer deutschen Studentin ausgewählt, die im Hauptfach Anglistik studiert und zum Zeitpunkt der Sprachaufnahme erst seit etwa 1 1/2 Jahren Spanisch betrieben hat. Da es in unserem Zusammenhang vorwiegend auf die Beschreibung von Phänomenen auf der Textebene ankommt, beschränken wir uns bei der Wiedergabe des Textes (Aufnahmedauer ca. 5 1/2 Minuten) auf die Kennzeichnung einiger weniger Merkmale, die für Einblicke in die Sprachplanung auf niedrigeren Ebenen wichtig sein mögen: -, ~ : ungefüllte Pause ab 0,2 bzw. 1,0 sec /, // : steigende bzw. fallende Intonation Außerdem bedeuten: VL: Reaktion der Versuchsleiterin, einer fortgeschrittenen Romanistikstudentin, die gemeinsam mit einem Spanischlektor während der Filmnacherzählung anwesend war und auch an dem sich anschheßenden spanischsprachigen Gespräch über den Film beteiligt war (?): akustisch nicht eindeutig identifizierte Form (!): fehlerhafte Form (in Auswahl) chic..: Wortabbruch pfeifen: deutsche Form euh: steht allgemein für gefüllte Pause. euh la pelicula comienza con un - paisaje verde / - y - hay muchas ärboles / - y hay un campesino que - euh - va - a un arböl (!) con ~ peras? / - (VL: mmh) - y euh el hombre / - euh toma los - las pieras (?) - del del arböl (!) y - euh -- y toma las pieras (?) en un - no sd la palabra -- (VL: un cesto) mmh? (VL: cesto) - ces.. cesto - y hay euh ~ hay dos cestos / -- y euh p.. - primeramente - euh ~ empleä (!) euh el primer / - cen.. cesto (VL: mmh) - y - euh -- cuando el primer cesto fue Ueno / - un - un chic.. euh un chico viene con - una bicicleta / ~ y - euh ~ toma la - el ciesio / -(VL: cesto) cesto - euh a su - bicicleta / - y - euh ~ y conduce - con su bicicleta // - (VL: mmh) -y euh el hombre / - euh - en e.. en el arb.. - en el arböl (!) / no he - visto el chico / • (VL: mmh) - y euh - conünui (!) - con ~ con tomar las - euh - las pieras (?) - del arböl (!) - (VL: mmh) - y cuando el chico / - euh - conduce con - con la bicicleta / una chica / - tambidn en bicicleta viene / -- euh y el chico - mira al - a la chica / - y no he visto que euh en el Camino es un -euh - un piana? / - (VL: una piedra) - una - (VL: piedra) - piedra / - (VL: mmh) - y entonces euh - el - chico - a un ac.. accidente y - ca.. - caye (!) (VL: mmh) - de su bicicleta y • los pieras (?) - euh -- ca.. ca.. cayen (!) en en el Camino // - (VL: mmh) -

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Möhle/Raupach cuh y - la chica / - euh -- va otra en otra di.. direcciön y - el chico - euh es aquf y - y entonces euh tres otros chicos vienen / - euh - que - ayudan euh - al chico con la - bicicleta// y euh ~ euh - to.. toman las - las - pieras (?) en - en el cisto? -- (VL: cesto) cesto en el cesto / -- euh y entonces -- el eh.. el chico euh - toma su bicicleta y - euh - quiere -- euh - quiere - (VL: marcharse) Ja marcharse / - euh - y los - los - otros - tres - chicos - van tambi6n pero - euh - uno de los - chicos ~ (VL: mmh?) - pfeifen") - (VL: silba) - silba / - y entonces euh - el chico con la bicicleta / ~ euh - da - tres - pieras (?) - euh - a uno uno de los - tres chicos - euh (VL: mmh) ~ el uno de euh con con un sombrero // -- (VL: mmh) y el chico - euh tom.. toma 1.. las pieras (?) - y -- euh - da las peras (?) a - a SU - sus amigos // - (VL: mmh) -euh - y entonces euh - la - el chico con la bicicleta / - euh -- va - en el bosco (!) - no s6 - y los - tres otros - chicos - euh - van al dir., direcciön del campesino / - (VL: mmh) del campesino que - con con con las pieras (?) / - (VL: mmh) y euh -- euh van / -- vorbeigehen! - (VL: pasan) pasan - euh el campesino / - que que he subido al -- euh del del arböl (!) / - (VL: mmh) - y euh -- el campesino euh mira - a los chicos que que tienen - euh - cada uno - euh un una piera (!) - de su arböl (!) //

Angesichts ihrer relativ geringen Fremdsprachenkompetenz muß die Sprecherin bei der Wiedergabe des Films offensichtlich einen großen Teil ihrer Planungsaktivitäten auf die Sprachproduktion im engeren Sinne, d.h. auf die Bewältigung sprachlicher Probleme, verwenden und kann entsprechend weniger Kapazitäten für die Organisation auf der Textebene einsetzen. Dies äußert sich u.a. in den Wortfindungsschwierigkeiten und in den Unsicherheiten bei der Bildung einzelner Formen. Eine detaillierte Analyse der einzelnen Sprachsegmente, die durch Verzögerungsphänomene wie gefiillte und ungefüllte Pausen sowie steigende/fallende Intonation markiert werden können, würde in Übereinstimmung damit zeigen, daß die Reichweite der Sprachplanung im allgemeinen ziemlich eingeschränkt ist. Nur gelegentlich ist an etwas umfangreicheren Segmenten wie z.B. el chico con el bicicleta - die allmähliche Entwicklung von unmittelbar verfügbaren "Sprachinseln" zu beobachten. Die starke Inanspruchnahme der Sprecherin durch Verbalisierungsprobleme auf unteren Ebenen zu Lasten einer stärker hörerbezogenen Textgestaltung wirkt sich u.a. auch in der Vermeidung des Gebrauchs von Pronomina aus; das oben zitierte, zweimal verwendete Segment el chico con la bicicleta ist ein schönes Beispiel für die hier typische, z.T. natürlich auch durch den Filminhalt provozierte explizite Referentialisierung in Form von erweiterten Nominalphrasen. Ein wesentliches Kennzeichen dieses Textes liegt zudem darin, daß die Sprecherin keinen Versuch macht, durch Andeuten eines Ablaufes in

Mündliche Textprodiiktion

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Richtung Komplikation und Lösung eine Geschichte zu erzählen. Sie gibt vielmehr eine reine Beschreibung dessen, was sie gesehen hat, und enthält sich jeglicher interpretierenden Deutung wie etwa: "stehlen" statt "den Korb nehmen", "belohnen" statt "Birnen geben". Andererseits wird der Ablauf der Ereignisse aber auch nicht, wie im Film, so klar dargestellt, daß der Zuhörer die richtige Deutung selbst finden könnte. So heißt es z.B.: cuando ei primer cesto fue Ueno / - un - im chic., euh un chico viene con una bicicleta / - y - euh ~ toma la - el ciesto / -- (VL: cesto) cesto - euh a SU - bicicleta / - y - euh -- y conduce - con su - bicicleta //

