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German Pages 273 Year 2012
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 308
Tarifboni für Gewerkschaftsmitglieder Zur Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit
Von
Sebastian Neumann
Duncker & Humblot · Berlin
SEBASTIAN NEUMANN
Tarifboni für Gewerkschaftsmitglieder
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 308
Tarifboni für Gewerkschaftsmitglieder Zur Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit
Von
Sebastian Neumann
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2011 als Dissertation angenommen.
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Sommersemester 2011 als Dissertation angenommen. Vor der Drucklegung wurde das Manuskript nochmals aktualisiert; es befindet sich nun auf dem Stand von August 2011. Zu besonderem Dank bin ich meinem verehrten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Raimund Waltermann verpflichtet, der das Thema anregte und mir neben meiner Tätigkeit an seinem Lehrstuhl stets genügend Freiräume für die eigene Forschung ließ. Herrn Professor Dr. Gregor Thüsing, LL. M. (Harvard) danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Für die kritische Durchsicht des Manuskripts und zahllose anregende Gespräche geht mein herzlicher Dank an Frau Ass. iur. Claudia Christ und Herrn Dr. Klaus Olschewski. Sie sind mir eine große Hilfe gewesen. Auch den übrigen Mitarbeitern des Lehrstuhls von Herrn Professor Waltermann muss ich Dank aussprechen für die jederzeit angenehme und beflügelnde Arbeitsatmosphäre, die nicht unerheblich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen hat, und die ich stets in guter Erinnerung behalten werde. Zu großem Dank bin ich schließlich meiner Mutter Brigitte Platschek-Neumann verpflichtet, ohne deren stete Unterstützung schon die Aufnahme des Studiums nicht denkbar gewesen wäre, geschweige denn eine Promotion. Ihr sei diese Arbeit gewidmet. Bonn, im August 2011
Sebastian Neumann
Inhaltsverzeichnis Teil 1 Einleitung
21
A.
Überblick – Die Renaissance der Differenzierungsklausel . . . . . . . . . . . .
21
B.
Differenzierungsklauseln als Mittel der Organisationspolitik . . . . . . . . .
23
C.
Terminologie und dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
I.
II.
Differenzierung im Hinblick auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses
26
1. Organisations- oder Absperrklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
2. Mitgliedschaftsorientierte Kündigungsschutzklauseln . . . . . . . . . .
28
Differenzierung im Hinblick auf den Inhalt des Arbeitsverhältnisses .
28
1. Einfache und qualifizierte Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . .
28
2. Tarifausschlussklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
3. Spannen(sicherungs)- oder Abstandsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
III. Außenseiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
D.
Differenzierungsklauseln im Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
E.
Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
I.
Die Grundsatzentscheidung des Großen Senats zur Unzulässigkeit von Differenzierungsklauseln vom 29. 11. 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
II.
Das Urteil des BAG vom 21. 3. 1978 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
III. Die Urteile des BAG vom 21. 1. 1987 zur unzulässigen Differenzierung beim Vorruhestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
IV.
Das Urteil des BAG vom 9. 5. 2007 zur Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
V.
Abweichende Entscheidungen der unterinstanzlichen Gerichte . . . . . .
40
VI. Das Urteil des BAG zur Zulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln vom 18. 3. 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
VII. Das Urteil des BAG vom 23. 3. 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
VIII. Das BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
IX. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
8
A.
B.
Inhaltsverzeichnis Teil 2 Die Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit
48
Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
I.
Methodische Herangehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
II.
Auswirkungen auf das Prüfungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
I.
Veränderte Rahmenbedingungen: Aufgabe der Kernbereichslehre . . . 1. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55 55 57
II.
Sachliche Reichweite der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen 2. Mittelbare oder unmittelbare Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59 59
III. Personelle Reichweite der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Interessen- oder Legitimationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Repräsentationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Theorie der erweiterten Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Folgerungen aus der Gesamtrepräsentation . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wortlaut, Systematik und Konzeption der Tarifautonomie . . . b) Tatsächliche Anhaltspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesetzliche Anhaltspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Ordnungsfunktion des Tarifvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Trennung von Tarifautonomie, Normsetzungsbefugnis und inhaltlicher Rechtmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Gleichklang mit der sachlichen Reichweite der Tarifautonomie 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.
Koalitionseigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegnerunabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Leistungen an die organisierten Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . b) Leistungen an die Gewerkschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Arbeitgeber als Schiedsrichter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60 60 63 65 65 66 66 67 68 69 70 70 71 74 76 78 80 81 82 83 84 86 86 87 87
Inhaltsverzeichnis 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Tarifliche Regelungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtstechnische Ausgestaltung von Differenzierungsklauseln . . . . . . 1. Einfache Differenzierungsklauseln und Klauseln mit besonderem Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tarifausschlussklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Organisations- und Absperrklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Spannenklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Differenzierungen mittels Gemeinsamer Einrichtungen gemäß § 4 Abs. 2 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begrenzung der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis auf auch normativ Regelbares? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Keine tarifliche Regelungsbefugnis für Selbsterhaltungsmaßnahmen? V. Begrenzung der Normsetzungsbefugnis durch faktische Außenseiterwirkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Differenzierungsklauseln als Mitgliedsbeitrag ohne Mitgliedschaft? . . VII. Vertrag zu Lasten Dritter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89 89 91
V. C.
D.
9
Inhaltliche Rechtmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bindung der Tarifverträge an die Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Wirkung der Grundrechte im Privatrecht im Allgemeinen . . . 2. Entwicklung des Meinungsstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgerungen für den Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine unmittelbare Grundrechtsbindung aufgrund Art. 1 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine mittelbare Einwirkung der Grundrechte durch zivilrechtliche Generalklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine nur mittelbare Grundrechtsbindung aufgrund der Schutzpflichtenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine gelockerte Grundrechtsbindung aufgrund „kollektiv ausgeübter Privatautonomie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Keine unzulässige Tarifzensur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Insbesondere: Grundrechtsbindung bei der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91 92 94 94 95 97 97 97 99 100 101 102 103 104 104 105 106 107 108 110 112 112 112 113 113 115 115
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Inhaltsverzeichnis aa) Grundrechtsbindung bei nur mittelbarer Betroffenheit der Außenseiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Grundrechtsbindung im schuldrechtlichen Teil . . . . . . . . . cc) Kongruenz von Schutzbereichsbestimmung und Kontrollmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.
Die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutz der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schutz der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schutz der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedeutung des Streits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Stellungnahmen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Eigener Standpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Koalitionsfreiheit bis 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art. 159 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Spiegelbildargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) „Spiegelbildlicher“ Inhalt der negativen Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Unmittelbare Drittwirkung gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Freiwilligkeit des Koalitionszusammenschlusses . . . . . . . gg) Koalitionspluralismus und Koalitions(un)willigkeit . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestimmung des Eingriffs – Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Druckbestimmung des Großen Senats (Sozialadäquanz) . bb) Kritik am Kriterium der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . cc) Erheblichkeitskriterium des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . .
117 118 119 119 120 120 122 122 122 124 125 126 126 126 128 131 132 132 133 134 137 139 142 142 143 147 147 148 150 151 152 152 152 153
Inhaltsverzeichnis dd) De-facto-Abkehr vom Kriterium der Sozialadäquanz . . . . ee) Höhe des durchschnittlichen Gewerkschaftsbeitrags als Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Pekuniär nicht bezifferbare Boni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelne Klauselarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einfache Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tarifausschlussklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Spannenklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtfertigung des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Legitimes Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mitgliederwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Lastenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zulässigkeit einer Differenzierung in doppelter Höhe des Gewerkschaftsbeitrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Keine Begrenzung nach oben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) § 138 BGB als definitive Höchstgrenze . . . . . . . . . . . (4) Verfassungsrechtlicher Graubereich . . . . . . . . . . . . . . (5) Unangemessenheit von Differenzierungen im Hinblick auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die positive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten . . . . . . . . . . . . 1. Veränderte Rahmenbedingungen: Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit bei Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entwicklung in rechtlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entwicklung in tatsächlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die kollektive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten . . . . . . . a) Differenzierungsklauseln als Mittel gewerkschaftlichen Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Den Abschluss entsprechender Konkurrenztarifverträge weiterhin ermöglichende Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gegen den Abschluss entsprechender Konkurrenztarifverträge gerichtete Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 154 154 156 157 157 157 158 158 159 160 160 160 160 162 162 163 164 165 166 166 167 168 170 171 172 173 173 177 179 180 180 180 182 182
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Inhaltsverzeichnis bb) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG und die kollektive Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die individuelle Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein Übertrittsdruck aufgrund der Nachbindung des Alt-Tarifvertrags gemäß § 3 Abs. 3 TVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eingriff in die positive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis und abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.
V.
Die Arbeitsvertragsfreiheit von Außenseiter und Arbeitgeber . . . . . . . 1. Dogmatische Herleitung der Arbeitsvertragsfreiheit . . . . . . . . . . . 2. Folgerungen für die Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einfache Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tarifausschlussklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Spannenklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Organisations- bzw. Absperrklauseln und mitgliedschaftsorientierte Kündigungsschutzklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tarifausschlussklauseln und Spannenklauseln . . . . . . . . . . . . . b) Organsations- bzw. Absperrklauseln und mitgliedschaftsorientierte Kündigungsschutzklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183 184 184 185 186 187 187 188 189 190 192 192 193 194 194 195 196 197 197 199 199 200 200 201 202 203
Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ungleichbehandlung durch Differenzierungsklauseln und Rechtfertigungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prüfungsmaßstab vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beteiligung der Außenseiter am Arbeitskampf als Sonderfall? . . . 5. Atypische Differenzierungsklausel als Sonderfall? . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
204
206 208 211 212 213
VI. Verstoß gegen § 75 Abs. 1 BetrVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
214
204
Inhaltsverzeichnis 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
214 215 216
VII. Verstoß gegen § 242 BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unzumutbarkeit von Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unzumutbarkeit für den Tarifpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unzumutbarkeit für den verbandsangehörigen Arbeitgeber . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
216 216 217 218 218 220 222
VIII. Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung als Grenze? . . . . . . . 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
222 222 223 226
IX. Verstoß gegen das Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG)? . . . . . 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
226 227 228 230
X.
Verstoß atypischer Differenzierungsklauseln gegen § 3 Abs. 1, 3, § 4 Abs. 1 TVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Teil 3 Folgefragen
A.
B.
13
232
Folgen der Bezugnahme auf Tarifverträge mit einfachen Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 I.
Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II.
Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 1. Auslegung der Bezugnahmeklausel als Statusfiktion . . . . . . . . . . . 234 2. Nichteinbeziehung der einfachen Differenzierungsklausel aufgrund von § 305 c Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
232
III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
237
Die Erstreikbarkeit von Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . .
237
I.
Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
238
II.
Auseinanderdriften von Tarifrecht und Arbeitskampfrecht . . . . . . . . . .
239
III. Teilnahme des Außenseiters am Streik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240
IV.
241 241 242
Gleichlauf von tariflichem Vereinbarungskanon und Erstreikbarkeit? . 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
Inhaltsverzeichnis a) Keine grundsätzliche soziale Inadäquanz eines Arbeitskampfs um Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erstreikbarkeit von schuldrechtlichen Tarifklauseln . . . . . . . . . c) Arbeitskampf um einen auch differenzierenden Tarifvertrag . . d) Arbeitskampf um einen ausschließlich differenzierenden Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
A.
242 243 243 244 245
Teil 4 Schlussbetrachtung
246
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246
I.
Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . .
246
II.
Tarifliche Regelungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246
III. Inhaltliche Rechtmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinbarkeit von Differenzierungsklauseln mit Verfassungsrecht 2. Vereinbarkeit von Differenzierungsklauseln mit einfachem Recht .
247 247 248
IV.
Folgefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
249
Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
252
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
269
B.
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. a. F. a. M. Abs. AcP AEntG AGB AiB AK-GG AKR Anm. AP ArbG ArbGG ArbR-Hdb. ArbuR ArbVG ArbZG ARS Art. Aufl. AZO BAG BAGE BAT BB BBiG Bd. Begr. Beil. BetrVG
anderer Ansicht am angegebenen Ort alte Fassung am Main Absatz Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Arbeitnehmer-Entsendegesetz Allgemeine Geschäftsbedingungen Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift) Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Reihe Alternativkommentare) Arbeitskampfrecht Anmerkung Arbeitsrechtliche Praxis (ab 1954 Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrechtshandbuch Arbeit und Recht (Zeitschrift) Arbeitsverfassungsgesetz (Österreich) Arbeitszeitgesetz Arbeitsrechtssammlung Artikel Auflage Arbeitszeitordnung Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts – Amtliche Sammlung Bundesangestelltentarifvertrag Betriebs-Berater (Zeitschrift) Berufsbildungsgesetz Band Begründer Beilage Betriebsverfassungsgesetz
16 BGB BGBl. BGE BGer BGH BGHZ BK BK/TVG-AKR Bl. BUrlG BVerfG BVerfGE bzw. ca. CDU CGM d. h. DAG DB dbb dens. ders. DGB dies. Dig. Diss. DM DP e.V. Einl. EMRK ErfKomm et al. etc. EU EuGH EuGRZ EzA
Abkürzungsverzeichnis Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts – Amtliche Sammlung Schweizerisches Bundesgericht Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen – Amtliche Sammlung Basiskommentar Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht, Basiskommentar Blatt Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – Amtliche Sammlung beziehungsweise circa Christlich-Demokratische Union Christliche Gewerkschaft Metall das heißt Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Der Betrieb (Zeitschrift) ehemals: Deutscher Beamtenbund, heute: dbb beamtenbund und tarifunion denselben derselbe Deutscher Gewerkschaftsbund dieselbe(n) Digesten Dissertation Deutsche Mark Deutsche Partei eingetragener Verein Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht et alii et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht
Abkürzungsverzeichnis f. FDP ff. FG Fn. FS GDBA GdF GDL GG ggf. GS GTB GWB h. L. h. M. Halbs. HGR Hrsg. HStR i. e. S. i. H.v. i. S. d. i. S.v. i.V. m. i.w. S. IG IG BCE JöR JR JurA jurisPR-ArbR JuS JZ KK krit. KSchG LAG LAGE Leits. lit.
folgende Freie Demokratische Partei fortfolgende Festgabe Fußnote Festschrift Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamten und Anwärter Gewerkschaft der Fluglotsen Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer Grundgesetz gegebenenfalls Gedenkschrift Gewerkschaft Textil/Bekleidung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen herrschende Lehre herrschende Meinung Halbsatz Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa Herausgeber Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland im engeren Sinne in Höhe von im Sinne der/des im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne Industriegewerkschaft Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Analysen (Zeitschrift) juris PraxisReport Arbeitsrecht Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung Kompaktkommentar kritisch(er) Kündigungsschutzgesetz Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Leitsatz littera
17
18 m.w. Nachw. Mio. MünchArbR MünchKomm n. v. Nachw. NJW Nr. NZA OR ÖTV OVG RArbBl. RArbG RdA RG RGBl. RGZ
Abkürzungsverzeichnis
mit weiteren Nachweisen Million(en) Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetz nicht veröffentlicht Nachweis(e) Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Obligationenrecht (Schweiz) Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr Oberverwaltungsgericht Reichsarbeitsblatt Reichsarbeitsgericht Recht der Arbeit (Zeitschrift) Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen – Amtliche Sammlung Rn. Randnummer Rspr. Rechtsprechung S. Satz/Seite SAE Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Zeitschrift) sec(s). section(s) SGG Sozialgerichtsgesetz sog. sogenannte(n, r, s) Sonderbeil. Sonderbeilage SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands str. streitig TULR(C)A 1992 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 TVG Tarifvertragsgesetz TVöD Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst TVVO Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten (Tarifvertragsverordnung) u. a. und andere, unter anderem UFO Unabhängige Flugbegleiter Organisation e.V. UrhG Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) USA United States of America UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb VC Vereinigung Cockpit e.V. ver.di Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Abkürzungsverzeichnis vgl. WRV z. B. ZAF ZAS ZDS ZfA ZIP ZTR
19
vergleiche Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel Zeitschrift für ArbeitsmarktForschung (österreichische) Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes
Teil 1
Einleitung A. Überblick – Die Renaissance der Differenzierungsklausel Die Fragestellung ist wahrlich nicht neu: Dürfen Gewerkschaften für ihre Mitglieder exklusive Tarifvertragsinhalte vereinbaren, auf die Außenseiter keinen Zugriff erhalten können, sei es durch eine individualvertragliche Regelung mit dem Arbeitgeber, sei es vermittelt durch eine Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 Abs. 1 TVG? Die Frage nach der Rechtmäßigkeit sog. Differenzierungsklauseln beschäftigt Rechtswissenschaft und Judikatur schon seit der Weimarer Zeit. Nach Schaffung des GG entflammte die Diskussion erneut in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. So bestimmte sie maßgeblich den 46. Deutschen Juristentag 1966 in Essen. 1 Durch den Beschluss des Großen Senats des BAG vom 29. 11. 1967 wurden die Weichen für die nächsten Jahrzehnte der Tarifvertragspraxis zunächst gestellt: Nach Auffassung des Gerichts verstießen Differenzierungsklauseln insbesondere gegen die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten und waren nicht mehr von der „Tarifmacht“ der Tarifvertragsparteien gedeckt. Sie wurden daher als unzulässig betrachtet. 2 Die Entscheidung sah sich im Folgenden erheblicher Kritik aus dem Schrifttum – beinahe einhellig im Hinblick auf die Begründung, zu einem beachtlichen Teil auch im Hinblick auf das Ergebnis – ausgesetzt, die bis heute nicht verstummt ist. 3 Auch verweigerten einige Instanzgerichte dem BAG ihre Gefolgschaft. Gleichwohl geriet die Differenzierungsklausel im Folgenden weitgehend aus dem Fokus der arbeitsrechtlichen wie gewerkschaftspolitischen Diskussion.
1 Vgl. dazu die von Krüger und Biedenkopf verfassten Gutachten in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des sechsundvierzigsten Deutschen Juristentages, Essen 1966, Band I, Teil 1, Sinn und Grenzen der Vereinbarungsbefugnis der Tarifvertragsparteien, München / Berlin, 1966. 2 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 ff. Siehe näher unten unter Teil 1 E. 1. 3 Siehe aus neuerer Zeit etwa Franzen, RdA 2006, 1 (3 f.); Gamillscheg, NZA 2005, 146 (147 f.); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 123 ff.
22
1. Teil: Einleitung
In den letzten Jahren ist die Diskussion zu neuem Leben erwacht. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn der Wunsch der Gewerkschaften, die eigenen Reihen durch neue Mitglieder zu stärken, ist weiterhin vernehmbar, und vielleicht drängender als je zuvor. Wie schon in den Sechzigerjahren klagen die Arbeitnehmervertretungen weiterhin über einen im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Mitgliedsstaaten geringen Organisationsgrad. Die Situation hat sich mit den Jahren jedoch verschärft: War im Jahr 1980 noch ca. ein Drittel der Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert, war es im Jahr 2003/2004 nur noch ein gutes Fünftel. 4 1991 hatten die DGB-Gewerkschaften noch ca. 11,8 Mio. Mitglieder; 2010 waren es nur noch rund 6,2 Mio. 5 Des Weiteren droht gerade den großen DGB-Gewerkschaften mittlerweile nicht nur Ungemach von Seiten der Nichtorganisierten, sondern auch eine zunehmende Konkurrenz insbesondere von Spartengewerkschaften; gerade Arbeitnehmer mit Spezialkenntnissen, die kurzfristig kaum substituierbar sind, schließen sich zu kleinen, aber enorm schlagkräftigen Koalitionen zusammen, da sie ihre Interessen so besser durchsetzen zu können hoffen. Im zunehmenden Gewerkschaftswettbewerb erscheinen Differenzierungsklauseln als attraktives Gestaltungsinstrument, um einen Anreiz zum Verbandsbeitritt bzw. zum Übertritt zu setzen. 6 Gegenwärtig fassen die Gewerkschaften erkennbar neuen Mut und versuchen vermehrt, Tarifverträge mit Differenzierungsklauseln auszuhandeln. Immer häufiger haben sie damit Erfolg, handelt es sich bei den Gesamtvereinbarungen doch mittlerweile regelmäßig um Sanierungstarifverträge, in denen sich die Gewerkschaften ihre Zustimmung zu meist einschneidenden Regelungen durch das Zugeständnis von Differenzierungsklauseln „abkaufen“ lassen. 7 Schon Mitte der Neunzigerjahre erregten wieder Überlegungen aus Kreisen der ÖTV öffentliches Aufsehen, denen zufolge Gewerkschaftsmitgliedern gewisse exklusive Vorteile tarifvertraglich versprochen werden sollten. 8 Mittlerweile macht insbesondere die IG-Metall mit Forderungen nach „Tarifboni“ von sich Reden. Dabei handelt es sich der Sache nach um nichts anderes als um Differenzierungsklauseln. Bei mehreren Tarifabschlüssen im Jahr 2004 ist es ihr gelungen, exklusive Erholungsbeihilfen, zusätzliche Altersvorsorge, Sonderzahlungen und Regelungen zur Beschäftigungssicherung nur für Gewerkschaftsmitglieder durchzusetzen. 9 Im IG-Metall-Bezirk Nordrhein-Westfalen sollen 2009 bereits 189 Tarifverträge 4 Vgl. die Übersichten bei Biebeler / Lesch, IW-Trends 4/2006, S. 4 f.; Mau / Verwiebe, Die Sozialstruktur Europas, S. 82; Schnabel, ZAF 2005, 181 (184 f.). Siehe auch Berg et al., BK, § 3 TVG Rn. 111; Koop, Tarifvertragssystem, S. 34 f.; Wendeling-Schröder in: Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 239. 5 Vgl. www.dgb.de/uber-uns/dgb-heute/mitgliederzahlen. 6 Vgl. Franzen, RdA 2008, 193 (199); Kocher, NZA 2009, 119. 7 Vgl. zum Ganzen Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 199 f. 8 Zachert, Tarifpolitik, S. 194 ff.
B. Differenzierungsklauseln als Mittel der Organisationspolitik
23
mit Bonusregelungen für Gewerkschaftsmitglieder in Kraft sein. 10 Über 150 dieser Tarifverträge sollen Sanierungstarifverträge sein. 11 Aber auch ver.di gelingt es in letzter Zeit vermehrt, Mitgliederboni in Tarifverträgen auszuhandeln. 2008 wurde etwa mit dem Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) eine Erholungsbeihilfe i. H. v. 260 Euro vereinbart, die allein den ver.di-Mitgliedern zukommen soll. 12 Die Entscheidung des BAG zur Zulässigkeit sog. einfacher Differenzierungsklauseln vom 18. 3. 2009 dürfte den Bemühungen der Gewerkschaften um Bonusregelungen neuen Aufwind geben. 13 Sie wurde zumindest – was nicht verwundert – äußerst positiv von den Gewerkschaften aufgenommen. Auch die Politik hat sich mittlerweile dieses Themas angenommen. So gibt es etwa Bestrebungen der CDU-Landtagsfraktion von Nordrhein-Westfalen, Vorteilsklauseln für Gewerkschaftsmitglieder per Gesetz zu gestatten. 14 Die Problematik bleibt aktuell.
B. Differenzierungsklauseln als Mittel der Organisationspolitik Der Wunsch der Gewerkschaften nach mitgliedschaftsorientierter Differenzierung bei der Anwendung von Tarifverträgen ist nicht schwer nachzuvollziehen. Trotz der gesetzlichen Anordnung der Tarifbindung des § 3 Abs. 1 TVG, die im Grundsatz lediglich die Mitglieder der Tarifvertragsparteien sowie Arbeitgeber, die selbst Vertragspartner sind, erfasst, kommt es in der Arbeitswirklichkeit durchweg zur einheitlichen Anwendung tarifvertraglich vereinbarter Arbeitsbedingungen auch auf Außenseiter. Dies geschieht überwiegend durch eine individualvertragliche Bezugnahme auf den einschlägigen Tarifvertrag oder – seltener – durch eine Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 TVG. Der Arbeitgeber sorgt durch die Gleichstellung von Außenseitern und Organisierten dafür, 9 Bispinck / WSI-Tarifarchiv, Tarifbericht 2004, S. 26 f. Siehe auch Giesen, NZA 2004, 1317; Kempen, FA 2005, 14. 10 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 201; Kocher, NZA 2009, 119, m. w. Nachw. 11 Vgl. Bepler, ArbuR 2010, 234 (241). 12 Die entsprechende Regelung war Gegenstand eines Rechtsstreits, siehe ArbG Hamburg 26. 2. 2009 – 15 Ca 188/08, juris; siehe dazu auch Teil 1 E. V. Des Weiteren BAG 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, NZA 2011, 920 ff. Siehe hierzu Teil 1 E. VII. Zu weiteren in der jüngeren Praxis vereinbarten Differenzierungsklauseln siehe Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 199 ff. 13 Siehe zur Rechtsprechung Teil 1 E. 14 Siehe die Petersberger Eckpunkte der CDU-Landtagsfraktion von Nordrhein-Westfalen vom 9. 9. 2008.
24
1. Teil: Einleitung
den Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt gering zu halten; die wesentlichen Früchte gewerkschaftlicher Arbeit, die tarifvertraglich ausgehandelten Arbeitsbedingungen, erlangen die Außenseiter dadurch auch so. Aus Sicht der Außenseiter bietet es daher ökonomisch im Zweifel keinen Vorteil, der jeweiligen Gewerkschaft beizutreten. 15 Zwar erschöpfen sich die gewerkschaftsseitig erbrachten Leistungen nicht in der Bereitstellung eines Tarifvertrags. Die darüber hinausgehenden gewerkschaftlichen Angebote, wie etwa Rechtsschutz bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten, Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten oder finanzielle Unterstützung aus der Streikkasse während eines Arbeitskampfes, erscheinen den meisten Arbeitnehmern aber nicht attraktiv genug, um dafür monatlich 1 % ihres Lohns aufzuwenden. Auch die normative – und nicht nur schuldrechtliche, wie es bei der individualvertraglichen Bezugnahme der Fall ist – Wirkung der tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen bietet offenbar keinen, zumindest jedoch keinen ausreichend hohen geldwerten Vorteil, dass er zum Beitritt in die Gewerkschaft führen würde. Es geht bei der Vereinbarung exklusiver Boni also in erster Hinsicht um Mitgliederwerbung. Nur starke Gewerkschaften können erfolgreich die Interessen der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern wahrnehmen. 16 Folgerichtig ist auch die soziale Mächtigkeit einer Koalition nach ständiger Rechtsprechung Voraussetzung für ihre Tariffähigkeit gemäß § 2 TVG. 17 Gerade bei den großen DGB-Gewerkschaften resultiert soziale Mächtigkeit vornehmlich aus einem hohen Organisationsgrad. Daher liegt es aus Gewerkschaftssicht nahe, bestimmte Leistungen exklusiv nur für Mitglieder auszugestalten, um dadurch Nicht- und Andersorganisierten einen Bei- bzw. Übertritt schmackhaft zu machen und das unliebsame „Trittbrettfahren“ oder „Schmarotzertum“ zu unterbinden. Das Mittel dazu ist die tarifvertragliche Differenzierungsklausel. Dass Sondervorteile für Organisierte zu einem Anstieg des Organisationsgrads der jeweiligen Gewerkschaft führen und damit ihren Werbeeffekt auch tatsächlich entfalten können, ist nicht von der Hand zu weisen. Gewerkschaften, denen die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln gelungen ist, berichten von einem erheblichen Mitgliederzuwachs: So soll im Jahr 1964 eine besondere 15
Vgl. zur Gleichstellungsmotivation des Arbeitgebers auch Däubler, BB 2002, 1643; Franzen, RdA 2006, 1 (2); Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 (1971). 16 Vgl. BAG 11. 11. 1968 – 1 AZR 16/68, BAGE 21, 202 (207); Gamillscheg, Differenzierung, S. 84; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 56; Mürau, Sonderleistungen, S. 24; Säcker, Grundprobleme, S. 19; Wendeling-Schröder in: Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 239; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 17 f. 17 Siehe etwa BVerfG 20. 10. 1981 – 1 BvR 404/78, BVerfGE 58, 233 (248 f.) (Deutscher Arbeitnehmerverband); 24. 2. 1999 – 1 BvR 123/93, BVerfGE 100, 214 (223) (Gewerkschaftsausschluss); BAG 25. 11. 1986 – 1 ABR 22/85, BAGE 53, 347; 16. 1. 1990 – 1 ABR 10/89, BAGE 64, 16 (20 f.).
B. Differenzierungsklauseln als Mittel der Organisationspolitik
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Jahreszahlung für Mitglieder der Gewerkschaft Textil-Bekleidung (GTB) im Bereich der Miederindustrie den Mitgliederbestand um 40 % erhöht haben. 18 Die vom Großen Senat für rechtswidrig erklärte Differenzierungsklausel der GTB soll deren Organisationsgrad gar auf 90 % angehoben haben. 19 Umgekehrt bleibt eine Gewerkschaft, die ihren Mitgliedern Sondervorteile verschaffen kann, auch für die bereits bei ihr Organisierten attraktiv; Verbandsaustritte können verhindert oder zumindest begrenzt werden. Neben die Werbung neuer Mitglieder tritt somit stets die Sicherung des Altbestands. Auf der anderen Seite steht hinter der Forderung nach Differenzierung auch der Wunsch nach einem Lastenausgleich zwischen Organisierten und Außenseitern. 20 Wenn die Außenseiter schon unentgeltlich in den Genuss tarifvertraglich fixierter Arbeitsbedingungen kommen – so die Überlegung –, so soll den Organisierten, die die Kosten des Tarifabschlusses tragen, zumindest ein Bonus zustehen, der die finanziellen Aufwendungen, zumindest zum Teil, wieder kompensiert. Gleichwohl wird auch im Lager der Gewerkschaften die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln nicht durchweg positiv beurteilt. Entscheidungserheblich ist dabei das Selbstverständnis der jeweiligen Gewerkschaft: 21 Vorbehalte wurden in den Siebzigerjahren insbesondere von Seiten der IG Metall geäußert, die das Verhältnis von Arbeitnehmern und Arbeitgebern nicht im Sinne einer Sozialpartnerschaft, sondern im Sinne von sozialen Gegenspielern auffasste. 22 Differenzierungsklauseln laufen in gewissem Maß der von Gewerkschaftsseite oft für sich in Anspruch genommenen Interessenvertretung für die gesamte Arbeitnehmerschaft zuwider. Wer aber alle Arbeitnehmer vertreten wolle, so die Argumentation, dürfe keine tarifvertraglichen Leistungen mitgliederexklusiv und somit gruppenegoistisch ausgestalten. Des Weiteren könne es zu einer Entpolitisierung der Mitgliedschaft führen, wenn diese nur noch aus ökonomischen Gründen und nicht aus ideellen Gründen eingegangen werde. Aber auch die Sorge vor einer zu starken Abhängigkeit von der Arbeitgeberseite spielt eine Rolle für die eher ablehnenden Stimmen auf der Gewerkschaftsseite. 23 Die aktu18
Vgl. Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 83. Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 32. Siehe auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 27, m. w. Nachw. 20 Vgl. Däubler, BB 2002, 1643 (1646); Gamillscheg, Differenzierung, S. 11; Georgi, Zulässigkeit, S. 2; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 54 f.; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 17, m. w. Nachw. 21 Vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1188; Zachert, Tarifpolitik, S. 194 (197 ff.). 22 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 365; Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 17. 23 Vgl. zum Ganzen Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1188; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 365; Kempen, FA 2005, 14 (15); Leydecker, Der Tarifvertrag als 19
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1. Teil: Einleitung
elle Entwicklung zeigt jedoch, dass die dargestellten Bedenken mehr und mehr in den Hintergrund treten. So war es, wie gesehen, zuletzt insbesondere die seinerzeit den Differenzierungsklauseln skeptisch gegenüberstehende IG Metall, die mit der Forderung nach Tarifboni für ihre Mitglieder in die Tarifverhandlungen gegangen ist.
C. Terminologie und dogmatische Einordnung Trotz mittlerweile rund 50-jähriger Diskussion in Literatur und Rechtsprechung hat sich bislang keine einheitliche Terminologie im Bereich der Erörterung von „Differenzierungsklauseln“ herausgebildet. Die vorliegende Erörterung fasst den Begriff weit und versteht darunter all jene tarifvertraglichen Absprachen, die (bestimmte) Tarifleistungen nur für Gewerkschaftsmitglieder vorsehen. 24 Im Folgenden soll daher ein kurzer Überblick über die relevanten Begrifflichkeiten gegeben und eine Systematisierung derselben versucht werden. Eine erste grobe Unterteilung kann dahingehend getroffen werden, ob Differenzierungsklauseln auf den Bestand von Arbeitsverhältnissen abzielen oder deren Inhalt regeln sollen.
I. Differenzierung im Hinblick auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses 1. Organisations- oder Absperrklauseln Zu nennen sind zunächst sog. Organisations- oder Absperrklauseln. Diese Absprachen werden im Schrifttum meist vorab erörtert und somit nicht unter den Begriff „Differenzierungsklausel“ subsumiert. 25 Unter Organisationsklauseln sind Regelungen zu verstehen, die den Arbeitgeber verpflichten sollen, generell nur Organisierte oder nur Mitglieder einer bestimmten Gewerkschaft zu beschäftigen (sog. closed shop). Im erstgenannten Fall spricht man von allgemeinen, in letzterem von beschränkten Organisationsklauseln. 26 Gemäß dem oben zugrunde exklusives Gut, S. 27 f.; Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 17 ff.; Zachert, Tarifvertrag, S. 187. 24 Ähnlich auch Franzen, RdA 2001, 1 (9). Siehe ebenfalls Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 31, der „Differenzierungsklauseln“ als Oberbegriff für solche Bestimmungen verwendet, die eine unterschiedliche Behandlung von Organisierten und Außenseitern bewirken (sollen). 25 Siehe Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 556 ff.; Kovács, Spannungsverhältnis, S. 302; Krause in: Jacobs / Krause / Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 50 f.; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 515; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 274; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 11.
C. Terminologie und dogmatische Einordnung
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gelegten weiten Verständnis spricht im Grunde nichts dagegen, auch Organisationsklauseln als Differenzierungsklauseln aufzufassen. Bei diesem Verständnis wäre eine Organisationsklausel diejenige Differenzierungsklausel mit den gravierendsten Auswirkungen für Nicht- oder Andersorganisierte: Ihnen wird das Arbeitsverhältnis mit dem tarifgebundenen Arbeitgeber unmöglich gemacht. Die Tendenz dahingehend, Organisationsklauseln nicht zu den Differenzierungsklauseln (i. w. S.) zu zählen, dürfte zum einen historisch begründet sein: In Deutschland waren Organisationsklauseln seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in der Rechtswirklichkeit anzutreffen und hinsichtlich ihrer Zulässigkeit umstritten. 27 Nach 1945 hat es jedoch keine gewerkschaftlichen Bestrebungen mehr gegeben, solche Klauseln zu vereinbaren, 28 so dass sie mehr oder weniger zwangsläufig aus dem Fokus des öffentlichen Interesses rückten. Als die Diskussion um die Rechtmäßigkeit von Differenzierungsklauseln in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts ihren ersten Höhepunkt erreichte, hatte sich die gewerkschaftliche Ausrichtung verändert. Ein nicht unerheblicher Umstand hierfür dürfte die Tatsache sein, dass in Deutschland bis 1966 ein beachtlicher Überschuss von Arbeitsplätzen vorhanden war; die anschließende Wirtschaftskrise der Jahre 1966/67 hatte die rechtswissenschaftliche Diskussion noch nicht erreicht. Zu Zeiten von – heute kaum mehr vorstellbarer – Vollbeschäftigung bestand kaum die Gefahr, dass Gewerkschaftsmitglieder durch Außenseiter von ihren Arbeitsplätzen verdrängt würden. Diese geänderten Rahmenbedingungen hatten freilich auch eine andere Zielsetzung und Politik der Gewerkschaften zur Folge. 29 Zum anderen ist festzustellen, dass Organisationsklauseln seit Geltung des GG von der h. M. – recht pauschal – als verfassungswidrig eingestuft werden. 30 26
Siehe Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 388. Begrifflich ist diese Art der Unterscheidung freilich missglückt: Die allgemeine Klausel schließt regelmäßig einen kleineren Personenkreis aus als die beschränkte Klausel, vgl. schon Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 12 f., und Hölters, Harmonie, S. 22. Die Bezeichnung soll aber dennoch, weil so gebräuchlich, im Folgenden beibehalten werden. Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 25 f., hingegen möchte die beschränkte Differenzierungsklausel in „offensive“ Differenzierungsklausel, die allgemeine in „defensive“ Differenzierungsklausel umbenennen, weil letztere im Gegensatz zur ersteren von einer gewissen Solidarität unter den Gewerkschaften zeuge. 27 Vgl. etwa Gamillscheg, Differenzierung, S. 9 f.; Kurlbaum, Koalitionen und Koalitionskampfmittel – Arbeitsrechtliche Seminarvorträge, S. 78 f.; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 162 f., jeweils m. w. Nachw. 28 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 388; Georgi, Zulässigkeit, S. 3. 29 Vgl. zum Ganzen auch Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 14 f. 30 Vgl. Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 95; Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 182. A. A. aber Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 126 f., nach dem derartige Klauseln wirksam sein sollen, sofern die Betroffenen in zumutbarer Entfernung von ihrem Wohnsitz eine gleichwertige Arbeit finden können, ohne zuvor einer Gewerkschaft beigetreten zu sein.
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1. Teil: Einleitung
An den entsprechenden Stellen dieser Untersuchung ist auch auf derartige Differenzierungsklauseln (i. w. S.) zurückzukommen. 2. Mitgliedschaftsorientierte Kündigungsschutzklauseln Vorstellbar ist auch ein tarifvertraglich vereinbarter besonderer Kündigungsschutz für Gewerkschaftsmitglieder. Derartige Klauseln finden sich neuerdings anscheinend in Tarifverträgen der IG-Metall. Mehrere Ausgestaltungsmöglichkeiten sind denkbar: So könnte eine Tarifbestimmung vorsehen, dass eine betriebsbedingte Kündigung gegenüber Organisierten nicht ausgesprochen werden darf oder zumindest der vorherigen Zustimmung der Gewerkschaft bedarf. 31
II. Differenzierung im Hinblick auf den Inhalt des Arbeitsverhältnisses 1. Einfache und qualifizierte Differenzierungsklauseln Regelmäßig wird zwischen einfachen und qualifizierten Differenzierungsklauseln unterschieden. 32 Eine einfache Differenzierungsklausel liegt vor, wenn die Gewerkschaftsmitgliedschaft zur Tatbestandsvoraussetzung für eine bestimmte tarifvertragliche Leistung gemacht wird, ohne dass es dem Arbeitgeber verwehrt wird, entsprechende Vereinbarungen mit Außenseitern abzuschließen. Diese Differenzierungsklauseln sind in der momentanen Tarifpraxis primär anzutreffen. 33 Das Abstellen auf die Gewerkschaftsmitgliedschaft kann einerseits deklaratorisch gemeint sein, also in dem Sinn, dass der Norminhalt der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 S. 1 TVG nur wiederholt wird, ohne eine eigenständige Regelung treffen zu wollen. Derartige Klauseln werfen keine rechtlichen Probleme auf; bei genauerer Betrachtung handelt es sich bei ihnen nicht um Differenzierungs-, sondern um (überflüssige) „Gesetzestextwiederholungsklauseln“. Hat eine Klausel andererseits aber konstitutiven Charakter, so können Außenseiter bei individualvertraglicher Bezugnahme auf den Tarifvertrag oder bei dessen Allgemeinverbindlicherklärung die entsprechenden Leistungen nicht erlangen. Ob diese Wirkung gewollt ist, ist durch Auslegung der tariflichen Regelung zu ermitteln. Die Rechtsprechung hat den Tarifvertragsparteien bisher im Allgemeinen einen Regelungswillen, der auf eine konstitutive Klausel abzielt, abgesprochen. 34 31 Siehe zum Ganzen Boss, BB 2009, 1238 (1240 ff.); Franzen, RdA 2006, 1 (5); Gamillscheg, NZA 2005, 146 (150). 32 Siehe nur Däubler, BB 2002, 1643 f.; Dorndorf, ArbuR 1988, 1, 5 f.; Mengel/Burg in: Thüsing / Braun, Tarifrecht, 5. Kap. Differenzierungsklauseln Rn. 2 ff.; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 14 ff. 33 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 211.
C. Terminologie und dogmatische Einordnung
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Richtigerweise ist im Zweifelsfall in derartigen Fällen hingegen von einer konstitutiven Klausel auszugehen, da nicht anzunehmen ist, dass die Tarifvertragsparteien eine überflüssige Regelung treffen wollten. 35 Das TVG unterscheidet in § 1 Abs. 1 lediglich zwischen schuldrechtlichen und normativen Bestimmungen; die Kategorie „rein deklatorische Klauseln“ lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen und wäre zumindest begründungsbedürftig. 36 Diese Sichtweise des BAG beruhte letztlich auf der bloßen Behauptung, die Vertragsparteien hätten keine Regelung treffen wollen. 37 Sofern eine Regelung zusätzlich zur Mitgliedschaft an die Dauer der Gewerkschaftszugehörigkeit anknüpft, musste allerdings auch die Rechtsprechung von einer konstitutiven Klausel ausgehen, da in diesem Fall ein greifbarer Vergleichsmaßstab für Außenseiter fehlt. 38 In seiner aktuellen Entscheidung zur Zulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln kommt auch das BAG nun durch Auslegung der konkreten Klausel zu dem Ergebnis, dass die Gewerkschaftsmitgliedschaft konstitutive Bedeutung für den Anspruch haben müsse. Die Argumentation lässt sich aber über den Einzelfall hinaus zugunsten einer regelmäßig gewollten eigenständigen Regelung fruchtbar machen: „Da der Tarifvertrag ohnehin nur tarifgebundenen Arbeitnehmern einen Anspruch verschaffen kann, muss die Sonderregelung für ver.di-Mitglieder nach dem Willen der Tarifvertragsparteien eine eigene, konstitutive Bedeutung haben.“ 39
Dem ist zuzustimmen. Durch qualifizierte Differenzierungsklauseln hingegen soll der Arbeitgeber daran gehindert werden, bestimmte Vergünstigungen auch den Nicht- oder Andersorganisierten zukommen zu lassen. Sie lassen sich weiter in Tarifausschlussund Spannen(sicherungs)- oder Abstandsklauseln untergliedern. 40 34 Siehe zuletzt etwa BAG 23. 3. 2005 – 4 AZR 203/04, BAGE 114, 186 (191); BAG 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439 (1440 f.). Ebenso Greiner, Rechtsfragen, S. 371; Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 38; Zachert, DB 1995, 322. 35 Siehe Dorndorf, ArbuR 1988, 1 (6); Franzen in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, § 1 TVG Rn. 94; Jacobs, FS Bauer, S. 479 (482); Klebeck, SAE 2007, 271 (283 f.); Mengel/Burg in: Thüsing / Braun, Tarifrecht, 5. Kap. Differenzierungsklauseln Rn. 4. Zur Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit beurkundeter Rechtsgeschäfte vgl. Rieble, RdA 1997, 134 (139 f.). 36 Zutreffend Sandmann, RdA 2002, 73 (77). 37 Klebeck, SAE 2008, 97; Sandmann, RdA 2002, 73 (78). 38 Vgl. BAG 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439 (1440 f.). Vgl. schon Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 144 f. 39 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1031); zustimmend Spielberger, NZW 2010, 170. Ebenso LAG Rheinland-Pfalz 25. 3. 2010 – 10 Sa 695/09, juris, Rn. 105. 40 So auch die wohl h. M., vgl. Däubler, BB 2002, 1643 (1644); Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 194; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 14 ff.; a. A. etwa Hensche in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 868 ff., der zu den qualifizierten Differenzierungsklauseln offenbar nur die Spannen(sicherungs)- oder Abstandsklauseln zählt. Auch bei Biedenkopf,
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1. Teil: Einleitung
2. Tarifausschlussklauseln Im Gegensatz zu den oben beschriebenen Organisationsklauseln schließen Tarifausschlussklauseln die Außenseiter nicht von der Arbeit selbst, wohl aber von einzelnen tariflichen Regelungen aus. Rechtstechnisch wird dies dadurch erreicht, dass der Arbeitgeber im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags verspricht, Außenseitern bestimmte Vergünstigungen nicht zu gewähren. 41 Auch Tarifausschlussklauseln können so ausgestaltet werden werden, dass sie entweder nur Nichtorganisierte (sog. allgemeine Tarifausschlussklausel) oder Nichtund Andersorganisierte (sog. beschränkte Tarifausschlussklausel) von tarifvertraglichen Vergünstigungen ausschließen. 42 3. Spannen(sicherungs)- oder Abstandsklauseln Eine Spannen(sicherungs)- oder Abstandsklausel, im Folgenden nur Spannenklausel genannt, hindert den Arbeitgeber nicht daran, Außenseitern Leistungen zu gewähren, die denen entsprechen, die den Gewerkschaftsmitgliedern tariflich zugesagt wurden. 43 Jedoch ist der Arbeitgeber bei einer derartigen Gewährung verpflichtet, den Gewerkschaftsmitgliedern einen zusätzlichen Entgeltvorsprung einzuräumen, so dass zwischen Organisierten und Außenseitern stets ein Abstand besteht, den letztere nicht überwinden können. Sofern man auf ihre Wirkungsweise abstellt, kann man Spannenklauseln als Spielart der Tarifausschlussklauseln verstehen; der „Ausschluss“ besteht in dem uneinholbaren Vorsprung der Gewerkschaftsmitglieder vor den Außenseitern. 44 Rechtstechnisch unterscheiden sich Spannenklauseln dadurch von Tarifausschlussklauseln, dass ihre Vereinbarung sowohl im schuldrechtlichen als auch im normativen Teil des Tarifvertrags denkbar ist. 45 Dabei ist zu beachten, dass Gutachten, S. 137, findet sich eine dahingehende Unterscheidung. Beide Klauseln zu Unrecht gleichsetzend Georgi, Zulässigkeit, S. 5 f. und passim. 41 Zur dogmatischen Einordnung siehe näher Teil 2 C. II. 2. 42 Siehe Blom, Tarifausschlußklausel, S. 17; Franzen, RdA 2006, 1, 2; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 13; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 11 f. Die terminologische Ungenauigkeit (s. o. Fn. 26) setzt sich hier fort. Kovács, Spannungsverhältnis, S. 301 f., versteht unter einer beschränkten Tarifausschlussklausel eine Regelung, die nur Andersorganisierte von den tariflichen Arbeitsbedingungen ausschließt. Eine derartige Differenzierung ist – soweit ersichtlich – jedoch noch von keiner Gewerkschaft gefordert worden. 43 In der älteren Literatur werden die Begriffe „Spannenklausel“ und „Differenzierungsklausel“ noch häufig synonym verwendet, siehe etwa Biedenkopf, Gutachten, S. 118; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 59; Richardi, Kollektivgewalt, S. 203 f. 44 Ebenso Gamillscheg, Differenzierung, S. 74: „gleiche Wirkung wie eine Tarifausschlußklausel“; Kovács, Spannungsverhältnis, S. 302: „eine Art Tarifausschlussklausel“. Vgl. auch Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 59; Richardi, Kollektivgewalt, S. 204.
D. Differenzierungsklauseln im Rechtsvergleich
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nach nicht bestrittener Auffassung nur solche Leistungen einen Zusatzanspruch auslösen, die kollektiv an Außenseiter aufgrund ebendieser Eigenschaft erbracht werden. Gratifikationen an einzelne Arbeitnehmer reichen nicht aus. 46 Eine Unterscheidung in allgemeine und beschränkte Spannenklauseln ist auch hier denkbar.
III. Außenseiter Aus diesen Ausführungen ergibt sich auch der Begriff der Außenseiter: Darunter sind diejenigen Arbeitnehmer zu verstehen, die entweder überhaupt nicht organisiert sind (Nichtorganisierte) oder einer anderen als der tarifabschließenden Gewerkschaft angehören (Andersorganisierte). 47 Dies entspricht auch der Terminologie des BAG. 48
D. Differenzierungsklauseln im Rechtsvergleich Der zunehmende Mitgliederschwund und die daraus resultierende sinkende Verhandlungsmacht sind keine Probleme, denen sich nur deutsche Gewerkschaften zu stellen haben. Auch anderen Rechtsordnungen ist die Frage nach der Zulässigkeit tariflicher Differenzierung zu Werbe- und Bindezwecken nicht fremd. Bei einer vergleichenden Betrachtung der unterschiedlichen Rechtskreise ist freilich Vorsicht geboten, unterscheiden sich die soziologischen und historischen Voraussetzungen des kollektiven Arbeitsrechts der einzelnen Länder zum Teil doch erheblich. 49 So sind bedeutsame Unterschiede hinsichtlich des Netto-Organisationsgrads, d. h. dem Verhältnis von beschäftigten Gewerkschaftsmitgliedern zur Anzahl der abhängig Beschäftigten, in den unterschiedlichen Ländern erkennbar, die jedoch mannigfaltige Ursachen haben können: Recht hoch lag der Anteil der organisierten Arbeitnehmer im Jahr 2005 etwa in den skandinavischen Staaten Schweden (76 %), Finnland und Dänemark (jeweils 72 %), was aber wohl überwiegend mit der Ansiedlung der (freiwilligen, staatlich subventionierten) Arbeitslosenversicherung bei den Gewerkschaften zu erklären sein dürfte. 50 In sonstigen Mitgliedsstaaten der EU lag der Netto-Organisationsgrad wesentlich 45
Siehe näher dazu Teil 2 C. II. 4. Gamillscheg, Differenzierung, S. 74 f.; Hölters, Harmonie, S. 24; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 16; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 17. 47 Vgl. etwa Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 11; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 275, zur Außenseiterklausel. 48 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (186). 49 Überblickartig dazu Rebhahn, NZA 2001, 763 ff. 50 Vgl. Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, Rn. 914. 46
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1. Teil: Einleitung
niedriger (Deutschland: 22 %; Frankreich: 9 %; Großbritannien: 29 %; Niederlande: 22 %). 51 In Schweden, den Niederlanden und Dänemark sind closed-shop-Vereinbarungen zulässig, spielen in der Praxis aber keine bedeutende Rolle. 52 In Österreich umfasst die normative Wirkung des Kollektivvertrags gemäß § 12 Abs. 1 ArbVG auch die Arbeitnehmer, die nicht der vertragschließenden Koalition angehören, sofern ihr Arbeitgeber kollektivvertragsangehörig ist. Daraus wird von der wohl h. M. abgeleitet, dass eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit nicht möglich ist. Höchstrichterlich wurde die Frage aber bislang nicht entschieden. 53 Das Schweizer Recht kodifiziert ausdrücklich die negative Koalitionsfreiheit: Gemäß Art. 356 a OR sind Bestimmungen eines Tarifvertrags – in der Schweiz Gesamtarbeitsvertrag genannt – und Abreden zwischen den Vertragsparteien, durch die Arbeitgeber oder Arbeitnehmer zum Eintritt in einen vertragschließenden Verband gezwungen werden sollen, nichtig; gleiches gilt für Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrags und Abreden zwischen den Vertragsparteien, durch die Arbeitnehmer von einem bestimmten Beruf oder einer bestimmten Tätigkeit oder von einer hierfür erforderlichen Ausbildung ausgeschlossen oder darin beschränkt werden. Wollen Außenseiter die Geltung des Gesamtarbeitsvertrags für sich in Anspruch nehmen, können sie sich gemäß Art. 356 b OR mit Zustimmung der Vertragsparteien dem Gesamtarbeitsvertrag anschließen; der Gesamtarbeitsvertrag kann den Anschluss näher regeln und insbesondere die Zahlung eines Solidaritätsbeitrags durch die Nichtorganisierten vorsehen. Dieses „Nutzungsentgelt“ für den Gesamtarbeitsvertrag darf nicht unangemessen hoch sein (vgl. Art. 356 b Abs. 2 S. 2 OR), sondern muss deutlich unterhalb des Mitgliedsbeitrags liegen. Ansonsten wäre zu befürchten, dass sich der Außenseiter doch gezwungen sieht, dem Verband beizutreten. 54 Im Streitfall kann der Richter die Beiträge auf das zulässige Maß beschränken. 55 Auch ein Anschlusszwang kann im Gesamtarbeitsvertrag festgelegt werden, nach dem Arbeitgeber nur Arbeitnehmer beschäftigen dürfen, die – sofern sie nicht ohnehin Mitglied der vertragschließenden Gewerkschaft sind – sich individuell dem Gesamtarbeitsvertrag angeschlossen haben. Das Schweizer Recht trennt folglich 51
Zu den Zahlen vgl. die Übersicht der Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, Rn. 909 mit Tabelle V.1. 52 Koop, Tarifvertragssystem, S. 205 f.; Steinberg, ArbuR 1975, 99 (103); Thürer, Die negative Koalitionsfreiheit, S. 1235 (1240 f.). 53 Mayer-Maly, ZAS 1969, 81 (88 f.); Pelzmann in: Henssler / Braun, Arbeitsrecht in Europa, Österreich Rn. 234; Strasser / Jabornegg, Arbeitsrecht II, S. 146, m. w. Nachw. 54 Vgl. Franzen, RdA 2006, 1 (11); Koop, Tarifvertragssystem, S. 206; Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 115; Zanetti, RdA 1973, 77 (83). 55 Vgl. etwa BGer 25. 5. 1948, BGE 74 II, 161 (168 f.); 13. 9. 1949, BGE 75 II, 305 (316 ff.).
D. Differenzierungsklauseln im Rechtsvergleich
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deutlich zwischen einem Zwang zum Verbandsbeitritt und einem Zwang zum Anschluss an den Gesamtarbeitsvertrag. 56 Ersterer ist unzulässig, Letzterer kann in Grenzen vereinbart werden. Differenzierungsklauseln im hier interessierenden Sinn sind in der Schweiz daher nicht aktuell geworden. 57 In der Literatur wird gleichwohl davon ausgegangen, dass Differenzierungsklauseln zulässig sein können, sofern die durch sie eingeräumten Vorteile nicht übermäßig sind. 58 Ähnlich ausgestaltet ist die sog. agency-shop-Vereinbarung in den USA. Die mit der Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen mehrheitlich beauftragte Gewerkschaft 59 kann mit dem Arbeitgeber vereinbaren, dass dieser einen Teil des Arbeitslohns des Außenseiters in Höhe des Gewerkschaftsbeitrags („fair share“) einbehalten und an die Gewerkschaft abführen muss. 60 Häufiger Verwendung finden jedoch sog. union-shop-Absprachen, die den Arbeitgeber verpflichten, Außenseiter vor die Wahl zu stellen, entweder innerhalb von 30 Tagen Mitglied in der für den Betrieb zuständigen Gewerkschaft zu werden oder den Arbeitsplatz zu verlieren. 61 Der National Labor Relations Act (Wagner Act) von 1935 gestattete noch die Vereinbarung einschneidender closed-shop-Klauseln; die Arbeitsvermittlung lag dabei de facto in den Händen der Gewerkschaften, die keinen allgemeinen Aufnahmeanspruch für Außenseiter in ihre Reihen vorsahen oder die Aufnahme an die Überwindung hoher, teilweise unüberwindbarer Zulassungshürden knüpften. 62 Die zunehmende wirtschaftliche Stärke der Gewerkschaften und der um sich greifende Missbrauch ihrer Vorrangstellung veranlassten den Kongress jedoch 1947 zum Erlass des Labor Management Relations Act (Taft-Hartley Act), durch den derartige Klauseln verboten wurden. 63 56
Zanetti, RdA 1973, 77 (82 f.). Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 111. Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 54, zufolge soll es gegen den Grundsatz des venire contra factum proprium verstoßen, sollten Außenseiter trotz Zahlung eines Solidaritätsbeitrags von tariflichen Leistungen ausgeschlossen werden. Näher liegt wohl bereits ein Verstoß gegen Art. 356 a OR. 58 Waas, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 147 (148 f.). 59 In den USA ist diejenige Gewerkschaft zum Aushandeln der Arbeitsbedingungen berufen, die dazu durch die Verhandlungseinheit der Arbeitnehmer des jeweiligen Betriebs, sog. bargaining unit, bestimmt worden ist. Vgl. näher Biedenkopf, JZ 1961, 346 (348); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 26 f.; Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 126. 60 Aaron, The Right of Workers, S. 945 (960); Franzen, RdA 2006, 1 (11); Gamillscheg, NZA 2005, 146; Koop, Tarifvertragssystem, S. 206. 61 Näher dazu Biedenkopf, JZ 1961, 346 (348); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 389; Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 128 f. 62 Siehe zu den damit verbundenen Problemen Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 390; Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 126 ff. 63 Aaron, The Right of Workers, S. 945 (959 f.); Steinberg, ArbuR 1975, 99 (104). Zum Ganzen näher Biedenkopf, JZ 1961, 346 (347 ff.). 57
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1. Teil: Einleitung
Der closed shop hatte auch im Vereinigten Königreich eine lange Tradition, 64 wurde jedoch in den 1980er und 1990er Jahren weitgehend beschnitten. Gemäß sec. 137 TULR(C)A 1992 darf die Gewerkschaftszugehörigkeit kein Einstellungskriterium sein; die Einstellung darf dem Bewerber auch nicht deshalb versagt werden, weil er sich der Forderung verweigert, Zahlungen aufgrund seines Außenseiterstatus zu leisten oder Lohnabzüge hinzunehmen. Sec. 146 I c) TULR(C)A 1992 verbietet Handlungen des Arbeitgebers, die sich gegen einen einzelnen Arbeitnehmer richten und darauf abzielen, ihn zum Gewerkschaftsbeitritt zu zwingen. Sec. 152 TULR(C)A 1992 bestimmt, dass eine Kündigung, die wegen Ausübung der individuellen Koalitionsbeitritts- und betätigungsfreiheit gegenüber dem Arbeitnehmer ausgesprochen wird, unzulässig ist. Damit ist eine closed-shop-Regelung auf freiwilliger Basis zwar nicht ausgeschlossen, wegen des Kündigungsverbots jedoch schwer durchsetzbar. 65 Hierin dürfte ein nicht unwesentlicher Grund dafür zu sehen sein, dass der Organisationsgrad der Gewerkschaften in Großbritannien von etwa 50 % im Jahr 1979 auf nur noch 32,5 % im Jahr 2000 zurückgegangen ist. 66 Sonstige Vereinbarungen von Gewerkschaften und Arbeitgebern, die den Organisierten exklusive Vorteile zukommen lassen sollen, sind kaum praktisch geworden; ihre Zulässigkeit ist vor dem Hintergrund der secs. 139 I, 146 I c) TULR(C)A 1992 aber zumindest fraglich. 67
E. Rechtsprechung Es ist für das Arbeitsrecht kennzeichnend, dass sich der Blick bei der Lösung von Problemfällen meist direkt der einschlägigen Rechtsprechung zuwendet; vom Gesetzgeber wird der Rechtsanwender nur allzu oft im Stich gelassen. Dies gilt insbesondere für das Kollektive Arbeitsrecht. Im Gegensatz zum Arbeitskampfrecht, welches zur Gänze in die Hände der Arbeitsgerichtsbarkeit gelegt wurde, besteht mit dem TVG zwar ein Regelungswerk, das eine Vielzahl von Rechtsfragen zur Tarifautonomie beantwortet. Jedoch bleibt auch im Tarifrecht viel Raum für richterrechtliche Ausgestaltung. Zu diesem Bereich zählt – neben anderen „klassischen“ Konfliktfeldern wie etwa dem der Tarifkollision – vor allem das Ausloten der Grenzen tarifvertraglicher Vereinbarungsbefugnisse. In dieser rechtlichen Grauzone ist auch die Frage nach der Zulässigkeit von Diffe64 Vgl. dazu Echterhölter, RdA 1982, 299 (302); Hepple, The Freedom of the Worker, S. 1001 (1032 ff.). Grundlegend McCarthy, The Closed Shop in Britain. 65 Siehe zum Ganzen Deinert, ZfA 1999, 361 (368 f.); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 389; Morris / Archer, Collective Labour Law, 3.17. 66 Vgl. die Übersicht bei Lesch, iw-trends 2/2004, 5 (7). 67 Siehe weiterführend van Scherpenberg, Kollektive Bestimmung, S. 75 ff. Für die Zulässigkeit der Differenzierung Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 55; Rebhahn, NZA 2001, 763 (766).
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renzierungsklauseln anzusiedeln. Daher bietet sich als Einstieg eine überblickartige Darstellung der einschlägigen Rechtsprechung an.
I. Die Grundsatzentscheidung des Großen Senats zur Unzulässigkeit von Differenzierungsklauseln vom 29. 11. 1967 Ausgangspunkt der Erörterung um die rechtliche Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln ist die äußerst umfangreiche Entscheidung des Großen Senats des BAG aus dem Jahr 1967. 68 Das BAG hatte sich darin mit einer Spannenklausel zu befassen, welche den Mitgliedern der Gewerkschaft Textil / Bekleidung (GTB) ein zusätzliches Urlaubsgeld i. H. v. 40 bis 60 DM gewähren sollte. Der entscheidende Passus des von der GTB entworfenen Tarifvertrags lautete: „§ 4 Benachteiligungsverbot (1) Wenn und soweit in der Firma beschäftigte, aber nicht in der GTB organisierte Arbeitnehmer des Betriebes Geld- oder sonstige Leistungen erhalten, die über die in dieser Vereinbarung festgelegten Ansprüche hinausgehen, so muss jeder in der Firma beschäftigte und der GTB angehörende Arbeitnehmer zusätzlich zu den sich aus dieser Vereinbarung ergebenden Leistungen die gleichen Geld- oder sonstigen Zuwendungen erhalten, wie es bei den unorganisierten Arbeitnehmern der Fall ist.“
Ziel sollte es also sein, Gewerkschaftsmitgliedern einen pekuniären Vorsprung vor anders- bzw. unorganisierten Arbeitnehmern zu ermöglichen. Der Arbeitgeberverband der Bekleidungsindustrie Westfalen war mit einer Erhöhung des Urlaubsgeldes zwar einverstanden, lehnte jedoch eine unterschiedliche Behandlung von Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern ab. Daraufhin eingeleitete Streikmaßnahmen der GTB gegen verschiedene Mitgliedsfirmen des Arbeitgeberverbands wurden im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt. 69 Allerdings gelang es der GTB, mit mehreren Mitgliedern des Arbeitgeberverbands Firmentarifverträge abzuschließen, welche die oben zitierte oder eine ähnliche Klausel enthielten. 70 Bekanntlich hat das BAG in der besagten Entscheidung derartige Klauseln für unwirksam gehalten. Dabei stützte es sich im Wesentlichen auf zwei Gesichtspunkte: Zum einen überschreite die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit die Grenzen der „Tarifmacht“ 71 der Sozialpartner. 72 Sie enthalte im Ergebnis eine nach allgemeinen Gesetzen unzulässige Beitragserhebung, stelle 68
BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 ff. Siehe ArbG Düsseldorf 9. 6. 1965 – 2 Ca 713/65, DB 1965, 935 ff.; LAG Düsseldorf 1. 9. 1965 – 6 Sa 479/65, DB 1965, 1366 f.; des Weiteren abgedruckt bei Gamillscheg, Differenzierung, S. 116 ff., 129 ff. 70 Vgl. näher Mürau, Sonderleistungen, S. 13. 69
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1. Teil: Einleitung
eine undurchsichtige Ausgleichsforderung zu Lasten der Außenseiter dar und sei überdies für den Arbeitgeber unzumutbar. Zum anderen verletze sie die individuelle Koalitionsfreiheit. 73 Das gelte sowohl im Hinblick auf die positive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten, als auch bezüglich der negativen Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten. Auf beide Gruppen werde ein sozial inadäquater Druck ausgeübt, weil ihr Gerechtigkeitsempfinden gröblich verletzt werde. Auf die Intensität des ausgeübten Drucks kam es dabei nach Auffassung des Großen Senats nicht an. Ob das BAG mit seinem Beschluss jegliche Art der Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit als unzulässig eingestuft hat, wird unterschiedlich bewertet. Zum einen wird darauf abgestellt, dass es im konkreten Fall nur um eine Spannenklausel ging, also insbesondere eine Stellungnahme zu einfachen Differenzierungsklauseln nicht erfolgt war. 74 Gleichwohl können einige Passagen des Beschlusses durchaus so gedeutet werden, dass auch über eine Spannenklausel hinaus eine Differenzierung nicht verwirklicht werden kann. Insbesondere, wenn das Gericht ausführt, dass „Differenzierungsklauseln jedweder Art und damit auch die zu ihrer Absicherung vorgesehenen Spannenklauseln“ 75 nicht mehr von der „Tarifmacht“ gedeckt seien, klingt eine umfassende Ablehnung tarifvertraglicher Differenzierung an. In der Literatur hat man versucht, im Rahmen der vom BAG bemühten Sozialadäquanz eine mögliche Rechtmäßigkeit von Differenzierungsklauseln zu begründen. So wurde überlegt, ob eine transparenter ausgestaltete Ausgleichsforderung nicht einen sozialadäquaten, und damit zulässigen Druck auf Außenseiter ausüben würde. 76 71 Der Begriff der Tarifmacht ist schillernd. Ein eindeutiger Inhalt ist kaum auszumachen. Das BAG gebraucht die Begriffe Tarifmacht und Tarifautonomie in der vorliegenden Entscheidung weitgehend synonym, vgl. BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (218 ff.). Zur Notwendigkeit der begrifflichen Trennung siehe unter Teil 2 A. Nach Schnorr, JR 1966, 327 (328), verhalten sich beide Begriffe kongruent zueinander. Das würde den Begriff der Tarifmacht freilich überflüssig machen. Löwisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 20, verstehen unter Tarifmacht hingegen den Umfang der tariflichen Normsetzungsbefugnis. Vgl. zu weiteren Verständnismöglichkeiten Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 174 ff. Im Folgenden soll auf den Begriff weitgehend verzichtet werden, da er die klare Trennung der Einzelprobleme verhindert und Fragestellungen miteinander vermengt, die einer gesonderten Behandlung bedürfen. 72 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (218 ff.). 73 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (224 ff.). 74 So etwa jetzt BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1038). Siehe auch Deinert, jurisPR-ArbR 45/2009, Anm. 1; Dorndorf, ArbuR 1988, 1 (6); Säcker, Grundprobleme, S. 130. A. A. etwa Hanau, FS Hromadka, S. 115 (119); Mayer-Maly, ZAS 1969, 81 (89). Wohl auch Franzen, RdA 2008, 304 (305 f.). 75 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (218). (Hervorhebung durch den Verfasser). 76 Däubler, BB 2002, 1643 (1645 ff.); Franzen, RdA 2006, 1 (3 f.). Der Gedanke der Transparenz sollte jedoch nicht überspannt werden. Im Hinblick etwa auf tarifliche
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II. Das Urteil des BAG vom 21. 3. 1978 Die Rechtsprechung des Großen Senats wurde 1978 durch den Ersten Senat des BAG in einer Parallelentscheidung bestätigt. 77 Die bestreikte Klägerin verlangte Schadensersatz (u. a. für entgangenen Gewinn infolge Produktionsausfalls) gemäß § 823 Abs. 1 BGB. Die wiederum beklagte GTB hatte versucht, einen Firmentarifvertrag streikweise durchzusetzen, dessen Inhalt dem Tarifvertrag entsprach, der bereits der Entscheidung des Großen Senats zugrunde gelegen hatte. Der Erste Senat bejahte die Rechtswidrigkeit des Streiks, da mit diesem ein tariflich nicht regelbares Ziel verfolgt worden sei, nämlich der Abschluss eines Tarifvertrags, nach dem zwischen den bei der vertragschließenden Gewerkschaft und anders oder nicht organisierten Arbeitnehmern differenziert werden sollte. Zugleich stellte dieser die Bindungswirkung des Beschlusses von 1967 für seine Entscheidung fest, welche mangels einer Endentscheidung in der Sache bis dahin in Zweifel gezogen worden war. Zu einer erneuten Vorlage der Frage um die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln gemäß § 45 Abs. 2 Alt. 2 ArbGG a. F. 78 an den Großen Senat sah der erkennende Senat keine Veranlassung – trotz der zwischenzeitlich geäußerten Kritik in der Literatur. Letztlich verneinte das BAG jedoch ein Verschulden der GTB; die Rechtmäßigkeit der geschwerkschaftlichen Forderung nach einer Differenzierung der Höhe des Urlaubsgelds nach der Gewerkschaftszugehörigkeit sei zum Zeitpunkt des Streiks, welcher gut anderthalb Jahre vor dem Beschluss des Großen Senats geführt worden war, mangels höchstrichterlicher Rechtsprechung und aufgrund kontroverser Diskussion im Schrifttum trotz größtmöglicher Sorgfalt nicht eindeutig zu beurteilen gewesen. In dieser Situation sei es für eine Gewerkschaft unzumutbar, allein deswegen auf einen Streik verzichten zu müssen, weil die Gefahr bestehe, dass die Gerichte später einen von ihrer Rechtsansicht abweichenden Standpunkt einnähmen. 79
Familienzulagen ist es auch nicht erforderlich, dass der Tarifvertrag ausdrücklich auf die zusätzliche finanzielle Belastung von zum Unterhalt verpflichteten Arbeitnehmern hinweist. Dass der Außenseiter gänzlich verwirrt vor einer Differenzierungsklausel stehen und ihren Regelungsinhalt sowie ihre Intention nicht begreifen würde, ist eine wirklichkeitsferne Vorstellung. Kritisch zur „Rechtfertigung durch Transparenz“ auch Jacobs, FS Bauer, S. 479 (492). 77 BAG 21. 3. 1978 – 1 AZR 11/76, BAGE 30, 189 ff. 78 Heute: § 45 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 ArbGG. 79 BAG 21. 3. 1978 – 1 AZR 11/76, BAGE 30, 189 (200 ff.).
