Simon Lemnius: Ein Humanistenleben [Reprint 2018 ed.] 9783111346915, 9783110993516


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German Pages 115 [120] Year 1908

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Table of contents :
VORWORT
INHALT
I. JUGENDZEIT
II. STUDENTEN- UND WANDERJAHRE
III. ERSTER AUFENTHALT IN CHUR
IV. ITALIEN
V. ZWEITER AUFENTHALT IN CHUR
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Simon Lemnius: Ein Humanistenleben [Reprint 2018 ed.]
 9783111346915, 9783110993516

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QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR

SPRACH- TOD CULTUMESCHICHTE DER

GERMANISCHEN VÖLKER.

HERAUSGEGEBEN VON

ALOIS BRANDL, ERNST MARTIN, ERICH SCHMIDT.

civ. SIMON LEMNIUS. EIN HUMANISTENLEBEN.

STRASSBURG. KARL

J. T R Ü B N E R . 1908.

SIMON LEMNIUS EIN HUMANISTENLEBEN

VON

PAUL MERKER.

STRASSBURG. KARL

J. T R Ü B N E R . 1908.

M. DuMont Schauberg, Straßburg.

VORWORT. Simon Lemnius gehört zu den Herostratosgestalten der Geschichte. Sein Name ist, wie der des berüchtigten Zerstörers des Artemistempels zu Ephesus, in den historischen Annalen mit einem Ereignis verknüpft, bei dem er selbst eine fragwürdige Rolle spielte. Wir wissen zwar heute, daß Luther in seinem Streite mit dem jungen Wittenberger Studenten zu weit ging und daß Lessing zu seiner „Rettung des Simon Lemnius" guten Grund hatte. Gleichwohl verdankt es dieser lediglich jener Affäre, daß sein Name mit der Geistesgeschichte des sechzehnten Jahrhunderts auf die Nachwelt gekommen ist. Denn derselbe Mann, der eine Zeitlang im Vordergrund des allgemeinen Interesses stand, ist später ziemlich einsam und unbeachtet seine Straße gezogen, und wie sein ferneres Leben sind seine literarischen Leistungen der Yergessenheit anheimgefallen. Und doch entbehrt dieses Humanistenleben nicht mancher merkwürdigen Züge und wirklichen Yerdienste, die wohl imstande sind, jene Jugendtorheit aufzuwiegen und eine gewisse Anteilnahme zu beanspruchen. Da zudem die Werke des Simon Lemnius mit zu den größten bibliothekarischen Seltenheiten gehören, mag hier neben einer Darstellung seines Lebensganges eine eingehende Analyse seiner Schriften folgen, selbst auf die Gefahr hin, daß der literarische Wert derselben nicht immer der darauf verwendeten Ausführlichkeit entspricht.1) l ) Die Notizen, die in den üblichen Nachschlagewerken über Lemnius zu finden sind, beschränken sich zumeist auf die Angabe einiger Lebensdaten und eine mehr oder minder vollständige Aufzählung seiner Schriften, indem sie zugleich mit einer merkwürdigen Zähigkeit Fehler und Lücken der Vorgänger beibehalten. Zu nennen sind aus dem 16. Jahrhundert: Josias Simler, Epitome bibliothecae Conradi Gesneri (Tiguri 1555, p. 166 u. Ausgabe von 1574 p. 630) und

VI

Vorwort.

Pantaleonis Prosopographiae heroum atque illustrium virorum totius Germaniae (Basileae 1565, III, 299) ; aus neuerer Zeit : Der Biograph (Halle 1803. II, 106), Rotermunds Fortsetzung und Ergänzungen zu C. G. Jöchers Gelehrtenlexikon (Delmenhorst 1810, III, 1569), A. Weyermann, Neue histor.-biogr.-artistische Nachrichten von Ulmer Gelehrten (Ulm 1829, S. 270), V. Lanzetti, Memorie intorno ai poeti laureati d'ogni tempo e d'ogni nazione (Milano 1839, S. 423), die Nouvelle biographie générale (XXX, 615), Wetzer und Weite's Kirchenlexikon (VII, 1735). Durch Selbständigkeit zeichnen sich aus die Artikel von Vetter in der Allgemeinen deutschen Biographie (XVIII, 236) und von Koch in Ersch und Gruber's Enzyklopädie (II, 43, S. 69). Ausführlichere Berichte geben G. Th. Strobel in seinen Neuen Beyträgen zur Litteratur, besonders des sechzehnten Jahrhunderts (Nürnberg und Altdorf 1792, III, S. 5 £f.) und Plazidus Plattner im Vorwort zu seiner Ausgabe der Raeteis (Chur 1874).

INHALT. Seite

Vorwort

V—VI

I. Jugendzeit II. Studenten- und Wanderjahre III. Erster Aufenthalt in Chur

1—14 15—73 74—83

IV. Italien

84—88

V. Zweiter Aufenthalt in Chur

89—109

I. JUGENDZEIT. Simon Lemnius war ein Graubündner von Geburt und seinen rätischen Bergen hat er zeitlebens eine starke Anhänglichkeit bewahrt. Neben der allgemeinen Angabe Ehaetus canus legt er sich nach seiner engeren engadinischen Heimat bisweilen auch den Namen Oengadinus bei. Noch genauer als Münstertaler lokalisiert ihn die Bezeichnung Monasteriensis, die er selbst gelegentlich gebraucht und die zu der Angabe des schweizerischen Historikers Campell stimmt, der in seiner Topographie des Churischen Rätiens der Beschreibung dieser Gegend die Bemerkung hinzufügt: 1 ) Eadem Monasteriensis in Raetia vallis protulit etiam Simonem Lemnium, praeclarum illum carmine ac felicissimum poetam. Das Münstertal und den benachbarten Yintschgau nennt denn auch der Dichter in seinem Heldenepos Raeteis einmal direkt mea patria. 2 ) Nach einem Wasserfalle, den der Rambach in der Nähe seiner Geburtsstätte bildet und der, wie dieser ganze Teil des Tales, romanisch den Namen Pischa führt, 3 ) bezeichnet er sich, wohl in Erinnerung an den ovidischen Beinamen der Quellnymphe Arethusa, gern als Pisaeus oder umschreibend als: Lemnius e Pysae peregrinus valle poeta. 4 ) ') Ulrici Campelli Raetiae Alpestris topographica descriptio (Quellen zur Schweizer Geschichte, VII. Bd., Basel 1884), S. 273. ') Raeteis, S. 77. 3 ) Vgl. Raeteis, S. 4: Praeterea est regio Raetei Hominis arcta, Qua Raraus fluit et resonat rorantibus undis Rupe cadens gelido dispersus Pisa liquore.

Eklogae, S. 47 : Deeidit ex alto praeceps cum flumine Pisa, Piseamque suo dictam de nomine vallem Hic gelidis irrorat aquis uberrimus antro. 4

) Libri amorum, Bog. C VII », Z. 33. QF.

civ.

1

2

I. Jugendzeit.

Auf einem einsamen Gehöft in der Umgebung des Dorfes St. Maria, nur wenige Stunden von der italienischen Grenze entfernt, kam Simon Lemnius zur Welt. 1 ) Über das Jahr seiner Geburt fehlen direkte Angaben, doch scheint ein bisher übersehenes Epigramm in der 1538 erschienenen ersten Gedichtsammlung einen Hinweis zu geben. Die Raeteis enthält nur die negative Bemerkung, daß er 1499 zur Zeit des schweizerisch-tirolerischen Krieges noch nicht geboren war. 2 ) Jene Wittenberger Sammlung aber bringt im zweiten Buche folgendes ad lectores gerichtete Epigramm: 3 ) Bis denas numero terna trieteride messes, Si de viginti dempseris ipse duas.

Yorausgesetzt daß meine Lösung des etwas dunkeln Rätsels (2 x 10) — 2 + (3 x 3) richtig ist, so ergibt sich für das Jahr 1538 das zu den begleitenden Umständen sehr wohl passende Alter von siebenundzwanzig Jahren und damit als Geburtszeit das Jahr 1511. Der Vater stammte, nach des Dichters eigenen Worten, 4 ) aus dem Prätigau und war von dort nach dem Engadin gezogen. Wie der Sohn führte er nach einer im Engadinischen l

) Damit fallen die Konstruktionen, die verschiedentlich von der Bezeichnung Glintecensis in der Wittenberger Matrikel ausgegangen sind und den Geburtsort nach Ilanz, romanisch Glion, verlegen, so von Holstein (Z. f. d. Ph. XX, 481) und Wetzer u. Weite's Kirchenlexikon (VII, 1735). Ebenso irrig sind die nicht selten auftretenden Angaben, die den Familiennamen Margadant als Geburtsort des Dichters hinstellen, so der Biograph a. a. 0., Rotermund-Jöcher a. a. 0., Nouvelle biographie générale a. a. 0., ferner das Grand Dictionnaire universel du XIX e siècle, par P. Larousse X, 354. ') Raeteis, S. 77 : Aufugere homines, et vos, o cara parentum Pectora; nec tum natus eram. 3

) Simonis Lemnii Epigrammaton. Bog. D 3 b. 4

Libri duo. Vitebergae 1538, -

) M. Simonis Lemnii Epigrammaton. Libri très. o. 0.1538, Bog. H 7» : Natalique patris non ultima Praetis amoeuis Vallibus.

Auch in der Raeteis führt er die Margadant und seine väterlichen Verwandten, die Conzett, unter den Prätigauern auf.

I. Jugendzeit.

3

weit verbreiteten Sitte, die dem väterlichen Namen die Bezeichnung der Sippschaft der Mutter beifügt, den Doppelnamen Lemm Margadant, dessen beide Bestandteile heute noch durch Familien im Prätigau und in der Landschaft Davos vertreten sein sollen. Auffällig bleibt dabei nur, daß der junge Simon Lemm den großmütterlichen Beinamen beibehielt und nicht seinerseits wieder sich den Namen seiner gleich zu erwähnenden Mutter an zweiter Stelle beilegte. Nach Humanistenbrauch bildete er vielmehr aus dem Namen Margadant die lateinische Form Mercatorius und die griechische Form Emporicus, die beide auf den Titeln einzelner seiner Werte sowie in Dedikationsunterschriften auftreten. Der gut romanische Name Margadant und des Dichters wiederholte Klagen über seine dunkle Hautfarbe scheinen übrigens dafür zu sprechen, daß vom Yater her ein gut Teil romanisches Blut in seinen Adern floß und daß so manche moralische Entgleisung seinem heißblütigen südlichen Naturell zugute gerechnet werden muß. Den Namen Lemm aber, der in Wittenberg wohl unter Beziehung auf seine untersetzte Gestalt zu dem Spitznamen Lemchen Anlaß gab,1) latinisierte er in Lemnius und setzte sich selbst mit einer etymologischen Spielerei in Verbindung mit dem Schutzheiligen der Insel Lemnos, indem er in einer Episode seiner Raeteis erzählt, wie Yulkan einst seinem Vater einen Schild mit dem Bilde eines gekrönten Dichters geschmiedet und diesen mit den prophetischen Worten überreicht habe: O Lemni, post longo tempore vates Te patre nascetur doctrinae maximus arte, Indole proh quanta iuvenis quantasque daturas Raeteis populis ventura in saecula laudes. Ule super Taurum, super exauditus et Albim Implebit térras voce et Raeteia bella Describet calamo grandi nec deinde relinquet Par decus in versu cuiquam sperare nepotum. *) Vgl. J. A. Wimmer, vita Gregorii Pontani, Altenburg 1730, S. 204 : „Simonis Lemnii, qui per contemptum Lemichen vocabatur" ; Mathesius, Luthers Leben, Nürnberg 1566 : „im 38. jar thet sich herfür ein Poetaster, Simon Lemchen genannt" ; Luthers Verse auf Lemnius in Lauterbachs Tagebuch, 30. Sept. 1538. 1*