Dadurch, daß hier sprachlich eine zeitliche Relation (cuando) ausdrücklich hergestellt wird, die zwar richtig, für die Handlung aber irrelevant ist, wird dem Hörer eine falsche Interpretation nahegelegt: "Ein Korb ist voll und wird deshalb abgeholt." Die Darstellung derjenigen Details, die diesen Irrtum hätten verhindern können (hochschauen in den Baum, zunächst eine Birne nehmen etc.), unterbleibt dagegen. Beides hat offensichüich sprachliche Gründe. Cuando und später entonces sind die einzigen Verknüpfungen, die der Sprecherin, zumindest in der gegebenen Situation, zu Gebote stehen, und werden so oft wie möglich genutzt, um Abwechslung in die eintönige Satzverknüpfung mit y zu bringen. Daß diese irreführende Darstellung wirklich auf sprachlichen Defiziten und nicht auf einer falschen Repräsentation beruht, wird daraus deutlich, daß die Sprecherin anschließend sagt: y euh el hombre / - euh - en e.. en el arb.. - en el arböl / no he - visto el chico/

Dies könnte im übrigen als Versuch der Sprecherin gedeutet werden, der zuvor sprachlich neutral geschilderten Situation ("den Korb nehmen" statt "stehlen") nachträglich eine Interpretation zu geben. Die Darstellung einer zusammenhängenden Folge von Einzelakten wird von der Sprecherin offenbar als zu schwierig empfunden und unterbleibt nicht nur im Zusammenhang mit dem Diebstahl, sondern ebenfalls an anderen Stellen (Unfall, Hutgeschichte, Belohnung), wo sie bei dem von der Sprecherin gewählten Beschreibungsverfahren zum Verständnis erforderlich gewesen wäre. Bei der Darstellung des Unfalls gelingt es der Sprecherin, zunächst durch klare Abfolge der Details eine Kohärenz wenigstens implizit zum Ausdruck zu bringen, die sie allerdings anschließend durch das temporale Adverb entonces fast wieder zerstört, weil der Unfall nur in zeitiichem.

458

Möhle/Raupach

nicht aber in kausalem Zusammenhang mit den vorangehenden Ereignissen gestellt wird: una chica / - tambiön en bicicleta viene / - euh y - el chico - mira al - a la chica / - y no he visto que euh en el Camino es un ~ euh - un plana? / (VL: una pledra) - una -- (VL: piedra) - pledra / - (VL: mmh) - y entonces euh - el - chico - a un ac.. accidente

Gestört wird die Textkohärenz schließlich auch dadurch, daß die Darstellung der folgenden Episode auf unzusammenhängende Einzelheiten reduziert wird: uno de los - chicos ~ (VL: mmh) - pfeifen!

Man erfiihrt nicht, warum der Junge pfeift. y entonces euh - el chico con la bicicleta / -- euh - da - tres - pieras (?) euh ~ a uno uno de los - tres chicos - euh (VL: mmh) - el uno de euh con con un sombrero // ~ (VL: mmh) - y el chico - euh tom.. toma 1.. las pieras (?) - y ~ euh - da las peras (?) a - a su - sus amigos //

Das Verlieren des Hutes (con un sombrero) wurde vorher nicht erwähnt, so daß dem Hörer verborgen bleibt, daß der Finder den Hut zurückgibt und zur Belohnung dafür Eimen bekommt. Die Tatsache, daß die in dieser Darstellung scheinbar sinnlosen Einzelheiten jedoch erinnert werden, spricht dafür, daß die Darstellungsmängel vorwiegend sprachlich bedingt sind und der Verbalisierung sehr wohl eine sinnvolle Repräsentation des Ablaufs zugrunde liegt. Am Schluß wird die die Pointe bildende Situation - die Birnen essenden Jungen kommen an dem Baum vorbei und werden vom Pflücker gesehen - richtig dargestellt. Die Passage hat nun jedoch keine Funktion, weil weder der Diebstahl noch seine Entdeckung durch den Pflücker vorher vcrbalisiert worden sind.

4. Schlußbemerkungen Abschließend soll noch einmal hervorgehoben werden, daß die Sprachproduktionen in unserem Textcorpus von L2-NacheT2ählungen des PearStory-Films keinem aktuellen Äußerungsbedürfnis der Sprecher entspringen. Dies ist mitverantwortlich daHir, daß die Probanden in ihrer Mehrzahl den Film in beschreibender oder berichtender Form und nicht so sehr als Erzählung darstellen. Der vorwiegend monologische Charakter der gewählten Textsorte legt zudem die Vermutung nahe, daß die den Lemem eigentümliche Wahl bestimmter Sprachmittel nicht nur als Ausdruck eingeschränkter Sprachkompetenz, d. h. als Abweichung von muttersprachhchem Sprechverhalten zu deuten ist; sie dient den Probanden zu einem gewissen Teil sicherlich auch dazu, Kontrolle über die experimentelle Situation zu gewinnen (Schnell 1987:170).

Mündliche Textproduktion

459

Aber auch bei einer Reduktion dieser sich aus der Versuchsanordnung ergebenden Einflußfaktoren zeigt sich offenbar, daß ein starker Zusammenhang besteht zwischen Erzählstruktur und Sprachbeherrschungsniveau, wobei L2-Sprecher ihre mangelnde Sprachbeherrschung auf morphologischer und syntaktischer Ebene durch die Wahl einfacherer Erzählstrategien kompensieren können (Wildgen 1977, 1978). Dies erfordert in vielen Fällen auch eine modifizierte Erwartungshaltung auf Seiten des Hörers. Mit Bezug auf die Texte zum Pear-Story Film wäre es vielleicht lohnend, im einzelnen zu prüfen, ob und in welchem Maße die von Tannen (1979) bei den muttersprachlichen Filmnacherzählungen beobachteten Merkmale auch in entsprechenden fremdsprachlichen Textproduktionen anzutreffen sind. Dies ließe insbesondere dann auf der Ebene der Textgestaltung interessante Ergebnisse erwarten, wenn dabei - ähnlich wie es in den Untersuchungen von Chafe und Tannen angelegt ist - die Fremdsprachensprecher und die jeweils involvierten Sprachen unterschiedlichen Kulturkreisen angehörten.

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V. Patholinguistik

Anneliese Kotten (Bad Heilbrunn)

Textproduktion bei Aphasie fär meinen Lehrer Anton

Leischner

Abstract: The paper deals mainly with the following topics: - Experiments on text processing in aphasia (comprehension and production) - Levels of text structure (macro/micro-level) to which aphasic disturbances relate - Levels of disturbances related to the type of aphasia and/or the conditions of text production - Cotrelations of disturbances in text comprehension and production In a review of research work on text processing I compare different proaches (e. g. analysis at the macro vs. micro level) and their differing results. Essential to all topics dealt with in my paper is the question of whether experimental conditions such as verbal or pictorial Stimuli coirespond to text production in everyday communication.

"It is maddening to have interesting things to say which sound so well in my head, but when said aloud are a mess of slop. One who is eager to help an !q)hasic must be Willing to listen, calm in his approach because he honestly wants to know what the aphasic is trying to teil him. And he doesn't jump pronto to any conclusion." (Wulf 1979:58) D a s vorangestellte Zitat einer Aphasikerin enthält programmatisch die zentralen Themen der Textforschung: D i e Beziehung von Sprache und Denken, die Aktualisierung von Mitteilungen im Kommunikationsprozeß und die Interpretation eines Textes durch einen Adressaten.