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1. Teil: Einleitung
III. Die Urteile des BAG vom 21. 1. 1987 zur unzulässigen Differenzierung beim Vorruhestand Im Jahr 1987 hatte das BAG in zwei Fällen über tarifvertraglich vereinbarte Vorruhestandsregelungen zu befinden, aus denen die jeweils klagende Partei eine Bevorzugung organisierter Arbeitnehmer ableitete. 80 Die Tarifverträge eröffneten einem bestimmten Prozentsatz (2 bzw. 5 %) älterer Arbeitnehmer die Möglichkeit, in den – staatlich bezuschussten – Vorruhestand zu gehen. Dabei sahen die tariflichen Regelungen bestimmte Auswahlkriterien – z. B. Geburtsjahrgang, Dauer der Betriebszugehörigkeit oder die Möglichkeit der Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes – vor, nach denen der Anspruch auf Abschluss einer Vorruhestandsvereinbarung gewährt werden sollte, sofern mehr Arbeitnehmer als prozentual vorgesehen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollten. Die Kläger waren der Ansicht, dass bei der Ausfüllung des Anspruchsrahmens nur solche Arbeitnehmer berücksichtigt werden dürften, die einen tariflichen Anspruch auf die Vorruhestandsregelung kraft Gewerkschaftszugehörigkeit hätten. In den hier beschriebenen Fällen ist der Anknüpfungspunkt für eine gewerkschaftsexklusive Regelung auf den ersten Blick nur schwer zu erkennen, da der Wortlaut der Tarifverträge keine dahingehende Unterscheidung vornimmt; im Gegensatz etwa zur Spannenklausel, die dem Großen Senat zur Entscheidung vorlag, und die den der „GTB angehörende[n] Arbeitnehmer[n]“ 81 zusätzliche Leistungen gewähren sollte, stellen die Regelungen der Vorruhestandstarifverträge allein auf „Arbeitnehmer“ ab. Erst wenn man den Blick auf die Kontingentierung der Vorruhestandsansprüche auf 2 bzw. 5 % der Belegschaft richtet, wird die Problematik sichtbar: Sollten auch Vereinbarungen mit Außenseitern auf den Prozentsatz angerechnet werden, verringert sich dadurch der Kreis der Anspruchsberechtigten kraft Gewerkschaftszugehörigkeit, §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG. Letztlich wäre es denkbar, dass Gewerkschaftsmitglieder gar nicht auf die Vorruhestandsregelung zurückgreifen könnten, sollten sie den Außenseitern im Hinblick auf die genannten Auswahlkriterien unterlegen sein. Das BAG deutete die entsprechenden Klauseln unter Berufung auf die Rechtsprechung des Großen Senats dahingehend, dass nicht nur Gewerkschaftsmitglieder, sondern auch Außenseiter den Anspruchsrahmen ausfüllen könnten; anderenfalls würden letztere in ihrer negativen Koalitionsfreiheit verletzt. 82 80 BAG 21. 1. 1987 – 4 AZR 486/86, AP Nr. 46 zu Art. 9 GG; 21. 1. 1987 – 4 AZR 547/ 86, BAGE 54, 113 ff. Siehe dazu auch Dorndorf, ArbuR 1988, 1 ff.; Gamillscheg, BB 1988, 555 ff. 81 Vgl. § 4 Abs. 1 des GTB-Tarifvertrags, oben Teil 1 E. I. 82 Nach Gamillscheg, BB 1988, 555, dürfen Außenseiter schon deshalb nicht unberücksichtigt bleiben, weil sie ebenfalls Abgaben leisten, aus denen der Vorruhestand
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IV. Das Urteil des BAG vom 9. 5. 2007 zur Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung Nach rund zwanzigjähriger Pause hatte sich das BAG im Jahr 2007 wieder mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Differenzierungsklausel zu befassen. 83 Konkret ging es um einen Firmentarifvertrag 84 zwischen der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) Landesbezirk Nordrhein und der beklagten Arbeitgeberin, der eine Tariflohnerhöhung enthielt. Des Weiteren enthielt er u. a. folgende Klausel: „Dieser Tarifvertrag gilt nur für Arbeitnehmer, welche seit dem 1. Juni 2003 Mitglied der IG BCE sind und bleiben. Für Arbeitnehmer, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, entfällt diese Vergütung bzw. ist eine zu Unrecht bezahlte Vergütung zurückzuzahlen.“
Die Klausel stellt nicht nur auf die Gewerkschaftszugehörigkeit als solche ab, sondern hat zugleich eine Stichtagsregelung zum Gegenstand: Arbeitnehmer, die nach dem 1. Juni der IG BCE beitreten, sollen nicht in den Genuss des erhöhten Lohns kommen (sog. atypische Differenzierungsklausel). Die organisationspolitische Zwecksetzung ist bei derartigen Differenzierungsklauseln anders gelagert als bei den bisher vorgestellten Klauseln. Durch die Voraussetzung, bereits zu einem bestimmten – vor Tarifabschluss liegenden – Termin Gewerkschaftsmitglied sein zu müssen, wird für Außenseiter kein Anreiz zum Beitritt gesetzt. Im Gegenteil: Es dürfte potentielle Interessenten eher abschrecken, da sie zwar Mitgliedsbeiträge zu entrichten haben, dennoch aber von der Zusatzzahlung ausgeschlossen werden sollen. 85 Letztlich dient eine derartige Stichtagsregelung wohl nur dazu, die bereits Organisierten für ihre Verbandstreue zu belohnen und weiter „bei der Stange zu halten“. Der Arbeitgeber verhindert auf der andemitfinanziert wird. Schon aus diesem Grund sei eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit ausgeschlossen. 83 BAG 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439 ff. Vgl. auch Hessisches LAG 14. 1. 2008 – 7/6 Sa 646/07, juris; LAG Schleswig-Holstein 7. 5. 2008 – 6 Sa 424/07, juris. 84 Die Tarifvertragsparteien wählten die Bezeichnung „Ergebnisprotokoll“. Das BAG legte dies zutreffend als tarifvertragliche Regelung aus, da aus dem Inhalt des „Protokolls“ hervorging, dass die Parteien von ihrer Normsetzungsbefugnis Gebrauch machen wollten, siehe BAG 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439 (1440). 85 Man könnte erwägen, ob nicht möglicherweise neu hinzutretende Arbeitnehmer damit rechnen könnten, dass sich eine ähnliche Klausel auch in einem Folgetarifvertrag finden wird. An dieser könnte das Neumitglied dann, wenn auch noch nicht zum Zeitpunkt des Beitritts, ebenfalls partizipieren. Darauf aufbauend ließe sich eine bereits von diesem, Neumitglieder noch ausschließenden Tarifvertrag ausgehende Werbewirkung annehmen. Dagegen spricht jedoch, dass die Aussicht auf einen zukünftigen Tarifvertrag mit einer entsprechenden Klausel zu vage und unbestimmt sein dürfte, um einen Beitrittsanreiz zu setzen.
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1. Teil: Einleitung
ren Seite, dass es zu zusätzlichen Gewerkschaftsbeitritten kommt. 86 Auch diese Klausel hielt das BAG für rechtswidrig. Sie verstoße gegen die individuelle Koalitionsfreiheit. 87 Zum einen missachte sie die §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG, wonach die Geltung von Rechtsnormen des Tarifvertrags hinsichtlich der Tarifgebundenheit allein vom Beginn der Mitgliedschaft abhängig sei. Durch den Ausschluss von der Tariflohnerhöhung für Arbeitnehmer, die erst nach dem Stichtag der Gewerkschaft beitreten, seien diese in ihrer positiven Koalitionsfreiheit beeinträchtigt. Zum anderen – gewissermaßen spiegelbildlich – sei ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit derjenigen Gewerkschaftsmitglieder gegeben, die nach dem Austritt keine zusätzlichen Leistungen mehr erhalten; hierin liege ein Widerspruch zu den §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG. Bedeutsam an der Entscheidung, die zumindest im Ergebnis im Einklang mit der vorhergehenden Rechtsprechung steht, ist vor allem der Hinweis, dass der Senat es offen lasse, ob der Auffassung des Großen Senats von der grundsätzlichen Unzulässigkeit von Differenzierungsklauseln und ihrer Begründung uneingeschränkt zu folgen sei oder ob und ggf. mit welcher Regelungstechnik und in welchem Umfang zusätzliche Leistungen bestimmt werden können, die nur Gewerkschaftsmitgliedern zustehen sollen. 88 Das Verdikt des Großen Senats sei jedenfalls für atypische Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelungen aufrecht zu erhalten. In dieser Passage wurde von einigen Stimmen die Ankündigung einer zumindest teilweisen Rechtsprechungsänderung erblickt; 89 zu Recht, wie sich wenig später zeigen sollte. 90
V. Abweichende Entscheidungen der unterinstanzlichen Gerichte Während die Rechtsprechung des BAG bis dato eine einheitlich ablehnende Haltung gegenüber Differenzierungsklauseln an den Tag legte, sind in der unterinstanzlichen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte Entscheidungen zu verzeichnen, die der Zulässigkeit solcher Abreden offener gegenüberstehen. Dazu dürfte die langjährige Kritik an der strengen Auffassung des BAG wesentlich beigetragen haben. 86
Franzen, RdA 2008, 304 (306). BAG 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439 (1441). Dem folgend auch LAG Schleswig-Holstein 7. 5. 2008 – 6 Sa 424/07, juris. 88 BAG 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439 (1441). 89 Vgl. Franzen, RdA 2008, 304; Klebeck, SAE 2008, 97; Kocher, NZA 2009, 119. 90 Siehe sogleich Teil 1 E. VI. 87
E. Rechtsprechung
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So entschied das LAG Düsseldorf am 29. 1. 1974 ausdrücklich anders als das BAG in seiner Grundsatzentscheidung: 91 Differenzierungsklauseln seien nur bei empfindlicher Druckausübung unzulässig. Differenzierungsklauseln würden dann einen empfindlichen und damit unzulässigen Druck ausüben, wenn sie zu einer Differenzierung von einem vollen Monatsgehalt pro Jahr führten. Die Revision gegen das Urteil hatte keinen Erfolg, allerdings aus Gründen, die mit der Differenzierungsproblematik nichts zu tun hatten. 92 In seinem Urteil vom 11. 1. 1994 erachtete das LAG Hamm eine tarifliche Vereinbarung für zulässig, nach der eine zusätzliche Erholungsbeihilfe von maximal 1 200 DM nur an tarifgebundene Arbeitnehmer durch einen als Gemeinsame Einrichtung gegründeten Urlaubskassenverein i. S. d. § 4 Abs. 2 TVG geleistet werden sollte. 93 Nach Ansicht des Gerichts könne kein Zweifel daran bestehen, dass Tarifvertragsparteien die beiderseitige Tarifgebundenheit zur Grundlage der Rechtsbeziehung einer Gemeinsamen Einrichtung machen könnten; dies ergebe sich schon aus § 4 Abs. 2 TVG. Die Tarifvertragsparteien dürften die Anwendung der Rechtsnormen ausdrücklich auf tarifgebundene Mitglieder beschränken. Die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter sei nicht verletzt. Sie sei – ebenso wie die positive Koalitionsfreiheit – nur in einem Kernbereich gewährleistet und schütze nur vor sozialinadäquatem Druck. Der Ausschluss von der Erholungshilfe möge zwar von den Außenseitern als finanzielle Einbuße empfunden werden, diese sei jedoch sozialadäquat und hinzunehmen. Die Revision zum BAG hatte das LAG Hamm zunächst nicht zugelassen, eine hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde war jedoch erfolgreich. Bevor es allerdings zu einer Entscheidung kommen konnte, verglichen sich die Parteien außergerichtlich. Nach dem oben vorgestellten Urteil des BAG vom 9. 5. 2007 94 ist es zu einem regelrechten Dammbruch zugunsten tariflicher Differenzierung für organisierte Arbeitnehmer gekommen. Am 11. 12. 2007 urteilte das LAG Niedersachsen, dass einfache Differenzierungsklauseln in einem Tarifvertrag nicht gegen die negative Koalitionsfreiheit verstießen und zulässig seien. 95 In der Sache ging es um eine Jahressonderzahlung i. H. v. 535 Euro brutto, die laut Tarifvertrag nur an Gewerkschaftsmitglieder geleistet werden sollte. Die nichtorganisierte Klägerin machte geltend, die Klausel sei unwirksam, und sie hätte durch arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel ebenfalls einen Anspruch auf die Sonderzahlung. 91
LAG Düsseldorf 29. 1. 1974 – 8 Sa 482/73, EzA Nr. 20 zu Art. 9 GG. BAG 11. 6. 1975 – 5 AZR 206/74, EzA Nr. 1 zu § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 93 LAG Hamm 11. 1. 1994 – 11 Sa 979/93, LAGE Nr. 4 zu § 4 TVG. Näher hierzu Däubler, BB 2002, 1643 (1644 f.); Hanau, FS Hromadka, S. 115 (120 f.); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 52; Zachert, DB 1995, 322 (324). 94 BAG 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439 ff. Vgl. Teil 1 E. IV. 95 LAG Niedersachsen 11. 12. 2007 – 5 Sa 914/07, LAGE Nr. 15 a zu Art. 9 GG mit Anm. Deinert. Siehe dazu auch Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 ff. 92
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1. Teil: Einleitung
Das ArbG hatte der Klage noch stattgegeben; hingegen war die Berufung der Beklagten vor dem LAG Niedersachsen erfolgreich. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass einmal getroffene Vereinbarungen wirksam seien; die Regeln der Beweislastverteilung im Zivilprozess seien durch das BAG verkannt worden, wenn es die Frage stelle, ob es tragfähige rechtliche Anknüpfungspunkte gebe, die das Verlangen nach Differenzierung rechtfertigten. 96 Das Motiv der Verbandsstärkung sei nicht tragfähig, um jede Art der Differenzierung zu verbieten. Es sei „gut nachvollziehbar bzw. moralisch vertretbar“, für die Nutzung fremder Früchte einen Ausgleich zu nehmen. Die negative Koalitionsfreiheit werde durch gewisse Anreize, die regelmäßig immer vorhanden seien, nicht beeinträchtigt. Eine Klausel, die letztlich nur nachzeichne, was ohnehin schon in den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG normiert sei, sei nicht zu beanstanden. Diese Rechtsauffassung bekräftigte das Gericht nochmals am 6. 2. 2009 in zwei Entscheidungen, diesmal mit ausdrücklicher Bezugnahme auf das Urteil des BAG vom 9. 5. 2007. 97 Das LAG Köln versagte am 17. 1. 2008 der klagenden Gewerkschaft einen Unterlassungsanspruch gemäß den §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 9 Abs. 3 GG gegen ihre Tarifpartnerin, die mit einer Konkurrenzgewerkschaft (ver.di) eine Vereinbarung geschlossen hatte, nach der die Mittel eines „Härtefallfonds“ ausschließlich zugunsten der Mitglieder der Konkurrenzgewerkschaft Verwendung finden sollten. 98 Die Beklagte sollte nun an der Auszahlung des Beitrags an den gemeinnützigen Verein, der zu diesem Zweck gegründet werden sollte, gehindert werden. Nach Ansicht des Gerichts könne mit Rücksicht auf den durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Koalitionspluralismus nicht jede Maßnahme, die sich faktisch als Behinderung der Tätigkeit einer konkurrierenden Koalition darstellt, den Unterlassungsanspruch auslösen. Die Vereinbarung zwischen der Beklagten und ver.di sei nicht darauf angelegt, die kollektive Koalitionsfreiheit der Klägerin einzuschränken oder zu behindern. Ein Eingriff in den Bestand der Klägerin liege nicht vor. Zwischen dem Abwehrrecht der einen Gewerkschaft aus Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG und dem Betätigungsrecht der anderen aus Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG müsse im Wege der Abwägung praktische Konkordanz zwischen den kollidierenden Grundrechtspositionen hergestellt werden. Das Abwehrrecht gehe dem Betätigungsrecht nicht zwingend vor. Ob die angegriffene Absprache als unzulässige Differenzierungsklausel zu bewerten sei, ließ das LAG Köln (gleichwohl mit deutlicher Tendenz in Richtung Unzulässigkeit) offen; jedenfalls könne die klagende Gewerkschaft nicht als Prozessstandschafterin für ihre Mitglieder auftreten: Eine Verletzung der individuellen Koalitionsfreiheit ihrer 96
Vgl. BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (200). LAG Niedersachsen 6. 2. 2009 – 14 Sa 1793/07 und 14 Sa 1794/07, juris; Revision eingelegt unter 4 AZR 251/09 und 4 AZR 255/09. 98 LAG Köln 17. 1. 2008 – 6 Sa 1354/07, DB 2008, 1979 f. Vgl. auch hierzu Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 ff. 97
E. Rechtsprechung
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Mitglieder sei nicht zwingend auch eine Verletzung ihrer eigenen kollektiven Koalitionsfreiheit. Darüber hinausgehend und auf die soeben vorgestellten Entscheidungen Bezug nehmend hielt das ArbG Hamburg sogar die tarifvertragliche Vereinbarung einer Spannenklausel im Umfang von 260 Euro brutto jährlich für zulässig. 99 Die Grenze dürfte – nach Auffassung des ArbG – dort liegen, wo die Nachteile einer Differenzierung für den Betroffenen so groß würden, dass kein vernünftiger, ökonomisch denkender Arbeitnehmer mehr bereit sei, den Nachteil für die Nichtmitgliedschaft in einer von ihm im Prinzip abgelehnten bzw. in einer seiner Ansicht nach schlechten Organisation hinzunehmen. 100 Diese Grenze erreiche die vereinbarte Spannenklausel nicht.
VI. Das Urteil des BAG zur Zulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln vom 18. 3. 2009 Die sich abzeichnende Rechtsprechungsänderung vollzog das BAG mit seinem Urteil vom 18. 3. 2009. 101 Damit bestätigte es die Rechtsauffassung des LAG Niedersachsen 102 zur Zulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Sonderzahlung. Sie erfülle nicht die im Tarifvertrag als Anspruchsvoraussetzung genannte Mitgliedschaft in der Gewerkschaft; diese werde auch nicht durch die individualvertragliche Bezugnahme fingiert. Anderes gelte auch dann nicht, wenn die Bezugnahme als Gleichstellungsabrede zu verstehen wäre. Die Rechtsfolge einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme sei allein die Anwendbarkeit der Tarifnormen im Arbeitsverhältnis, der Arbeitnehmer erlange dadurch aber nicht den Status eines Gewerkschaftsmitglieds. 103 Gegen die Wirksamkeit der fraglichen Tarifregelung bestünden des Weiteren auch keine Bedenken aus verfassungs- oder tarifrechtlicher Sicht. 104 Eine einfache Differenzierungsklausel könne zum einen bereits strukturell keinen unzulässigen Beitrittsdruck ausüben, da sie das Außenseiter-Arbeitsverhältnis nicht erfasse und auf es keinen rechtlichen Einfluss nehmen wolle oder 99
ArbG Hamburg 26. 2. 2009 – 15 Ca 188/08, juris. Aufgrund der dagegen eingelegten Sprungrevision zum BAG wurde das Urteil zum Teil aufgehoben. Dazu Teil 1 E. VII. 100 ArbG Hamburg 26. 2. 2009 – 15 Ca 188/08, juris Rn. 53, unter Verweis auf Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 ff. 101 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 ff. Bestätigend BAG 22. 9. 2010 – 4 AZR 117/09, juris. 102 LAG Niedersachsen 11. 12. 2007 – 5 Sa 914/07, LAGE Nr. 15 a zu Art. 9 GG; siehe Teil 1 E. V. 103 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1031). 104 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1030, 1032 ff.).
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1. Teil: Einleitung
könne. Arbeitgeber und Außenseiter würden durch eine einfache Differenzierungsklausel nicht daran gehindert, in Ausübung ihrer Vertragsfreiheit den Außenseiter in seinem Arbeitsverhältnis schuldrechtlich so zu stellen als sei er Gewerkschaftsmitglied. 105 Zum anderen sei die konkrete Ausgestaltung der Regelung nicht zu beanstanden. Auch wenn man davon ausgehe, dass Tarifverträge derart ausgestaltet werden müssten, dass sie grundsätzlich geeignet sind, alle Arbeitsverhältnisse in ihrem Geltungsbereich zu regeln, könne eine Unwirksamkeit der vereinbarten Klausel nur angenommen werden, wenn die Regelung rechtswidrig sei. Das sei insbesondere dann anzunehmen, wenn die Regelung im Verhältnis zu einem von Rechts wegen als schützenswert verfolgten Ziels einen unverhältnismäßigen, einem Zwang ähnlichen Druck ausübe, das Recht darauf, einer Koalition fernzubleiben, aufzugeben, oder ein sonstiges überwiegendes Recht eines Dritten beeinträchtige. Beides sei nach Art und Umfang der fraglichen Differenzierung nicht der Fall. 106 Die jährlich zu gewährende Ausgleichszahlung sei eine Leistung außerhalb des laufenden Austauschverhältnisses und mache im Durchschnitt etwa ein Viertel einer Monatsvergütung sowie nicht mehr als zwei Jahresmitgliedsbeiträge aus. 107 Ein verständiger Arbeitnehmer würde dadurch keinen Beitrittszwang verspüren. Die negative Koalitionsfreiheit werde daher nicht verletzt. Das BAG lehnte eine Vorlagepflicht gemäß § 45 Abs. 3 ArbGG zum Großen Senat mit der Begründung ab, dass sich der Große Senat in seinem Beschluss nicht zur Zulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln geäußert habe, sondern sich lediglich mit Differenzierungsklauseln in der Form von Spannenklauseln auseinandergesetzt habe. 108 Aber auch, wenn man den vom Großen Senat zu Grunde gelegten Begriff der „Sozialadäquanz“ heranziehe, um die Wirksamkeit der Klausel zu bestimmen, bestünde kein Konflikt mit den Ausführungen des Großen Senats. Die den Begriff ausfüllenden Kriterien unterlägen notgedrungen dem Wandel der Zeiten, und seien im Jahr 2007 anders auszufüllen als im Jahr 1967. Im Gegensatz zu den Ausführungen des Großen Senats, nach denen es auf die Intensität der Differenzierung nicht ankomme, betont das BAG nunmehr, 105
BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1034 f.). BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1035). 107 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1037). 108 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1038 ff.). A. A. insoweit Hanau, FS Hromadka, 115 (119). Ob der Große Senat erneut hätte angerufen werden müssen, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Bejahend Giesen, ZfA 2010, 657 (678 f.); Greiner / Suhre, NJW 2010, 131; Wisskirchen, FS Buchner, S. 984 (993); tendenziell auch Bauer / Arnold, NZA 2009, 1169 (1172): eine Anrufung „hätte [. . .] nahe gelegen“; verneinend Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 118; Deinert, Anm. zu LAGE Nr. 15 a zu Art. 9 GG, 9 (18 ff.); Jacobs, FS Bauer, S. 479 (485); Kamanabrou, Anm. zu AP Nr. 41 zu § 3 TVG, Bl. 24 links f. 106
E. Rechtsprechung
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dass die Einbeziehung einer quantitativen Betrachtung bei der Abwägung nicht nur zulässig, sondern auch geboten sei. Vor dem Hintergrund des sinkenden Organisationsgrades der Gewerkschaften und unter Berücksichtigung der zunehmenden Pluralität und Konkurrenz von Gewerkschaften könne die Vereinbarung der streitigen Tarifklausel nicht als sozial inadäquat angesehen werden. Zur Zulässigkeit qualifizierter Klauseln äußerte sich das Gericht mangels Entscheidungsrelevanz nicht.
VII. Das Urteil des BAG vom 23. 3. 2011 Eine erneute Stellungnahme zur Zulässigkeit qualifizierter Differenzierungsklauseln bot sich dem BAG jedoch zwei Jahre später. In seinem Urteil vom 23. 3. 2011 hatte das BAG erneut über die Zulässigkeit einer Spannenklausel zu entscheiden. 109 Es bestätigte im Ergebnis die Entscheidung des Großen Senats aus dem Jahr 1967. Während das Gericht die der Spannenklausel zugrunde liegende einfache Differenzierungsklausel entsprechend seiner Entscheidung vom 18. 3 2009 als zulässig einstufte, führte es hinsichtlich der Spannenklausel aus, dass diese die „Tarifmacht“ der Koalitionen überschreite und daher unwirksam sei. Eine Spannenklausel verstoße zwar nicht gegen das Bestimmtheitserfordernis, welchem jede Tarifnorm unterworfen sei; auch sei die gemäß § 1 Abs. 2 TVG erforderliche Schriftform gewahrt. 110 Der Tarifvertrag dürfe dem Arbeitgeber aber nicht die arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeit nehmen, die nicht oder andersorganisierten Arbeitnehmer mit den Gewerkschaftsmitgliedern gleichzustellen. Die Tarifvertragsparteien seien nicht befugt, die einzelvertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitsvertragsparteien mit zwingender Wirkung einzuschränken. Der Tarifvertrag dürfe nur den Inhalt von Arbeitsverträgen zwingend und unmittelbar regeln, die der „Tarifmacht“ der Koalitionen unterworfen seien, wozu die Arbeitsverhältnisse der nicht oder andersorganisierten Arbeitnehmer aber nicht gehörten. Auf einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter stellte das BAG hingegen nicht ab.
109 BAG 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, NZA 2011, 920 ff. = AP zu Art. 9 GG (im Erscheinen) mit krit. Anm. Neumann. Hierbei handelt es sich um die Sprungrevision gegen ArbG Hamburg 26. 2. 2009 – 15 Ca 188/08, juris. Siehe dazu Teil 1 E. V. 110 Zu diesen – eher fernliegenden – Einwänden gegen Spannenklauseln Neumann, Anm. zu AP zu Art. 9 GG (im Erscheinen), unter III. 1.
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1. Teil: Einleitung
VIII. Das BVerfG Das BVerfG selbst hatte bemerkenswerterweise bisher nie über die Rechtmäßigkeit von Differenzierungsklauseln zu entscheiden. Die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Großen Senats des BAG wurde (drei Jahre nach ihrer Erhebung) als unzulässig abgewiesen. 111 Das BVerfG begründete dies mit der fehlenden gegenwärtigen und unmittelbaren Betroffenheit der GTB als Beschwerdeführerin. Sie solle sich gegen die Endentscheidung des erkennenden Senats wenden; ob die vom Großen Senat entschiedene Rechtsfrage für diese Entscheidung erheblich sei, müsse der erkennende Senat entscheiden. Zu einem derartigen Urteil kam es jedoch nicht, da sich die Parteien außergerichtlich verglichen. 112
IX. Fazit Nachdem der Große Senat in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1967 tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln noch eine weitgehende Abfuhr erteilt hatte, wird sich die Praxis mit dem Urteil vom 18. 3. 2009 nun darauf einzustellen haben, dass die Arbeitsgerichte einfachen Differenzierungsklauseln die Wirksamkeit grundsätzlich nicht versagen werden können. 113 Was qualifizierte Differenzierungsklauseln angeht, dürfte die künftige Tarifpraxis mit der Entscheidung vom 23. 3. 2011 ebenfalls determiniert sein; zumindest die Spannenklausel hält das BAG weiterhin für unzulässig. Nach der Entscheidung vom 18. 3. 2009 zur Zulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln hätte man durchaus eine positivere Prognose wagen können. Es war insoweit nämlich bemerkenswert, dass sich das BAG in diesem Urteil sehr ausführlich mit der inhaltlichen Ausgestaltung der einfachen Differenzierungsklausel auseinandergesetzt hat. Vor dem Hintergrund, dass das BAG aber bereits aus strukturellen Gesichtspunkten einen Grundrechtsverstoß durch eine einfache Differenzierungsklausel verneint hatte, hätte es dieser inhaltlichen Prüfung letztlich nicht bedurft. Es lag nicht fern, diesem obiter dictum Zulässigkeitskriterien für qualifizierte Differenzierungsklauseln zu entnehmen, und darauf zu schließen, dass das BAG qualifizierten Differenzierungsklauseln zumindest freundlicher gesonnen wäre als noch 1967. 114
111
BVerfG 4. 5. 1971 – 1 BvR 761/67, BVerfGE 31, 55 ff. Mitgeteilt von Däubler, Arbeitsrecht, Rn. 399; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 301. 113 Siehe etwa LAG Rheinland-Pfalz 25. 3. 2010 – 10 Sa 695/09, juris. 114 Vgl. auch Leydecker, ArbuR 2009, 338 (343); Mengel/Burg in: Thüsing / Braun, Tarifrecht, 5. Kap. Differenzierungsklauseln Rn. 16. 112
E. Rechtsprechung
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Es liegt nahe anzunehmen, dass das BAG auch eine Tarifausschlussklausel als unzulässig ansehen würde, denn auch diese soll dem Arbeitgeber die Möglichkeit nehmen, eine Gleichstellung von Organisierten und Außenseitern durchzuführen. Aufgabe dieser Arbeit ist es, auch zu erörtern, inwieweit diese „neue“ Rechtsprechung zur Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zu überzeugen vermag.
Teil 2
Die Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit A. Grundlegung I. Methodische Herangehensweise Wer nach der Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung fragt, fragt in erster Hinsicht nach dem Inhalt und den Grenzen der Tarifautonomie selbst. Es handelt sich dabei um eine der Grundfragen des Kollektiven Arbeitsrechts, die nach wie vor nicht abschließend geklärt ist. Es geht darum auszuloten, wie weit die tariflichen Regelungsmöglichkeiten der Tarifvertragsparteien reichen. Auskunft darüber geben in erster Linie die Verfassung in Art. 9 Abs. 3 GG sowie das die Koalitionsfreiheit näher ausgestaltende TVG. Des Weiteren müssen die Rechtspositionen der betroffenen Personen Berücksichtigung finden, welche das GG mit den Grundrechten verbürgt. Aber auch sonstiges einfaches Recht ist in die Betrachtung mit einzubeziehen, da es in der Normenhierarchie über dem Tarifvertrag angesiedelt ist und dieser sich folglich an jenem messen lassen muss. 1 Die Darstellungen, die sich mit dem Problem der Differenzierungsklauseln beschäftigen, folgen meist einer grundsätzlichen Aufteilung der zu behandelnden Fragen in verfassungsrechtliche Zulässigkeit einerseits und einfachrechtliche, insbesondere tarifrechtliche Zulässigkeit andererseits. 2 Diese Herangehensweise entspricht der grundsätzlichen Aufteilung der Rechtsfragen durch den Großen Senat. 3 Dabei wird hinsichtlich der Prüfung der verfassungsrechtlichen Fragen das Augenmerk regelmäßig zunächst auf die Frage gerichtet, ob Differenzie1 Vgl. nur BAG 26. 9. 1984 – 4 AZR 343/83, AP Nr. 21 zu § 1 TVG; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 688 ff.; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 235; Schiek in: Däubler, TVG, Einleitung Rn. 309. 2 So etwa Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 121 ff., 170 ff.; Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 34 ff., 160 ff.; Gamillscheg, Differenzierung, S. 24 ff., 72 ff.; Georgi, Zulässigkeit, S. 7 ff., 47 ff.; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 30 ff., 91 ff.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 57 ff., 216 ff.; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 21 ff., 35 ff. 3 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (218 ff., 224 ff.).
A. Grundlegung
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rungsklauseln mit der negativen Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten zu vereinbaren sind, sodann, ob ein Verstoß gegen die positive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten vorliegt, ob durch derartige Klauseln unzulässigerweise in die Arbeitsvertragsfreiheit eingegriffen wird, sowie ob der allgemeine Gleichheitssatz eingehalten wird. Auf der einfachgesetzlichen Ebene werden etwa Verstöße gegen § 75 BetrVG, das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG oder gegen Treu und Glauben, § 242 BGB, diskutiert. Die grundsätzliche Stoßrichtung lautet: Was spricht gegen die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln? Bei genauerer Betrachtung handelt es sich in erster Linie also gar nicht um eine Zulässigkeitsprüfung, sondern um eine Unzulässigkeitsprüfung. Vielleicht hat diese Herangehensweise mit dazu beigetragen, dass in der Beurteilung tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln bis heute kein rechtswissenschaftlicher Konsens erreicht werden konnte. Es sind ja nicht nur rechtspolitisch verschiedene Positionen, die sich, wie auch sonst im Arbeitsrecht, nicht überbrücken lassen. Vielmehr könnte sich erweisen, dass die Vielstimmigkeit der Diskussion darin begründet liegt, dass die vorgebrachten Argumente zu Einzelproblemen nicht immer in ein nachvollziehbares Prüfungskonzept eingebettet werden. Die Diskussion drehte sich lange Zeit um inhaltlich kaum fassbare Begriffe wie die „Sozialadäquanz“, die – regelmäßig durch Differenzierungsklauseln überschrittene – „Tarifmacht“ der Tarifvertragsparteien oder die generelle „Unzumutbarkeit“ für die Arbeitgeberseite. Zum Teil tut sie dies immer noch. So begründet das BAG in seiner Entscheidung vom 23. 3. 2011 4 die Unwirksamkeit der vorgelegten Spannenklausel u. a. damit, dass durch diese der Inhalt der Außenseiter-Arbeitsverhältnisse nicht unmittelbar und zwingend geregelt werden dürfe, da die Außenseiter-Arbeitsverhältnisse nicht der „Tarifmacht“ der Koalitionen unterworfen seien. Was darunter zu verstehen sein soll, bleibt aber im Dunkeln. Auch den Begriff der „Sozialadäquanz“ und die damit verbundenen Unwägbarkeiten mochte das BAG in seiner Entscheidung vom 18. 3. 2009 5 noch nicht zur Gänze aufgeben. Die vorliegende Untersuchung hat nicht nur das Ziel, die bekannten Argumente nochmals zu gewichten und ihnen weitere Gedanken hinzuzufügen. Es geht ihr zunächst darum, die Argumente und Standpunkte in ein dogmatisches Konzept zu bringen, welches eine systematische Abschichtung der zahlreichen Einzelprobleme ermöglicht, die mit der Frage der tarifvertraglichen Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit verbunden sind. Löst man die zu starre Fixierung von der oben beschriebenen Unzulässigkeitsprüfung und weitet sein Blickfeld, wird vieles klarer. Die folgende Erörterung der Frage nach der Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln basiert auf der grundlegenden Annahme, dass eine gedankliche Trennung nötig ist zwischen 4 5
Siehe Teil 1 E. VII. Siehe Teil 1 E. VI.
50
2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
den Ebenen der Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien, ihrer Regelungsbefugnis und der inhaltlichen Rechtmäßigkeit der fraglichen Tarifregelung. Diese Herangehensweise ist aus dem Öffentlichen Recht bekannt und führt zu einer transparenten Abschichtung unterschiedlicher Themenkomplexe: Die Zuständigkeit eines Trägers öffentlicher Gewalt (als formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung) ist gegeben, wenn ihm die Aufgabe für die fragliche Materie übertragen ist; die Regelungsbefugnis bezeichnet die konkreten Handlungsmöglichkeiten, die diesem Träger zur Verfügung stehen, etwa die Möglichkeit, Verwaltungsakte oder Rechtsverordnungen zu erlassen (materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung); die inhaltliche Rechtmäßigkeit der Maßnahme befasst sich mit ihrer Übereinstimmung mit höherrangigem Recht. 6 Bei der Erörterung der Frage nach der Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln sind nach dem hier gewählten Ansatzpunkt also mehrere Gesichtspunkte auseinanderzuhalten, um eine Vermengung von Problemkreisen auszuschließen, die mit der überwiegend vorgenommenen Zweiteilung unausweichlich scheint (dazu sogleich). Konkret bedeutet das: Zunächst ist zu untersuchen, ob die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln unter die Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien, d. h. in ihren generellen Aufgabenbereich fällt. Dieser wird von Art. 9 Abs. 3 GG abgesteckt. 7 Es geht um die Frage, ob Differenzierungsklauseln (generell) unter die verfassungsmäßig garantierte Tarifautonomie fallen. Abgrenzungen sind dabei in mehreren Hinsichten denkbar: Zum einen ist fraglich, mit welchen Sachmaterien sich die Tarifvertragsparteien beschäftigen dürfen. 8 Zum anderen können der Tarifautonomie in personeller Hinsicht Grenzen gezogen sein. 9 Die Regelungszuständigkeit kommt schließlich nur Koalitionen i. S. d. Art. 9 Abs. 3 GG zu, so dass an dieser Stelle auch zu prüfen ist, ob Differenzierungsklauseln Auswirkungen auf die Koalitionsvoraussetzungen – konktret: die Gegnerunabhängigkeit und die Freiwilligkeit des Koalitionszusammenschlusses – haben. 10 6 Vgl. zum Ganzen Waltermann, RdA 2007, 257 (260 f.); des Weiteren Olschewski, Standorterhaltung und Arbeitskampf, S. 113 ff., jeweils m. w. Nachw. 7 Siehe sogleich unter Teil 2 B. 8 Siehe unter Teil 2 B. II. 9 Siehe unter Teil 2 B. III. Des Weiteren konkurriert die Regelungskompetenz der Koalitionen mit der des Gesetzgebers, dem gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG die Zuständigkeit zur Gesetzgebung für das Arbeitsrecht eingeräumt ist. Ferner sind auch die Arbeitsvertragsparteien sowie die Betriebsparteien zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen berufen. Auch insofern besteht Abgrenzungsbedarf. Der letztgenannte Aspekt, den man als funktionale Grenze der Tarifautonomie auffassen kann, ist in dem hier interessierenden Zusammenhang von geringerer Bedeutung; einen Regelungskonflikt zwischen Koalitionen und Gesetzgeber hat es im Hinblick auf Differenzierungsklauseln noch nicht gegeben. Im Verhältnis Koalitionen / Einzelarbeitsverhältnis und im Verhältnis Koalitionen / Betriebsparteien entsteht ein solcher Konflikt naturgemäß nicht. Das Augenmerk wird also auf den beiden erstgenannten Aspekten liegen. Vgl. zum Ganzen Schnorr, JR 1966, 327 (330 ff.). Dem folgend Waltermann, ZfA 2000, 53 (60 ff.).
A. Grundlegung
51
In einem zweiten Schritt soll dann der Frage nachgegangen werden, wie solche Klauseln, soweit sie der Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien unterfallen, rechtstechnisch vereinbart werden können. Insbesondere ist zu beleuchten, ob Differenzierungsklauseln mit normativer Wirkung im Tarifvertrag verwirklicht werden können, also ob und inwieweit den Tarifvertragsparteien die Befugnis zur Normsetzung zukommt. Dies richtet sich nach den Vorschriften des TVG. 11 Inwiefern dann konkret vereinbarte Tarifabsprachen inhaltlich rechtmäßig sind, ist drittens anhand ihrer Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu prüfen. 12 Erst an dieser Stelle wird auch ein möglicher Verstoß gegen Rechte Dritter relevant.
II. Auswirkungen auf das Prüfungsprogramm Die „klassische“ Herangehensweise mit ihrer Zweiteilung in verfassungsrechtliche Fragen einerseits und einfachrechtliche Fragen andererseits verstellt in Teilen den Blick auf die Kernprobleme in der Differenzierungsklausel-Problematik. Einige Vorzüge des hier gewählten Ansatzes seien im Folgenden kurz angeführt. Die Frage, ob Differenzierungsklauseln gegen die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten (oder gegen sonstige Grundrechtspositionen Dritter) verstoßen, stellt sich sachlogisch erst, nachdem die generelle Zugehörigkeit von Differenzierungsklauseln zum Schutzbereich der kollektiven Koalitionsfreiheit der sie vereinbarenden Vereinigungen feststeht. Werden sie vom Schutzbereich nicht umfasst, sind sie bereits deswegen mangels Regelungszuständigkeit einer tarifvertraglichen Regelung unzugänglich. 13 Es geht also nicht bloß darum, dass der Eingriff in Grundrechte anderer dadurch im Rahmen einer Abwägung gerechtfertigt werden kann, dass sich die tarifschließenden Parteien auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen können. 14 Das Unterfallen von Differenzierungsklauseln unter den Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG ist conditio sine qua non für ihre wirksame tarifvertragliche Vereinbarung. Es gilt insofern nichts anderes als für ein formelles Bundesgesetz, das sich nicht auf einen Kompetenztitel in den Art. 70 ff. GG stützen kann, mit der Ausnahme, dass die Rechtsfolge der Nichtigkeit des Parlamentsgesetzes nur durch das BVerfG, die Unwirksamkeit des Tarifvertrags jedoch bereits durch den einfachen Richter festgestellt werden kann. 15 Auf einen 10
Siehe unter Teil 2 B. IV. Siehe unter Teil 2 C. 12 Siehe unter Teil 2 D. 13 Vgl. Söllner, ArbuR 1966, 257 (262). Im Ergebnis auch Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Einl. GG Rn. 52; Dietlein, ArbuR 1970, 200 (201). 14 So aber Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 94 f., 109 ff.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 145. 11
52
2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
darüber hinausgehenden Verstoß gegen die Grundrechte anderer, eine Frage der inhaltlichen Rechtmäßigkeit der tariflichen Regelung, kommt es dann nicht mehr an. Des Weiteren ist zu beachten, dass die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln selbst eine Grundrechtsausübung darstellt, sofern sie der von Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Koalitionsfreiheit unterfällt. 16 Sie wird folglich selbst durch das GG geschützt. Durch den hier gewählten Ansatz wird der Blick richtigerweise zuerst auf die Freiheit gerichtet, und erst anschließend auf deren Schranken, welche ihr die Rechtspositionen Dritter ziehen können. Das vorschnelle Abstellen etwa auf die möglicherweise tangierten Grundrechte der Außenseiter verleitet dazu, den Aspekt der Freiheitsausübung zu übersehen oder zumindest zu vernachlässigen. 17 So hat der Große Senat in seinem DifferenzierungsklauselBeschluss – noch unter dem Vorzeichen der Kernbereichslehre – die Frage aufgestellt, ob es „tragfähige rechtliche Anknüpfungspunkte [gibt], die das Verlangen der Gewerkschaften nach Differenzierungen und ihrer Sicherstellung gerechtfertigt erscheinen lassen“ 18. Die Widersinnigkeit dieses Ansatzes wird deutlich, wenn man die Frage allgemeiner formuliert: Gibt es tragfähige rechtliche Gründe, die eine Grundrechtsausübung gerechtfertigt erscheinen lassen? Damit wird das Verhältnis von Grundrechtsausübung, Eingriff und Rechtfertigung auf den Kopf gestellt. Nicht die Grundrechtsausübung muss gerechtfertigt werden, sondern deren Einschränkung. Es kommt somit zu einer unzulässigen Umkehr der Darlegungs- und Beweislast; 19 nicht die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln ist rechtfertigungsbedürftig, sondern deren Verbot. 20 Die bisher übliche, lediglich in verfassungrechtliche und einfachrechtliche Zulässigkeit einteilende Herangehensweise an die Differenzierungsklausel-Problematik dürfte diese eigentlich augenfällige Erkenntnis weithin verschleiert haben. Als letztes Beispiel dafür, dass eine gedankliche Trennung der Problemkreise wie oben dargelegt erforderlich ist, sei angeführt, dass eine Vermengung von Regelungszuständigkeit, Regelungsbefugnis und inhaltlicher Rechtmäßigkeit dazu verführen kann, aus der regelungstechnischen Ausgestaltung tariflicher Vereinbarungen, nach der diese gemäß den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG unmittelbar zwingende Wirkung entfalten, Rückschlüsse auf inhaltliche Vorgaben abzuleiten. 21 Dieses Vorgehen muss schon deshalb scheitern, weil das TVG gar keine Vorgaben in inhaltlicher Hinsicht macht, auf die man sich stützen könnte. 22 Folgt 15
Vgl. Dieterich, FS Schaub, S. 117 (124); Söllner, NZA 1996, 897 (902). Vgl. Söllner, NZA 1996, 897 (902). 17 Vgl. dazu bereits Schnorr, FS Molitor, S. 229 (231). 18 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (200). 19 LAG Niedersachsen 11. 12. 2007 – 5 Sa 914/07, LAGE Nr. 15 a zu Art. 9 GG, S. 4. 20 Zutreffend Leydecker, ArbuR 2009, 338 (340); Reuß, ArbuR 1970, 33 f. Siehe auch Gamillscheg, BB 1967, 45 (48). 16
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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man des Weiteren wie hier der Ansicht, dass die Regelungen des TVG lediglich den Zweck verfolgen, den autonom entstandenen Absprachen der Koalitionen gesetzesgleiche Wirkung zu verschaffen, wird deutlich, dass man aus dem TVG selbst auf keinen Rechtmäßigkeitsmaßstab für Tarifinhalte schlussfolgern kann. Ein solcher muss an anderer Stelle gefunden werden. Die normative Wirkung ist die Rechtsfolge, die der Staat als Inhaber des Rechtsanerkennungsmonopols einer wirksamen Tarifvereinbarung beimisst. Es wäre ein Zirkelschluss, aus der Rechtsfolge auf ihre Voraussetzungen zu schließen.
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG gewährleistet für jedermann und alle Berufe das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Es handelt sich um ein Doppelgrundrecht: Als Individualgrundrecht schützt Art. 9 Abs. 3 GG zumindest das Recht des Einzelnen, eine Koalition zu gründen, einer Koalition beizutreten, sowie das Recht, durch koalitionsmäßige Betätigung die in der Verfassungsvorschrift genannten Zwecke zu verfolgen. 23 Darüber hinaus garantiert Art. 9 Abs. 3 GG nach h. M. auch den Schutz der Koalitionen selbst. 24 Als Kollektivgrundrecht schützt es die Verbände in ihrem Bestand und garantiert ihnen die Bestimmung über ihre Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte; den Schutz von Art. 9 Abs. 3 GG genießen auch Betätigungen der Koalitionen, soweit sie den dort genannten Zwecken dienen. Wesentlicher Ausdruck der Koalitionsbetä-
21 In diese Richtung argumentiert etwa Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 161 ff., wenn er fragt, ob die Tarifvertragsparteien durch die Vereinbarung normativer Differenzierungsklauseln ihre Normsetzungsbefugnis überschreiten. 22 Siehe näher unter Teil 2 C. V. 23 BVerfG 14. 6. 1983 – 2 BvR 488/80, BVerfGE 64, 208 (312) (Bergarbeiter) m. w. Nachw. Zur Frage, ob auch die negative Koalitionsfreiheit von Art. 9 Abs. 3 GG umfasst ist, siehe Teil 2 D. II. 24 BVerfG 24. 4. 1996 – 1 BvR 712/86, BVerfGE 94, 268 (282 f.) (Wissenschaftliches Personal); BAG 12. 9. 1984 – 1 AZR 342/83, BAGE 46, 322 (345). Aus der Literatur vgl. Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 102; Greiner, Rechtsfragen, S. 80; Heiseke, RdA 1960, 299 (302); Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 37 ff.; Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 68; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 32; Richardi, Kollektivgewalt, S. 77; Säcker, Grundprobleme, S. 37 f.; Schnorr, FS Molitor, S. 229 (230); Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 498 ff.; a. A. Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 31; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 67; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 240; Wiese, ZfA 2008, 317 (321 ff.): Gewährleistung erst aus dem Zusammenhang mit Art. 19 Abs. 3 GG.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
tigung ist die Tarifautonomie. 25 Die Verfassung gewährleistet nach Auffassung des BVerfG „[. . .] eine Ordnung des Arbeitslebens und Wirtschaftslebens, bei der der Staat seine Zuständigkeit zur Rechtsetzung weit zurückgenommen und die Bestimmung über die regelungsbedürftigen Einzelheiten des Arbeitsvertrags grundsätzlich den Koalitionen überlassen hat.“ 26
Der so umrissene Schutzbereich der Koalitionsfreiheit enthält also zugleich eine Zuständigkeitsregelung zugunsten der Koalitionen, ihre eigenen Angelegenheiten selbständig – autonom – zu regeln. Damit ist über die Rechtsqualität der autonomen Regelungen noch nichts gesagt. Insbesondere ist eine zwingende normative, gesetzesgleiche Wirkung, wie sie von § 4 Abs. 1 S. 1 TVG angeordnet wird, nicht durch den Begriff der Autonomie vorherbestimmt. 27 Von privatautonomen Vereinbarungen lässt sich schließlich auch nicht behaupten, sie seien „Gesetz“. 28 Der Gesetzgeber ist nur gehalten, den Koalitionen eine Ordnung zur Verfügung zu stellen, die sie dazu befähigt, ihrer verfassungsmäßig zugewiesenen Aufgabe, der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, nachkommen zu können. Diese Ordnung muss aber nicht zwingend eine gesetzesgleiche Wirkung der Koalitionsvereinbarungen vorsehen. 29 Autonomie bezeichnet damit lediglich einen im Grundsatz von staatlicher Rechtsetzung ausgeklammerten Bereich originärer Regelungszuständigkeit, der sich hinsichtlich der Privatautonomie in der Vertragsfreiheit, hinsichtlich der Tarifautonomie im 25
Vgl. statt aller Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 83, m. w. Nachw. BVerfG 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 (340) (Allgemeinverbindlicherklärung I). 27 Zwar bedeutet das griechische Nómos wörtlich übersetzt „Gesetz“; daraus bereits auf die zwingende Normwirkung zu schließen, wäre aber voreilig. Der Begriff ist weiter zu fassen, vgl. Waltermann, ZfA 2000, 53 (57). 28 Vgl. Bartlog, Das Verhältnis von Gesetz und Tarifvertrag, S. 131 f.; Giesen, Rechtsgestaltung, S. 154 f. 29 Nach BVerfG 18. 11. 1954 – 1 BvR 629/52, BVerfGE 4, 96 (106) (Hutfabrikant), ist dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit zu entnehmen, „daß ein Tarifsystem im Sinne des modernen Arbeitsrechts staatlicherseits überhaupt bereitzustellen ist“. BVerfG 19. 10. 1966 – 1 BvL 24/65, BVerfGE 20, 312 (317) (Tariffähigkeit von Handwerksinnungen), formuliert, dass die Gewährleistung der Tarifautonomie durch Art. 9 Abs. 3 GG „ganz allgemein“ sei und „nicht die besondere Ausprägung, die das Tarifvertragssystem in dem zur Zeit des Inkrafttretens des Grundgesetzes geltenden Tarifvertragsgesetzes erhalten hat“, umfasse. Vgl. auch BVerfG 18. 12. 1974 – 1 BvR 420/65 und 259/66, BVerfGE 38, 281 (305 f.) (Arbeitnehmerkammern). Anders aber BVerfG 3. 4. 2001 – 1 BvL 32/97, BVerfGE 103, 293 (306) (Urlaubsanrechnung): „Art. 9 Abs. 3 GG verleiht den Tarifvertragsparteien in dem für tarifvertragliche Regelungen offen stehenden Bereich zwar ein Normsetzungsrecht, aber kein Normsetzungsmonopol.“ Aus der Literatur im erstgenannten Sinne Giesen, Rechtsgestaltung, S. 154 ff.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 181 f. A. A. Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 102 f.; Waltermann, FS Söllner, S. 1251 (1269 ff.). 26
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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Tarifvertrag realisiert. 30 Für die hier in Rede stehenden Differenzierungsklauseln ist also aufzuzeigen, ob sie in diesen, den Koalitionen überlassenen Komplex autonomer Regelung fallen. Verfassungsrechtlich formuliert lautet die Frage: Fällt die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln unter den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG? Sofern dies nicht der Fall sein sollte, sind derartige Klauseln bereits deswegen einer tarifvertraglichen Vereinbarung nicht zugänglich. Dabei soll zunächst ein kurzer Blick auf den Verständniswandel im Hinblick auf den Umfang der Koalitionsfreiheit geworfen werden, welcher sich in den Neunzigerjahren vollzogen hat und der schlagwortartig mit dem Titel „Aufgabe der Kernbereichslehre“ nachgezeichnet werden kann. 31 Die Reichweite der grundgesetzlich abgesicherten Tarifautonomie wird dadurch sowohl in sachlicher 32 als auch in personeller 33 Hinsicht modifiziert. Schließlich ist darauf einzugehen, ob einmal vereinbarte Differenzierungsklauseln nicht die Koalitionseigenschaft der Gewerkschaften aufheben und ob ihnen deshalb der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG zu verwehren ist. 34
I. Veränderte Rahmenbedingungen: Aufgabe der Kernbereichslehre 1. Entwicklung Bis in die Achtzigerjahre hinein findet sich in der Rechtsprechung des BVerfG die Aussage, die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG – und mit ihr die Tarifautonomie – sei nur in einem Kernbereich geschützt. 35 Nach Auffassung des BVerfG gewährleistete Art. 9 Abs. 3 GG den geschützten Personen und Vereinigungen keinen inhaltlich unbegrenzten und unbegrenzbaren Handlungsspielraum; vielmehr sei es Sache des Gesetzgebers, die „Tragweite der Koalitionsfreiheit“ dadurch zu bestimmen, dass er die Befugnisse der Koalitionen im Einzelnen ausgestalte und näher regele. Die gewerkschaftliche Betätigung sei nur insoweit verbürgt, als diese für die Erhaltung und Sicherung der Existenz der Koalition unerlässlich sei. 36 Die Kernbereichslehre des BVerfG ist auch nicht ohne Ein30
Vgl. Schnorr, JR 1966, 327 (328). Siehe sogleich Teil 2 B. I. 32 Siehe dazu Teil 2 B. II. 33 Siehe dazu Teil 2 B. III. 34 Siehe dazu Teil 2 B. IV. 35 BVerfG 18. 11. 1954 – 1 BvR 629/52, BVerfGE 4, 96 (106, 108) (Hutfabrikant); 14. 4. 1964 – 2 BvR 69/62, BVerfGE 17, 319 (333 f.) (Bayerische Bereitschaftspolizei); 30. 11. 1965 – 2 BvR 54/62, BVerfGE 19, 303 (321) (Streikbereitschaft); 26. 5. 1970 – 2 BvR 664/65, BVerfGE 28, 295 (305) (Mitgliederwerbung im Betrieb I); 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 (341 f.) (Allgemeinverbindlicherklärung I); 17. 2. 1981 – 2 BvR 384/78, BVerfGE 57, 220 (246) (Bethel). 31
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
fluss auf das BAG geblieben. In seinem Differenzierungsklausel-Beschluss vom 29. 11. 1967 greift das BAG auf die Ausführungen des BVerfG zurück. 37 Diese Kernbereichslehre sah sich stets berechtigter Kritik ausgesetzt. 38 Die Annahme eines bloßen Kernbereichsschutzes entbehrte jeder verfassungsrechtlichen Grundlage und widersprach der Gewährleistung der Koalitionsfreiheit als vorbehaltloses Grundrecht. Sie legte den Schluss nahe, dass die Koalitionsfreiheit nur in ihrem unantastbaren Wesenskern gemäß Art. 19 Abs. 2 GG geschützt sei. Wenn der Wesenskern aber zugleich noch der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber zugänglich und bedürftig war, konnte von der grundrechtlichen Gewährleistung nicht mehr viel übrig bleiben. Des Weiteren deutete die ebenfalls gebräuchliche Formulierung, der Gesetzgeber dürfe der Betätigungsfreiheit Grenzen ziehen, soweit es zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sei, 39 auf einen ungeschriebenen schlichten Gesetzesvorbehalt hin. Damit wäre die vorrangige Stellung, die Art. 9 Abs. 3 GG durch seine Vorbehaltlosigkeit zukommt, weitgehend aufgehoben worden. Auch ließ sich die Annahme eines bloßen Kernbereichschutzes nicht mit der Dogmatik der Schutzbereichsbestimmungen anderer Grundrechte in Einklang bringen. Insgesamt vermengte das BVerfG die grundlegenden Kategorien von Schutzbereich, Schranken und Schranken-Schranken. 40 In seiner zweiten Entscheidung zur Mitgliederwerbung im Betrieb vom 14. 11. 1995 rückte das BVerfG dann auch von seiner bisherigen Auffassung ab, und „stellte klar“, dass seine frühere Rechtsprechung dahingehend missverständlich gewesen sei, dass die koalitionsmäßige Betätigung von vornherein nur in einem inhaltlich eng begrenzten Umfang geschützt sei. Das Gericht habe aber den Schutzbereich nicht von vornherein auf einen Bereich des Unerlässlichen beschränken wollen, was auch in den älteren Entscheidungen zum Ausdruck komme. 41 36 BVerfG 26. 1 1964 – 2 BvR 69/62, BVerfGE 17, 319 (333, 335) (Bayerische Bereitschaftspolizei); 26. 5 1970 – 2 BvR 664/65, BVerfGE 28, 295 (304) (Mitgliederwerbung im Betrieb I); 17. 2. 1981 – 2 BvR 384/78, BVerfGE 57, 220 (246) (Bethel). 37 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (212, 218, 225). 38 Vgl. etwa Herschel, ArbuR 1981, 265 (267 ff.); dens., ArbuR 1982, 294 ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 91 ff.; Zechlin, NJW 1985, 585 (591 f.). 39 BVerfG 30. 11. 1965 – 2 BvR 54/62, BVerfGE 19, 303 (322) (Streikbereitschaft); 26. 5. 1970 – 2 BvR 664/65, BVerfGE 28, 295 (306) (Mitgliederwerbung im Betrieb I). 40 Siehe näher Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 71; Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 86 f. 41 BVerfG 14. 11. 1995 – 1 BvR 601/92, BVerfGE 93, 352 (358 f.) (Mitgliederwerbung im Betrieb II). Schon vorher hatte sich das BVerfG von seiner Kernbereichsdogmatik distanziert. In BVerfG 26. 6. 1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (228) (Aussperrung), führt es aus: „Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit ist zwar vorbehaltlos gewährleistet. Damit ist aber nicht jede Einschränkung von vornherein ausgeschlossen. Sie kann durch Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechte gerechtfertigt
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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In der Tat hatte das BVerfG zuvor – trotz der gebetsmühlenartigen Wiederholung des Kernbereichsdogmas – den „Kernbereich“ derart weit gefasst, dass sehr wohl auch Betätigungen durch ihn abgedeckt wurden, die über das für die Existenz Unerlässliche hinausgingen. So zählte das BVerfG etwa die gewerkschaftliche Mitgliederwerbung in der Dienststelle vor Personalratswahlen zur Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG, 42 ohne etwa auf die Idee zu verfallen, die Gewerkschafter auf einen Werbestand vor der Dienststelle zu verweisen. Der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG umfasse vielmehr alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen, zu denen auch die Mitgliederwerbung zähle. 43 Nunmehr benannte es mit der Kernbereichsformel die Grenze, die bei gesetzgeberischen Eingriffen zu beachten sei; sie werde überschritten, soweit einschränkende Regelungen nicht zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten seien. Damit qualifiziert es die Kernbereichslehre als Aspekt der Schranken-Schranken, genauer: als Konkretisierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung. 44 Die Koalitionsfreiheit reiht sich somit wieder in die allgemeine Grundrechtsdogmatik ein. Die Literatur hat diese „Klarstellung“ positiv aufgenommen. 45 Sie hat auch in die neuere Rechtsprechung des BAG Eingang gefunden. 46 2. Auswirkungen Es ist unmittelbar einleuchtend, dass eine strenge Befolgung der Kernbereichsdoktrin durch das Postulat der Unerlässlichkeit der koalitionären Betätigung, sein [Zitat]. [. . .] Ob der Gesetzgeber weitergehende Regelungsbefugnisse zum Schutz sonstiger Rechtsgüter hat [Zitat], braucht nicht vertieft zu werden. [. . .] Der Fall gibt keinen Anlaß, die Grenze eines unantastbaren Kernbereiches der Koalitionsfreiheit näher zu bestimmen [Zitat].“ In nachfolgenden Entscheidungen wird der Kernbereich nicht mehr angesprochen, vgl. BVerfG 2. 3. 1993 – 1 BvR 1213/85, BVerfGE 88, 103 (114 ff.) (Beamteneinsatz bei Streik); 10. 1. 1995 – 1 BvF 1/90 u. a., BVerfGE 92, 26 (38 ff.) (Zweitregister); 4. 7. 1995 – 1 BvF 2/86 u. a., BVerfGE 92, 365 (393 ff.) (Kurzarbeitergeld). Als sprachliche Floskel hält sich die Aussage, die Koalitionsfreiheit sei nur im Kernbereich geschützt, aber weiterhin, vgl. LAG Niedersachsen 11. 12. 2007 – 5 Sa 914/ 07, LAGE Nr. 15 a zu Art. 9 GG, S. 6. Weiterhin auch inhaltlich auf die Kernbereichslehre abstellend LAG Rheinland-Pfalz 20. 11. 2008 – 2 Sa 328/08, ZTR 2009, 274. 42 BVerfG 30. 11. 1965 – 2 BvR 54/62, BVerfGE 19, 303 (312 ff.) (Streikbereitschaft). 43 BVerfG 14. 11. 1995 – 1 BvR 601/92, BVerfGE 93, 352 (Leits.) (Mitgliederwerbung im Betrieb II). Der Begriff der „spezifisch koalitionsgemäßen Betätigung“ findet sich schon früh, vgl. BVerfG 6. 5. 1964 – 1 BvR 79/62, BVerfGE 18, 18 (26) (Hausgehilfinnenverband). 44 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 231; Henssler, ZfA 1998, 1 (10); Löwisch / Rieble, TVG, Grundl. Rn. 27 f. 45 Siehe Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 31, 41; Giesen, Rechtsgestaltung, S. 153 f.; Kühnast, Die Grenzen zwischen tariflicher und privatautonomer Regelungsbefugnis, S. 46; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 503. 46 Vgl. BAG 28. 2. 2006 – 1 AZR 460/04, BAGE 117, 137 (143), m. w. Nachw.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
wendet man es auf die Frage nach der Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung an, ohne Weiteres dazu führen kann, entsprechende Klauseln als nicht vom Schutzbereich der Koalitionsfreiheit erfasst anzusehen. Denn es lässt sich nicht behaupten, dass Exklusivvorteile für Gewerkschaftsmitglieder für die Existenz der jeweiligen Koalition schlechthin unerlässlich wären. 47 Die Geschichte lehrt das Gegenteil, der Differenzierungsklausel-Beschluss des Großen Senats hat nicht dazu geführt, dass sich nach und nach sämtliche Gewerkschaften aufgelöst hätten. Die Gewerkschaften können offenbar auch ohne derartige Abreden existieren. 48 Das BAG hat diesen harten Schnitt in seinem Grundsatzbeschluss 1967 denn auch nicht gezogen. Es formuliert im Anschluss an das BVerfG, dass für die Koalitionen mit der Gewährleistung der Tarifautonomie nur der Kernbereich eines Tarifvertragsystems geschützt sei und der Gesetzgeber einen weiten Ausgestaltungsspielraum hinsichtlich der Tarifautonomie habe. 49 Letztlich lässt das BAG die Differenzierungsmöglichkeit jedoch daran scheitern, dass sie die Grundrechte der Nicht- und Andersorganisierten verletze und nicht mehr von der „Tarifmacht“ 50 erfasst sei. Allerdings lässt es auch durchscheinen, dass im Wege der Rechtsfortbildung eine Ausweitung der Tarifautonomie denkbar wäre, sofern die Differenzierung, welche das Gericht als Beitragserhebung wertet, transparent und nicht sachfremd sei. Dass tarifvertragliche Differenzierungsklauseln für die Existenz der Gewerkschaften nicht unerlässlich seien, führt es hingegen nicht an. Gleichwohl lässt allein die Berufung des BAG auf die verfassungsgerichtliche Kernbereichsdogmatik den Schluss zu, dass es ein enges Verständnis der Reichweite der Tarifautonomie zugrunde legt. Mit der Einreihung der Koalitionsfreiheit in die allgemeine Grundrechtsdogmatik, welche die Schutzbereiche der Grundrechte grundsätzlich weit zieht und erst auf der Rechtfertigungsebene den Ausgleich mit gegenläufigen Interessen sucht, muss auch die Reichweite der Tarifautonomie neu bestimmt werden. Diese grundlegende Koordinatenverschiebung wirkt sich zu Gunsten der tarifvertraglichen Regelungsbefugnis aus. 51 47
Vgl. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 42. Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 62 f., hat deshalb gefordert, bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Differenzierungsklauseln auf das Kriterium der Unerlässlichkeit zu verzichten. Vgl. auch Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 152 f. 48 Vgl. schon Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 42. 49 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (218). 50 Den Begriff der „Tarifmacht“ und der „Tarifautonomie“ verwendet das BAG in der zitierten Passage synonym, vgl. insbesondere BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (220 f.). 51 Vgl. auch Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 41, nach dem die Aufgabe der Kernbereichsrechtsprechung „vielfach zu gewerkschaftsfreundlicheren Ergebnissen führen muss“. Ebenso Ulber / Strauß, DB 2008, 1970.
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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II. Sachliche Reichweite der Tarifautonomie 1. Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Die sachliche Reichweite der Tarifautonomie wird durch den Vereinigungszweck des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG, der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, beschrieben. Nur soweit tarifliche Vereinbarungen diesem Begriffspaar zuzuordnen sind, ist den Tarifvertragsparteien die Aufgabe zur Regelung übertragen, nur insoweit sind sie regelungszuständig. Eine abschließende Bestimmung dessen, was unter das Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fällt, ist bisher nicht erfolgt und dürfte angesichts der Mannigfaltigkeit möglicher Regelungsinhalte auch schwerlich möglich sein. 52 Zum gesicherten Bestand regelbarer Arbeitsbedingungen lassen sich jedenfalls die Bereiche von Lohnfestsetzung, Arbeitszeit, Urlaub und Arbeitsschutz zählen; Wirtschaftsbedingungen betreffen weiterreichende Materien mit wirtschafts- und sozialpolitischem Einschlag, wie etwa Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Schaffung von Sozialeinrichtungen oder der Einführung neuer Arbeitstechniken. 53 Anerkannt ist darüber hinaus, dass das Begriffspaar der Arbeits- und Wirschaftsbedingungen zukunftsoffen zu interpretieren ist, die Tarifvertragsparteien also nicht auf Vereinbarungsinhalte beschränkt, die zum klassischen Repertoire tariflicher Absprachen gehören. 54 Regelungsgegenstand können alle Bedingungen sein, durch die die Leistung abhängiger Arbeit berührt wird. 55 Vom sachlichen Schutzbereich nicht mehr umfasst werden rein unternehmerische Zielsetzungen wie Entscheidungen im Hinblick auf die Ausrichtung der Produktpalette oder neue Investitionen. 56 Die Gewährung von (zusätzlichen) Leistungen nur an Organisierte gestaltet deren Arbeitsverhältnisse; die Tatsache, dass beispielsweise ein zusätzliches 52 Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 72; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 55; Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 61; Waltermann, ZfA 2000, 53 (61). 53 Vgl. etwa BVerfG 24. 4. 1996 – 1 BvR 712/86, BVerfGE 94, 268 (283) (Wissenschaftliches Personal); Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 54; Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 100. 54 Vgl. BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (367 f.) (Mitbestimmungsurteil); BAG 21. 3. 1978 – 1 AZR 11/76, BAGE 30, 189 (202) = AP Nr. 62 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Däubler in: Däubler, TVG, Einl. Rn. 75; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 194; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 638. 55 Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 87; Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 72 f.; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 504. 56 Vgl. Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 74; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 190; Söllner, NZA 1996, 897 (899); dens. / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 638 f.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Urlaubsgeld für Außenseiter nicht erreichbar ist, führt nicht dazu, dass dieses Urlaubsgeld die Arbeitsverhältnisse der Organisierten nicht berührte. Den Organisierten steht ein Rechtsanspruch zu. Hier besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zum Koalitionszweck, der Förderung und Wahrung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Die Subsumtion tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln unter diese weit gefasste Definition fällt demnach eigentlich nicht schwer. 57 2. Mittelbare oder unmittelbare Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Differenzierungsklauseln können also unmittelbare Vorteile für Gewerkschaftsmitglieder gewähren. Bei einfachen Differenzierungsklauseln und Spannenklauseln ist dies unmittelbar einleuchtend; derartige Klauseln formulieren die Tatbestandsvoraussetzungen, unter denen Arbeitnehmer tarifvertragliche Leistungen beanspruchen können. 58 Gleiches gilt auch für im Hinblick auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses differenzierende Klauseln. 59 Lediglich die Tarifausschlussklausel gewährt keine Leistung, sie verwehrt den Außenseitern bestimmte Leistungen. 60 Eine unmittelbare Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geht mit ihnen nicht einher. Es ist aber unverkennbar, dass hinter dem Wunsch nach Differenzierung insgesamt eine organisations- und sekuritätspolitische Zielsetzung der Gewerkschaften steht, die über den unmittelbaren Nutzen für den einzelnen Arbeitnehmer im konkreten Fall hinausgeht. Die Exklusivität bestimmter Leistungen soll Außenseiter zum Beitritt bewegen, um Organisationsgrad und Verhandlungsmacht der Gewerkschaft zu erhöhen und somit mittelbar der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu dienen. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob Art. 9 Abs. 3 GG nur eine unmittelbare Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen schützt, oder ob auch die mittelbare Wahrung und Förderung geschützt ist. a) Meinungsstand In der Literatur wird von einigen Stimmen bezweifelt, dass Differenzierungsklauseln unter den sachlichen Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG fallen. Dabei werden folgende Überlegungen angestellt: Teilweise wird argumentiert, dass Art. 9 Abs. 3 GG nicht den Schutz der Koalition selbst, sondern nur den Schutz 57
Knapp daher auch die Feststellung bei Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 143. Vgl. Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 61; Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 (1971). 59 Siehe Teil 1 C. I. 60 Ebenso Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 148 f. 58
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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ihrer Funktion, der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zugunsten der Arbeitnehmer umfassen soll. 61 Diesen Schutz benötige der Arbeitnehmer vor Behinderungen durch den Staat und die gegnerische Tarifpartei. Der Außenseiter hingegen gefährde die Funktionsfähigkeit der Koalition nicht. Folglich könne sich die Koalition, welche Differenzierungsklauseln vereinbare, nicht auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen. Bötticher vertritt die Auffassung, dass Zweck der gemeinsamen „Vereinbarungsbefugnis“ der Tarifvertragsparteien die Herstellung von Lohngerechtigkeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im weitesten Sinne sei; dieser Zweck schließe es aber zugleich aus, die „Tarifmacht“ einseitig von einer Tarifvertragspartei zur Lösung ihrer internen Organisationsprobleme zu nutzen. 62 Greiners Auffassung zufolge ist zu berücksichtigen, dass Differenzierungsklauseln letztlich auf eine Verschlechterung der individuellen Verhandlungsposition der Außenseiter abzielen. Diese gezielte Schwächung der Außenseiterposition könne nur schwerlich als Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen aufgefasst werden. 63 Ähnlich argumentiert Nikisch, wenn er darauf abstellt, dass es mit der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nichts zu tun habe, wenn die Gewerkschaften allein den Zweck verfolgten, die Außenseiter gewerkschaftlich zu organisieren. 64 Der Einfluss der Kernbereichsrechtsprechung wird besonders deutlich bei Hölters, nach dem nur solche sekuritätspolitischen Maßnahmen „in den Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG fallen, die unbedingt dazu erforderlich sind, ein System von leistungsfähigen Koalitionen zu erhalten“ 65. Wesensmerkmal derartiger Maßnahmen sei, dass der Werbeeffekt vorherrschendes Motiv sei; bei tariflichen Differenzierungsklauseln sei der Zweck aber „einzig und allein“, den Außenseiter von tarifvertraglichen Leistungen auszuschließen. 66 Demnach würden solche Klauseln nicht dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG unterfallen. Einen anderen Schwerpunkt setzt Giesen: Ihm zufolge ist die Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen „regelmäßig auf eine einheitliche Regelung ausgelegt“. 67 Darüber hinausgehende Leistungen seien nicht mehr vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst. 61 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 97; ders., Gutachten, S. 97 (131); Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 94 f.; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 42; Mayer-Maly, BB 1965, 829 (833 f.); Richardi, Kollektivgewalt, S. 185, 208. 62 Bötticher, RdA 1966, 401 (402 f.). Wenngleich Bötticher es a. a. O., 401, als positiv hervorhebt, dass die Problematik der Differenzierungsklauseln auf die Ebene des Tarifvertragsrechts verlegt wird, muss er doch bei der Bestimmung des „Zweck[s] der [. . .] Tarifmacht“ a. a. O., 402, letztlich wieder auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben zurückgreifen. 63 Greiner, DB 2009, 398 (400). 64 Nikisch, RdA 1967, 87 (88). 65 Hölters, Harmonie, S. 154. (Hervorhebung durch den Verfasser). 66 Hölters, Harmonie, S. 155. 67 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 276.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Die Gegenauffassung im Schrifttum möchte die Tarifautonomie nicht derart eng auf das Einzelarbeitsverhältnis beschränken. Auch verbandspolitische Motive, die über die Stärkung der koalitionären Schlagkraft (mittelbar) dem Schutz des Arbeitnehmers dienen sollen, sollen von der Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst sein. 68 Diese Ansicht beruht zunächst auf der Grundannahme, dass Art. 9 Abs. 3 GG als Doppelgrundrecht auch die Existenz der Koalition als solcher gewährleistet. 69 Wenn dem aber so sei, so wäre es sinnwidrig, den Koalitionen nicht auch Mittel an die Hand zu geben, die dem Bestandsschutz und -ausbau dienen. 70 Darüber hinaus sei es unrichtig, dass gewerkschaftliche Organisationspolitik nichts mit der Zielbestimmung des Art. 9 Abs. 3 GG zu tun habe, sie sei vielmehr ihre unerlässliche Voraussetzung. 71 Die Gegenansicht kann sich auf die Rechtsprechung des BVerfG und auch des BAG zur Mitgliederwerbung stützen. 72 Schon vor dem Hintergrund der Kernbereichslehre hat das BVerfG ausgeführt: „Dient die Werbung neuer Mitglieder der Sicherung des Bestandes der Koalitionen und soll sie die Voraussetzungen dafür erhalten und verbessern, daß die Koalitionen die ihnen zugewiesenen Aufgaben und die ihnen gewährleisteten Betätigungen wirksam erfüllen, so dient die Mitgliederwerbung damit doch nur mittelbar dem Zweck der Koalitionen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern. Dieser Umstand steht der Einbeziehung der Mitgliederwerbung in den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG jedoch nicht entgegen [Zitat].“ 73
68 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 132; Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 143 f.; Deinert, Anm. zu LAGE Nr. 15 a zu Art. 9 GG, 9 (14); Dorndorf, ArbuR 1988, 1 (16); Gamillscheg, Differenzierung, S. 83 ff.; Georgi, Zulässigkeit, S. 27 ff.; Hanau, JuS 1969, 213 (220); Jacobs, FS Bauer, S. 479 (486 f.); Krüger, Gutachten, S. 66 f.; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 60 ff.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 144 ff. (152); Säcker, Grundprobleme, S. 66 ff.; ders. / Oetker, Grundlagen, S. 70 f.; Reuß, AcP 166 (1966), 518 (523 f.); Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 249; Wagenitz, Tarifmacht, S. 101; Weller, ArbuR 1970, 161 (166). 69 Vgl. die Nachw. bei Fn. 24. 70 Siehe Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 62: „inkonsequent“; Gamillscheg, Differenzierung, S. 85: „sinnloser Widerspruch“; Krüger, Gutachten, S. 68: das Recht existenzsichernder Maßnahmen könne man „logischerweise nicht [. . .] verweigern“; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 148: „kurioses Ergebnis“; Schnorr, FS Molitor, S. 229 (234). 71 Gamillscheg, Differenzierung, S. 84; Hanau, JuS 1969, 213 (220), im Anschluss an BAG 14. 2. 1967 – 1 AZR 494/65, BAGE 19, 217 (222); Wagenitz, Tarifmacht, S. 101. 72 Darauf insbesondere abstellend Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 100 f.; Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 (1971). 73 BVerfG 26. 5. 1970 – 2 BvR 664/65, BVerfGE 28, 295 (305) (Mitgliederwerbung im Betrieb I). Siehe auch 30. 11. 1965 – 2 BvR 54/62, BVerfGE 19, 303 (313) (Streikbereitschaft). Die Frage noch offen lassend BVerfG 14. 4. 1964 – 2 BvR 69/62, BVerfGE 17, 319 (333) (Bayerische Bereitschaftspolizei).