4

I. Jugendzeit.

Die Mutter des Humanisten gehörte dem Geschlechte der Jenal an, das ursprünglich in Sins ansässig gewesen war, dann aber nach Lavin und von da nach dem Yinstgau übergesiedelt war. Mit Stolz erwähnt der Dichter in der Kaeteis, daß sein Großvater Nut Jenal als ein trefflicher Schütze und tüchtiger Jäger galt und das Geschlecht als eine gens virtute sua laudata bekannt war,1) und Campell berichtet in seiner rätischen Geschichte,2) daß der bündnerische Reformator Philipp Gallitius, der der Familie Salutz entstammte, ein Vetter des Dichters war (tertio nempe consanguinitatis gradu, sobrinatu vulgo dicto, ei coniunctus); da Gallitius durch seine Gattin Ursula, die er als junger Prädikant um 1530 heimgeführt hatte, seinerseits wieder der in Lavin seßhaften Familie Campell nahestand, so war Lemnius späterhin auch ein entfernter Verwandter dieses ihm gleich alterigen „Vaters aller bündnerischen Geschichtsschreiber", dessen Darstellung des Tirolerkrieges in seinem historischen Hauptwerk denn auch aus dem damals noch ungedruckten nachgelassenen Heldenepos des Humanisten zu schöpfen scheint. Die Eltern des Lemnius übernahmen nach ihrer Übersiedelung ins Münstertal die Bewirtschaftung des Gehöftes Guat, das auf einer Felsterrasse an der Talstraße lag und vom Hochstift Chur aus im Lehen der Standesherrschaft von Capol stand. Die Familie scheint sich ursprünglich in guten Verhältnissen befunden zu haben. Wehmütig erinnert sich der darbende Dichter später einmal der Zeit, wo neben einer stattlichen Zahl Jungvieh auf den väterlichen Fluren sechzehn ») Raeteis, S. 115 : Nota domus, virtute sua laudata Janalis Gens erat, unde fuit genetrix mihi nata decora, Sentinumque tarnen pina cunabula gentis Exstitit, at tandem Lavinia contigit arva Hic migrans iterum vallem petit illa Venustam. Inde avia et plumbo iaculatur Nutius ingens etc.

Auch in der Apologie (Bog. A 2 b) rühmt sich Lemnius ab antiquissimis et honestissimis avis abzustammen. s ) Ulrici Campelli Historia Raetica (Quellen zur Schweizer Geschichte IX. Bd., Basel 1890), S. 336.

I. Jugendzeit.

5

Stück Rindvieh weideten, 1 ) und so manches dem Weide- und Landleben entnommene Bild in seinen Schriften mag auf Anschauungen und Eindrücken seiner frühesten Kindheit beruhen. Aber bald machte ein rauhes Geschick jenem idyllischen Leben ein vorzeitiges Ende. Kaum zählte der junge Simon sechs Jahre, als die Mutter starb; und wenig später folgte ihr der Yater nach. Auch die Großmutter, bei der die verwaisten Kinder Aufnahme gefunden hatten, sank bald ins Grab. Einen Bruder raffte die Pest in zartem Alter dahin. Eine ältere Schwester wurde in noch jungen Jahren das Opfer einer verhängnisvollen Neigung zu einem unwürdigen Manne, der ihr erst die Ehre nahm und dann in einer unglücklichen Ehe sie und ihren Bruder um das ererbte Vermögen brachte. Den Schwager macht der Dichter verantwortlich für seine verlorenen Jugendjahre und mit bittern Worten klagt er ihn ob seines schändlichen Verhaltens an, als er später einmal in einer Elegie an eine ungetreue Geliebte die ganze Trübsal seiner Knabenzeit schildert: 2 ) Quam gravis est Semper rerum fortuna mearum Et fuit aetati Semper acerba mea. Vix mihi iam senis currebat tempus ab annis, Cum matris lacrimas busta bibere meas. Deinde etiam cari deflevi funera patris, Mox aviam patriae spem columenque domus. Pestiferoque tener frater mihi funere raptus, Ceu cadit in campis languida facta rosa. Arsit inops tenero soror infeliciter aevo, Mixtaque cum laeso damna pudore tulit. Ad tristes thalamos venit sibi noxia turba, Hei mihi tarn multae dilacerantur opes. Ipse ego longinquis pauper vagor exul in oris, Ule tuus perdit proditor ille tuus. Cuius decipiunt blandae mendacia linguae, Conveniens nomen scilicet aura dedit. Sustulit ille meos crudelis sustulit annos, Quem poteram officio demeruisse meo. Libri amlorum, Bog. Di Z. 83: Nam mihi cum multis florerent prata iuvencis Et bis octo alerent iura paterna boves. s

) Libri amorum, Bog. Ciiij b Z. 21 ff.

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I. Jugendzeit.

Der Mangel einer geordneten Erziehung und liebevoller elterlicher .Fürsorge ist für das spätere Leben des Lemnius nicht ohne Einfluß geblieben. "Wie er einerseits eine gewisse mitunter fast an Gefühlsroheit grenzende Derbheit seiner sittlichen Anschauungen begreiflich macht, so wird andererseits die bettelnde Schmeichelei, die der Dichter bis an sein Lebensende den verschiedensten großen Herren gegenüber an den Tag legt, aus den Gewohnheiten einer entbehrungsreichen, auf fremde Unterstützung angewiesenen Jugend verständlich. Trotz der ungünstigen Umstände mag schon früh eine Neigung zu gelehrten Studien in dem begabten Knaben erwacht sein, versichert doch der ihm späterhin persönlich befreundete Pantaleon: is optimis litteris a teneris annis operam dedit. Vielleicht nahm sich seiner der kunstsinnige Bischof von Chur, Paul Ziegler, an.- Dicht bei dem Schlosse Fürstenburg, der bischöflichen Sommerresidenz, liegt die Benediktinerabtei Marienberg, aus der in neuerer Zeit auch der Tiroler Schriftsteller und Orientalist Beda Weber hervorging. Für die Annahme, daß der junge Simon in dieser nicht weit von seinem Heimatsorte im Etschtale gelegenen altberühmten Kulturstätte seinen ersten Unterricht empfing, scheint unter anderem zu sprechen, daß ihn sein späterer intimer Freund und Landsmann Markus Tatius in einem Gedicht aus ihrer gemeinsamen Münchener Studienzeit als „Zierde des Etschtales (Athesaeae gloria gentis) bezeichnet und daß Lemnius selbst unter den Orten, deren er aus frühen Knabentagen gedenkt, an erster Stelle die in nächster Nähe des Stifts gelegenen Städtchen Mals und Glurns nennt. Einen dauernden, seine ganze Jugendzeit umfassenden Aufenthalt kann der Dichter indessen hier nicht gefunden haben, klagt er doch selbst: 1 ) Ipse ego longinquis pauper vagor exul in oris

und an anderer Stelle: 2 ) Missus in exilium tristis puerilibus annis. >) Amores, Bog. Ciiijb Z. 33. ») Amores, Bog. Di« Z. 33.

I. Jugendzeit.

7

Eine Zeitlang scheint er dann in Chur zugebracht zu haben. Denn der Wittenberger Student bezeichnet in einem Gedicht an Wolfgang Salet, den einstigen Gespielen am Wasserfall Pischa und späteren Stadtschreiber von Chur, diese Stadt mit den Worten : „et studii quondam conscia terra mihi", und der reife Mann, der selbst in Chur ein Unterkommen gefunden, gedenkt in den libri amorum zweier verblühter Stadtschönen, denen er einst in seinen Knabenjahren sein Herz geschenkt habe.2) Später aber mag er das wechselvolle, unstäte Leben eines fahrenden Schülers durchkostet haben, wie es mit seinen Freuden und Leiden der ihm nach Heimat und Veranlagung nahestehende Thomas Platter aus Wallis so packend schildert. Einen Anhalt für die Hauptstadien dieses jahrelangen Wanderlebens bietet Lemnius selbst in einem bisher unbekannten Gedicht, das in seinen eigenen Werken fehlt, aber nebst einer Reihe anderer dichterischer Erzeugnisse von seiner Feder in der unter dem Titel Progymnasmata veranstalteten und 1533 in Augsburg erschienenen Gedichtsammlung seines schon genannten Münchener Studiengenossen Markus Tatius zu finden ist. 3 ) Hier ruft er am Beginn eines umfangreichen Gedichts dem Freunde in Erinnerung an vergangene Tage zu : Quid tibi visa ferax Athesis Glurnensis amoenus Qua radit? Quid Malsa tibi campique patentes? Quid Monstera tibi vallis sita montibus altis? Quidve adolescenti quondam tibi Curia dulcis? Quid Tigurum, celebris tibi quid Basilaea videtur? Non venit in votum ex regalibus urbibus una. An quoque sordescit tibi Bittenberga 4 ) diserta? Quid ne Vienna placet? meliora minorave fama Cuncta ne praeclivis sordent atque alpibus Aeni? ') Epigr. libri III, Bog. H 7a Z. 20. ') Amores, Bog. Cijb Z. 1 : Ursula iam vilis, iam vilis parvula Laetta, Quas puer in primo pectore saepe tuli. 3 ) Der genaue Titel ist : MARCI / TATII ALPINI / Progymnas- / mata. IAVGVSTAE VINDELICORVM / in officina Henrici Steyner. Anno / M.D.XXXIII. Ein Exemplar des seltenen Büchleins ist im Besitze der Univ. Bibl. Würzburg. 4 ) Bittenberga?

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I. Jugendzeit.

Also außer seiner münstertalerischen Heimat kennt der im Anfang der zwanziger Jahre stehende Dichter Glums, Mals, Chur, Zürich, Basel, Yienne an der Rhone, und auch einige süddeutsche freie Reichsstädte scheint er besucht zu haben. Unter letzteren mag Augsburg in erster Linie in Betracht kommen, wenigstens begründete Melanchthon später ein Stipendiumsgesuch, das er für den Studiosus Simon Lemnius an den Bat dieser Stadt sandte, mit den Worten „dweil ehr denn zu Augsburg zum teil erzogen, wie ehr ettlichen herren da bekant. ist, und ehr ewr lobliche statt für sein Vaterland heltt".1) Vielleicht daß der Bischof von Chur den Sohn seines ehemaligen Pächters im Ramtale dorthin empfohlen hatte und derselbe durch den milden und freigebigen Raimund Fugger eine Freistelle erhielt, der nach einem Gedicht des Tatius als summus studiosorum Maecenates galt und dies eben durch die Stiftung einer Schule für bedürftige Schüler bewiesen hatte.2) Um das Jahr 1530 taucht dann Lemnius in München auf und zwar als Schüler des gelehrten Schulmeisters zu St. Peter, "Wolfgang Anemöcius. Dieser muß ein überaus tüchtiger Mann gewesen sein und wieviel ihm Lemnius verdankte, erhellt daraus, daß er noch nach Jahren in einem Gedicht den frühen Tod seines einstigen Lehrers beklagt, der ein Vater seiner Schüler gewesen sei und sich ebenso durch Milde wie durch Gelehrsamkeit ausgezeichnet habe.3) Sein bürgerlicher Name war Winthäuser. 4 ) Ton Haus aus unbemittelt, war es ihm durch die Unterstützung der Familie Fugger möglich geworden, die gelehrte Laufbahn einzuschlagen, und als Lehrer im Kloster St Peter gelang es ihm bald, eine große Zahl anhänglicher Schüler um sich zu sammeln und den Ruf eines erfolgreichen Pädagogen und ausgezeichneten Philologen zu erwerben. 1531 ging er, wohl aus religiösen Gründen, ') Th. Kolde, Analecta Lutherana, Gotha 1883, S. 311. *) Vgl. das vom XIIII. Cal. Sept. 1533 datierte Widmungsgedicht in der erwähnten Sammlung des Tatius. 3 ) Epigrammaton, libri III, Bog. Cib: de obitu V. Anemoetii. 4 ) Vgl. Veith, bibliotheca Augustana, Augsburg 1785 ff., I, 5; Kobolt, Bairisches Gelehrtenlexikon, Landshut 1795, S. 43. A. Weyermann, a. a. 0., S. 40; Jahrbuch für Münchener Geschichte, IV (1890), S. 136.