1. Vorüberlegungen Der heute erreichte Stand der Textforschung macht deutlich, daß sowohl Systemlinguistik als auch pragmatische Linguistik nur einen kleinen Teil des kommunikativen Prozesses der Textproduktion (bzw. d e s Textverständnisses) angemessen beschreiben können. D i e s gilt unabhängig d a -

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Kotten

von, ob Texte als "Produkt" oder als "Prozeß" (vgl. BrownA'ule 1983) aufgefaßt werden. Neben dem kommunikativen Aspekt der "Mitteilung mit einer bestimmten Intention" (vgl. Gülich/Raible 1977) sind auch folgende Faktoren immer mit zu berücksichtigen: "Konzeptualisiening, Planung, Speichening (Gedächtnis) und Abrufen sprachlicher Informationen in den einzelnen sprachlichen Ebenen bishin zur konkreten TextäuBerung, Kontrolle der Textproduktion (interne - externe Rückkopplung) und Verwendung früh erworbener nichtsprachlicher Zeichensysteme (Gestik, Mimik)."(Bruck/Stark unveröff Manuskr.)

Dieser interdisziplinäre Ansatz ist bisher nur in einem Wiener Projekt verwirklicht worden, das nicht nur sehr differenzierte Textproduktionsbedingungen untersucht, sondem ebenso die Analyse der nonverbalen Kommunikationsmittel einbezieht (Stark et al., im Druck). Da jedoch erst wenige Teile des gesamten Projektes veröffentlicht werden konnten, werde ich mich im weiteren primär mit den zugänglichen Publikationen auseinandersetzen. Die bisherigen Forschungsschwerpunkte lagen überwiegend bei der Verarbeitung narrativer Texte (Bildbeschreibungen/Nacherzählungen). Derartige Texte lassen sich aufgrund ihrer strukturellen Eigenschaften gut zu Gruppenvergleichsuntersuchungen einsetzen. Da sich jedoch nach Quasthoff (1980) Erzählungen in Gesprächen strukturell von Erzählungen unter anderen Kommunikationsbedingungen (z. B. im Experiment) unterscheiden können, sind die Ergebnisse von Textuntersuchungen auch nicht ohne weiteres auf Textleistungen von Aphasikem in Alltagssituationen übertragbar. Erste Ansätze zur Untersuchung spontaner Kommunikation (in Therapiesitzungen) fmden sich bei Andresen (1985/1986), Auer (1981) und Seyler (1985). Im folgenden werde ich mich jedoch primär auf die Ergebnisse von Gruppenuntersuchungen beziehen, da sie sowohl einen Vergleich von Leistungen verschiedener Aphasieformen ermöglichen als auch zum Vergleich mit gesunden Sprechern dienen können.

2. Exkurs: Aphasieformen Da eine Aphasie erst nach dem Erwerb der Muttersprache durch eine Himschädigung auftreten kann, ist auch der schwerst gestörte Aphasiker, der nicht mehr spricht, durch seinen Rückgriff auf einmal erlernte Kom-

Textproduktion bei Aphasie

465

munikationsstrategien von einem Kind zu unterscheiden, das noch nicht sprechen kann (Kotten 1981,1983a). Eine Aphasie beeinträchtigt nicht nur die orale Sprachverarbeitung (SprechenA^erstehen) sondern ebenso den Zugang zur Schriftsprache. Da sich jedoch einige Patienten - wenn auch vereinfacht - schriftlich äußern können, wäre es eine lohnende Aufgabe, Textleistungen in beiden Medien zu untersuchen. Dies ist bisher nur von Peuser (1978) durchgeführt worden. Sein Einfiihrungsbuch enthält darüberhinaus auch reiche Textbeispiele. Zur Klassifikation von Aphasien werden sowohl anatomische als auch beschreibende Kriterien verwendet. Je nach Schädigung in der Sprachregion wird von "vorderen" (anterioren) oder "hinteren" (posterioren) Aphasien gesprochen. Ferner ist auch eine Einteilung nach der Sprechflüssigkeit möglich. (Genauere Informationen geben Leischner 1987 und Poeck 1982.)

2.1 Nicht-flüssige Aphasien 2.1.1 Globale Aphasie Alle Modalitäten der Sprachverarbeitung (expressiv und rezeptiv) sind aufs Schwerste beeinträchtigt. Die mündliche Sprachproduktion ist häufig auf isolierte Äußerungen verstümmelter Wörter reduziert. Allerdings können auch ganzheitliche Redefloskeln vorkommen, die entweder unkontrolliert oder aber situativ angemessen geäußert werden. Stereotypien, Hoskeln - sprachliche "ready mades" - kommen bei allen Aphasieformen vor. Auffallend ist der holistische Charakter solcher, als Kommentare verwendeter Äußerungen. Nach Engel (1977,1981) besitzen diese Kommentare keine referentielle Information. Sie sind kommunikativ defizitär, da sie auch dann geäußert werden, wenn eine referentielle Information erwartet wird, wie dies z. B. in Bildbeschreibungen oder Nacherzählungen der Fall ist. (Eine andere Interpretation gibt Andresen 1985,1986.) Globale Aphasiker werden meist aus Textproduktionsuntersuchungen ausgeschlossen. Sie können jedoch an Untersuchungen zum Textverstehen teilnehmen, sofern keine verbale Reaktion gefordert wird. Bei diesen schwerst gestörten Patienten ist meist das Verstehen situativ eingebetteter

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Koucn

alltäglicher Texte besser erhalten als das Verstehen von kontextfreien Wörtern und Sätzen.

2.1.2 Broca-Aphasie Je nach Schweregrad werden syntaktisch/morphologisch vereinfachte Sätze oder aber isolierte Lexeme geäußert. Das Fehlen jeglicher formaler Mittel macht den sogenannten "Telegrammstil" (isolierte Wortreihung) äußerst ambig. Der Verstehensprozeß bei ambigen Äußerungen ist situations- (vielleicht auch textsorten-)abhängig. Maßgeblich ist dabei, ob der Referent ein Element der gemeinsamen Wahmehmungssituation darstellt (z. B. Bildbeschreibung), ob auf ein gemeinsames Vorwissen Bezug genommen wird (z. B. bei Gebrauchsanweisungen) oder ob persönliche Erlebnisse geschildert werden (vgl. auch Kotten 1983). Einige Broca-Aphasiker können mit sehr viel Zeitaufwand im zeitunabhängigen Medium der Schriftsprache syntaktisch/morphologisch reichhaltigere Texte formulieren, die eindeutiger sind als die orale Textproduktion. Viele Broca-Aphasiker sind in ihrer rezeptiven Sprachverarbeitung eingeschränkt. Bei kontextfreien Sätzen bevorzugen sie eine semantisch-pragmatische Interpretation unter Vernachlässigung der morphologischen Information (vgl. Heeschen 1980, Kotten 1985:85). Eine vergleichbare Strategie beim Textverstehen führt dazu, daß die semantische Textbasis, oder die Makro-Struktur insbesondere bei Texten mit "rotem Faden" gut verarbeitet wird. Bei komplexen Texten (z. B. Zeitungsartikeln) oder bei Texten mit sprachabhängigen Pointen, treten dagegen deutliche Verständnis- bzw. Wiedergabeprobleme zutage.

2.2 Flüssige Aphasien 2.2.1 Amnestische Aphasie Bei dieser Aphasieform ist das Sprachverständnis weitgehend intakt. Die Sprachproduktion, insbesondere wenn "Benennen" erforderlich ist, kann so stark eingeschränkt sein, daß die Sprachproduktion auf Floskeln, Umwegleistungen (vgl. Kotten 1979), generalisierte Nomen (z. B.