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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Des Weiteren überlässt Art. 9 Abs. 3 GG nach gefestigter Rechtsprechung des BVerfG den Koalitionen die Wahl der Koalitionsmittel, die sie für die Erreichung des Koalitionszwecks für geeignet halten. 74 Das BAG hat sich schon früh der Ansicht des BVerfG hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Schutzes von Werbemaßnahmen angeschlossen, wenngleich es den Aspekt der nur mittelbaren Förderung dabei soweit ersichtlich nicht ausdrücklich aufgreift. 75 Inhaltlich klingt er gleichwohl an: „Insbesondere folgt aus Art. 9 Abs. 3 GG das Recht der Koalition, ihre Schlagkraft durch Maßnahmen mit dem Ziel der Mitgliedererhaltung und der Mitgliederwerbung zu stärken; Koalitionen, die ihrem grundgesetzlich geschützten Ziel entsprechend die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wahren und fördern, sind umso wirksamer und entsprechen daher desto mehr ihrem Sinn, je stärker u. a. ihre Mitgliederzahl ist.“ 76
b) Stellungnahme Die Anerkennung der Schutzes organisationspolitisch motivierter Maßnahmen erscheint zwingend, wenn man von der Annahme ausgeht, Art. 9 Abs. 3 GG sei ein Doppelgrundrecht, welches auch die Koalition als solche schützt. In der Tat ist es unverständlich, den Koalitionen selbst Grundrechtsschutz zukommen zu lassen, ihnen aber zugleich die Mittel zu effektiven Bestandsschutzmaßnahmen zu verwehren. Damit ist über die inhaltliche Rechtmäßigkeit der jeweiligen Maßnahme freilich noch nichts gesagt. Der Versuch, den Blickwinkel alleine darauf auszurichten, dass letztlich eine Verschlechterung der Verhandlungsposition der Außenseiter gewollt sei, lenkt lediglich ab von der Hauptintention: der mittelbaren Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Die Beeinträchtigung der Außenseiterstellung ist lediglich der unvermeidbare und in Kauf genommene Nebeneffekt, eine bloße Zwischenstation auf dem Weg zur verfassungsgemäßen Zweckerreichung. Dieser Zweck kann nicht pauschal geleugnet werden. 77 Die Frage kann nur sein, ob ein solcher Zweck ausreicht. Die Literaturstimmen, die der engen Auffassung folgen, werden überwiegend vom Kernbereichsgedanken getragen. Nach der allgemein akzeptierten Abkehr 74
BVerfG 6. 5. 1964 – 1 BvR 79/62, BVerfGE 18, 18 (32) (Hausgehilfinnenverband); 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (368) (Mitbestimmungsurteil); 26. 6. 1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224) (Aussperrung). 75 BAG 14. 2. 1967 – 1 AZR 494/65, BAGE 19, 217 (222); 11. 11. 1968 – 1 AZR 16/68, BAGE 21, 201 ff.; 14. 2. 1978 – 1 AZR 280/77, BAGE 30, 122 (126 f.); 23. 2. 1979 – 1 AZR 172/78, BAGE 31, 318 (324 f.). 76 BAG 11. 11. 1968 – 1 AZR 16/68, BAGE 21, 201 (207). 77 So aber Bauer / Arnold, NZA 2005, 1209 (1211); Hölters, Harmonie, S. 155; Nikisch, RdA 1967, 87 (88). Zutreffend dagegen Jacobs, FS Bauer, S. 479 (486 f.).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
von der Kernbereichsdogmatik fällt es jedoch noch schwerer, bestandssichernde Maßnahmen aus dem sachlichen Schutzbereich der kollektiven Koalitionsfreiheit herauszunehmen. Es wird kaum der Nachweis gelingen, Bestandsschutz und -erweiterung seien nicht koalitionsspezifisch. Darüber hinaus lässt eine derart einengende Sichtweise bereits Aspekte in die Schutzbereichsbestimmung einfließen, die erst auf der Rechtfertigungsebene ihren Platz haben: Für eine Einschränkung bereits des Schutzbereichs geben die Rechtspositionen Dritter wenig her. Auch der Hinweis darauf, dass Art. 9 Abs. 3 GG regelmäßig auf eine einheitliche Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ausgelegt ist, 78 kann nicht dazu führen, dass bereits der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit für eine Sonderbehandlung von Gewerkschaftsmitgliedern verschlossen bleibt. Die Forderung nach grundsätzlicher Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen von Tarifgebundenen und Außenseitern ist eine Forderung, die über die rechtliche Grundlegung in den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG hinausreicht. Auch steht es dem Arbeitgeber frei, den Außenseiter nicht zu tariflichen Bedingungen arbeiten zu lassen. Aus der faktischen Wirkung der Tarifverträge für den weit überwiegenden Teil aller Arbeitsverhältnisse kann aber kein Rückschluss auf die Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln erfolgen. Die Frage, ob Tarifverträge einheitliche Arbeitsbedingungen für Organisierte und Außenseiter schaffen müssen, ist eine Frage der inhaltlichen Rechtmäßigkeit und anhand von Art. 3 Abs. 1 GG zu beantworten. 79 Damit ist der Auffassung der Rechtsprechung und der wohl überwiegenden Literaturmeinung zu folgen. Der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit umfasst alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. Differenzierungsklauseln, die (mittelbar) den Zweck verfolgen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern, sind koalitionsspezifisch und unterfallen dem weit zu interpretierenden Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG. Auch die Vereinbarung einer Stichtagsregelung, wie sie dem Urteil des BAG vom 9. 5. 2007 vorlag, 80 wird man grundsätzlich als Regelung zur mittelbaren Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ansehen müssen, wobei im Fall der Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung der Schwerpunkt freilich auf dem Aspekt der Wahrung, nicht auf dem der Förderung liegt: Im fraglichen Fall konnte die Stichtagsregelung zwar keine Werbewirkung auf Außenseiter ausüben, denn sie setzte eine Mitgliedschaft in der IG BCE voraus, die bereits vor Tarifabschluss eingegangen worden war. Der nachträgliche Eintritt in die Gewerkschaft sollte nicht zur Anspruchsberechtigung führen. Die tarifvertragliche Differenzierung mittels Stichtagsregelung belohnt aber bishe78 79 80
Giesen, Rechtsgestaltung, S. 267. Siehe dazu Teil 2 D. V. Siehe Teil 1 E. IV.
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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rige Gewerkschaftstreue und wirkt einem Austritt Organisierter entgegen: Später aus der Gewerkschaft austretende Arbeitnehmer würden den Anspruch auf den Bonus verlieren. Auch die Sicherung des Altbestands dient der Tarifautonomie. Ob eine derartige Regelung letzten Endes sinnvoll ist, da sie schließlich keine Beitrittsanreize setzt, ist eine gewerkschaftspolitische Frage, keine juristische. Nicht unter den Schutzbereich fällt nach dem Gesagten jedoch eine Differenzierung zulasten von anders- oder nichtorganisierten Arbeitnehmern desselben Unternehmens, die nicht unter den persönlichen Geltungsbereich des differenzierenden Tarifvertrags fallen. Denn diese Außenseiter könnten die Vergünstigung auch nicht durch Verbandsbeitritt erlangen. Das betrifft insbesondere die Spartengewerkschaften. So wäre es etwa unzulässig, wenn die Vereinigung Cockpit e.V. (VC) eine Tarifvereinbarung anstreben würde, die es einem Luftverkehrsunternehmen verbietet, zusätzliches Urlaubsgeld auch an Kabinenpersonal auszuzahlen. Gemäß Ziff. 3.3.1 der VC-Satzung besteht für Kabinenpersonal keine Beitrittsmöglichkeit zur VC. 81 Mangels Beitrittsmöglichkeit des Kabinenpersonals zur VC verfehlt eine derartige Differenzierungsklausel ihren legitimen Zweck, Anreiz zum Beitritt zur Gewerkschaft zu sein. Auch das Problem des Trittbrettfahrens stellt sich bei dieser Berufsgruppe nicht. Einziges Ziel einer solchen Klausel ist die Schwächung des Außenseiters ohne damit einhergehender Stärkung der eigenen Gewerkschaft. Dieser Fall hat nichts mehr mit der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu tun. c) Ergebnis Abgesehen von der zuletzt genannten Konstellation bleibt als Ergebnis festzuhalten, dass Differenzierungsklauseln der sachlichen Reichweite der Tarifautonomie unterfallen, da sie (zumindest mittelbar) der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen.
III. Personelle Reichweite der Tarifautonomie Gegen die Aufnahme von Differenzierungsklauseln in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG könnte eingewandt werden, dass solche Klauseln nicht mehr 81 „Ordentliches Mitglied können in der Regel nur Mitarbeiter eines Unternehmens werden, die als a) Verkehrs- / Berufsflugzeugführer b) Verkehrs- / Berufshubschrauberführer c) Flugingenieur oder d) Fluglehrer mit CPL / CHPL-IFR-Lehrberechtigung die an einer Verkehrsfliegerschule beschäftigt sind.“
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
der personellen Reichweite der Tarifautonomie unterfallen. Differenzierungsklauseln haben Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse der Außenseiter und nehmen diese auch gezielt in den Blick. Je nach Art der Differenzierungsklausel fallen diese Auswirkungen freilich unterschiedlich stark aus: Eine einfache Differenzierungsklausel erhebt lediglich die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft zum anspruchsbegründenen Merkmal, so dass der Außenseiter gezwungen wird nachzuverhandeln, wenn er auch auf die tarifliche Sonderleistung Zugriff haben will. Weitaus größere Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse der Außenseiter haben qualifizierte Differenzierungsklauseln. In personaler Hinsicht ist die Tarifautonomie nach h. M. grundsätzlich nur mit Bezug auf die Koalitionsmitglieder gewährleistet. 82 Dies wird damit begründet, dass § 3 Abs. 1 TVG die tarifvertragliche Normsetzung im Grundsatz auf die Verbandsmitglieder beschränkt. Gleichwohl nehmen die Koalitionen auf vielfältige Weise Einfluss auf die Arbeitswelt insgesamt. Dieser Befund hat in Rechtsprechung und Literatur die Frage aufgeworfen, ob und, falls ja, inwieweit Ausnahmen vom Grundsatz der Beschränkung koalitionsmäßigen Verhaltens auf die Mitglieder anzuerkennen sind. Deshalb ist dieser Grundsatz im Folgenden näher zu beleuchten. Der Thematik der vorliegenden Erörterung ist es dabei immanent, dass die Rolle der Gewerkschaften und ihre Beziehung zu ArbeitnehmerAußenseitern dabei im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Die Ausführungen gelten aber darüber hinaus in weiten Teilen auch für die Arbeitgeberseite. 1. Meinungsstand Die Zulässigkeit koalitionsspezifischen Handelns, das Überwirkungen auch auf Außenseiter hervorruft, ließe sich dann begründen, wenn den Koalitionen eine Gesamtrepräsentationsfunktion für alle Arbeitnehmer zukäme, für die die Koalitionen ihre sachliche Zuständigkeit beanspruchen. Die Meinungen zu dieser Frage in Rechtsprechung und Schrifttum gehen auseinander. a) Interessen- oder Legitimationstheorie Im Schrifttum findet sich eine beachtliche Zahl von Stimmen, die den verfassungsrechtlich verbürgten Aktionsradius der Koalitionen auf Angelegenheiten beschränken wollen, die ausschließlich deren Mitglieder betreffen (sog. Interessen- oder Legitimationstheorie). 83 Weder dürften die Gewerkschaften Normen mit unmittelbarer Geltung für Außenseiter setzen, noch sei ihnen die Aufgabe zur 82 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 15 f.; Hergenröder in: Henssler / Wilemsen / Kalb, Arbeitsrecht, Art. 9 GG Rn. 115; Loritz, Tarifautonomie und Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers, S. 30; Waltermann, ZfA 2000, 53 (61). Kritisch aber Söllner, ArbuR 1966, 257 (261).
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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Gesamtrepräsentation aller Arbeitnehmer übertragen. 84 Gewerkschaften seien „Berufsverbände“ und nicht Repräsentanten der gesamten Arbeitnehmerschaft. 85 Sie seien durch den Beitritt der Mitglieder nur zu deren Interessenvertretung legitimiert. Auch der Rechtsprechung des BVerfG lassen sich Äußerungen entnehmen, die dahingehend gedeutet werden können, Art. 9 Abs. 3 GG beschränke die Betätigungsgarantie der Koalitionen auf deren Mitglieder. So führt das BVerfG in mehreren Entscheidungen aus, die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsbetätigung diene dem Zweck, „die Arbeitsbedingungen und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern“ 86. Folgt man dieser Ansicht, liegt es nahe anzunehmen, dass sich die Koalitionen der Einflussnahme auf Außenseiter-Arbeitsverhältnisse zu enthalten haben. b) Repräsentationstheorie Die Gegenansicht kommt nach einer Betrachtung der geschichtlichen Grundlagen der Tarifautonomie sowie der Verfassungswirklichkeit zu der Einschätzung, dass den Koalitionen sehr wohl Repräsentationsfunktionen für die gesamte Arbeitnehmerschaft zukommen (sog. Repräsentationstheorie). 87 Der Gesetzgeber habe die Repräsentationsfunktion der Koalitionen in zahlreichen Bestimmungen anerkannt. Die ganzheitliche Interessenwahrnehmung entspreche ebenfalls dem 83 Vgl. Blom, Tarifausschlußklausel, S. 27 f.; Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 113 f.; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 33 f.; Bübenbender, RdA 2000, 193 (202 f.); Buchner, ZfA 2004, 229 (234); Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 57, der allerdings a. a O., Rn. 76, – insoweit inkonsequent – ein beschäftigungspolitisches Mandat der Koalitionen befürwortet, da Arbeitslosigkeit ein Übel sei, welches die Arbeitnehmerschaft ganz besonders schwer belaste; Georgi, Zulässigkeit, S. 53 ff.; Koller, ZfA 1978, 45 (57 ff.); Kraft, ZfA 1973, 243 (248); Löwisch/Rieble in: Richardi et al., MünchArbR II, § 244 Rn. 9; Picker, ZfA 1998, 573 (599 ff.); Richardi, Kollektivgewalt, S. 207 f., 246. 84 Koller, ZfA 1978, 1 (59). 85 Picker, ZfA 1998, 573 (603). 86 Vgl. BVerfG 14. 4. 1964 – 2 BvR 69/62, BVerfGE 17, 319 (333) (Bayerische Bereitschaftspolizei); 6. 5. 1964 – 1 BvR 79/62, BVerfGE 18, 18 (26) (Hausgehilfinnenverband); 15. 7. 1980 – 1 BvR 24/74 u. a., BVerfGE 55, 7 (23) (Allgemeinverbindlicherklärung II); 7. 4. 1981 – 2 BvR 446/80, BVerfGE 57, 29 (37) (Verbot des Uniformtragens). (Hervorhebung durch den Verfasser). 87 Siehe etwa Gamillscheg, Differenzierung, S. 36 ff., 93 ff.; Kreiling, Erstreckung, S. 130; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 76 ff.; Mürau, Sonderleistungen, S. 28 f.; Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 67 ff.; Waltermann, ZfA 2000, 53 (66 ff., 71 ff. und passim); Weller, ArbuR 1970, 161 (164); Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 49 ff. Auch Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 113 f., scheint dieser Auffassung zuzuneigen; er spricht vom „Gesamtauftrag“ der Koalitionen, der es ihnen nicht gestatte, sich dort nach ihrem Belieben nur als Interessenvertreter ihrer Mitglieder zu betätigen, wo sie erkennbar auch für den Außenseiter in den Dienst genommen seien. Siehe ferner Kocher, NZA 2009, 119 (123).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Selbstverständnis zumindest der großen Gewerkschaften. Des Weiteren komme den Gewerkschaften eine Ordnungsaufgabe zu, die auf die Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens insgesamt ausgerichtet sei. 88 Dieser Standpunkt kann sich ebenfalls auf Ausführungen des BVerfG stützen, welches in seiner Entscheidung zu den Arbeitnehmerkammern ausgeführt hat, dass die Gewerkschaften „die Repräsentation der Arbeitnehmerinteressen in Staat und Gesellschaft in umfassender Weise“ wahrnehmen. 89 Auch das BAG geht in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln davon aus, dass den Tarifvertragsparteien eine umfassende Regelungsaufgabe zukommt, die sich auf die Arbeitsbedingungen aller Arbeitnehmer richtet, die in demjenigen Ausschnitt des Arbeitslebens beschäftigt sind, für den die Verbände in ihren Satzungen ihre sachliche Zuständigkeit in Anspruch nehmen. 90 Eine gewisse Außen- oder Überwirkung auf die Arbeitsbedingungen der Außenseiter ist nach dieser Auffassung zulässig. c) Theorie der erweiterten Autonomie Verwandt sind dem Gedanken einer Gesamtrepräsentation Überlegungen, die vor allem in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts unter dem Topos „erweiterte Autonomie“ angestellt worden sind. Dieser Auffassung zufolge soll es eine Besonderheit der Tarifautonomie sein, dass Rechtsverhältnisse normativ geregelt würden, die notwendigerweise über den Kreis der Mitglieder der Tarifvertragsparteien hinausgingen. 91 Der Tarifvertrag sei innerhalb der Autonomie ein Instrument zur Schaffung sozialer Ordnung für seinen Geltungsbereich; er strebe eine Ordnung an, die alle erfasse, „die es angeht“. 92 Der Gesetzgeber habe den Tarifvertragsparteien auch mit Blick auf die Außenseiter die Regelungsaufgabe als eigene Aufgabe überlassen. Im Gegensatz zur Theorie der Gesamtrepräsentation zielt die Lehre von der „erweiterten Autonomie“ vornehmlich darauf ab, eine Erklärung für die normative Wirkung von tariflichen Regelungen auch für Außenseiter zu geben, die bereits positivrechtlich – etwa in den §§ 3 Abs. 2, 5 TVG – vorgesehen ist. Die Aufgabe zur Gesamtrepräsentation wird hingegen auch zur Erläuterung und Rechtfertigung von gewerkschaftlichem Handeln 88 Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 82 ff.; Mürau, Sonderleistungen, S. 29; Söllner, ArbuR 1966, 257 (261); Waltermann, ZfA 2000, 53 (77 f.). 89 BVerfG 18. 12. 1974 – 1 BvR 420/65 und 259/66, BVerfGE 38, 281 (305) (Arbeitnehmerkammern); siehe auch BAG 15. 3. 1977 – 1 ABR 16/75, BAGE 29, 72 (83). 90 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1035). 91 Galperin, FS Molitor, S. 143 (147). 92 Bogs, RdA 1956, 1 (4); Galperin, FS Molitor, S. 143 (148); Herschel, FS Bogs, S. 125 (132), alle mit Verweis auf Lotmar. Gegen die Annahme einer „erweiterten Autonomie“ im Hinblick auf § 5 TVG dezidiert BVerfG 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 (344) (Allgemeinverbindlicherklärung I). Siehe auch Giesen, Rechtsgestaltung, S. 184; Schubert, RdA 2001, 199 (203 f.).
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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mit Außenseitertangierung im umfassenden Sinn, also nicht beschränkt auf das Phänomen der Rechtsnormsetzung, herangezogen. 93 d) Folgerungen aus der Gesamtrepräsentation Im Hinblick auf die Folgen, die sich aus der Anerkennung einer Gesamtrepräsentationsfunktion ergeben, herrscht ebenfalls Uneinigkeit. So folgert Zöllner aus dem Repräsentationsgedanken, dass sich die Verbände bei der Vereinbarung tariflicher Regelungen so zu verhalten hätten, „als ob sie Recht für alle setzen würden“ 94. Organisierte und Außenseiter seien gleich zu behandeln. Dies schließe eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit aus; Differenzierungsklauseln bedeuteten insofern eine Einschränkung der Repräsentationsfunktion. 95 Dagegen ist Gamillscheg der Ansicht, dass eine maßvolle Differenzierung der Repräsentationsaufgabe nicht entgegenstehe. 96 Verneint man hingegen eine Gesamtrepräsentationsfunktion der Gewerkschaften, muss dies nicht zwangsläufig dazu führen, dass Differenzierungsklauseln nicht mehr der Regelungszuständigkeit der Verbände unterfallen: Der Schutz von Differenzierungsklauseln durch Art. 9 Abs. 3 GG ließe sich argumentativ auch untermauern, wenn man von einer Repräsentationsfunktion absieht und stattdessen das institutionelle Wesen der Tarifautonomie hervorhebt. 97 Versteht man Autonomie in erster Hinsicht als ein Instrument zur Regelung von Sonderrechtsverhältnissen und Sondervorteilen innerhalb spezifisch organisierter Rechtsgemeinschaften, liegt es nicht fern, der autonomen Regelungsbefugnis auch solche Mittel zuzugestehen, die eine Begrenzung der geschaffenen Regelungen auf den autonomieunterworfenen Personenkreis bezwecken. Differenzierungsklauseln würden nach einem derartigen Verständnis lediglich absichern, dass der Außenseiter auch faktisch von den Vorteilen ausgeschlossen wird, die ihm – als nicht Tarifgebundenem – rechtlich ohnehin nicht zustehen. 98
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Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 80. Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 49. 95 Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 52 f. Ähnlich auch Schüren, RdA 1988, 138 (140); Thüsing, NZA-Beil. 2010, 104 (106 f.), mit rechtsvergleichendem Blick auf die zur Gesamtrepräsentation verpflichtete US-amerikanische bargaining unit. Dabei bleibt allerdings unberücksichtigt, dass das US-amerikanische Recht im Gegensatz zum deutschen gerade einen Ausgleichsmechanismus (fair share) zwischen Organisierten und Außenseitern zulässt, vgl. oben Teil 1 D. 96 Gamillscheg, Differenzierung, S. 46. Im Ergebnis auch Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 87; Schnorr, JR 1966, 327 (332). Ähnlich auch Wiedemann, RdA 1969, 321 (328). 97 Siehe hierzu Schnorr, JR 1966, 327 (331 f.). 98 Schnorr, JR 1966, 327 (332). 94
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Ob der Gesamtrepräsentationsfunktion, sollte man von ihrer Existenz ausgehen können, überhaupt eine rechtliche Bedeutung zukommt, ist im Schrifttum nicht zuletzt mit Blick auf die unterschiedlichen Folgerungen, die aus ihr gezogen werden, bezweifelt worden. 99 2. Stellungnahme a) Wortlaut, Systematik und Konzeption der Tarifautonomie Dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG lässt sich eine personale Begrenzung der Regelungszuständigkeit nicht entnehmen. 100 Im Gegenteil: Dort steht nicht, dass jeder „zur Wahrung und Förderung seiner Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ Vereinigungen bilden kann, sondern „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“. Daraus ließe sich bei unbefangener Betrachtung auf eine Aufgabenzuweisung in toto, also ohne personale Begrenzung schließen. Zumindest kann der Wortlaut nicht gegen eine mögliche Gesamtrepräsentationsfunktion angeführt werden. Es wird jedoch aus systematischer Perspektive darauf hingewiesen, dass man Art. 9 Abs. 3 GG nicht ohne Rücksicht auf Art. 9 Abs. 1 GG interpretieren dürfe. Die Koalitionsfreiheit sei eine besondere Ausprägung, d. h. ein Unterfall der allgemeinen Vereinigungsfreiheit. 101 Die Vereinigungsfreiheit beruhe aber unstreitig auf dem privatautonomen Beitritt ihrer Mitglieder; nur diese seien an das Verbandsrecht gebunden. Dem ist insofern zuzustimmen, als es um das Aufstellen zwingender Regelungen für Verbandsmitglieder geht. Insofern gilt auch für die Koalitionsfreiheit nichts anderes; § 3 Abs. 1 TVG beschränkt die Normwirkung von Tarifverträgen im Grundsatz auf Verbandsmitglieder. Darüber hinausgehende Normwirkungen bedürfen einer besonderen gesetzlichen Anordnung, wie sie etwa mit den §§ 3 Abs. 2, 5 TVG erfolgt sind. Die Frage der Gesamtrepräsentation der Gewerkschaften ist jedoch nicht auf die Normsetzung begrenzt. 102 Eine über die Mitglieder hinausgehende Interessenwahrnehmung ist auch „einfachen“ Vereinigungen gemäß Art. 9 Abs. 1 GG nicht versagt. So hat etwa der vereinsmäßig organisierte Einsatz für Naturschutz, Kultur oder 99 Siehe Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 168 f.; Schnorr, JR 1966, 327 (332), der die entgegengesetzten Ergebnisse auf den „metajuristischen Charakter“ der Diskussion um Interessentheorie und Repräsentationstheorie zurückführt. Auch Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 69, sind der Ansicht, dass die Kontroverse zwischen Repräsentationstheorie und Interessentheorie „nur wenige zwingende Aussagen für die personelle Reichweite der verfassungsrechtlichen Koalitionsbetätigungsgarantie“ enthält. 100 So auch Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 32 f. A. A., aber ohne Begründung, Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 400. 101 Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 33. 102 Siehe hierzu Teil 2 B. III. 2. e).
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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für Rechte von Minderheiten regelmäßig gesamtgesellschaftliche Auswirkungen und ist nicht auf die Interessenwahrung der Vereinsmitglieder beschränkt, ohne dass man den Vereinigungen deshalb mangelnde Legitimation vorwerfen könnte. Gemeinnützige Vereine sind eine feste Größe im modernen Sozialstaat. Ihr Engagement wird von der Rechtsordnung begrüßt. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch aus dem Zusammenspiel mit Art. 9 Abs. 1 GG nicht zwingend ableiten, die Koalitionen des Art. 9 Abs. 3 GG hätten bei ihrer Betätigung nur Mitgliederinteressen wahrzunehmen. Die grundsätzliche Beschränkung ergibt sich aber aus der Konzeption der Autonomie selbst. Autonomie bedeutet übersetzt so viel wie „Eigengesetzlichkeit“, „sich selbst Gesetze gebend“; das in Art. 9 GG insgesamt zum Ausdruck kommende Verbandsprinzip legt es nahe, diesen Selbstbezug nicht nur im Hinblick auf die sachliche Reichweite zu berücksichtigen, sondern ihn auch personell in Anschlag zu bringen. Der Verfassungsgeber hat die Aufgabe der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in die Hände von Verbänden gelegt; diesen und deren Mitgliedern soll der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG und der Ertrag koalitionsmäßigen Handelns in erster Linie zukommen. Es geht somit in erster Linie um die Regelung der eigenen Angelegenheiten der Verbandsmitglieder, nicht um die Determination der Arbeitsbedingungen von Außenstehenden. 103 Damit ist eine Inanspruchnahme der Außenseiter ohne jeden Bezug zur Wahrnehmung eigener Interessen schwer verträglich. Dementsprechend wird zu Recht hervorgehoben, dass den Gewerkschaften eine Legitimation, ausschließlich Außenseiter an den Tarifvertrag zu binden, nicht zukommt. 104 Der Gegenschluss, die Tarifvertragsparteien dürften sich überhaupt nicht mit den Außenseitern beschäftigen, ist damit aber noch nicht erbracht. b) Tatsächliche Anhaltspunkte In tatsächlicher Hinsicht ist festzustellen, dass die Tarifvertragsparteien stets erheblichen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen insgesamt hatten und noch haben. Schon in der Übereinkunft zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden vom 15. 11. 1918, die Grundlage für die im Dezember 1918 folgende TVVO war, wurde konstatiert: „Die Gewerkschaften werden als berufene Vertretung der Arbeiterschaft anerkannt.“ 105 103 Insoweit – wenngleich freilich Autonomie und Normsetzung gleichsetzend – zutreffend auch BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (189): „Es ist für jede Autonomie charakteristisch, daß sie Recht ohne staatliche Mitwirkung nur für die Verbandsangehörigen setzen kann.“ Vgl. auch Kreiling, Erstreckung, S. 132 f.; Schnorr, JR 1966, 327 (332); Waltermann, ZfA 2000, 53 (57, 74 f.). 104 Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 43; Franzen in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, § 3 TVG Rn. 17.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Es war stets das Bestreben der Gewerkschaften – und auch der Arbeitgeberverbände – die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auch über ihren Mitgliederkreis hinaus zu gestalten. Heute bestimmen Tarifverträge den weit überwiegenden Teil sämtlicher Arbeitsverträge, seien die Arbeitnehmer nun organisiert oder nicht. So werden Tarifwerke herangezogen, um die übliche Vergütung i. S. d. § 612 Abs. 2 BGB zu bestimmen. 106 Insbesondere der TVöD gilt faktisch als „Gesetz der abhängigen Beschäftigung im Öffentlichen Dienst“ 107 für die seinem sachlichen Geltungsbereich unterfallenden Arbeitsverhältnisse. Des Weiteren orientiert sich die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zur sittenwidrigen Entlohnung an den einschlägigen Tarifwerken; ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung i. S. v. § 138 Abs. 2 BGB liegt demnach vor, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht. 108 Die Koalitionen bestimmen folglich die Arbeitsbedingungen des Großteils der arbeitenden Bevölkerung 109 und nehmen somit Interessen wahr, die weit über diejenigen der bei ihnen organisierten Personen hinausgehen. Die in § 3 Abs. 1 TVG zum Ausdruck kommende Idee der Tarifgeltung (im Grundsatz nur) für Organisierte findet in der Wirklichkeit keine Entsprechung. Der Tarifvertrag strebt faktisch nach allgemeiner Geltung für alle Berufsangehörigen. 110 Auch die Tatsache, dass der Außenseiter überhaupt eine aussichtsreiche Verhandlungsposition gegenüber dem Arbeitgeber innehat, lässt sich regelmäßig nur vor dem Hintergrund bestehender Tarifverträge erklären. Für den Außenseiter hebt ein in seinem sachlichen Geltungsbereich wirkender Tarifvertrag seine Verhandlungsposition im Hinblick auf den Individualvertrag auf das Niveau des Tarifvertrags an; sollte der Arbeitgeber dem Außenseiter die tariflichen Leistungen verweigern wollen, könnte letzterer der Gewerkschaft beitreten mit der Folge, dass der Tarifvertrag auf diese Weise zur Anwendung gelangt. Dieses „Drohpotential“ erhält der Außenseiter erst durch den Verband, dem er nicht angehört. 105 RArbBl. 1918, S. 874. Vgl. hierzu näher Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 114 f. 106 Vgl. etwa Preis in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, § 612 BGB Rn. 38; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 546; Wiedemann, RdA 1997, 297 (299). 107 So zum dem TVöD vorausgehenden BAT Waltermann, ZfA 2000, 53 (78). Vgl. auch Kreiling, Erstreckung, S. 117; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 14: „branchenspezifisches Arbeitsgesetzbuch“. 108 BAG 22. 4. 2009 – 5 AZR 436/08, AP Nr. 64 zu § 138 BGB. 109 Exakte Daten gibt es insoweit nicht; Schätzungen reichen von knapp 80 % bis über 90 %, siehe Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 22; Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 1; Zöllner / Loritz / Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 347, jeweils m. w. Nachw. 110 So bereits Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 270. Siehe auch Gamillscheg, Differenzierung, S. 40; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 77; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 32; Söllner, ArbuR 1966, 257 (261).
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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Die beschriebene faktische Einwirkung auf die gesamte, ihrem sachlichen Zuständigkeitsbereich unterfallende Arbeitswelt entspricht dem Selbstverständnis der großen Gewerkschaften. 111 Der Wille zur Gesamtrepräsentation kommt etwa in § 2 Nr. 3 lit. b der DGB-Satzung zum Ausdruck, demgemäß der DGB umfassend die sozialpolitischen Interessen aller Arbeitnehmer vertritt. 112 Die neuerdings selbständig agierenden Spartengewerkschaften hingegen vertreten ganz überwiegend Partikularinteressen. 113 Allerdings ist zu beachten, dass allein der tatsächliche Repräsentationsanspruch, den die Gewerkschaften geltend gemacht haben und immer noch geltend machen, über dessen verfassungsrechtliche Anerkennung noch keine hinreichende Aussage enthalten kann. 114 Auch im Arbeitskampf bleibt der Außenseiter nicht von der Betätigung der Koalitionen unberührt. 115 Die verschiedenen Überwirkungen sind hier sogar noch einschneidender als im Tarifrecht; der gewerkschaftliche Streikaufruf zeitigt Rechtsfolgen für sämtliche Betriebsangehörige, der Mitgliedsstatus rückt in den Hintergrund. Auch der Außenseiter kann demnach am Streik der Gewerkschaft teilnehmen, ohne dadurch seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu verletzen; der Arbeitgeber darf ihm nach den Grundsätzen des Arbeitskampfrisikos die Lohnzahlung während des Streiks vorenthalten und kann ihn sogar aussperren. 116 Eine gravierendere Einflussnahme auf den Außenseiter ist schwer denkbar. Die Zulässigkeit der Aussperrung von Außenseitern beruht dabei auch auf der Überlegung, dass das erkämpfte Tarifwerk zwar nicht mit normativer Wirkung, gleichwohl aber faktisch auch den Anders- bzw. den Nichtorganisierten zugute kommt. 117 111 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 474 ff.; Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 67 ff. 112 Die Satzungen der beiden größten DGB-Gewerkschaften, ver.di und IG Metall, enthalten allerdings – worauf auch BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1035), hinweist – keinen expliziten Repräsentationsanspruch. 113 Vgl. etwa § 2 Nr. 2 der GDL-Satzung: „Ziel der GDL ist es, die beruflichen, sozialen, wirtschaftlichen, rechtlichen und ökologischen Interessen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern.“ oder Ziff. 2.3 der VC-Satzung: „Die wesentlichen Ziele der VC sind die Mitwirkung am Wohl der Zivilluftfahrt sowie die Wahrung und Verfolgung der berufspolitischen und tariflichen Interessen ihrer ordentlichen und außerordentlichen Mitglieder.“ (Hervorhebungen durch den Verfasser). 114 Kreiling, Erstreckung, S. 126 f.; Loritz, Tarifautonomie und Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers, S. 56 f.; Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 67 f. 115 Gamillscheg, Differenzierung, 38 f.; Wiedemann, RdA 1969, 321 (325 f.). Grundlegend zur Rechtsstellung des Nicht- oder Andersorganisierten bei Streik und Aussperrung Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf. 116 Siehe BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (195); 21. 4. 1971 – GS 1/68, BAGE 23, 292 (310); 10. 6. 1980 – 1 AZR 331/79, BAGE 33, 195 (202); 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1036). Vgl. aus der Literatur etwa Brox in: Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., § 9 Rn. 289, m. w. Nachw. 117 BAG 10. 6. 1980 – 1 AZR 331/79, BAGE 33, 195 (202). Lieb / Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 659.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
c) Gesetzliche Anhaltspunkte Auch im Gesetz lassen sich Anhaltspunkte dafür finden, dass das Betätigungsfeld der Koalitionen nicht auf deren Mitgliederbestand beschränkt ist. Dabei ist zunächst auf § 3 Abs. 2 TVG hinzuweisen, nach dem tarifliche Rechtsnormen auch gegenüber Außenseitern Geltung erlangen, soweit sie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen zum Gegenstand haben. Nur der Arbeitgeber muss tarifgebunden sein. § 3 Abs. 2 TVG gestattet also die Normsetzung hinsichtlich Außenseitern. Damit wird erkennbar, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des TVG davon ausgegangen ist, dass auch Außenseiter vom Wirken der Koalitionen erfasst werden können und sollen. 118 Aus dem hier zugrunde gelegten Verständnis ergibt sich daraus zugleich ein Hinweis auf die personelle Reichweite der Tarifautonomie: Das Recht zur Normsetzung kann nicht weiter gehen als die Tarifautonomie selbst geht, da die Tarifautonomie Voraussetzung bzw. Bedingung der Normsetzungsbefugnis ist. Das Bedingte reicht nicht weiter als die Bedingung. 119 Die durch § 3 Abs. 2 TVG eingeräumte Normsetzungsbefugnis hat demnach zwingend Anteil an der Tarifautonomie. 120 Ähnliches gilt für die Tariferstreckung mithilfe einer Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 TVG. Auch hier wird der Außenseiter einem fremden Regelwerk unterworfen, welches in Ausübung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit zustande gekommen ist. Freilich wird diese Fallgestaltung dadurch entschärft, dass zu einer Allgemeinverbindlicherklärung stets noch ein Akt staatlicher Wil118
Vgl. Waltermann, ZfA 2000, 53 (61 f.). Treffend Schnorr, JR 1966, 327 (328); Waltermann, ZfA 2000, 53 (58); ders., FS Söllner, S. 1251 (1261). 120 Daraus darf jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass (1.) der Gesetzgeber den Koalitionen in beliebiger Weise Normsetzungsbefugnisse einräumen dürfte, aus denen dann (2.) stets auf eine insoweit bestehende Tarifautonomie zurückgeschlossen werden könnte, vgl. auch BVerfG 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 (347 f.) (Allgemeinverbindlicherklärung I). Hinsichtlich § 3 Abs. 2 TVG bestehen in dieser Hinsicht aber keine Bedenken: Durch § 3 Abs. 2 TVG erfolgt eine gesetzgeberische Ausgestaltung in der Weise, dass die Normsetzungsbefugnis, die in sachlicher Hinsicht ohnehin schon besteht (und die dem von Art. 9 Abs. 3 GG aufgespannten Aufgabenbereich zuzuordnen ist), personell erweitert wird. Eine andere Sichtweise sieht sich mit einem kaum zufriedenstellend lösbaren Problem konfrontiert: Eine außerhalb der Tarifautonomie liegende Normsetzungsbefugnis ließe sich nur mit einer Delegation staatlicher Rechtsetzungsmacht erklären. Der Geltungsgrund der betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Normen des Tarifvertrags wäre damit kein einheitlicher, sondern mit Blick auf die Koalitionsmitglieder als Ausformung der Tarifautonomie, mit Blick auf die Außenseiter jedoch als tarifautonomiefremde, staatlich delegierte Normsetzungsbefugnis zu verstehen, deren Legitimation zweifelhaft ist. Gegen die Annahme, dass die in § 3 Abs. 2 TVG erkennbare Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien auch für Außenseiter auf die Tarifautonomie zurückzuführen ist, Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 310; Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 59. Wie hier dagegen Kreiling, Erstreckung, S. 130; Söllner, ArbuR 1966, 257 (261). 119
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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lensentschließung hinzukommen muss, so dass ein denkbares Legitimationsproblem dadurch kompensiert werden kann. 121 Gleichwohl erkennt Bötticher im Institut der Allgemeinverbindlicherklärung „ein Stück potentieller Tarifmacht der Koalitionen über die Außenseiter“ 122. Besonderheiten bestehen auch für den Fall des Verbandsaustritts gemäß §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG: Trotz mangelnder Mitgliedschaft gelten die Rechtsnormen des Tarifvertrags weiter. Ferner greift der Gesetzgeber bei einer Vielzahl von Regelungen auf den Sachverstand der Koalitionen zurück. Zu denken ist hier insbesondere an den Einfluss der Verbände auf Gesetzgebung und Verwaltungsmaßnahmen im Hinblick auf die arbeitsgerichtliche Organisation gemäß §§ 14 Abs. 5, 15 Abs. 1 S. 2 ArbGG und ihre Beteiligung an der personalen Zusammensetzung der Spruchkörper gemäß §§ 18 Abs. 2 S. 1, 20 Abs. 2, 36, 43 Abs. 1 ArbGG. 123 Im Bereich der Berufsbildung ist den Gewerkschaften bei der Zusammensetzung der Prüfungs- und Berufsbildungsausschüsse ein Vorschlagsrecht eingeräumt, vgl. §§ 40 Abs. 3 S. 2, 77 Abs. 2, 82 Abs. 2 S. 2 BBiG. Zum Beleg einer Gesamtrepräsentationsfunktion wird in der Literatur des Weiteren auf § 10 Abs. 1 TVG, §§ 3 Abs. 1, 117 Abs. 2 BetrVG, § 7 AZO (nunmehr § 7 ArbZG), § 13 Abs. 1 BUrlG und § 622 Abs. 3 (nunmehr Abs. 4) BGB hingewiesen, die ebenfalls gewisse Außenseiterwirkungen entfalten. 124 Das BAG weist darauf hin, dass die Herausnahme von Tarifverträgen aus der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle gemäß § 310 Abs. 4 BGB ebenfalls für eine umfassende Gestaltungsaufgabe spreche; die Tarifverträgen zukommende Angemessenheitsvermutung gelte für den gesamten Geltungsbereich, nicht nur im Hinblick auf die Mitglieder der Verbände. 125 Gleiches gelte für die zahlreichen Tariföffnungsklauseln, die den Tarifvertragsparteien ein Abweichen von gesetzlichen Schutznormen nach unten ermöglichen und die arbeitsvertraglich in Bezug genommen werden können. 126 Diese Normen bedingen eine negative Überwirkung auf die Außenseiter-Arbeitsverhältnisse, denen so der gesetzliche Mindestschutz entzogen werden kann. Die individualvertragliche Abweichung von ansonsten zwingendem Arbeitnehmerschutz wäre 121 Vgl. hierzu BVerfG 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 (347 ff.) (Allgemeinverbindlicherklärung I). 122 Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 107. (Hervorhebung im Original). 123 Siehe des Weiteren § 14 SGG. 124 Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 77; Wiedemann, RdA 1969, 321 (234). Kritisch zur Belastbarkeit dieser Normen in diesem Kontext Koller, ZfA 1978, 45 (60); Kreiling, Erstreckung, S. 122 Fn. 554. 125 Ebenso Dieterich, GS Zachert, S. 532 (543). 126 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1036), unter Hinweis auf § 622 Abs. 4 BGB, § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG, § 17 Abs. 3 BetrAVG, § 13 Abs. 1 BUrlG, §§ 8 Abs. 4 S. 4, 14 Abs. 2 S. 3 und 4 TzBfG. Vgl. dazu auch Wiedemann, RdA 1969, 321 (227 ff.); dens. in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 380.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
für den Außenseiter ohne den fremden Tarifvertrag nicht möglich. Dass die Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung von Regelungen, die zu Lasten der Arbeitnehmer vom gesetzlichen Standard abweichen, die Belange der Außenseiter nicht berücksichtigen müssten, ist nicht begründbar; der Gesetzgeber geht davon aus, dass die fraglichen Tarifregelungen auch für Außenseiter angemessen sind. 127 Die angeführten Beispiele belegen, dass auch der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass es den Koalitionen nicht von vornherein versagt ist, aufgrund der ihnen eingeräumten Aufgabe, der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, Regelungsbefugnisse auch hinsichtlich der Außenseiter-Arbeitsverhältnisse in Anspruch zu nehmen. d) Die Ordnungsfunktion des Tarifvertrags Tarifverträge erfüllen des Weiteren nach verbreiteter Meinung eine Ordnungsfunkion. 128 Damit ist mehr gemeint als die jedem Vertrag innewohnende „Ordnung“ eines bestimmten Sachverhalts zwischen den vertragschließenden Parteien. Die Tarifautonomie verfolgt mit den Worten des BVerfG den Zweck, „[. . .] in dem von der staatlichen Rechtsetzung frei gelassenen Raum das Arbeitsleben im einzelnen durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen, insbesondere die Höhe der Arbeitsvergütung für die verschiedenen Berufstätigkeiten festzulegen, und so letztlich die Gemeinschaft sozial zu befrieden.“ 129
Das Ordnungsprinzip kommt in § 1 Abs. 1 TVG zum Ausdruck, demgemäß der Tarifvertrag Rechtsnormen enthält, „die den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können“. Auch in § 1 S. 2 AEntG hat die „Ordnungsund Befriedungsfunktion der Tarifautonomie“ mittlerweile eine positivrechtli127 Vgl. auch Kamanabrou, Anm. zu AP Nr. 41 zu § 3 TVG, Bl. 23 links f.; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 380. 128 Siehe BVerfG 18. 11. 1954 – 1 BvR 629/52, BVerfGE 4, 96 (107 f.) (Hutfabrikant); 6. 5. 1964 – 1 BvR 79/62, BVerfGE 18, 18 (28) (Hausgehilfinnenverband); 19. 10. 1966 – 1 BvL 24/65, BVerfGE 20, 312 (317) (Tariffähigkeit von Handwerksinnungen); 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 (342) (Allgemeinverbindlicherklärung I); 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (367) (Mitbestimmungsurteil). Vgl. aus der Literatur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 291 ff.; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 82 ff.; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 537; Wagenitz, Tarifmacht, S. 45 ff.; Waltermann, ZfA 2000, 53 (77 f.); Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 13 ff., m. w. Nachw. Verneint wird die Ordnungsfunktion konsequenterweise von denen, die auch einer Gesamtrepräsentationsfunktion ablehnend gegenüberstehen, vgl. Picker, ZfA 1998, 573 (590 ff.); Rieble, Arbeitsmarkt, Rn. 1307. Siehe ferner Koop, Tarifvertragssystem, S. 281 ff. 129 BVerfG 6. 5. 1964 – 1 BvR 79/62, BVerfGE 18, 18 (28) (Hausgehilfinnenverband).
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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che Bestätigung gefunden. Ferner wird das Ordnungsprinzip auch indirekt in den Regelungen ausgemacht, die bereits oben unter dem Aspekt der gesetzlichen Anhaltspunkte für eine Gesamtrepräsentationsfunktion angesprochen wurden; so wird es etwa zur Rechtfertigung der Außenseiterbindung durch § 3 Abs. 2 TVG angeführt. 130 Die Koalitionen sollen für den Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen die Funktion einnehmen, die der Gesetzgeber ansonsten innehat. 131 Dazu zählt insbesondere die Schaffung eines allgemeingültigen Regelungswerks, das für all jene Anwendung finden kann, die von ihm sachlich betroffen sind. Dass Tarifverträge de facto bereits den weit überwiegenden Teil aller Arbeitsverhältnisse bestimmen und somit tatsächlich allgemeine Gültigkeit besitzen, wurde oben bereits dargelegt. Der Gesetzgeber hat dabei seine Zuständigkeit sowohl hinsichtlich der Organisierten als auch hinsichtlich der Nichtorganisierten zurückgenommen. 132 Er hat keine Regelungen erlassen, die explizit dem Außenseiterschutz dienen sollen. Dazu wäre er gemäß der Schutzpflichtenlehre ansonsten wohl verpflichtet, um das Verhandlungsungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und AußenseiterArbeitnehmer abzumildern. Auch dieser Aspekt führt dazu, dass die Aufgaben der Koalitionen über die reine Interessenwahrnehmung für ihre Mitglieder hinausgehen müssen. Der vom BVerfG umrissene Zweck, „die Gemeinschaft sozial zu befrieden“, ließe sich nicht erreichen, wenn letztlich nur die Organisierten, die nur einen Bruchteil aller Arbeitnehmer stellen, durch den Tarifvertrag erreicht werden könnten. 133 Tarifverträge ordnen das Arbeitsleben, indem sie grundsätzlich einheitliche Bedingungen für alle Arbeitnehmer schaffen. Dies führt zu einer erheblichen Vereinfachung von Abschluss, Abwicklung und Beendigung der Arbeitsverhältnisse und ist für beide Seiten des Arbeitsvertrags im Ganzen vorteilhaft. 134 Dem scheinen tarifvertragliche Differenzierungsklauseln auf den ersten Blick entgegenzustehen, führen sie doch zur nicht einheitlichen Anwendung des betroffenen Tarifvertrags auf Organisierte einerseits und Außenseiter andererseits. Differenzierung ist aber nicht gleichzusetzen mit Un-Ordnung, Ordnung nicht gleichbedeutend mit Uniformität. Weder GG noch TVG verlangen durchwegs betriebseinheitliche Arbeitsbedingungen. 135 Viele tarifvertragliche Regelungen 130 Vgl. Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 14, 18. Dagegen etwa Giesen, Rechtsgestaltung, S. 199 ff. 131 Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 83. 132 Vgl. Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 82; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 54. 133 Vgl. Gamillscheg, Differenzierung, S. 95 f. 134 Krüger, Gutachten, S. 43 f.; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 83. 135 Dieterich, GS Zachert, S. 532 (539).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
werden zwar in der Tat nur einheitlich möglich sein. So ist die Erstreckung von betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Normen auf Außenseiter gemäß § 3 Abs. 2 TVG gerade von dem Gedanken der Einheitlichkeit getragen. Darüber hinaus haben Tarifverträge aber regelmäßig Differenzierungen zwischen den Arbeitnehmern zum Gegenstand, der Begriff „Tarif“ wäre ansonsten auch unverständlich. 136 Unterschiedliche Leistungen, die etwa nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit oder dem Familienstand differenzieren, gehören zum Standardrepertoire tariflicher Regelungen. Ein als „gerecht“ empfundener Tarifvertrag kommt ohne derartige Differenzierungen schwerlich aus und wird allgemein akzeptiert, soweit es für die Differenzierungen sachliche Gründe gibt. 137 Zu Recht behauptet niemand, dass dies gegen das Ordnungsprinzip verstieße. Solange der wesentliche Inhalt des Tarifwerks für alle Arbeitnehmer Gültigkeit hat, wird man einen Verstoß gegen die Ordnungsfunktion nicht annehmen können. e) Trennung von Tarifautonomie, Normsetzungsbefugnis und inhaltlicher Rechtmäßigkeit Der beschriebene Konflikt zwischen Legitimationstheorie und Repräsentationstheorie lässt sich erheblich entschärfen, wenn man gedanklich Tarifautonomie, Normsetzungsbefugnis und inhaltliche Rechtmäßigkeit der tariflichen Regelung auseinander hält. Meist wird eine Gesamtrepräsentationsfunktion der Gewerkschaften mit der Erwägung abgelehnt, dass die Tarifvertragsparteien gemäß § 3 Abs. 1 TVG nur Normen für ihre Mitglieder erlassen dürfen. Aus der fehlenden Normsetzungsbefugnis gegenüber Außenseitern wird dann abgeleitet, dass auch keine Gesamtrepräsentationsfunktion bestehe. Auch wird darauf hingewiesen, dass den Koalitionen kein Regelungsauftrag für Außenseiter zukomme, weil eine „Tarifmacht“ gegenüber Außenseitern mit deren negativer Koalitionsfreiheit unvereinbar sei. 138 Damit werden Tarifautonomie, Normsetzungsbefugnis und inhaltliche Rechtmäßigkeit miteinander vermengt und der Blick auf das Wesentliche verstellt. Im Ausgangspunkt ist Zöllner beizupflichten, wenn er feststellt, dass zwischen Gesamtrepräsentation und Gesamtlegitimation unterschieden werden müsse und dass es keinen Widerspruch darstelle, den Verbänden eine Regelungsaufgabe für alle zu überantworten, sie aber nicht zugleich auch mit einem Instrumentarium auszustatten, welches die unmittelbare Rechtsgeltung auch auf Außenseiter erstreckt. 139 Damit ist die auch hier als notwendig erkannte Trennung von Regelungsaufgabe und Normsetzungsbefugnis angesprochen. Die daran anschlie136 Vgl. Herschel in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Bd. II, S. D 26. 137 Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 87, geht davon aus, dass die Ordnungsfunktion derartige Differenzierungen sogar erfordere. 138 Bübenbender, RdA 2000, 193 (202 f.); Picker, ZfA 1998, 573 (603).
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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ßende Folgerung, dass die Tarifvertragsparteien deshalb aber nur einheitliche Regelungen für Organisierte und Außenseiter erlassen dürften, geht hingegen zu weit. Sie nimmt schon die inhaltliche Rechtmäßigkeit der Vereinbarung in den Blick, insbesondere Art. 3 Abs. 1 GG, ohne allerdings zu berücksichtigen, dass nicht jede Ungleichbehandlung zugleich auch einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot darstellt. Zu Recht weist Wiedemann darauf hin, dass es dem Repräsentanten in Bezug auf die von ihm Repräsentierten nicht verwehrt sein könne, Verteilungsrelationen festzulegen, die am Prinzip des Lastenausgleichs orientiert sind. 140 Zur genauen Ausgestaltung tariflicher Regelungen, die auch Außenseiter betreffen, sagt die Gesamtrepräsentationsfunktion letztlich nichts aus. Eine Verpflichtung (oder Berechtigung), die Repräsentation in einer bestimmten Weise auszuüben, lässt sich aus dieser Aufgabenzuweisung nicht ableiten. 141 Dies bedeutet aber nicht, dass die Beantwortung der Frage, ob den Koalitionen und insbesondere den Gewerkschaften eine Aufgabe zur Gesamtrepräsentation übertragen ist, keine rechtlichen Schlussfolgerungen zuließe. Die Frage ist mehr als nur „metajuristischer“ Natur. 142 Die Gesamtrepräsentationsfunktion nimmt zu der Frage Stellung, ob sich die Tarifvertragsparteien überhaupt mit Außenseitern beschäftigen dürfen. Dieser Aspekt ist für die DifferenzierungsklauselProblematik von entscheidender Bedeutung. Der Gedanke der mitgliedschaftlichen Legitimation hat seinen Platz bei der Schaffung verbindlicher Rechtsnormen für die unmittelbar diesem Recht unterworfenen Personen. In diesem Zusammenhang wird er im Schrifttum auch überwiegend verwendet. So geht es den meisten Beiträgen, die sich mit den personellen Grenzen der „Tarifmacht“ oder der Tarifautonomie und ihrer Legitimation befassen, in Wahrheit um die personellen Grenzen der Normsetzungsbefugnis. 143 Eine derartige Legitimation ist die grundsätzlich notwendige – aber für den Tarifvertrag nicht hinreichende 144 – Voraussetzung für die Setzung zwin139
Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 51 ff. Wiedemann, RdA 1969, 321 (328). 141 Franzen, RdA 2006, 1 (10); Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 79; Wiedemann, RdA 1969, 321 (328). 142 So aber der Einwand von Schnorr, JR 1966, 327 (332). Dagegen mit Recht Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 78. 143 Vgl. Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 47 ff.; Picker, ZfA 1998, 573 (599 ff.); Wagenitz, Tarifmacht, S. 32 ff. Hier wird wieder deutlich, dass der Begriff „Tarifmacht“ einer systematischen Einordnung der hier behandelten Fragen eher schadet als nützt. 144 Die Normwirkung selbst vermag die mitgliedschaftliche Legitimation nicht zu begründen. Hierzu bedarf es zusätzlich einer gesetzlichen Anordnung bzw. Anerkennung durch den Staat. Diese ist durch § 3 Abs. 1 TVG erfolgt. Vgl. Bartlog, Das Verhältnis von Gesetz und Tarifvertrag, S. 191; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 133 ff., 182 f.; Kreiling, Erstreckung, S. 112 f.; Waltermann, FS Söllner, 1251 (1261 ff.). 140
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
genden Rechts. 145 Für die Repräsentation im hier beschriebenen weiten, nicht auf die Normsetzung beschränkten Sinn ist eine mitgliedschaftliche Legitimation zwar wünschenswert, jedoch nicht zwingende Voraussetzung. Für sie ist eine ebenso weit gefasste Legitimation ausreichend. Diese Legitimation kann sie ohne weiteres direkt durch die Verfassung erlangen. 146 Ein dahingehendes Verständnis von Legitimationsprinzip einerseits und Repräsentationsfunktion andererseits, welches die beiden dargestellten Pole als einander ausschließend und miteinander unvereinbar auffasst, ist daher unzutreffend, weil die jeweiligen Bezugspunkte nicht identisch sind. f) Gleichklang mit der sachlichen Reichweite der Tarifautonomie Ein weiterer Aspekt spricht dafür, dass nicht jede Auswirkung von Tarifinhalten auf Außenseiter dazu führen kann, dass die Tarifvertragsparteien außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs tätig werden. Oben wurden Selbsterhaltungsmaßnahmen, die unvermeidbar Auswirkungen auf Außenseiter haben, dem Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG unterstellt. 147 Will man dieses Ergebnis nicht konterkarieren, darf man den Koalitionen in personeller Hinsicht nicht verweigern, was man ihnen in sachlicher Hinsicht bereits zugestanden hat. Damit entsteht der notwendige Gleichklang mit der Auslegung, die für die sachliche Reichweite der Tarifautonomie gefunden wurde; die Frage nach der sachlichen und der personellen und Reichweite der Tarifautonomie kann letztlich nur einheitlich beantwortet werden. Maßgeblich ist insoweit, dass ein hinreichender Anknüpfungspunkt der tariflichen Regelung an die rechtlich geschützten Interessen der Organisierten gegeben ist, die Verbände sich also nicht ausschließlich auf die Außenseiter fokussieren. 145
Für die staatliche Normsetzung ergibt sich dies aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, wonach alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Dass zwingende Regelungen für Personen aufgestellt werden, die am Entstehungsprozess dieser Regelungen nicht teilhaben (können), d. h. die diese Regelungen nicht mitgliedschaftlich legitimiert haben, ist gleichwohl nichts Ungewöhnliches: Auch der Abgeordnete ist einerseits gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG „Vertreter des ganzen Volkes“, nicht nur Vertreter des ihn legitimierenden, wahlberechtigten Volkes. Er repräsentiert auch den Minderjährigen und unterwirft ihn der staatlichen Normsetzung, obwohl der Minderjährige selbst nicht wählen darf und das Handeln des Abgeordneten nicht legitimiert hat. Er setzt andererseits sogar Recht für den in Deutschland lebenden, nicht wahlberechtigten Ausländer. Besonders deutlich wird das Fehlen mitgliedschaftlicher Legitimation bei der durch Gemeindesatzung erhobenen Kurtaxe: Sie gilt ausschließlich für Fremde. Siehe dazu Herschel, FS Bogs, S. 125 (127). 146 Ebenso Gamillscheg, Differenzierung, S. 97: „Die fehlende Legitimation gibt die Verfassung selbst, ihr Auftrag zur Ordnung des Arbeitslebens.“ (Hervorhebung im Original). Zustimmend Söllner, ArbuR 1966, 257 (263). Dagegen Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 33. 147 Siehe Teil 2 B. II. 2. b).
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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Das Verbandsprinzip verlangt nach einer primären Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Verbandsmitglieder. Die zulässige personelle Betroffenheit des Außenseiters ist damit, soweit nicht abweichend – wie etwa in § 3 Abs. 2 TVG – besonders angeordnet, stets eine mittelbare Betroffenheit, die daraus resultiert, dass sich die Koalitionen in bestimmter Weise mitgliederbezogen verhalten. Sie müssen jedenfalls auch die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder im Blick haben. Überwirkungen, die diesem Aspekt weiterhin gerecht werden, können nicht mit einem Hinweis auf die Überschreitung der personellen Grenzen der Tarifautonomie für unzulässig erklärt werden. 148 Was die Frage der Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln im Hinblick auf die personelle Reichweite der Tarifautonomie angeht, ist festzuhalten, dass die beschriebene erforderliche Rückbindung an die mitgliedschaftlichen Interessen besteht: Differenzierungsklauseln dienen als Mittel des Bestandsschutzes und -ausbaus der gewerkschaftlichen Organisationsstärke und verheißen eine effizientere Verfolgung der Arbeitnehmerinteressen auch und insbesondere der Organisierten. 3. Ergebnis Die von Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Tarifautonomie ist in personeller Hinsicht grundsätzlich auf die Mitglieder der Koalitionen ausgerichtet. Diese grundsätzliche personale Begrenzung der Tarifautonomie findet ihren Ausdruck – nicht aber ihre Begründung – in den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG, die die Rechtsnormwirkung auf die Tarifgebundenen beschränken. Die tatsächliche Stellung der Gewerkschaften in der Gesellschaft sowie gesetzgeberische Wertentscheidungen belegen, dass den Gewerkschaften eine Bedeutung zukommt, die weit über den Kreis ihrer Mitglieder hinausgeht. Insoweit kann man durchaus von einer Gesamtrepräsentationsfunktion der Gewerkschaften sprechen. Solange diese Überwirkungen nicht den Bereich der Interessenvertretung der Mitglieder gänzlich verlassen, bewegen sie sich weiterhin innerhalb der personellen Reichweite der Tarifautonomie. Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln scheitern nicht an der personellen Reichweite, da sie mit Blick auf die eigenen Koalitionsund Mitgliedschaftsinteressen abgeschlossen werden. Sie regeln damit „eigene Angelegenheiten“, wie es die Konzeption autonomen Handelns vorsieht. 148 Im Ergebnis ähnlich auch Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 70, nach denen Art. 9 Abs. 3 GG „keine originäre Zuständigkeit der Koalitionen für Koalitionsaußenseiter begründet, sondern die Einflußnahme der Koalitionen auf diesen Personenkreis [. . .] die unvermeidbare Folge (Reflex) einer effektiven Wahrnehmung der Interessen der Koalitionsmitglieder [ist]“. Zustimmend Kühnast, Die Grenzen zwischen tariflicher und privatautonomer Regelungsbefugnis, S. 50.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
IV. Koalitionseigenschaft Die Tarifautonomie als wichtigste Ausprägung der Freiheit kollektiver Betätigung steht den Koalitionen i. S. d. Art. 9 Abs. 3 GG zu. Die Koalitionseigenschaft ist dabei an bestimmte Voraussetzungen gebunden. So ist ein Zusammenschluss von Arbeitgebern bzw. Arbeitnehmern insbesondere nur dann eine Koalition, wenn er freiwillig zustande kommt und organisatorisch, personell und finanziell gegnerunabhängig ist. 149 Die Merkmale der Freiwilligkeit und der Gegnerunabhängigkeit werden bei der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln jedoch von manchen Autoren in Zweifel gezogen, so dass fraglich ist, ob eine Gewerkschaft ihre Koalitionseigenschaft durch die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln verlieren kann. Denknotwendig ist die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln dem Wegfall der Koalitionsvoraussetzungen – dieser sei hier einmal unterstellt – um eine „juristische Sekunde“ vorgelagert: Erst ab dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der differenzierenden Vereinbarung können die Koalitionskriterien der Freiwilligkeit und Gegnerunabhängigkeit entfallen. Welche Auswirkung der Verlust der Tariffähigkeit, der insbesondere dann gegeben ist, wenn eine Tarifvertragspartei nicht mehr alle Voraussetzungen des Koalitionsbegriffs gemäß Art. 9 Abs. 3 GG erfüllt, auf abgeschlossene Tarifverträge hat, ist in der Literatur umstritten. 150 Davon zu trennen ist aber die Frage, ob Koalitionen Tarifverträge vereinbaren dürfen, deren Inhalt den Verlust der Koalitionseigenschaft zur Folge hat, genauer, ob entsprechende Klauseln vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst sind und damit der Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien unterfallen. Wäre dies zu verneinen und würden Differenzierungsklauseln tatsächlich zum Verlust der Koalitionseigenschaft führen, so wären derartige Abreden bereits deshalb rechtswidrig, weil sie außerhalb der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Tarifautonomie lägen. Soweit die zuletzt aufgeworfene Frage in der Literatur behandelt wird, behilft man sich mit der Annahme zeitlicher Kongruenz von Tarifabschluss und Wegfall der Voraussetzung der Tariffähigkeit. 151 Folge sei, dass die „Tarifmacht“ der Parteien beschränkt werde. Zwingend ist diese Argumentation freilich nicht. 152 149
So die ständige Rechtsprechung, siehe etwa BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (367 f.) (Mitbestimmungsurteil); 24. 2. 1999 – 1 BvR 123/93, BVerfGE 100, 214 (223) (Gewerkschaftsausschluss). Aus der Literatur vgl. Däubler, Arbeitsrecht, Rn. 118 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 406, 415 ff.; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 33, 35; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 489, 491, jeweils m. w. Nachw. 150 Vgl. dazu etwa Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 34 ff.; Peter in: Däubler, TVG, § 2 Rn. 149 ff. 151 Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 256, unter Berufung auf Kraft, ZfA 1976, 243 (260), nach dem ein Tarifvertrag „zwangsläufig“ keine Klauseln enthalten
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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Gleichwohl ist es richtig, Klauseln, die den Koalitionsstatus beenden würden, nicht unter den Schutz von Art. 9 Abs. 3 GG zu stellen. Ansonsten stünde schon vor Tarifabschluss fest, dass etwa auf Arbeitnehmerseite niemand vorhanden wäre, der die schuldrechtlichen Verpflichtungen der Arbeitgeberseite einfordern könnte. Die effiziente Durchsetzbarkeit der Tarifvereinbarung wäre nicht gewährleistet und damit eine wesentliche Zielsetzung der Tarifautonomie verfehlt. Folglich gewährleistet Art. 9 Abs. 3 GG nicht die Vereinbarung von Klauseln, welche die Koalitionseigenschaft einer der Vertragsparteien entfallen lassen würden. Im Folgenden ist also zu erörtern, ob die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln den Koalitionsstatus aufheben kann. Wäre das zu bejahen, unterfielen sie nicht der Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien und könnten in der Konsequenz auch nicht wirksam tarifvertraglich vereinbart werden. 153 1. Gegnerunabhängigkeit Wesentliches Merkmal des Koalitionsbegriffs ist die Gegnerunabhängigkeit. Nur Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmervereinigungen, die von der Gegenseite unabhängig agieren können, gewährleisten eine sachgerechte und effiziente Vertretung ihrer Mitgliederinteressen. Die Gegnerunabhängigkeit einer Arbeitnehmervereinigung entfällt nach h. M. dann, wenn durch personelle oder organisatorische Verflechtungen oder durch wesentliche finanzielle Zuwendungen die eigenständige Interessenwahrnehmung der Tarifvertragspartei ernsthaft gefährdet wird; daran ist insbesondere dann zu denken, wenn sich eine Gewerkschaft im Wesentlichen nicht aus den Beiträgen ihrer Mitglieder, sondern aus Zuwendungen der Arbeitgeber finanziert und zu befürchten ist, dass die Arbeitgeberseite durch Androhung der Zahlungseinstellung die Willensbildung auf Arbeitnehmerseite beeinflussen kann. 154 Die strenge Gegenansicht 155, nach der jede (auch nur mittelbare) Unterstützung der Gegenseite zum Verlust des Koalitionsstatus führt, dürfe, die zum Verlust der Tariffähigkeit einer Partei führen; der Vertrag würde mit seinem Abschluss bereits unwirksam sein. 152 So ist bereits fraglich, ob der Verlust der Koalitionseigenschaft und der Abschluss des Tarifvertrags tatsächlich zeitlich zusammenfallen können. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass keine Verpflichtung für die Koalitionen besteht, ihren Status als solche aufrecht zu erhalten, vgl. Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 255. 153 Im Ergebnis auch Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 157. 154 BAG 14. 12. 2004 – 1 ABR 51/03, BAGE 113, 82 (91 f.); Löwisch / Rieble, TVG, § 2 Rn. 16; Peter in: Däubler, TVG, § 2 Rn 31; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 433. Großzügiger Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 78 f., nach denen die Gegnerunabhängigkeit erst dann nicht mehr gegeben ist, wenn die Bildung eines eigenen Koalitionswillens nicht mehr möglich ist, wenn die Gewerkschaft infolge finanzieller Korrumpierung nur noch „verlängerter Arm der Unternehmerseite ist“. Ähnlich Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 170; Greiner, Rechtsfragen, S. 84.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
hat sich zu Recht nicht durchsetzen können. Diese Auffassung ist nämlich insofern bedenklich, als der Tarifautonomie gewisse gegenseitig wirkende Einflüsse der Tarifvertragsparteien aufeinander immanent und weithin anerkannt sind. So ist die gewerkschaftliche Werbung im Betrieb vom Arbeitgeber in bestimmtem Umfang hinzunehmen; 156 der Arbeitgeber kann für die Gewerkschaften nach richtiger Auffassung den Einzug der Gewerkschaftsbeiträge übernehmen. 157 Die Rechtsprechung des BAG hat des Weiteren die Unterstützung gewerkschaftlicher Vertrauensleute durch tarifvertragliche Sonderregeln, etwa im Hinblick auf Freistellungen von der Arbeit zur Teilnahme an gewerkschaftlichen Sitzungen oder Tarifkommissionen unter Entgeltfortzahlung, nicht beanstandet. 158 Der Gedanke der Gegnerunabhängigkeit darf also nicht verabsolutiert werden. 159 Die Gegnerunabhängigkeit ist im Hinblick auf gewerkschaftsexklusive Leistungen hinsichtlich mehrerer Konstellationen fraglich. a) Leistungen an die organisierten Arbeitnehmer Nach der Ansicht Zöllners soll eine Gefährdung der Fähigkeit zur sachgerechten Interessenwahrnehmung – und damit der Wegfall des Kriteriums der Gegnerunabhängigkeit – bereits dann gegeben sein, wenn „nicht ganz unerhebliche direkte oder indirekte materielle Zuwendungen der Gegenseite vorliegen“. 160 Letztlich bedeute eine vom Gedanken des Lastenausgleichs getragene Differenzierungsklausel eine mittelbare Aufbringung der Gewerkschaftsbeiträge durch den Arbeitgeber. 161 Würde eine einmal vereinbarte Differenzierungsklausel wie155
Bulla, BB 1975, 889 (891); Dietz / Nipperdey, Einziehung von Gewerkschaftsbeiträgen, S. 18; Kraft, ZfA 1976, 243 (261). 156 BVerfG 26. 5. 1970 – 2 BvR 664/65, BVerfGE 28, 295 (304 ff.) (Mitgliederwerbung im Betrieb I); 14. 11. 1995 – 1 BvR 601/92, BVerfGE 93, 352 (357 ff.) (Mitgliederwerbung im Betrieb II). 157 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 261; Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 170; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1170 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 422 ff.; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 58; Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 64; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 438. Zweifelnd aber Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 66. 158 BAG 19. 7. 1983 – 1 AZR 307/81, AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972; 11. 9. 1985 – 4 AZR 147/85, BAGE 49, 334 (344 f.); 20. 4. 1999 – 3 AZR 352/97, AP Nr. 28 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk. Zustimmend Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 163; Henssler in: Henssler / Wilemsen / Kalb, Arbeitsrecht, § 1 TVG Rn. 109; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 432, jeweils m. w. Nachw. auch zur Gegenmeinung. 159 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 169; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 129; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 258; Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 78; Wlotzke, RdA 1976, 80 (81). 160 Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 34. 161 Ebenso Henssler in: Henssler / Wilemsen / Kalb, Arbeitsrecht, § 1 TVG Rn., 111.