I. Jugendzeit.

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von München nach Ulm und von da im Herbst des folgenden Jahres an das neuorganisierte St. Annengymnasium in Augsburg, wo er schon im Frühjahr 1538 starb, nachdem er zuvor noch Doktor beider Rechte geworden war. Seiner wissenschaftlichen Tätigkeit entstammen Ausgaben von Virgils Hirtengedichten, von Ciceros Büchern de officiis, der Luzianischen Dialoge u. a. m. Sein Unterricht erstreckte sich auf die Interpretation lateinischer, griechischer und in Ulm auch hebräischer Schriftsteller. Einen Einblick in die Methodik seiner Lehrweise gewährt die inhaltlich ihrer Zeit weit vorauseilende Widmung an einen seiner Schüler, die er 1533 an die Spitze seiner Ausgabe der Bucolica des Yirgil setzte.1) Er betont hier, daß er es jederzeit für seine Pflicht gehalten habe, für Abwechslung im Unterricht zu sorgen und den verschiedenen Individualitäten seiner Schüler nach Möglichkeit Rechnung zu tragen und fährt dann fort: Illud autem curandum esse iamdudum censeo, ne schola tales conducat magistros, qui sine omni ingeniorum discrimine pueros in iis tantum exercere satis esse credunt, quae ipsi didicerunt neque latius in literarum campum evagari propter suam ipsorum ignorantiam concedunt atque hoc modo fertilem ingenii naturam prorsus transponunt extinguuntque. Illinc enim nullus certe fructus aut parum utilis proveniet, ubi nulla naturae ratio et cultus observabitur". Daß sich bei einer so freisinnigen Unterrichtsmethode ein Talent wie Lemnius aufs schönste entwickeln konnte, liegt auf der Hand. Die Fortschritte, die der Jüngling in dieser Schulung machte, werden uns indessen auch ausdrücklich bezeugt. Am Schlüsse der erwähnten Virgilausgabe des Anemöcius steht ein langes, vom August 1532 datiertes Gedicht seines ehemaligen Hörers Markus Tatius, in dem dieser den Verfall der Schule nach dem Weggang des großen Lehrers nach Ulm beklagt und dabei eine Charakteristik seiner früheren Mitschüler einflicht.2) Dem Lemnius werden hier folgende Verse gewidmet: ') Ein Exemplar der Ausgabe ist im Besitze der Hof- u. Staatsbibliothek in München. *) Eine etwas abweichende Fassung des Gedichts steht auch in den Progymnasmata des Markus Tatius.

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I. Jugendzeit. Lemnius ingenua, non docta fronte, relicta Aede scholaque sua huc approperavit iter. Heu quam doctior atque Simone disertior illo Nunc factus patrios possit adire Lares. Si placet aspersis oratio picta figuris, Hanc queat extemplo noster habere Simon. Si libet heroico satyram describere versu, Vena quidem heroica libera voce fluit. Sive lyram tractat, Flacco numerosior ipso Personat et capta detinet aure virum. At si Graeca cupit verbis mutare Latinis Mille procul dubio repperit ille vias.

Die wenigen Yerse sind in der Tat äußerst aufschlußreich. Augenscheinlich der alten Schule entlaufen, war Lemnius demnach als ein begabter, aber noch wenig geschulter Mensch nach München gekommen, um alsbald unter der Leitung des vorzüglichen Lehrers rasche Fortschritte zu machen. Die Eleganz und Flüssigkeit seiner Yerse, die Neigung zur Satire, die gleich sichere Beherrschung der beiden antiken Sprachen und die Gewandtheit im Übertragen griechischer Texte ins Lateinische, die späterhin den Übersetzer des Homer und Dionys auszeichnen, alles dies war schon dem Jüngling eigen. Ein Beweis für das Vertrauen, das Anemöcius diesem seinem Schüler entgegenbrachte, war es auch, daß er ihn würdigte, an die Spitze jener für den ünterricht bestimmten Bucolicaausgabe ein Widmungsgedicht an die jungen Leser zu schreiben.1) Die fünf Distichen, die in dem etwas überlegenen Ton des älteren Schülers gehalten sind, gehören zu den frühesten erhaltenen poetischen Produktionen des jungen Dichters. Sie tragen die Überschrift Simon Lemnius studioso adolescenti und lauten: Qui cupis agrestes pastorum solvere nodos, Quos varia nexit rusticus arte Maro, Quique per incertos tenebroso calle meatus Tendis et ignoras quam via certa ferat: Huc ades, hic docto referens Anemoecius ore Te docet, ut laqueos expediisse queas. >) Vgl. auch Mich. Denis, Wiens Buchdruckergeschichte, Wien 1782, S. 373.

I. Jugendzeit.

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Hic dabit et clausi ducentia stamina Thesei, Ad summi e tenebris lumina clara poli, Ut ne Cretensis labyrinthi signa sequendi, Errores caeco tramite decipiant.

Wie später in Wittenberg, so scheint Lemnius auch in München den Studiengenossen ein guter Freund gewesen zu sein, wenigstens erteilt ihm Tatius einmal das Prädikat Lemnius aeterno vinctus amore mihi. Eben dieser schon mehrfach genannte Markus Tatius (Tach) mit dem Beinamen Alpinus war ein engadinischer Landsmann von ihm und durch die gleiche Heimat, frühe Entbehrungen und eine starke Liebe zur Dichtkunst ihm nahestehend. Nach Campells A n g a b e w a r er 1509 in Zernez als der Sohn eines niederen Kirchenbeamten geboren. Während sein Bruder Mauritius, der in Paris Theologie studiert hatte und später der evangelischen Lehre zuneigte, früh an der Pest starb, schwang er sich, nachdem er vorübergehend Erzieher im Fuggerschen Hause, Professor der Poesie in Ingolstadt und Assessor am Reichskammergericht gewesen war, schließlich zum Kanzler des Bischofs von Freising auf. Daneben erwarb er sich durch eigene Dichtungen wie durch die Übersetzung des italienischen Humanisten Leonardo Bruni 2 ) den Ruf eines ausgezeichneten Poeten, so daß er späterhin wie sein Jugenfreund Lemnius zum Dichter gekrönt wurde und dieser ihn noch in einem seiner letzten Gedichte 3 ) als Pegasidum Tatius decus et pia gloria iuris bezeichnete. Neben Tatius werden in dessen Progymnasmata als gemeinsame Schulkameraden genannt Wolfgang Hunger 4 ) aus Wasserburg in Oberbaiern (geb. 1511), der in der Folgezeit als Bechtsgelehrter und Kanzler hohes Ansehen erwarb und als bischöflicher Gesandter auf dem Reichstag zu Augsburg am 26. Juli 1555 starb, ferner Georg Theander (Gotzmann) aus Aubing in Baiern, späterhin theologischer Uni*) Campelli Raetiae Alpestris topographica descriptio (Quellen zur Schweizer Geschichte, VII. Bd.) S. 274. *) Romanische Forschungen V, 235. Drei Gedichte des Tatius stehen in den Delitiae poet. Germ. VI, 615. 3 ) Eklogen, S. 16. 4 ) Kobolt, Bair. Gelehrtenlexikon, S. 353.

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I. Jugendzeit.

versitätsprofessor und seit 1554 Dr. theol., Johannes Menzinger aus Freising, der 1536 in Ingolstadt die theologische Doktorwürde erlangte,1) Leonard Boius (Baier), der um 1554 am St. Annengymnasium zu Augsburg lehrte, Johannes Colon, der nach einem Gedicht des Tatius nach Abgang von der Schule in Ingolstadt studierte, ein gewisser Lachamerus, von dem in den Progymnasmata erzählt wird, daß er, ein Beispiel der oft bitteren Not der fahrenden Schüler, im buchstäblichen Sinne nackend in der St. Petersschule eingetroffen sei, u. a. m. Sicherlich wird Lemnius wie seine übrigen Freunde in diesen Münchener Jahren auch mit Simon Schaidenreißer, jenem ersten deutschen Übersetzer der Odyssee verkehrt und für seine spätere lateinische Übertragung des homerischen Epos manche Anregung gewonnen haben. Da dieser unter dem Humanistennamen Minervius vermutlich Vorstand der dortigen Poetenschule war und nach einem Gedicht des ihm eng befreundeten Tatius als publicus poetices ac rei literariae apud Monachienses professor 2 ) galt, so hat unser Dichter vielleicht gar seinen Unterricht genossen. Wie lange Lemnius in München weilte, ist nicht genau zu bestimmen. Aber bald nach dem Weggang des Anemöcius, als das Ansehen der Schule sichtlich sank, muß auch er die Stadt verlassen haben. Denn Tatius klagt in dem erwähnten, vom 30. August 1532 datierten Gedicht an seinen ehemaligen Lehrer, daß er jetzt allein in München ein einsames Leben führe, nachdem ihn alle die Freunde der Reihe nach verlassen hätten und zuletzt auch Lemnius sein Bündel schnüre: Ecce sequutus adest Athesaeae gloria gentis, Lemnius, aeterno vinctus amore mihi Extremumque mihi, quo nil facundius unquam Auribus accepi, dicit et ille Vale.

Und Lemnius sandte dem Freunde in dessen 1533 er*) Freilinger, Das Matrikelbuch der Univ. Ingoldstadt-LandshutMünchen, S. 41. *) Progymnasmata, Bog. E l . In einem anderen Gedicht (F6) läd Tatius ihn ein, mit ihm einen Abend bei boischem Wein und hellem Kaminfeuer zu verbringen. Schaidenreißer las übrigens, wie aus dem Schlußgedicht hervorgeht, die Korrekturbogen des ganzen Bändchens.

I. Jugeildzeit.

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schienene Sammlung als „Unterpfand ihrer Freundschaft" ein Gedicht, aus dem ebenfalls hervorgeht, daß beide zur Zeit an verschiedenen Orten lebten: Pignus amicitiae Carmen quod donat amicus, Ut quo longius est absens seiunctus uterque Hoc animi propius firmo iungantur amore.