Textproduktion bei Aphasie

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"Ding") oder generalisierte Verben (z. B. "machen") reduziert ist. Während das "Benennen" (Herstellung von Referenz durch Nomen, Verben) deutlich gestört ist, sind Syntax und Morphologie und auch die korrekte Verwendung von Pronomina intakt. Da "Benennen" und Bildbeschreibung eng zusammenhängen, ist zu erwarten, daß Patienten mit amnestischer Aphasie sensibel auf Textproduktionsbedingungen reagieren. Nacherzählungen sollten demzufolge für diese Gruppe einfacher sein als Bildbeschreibungen (Dressler/Plöh 1984).

2.2.2 Wernicke-Aphasie Diese Aphasieform ist sehr variantenreich. Allen gemeinsam ist jedoch eine gute Intonation und eine flüssige Sprachproduktion mit der Neigung, mehr an Äußerungen zu produzieren als dem Anlaß angemessen ist. Femer finden sich häufig thematische Sprünge und unangemessene Abschweifungen. Dies kann die Verständlichkeit in spontanen Gesprächen zusätzlich zu den linguistisch beschreibbaren Störungen stark beeinflussen. Da alle Patienten auch Sprachverständnisstörungen haben, ist dieser Faktor bei Textreproduktion besonders zu berücksichtigen. Bei schweren Wemicke-Aphasien ist die Sprachproduktion durch semantische und/oder phonematische Störungen so entstellt, daß kein Verstehen mehr möglich ist. In Gesprächen stützen sich diese Patienten primär auf nicht-linguistische Informationen wie z. B. den situativen Kontext oder die Intonation des Gesprächspartners. In weniger schweren Fällen finden sich eine semantisch verarmte Sprache und/oder semantische bzw. phonematische Mißgriffe, die so weit vom Zielwort entfernt sein können, daß die gemeinte Referenz nicht mehr erkennbar ist. In relativ leichten Fällen sind semantische oder situative Beziehungen zum korrekten Zielwort herstellbar. Die semantisch/ phonematischen Irrtümer beeinflussen die Verstehbarkeit von Texten zwar in erheblichem Maße, sie lassen sich jedoch nicht als Textstörungen im eigentiichen Sinne auffassen, da es sich um paradigmatische Störungen auf Wortebene handelt. Alle Patienten haben auch Störungen in Syntax und Morphologie. Neben Verdopplungen und Verschränkungen von Satzteilen kommen auch Substitutionen von Präpositionen und von Pronomen vor. Insbesondere die Fehler bei Pronomen verletzen Verkettungsregeln der Textoberfläche.

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Kotten

2.2.3 Aphasieformen und Gruppenuntersuchungen Anhand dieses Überblicks sollte deutlich geworden sein, daß Gruppenuntersuchungen, die nur zwischen flüssig/nicht-flüssig sprechenden Aphasikem unterscheiden, zu grobe Maßstäbe anlegen. Ebenso ungerechtfertigt ist es, nur die leichter gestörten Patienten zu berücksichtigen. Ergebnisse derartiger Studien sind recht trivial, da sie im wesentlichen nur zeigen, daß die Menge an Information, die wiedergegeben werden kann, geringer ist als bei Sprachgesunden und, daß Aphasiker Schwierigkeiten haben, abstrakte Inhalte zu formulieren. Der Vollständigkeit halber werden jedoch auch diese hier kritisierten Untersuchungen besprochen.

3. Forschungsschwerpunkte Viele Textexperimente beruhen auf Nacherzählungen. Daher ist es zunächst notwendig, die Ergebnisse von Textverständnisuntersuchungen kurz zu umreißen.

3.1 Untersuchungen zum Textverständnis Huber et al. (1975) und Stachowiak et al. (1977) untersuchten das Verstehen kurzer Texte, die alle eine bekannte Redewendung thematisierten. Aus einem Set von vier Bildern war nach dem Anhören des Textes dasjenige Bild auszuwählen, das der Endsituation des Textes entsprach. In der ersten Untersuchung neigten Wemicke-Aphasiker dazu, die als Reaktion unangemessene Darstellung der Redewendung zu wählen. Die Folgeuntersuchung ergab jedoch eine Angleichung der Reaktionen aller Aphasiegruppen an die Reaktionen gesunder Versuchspersonen. Allerdings machten auch die Sprachgesunden einige Fehler. Brookshire et al. (1984) untersuchten, ob es einen Unterschied gibt beim Behalten wichtiger bzw. nebensächlicher Informationen. Zusätzlich überprüften sie, ob die Art der Informationsübermittlung - direkt oder indirekt - einen Einfluß auf das Behalten ausübt. Bei indirekten Formulierungen wurden vom Hörer einfache Schlußfolgerungen verlangt. Nach dem Anhören der Texte hatten die Patienten Ja-Nein-Fragen zu beantworten. Wichtigstes Ergebnis war, daß alle Versuchspersonen (u. a. auch Gesunde) die wichtigsten Informationen besser behielten als die neben-

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sächlichen. Ferner hatte die Art der Informationsübermittlung keinen Einfluß auf die Behaltensleistung. Nicht-flüssige Aphasiker (hier wahrscheinlich Broca-Aphasiker) unterscheiden sich nicht signiflkant von Sprachgesunden. Innerhalb der Gruppe der Aphasiker waren die Wemicke-Aphasiker besonders schlecht. Sehr auffällig war jedoch insgesamt, daß innerhalb der einzelnen Aphasiegruppen so große Leistungsstreuungen auftraten, daß individuelle Leistungsvorhersagen aufgrund der Gruppenzugehörigkeit nicht möglich waren. In einem Folgeexperiment von Wegner et al. (1984) wurde an vergleichbaren Probandengruppen der Einfluß von Kohärenz/Inkohärenz auf das Behalten von wichtigen Informationen bzw. von Details untersucht. Bei wichtigen Informationen spielte fiir alle Probanden Kohärenz/Inkohärenz keine Rolle, da alle versuchten, so etwas wie eine "globale Kohärenz" (vgl. Makro-Struktur) herzustellen. Kohärenz hatte jedoch bei Aphasikem einen unerwarteten Einfluß auf das Behalten von Details: Kohärenz führte zu einer Verschlechterung im Behalten von Detailinformation, Inkohärenz verbesserte das Behalten von Details. Inwieweit bei der Textverarbeitung bei aphasischen Patienten auch kognitive Störungen nachweisbar sind, untersuchten Huber/Gleber (1982) anhand eines Vergleichs von Bild- und Sprachmaterial. Ein und dieselbe "Vater-und-Sohn"-Geschichte wurde als ungeordnete Bilderfolge, bzw. als ungeordnete Satzfolge angeboten. Die sprachliche Version hatte darüber hinaus eine stark kohäsive und eine schwach kohäsive Variante. Während also die Informationen der Makro-Ebene identisch blieben, waren in der stark kohäsiven Variante Informationen der Mikro-Ebene (Textoberfläche) hinzugefügt. Erwartungsgemäß wurden die Bildergeschichten besser geordnet als das sprachliche Material; dies gelang jedoch nicht fehlerlos. Beim Bilderordnen machten Wemicke-Aphasiker mehr Fehler als Globale Aphasiker! Dies ist bei Experimenten zur Bildbeschreibung zu berücksichtigen. Amnestische Aphasiker konnten Bilder und sprachliches Material gleich gut ordnen. Sie ähneln darin gesunden Versuchspersonen. Als weiteres Ergebnis stellte sich heraus, daß alle Aphasiker Schwierigkeiten hatten, beim Bilderordnen den richtigen Anfang zu finden. Diese Schwierigkeiten waren beim Ordnen des sprachlichen Materials weitaus geringer. Keine Aphasikergruppe reagierte auf den Unterschied in der Kohäsion. Nur bei Amnestikem gab es - wie bei den Gesunden - eine leichte numerische Tendenz zur besseren Verarbeitung der stark kohäsiven Texte.