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der abgeschafft, sähe sich unter Umständen eine nicht unbedeutende Anzahl von Gewerkschaftsmitgliedern zum Austritt veranlasst, so dass die Gewerkschaft möglicherweise zu sachwidrigen Zugeständnissen bereit wäre, nur um die Klausel zu halten. Diese potentielle Gefahr reiche aus, um zum Verlust der Koalitionsfähigkeit zu führen. 162 Dem hat Leventis entgegengehalten, dass die Gewerkschaft durch die Differenzierungsklausel „keinen Pfennig“ vom Arbeitgeber erhalte. 163 Die finanzielle Potenz der Gewerkschaft werde höchstens mittelbar durch neue Mitglieder gesteigert, die aufgrund der Klauseln der Gewerkschaft beitreten. Des Weiteren könne eine bislang lebensfähige Gewerkschaft sich dem Ansinnen der Arbeitgeberseite, eine Differenzierungsklausel abzuschaffen, erfolgreich und ohne schwerwiegende Zugeständnisse widersetzen; eine schwache Gewerkschaft sei ohnehin nicht fähig, dem Arbeitgeber Differenzierungen aufzuzwingen. Dem ist weitgehend zuzustimmen: Eine arbeitgeberseitige Forderung nach der Abschaffung einer bereits vormals vereinbarten Differenzierungsklausel wurde, soweit ersichtlich, noch nicht erhoben, so dass das von Zöllner erdachte Szenario nicht mehr als Spekulation sein kann. Das ist im Hinblick auf den die arbeitsrechtliche Praxis über Jahrzehnte prägenden Beschluss des BAG aus dem Jahr 1967 zur Unzulässigkeit von Differenzierungsklauseln auch nicht weiter verwunderlich. Ein solches Begehren der Arbeitgeberseite wäre aber auch nicht weiter problematisch: Es wäre nur Ausdruck des Ringens um einen möglichst günstigen Tarifabschluss, wie er von beiden Seiten legitimerweise angestrebt wird. 164 Dass die tarifliche „Abweichung nach unten“ vom einmal erreichten Tarifstandard zur Verhandlungsmasse in Koalitionsverhandlungen wird, wird gerade in Zeiten deutlich, in denen vermehrt Sanierungstarifverträge abgeschlossen werden, durch welche die Arbeitnehmerseite den Arbeitgebern zum Erhalt der Arbeitsplätze umfangreiche Zugeständnisse macht. Es sei auch angemerkt, dass der von Zöllner hervorgehobene Aspekt der mittelbaren Beitragszahlung auch deshalb nicht durchgreifen kann, weil der Arbeitgeber mittelbar ohnehin sämtliche Gewerkschaftsbeiträge zahlt, da diese einen prozentualen Anteil des Arbeitslohns ausmachen. 165 Dass diese im Kollektivarbeitsrecht angelegte Förderung der Arbeitnehmervereinigungen durch die
162 Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 34. Ebenso Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 130. 163 Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 72. 164 Ebenso Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 259; Wlotzke, RdA 1976, 80 (82). Siehe auch Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1197, zur tariflichen Absicherung gerwerkschaftlicher Vertrauensleute. 165 Ebenso Deinert, Anm. zu LAGE Nr. 15 a zu Art. 9 GG, 9 (14). Ähnlich auch ArbG Hamburg 26. 2. 2009 – 15 Ca 188/08, juris Rn. 58.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Unternehmerseite nicht den Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit tangiert, bedarf keiner Erläuterung. b) Leistungen an die Gewerkschaft Allerdings sind durchaus Vereinbarungen denkbar, nach denen Leistungen direkt an die abschließende Gewerkschaft zu zahlen sind. Das ist unbedenklich, soweit die Gewerkschaft nur organisatorisch zwischengeschaltet ist, um die entsprechenden Beträge an ihre Mitglieder weiterzuleiten oder ausschließlich zu ihren Gunsten zu verwenden. Die Gewerkschaft ist dann bloße „Zahlstelle“. 166 Bei dieser Konstellation ist Leventis’ Feststellung, die Gewerkschaft erhalte direkt „keinen Pfennig“, 167 zumindest der Sache nach zutreffend. Anders mag sich die Situation darstellen, wenn die Gewerkschaft selbst Empfänger einer Zuwendung der Arbeitgeberseite werden soll. 168 Dann kommt es tatsächlich darauf an, ob sich die Gewerkschaft „im Wesentlichen nicht aus den Beiträgen ihrer Mitglieder, sondern aus Zuwendungen der Arbeitgeber finanziert“. 169 In diesen Fällen handelt es sich aber auch nicht mehr um die Beurteilung von Differenzierungklauseln, die oben 170 definiert wurden als all jene tariflichen Vereinbarungen, die an die Gewerkschaftszugehörigkeit als Voraussetzung für die Gewährung von (einem Mehr an) Leistungen anknüpfen. Darüber hinaus ist es schwer vorstellbar, dass solche Vereinbarungen einen Anreiz oder Beitrittsdruck auf Außenseiter auszuüben vermögen. 171 Insofern kann eine Auseinandersetzung mit ihnen hier ausbleiben. c) Arbeitgeber als Schiedsrichter? Im Zuge zunehmenden Gewerkschaftswettbewerbs stellt sich nach Hanau noch ein weiteres Problem: Die Arbeitgeber würden zu Schiedsrichtern im Gewerkschaftswettbewerb, ihnen stünde es frei, ihnen genehme Gewerkschaften durch begünstigende Differenzierung zu fördern. Dies sei mit der verfassungsrechtlichen Funktion freier und unabhängiger Mitgliedervertretung durch die Gewerkschaften unvereinbar. 172 Das Argument richtet sich gegen beschränkte Differenzierungsklauseln, die auch Andersorganisierte treffen. 166
Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 430. Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 72. 168 Siehe dazu Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 151 f., 169. 169 BAG 14. 12. 2004 – 1 ABR 51/03, BAGE 113, 82 (92). Siehe auch Biedenkopf, Gutachten, S. 97 (124); Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 129 f.; Franzen, RdA 2006, 1 (7); Gamillscheg, NZA 2005, 146 (150). 170 Siehe Teil 1 C. I. 1. 171 So auch Franzen, RdA 2006, 1 (7); Gamillscheg, NZA 2005, 146 (150). 167
B. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien
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Dieser Standpunkt überzeugt nicht. Ihm ist entgegenzuhalten, dass die Chancen des Abschlusses eines Tarifvertrags mit Mitgliederdifferenzierung maßgeblich von der Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaft abhängt. 173 Der Abschluss eines Tarifvertrags ist kein Almosen, das die Arbeitgeberseite beliebig zuteilen könnte; jeder Gewerkschaft steht es frei, ihren eigenen Tarifvertrag zu fordern und notfalls zu erkämpfen. Würde man den Gedanken Hanaus konsequent zu Ende denken, käme man zudem zu dem Ergebnis, dass die Arbeitgeberseite nur inhaltsgleiche Tarifverträge abschließen dürfte. Das hätte mit Wettbewerb erkennbar nichts mehr zu tun; inwieweit Differenzierungsklauseln zur Absicherung von Tarifverträgen gegenüber Konkurrenzgewerkschaften zulässig sind, wird noch zu behandeln sein. 174 d) Zwischenergebnis Es bleibt festzuhalten, dass Differenzierungsklauseln nicht gegen das Koalitionskriterium der Gegnerunabhängigkeit verstoßen. 2. Freiwilligkeit Es steht außer Streit, dass die Koalitionsfreiheit nur freiwilligen Zusammenschlüssen zusteht. 175 So können sich beispielsweise öffentlich-rechtliche Zwangskörperschaften nicht auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen. Um einen derartigen Rechtszwang geht es bei der vorliegenden Konstellation zwar nicht. Allerdings kann auch wirtschaftlicher, faktischer Zwang die Freiwilligkeit entfallen lassen. 176 Die entscheidende Frage lautet also: Üben Differenzierungsklauseln einen derart großen Druck auf Außenseiter aus, dass diese sich zum Koalitionsbeitritt gezwungen sehen, so dass in der Folge von einem freiwilligen Zusammenschluss nicht mehr gesprochen werden kann? Ist dies der Fall, so entfällt die Koalitionseigenschaft der Vereinigung; dennoch vereinbarte Differenzierungsklauseln unterfielen nicht mehr dem Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG. Der Tarifvertrag wäre wegen fehlender Tariffähigkeit unwirksam. 177 172 Hanau, FS Hromadka, S. 115 (129). Vgl. zur Neutralität des Arbeitgebers im gewerkschaftlichen Wettbewerb auch Botterweck, Gewerkschaftspluralismus im Betrieb, S. 156 ff.; Däubler, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 81 (95). 173 Zutreffend Deinert, Anm. zu LAGE Nr. 15 a zu Art. 9 GG, 9 (14). 174 Siehe Teil 2 D. III. 175 BVerfG 18. 11. 1954 – 1 BvR 629/52, BVerfGE 4, 96 (108) (Hutfabrikant); Däubler in: Däubler, TVG, Einleitung Rn. 87; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 406; Hergenröder in: Henssler / Wilemsen / Kalb, Arbeitsrecht, Art. 9 GG Rn. 33; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 25; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 275; Richardi, Kollektivgewalt, S. 76; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 53, 13. 176 Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 279, m. w. Nachw.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Der Große Senat stellte sich diese Frage freilich in einem anderen Zusammenhang, und zwar bei der Herleitung der negativen Koalitionsfreiheit: Wenn Art. 9 Abs. 3 GG nur freiwillige Zusammenschlüsse schütze, so setze dies eine ebenfalls aus Art. 9 Abs. 3 GG abzuleitende negative Koalitionsfreiheit voraus. 178 Dieser Ansatz hat zur Folge, dass die tatbestandliche Voraussetzung der Freiwilligkeit zugleich zum subjektiv-öffentlichen, einklagbaren Recht der Außenseiter wird. Der Begriff der Freiwilligkeit ist erkennbar unbestimmt und bedarf der inhaltlichen Konkretisierung, die nicht aus dem Begriff selbst heraus erfolgen kann. Der Schutz der Freiwilligkeit ergibt sich vielmehr aus dem, was die Rechtsordnung dem Einzelnen insoweit an Schutz zukommen lässt. 179 Dabei kommt es maßgeblich auf die Beeinträchtigung der Grundrechte der Betroffenen an. Im Gegensatz zur oben behandelten Problematik der Gegnerunabhängigkeit kann die Frage der Freiwilligkeit der Koalitionsbildung deshalb nicht ohne Beachtung der inhaltlichen Rechtmäßigkeit der jeweiligen Klausel beantwortet werden. Die Beantwortung der Frage nach Beeinträchtigung der Freiwilligkeit des Zusammenschlusses muss damit an dieser Stelle offen bleiben; wird eine rechtlich geschützte Position des Einzelnen, die ihm das Fernbleiben garantieren soll, verletzt, so indiziert die inhaltliche Rechtswidrigkeit der Tarifregelung zugleich den Wegfall der Koalitionsvoraussetzung der Freiwilligkeit. Die betrachtete Klausel ist dann wegen eines Doppelfehlers unzulässig: Zum einen ist der dann unfreiwillige Verband nicht mehr regelungszuständig, da er nicht mehr unter Art. 9 Abs. 3 GG fällt, zum anderen ist die Klausel inhaltlich rechtswidrig. 180 3. Ergebnis Differenzierungsklauseln beeinträchtigen die Gegnerunabhängigkeit der Gewerkschaften nicht. Ob sie die Freiwilligkeit des Verbandszusammenschlusses beeinträchtigen, kann ohne Klärung der Rechtsstellung des Einzelnen nicht geklärt werden. Diese erfolgt im Rahmen der Prüfung der inhaltlichen Rechtmäßigkeit.
177 Vgl. Franzen in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, § 2 TVG Rn. 5; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 526; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 15. 178 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (213). Siehe dazu unten unter Teil 2 D. II. 179 Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 102; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 159. Vgl. auch Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 33. 180 Vgl. auch Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 50 f.; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 33.
C. Tarifliche Regelungsbefugnis
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V. Ergebnis Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, unterfällt die Vereinbarung tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Tarifautonomie. Weder in sachlicher noch in personeller Hinsicht werden die Grenzen des Zulässigen überschritten. Auch im Hinblick auf den Verlust der Koalitionseigenschaft ergeben sich keine Bedenken, die bereits an dieser Stelle gegen die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln sprechen würden. Letztere ist somit selbst geschützte Grundrechtsausübung. 181 Dieser Befund verdient es, hervorgehoben zu werden, wendet sich der Blick in Schrifttum und Rechtsprechung doch regelmäßig zuerst den gegenläufigen Interessen der Außenseiter zu. Dass auch deren Belange berücksichtigt werden müssen, steht außer Frage; ihnen ist im Rahmen der Erörterung der inhaltlichen Rechtmäßigkeit Rechnung zu tragen. 182
C. Tarifliche Regelungsbefugnis I. Überblick Die rechtstechnische Ausgestaltung von Differenzierungsklauseln richtet sich nach den Vorgaben des TVG: Die Vereinbarungen in einem Tarifvertrag können schuldrechtlicher oder normativer Natur sein, vgl. § 1 Abs. 1 TVG. Die schuldrechtlichen Absprachen gelten nur zwischen den tarifschließenden Parteien, die Rechtsnormen des Tarifvertrags sind zwingendes Recht für die Tarifgebundenen gemäß den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG. Die Vereinbarung normativ wirkender Klauseln beschränkt § 1 Abs. 1 TVG auf Regelungen, die den Inhalt, den Abschluss, und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen zum Gegenstand haben, sowie auf betriebliche bzw. betriebsverfassungsrechtliche Regelungen. Absprachen, die nicht einer dieser Kategorien zugeteilt werden können, können daher nicht mit normativer Wirkung vereinbart werden. 183 Jedoch bleibt die Möglichkeit einer schuldrechtlichen Vereinbarung zu prüfen. Eine solche wird umgekehrt durch die – insoweit zusätzliche – Möglichkeit der normativen Vereinbarung keinesfalls ausgeschlossen; es kann im Folgenden daher nur darum gehen aufzu181 So auch Deinert, Anm. zu LAGE Nr. 15 a zu Art. 9 GG, S. 9 (13 f.); Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 (1971). 182 Siehe Teil 2 D. 183 Löwisch / Rieble, TVG, Grundl. Rn. 23; Maschmann, Tarifautonomie, S. 247 ff.; Mürau, Sonderleistungen, S. 36. A. A. insoweit Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 539 f. Ausführlich zum Ganzen Olschewski, Standorterhaltung und Arbeitskampf, S. 142 ff.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
zeigen, ob bestimmte Klauselarten auch mit normativer Kraft vereinbart werden können. 184 Die Einordnung der jeweiligen Differenzierungsklausel in diese Kategorien hat maßgeblichen Einfluss auf ihre praktische Durchsetzbarkeit. Gelingt eine entsprechende Vereinbarung im normativen Teil des Tarifvertrags, kann sich der einzelne Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber darauf berufen. Der Arbeitgeber ist unmittelbar und zwingend an die Differenzierungsklausel gebunden. Anders gestaltet sich die Sachlage bei nur schuldrechtlich wirkenden Differenzierungsklauseln. Beim Firmentarifvertrag treffen den Arbeitgeber unmittelbar die Verpflichtungen des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrags. Die Gewerkschaft kann ihre Einhaltung fordern, den einzelnen Arbeitgeber trifft die sog. Durchführungspflicht. 185 Beim Verbandstarifvertrag hingegen hat die tarifschließende Gewerkschaft keine Möglichkeit, direkt gegen den einzelnen Arbeitgeber vorzugehen, der sich tarifwidrig verhält. Einen Unterlassungsanspruch gemäß §§ 1004, 823 BGB i. V. m. Art. 9 Abs. 3 GG, der sich direkt gegen einen solchen Arbeitgeber richtet, hat das BAG im „Burda“-Beschluss nur hinsichtlich der Nichteinhaltung normativ wirkender Regeln anerkannt. 186 Es muss zwar zugestanden werden, dass auch die schuldrechtliche Vereinbarungsbefugnis von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist, und somit ein entsprechender Unterlassungsanspruch auch hinsichtlich solcher Tarifklauseln in Betracht kommen könnte. Das ändert aber nichts daran, dass beim Verbandstarifvertrag nicht der einzelne Arbeitgeber, sondern nur der Arbeitgeberverband Adressat der schuldrechtlichen Verpflichtungen ist; eine den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG entsprechende Tarifbindung der Verbandsmitglieder gibt es für den schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags gerade nicht. Sie wäre ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter. 187 Die Gewerkschaft kann somit lediglich an den Arbeitgeberverband herantreten und ihn dazu veranlassen, auf das jeweilige Mitglied einzuwirken, sich dem Tarifvertrag entsprechend zu verhalten. 188 Diese Einwirkungspflicht ist jedoch nur schwer durchsetzbar. Der Arbeitgeberverband dürfte regelmäßig kein Interesse daran haben, dem Verbandsmitglied mit einschneidenden verbandsrechtlichen Sanktionen zu drohen, um es zum 184 Vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 174; Franzen in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, § 1 TVG Rn. 80; Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 157. Zur Frage, ob die nicht mögliche normative Ausgestaltung auch die schuldrechtliche Vereinbarungsbefugnis beeinflusst, siehe Teil 2 C. III. 185 Siehe dazu Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 29; Hölters, Harmonie, S. 25; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 708; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 592; Thüsing in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 914 ff. 186 BAG 20. 4. 1999 – 1 ABR 72/98, BAGE 91, 210 (228). 187 Siehe näher zum Ganzen Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 39 f. 188 Vgl. Gamillscheg, Differenzierung, S. 75; Hölters, Harmonie, S. 26; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 37.
C. Tarifliche Regelungsbefugnis
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Einlenken zu bewegen. 189 Für den einzelnen Arbeitgeber besteht die Möglichkeit, sich der in einem Verbandstarifvertrag vereinbarten Differenzierungsklausel durch Verbandsaustritt zu entziehen, da § 3 Abs. 3 TVG auf schuldrechtliche Vereinbarungen nicht anwendbar ist. 190 Es besteht auch nach Auslaufen des Tarifvertrags keine Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG für schuldrechtliche Klauseln. 191 In dieser Konstellation ist daher das Bedürfnis nach einer unmittelbar und zwingend geltenden Regelung i. S. d. § 4 Abs. 1 TVG besonders groß; der Gewerkschaft dürfte regelmäßig – zumindest aber, wenn es um einen Verbandstarifvertrag geht – daran gelegen sein, mitgliederbegünstigende Klauseln mit normativer Wirkung zu vereinbaren.
II. Rechtstechnische Ausgestaltung von Differenzierungsklauseln 1. Einfache Differenzierungsklauseln und Klauseln mit besonderem Kündigungsschutz Einfache Differenzierungsklauseln können ohne weiteres Eingang in den normativen Teil des Tarifvertrags finden. 192 Sie gewähren den Organisierten bestimmte Leistungen und gestalten damit deren Arbeitsverhältnisse als Inhaltsnormen gemäß § 1 Abs. 1 TVG. Vereinzelt wird dagegen vorgebracht, dass einfache Differenzierungsklauseln auch das Außenseiter-Arbeitsverhältnis normativ gestalten würden. Die einfache Differenzierungsklausel diene dazu, dass eine arbeitsvertragliche Bezugnahme bzw. die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags dazu führen würden, dass sie dem Außenseiter keinen Anspruch auf die von der Differenzierungsklausel betroffene Leistung einräumten. Eine derartige Einwirkung auf die Auslegung des fremden Arbeitsvertrags lasse sich anders als durch eine Normwirkung der Differenzierungsklausel im Außenseiter-Arbeitsverhältnis nicht begründen. Folge wäre damit eine den einfachgesetzlichen Rahmen sprengende Überschreitung der „Tarifmacht“, womit offenbar die Normsetzungsbefugnis gemeint ist. 193 189
Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 148; Gamillscheg, Differenzierung, S. 75; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 54 f. 190 Gamillscheg, Differenzierung, S. 71 f., der allerdings von „Nachwirkung“ anstelle von „Nachbindung“ spricht; Georgi, Zulässigkeit, S. 67. 191 Vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1451; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 38, 227; Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 407. 192 Hölters, Harmonie, S. 23; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 36; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 14 f. 193 Greiner, DB 2009, 398 (399 f.). Gleiches soll für die Spannenklausel gelten, a. a. O., 400.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Das ist unrichtig. Die Wirkung der einfachen Differenzierungsklausel resultiert bei der individualvertraglichen Inbezugnahme und bei der Allgemeinverbindlicherklärung auf dem Umstand, dass die Außenseiter das Tatbestandsmerkmal „Gewerkschaftsmitglied“ nicht erfüllen. Deutlich wird die Entscheidungserheblichkeit dieses Kriteriums, wenn man sich vor Augen führt, dass im allgemeinen Vertragsrecht ebenfalls eine Bezugnahme anderer Regelungswerke als Tarifverträge (z. B. Allgemeiner Arbeitsbedingungen i. S. d. §§ 305 ff. BGB) denkbar ist und denen eine normative Wirkung von vornherein nicht zukommt; geht man des Weiteren davon aus, dass das entsprechende Regelwerk ähnliche Differenzierungskriterien enthalten kann, so muss die Normwirkung als Erklärung für die Auswirkungen im bezugnehmenden Vertrag ausscheiden. Bei der individualvertraglichen Inbezugnahme eines Tarifvertrags gibt es ohnehin keinerlei Normwirkung, da die in Bezug genommenen Tarifnormen rein schuldrechtlich im jeweiligen Arbeitsverhältnis gelten. 194 Der durch Bezugnahmeklausel – und gerade nicht durch eine Statusbestimmung dahingehend, dass der Außenseiter wie ein Gewerkschaftsmitglied zu behandeln sei – gestaltete Individualarbeitsvertrag ist letztlich der Grund, weshalb der Außenseiter nicht in den Genuss der gewerkschaftsexklusiven Leistung kommt; 195 will der Außenseiter zu den gleichen Bedingungen arbeiten wie der Organisierte, so kann er dies nachverhandeln, ohne dass die einfache Differenzierungsklausel ihn daran hindern würde. Die einfache Differenzierungsklausel regelt allein die Arbeitsverhältnisse der Organisierten unmittelbar und zwingend – und damit normativ. 196 Eine Überschreitung der Normsetzungsbefugnis ist daher nicht gegeben. Auch Differenzierungsklauseln mit besonderen Kündigungsschutzbestimmungen zugunsten von Organisierten können normativ ausgestaltet werden. Dogmatisch handelt es sich bei einer solchen Klausel um eine Beendigungsnorm i. S. d. § 1 Abs. 1 TVG. 2. Tarifausschlussklauseln Eine normative Regelung von Tarifausschlussklauseln wird überwiegend für ausgeschlossen gehalten, da eine Einwirkung auf die Außenseiter-Arbeitsverhältnisse mit unmittelbarer und zwingender Wirkung nur in den Fällen von § 3 Abs. 2 bzw. § 5 TVG denkbar ist. 197 Rechtsnormen des Tarifvertrags binden 194 H. M., vgl. BAG 24. 11. 2004 – 10 AZR 202/04, BAGE 113, 29 (36). Löwisch / Rieble, TVG, § 3 Rn. 421; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 285, m. w. Nachw. auch zur Gegenauffassung. 195 Vgl. BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1034 f.). 196 Zutreffend insofern BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (198). 197 Vgl. BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (187 f.); Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 147 f.; Gamillscheg, Differenzierung, S. 73; Hensche in: Däubler, TVG,
C. Tarifliche Regelungsbefugnis
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gemäß § 3 Abs. 1 TVG grundsätzlich nur die Mitglieder der Tarifvertragsparteien sowie einzelne Arbeitgeber, sofern sie selbst Vertragspartner sind. Darüber hinaus mangelt es den Tarifvertragsparteien an der Normsetzungsbefugnis. 198 Allerdings wird erwogen, ob es nicht möglich ist, den Mitgliedern der tarifschließenden Gewerkschaft einen (normativ regelbaren) Unterlassungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber, der – entgegen der schuldrechtlichen Verpflichtung – Nicht- oder Andersorganisierten zusätzliche Leistungen zukommen lässt, einzuräumen. 199 Diese Konstruktion hat aus Arbeitnehmersicht im Fall des Verbandstarifvertrags den Vorteil, dass die Gewerkschaft nicht auf den umständlichen und schwerfälligen Weg angewiesen ist, den Arbeitgeberverband zu veranlassen, auf den ausscherenden Arbeitgeber einzuwirken, dass dieser der Tarifvereinbarung nachkommt. Jedes einzelne Gewerkschaftsmitglied könnte direkt gegen seinen Arbeitgeber vorgehen. 200 Dem ist nicht zuzustimmen. Ein derartiger Unterlassungsanspruch hat nichts mehr mit der inhaltlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses des Organisierten zu tun, die § 1 Abs. 1 TVG erfordert. Es fehlt insofern am inneren Zusammenhang zu den Rechten und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis. 201 Denn auf die Arbeitsbedingungen des Organisierten hat es keinen unmittelbaren Einfluss, ob Außenseiter zu den gleichen Arbeitsbedingungen wie sie beschäftigt werden oder nicht. 202 Zwar hätte der Arbeitnehmer durch einen Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber eine ihm zupass kommende und nicht unerhebliche Einflussnahmemöglichkeit auf das Verhalten der Arbeitgebers gegenüber den Außenseitern; 203 das ändert aber nichts daran, dass sich diese Einflussnahme auf das eigene Arbeitsverhältnis gerade nicht auswirkt, sondern nur den Inhalt eines fremden Arbeitsverhältnisses regeln soll. Zugleich würden durch die Ein§ 1 Rn. 870; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 50, 53; Kocher, NZA 2009, 119 (123); Mayer-Maly, BB 1966, 1067 (1068); Richardi, Kollektivgewalt, S. 204 f.; Schnorr, JR 1966, 327 (331); Wagenitz, Tarifmacht, S. 97; Zachert, DB 1995, 322 (323); Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 16 f. 198 Konstruierbar ist auch eine positive Formulierung des Inhalts, dass nur Gewerkschaftsmitglieder einen gewissen Bonus erhalten dürfen. Ein derartiger dialektischer Kniff ändert aber nichts an der weiterhin vorhandenen unzulässigen Außenseiteradressierung. 199 Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 31 f.; Fechner, Rechtsgutachten, S. 72 ff.; Gumpert, BB 1960, 100 (102 f.); wohl auch Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1184. 200 Ein mit einem Nichtorganisierten abgeschlossener Arbeitsvertrag, der eine derart abgesicherte Tarifausschlussklausel missachtet, bliebe freilich gleichwohl wirksam, vgl. Biedenkopf, Gutachten, S. 99 (132 f.); Gamillscheg, Differenzierung, S. 70; Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (201); Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 17. Unrichtig Bauer / Arnold, NZA 2005, 1209 (1211). 201 Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 53 f.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 205. 202 Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 36; Wagenitz, Tarifmacht, S. 97 f. Vgl. auch BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (187 f.). 203 Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 32.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
räumung eines solchen Anspruchs zugunsten der einzelnen Arbeitnehmer oder der Gewerkschaft aber auch die ohnehin nicht immer leicht zu ziehenden Grenzen zwischen schuldrechtlichem und normativem Teil des Tarifvertrags weiter verschwimmen. Führte man den Gedanken eines normativ wirkenden Unterlassungsanspruchs zur Absicherung (sämtlicher?) schuldrechtlicher Verpflichtungen zu Ende, bliebe von dieser grundsätzlichen Unterscheidung des TVG letztlich nicht mehr viel übrig. Es bleibt also nur die Möglichkeit einer schuldrechtlichen Vereinbarung von Tarifausschlussklauseln. Am Rande sei angemerkt, dass solches Verhalten, bei dem ein Arbeitnehmer darauf hinwirkt, dass ein Kollege etwa kein zusätzliches Urlaubsgeld erhält, negative Auswirkungen auf den Betriebsfrieden haben kann. 204 Dies lässt die mit einem Unterlassungsanspruch abgesicherte Tarifausschlussklausel zumindest organisationspolitisch fragwürdig erscheinen, selbst wenn man diese Konstruktion entgegen der hier vertretenen Auffassung für zulässig hält. 3. Organisations- und Absperrklauseln Die gleichen Erwägungen, die für eine nur schuldrechtliche Vereinbarungsbefugnis von Tarifausschlussklauseln sprechen, können a minori ad maius für Organisations- und Absperrklauseln fruchtbar gemacht werden. Derartige closedshop-Vereinbarungen unterscheiden sich letztlich nur in ihrem Umfang, nicht jedoch in ihrer Konstruktion von Tarifausschlussklauseln. Diese schließen einzelne Leistungen aus, jene den Abschluss des Arbeitsvertrags insgesamt. Der Sache nach handelt es sich bei closed-shop-Vereinbarungen zwar um solche, die den Abschluss von Arbeitsverträgen regeln bzw. verhindern sollen, so dass an eine Abschlussnorm i. S. v. § 1 Abs. 1 TVG gedacht werden kann. Allerdings gilt auch insofern, dass der Außenseiter nicht durch eine derartige Norm gebunden werden kann. 4. Spannenklauseln Spannenklauseln können nach weit überwiegender und zutreffender Meinung normativ vereinbart werden. 205 Ebenso wie die einfachen Differenzierungsklau204 Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 32; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 53 f.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 34. 205 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 172; Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 30 f.; Gamillscheg, Differenzierung, S. 74; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 33; Richardi, Kollektivgewalt, S. 205; Wagenitz, Tarifmacht, S. 98; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 17. Anders aber Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, Grundlagen Rn. 163, der sich dafür zu Unrecht auf Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 631, beruft; Mürau, Sonderleistungen, S. 149 f.
C. Tarifliche Regelungsbefugnis
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seln gewähren Spannenklauseln ein Mehr an Leistung für die Organisierten und sind daher Inhaltsnormen i. S. v. § 1 Abs. 1 TVG. Die Außenseiter sind hier nicht Regelungsadressat, sondern nur Anknüpfungspunkt bzw. „Bezugsgröße“ 206 für eine mitgliedschaftsbezogene Regelung, nach der sich die Leistungshöhe für die Organisierten bestimmt. Adressaten bleiben die nach § 3 Abs. 1 TVG Tarifgebundenen. Während die Tarifausschlussklausel bestimmt, dass der Außenseiter eine bestimmte Leistung nicht erhalten soll, soll die Spannenklausel dem Gewerkschaftsmitglied eine zusätzliche Leistung gewähren, ohne den Außenseiter rechtlich einen bestimmten Vertragsabschluss unmöglich zu machen. Die Verhandlungsposition der Außenseiter wird nur faktisch beeinflusst. 5. Differenzierungen mittels Gemeinsamer Einrichtungen gemäß § 4 Abs. 2 TVG In der Praxis werden Differenzierungsklauseln häufig mittels Gemeinsamer Einrichtungen gemäß § 4 Abs. 2 TVG ausgestaltet. Gemeinsame Einrichtungen sind von den Tarifvertragsparteien geschaffene und von ihnen abhängige Organisationen, deren Zweck und Organisationsstruktur durch Tarifvertrag festgesetzt wird. 207 Es handelt sich um eigenständige Rechtsträger, die zu den tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in eigenen Rechtsbeziehungen stehen. Sie können nach jeder von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Form eingerichtet werden. 208 Grundsätzlich haben nur tarifgebundene Arbeitnehmer einen Anspruch gegen die Gemeinsame Einrichtung. 209 Eine Differenzierung mittels Gemeinsamer Einrichtung bietet vor allem praktische Vorteile: 210 Wenn der organisierte Arbeitnehmer seinen besonderen Leistungsanspruch direkt gegen die Gemeinsame Einrichtung geltend machen kann, muss er seine Gewerkschaftszugehörigkeit dem Arbeitgeber gegenüber nicht offenbaren. Daraus folgt zugleich, dass es dem Arbeitgeber schwerer fallen dürfte, die angestrebte Differenzierung einzelvertraglich zu unterlaufen, da auch die Außenseiter für ihn soweit unkenntlich bleiben. Zwar muss die Arbeitgeberseite aufgrund des Paritätsgebots gemeinsam mit der Gewerkschaft weiterhin Einfluss auf die Gemeinsame Einrichtung ausüben können; bei der Ausgestaltung der Binnenverfassung sind die Tarifvertragsparteien aber weitgehend frei. 211 206 Gamillscheg, Differenzierung, S. 74. A. A. Greiner, DB 2009, 398 (400), der davon ausgeht, dass es sich bei Spannenklauseln um „getarnte“ normative Ausgestaltungen des Außenseiterarbeitsverhältnisses handelt. Im Ergebnis auch BAG 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, NZA 2011, 920 (923 f.). 207 Oetker in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 784, m. w. Nachw. 208 Hensche in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 935 f.; Thüsing / von Hoff, ZfA 2008, 77 (78 f.). 209 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1153; Thüsing / von Hoff, ZfA 2008, 77 (87 f.). 210 Siehe dazu Berg et al., KK, § 3 TVG Rn. 241 ff.; Hromadka, NJW 1970, 1441; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 41 f.; Zachert, Tarifpolitik, S. 194 (201).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Ferner ist des dem Betriebsfrieden dienlich, wenn nicht der Arbeitgeber, sondern eine Gemeinsame Einrichtung die Differenzierung vornimmt; die Differenzierung wird von der Betriebsebene gelöst. Wird die vom Arbeitgeber zu erbringende Leistung auf der Grundlage der Lohnsumme der gesamten Belegschaft bemessen, ist die Belastung des Arbeitgebers unabhängig von der Anzahl der tatsächlich im Betrieb organisierten Arbeitnehmer; es besteht kein Anreiz, Außenseiter bevorzugt einzustellen oder Organisierten bevorzugt zu kündigen. Eine Verpflichtung zur Zahlung durch die Gemeinsame Einrichtung mittels individualvertraglicher Bezugnahme des entsprechenden Tarifvertrags wäre ein Vertrag zu Lasten Dritter und ist daher ebenfalls nicht möglich. 212 Der Arbeitgeber kann nur versuchen, die entsprechenden Leistungen selbst zu gewähren, was ihm aber häufig praktisch nicht möglich sein wird – schon aufgrund seiner Unkenntnis hinsichtlich der Gewerkschaftszugehörigkeit. 213 Es gibt keine derart gravierenden Unterschiede zwischen Tarifverträgen, die eine Gemeinsame Einrichtung zum Gegenstand haben, und anderen Tarifverträgen, die eine unterschiedliche rechtliche Bewertung im Hinblick auf eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit rechtfertigen würden. 214 Es ist auch keine strengere Betrachtungsweise aufgrund des Erfordernisses der Gemeinsamkeit der Einrichtung angezeigt. Zum Teil wird hingegen argumentiert, dass Gemeinsame Einrichtungen nicht zum einseitigen Vorteil einer Tarifvertragspartei gebraucht werden dürften. 215 Das Kriterium der Gemeinsamkeit sollte aber nicht überspannt werden; hinsichtlich der Entscheidung über Art und Umfang der Zusammenarbeit kann man den Tarifvertragsparteien weitgehend freie Hand lassen, solange nur beiden Tarifvertragsparteien ein ausreichender Einfluss auf die Gemeinsame Einrichtung verbleibt. 216 Was sich die Tarifvertragsparteien gegenseitig abverlangen oder zugestehen wollen, wird man ihnen regelmäßig selbst überlassen können. 217 Eine gesonderte Behandlung von Gemeinsamen Einrichtungen im Hinblick auf Differenzierungsklauseln ist daher nicht erforderlich. 211
Hensche in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 938; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 790. Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 95; Thüsing / von Hoff, ZfA 2008, 77 (91), m. w. Nachw. 213 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 95; Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 46 f.; Thüsing / von Hoff, ZfA 2008, 77 (98). 214 H. M., siehe Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 94; Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 108 f.; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 73; Gamillscheg, Differenzierung, S. 101; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 56 f.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 43; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 165 f. 215 Thüsing / von Hoff, ZfA 2008, 77 (99), unter Berufung auf Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 21, 102 f. 216 Hromadka, NJW 1970, 1441 (1443). 217 Siehe zur Frage der Zumutbarkeit Teil 2 D. VII. 3. a). 212
C. Tarifliche Regelungsbefugnis
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6. Zusammenfassung Einfache Differenzierungsklauseln und Differenzierungsklauseln mit besonderem Kündigungsschutz sowie Spannenklauseln können im Tarifvertrag normativ als Inhalts- bzw. Beendigungsnormen i. S. d. § 1 Abs. 1 TVG vereinbart werden. Tarifausschlussklauseln und Organisationsklauseln sind einer normativen Ausgestaltung nicht zugänglich; sie sind nur schuldrechtlich regelbar. Schließlich ist eine Differenzierung mittels einer Gemeinsamen Einrichtung gemäß § 4 Abs. 2 TVG denkbar.
III. Begrenzung der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis auf auch normativ Regelbares? Fraglich ist, ob den Tarifvertragsparteien eine Grenze für die Wirksamkeit der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln dadurch gezogen ist, dass sie im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags nur Klauseln vereinbaren dürfen, die auch einer normativen Regelung zuständig wären. Im vorliegend interessierenden Zusammenhang ist dies vor allem mit Blick auf die Vereinbarungsbefugnis bezüglich Tarifausschlussklauseln (ferner auch bezüglich Organisations- und Absperrklauseln) relevant: Tarifausschlussklauseln können nicht normativ vereinbart werden, da sie die Außenseiter als Adressaten nicht erreichen können. Es bleibt allein die Möglichkeit, die Arbeitgeberseite schuldrechtlich dazu anzuhalten, den Außenseitern bestimmte Leistungen vorzuenthalten. Wäre jedoch die Vereinbarungsbefugnis im Hinblick auf den schuldrechtlichen Teil auf das auch normativ Regelbare begrenzt, so könnten Tarifausschlussklauseln schon deshalb nicht wirksam vereinbart werden, weil die normative Ausgestaltung einer Tarifausschlussklausel nicht möglich ist. Ob dem so ist, ist streitig. 1. Meinungsstand Von Teilen des Schrifttums wird die Ansicht vertreten, dass die Tarifvertragsparteien nicht schuldrechtlich vereinbaren könnten, was sie auch nicht normativ regeln könnten. 218 Zur Begründung dieser Einschränkung der schuldrechtlichen 218 Siehe aus dem älteren Schrifttum Biedenkopf, Gutachten, S. 97 (125 f.); Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 142; Bulla, BB 1975, 889 (893); Koller, ZfA 1978, 45 (65 f.); Mayer-Maly, BB 1965, 829 (833); ders., BB 1966, 1067 (1069); Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 168 Rn. 34; Richardi, Kollektivgewalt, S. 198 f., 208 f.; Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 155 ff. Der Sache nach auch Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 69. Neuerdings auch Giesen, Rechtsgestaltung, S. 514 ff.; ders., NZA 2004, 1317 (1319 f.). Wohl auch Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 62 f., 161, 165; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 124 f.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Vereinbarungsbefugnis wird darauf hingewiesen, dass ansonsten die Gefahr einer Umgehung der den Tarifvertragsparteien eingeräumten „Regelungsgewalt“ drohe, wenn sie schuldrechtlich den Arbeitgeber zu etwas zwingen könnten, was ihnen normativ untersagt sei. 219 Das Prinzip der auf die Mitglieder beschränkten Tarifwirkung dürfe nicht durch schuldrechtliche Vereinbarungen durchbrochen werden. 220 Für die Auslotung der Grenzen der „Tarifmacht“ seien allein Funktion und Wirkung einer Klausel entscheidend; es müsse daher ein „materielles Verständnis des Normativen“ gesucht werden. 221 Auf die Formulierungskünste der Tarifvertragsparteien könne es letztlich nicht ankommen. Folgt man dieser Auffassung, sind zumindest Tarifausschlussklauseln bereits deshalb unzulässig, weil sie nicht mit normativer Wirkung vereinbart werden können. Die mittlerweile h. M. in der Literatur wendet sich gegen dieses Gleichlaufgebot von normativer und schuldrechtlicher Regelung. 222Auch der Große Senat hat in seinem Differenzierungsklausel-Beschluss die Ansicht vertreten, dass sich die Tarifvertragsparteien im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags mit Außenseitern beschäftigen dürfen und diesen günstige Klauseln, zu denen es etwa Wiedereinstellungsklauseln, Maßregelungsverbote und Außenseiterklauseln zählt, als unbedenklich eingestuft. 223 Derartige Klauseln seien „geradezu ein Gebot der Gerechtigkeit“ 224. Die Tarifvertragsparteien hätten sich außerdem in der Vergangenheit stets auch mit Außenseiterfragen im schuldrechtlichen Teil auseinan219 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 516; Richardi, Kollektivgewalt, S. 208 ff. Gegen den Umgehungsgedanken aufgrund dessen zu starker subjektiver Akzentuierung aber Mayer-Maly, BB 1966, 1067 (1079). 220 Mayer-Maly, BB 1965, 829 (833). 221 Mayer-Maly, BB 1966, 1067 (1069). 222 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 173 f.; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 175 ff.; ders. in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 11; Gamillscheg, Differenzierung, S. 95; Georgi, Zulässigkeit, S. 79 f.; Hanau, JuS 1969, 213 (218); Hölters, Harmonie, S. 110 ff.; Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (202); Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 101; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 223 ff.; Mürau, Sonderleistungen, S. 63 ff.; Reim in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 963; Schumann in: Däubler, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rn. 155; Thüsing in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 961; Wagenitz, Tarifmacht, S. 104 ff.; Wiedemann, RdA 1969, 321 (334); Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 40 ff. 223 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (194 ff.). 224 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (195). Die anfängliche Einschränkung seiner Ausführungen auf (nach Ansicht des Gerichts) für Außenseiter günstige Klauseln lässt das BAG jedoch im Folgenden, a. a. O., 197, fallen und stellt ganz allgemein fest, dass es den Tarifvertragsparteien nicht verwehrt sei, im schuldrechtlichen Teil der Tarifverträge Regelungen für Außenseiter zu treffen; die Zulässigkeit der streitigen Differenzierungsklauseln könne nicht schon deshalb verneint werden, weil sie auf Tarifabsprachen aufbauen würden, die Sockelbeträge für Außenseiter vorsehen würden. Hätte das BAG seine Darlegungen auf Klauseln beschränkt wissen wollen, die für Außenseiter günstig sind, hätte es an dieser Stelle zum entgegengesetzten Ergebnis kommen müssen. A. A. Georgi, Zulässigkeit, S. 79 Fn. 235; Hanau, JuS 1969, 213 (218 f.).
C. Tarifliche Regelungsbefugnis
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dergesetzt; die Begrenzung des schuldrechtlichen Teils auf das auch normativ Mögliche entspreche damit auch nicht der Tarifpraxis. 225 Demzufolge kann allein aus der nicht möglichen normativen Regelung der Tarifausschlussklausel keine Unzulässigkeit ihrer schuldrechtlichen Vereinbarung gefolgert werden. 2. Stellungnahme Bereits dem Wortlaut des § 1 TVG lässt sich eine Beschränkung des schuldrechtlich Möglichen auf das normativ Regelbare nicht entnehmen. Eine derartige Beschränkung auf nur bestimmte Rechte und Pflichten, mit denen die Tarifvertragsparteien ihr Verhältnis zueinander regeln dürfen, kann ohne eine explizite Hervorhebung im Gesetz nicht angenommen werden. 226 Auch vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung kann eine Beschneidung der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis nicht überzeugen. Die durch die TVVO und später durch das TVG angeordnete normative Wirkung sollte die Tarifvertragsfreiheit nicht verkürzen, sondern im Hinblick auf besonders wichtige Arbeitsbedingungen stärken. 227 Gegen die Gleichstellung von normativen und schuldrechtlichen Regelungen spricht des Weiteren, dass diese in ihren Rechtswirkungen nach dem oben Dargelegten 228 nicht identisch sind: 229 Der einzelne Arbeitnehmer erhält bei einer Tarifausschlussklausel keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Einhaltung der tarifvertraglichen Differenzierung. Der verbandsangehörige Arbeitgeber kann sich einer schuldrechtlichen Tarifausschlussklausel durch einen Verbandsaustritt entziehen; eine normativ wirkende Spannenklausel würde hingegen gemäß § 3 Abs. 3 TVG der Nachbindung unterfallen. Schuldrechtliche Tarifbestimmungen können auch nicht für allgemeinverbindlich erklärt werden, wie sich deutlich aus § 5 Abs. 4 TVG ergibt. Somit kann der Einwand, dass es lediglich auf die Formulierungskünste der Tarifvertragsparteien ankomme, nicht überzeugen. Auch eine drohende Umgehung gesetzlicher Wertungen durch eine „rein formal[e]“ Unterscheidung zwischen normativer und schuldrechtlicher Wirkung – oder gar ein „Rückfall in reine Begriffsjurisprudenz“ 230 – kann damit nicht angenommen werden. 225
S. 40.
Ebenso Gamillscheg, Differenzierung, S. 95; Zöllner, Differenzierungsklauseln,
226 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 175; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 225. 227 Vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 175 a; Hanau, JuS 1969, 213 (218); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 227. 228 Siehe Teil 2 C. I. 229 Vgl. dazu auch Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1451; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 98; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 227; Mürau, Sonderleistungen, S. 63; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 41.
100
2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Auch im Hinblick auf das vorliegend problematische Gleichlaufgebot von normativen und schuldrechtlichen Regelungen dürfte das unbestimmte Rekurrieren auf die sog. „Tarifmacht“ eine stimmige Problemlösung erschwert haben. Aus dem rechtlichen Können im normativen Teil kann man keine Rückschlüsse auf das schuldrechtliche Dürfen ziehen. 231 Dem TVG lässt sich kein Maßstab für die Beurteilung des rechtlichen Dürfens der Tarifvertragsparteien entnehmen. Es regelt die rechtstechnische Ausgestaltung und Wirkungsweise des Tarifinhalts. Es bestimmt insbesondere, unter welchen Voraussetzungen tarifvertragliche Regungen normative Wirkung entfalten können. Diese Voraussetzungen gelten aber nicht, wenn es bei einer bloß schuldrechtlichen Wirkung bleiben soll. Die sachlich-gegenständliche Begrenzung des schuldrechtlichen Dürfens der Tarifvertragsparteien ergibt sich – ebenso wie die Begrenzung des normativen Dürfens – nur aus Art. 9 Abs. 3 GG, d. h. es muss sich um eine Vereinbarung im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen handeln. 232 Unter diesem Blickwinkel wird erkennbar, dass eine Reduzierung des Vereinbarungskanons im schuldrechtlichen Teil auf diejenigen Vereinbarungen, die § 1 Abs. 1 TVG mit normativer Wirkung ausstattet, einen weitreichenden und nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien darstellen würde; die Betätigungsfreiheit der Koalitionen erstreckt sich auf den gesamten Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG. Die allgemeinen Grenzen der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis ergeben sich daher zum einen aus der Regelungszuständigkeit, zum anderen daraus, dass Tarifverträge nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen dürfen, also inhaltlich rechtmäßig sein müssen. Dass Differenzierungsklauseln der generellen Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien gemäß Art. 9 Abs. 3 GG unterfallen, d. h. dass sie der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen, wurde oben dargelegt. Wie es um die inhaltliche Rechtmäßigkeit steht, bleibt zu erörtern. 233 3. Ergebnis Der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis wird durch die Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien keine Grenze gezogen. Schuldrechtlich verein230
So Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 69. Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (202); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 221 f.; Thüsing in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 961. 232 Zutreffend Reim in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 962 f.; Georgi, Zulässigkeit, S. 29; Hölters, Harmonie, S. 111 f. A. A. Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 162; Richardi, Kollektivgewalt, S. 199 ff.; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 35 f. 233 Siehe dazu Teil 2 D. 231
C. Tarifliche Regelungsbefugnis
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barte Tarifausschlussklauseln sind daher nicht schon deswegen unzulässig, weil sie einer normativen Regelung nicht zugänglich sind.
IV. Keine tarifliche Regelungsbefugnis für Selbsterhaltungsmaßnahmen? Von Teilen der Literatur wird den Tarifvertragsparteien die tarifliche Regelungsbefugnis im Hinblick auf Selbsterhaltungsmaßnahmen abgesprochen. Es wird argumentiert, dass den Koalitionen zwar das Recht zu Selbsterhaltungsmaßnahmen zuzugestehen sei, man daraus aber nicht zwingend folgern könne, dass sie dieses Recht auch mit Hilfe des Tarifvertrags ausüben dürften. 234 Zwar hätten Betätigungen der Koalitionen, die deren Bestand fördern und sichern sollten, Anteil am Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG; der soziale Gegenspieler müsse sich aber nicht tarifvertraglich dafür einspannen lassen. 235 Auch nicht tariffähigen Koalitionen stünde außerdem der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG zu. 236 Dass letztgenannter Aspekt gegen eine tarifvertraglich unterstützte Mitgliederwerbung sprechen soll, ist nicht überzeugend. Er ließe sich auch gegen den Schutz der Tarifautonomie insgesamt durch Art. 9 Abs. 3 GG in Stellung bringen. Denn dieser steht nicht tariffähigen Koalitionen ebenfalls nicht zu. Dass tariffähigen Koalitionen mehr Handlungsmöglichkeiten offenstehen als nicht tariffähigen Koalitionen, ergibt sich aus der Sache selbst. Überdies ist zu bedenken, dass das BVerfG den Koalitionen bei der Wahl der Mittel freie Hand lässt. 237 Dass es ihnen gerade das genuine Werkzeug zur Einflussnahme auf den Arbeitsmarkt, den Tarifvertrag, als Werbeinstrument verwehren würde, ist äußerst unwahrscheinlich. Was der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dient, darf grundsätzlich auch tarifvertraglich vereinbart werden. Auch in diesem Zusammenhang wirkt die Abkehr von der Kernbereichsdoktrin freiheitserweiternd. 238
234
Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 94 f.; Kraft, ZfA 1976, 243 (255 f.); Richardi, RdA 1968, 427 (428 f.), hinsichtlich Werbemaßnahmen im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 427. Tendenziell auch Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 132 f. 235 Kraft, ZfA 1976, 243 (255). 236 Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 94. 237 Vgl. dazu BVerfG 6. 5. 1964 – 1 BvR 79/62, BVerfGE 18, 18 (32) (Hausgehilfinnenverband); 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (368) (Mitbestimmungsurteil); 26. 6. 1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224) (Aussperrung). 238 Gegen die Herausnahme des Tarifvertrags aus dem Arsenal der gewerkschaftlichen Werbemittel auch Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 380 ff.; Krüger, Gutachten, S. 7 (67 f.).
102
2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
V. Begrenzung der Normsetzungsbefugnis durch faktische Außenseiterwirkung? Neuerdings wird im Hinblick auf normativ vereinbarte Differenzierungsklauseln vertreten, dass der Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien allein durch die faktische Außenseiterwirkung Grenzen gezogen seien. 239 Auf eine grundrechtlich relevante Rechtsverletzung der Außenseiter (sowie offenbar auf einen sonstigen Rechtsverstoß) soll es nach diesem Ansatz nicht mehr ankommen. Es könne nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber die faktische Gestaltung der Außenseiter-Arbeitsverhältnisse durch die Tarifpartner grenzenlos billige. Der Gesetzgeber gehe von einer Koexistenz von tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern aus; dieses System sei aber gefährdet, wenn die Tarifvertragsparteien die Position der Außenseiter bis zur Grundrechtsbeeinträchtigung beliebig gestalten dürften. Zumindest eine gewollte faktische Wirkung zu Lasten der Außenseiter sei nicht mehr von der Normsetzungsbefugnis der Tarifpartner gedeckt. 240 Diesem Ansatz kann bereits aus dogmatischen Gründen nicht gefolgt werden. Er übersieht, dass die Koalitionsfreiheit der die Differenzierungsklauseln vereinbarenden Vereinigungen nur zum Schutz von Grundrechten Dritter und anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechte eingeschränkt werden kann. 241 Schon deshalb kann auf die Feststellung einer Rechtsverletzung bzw. auf das Auffinden einer gesetzlichen Regelung, die dem Schutz kollidierenden Verfassungsrechts dient, nicht verzichtet werden. Zur Frage der faktischen Außenseiterwirkung enthält das TVG keine Regelung, die einer normativ wirkenden Differenzierungsklausel entgegenstehen würde. Sofern eine Klausel Inhalt, Abschluss oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen bzw. betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen regelt, ist sie einer normativen Ausgestaltung zugänglich. Einschränkungen im Hinblick auf faktisch belastende Außenseiterwirkungen enthält § 1 Abs. 1 TVG nicht. Es ist zwar zutreffend, dass das TVG zwischen Tarifgebundenen und nicht Tarifgebundenen trennt. Differenzierungsklauseln haben jedoch keinerlei Einfluss auf die Tarifbindung. Sie machen aus den Außenseitern keine Gewerkschaftsmitglieder. Insofern bleibt auch die Koexistenz von Organisierten und Außenseitern gewahrt. Zutreffend mag auch sein, dass der Gesetzgeber keine grenzenlose Beeinträchtigung der Außenseiterarbeitsverhältnisse durch die Tarifvertragsparteien billige. Inwieweit er eine faktische Beeinträchtigung von Außenseitern billigt oder nicht billigt, lässt sich dem TVG jedoch nicht entnehmen. Entsprechende Wertungen müssen an anderer Stelle, namentlich bei der Auslegung des 239 240 241
Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 161 ff. Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 165. Vgl. BVerfG 26. 6. 1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 ff. (Aussperrung).
C. Tarifliche Regelungsbefugnis
103
Art. 9 Abs. 3 GG bzw. der Prüfung der inhaltlichen Rechtmäßigkeit der jeweiligen Regelung gefunden werden.
VI. Differenzierungsklauseln als Mitgliedsbeitrag ohne Mitgliedschaft? Das BAG hat in seinem Differenzierungsklausel-Beschluss ausgeführt, Differenzierungsklauseln seien eine „moderne Art der Kommerzialisierung gewerkschaftlicher Tätigkeit“ und würden den Außenseitern „eine Art Leistung, eine Art Beitrag, eine Art Gebühr, eine Art Abgabe, eine Art Herausgabe von ungerechtfertigter Bereicherung oder ähnliches für die Inanspruchnahme gewerkschaftlicher Arbeit“ abverlangen. Ohne eine gesetzliche Grundlage müsse niemand für das, was er seit jeher kostenlos in Anspruch genommen habe und daher als Gemeingut ansehen könne, einen Ausgleich erbringen. Differenzierungsklauseln „jedweder Art“ seien nicht mehr von der „Tarifmacht“ der Koalitionen gedeckt; eine derartige Beitragserhebung sei „nach allgemeinen Gesetzen“ unzulässig. 242 Der Sache nach verneinte das BAG damit die tarifliche Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien; ohne besondere gesetzliche Anordnung dürfen die Außenseiter durch den Tarifvertrag nicht in die Pflicht genommen werden. Genau das wäre aber der Fall, wenn die Gewerkschaften von ihnen eine „Art Beitrag“ erheben würden. Der dialektische Kniff des Großen Senats bestand zunächst darin, aus der Vergünstigung der einen Gruppe, der organisierten Arbeitnehmer, eine Benachteiligung der anderen Gruppe, der Außenseiter zu machen: Aus dem Mitgliederbonus für die Organisierten wird eine „Art“ „Gewerkschaftsbeitrag ohne Mitgliedschaftsrechte“ für die Außenseiter. 243 Somit wird der Gedanke des Lastenausgleichs verkehrt in die Vorstellung der Auferlegung einer Last. Dass dies nicht überzeugen kann, hat mittlerweile auch das BAG erkannt. 244 Bereits die Formulierung, dass es sich nur um eine „Art“ Gebühr, Beitrag, etc. handele, lässt deutlich werden, dass die Argumentation des BAG auf tönernen Füßen stand: Ein „echter“ Beitrag ist es gerade nicht, der von den Außenseitern verlangt wird, und der zweifelsohne ohne gesetzliche Grundlage nicht zulässig wäre. Ein solcher Beitrag würde von der Gewerkschaft erhoben und den Außenseiter zur Zahlung verpflichten. Dies geschieht jedoch nicht. Dem Außenseiter wird lediglich ein Vorteil vorenthalten, auf den er ohnehin keinen 242
BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (218). Vgl. dazu auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 363; Kocher, NZA 2009, 119 (121); Krüger, Gutachten, 1 (95); Reuß, ArbuR 1970, 33 (34); Steinberg, ArbuR 1975, 99 (100); Weller, ArbuR 1970, 161 (162). 244 Siehe nunmehr BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1039). 243
104
2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Anspruch hat; die Gewerkschaft erhält keinerlei Leistung von ihm. 245 Folglich stellen Differenzierungsklauseln keine „Art“ Beitrag der Außenseiter an die Gewerkschaft dar, der ihrer Regelungsbefugnis entzogen wäre.
VII. Vertrag zu Lasten Dritter? Gegen die Vereinbarung tariflicher Differenzierungsklauseln im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags wird schließlich vorgebracht, dass dies einen Vertrag zu Lasten Dritter darstelle, der unwirksam sei. 246 Dies ist unrichtig. Der Vertrag zu Lasten Dritter zeichnet sich dadurch aus, dass einen am Vertragsschluss Unbeteiligten eine vertragliche Verpflichtung trifft. 247 Der Vertrag zu Lasten Dritter ist somit das Gegenstück zum echten Vertrag zu Gunsten Dritter (§ 328 BGB), der einem am Vertragsschluss unbeteiligten Dritten ein Forderungsrecht einräumt. Allein die tatsächliche Beeinträchtigung der Position Dritter stellt noch keinen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter dar. 248 Solche Beeinträchtigungen kommen in der zivil- und insbesondere der wettbewerbsrechtlichen Vertragspraxis häufig vor und sind – freilich nur bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit und innerhalb der Vorgaben des GWB bzw. UWG – rechtlich zulässig. Zu erinnern ist etwa an Konkurrenzschutzklauseln, welche es Vermietern gewerblich genutzter Räume untersagen, weitere Räumlichkeiten den Konkurrenten des Mieters zu überlassen. 249
VIII. Ergebnis Das TVG regelt die Tarifwirkung. Einfache Differenzierungsklauseln sowie Spannenklauseln können als Inhaltsnormen i. S. v. § 1 Abs. 1 TVG ausgestaltet werden. Tarifausschlussklauseln sowie Organisations- bzw. Absperrklauseln sind nur als schuldrechtliche Vereinbarung im Tarifvertrag regelbar. Ob eine Differenzierung mittels eines „einfachen Tarifvertrags“ oder mittels eines Tarifvertrags über eine Gemeinsame Einrichtung gemäß § 4 Abs. 2 TVG erfolgt, ist für die 245 Däubler, BB 2002, 1643 (1647); Hanau, JuS 1969, 213 (217); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 253; Ritter, JZ 1969, 111 (112). 246 Boss, BB 2009, 1238 (1242); Schaub in: Schaub et al., ArbR-Hdb., § 201 Rn. 17. 247 Vgl. BGH 8. 11. 1973 – VII ZR 246/72, BGHZ 61, 359 (361); 12. 11. 1980 – VIII ZR 293/79, BGHZ 78, 369 (374 f.); Gottwald in: MünchKomm, BGB, § 328 Rn. 188, 194; Stadler in: Jauernig, BGB, § 328 Rn. 7. 248 Insoweit zutreffend Georgi, Zulässigkeit, S. 70; Greiner, DB 2009, 398 (402). 249 Auch ohne eine explizite Regelung wird bei gewerblicher Vermietung davon ausgegangen, dass der Vermieter dem Mieter Konkurrenzschutz gemäß §§ 535, 242 BGB zu gewähren hat. Vgl. BGH 24. 1. 1979 – VIII ZR 56/78, NJW 1979, 1404 ff. (Konkurrenzschutz).
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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rechtliche Beurteilung ohne Belang. Begrenzungen in sachlich-gegenständlicher Sicht enthält das TVG für die tarifvertragliche Regelungsbefugnis hinsichtlich Differenzierungsklauseln nicht; eine Beschränkung des schuldrechtlich Regelbaren auf das auch normativ Mögliche besteht nicht. Im Hinblick auf die inhaltliche Reichweite der schuldrechtlichen Regelungsbefugnis ist auf Art. 9 Abs. 3 GG abzustellen. Der tariflichen Regelungsbefugnis unterfallen auch Vereinbarungen, die der Selbsterhaltung der Tarifvertragsparteien dienen sollen. Weder die faktische Außenseiterbeeinflussung von Differenzierungsklauseln noch die verfehlte Interpretation als eine „Art Mitgliedsbeitrag“ noch die Annahme eines Vertrags zu Lasten Dritter beeinträchtigen die tarifliche Regelungsbefugnis hinsichtlich Differenzierungsklauseln.
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit Nachdem feststeht, dass Differenzierungsklauseln dem Schutz von Art. 9 Abs. 3 GG unterfallen und wie sie tarifvertraglich ausgestaltet werden können, stellt sich nunmehr die Frage, ob bzw. inwieweit Differenzierungsklauseln gegen höherrangiges Recht verstoßen und deshalb unwirksam sind. Dabei ist zunächst das Verfassungsrecht, vornehmlich in Gestalt der Grundrechte der betroffenen Außenseiter (D. II. –D.V.), im Anschluss daran das einfache Recht (D. VI. –D. X.) in den Blick zu nehmen. Der verfassungsrechtlichen Überprüfung sind einige Überlegungen im Hinblick auf den Prüfungsmaßstab voranzustellen (D. I.). In der Literatur wurde teilweise kritisiert, dass die Diskussion um die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln vornehmlich auf der Verfassungsebene geführt wird. Entscheidend sei vielmehr das einfache (Tarif-) Recht. 250 Diese Auffassung wäre dann zustimmungswürdig, wenn der Gesetzgeber von seiner Kompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG Gebrauch gemacht und ein explizites Verbot oder eine ausdrückliche Erlaubnis zur Vereinbarung von Differenzierungsklauseln kodifiziert hätte. Das hat er freilich nicht getan, und es ist auch nicht erkennbar, dass er dies – trotz vereinzelter politischer Absichtsbekundungen 251 – in absehbarer Zukunft tun würde. Dass es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen erlaubt ist, eine derartige Regelung aufzustellen, wird kaum angezweifelt. 252 Allein, der politische Wille dürfte weder für die eine noch 250 Bötticher, RdA 1966, 401; Mayer-Maly in: Däubler / Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 5 (17); Richardi, Kollektivgewalt, S. 208; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 21. 251 Vgl. die Petersberger Eckpunkte der CDU-Landtagsfraktion von Nordrhein-Westfalen vom 9. 9. 2008. 252 Vgl. BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (220); Gamillscheg, NZA 2005, 146 (149); Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 17 ff.; Franzen, RdA 2006, 1 (11);
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
für die andere Ausgestaltung ausreichend sein; die Differenzierungsklausel wird wohl weiterhin der Literatur und der Rechtsprechung überlassen bleiben. Solange es an einer Differenzierungsklauseln gestattenden oder verbietenden Vorschrift fehlt, wird das Verfassungsrecht weiterhin einen beachtlichen Stellenwert in der Diskussion behalten müssen. Das gilt umso mehr, als man spätestens nach der Aufgabe der Kernbereichsdoktrin die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln grundsätzlich als Grundrechtsausübung anerkennen muss. 253 Und (vorbehaltlos gewährleistete) Grundrechtsausübung findet ihre Grenze vornehmlich in kollidierendem Verfassungsrecht, insbesondere in den (Grund-) Rechten Dritter.
I. Die Bindung der Tarifverträge an die Grundrechte Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Privatrechtliches Handeln kann grundsätzlich nicht unter Berufung auf Grundrechte abgewehrt werden. Gleichwohl ist seit langem streitig, ob Tarifverträge, die nach mittlerweile ganz h. M. zutreffenderweise als privatrechtliche Vereinbarungen qualifiziert werden, 254 unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind. Der Große Senat ist in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1967 nicht auf die Frage der Art und Weise der Grundrechtsbindung eingegangen. Für ihn stand die unmittelbare Bindung der Tarifvertragsparteien an die Grundrechte vor dem Hintergrund der seinerzeit ganz h. M. im Arbeitsrecht außer Frage. 255 Die Rechtsprechung hat jedoch seit dem Differenzierungsklausel-Beschluss einen Verständniswandel vollzogen, der Auswirkungen auf die rechtliche Beurteilung von Differenzierungsklauseln haben könnte. 256
Kocher, NZA 2009, 119 (120); Mayer-Maly, BB 1966, 1067 (1069); Säcker, Grundprobleme, S. 126 f. Fn. 315; Steinberg, ArbuR 1975, 99 (106); Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 281. Bedenken gegen eine verfassungsgemäße einfachgesetzliche Regelung hingegen bei Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 82, der auf der anderen Seite aber annimmt, dass die Rechtsprechung Differenzierungsklauseln im Rahmen ihres schutzpflichtlichen Gestaltungsspielraums beliebig Grenzen setzen könne, S. 104. Was der Rechtsprechung durch Rechtsfortbildung gestattet ist, muss dem Gesetzgeber als primär angesprochenem Regulator aber erst recht möglich sein. Zur sog. Schutzpflichtenlehre siehe sogleich. 253 Siehe Teil 2 B. V. 254 Siehe nur Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 56; Richardi, Kollektivgewalt, S. 369; Schwarze, ZTR 1996, 1; Singer, ZfA 1995, 611 (619 f.); Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 82; Waltermann, 50 Jahre BAG, S. 913 (922). 255 Vgl. BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (224). 256 Dieser Zusammenhang wird auch in der Literatur zunehmend erkannt, vgl. Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 68 ff.; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 80 ff. Zuvor bereits andeutungsweise Giesen, Rechtsgestaltung, S. 267.