Wohin er sich von München aus wandte, ist ebensowenig bestimmt zu sagen. Fach dem Passus der früher zitierten Verse patrios possit adire Lares scheint er im Freundeskreise den Gedanken an eine Rückkehr in die Heimat erwogen zu haben. Möglich ist aber auch, daß in die Zeit bis zu der 1533 erfolgten Immatrikulation in Ingolstadt jener etwas rätselvolle Aufenthalt des Dichters als Schulmeister in Ulm anzusetzen ist, was durch eine Vermittlung des ebenfalls hier vorübergehend tätigen Anemöcius einigermaßen begründet wäre. Häberlin, der neben Moser rühmlichst bekannte Historiker und Jurist des 18. Jahrhunderts, berichtet nämlich in seinen 1737 in Ulm erschienenen 'IffTopouiueva de Scholiis Latinis et Gvmnasio Ulmanorum, daß Simon Lemnius an der Lateinschule in Ulm die Grammatik nach ifonat gelehrt habe, aber um 1536 seiner Hinneigung zum Zwinglianismus halber entlassen worden sei. Das Jahr 1536 stimmt nun ganz gewiß nicht, da Lemnius nachweislich vom April 1534 bis Juni 1538 in "Wittenberg weilte. Immerhin muß dieser früher oder später einmal in Ulm angestellt gewesen sein, da der auch sonst zuverlässige Häberlin jene Schrift noch als Primaner verfaßte und deshalb voraussichtlich seine Notizen direkt aus dem Schularchiv oder der Tradition schöpfte, zudem wohl auch der Nachprüfung seitens seiner Lehrer ausgesetzt war. Ehe wir nun Lemnius noch ein kurzer Blick auf Produktion geworfen. Er glück seiner Jugend nicht Musen zu huldigen.

auf die Universität begleiten, sei die Anfänge seiner dichterischen selbst erzählt, wie ihn alles Unabgehalten habe, schon früh den

Sors inimica fuit nimium post fata parentum, Carmina pauca mihi dictat Apollo tarnen.

Ob allerdings die von den meisten nach dem Vorgang des Josias Simler als Erstlingsschrift des Humanisten ange-

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I. Jugendzeit.

führte, heute gänzlich verschollene Episodia de Joachimo Marchione Brandeburgensi et eius coniuge (angeblich 1531 gedruckt) ihm wirklich zuzuschreiben ist, dürfte zum mindesten zweifelhaft sein. Zwar geht es nicht an, mit Strobel das frühe Erscheinungsjahr dagegen ins Feld zu führen, da Lemnius zweifellos zu dieser Zeit schon Dichtungen veröffentlichte und er nach unserer Ansetzung seines Geburtsjahres damals bereits im zwanzigsten Lebensjahre stand. Dagegen scheint der dem Graubündner fernliegende Gegenstand der Dichtung sowie der Umstand, daß Spachs Nomenciator2) vom Jahre 1598 dieselbe Schrift einem gewissen Simon Koferlinus 3 ) zuschreibt, jene Zweifel zu begründen, wogegen indessen zugestanden werden muß, daß dieser Kurfürst Joachim I. von Brandenburg der Bruder desselben Erzbischofs Albrecht von Mainz war, dem Lemnius einige Jahre später seine Epigrammensammlung widmete. Sicher ist dagegen, daß er in dieser Münchener Zeit und dem darauf folgenden Jahr Proben seiner dichterischen Begabung in fremden Publikationen erscheinen ließ. Die Distichen, mit denen er die Yirgilausgabe seines Lehrers einleitete, wurden bereits angeführt, ebenso daß in den Progymnasmata seines Studienkameraden Tatius Gedichte von ihm stehen. Das eine enthält in Erinnerung an seine alpine Heimat eine eingehende Schilderung der Gebirgslandschaft mit ihren mannigfachen Freuden, die er als treffliches Mittel gegen allen Unmut und Sorgen empfiehlt. In dem anderen zeigt sich der Dichter als Verehrer eines guten Tropfens und Freund der Natur, der über seine bescheidenen Mahlzeiten nicht murren will, solange ihn noch ein Spaziergang durch die abendlichen Fluren reichlich entschädigt. Ein Hinweis auf den Traubensaft Viennes scheint für die früher aufgestellte Behauptung zu sprechen, daß er auf seinen Wanderungen auch in das Rhonetal gekommen war. ') Strobel, a. a. 0. ') J. Spachii nomenclátor scriptorum usque ad annum 1597, Argent. 1598, S. 136. s ) Von demselben Schriftsteller erwähnt Simler, Epitome (Tiguri 1574), S. 630 einen libellus Logisticus Germanicus, der 1573 in Nürnberg erschienen sei.

II. STUDENTEN- UND WANDERJAHRE. "Wie schon vor ihm verschiedene seiner Mitschüler aus der Münchener St. Petersschule bezog Simon Lemnius im Jahre 1533 die Universität Ingolstadt. Dem Eintrag in die Matrikel fügte eine spätere Hand unter Beziehung auf die Wittenberger Yorgänge die Bemerkung bei poeta tersissimus, graece et latine doctus et acerrimus Lutheromastyx.Trotz der freundschaftlichen Bande, die ihn an diese Hochschule fesselten, trieb ihn sein Geschick jedoch bald wieder von hier fort. Der Ruf Melanchthons mochte den Griechenjünger stärker anziehen, legte doch schon ein Epigramm in den Progymnasmata Zeugnis dafür ab, wie hoch man unter den Schülern des Anemöcius von den grammatischen Verdiensten des praeceptor Germaniae dachte.2) Über die Wittenberger Jahre des Dichters sind wir im allgemeinen gut unterrichtet durch die flammende Verteidigungsschrift, die dieser 1539 gegen die Angriffe der Akademie in die Welt sandte. Dieselbe ist zwar begreiflicherweise stark subjektiv gefärbt, die darin vorgebrachten Angaben beruhen indessen, soweit sie durch anderweitige Urkunden kontrollierbar sind, alle auf Wahrheit, so daß kein Grund vorhanden ist, die berichteten Tatsachen in Zweifel zu ziehen. Mit den besten Empfehlungen von einer Reihe oberdeutscher Gelehrten traf Lemnius in Wittenberg ein.3) Unter dem Rektorat des Doktor Sebaldus Münsterer fand am 19. April ') Rotmar, Annales Ingolstadiensis Academiae, Ingolstadii 1782, S. 150. ') Es lautet: Et si conveniant, quot sunt, si quotque fuerunt Grammatici, vinces ipse, Philippe, tarnen.

') Apologia, Bog. A 6 a .

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1534 die Immatrikulation statt. Den Eintrag in die Matrikel Simon Lemnius Glintecensis (Schreibfehler für Glurnensis?) hat Melanchthon späterhin eigenhändig gestrichen und dazu am Rande vermerkt exclusus anno 1538. J ) Wie der junge Student einerseits bald in den Kreisen seiner Kommilitonen Fühlung gewann, so ward im andererseits auch von Seiten der Professoren eine wohlwollende Aufnahme zuteil. Namentlich in Melanchthons Haus ward er mit der Zeit ein häufiger Gast, zumal seit im Oktober 1534 dessen späterer Schwiegersohn Georg Sabinus von seiner italienischen Reise zurückkehrte und zwischen den beiden jungen Leuten sich eine enge Freundschaft entwickelte. Lemnius erzählt selbst, wie er sich in der ersten Wittenberger Zeit einem eifrigen Studium hingab und sich damit die Achtung seiner Lehrer erwarb. Es wurde ihm infolgedessen schon im April des Jahres 1535 im Dekanat des M. Franciscus Burcardus Wimariensis die Auszeichnung zuteil, mit drei anderen Kandidaten zur unentgeltlichen Erwerbung der Magisterwürde vorgeschlagen und auserwählt zu werden. 2 ) Gleichzeitig mit ihm promovierte der damals schon im vorgerückteren Alter stehende Andreas Winkler aus Winkel bei Mansfeld, der sich als einer der tüchtigsten Schulmänner Breslaus im 16. Jahrhundert einen Namen machte.3) Der Titel der feierlichen Promotionsrede Melanchthons, die uns ein Zufall erhalten hat, lautete: Oratio Philip. Melanchthonis dicta ab ipso, cum decerneretur gradus Magisterii D. Andreae Winclero Yratisl. et aliis quibusdam bonis et doctis viris. Anno M. D. XXXY. Die April. XIIII. 4 ) Als einige Monate später die Universität Witten') Förstemann, Album Academiae Vitebergensis ab a. Chr. MDII usque ad a. MDLX, Lipsiae 1841, S. 15*2. s ) J. Köstlin, Die Baccalaurei und Magistri der Wittenberger Philosoph. Fakultät, II (1888), S. 22: Simon Lemnius Rheticus. Vor Rheticus hatte Melanchthon Alpinus geschrieben, dies aber dann ungültig gemacht. Später hat er auch hier den ganzen Namen gestrichen und dazu am Rande vermerkt: Relegatus. Da die Promotion im Dekanatsbuch erst unter dem „Mai 1535" angegeben ist, zogen sich die Formalitäten wohl soweit hin. ') Vgl. Bauch, Deutsche Scholaren in Krakau, Nr. 57. 4 ) Zeitschrift f. Kirchengeschichte XIII, 88.

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berg der Pest halber nach Jena verlegt wurde, 1 ) zog auch Lemnius mit dahin und im Februar des folgenden Jahres in Begleitung des Rektors und der Familie Melanchthons wieder zurück, nachdem der Wittenberger Bürgermeister Ambrosius Eeuther persönlich nach dem Saaletal gekommen war, um die Rückkehr der Akademie zu erwirken, und Melanchthon der Sicherheit wegen nochmals Erkundigungen über die Gesundheitszustände in der Stadt bei Luther eingezogen hatte. 2 ) Unter den veränderten Verhältnissen dieser Thüringer Zeit mag auch der Wandel in der äußeren Lebenshaltung des jungen Humanisten eingetreten sein. Er selbst berichtet in seiner Apologie, wie er das zurückgezogene Schneckendasein (quasi cochleae vita), das er bisher geführt, satt bekommen und sich ihm die Überzeugung aufgedrängt habe, daß er sich etwas mehr in das Leben wagen müsse. Freundschaften wurden geschlossen, musikalische Vereinigungen und Zechgelage besucht und wohl auch, nach dem Inhalt der Epigrammensammlung zu schließen, manches galante Abenteuer bestanden. Bei einer nächtlichen Rauferei mit einigen Mitgliedern der Verbindung der „Cyclopen", der der Dichter selbst vorübergehend angehört hatte, stieß er einen der Angreifer nieder, nachdem er indessen seiner Versicherung nach zuvor schwer gereizt und der bereits beigelegte Streit heimtückischerweise wieder entfacht worden war. Die vom Universitätsgericht eingeleitete Untersuchung des Falles scheint denn auch für ihn günstig ausgefallen zu sein, wenigstens -fügt später die Apologie, als sie auch auf dieses Ereignis zu sprechen kommt, die Worte bei: ea pugna in consessu totius Academiae fuit diiudicata et fuit manifesta et notoria iniuria erga me Cyclopium und weiterhin Res apud rectorem et reliquos Academiae iudices fuit diiudicata et pro me rector pronuntiavit. 3 ) 4

) Vgl. den Universitätserlaß im Corp. Reform. II, 890 und den Brief von Hans Kersten an Stephan Roth vom 18. Juli 1535. *) Vgl. den Brief des Georg Erhart an Stephan Roth vom 12. Fe; bruar 1536, wonach Melanchthon am 10. Februar nach Wittenberg aufbrach; ferner K. u. W. Krafft, Briefe und Documente aus der Zeit der Reformation, Elberfeld 1876, S. 74 und Johannes Stigels Elegia de discessu ab urbe Jena, 1536. ») Apologia, Bog. B 1—2 QF. civ.