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Die Ergebnisse zeigen deutlich, daß sich Aphasiker fast ausschließlich auf die semantische Textbasis stützten; sie verarbeiteten Texte auf der Ebene der Makro-Struktur. Einen weiteren Beweis für dieses Vorgehen findet man darin, daß Aphasiker recht gut in der Lage sind, Titel zu gehörten/gelesenen kurzen Geschichten (mit "rotem Faden") zu formulieren (Engel 1977, 1981, Engl et al. 1977) oder aus einem vorgegebenen Set auszuwählen (vgl. Übungsbuch von Engl et al. 1982, Kapitel "Textaufbau"). Bei der zuletzt genannten Übung werden u. a. die korrekten Titel in zwei Versionen angeboten, nämlich konkret und abstrakt (als "Moral" oder "übertragene Redewendung"). Bezeichnenderweise bevorzugen schwerer gestörte Aphasiker fast immer die konkreten Titel, und femer haben als einzige Aphasikergruppe (außer schwerst gestörten Globalen) die Wemicke-Aphasiker Schwierigkeiten bei der Titelwahl. Da in der täglichen therapeutischen Arbeit mit Aphasikem immer wieder Textverarbeitungsstörungen auffallen, ist zu fragen, welche Aspekte eines Textes außer der Komplexität (Personenzahl, Themenverschränkungen usw.) und der Abstraktheit zu Verständnisschwierigkeiten führen können. Neben solchen Faktoren wie z. B. pronominale Vericettung können auch semantisch vermittelte Formen der Ko-Referenz das exakte Verständnis beeinflussen. Kotten untersuchte daher in einer Pilot-Studie (1983b) die Verarbeitung von semantisch versus logisch-pragmatisch vermittelter KoReferenz. Bei der Untersuchung hatten die Patienten zu einem vorgegebenen Ausgangssatz aus einem Set von vier den korrekten Folgesatz zu wählen. Patienten, die in einem Vortest eine Fabel korrekt verstanden hatten, lösten die Aufgaben fehlerlos. Für Patienten mit Sprachverständnisproblemen war die logisch-pragmatisch vermittelte Ko-Referenz am leichtesten, semantische Implikationen erwiesen sich als besonders schwierig. Im mittleren Schwierigkeitsbereich lagen Beziehungen wie "Teil-Ganzes" und "Element-Kategorie". Aussagen über Aphasieart und Verarbeitungsprobleme bei den verschiedenen Ko-Referenzmitteln konnten in dieser Studie nicht gemacht werden. Insgesamt fehlen auch noch Untersuchungen zur Verarbeitung von Pro-Formen und von konjunktionalen Ausdrücken. Die alltägliche Therapieerfahrung zeigt hier erhebliche Unterschiede in der Verarbeitung dieser Kohäsionsmittel bei den einzelnen Aphasieformen. Femer ist festzuhalten, daß Verarbeitungsprobleme nicht unbedingt in Produktionsschwierigkeiten widergespiegelt werden. So findet sich beispielsweise bei der Broca-Aphasie ein deuüicher Unterschied im Verstehen und Produzieren satzverbindender Mittel: Einem relativ guten Verste-

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hen tritt eine an kohäsiven Mitteln arme Produktion gegenüber. Demgegenüber verwenden Wemicke-Aphasiker durchaus verschiedene Mittel, die zur Herstellung von Ko-Referenz bzw. Kohäsion der Textoberfläche dienen können, sofern sie adäquat gebraucht werden. Es ist zu fragen, ob der inadäquate Gebrauch dieser Mittel mangelndes Verstehen oder mangelnde Kontrolle widerspiegelt. Als vorläufiges Ergebnis kann jetzt schon festgehalten werden: Bei der Verarbeitung von Texten bleiben Makro-Strukturen erhalten bzw. werden solche Strukturen hergestellt. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß unter bestimmten Bedingungen (z. B. Bildbeschreibungen) solche strukturellen Vereinfachungen auftreten (z. B. Auslassen wichtiger Propositionen), daß ein unabhängiger Beurteiler zunächst Schwierigkeiten hat, die Kohärenz zu erkennen. Zu erwarten ist jedoch, daß Textstörungen primär die Kohäsion betreffen, u. U. kann jedoch auch die "Textwelt" gänzlich verlassen werden.

3.2 Untersuchungen zur Textproduktion Bei standardisierten Interviews wird häufig die Menge an "Arbeit" bewertet, die im Verstehensprozeß geleistet werden muß. Strikt operationalisierbare Kriterien für die Bewertung der "Verstehensarbeit" beim Interview mit aphasischen Sprechern wurden m. W. bisher noch nicht vorgelegt.

3.2.1 Thematische Schwerpunkte von ProduktionsExperimenten Es wurden hauptsächlich folgende Produktionsbedingungen untersucht: - Beschreibung von Bildern/Bildergeschichten (Bruck/Stark, unveröff. Manuskr., Dressler/Pleh 1984, Hüttemann 1981, Koll-Stobbe 1985, Kotten 1972, Ulatowska et al. 1983b) - Nacherzählungen a) Mündliche Vorgabe des Textes mit gleichzeitiger bildlicher Präsentation (Berko Gleason et al. 1980) b) Mündliche Vorgabe von Texten mit unterschiedlicher Komplexität bzw. unterschiedlicher Informationsmenge (Emest-Baron et al. 1987, Bruck/Stark unveröff Manuskr., Dressler/Pldh 1984, Engel 1977, 1981, Engeletal. 1977, Ulatowska et al. 1981, 1983b)

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- Nacherzählungen schriftlicher Vorlagen a) Zeitungstexte (Kotten 1986) b) ungeordnete Sätze einer Kriminalgeschichte (Dieses Experiment wurde bisher von Kotten als unveröffentlichte Therapiestudie durchgeführt.) - Beschreibungen alltäglicher Handlungen bzw. Gebrauchsanweisungen (Bruck/Stark unveröff. Manuskr., Ulatowska et al. 1981, 1983a, Stark et al. im Druck) - Eriebniserzählungen (Ulatowska et al. 1983b) - Konventionelle Sprechakte in festgelegten konventionellen Alltagsscenarios (Blomert et al. 1987) Der Überblick zeigt wie erwartet, daß hauptsächlich narrative Texte untersucht worden sind. Allen Produktionsbedingungen - auch den "Gebrauchsanweisungen" usw. - ist eine festgelegte Grundstniktur gemeinsam, auf deren Hintergrund sich Abweichungen von der "Norm" gut beschreiben lassen. Dies soll an einigen Untersuchungen exemplarisch gezeigt werden.