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Diskussion um die Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien in ihrer „klassischen Konstellation“ nicht unreflektiert auf die Differenzierungsklausel-Problematik übertragen werden kann. Im Wesentlichen befasst sich die Frage nach der Grundrechtsbindung mit dem Schutz des organisierten Arbeitnehmers vor den Normen „seines“ Tarifvertrags. Geht es um Differenzierungsklauseln, begehrt hingegen der nicht tarifgebundene Außenseiter Schutz vor normativen und / oder schuldrechtlichen Regelungen, die seine Rechtsstellung beeinflussen. Dieser modifizierte Blickwinkel kann zu einer abweichenden Bewertung im Hinblick auf den Grundrechtsschutz führen. 257 1. Die Wirkung der Grundrechte im Privatrecht im Allgemeinen Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind Grundrechte nicht nur Abwehrrechte; sie enthalten zugleich objektive Wertentscheidungen der Verfassung, welche die gesamte Rechtsordnung durchziehen. 258 Daher ist mittlerweile anerkannt, dass die Grundrechte mittelbar auch auf Privatrechtsverhältnisse Einfluss nehmen können. Dies geschieht vornehmlich durch die zivilrechtlichen Generalklauseln (z. B. §§ 138, 242 BGB), die dem Gesetzesanwender einen beträchtlichen Spielraum bei der Auslegung offenlassen. Durch diese „Einbruchstellen“ in das Privatrecht kann die verfassungsrechtliche Wertordnung auch unter Privaten zum Tragen kommen. 259 Ein zweiter Begründungsweg, der zur Herleitung der Grundrechtswirkung im Privatrecht beschritten wird, beruht auf der – mittlerweile weitgehend anerkannten – Annahme, dass Grundrechte neben ihrer abwehrrechtlichen Funktion auch staatliche Schutzpflichtenauslösen. 260 Sie verpflichten den Staat zum Tätigwerden, sobald ein bestimmtes Schutzniveau unterschritten wird. Der Bürger hat dieser Schutzpflichtenlehre zufolge – nach Maßgabe des Untermaßverbots – ein subjektives Recht gegen den Staat, wenn seine Freiheit durch einen Dritten 257
Siehe Teil 2 D. I. 4. f). Grundlegend BVerfG 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (205 ff.) (Lüth). Siehe ferner BVerfG 26. 2. 1969 – 1 BvR 619/63, BVerfGE 25, 256 (263) (Blinkfüer); 25. 7. 1979 – 2 BvR 878/74, BVerfGE 52, 131 (165 f.) (Arzthaftung); 23. 4. 1986 – 2 BvR 487/80, BVerfGE 73, 261 (269) (Sozialplan); 24. 3. 1998 – 1 BvR 131/96, BVerfGE 97, 391 (401) (Missbrauchsvorwurf). 259 Vgl. etwa BVerfG 19. 10. 1993 – 1 BvR 567/89 u. a., BVerfGE 89, 214 (231 ff.) (Bürgschaft). 260 BVerfG 25. 2. 1975 – 1 BvF 1/74 u. a., BVerfGE 39, 1 (41 ff.) (Schwangerschaftsabbruch I); 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 (255) (Handelsvertreter); 28. 5. 1993 – 2 BvF 2/90 u. a., BVerfGE 88, 203 (254) (Schwangerschaftsabbruch II). Grundlegend zu den staatlichen Schutzpflichten Canaris, AcP 184 (1984), 201 ff. Siehe ferner Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Einl. GG Rn. 38 ff.; Giesen, Rechtsgestaltung, S. 242 ff.; Henssler in: Henssler / Wilemsen / Kalb, Arbeitsrecht, Einl. TVG Rn. 16. 258
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
beschnitten wird. Eines Rückgriffs auf bürgerlich-rechtliche Generalklauseln bedarf es nach diesem Ansatz nicht. 261 Die Schutzpflicht trifft dabei in erster Linie den Gesetzgeber, dem im Hinblick auf die Erfüllung derselben ein weiter Einschätzungsspielraum verbleibt. 262 Subsidiär ist aber auch der Richter von der Schutzpflichtenlehre angesprochen. 263 2. Entwicklung des Meinungsstands Es entsprach langer Zeit gängiger Rechtsprechung des BAG, dass die Tarifvertragsparteien, wenn sie Tarifverträge vereinbaren, ebenso wie der Gesetzgeber unmittelbar an die Grundrechte gebunden seien. Dies wurde damit begründet, dass Tarifverträge Gesetze im materiellen Sinn seien und die Gesetzgebung gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden sei. 264 Vor dem Hintergrund der Delegationstheorie wurde argumentiert, dass der Gesetzgeber seine Rechtsetzungsmacht nicht ohne die Bindungen weiterreichen könne, denen er selbst unterliege. Nemo plus iuris ad alium transferre potest, quam ipse habet. 265 Die Auffassung des BAG fand in der Literatur im Ergebnis weitgehend Zustimmung. 266 Allerdings variieren die Begründungsansätze. So ist der Argumentation des BAG entgegengehalten worden, dass Art. 1 Abs. 3 GG nur die staatliche Hoheitsgewalt an die Grundrechte binde, jedoch nicht die Tarifvertragsparteien, deren Vereinbarungen privatrechtlich zu qualifizieren seien. 267 Stattdessen wird zur Begründung der unmittelbaren Grundrechtsbindung von einigen Stimmen auf den Rechtsnormcharakter von Tarifbestimmungen hingewiesen. 268 Aus der Normenhierarchie ergebe sich, dass sich die tariflichen Rechtsnormen an höherrangigem Recht messen lassen müssten. Andere leiten das Erfordernis der 261
Isensee in: Isensee / Kirchhof, HStR V, § 111 Rn. 185; Schwarze, ZTR 1996, 1 (2); Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 187. 262 Burkiczak, RdA 2007, 17 (19). 263 BVerfG 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 (256) (Handelsvertreter). Singer, ZfA 1995, 611 (623); Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 187. 264 Grundlegend BAG 15. 1. 1955 – 1 AZR 305/54, BAGE 1, 258 (262 f.). Siehe auch BAG 23. 3. 1957 – 1 AZR 326/56, BAGE 4, 240 (250 f.); 23. 1. 1992 – 2 AZR 470/91, BAGE 69, 257 (263); offenlassend dann BAG 5. 10. 1999 – 4 AZR 668/98, BAGE 92, 303 (308). 265 Dig. 50,17,54 (Ulpian). 266 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 72 f.; Boemke, 50 Jahre BAG, S. 611 (629); Hölters, Harmonie, S. 113 f.; Mürau, Sonderleistungen, S. 70 ff.; Schwarze, ZTR 1996, 1 (7). 267 Dieterich, FS Schaub, S. 113 (129); Richardi, Kollektivgewalt, S. 347; Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 243; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 369; Waltermann, RdA 1990, 138 (141). 268 Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 242 f.; Schnorr, JR 1966, 327 (328); Söllner, NZA Sonderbeilage zu Heft 24/2000, 33 (40 f.).
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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unmittelbaren Grundrechtsbindung aus der faktischen sozialen Macht der Tarifvertragsparteien her. 269 In den letzten Jahren haben sich mehrere Senate des BAG von dieser Linie distanziert und anstelle der abwehrrechtlichen Dimension der Grundrechte auf die Schutzpflichtenlehre abgestellt. Dogmatisch liegt diesem Meinungsumschwung die Aufgabe der Delegationstheorie und die Hinwendung zur Theorie der mitgliedschaftlichen Legitimation der Tarifautonomie zugrunde. Ausgehend von dem Verständnis der Tarifautonomie als kollektiv ausgeübter Privatautonomie, nach dem sich die Wirkungsweise der Tarifnormen aus dem Verbandsbeitritt der Mitglieder herleiten soll, bejahte zuerst der Siebte Senat eine nur noch mittelbare Grundrechtsbindung. 270 Maßgeblichen Einfluss auf die Neuorientierung des Gerichts dürften dabei die Überlegungen von Dieterich gehabt haben. 271 Seiner Argumentation zufolge ist der Verbandsbeitritt als freiwillige Unterwerfung unter bestehendes und künftiges Tarifrecht aufzufassen. Darin liege eine Selbstbeschränkung der Grundrechtsträger, die zu einem weitergehenden Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien führe. 272 Der Vierte Senat hat sich im Anschluss daran in mehreren Entscheidungen ebenfalls für eine nur mittelbare Grundrechtsbindung ausgesprochen. 273 Weitere Senate sind gefolgt. 274 Mittlerweile kann man wohl von einer h. M. zur mittelbaren Grundrechtsbindung innerhalb des BAG sprechen. 275 Dieser Meinungsumschwung wurde im Schrifttum positiv aufgenommen. 276
269
Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 226 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 668 f.; Löwisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 155; Waltermann, RdA 1990, 138 (141). 270 BAG 25. 2. 1998 – 7 AZR 641/96, BAGE 88, 118 (123 f.); 11. 3. 1998 – 7 AZR 700/96, BAGE 88, 162 (168 ff.). 271 Dieterich, FS Schaub, S. 117 ff. 272 Dieterich, FS Schaub, S. 117 (121). 273 BAG 30. 8. 2000 – 4 AZR 563/99, BAGE 95, 277 (282 ff.); 29. 8. 2001 – 4 AZR 352/00, BAGE 99, 31 (36 f.); 7. 6. 2006 – 4 AZR 315/05, BAGE 118, 232 (240 f.). 274 Siehe BAG 12. 10. 2004 – 3 AZR 571/03, AP Nr. 2 zu § 3 g BAT; 27. 5. 2004 – 6 AZR 129/03, BAGE 111, 8 (13 ff.); 21. 4. 2005 – 6 AZR 440/04, juris; 7. 12. 2005 – 5 AZR 228/05, AP Nr. 34 zu § 1 TVG Tarifverträge: Lufthansa. 275 Eine Entscheidung des BVerfG zu dieser Frage steht indes noch aus. BVerfG 22. 2. 1994 – 1 BvL 21/85, BVerfGE 90, 46 (58), hat die Frage ausdrücklich offen gelassen. Siehe auch BVerfG 25. 11. 2004 – 1 BvR 2459/04, AP Nr. 25 zu § 620 BGB Altersgrenze. 276 Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 79 ff.; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 84 f.; Fastrich, FS Richardi, S. 127 (128); Schliemann, FS Hanau, S. 577 (587).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
3. Folgerungen für den Prüfungsmaßstab Eng mit der Frage nach der Art der Grundrechtsbindung verbunden und in ihren konreten Auswirkungen weit relevanter ist die Frage nach dem Maß der Grundrechtsbindung. Es ist immer noch weitgehend ungeklärt, inwiefern sich ein abweichender Prüfungsmaßstab für die Beurteilung von Tarifinhalten ergibt, sofern man die Tarifvertragsparteien nur mittelbar den Grundrechten unterwerfen will. Die Diskussion hat sich mittlerweile verstärkt auf diese Ebene verlagert. Die Vorstellung einer nur mittelbaren Drittwirkung impliziert eine gewisse Lockerung der Grundrechtsbindung. 277 Aus dieser ließen sich weitergehende Regelungsbefugnisse – und mit ihnen weitergehende Grundrechtseingriffe – der Tarifvertragsparteien ableiten als bei einer unmittelbaren Bindung an die Grundrechte. 278 Vor dem Hintergrund der Schutzpflichtenlehre wird dies besonders deutlich: Der Gesetzgeber ist berufen, nach Maßgabe des Untermaßverbots Regelungen zu erlassen, die es verhindern sollen, dass der Einzelne dem Tun eines Anderen gänzlich schutzlos gegenübersteht. Im Gegensatz zur abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte, die eine möglichst weitgehende Freiheitsausübung der Grundrechtsträger gewährleisten soll, geht es der schutzrechtlichen Perspektive nur um die Bereitstellung eines Mindestschutzes. Mit den Worten des BVerfG wird diese Mindestgewährleistung nur verletzt, „[. . .] wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder erheblich dahinter zurückbleiben.“ 279
Gewährleistet der Gesetzgeber keinen ausreichenden Mindestschutz, so ist der Richter im gegebenen Fall berufen, die staatliche Schutzpflicht zu erfüllen. 280 Dieser müsste dann eingreifen, wenn von der Grundrechtsposition des Betroffenen schlechterdings nichts mehr übrig bliebe. 281 Insbesondere soll eine 277 BAG 30. 8. 2000 – 4 AZR 563/99, BAGE 95, 277 (285); Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 81; Waltermann, RdA 1990, 138 (139); Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 197. 278 Canaris, AcP 184 (1984), 201 (245). 279 BVerfG 10. 1. 1995 – 1 BvF 1/90 u. a., BVerfGE 92, 26 (46) (Zweitregister). 280 BVerfG 26. 6. 1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (226 f.) (Aussperrung). Burkiczak, RdA 2007, 17 (19 f.), ist hingegen der Ansicht, dass der berufene Richter bei der Wahrnehmung seiner Schutzpflicht nicht vom Vorbehalt des Gesetzes freigestellt sei. Wenn der Richter zugunsten eines Grundrechts Partei ergreife, beschränke er zugleich das konkurrierende Grundrecht. Solange der Gesetzgeber keine Grundlage für den Eingriff in dieses konkurrierende Grundrecht – in unserem Fall die kollektive Koalitionsfreiheit in Form der tarifautonomen Regelsetzung – geschaffen habe, seien dem einfachen Richter die Hände gebunden. Dem kann zumindest für das primär durch Richterrecht geprägte kollektive Arbeitsrecht nicht zugestimmt werden.
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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Verhältnismäßigkeitsprüfung der einschlägigen Tarifregelungen nicht mehr in Betracht kommen, da dies zu einer unzulässigen Tarifzensur führen würde. 282 Zwingend ist dieser Schluss jedoch nicht. Vielfach wird angenommen, dass sich der Kontrollmaßstab nicht wesentlich ändere, wenn man anstatt der unmittelbaren Grundrechtsbindung auf eine an die Schutzpflichtenlehre anschließende mittelbare Grundrechtsbindung anknüpfe. 283 Dafür wird angeführt, dass die Verbandsmitglieder nur geringe Einflussmöglichkeiten auf die tariflichen Regelungen hätten und den Rechtsnormen des Tarifvertrags in ähnlicher Weise unterworfen seien, wie der Wähler dem Gesetz. 284 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz biete auch insofern den richtigen Maßstab zu Beurteilung der Grundrechtmäßigkeit. 285 Zumindest im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz ändert sich nach h. M. im Ergebnis nichts; bei der Prüfung von Gleichheitsverstößen gehen auch die Vertreter der (nur) mittelbaren Grundrechtsbindung von einem einheitlichen Prüfungsmaßstab für tarifliche und staatliche Regelungen aus. 286 Der Vierte Senat hatte sich zwar im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG für einen bis zur Grenze der Willkür reduzierten Kontrollmaßstab ausgesprochen; 287 die übrigen Senate sind dem nicht gefolgt. Die strenge Bindung an den Gleichheitsgrundsatz wird damit begründet, dass dieser Ausdruck des Gerechtigkeitsgedankens im GG und fundamentales Rechtsprinzip sei. Es müsse sichergestellt werden, dass vergleichbare Sachverhalte auch gleich behandelt würden; die Gleichbehandlungspflicht sei jeder Normsetzung immanent. 288 281 Auch in diesem Zusammenhang wird auf den Begriff des „Kernbereichs“ abgestellt, siehe Dieterich, FS Schaub, S. 117 (128); Schliemann, FS Hanau, S. 577 (587). 282 Dieterich, FS Schaub, S. 117 (124 f.); Rieble, Arbeitsmarkt, Rn. 1276; Schliemann, FS Hanau, S. 577 (587). 283 Vgl. Giesen, Rechtsgestaltung, S. 250 ff.; Schwarze, ZTR 1996, 1 (7); Söllner, NZA 1996, 897 (901 ff.); Waltermann, 50 Jahre BAG, S. 913 (924 ff.); Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 197 ff. Laut Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 667, soll der Unterschied „mehr im Auslegungsklima liegen“. Siehe auch Boemke, 50 Jahre BAG, S. 613 (626), nach dem der Streit im Ergebnis lediglich akademischer Natur sei. Im Hinblick auf den Individualarbeitsvertrag auch Singer, ZfA 1995, 611 (625 f.). 284 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 251. 285 Waltermann, 50 Jahre BAG, S. 913 (925). 286 Siehe BAG 12. 10. 2004 – 3 AZR 571/03, AP Nr. 2 zu § 3 g BAT; 27. 5. 2004 – 6 AZR 129/03, BAGE 111, 8 (16); 21. 4. 2005 – 6 AZR 440/04, juris Rn. 20. Dieterich, RdA 2005, 177 (179); Löwisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 221; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 182. A. A. aber Burkiczak, RdA 2007, 17 (20 ff.). 287 BAG 30. 8. 2000 – 4 AZR 563/99, BAGE 95, 277 ff. Anzumerken ist freilich, dass gemäß der sog. neuen Formel des BVerfG eine reine Willkürkontrolle auch bei staatlichen Gesetzen in Betracht kommt, vgl. dazu Teil 2 D. V. 2. 288 Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 88, m. w. Nachw. Kritisch zur Differenzierung hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs bei Freiheitsrechten einerseits und dem
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
4. Stellungnahme a) Keine unmittelbare Grundrechtsbindung aufgrund Art. 1 Abs. 3 GG Die ursprüngliche Argumentation des BAG, die Tarifvertragsparteien seien gemäß Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebunden, hat sich zu Recht nicht langfristig durchsetzen können. Art. 1 Abs. 3 GG meint mit „Gesetzgebung“ nur die parlamentarische Gesetzgebung (im formellen Sinn), ebenso wie mit „vollziehender Gewalt“ und „Rechtsprechung“ Teile der staatlichen Gewalt angesprochen sind. Ferner geht gemäß Art. 20 Abs. 2 GG alle Staatsgewalt vom Volk aus und gliedert sich in die Teilbereiche Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung auf. Ebendiese Aufgliederung staatlicher Macht ist in Art. 1 Abs. 3 GG angesprochen. Eine unmittelbare Grundrechtsbindung für Tarifverträge kann daher aus dieser Norm nicht hergeleitet werden. 289 b) Keine mittelbare Einwirkung der Grundrechte durch zivilrechtliche Generalklauseln Es ist ferner folgerichtig, wenn die Grundrechtsbindung bei Tarifverträgen nicht mit Hilfe der zivilrechtlichen Generalklauseln (§§ 138, 242 BGB) als Einbruchstellen hergeleitet wird: Die Generalklauseln sind auf Vertragsverhältnisse ausgerichtet und sollen als ultima ratio Verhandlungsungleichgewichte zwischen den Vertragsparteien ausgleichen helfen. Überträgt man dies auf die hier betrachtete Konstellation, wären damit die Koalitionen selbst angesprochen, da sie diejenigen sind, die den Tarifvertrag aushandeln und abschließen. Nicht gemeint ist jedoch das Verhältnis der Koalitionen zu ihren Mitgliedern oder zu Außenseitern. Die Zuerkennung der Tariffähigkeit beruht auf dem Gedanken, dass die Koalitionen gerade das Verhandlungsungleichgewicht ausgleichen sollen, welches im Verhältnis von Arbeitgeber und (Einzel-) Arbeitnehmer besteht. Insofern ist die Heranziehung der zivilrechtlichen Generalklauseln bei der Betrachtung des Verhältnisses der Koalitionen zu ihren Mitgliedern oder zu Außenseitern nicht zielführend. 290 Gleichheitssatz andererseits Fastrich, FS Richardi, S. 127 (132 ff.); Höfling in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 95; Waltermann, 50 Jahre BAG, S. 913 (927). 289 So die mittlerweile ganz h. M., vgl. etwa Dieterich, FS Schaub, S. 117 (120); Richardi, Kollektivgewalt, S. 347; Schwarze, ZTR 1996, 1; Singer, ZfA 1995, 611 (616); Waltermann, FS Söllner, S. 1251 (1274); A. Wiedemann, Die Bindung der Tarifnormen an die Grundrechte, S. 29 ff. A. A. Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 121. 290 Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 85 f.; Kühnast, Die Grenzen zwischen tariflicher und privatautonomer Regelungsbefugnis, S. 99. Im Ergebnis auch Söllner, NZA 1996, 897 (901 f.).
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c) Keine nur mittelbare Grundrechtsbindung aufgrund der Schutzpflichtenlehre Ähnliche Vorbehalte können auch der Anwendung der Schutzpflichtenlehre auf die Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien entgegengebracht werden. Die Argumentation des BVerfG in seinen Entscheidungen zur Schutzpflicht des Staates im Vertragsrecht kann auf die vorliegende Situation nicht übertragen werden. 291 Sowohl die Bürgschafts-Entscheidung als auch die HandelsregisterEntscheidung befassen sich mit der Verhandlungsimparität der beteiligten Vertragspartner. 292 Zwischen den Tarifvertragsparteien besteht jedoch keine strukturelle Ungleichheit. Arbeitgeberseite und Gewerkschaften verhandeln „auf gleicher Augenhöhe“. d) Keine gelockerte Grundrechtsbindung aufgrund „kollektiv ausgeübter Privatautonomie“ Nicht überzeugen kann ferner die Ansicht, eine gelockerte Grundrechtsbindung ergebe sich aus der Natur der Tarifautonomie als „kollektiv ausgeübter Privatautonomie“. Die Vorstellung von „kollektiv ausgeübter Privatautonomie“ suggeriert ein Handeln, welches vom gleichgerichteten Willen aller Verbandsmitglieder getragen wird; das individuell einheitlich Gewollte wird zum Zwecke seiner Durchsetzbarkeit von den Einzelnen abstrahiert und auf eine höhere Ebene verlagert. Damit wird eine Einheitlichkeit behauptet, die so nicht gegeben ist. In Wirklichkeit findet sich eine beachtliche Anzahl von unterschiedlichen und teilweise auch gegensätzlichen Interessen bereits innerhalb der Verbände. 293 Die Einflussmöglichkeiten des Einzelnen auf den Tarifinhalt selbst sind denkbar gering; der Einzelne kann über das „Ob“ des Beitritts zum Verband entscheiden und im Rahmen der Verbandsorganisation versuchen, auf ein auch für ihn günstiges Tarifergebnis hinzuwirken. Es besteht dabei immer die Gefahr, dass die Interessen von Minderheiten im Verband hinter den Interessen der Mehrheit zurück bleiben. 294 Verbandswille und Mitgliedswille sind schon deshalb nicht deckungsgleich. Die tarifvertragliche Vereinbarung dürfte regelmäßig sogar noch weiter vom individuell Gewollten entfernt liegen, wenn man berücksichtigt, dass jene erst durch einen Kompromiss mit der Gegenseite, oft nach zähen Verhandlungen oder gar einem Arbeitskampf, zustande kommt. 295 Tarifnormen gelten 291
So auch Dieterich, FS Schaub, S. 117 (125). Vgl. BVerfG 19. 10. 1993 – 1 BvR 567/89 u. a., BVerfGE 89, 214 (Bürgschaft); 10. 1. 1995 – 1 BvF 1/90 u. a., BVerfGE 92, 26 (Zweitregister). 293 Vgl. Singer, ZfA 1995, 611 (627). Kritisch zum Begriff der „kollektiven Privatautonomie“ auch Fastrich, FS Richardi, S. 127 (230): „völlige Verklärung der Realität des Tarifgeschehens“. 294 Plastisch wird dieses Problem etwa in der zunehmenden Separierung von Funktionseliten, die sich durch die großen Verbände nicht mehr hinreichend vertreten fühlen und sich vermehrt in Spartengewerkschaften organisieren. Siehe dazu Teil 2 D. III. 1. b). 292
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
zwingend für die Tarifgebundenen, ohne dass es auf ihren Willen im konkreten Fall ankommt. 296 Der gemeinsame Wille der Tarifvertragsparteien wird den Tarifgebundenen auferlegt. 297 Die Arbeitsbedingungen der Tarifgebundenen werden daher in erheblichem Maß fremdbestimmt. Den Minderheiten kann der Grundrechtsschutz nicht mit der Begründung beschnitten werden, die Koalition verwirkliche den Willen aller Organisierten in gebündelter Form und die einzelnen Mitglieder hätten sich diesem Regelungsregime für Gegenwart und Zukunft unterworfen bzw. auf grundrechtliche Positionen verzichtet. Ein derart weitreichender Inhalt kommt dem bloßen Akt des Beitritts nicht zu; ihn anzunehmen ist nicht mehr als eine Unterstellung. Die Annahme, Tarifautonomie sei „kollektiv ausgeübte Privatautonomie“, krankt aber noch an einer anderen Stelle: Sie erklärt die Normwirkung des Tarifvertrags aus dem Verbandsbeitritt der Mitglieder. Vor diesem Hintergrund kann die gesetzliche Anordnung des § 4 Abs. 1 TVG, demgemäß die Rechtsnormen des Tarifvertrags unmittelbar und zwingend – also: wie Gesetze – zwischen den Tarifgebundenen gelten, nicht mehr als eine bloß klarstellende Funktion haben. 298 Dies ist nicht richtig. Es ist nicht ersichtlich, wie allein der Akt des Verbandsbeitritts privatrechtlichen Absprachen gesetzesgleiche Wirkung verleihen könnte. Der Verbandsbeitritt ist Voraussetzung der Normwirkung des Tarifvertrags für das Einzelarbeitsverhältnis, nicht jedoch ihr Geltungsgrund. 299 Erst § 4 Abs. 1 TVG verleiht dem Tarifvertrag die dem Privatrecht ansonsten unbekannte zwingende Wirkung. Die Möglichkeiten der Tarifunterworfenen, sich dieser Bindung zu entziehen, sind wegen § 3 Abs. 3 TVG begrenzt. Auch ein Verzicht auf die tariflichen Arbeitsbedingungen ist gemäß § 4 Abs. 4 S. 1 TVG nur mit Billigung der Tarifvertragsparteien möglich. Ein derart entstandenes zwingendes Regelwerk kann mit den Grundsätzen der Privatautonomie nicht mehr plausibel erklärt werden. Die Rechtsnormqualität beruht damit auf einem staatlichen Geltungsbefehl. 300 Diesen Geltungsbefehl darf der Staat nicht erteilen, wenn er dabei nicht auch zugleich die Grundrechte der Normadressaten berücksichtigt. 301 Da der staatliche Rechtsgeltungsbefehl in die Freiheitssphäre der Tarifunterworfenen eingreift, müssen sich diese auf ihre Grundrechte als Abwehrrechte berufen können. 302 295
Vgl. Waltermann, 50 Jahre BAG, S. 913 (918); Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 199. 296 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 184 f. 297 Belling, ZfA 1999, 547 (581). 298 So Picker, ZfA 1998, 573 (679). 299 Belling, ZfA 1999, 547 (593). 300 Vgl. Belling, ZfA 1999, 547 (599); Kemper, Die Bestimmung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit, S. 72 f.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 181 ff.; Schlachter, FS Schaub, S. 651 (654 f.); Waltermann, FS Söllner, S. 1251 (1265 f.). 301 Vgl. F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 522; Schlachter, FS Schaub, S. 651 (656).
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e) Keine unzulässige Tarifzensur Dies führt nicht zu einer unzulässigen Tarifzensur, wie es von manchen befürchtet wird. 303 Die richterliche Kontrolle des Tarifvertrags ist eine Rechtskontrolle. Sie ist keine Billigkeitskontrolle, bei der der Richter den Tarifvertragsparteien seine Vorstellungen gerechter Arbeitsbedingungen oktroyieren kann. Der Richter muss insofern berücksichtigen, dass die Tarifvertragsparteien – analog zum Gesetzgeber – über einen weiten Einschätzungsspielraum verfügen, innerhalb dessen sie ihrer von der Verfassung zugeschriebenen Aufgabe, der Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, nachgehen können. 304 Außerdem muss bei der gerichtlichen Kontrolle bedacht werden, dass der Abschluss von Tarifverträgen selbst Grundrechtsausübung ist. 305 Der Richter muss bei der Grundrechtskontrolle von Tarifverträgen die Tarifautonomie selbst respektieren. 306 Der Tarifvertrag ist insofern Freiheitsbeschränkung und Freiheitsausübung zugleich. Dies muss bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung des jeweils betroffenen Grundrechts Beachtung finden und den Tarifvertragsparteien einen gegenüber dem Gesetzgeber weitergehenden Spielraum hinsichtlich ihrer Regelungsmöglichkeiten geben. f) Insbesondere: Grundrechtsbindung bei der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln Wendet man sich nun der Frage zu, welche Auswirkungen die Problematik der Grundrechtsbindung auf die Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit hat, nimmt die Komplexität der zu klärenden Frage noch zu. Folgendes ist zu bedenken: Die Frage der Grundrechtsbindung knüpft im Wesentlichen an das Phänomen der Normsetzung an, welches dazu führt, dass die Tarifvertragsparteien den Tarifgebundenen gegenüber „staatsähnlich“ agieren können. Auf Differenzierungsklauseln trifft dies in zweierlei Hinsicht nicht zu: Zum einen sind die Außenseiter auch bei normativ wirkenden Differenzierungsklauseln (namentlich bei einfachen Differenzierungsklauseln und bei Spannenklauseln) nicht tarifgebunden. Sie sind nicht Normadressaten; die Differenzierungsklauseln beeinflussen die Arbeitsverhältnisse der Außenseiter nur mittelbar. 307 302
Belling, ZfA 1999, 547 (599); Schwarze, ZTR 1996, 1 (7). So etwa Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 76 ff.; Dieterich, FS Schaub, S. 117 (122 ff.). 304 Vgl. Fastrich, FS Richardi, S. 127 (132); Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 33; Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 284, m. w. Nachw. 305 Belling, ZfA 1999, 547 (602); Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 254; Schiek in: Däubler, TVG, Einleitung Rn. 13; Söllner, NZA 1996, 897 (902). 306 Söllner, NZA 1996, 897 (902). 303
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Zum anderen ist auch eine schuldrechtliche Vereinbarung von Differenzierungsklauseln möglich, wie es insbesondere bei Tarifausschlussklauseln der Fall ist. Im Gegensatz zur schon nur mittelbaren Betroffenheit der Außenseiter durch normative Differenzierungsklauseln scheinen lediglich obligatorische Regelungen aufgrund ihrer nur relativen Wirkung zwischen den Tarifvertragsparteien auf den ersten Blick weniger einschneidend. Dies könnte zumindest für Tarifausschlussklauseln, die nach richtiger Ansicht nur schuldrechtlich vereinbart werden können, 308 eine nur begrenzte grundrechtliche Überprüfung gemäß der Schutzpflichtenlehre rechtfertigen. Insoweit ist klärungsbedürftig, welcher Art der Grundrechtsbindung die Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln im schuldrechtlichen Teil unterliegen. 309 Alle Differenzierungsklauseln haben nur mittelbare Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis der Außenseiter. Aber: Führen diese nur mittelbaren Auswirkungen auch zu einer nur mittelbaren Grundrechtsbindung? Es kann jedenfalls nicht angenommen werden, dass tarifvertragliche Differenzierungsklauseln deshalb einer nur begrenzten Grundrechtskontrolle zu unterziehen wären, weil dem Tarifvertrag eine „Richtigkeitsgewähr“ zukomme. Will man aus dem schillernden und uneinheitlich verwendeten Begriff der „Richtigkeitsgewähr“ überhaupt Rechtsfolgen für den Kontrollmaßstab des Tarifvertrags ableiten, so können diese Rechtsfolgen nicht für Differenzierungsklauseln fruchtbar gemacht werden. Die „Richtigkeitsgewähr“ beschreibt zunächst zutreffend, dass im Normalfall eine interessengerechte und damit vermutlich „richtige“ Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse der von den Koalitionen Vertretenen erreicht wird, da die Koalitionen als gleichstarke Verhandlungspartner auftreten. Freilich kann man bereits hier Zweifel anmelden, soweit es um die interessengerechte Ausgestaltung mit Bezug auf Minderheitengruppen innerhalb der Verbände geht. 310 Dafür, dass sie ihre Beziehungen im Verhältnis zu Außenseitern angemessen bzw. „richtig“ ausgestalten, liefert die „Richtigkeitsgewähr“ jedenfalls keine Anhaltspunkte, da die Außenseiter naturgemäß keinen Einfluss auf die Tarifverhandlungen nehmen können. 311 Die „Richtigkeitsgewähr“ kann – wenn überhaupt – nur gegenüber den Tarifgebundenen gemäß § 3 Abs. 1 TVG und den Verbänden selbst zur Maßstabsetzung herangezogen werden.
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Siehe sogleich unter Teil 2 D. I. 4. f) aa). Siehe dazu Teil 2 C. II. 2. 309 Siehe dazu Teil 2 D. I. 4. f) bb). 310 Schüren, RdA 1988, 138 (148 f.). 311 Vgl. Giesen, ZfA 2010, 657 (676); Klebeck, SAE 2007, 271 (275); Sachs, Anm. zu BAG 29. 8. 2001 – 4 AZR 352/00, RdA 2002, 306 (310); Schüren, RdA 1988, 138 (146 ff.). Zur ähnlich gelagerten Konstellation bei der Leiharbeit Waltermann, Gutachten, S. B 60 ff. 308
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aa) Grundrechtsbindung bei nur mittelbarer Betroffenheit der Außenseiter Außenseiter, sind im Hinblick auf normativ vereinbarte Differenzierungsklauseln nicht tarifgebunden. Insoweit versagt die Normsetzungsbefugnis der Koalitionen. Anders als bei § 3 Abs. 2 oder § 5 TVG 312 sind die Außenseiter nicht Adressaten der Regelung, sondern nur mittelbar von dieser betroffen. Tarifgebunden sind allein die Koalitionsmitglieder (sowie beim Firmentarifvertrag der einzelne Arbeitgeber), deren Vertragsbeziehungen durch die Differenzierungsklauseln entsprechend geregelt werden. Zieht man allein den Aspekt der Normunterworfenheit heran, wird man eine unmittelbare Grundrechtsbindung verneinen müssen. Auch ließe sich argumentieren, dass die faktische Tarifwirkung lediglich eine Auswirkung privatrechtlichen Handelns in Form des Tarifabschlusses auf andere Private, die Außenseiter, sei, und somit nur eine eingeschränkte Bindung an die Grundrechte der Außenseiter gegeben sei. Der Tarifvertrag statuiert jedoch, wie festgestellt, eine Fremdbestimmungsanordnung. Das gilt nicht nur für die tarifgebundenen Mitglieder der Koalitionen, sondern auch für die Außenseiter. Unabhängig vom Mitgliedsstatus ist der jeweils einschlägige Tarifvertrag maßgeblich für die Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse verantwortlich, die seinem räumlichen und fachlichen Geltungsbereich unterfallen. Meist wird der Außenseiter kein Interesse an der Nichtanwendung des Tarifvertrags haben; der Tarifvertrag verspricht regelmäßig angemessene Arbeitsbedingungen. Der Außenseiter erspart sich außerdem durch die Bezugnahme eine häufig wenig aussichtsreich erscheinende Verhandlung über die Arbeitsbedingungen, bei der er dem Verhandlungsübergewicht des Arbeitgebers gegenübersteht. Der Außenseiter hat aber häufig auch keine Möglichkeit, sich dem fremden Tarifwerk zu entziehen, welches der Arbeitgeber einheitlich auf alle Arbeitsverhältnisse angewendet wissen will und wozu er möglicherweise aufgrund einer Außenseiterklausel tarifvertraglich verpflichtet ist. 313 Dem Außenseiter können 312
In diesen Fällen soll es – weitgehend unstreitig – bei einer unmittelbaren Grundrechtsbindung bleiben, weil hier die Außenseiterbindung allein auf staatlicher Anordnung beruhe; eine mitgliedschaftliche Begründung der Normwirkung, die von der h. M. zur Erklärung der nur mittelbaren Grundrechtsbindung angeführt wird, kann hier nicht durchgreifen. Vgl. Dieterich, FS Schaub, S. 117 (132 f.); Giesen, Rechtsgestaltung, S. 256 ff.; Schiek in: Däubler, TVG, Einleitung Rn. 235. Ebenso für § 5 TVG siehe BVerfG 15. 7. 1980 – 1 BvR 24/74 u. a., BVerfGE 55, 7 (21) (Allgemeinverbindlicherklärung II). 313 Bemerkenswerterweise werden derartige Vereinbarungen durchweg für zulässig gehalten. Der Außenseiter werde durch eine Außenseiterklausel nicht diskriminiert, er könne noch weitergehende Vergünstigungen aushandeln und die tariflichen Arbeitsbedingungen, sollten sie ihm nicht genehm sein, gemäß § 333 BGB zurückweisen, vgl. BAG 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, NZA 2011, 920 (924); Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 264; Löwisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 234; Wiedemann, RdA 1969, 321 (334).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
so Regelungen aufgezwungen werden, die er gar nicht will. 314 Für die Außenseiter wirkt die Fremdbestimmung in gewisser Hinsicht noch stärker als für die Verbandsangehörigen, da für jene keinerlei Möglichkeit besteht, auf den Tarifinhalt Einfluss zu nehmen. Damit entfällt zugleich ein tragendes Argument für eine abgeschwächte Grundrechtsbindung: Die Einschränkung des Grundrechtsschutzes für Verbandsmitglieder wird ja gerade auch darauf zurückgeführt, dass diese sich der Tarifordnung freiwillig für Gegenwart und Zukunft unterworfen haben. Somit unterfallen normative Differenzierungsklauseln einer strengen Grundrechtsbindung. 315 bb) Grundrechtsbindung im schuldrechtlichen Teil Inwiefern die Grundrechtsbindung auch für den schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags relevant ist, wurde bisher wenig erörtert. Einige Stimmen plädieren für eine Grundrechtsbindung auch im schuldrechtlichen Teil, soweit dieser nicht nur ausschließlich das Verhalten der Tarifvertragsparteien zueinander, sondern auch Verpflichtungen eines Verbands im Hinblick auf dessen Verhalten gegenüber seinen Mitgliedern regelt. 316 Damit ist aber wiederum nur der Grundrechtsschutz der Verbandsmitglieder, und nicht der Schutz der Außenseiter angesprochen. Das Argument der Rechtsnormwirkung kann bei Differenzierungsklauseln im schuldrechtlichen Teil naturgemäß nicht mehr fruchtbar gemacht werden, um eine strenge Grundrechtsbindung zu begründen. 317 Auf den ersten Blick erscheint So einfach ist es indes nicht, wenn es sich bei der tariflichen Absprache um eine Verpflichtung der Arbeitgeberseite handelt, die Außenseiter-Arbeitsverhältnisse mittels Bezugnahmeklausel den Arbeitsverhältnissen der Organisierten anzugleichen, vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 328, 1655; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 14; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 54; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 33. Die Gewerkschaften versuchen, durch solche Klauseln eine „Schmutzkonkurrenz“ von Außenseitern, die ihre Arbeitsleistung zu untertariflichen Bedingungen anbieten können, gerade zu verhindern. Das ist bei einer Zurückweisungsmöglichkeit der Außenseiter aber offenkundig nicht mehr möglich, so dass eine derartige Auslegung dem Parteiwillen widerspricht. Eine Zurückweisung gemäß § 333 BGB durch den Außenseiter kommt dann nicht mehr in Betracht, will sich der Arbeitgeber nicht (beim Firmentarifvertrag) vertragsbrüchig verhalten oder (beim Verbandstarifvertrag) der Einwirkung seines Verbands auf Angleichung ausgesetzt sehen. 314 Vgl. Giesen, Rechtsgestaltung, S. 261. Kritisch auch Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 101. Mit der negativen Koalitionsfreiheit ist dies nur dann in Einklang zu bringen, wenn man den Schutz vor fremden Tarifbestimmungen von vornherein aus dem Schutzbereich herausnimmt oder eine großzügige Abwägung mit der kollektiven Koalitionsfreiheit der Organisierten vornimmt. Zur negativen Koalitionsfreiheit siehe Teil 2 D. II. 315 Ebenso Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 90; Giesen, Rechtsgestaltung, S. 267. 316 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 74; Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 235.
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es vielmehr folgerichtig, die Grundrechte der Außenseiter nur im Rahmen der Schutzpflichtenlehre anzuerkennen, ebenso wie es bei sonstigen schuldrechtlichen Vereinbarungen auch der Fall wäre. Aber auch in Bezug auf die schuldrechtlich vereinbarte Differenzierungsklausel gilt, dass es durch sie zu einer faktisch unentrinnbaren Fremdbestimmung der Außenseiter kommt. Die nur relative Wirkung zwischen den Tarifvertragsparteien führt nicht zu einer Abmilderung der Einwirkung auf den Außenseiter, da davon auszugehen ist, dass sich der Arbeitgeber einer schuldrechtlichen Differenzierungsklausel ebenso verpflichtet fühlen dürfte wie einer normativen Differenzierungsklausel. cc) Kongruenz von Schutzbereichsbestimmung und Kontrollmöglichkeit Ein weiterer Aspekt spricht für eine über dem bloßen Schutzgebot liegenden Prüfungsmaßstab, und zwar der der Gesamtrepräsentationsfunktion. Oben wurde erläutert, dass den Gewerkschaften eine Gesamtrepräsentationsfunktion für die gesamte Arbeitnehmerschaft ihres räumlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereichs zukommt. 318 Die Gesamtrepräsentationsfunktion gestattet es den Verbänden, sich auch mit den Außenseitern zu beschäftigen, soweit sie dabei nicht völlig losgelöst von den Mitgliedsinteressen agieren. Es ist also von einer eher weiten Schutzbereichsbestimmung des Art. 9 Abs. 3 GG im Hinblick auf das tarifvertraglich Regelbare auszugehen. Dass es dabei zu Überwirkungen auf die Außenseiter-Arbeitsverhältnisse kommt, ist der Sache immanent. Gestattet man nun auf der einen Seite diese Überwirkungen auf Außenseiter, so ist es auf der anderen Seite nur folgerichtig, den Betroffenen eine wirkungsvolle Kontrollmöglichkeit an die Hand zu geben. 319 Diese Kontrolle darf den Außenseitern dabei nicht weniger Schutz gewähren, als sie den Organisierten gewährt. dd) Zwischenergebnis Im Hinblick auf die spezialgelagerte Konstellation der Grundrechtsbindung bei der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln verschärft sich das Bedürfnis nach einer über einen bloßen Mindestschutz hinausgehenden Grundrechtsprü317
So auch Mürau, Sonderleistungen, S. 89. Siehe Teil 2 B. III. 319 Dieser Gedanke klingt nunmehr auch in den Ausführungen des BAG (18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 [1037]) an, wenn es darauf hinweist, dass die Tarifvertragsparteien „vom Ansatz einer umfassenden Regelungsaufgabe aus“ die Pflicht hätten, bei differenzierenden Regelungen konkurrierende Rechte mit zu berücksichtigen; Freiheitsrechte von Arbeitgebern und Außenseitern müssten Teil eines Abwägungsprozesses sein. 318
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
fung nach Maßgabe der Schutzpflichtenlehre noch. Sowohl was die normativen als auch was die schuldrechtlichen Differenzierungsklauseln angeht, hat man es mit einer unausweichlichen Fremdbestimmung der Außenseiter zu tun. Dies spricht für eine eher strenge Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln. Ob man diese nun als unmittelbare Grundrechtsbindung oder als nur mittelbare, gleichwohl aber strenge Grundrechtsbindung bezeichnet, ist für das Ergebnis nicht von entscheidender Bedeutung. 5. Ergebnis Die besseren Argumente sprechen – sowohl für die Frage der Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien im Allgemeinen als auch für die Frage im Hinblick auf tarifvertragliche Differenzierungsklauseln im Besonderen – für eine strenge Grundrechtsbindung. Die Grundrechte kommen in beiden Fällen in ihrer Funktion als Abwehrrechte zum Tragen. Insbesondere ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Auch bei Annahme einer unmittelbaren Grundrechtsbindung darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass der Abschluss von Tarifverträgen selbst Grundrechtsausübung ist. Der Tarifvertrag ist Freiheitsbeschränkung und Freiheitsausübung zugleich. Diesem Aspekt muss Rechnung getragen werden, unabhängig davon, ob die Tarifvertragsparteien nun unmittelbar oder nur mittelbar an die Grundrechte gebunden sind. Bei dieser Betrachtungsweise liegt die Bindung an die Grundrechte zwischen dem schutzpflichtlichen Mindeststandard und dem strengen abwehrrechtlichen Maßstab für staatliche Eingriffe. In der Tendenz strebt sie jedoch „nach oben“, in Richtung einer strengen Grundrechtsprüfung. 320
II. Die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter Der verfassungsrechtliche Haupteinwand gegen die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln beruht auf der Annahme, dass derartige Klauseln gegen die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten verstoßen. Unter negativer Koalitionsfreiheit wird allgemein das Recht verstanden, aus einer Koalition auszutreten oder ihr von vornherein fernzubleiben. 321 Es handelt sich also in erster Hinsicht um ein Fernbleiberecht. Dass es ein derartiges Recht gibt, wird nicht 320
Im Ergebnis auch Fastrich, FS Richardi, S. 127 (132). BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (367 ff.) (Mitbestimmungsurteil); BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175; Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG, Rn. 32; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 65; Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 133; Löwisch / Rieble, TVG, Grundl. Rn. 16. 321
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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bestritten. Teilweise wird allerdings vertreten, dass das Fernbleiberecht nicht grundgesetzlich geschützt sei. So geht Kempen 322 davon aus, dass der Schutz des einzelnen vor der Koalition in der Verfassung nicht verankert sei, also auch kein subsidiäres Eingreifen von Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht kommt. Schutz gewährten nach dieser Auffassung nur einfachgesetzliche Regelungen des Zivilund Strafrechts. Ähnlich argumentiert auch Schuhmann, nach der Art. 2 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf allgemeine Gesetzlichkeit darstellt und keine allgemeine Handlungsfreiheit gewährleisten soll. 323 Das BVerfG ist richtigerweise seit langem der Auffassung, dass Art. 2 Abs. 1 GG als „Auffangtatbestand“ die Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne gewährleistet. 324 Demnach unterfällt jedes menschliche Tun grundsätzlich verfassungsrechtlicher Gewährleistung – auch das Fernbleiben von bzw. der Austritt aus einer Koalition. Darüber hinaus soll die negative Koalitionsfreiheit nach teilweise vertretener Meinung auch das Recht umfassen, nicht von Tarifnormen betroffen zu werden, die ein Verband aufgestellt hat, dem der Betroffene nicht angehört. 325 Dafür findet sich neuerdings der Begriff der negativen Tarifvertragsfreiheit. 326 Streit besteht hinsichtlich der Frage, ob die negative Koalitionsfreiheit als Spiegelbild bzw. Kehrseite der positiven Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet wird, oder ob sie an anderer Stelle – namentlich in Art. 2 Abs. 1 GG oder in Art. 9 Abs. 1 GG – zu verorten ist. Der Streit um die dogmatische Einordnung der negativen Koalitionsfreiheit in das GG hat sich vor allem und zuerst am Problem der Differenzierungsklauseln entzündet. Das BAG musste die Frage erstmalig in seiner Entscheidung vom 29. 11. 1967 beantworten. 327
322 Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 166, in Anlehnung an Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 82. 323 Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 223 ff. Siehe auch Berghäuser, Koalitionsfreiheit, S. 193, der in der Annahme eines verfassungsrechtlichen Schutzes einen „Rückfall in Sachen Koalitionsfreiheit auf den Stand vor 1918“ sieht. 324 Siehe grundlegend dazu BVerfG 16. 1. 1957 – 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32 (Elfes), und im Folgenden 23. 5. 1980 – 2 BvR 854/79, BVerfGE 54, 143 (Taubenfütterung); 14. 1. 1987 – 1 BvR 1052/79, BVerfGE 74, 129 (Unterstützungskasse); 6. 6. 1989 – 1 Bv 921/85, BVerfGE 80, 137 (Reiten im Walde). 325 So etwa Hanau, FS Scholz, S. 1035 (1045); Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 413; Schüren, RdA 1988, 138 (139). 326 Siehe Hanau, NJW 2002, 1240 (1242); dens., FS Scholz, S. 1035; Höfling / Rixen, RdA 2007, 360 (362); Preis / Ulber, NJW 2007, 465 (466). 327 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (213 ff.). In einer früheren Entscheidung, in der sich das BAG das erste Mal mit den materiellen Voraussetzungen der Mitgliederwerbung im Betrieb auseinandersetzt, lässt es die Frage ausdrücklich offen, ob die negative Koalitionsfreiheit „unmittelbar durch Art. 9 Abs. 3 GG oder aber, und dann in abgeschwächterer Weise, durch Art. 2 Abs. 2 [sic] GG gewährleistet“ ist, siehe BAG 14. 2. 1967 – 1 AZR 533/65, AP Nr. 10 zu Art. 9 GG, Bl. 5.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
1. Dogmatische Einordnung a) Meinungsstand aa) Schutz der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG Gestützt auf eine bemerkenswert ausführliche Begründung und im Einklang mit der seinerzeit herrschenden Literaturmeinung 328 kam der Große Senat zu dem Schluss, dass die negative Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG zu verorten sei. Das BVerfG schloss sich dieser Auffassung in seinem Mitbestimmungsurteil an. 329 Sie ist mittlerweile gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung 330 und herrschende Literaturansicht 331. Für die Verortung der negativen Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG werden im Differenzierungsklausel-Beschluss vor allem die folgenden Gesichtspunkte angeführt: Der Koalitionsbegriff des Art. 9 Abs. 3 GG umfasse zum einen nur freiwillige Zusammenschlüsse, was eine ebenfalls aus Art. 9 Abs. 3 GG herzuleitende negative Seite der Koalitionsfreiheit voraussetze. Ohne das Recht des Einzelnen, unter mehreren bestehenden Koalitionen zu wählen und einer davon beizutreten, wieder auszutreten, in eine andere Koalition überzutreten, eine neue Koalition zu gründen oder in anderen Koalitionen zu verbleiben, könne nicht mehr von 328 Vgl. die Nachw. bei Biedenkopf, JZ 1961, 346; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 30; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 155 Fn. 6. 329 BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (367 ff.). Sofern das BVerfG in früheren Entscheidungen die negative Koalitionsfreiheit erwähnte, konnte es die Frage offenlassen, vgl. BVerfG 20. 7. 1971 – 1 BvR 13/69, BVerfGE 31, 297 (302); 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 (352) (Allgemeinverbindlicherklärung I). 330 Siehe zuletzt BVerfG 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, BVerfGE 116, 202; BAG 12. 12. 2007 – 4 AZR 996/06, AP Nr. 39 zu § 1 TVG. 331 H. Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 81; Bauer / Arnold, NZA 2005, 1209 (1211); Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 80; Blom, Tarifausschlußklausel, S. 34 ff.; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 102 ff.; Brox / Rüthers / Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 639; Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 32; Franzen, RdA 2006, 1 (3); Giesen, Rechtsgestaltung, S. 149; Greiner, Rechtsfragen, S. 124 f.; Hanau, FS Scholz, S. 1035; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 65; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 33 ff.; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 36; Koop, Tarifvertragssystem, S. 310; Merten in: Merten / Papier, HGR II, § 42 Rn. 219; Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 79; Löwisch / Rieble, TVG, Grundl. Rn. 16; Mayer-Maly, ZAS 1969, 81 (85); Mürau, Sonderleistungen, S. 176; D. Neumann, RdA 1989, 243 ff.; Nikisch, RdA 1967, 87 (90), der allerdings eingesteht, „daß die vorgetragenen Gegengründe nicht leichthin abgetan werden können“; Reuter in: MünchKomm, BGB, vor § 21 Rn. 101; Richardi, ZfA 1970, 85 (90 f.); Schabbeck, Das Problem der negativen Koalitionsfreiheit, S. 62 ff.; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 42; Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 39 ff.; Steinberg, ArbuR 1975, 99 (102); Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 65 f.; Wagenitz, Tarifmacht, S. 43 f.; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 278; Zeiler, Tarifausschlußklausel, S. 14 ff.; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 25.
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frei gebildeten Koalitionen gesprochen werden. Die negative Koalitionsfreiheit sei insofern die denknotwendig zwingende Kehrseite der positiven Freiheit. Des Weiteren sei der ebenfalls von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionspluralismus nicht gesichert, wenn frei gebildete Koalitionen das Recht hätten, Personen zwangsweise zu inkorporieren, die austreten, eine andere Koalition bilden, in eine andere Koalition übertreten oder in einer anderen Koalition verbleiben wollen. 332 Denkbar sei die Möglichkeit, dass zwar mehrere Koalitionen vorhanden seien, der Betroffene aber deren Ideologie, Ziele etc. nicht teile, oder dass er grundsätzlich wegen Gleichgültigkeit, mangelnder Solidarität oder aus finanziellen Gesichtspunkten koalitionsunwillig sei. Zwar schütze Art. 9 Abs. 3 GG primär das Interesse der generell Koalitionswilligen. Das ändere aber nichts daran, dass die Aufgabe der Koalitionen, das Arbeitsleben im einzelnen durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen, vom GG nur frei gebildeten Koalitionen anvertraut sei. Wollte man dem an sich Koalitionswilligen den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG einräumen, dem Unwilligen aber versagen, so würde das zu Rechtsunsicherheit und „einem nicht mehr tragbaren Einbruch in die Intimssphäre des einzelnen“ 333 führen. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich nichts Anderes. 334 Zwar sei im Parlamentarischen Rat darüber beraten worden, dem heutigen Satz 2 von Art. 9 Abs. 3 GG einen Zusatz beizufügen, dass ein Zwang zum Beitritt nicht ausgeübt werden dürfe. Dass dieser Zusatz später mit Mehrheit abgelehnt wurde, sei aber nicht dahin zu deuten, dass die negative Koalitionsfreiheit zu verneinen sei, sondern bedeute nur, dass eine „unelastische große Einengung der positiven Koalitionsfreiheit und eine Bevorzugung der Nichtorganisierten gegenüber den Organisierten verhindert werden“ sollte. 335 Des Weiteren weist das Gericht auf Art. 20 Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. 12. 1948 hin, nach dem niemand gezwungen werden darf, einer Vereinigung beizutreten. Schließlich verweist das BAG auf die Rechtsprechung des BVerfG, welches die negative Koalitionsfreiheit ebenfalls aus Art. 9 Abs. 3 GG ableite. 336 Zu Unrecht: Die zitierten Entscheidungen 337 beschäftigen sich nicht mit der Frage der dogmatischen Einordnung der negativen Koalitionsfreiheit: BVerfGE 10, 89, die Erftverband-Entscheidung, befasst sich mit der Zwangseingliederung in öffent332 Zum Aspekt des Koalitionspluralismus als Argument für den Schutz der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG siehe Teil 2 D. II. 1. b) gg). 333 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (215). 334 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175, (215 f.). 335 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (216). 336 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (217 f.). 337 BVerfG 29. 7. 1959 – 1 BvR 394/58, BVerfGE 10, 89 (102) (Erftverband); 19. 10. 1966 – 1 BvL 24/65, BVerfGE 20, 312 (321 f.) (Tariffähigkeit von Handwerksinnungen).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
lich-rechtliche Verbände. Eine solche sei nicht an Art. 9 (Abs. 1) GG zu messen, denn diese Bestimmung garantiere lediglich die Freiheit, privatrechtliche Vereinigungen zu gründen, ihnen beizutreten oder fernzubleiben. 338 Vielmehr sei Art. 2 Abs. 1 GG einschlägig. Von Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht die Rede, wie das BAG auch zu Recht erkennt. Gleichwohl will es die Aussage des BVerfG auch auf die Koalitionsfreiheit bezogen wissen. In BVerfGE 20, 312 wird zwar das Recht des Handwerkers anerkannt, einer vom Gesetzgeber mit Tariffähigkeit ausgestatteten (öffentlich-rechtlichen) Innung fernzubleiben. Ob sich dieser Schutz aber gerade aus Art. 9 Abs. 3 GG ergibt, bleibt aber offen und lässt sich auch nicht aus dem „Gesamtzusammenhang“ erklären, wie es das BAG behauptet. 339 In seinem Urteil vom 18. 3. 2009 knüpft das BAG nicht mehr an die Begründung des Großen Senats an und behauptet, dass es im gegebenen Fall keiner abschließenden Entscheidung darüber bedürfe, ob die „so genannte ‚negative Koalitionsfreiheit‘“ der Außenseiter in Art. 9 Abs. 3 GG oder in Art. 2 Abs. 1 GG zu verorten sei, da jedenfalls im Hinblick auf den Inhalt der negativen Koalitionsfreiheit weitgehende Einigkeit bestehe. Gleichwohl führt das Gericht daran anschließend aus, dass eine Vereinbarung, die ein dauerhaftes Verbleiben in der Koalition verspricht (und demgemäß die negative Koalitionsfreiheit tangiert), gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nichtig sei. 340 Der Sache nach geht es also weiterhin davon aus, dass die negative Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet wird. bb) Schutz der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG Von einer allgemeinen Anerkennung des Schutzes der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG kann hingegen – trotz gegenteiliger Verlautbarungen 341 – keine Rede sein. Es findet sich vielmehr eine beachtliche Anzahl von Literaturstimmen, die sich der h. M. entgegenstellen und die die negative Koalitionsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG einordnen. 342 Sie wäre damit als Unterfall 338 Vgl. auch Radke in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Bd. II, S. D 130 f. 339 Wie hier Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 27; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 121 f.; D. Neumann, RdA 1989, 243 (245 f.). Vgl. auch Mayer-Maly in: Däubler / Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 5 (11 f.). A. A. Säcker, Grundprobleme, S. 35 Fn. 59: Das BVerfG gehe „implizit vom Schutz der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG aus“ (Hervorhebung im Original). 340 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 1028 (1032), mit Verweis auf BAG 19. 9. 2006 – 1 ABR 2/06, BAGE 119, 275 (277 ff.). 341 Siehe etwa Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 32; Jacobs, FS Bauer, S. 479 (488); Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 66. 342 So vor allem Gamillscheg, Differenzierung, S. 53 ff., 59; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 154 ff., insb. S. 159 ff.; Söllner, Grundriß, S. 86 f. Des
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der allgemeinen Handlungsfreiheit zu qualifizieren. Für diese Verortung werden neben dem Wortlaut vor allem die Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 3 GG sowie die dogmatischen Probleme angeführt, die sich etwa im Hinblick auf die Drittwirkungsanordnung des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG ergeben, sofern man der h. M. folgt. So wird befürchtet, dass sich negative und positive Freiheit am Ende gegenseitig aufheben würden, würde man beiden Aspekten den gleichen Schutz zusprechen. 343 cc) Schutz der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 1 GG Namentlich von Däubler wird die Ansicht vertreten, die negative Koalitionsfreiheit ergebe sich aus Art. 9 Abs. 1 GG, also aus der allgemeinen Vereinigungsfreiheit. 344 Da die Gewerkschaft eine Vereinigung i. S.v. Art. 9 Abs. 1 GG sei, komme eine Verortung der negativen Koalitionsfreiheit bei Art. 2 Abs. 1 GG nicht in Betracht; andererseits würde aber auch die Heranziehung von Art. 9 Abs. 3 GG im Hinblick auf dessen Satz 2 zu „völlig untragbaren Ergebnissen führen“. Die Koalition stünde schlechter da als jeder andere privatrechtliche Verein, weil etwa eine Satzungsbestimmung, die den Ausschluss aus der Koalition an eine Frist knüpfe, gemäß der Drittwirkungsklausel unwirksam sein müsse. Die positive Koalitionsfreiheit werde im Ergebnis entwertet. 345 Will man die Konstruktion der negativen Dimension der hier fraglichen Freiheit nicht gänzlich vom Wortlaut der Norm lösen, hätte diese Einordnung allerdings die bemerkenswerte Folge, dass sich nur Deutsche auf die negative Koalitionsfreiheit berufen könnten, nicht jedoch auch Ausländer. Denn Art. 9 Weiteren zu nennen sind Arndt, FG Kunze, S. 265 f.; Bartlog, Das Verhältnis von Gesetz und Tarifvertrag, S. 115 f.; Berg in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 75 Rn. 42 a; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 93 f. Fn. 127; Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 52 f.; Fechner, Rechtsgutachten, S. 33; Galperin, DB 1970, 298 (301 f.); Georgi, Zulässigkeit, S. 17 ff.; Heiseke, RdA 1960, 299 (301); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 163; Hölters, Harmonie, S. 160; Ipsen, Staatrecht II, Rn. 703 ff.; Kittner/Schiek in: Denninger et al., AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 108; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 49, hinsichtlich der Freiheit von fremder Normsetzung; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 110 f.; Radke, ArbuR 1971, 4 (11); Ritter, JZ 1969, 111 (113); Säcker, Grundprobleme, S. 36, soweit es sich um schlichtes Fernbleiben und nicht um politisch-ideelles Nichtbeitreten oder Fernbleiben handelt; Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 69 f.; Stein, GS Zachert, S. 645 (646 f.); Weller, ArbuR 1970, 161 (165); Zachert, DB 1995, 322 (323). 343 Kittner/Schiek in: Denninger et al., AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 108; Weller, ArbuR 1970, 161 (166). 344 Däubler in: Däubler / Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 34 ff.; ders., Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 286 f.; ders., Arbeitsrecht, Rn. 141; ders. / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 174. Ebenso für das Fernbleiberecht Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 48 f. 345 Däubler, Arbeitsrecht, Rn. 140.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Abs. 1 GG gestattet es nur allen Deutschen, Vereine zu bilden. 346 Das kann nicht richtig sein. 347 Diese Auffassung hat denn auch in der Literatur kaum Anhänger gefunden. b) Stellungnahme aa) Bedeutung des Streits Die rechtswissenschaftliche Diskussion über die Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit wurde maßgeblich geprägt von der Streitfrage um die dogmatisch korrekte Einordnung der negativen Koalitionsfreiheit. Allein die Ausführlichkeit, mit der diese Streitfrage bis in die jüngste Vergangenheit behandelt wurde, impliziert, dass ihre Beantwortung eine gewisse, wenn nicht gar erhebliche Bedeutung für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von Differenzierungsklauseln hat. Es ist im Folgenden kurz darauf einzugehen, welche Relevanz dieser offenkundig zentralen Frage für das Ergebnis tatsächlich zukommt. Dies erscheint vor allem deshalb angebracht, weil mittlerweile auch Stimmen zu vernehmen sind, die die Streitfrage dahingestellt sein lassen mit der Begründung, dass ungeachtet der dogmatischen Einordnung der negativen Koalitionsfreiheit doch im Ergebnis weitgehend Einigkeit über ihren Inhalt bestehe. 348 So einfach darf man es sich jedoch nicht machen: Es entspricht in der Tat der ganz h. M., dass die negative Koalitionsfreiheit (zumindest) das Recht schützt, sich nicht zu koalieren, bestehenden Koalitionen fernzubleiben sowie aus einer Koalition auszutreten. Damit ist aber noch nicht viel gewonnen, denn vorliegend geht es nicht nur um den Inhalt der negativen Koalitionsfreiheit, sondern auch und vor allem um ihr Verhältnis zur kollektiven Koalitionsfreiheit der Vereinigung, die den differenzierenden Tarifvertrag abgeschlossen hat. Es ist durchaus denkbar, dass die Beantwortung der Einordnungsfrage bedeutsam für dieses Verhältnis von positiver und negativer Koalitionsfreiheit ist. (1) Stellungnahmen im Schrifttum Was die Bedeutung des Streits betrifft, wird im Schrifttum einerseits ausgeführt, dass eine in Art. 2 Abs. 1 GG als Unterfall der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützte negative Koalitionsfreiheit nur unter einem relativen Schutz stehe. 349 Die allgemeine Handlungsfreiheit sei (nur) gewährleistet, soweit nicht 346 Ansonsten ergeben sich ähnliche Bedenken schon im Hinblick auf den Wortlaut wie bei Art. 9 Abs. 3 GG. Siehe dazu Teil 2 D. II. 1. b) bb). 347 Ebenso Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 51 f. Im Ergebnis auch Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 163. 348 So etwa BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1032).
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die Rechte anderer verletzt würden oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen werde. Unter verfassungsmäßiger Ordnung wird gemeinhin der Inbegriff aller formell und materiell verfassungsmäßigen Rechtssätze verstanden. 350 Da auch die positive Koalitionsfreiheit sowohl Teil der verfassungsmäßigen Ordnung als auch das Recht eines anderen sei, sei der Schutz, den Art. 2 Abs. 1 GG gegen diese bietet, bei konsequenter Anwendung der Grundrechtsdogmatik naturgemäß schwach; das Recht, einer Koalition fern zu bleiben, sei demnach nur insoweit gewährleistet, als dadurch nicht das System des kollektiven Aushandelns von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen betroffen wäre. Damit käme der positiven Freiheit eine Vorrangstellung zu; eine Maßnahme, die Ausdruck der Grundrechtsausübung der positiven Koalitionsfreiheit ist, könnte folglich nicht gegen die negative Koalitionsfreiheit verstoßen. 351 Andererseits betonen auch Vertreter der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten negativen Koalitionsfreiheit, dass dem GG kein abstraktes Rangverhältnis zwischen einzelnen Grundrechten zu entnehmen sei. Insbesondere könne aus dem weiterreichenden Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG im Vergleich zur vorbehaltlosen Gewährleistung des Art. 9 Abs 3 GG keine ausschlaggebende Bedeutung für die Grundrechtsabwägung abgeleitet werden. Auch wenn die negative Koalitionsfreiheit als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt sei, müsse sie wertungsmäßig der positiven Freiheit gleichgestellt werden. Die Auflösung des Konflikts zwischen Außenseiter und Gewerkschaft könne daher nicht allgemein durch einen Vorrang der positiven Koalitionsfreiheit zugunsten letzterer entschieden werden. Vielmehr sei eine Einzelfallabwägung erforderlich. 352 Eine Einordnung der negativen Koalitionsfreiheit bei Art. 9 Abs. 3 GG könnte auf der anderen Seite die Deutung zulassen, dass die Verfassung ihr hinsichtlich des Ranges den gleichen Stellenwert zumisst wie der positiven Koalitionsfreiheit. Insbesondere die Drittwirkungsklausel in Satz 2 wird in diesem Zusammenhang angesprochen, nach der Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu 349 Vgl. Galperin, FS Bogs, S. 84 (96); Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 49 f.; Söllner, Grundriß, S. 69. 350 BVerfG 16. 1. 1957 – 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32 (38 f.) (Elfes); 5. 11. 1980 – 1 BvR 290/78, BVerfGE 55, 159 (165) (Falknerjagdschein); 27. 1. 1983 – 1 BvR 1008/79, 322/80, 1091/81, BVerfGE 63, 88 (108 f.) (Altershilfe für Landwirte); 6. 6. 1989 – 1 BvR 921/85, BVerfGE 80, 137 (153) (Reiten im Walde). 351 So explizit Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 50. Im Ergebnis wohl auch Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 61 f.; Galperin, FS Bogs, S. 84 (96); Georgi, Zulässigkeit, S. 22 ff.; Weller, ArbuR 1970, 161 (165 f.). Vgl. ferner Schnorr, FS Molitor, S. 229 (246 ff.), der jedoch die durch Art. 9 Abs. 3 GG statuierte Kollektivfreiheit zugleich als institutionelle Garantie der Berufsverbände begreift und in ihr deshalb einen prinzipiellen Gemeinschaftsvorbehalt für die Ausübung individueller Freiheitsrechte erkennt. Ähnlich Wagenitz, Tarifmacht, S. 47 f. 352 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 200 f.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 186 ff.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
behindern suchen, nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen rechtswidrig sind. 353 Gerade im älteren Schrifttum wurde daraus teilweise eine weitgehende „Nichtstörungsschranke“ zugunsten der negativen Koalitionsfreiheit abgeleitet. Aber auch die Vertreter der h. M. gehen mittlerweile vermehrt von der Möglichkeit eines Grundrechtsausgleichs auf dem Wege praktischer Konkordanz aus. 354 Vor diesem recht diffusen Hintergrund verwundert es gleichwohl nicht, dass Befürworter einer Einordnung der negativen Koalitionsfreiheit bei Art. 2 Abs. 1 GG der Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln tendenziell eher zugeneigt sind als die Vertreter der Gegenauffassung. 355 Andererseits lassen sich mittlerweile immer mehr Gegenbeispiele finden, also Auffassungen, nach denen die negative Koalitionsfreiheit zwar aus Art. 9 Abs. 3 GG abzuleiten sei, Differenzierungsklauseln aber in bestimmtem Umfang zulässig sein sollen. 356 Umgekehrt wird ebenso vertreten, die negative Koalitionsfreiheit sei in Art. 2 Abs. 1 GG zu verorten, Differenzierungsklauseln seien hingegen gleichwohl unwirksam. 357 Ein Automatismus, nach dem die Beurteilung der Wirksamkeit von Differenzierungsklauseln mit der Einordnung der negativen Koalitionsfreiheit steht oder fällt, lässt sich also nicht ausmachen. (2) Eigener Standpunkt Gerade der Hinweis auf die Drittwirkungsklausel des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG, die eine Streitentscheidung im Hinblick auf die Einordnungsfrage erforderlich erscheinen lassen soll, kann nur von geringer Belastbarkeit sein, wenn man – wie es hier der Fall ist – davon ausgeht, dass die Tarifvertragsparteien ohnehin bereits in einer Weise an die Grundrechte gebunden sind, die weitgehend derjenigen entspricht, die für den Gesetzgeber gilt. 358 Diese Annahme war bis in die nicht allzu 353
Bauer / Arnold, NZA 2005, 1209 (1211 f.); Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 35 f.; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 103; Gamillscheg, Differenzierung, S. 53 f.; Kittner/Schiek in: Denninger et al., AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 108; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 26. 354 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 76, 80 ff.; Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 150 f.; Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 44; Jacobs, FS Bauer, S. 479 (487). 355 Ebenso Lieb / Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 457. Vgl. beispielhaft einerseits Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 355 ff., 381 ff.; Kittner/Schiek in: Denninger et al., AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 108, 110; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 97 ff., 364 ff.; andererseits Bauer / Arnold, NZA 2005, 1209 (1211); Giesen, NZA 2004, 1317 (1320); Löwisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 819; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 41 f., 278 ff.; Thüsing / von Hoff, ZfA 2008, 77 (97); Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 25 ff., 49 ff. 356 Siehe etwa Hanau, JuS 1969, 213 (215); Krüger, Gutachten, S. 93 (96); Steinberg, ArbuR 1975, 99 (106). 357 So insbesondere Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 167 ff.
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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ferne Vergangenheit durchweg in Literatur und Rechtsprechung anzutreffen, so dass es zumindest bemerkenswert ist, wenn die Drittwirkungsklausel regelmäßig für die Bedeutsamkeit des Streits betont wurde. Von gesteigertem Interesse müssen die angestellten Überlegungen für diejenigen Autoren sein, die vor dem Hintergrund der Schutzpflichtenlehre und dem Verständnis von der Tarifautonomie als kollektiv ausgeübter Privatautonomie argumentieren und die damit – je nach Spielart der einzelnen Auffassung – zumindest für schuldrechtlich vereinbarte Tarifausschlussklauseln einen erheblichen Begründungsaufwand betreiben müssen, um eine Grundrechtsbindung schlüssig darzulegen, die der des Gesetzgebers gleichkommt. Aber auch wenn man, wie hier, von einer strengen Grundrechtsbindung ausgeht, ist die Einordnungsfrage nicht ohne Belang, wenn man die Normstruktur des Art. 9 Abs. 3 GG beachtet. Wenn mit Blick auf dessen Satz 2 regelmäßig ausgeführt wird, dass die Koalitionsfreiheit auch im Privatrechtsverkehr Geltung beanspruche, mithin also eine unmittelbare Drittwirkung statuiert werde, erfasst diese Aussage den Regelungsgehalt der Norm nur unvollständig: Gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG erfolgt eine unbedingte Nichtigkeitsanordnung für Absprachen, die das Recht aus Satz 1 einschränken oder zu behindern suchen. Zu diesen Absprachen zählen auch Tarifverträge. 359 Dabei entspricht der Begriff des „Einschränkens“ demjenigen der Grundrechtsbeeinträchtigung (bzw. des Eingriffs) und nicht demjenigen der Grundrechtsverletzung. 360 Das bedeutet, dass es auf eine gesondert festzustellende Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung nicht mehr ankommt, um die Nichtigkeitsfolge auszulösen. Das GG differenziert deutlich 358 Siehe dazu Teil 2 D. I. Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 57, behilft sich zur Begründung der Erörterungswürdigkeit der Streitfrage mit dem Gedanken, dass auch der Gesetzgeber für eine mögliche Regelung von Differenzierungsklauseln an die Vorgaben der Verfassung gebunden ist. In der Tat bestehen insoweit von der Einordnungsfrage abhängige Unterschiede, wenngleich keine allzu gravierenden: Ist der Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit nur an Art. 2 Abs. 1 zu messen, ist er gerechtfertigt, wenn er einen legitimen Zweck verfolgt und verhältnismäßig ist. Art. 9 Abs. 3 GG ist als vorbehaltloses Grundrecht gewährleistet; ein Eingriff muss sich auf den Schutz kollidierenden Verfassungsrechts stützen können und verhältnismäßig sein, um gerechtfertigt zu sein, vgl. auch Söllner, NZA 1996, 897 (905 f.). Kollidierendes Verfassungsrecht ist jedoch regelmäßig für kleine Münze zu haben: Hier könnte sich der Gesetzgeber auf die Koalitionsfreiheit der die Differenzierungsklausel vereinbarende Gewerkschaft und die Aufrechterhaltung der Tarifautonomie und ihrer Ordnungsfunktion berufen. Eine solche gesetzliche Regelung ist freilich nicht in Sicht. 359 Bergmann in: Hömig, GG, Art. 9 Rn. 18; Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 122; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 333; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 26. 360 Siehe Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 86, m. w. Nachw. Vgl. auch Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 804: „Art. 9 Abs. 3 S. 2 verbietet ausdrücklich auch Dritten, in die Koalitionsfreiheit einzugreifen.“; Söllner, Grundriß, S. 67: „[J]eder objektive Eingriff in dieses Grundrecht [ist] verboten [. . .].“ (Hervorhebungen durch den Verfasser).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
zwischen den Ebenen der Beeinträchtigung und der Verletzung eines Grundrechts, so dass der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG keinen Spielraum für eine Grundrechtsabwägung lässt. 361 Die Verfassung hat diese Abwägung bereits vorweggenommen und, was Abreden und Maßnahmen Privater – zu denen auch die Tarifvertragsparteien gehören – angeht, zugunsten der durch sie bedrohten Koalitionsfreiheit entschieden. 362 Eine Rechtfertigung im Sinne eines Grundrechtsausgleichs kommt daher nicht in Betracht, die die Differenzierungsklausel vereinbarende Gewerkschaft kann sich nicht auf die kollektive Koalitionsfreiheit berufen, um die Nichtigkeit zu verhindern. Ebenso kann sich konsequenterweise der Arbeitgeber bei einer Kündigung wegen der Gewerkschaftszugehörigkeit eines Arbeitnehmers nicht auf seine grundrechtlich geschützte Unternehmerfreiheit (Art. 12, 14 GG) berufen; schon Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG, und nicht erst eine Abwägung der Grundrechtspositionen im Rahmen praktischer Konkordanz, versperrt ihm diesen Weg. 363 Will man dogmatisch sauber vorgehen, 364 führt die Einordnung der negativen Koalitionsfreiheit bei Art. 9 Abs. 3 GG deshalb zu einer Separierung der Schutzbereiche: Da jeder Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit zugleich die Nichtigkeit der Differenzierungsklausel zur Folge hätte, kommt es auf eine ge361
So im Ergebnis auch Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 125 a; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 44, 63; Reuter in: MünchKomm, BGB, vor § 21 Rn. 102. Ähnlich Georgi, Zulässigkeit, S. 17 f. Anders aber die h. M., vgl. BAG 31. 5. 2005 – 1 AZR 141/04, BAGE 115, 58 (64), zur Mitgliederwerbung; Bergmann in: Hömig, GG, 8. Aufl., Art. 9 Rn. 18 (in der 9. Aufl. findet sich der Passus jedoch nicht mehr); Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 123; Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 44; Jacobs, FS Bauer, S. 478 (487); Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 47 a; D. Neumann, RdA 1989, (243 (245). 362 Vgl. Rüfner in: Isensee / Kirchhof, HStR V, § 117 Rn. 76. 363 Sonderprobleme ergeben sich freilich, wenn bereits der Grundrechtsausübung selbst der Eingriff in die entsprechende Freiheit der gegnerischen Partei wesensimmanent ist, wie es insbesondere bei Arbeitskampfmaßnahmen der Fall ist, bei denen die gegenseitige Druckausübung Teil des Gewährleistungsinhalts ist. In solchen Fällen wird man die Drittwirkungsklausel nicht anwenden können, vgl. Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 179; Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 87. Siehe auch Botterweck, Gewerkschaftspluralismus im Betrieb, S. 29 f. Höfling / Burkiczak, RdA 2004, 263 ff., plädieren dafür, die Drittwirkungsklausel nur auf das Individualgrundrecht, nicht aber auf die kollektive Koalitionsfreiheit zu beziehen, um die ansonsten drohende „Paradoxie“ zu verhindern. 364 Dies geschieht meist nicht, worauf Jacobs, FS Bauer, S. 479 (488), zu Recht hinweist. Eine klare Unterscheidung zwischen Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung wird regelmäßig mit allgemeinen Erörterungen zu der Frage überspielt, ob Differenzierungsklauseln einen unzulässigen Druck auf die Außenseiter ausüben. Ob aber erst der Schutzbereich bei unzulässigem Druck eröffnet oder bereits verletzt ist, bleibt meist im Dunkeln. Das angestrebte Ziel einer Verhältnismäßigkeitsprüfung der einzelnen Differenzierungsklauseln im Rahmen praktischer Konkordanz kann jedoch ohne eine vorherige Festlegung in dieser Hinsicht nicht sinnvoll erfolgen.