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Auch aus einer anderen studentischen Affäre, bei der er einen nächtlichen Angreifer verletzte, ging er gerechtfertigt hervor, während die Gegner Strafe erhielten. Die durch die stärkere Beteiligung am gesellschaftlichen Leben erwachsenen Mehrkosten mögen indessen über die bescheidenen Mittel des jungen Studenten gegangen sein, und so hören wir, daß Melanchthon wiederholt sich für ihn verwandte, wenn auch seine stille Gelehrtennatur mit dem veränderten Lebenswandel seines Schützlings nicht ganz einverstanden sein mochte und das temperamentvolle Wesen dieses Halbromanen ihm mit der Zeit unsympathisch wurde. Bezeichnet er doch später einmal in einem Briefe an seinen vertrauten Freund Camerarius den Lemnius als monstrosus homo, cuius ingenium nunquam amavi, sed propter paupertatem aliquando adiuvi.1) Zunächst wies er ihm einen gewissen Johannes Fruticanus als Privatschüler im Griechischen zu. 2 ) Dies scheint aber nicht der einzige Fall dieser Art gewesen zu sein, da Lemnius erzählt, daß ihn Melanchthon in einem Empfehlungsbriefe an einen bairischen Amtmann als veluti publicus Graecae linguae in Academia Vitebergensi professor hingestellt habe, und genauer noch weiß der Wittenberger Studiosus Johannes Colon später in einem Briefe von privaten Homervorlesungen des Lemnius zu berichten: 3 ) Scribendis graecis simul et romanis versibus magna laude floruit, privatim per aliquot annos Homerum est professus peculiaribus quibusdam gaudens moribus. Noch deutlicher aber sprach sich Melanchthons Fürsorge in einem Schreiben aus, das er am 10. September 1537 an den Rat der Stadt Augsburg sandte und das folgenden Wortlaut trägt: 4 ) „Gottes gnade durch unsern herrn Jhesum Christum zuvor, erbare furneme weise herrn, ewr Weisheit wissen, wie hoch J ) Brief vom 22. Juli 1538 im Corpus Reformatorum III, no. 1701. Dieselben Worte gebraucht Melanchthon auch in einem am gleichen Tage geschriebenen Brief an Veit Dietrich in Nürnberg: Corp. Ref. III, no. 1699. 2 ) Apologia, Bog. A 7 b . s ) Kolde, Analecta Lutherana, Gotha 1883, S. 321. 4 ) Ebenda, S. 311, dazu Apologia B 5 b . Das Original des Briefes im Stadtarchiv zu Augsburg.

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von noten ist, besonder zu diser zeit, das christliche oberkeiten vleis haben, tüchtige leut in den studijs zu guter lahr uffzuzihen, welche nachmals in den kirchen und regimenten zu gebrauchen, denn wo solchs nicht geschihet, zu besorgen, das die Kirchen mit der zeit oed und wust stehen und christliche lahr sampt andern guten kunsten verleschen werde, welches gott gnediglich verhüten wolle, nu enthalt sich einer in unser universitet mit namen magister Simon Lemnius, welchem ein Zeitlang von ettlichen herrn und burgern in Augsburg Unterhaltung geben, ehr hatt aber ietzund khein hulff mehr, dweil ehr denn zu Augsburg zum teil erzogen, wie ehr ettlichen herrn da bekant ist, und ehr ewr lobliche statt für sein Vaterland heltt, bitt ehr e. Weisheit wolle gunstiglich yhm ein hulff zum studio ein jar lang verordnen, dagegen ehr sich auch erbeut e. w. für anderen zu dienen, nu ist ehr wol gelart in Grekischer und Latinischer sprach, das yhn e. w. in schulen, kirchen oder sunst ehrlich gebrauchen mögen, wie yhn e. w. zu einer facultet zu halden gedechten, bitt derwegen dienstlich, e. w. wollen yhm gunstige hulff erzeigen in ansehung, das solchs an diser person wol bewant, und das erhaltung der Studien ein hohe notig werk und gott gefellig ist, e. w., zu dienen nach meinem geringen vermögen binn ich allezeit willig und bereit, und bitt e. w. wolle an meiner schrifft und vorbitt nicht misfallen haben, denn ich mich in diser meinen vocation so viel mir möglich, für -schuldig acht, fromer gesellen studia zu füddern, datum "Witeberg X septembris anno 1537. e. w. williger diener Philippus Melanthon". Der Rat der freien Eeichsstadt bewilligte darauf dem Simon Lemnius eine einmalige Unterstützung von zwanzig Gulden und tat dies dem Melanchthon in folgendem Schreiben vom 1. Februar 1538 kund. x ) „Dem erwirdigen und hochgelerten Herrn Philippo Melanchton der heiligen schrifften und freyen kunsten hochberumbten lerer zu Wittemberg unserm lieben herren unnd freunnd empieten wir burgermaistere und die ratgeben der stat Augspurg unnser freuntlich willig dienst ') Konzept im Stadtarchiv zu Augsburg. 2*

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zuvor, erwirdiger unnd hochgelerter lieber herr und freunnd. wir haben eur e. schreiben unnd fruntlich erinnern, was mangels sich noch an gelerten leuten inn kirchen unnd sunst zutragen mag, mit bitt magister Simon ain hilff zu seinen studijs ze thun, fruntlicher maynung vernomen unnd tragen eben die fursorg wie eur e., das der gierten leut antzal je lennger ye clainer unnd inn wenig jarn aller gelegenhait nach an viel ortten zerynnen werde, darumb wir auch destgenaigter wo wir konnten solhem abgang zufurkommen unnd damit eur e. beschehen furbitt nit vergebenlich, so haben wir ernanntem magister Simon Lemnio 20 f. zur steur an seiner underhaltung in studijs verordnet unnd magister Jodoco gegenwerttigen zustellen lassen, e. w. von des Lemnij wegen furtter zu behendigen, fruntlich bittend: eur e. wolle solchs von unns fruntlicher unnd guter maynung verstehen unnd gedachtem magister Simon von unnsern wegen darmit zu seinen studijs zu geprauchen vereeren. eur e. freuntlichen unnd dienstlichen willen zu erzaigen synnd wir gantz genaigt Datum freitag 1. Februarii 1538. Einen genauen Einblick können wir in den freundschaftlichen Yerkehr des Simon Lemnius in diesen Wittenberger Jahren tun, da er selbst später zu seiner Rechtfertigung einen langen Katalog lehrender und lernender Männer anführt, die ihn genau gekannt haben und die Makellosigkeit seiner Lebensführung bezeugen würden. Neben einer Reihe vornehmer, den ersten Adelsgeschlechtern angehöriger Namen begegnen darunter aüch nicht wenige, die in der wissenschaftlichen "Welt einen guten Klang hatten oder in der Folgezeit erhielten. Yon den Dozenten würdigten ihn ihres Umganges der humanistisch gebildete Professor der Medizin Jacob Melichius (1501—1559) aus Freiburg, ein Freund des Eoban Hesse und Camerarius, ferner der durch sein oft aufgelegtes Kompendium des Zivilrechts rühmlichst bekannte Jurist Konrad Lagus (f 1546) aus Kreuzburg in Hessen, Yeit Amerbach (1503—1557) aus Wendingen in Baiern, der als Professor in Wittenberg und später in Ingolstadt durch seine polyhistorische Gelehrsamkeit in großem Rufe stand, der Mediziner Strob u. a. m. Weiterhin gehörten zu seinem Freundes-

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kreise der Student der Theologie Jodocus Neobolus (Neuheller) aus Ladenburg i. d. Pfalz, der späterhin als Prediger zu Endringen und Teilnehmer am Tridentiner Konzil nachweisbar ist, der Jurist Johannes Saxo aus Hattstedt bei Husum, der nach vorübergehender Dozententätigkeit in "Wittenberg und Erfurt als holstein-gottorpscher Kanzler und Domdechaht 1561 in Hamburg starb, der Theologe Nikolaus Gallus (1516 —1570) aus Kothen, in der Folgezeit ein eifriger Gesinnungsgenosse des Flacius Illyricus, Johannes Poraeranus (Bugenhagen), der Sohn des gleichnamigen Hauptpfarrers und Generalsuperintendenten in Wittenberg und später Professor der orientalischen Sprachen daselbst. Am meisten wird Lemnius natürlich in den Kreisen der jungen humanistischen Dichter verkehrt haben. Seines vertrauten Umganges mit Georg Sabinus, dessen poetisches Talent er mit Worten aufrichtigster Bewunderung preist, wird noch weiter zu gedenken sein. Als seinen Intimus aber bezeichnet er selbst 1 ) Johannes Stigel aus Gotha (1515—1562), den Sänger patriotischer Epen und frommer Weisen, der mit ihm zusammen wohnte und mit ihm Tisch und Bett teilte (mecum Semper habitavit Stigelius meusque fuit intimus et domesticus, cum quo eadem mensa, eodem lecto atque domo sum usus). Ihn feiert er als modernen Tibull und getreuen Pylades, der zu ihm hielt, auch als alle anderen sich unter den obwaltenden Umständen von ihm zurückzogen. Als weitere Poeten seiner Bekanntschaft erwähnt er Melchior Acontius 8 ) aus Ursel bei Frankfurt a. M., von dem nur bekannt ist, daß er ein Freund des großen Philologen Micyllus war, ferner Georg Aemylius (Oemler, 1517—1569) aus Mansfeld, den Verfasser geistlicher und botanischer Gedichte, dessen Weggang nach der Universität Krakau er in einem Abschiedscarmen besingt, Johannes Prasinus, den jung verstorbenen Autor einer Tragödie „Philoemus", und Arcturus Phrisius, an die ebenfalls Gedichte seiner ersten Sammlung gerichtet sind. l ) Apologia, Bog. B 4b. Vgl. auch Goettling, opuscula académica, herausg. von Kuno Fischer, S. 12. *) Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde u. Geschichtsforschung, X (1870) S. 115.

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Bei dem Überwiegen theologischer Interessen war zwar in Wittenberg der Boden für die neulateinische Poesie nicht allzu günstig und es ist wohl nicht zufällig, daß zwar so mancher junge Dichter, dem Rufe Melanchthons folgend, ein paar Jahre in der Reformationsstadt zubrachte, aber keiner von den Großen hier in seiner Blütezeit festen Faß faßte. Der Standpunkt Luthers in dieser Hinsicht ist bekannt. Daß auch Melanchthon, bei aller hohen Verehrung der Antike, den Anschauungen seines Freundes nahestand und der geistlichen Dichtkunst den Preis zuerkennen wollte, zeigt u. a. ein Brief von ihm an Eoban Hesse vom 1. August 1537, in dem sich die bezeichnenden "Worte f i n d e n : E g o quidem, ut reliquam Musicen, ita Poeticam iudico religionum conservandarum causa initio hominibus donatam jesse, cumque vis illa scribendi carminis, sine ulla dubitatione, coelestis quidam modus sit, maxime convenit poetis, eam vim ad res divinas illustrandas conferre. Ein wie reger Geist aber trotz der im wesentlichen ablehnenden Haltung der Reformatoren unter den jungen Wittenberger Poeten herrschte, scheint daraus hervorzugehen, daß zwei Lebensbeschreibungen des Sabinus von einem Sängerwettstreit zu erzählen wissen; und die eine von ihnen, die 1563 in Wittenberg erschienene oratio M. Johannis Boticheri de vita et obitu G. Sabini, läßt auch Lemnius daran teilnehmen, indem sie berichtet: 2 ) certabat ac commentabatur cum aliis poetis, Acontio, Stigelio, Ebnero, Lemnio, quorum nomina publicis scriptis celebrata sunt. Bei dem freundschaftlichen Yerkehr mit einer so großen Anzahl literarisch interessierter Geister, die zumeist schon Proben ihrer poetischen Begabung weiteren Kreisen durch den Druck bekannt gemacht hatten, lag es nahe, daß auch Lemnius der Gedanke an die Herausgabe einer eigenen Gedichtsammlung kam; vielleicht daß er damit zugleich hoffte, ') Corp. Reform. III, no 1596. ) a. a. 0. Bog. G 2h. Die vita Georgii Sabini a Petro Albino, denuo edit. a Crusio, Lignicii 1724 nennt dagegen als Beteiligte neben Sabinus die Dichter Eber, Acontius, Stigel, Lotichius; letzterer kann indessen nicht gut teilgenommen haben da er, 1528 geb., erst Mitte der vierziger Jahre nach Wittenberg kam. !