3.2.2 Textstörungen Obwohl schon mehrfach auf verschiedene Möglichkeiten von Textstörungen hingewiesen wurde, möchte ich hier noch einmal ausfuhrlich die Kriterien aufzeigen, die Dressler/Stark (1976), Dressler (1983) und Dressler/Plöh (1984) hervorheben: -Textstörungen sollen keine Störungen anderer linguistischer Ebenen sein. Sie sollen also beispielsweise nicht die Planung von Einzelsätzen betreffen. Dieser Formulierung liegt folgende Eingrenzung von "Text" zugrunde: "Text" als "abgeschlossene mündliche oder schriftliche Satzgruppe" (vgl. Dressler 1983). Bei einer anderen Definition, z. B. "Text" als "Mitteilung mit bestimmter Intention" (Gülich/Raible 1977) müßte der Begriff "Textstörung" in anderer Weise umrissen werden. Unter kommunikativen Gesichtspunkten könnte eine Textstörung beispielsweise darin bestehen, - daß Aphasiker falsche Vorannahmen über das Vorwissen eines Partners machen, - daß unbemerkt thematische Sprünge auftreten, - daß die erwartbare Folge von "Thema-Rhema" verdreht wird, -oder auch, daß in konventionellen Situationen unbedingt situativ notwendige Äußerungen unterlassen werden, u. a. m.

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Bisher wurde nur der zuletzt genannte Punkt in der Studie von Blomert et al. (1987) experimentell genauer untersucht. Alle übrigen Fragestellungen sind bisher kaum präzise formuliert worden. Da sie für die bisher vorliegenden Experimente nicht zentral sind, werde ich mich weiter auf diejenigen Textstörungen beziehen, die von Dressler herausgearbeitet wurden: - Textstörungen sollen jeweils mit spezifischen Störungen bestimmter Aphasieformen verbunden sein. - Textstörungen sollen nicht kognitiv bedingt sein.

4. Analysen aphasischer Texte Aufgrund der unterschiedlichen Forschungsinteressen fällt auch die vor der eigentlichen Analyse durchgeführte Aufbereitung eines Textes für die einzelnen Analyseschritte unterschiedlich aus. Femer ist bei der Diskussion der Ergebnisse auch immer im Auge zu behalten, wie die Auswahlkriterien für die beteiligten Patienten aussehen.

4.1 Nacherzählungen: Reproduktion der Makro-Struktur Forscher, die primär an der Wiedergabe der globalen Textstruktur im Sinne einer "story grammar" interessiert sind, gleichen durch Aufbereitung der Texte die Unterschiede bei der Verwendung von Kohäsionsmitteln aus. Die speziell aufbereiteten Texte können dann in ihrer hierarchischen Organisation sowohl untereinander als auch mit der Vorlage verglichen werden. Die Vorgehensweise soll exemplarisch anhand der Untersuchung von Engel (1977, 1981, Engel et al. 1977) demonstriert werden. Um in die Untersuchung aufgenommen zu werden, mußten die aphasischen Patienten mindestens acht Wörter pro Min. äußern können, d. h., daß GlobalAphasiker weitgehend ausgeschlossen waren. Um die Produktionsunterschiede von flüssig bzw. nicht-flüssig sprechenden Aphasikem ausgleichen zu können, und um gleichzeitig auch Vergleichsmöglichkeiten zur Textleistung gesunder Sprecher zu schaffen, reduzierte Engel die (vier) vorgegebenen kurzen Texte zu Propositionen bzw. zu Propositions-Komponenten. Propositionen sollten jeweils den Inhalt eines Satzes wiedergeben. Bei der Reduktion der Originalsätze zu Propositionen wurden insbesondere Adjektive, Adverbien und Konjunktionen gelöscht, um die nicht-flüssig sprechenden Aphasiker nicht zu benachteiligen. Femer wurde durch ein statistisches Verfahren der Unterschied in der Wort-

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menge beider Aphasikergruppen ausgeglichen. Anschließend untersuchten Engel u.a. die "Güte der Wiedergabe" (Anzahl der wiedergegebenen Propositions-Komponenten), die "Textorganisation entsprechend der Textvorlage" (Anordnung der Propositionen) sowie die Titelbildung. Als Ergebnis stellte sich heraus, daß beide Aphasikergruppen weitaus weniger Propositions-Komponenten wiedergeben konnten als die Vergleichsgruppen (Gesunde/Schizophrene/Himgeschädigte ohne Aphasie). Bei "Textorganisation" und "Titelbildung" fanden sich bei allen bzw. zwischen allen untersuchten Gruppen keine signifikanten Unterschiede. Die Titelbildung gelingt Aphasikem nicht nur deshalb, weil es sich hierbei um eine globale Proposition handelt, sondern auch, weil Titel keine syntaktisch/morphologisch komplexe Oberflächenstruktur besitzen. Diese Ergebnisse, zusammen mit dem ebenfalls festgestellten signifikant hohen Anteil von stereotypen Kommentaren und anderen sprachlichen "ready mades", die sowohl in den Interviews als auch bei den Nacherzählungen auftreten, interpretiert Engel folgendermaßen: "Whenever holistic pattems only are required in production, aphasics should be able to manage (see: 'Hierarchical Organisation: the title'); whenever holistic pattems only are required in comprehension (see "Story schenia" or "S^uential Organisation'), they should be able to manage. But whenever speciflc exemplifications are required, whether cognitive or linguistic, Problems will arise and differences between a ( ) h a s i c subgroups may occur." (Engel 1981:377)

Eine neuere amerikanische Untersuchung (Emest-Baron et al. 1987) beschäftigt sich ebenfalls mit der Wiedergabe der "story structure" in einem Vergleich von Aphasikem und Gesunden. Emest-Baron et al. nahmen jedoch nur solche Patienten in ihr Experiment auf, die in einem Vortest bei 10 vorgesprochenen Sätzen 30 von 40 möglichen Informationseinheiten wiedergeben konnten. Im Experiment mußten zwei Geschichten nacherzählt werden, die sowohl wichtige als auch unwichtige Informationen enthielten. Als wichtigstes Ergebnis stellte sich heraus, daß die "story structure", repräsentiert durch die Abfolge der wichtigsten Informationen, von allen Versuchspersonen wiedergegeben wurde, femer, daß kein Unterschied zwischen den einzelnen Aphasikergruppen bestand. Gesunde und aphasische Versuchspersonen unterschieden sich lediglich darin, daß die wiedergegebene Informationsmenge bei den aphasischen Probanden geringer war. Die Unterschiede waren statistisch nicht signifikant. Beide Versuchsgruppen zeigten eine Verbesserung der Textwiedergabe, nachdem die Geschichten noch einmal vorgegeben worden waren. Diese Verbesserung war statistisch signifikant.