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naue Beschreibung des Schutzbereichs der negativen Koalitionsfreiheit an, nicht auf deren Abwägung mit der positiven Koalitionsfreiheit. Ob dieser Weg noch der zeitgemäßen Grundrechtsdogmatik entspricht, wird noch zu erörtern sein. 365 Eine Abwägung kommt hingegen nur in Frage, wenn die negative Koalitionsfreiheit nicht teilhat an der unbedingten Nichtigkeitsanordnung des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG. bb) Wortlaut Die Auslegung einer Norm setzt stets beim Wortlaut an. Er ist Ausgangspunkt und zugleich Grenze der Auslegung. 366 Aus dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 GG lässt sich ein Fernbleiberecht zunächst nicht ableiten. Satz 1 enthält das Recht, „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinbarungen zu bilden“. Damit ist allein die positive individuelle Koalitionsfreiheit angesprochen. Geschützt wird das Bilden der Vereinigung, nicht das Fernbleiben von derselben. 367 Im Schrifttum wird in diesem Zusammenhang außerdem darauf hingewiesen, dass die Grundrechtsgewährung des Art. 9 Abs. 3 GG zielgerichtet ausgestaltet sei, da sie der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen müsse; ein bloßes Unkoaliertbleiben könne diesem Ziel aber nicht dienlich sein. 368 Zwar könne der Nichtorganisierte individualvertraglich seine Arbeitsbedingungen wahren und fördern, nicht jedoch die Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen schlechthin. 369 Auch der Große Senat leugnet nicht, dass Art. 9 Abs. 3 GG in seinem Wortlaut das Fernbleiberecht nicht ausdrücklich erwähnt. Dies sei jedoch historisch zu erklären: „Die positive Koalitionsfreiheit hat sich in einem langen Prozeß schrittweise bis zur Verfassungsgarantie durchgesetzt, ohne daß an der ursprünglich allein maßgebenden negativen Koalitionsfreiheit gezweifelt worden ist.“ 370
Ob diese Wertung zutreffend ist, ist im Folgenden zu erörtern. 365
Siehe Teil 2 D. II. 1. b) ee) (2). Vgl. Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 143; Meier-Hayoz, Der Richter als Gesetzgeber, S. 42. 367 Berghäuser, Koalitionsfreiheit, S. 196 f.; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 156. 368 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 382; Gitter, JurA 1970, 148 (150); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 61; Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 180, m. w. Nachw. Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 63, hält dieses Argument für „eher gesellschaftspolitisch“, allerdings ohne dies näher zu erläutern. 369 Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 61; Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 181; Radke, ArbuR 1971, 4 (10). Diesen Unterschied übersieht Zeiler, Tarifausschlußklausel, S. 18. 370 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (217). (Hervorhebung durch den Verfasser). 366
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
cc) Historie (1) Die Koalitionsfreiheit bis 1918 Der Kampf um die Koalitionsfreiheit, der im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert begann, richtete sich gegen die staatlicherseits verhängten – und mit Gefängnisstrafe sanktionierten – Koalitionsverbote, wie sie etwa in den §§ 183 ff. der Allgemeinen Preußischen Gewerbeordnung von 1845 formuliert waren. 371 Die Märzrevolution von 1848 brachte nicht mehr als ein kurzes Aufflackern der Koalitionsfreiheit, welches genauso schnell wieder erlosch, wie es entstanden war. Doch der immer größer werdende Gegensatz zwischen Unternehmertum und stetig wachsender Arbeiterklasse konnte auf Dauer nicht ignoriert werden. So bestimmte § 152 der Reichsgewerbeordnung von 1871, der inhaltlich an die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund anschloss, die Aufhebung der Verbote und Strafbestimmungen gegen Koalitionsabreden und Vereinigungen „zum Behufe der Erlangung günstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen“, schloss aber zugleich in Abs. 2 372 die Einklagbarkeit von Koalitionsabsprachen aus. Des Weiteren beschränkte sich diese Regelung auf ganz bestimmte Personenkreise, nämlich auf Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen, Fabrikarbeiter und – gemäß § 154 a Reichsgewerbeordnung – Bergarbeiter. § 153 Reichsgewerbeordnung statuierte den Schutz vor der Koalition: „Wer andere durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzungen oder durch Verrufserklärung bestimmt oder zu bestimmen versucht, an solchen Verabredungen (§ 152) teilzunehmen, oder ihnen Folge zu leisten, oder andere durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetze nicht eine härtere Strafe eintritt.“
Hier scheint die negative Koalitionsfreiheit einen ersten kodifizierten Vorläufer zu finden. Dieser Schutz der Außenseiter vor der Vereinnahmung durch eine Koalition basierte allerdings auf dem Misstrauen, welches den Gewerkschaften entgegengebracht wurde. Er hatte eine Schwächung der (Arbeitnehmer-) Koalitionen zum Ziel, die Besserstellung des Außenseiters war nicht mehr als das dazu eingesetzte Mittel. 373 Der Gedanke der individuellen Freiheit zum Fernbleiben als Ausdruck einer allgemeinen Handlungsfreiheit war dem 19. Jahrhundert noch fremd. Das gilt umso mehr, als schon § 152 Reichsgewerbeordnung kein umfas371 Siehe hierzu und zum Folgenden ausführlich Berghäuser, Koalitionsfreiheit, S. 134 ff.; Däubler, Arbeitsrecht, Rn. 74 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 83 ff.; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 154 ff.; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 113 ff.; Schabbeck, Das Problem der negativen Koalitionsfreiheit, S. 8 ff.; Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 182 ff., jeweils m. w. Nachw. 372 „Jedem Teilnehmer steht der Rücktritt von solchen Vereinigungen und Abreden frei, und es findet aus letzteren weder Klage noch Einrede statt.“
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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sendes Koalitionsrecht statuierte, es hob lediglich bestehende Koalitionsverbote und Strafen auf. Privatrechtliche Absprachen gegen Koalierte waren weiterhin üblich und zulässig. Betrachtet man überdies die Ausgestaltung der Koalitionsabreden als Naturalobligationen, wird deutlich, dass ein Bedürfnis zum Schutz der Außenseiter auch kaum gegeben war. Der Kampf der Arbeitnehmervereinigungen gegen die Beschränkungen der §§ 152 Abs. 2, 153 Reichsgewerbeordnung musste folglich zugunsten der positiven Koalitionsfreiheit geführt werden. Der lange und entbehrungsreiche Weg zur Aufnahme der Koalitionsfreiheit in Art. 159 WRV beschreibt den Kampf um ihre positive Seite. 374 Insofern war sie also – in Umkehrung der Feststellung des BAG 375 – ursprünglich allein maßgeblich. (2) Art. 159 WRV Der Streit um einen Schutz vor der Koalition als Individualrecht begann erst im Zusammenhang mit der ersten verfassungsrechtlichen Verankerung der Koalitionsfreiheit in Art. 159 WRV, der mit dem Wortlaut unseres heutigen Art. 9 Abs. 3 GG weitgehend identisch ist. 376 Während das RArbG und das RG die Frage explizit offen ließen, 377 hielten sich in der Literatur Gegner und Befürworter einer durch Art. 159 WRV geschützten negativen Koalitionsfreiheit in etwa die Waage. 378 Zu beachten ist dabei auch, dass die Freiheitsgewährungen der WRV nach damals vorherrschender Ansicht auf dem Prinzip der Spezialfreiheiten beruhte, 379 d. h. dass ihr ein umfassender Grundrechtsschutz durch ein „Auffanggrundrecht“ wie den heutigen Art. 2 Abs. 1 GG nicht entnommen 373
Vgl. Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 172; Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 68; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 382; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 155. 374 Ebenso Berghäuser, Koalitionsfreiheit, S. 192 ff.; Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 172; Galperin, FS Bogs, S. 84 (93); Gamillscheg, Differenzierung, S. 54; Mürau, Sonderleistungen, S. 165; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 28; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 156; Radke, ArbuR 1971, 4 (8 f.); Wagenitz, Tarifmacht, S. 42; Weller, ArbuR 1970, 161 (165). 375 Siehe Teil 2 D. II. 1. b) bb). 376 „Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und alle Berufe gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig.“ 377 Vgl. RAG 24. 4. 1929 – RAG. 550/28, ARS 6, 427 (430); 16. 4. 1930 – RAG. 482/ 29, ARS 9, 55 (58 f.), mit ablehnender Tendenz; RG 6. 4. 1922 – VI 456/21, RGZ 104, 327 (329); 2. 7. 1925 – IV 154/25, RGZ 111, 199 (201). In der letztgenannten Entscheidung stellte das RG überdies die Unvereinbarkeit von § 152 Abs. 2 Reichsgewerbeordnung mit Art. 159 WRV fest. 378 Vgl. die umfassenden Nachw. bei Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 154 mit Fn. 2, 3; Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 185 mit Fn. 135.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
werden konnte. Wollte man also dem Fernbleiberecht des Außenseiters verfassungsrechtlichen Schutz zukommen lassen, so führte der einzige Weg dorthin über Art. 159 WRV. (3) Art. 9 Abs. 3 GG Der heutigen Fassung des Art. 9 Abs. 3 GG ging eine längere Debatte im Grundsatzausschuss und im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates voraus, in der erörtert wurde, ob ein Fernbleiberecht explizit aufgenommen werden sollte. 380 In seiner 6. Sitzung billigte der Grundsatzausschuss am 5. 10. 1948 eine Fassung des Art. 12 (Endfassung: Art. 9), dessen Abs. 3 folgendermaßen lautete: „(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden und Maßnahmen, durch die dieses Recht eingeschränkt, behindert oder ein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden soll, sind nichtig.“ 381
Gegen die ausdrückliche Festlegung der negativen Koalitionsfreiheit in Abs. 3 wandte sich eine Eingabe des Gewerkschaftsrates der Vereinten Zonen. v. Doemming / Füßlein / Matz 382 berichten von folgendem Wortlaut: „In der gleichen Bestimmung des Artikels [gemeint ist: Absatzes] III wird der Versuch gemacht, die sogenannte negative Koalitionsfreiheit als verfassungsrechtliches Grundrecht festzulegen. Diesem Versuch müssen die Gewerkschaften schärfstens widersprechen. Das Koalitionsrecht hat sich als positive Koalitionsfreiheit entwickelt, ist der Schutz der arbeitenden Menschen, die sich in jahrzehntelangem Kampf das Recht erstritten, Gewerkschaften zu bilden. Der Schutz der Unorganisierten, wie ihn früher namentlich der § 153 Gewerbeordnung enthielt, war eine gewerkschaftsfeindliche Maßnahme des damaligen Staates. Auch zur Zeit der Weimarer Verfassung stand die durchaus herrschende Meinung auf dem Standpunkt, daß Artikel 159 die positive Koalitionsfreiheit verfassungrechtlich gewährleiste. Das Recht, einer Koalition fernzubleiben, ergibt sich aus der allgemeinen Freiheit, ist aber kein verfassungsmäßiges Grundrecht.
379 Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 295. Siehe auch Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 2 Rn. 1. 380 Vgl. dazu auch Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 68 ff.; v. Doemming / Füßlein / Matz, JöR Neue Folge Bd. 1 [1951], 1 (116 ff.); Gamillscheg, Differenzierung, S. 55 ff.; Georgi, Zulässigkeit, S. 20 f.; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 157 ff.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 69 ff.; D. Neumann, RdA 1989, 243 (244). 381 Hervorhebung durch den Verfasser. 382 v. Doemming / Füßlein / Matz, JöR Neue Folge Bd. 1 [1951], 1 (119 Fn. 13).
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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Die jetzige Fassung könnte dazu führen, daß nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen durchaus zulässige Maßnahmen der Gewerkschaften auf umfassende Organisierung der einzelnen Gruppen der Arbeitnehmer rechtlich beanstandet werden könnten. Selbstverständlich werden sich die Gewerkschaften in ihren Maßnahmen an die allgemeinen Gesetze halten. Ein verfassungsmäßiger Schutz der negativen Koalitionsfreiheit würde ihre Entwicklung in bedenklicher Weise stören.“
Die Eingabe wurde im Grundsatzausschuss eingehend diskutiert. Während sich die Abgeordneten v. Mangoldt (CDU) und Heuß (FDP) für das Beibehalten der Formulierung „oder ein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden soll“ aussprachen, plädierten Eberhard (SPD) und, ihm folgend, Schrage (CDU) für eine Streichung des Passus, da ansonsten der moralische Druck illusorisch würde, den die Gewerkschaften auf die „Schmarotzer“ ausübten, „die den Beitrag sparen, aber die Erfolge der Gewerkschaften einheimsen wollen“. 383 Eine Einigung konnte im Grundsatzausschuss nicht erzielt werden, so dass dem Hauptausschuss zur ersten Lesung am 3. 12. 1948 384 zwei Varianten – durch den allgemeinen Redaktionsausschuss leicht verändert – für Abs. 3 vorlagen (wobei Variante I den in Klammern angegebenen Text enthielt, Variante II hingegen nicht): „(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Dieses Recht darf durch keinerlei Abreden und Maßnahmen eingeschränkt oder behindert(, und es darf kein Zwang zum Beitritt ausgeübt) werden. Solche Abreden und Maßnahmen sind rechtswidrig und nichtig.“
Der Vorsitzende des Hauptausschusses Schmid (SPD) äußerte die Vermutung, dass Variante II deshalb den streitigen Halbsatz aussparen solle, „[. . .] weil befürchtet werde, dass die untere Rechtsprechung bestimmte im gewerkschaftlichen Leben üblich gewordene, durch Gewohnheit sanktionierte Maßnahmen als gesetzwidrigen Zwang auslegen könnte.“
Variante I wurde mit einer knappen Mehrheit von 11 zu 10 Stimmen angenommen. Dabei war den Abgeordneten jedoch klar, dass „üblich gewordene, durch Gewohnheit sanktionierte Maßnahmen“ keinen Zwang i. S. d. Art. 9 Abs. 3 darstellen sollten. Dies wird augenfällig in einer Nachfrage des Abgeordneten Schönfelder (SPD) bezüglich der Verfassungsmäßigkeit von Tarifausschlussklauseln an die Mitglieder des Grundsatzausschusses: „Wenn hier verboten werden soll, zum Beitritt aufzufordern, so denke ich an Tarifverträge, in denen Unternehmer und Arbeiter untereinander vereinbaren: der Tarifvertrag 383
(119).
Vgl. die Nachw. bei v. Doemming / Füßlein / Matz, JöR Neue Folge Bd. 1 [1951], 1
384 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, Bonn 1948/49, S. 210 ff.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
gilt nur für denjenigen, der der Organisation angehört. Dies würde doch so ausgelegt werden können, daß diejenigen, die der Vorteile des Tarifvertrages teilhaftig werden wollen, auf diesem Wege zum Beitritt gezwungen sind. Ist das gemeint?“
Darauf der Abgeordnete Laforet (CSU): 385 „Das wird nie getroffen.“
Die daran anschließende Frage des Vorsitzenden Schmid, ob Laforet das amerikanische closed-shop-System – also die Vereinbarung von Organisationsbzw. Absperrklauseln – für verboten halte, bejahte dieser hingegen. 386 Mit einer wiederum geringfügigen redaktionellen Veränderung wurde die negative Koalitionsfreiheit als Bestandteil von Art. 9 Abs. 3 GG in zweiter Lesung am 19. 1. 1949 erneut behandelt. 387 Der Abgeordnete Eberhard (SPD) beantragte die Streichung des Satzes „Ein Zwang zum Beitritt darf nicht ausgeübt werden.“ und des Folgesatzes. Die „ganze Kasuistik in dem Grundgesetz“ sei „vollkommen unmöglich“. Des Weiteren hob er hervor, dass die Gewerkschaften von jeher auf die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft entscheidendes Gewicht gelegt hätten, dass sie aber bei Beibehaltung des expliziten Zwangverbots die Gefahr ausmachten, dass die Gerichte in allem Möglichen „einen Zwang, einen gewissen indirekten Zwang“ sehen würden. Und weiter: „In Artikel 159 der Weimarer Verfassung hatten wir dieses sogenannte negative Koalitionsrecht auch nicht verankert und wir haben in Deutschland weder auf seiten der Gewerkschaften noch auf Arbeitgeberseite mit diesem Artikel 159 schlechte Erfahrungen gemacht.“
Unterstützung erhielt er von Zinn (SPD) und Seebohm (DP); die Abgeordneten Schönfelder und Schmid traten sogar offensiv für die Zulässigkeit von Absperrklauseln ein. Schönfelder: „Bestimmungen, die einen gewissen Zwang zugelassen haben, haben vielleicht dazu beigetragen, Ordnung auf manchen Wirtschaftsgebieten zu schaffen. Unternehmer und Gewerkschaften haben Tarifverträge abgeschlossen. Da auf beiden Seiten Außenseiter eine wirkliche Ordnung hinderten, haben beide Teile abgemacht, es dürfen bei 385
Laforet war zwar kein offizielles Mitglied des Grundsatzausschusses, seine Antwort blieb aber unwidersprochen. 386 Darauf Schönfelder: „Dann ist es sehr bedenklich.“ 387 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, Bonn 1948/49, S. 569 ff. Art. 9 Abs. 3 lautete nunmehr: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, zu diesem Zweck getroffene Maßnahmen rechtswidrig. Ein Zwang zum Beitritt darf nicht ausgeübt werden. Ausnahmen von diesem Verbot können für öffentlich-rechtliche Berufsverbände durch Gesetz zugelassen werden.“
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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einem Unternehmer keine Arbeitnehmer eingestellt werden, die der Organisation nicht angehören, und umgekehrt. Auf diese Weise sind in verschiedenen Wirtschaftszweigen, insbesondere im Buchdruckgewerbe, vor Jahren gute Verhältnisse herbeigeführt worden.“
Dass das closed-shop-System nach der Aussage Laforets in der ersten Lesung als Verstoß gegen das Zwangverbot zu werten sei, bewegte Schmid unter anderem dazu, sich dem Streichungsantrag anzuschließen. Auch Kaufmann (CDU) erklärte sich mit der Streichung der beiden letzten Sätze einverstanden, stand allerdings den von Schönfelder und Schmid angesprochenen Absperrklauseln ablehnend gegenüber: „Mir ist es nicht sympathisch und mir galt es von vornherein als unerwünscht, daß ausgerechnet in Verbindung mit den Wirtschaftsorganisationen überhaupt das Verbot des Zwanges hier steht, weil die Gewerkschaften mindestens theoretisch auch heute noch auf dem Standpunkt stehen, daß Zwang nicht ausgeübt werden soll, und weil man ihnen deshalb nicht unterstellen soll, daß sie Zwang ausüben wollen. Aber wenn so argumentiert wird, und wenn hier davon gesprochen wird, daß ein Zwang, den man mit allen möglichen Mitteln sehr weit auslegen kann, doch ganz nützlich ist, um die Leute dahin zu schieben, wo man sie haben will, so ist die These nicht mehr zu halten, daß der gewerkschaftliche Gedanke auf der Freiwilligkeit beruht.“
Vor allem v. Mangoldt und Heuß setzten sich für die im Streit stehenden Sätze ein; sie schienen v. Mangoldt „[. . .] unbedingt notwendig, [. . .] wenn wir wirklich die Freiheit, solche Vereinigungen zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden, endgültig sichern wollen.“
Laut Heuß würde das „Ethos der Gewerkschaftsbewegung“, die auf die Freiwilligkeit stets besonderen Wert legte, durch die Formulierung „überhaupt nicht berührt, sondern auf indirekte Weise mit bestätigt“. Unter diesen Eindrücken wurde schließlich die Streichung der beiden letzten Sätze in Art. 9 Abs. 3 mit 12 gegen 6 Stimmen zugestimmt. Die folgenden Lesungen des Hauptausschusses und des Plenums änderten an der Streichung nichts mehr, so dass Art. 9 Abs. 3 letztlich ohne Formulierung eines Zwangverbots Bestandteil des GG wurde. (4) Folgerungen Aus den soeben dargestellten Umständen der Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 3 GG lassen sich folgende Schlüsse ziehen: Dem Verfassungsgeber war das Problem der negativen Koalitionsfreiheit durchaus gegenwärtig; es bildete den Hauptstreitpunkt in den Ausschussverhandlungen zu Art. 9 GG. Gerade die den Mitgliedern des Hauptausschusses bekannte Streitigkeit hinsichtlich des Schut-
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zes der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 159 WRV hätte Anlass zu einer Klarstellung im GG gegeben. Der Schutz der Außenseiter vor Beitrittszwang wurde jedoch nicht in Art. 9 Abs. 3 GG aufgenommen. Mehr noch: Der in erster Lesung noch gebilligte Schutz der negativen Koalitionsfreiheit wurde in zweiter Lesung aufgehoben; d. h. die Aufnahme der Negativfreiheit hatte nicht nur keine Mehrheit mehr auf ihrer Seite, es fand sich sogar eine Überzahl an ablehnenden Stimmen im Hauptausschuss. Es ist also zu einer Ablehnung der Unterlassensfreiheit gekommen und nicht nur zu einer Nichtaufnahme. Nicht tragfähig ist in diesem Zusammenhang das Argument, die absichtliche Nichterwähnung ließe keine eindeutigen Schlüsse zu, da dem Willen des Gesetzgebers nur dann eine Bedeutung zukäme, wenn er im Normwortlaut einen objektivierten Ausdruck gefunden hätte. 388 Der Gesetzgeber bringt seinen Willen, etwas nicht regeln zu wollen, nämlich vornehmlich dadurch zum Ausdruck, dass er es nicht regelt. Dass dadurch aber seine Beweggründe zur Nichtregelung zugleich unbedeutend sein sollen, vermag nicht einzuleuchten. Eine derartige Ansicht wendet sich letzten Endes gegen die historische Auslegung als solche, ohne dies freilich ausdrücklich zuzugestehen. Es wird deutlich, dass die Mitglieder des Hauptausschusses bei ihrer ersten Lesung von der Zulässigkeit von Tarifausschlussklauseln ausgingen, und zwar selbst für den Fall, dass die negative Koalitionsfreiheit wörtliche Aufnahme in Art. 9 Abs. 3 GG finden sollte. Das ist ein für diese Arbeit insgesamt bedeutsamer Befund. Die Stellung des Außenseiters sollte also bei Weitem nicht derart stark ausgeprägt sein, wie es der Große Senat annahm. Ebenso aufschlussreich ist die Erkenntnis, dass die Zustimmung zur Streichung des Zwangverbots zumindest bei einigen Ausschussmitgliedern dadurch motiviert war, den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit zu eröffnen, Absperrklauseln vereinbaren zu können. Damit wird zugleich sichtbar, dass die Mitglieder des Hauptausschusses durchaus davon ausgingen, dass die Streichung des Zwangverbots aus Art. 9 Abs. 3 GG Rechtsfolgen nach sich ziehen würde, also mehr war als ein „dilatorischer Formelkompromiss“ 389. Daher trifft es auch nicht zu, dass man nur auf einen ausdrücklichen Schutz verzichten wollte, man aber stets von einem impliziten Schutz ausgegangen sei, weil der Schutz vor Beitrittszwang für die Mehrheit der Mitglieder des Hauptausschusses so selbstverständlich war, dass es einer Aufnahme in Art. 9 Abs. 3 GG nicht bedurfte. 390 388 Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 34; Merten in: Merten / Papier, HGR II, § 42 Rn. 211. Auch die von Merten zitierten Entscheidungen des BVerfG stützen die These von der Bedeutungslosigkeit der historischen Auslegung bei absichtlicher Nichtkodifizierung nicht; sie beschäftigen sich nicht mit dieser Konstellation. 389 So aber Merten in: Merten / Papier, HGR II, § 42 Rn. 214. 390 So aber Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 73 f.; Wagenitz, Tarifmacht, S. 43; Zeiler, Tarifausschlußklausel, S. 17: Auf den ausdrücklichen Schutz der negativen Koali-
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Auch dass Schmid ausführte, dass das Zwangverbot ruhig stehen bleiben könne, wenn man sicher sein könne, dass es von den Gerichten immer verständig angewandt werden würde, kann nicht als Gegenbeweis angeführt werden. 391 Schmid war gerade ein Befürworter mittelbaren Zwangs und überdies dem closed shop zugeneigt. Sein Verständnis von „verständiger Anwendung“ des Zwangverbots war ein ganz anderes als das, welches etwa v. Mangoldt und Heuß vorschwebte. Festzuhalten bleibt daher, dass die historische Betrachtung gegen eine in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte negative Koalitionsfreiheit spricht. 392 dd) Systematik Wendet man seinen Blick auf andere Handlungsgrundrechte 393 und deren Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur, so wird deutlich, dass auch außerhalb von Art. 9 Abs. 3 GG über den unergiebigen Wortlaut hinaus negative Freiheiten anerkannt werden. Das gilt insbesondere für Art. 4 Abs. 1, 2 GG, der nach Lesart des BVerfG auch das Recht umfasst, nicht zu glauben, und die negative wie die positive Äußerungsform der Glaubensfreiheit gleichermaßen schützt. 394 Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, der das Recht gewährleistet, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, wird ganz überwiegend auch das Recht entnommen, keine Meinung zu haben oder eine vorhandene Meinung nicht zu äußern. 395 Hingegen soll nach Ansicht des BVerfG das Recht des tionsfreiheit sei nur aus „optischen“ Gründen verzichtet worden. Ähnlich Mürau, Sonderleistungen, S. 167 f. 391 So Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 74; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 35. 392 Im Ergebnis auch Berghäuser, Koalitionsfreiheit, S. 194 f.; Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 42 ff.; Gamillscheg, Differenzierung, S. 58 f.; Georgi, Zulässigkeit, S. 21; Heiseke, RdA 1960, 299 f.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 76; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 157. 393 Eine negative Seite einfacher Schutz- oder Abwehrrechte, die keine Handlungsfreiheiten gewähren, sondern einen Status sichern sollen (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 GG; Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, Art. 10 Abs. 1 GG; Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 13 Abs. 1 GG; Eigentum, Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) wird zu Recht weit überwiegend abgelehnt. Es handelt sich um Rechte des „Habens“, nicht um Rechte des „Dürfens“. Siehe näher Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 249; Merten in: Merten / Papier, HGR II, § 42 Rn. 8, m. w. Nachw. 394 BVerfG 16. 10. 1968 – 1 BvR 241/66, BVerfGE 24, 236 (245) (Kanzelwerbung); 16. 5 1995 – 1 BvR 1087/91, BVerfGE 93, 1 (16) (Kruzifix); 24. 9. 2003 – 2 BvR 1436/02, BVerfGE 108, 282 (301 f.) (Kopftuch für Lehrerin); aus der Literatur vgl. Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 11; Kokott in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 28; Mager in: von Münch / Kunig, GG, Art. 4 Rn. 18; Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 4 Rn. 23 ff. 395 Vgl. BVerfG 15. 12. 1983 – 1 BvR 209/83 u. a., BVerfGE 65, 1 (40 f.) (Volkszählung); 22. 1. 1997 – 2 BvR 1915/91, BVerfGE 95, 173 (182) (Warnhinweise für Tabakerzeugnisse); Herzog in: Maunz / Dürig, GG, Art. 5 Rn. 40; Jarass in: Jarass / Pie-
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Einzelnen, keine Ehe einzugehen, nicht in Art. 6 Abs. 1 GG, sondern nur in Art. 2 Abs. 1 GG als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit enthalten sein. 396 Art. 8 Abs. 1 GG soll das Recht enthalten, einer Versammlung fernzubleiben; 397 Art. 9 Abs. 1 GG garantiert nach Auffassung des BVerfG auch die Freiheit, privatrechtlichen Vereinigungen fernzubleiben (wohingegen der Schutz vor Inkorporation in öffentlich-rechtliche Zwangskörperschaften aus Art. 2 Abs. 1 GG herzuleiten sei, da Art. 9 Abs. 1 GG auch nicht das Recht gewähre, derartige Vereinigungen zu gründen). 398 Andererseits hat das BVerfG in seiner Elfes-Entscheidung aus Art. 11 GG, der die Möglichkeit gewährt, „an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen“ 399, nicht das Recht abgeleitet, nicht im Bundesgebiet Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, sondern das Bundesgebiet zu verlassen; das Recht zur Ausreise sei nur im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG verbürgt. 400 Ob das Recht, innerhalb des Bundesgebiets an einem einmal gewählten Aufenthaltsort zu verbleiben, als „negative Freizügigkeit“ ebenfalls geschützt ist, wird im Hinblick auf den Wortlaut des „freien Ziehens“ bezweifelt. Da dauerhaftes Verbleiben nun einmal „das absolute Gegenteil von der ‚freien Zügigkeit‘“ sei, sei eine Zuordnung zur allgemeinen Handlungsfreiheit stimmiger. 401 Gleichwohl sieht h. M. die negative Freizügigkeit als von Art. 11 GG umfasst an. 402 Auf der anderen Seite werden negative Freiheitsrechte auch ausdrücklich von der Verfassung benannt. Gemäß Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG darf niemand gegen roth, GG, Art. 5 Rn. 6 b; Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 5 Rn. 18; Wendt in: von Münch / Kunig, GG, Art. 5 Rn. 18, jeweils m. w. Nachw. 396 BVerfG 24. 3. 1981 – 1 BvR 1516/78 u. a., BVerfGE 56, 363 (384) (Sorgerecht bei nichtehelichem Kind). 397 BVerfG 14. 5. 1985 – 1 BvR 233, 341/81, BVerfGE 69, 315 (343) (Brokdorf). 398 Grundlegend BVerfG 29. 7. 1959 – 1 BvR 394/58, BVerfGE 10, 89 (102) (Erftverband). Die h. M. in der Literatur stimmt dem zu, siehe Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 7; Kannengießer in: Schmidt-Bleibtreu et al., GG, Art. 9 Rn. 7 f.; Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 19; Merten in: Merten / Papier, HGR II, § 42 Rn. 202 ff. A. A. etwa Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 58; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 790 ff.; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 90: Art. 9 Abs. 1 GG schützt auch vor öffentlich-rechtlichen Zwangszusammenschlüssen. 399 BVerfG 6. 6. 1989 – 1 BvR 921/85, BVerfGE 80, 137 (150) (Reiten im Walde) m. w. Nachw. 400 BVerfG 16. 1. 1957 – 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32 ff. Ebenso die h. L., siehe Durner in: Maunz / Dürig, GG, Art. 11 Rn. 102; Gusy in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 11 Rn. 41 ff.; Kunig in: von Münch / Kunig, GG, Art. 11 Rn. 15. A. A. aber Pagenkopf in: Sachs, GG, Art. 11 Rn. 18, 23; Pernice in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 15. 401 Pagenkopf in: Sachs, GG, Art. 11 Rn. 14. 402 OVG Münster 21. 12. 2007 – 11 A 1194/02, DVBl 2008, 452 (457); Durner in: Maunz / Dürig, GG, Art. 11 Rn. 91; Gusy in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 11 Rn. 31; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 176.
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sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden; das Recht, seine religiöse Überzeugung nicht offenbaren zu müssen sowie nicht zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an öffentlichen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen zu werden, gewährleistet Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3, 4 WRV; 403 Art. 12 Abs. 2 GG statuiert das grundsätzliche Verbot des Arbeitszwangs, Abs. 3 schützt vor Zwangsarbeit. E contrario drängt sich daher der Gedanke auf, dass bei den übrigen Freiheitsrechten ohne explizite Nennung einer negativen Seite von einer solchen auch nicht auszugehen ist. 404 Außerhalb des GG bestehen gesetzgeberische Bekenntnisse zur negativen Koalitionsfreiheit. Die negative Koalitionsfreiheit wird in einigen Landesverfassungen ausdrücklich als Schutzgut erwähnt. 405 Was die Rechtsanpassung für die neuen Bundesländer anbetrifft, so haben die damalige bundesrepublikanische Regierung und das Parlament hingegen – in Anlehnung an den bis dato durch das BVerfG anerkannten Inhalt des Art. 9 Abs. 3 GG – auch die negative Koalitionsfreiheit ausdrücklich bekräftigt. In einem zum Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit der DDR vom 18. 5. 1990 gehörenden gemeinsamen Protokoll findet sich die Formulierung: „Jedermann hat das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, bestehenden Vereinigungen beizutreten, aus solchen Vereinigungen auszutreten und ihnen fernzubleiben. Alle Abreden, die diese Rechte einschränken, sind unwirksam. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind in ihrer koalitionsmäßigen Betätigung geschützt.“ 406
Dieser Befund ist bemerkenswert. Er liefert aber keine Auslegungsmaxime für das GG selbst, welches insofern keiner Veränderung unterzogen wurde. 407 Der Vertrag steht in der Normenhierarchie als ein in das deutsche Recht transformierter völkerrechtlicher Vertrag auf der Stufe des einfachen Gesetzesrechts und somit unterhalb der Verfassung. Letzteres gilt ebenso für die Landesverfassungen.
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Da das BVerfG bereits in Art. 4 Abs. 1, 2 GG die negative Glaubensfreiheit vollständig erfasst sieht, können die Vorschriften der WRV aus seiner Sichtweise nur deklaratorische Bedeutung haben, siehe Kokott in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 28. 404 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 383; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 63. 405 Vgl. näher zu den Landesverfassungen von Bremen und Hessen Galperin, FS Bogs, S. 84 (94 f.); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 107 f.; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 122 ff. 406 BGBl. II 1990, S. 545. (Hervorhebung durch den Verfasser). 407 Vgl. Höfling / Burkiczak, RdA 2004, 263 (268); Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 3.
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ee) Spiegelbildargument Ein weiteres, wenn nicht gar das Hauptargument, auf welches sich die Vertreter der Auffassung, dass die negative Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet wird, stützen, ist das Spiegelbildargument. Auch das BAG hat sich seiner bedient. 408 Das Spiegelbildargument beruht auf der richtigen Grundannahme, dass die Gewährleistung einer Handlungsfreiheit nur dann vollständig ist, wenn ihr zugleich die Gewährleistung des Nicht-Handelns zur Seite steht. Daraus wird ein logischer Schluss von der positiven Freiheit auf die negative Freiheit abgeleitet. „Denn Freiheit zum positiven Tun ohne Freiheit zum negativen Tun bedeutet im Ergebnis Zwang zum Tun.“ 409 Die Freiheit, keiner Koalition anzugehören, stelle demnach die notwendige Kehrseite, das Korrelat zur positiven Freiheit dar. 410 Folglich müsse Art. 9 Abs. 3 GG auch eine negative Koalitionsfreiheit entnommen werden können. Derart zwingend, wie soeben dargestellt, ist der Schluss von der positiven auf die negative Seite der Koalitionsfreiheit jedoch nicht. Allein die zutreffende Feststellung, dass es sowohl eine positive als auch eine negative Freiheit gibt, bedeutet noch nicht, dass beide Freiheiten durch die Verfassung gleich geschützt werden müssten. 411 Die zunächst nur behauptete Spiegelbildlichkeit ist damit noch nicht nachgewiesen. Und der erforderliche Nachweis kann nur schwerlich erbracht werden. (1) „Spiegelbildlicher“ Inhalt der negativen Koalitionsfreiheit Will man die negative Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG ableiten, so gibt der Wortlaut über deren Inhalt und Begrenzung keinen deutlichen Fingerzeig. Die positive Koalitionsfreiheit soll der Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen dienen; die negative Freiheit kann diesem Zweck nicht dienlich sein. Nach der Spiegelbildlogik müsste sie das aber auch gar nicht – im Gegenteil: Enthält die positive Koalitionsfreiheit das Recht, Vereinigungen zu bilden bzw. solchen beizutreten, die dann den in Art. 9 Abs. 3 GG vorgesehenen Zweck erfüllen, so müsste dazu die spiegelbildliche Freiheit 408
BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (215). Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 42. 410 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 76; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 103; Gitter, JurA 1970, 148 (150); Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 33; Wagenitz, Tarifmacht, S. 43 f.; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 278; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 25. So zu Art. 159 WRV bereits Oertmann, Arbeitsvertragsrecht, S. 272. 411 Fechner, Rechtsgutachten, S. 32; Galperin, FS Bogs, S. 84 (95); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 227; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 80. 409
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konsequenterweise so ausgestaltet sein, dass der einzelne nicht koalitionswillige Arbeitnehmer einerseits nicht zum Beitritt gezwungen werden darf, andererseits aber auch nicht von der Betätigung der Koalitionen erfasst werden darf, die der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen. 412 Nimmt man das Spiegelbildargument als sachlogisch-zwingende Ableitung der negativen Freiheit aus der positiven ernst, kann der Schutz der negativen Seite also nicht beim bloßen Fernbleiberecht stehenbleiben. Das bedeutet, dass die Außenseiter insbesondere auch der Regelungszuständigkeit – und weitergehend: der Normsetzungsbefugnis – der Koalitionen nicht unterfallen dürften. 413 Gerade die normative Erstreckung tarifvertraglicher Regelungen auf Außenseiter, wie sie etwa in den §§ 3 Abs. 2, 5 TVG vorgesehen ist, muss vor diesem Hintergrund erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken aufkommen lassen. Wohl nicht zuletzt wegen dieser Unstimmigkeit nimmt das BVerfG und ein Teil des Schrifttums den Schutz vor fremder Normsetzung nicht in den durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Freiheitsgehalt mit auf. 414 Das Ergebnis kann überzeugen, aber es hat nichts mehr mit der Spiegelbildlogik zu tun. 415 (2) Unmittelbare Drittwirkung gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG Noch deutlicher wird die Untauglichkeit des Spiegelbildgedankens, wenn man Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG in den Blick nimmt. 416 Die Vorschrift dient vornehmlich dem Zweck, den Arbeitnehmer vor Tätigkeiten der Arbeitgeberseite zu schützen, die ihn dazu verleiten sollen, sich nicht gewerkschaftlich zu betätigen. 417 Sie soll Schutz vor Diskriminierungen wegen der Gewerkschaftszugehörigkeit gewähren. An einem derart diskriminierenden Verhalten hat der Arbeitgeber ein Interesse und aufgrund seiner strukturellen Überlegenheit in der konkreten Verhandlungssituation mit dem einzelnen Arbeitnehmer auch die Möglichkeit. Ein Schutzbedürfnis liegt daher in dieser Konstellation – anders als beim bloßen Fernbleiberecht – besonders nahe. 418 412 Hanau, FS Scholz, S. 1035 (1045); Höfling / Rixen, RdA 2007, 360 (362); Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 37; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 82 f.; Ritter, JZ 1969, 111 (113); Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 66; Wagenitz, Tarifmacht, S. 44 f.; Wiedemann, SAE 1969, 321 (326). 413 Vgl. Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 34. 414 BVerfG 14. 6. 1983 – 2 BvR 488/80, BVerfGE 64, 208 (213) (Bergarbeiter); 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, BVerfG 116, 202 (218 f.) (Tariftreueregelung). Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 36; Säcker, Grundprobleme, S. 36 f.; Schubert, RdA 2001, 199 ff. 415 Vgl. auch Greiner, Rechtsfragen, S. 121 f. 416 Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 90, spricht von „nahezu absurden Ergebnissen“, die eine konsequente Anwendung dieser Regelung auf die negative Koalitionsfreiheit zur Folge hätte. 417 Gamillscheg, Differenzierung, S. 66.
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Gerade die hier angeordnete Drittwirkung muss, wenn man dem Spiegelbildgedanken folgt, ebenfalls Anwendung finden, sobald eine Maßnahme oder Abrede das Fernbleiben (und darüber hinaus auch das Nicht-Unterworfensein tariflicher Regelungen) einschränkt oder zu behindern sucht. Genau diese Funktion wird der Drittwirkung bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von Differenzierungsklauseln regelmäßig auch zugeschrieben. 419 Bei konsequenter Anwendung der Drittwirkungsklausel würde die negative der positiven Koalitionsfreiheit dabei Grenzen ziehen, die bis zur gegenseitigen Aufhebung der beiden Freiheiten führen können. Dies ist näher zu erläutern: Soll die negative Koalitionsfreiheit wirklich das Spiegelbild der positiven sein, muss auch die Anwendung der Drittwirkungsanordnung in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG entsprechend vollzogen werden. 420 Jeder Austrittsdruck – und sei er noch so milde –, jede Honorierung der gewerkschaftlichen Abstinenz durch den Arbeitgeber ist ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG. Dann muss aber, spiegelbildlich, auch jeder Beitrittsdruck verfassungswidrig sein. 421 Der Arbeitnehmer wäre außerdem daran gehindert, zu versprechen, nicht von seiner negativen Koalitionsfreiheit Gebrauch zu machen. 422 Ferner ist es für die Rechtsfolgenanordnung der Unwirksamkeit des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG sogar ausreichend, dass eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit versucht wird. 423 Jede um Mitgliederwerbung bemühte Form der Differenzierungsklausel wäre damit unvereinbar mit der negativen Koalitionsfreiheit, da jede derartige Differenzierungsklausel den Zweck verfolgt, den gewerkschaftlichen Organisationsgrad zu erhöhen und damit den Außenseiter zum Verbandsbeitritt zu ver418 Eingehend zur Vergleichbarkeit der Schutzbedürfnisse Stein, GS Zachert, S. 645 (649 ff.). 419 Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu et al., GG, Art. 9 Rn. 29. Teilweise wird behauptet, Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG habe seine eigentliche Bedeutung im Schutz vor jedem mittelbaren oder unmittelbaren Koalitionszwang, vgl. Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 85. Dagegen mit Recht Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 385. 420 Gegen die Anwendbarkeit der Drittwirkungsklausel auch bei einer Verortung der negativen Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG wendet sich Stein, GS Zachert, S. 645 (648 ff.). Siehe auch Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 36; Gamillscheg, Differenzierung, S. 59. 421 So zutreffend Reuter in: MünchKomm, BGB, Vor § 21 Rn. 101. 422 Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 204. Für den Arbeitgeber hat das BAG – konsequenterweise – entschieden, dass dessen Verpflichtung in einem Firmentarifvertrag, die Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft in einem bestimmten Arbeitgeberverband zu garantieren, gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 i. V. m. S. 1 GG verstößt, vgl. BAG 10. 12. 2002 – 1 AZR 96/02, BAGE 104, 155 (171). Ebenso im Hinblick auf eine privatrechtliche Absprache BAG 19. 9. 2006 – 1 ABR 2/06, BAGE 119, 275 ff. Dagegen Stein, GS Zachert, S. 646 (651 ff.), der a. a. O., S. 653, auf die bemerkenswerte Konsequenz hinweist, dass nach dieser Rechtsprechung ein gewisser Beitrittsdruck zwar zulässig wäre, eine freiwillige Selbstbindung hingegen nicht. 423 Vgl. dazu ebenfalls Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 47 f.; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 38; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 44.
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anlassen. Gleiches müsste auch für sonstige Mitgliederwerbung gelten, deren grundsätzliche Zulässigkeit zu Recht aber niemand bestreitet. 424 Diese Folgerungen werden jedoch kaum gezogen. Nur wenige Autoren folgen dem Spiegelbildgedanken derart konsequent, dass jede Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit im Tarifvertrag eine unwirksame Abrede i. S. d. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG darstellt, da sie die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter behindert bzw. zu behindern sucht. 425 Regelmäßig findet sich dagegen die Aussage, Art. 9 Abs. 3 GG schütze die negative Seite der Koalitionsfreiheit nur vor entscheidungsrelevant fühlbarem Beitrittsdruck bzw. Beitrittszwang 426, ein bloßer Anreiz zum Beitritt reiche hingegen nicht aus. 427 Umgekehrt sollte in der Lesart des Großen Senats ein derart beschaffener Beitrittsdruck ein sozial inadäquates Verhalten darstellen und daher vom Schutz der Funktionsgarantie der Koalitionen nicht mehr gedeckt sein. 428 Damit wird die Argumentationsbasis der spiegelbildlichen Kehrseite freilich verlassen; eine Unterscheidung nach erheblichem und nicht erheblichem Druck zum Gewerkschaftsaustritt wird von niemandem vorgenommen, auf die Intensität des Drucks kommt es nicht an. Beide Fälle werden von Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG erfasst. Ausreichend ist sogar die bloße Benachteiligungsabsicht. Dogmatisch kommt es – worauf bereits hingewiesen wurde 429 – zu einer Separierung der Schutzbereiche von positiver und negativer Freiheit: Wird ein Zwang zum Beitritt ausgeübt, so ist der Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit eröffnet, es liegt ein Eingriff vor und dieser ist zugleich rechtswidrig (sofern man eine Abwägung wegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG richtiger Ansicht nach nicht zulässt). Wird lediglich ein Beitrittsanreiz gesetzt, wird der Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit nicht berührt; auch dann entfällt eine Abwägung mit der kollektiven Freiheit der Organisierten. Die Folge ist also, dass sich negative und 424 Zutreffend Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 172; Hölters, Harmonie, S. 161; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 157 f. 425 So z. B. Merten in: Merten / Papier, HGR II, § 42 Rn. 223; Reuter in: MünchKomm, BGB, Vor § 21 Rn. 101. 426 Der Begriff des „Beitrittszwangs“ ist nicht unproblematisch, weil er terminologisch der Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Körperschaften (z. B. im Bereich berufsständischer Selbstverwaltung, bei Wasserverbänden, etc.) nahe steht. Im Gegensatz zu diesen geht es bei der Frage des Beitrittszwangs durch Differenzierungsklauseln aber gerade nicht um eine rechtliche Verpflichtung zum Beitritt, die den Betroffenen qua Gesetz auferlegt wird. Koalitionen können Außenseiter nicht zum Beitritt verpflichten. Insoweit versagt deren Normsetzungsbefugnis, die durch das TVG auf die Verbandsmitglieder beschränkt ist. Der „Zwang“, den die Gewerkschaften ausüben können, wirkt nur mittelbar durch das Inaussichtstellen exklusiver Leistungen, er ist aber gerade kein Rechtszwang. 427 BVerfG 20. 7. 1971 – 1 BvR 13/69, BVerfGE 31, 297 (302); 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, NJW 2007, 51 (53). Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 65. 428 Vgl. BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (225). 429 Siehe Teil 2 D. II. 1. b) aa) (2).
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positive Koalitionsfreiheit bei dieser Betrachtungsweise gar nicht in die Quere kommen können. Der Schwerpunkt liegt auf der Frage, ob ein bestimmtes Koalitionsverhalten noch unerheblichen Druck (und damit unproblematischer Anreiz) oder schon erheblichen Druck bzw. Zwang darstellt, um den Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit für einschlägig zu erachten. Dabei ist auch zu bedenken, dass die Abkehr von der Kernbereichslehre 430 selbstverständlich auch am Gewährleistungsgehalt der negativen Koalitionsfreiheit nicht spurlos vorübergehen kann. Diesen von vornherein auf den Schutz vor Beitrittszwang zu reduzieren (und den Schutz vor darunter anzusiedelndem Beitrittsdruck damit auszuklammern), wird dem gängigen Grundrechtsverständnis, welches von grundsätzlich weiten Schutzbereichsbestimmungen ausgeht, nicht gerecht. Ein enges Verständnis hätte überdies zur Folge, dass mit dem Eingriff in den Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit zugleich dessen Rechtswidrigkeit feststehen würde. Diese Verquickung von Eingriff und direkt damit einhergehender Rechtswidrigkeit ist ansonsten von Art. 1 Abs. 1 GG bekannt. 431 Dort hat sie aufgrund des Höchstrangs der Menschenwürdegarantie in der Verfassung ihre Berechtigung. Den übrigen Grundrechten ist sie weitestgehend fremd. 432 Mit dem Spiegelbildgedanken wäre diese Reduzierung des Schutzumfangs deshalb auch vor dem Hintergrund der Abkehr von der Kernbereichslehre nicht vereinbar. Die von der h. M. vorgenommene Unterscheidung zwischen einem erlaubten (milden) Beitrittsdruck und einem verfassungswidrigen faktischen Beitrittszwang überspielt damit die eigentliche Konsequenz des Spiegelbildgedankens. Dies darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass die Differenzierung zwischen Zwang auf der einen Seite und mildem Druck auf der anderen Seite letzten Endes eine untaugliche Grenzziehung für die verfassungsmäßige Beurteilung von Differenzierungsklauseln liefern würde. Entscheidend ist an dieser Stelle nur, dass sie sich mit dem Spiegelbildgedanken nicht in Einklang bringen lässt, welcher für die „zwingend logische“ Ableitung der negativen Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG in Stellung gebracht wurde. Wenn allerdings schon das Ergebnis einer derartigen Ableitung einer Korrektur bedarf, so sollte man bereits die zwingende Logik der Ableitung selbst hinterfragen.
430
Siehe dazu Teil 2 B. I. Siehe dazu etwa Herdegen in: Maunz / Dürig, GG, Art. 1 Rn. 73; Kunig in: von Münch / Kunig, GG, Art. 1 Rn. 4; Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 1 Rn. 33. 432 Siehe aber zur ähnlich gelagerten Problematik der Vereinbarkeit von Differenzierungsklauseln mit der positiven Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten unten Teil 2 D. III. 2. c) cc). 431
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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(3) Zwischenergebnis Die Grenzziehung zwischen Beitrittszwang und Beitrittsanreiz als Kriterium für die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln mag letzten Endes sachgerecht sein. Aus Art. 9 Abs. 3 GG lässt es sich aber nur schwerlich herleiten. Es ist als Ergebnis einer am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Abwägung gegenseitiger Interessen verständlich; eine solche Abwägung ist aber unter dem Vorzeichen des Spiegelbildgedankens aufgrund der Normenstrukur des Art. 9 Abs. 3 GG dogmatisch nicht möglich. 433 Wenn man ferner häufiger die Aussage antrifft, dass positive und negative Freiheit nicht gleich bewertet werden müssten, 434 lässt dies erkennen, dass es sich bei dem aufgestellten Axiom der notwendigen, zwingenden Kehrseite letztlich doch nur um eine verschleierte normative Wertung handelt. 435 Die negative Koalitionsfreiheit wird bei Art. 9 Abs. 3 GG angesiedelt, weil sie dort angesiedelt sein soll, nicht weil es sich zwingend aus den Grundsätzen der Logik ergibt. Zur Frage der korrekten Verortung der negativen Koalitionsfreiheit kann der Spiegelbildgedanke letztlich nichts beitragen. „Durch die Metapher des Spiegels wurde der Betrachter nur geblendet.“ 436 ff) Freiwilligkeit des Koalitionszusammenschlusses Als Argument dafür, dass die negative Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG abzuleiten ist, wird des Weiteren regelmäßig geltend gemacht, dass nur freiwillige Zusammenschlüsse den Schutz der Koalitionsfreiheit genießen würden. 437 Ein Mitgliedszwang würde diese Freiwilligkeit jedoch entfallen lassen. Die Freiwilligkeit des Koalitionszusammenschlusses kann für die Herleitung der negativen Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG jedoch nicht fruchtbar gemacht werden. Die Freiwilligkeit ist Voraussetzung für die Koalitionseigenschaft und wurde dementsprechend oben im Rahmen der Regelungsbefugnis erörtert. 438 433
Siehe Teil 2 D. II. 1. b) aa) (2). Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 78, 80 ff.; Mayer-Maly in: Däubler / Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 20; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 278. Ebenso Gitter, JurA 1970, 148 (151), der das Kehrseitenargument ausdrücklich ablehnt. 435 So zu Recht Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 79 ff.; Mayer-Maly in: Däubler / Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 20; Mürau, Sonderleistungen, S. 168 f. Vgl. auch Hölters, Harmonie, S. 160, der darauf hinweist, dass die Wertung, dass der negativen Koalitionsfreiheit kein nahezu absoluter Schutz gebühre, gerade ein Indiz dafür sei, sie nur im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit zu gewährleisten. 436 Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 98. 437 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (213); Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 386; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 33; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 29. 438 Siehe Teil 2 B. IV. 2. 434
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Ist Freiwilligkeit nicht gegeben, so entfällt die Koalitionseigenschaft und mit ihr die Regelungsbefugnis der (nunmehr unfreiwilligen) Vereinigung, die sich nun nicht mehr auf die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Tarifautonomie berufen kann. Daraus muss für die Außenseiter jedoch nicht zwingend eine subjektive Rechtsposition resultieren, nach der sie die Freiwilligkeit des Zusammenschlusses fordern können. 439 Schon Nipperdey hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Freiwilligkeit ein Wesenszug der Koalitionsbildung ist, sich dogmatisch aus jener aber nicht zwingend subjektive Rechte Dritter ableiten lassen. Ansonsten würde eine Voraussetzung der Schutzbereichseröffnung von Art. 9 Abs. 3 GG zu einem selbständigen Grundrecht erwachsen. 440 Der Gedanke gilt freilich nicht nur, soweit es um die Koalitionsgründung, sondern auch soweit es um spätere Maßnahmen geht, die die Koalitionseigenschaft entfallen lassen können. Auch der spätere Beitritt von Mitgliedern fällt unter den Begriff der Koalitionsbildung. Man wird Nipperdey nicht unterstellen können, dass er nach dem Zeitpunkt der Koalitionsgründung auf das Kriterium der Freiwilligkeit verzichten will. 441 Es gilt insoweit die viel zitierte Aussage Sinzheimers, der bereits im Hinblick auf die dem Art. 9 Abs. 3 GG entsprechende Vorschrift der WRV festgestellt hat: „Art. 159 heiligt nicht den Koalitionszwang. Er betrifft ihn nur nicht.“ 442
Der Schutz vor Beitrittszwang ist demnach reflexhaft auch in Art. 9 Abs. 3 GG enthalten, als dieser Zwangsverbänden keinen Grundrechtsschutz bietet. 443 Eine subjektive Rechtsposition der Außenseiter kann daraus aber nicht abgeleitet werden. gg) Koalitionspluralismus und Koalitions(un)willigkeit Des Weiteren wird auch der Koalitionspluralismus als Argument für den Schutz der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG angeführt. 444 Art. 9 Abs. 3 GG gewährleiste es dem generell koalitionswilligen Grundrechts439 Unrichtig Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 79 f.; Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 35. 440 Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 158 f. Ebenso Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 48; Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 171; Galperin, FS Bogs, S. 84 (95); Heiseke, RdA 1960, 299 (300); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 228 f.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 100 ff.; Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 167; Weller, ArbuR 1970, 161 (165). 441 So aber Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 79 f., der damit am Kern des Arguments vorbeigeht. 442 Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 82. 443 Heiseke, RdA 1960, 299 (300); Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, Grundlagen Rn. 167; Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 171. 444 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (213 f.). Siehe auch Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 80; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 25.
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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träger, zwischen verschiedenen Koalitionen zu wählen und einer beliebigen Koalition beizutreten, sie wieder zu verlassen, in eine andere Koalition überzutreten, selbst eine neue Koalition zu gründen oder in anderen vorhandenen Koalitionen zu verbleiben. Könnten Koalitionen solche Personen zwangsweise inkorporieren, sei der ebenfalls von Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Koalitionspluralismus nicht gesichert. Die aufgezählten Tätigkeiten, die das BAG zu den um des Koalitionspluralismus willen geschützten Handlungen zählt, sind nicht ausschließlich Ausdruck der negativen Koalitionsfreiheit: Wer eine neue Koalition gründet oder einer anderen Koalition beitritt, macht von seiner positiven Koalitionsfreiheit Gebrauch. Wenn das Gericht feststellt, dass die Freiheit des Fernbleibens „begrifflich“ die Voraussetzung für die Ausübung positiver Freiheit darstelle, so stellt dies die Dinge auf den Kopf: Koalitionspluralismus ist ausgeübte positive Koalitionsfreiheit. 445 Ein möglicherweise vorher erforderlicher Austritt aus einer anderen Koalition tritt dahinter zurück. 446 Folgt dem Koalitionsaustritt keine anderweitige positive Ausübung der Koalitionsfreiheit, hat das mit Koalitionspluralismus nichts mehr zu tun. Als Argument in der Differenzierungsklausel-Problematik ist der Aspekt des Koalitionspluralismus deshalb erst im Rahmen der Grenzen zu erörtern, welche der Tarifautonomie durch die positive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten gezogen werden. 447 Wenig zielführend ist auch der in diesem Zusammenhang angesprochene Vorschlag, den Austritt des generell Koalitionswilligen, der lediglich keine andere Gewerkschaft findet, unter den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG zu stellen, den Schutz des nicht weiter Koalitionswilligen hingegen unter Art. 2 Abs. 1 GG. 448 Der Große Senat stellt dazu fest, dass sich eine Unterscheidung zwischen dem an sich Koalitionswilligen, der aber keine ihm zusagende Koalition gefunden hat, und dem generell Koalitionsunwilligen nicht ohne eine „erhebliche Gefährung des Persönlichkeitswertes des Menschen“ 449 durchführen lasse. Außerdem führe diese Unterscheidung zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit. 445 Ebenso Botterweck, Gewerkschaftspluralismus im Betrieb, S. 40; Koop, Tarifvertragssystem, S. 207 f.; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 47; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 106. Gegen die Verquickung von negativer Koalitionsfreiheit und Koalitionspluralismus auch Mayer-Maly, ZAS 1969, 81 (84); ders. in: Däubler / Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 5 (19). 446 Ähnlich Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 49 f.; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 46 f. 447 Siehe dazu Teil 2 D. III. 448 So Säcker, Grundprobleme, S. 36. 449 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (215). Gerade nicht angesprochen ist damit – entgegen Schüren, RdA 1988, 138 (145 f.) – die Unterscheidung zwischen dem Koalitionswilligen, der auf der Suche nach einer ihm „passenden“ Gewerkschaft erfolglos bleibt, und demjenigen, der einer faktischen Monopolgewerkschaft aus politischen oder ideellen Gründen fernbleibt.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Letzteres ist sicherlich richtig. 450 Ob der – nicht ohne ein gewisses Maß an Pathos vorgetragene – Gedanke der erheblichen Gefährdung des Persönlichkeitswerts des Menschen zutreffend ist, mag dahinstehen. 451 Zumindest folgt aus ihm nicht zwingend die Verortung der negativen Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG, wie das BAG annimmt, sondern lediglich die Unbrauchbarkeit des Abgrenzungskriteriums der „Koalitions(un)willigkeit“. Auch für die Bestimmung des Schutzumfangs der positiven Koalitionsfreiheit wird zu Recht nicht auf die persönlichen Motive des Betroffenen zum Koalitionsbeitritt oder zur Betätigung in der Koalition abgestellt. 452 Das geschieht jedoch nicht, um einer Gefährdung des „Persönlichkeitswertes des Menschen“ entgegenzutreten, sondern weil das GG schlicht nicht danach fragt. c) Ergebnis Schon das Ergebnis der Wortlautauslegung kann bei Anwendung des klassischen Auslegungskanons die h. M. zu Fall bringen: Was im Wortlaut nicht zumindest angedeutet ist, kann nicht mehr mittels Auslegung, sondern nur durch Analogie oder richterliche Rechtsfortbildung erfasst werden. 453 Eine Analogie würde allerdings zunächst verlangen, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Planwidrigkeit ist gegeben, wenn der Gesetzgeber einen Aspekt unabsichtlich nicht geregelt hat. 454 Demnach muss mit Blick auf die Debatten im Parlamentarischen Rat, der das Problem des Koalitionszwangs ausgiebig diskutiert hat, allerdings die Planwidrigkeit verneint werden; eine Analogie hilft also vorliegend nicht weiter. Das dürfte auch erklären, weshalb über die Wortlautgrenze in der Diskussion häufig stillschweigend hinweg gegangen wird: Eine Auslegung, die sich letztlich nur noch am mutmaßlichen Telos der Norm orientiert, ist eher geeignet, Argumente für die herrschende Auffassung aufzuzeigen, als eine Analogie. Neben dem Wortlaut weisen auch die historische wie die systematische Auslegung dahin, die negative Koalitionsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG anzusiedeln. Der dagegen ins Feld geführte Spiegelbildgedanke erweist sich bei näherer Betrachtung nicht als „zwingend logisch“, sondern als normative Wertung, der 450
Ebenso Hölters, Harmonie, S. 161 f. Fn. 31; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 47; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 106; Richardi, ZfA 1970, 85 (90). 451 Sehr kritisch dazu Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 360: „welch ein Verschleiß höchster Werte für DM 60 pro Jahr!“ 452 Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 106. 453 Vgl. BVerfG 23. 10. 1985 – 1 BvR 1053/82, BVerfGE 71, 108 (115) (Anti-Atomplakette); Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 143; Larenz / Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, S. 102 f. 454 Vgl. nur Sprau in: Palandt, BGB, Einleitung Rn. 55.
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es allerdings an dogmatischer Erdung mangelt. Auch aus dem Kriterium der Freiwilligkeit des Koalitionszusammenschlusses lässt sich kein überzeugendes Argument für einen Schutz der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG ableiten. Gleiches gilt für für den Aspekt des Koalitionspluralismus. Gamillscheg beklagt, dass die h. M. nunmehr wohl endgültig die negative Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG ansiedelt, weil „sich niemand mehr die Mühe [macht], die Gründe zu prüfen, die dagegen sprechen“ 455. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass sich die h. M. zum Großteil nur noch auf die gefestigte Rechtsprechung und vielleicht noch das Spiegelbildargument beruft, um ihre Auffassung zu untermauern. Je eingehender die Untersuchung der negativen Koalitionsfreiheit ausfällt, desto unausweichlicher scheint hingegen die Erkenntnis zu sein, dass diese nur in Art. 2 Abs. 1 GG ihren richtigen Platz findet. 456 Dass dem so ist, sollte der h. M. zumindest zu denken geben. Die negative Koalitionsfreiheit wird somit durch Art. 2 Abs. 1 GG als Teilaspekt der allgemeinen Handlungsfreiheit gewährleistet. Eingriffe müssen sich insoweit nur am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen lassen; es kommt folglich nicht zur Anwendung der Drittwirkungsklausel des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG, nach der bereits ein Eingriff oder eine nur gewollte Beeinträchtigung die unbedingte Nichtigkeitsanordnung nach sich zieht. 2. Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit Die negative Koalitionsfreiheit gewährleistet das Recht, keine Vereinigung zu gründen, einer bestehenden Vereinigung fern zu bleiben sowie nach erfolgtem Beitritt wieder auszutreten. Im hier interessierenden Zusammenhang ist die zweite Variante von zentraler Bedeutung. Ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit liegt insofern daher vor, wenn Druck auf den Außenseiter zum Koalitionsbeitritt ausgeübt wird. Ein bloßer Anreiz zum Beitritt soll hingegen den Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit nicht berühren. 457 Entscheidend ist damit, was man unter Beitrittsdruck zu verstehen hat.
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Gamillscheg, NZA 2005, 146 (147). Vgl. insbesondere die ausführlichen Untersuchungen von Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 36 ff.; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 146 ff.; Gamillscheg, Differenzierung, S. 53 ff.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 57 ff.; Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 285 ff. Vgl. neuerdings jedoch Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 62 ff. 457 BVerfG 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, BVerfG 116, 202 (218) (Tariftreueregelung). Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 45 a. 456
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
a) Bestimmung des Eingriffs – Entwicklung aa) Druckbestimmung des Großen Senats (Sozialadäquanz) Das BAG hat in seinem Differenzierungsklausel-Beschluss von einer quantitativen Bestimmung des Beitrittsdrucks abgesehen und allein auf die – eigentlich im Arbeitskampfrecht beheimatete – Sozialadäquanz abgestellt. Nicht jeder Druck stelle einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit dar, einen legitimen und sozialadäquaten Druck müsse der Außenseiter hinnehmen. Einen sozialinadäquaten Druck müsse hingegen niemand hinnehmen, auch wenn dieser Druck verhältnismäßig gering sein sollte. 458 Ein solcher inadäquater Druck gehe von Differenzierungsklauseln aber aus, da es das Gerechtigkeitsempfinden gröblich verletze, wenn bei Sonderleistungen nach der Gewerkschaftszugehörigkeit differenziert werde. 459 Eine derartige Differenzierung sei für den Außenseiter intransparent; „nach den für das Arbeitsleben allgemein geltenden Redlichkeitsmaßstäben“ müssten Beiträge oder Ausgleichsbelastungen – und um solche handele es sich bei Differenzierungsklauseln – auch als solche bezeichnet werden. Dies sei bei der fraglichen Klausel aber gerade nicht geschehen. Eine Ungleichbehandlung beim Urlaubsgeld sei vielmehr berechnungsmäßig undurchsichtig, wirke sachfremd und drückend. Dies verletze das Gerechtigkeitsempfinden nachhaltig. 460 bb) Kritik am Kriterium der Sozialadäquanz Die Argumentation des Großen Senats ist auf scharfen Widerspruch in der Literatur gestoßen. So wurde zu Recht angemahnt, dass das Abstellen auf die „Sozialadäquanz“ zu unbestimmt sei, um ihm konkrete Rechtsfolgen entnehmen zu können. 461 Auch wurde auf den logischen Zirkelschluss hingewiesen, der 458 Es sei nochmals daran erinnert, dass das BAG eine klare Trennung der Ebenen von Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung nicht vornimmt, da es vor dem Hintergrund der Kernbereichslehre und der Einordnung der negativen Koalitionsfreiheit bei Art. 9 Abs. 3 GG von einander nicht überschneidenden Schutzbereichen ausgeht. Gleiches gilt für eine Vielzahl von Autoren, die ebenfalls ohne nähere Eingriffsbestimmung gleich bei der Grundrechtsverletzung ansetzen. In diesen Fällen ist es nur möglich, von der angenommenen Grundrechtsverletzung zumindest auf den logisch vorgelagerten Eingriff zurück zu schließen. 459 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (228). 460 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (221). 461 Vgl. Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 105 f.; Däubler, BB 2002, 1643 (1647); Franzen, RdA 2006, 1 (4); Hölters, Harmonie, S. 162: Leerformel ohne materiellen Erkenntniswert; Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 154 ff.; Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 68; Wiedemann, SAE 1969, 265 (267); Zachert, DB 1995, 322 (323 f.). Zur Entwicklung des Begriffs siehe Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 125 ff.