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sich der Akademie zu empfehlen und in den Lehrkörper einzutreten, wie sein Freund und Landsmann Georgius Joachimus Rheticus (1514—1576), der seit Januar 1537 auf Empfehlung Melanchthons hin die erledigte zweite Professur der Mathematik bekleidete.1) Einzelne Gelegenheitsgedichte des Lemnius mochten wohl, wie in seinen Jugendjahren in München, so auch in Wittenberg bereits erschienen sein, gesteht er doch in der Apologie einmal, daß er graeca et latina carmina unter allgemeinem Beifall veröffentlicht habe. So wird auch er, wie Johannes Stigel, Melchior Acontius, Matthias Illyricus u. a., gelegentlich der Hochzeit seines Freundes Sabinus mit Anna Melanchthon im Jahre 1536 ein Epithalamion gedichtet haben. Sabinus war es auch, der die ihm von Lemnius zur Einsicht vorgelegten Manuskripte lobte und den noch zögernden Dichter zu ihrer Veröffentlichung ermunterte. So erschien denn zu Pfingsten 1538 bei Nikolaus Schirlenz in Wittenberg ein dünnes Bändchen unter dem Titel: SIMONIS | LEMNII EPI- | grammaton | LIBRI DYO | VITEBERGAE 1538.2) Gewidmet waren die beiden Bücher dem Bruder des Kurfürsten von Brandenburg, Albrecht, Erzbischof von Mainz und Magdeburg, dem Gönner des Humanismus und Mitbegründer der Universität Frankfurt a. 0., von dessen Residenz in Halle Sabinus soeben im Frühjahr 1538 nach Wittenberg zurückgekehrt war.8) Den Gesprächen mit dem Freunde verdankte Lemnius wohl auch die genaue Kenntnis der Vorgänge und Persönlichkeiten am erzbischöflichen Hofe; von letzteren mochte er übrigens manche, wie den Kanzler Türk, persönlich bei der Hochzeit des Sabinus kennen gelernt haben. In einer großen Anzahl durch die ganze«Sammlung verstreuter Gedichte wird der Erzbischof als Schützer der Musen und vornehmer Mäcen gefeiert, seine Milde und Friedensliebe, seine Achtung und ') Köstlin, a. a. 0., S. 25. ) Ein Exemplar des äußerst seltenen Buches auf der Kgl. öffentl. Bibliothek in Dresden. 18 Gedichte daraus auch in den Delit. poet. Germ. III, 1035—1038. 3 ) Muther, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben im Zeitalter der Reformation, Erlangen 1866, S. 340. s

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Förderung der Kunst gepriesen. Dabei werden die Farben nicht selten dick aufgetragen, schwerwiegende Vergleiche und kühne Zusammenstellungen nicht gescheut, wohl auch gelegentlich die Hoffnung auf eine Gegengabe nicht gerade zart angedeutet: Multa licet semper dederis tu dona poetis, Attamerl his dices plura daturus ero. Diligeris sacris non propter dona poetis, Propter te vates credito munus amant.

Außer den Gedichten auf den Erzbischof selbst finden sich schmeichelhafte Widmungen an den Kanzler, den Leibarzt und die ßechtsbeistände desselben, diese zumeist mit der Bitte, für den Dichter am erzbischöflichen Hofe Stimmung zu machen. Den Hauptbestandteil aber der Sammlung machen Epigramme des verschiedensten Inhalts aus. Neben poetischen Episteln an Freunde und Gönner stehen Liebesgedichte der hohen und niederen Minne, kurze anekdotenartige Erzählungen und Anspielungen auf Ereignisse des täglichen Lebens. Menschliche Untugenden aller Art, Geiz, Eitelkeit, Gefräßigkeit, Schwatzhaftigkeit, Unsauberkeit werden an Beispielen gegeißelt, schlechte Poeten ins Lächerliche gezogen und gern Wortspiele und Namendeutungen angebracht. A n die Münchener Zeit des Verfassers erinnert ein Gedicht auf den Tod seines Lehrers Anemöcius sowie ein Epigramm auf den bairischen Löwen. Hin und wieder fällt dabei auch ein Streiflicht auf den Charakter des Dichters. Er selbst scheint keine übertrieben hohe Meinung von seinen poetischen Versuchen zu haben. Bescheiden lehnt er jeden Vergleich mit antiken Schriftstellern ab und bittet Sabinus, die etwa vorhandenen Fehler offen auszusprechen und zu verbessern. Seine Armut will er nicht allzuschwer empfinden, solange noch die Freiheit des Burschenlebens und Frauenliebe sein Herz beglücken. Einem Freunde, der Sehnsucht nach der Heimat empfindet, ruft er tröstend zu, daß ein bewegtes Dasein in der Fremde nach dem Vorbilde des Odysseus einem stillen Leben daheim vorzuziehen sei. Mit Humanistenstolz blickt er ein andermal auf die barbarischen Zustände der letzten Jahrhunderte zurück, während ihn die Gegenwart mit ihrem Reichtum an

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Dichtern und Mäcenen an das Augusteische Zeitalter erinnert. Im allgemeinen aber sind es harmlose Sächelchen und der Dichter behauptet nicht zuviel, wenn er in dem einführenden Widmungsgedicht glaubt, daß man das Büchlein jedem Knaben und Mädchen unbesorgt in die Hand geben könne, und er in einem andern Epigramm in Erinnerung an die Sage von dem antiken Spötter Archilochus sich mit folgenden Yersen an den Leser wendet: Quod non scribo tibi, forsan me quaeris, Jambos, Nostra Lycambeo scripta cruore carent.

Als er diese Worte schrieb, ahnte er wohl nicht, welches Unwetter sich über seinem Haupte zusammenballte und daß gerade diese Sammlung es sein würde, die entscheidend in sein Leben eingreifen sollte.1) Am Pfingstfest 1538 wurden die neu erschienenen Exemplare vor den Kirchentüren feilgeboten. Da sich bereits vorher das Gerücht verbreitet hatte, daß Lemnius etwas veröffentlichen werde, war der Zuspruch lebhaft. Schon waren etwa fünfzig Exemplare verkauft, als noch am selben Tage ein solches Luther in die Hände fiel und seinen höchsten Zorn erregte. Er machte sofort den einen oder anderen der Leute, die nach seiner Meinung unter den verkappten Namen angegriffen waren, darauf aufmerksam, worauf dieselben bei Melanchthon, dem Rektor des Semesters, Beschwerde führten. 2 ) Dieser ließ den Dichter kommen, der indessen leicht die Harmlosigkeit seiner Yerse und die Lächerlichkeit jener Anklagen *) Auch Camerarius De vita Melanchthonis, p. 178, ist der Meinung, daß die Aufregung über die Epigramme nicht der Schärfe ihres Inhalts entsprach. L e s s i n g urteilte: „WennLemnius spottet, so spottet er über die allergemeinsten Laster und Torheiten; er braucht niemals andere als poetische Namen; und das Beißende ist sein Fehler so wenig, daß ich ihm gar wohl einen stärkeren Vorrat davon gewünscht hätte; gesetzt auch, daß das bißchen Ehre dieses oder jenes Toren draufgegangen wäre. Ich behaupte also kühnlich, daß Lemnius so wenig ein Verleumder ist, daß ich ihn nicht einmal für einen guten Epigrammatis ten halten kann, welcher das Salz mit weit freigebigeren Händen ausstreuet, ohne sich zu bekümmern, auf welchen empfindlichen Schaden es fallen wird." ') Für das Folgende vgl. Apologia, Bog. C3t> ff.

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darzulegen wußte und sich bald wieder unter Scherzen von dem Rektor verabschieden konnte (purgavi me sumque iocis istam ridiculam accusationem apud rectorem cavillatus). Obwohl damit die Angelegenheit beigelegt schien, begann man alsbald weitere Anspielungen in den Epigrammen aufzuspüren und eine Reihe hochstehender Persönlichkeiten als beleidigt hinzustellen, an die der Dichter seiner wiederholten Behauptung nach nicht gedacht hatte und die er zum Teil überhaupt nicht kannte, so den Stadtkommandanten von Wittenberg, den Kanzler Brück, den Landgrafen von Hessen und schließlich gar den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen. Zugleich ließ Luther die noch unverkauften Exemplare in der Offizin im Namen des Senats in Beschlag legen und den Drucker Schirlenz ins Gefängnis werfen. Die anfängliche Zuversicht des Lemnius, dem infolge der erneuten Klagen noch im Laufe des Pfingstsonntags (9. Juni) Hausarrest auferlegt wurde mit dem Verbote, sein Hausgerät und seine Bibliothek beiseite zu bringen, machte allmählich einer ernsten Besorgnis Platz, zumal sich die meisten seiner Bekannten von ihm zurückzogen und die Sache allgemach stadtbekannt wurde. Unter solchen Umständen entschloß er sich schließlich nach langem Zweifeln, den dringenden Bitten einiger treuer Freunde nachzugeben und aus Wittenberg zu flüchten. Obwohl er den Antrag, sich in bäuerischer Kleidung herauszuschleichen, von sich gewiesen hatte, gelang es ihm, die Wachen zu täuschen und am frühen Morgen des 10. Juni, als der Hirt das Yieh auf die Weide trieb, durch das Stadttor zu entkommen. Dadurch jedoch gab er den Gegnern nur neue Waffen in die Hand. Allgemein scheint die Flucht als Zeichen eines schlechten Gewissens ausgelegt worden zu sein und zu den früheren Verdächtigungen trat nun noch der Vorwurf des Arrestbruches und Meineides. Die nachgesandten Häscher und erlassenen Haftbefehle vermochten zwar nichts auszurichten, doch wurde das Eigentum des Entflohenen konfisziert und die eingezogenen Exemplare verbrannt. Luther aber las am folgenden Trinitatissonntag, den 16. Juni 1538, in der Pfarrkirche nach der Predigt der versammelten Gemeinde ein Schreiben vor, das am selben Tage auch an der Kirchentür angeschlagen und in Druckexem-

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plaren verbreitet wurde und diesen "Wortlaut hatte: 1 ) „Ernste zornige Schrift D. M. L. wider M. Simon Lemnii Epigrammata. Anno 1538. Doctor Martinus Luther allen Brüdern und Schwestern unser Kirchen allhie zu Wittenberg. Gnad und Fried in Christo unserm lieben Herrn und Heyland. Es hat itzt nehest am vergangenen Pfingstag ein ehrloser Bube, M. Simon Lemmig genannt, etliche Epigrammata hinter Wissen und Willen derer so es befohlen ist zu urteilen, ausgehen lassen, ein recht ertz Schand- Schmach und Lügen-Buch, wieder viel ehrliche beyde Manns- und Weibsbilder dieser Stadt und Kirchen wol bekannt, dadurch er nach allen Rechten, wo der flüchtige Bube bekommen wäre, billich den Kopff verlohren hätte. Damit nu ich, als der Abwesens unsers lieben Herrn Pfarrers D. Johann Pommers (denn ers ohn zweifei auch nicht leiden würde, wie wir alle wohl wissen) die weil muß LückenBüßer und Unter-Pfarrherr seyn, solche lästerliche bübische Schalkheit auff mir nicht lasse bleiben, denn ich ohn das mit eigenen Sünden allzu hoch beschwert, daß mirs nicht zu leiden ist, viel frembder Sünden (sonderlich solcher schändlichen Buben, die von uns gar viel Bessers tägl. sehen und lernen, doch zu lohn solche schändl. Undankbarkeit erzeigen) auff mich zu laden: So bitt und ermahne ich alle fromme und rechte Christen, die mit uns gleiche Lehre und Glauben haben und lieben, daß sie solche Lästerpoeterey von sich thun und verbrennen wollen, zu Ehren unserm heiligen Evangelio, auff daß unser Wiedersacher nicht zu rühmen haben, wie sie geneigt sind, von uns in fremde Nation* zu schreiben, daß wir keine Laster straffen, ob sie gleich wohl wissen, daß wirs härter straffen, denn sie in ihrem Regiment thun, sonderlich, wo sie ihre geistl. keusche Heiligkeit wollten auf die Rechelinien legen. Zudem, weil derselbige Schand-poe') Der obige Wortlaut nach dem handschriftlichen Original, das dem auf der Kgl. öffentl. Bibliothek in Dresden befindlichen Exemplar der Epigramme angeheftet ist. Abgedruckt sonst in Luthers Sämtl. Werken, Frkf. u. Erlangen, Bd. 64, S. 322—324, in der Ausg. von Walch XIV, 1334, Jenenser Ausg. VI, 568, de Wette, Luthers Briefe VI, 199 u. a.