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Daß die Reihenfolge der Informationen für die Wiedergabe einer Geschichte selbst dann eine Rolle spielt, wenn die Geschichte als ungeordnete Satzfolge vorgegeben wird, ist in einem bisher unveröffentlichten Therapieexperiment von Kotten zu sehen. Den Patienten, die keine schwere Lesestörung haben dürfen, werden 10 Sätze einer Kriminalgeschichte vorgelegt. Der 1. und der letzte Satz stehen an korrekter Stelle, alle übrigen sind vertauscht. Die korrekte Ordnung kann aus dem Handlungsablauf und den Kohäsionsmitteln hergestellt werden. Bevor jedoch die eigenüiche Ordnungsaufgabe gestellt wird, bekommen die Patienten die Aufgabe, die ungeordnete Geschichte als zusammenhängenden Text nachzuerzählen. Allen bisher untersuchten Patienten gelingt es, eine globale Kohärenz herzustellen. An zwei Stellen, an denen die Reihenfolge der vorgegebenen Information und die textverbindenden Mittel (hier: Konjunktion und Pro-Adverb) kollidieren, setzt sich die "order auf mention" durch. Dieses Phänomen ist auch auf Satzebene wirksam, wie Kotten (1977) bei einer Untersuchung zum Verständnis von Präpositionen zeigen konnte. Die "order of mention"-Strategie kann sich in Abhängigkeit von dem vorgegebenen Text sowohl positiv als auch negativ auswirken. Negative Auswirkungen zeigen sich dann, wenn ein nicht-narrativer Text, z. B. ein Zeitungsartikel mit eingeschobenen Kommentaren, Beispielen u. ä. wiedergegeben werden soll (vgl. Kotten 1986). Selbst gut gebesserten Patienten gelingt es in solchen Fällen nicht, den unterschiedlichen Status der einzelnen Paragraphen deutiich zu machen. Da die sprachlichen Mittel zur Differenzierung nicht ausreichen, wird auf das globale Muster der Erzählung zurückgegriffen. Die Grenzen der Textproduktion werden auch in den Untersuchungen von Ulatowska et al. (1981, 1983a, 1983b) deutiich. An dem Versuch nahmen neben gesunden Probanden mäßig gestörte Aphasiker teil, die als "anterior", "posterior" und "mixed" klassifiziert worden waren. Überprüft wurden: Textproduktion zu einer Bildergeschichte, Nacherzählung einer Fabel und Erzählung eines Erlebnisses. Femer wurden eine Zusammenfassung und die Formulierung der "Moral" der Geschichten verlangt. Die Analyse wurde auf Satz- und Textebene durchgeführt. Auf Textebene wurden folgende Gesichtspunkte berücksichtigt: -Texüänge (gemessen an der Zahl der "independent clauses plus the dependent modifiers of that clauses") - Produktion wesentiicher Elemente der Superstruktur ("setting, complicating action, resolution") - Anzahl von evaluativen Äußerungen Verstehbarkeit und Vollständigkeit der Texte wurden nach einem PunkteSystem von unabhängigen Beurteilem bewertet. Wichtigstes Ergebnis

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war: Aphasiker produzieren signifikant weniger "settings" und "resolutions" als Gesunde. In der 2 ^ 1 der "actions" unterscheiden sie sich nicht von gesunden Sprechern. Zwar brachten Aphasiker weniger "resolutions" als Gesunde, die "resolutions" nahmen in den aphasischen Texten jedoch einen höheren Prozentsatz an als bei den Texten der gesunden Versuchspersonen. Weiterhin wurde deutlich, daß bevorzugt solche Propositionen ausgelassen wurden, die sich auf innere Gefühle, Zustände oder Motive der Akteure beziehen; demgegenüber wurden bevorzugt Aktionen wiedergegeben. Besonders au^ällig war, daß Aphasiker zwar Zusammenfassungen geben konnten; sie waren jedoch nicht in der Lage, eine "Moral" zu den Geschichten zu formulieren. Die Erzählung der Erlebnisse wurde einer Profilanalyse unterzogen. Hierbei zeigte sich, daß die wichtigste Information ("peak") zwar produziert wurde, daß Aphasiker jedoch nicht in der Lage waren, die "Klimax" einer solchen Geschichte angemessen vorzubereiten. Der Ausklang der Geschichten war ebenfalls reduziert. Abgesehen von der Reduktion der Information und der Vereinfachung der Text-Struktur, traten Fehler auf, die insbesondere die Herstellung von Referenz betrafen. Aphasiker re-nominalisierten weniger, wobei zwischen 5 - 8 unabhängige Sätze zwischen dem Wiederaufgreifen des vorerwähnten Referenten vorkommen konnten. Femer war die Referenz häufig ambig. So traten beispielsweise gehäuft exophorisch gebrauchte Pronomen auf. Dieses Phänomen wird in allen Untersuchungen zur Textproduktion - auch von anderen Forschem - immer wieder hervorgehoben. Auch die zweite Untersuchung von Ulatowska et al. (1983a) zum "procedural discourse" ergab im Wesendichen, daß der "Rahmen" ("script") im Sinne einer konventionellen Abfolge von Handlungsschritten auch bei den aphasischen Texten (hier "Gebrauchsanweisungen") erhalten geblieben ist. Es traten jedoch Vereinfachungen auf, und die Informationsmenge war reduziert Die bisher beschriebenen Ansätze konnten keine Gruppenunterschiede bei aphasischen Textproduktionen herauskristallisieren. Es ist daher zu fragen, ob Untersuchungen, die auch die Textoberfläche berücksichtigen, Unterschiede zwischen den einzelnen Aphasieformen herausarbeiten können.

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4.2 Erzählungen: Linguistische Analyse der Textoberfläche Eine genaue Analyse der Kohäsionsmittel eines aphasischen Textes wirft schwerwiegende Probleme auf, die von Dressler/Plöh (1984) zu Recht mit der Edition korrumpierter Handschriften verglichen werden. Schon in einer sehr frühen Arbeit von Kotten (1972), die sich primär mit Satzanalysen beschäftigt, wird das Edierungsproblem besprochen. Die AnalyseEinheiten wurden nach Plausibilitätserwägungen (Ebene der Kohärenz) zusammengestellt. Ein wesentlich objektiveres, aber auch zeitaufwendigeres Verfahren wählten Dressler/P16h (1984). Sie legten jeweils unabhängigen Beurteilem ein und denselben Text vor. Es zeigte sich, daß die Unstimmigkeiten in der Beurteilung im wesentlichen die anaphorische bzw. exophorische Rolle von Pronomina betrafen. Als Konsequenz wird vorgeschlagen: "Dieses Nebenergebnis unserer Untersuchung legt es nahe, daß man das Problem der Kohäsion aphatischer oder sonstiger gestörter Texte dadurch genauer untersuchen könnte, daß man die sprachlichen und kontextuellen Kenntnisse der nicht-intendierten Empfänger gestörter Kommunikation dabei systematisch variiert." (Dressler/PI6h 1984:8f.)

Dieser Vorschlag weist implizit auch daraufhin, daß es sich bei der InterpretationA'erstehbarkeit aphasischer Texte zunächst einmal um ein Problem der Kohäsion (Pronominahsierung, Ko-Referenzen, konjunktionale Verknüpfungen) handelt. Auf die unangemessene Verwendung der Pronomina wurde auch in der Literatur schon mehrfach hingewiesen (vgl. Berko Gleason 1980, KollStobbe 1985a, 1985b; Ulatowska et al. 1983b). Es ist jedoch noch ein anderer Punkt zu berücksichtigen: Insgesamt treten bei Lockerung/Auflösung der Textkohäsion gehäuft ko-textuell beziehungslose Pro-Formen auf. Diese Formen haben aufgrund ihrer Verweisfunktion zudem eine enge formale Verwandtschaft zu den Deiktika. Oft sind sie sogar identisch (vgl. Dressler/Plöh 1984:19). Im Umgang mit diesen Formen konnte die Forschung bisher zeigen: Bezugslose Pro-Formen sind typisch für eine eingeschränkte Kommunikation. Dies war sowohl anhand von Texten psychisch Kranker als auch anhand von Probanden aus sozial benachteiligten Gruppen nachweisbar. Darüber hinaus wurde schon von Kotten (1972) hervorgehoben, daß ihre aphasischen Versuchspersonen unangemessen häufig die "Deixis ad oculos" verwendeten, ein Verfahren, das bei Erzählungen zum Verlassen der "Textwelt" führen kann. Da die pronominale Verkettung und die Herstellung von Ko-Referenz unter textlinguistischen Gesichtspunkten für die Erzeugung von "Texten" konstitutiv sind, ist durchaus mit Recht zu fragen, ob Aphasiker nach diesen

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Strengen Kriterien überhaupt "Texte" produzieren (vgl. die entsprechende Diskussion bei Koll-Stobbe 1985a). Bei ihrer weiteren Analyse aphasischer Texte, untersuchten Drcssler/P16h neben Aspekten der Satzebene, der Text-Makro-Struktur auch solche Merkmale, die über die pronominale Verkettung hinaus für die Kohäsion von Texten relevant sind. Sie untersuchten femer auch, ob die unterschiedlichen Aphasieformen unterschiedliche Textstörungen zeigen und unterschiedlich auf die Produktionsbedingungen "Bildbeschreibung" bzw. "Nacherzählung" reagieren.