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darin bestehe, die Rechtswidrigkeit von der Verletzung eines Rechtsgefühls abhängig zu machen; dieses könne freilich nur verletzt sein, wenn das Geschehen selbst rechtswidrig sei. 462 Das Gerechtigkeitsempfinden sei als stets subjektive Größe kein rechtlich relevanter Prüfungsmaßstab und komme daher als Rechtsquelle nicht in Betracht. 463 Aber auch, wenn man diesen Aspekt ausblendete, war es nicht erklärbar, weshalb das Gerechtigkeitsgefühl der Organisierten bei der Betrachtung außen vor bleiben solle, oder weshalb das Gerechtigkeitsgefühl der Außenseiter bei einer untertariflichen Entlohnung bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB durch den Arbeitgeber, der nicht an eine Differenzierungsklausel gebunden ist, nicht verletzt sein sollte. 464 Der Verdacht lag nahe, dass das Gericht letztlich – ergebnisorientiert – der kaum positiv beantwortbaren Frage aus dem Weg wollte, ob eine Sonderleistung, die der Höhe nach den Gewerkschaftsbeitrag nicht erreichte, überhaupt einen wirtschaftlichen Beitrittsdruck entfalten könne. 465 cc) Erheblichkeitskriterium des BVerfG Auch das BVerfG hat sich in seinen Stellungnahmen zur negativen Koalitionsfreiheit nicht auf die Sozialadäquanz als entscheidungserhebliches Kriterium berufen, sondern regelmäßig eine gewisse Erheblichkeit bzw. Fühlbarkeit des Drucks gefordert. 466 Eine klar erkennbare Trennlinie zwischen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit und dessen Rechtfertigung zieht es allerdings nicht. Ob jede Art Druck bereits zur Eröffnung des Schutzbereichs führt oder nur ein erheblicher Druck, bleibt insoweit offen. Eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit hat das BVerfG in seiner Rechtsprechung bisher, soweit ersichtlich, allerdings auch noch in keinem Fall bejaht; es konnte zumindest die Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit stets mit dem Hinweis verneinen, dass kein erheblicher oder fühlbarer Druck vorlag. 462 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 360; ders., NZA 2005, 146 (147); Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 43 f.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 130 ff. 463 Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 132; Radke, ArbuR 1971, 4 (13 f.); Ritter, JZ 1969, 111 (112); Säcker, Grundprobleme, S. 126 f. Fn. 315. 464 Siehe dazu Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 360; Georgi, Zulässigkeit, S. 27; Kittner/Schiek in: Denninger et al., AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 110; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 135; Reuß, ArbuR 1970, 33 (34); Ritter, JZ 1969, 111 (112); Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 67; Zachert, DB 1995, 322 (324). 465 Vgl. Franzen, RdA 2006, 1 (4); Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 155; Weller, ArbuR 1970, 161 (166). 466 Siehe bereits BVerfG 19. 10. 1966 – 1 BvL 24/65, BVerfGE 20, 312 (321 f.) (Tariffähigkeit von Handwerksinnungen); im Folgenden BVerfG 20. 7. 1971 – 1 BvR 13/69, BVerfGE 31, 297 (302); 15. 7. 1980 – 1 BvR 24/74 u. a., BVerfGE 55, 7 (22) (Allgemeinverbindlicherklärung II); 18. 7. 2000 – 1 BvR 948/00, NZA 2000, 948 (949); 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, BVerfGE 116, 202 (218) (Tariftreueregelung).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
dd) De-facto-Abkehr vom Kriterium der Sozialadäquanz In seiner aktuellen Entscheidung zur Zulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln kommt nunmehr auch das BAG zu der Auffassung, dass die Berücksichtigung eines quantitativen Moments bei der Abwägung nicht nur zulässig, sondern sogar geboten sei. Insofern hätten sich die gesellschaftlichen Anschauungen, die notgedrungen dem Wandel der Zeit unterliegen würden, seit 1967 geändert. Der deutliche Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrads bei gleichzeitiger zunehmender sozialpolitischer Bedeutung der Gewerkschaften und die zunehmende Gewerkschaftskonkurrenz müssten – vor dem Hintergrund des im Bereich des Gemeinwohls angesiedelten Ziels, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu erhalten – für die Beurteilung der Sozialadäquanz nunmehr berücksichtigt werden. 467 Mit diesen Erwägungen erspart sich der Vierte Senat die Wiedervorlage an den Großen Senat, die bei einer deutlichen Ablehnung des Kriteriums der Sozialadäquanz wohl nicht vermeidbar gewesen wäre. De facto handelt es sich bei den Überlegungen des Gerichts freilich um eine Ablösung der Argumentation von 1967 zugunsten einer – von dieser gerade nicht vorgesehenen – Verhältnismäßigkeitsprüfung. ee) Höhe des durchschnittlichen Gewerkschaftsbeitrags als Kriterium Auch wenn das Kriterium der Sozialadäquanz 468 damit in tatsächlicher Hinsicht aufgegeben wurde, verbleibt eine erhebliche Anzahl von Stimmen, nach denen eine am Gewerkschaftsbeitrag orientierte Bestimmung der Eingriffsschwelle nicht in Frage kommt. 469 Dies wird einerseits damit begründet, dass eine derartige „Pfennigrechnung“ 470 nicht zielführend sein könne. Schließlich gewährten die Gewerkschaften auch noch andere Leistungen für ihre Mitglieder, wie Rechtsschutz oder Streikunterstützung, die bei einem derartigen auf dem Ausgleichsgedanken beruhenden Ansatz nicht mit berücksichtigt werden dürften. 467
BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1041). Ebenso bereits LAG Düsseldorf 29. 1. 1975 – 8 Sa 482/73, LAGE Nr. 2 zu Art. 9 GG; LAG Hamm 11. 1. 1994 – 11 Sa 979/93, LAGE Nr. 4 zu § 4 TVG. 468 Gamillscheg, NZA 2005, 146 (147), bezeichnet es lediglich als „Schlagwort“: „es ‚Begriff‘ zu nennen, wäre übertrieben“. 469 Bauer / Arnold, NZA 2005, 1209 (1211); dies., NZA 2009, 1169 (1173); Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 108 f.; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 44 f.; Jacobs, FS Bauer, S. 479 (490 ff.); Rieble/Klumpp in: Richardi et al., MünchArbR II, § 169 Rn. 45; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 289. 470 Der wohl von Mayer-Maly, BB 1966, 1067 (1070), geprägte Begriff wird oft aufgegriffen, vgl. Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 141; Jacobs, FS Bauer, S. 479 (491); Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 289; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 27.
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Andererseits liege unabhängig von der Höhe der Differenzierung in jeder Benachteiligung eine rechtswidrige Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit. 471 Der letztgenannte Punkt kann nicht überzeugen. Es wäre nämlich gerade nachzuweisen, dass jeder gewerkschaftsexklusive Bonus die Entscheidungsfreiheit hinsichtlich des Beitritts tatsächlich beeinträchtigen kann. Der Außenseiter erleidet ökonomisch schließlich nicht immer einen Nachteil, zumindest dann nicht, wenn der ihm versperrte Bonus weit hinter dem Gewerkschaftsbeitrag zurück bleibt. Ein Beitrittsdruck kann – ökonomisch betrachtet – erst dann entstehen, wenn der Beitritt lukrativer ist (oder erscheint) als das Fernbleiben. 472 Wird beispielsweise ein exklusives Urlaubsgeld von 100 Euro im Jahr durch eine Spannenklausel abgesichert und beläuft sich der Gesamtjahresbetrag eines organisierten Arbeitnehmers durchschnittlich auf 360 Euro 473, so wird kein wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch sich allein deshalb (auch vor dem Hintergrund sonstiger Vergünstigungen, die den Mitgliedern von der Gewerkschaft selbst gewährt werden) genötigt fühlen, einer Gewerkschaft beizutreten, wenn der Arbeitgeber ihm die Sonderleistung verweigert. Gewichtiger ist der Einwand, dass eine exakte Herausarbeitung des konkreten Vorteils entsprechend dem Ausgleichsgedanken nicht möglich sei. In der Tat würde eine derartige Rechnung nicht unerhebliche Probleme bereiten. Nun ist es freilich so, dass die sonstigen Leistungen der Gewerkschaften regelmäßig eine recht untergeordnete Bedeutung haben; 474 die gewerkschaftliche Prozessvertretung übt nach Ansicht des BVerfG keine fühlbare Beitrittsmotivation aus. 475 Auch die Streikunterstützung ist angesichts der in Deutschland recht geringen Streikwahrscheinlichkeit kaum geeignet, Beitrittsanreize zu setzen. 476 Es sprechen deshalb gute Gründe dafür, diese für die Beitrittsentscheidung offenbar kaum relevanten Aspekte bei der Eingriffsbestimmung außen vor zu lassen. 477 471 So – vor dem Hintergrund des Art. 9 Abs. 3 GG als Standort der negativen Koalitionsfreiheit – Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 108. 472 Vorsicht ist geboten vor einer Argumentation, die insbesondere auf die ideelle Seite des Koalitionsbeitritts bzw. des Fernbleibens abstellt, vgl. etwa Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 27 f. Dazu bemerkt Gamillscheg, Differenzierung, S. 64, treffend: „Wenn die Überzeugung echt ist, wird der Verzicht nicht schwerfallen.“ Insofern kommt es dem Außenseiter zugute, wenn man den ideellen Aspekt ausblendet. 473 Bei einem angenommenen Einkommen von 3 000 Euro brutto monatlich und einem Gewerkschaftsbeitrag von 1 % des Einkommens. 474 Ebenso Gamillscheg, BB 1967, 45 (48); Jacobs, FS Bauer, S. 479; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 15; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 179 f.; Wendeling-Schröder, FS Richardi, S. 801 (806). 475 BVerfG 20. 7. 1971 – 1 BvR 13/69, BVerfGE 31, 297 (302). Zustimmend Mes, SAE 1972, 115; Steinberg, ArbuR 1975, 99 (103). 476 Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 180. A. A. Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 141.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Aus diesen Überlegungen folgt daher: Ein rechtlich relevanter, den Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit tangierender Druck kann erst angenommen werden, wenn die vorgenommene Differenzierung die Höhe des durchschnittlichen Gewerkschaftsbeitrags überschreitet. 478 Damit bietet sich ein für die Eingriffsbestimmung leicht handhabbarer Maßstab, eine „Pfennigrechnerei“ wird vermieden. Bewegt sich die Differenzierung unter dieser Grenze, liegt maximal ein vom Schutzbereich nicht erfasster Beitrittsanreiz vor. Eine Rechtfertigung ist daher erst erforderlich, wenn die Differenzierung der Höhe nach den durchschnittlichen Gewerkschaftsbeitrag übersteigt. Kurz gesagt: Über den Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit bestimmt die Qualität der Klausel als zur Druckausübung überhaupt geeignete Klausel; über die Rechtfertigung des Eingriffs bestimmt die Quantität des von der Klausel ausgehenden Drucks. ff) Pekuniär nicht bezifferbare Boni Die bisherigen Überlegungen können freilich nur für derartige Exklusivleistungen gelten, die pekuniäre Vorteile gewähren oder leicht in solche umgerechnet werden können. In erster Linie ist dabei an Sonderzahlungen oder mitgliedsorientierte Fortbildungen zu denken. Schwieriger gestaltet sich die Beurteilung etwa bei zusätzlich gewährten Urlaubstagen oder besonderem Kündigungsschutz. In diesen Fällen ist es kaum möglich, den geldwerten Vorteil zu benennen, der jenen Leistungen innewohnt, und ihn dem Gewerkschaftsbeitrag gegenüber zu stellen. Je nach individueller Situation und Präferenz des einzelnen Arbeitnehmers dürfte die Wertigkeit solcher Boni unterschiedlich hoch bzw. niedrig angesetzt werden. Um dem gerecht zu werden, kann bei derartigen Klauseln das Ausmaß der Differenzierung nicht zum Kriterium der Eingriffsbestimmung gemacht werden. Von derartigen pekuniär kaum greifbaren Sonderleistungen kann daher grundsätzlich ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit ausgehen, sofern nicht andere, in der Struktur der Klausel liegende Gründe dagegen sprechen. 479 Deutlich erkennbar ist der Beitrittsdruck hingegen, der von Absperrklauseln, die den Arbeitsvertragsschluss ohne Gewerkschaftszugehörigkeit verhindern wollen, ausgeht. Gerade vor dem Hintergrund der angespannten Arbeitsmarktsitua477 Gegen das Ausblenden sonstiger Vorteile bei der Bestimmung des Beitrittsdrucks Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 141; Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (205), die dann aber umgekehrt den Wert von Streikunterstützung und gewerkschaftlichem Rechtsschutz pauschal an der Höhe des Gewerkschaftsbeitrags festmachen will, a. a. O., S. 207. Das kann nicht überzeugen. 478 Siehe Biedenkopf, Gutachten, S. 97 (126 f.); Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 156; Däubler, BB 2002, 1643 (1646 ff.); Gamillscheg, Differenzierung, S. 63; Georgi, Zulässigkeit, S. 37; Gitter, JurA 1970, 148 (151); Hölters, Harmonie, S. 163; Kempen, FA 2005, 14 (16); Leydecker, ArbuR 2006, 11 (15); Reuß, AcP 166 (1966), 518 (522); Säcker, Grundprobleme, S. 126 f. Fn. 315. Vgl. auch Weller, ArbuR 1970, 161 (166). 479 Siehe dazu sogleich Teil 2 D. II. 2. b).
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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tion steht und fällt die Möglichkeit, den begehrten Arbeitsplatz zu erlangen, mit der Gewerkschaftszugehörigkeit. Solche Klauseln stellen mehr als einen Beitrittsanreiz dar und greifen ohne Zweifel in die negative Koalitionsfreiheit ein. gg) Zwischenergebnis Bei pekuniär bezifferbaren Boni für Gewerkschaftsmitglieder kann ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit erst vorliegen, sobald den Mitgliedern (nach Abzug des Gewerkschaftsbeitrags) wertmäßig mehr zugestanden wird als den Außenseitern. Bei sonstigen Vergünstigungen, wie etwa besonderem Kündigungsschutz, kann ein Eingriff nicht verneint werden, indem auf das Ausmaß der Differenzierung abgestellt wird. b) Einzelne Klauselarten Vor dem Hintergrund der soeben aufgestellten allgemeinen Regeln zur Eingriffsbestimmung ist im Folgenden auf die einzelnen Klauselarten näher einzugehen. aa) Einfache Differenzierungsklauseln Einfache Differenzierungsklauseln erheben nur die Gewerkschaftszugehörigkeit zum anspruchsbegründenden Merkmal und verhindern ein individualvertragliches Gleichziehen der Außenseiter mit den Organisierten nicht. Der Außenseiter kann also der Koalition fernbleiben, ohne deshalb zwangsläufig schlechtere Arbeitsbedingungen befürchten zu müssen. Einfache Differenzierungsklauseln haben somit letztlich keine weitergehenden Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis des Außenseiters als diejenigen, die gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG ohnehin gelten; der Außenseiter kann (und muss) die mitgliederäquivalenten Arbeitsbedingungen mit dem Arbeitgeber selbst aushandeln. Wer der Gewerkschaft fernbleibt, kann aber nicht geltend machen, er werde in seinen Rechten beschränkt, weil ihm nun das Aushandeln der Arbeitsbedingungen schwerer falle. Diese Erschwernis ist nur die logische Folge seiner ausgeübten negativen Koalitionsfreiheit und keine Beeinträchtigung derselben. 480 Damit fehlt es bei einfachen Differenzierungsklauseln bereits an einem Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit. Diese Betrachtungsweise dürfte mittlerweile herrschend sein, und zwar unabhängig von der grundsätzlichen Frage nach der Einordnung der negativen Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG. 481 Eine 480
Siehe auch Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (209); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 173; Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 (1974). Vgl. auch Dorndorf, ArbuR 1988, 1 (16).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Abwägung mit der kollektiven Koalitionsfreiheit der tarifschließenden Verbände ist daher nicht erforderlich. Da einfache Differenzierungsklauseln schon von ihrer Struktur her keinen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit darstellen können, ist auch ihre inhaltliche Ausgestaltung (etwa die Höhe eines zusätzlich gewährten Urlaubsgeldes, verbesserter Kündigungsschutz, etc.) für die Frage der Rechtmäßigkeit insofern ohne Belang. 482 Ebenso ohne Belang ist, ob die Differenzierung im Rahmen von Sonderleistungen, die außerhalb des Austauschverhältnisses liegen, stattfindet, oder ob sie innerhalb des Austauschverhältnisses, etwa als höhere Grundvergütung, zum Tragen kommt. 483 bb) Tarifausschlussklauseln Allgemeine Tarifausschlussklauseln greifen in die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter ein. 484 Will sich der Arbeitgeber nicht tarifvertragswidrig verhalten und sein Versprechen gegenüber der Arbeitnehmerseite, Außenseitern bestimmte Leistungen nicht zu gewähren, brechen, hat der Außenseiter faktisch keine Möglichkeit, mittels eigenen Verhandlungsgeschicks zu den Organisierten aufzuschließen bzw. diese zu übertreffen. Davon geht ein Druck zum Beitritt zu der entsprechenden Koalition aus. Die negative Koalitionsfreiheit schützt auch vor derart faktischen Auswirkungen. cc) Spannenklauseln Im Hinblick auf auf eine normativ wirkende Spannenklausel wird ganz überwiegend davon ausgegangen, dass von ihr ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit ausgeht. 485 Weder dem einzelnen Arbeitnehmer noch dem Arbeitgeber wird jedoch rechtlich ein Vertragsabschluss zu bestimmten Bedingungen be481 Vgl. BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1033 f.). Bauer / Arnold, NZA 2009, 1169 (1171); Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 111; Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 34; Deinert, Anm. zu LAGE Nr. 15 a zu Art. 9 GG, S. 9 (15); Franzen, RdA 2006, 1 (6); Jacobs, FS Bauer, S. 479 (488 f.); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 156 f.; Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 (1974). Differenzierend Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 143 ff. 482 Jacobs, FS Bauer, S. 479 (489); Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (209). 483 A. A. BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1037). Grundsätzlich zustimmend Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 143; Greiner / Suhre, NJW 2010, 131 (133 f.). Dagegen zu Recht Berg et al., KK, § 3 TVG Rn. 238; Jacobs, FS Bauer, S. 479 (489 f.); Leydecker, ArbuR 2009, 338 (340). 484 Ganz h. M., vgl. etwa Bauer / Arnold, NZA 2005, 1209 (1211); Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 149; Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 64 f.; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 112 f.; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 38 f.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 176 ff.
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schnitten. Was die exklusiv gestellte Sonderleistung angeht, wird der Arbeitgeber zwar darauf bedacht sein, nicht den Mechanismus der Spannenklausel auszulösen. Die Spannenklausel entfaltet ihre Wirkung allerdings erst dann, wenn der Arbeitgeber die fragliche Sonderleistung kollektiv, durch Gesamtzusage, Einheitsarbeitsbedingungen oder betriebliche Übung auch den Außenseitern als solchen gewährt. Handelt ein einzelner Arbeitnehmer einen entsprechenden Bonus aus, so löst dies den Mechanismus der Spannenklausel nicht aus. 486 Für den Abschluss des einzelnen, konkreten Arbeitsverhältnisses ist die Spannenklausel daher bedeutungslos. Die Spannenklausel hindert den Arbeitgeber nur an kollektiven Leistungen; auf diese hat der Außenseiter aber keinen Anspruch, den er aus seiner negativen Koalitionsfreiheit herleiten könnte. Der einzelne Arbeitnehmer hat auf die Gewährung kollektivbezogener Leistungen im Rahmen seiner individualvertraglichen Verhandlungen außerdem keinen Einfluss, sie geht regelmäßig vom Arbeitgeber aus. 487 Ein Eingriff kann auch nicht mit der Erwägung bejaht werden, dass die durch die Spannenklausel abgesicherte Bonusleistung erhebliche Ausmaße annehmen kann. 488 Dies verkennt, dass von einer allgemeinen Spannenklausel strukturell keine Beeinträchtigung der Position des einzelnen Außenseiters ausgehen kann; auf die Höhe der Differenzierung kann es deshalb nicht mehr ankommen. 489 Ebenso wenig wie bei der einfachen Differenzierungsklausel kann sich der Außenseiter auf den Standpunkt stellen, dass eine individualvertragliche Bezugnahme keine Gleichstellung mit den Organisierten zur Folge hat; selbst verhandeln zu müssen ist die Konsequenz der Ausübung negativer Koalitionsfreiheit. Ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter durch allgemeine Spannenklauseln ist daher abzulehnen. c) Ergebnis Differenzierungsklauseln greifen einerseits nicht in die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter ein, sofern der durch sie exklusiv gestellte Betrag nicht den durchschnittlichen Gewerkschaftsbeitrag übersteigt. Andererseits liegt kein Ein485
BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (227). Bauer / Arnold, NZA 2005, 1209 (1211); Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 149; Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 65 f.; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 112 f.; Franzen, RdA 2006, 1 (5 f.); Jacobs, FS Bauer, S. 479 (490). 486 Vgl. Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 140; Gamillscheg, Differenzierung, S. 74 f.; Hölters, Harmonie, S. 24; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 16; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 22 ff.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 171 ff.; Weller, ArbuR 1970, 161 (164); Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 17. 487 Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 149; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 22 f. 488 So aber Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 65 f. 489 Zutreffend Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 175.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
griff vor, wenn die fragliche Klausel eine individualvertragliche Gleichstellung mit den Organisierten nicht verhindert. Einfache Differenzierungsklauseln und Spannenklauseln greifen daher nicht in die negative Koalitionsfreiheit ein, auch wenn sie materiell mehr gewähren als die Organisierten durch ihren Mitgliedsbeitrag aufwenden müssen. Damit greifen lediglich entsprechend weitgehende Tarifausschlussklauseln und an den Bestand anknüpfende Differenzierungsklauseln (Absperrklauseln sowie Klauseln mit besonderem Kündigungsschutz) in die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter ein. Nur sie bedürfen daher der Rechtfertigung. 3. Rechtfertigung des Eingriffs Gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind qualifizierte Differenzierungsklauseln gerechtfertigt, wenn sie ein legitimes Ziel verfolgen, geeignet und erforderlich sind, um dieses Ziel zu erreichen und die Außenseiter nicht unangemessen stark beeinträchtigen (Verhältnismäßigkeit i. e. S.). a) Legitimes Ziel aa) Mitgliederwerbung Es ist bereits angeklungen, dass sich die Koalitionen mit der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln auf legitimerweise zu verfolgende Ziele berufen können. Die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln ist selbst Ausdruck ausgeübter Koalitionsfreiheit und unterfällt verfassungsrechtlichem Schutz. Sie dient einerseits der Stärkung der Gewerkschaften, denen gemeinsam mit der Arbeitgeberseite die Ordnung des Arbeitslebens von Verfassungs wegen als Aufgabe zugewiesen worden ist. Damit dient sie zugleich der Sicherung der Tarifautonomie selbst. Die Werbung um neue Mitglieder zählte die Rechtsprechung schon früh zum Kernbereich der Betätigungsgarantie der Koalitionen. 490 Gerade mit Blick auf den deutlichen Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrads hat das BAG explizit die Legitimität der Bestandssicherung und des Bestandsausbaus als hoch eingestuft. 491 bb) Lastenausgleich Andererseits verfolgen qualifizierte Differenzierungsklauseln auch das Ziel eines Lastenausgleichs zwischen Organisierten und Außenseitern. Die Belastung der Organisierten soll durch den Bonus reduziert oder beseitigt werden. Das BAG 490 491
Vgl. BAG 11. 11. 1968 – 1 AZR 16/68, BAGE 21, 201. BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1037).
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hat sich in seinem Differenzierungsklausel-Beschluss noch auf den Standpunkt gestellt, dass es ein allgemeines Rechtsprinzip, demzufolge die „Anlehnung an die Früchte fremder Arbeit ohne weiteres ausgleichspflichtig“ sei, nicht gebe. 492 Das mag zwar stimmen, müsste jedenfalls aber noch genauer dargelegt werden. Die Tarifvertragsparteien sind insoweit allerdings nicht darlegungslastig. Umgekehrt gibt es nämlich zumindest auch kein Prinzip, welches die grundsätzliche Ausbeutung fremder Leistungen garantieren würde, weil „[j]eder [. . .] schließlich irgendwie auf den Schultern seiner Vorgänger“ 493 stehe. 494 Ganz im Gegenteil sollen die Vorschriften des GWB, des UWB oder des UrhG ein derartiges Verhalten gerade verhindern. 495 Auch das allgemeine Zivilrecht enthält mit den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) den Gedanken, dass Vermögenswerte (als solche kann man die Nutzungsmöglichkeit fremder Regelungskomplexe durchaus auffassen), die ohne Rechtsgrund erlangt worden sind, herausgegeben werden müssen. 496 Von einer ähnlich gelagerten Intention ist § 683 S. 1 BGB getragen, der dem Geschäftsführer einen Anspruch auf Aufwendungsersatz gegen den Geschäftsherrn einräumt, wenn die Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht: Da der Geschäftsherr den Nutzen aus der Geschäftsführung zieht, soll er auch an deren Kosten beteiligt werden; fremdnütziges Verhalten soll dadurch gefördert, ein gerechter Ausgleich zwischen den vertraglich nicht aneinander gebundenen Parteien hergestellt werden. 497 Die Parallelität zur Geschäftsführung ohne Auftrag wird deutlich, wenn man vor dem Hintergrund der weitgehend flächendeckenden Bezugnahme auf den einschlägigen Tarifvertrag dessen Abschluss nicht nur als genuin eigenes Geschäft der Gewerkschaft, sondern als auch fremdes Geschäft zugunsten der bezugnehmenden Außenseiter betrachtet. 498 Betrachtet man die Relation von Tarifgeltung qua Mitgliedschaft und Tarifgeltung qua Bezugnahmeklausel, könnte man sogar von einem überwiegend fremden Geschäft sprechen. 499 492 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (219). Ebenso Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 18. 493 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (219). 494 Zutreffend Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 107, demzufolge ein derartiges Prinzip dem Leistungsgedanken der liberalen und sozialen Wirtschaftsordnung widerspreche. 495 Vgl. Georgi, Zulässigkeit, S. 76 f.; Hanau, JuS 1969, 214 (219); Koop, Tarifvertragssystem, S. 305 f.; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 16 f.; Steinberg, ArbuR 1975, 99 (100). 496 Darauf hinweisend Hanau, JuS 1969, 214 (219); Weller, ArbuR 1970, 161 (162). 497 Vgl. nur Mansel in: Jauernig, BGB, Vor §§ 677 ff. Rn. 2. 498 Zum auch fremden Geschäft siehe etwa Sprau in: Palandt, BGB, § 677 Rn. 6, m. w. Nachw.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
An dieser Stelle soll nicht versucht werden, einen Ersatzanspruch der Gewerkschaft gegen den Außenseiter aus § 683 S. 1 BGB zu begründen, einer Norm, die auf die kollektivrechtlichen Besonderheiten der tarifvertraglichen Gestaltung von Arbeitsbedingungen nicht ausgerichtet ist. Allein, die Intention des Gesetzgebers ist auch hier die gerechte Aufteilung von Kosten und Nutzen. Dieser knappe Überblick sollte aufgezeigt haben, dass auch der Gesetzgeber, wenn schon kein allgemeines Prinzip, so doch zumindest bedeutsame und weitreichende Einzelregelungen geschaffen hat, um die „Anlehnung an die Früchte fremder Arbeit“ nicht ohne ein gewisses Maß an Ausgleich zu ermöglichen. 500 Auch der Zweck des Lastenausgleichs ist daher als legitim anzusehen. b) Geeignetheit Tarifausschlussklauseln müssen geeignet sein, die dargelegten Ziele zu erreichen. Im Hinblick auf die Geeignetheit ist den Tarifvertragsparteien – analog zum Gesetzgeber – ein weiter Beurteilungsspielraum zuzugestehen. 501 Auch ungeachtet dessen ist die Geeignetheit zu bejahen: In den bekannt gewordenen Fällen, in denen Gewerkschaften Differenzierungsklauseln durchsetzen konnten, ist ein markanter Anstieg des Organisationsgrads zu verzeichnen gewesen. 502 Der Werbeeffekt und der Effekt des Lastenausgleichs können unzweifelhaft mittels Differenzierungsklauseln erreicht werden. Insofern liegt keine Prognoseunsicherheit vor, der mittels eines weiten Beurteilungsspielraums entgegen zu kommen wäre. c) Erforderlichkeit Erforderlichkeit ist dann zu bejahen, wenn kein weniger einschneidendes Mittel ersichtlich ist, mit dem das verfolgte Ziel mit gleicher Wirksamkeit verfolgt werden könnte; auch insoweit besteht ein weiter Beurteilungsspielraum der Tarifvertragsparteien. 503
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A. A. offenbar Wiedemann, SAE 1969, 265 (268), der – soweit ersichtlich – als einziger auf § 683 BGB im Zusammenhang mit tarifvertraglicher Differenzierung eingeht. 500 Anders die Wertung bei Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 19, nach dem die Ausnutzung fremder Früchte „nur in ganz bestimmten, eng umgrenzten Ausnahmen nicht entschädigungslos“ sei. 501 Siehe BVerfG 18. 12. 1968 – 1 BvL 5/64, BVerfGE 25, 1 (12 f.) (Mühlengesetz); 16. 3. 1971 – 1 BvR 52/66 u. a., BVerfGE 30, 292 (317) (Erdölbevorratung); 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, BVerfGE 116, 202 (224) (Tariftreueregelung), m. w. Nachw. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 292; Sachs in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 151; Waltermann, Berufsfreiheit im Alter, S. 133. 502 Siehe dazu Teil 1 B.
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Tarifausschlussklauseln kann nicht vorgehalten werden, sie seien deshalb nicht erforderlich, weil den Gewerkschaften andere Möglichkeiten der Mitgliederwerbung zur Verfügung stünden, die nicht mit Eingriffen in Rechte Dritter einher gingen. 504 Damit erfolgt eine tendenzielle Rückkehr zum Unerlässlichkeitskriterium der Kernbereichsdoktrin, die abzulehnen ist. 505 Im Übrigen müsste erst nachgewiesen werden, dass es andere Mittel der Gewerkschaftsbetätigung gibt, die mit Blick auf die Steigerung des Organisationsgrads gleich wirksam sind. Das wird wohl schwerlich gelingen, betrachtet man die beachtlichen mitgliedschaftlichen Zuwachsraten, die durch Differenzierungsklauseln ausgelöst werden können. 506 Die Erhebung eines Solidarbeitrags von den Nichtorganisierten scheitert an der tariflichen Regelungsbefugnis. Weniger einschneidende Klauseln, die ebenso erfolgreich den Organisationsgrad erhöhen können, wurden bisher nicht gefunden. 507 Von Absperrklauseln und Klauseln mit mitgliederexklusivem Kündigungsschutz geht ein erheblicher Werbeeffekt aus. Absperrklauseln führen zu einem innerbetrieblichen Organisationsgrad von 100 % und stellen damit wohl die effizienteste Art der Mitgliederrekrutierung dar. d) Angemessenheit Schließlich müssen die noch in Rede stehenden Differenzierungsklauseln angemessen (verhältnismäßig i. e. S.) sein. Mittel und Zweck müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Der Schwerpunkt der Frage nach der Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung liegt dabei mittlerweile beim Ausmaß der Differenzierung. Es wurde bereits dargelegt, dass eine pekuniäre Differenzierung bis zur Höhe des durchschnittlichen Gewerkschaftsbeitrags nicht als Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG gewertet werden kann, da von einer derartigen Klausel kein rechtlich relevanter Druck, sondern allenfalls ein Anreiz zum Verbandsbeitritt ausgeht. Aber auch eine oberhalb der Grenze des reinen Vorteilsausgleichs angesiedelte Exklusivleistung muss noch keinen unzulässigen Druck oder Beitrittszwang darstellen. Der Ausgleich zwischen dem Interesse des Außenseiters, der Koalition fern zu bleiben, und dem Interesse der Koalition, ihren Organisationsgrad zum Wohle einer effizienten Tarifautonomie zu steigern, muss oberhalb dieser Grenze gesucht werden. 503 Vgl. BVerfG 18. 12. 1968 – 1 BvL 5/64, BVerfGE 25, 1 (12 f., 19) (Mühlengesetz); 19. 7. 2000 – 1 BvR 539/96, BVerfGE 102, 197 (218) (Spielbankgesetz Baden-Württemberg); 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, BVerfGE 116, 202 (225) (Tariftreueregelung). 504 So aber Jacobs, FS Bauer, S. 479 (491). 505 Vor diesem Hintergrund konsequent noch Hölters, Harmonie, S. 154 f. 506 Siehe dazu Teil 1 B. Ebenso Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 153 f. 507 Wagenitz, Tarifmacht, S. 102.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
aa) Meinungsstand Teilweise wird eine Differenzierung in Höhe des Doppelten des Gewerkschaftsbeitrags für zulässig gehalten. Damit entspräche das finanzielle Opfer der Außenseiter der Höhe nach demjenigen, welches ansonsten die Organisierten zu tragen hätten, und welches vor dem Hintergrund der Koalitionsfreiheit der Organisierten ebenfalls nicht zu beanstanden sei. 508 Auch das BAG geht in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln davon aus, dass eine Differenzierung, die der Höhe nach durchschnittlich nicht mehr als zwei Jahresmitgliedsbeiträge ausmacht, einen „verständige[n] Arbeitnehmer“ nicht zum Gewerkschaftsbeitritt zwingen würde. 509 Das LAG Düsseldorf hat sich für eine zulässige Differenzierung bis zur Höhe eines Monatsgehalts pro Jahr ausgesprochen. 510 Teilweise wird für die Annahme eines Verstoßes gegen die negative Koalitionsfreiheit auf die Wertung des einfachen Gesetzesrechts abgestellt. So wird die Ansicht vertreten, dass eine Differenzierung bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) möglich sei. 511 Unter Rückgriff auf die arbeitsgerichtliche Judikatur zur sittenwidrigen Entlohnung von Arbeitnehmern bedeutet dies, dass eine Ungleichbehandlung soweit zulässig wäre, als sie nicht zwei Drittel des in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns unterschreitet. 512 Eher allgemein gehalten sind schließlich Formeln, die einen unzulässigen Beitrittsdruck dann annehmen, wenn „die Nachteile einer Differenzierung für den Betroffenen so groß werden, dass kein vernünftiger, ökonomisch denkender Mensch mehr bereit ist, den Nachteil hinzunehmen für die Nichtmitgliedschaft in einer von ihm im Prinzip abgelehnten bzw. in einer seiner Ansicht nach schlechten Organisation“ 513, wenn der Beitrittsdruck „unwiderstehlich“ ist, 514 508 Däubler, BB 2002, 1643 (1647); Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rn. 129. Ebenso Greiner, DB 2009, 398 (402), für schuldrechtliche Differenzierungsklauseln. 509 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1037 f.). 510 LAG Düsseldorf 29. 1. 1974 – 8 Sa 482/73, EzA Nr. 20 zu Art. 9 GG. Siehe dazu Teil 1 E. V. 511 Berg et al., KK, § 3 TVG Rn. 240; Hensche in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 879; Kittner/Schiek in: Denninger et al., AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 110 mit Fn. 279; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 183 ff. Auch Franzen, RdA 2006, 1 (4), hebt hervor, dass der Große Senat, hätte er nicht auf die Sozialadäquanz abgestellt, § 138 BGB hätte heranziehen müssen. 512 Vgl. dazu BAG 22. 4. 2009 – 5 AZR 436/08, AP Nr. 64 zu § 138 BGB. 513 ArbG Hamburg 26. 2. 2009 – 15 Ca 188/08, juris, unter Verweis auf Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 (1974). Ähnlich schon Georgi, Zulässigkeit, S. 34 f.; Krüger, Gutachten, S. 7 (95).
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oder „wenn die Nachteile so groß werden, dass eine Nichtmitgliedschaft auch bei Berücksichtigung politischer Bedenken keine vernünftige Entscheidung mehr wäre“ 515. Gegen eine Begrenzung in der Höhe wendet sich aktuell Borchard. 516 Er lehnt Grenzziehungen, die in Relation zum Gewerkschaftsbeitrag gebildet oder an der Sittenwidrigkeitsschwelle festgemacht werden, insgesamt ab, da sie nur bei finanziellen, nicht aber bei nichtpekuniären Boni wie zusätzlichem Jahresurlaub oder Weiterbildungsmaßnahmen weiterhelfen könnten. 517 Der Arbeitgeber dürfe von sich aus dem Außenseiter bestimmte Leistungen vorenthalten, dies sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Differenzierungsklauseln seien nicht der Beweggrund für die Ungleichbehandlung von Außenseitern und Organisierten, sondern gingen aus einer zuvor vom Arbeitgeber getroffenen Entscheidung zum Abschluss des entsprechenden Tarifvertrags aus. Gamillschegs oft zitierte Aussage, dass man das, was man tun dürfe, auch versprechen dürfe, habe zentrale Bedeutung für die Differenzierungsklausel-Debatte und insbesondere auch für die negative Koalitionsfreiheit; dies lege die Vermutung nahe, dass der von Differenzierungsklauseln ausgehende Beitrittsdruck ungeachtet seiner Intensität nicht gegen die negative Koalitionsfreiheit verstoße. Anderes gelte nur für Organisationsklauseln und mitliederexklusiven Kündigungsschutz. 518 bb) Stellungnahme Jede Grenze, die in der Literatur im Hinblick auf die Höhe der Differenzierung vorgeschlagen wird, sieht sich letztlich einem von zwei Vorwürfen ausgesetzt: Eine feste Grenze, wie sie etwa bei der Orientierung am (doppelten) Gewerkschaftsbeitrag, am von der Rechtsprechung etablierten Sittenwidrigkeitsmaßstab oder am Monatsgehalt gezogen werden kann, muss sich dem Problem der Willkürlichkeit stellen. Allgemein gehaltene Formulierungen sind hingegen naturgemäß unscharf konturiert. Vor diesem Hintergrund hat der Ansatz, dass die Höhe der Differenzierung für das Verdikt der Unzulässigkeit keine Rolle spiele und jede Vorteilsgewährung eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit darstelle, den Vorzug der Rechtssicherheit auf seiner Seite. Jedoch darf allein die Schwierigkeit der Grenzziehung im Hinblick auf das Maß der Differenzierung nicht dazu führen, bereits jeden qualifizierten Bonus für Gewerkschaftsmitglieder als unzulässig anzusehen. 519 Damit würde die negative Koalitionsfreiheit letztlich doch wieder zur umfassenden Nichtstörungsschranke, 514 515 516 517 518
Deinert, Anm. zu LAGE Nr. 15 a zu Art. 9 GG, S. 19 (15). Kocher, NZA 2009, 119 (122). Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 114 ff. Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 113. Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 117 ff.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
sofern es um einen zwingend ausgestalteten Vorteil geht. Mit Verhältnismäßigkeit hat das nichts mehr zu tun; eine Abwägung im Sinne praktischer Konkordanz findet gerade nicht mehr statt. (1) Zulässigkeit einer Differenzierung in doppelter Höhe des Gewerkschaftsbeitrags Auf verfassungsrechtlich sicherem Terrain dürfte man sich hingegen noch bei einem geldwerten Vorteil in Höhe des doppelten Gewerkschaftsbeitrags bewegen, wie es das BAG für einfache Differenzierungsklauseln nunmehr auch annimmt. Insofern sind die Erwägungen insbesondere Däublers überzeugend, nach denen dasjenige nicht als Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit gewertet werden dürfe, was auf der anderen Seite auch keine Verletzung der positiven Koalitionsfreiheit darstelle. 520 Es gibt keinen Grundsatz, nach dem die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten ohne finanzielle Einbußen gewährleistet ist. Das gilt auch für die negative Koalitionsfreiheit. 521 Dieser Ansatz müsste eigentlich gerade auch von den Stimmen anerkannt werden, die negative und positive Koalitionsfreiheit im Hinblick auf den Schutzumfang als vollkommen gleichrangig bewerten. Von einer so gewendeten „Spiegelbildtheorie“ wollen deren Verfechter freilich nichts wissen. 522 (2) Keine Begrenzung nach oben? Wenn neuerdings vertreten wird, dass eine Begrenzung im Hinblick auf das Ausmaß der Differenzierung nicht angezeigt sei, kann dem nicht gefolgt werden. Gegen diese Herangehensweise ist einzuwenden: Der Hinweis darauf, dass sich die Rechtmäßigkeit nichtpekuniärer Vorteile schwerlich anhand einer Relation zum Gewerkschaftsbeitrag bestimmen ließe, kann freilich nur für eben diese nichtpekuniären Vorteile gelten. Weshalb der Gewerkschaftsbeitrag als Ausgangspunkt für die Bewertung etwa für zusätzliches Urlaubsgeld ebenfalls untauglich sein sollte, ist nicht ersichtlich. Darin liegt auch keine Einschränkung der Vereinbarungsmöglichkeiten auf geldwerte Vorteile, wie Borchard annimmt. 523 Dass der Wert eines zusätzlichen Urlaubstages pekuniär nur schwierig 519 So aber Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 29 f., 46; Jacobs, FS Bauer, S. 479 (490 f.); Nikisch, RdA 1967, 87 (89). Dagegen zu Recht Wagenitz, Tarifmacht, S. 103 Fn. 25. 520 Däubler, BB 2002, 1643 (1647). 521 Vgl. Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 108; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 48 Rn. 8; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 51; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 174; Steinberg, ArbuR 1975, 99 (105 mit Fn. 86). 522 Gegen eine den Gewerkschaftsbeitrag überschreitende Differenzierung etwa Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 137 ff. 523 Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 113.
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zu beziffern ist, bedeutet lediglich, dass man für ebendiese Vorteile einen anderen Bewertungsmaßstab finden muss, nicht aber auch für geldwerte Vorteile. Es kann auch nicht überzeugen, den Tarifvertragsparteien vor dem Hintergrund der negativen Koalitionsfreiheit mit Ausnahme von Organisations- und besonderen Kündigungsschutzklauseln jeden Freiraum hinsichtlich der Differenzierung zu lassen und die Intensität des Drucks vollständig auszublenden. Aus der grundsätzlichen Differenzierungsmöglichkeit des Arbeitgebers kann man dieses Ergebnis nicht herleiten. Zwar darf der Arbeitgeber den Außenseiter untertariflich bezahlen; aber auch hier zieht spätestens § 138 BGB die Reißleine (siehe sogleich). Über diese Grenze hinaus darf der Arbeitgeber gerade nicht differenzieren. Letztlich dreht man sich im Kreis: Der Arbeitgeber darf tarifvertraglich nur Rechtmäßiges versprechen. Diese Rechtmäßigkeit ist aber gerade am Maßstab der negativen Koalitionsfreiheit zu prüfen. Ungeachtet dieser dogmatischen Einwände führt Borchards Ansatz fort von dem allgemeinen Grundkonsens, dass die negative Koalitionsfreiheit jedenfalls vor zwanghaftem Beitrittsdruck schützt. Dass ein solcher Druck ab einer bestimmten Höhe bei zwingender Ungleichbehandlung vorliegt, kann nicht geleugnet werden. Der Schutzgehalt, welcher der negativen Koalitionsfreiheit auch im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG zukommt, wird so letztlich aufgehoben. Das kann nicht richtig sein. (3) § 138 BGB als definitive Höchstgrenze Wenn zur Bestimmung des noch zulässigen und damit angemessenen Drucks auf § 138 BGB abgestellt wird, so ist daran richtig, dass ein Tarifvertrag, der Außenseitern tatsächlich nur eine sittenwidrige Entlohnung ermöglichen würde, in der Tat rechtswidrig wäre. Insoweit stellt § 138 BGB die äußerste Grenze tarifvertraglicher Differenzierungsmöglichkeiten auf; Tarifverträge müssen sich auch an einfachgesetzlichen Vorschriften messen lassen. 524 Ein faktischer Bei524 Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, Rn. 512 ff.; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 643. Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 113 f., verkennt den auf § 138 BGB fußenden Ansatz hingegen, wenn er diesen Maßstab nur im Hinblick auf den exklusiv gestellten Tarifinhalt heranzieht, und nicht im Hinblick auf die insgesamt gewährten tariflichen Leistungen, die allein den richtigen Bezugspunkt des Sittenwidrigkeitsverdikts darstellen. Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 138 ff., 295 ff., möchte § 138 BGB nur als Wertungsmaßstab für einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit heranziehen, verneint aber einen Gesetzesverstoß gegen diese Norm. Wenn ein Tarifvertrag für Außenseiter ein geringeres Niveau vorsehe als für Organisierte, könne nur dieses niedrigere Niveau Maßstab für die Beurteilung der Angemessenheit der Außenseiter-Arbeitsbedingungen sein, nicht hingegen das für die Organisierten geltende Niveau, a. a. O., S. 298. Dagegen ist einzuwenden, dass bei der Bestimmung der Sittenwidrigkeitsschwelle im Hinblick auf den Tariflohn stets an den tarifgebundenen Arbeitnehmer gedacht wird, der von einer Differenzierungsklausel gerade nicht erfasst wird. Die Ange-
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
trittszwang, der einen ökonomisch denkenden Arbeitnehmer in die Gewerkschaft treibt, kann aber bereits früher entstehen. 525 Gerade in Tarifgebieten mit niedrigem Lohnniveau liegt es nahe, dass der Außenseiter eher auf Tarifinhalte angewiesen ist, diese also weniger weitgehend exklusiv gestellt werden dürfen, als bei „Hochlohn“-Tarifverträgen. (4) Verfassungsrechtlicher Graubereich Wie es im Bereich zwischen doppeltem Gewerkschaftsbeitrag und der Höchstgrenze des § 138 BGB aussieht, ist zweifelhaft. Einen genauen Wert festzulegen, der allgemeingültig für alle denkbaren Fälle tarifvertraglicher Differenzierung gelten soll, fällt schwer. Es verwundert daher nicht, wenn dies vor allem das neuere Schrifttum auch gar nicht mehr versucht, sondern anhand der oben zitierten 526 allgemeinen Tatbestandsumschreibungen eine am Einzelfall orientierte Prüfung verfolgt. Sobald es um nichtpekuniäre Vorteile, wie etwa um zusätzlichen Erholungsurlaub, geht, muss ohnehin auf einen anderen Maßstab zurück gegriffen werden, will man solche Vorteilsgewährungen nicht ganz untersagen – was seinerseits wieder unangemessen wäre. Letztlich wird man einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit jeweils an den konkreten Umständen des Einzelfalls festmachen müssen. 527 Dabei ist nicht auf den einzelnen Beschäftigten, sondern auf den einzelnen Tarifvertrag und seine Zielgruppe abzustellen. Die Wirksamkeit des Tarifvertrags kann nicht von einem einzelnen Außenseiter abhängig gemacht werden. 528 Dass ein solcher Ansatz zu Rechtsunsicherheit führt, kann nicht geleugnet werden. Diese ist aber freilich jeder Grundrechtsabwägung immanent und wird anhalten, bis der Gesetzgeber selbst eine klare Regelung aufstellt. Solange und soweit der Gesetzgeber dies nicht tut, ist den Tarifvertragsparteien die Regelung des Arbeitslebens in die Hände gelegt. Dafür, dass die den Tarifvertragsparteien eingeräumte Gestaltungsaufgabe die Besorgnis schüren müsste, dass die Interessen der Außenseiter an ihrem Status in unangemessener Weise benachteiligt messenheitsvermutung des Tarifvertrags gilt gegenüber Außenseitern gerade nicht, siehe dazu Teil 2 D. I. 4. f). 525 Siehe auch Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (207 Fn. 47); Kocher, NZA 2009, 119 (122), die Sittenwidrigkeit allerdings mit Existenzbedrohung gleichsetzt. Das ist so nicht richtig, bei entsprechend hohem Durchschnittsverdienst kann eine sittenwidrige Bezahlung auch ohne Existenzbedrohung vorliegen, vgl. auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 182 f. 526 Siehe Teil 2 D. II. 3. d) aa). 527 Ebenso Berg et al., KK, § 3 TVG Rn. 240; Georgi, Zulässigkeit, S. 35; Kocher, NZA 2009, 119 (122); Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 (1974). Im Ergebnis letztlich auch Schnorr, JR 1966, 327 (332). 528 Kocher, NZA 2009, 119 (122). Siehe auch Gieseler / Halfen-Kieper, AiB 2010, 75 (78).
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würden, gibt es keine Anhaltspunkte. Die bislang bekannt gewordenen pekuniären Boni lagen selten über der Grenze des doppelten Gewerkschaftsbeitrags, meistens lagen sie deutlich darunter. Schon die Interessenpositionen der Tarifvertragsparteien dürften regelmäßig auch für die Berücksichtigung von Außenseiterbelangen sorgen: 529 Die Arbeitgeberseite wird regelmäßig mit dem Ziel verhandeln, dass möglichst viele Außenseiter auch Außenseiter bleiben. Der Arbeitgeber hat außerdem kein Interesse daran, zusätzliche Sonderleistungen für Gewerkschaftsmitglieder zu hoch anzusetzen, muss er doch stets damit rechnen, dass die bisher nicht organisierten Arbeitnehmer (möglicherweise in großer Zahl) dem Verband aufgrund der Anreizwirkung beitreten. Er muss somit die entsprechende Leistung ohnehin derart kalkulieren, dass sie im Notfall für alle Arbeitnehmer ausreicht. Auf der Gewerkschaftsseite wird man umgekehrt das Risiko, durch eine unangemessene Differenzierung den Koalitionsstatus aufgrund mangelnder Freiwilligkeit der Mitgliedschaft zu verlieren, nicht unbedacht eingehen wollen. Außerdem haben auch die Gewerkschaften kein Interesse an Mitgliedern, die ausschließlich aus monetären Gründen beitreten, der sonstigen Gewerkschaftspolitik aber distanziert oder ablehnend gegenüber stehen. Es wird für die Gewerkschaften regelmäßig darum gehen, die Hemmschwelle zum Beitritt zu verringern, nicht darum, ein Heer unmotivierter Mitglieder zu rekrutieren. Die Annahme einer Art kollusiven Zusammenwirkens der Tarifvertragsparteien zu Lasten der Außenseiter dürfte an der Rechtswirklichkeit vorbeigehen. Diese Erwägungen lassen sich auch für nicht pekuniäre Leistungen fruchtbar machen. Gibt es für einen bestimmten Regelungsbereich darüber hinaus gesetzliche Mindeststandards, bedarf es außerdem eines besonderen Begründungsaufwands um darzulegen, weshalb es unangemessen sein soll, dass Außenseiter zu den von diesen Standards aufgestellten Bedingungen arbeiten sollen, während darüber hinausgehende Leistungen den Organisierten vorbehalten bleiben. Das gilt etwa für eine Urlaubsgewährung, die über den Mindesturlaub von 24 Werktagen pro Jahr gemäß § 3 Abs. 1 BUrlG hinausgeht. 530 Auch ist zu bedenken, dass die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit mittelfristig auch den Außenseitern nützt: Die Stärkung der gewerkschaftlichen Schlagkraft macht künftige, den Arbeitnehmern günstigere Tarifabschlüsse wahrscheinlicher. Davon profitieren regelmäßig alle Arbeitnehmer ungeachtet ihres Mitgliedsstatus. Deshalb haben auch die Außenseiter ein Interesse an starken Gewerkschaften. 531 529 Vgl. in anderem Kontext auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 292 f. 530 Vgl. auch Berg et al., KK, § 3 TVG Rn. 240. 531 Vgl. Georgi, Zulässigkeit, S. 33.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Und schließlich: Der Außenseiter steht trotz mitgliederexklusivem Tarifbonus nicht mit leeren Händen da. Er hat immer noch die Möglichkeit, auf das gesamte restliche Tarifwerk, zu dessen Zustandekommen er nichts beitragen musste, zugreifen zu können. 532 Dass dieses keine angemessenen Arbeitsbedingungen bietet, wird man insbesondere dann nicht sagen können, wenn ein Folgetarifvertrag eine neu hinzugekommene Tarifleistung exklusiv ausgestaltet, für die Außenseiter in dieser Hinsicht also die bisherigen Arbeitsbedingungen weiter gelten. 533 Auf der anderen Seite wird man unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes einen Sanierungstarifvertrag für unangemessen halten müssen, der mittels Differenzierungsklauseln dafür sorgt, dass allein den Außenseitern die Last der Sanierungsbemühungen auferlegt wird. Es ist etwas anderes, ob man eine neue Leistung nicht bekommt, oder ob eine bereits etablierte Leistung, auf die man sich eingestellt hat, wieder entzogen wird. Vor diesem Hintergrund und innerhalb der aufgezeigten Grenzen erscheint es nicht verfehlt, die Grundrechtskontrolle in diesem verfassungsrechtlichen Graubereich auf eine Evidenzkontrolle zu beschränken, die zugleich dem Respekt vor den von Verfassungs wegen berufenen Regulatoren im Bereich der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen Rechnung trägt. Damit kann zugleich der Vorwurf einer Tarifzensur entkräftet werden, der von den Vertretern einer nur mittelbaren Grundrechtsbindung ins Feld geführt wird. (5) Unangemessenheit von Differenzierungen im Hinblick auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses Mit der ganz h. M. ist davon auszugehen, dass Organisations- und Absperrklauseln, die den Außenseitern die Aufnahme des Arbeitsverhältnisses ohne Gewerkschaftsbeitritt unmöglich machen sollen, einen unzulässigen Beitrittsdruck ausüben. 534 Da es hier um das „Ob“ der Beschäftigung geht, muss der 532 Zum Kompensationsgedanken als abwägungsrelevantes Kriterium siehe BVerfG 21. 2. 1961 – 1 BvL 29/57 u. a., BVerfGE 12, 151 (167 f.) (Ehegattenfreibetrag); 20. 3. 1963 – 1 BvL 20/61, BVerfGE 15, 328 (333); 21. 5. 1968 – 1 BvR 610/60, BVerfGE 23, 327 (343); 14. 10. 1970 – 1 BvR 307/68, BVerfGE 29, 221 (236) (Jahresarbeitsverdienstgrenze); Sachs in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 154, m. w. Nachw. 533 Zutreffend Schnorr, JR 1966, 327 (332). 534 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 95; Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 91; Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 119 f.; Boss, BB 2009, 1238 (1240); Botterweck, Gewerkschaftspluralismus im Betrieb, S. 169; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1211; ders. / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 175; Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 33; Dorndorf, ArbuR 1988, 1 (16); Franzen, RdA 2006, 1 (4 f.); Gieseler / Halfen-Kieper, AiB 2010, 75 (77); Greiner, Rechtsfragen, S. 369 f.; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 125; Kittner/Schiek in: Denninger et al., AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 109; Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 87; Löwisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 266; Schnorr, FS Molitor, S. 229 (252).
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Bewertungsmaßstab strenger ausfallen als bei Ausgestaltungen der Beschäftigungsbedingungen. Die Alternative, vor die der Außenseiter gestellt wird, lautet: entweder Mitgliedschaft oder (schlimmstenfalls) Arbeitslosigkeit – „friss oder stirb“. Der von diesen Klauseln ausgehende Beitrittsdruck ist evident unentrinnbar. Sie verstoßen somit gegen die negative Koalitionsfreiheit. 535 Gleiches gilt für Klauseln mit besonderem Kündigungsschutz, gemäß denen für organisierte Arbeitnehmer betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen werden. 536 Die Aussicht, einer drohenden Kündigung durch Gewerkschaftsbeitritt entgehen zu können, übt einen unangemessenen Beitrittsdruck aus, gerade wenn es um ein Sanierungsvorhaben geht und nur den Organisierten ein Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen eingeräumt werden soll. Derartige Vergünstigungen stellen gewissermaßen das Gegenstück zur Absperrklausel dar und lösen somit auch die gleichen Bedenken wie diese aus. In Zeiten strukturell hoher Arbeitslosigkeit löst die Aussicht, einen einmal errungenen Arbeitsplatz aufgrund der Nichtzugehörigkeit zu einer Gewerkschaft wieder zu verlieren, einen erheblichen, unverhältnismäßig starken Beitrittsdruck aus. Ein Herausnehmen der Organisierten aus der Sozialauswahl verstößt überdies gegen § 1 Abs. 3 KSchG, der die Kriterien der Sozialauswahl durch zwingendes Recht ausgestaltet. 537 Eine tarifvertragliche Verbesserung des Kündigungsschutzes bei betriebsbedingten Kündigungen zugunsten bestimmter Gruppen verschlechtert die Situation der Arbeitnehmer, die diesen Gruppen nicht zugehören. Das ist mit § 1 Abs. 3 KSchG unvereinbar. 538 cc) Ergebnis Was zwingend ausgestaltete geldwerte Boni für Gewerkschaftsmitglieder angeht, bewegt sich deren Zulässigkeit bis zur Höhe des doppelten Gewerkschaftsbeitrags in sicheren verfassungsrechtlichen Bahnen, soweit es um die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter geht. Inwieweit darüber hinaus allgemeine 535
Des Weiteren dürfte ein Verstoß gegen Art. 11 EMRK vorliegen, vgl. EuGH 13. 8. 1981, EuGRZ 1981, 559 ff., zur Unzulässigkeit einer nachträglich eingeführten closed-shop-Regelung. 536 Auch dies entspricht der ganz h. M., vgl. Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 150; Boss, BB 2009, 1238 (1240 f.); Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 34; Franzen, RdA 2006, 1 (5); Gamillscheg, NZA 2005, 146 (150); Mengel/Burg in: Thüsing / Braun, Tarifrecht, 5. Kap. Differenzierungsklauseln Rn. 18. 537 Vgl. BAG 2. 6. 2005 – 2 AZR 480/04, BAGE 115, 92 (101). Boss, BB 2009, 1238 (1240 f.); Franzen, RdA 2006, 1 (5); Gamillscheg, NZA 2005, 146 (150); Mengel/Burg in: Thüsing / Braun, Tarifrecht, 5. Kap. Differenzierungsklauseln Rn. 18; Oetker in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, § 1 KSchG Rn. 301; Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 186 f. 538 Diese Erwägungen gelten auch für einfache mitgliederexklusive Kündigungsschutzklauseln, die eine individualvertragliche Vereinbarung nicht verhindern sollen.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Tarifausschlussklauseln zulässig sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Es genügt eine Evidenzkontrolle der entsprechenden Regelung. § 138 BGB bildet insoweit die äußerste Grenze tarifvertraglicher Differenzierung. Boni, deren geldwerter Vorteil nur schwer oder gar nicht feststellbar ist, sind erst dann unzulässig, wenn sie einen evident unentrinnbaren Beitrittsdruck ausüben. Absperrklauseln und Klauseln mit exklusivem Kündigungsschutz verstoßen gegen die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter und sind deshalb unzulässig.
III. Die positive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten Im Gegensatz zu den allgemeinen Differenzierungsklauseln, die sich ausschließlich gegen Nichtorganisierte richten, wirken beschränkte Differenzierungsklauseln auch gegenüber Andersorganisierten. In der bisherigen Diskussion wurde regelmäßig die individuelle Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten hervorgehoben. Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass diese – im Gegensatz zu den Nichtorganisierten – Mitgliedsbeiträge an ihre Gewerkschaft zu entrichten haben; für sie gehe es also nicht nur darum, von einem Vorteil ausgeschlossen zu werden, sondern um einen echten finanziellen Nachteil, wenn sie am Tarifvertrag der Konkurrenzgewerkschaft nicht in vollem Umfang beteiligt würden. 539 Die Beiträge an ihre Gewerkschaft seien nutzlose Aufwendungen. Die Andersorganisierten stünden damit in finanzieller Hinsicht schlechter als die Nichtorganisierten; die Schwelle zwischen legitimem Beitritts- bzw. Wechselanreiz und rechtswidrigem Zwang sei folglich zumindest um den Betrag niedriger, den die Andersorganisierten an ihre Gewerkschaft zahlen. 540 Diese Überlegungen sind folgerichtig, wenn man davon ausgeht, dass die Andersorganisierten zwar Mitgliedsbeiträge zahlen und damit Tarifverträge finanzieren, diese Tarifverträge jedoch im Betrieb nicht zur Anwendung gelangen, weil sie von dem Tarifvertrag der Konkurrenzgewerkschaft verdrängt werden. Dann sind die Aufwendungen der Andersorganisierten in der Tat nutzlos. Sollte der Tarifvertrag der Andersorganisierten hingegen neben dem Tarifvertrag, der eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zum Inhalt hat, Anwendung finden können, müsste diese Argumentation allerdings auf den Prüfstand gestellt werden. Die Verdrängung von konkurrierenden Tarifverträgen gemäß dem Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität war über Jahrzehnte gängige Praxis und von 539
Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 156; Däubler, BB 2002, 1643 (1647); Hanau, FS Hromadka, S. 115 (128); Gamillscheg, Differenzierung, S. 65 f.; Georgi, Zulässigkeit, S. 44; Gitter, JurA 1970, 148 (152); Thüsing / von Hoff, ZfA 2008, 77 (98). 540 Siehe Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 200 f.
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der Rechtsprechung anerkannt. Nunmehr hat das BAG den Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität aufgegeben. Diese Entwicklung hat auch Auswirkungen auf die Frage nach der Rechtmäßigkeit beschränkter Differenzierungsklauseln, da Andersorganisierte nun nicht mehr auf einen für sie fremden Tarifvertrag angewiesen sind. 1. Veränderte Rahmenbedingungen: Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit bei Tarifpluralität a) Entwicklung in rechtlicher Hinsicht Treffen mehrere Tarifverträge aufeinander, so stellt sich die Frage, welcher Tarifvertrag Anwendung finden soll. Zwei Konstellationen sind dabei gedanklich auseinander zu halten: Zunächst ist denkbar, dass mehrere Tarifverträge ein und dasselbe Arbeitsverhältnis normativ regeln wollen (sog. Tarifkonkurrenz). Dieser Fall kann etwa eintreten, wenn ein Arbeitgeber oder ein Arbeitgeberverband Tarifverträge mit zwei unterschiedlichen Gewerkschaften abgeschlossen hat und ein Arbeitnehmer Mitglied in beiden Gewerkschaften ist. 541 Die Rechtsprechung und die überwiegende Meinung im Schrifttum lösen dieses Konkurrenzproblem mittels des Grundsatzes der Tarifeinheit. 542 Danach soll nur ein Tarifvertrag das Arbeitsverhältnis bestimmen. Die Frage, welcher Tarifvertrag dabei zur Anwendung gelangen soll, wird mithilfe des Spezialitätsprinzips beantwortet: Es gilt der Tarifvertrag, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien eine Spezialität nicht feststellen, soll der höhere Organisationsgrad ausschlaggebend sein. 543 Anders gelagert ist die – hier interessierende – Konstellation der Tarifpluralität. Von Tarifpluralität spricht man, wenn zwei Tarifverträge innerhalb desselben Betriebs – aber nicht innerhalb desselben Arbeitsverhältnisses, dann liegt Tarifkonkurrenz vor – Geltung beanspruchen. Schon früh hat sich das BAG auf den Standpunkt gestellt, dass dieser Fall ebenso wie der Fall der Tarifkonkur541 Weitere Beispiele zur Entstehung von Tarifkonkurrenzen bei Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 116 ff.; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 269; Zwanziger in: Däubler, TVG, § 4 Rn. 924. Ausführlich Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 272 ff. 542 Vgl. etwa BAG 22. 2. 1957 – 1 AZR 536/55, BAGE 3, 351 ff.; 29. 3 1957 – 1 AZR 208/55, BAGE 4, 37 (40); 14. 6. 1989 – 4 AZR 200/89, AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; 20. 3. 1991 – 4 AZR 455/90, BAGE 67, 330 (340 f.). Aus dem Schrifttum Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 755; Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, Rn. 560; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 628 f.; Wendeling-Schröder in: Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 177 ff. Weitere Nachw. bei Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 298 Fn. 83. 543 BAG 22. 2. 1957 – 1 AZR 536/55, BAGE 3, 351 (354); Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 629.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
renz nach dem Prinzip der Tarifeinheit zu lösen sei und nur der speziellere Tarifvertrag im Betrieb zur Geltung komme. 544 Insbesondere Nipperdey, der prominenteste Vertreter der Tarifeinheit im Betrieb, prägte die Judikatur des BAG unter seiner Präsidentschaft. 545 Die arbeitsrechtliche Literatur dieser Zeit folgte dem überwiegend unkritisch und betrachtete den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb lange Zeit als Rechtsprinzip. 546 Zur Begründung seiner Auffassung führte etwa der Vierte Senat an, dass der Grundsatz der Tarifeinheit zwar im TVG keinen Niederschlag gefunden habe, aber aus den übergeordneten Prinzipien der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit folge. Die Anwendung mehrerer Tarifverträge innerhalb desselben Betriebs müsse zu praktischen, kaum lösbaren Schwierigkeiten führen. Im Hinblick auf Betriebsnormen, die gemäß § 3 Abs. 2 TVG für den gesamten Betrieb gelten, müsse der Arbeitgeber ohnehin einem Tarifvertrag den Vorrang einräumen. Überdies sei die Abgrenzung von Betriebsnormen und Inhaltsnormen gemäß § 1 Abs. 1 TVG oft schwierig. Derartige Schwierigkeiten könnten nur durch die betriebseinheitliche Anwendung eines Tarifvertrags vermieden werden. 547 Auch die kollektive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten werde dadurch nicht verletzt. Auf der Basis der Kernbereichslehre wurde argumentiert, dass der Grundsatz der Tarifeinheit und der der Spezialität das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG nicht einmal tangieren würden. Es bleibe der Koalition, deren Tarifvertrag verdrängt wird, im übrigen unbenommen, einen noch spezielleren Tarifvertrag abzuschließen, der wiederum den bis dahin geltenden Tarifvertrag verdrängen würde. 548 Zur individuellen Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten fanden sich dagegen keine Äußerungen. Es findet sich jedoch der Hinweis, dass die Andersorganisierten durch den Beitritt zur obsiegenden Gewerkschaft den unabdingbaren Schutz dieses Tarifvertrags erlangen könnten. 549 In den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts setzte ein Meinungsumschwung ein, der ab den Neunzigern den weit überwiegenden Teil des Schrifttums erfasst hatte. 550 Die durch die Rechtsprechung vorgenommene Rechtsfort544 BAG 29. 3. 1957 – 1 AZR 208/55, BAGE 4, 37 (40); 14. 6. 1989 – 4 AZR 200/ 89, AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; 5. 9. 1990 – 4 AZR 59/90, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; 20. 3. 1991 – 4 AZR 455/90, BAGE 67, 330 (340 f.); 26. 1. 1994 – 10 AZR 611/92, BAGE 75, 298 (307, 309); 15. 11. 2006 – 10 AZR 665/06, BAGE 120, 182 (190 f.), m. w. Nachw. 545 Vgl. BAG 26. 2. 1957 – 1 AZR 529/55, AP Nr. 3 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; 29. 3. 1957 – 1 AZR 208/55, BAGE 4, 37 ff. 546 Siehe zum Ganzen Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 89 ff., mit zahlreichen Nachw. 547 BAG 14. 6. 1989 – 4 AZR 200/89, AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; 5. 9. 1990 – 4 AZR 59/90, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; 20. 3. 1991 – 4 AZR 455/90, BAGE 67, 330 (337). 548 BAG 20. 3. 1991 – 4 AZR 455/90, BAGE 67, 330 (339 f.). 549 BAG 5. 9. 1990 – 4 AZR 59/90, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz.