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taster, den leidigen Stadtschreiber zu Halle, mit Urlaub zu reden, Bischoff Albrecht, lobet und einen Heiligen aus dem Teufel machet, ist mirs nicht zu leiden, daß solchs öffentl. und durch den Druck geschehe in dieser Kirchen, Schule und Stadt, weil derselbige Sch . . . bischoff ein falscher verlogener Mann ist, und doch uns pflegt zu nennen die Lutherischen Buben. Wie wohl er von S. Moritz und S. Stephan die rechten Haupt-Bubenstücke hören wird an jenem Tag, wie er wohl weiß, aber sich tröstet, daß er solches nicht glaubt. Und iöh, so mir Gott Leben und Zeit gibt, solch schön Exempel an Tag geben wil. Und bitte abermahl alle die unsern, und sonderlich die Poeten, oder seine Heuchler, wollten hiefort den schändlichen Sch . . .-Pfaffen öffentlich nicht loben, noch rühmen in dieser Kirchen, Schul und Stadt. Wo nicht, so mögen sie auch sammt ihrem Herren gewarten, was ich dawider thun werde, und wissen, daß ichs nicht leiden wil, daß man den von sich selbst verdammten heillosen Pfaffen, der uns alle gerne todt hätte, hie zu Wittenberg lobe. Davon bald weiter." Inzwischen hatte unter dem gewichtigen Einfluß Luthers und dem Drängen einiger anderer Professoren auch das akademische Verfahren gegen Lemnius seinen Fortgang genommen, indem nunmehr aber der Arrestbruch in den Vordergrund der Anklage gerückt wurde. Am 11. Juni wurde der flüchtige Dichter in folgendem öffentlichen Anschlag aufgefordert, sich am 18. Juni mittags zwölf Uhr vor dem Senat zu verantworten, widrigenfalls ein Versäumnisurteil gegen ihn ergehen würde: 1 ) Rector Academiae Vitebergensis. Edidit Simon Lemnius maledicos versus, plenos mendaciorum et veneni, in quibus partim eos, qui praesunt [stu') Die Universitätserlasse gegen Lemnius sind mehrfach abgedruckt, so in Joh. Erh. Kappens Kleiner Nachlese zur ReformationsGeschichte III (Leipzig 1730), S. 3 7 6 — 3 8 1 ; bei Strobel, a. a. 0 . S. 3 4 ; Corpus Reformatorum III, no. 1688, 1689, 1693; 0 . Clemen, Beiträge zur Reformationsgeschichte aus Büchern u. Handschriften der Zwickauer Ratsschulbibliothek, 1. Heft, Berlin 1900, S. 59.

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diosis],J) seditiose et falso crimiaatur, partim alios afficit iniuria. Quare publico arresto [a rectore] ei mandatum est, ne discederet, sed veniret postridie Pentecostes ad Senatum Academiae. Ille autem violata religione iurisiurandi discessit, nec venit ad Rectorem et ceteros convocatos. Ideo decretum est, ut rursus publice ad iudices vocetur [vocaretur]. Quare nos ex officio [Quare officio] citamus hunc ipsum Simonem Lemnium his publicis litteris primo, secundo et tertio, ac peremptorie, ut compareat proximo die XYIII Junii, hora XII coram nobis Rectore Academiae Yitebergensis et assessoribus, ut res agatur, et ipse audiat sententiam iudicum, porro sive aderit sive non aderit, in causa procedetur, ut iustum est. Utinam studiosi dent operam, ut Musae serviant gloriae Dei et utilitati publicae. Ideo enim impertit Deus hominibus ütteras et artes. Sed qui tantum ad nocendum abutuntur ingeniis, hos agitant [agunt] non Musae, sed Erynnes [furiae], tales odisse et detestari omnes boni debent. Datae Yitebergae die Junii undecima, Anno MDXXXYIII. 2 ) Da Lemnius erst viel später von diesem und den folgenden Erlassen Kenntnis erhielt und infolgedessen weder persönlich erschien noch sich vertreten ließ, erfolgte am 23. Juni eine erneute Zitation für den 3. Juli mit dem Hinweis auf die an diesem Tage bevorstehende Relegation von der Universität. Rector Academiae Yitebergensis. Editus est hic ante paucos dies libellus, nomine Simonis Lemnii, plenus maledicorum versuum, quibus multi omnium ordinum gravi et intolerabili afficiuntur iniuria. Ideo ei publico arresto per nos interdictum est, ne hinc discederet, priusquam causam apud Senatum Academiae dixisset. Sed l

) Die in Klammern mitgeteilten Varianten enthalten die Fassung, die der Wittenberger Student Christoph Baldauf an Stephan Roth sandte, vgl. Clemen, a. a. 0. a ) Trotz der gegenteiligen Behauptung des Lemnius, der in der Apologie Luther für den Verfasser hält, stammt dieses und die beiden folgenden Stücke zweifellos von dem Rektor Melanchthon, vgl. den gleichen Gedankengang in dem früher zitierten Brief Melanchthons a n Eoban Hesse vom 1. August 1537.

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ipse violata religione iurisiurandi clam nobis hinc discessit. Quare publice proposito ad valvas ecclesiae parochialis edicto peremptorie a nobis citatus est, et ei constitutus terminus veniendi in iudicium dies Junii XVIII ad dicendam causam vel per se vel idoneum procuratorem sufficienter instructum, coram nobis Rectore Academiae Yitebergensis et nostris assessoribus in tempio arcis, adjecta hac comminatione, quodsi neglecturus esset constitutum terminum iudicii nec per se vel procuratorem comparerei, nos processuros in ea causa, quantum de iure possemus. Yerum ipse non dubitavit autoritatem nostram contemnere nec praefixo per citationem illi termino iudicii comparuit neque alium suo loco ad nos misit. Itaque postquam accessit contumacia et delictum est notorium, denuo te, Simon Lemni, peremptorie ad audiendam sententiam his nostris litteris citamus; et tibi terminum peremptorium adsignamus diem Julii tertium proxime futurum post diem editarum harum litterarum, ut eo die hora XII pomeridiana in templum arcis hue mature venias ad audiendum et videndum te relegari e nostra Universitate vel ad dicendum causas, quare id fieri non debeat, sciturus, quod contra te ad sententiam processuri sumus, etiamsi ad constitutum terminum comparere in loco destinato neglexeris [etiamsi constitutum terminum in loco destinato neglexeris]. In cuius testimonium praesentem hanc nostram citationem sigillo Universitatis Yitebergensis, ut testata esset omnibus eius autoritas, consignari fecimus. Anno MDXXXYIII. die XXIII [XXII] Junii. Vitebergae. Auch diese für den 3. Juli anberaumte Zitation blieb erfolglos und so wurde am 4. Juli 1538 über Lemnius die Relegation von der Universität verhängt. Da dieser Ausgang zu erwarten stand, war das Relegationspatent schon vorher in sechzig Exemplaren gedruckt worden, ') so daß der Wittenberger Student Christoph Walduff bereits am 30. Juni eine Abschrift, die er unter der Hand genommen hatte, an den Zwickauer Stadtschreiber Stephan Roth senden konnte. Der 4

) Lemnius ist in der Apologie fälschlich der Ansicht, daß dasselbe nicht im Druck erschienen sei.

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auch sonst interessante Brief, der zugleich beweist, wie selten infolge der gewaltsamen Unterdrückung schon damals, wenige Tage nach dem Erscheinen, jene erste Ausgabe der Epigrammensammlung geworden war, lautet: 1 ) S. D. Jamdudum te litteras legisse scio scriptas a Doctore Martino in Lemnium. An vero huius epigrammata in manus tuas pervenerint, valde dubito. Nam paucissimi hie etiam sunt, ea qui habent. Itaque cum nuper ea nactus essem a Burchardo Schenck, putavi me tibi rem gratissimam facturum, si tibi mitterem. Mitto igitur simul additis quibus epigrammatibus illorum nominibus, in quos nostri scripta esse arbitrantur. Mitto etiam litteras, quibus Lemnius citatur: Praeterea decretum de illius relegati one, cuius sexaginta exempla sunt excusa, nondum tarnen edita, nec ullum cuiquam studiosorum videre contigit. Mihi tarnen Yitus Creuz, amicus meus, clam describendum d e d i t . . . Bene vale Yitebergae, pridie Calend. Julii Christophorus Walduftuus. Das Relegationspatent selbst aber liegt in zwei Redaktionen vor, einer kürzeren und einer längeren. Erstere ist offenbar nur ein für den Anschlag bestimmter Auszug der letzteren. Die ausführlichere, die nähere Begründung des Urteils enthaltende Form, auf die auch Lemnius in seiner Apologie Bezug zu nehmen scheint, trägt folgenden Wortlaut: 2 ) Rector universitatis scholae Yitebergensis. Edidit Simon Lemnius duos libellos epigrammatum, ut vocat, plenos mendaciorum et veneni, in quibus omnium ordinum homines iniuria et contumelia afficit. Cumque ei mandatum esset, ne discederet, quia postridie vocandus erat ad iudices, spreta religione iurisiurandi fugere maluit quam exspectare iudicium. Itaque" postquam iterum publice citatus non rediit neque cuiquam dedit mandata de suo negotio, sententia adversus eum lata est, in qua propter utramque causam, et propter maledicos libellos et propter periurium, ') Fortgesetzte Sammlung von Alten und Neuen Theologischen Sachen etc. auf das Jahr 1732, S. 538—539. *) Clemen, a. a. 0 . S. 59 ; Abschrift auf der Zwickauer Ratsschulbibliothek XXXVI fol. 264 h—266 b.