4.2.1 Aphasieart und Textleistung unter unterschiedlichen Bedingungen Die statistische Analyse der Textleistung wurde zunächst an der produzierten Wortmenge ("Sprechflüssigkeit") durchgeführt. Es ergab sich für die beiden Textproduktionsbedingungen folgendes Bild: Broca-Aphasiker und Globale Aphasiker zeigten unter beiden Bedingungen gleich schlechte Leistungen. Die Wemicke-Aphasiker waren demgegenüber bei Bildgeschichten flüssiger als bei den Nacherzählungen. Dieses Verhältnis war bei den Patienten mit amnestischer Aphasie umgekehrt. Insgesamt ist die Bedingung der "Nacherzählung" in ihren Auswirkungen stärker reflektiert als die Bildbeschreibung. Hieran zeigt sich, wie Verstehen/Produzieren von Texten je nach Art und Schweregrad der Aphasie miteinander interferieren. Nach Dressler/Plöh sind diese "textsortenspezifischen Unterschiede im Grad der Störung ... nicht primär auf der Textebene erklärlich." (1984:17). Hierzu ist anzumerken, daß es sich bei beiden Produktionsbedingungen um narrative Texte handelt, sie sich also nicht als unterschiedliche "Textsorte" (siehe hierzu auch Koll-Stobbe 1985a) beschreiben lassen. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch bei beiden Produktionsbedingungen darin, daß die Herstellung der Kohärenz in einer Umsetzung "verbale Vorgabe - verbale Produktion" bzw. "bildliche Vorgabe - verbale Produktion" geleistet werden muß. In dieser zweiten Bedingung leisten die Patienten nicht nur die Reproduktion einer "story structure", sie müssen eine kohärente Struktur erst trotz der Benennschwierigkeiten herstellen . Weitere Analysen anhand von Einzelbeschreibungen werden Aufschluß darüber geben können, daß immer dann, wenn "in eigener Regie" Kohärenz hergestellt werden muß, sowohl Art als auch Schwere-

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grad einer Aphasie beeinflussende Faktoren sind (vgl. auch Bruck/Stark unveröff. Manuskr.). Die eingangs gegebene Beschreibung der verschiedenen Aphasieformen legt die Erwartung nahe, daß neben der exophorischen Verwendung von Pronomina auch andere satzverbindende Mittel, insbesondere konjunktionale Verknüpfungen, betroffen sind. Diese Störung ist vermutlich invariant bei den verschiedenen Produktionsbedingungen: "Der Ersatz von (Kon)-junktionen durch einige wenige Bindewörter und besonders durch und bringt... eine textsemantische Unterdifferenzierung mit sich, da ein wichtiges Kohäsionsmittel unzureichend eingesetzt wird." (Dressler/Pldh 1984: 24).

Auch der Gebrauch des Tempus wurde von Dressler/Pl€h (1984) untersucht. Hierbei zeigte sich eine starke Interaktion zwischen Textproduktionsbedingung und Tempus: Vergangenheit kam in der Text-Reproduktion häufiger vor als bei den Bildbeschreibungen. Diese Tendenz war jedoch bei den Broca-Aphasikem insgesamt schwächer ausgeprägt als bei Patienten mit Wemicke- bzw. amnestischer Aphasie. Die bisherigen Ergebnisse zeigen: Die Textoberfläche reflektiert eindeutige Unterschiede sowohl von Aphasieart als auch von Produktiönsbedingungen. Unterschiede der Textproduktion werden jedoch nicht nur aufgrund der Aphasieart sichtbar. Insbesondere bei Bildbeschreibungen zeigen sich nach Dressler et al. (1984) auch geschlechtsspezifische Unterschiede. Hier kommt die Frage nach den sprachlichen Normen ins Spiel. Dies ist bisher im Zusammenhang mit Aphasie nur unzureichend untersucht worden. Die Unterschiede im Sprachverhalten werden von Dressler et al. auf folgende Formeln gebracht: "Männer beschreiben und orientieren sich an Raum und Zeit". Als Folge produzieren sie bei Bildbeschreibungen mehr deskriptive Sätze als Frauen, d. h. Männer wandeln "Geschichten" in "Beschreibungen" um. "Frauen streben explizite Kohärenz an." Dies zeigte sich insbesondere an dem doppelt so hohen Gebrauch von konjunktionalen Ausdrücken im Vergleich zu Texten männlicher Aphasiker. Interessanterweise waren diese Unterschiede nach einer Therapie nicht mehr deutlich sichtbar.

5. Zusammenfassung Der Überblick hat gezeigt, daß bisher nur kleine Ausschnitte aus dem gesamten Spektrum von Textproduktion bei Aphasie untersucht worden

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sind. Es konnte jedoch verdeutlicht werden, daß unter textlinguistischen Gesichtspunkten die spezifischen Störungen speziell an der Textoberfläche sichtbar werden. Untersuchungen von Texten unter anderen Bedingungen (z. B. in Gesprächen) werden vermutlich auch noch andere Probleme zutage bringen können, die bisher noch nicht ausreichend untersucht worden sind.

Anhang: Textbeispiel Bildbeschreibung "Vater und Sohn" Der Junge sitzt auf dem Stuhl am Tisch und soll was Schreiben. Es denkt und denkt, er weis nich wies geht. Der Vater siet, daß er nicht kann/oder er will nicht. Er kommt zu ihm und sagt. Ich Schreibe das für dich. Am anderen Tag, ist der Junge in der Schule. Der Lehrer siet die Bücher an Er sagt dem Junge: wer hat das geschrieben? Ich sollte das nicht sagen, daß mein Vater das geschrieben hat. Wir sind hier! Der Lehrer klingelt an der Tür, der Vater öffnet "der Lehrer fragt, darf ich rein kommen. Der Vater kuckt den Junge an,: und sagt bitte kommen sie rein. Im Zimmer fragt der Lehrer, haben sie das Heft geschrieben. Der Vater denkt, der Lehrer, nimmt ihn im bauch auf den Tisch und sagt, haben sie das Heft geschrieben Dieser Text ist eine originalgetreue Wiedergabe einer schriftlichen Bildbeschreibung eines gut gebesserten Wemicke-Aphasikers. Insbesondere Probleme mit Vertextungsregeln sowie das zeitweilige Verfassen der "Textwelt" lassen sich anhand dieses Beispiels gut nachvollziehen.

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