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damnatus est. Et ob has causas perpetuo eum relegatum esse volumus. Hanc nostrani sententiam publice proponendam esse duximus, et omnes detestentur exempla perfidiae, periurii et maledicentiae. Sunt alioqui mores Lemnii tales, ut modestis hominibus diu piacere non possint: est scurrili natura, legum et religionis contemptor, maledicus, sed postquam ad haec addidit periurium, meminerint boni nullam ullius officii societatem esse debere cum ullis periuris, sed execrandos et arcendos esse ab omni civili consuetudine. Deus enim minatur poenam periuris, quae etiam vagatur per illos quasi contagio pollutes qui periuros fovent. Arceant igitur boni a se Lemnium tanquam pestem aliquam et dXaffropa. Nam hie contemptus iurisiurandi et furialibus eum stimulis ad alia scelera incitabit et impellet furentem, ut ruat in poenas debitas pro violata religione iurisiurandi. Dignus odio est etiam propter alterum scelus, quod spurcissimis probris et ementitis onerat homines honestos. De sententia publica legum autores talium scriptorum sunt infames. Nec vero laus ingenii quaerenda est contra bonos mores, contra sanctissimam autoritatem legum et cum iniuria honestorum hominum. Si quid habet Lemnius vel ingenii vel literarum — permittimus enim, ut arroget sibi, quantum volet — cur non exercet in argumentis honestis ? Cur non confert ad utilitatem communem, ad ornandam gloriam Dei et alias res honestas illustrandas ? Hic est finis poeticus. Turpiter abutuntur poetica, qui vel petulantia vel animi morbo mendacia comminiscuntur, qui hoc artificio captant risus vulgi aut astute non in gratiam, sed in culinas potentum irrepere conantur. Musae ingenuitatem, veritatem, iustitiam amant. Et lepos magnum est ingenii et scripti decus, cum ilio candido Mercurii sale constat, non cum venena insperguntur. Non a Musis, sed a furiis agitantur, qui scurrilia et ementita convicia dicunt in homines honestos, quae passim in suo libello sparsit Lemnius, quod sive fecit quadam naturae suae petulantia sive, ut praedam aliquam venetur, utrumque plenum est turpitudinis. Quid enim alienius est ab humanitate quam sine legum et communium officiorum reverenda debachari in alios, praesertim in bonos, in bene meritos ? Multo maior autem est levitas talibus male-

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dictis mendicare coenulas; ut parasiti faciunt in comoediis, qui habere se dicta venalia palam profitentur. Horatius inquit: Qui captat risus hominum famamque dicacis, Fingere qui non visa potest, Hinc niger est, hunc tu, Romane, c a v e t o ! ' )

Talem esse Lemnium res ipsa loquitur, cum ediderit librum plurimis manifestis mendaciis refertum. Errat autem, si magnam ingenii laudem esse arbitratur dici vanum, perfidiosum, scurram, parasiticam exercentem. Ipse viderit, ubi habiturus sit Theatrum, quod talibus moribus delectatur. Nos in nostro coetu ferre eum nequaquam volumus. Haec commemorata sunt, non solum ut extet sententia de relegatione Simonis Lemnii, sed etiam, ut ceteri admoniti vehementius detestentur periurium et maledicentiam. IY. die Julii A. MDXXXVIII. Bevor wir indessen zu den weiteren Folgen dieses für Simon Lemnius so unangenehm verlaufenen Vorfalls übergehen, sei eine objektive Erörterung einiger für und wider das Yerhalten der beteiligten Parteien sprechenden Punkte versucht. Yon vornherein scheint es klar, daß für Luthers scharfes Vorgehen nicht die Angriffe des Dichters auf einzelne Wittenberger Bürger maßgebend waren oder doch nur nebenbei mit in Frage kamen. Zwar hatte die Akademie, wohl aus Anlaß früherer Ereignisse dieser Art, eine Verordnung erlassen des Inhalts: 2 ) famosos libellos et mala carmina spargere vel dictis petulantibus amarisque conviciis fauciare aliorum famam vetitum esto. Qui fecerit, relegetur. Doch waren die Anzapfungen des Lemnius wohl zu harmloser Natur, um unter dieses Gesetz subsumiert zu werden. Die vier Personen, die sich auf Veranlassung Luthers zunächst bei dem Rektor als beleidigt meldeten, 3 ) waren ein stadtbekannter Geizkragen, von dem 4

) Hör. sat. I, 4, 85. ) Neue Erweiterungen der Erkenntnis IV. Bd. 19. Stück (1754), S. 71. s ) Apologia, Bog. C 6 ff. QF. CIV. 8

und des

Vergnügens,

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ein Epigramm (in Carpophorum) erzählt, daß er sein Haus für den doppelten Kaufpreis wieder losgeschlagen habe, ein baumlanger Mensch (ad Tyrolphum), der von dem Dichter mit dem heiligen Christophorus verglichen worden war, ferner der bekannte Buchdrucker Lufft (in Aerem), dessen auch von Luther in einer Predigt gerügter Aufwand bei der Verheiratung seiner Tochter in einem mit dem Namen Aer spielenden Gedicht gegeißelt wurde, und schließlich der Bruder eines jungen Mädchens, das sich von einem Epigramm (Ad An. GL.) getroffen fühlte, welches gewisse körperliche Mängel einer Schönen als Grund für ihr Fernbleiben von den Öffentlichen Bädern hinstellt. Wie wenig überzeugend diese vier Fälle waren, beweist schon der Umstand, daß gleich der erste Beurteiler, Melanchthon, nach erfolgter Rücksprache mit dem Dichter es ablehnte, den gestellten Strafanträgen Raum zu geben. Schwerwiegender schon war es, wenn zwei weitere Gedichte, wie aus den zeitgenössischen Randbemerkungen eines alten "Wittenberger Exemplars erhellt,1) auf das eheliche Leben zweier Professoren, des Mathematikers und Astronomen Erasmus Reinholt von Saalfeld und des Philologen Vitus Vinsemius, gedeutet wurden. Da indessen die betreffenden Epigramme die Pseudonymen Überschriften ad Empedoclem und ad Argyrologum tragen und der Verfasser auch später in seiner Apologie, allerdings nicht recht überzeugend, jedwede Beziehung auf die beiden Männer leugnet, schien auch hier keine rechte Handhabe geboten. Ebensowenig beweiskräftig mochten die Epigramme sich ausnehmen, die eine Beleidigung gewisser hoher Standespersonen enthalten sollten. Das auf den Kurfürsten von Sachsen gedeutete Gedicht in Mydam erzählt nur von einem reichen Großgrundbesitzer an der Elbe, der trotz seiner glänzenden Paläste ein ungebildeter Mann bleibe, und des Dichters helle Verzweiflung über jene willkürliche Auslegung ist einigermaßen begreiflich. Und nicht anders steht es mit den auf den Kanzler Brück und auf Hanns von Metsch, den Stadtkommandanten von Wittenberg, gedeuteten Epigrammen in Rabbulam und in Thrasonem, die vielmehr ') Vgl. Neue Erweiterungen etc., S. 64, dazu Apologia, Bog. D4b und das Gedicht in dem späteren dritten Buch der Epigramme, Bog. Gib.

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auf einen jungen großsprecherischen Juristen und einen nur im Rausche beherzten Feigling gemünzt waren. Ausschlaggebend für Luthers zunächst überraschend erscheinendes Vorgehen war vielmehr die Widmung der Gedichtsammlung an den Erzbischof Albrecht und das an vielen Stellen derselben ausgesprochene Lob dieses seines alten Feindes. Die Schlußworte der gegen Lemnius geschriebenen und öffentlich verlesenen Erklärung „ich wills nicht leiden, daß man den von sich selbst verdammten heillosen Pfaffen, der uns alle gerne todt hätte, hie zu Wittenberg lobe" lassen darüber keinen Zweifel.1) Der Markgraf Albrecht von Brandenburg (1490—1545), ein Sohn des Kurfürsten Johann Cicero, hatte anfangs mit seinem älteren Bruder, dem Kurfürsten Joachim, gemeinsam regiert, sich aber dann dem geistlichen Stande gewidmet. Bei seiner hohen Abkunft und seiner großen Begabung kam er bald in einflußreiche Stellungen. Bereits 1513 wurde er Erzbischof von Magdeburg, im folgenden Jahre auch Erzbischof von Mainz. Kein geringerer als Ulrich von Hutten hatte seinerzeit den feierlichen Einzug des jungen Kirchenfürsten in die rheinische Metropole in einem Panegyrikus besungen. Auch sonst erregte er unter den Humanisten große Hoffnungen. Seine im Verein mit dem Bruder vorgenommene Stiftung der Universität Frankfurt a. 0., die Berufung Huttens an seinen Hof, seine Verehrung des Erasmus, sein Eintreten für Reuchlin gegen die Kölner Dunkelmänner, alles dies mußte dem kunstliebenden und gastfreien Manne die Herzen der jungen Generation gewinnen. Als Beispiel der allgemeinen Begeisterung mag das Urteil gelten, das sein Leibarzt Heinrich Stromer in einem Briefe vom 22. September 1519 an Ulrich von Hutten über ihn fällte: 2 ) Princeps omnium sae4

) Vgl. auch die bei Gelegenheit dieses Vorfalls in den Tischreden gebrauchten Worte: „Daß sie uns aber wollen ins Maul schmeißen und unsere Feinde hoch loben und preisen, das wollen wir nicht leiden". (Luthers Tischreden, herausg. von Förstemann und Bindseil, cap. XXVII § 13; s. auch § U . ) s ) 0 . Giemen, Beiträge zur Reformationsgeschichte etc., Berlin 1900, S. 24. 3*

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culorum memoria dignus, ex nobilissima vetustissimaque Stirpe ortus, facundia, potentia, prudentia, ingenio atque litteris clarus, rara felicique memoria pollens, religione Numam, pietate Aeneam, dementia Julium Caesarem, liberalitate Lucullum, magnanimitate Augustum, iustitia Traianum superans. Anderseits aber war er es auch, der im Interesse seiner mißlichen ökonomischen Yerhältnisse mit päpstlicher Genehmigung den Ablaßkrämer Tetzel aussandte und sich damit in den schärfsten Gegensatz zu den reformatorischen Bestrebungen stellte. Trotzdem gab sich Luther anfangs der Hoffnung hin, diesen vornehmsten deutschen Kirchenfürsten für seine Sache gewinnen zu können. Er bat ihn brieflich, seine Lehre zu prüfen, seine Schriften zu lesen, und legte ihm den Gedanken an eine Heirat und eine Umwandlung des Erzbistums in ein weltliches Fürstentum nahe. Indessen wich Albrecht aus und duldete es auch, daß Luthers Schriften in Mainz verbrannt wurden. Die Greuel des Bauernkrieges schließlich, für die er die reformatorische Bewegung allein verantwortlich zu machen glaubte, bestimmten ihn, strengere Maßnahmen zu ergreifen und energisch gegen den neuen Glauben Front zu machen. Die Versuche, in seiner Residenzstadt Halle und an anderen Orten die evangelischen Neigungen gewaltsam zu unterdrücken, hatten darauf Luther schon mehrfach veranlaßt, gegen ihn aufzutreten. Als dann im Juni 1535 der Erzbischof seinen Rentmeister Hans von Schönitz geringfügiger Unterschlagungen halber in einem abgekürzten "Verfahren hatte hängen lassen und der Bruder des ungerecht Verurteilten sich um Schutz und Sühne an Luther wandte, war die langjährige Feindschaft abermals offen zum Ausbruch gekommen. Während dieser in den Tischgesprächen Luthers wiederholt erörterte Rechtsstreit, den der Reformator schließlich bis vor den Kurfürsten brachte und im Dezember 1538 auch in einer Schrift „Wider den Erzbischof zu Magdeburg Albrecht Cardinal" behandelte,1) sich noch in die Länge zog, waren im Juni 1538