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bildung sei schon deshalb unzulässig, weil das TVG insofern gar keine Regelungslücke enthalte, die gefüllt werden müsse. Das TVG sei vielmehr auf Tarifpluralität hin angelegt. 551 Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen könnten eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung nicht rechtfertigen. Im Hinblick auf § 3 Abs. 2 TVG handele es sich nicht um ein Problem der Tarifpluralität, sondern um ein Problem der (betriebsweiten) Tarifkonkurrenz, da die Kollision in den jeweiligen Arbeitsverhältnissen stattfinde; diese Konkurrenz sei nach dem Grundsatz der Tarifeinheit aufzulösen. 552 Ansonsten verletze der Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität Art. 9 Abs. 3 GG sowohl in kollektiver Hinsicht, da die Tarifverträge der unterliegenden Gewerkschaft verdrängt würden, als auch in individueller Hinsicht, da den Mitgliedern der unterliegenden Gewerkschaft die Geltung ihrer Tarifverträge versagt werde. 553 Der Hinweis des Gerichts, der Andersorganisierte könne ja der obsiegenden Gewerkschaft beitreten, um in den Genuss des tarifvertraglichen Schutzes zu gelangen, ist mehr als erstaunlich, wenn man ihn vor dem Hintergrund der Differenzierungsklausel-Problematik betrachtet: Dort wird es von der herrschenden Auffassung ja gerade als Verstoß gegen die negative bzw. positive Koalitionsfreiheit der Nicht- bzw. Andersorganisierten gewertet, wenn man diese darauf verweist, einfach der Gewerkschaft beizutreten, die einen Tarifvertrag mit Differenzierungsklausel vereinbaren konnte. 554 Es erscheint widersprüchlich, den Ausschluss von einzelnen Boni im Tarifvertrag durch qualifizierte Differenzierungsklauseln als Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG zu werten, die Verdrängung eines gesamten Tarifvertrags durch den Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität aber als verfassungskonform zu beurteilen. 555 Gerade mit Blick auf die Aufgabe der Kernbereichsrechtsprechung 556 ist eine Rechtfertigung des Eingriffs 550 Vgl. etwa Botterweck, Gewerkschaftspluralismus im Betrieb, S. 75 ff.; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 187 ff.; Deinert, NZA 2009, 1176 (1178); Dieterich, GS Zachert, S. 532 (537 f.); Franzen, RdA 2001, 1 (8); Jacobs, NZA 2008, 325 (327 ff.); Konzen, RdA 1978, 146 ff.; Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 132 ff.; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 631; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 287 ff. Dem BAG zustimmend aber Buchner, BB 2003, 2121 (2126 ff.); Giesen, NZA 2009, 11 (17 f.); Hromadka, GS Heinze, S. 383 ff.; Säcker / Oetker, ZfA 1993, 1 ff. 551 Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 373 ff.; Thüsing / von Medem, ZIP 2007, 510 (511). 552 Jacobs, NZA 2008, 325 (326); Löwisch / Rieble, TVG, § 3 Rn. 151; Schliemann, Sonderbeil. zu NZA Heft 24/2000, 24 (25); Thüsing / von Medem, ZIP 2007, 510 (512). 553 Vgl. Deinert, NZA 2009, 1176 (1178); Dieterich, GS Zachert, S. 532 (537); Engels, RdA 2008, 331 (335); Franzen in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, § 4 TVG Rn. 71; Jacobs, NZA 2008, 325 (328); Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 132; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 631; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 287; Zwanziger in: Däubler, TVG, § 4 Rn. 947. 554 Siehe auch Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 132: „greifbar verfassungswidrig“. 555 Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 202 f. Vgl. auch Koop, Tarifvertragssystem, S. 310 f.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
in die Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten, deren Tarifverträge verdrängt werden, kaum mehr begründbar. 557 Für eine Abwägung im Sinne praktischer Konkordanz lässt der Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität keinen Raum. Er statutiert insoweit eine Alles-Oder-Nichts-Lösung; eine bestmögliche Entfaltung der Grundrechtspositionen beider tarifschließenden Gewerkschaften findet nicht statt. In der Literatur wurde von einigen Stimmen bereits vor einigen Jahren die langsame Abkehr des BAG von seinem bisherigen Standpunkt ausgemacht. 558 Anlass war etwa die Rechtsprechung des Vierten Senats, nach der bei einer konstitutiven Verweisung auf einen Tarifvertrag dieser das Arbeitsverhältnis bestimme, und nicht ein speziellerer Tarifvertrag diesen verdrängen könne. 559 Zu § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB entschied der Vierte Senat, dass eine Verdrängung der nach dieser Regelung weiter geltenden Arbeitsbedingungen nur bei beidseitiger Tarifgebundenheit von Arbeitnehmer und neuem Arbeitgeber gemäß § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB in Betracht komme. 560 Des Weiteren lag nach Auffassung des Vierten Senats keine Tarifpluralität vor, wenn ein nachwirkender Tarifvertrag (§ 4 Abs. 5 TVG) mit einem aktuell gültigen Tarifvertrag zusammentraf, an den nur der Arbeitgeber gemäß § 3 Abs. 1 TVG gebunden war. 561 Endlich wurde auf den UFO-Beschluss und den CGM-Beschluss des Ersten Senats hingewiesen, 562 in denen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Grundsatzes der Tarifeinheit bei Tarifpluralität erkannt wurden. 563 Die Vermutungen, die in der Literatur hinsichtlich einer Rechtsprechungsänderung geäußert worden sind, haben sich schließlich bewahrheitet: Der Vierte Senat, der die Tarifeinheitslösung bisher maßgeblich prägte, hat sich im Rahmen einer Divergenzanfrage an den Zehnten Senat ausführlich mit den genannten Kritikpunkten aus der Literatur auseinander gesetzt und sie sich zu Eigen 556
Siehe dazu Teil 2 B. I. Vgl. Engels, RdA 2008, 331 (335). 558 So etwa von Bayreuther, BB 2005, 2633 (2639); Franzen, RdA 2008, 193 (194); Rieble, BB 2003, 1227 (1228); Waas, Sozialer Fortschritt 2008, 137 (142). Dagegen Buchner, BB 2003, 2121 (2123): „mehr herbeigewünscht als belegt“. Zweifelnd auch Engels, RdA 2008, 331 (332). 559 BAG 28. 5. 1997 – 4 AZR 663/95, NZA 1997, 1066 ff. 560 BAG 21. 2. 2001 – 4 AZR 18/00, BAGE 97, 107 (112 ff.). 561 BAG 28. 5. 1997 – 4 AZR 546/95, BAGE 86, 43 ff. 562 Bayreuther, BB 2005, 2633 (2639); Franzen, RdA 2008, 193; Jacobs, NZA 2008, 325 (326). 563 So wird im UFO-Beschluss (BAG 14. 12. 2004 – 1 ABR 51/03, BAGE 113, 82 [101]) eingestanden, dass die Grundlegung der Tarifeinheitslösung „allerdings noch unter Berufung auf die vom BVerfG mittlerweile nicht mehr vertretene Kernbereichstheorie“ erfolgte. Die Entscheidung zur Tariffähigkeit der CGM (BAG 28. 3. 2006 – 1 ABR 58/04, BAGE 117, 308 [329]) spricht von der „vom Bundesarbeitsgericht bislang vertretenen – verfassungsrechtlich umstrittenen – Lehre von der Tarifeinheit“. 557
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gemacht. 564 Einen Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag gelten könne, gebe es nicht. Eine Verdrängung der geltenden tariflichen Normen sei weder auf Grund praktischer Schwierigkeiten noch wegen einer sonst erforderlichen Abgrenzung von Inhalts- und Betriebsnormen gemäß § 3 Abs. 2 TVG angezeigt. Die Voraussetzungen für eine Rechtsfortbildung, die zur Verdrängung tariflicher Normen führen könnte, lägen nicht vor. Insbesondere sei die Verdrängung eines Tarifvertrags mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren. 565 Der 10. Senat hat sich der Ansicht des Vierten Senats zu Recht angeschlossen, 566 so dass der Vierte Senat die bisherige Rechtsprechung nunmehr aufgeben konnte. 567 Für die Tarifpraxis ist damit der Wettbewerb mehrerer Tarifverträge innerhalb des gleichen Betriebs eröffnet. b) Entwicklung in tatsächlicher Hinsicht Die soeben skizzierte Rechtsprechungsänderung geht einher mit einem Wandel in der Gewerkschaftslandschaft. Zu der Zeit, in der der Beschluss des Großen Senats zur Unzulässigkeit von Differenzierungsklauseln erging, war die Tarifeinheit im Betrieb weithin anerkannt. Bereits in der Weimarer Zeit hatte sich eine gewerkschaftspolitische Hinwendung zum Industrieverbandsprinzip vollzogen, welches aufgrund der Zunahme großindustrieller Produktionseinheiten erfolgversprechender erschien als der bis dahin gängige Fachtarif. 568 Nach dem Zweiten Weltkrieg organisierte sich ein Großteil der Gewerkschaften unter dem Dach des DGB nach dem Industrieverbandsprinzip: Ein Betrieb – eine Gewerkschaft. 569 Faktisch erleichterte dies die Übernahme der Tarifeinheit im Betrieb als weithin einmütig akzeptieren Grundsatz. Dementsprechend findet sich im Differenzierungsklausel-Beschluss des Großen Senats vom 29. 11. 1967 auch keine eingehende Auseinandersetzung mit der möglichen Beeinträchtigung der kollektiven Koalitionsfreiheit von Konkurrenzgewerkschaften. Mit der zunehmenden Sympathie für einen Tarifpluralismus im Betrieb korrespondiert mittlerweile ein zunehmender Wettbewerb von Gewerkschaften untereinander. Die Bedeutung von Sparten- und Berufsgewerkschaften ist in den letzten Jahren erheblich angestiegen. Zwar hat es stets eine Vielzahl unterschiedlicher, auch berufsständisch organisierter Gewerkschaften gegeben, diese haben 564
BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A), NZA 2010, 645 (650 ff.). BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A), NZA 2010, 645 (654 ff.). 566 BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, NZA 2010, 778. 567 Vgl. BAG 7. 7. 2010 – 4 AZR 549/08, NZA 2010, 1069 ff. 568 Siehe Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 57, m. w. Nachw. 569 Botterweck, Gewerkschaftspluralismus im Betrieb, S. 15; Däubler, Arbeitsrecht, Rn. 98; Dieterich, GS Zachert, S. 532 (533); Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 175 f. 565
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
jedoch kaum selbständig in das Tarifgeschehen eingegriffen. Gerade sog. Spezialistengewerkschaften versuchen nun vermehrt, eigene Tarifabschlüsse zu erreichen, die inhaltlich über das hinausreichen, was die einschlägigen Tarifverträge der DGB-Gewerkschaften den Arbeitnehmern an Leistungen zusprechen. Der Grund für die zunehmende Zersplitterung dürfte vor allem darin zu sehen sein, dass sich gerade Arbeitnehmer mit Schlüsselkompetenzen durch die großen DGB-Gewerkschaften – insbesondere durch ver.di – nicht ausreichend vertreten fühlen. 570 Die großen Industrie- bzw. Multibranchengewerkschaften müssen die Einzelinteressen der bei ihnen organisierten Arbeitnehmer, die den unterschiedlichsten Tätigkeitsfeldern angehören, intern zu einem Ausgleich bringen. Dieser „innerverbandlichen Solidarität“ können sich Spezialisten, die aufgrund ihrer vergleichsweise homogenen Mitgliederschaft kaum Rücksicht auf Minderheitsinteressen im eigenen Verband nehmen müssen, durch den Beitritt zu einer Spartengewerkschaft entziehen. 571 Der damit eingeläutete „Überbietungswettbewerb“ 572 hat auch außerhalb der rechtswissenschaftlichen Diskussion für Aufsehen gesorgt. Besondere Aufmerksamkeit wurde etwa den Tarifforderungen des Marburger Bundes, des Verbandes der angestellten und beamteten Ärzte, zuteil, die eine Gehaltserhöhung von 30 % zum Gegenstand hatten. Bis September 2005 stand der Marburger Bund in Verhandlungsgemeinschaft mit ver.di (und vormals mit der DAG), kündigte diese aber aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über die Tarifpolitik auf. 573 Die Forderung nach einer Lohnerhöhung um 30 % konnte letztlich zwar nicht durchgesetzt werden. Gleichwohl tritt der Marburger Bund seitdem als eigenständige Arbeitnehmervertretung auf; im Juni 2006 hat er einen eigenständigen Tarifvertrag mit der Tarifgemeinschaft der Länder abgeschlossen. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) scherte 2007 aus der Tarifgemeinschaft mit den Bahn-Gewerkschaften Transnet (Mitglied im DGB) und GDBA (Mitglied im dbb) aus und forderte einen eigenständigen Tarifvertrag für das bei ihr organisierte Fahrpersonal; auch hier ging es um eine geforderte Lohnsteigerung von über 30 %. Letztlich gelang der GDL nach einem Aufsehen erregenden Arbeitskampf ein Abschluss mit einer Lohnerhöhung von 11 %. 574 Ähnliche Entwicklungen sind erkennbar bei den Fluglotsen (Gewerkschaft der 570 Botterweck, Gewerkschaftspluralismus im Betrieb, S. 4; Dieterich, GS Zachert, S. 532 (534); Keller, Sozialer Fortschritt 2008, 163 (166 f.), m. w. Nachw. 571 Zum Ganzen näher Bispinck / Dribbusch, Sozialer Fortschritt 2008, 153 (159 f.); Keller, Sozialer Fortschritt 2008, 163 (165). 572 Der daneben ebenfalls verstärkt zu beobachtende gewerkschaftliche „Unterbietungswettbewerb“, wie er etwa von den sog. Christlichen Gewerkschaften auf dem Gebiet der Leiharbeit betrieben wird, hat für die hier interessierenden Konstellationen keine Bedeutung. Siehe dazu etwa Bispinck / Dribbusch, Sozialer Fortschritt 2008, 153 (160 ff.); Zachert, FS Bauer, S. 1195 (1196 ff.). 573 Wendeling-Schröder, FS Richardi, S. 801 (803 f.). 574 Siehe DIE ZEIT vom 1. 7. 2010, S. 26.
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Fluglotsen, GdF) und den Piloten (Vereinigung Cockpit e.V., VC), die beide mit ver.di konkurrieren. 575 c) Auswirkungen Die Tarifeinheitslösung bei Tarifpluralität führt dazu, dass ein Aufeinandertreffen mehrerer Tarifverträge im Betrieb ausgeschlossen ist. Andersorganisierte erhalten den einfachen Status der Nichtorganisierten. 576 Das von ihnen verhandelte Regelungswerk erlangt keine Gültigkeit. Differenzierungsklauseln müssen sich also nicht mit anderen Tarifverträgen messen; ihre Wirkungen betreffen nur die individuellen Arbeitnehmer, seien diese unorganisiert oder kraft Tarifeinheit den Unorganisierten gleichgestellt. Unter diesem Vorzeichen stellt sich die Lage von Anders- und Nichtorganisierten im Ausgangspunkt nicht grundlegend unterschiedlich dar. Der einzige Unterschied liegt darin, dass die Andersorganisierten Mitgliedsbeiträge leisten müssen, denen auf der anderen Seite kein normativ wirkender Tarifvertrag gegenübersteht. Daher sind die Aufwendungen der Gewerkschaftsmitglieder, deren Tarifvertrag verdrängt wird, bereits ohne beschränkte Differenzierungsklauseln nutzlos; der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, den sich nach den Grundsätzen der Tarifeinheit durchsetzenden Tarifvertrag auch auf die Andersorganisierten anzuwenden. Das Bedürfnis der Andersorganisierten, auf den Tarifvertrag zugreifen zu können, der sich als der speziellere durchsetzen konnte, beruht letztlich auf der Verdrängung des eigenen Tarifvertrags. Differenzierungsklauseln können dieses Problem verschärfen, sie schaffen es aber nicht. 577 Mit der Abkehr vom Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität verschiebt sich die Problematik der Differenzierungsklausel im Hinblick auf Andersorganisierte weitestgehend von der individuellen auf die kollektive Ebene: Es geht um das Verhältnis kollektiver Koalitionsfreiheiten von miteinander im Wettbewerb stehenden Gewerkschaften. Das Problem des trittbrettfahrenden Arbeitnehmers wird zum Problem der trittbrettfahrenden Gewerkschaft. Die individuelle Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten tritt in den Hintergrund.
575 Siehe Bispinck / Dribbusch, Sozialer Fortschritt 2008, 153 (158 f.). Vgl. zum Ganzen auch die Übersicht der unterschiedlichen Lohnabschlüsse konkurrierender Gewerkschaften bei Keller, Sozialer Fortschritt 2009, 118 (122). 576 Franzen in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, § 4 TVG Rn. 71; Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 132. 577 Zutreffend Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 200. Anders wohl Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 114 f.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
2. Die kollektive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten a) Differenzierungsklauseln als Mittel gewerkschaftlichen Wettbewerbs Die Abkehr vom Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität lenkt den Blick somit zunächst auf das Verhältnis der miteinander konkurrierenden Koalitionen, die sich beiderseits auf die Betätigungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG berufen können. Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht auf ein Koalitionsmonopol hin ausgerichtet, sondern garantiert nach ganz überwiegender Ansicht auch den Wettbewerb von verschiedenen Koalitionen untereinander. 578 Die Möglichkeit der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln zugunsten einer von mehreren im Betrieb vertretenen Gewerkschaften hätte einen wesentlichen Einfluss auf den Wettbewerb der Gewerkschaften untereinander. Gerade in Zeiten eines zunehmenden Konkurrenzkampfes von Gewerkschaften erscheint der Gedanke naheliegend, errungene Tarifleistungen der Konkurrenz vorzuenthalten, damit diese sich nicht einfach dieser „fremden Früchte“ bedienen kann. Unterschiedliche Konstellationen sind hierbei auseinander zu halten (was in der aktuellen Diskussion regelmäßig nicht geschieht). b) Den Abschluss entsprechender Konkurrenztarifverträge weiterhin ermöglichende Klauseln Zunächst ist denkbar, dass die vereinbarte beschränkte Differenzierungsklausel sich nur gegen eine Gewährung der Bonusleistung an Andersorganisierte richtet, nicht jedoch einen ebendiese Bonusleistung enthaltenden Konkurrenztarifvertrag verhindern möchte. So war es etwa im Fall des „Benachteiligungsverbots“, der dem Großen Senat vorlag. Dem Wortlaut der Klausel nach hätte man zwar etwas anderes annehmen können, 579 die tarifschließenden Parteien waren jedoch übereingekommen, dass diese Bestimmung keinen gleich lautenden oder ähnlichen Vereinbarungen entgegen stehen sollte, die die Arbeitgeberseite mit anderen Gewerkschaften noch schließen würde. 580
578
So schon BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (213 f.). Siehe auch Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 177 f.; Franzen, RdA 2008, 193 (199); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 210; Kittner/Schiek in: Denninger et al., AK-GG, Art. 9 Abs. Rn. 149; Koop, Tarifvertragssystem, S. 36 ff., 72 f.; Rieble, Arbeitsmarkt, Rn. 1778 ff.; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 379 f.; Thüsing / von Medem, ZIP 2007, 510 (511); Wendeling-Schröder, FS Richardi, S. 801. Kritisch jedoch Zachert, FS Bauer, S. 1195 (1203 f.), nach dem Gewerkschaftskonkurrenz zwar in Art. 9 Abs. 3 GG angelegt, ihre Herstellung jedoch kein Ziel dieses Grundrechts sei. 579 Siehe Teil 1 E. 1.
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Für die Zulässigkeit einer Exklusivstellung von Bonusleistungen gegenüber den Mitgliedern von Konkurrenzgewerkschaften wird geltend gemacht, dass ein Verbot von Differenzierungsklauseln eine staatliche Parteinahme im Wettbewerb der Koalitionen darstellen würde, da die Werbewirkung des Tariferfolgs der einen Gewerkschaft zunichte gemacht werden würde. 581 Die „trittbrettfahrende Gewerkschaft“ könne mittels Anschlusstarifvertrags ihrerseits die gleichen Tarifbedingungen bieten wie ihre Konkurrentin, die diese Bedingungen unter eigenem Kosteneinsatz erst ermöglicht hat. Diese Ersparnis könne sie durch geringere Mitgliedsbeiträge an die bei ihr organisierten Arbeitnehmer weiterreichen und damit die Mitgliedschaft in ihr gegenüber dem Konkurrenzverband erheblich attraktiver gestalten. 582 Es sei durchaus legitim, die Werbewirksamkeit des Tarifvertrags mittels solcher Differenzierungsklauseln aufrecht zu erhalten. Bezogen auf die kollektive Koalitionsfreiheit der Konkurrenzgewerkschaft liege eine unzulässige Beeinträchtigung erst vor, wenn die mittels Differenzierungsklauseln verfolgte Werbung mit unlauteren Mitteln erfolge oder auf die Existenzvernichtung der anderen Koalition gerichtet sei. 583 Die tarifvertragliche Differenzierungsklausel werde damit zum rechtlichen Instrument gewerkschaftlichen Wettbewerbs. 584 Die Argumente für die Zulässigkeit solcher Klauseln – seien es nun einfache oder qualifizierte – sind plausibel. Gleichwohl ist ein derartiger Begründungsaufwand für eine Rechtfertigung an dieser Stelle vor dem Hintergrund eines denknotwendig vorausgesetzten Eingriffs in die kollektive Koalitionsfreiheit der Konkurrenzgewerkschaft nicht (mehr) nötig: Wenn der Konkurrenz ein Gleichziehen oder Überbieten mittels eines eigenständigen Tarifvertrags nicht verwehrt wird, liegt bereits kein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG vor, der einer möglichen Rechtfertigung zugeführt werden müsste. Der Konkurrenzgewerkschaft wird lediglich die Möglichkeit genommen, ihren Mitglie580 Mitgeteilt von Gamillscheg, Differenzierung, S. 68 Fn. 106. Ein gleich lautender Konkurrenztarifvertrag wäre aufgrund seines identischen Inhalts nach den Grundsätzen der Tarifeinheit im Betrieb nicht verdrängt worden, vgl. etwa Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 196, m. w. Nachw. 581 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 361, der darauf hinweist, dass auch das BAG (11. 11. 1968 – 1 AZR 16/68, BAGE 21, 201 [209]) der Ansicht ist, dass eine Koalition einen Rechtsanspruch darauf habe, „daß Erfolge, die sie erstritten hat, nicht von einer anderen Koalition für deren Zwecke ausgenützt werden“. Siehe auch Botterweck, Gewerkschaftspluralismus im Betrieb, S. 169 f.; Kocher, NZA 2009, 119 (122); Koop, Tarifvertragssystem, S. 207; Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 (1971). 582 Vgl. BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1037); Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 (1971 f.). Siehe auch den Beklagtenvortrag bei ArbG Hamburg 26. 2. 2009 – 15 Ca 188/08, juris. 583 So (mit Bezugnahme auf BAG 31. 5. 2005 – 1 AZR 141/04, BAGE 115, 58 ff.) auch BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1037); LAG Köln 17. 1. 2008 – 6 Sa 1354/07, juris; Kocher, NZA 2009, 119 (122); Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 (1971). 584 Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, Grundlagen Rn. 171; Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 (1972).
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dern per Anschlusstarifvertrag gleichwertige Arbeitsbedingungen zu verschaffen. Dies tangiert ihre Tarifautonomie nicht, denn sie kann mit einem eigenständigen Tarifvertrag versuchen, das gleiche Ziel zu erreichen. Der Grundsatz der Tarifeinheit steht dem nicht mehr entgegen. Die Sorge, kleine Gewerkschaften könnten somit direkt aus dem Wettbewerb der Koalitionen ausscheiden, 585 ist in dieser Konstellation unbegründet. Ob der Konkurrenzgewerkschaft ein entsprechender Abschluss gelingt oder nicht, hängt von ihrer eigenen Stärke und ihrem Verhandlungsgeschick ab, nicht von der gegnerischen Differenzierungsklausel. Es gilt somit letztlich nichts anderes als bei der einfachen Differenzierungsklausel und ihrem rechtlich unerheblichen Einfluss auf die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten. 586 Auch der Bestand der Konkurrenzgewerkschaft kann durch solche Klauseln nicht beeinträchtigt werden, eine Existenzvernichtung ist daher fern liegend. Beschränkte Differenzierungsklauseln, die sich nicht gegen andere Tarifwerke richten, berühren die kollektive Koalitionsfreiheit anderer Gewerkschaften nicht. c) Gegen den Abschluss entsprechender Konkurrenztarifverträge gerichtete Klauseln aa) Ausgangspunkt Es ist jedoch denkbar und vor dem Hintergrund der Abkehr vom Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität nicht fern liegend, dass sich ein Tarifvertrag explizit gegen die Vereinbarung eines entsprechenden Konkurrenztarifvertrags richten soll. Die Auslegung dahingehend, dass sich eine Differenzierungsklausel auch gegen einen fremden Tarifvertrag richten kann, liegt ansonsten gerade bei Spannenklauseln nicht fern. Denn Spannenklauseln sollen ihre Wirkung nach nicht bestrittener Auffassung nur bei einer kollektiven Gewährleistung an Außenseiter entfalten. 587 Einen konkurrierenden Tarifvertrag wird man als solch eine kollektive Gewährleistung anzusehen haben. Anders als bei der negativen Koalitionsfreiheit der Außenseiter kann somit bei entsprechendem Regelungswillen der Tarifvertragsparteien im Hinblick auf die kollektive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten ein Eingriff durch Spannenklauseln vorliegen. Letztlich wird es auf die Auslegung im Einzelfall ankommen, bei der auch zu berücksichtigen ist, dass Tarifverträge mittlerweile auch miteinander im Wettstreit stehen, eine Ausrichtung gegen konkurrierende Tarifverträge mithin ein lohnendes Ziel mit hohem Werbeeffekt darstellen würde.
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Siehe Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 159; Greiner, DB 2009, 398 (401 f.). Siehe dazu Teil 2 D. II. 2. b) aa). 587 Gamillscheg, Differenzierung, S. 74 f.; Hölters, Harmonie, S. 24; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 16; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 17. 586
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bb) Meinungsstand Derartige Tarifausschlussklauseln bzw. Spannenklauseln zu Lasten von Konkurrenzgewerkschaften werden ganz überwiegend – und zwar auch von Stimmen, die der Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung grundsätzlich positiv gegenüber stehen – wegen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG für unwirksam gehalten. 588 Eine starke Gewerkschaft könne ihre Marktmacht mittels Differenzierungsklauseln absichern und einen echten Wettbewerb bereits im Keim ersticken, wenn sie den Arbeitgeber dazu verpflichten dürfe, mit der Konkurrenz nur auf niedrigerem Niveau abzuschließen. 589 Anders sieht dies offenbar das ArbG Hamburg in seiner Entscheidung vom 26. 2. 2009. 590 Im Hinblick auf die von ihm zu beurteilende Spannenklausel führt es aus, dass diese eine anderweitige tarifvertragliche Vereinbarung nicht ausschließe, faktisch jedoch erschwere, da den Arbeitgeber in diesen Fällen erhöhte finanzielle Lasten durch die Aufstockungszahlungen an die Mitglieder der die Spannenklausel vereinbarenden Gewerkschaft träfen. Das Gericht geht also davon aus, dass ein fremder Tarifvertrag den Mechanismus der Spannenklausel auslösen kann. Die damit verbundene Beschränkung der Koalitionsfreiheit sei jedoch hinzunehmen, da auch die erstabschließende Gewerkschaft dem Grundrechtsschutz des Art. 9 Abs. 3 GG unterfalle und zwischen den kollidierenden Grundrechtspositionen im Wege einer Abwägung praktische Konkordanz herzustellen sei. Bezogen auf die kollektive Koalitionsfreiheit der Konkurrenzgewerkschaft liege eine unzulässige Beeinträchtigung erst vor, wenn die mittels Differenzierungsklauseln verfolgte Werbung mit unlauteren Mitteln erfolge oder auf die Existenzvernichtung der anderen Koalition gerichtet sei. 591 Derartige Ausmaße würde die Spannenklausel im zu entscheidenden Fall aber nicht annehmen.
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Siehe BAG 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, NZA 2011, 920 (926); Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 159; Botterweck, Gewerkschaftspluralismus im Betrieb, S. 168; Gamillscheg, Differenzierung, S. 68, demzufolge derartige Absprachen mit der Tarifausschlussklausel aber nichts zu tun hätten; Greiner, DB 2009, 398 (401 f.); dens., Rechtsfragen, S. 372; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 196. Unklar Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 114 f., nach dem eine gleichmäßige Gewährung „regelmäßig“ nicht gehindert werden könne. 589 Greiner, DB 2009, 398 (401). 590 ArbG Hamburg 26. 2. 2009 – 15 Ca 188/08, juris. Siehe dazu Teil 1 E. V. 591 So (ebenfalls mit Bezugnahme auf BAG 31. 5. 2005 – 1 AZR 141/04, BAGE 115, 58 ff.) ArbG Hamburg 26. 2. 2009 – 15 Ca 188/08, juris.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
cc) Stellungnahme (1) Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG und die kollektive Koalitionsfreiheit Das ArbG Hamburg entwickelt seine Lösung aus einer Interessenabwägung im Wege praktischer Konkordanz der einander gegenüberstehenden Grundrechtspositionen, das Abwehrrecht des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG der Konkurrenzgewerkschaft stehe dem Betätigungsrecht des Satzes 1 der die Differenzierungsklausel vereinbarende Gewerkschaft gegenüber. Dass eine solche Vorgehensweise möglich ist, dürfte der h. M. entsprechen und wird kaum hinterfragt. 592 Selbstverständlich ist sie gleichwohl nicht, betrachtet man die unbedingte Nichtigkeitsanordnung des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG. 593 Sofern Absprachen die Koalitionsfreiheit einschränken, d. h. in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit eingreifen, versagt ihnen diese Regelung die Wirksamkeit. Eine Abwägung mit möglichen Gegenrechten – insbesondere der kollektiven Koalitionsfreiheit der die Differenzierungsklausel vereinbarenden Koalition – ist zumindest dem Wortlaut nach nicht möglich; Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG verbietet jede Beeinträchtigung. 594 Es ist jedoch zu beachten, dass die Drittwirkungsklausel des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG sich im Ursprung nur auf die individuelle Koalitionsfreiheit bezog. Die Erweiterung um die kollektive Koalitionsfreiheit erfuhr der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG erst durch die Rechtsprechung. Unter anderem deswegen sind Höfling und Burkiczak der Ansicht, dass Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nur für die individuelle Koalitionsfreiheit, nicht aber auch für die kollektive Koalitionsfreiheit gelten soll. 595 Die Autoren fürchten eine drohende Paradoxie bei einer Anwendung der Drittwirkungsklausel auch auf die kollektive Koalitionsfreiheit. Gerade im Hinblick auf die Tarifautonomie und den Arbeitskampf seien kaum Abreden oder Maßnahmen denkbar, die nicht durch Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützt und zugleich durch Satz 2 inkriminiert wären. 596 Ob der sehr weitgehenden Ansicht von Höfling und Burkiczak zu folgen ist, muss hier nicht entschieden werden. Im vorliegenden Zusammenhang geht es nicht um die generelle Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG auf die kollektive Koalitionsfreiheit, sondern um das besondere Wettbewerbsverhältnis zweier 592
Vgl. BAG 31. 5. 2005 – 1 AZR 141/04, BAGE 115, 58 (64). Bergmann in: Hömig, GG, 8. Aufl., Art. 9 Rn. 18; Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 44; Greiner, Rechtsfragen, S. 135. 593 Vgl. dazu schon Teil 2 D. II. 1. b) aa) (2). 594 Vgl. Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 133; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 114; Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 145; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 63. 595 Siehe Höfling / Burkiczak, RdA 2004, 263 ff. Dagegen Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 128 ff.; Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 44. 596 Höfling / Burkiczak, RdA 2004, 263 (268).
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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(oder mehr) Gewerkschaften, die beide den Grundrechtsschutz von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG genießen. Sieht man den Koalitionspluralismus in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG als verfassungsrechtlich verankert an, so folgt daraus zwingend, dass einerseits wettbewerbstypisches Verhalten vom Grundrechtsschutz umfasst ist und andererseits derartiges Verhalten von Konkurrenten – freilich in verfassungsgemäßen Grenzen – hingenommen werden muss. 597 Die Koalitionsfreiheit soll vor staatlichen Eingriffen und dem sozialen Gegenspieler schützen, nicht aber vor Konkurrenz. 598 Wettbewerbstypischem Verhalten sind Übergriffe in die Sphäre der Mitbewerber immanent. 599 Da das Wettbewerbsrecht auf koalitionäre Werbemaßnahmen nach h. M. keine Anwendung findet, 600 ist der Rückgriff auf eine Grundrechtsabwägung geboten. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG findet keine Anwendung. (2) Abwägung Der Weg für eine Abwägung steht in der Konstellation miteinander konkurrierender Gewerkschaften also offen. Die Werbung mittels Differenzierungsklauseln ist demnach zulässig, sofern sie nicht mit unlauteren Mitteln erfolgt oder auf die Existenzvernichtung der Konkurrenzgewerkschaft gerichtet ist. 601 Den Einsatz von Differenzierungsklauseln als Wettbewerbsinstrument wird man nicht als unlauter bezeichnen können. Unlauter sind Werbemaßnahmen insbesondere dann, wenn sie auf Unwahrheiten beruhen, beleidigend oder hetzerisch sind oder unsachliche in keinerlei Zusammenhang mit der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen stehende Angriffe gegenüber Konkurrenzorganisationen zum Inhalt haben. 602 Im Hinblick auf Differenzierungsklauseln könnte hier allein auf den zuletzt genannten Aspekt abgestellt werden. Jedoch hat sich gezeigt, dass die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst wird und damit sehr wohl der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dient. 603
597
Vgl. BAG 31. 5. 2005 – 1 AZR 141/04, BAGE 115, 58 (64). Siehe Söllner, Grundriß, S. 68, m. w. Nachw. (auch zur Gegenmeinung), der Art. 9 Abs. 3 GG im Verhältnis von mehreren Gewerkschaften zueinander überhaupt nicht anwenden will. 599 Eine vergleichbare Situation besteht bei systemimmanenten und gewollten Übergriffen zwischen den sozialen Gegenspielern, wie sie im Arbeitskampf anzutreffen sind. Auch in dieser Situation kann Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nicht verbieten, was Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG garantiert, vgl. Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 179. 600 Siehe nur BAG 31. 5. 2005 – 1 AZR 141/04, BAGE 115, 58 (61 ff.). 601 Siehe die Nachw. bei Fn. 583. 602 BAG 31. 5. 2005 – 1 AZR 141/04, BAGE 115, 58 (65), m. w. Nachw. 603 Siehe dazu Teil 2 B. 598
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Es bleibt die Ausrichtung auf die Existenzvernichtung der Konkurrenz. Würde es einer Gewerkschaft gelingen, sich rechtswirksam exklusive Sondervorteile für ihre Mitglieder zu verschaffen, die durch Konkurrenztarifverträge nicht erreichbar wären, führte dies zwangsläufig zu einer erheblichen Schwächung der Position der Konkurrenzgewerkschaften. Im Fall einer beschränkten Tarifausschlussklausel etwa, die es dem Arbeitgeber verbietet, einen Bonus im Rahmen einer tarifvertraglichen Vereinbarung mit einer Konkurrenzgewerkschaft auch Andersorganisierten zu gewähren, bliebe der Tarifabschluss der Konkurrenzgewerkschaft stets hinter dem der zuerst abschließenden Gewerkschaft zurück. Gleiches würde für eine beschränkte Spannenklausel gelten. Die Mitgliedschaft in einer solchen Konkurrenzgewerkschaft würde damit unattraktiv, da sie ihren Mitgliedern nicht die gleichen Vorteile verschaffen könnte. Es liegt nahe anzunehmen, dass die Konkurrenzgewerkschaft über kurz oder lang ihre Mitglieder an die zuerst abschließende Gewerkschaft verlieren wird. 604 Auch koalitionswillige Nichtorganisierte dürften sich im Zweifel für die Gewerkschaft entscheiden, deren Tarifvertrag uneinholbar günstige Arbeitsbedingungen bietet. 605 Die Gefahr der Existenzvernichtung der unterliegenden Gewerkschaft ist in diesem Fall nicht fern liegend. Vor allem etablierte und starke Gewerkschaften hätten so leichtes Spiel, unliebsame Konkurrenz zu verdrängen. In dieser Konstellation ist – entgegen der Auffassung des ArbG Hamburg – die in der Literatur geäußerte Sorge, dass tarifvertragliche Differenzierung einen „Todesstoß“ für den Koalitionspluralismus darstelle, 606 berechtigt. Daher verstoßen beschränkte Differenzierungsklauseln, die gegen den Abschluss entsprechender Konkurrenztarifverträge gerichtet sind, gegen die kollektive Koalitionsfreiheit der konkurrierenden Gewerkschaft. d) Ergebnis Tarifliche Vertragsgestaltungen, die ein „Gleichziehen“ anderer Gewerkschaften verhindern sollen, verstoßen gegen die kollektive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten. Sie sind unzulässig. Auf der anderen Seite können erfolgreiche 604
Greiner, DB 2009, 398 (401). Zur Bedeutung des § 3 Abs. 3 TVG in diesem Zusammenhang siehe aber sogleich Teil 2 D. III. 3. b). 605 Die dazu spiegelbildliche Situation lässt sich im Bereich der Leiharbeit beobachten: Insbesondere die sog. christlichen Gewerkschaften, deren Tarifverträge gemäß §§ 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 2, 9 Nr. 2 Halbs. 3 AÜG vom gesetzlich vorgesehenen equal-pay-Grundsatz zu Lasten der Leiharbeitnehmer nach unten abweichen und die durch individualvertragliche Bezugnahme eine beinahe flächendeckende Geltung erlangen, weisen einen äußerst geringen Organisationsgrad auf, der auf nicht mehr als 5 % geschätzt wird, vgl. Schüren, RdA 2007, 231 (232), m. w. Nachw. 606 So für die Tarifausschlussklausel Hanau, JuS 1969, 213 (216); ebenfalls für qualifizierte Differenzierungsklauseln Greiner, DB 2009, 398 (401). Siehe auch Wagenitz, Tarifmacht, S. 99.
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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Gewerkschaften es verhindern, dass sich konkurrierende Verbände an ihre Tarifverträge „anhängen“ und damit dort ernten können, wo sie nicht gesät haben. 3. Die individuelle Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten a) Überblick Der Schutz der individuellen Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten ergibt sich aus Art. 9 Abs. 3 GG. Insoweit herrscht Einigkeit. 607 Er umfasst die Entscheidung für die koalitionsmäßige Betätigung überhaupt, die Freiheit der Wahl einer von mehreren Koalitionen und den Verbleib in der ausgewählten Koalition. 608 Damit bietet Art. 9 Abs. 3 GG auch Schutz vor dem Zwang zum Gewerkschaftswechsel. Für die positive individuelle Koalitionsfreiheit gilt die Drittwirkungsklausel des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG mit ihrer unbedingten Nichtigkeitsanordnung. Sofern also Differenzierungsklauseln die positive Koalitionsfreiheit einschränken, d. h. in den Schutzbereich der positiven Koalitionsfreiheit eingreifen, versagt ihnen diese Regelung die Wirksamkeit. Eine Abwägung mit möglichen Gegenrechten – insbesondere der kollektiven Koalitionsfreiheit der die Differenzierungsklausel vereinbarenden Koalition – ist nicht möglich; Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG verbietet jede Beeinträchtigung. 609 Was die Beeinträchtigung der individuellen Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten angeht, ist jene in zweierlei Hinsicht zweifelhaft: Zum einen kann die in § 3 Abs. 3 TVG angeordnete Nachbindung des Tarifvertrags des Andersorganisierten dazu führen, dass ein Übertrittsdruck zur Konkurrenzgewerkschaft nicht entstehen kann; 610 zum anderen eröffnet die Tarifpluralität im Betrieb den Andersorganisierten die Ausweichmöglichkeit auf einen eigenen Tarifvertrag, der den Andersorganisierten möglicherweise gleichwertige Arbeitsbedingungen garantieren kann. 611
607 Siehe nur Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 145; Gamillscheg, Differenzierung, S. 65 f.; Georgi, Zulässigkeit, S. 43; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 193; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 63. 608 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 89; Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 30; Jacobs, FS Bauer, S. 479 (493); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 193. 609 Vgl. Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 114; Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 145; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 38; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 63. 610 Siehe sogleich Teil 2 D. III. 3. b). 611 Siehe Teil 2 D. III. 3. c).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
b) Kein Übertrittsdruck aufgrund der Nachbindung des Alt-Tarifvertrags gemäß § 3 Abs. 3 TVG? Der Andersorganisierte, der nunmehr seinem eigenen Tarifvertrag unterfällt, mag weiterhin einen Anreiz verspüren, den differenzierenden Konkurrenztarifvertrag für sich in Anspruch nehmen zu wollen, sofern dieser für ihn günstiger ist als sein eigener Tarifvertrag. Ein differenzierender Tarifvertrag kann auf den Andersorganisierten jedoch nur dann einen relevanten Anreiz zum Gewerkschaftswechsel ausüben, wenn jener nach dem Gewerkschaftswechsel auch Anwendung auf das Arbeitsverhältnis des Andersorganisierten findet und dessen alter Tarifvertrag ihn nicht gemäß § 3 Abs. 3 TVG weiter bindet. Sollte der alte Tarifvertrag überdies eine längere Laufzeit haben als der von dem wechselwilligen Arbeitnehmer erstrebte Tarifvertrag, der eine Sonderleistung enthält, könnte von einem erheblichen Druck zum Verbandswechsel aufgrund der Differenzierungsklausel nicht ausgegangen werden. Der Austritt eines tarifgebundenen Mitglieds aus seinem Verband beendet die Tarifgebundenheit gemäß § 3 Abs. 3 TVG nicht. Diese sog. Nachbindung gilt gleichermaßen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. 612 Im Interesse der Rechtssicherheit wird nicht danach unterschieden, von welcher Seite aus die Tarifgebundenheit endet. Die Tarifvertragstreue – der Grundsatz des pacta sunt servanda – gilt in beide Richtungen; der Arbeitgeber hat vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ein Interesse an der Geltung eines zu Sanierungszwecken abgeschlossenen Tarifvertrags, der die Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer verschlechtert. 613 Bleibt es hingegen nicht nur beim Austritt des Verbandsmitglieds, sondern folgt darauf der Eintritt in einen anderen Verband (Verbandswechsel), der ebenfalls einen einschlägigen Tarifvertrag abgeschlossen hat, kommt es zur Kollision zweier Tarifverträge. Der nachbindende Tarifvertrag beansprucht Geltung gemäß § 3 Abs. 3 TVG, der Tarifvertrag der Gewerkschaft, zu der der Arbeitnehmer gewechselt ist, soll gemäß § 3 Abs. 1 TVG zur Anwendung kommen. Fraglich ist, wie diese Kollision aufzulösen ist. Diese Problematik wurde in der Literatur und Rechtsprechung regelmäßig mit Blick auf den Verbandswechsel des Arbeitgebers diskutiert, der mittels Verbandswechsels seiner alten Tarifbindung entgehen will. Da § 3 Abs. 3 TVG aber sowohl an den Arbeitgeber als auch an den Arbeit612 BAG 4. 4. 2002 – 4 AZR 237/00, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz mit kritischer Anm. Jacobs; 16. 5. 2001 – 10 AZR 357/00, EzA § 3 TVG Nr. 23; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 231; Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 126 f.; Lorenz in: Däubler, TVG, § 3 Rn. 80; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 729; Koop, Tarifvertragssystem, S. 178 ff.; Löwisch / Rieble, TVG, § 3 Rn. 85; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 60, 76; Thüsing / von Medem, ZIP 2007, 510 (514). A. A. Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 155 f. 613 Vgl. Greiner, Rechtsfragen, S. 407; Löwisch / Rieble, TVG, § 3 Rn. 85.
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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nehmer gerichtet ist, stellt sich die Situation beim Gewerkschaftswechsel nicht grundlegend anders dar als beim Wechsel des Arbeitgeberverbands. aa) Meinungsstand Das BAG und ein Teil der Literatur möchte den Konflikt zwischen Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG und Direktbindung gemäß § 3 Abs. 1 TVG nach den Regeln der Tarifkonkurrenz lösen. 614 Kein Tarifvertrag sei per se vorrangig. Danach kommt im konkreten Arbeitsverhältnis der jeweils speziellere Tarifvertrag zur Geltung und verdrängt den allgemeineren. 615 Damit wäre stets im Einzelfall zu überprüfen, ob der nachwirkende oder der direkt wirkende Tarifvertrag der speziellere und damit der relevante ist. Spartentarifverträge, die auf Funktionseliten zugeschnitten sind, werden damit regelmäßig nicht zum Zug kommen, wenn sie mit einem Branchentarifvertrag konkurrieren. Letzterer ist der speziellere Tarifvertrag, da es nicht darauf ankommt, ob ein für eine bestimmte Berufsgruppe besonders geschlossener Tarifvertrag der speziellere ist; entscheidend ist, dass ein Tarifvertrag geeignet sein muss, eine tarifliche Ordnung für den Betrieb insgesamt zur Verfügung zu stellen. 616 Somit könnten im Zweifel eher diejenigen Tarifverträge besondere Werbewirksamkeit entfalten, die ohnehin traditionell die weitestgehende Verbreitung haben und von den „großen Gewerkschaften“ abgeschlossen worden sind. Nach anderer Auffassung soll dem gemäß § 3 Abs. 1 TVG unmittelbar geltenden, mitgliedschaftlich legitimierten Tarifvertrag stets der Vorrang zukommen. 617 Die fortwirkende Tarifbindung sei kein Selbstzweck, sondern nur gerechtfertigt, soweit ein Unterlaufen der zwingenden Wirkung verhindert werden müsse, um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu bewahren. Weder der Arbeitgeber, der sich auch mit der zweiten Gewerkschaft tariflich gebunden hat, noch der Arbeitnehmer, der freiwillig seinen Verband wechsele, bedürften des Schutzes des § 3 Abs. 3 TVG. Folgt man dieser Ansicht, kann jeder Tarifvertrag auch Werbewirkungen auf Andersorganisierte haben; durch einen Gewerkschaftswechsel 614
BAG 26. 10.1986 – 4 AZR 219/81, AP Nr. 3 zu § 3 TVG; Gaul, NZA 1998, 9 (14); Giesen, NZA 2004, S. 539 f.; Koop, Tarifvertragssystem, S. 179; Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 157. Allein auf das Mehrheitsprinzip abstellend Greiner, Rechtsfragen, S. 407 ff. 615 Siehe dazu oben Teil 2 D. III. 1. a). 616 LAG Rheinland-Pfalz 22. 6. 2006 – 11 Sa 2096/03, AP Nr. 169 zu Art. 9 GG Arbeitskampf mit krit. Anm. Däubler; Bayreuther, BB 2005, 2633 (2640); Buchner, BB 2003, 2121 (2124); Deinert, NZA 2009, 1176 (1182); Greiner, NZA 2007, 1023 (1026); Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (255); Rolfs / Clemens, NZA 2004, 410 (414). A. A. Jacobs / Krause / Oetker, Tarifvertragsrecht, § 7 Rn. 214. 617 Henssler, FS Schaub, S. 311 (325); Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 78; Lieb / Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 530; Lorenz in: Däubler, TVG, § 3 Rn. 96. Vgl. auch Franzen, RdA 2008, 193 (198). Im Ergebnis auch Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 283, nach dem § 3 Abs. 3 TVG auf Arbeitnehmer keine Anwendung findet.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
können sie direkten Zugriff auf die Tarifinhalte erlangen. Ein „GewerkschaftsHopping“ wird dadurch begünstigt. Dazu entgegengesetzt wird vertreten, dass dem nachbindenden Tarifvertrag der Vorrang einzuräumen sei. 618 § 3 Abs. 3 TVG enthalte bereits eine Kollisionsregel, so dass ein Rückgriff auf den Spezialitätsgrundsatz nicht in Betracht komme. Es gelte das Prioritätsprinzip. Allein mit einem derartigen Verständnis könne eine Tarifflucht des Verbandsmitglieds effizient verhindert werden. Folgt man dem, so kann der Tarifvertrag einer Konkurrenzgewerkschaft auf den Organisierten erst dann seine Werbewirkung entfalten, wenn der eigene Tarifvertrag ausgelaufen ist. Namentlich Konzen vertritt schließlich die Auffassung, dass dem Tarifvertrag Vorrang zukomme, der für die Gegenseite, also nicht für den Verbandswechsler, günstiger sei. 619 § 3 Abs. 3 TVG diene dem Schutz des Mitglieds des gegnerischen Verbands, nicht dem Schutz des Verbandswechslers. Dieser von § 4 Abs. 3 TVG unabhängige Günstigkeitsvergleich wurde im Hinblick auf den Verbandswechsel des Arbeitgebers entwickelt, kann aber gleichwohl auch auf den Verbandswechsel des Arbeitnehmers übertragen werden. Auf die hier interessierende Konstellation des Gewerkschaftswechsels, welcher dem Ziel dient, in den Genuss einer tarifvertraglichen Sonderleistung zu kommen, angewandt, wird man – die nicht unerheblichen Schwierigkeiten, die jedem Günstigkeitsvergleich innewohnen, seien hier hintangestellt – regelmäßig davon ausgehen können, dass der vom Verbandswechsler angestrebte Tarifvertrag der für ihn günstigere ist. Ansonsten würde er keinen Anreiz zum Verbandswechsel verspüren. Für das Mitglied des gegnerischen Verbands, den Arbeitgeber, 620 ist der neue Tarifvertrag mithin ungünstiger, so dass nach dieser Ansicht der alte Tarifvertrag gemäß § 3 Abs. 3 TVG weiter gelten würde. bb) Stellungnahme Löst man das Konkurrenzproblem mit dem BAG nach dem Grundsatz der Spezialität, aber natürlich auch und insbesondere nach dem Mehrheitsprinzip, würde dies regelmäßig die traditionsreichen Tarifverträge der „großen Gewerkschaften“ 618
Berg et al., KK, § 3 TVG Rn. 80; Bieback, DB 1989, 477 (480 f.); Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1517; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 109; Thüsing / von Medem, ZIP 2007, 510 (514); tendenziell auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 729. Explizit im Hinblick auf Differenzierungsklauseln Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 126 f., der allerdings auf einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit desjenigen Arbeitnehmers abstellt, der bei der die Sonderleistung vereinbarenden Gewerkschaft organisiert ist. In dieser Konstellation ist ein Eingriff jedoch fern liegend. 619 Konzen, ZfA 1975, 401 (428 f.). 620 Für den Arbeitgeber, der gemäß § 3 Abs. 1 Alt. 2 TVG selbst Tarifvertragspartei ist, kann nichts anderes gelten.
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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bevorzugen. Nur diese würden einen Übertrittsanreiz auf Andersorganisierte ausüben können, solange die Andersorganisierten einem eigenen Tarifvertrag unterfallen. Umgekehrt würde ein Spartentarifvertrag einen Andersorganisierten nicht zum Wechsel bewegen können, da für diesen Arbeitnehmer sein alter Tarifvertrag gemäß § 3 Abs. 3 TVG weiter gelten würde. Diese Bevorzugung der alteingesessenen Arbeitnehmerverbände findet keine rechtliche Rechtfertigung – auch wenn das Ergebnis demjenigen politisch erstrebenswert scheinen mag, der dem zunehmenden Gewerkschaftspluralismus kritisch gegenübersteht. Eine Lösung nach dem Grundsatz der Spezialität bzw. nach dem Mehrheitsprinzip ist daher abzulehnen. § 3 Abs. 3 TVG soll verhindern, dass sich ein Verbandsmitglied durch einen Verbandswechsel seiner tarifvertraglichen Bindung entziehen kann. 621 Die tarifliche Kontinuität soll gewahrt bleiben und darf nicht durch das Verhalten einzelner Mitglieder gefährdet werden. 622 Stellt man diesen Aspekt in den Mittelpunkt, wird deutlich, dass es auf Günstigkeitserwägungen nicht ankommen kann. Diese wären ohnehin mit Unsicherheiten verbunden. Daher ist der Auffassung zuzustimmen, die § 3 Abs. 3 TVG bereits als Kollisionsnorm für den Fall des Aufeinandertreffens von nachbindendem und direkt bindendem Tarifvertrag begreift und dem alten Tarifvertrag somit den Geltungsvorrang einräumt. Es wird dabei nicht verkannt, dass die Nachbindung – wie das Arbeitsrecht insgesamt – in erster Linie dem Schutz des Arbeitnehmers dienen soll. Dementsprechend haben die Vertreter der Auffassung, nach der dem nachbindenden Tarifvertrag der Vorrang einzuräumen sei, in der Regel den Verbandswechsel des Arbeitgebers vor Augen. Primär der Arbeitgeber soll an einer Tarifflucht gehindert werden. Bei konsequenter Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG als eigenständige Kollisionsregel kann es aber keinen Unterschied machen, ob nun der Arbeitgeber seinen Pflichten entkommen will, oder der Arbeitnehmer. Denn auch der Arbeitgeber kann ein berechtigtes Interesse daran haben, dass die Mitglieder des Verbands, mit dem er einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, für dessen Laufzeit den zwingenden Regelungen unterworfen bleiben. Auch er darf auf die Kontinuität des einmal abgeschlossenen Tarifvertrags vertrauen. Das gilt insbesondere bei Tarifverträgen, die zu Sanierungszwecken abgeschlossen wurden. Vor dem Hintergrund der Differenzierungsklausel-Problematik erweist sich die Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG darüber hinaus als stabilisierendes Element in der Tariflandschaft 623 und dient damit auch der Ordnungsfunktion. Sie verhindert überstürzte Wanderungsbewegungen zwischen konkurrierenden Gewerkschaften; der Gefahr des „Gewerkschafts-Hoppings“ dürfte damit angemessen Rechnung getragen sein. Der Grundsatz des pacta sunt servanda gilt 621 622 623
Konzen, ZfA 1975, 401 (428 f.); Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 109. Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 283. Vgl. auch Greiner, Rechtsfragen, S. 408 f.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
somit in beide Richtungen. Der nachwirkende Tarifvertrag hat während seiner Laufzeit demnach Vorrang vor dem direkt gemäß § 3 Abs. 1 TVG geltenden Tarifvertrag. cc) Ergebnis Wechselt ein organisierter Arbeitnehmer die Gewerkschaft, während er noch einem Tarifvertrag seiner Erstgewerkschaft unterworfen ist, gilt dieser gemäß § 3 Abs. 3 TVG weiter. Erst wenn dieser Tarifvertrag endet, kommt der Arbeitnehmer in den Genuss des Tarifvertrags seiner neuen Gewerkschaft. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht kein rechtlich relevanter Übertrittsdruck, sondern höchstens ein den Schutzbereich der individuellen Koalitionsfreiheit nicht berührender Anreiz zum Wechsel. Diese nicht unerhebliche Einschränkung gilt es im Hinterkopf zu behalten, wenn es um die Frage der Druckausübung durch den Tarifvertrag einer Konkurrenzgewerkschaft geht; nur sofern es keinen den Andersorganisierten bereits bindenden Tarifvertrag gibt, kann ein Wechsel der Gewerkschaft lohnend sein. Eine durchaus denkbare zeitlich befristete tarifliche Bonuszahlung würde somit etwa keinen Beitrittsdruck auf einen andersorganisierten, bereits tarifgebundenen Arbeitnehmer ausüben, sofern die Befristung die Laufzeit des anderen Tarifvertrags nicht maßgeblich überschreitet. c) Eingriff in die positive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten Wie gesehen, führt bereits § 3 Abs. 3 GG zu einer nicht unwesentlichen Einschränkung im Hinblick auf eine mögliche Druckwirkung zum Gewerkschaftsübertritt. Unter Beachtung dieser soeben aufgezeigten Einschränkung sind freilich weiterhin Eingriffe in die positive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten denkbar. So sind vor allem die Fälle zu bedenken, in denen die eigene Gewerkschaft noch gar keinen Tarifvertrag abschließen konnte oder ein abgeschlossener Tarifvertrag ausgelaufen ist. Doch auch in diesen Fällen muss eine denkbare Druckausübung vor dem Hintergrund des nun möglichen Wettbewerbs mehrerer Tarifverträge neu bewertet werden. Einfache beschränkte Differenzierungsklauseln greifen nicht in die positive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten ein. 624 Es gilt insoweit das zu den allgemeinen Differenzierungsklauseln im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten Gesagte. 625 Dem Andersorganisierten wird ein Nachverhandeln mit dem Arbeitgeber ebenso wenig verbaut wie dem Nichtor624 Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 115; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 195. 625 Siehe Teil 2 D. II. 2. b) aa).
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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ganisierten. Es besteht kein rechtlich relevanter Übertrittsdruck, der in Art. 9 Abs. 3 GG eingreift. Aber auch bei beschränkten Spannen- und Tarifausschlussklauseln liegt kein rechtfertigungsbedüftiger Eingriff vor, sofern diese Klauseln eine entsprechende, gleichstellende Regelung in Konkurrenztarifverträgen nicht ausschließen sollen. In diesem Fall spricht nichts dagegen, den Andersorganisierten an seine eigene Organisation zu verweisen. Der Sondervorteil kommt ihm nämlich nur deshalb nicht zu, weil sein eigener Verband, zu dem er sich durch seinen Beitritt bekannt hat, diesen Vorteil (noch) nicht aushandeln konnte oder wollte. Dass er keinen Zugriff auf die Exklusivleistung hat, ist Folge der Ausübung seiner eigenen positiven Koalitionsfreiheit. Anders als noch unter der durch den Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität geprägten Rechtslage steht die Möglichkeit offen, den Abschluss eines gleichwertigen Tarifvertrags, der neben dem Tarifvertrag der anderen Gewerkschaft zur Anwendung kommen kann, voranzutreiben und notfalls zu erstreiken. Ein rechtswidriger Übertrittsdruck durch beschränkte Differenzierungsklauseln ist daher nach Aufgabe der Tarifeinheitslösung bei Tarifpluralität nicht mehr festzustellen, sofern der Verband des Andersorganisierten einen gleichwertigen Abschluss erzielen kann. Der Übertrittsdruck verwandelt sich in einen Ansporn zur Ausübung der eigenen Koalitionsfreiheit. Sofern ein Tarifvertrag allerdings das Gleichziehen durch einen anderen Verband behindern möchte, verstößt dies bereits gegen die kollektive Koalitionsfreiheit der Konkurrenzvereinigung. Derartige beschränkte Differenzierungsklauseln sind bereits deshalb unzulässig. 626 Im Hinblick auf den einzelnen Andersorganisierten kann dann überdies ein unzulässiger Beitrittsdruck entstehen, der aufgrund der unbedingten Nichtigkeitsanordnung des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG dann gegeben ist, wenn in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit eingegriffen wurde. Einer Rechtfertigung im Rahmen praktischer Konkordanz ist der Boden entzogen. 627 Insofern gilt für die Eingriffsbestimmung vom Ausgangspunkt her das Gleiche wie bei der negativen Koalitionsfreiheit: Sofern die aus eigener Kraft nicht erreichbare Sonderleistung bei wirtschaftlicher Betrachtung einen Verbandswechsel lukrativer werden lässt als das Verbleiben im eigenen Verband, ist die individuelle Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten verletzt. 4. Ergebnis und abschließende Bewertung Betrachtet man nach den Erörterungen zum Schutz der kollektiven Koalitionsfreiheit vor tarifvertraglicher Differenzierung nochmals die individuelle Lage des Andersorganisierten, wird erkennbar, dass mit Anerkennung der Tarifplura626 627
Siehe Teil 2 D. III. 2. c). Siehe dazu bereits Teil 2 D. III. 3. a).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
lität im Betrieb die individuelle Koalitionsfreiheit weiter in den Hintergrund tritt. Wie gesehen, sind die Möglichkeiten der konkurrierenden Verbände, dem jeweils anderen Verband bestimmte Leistungen vorzuenthalten, von Verfassungs wegen eng begrenzt. Der Andersorganisierte ist nicht mehr darauf angewiesen, die tariflichen Leistungen einer fremden Gewerkschaft in Anspruch zu nehmen. Er kann nunmehr darauf verwiesen werden, seine Gewerkschaft dazu anzuhalten, einen dem begehrten Tarifvertrag entsprechenden eigenen Tarifvertrag abzuschließen. Damit verlässt der Andersorganisierte den status negativus, der in der bisherigen Diskussion stets im Zentrum stand. Er kann – und soll – von seiner positiven Koalitionsfreiheit Gebrauch machen, indem er sich für den Abschluss eines eigenen Tarifvertrags engagiert. Auf ihn wirkt daher kein Übertrittsdruck, sondern ein Anreiz zum Tätigwerden.
IV. Die Arbeitsvertragsfreiheit von Außenseiter und Arbeitgeber Ein weiterer Einwand, der gegen die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln vorgetragen wird, lautet, dass diese gegen die Vertragsfreiheit, oder genauer: die Arbeitsvertragsfreiheit, der Außenseiter bzw. der Arbeitgeber verstoßen. 1. Dogmatische Herleitung der Arbeitsvertragsfreiheit Die Vertragsfreiheit ist Ausdruck der Privatautonomie. Ihr allgemeiner Schutz ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 GG. Für spezielle Vertragsarten zieht die herrschende Auffassung hingegen die jeweiligen Spezialgrundrechte heran, welche die lex generalis des Art. 2 Abs. 1 GG verdrängen, soweit sie einschlägig sind. 628 Im Hinblick auf die Freiheit, Arbeitsverträge abzuschließen, wird dementsprechend überwiegend auf Art. 12 Abs. 1 GG abgestellt. 629
628 BVerfG 12. 11. 1958 – 2 BvL 4/56 u. a., BVerfGE 8, 274 (328) (Preisgesetz); 16. 5. 1961 – 2 BvF 1/60, BVerfGE 12, 341 (347) (Spinnweber-Zusatzsteuer); 4. 6. 1985 – 1 BvL 12/84, BVerfGE 70, 115 (123), m. w. Nachw. Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 4. 629 BVerfG 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 (254) (Handelsvertreter); 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, BVerfGE 116, 202 (221) (Tariftreueregelung); BAG 16. 3. 1994 – 5 AZR 339/92, BAGE 76, 155 (166); Boemke, NZA 1993, 532 (533 f.); Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 117; Dieterich/Schmidt in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 12 GG Rn. 15; Di Fabio in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Rn. 103; Giesen, NZA 2004, S. 1317 (1319); Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 10; Kühnast, Die Grenzen zwischen tariflicher und privatautonomer Regelungsbefugnis, S. 126; Löwisch / Rieble, TVG, § 5 Rn. 178, zur Tariftreueregelung; Papier, RdA 1989, 137 (138 ff.); Söllner, RdA 1989, 144 (148).
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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Teilweise wird die Arbeitsvertragsfreiheit allerdings als durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt angesehen. 630 Die Einzelheiten sind wiederum umstritten: So geht Leventis von einer kumulativen Anwendbarkeit von Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG aus; 631 Belling möchte nur die Aspekte des Vertragsabschlusses und der Wahl des Vertragspartners Art. 12 Abs. 1 GG, die inhaltliche Ausgestaltung des Arbeitsvertrags jedoch Art. 2 Abs. 1 GG zuordnen. 632 Der letztgenannte Ansatz würde dazu führen, dass die hier interessierenden Differenzierungsklauseln im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit der Arbeitsvertragsfreiheit grundsätzlich an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen wären, da sie Auswirkungen auf die Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen haben; Organisations- bzw. Absperrklauseln hingegen sollen den Abschluss des Außenseiter-Arbeitsvertrags verhindern und wären damit an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Die h. M., nach der sich der Schutz der Arbeitsvertragsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG ergibt, ist überzeugend. Für sie spricht schon das Subsidiaritätsprinzip, nach dem erst dann auf Art. 2 Abs. 1 GG zurückzugreifen ist, wenn kein spezielles Freiheitsgrundrecht einschlägig ist. Das Aushandeln und Abschließen von Arbeitsverträgen hat insbesondere aus Arbeitnehmersicht eine wesentliche Bedeutung für die Schaffung einer Existenzgrundlage. Sie stellen die Basis für das berufliche Tätigwerden im Hinblick auf die abhängige Beschäftigung dar. Es kann nicht überzeugen, diesen zentralen Faktor aus dem Anwendungsbereich des Art. 12 GG auszuklammern. Auch ist nicht einsichtig, weshalb die inhaltliche Ausgestaltung von Arbeitsbedingungen nicht unter den Begriff der Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG fallen sollte. 633 Im Ergebnis ist der herrschenden Ansicht daher darin zu folgen, die Arbeitsvertragsfreiheit in Art. 12 Abs. 1 GG zu verorten. Dies gilt sowohl für die Arbeitnehmer- als auch für die Arbeitgeberseite. 634 2. Folgerungen für die Prüfung Ausgehend von der Erkenntnis, dass sich die Außenseiter gegenüber tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln auf ihre Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Funktion berufen können, 635 lassen sich für die Prüfung des Art. 12 Abs. 1 630
Gubelt in: von Münch / Kunig, GG, Art. 12 Rn. 93; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 41; Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (203); Linck in: Schaub et al., ArbR-Hdb., § 31 Rn. 2; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 29; Ebenso noch BVerfG 19. 5. 1992 – 1 BvR 126/85, BVerfGE 86, 122 (126). Offenlassend Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 161; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 204 f. 631 Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 33. 632 Belling, Günstigkeitsprinzip, S. 74. 633 Vgl. Boemke, NZA 1993, 532 (533). 634 So auch Papier, RdA 1989, 137 (138); Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 254 f.; Söllner, RdA 1989, 144 (148).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
GG die Maßstäbe heranziehen, welche das BVerfG für die Vereinbarkeit von Gesetzen mit der Berufsfreiheit entwickelt hat. Die dabei vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsprüfung wird dabei gemäß der sog. Dreistufentheorie vorstrukturiert. 636 Die Anforderungen an die Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs steigen mit der Intensität des Eingriffs. Das BVerfG geht dabei wie folgt vor: Auf der niedrigsten Eingriffsstufe siedelt es bloße Berufausübungsregelungen an. Diese können durch jede vernünftige Erwägung des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden. 637 Auf der zweiten Stufe stehen die subjektiven Berufswahlregelungen, welche die Ausübung des Berufs von persönlichen Eigenschaften oder Fähigkeiten des Betroffenen abhängig machen, wie etwa dem Alter, der Zuverlässigkeit oder dem Ablegen einer bestimmten Prüfung. 638 Subjektive Berufswahlbeschränkungen sind nur zulässig, wenn sie dem Schutz überragender Gemeinschaftsgüter dienen. 639 Die strengsten Anforderungen an eine Rechtfertigung stellen die objektiven Berufswahlregelungen. Diese sind nur rechtmäßig, wenn sie der Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlich schwerwiegender Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeingut dienen. 640 Wurde dieses auf den ersten Blick leicht handhabbare Grundgerüst seit seiner erstmaligen Anwendung im Apothekenurteil auch stets weiter ausdifferenziert und teilweise aufgeweicht, bietet es doch auch heute noch einen guten Ansatzpunkt für die Verhältnismäßigkeitsprüfung. 3. Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit Differenzierungsklauseln müssen sich nur dann an der Arbeitsvertragsfreiheit von Außenseiter und Arbeitgeber messen lassen, wenn sie in den grundrechtli-
635
Siehe dazu Teil 2 D. I. 4. f). Grundlegend BVerfG 1. 6. 1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377 (397 ff.) (Apothekenurteil). Vgl. zur Maßgeblichkeit der Dreistufentheorie in diesem Zusammenhang Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 110 ff.; Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 263 ff.; Papier, RdA 1989, 137 (138 f.); Waltermann, Berufsfreiheit im Alter, S. 91 f. Dagegen aber Canaris, AcP 184 (1984), 201 (244). 637 BVerfG 1. 6. 1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377 (405) (Apothekenurteil); 11. 2. 1992 – 1 BvR 1531/90, BverfGE 85, 248 (259) (Werbeverbot); 3. 12. 2000 – 1 BvR 335/97, BVerfGE 103, 1 (10) (Singularzulassung von Rechtsanwälten). 638 Siehe Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 35, mit weiteren Beispielen. 639 BVerfG 17. 7. 1961 – 1 BvL 44/55, BVerfGE 13, 97 (107) (Handwerksordnung); 18. 11. 1980 – 1 BvR 228/73 u. a., BVerfGE 55, 185 (196); 12. 3. 1985 – 1 BvL 25/83 u. a., BVerfGE 69, 209 (218); 9. 8. 1995 – 1 BvR 2263/94 u. a., BVerfGE 93, 213 (235) (DDR-Rechtsanwälte). 640 BVerfG 1. 6. 1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377 (408) (Apothekenurteil); 14. 10. 1975 – 1 BvL 35/70 u. a., BVerfGE 40, 196 (218) (Güterkraftverkehrsgesetz); 19. 7. 2000 – 1 BvR 539/96, BVerfGE 102, 197 (214 f.) (Spielbankgesetz Baden-Württemberg). 636
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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chen Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG eingreifen. Liegt ein Eingriff vor, ist zu bestimmen, auf welcher Stufe er einzuordnen ist. a) Einfache Differenzierungsklauseln Einfache Differenzierungsklauseln behindern weder Außenseiter noch Arbeitgeber daran, einen Arbeitsvertrag abzuschließen, der inhaltlich dem eines organisierten Arbeitnehmers entspricht. Sie bewirken nur, dass mittels einer Bezugnahmeklausel oder Allgemeinverbindlicherklärung keine sofortige Gleichstellung mit den organisierten Arbeitnehmern entsteht. Daher fehlt es bei einfachen Differenzierungsklauseln bereits an einem rechtfertigungsbedürftigen Eingriff. 641 b) Tarifausschlussklauseln Tarifausschlussklauseln befassen sich unmittelbar nur mit dem Rechtsverhältnis zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberseite. Eine rechtlich zwingende Wirkung auf das Außenseiter-Arbeitsverhältnis können sie nicht ausüben; das ist aufgrund der fehlenden Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien zu Lasten des Außenseiters nicht möglich. Ein entgegen der Vorgabe der Tarifausschlussklausel geschlossener Arbeitsvertrag ist daher auch wirksam. 642 Gleichwohl beeinträchtigen Tarifausschlussklauseln die Arbeitsvertragsfreiheit, weil sie der Arbeitgeberseite Vorgaben hinsichtlich der Vertragsgestaltung mit Außenseitern machen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich der Arbeitgeber beim Firmentarifvertrag seiner tarifvertraglich eingegangenen Verpflichtung gegenüber der Gewerkschaft entziehen bzw. sich beim Verbandstarifvertrag dem Einwirkungsdruck seines Verbands aussetzen will. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich der Arbeitgeber an die Differenzierungsvorgabe halten wird und demnach den Vertragsschluss mit dem Außenseiter de facto danach richten wird. Auch der Schutz vor bloß tatsächlichen Beeinträchtigungen der Vertragsgestaltung wird von der Arbeitsvertragsfreiheit gewährleistet. 643 Dagegen wird zum Teil geltend gemacht, dass das Recht Behinderungen faktischer Natur, die sich negativ auf die Vertragsfreiheit auswirkten, an vielen Stellen 641 Zutreffend BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1034). Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 120; Kamanabrou, Anm. zu AP Nr. 41 zu § 3 TVG, Bl. 21 rechts; Kocher, NZA 2009, 119 (123); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 206 f. A. A. Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 145. 642 Biedenkopf, Gutachten, S. 97 (132 f.); Gamillscheg, Differenzierung, S. 70; Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (201); Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 17. Unrichtig Bauer / Arnold, NZA 2005, 1209 (1211). 643 Vgl. Franzen, RdA 2006, 1 (5 f.); Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 31 f. A. A. wohl Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 361.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
kenne. Schon jeder Stückkauf beeinträchtige etwa die Vertragsoptionen Dritter, mit denen der Verkäufer über den selben Gegenstand regelmäßig keinen Vertrag mehr abschließen werde. 644 Hingewiesen wird auch auf Wettbewerbsvereinbarungen, die verhindern sollen, dass der konkurrierende Arbeitgeber den dem Verbot unterliegenden Arbeitnehmer einstellt; letztlich sei die Ausübung jedes Rechts insoweit für andere eine Schranke. Darin könne man aber keinen Eingriff in die Vertragsfreiheit erblicken. 645 Der Grundrechtsschutz des Außenseiters ginge zu weit, wenn er auch das Recht umfassen würde, dass andere keine Verträge schließen, die ihre privatautonomen Vertragschancen gezielt beeinträchtigten. 646 Diese Erwägungen sind für rein privatrechtliche Beziehungen im Ergebnis sicherlich zutreffend. Das ist jedoch darauf zurückzuführen, dass es in diesem Bereich grundsätzlich keine unmittelbare Bindung der Betroffenen an die Grundrechte gibt, sondern diese erst im Rahmen der Schutzpflichtenlehre Eingang in die einzelnen Vertragsgestaltungen finden. Geht es jedoch um eine Beeinflussung tatsächlicher Vertragschancen durch die Tarifvertragsparteien, die nach hier vertretener Ansicht in einer Weise an die Grundrechte gebunden sind, die der des Gesetzgebers gleichkommt, kann man sich nicht auf die Position zurückziehen, dass es faktische Eingriffe im Verhältnis zwischen Privaten stets gebe. Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ist weit zu ziehen, er erfasst grundsätzlich auch faktische Beeinträchtigungen. Insoweit besteht eine gewisse Parallele zur sog. Regelung mit berufsregelnder Tendenz. Es ist seit langem anerkannt, dass nicht nur Regelungen, die eine unmittelbare Beeinträchtigung beruflicher Betätigung zum Gegenstand haben, einen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG darstellen können; auch mittelbare, tatsächliche Auswirkungen auf die Berufsfreiheit müssen gerechtfertigt werden, wenn sie eine objektiv berufsregelnde Tendenz aufweisen. 647 Dies ist bei Tarifausschlussklauseln unzweifelhaft der Fall, da sie Einfluss auf die Vertragsgestaltung der Außenseiter ausüben wollen. Der Eingriff findet auf der untersten der drei Stufen statt; der Außenseiter und der verbandsangehörige Arbeitgeber werden in ihrer Berufsausübungsfreiheit tangiert.
644
Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 138; Reuß, AcP 166 (1966), 518 (522 f.). Gamillscheg, Differenzierung, S. 70 f. 646 Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 137 f. Dieses Recht hingegen bejahend Biedenkopf, Gutachten, S. 97 (133); Franzen, RdA 2001, 1 (10); Wiedemann, SAE 1969, 265 (268). 647 Ständige Rspr., vgl. BVerfG 8. 4. 1997 – 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267 (302) (Altschulden); 17. 2. 1998 – 1 BvF 1/91, BVerfGE 97, 228 (254) (Kurzberichterstattung im Fernsehen); 13. 7. 2004 – 1 BvR 1298/94 u. a., BVerfGE 111, 191 (213) (Notarkassen). 645
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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c) Spannenklauseln Im Hinblick auf auf eine normativ wirkende Spannenklausel gilt für den Außenseiter das zum Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit Gesagte: 648 Betrachtet man die jeweiligen Arbeitsverträge isoliert, werden dem einzelnen Arbeitnehmer rechtlich die Ausgestaltungsmöglichkeiten für einen bestimmten Vertragsabschluss nicht beschnitten. 649 Der Arbeitgeber wird jedoch gehindert, die Außenseiter kollektiv den Organisierten gleichzustellen. Er kann somit keine vorgefertigten Einheitsarbeitsbedingungen, die eine derartige Gleichstellung bezwecken, zur Grundlage seiner Vertragsverhältnisse mit Außenseitern machen. Auch eine vereinheitlichende Gewährung mittels Gesamtzusage und Betrieblicher Übung, die richtigerweise ebenfalls vertragsrechtlich qualifiziert werden, 650 ist nicht möglich, ohne den Mechanismus der Spannenklausel auszulösen. Insoweit liegt für den Arbeitgeber eine Beeinträchtigung seiner Berufsausübungsfreiheit vor. d) Organisations- bzw. Absperrklauseln und mitgliedschaftsorientierte Kündigungsschutzklauseln Organsations- bzw. Absperrklauseln hingegen greifen in die Freiheit des Arbeitnehmers ein, einen bestimmten Arbeitsplatz bei einem bestimmten Arbeitgeber besetzen zu können. Sie stellen damit subjektive Arbeitsplatzwahlbeschränkungen auf, die demnach auf der zweiten Stufe der Dreistufentheorie anzusiedeln sind. Gleiches gilt für mitgliedschaftsorientierte Kündigungsschutzklauseln, die ebenso wie closed-shop-Vereinbarungen auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses und damit auf die Arbeitsplatzwahl abzielen. Die Beschränkung liegt jeweils in der Person des Außenseiters in seiner Eigenschaft als solcher begründet. Die Arbeitgeberseite wird ebenfalls im Hinblick auf das „Ob“ des Arbeitsvertragsschlusses beeinträchtigt. Bei ihr hängt die Berufswahl aber nicht in dem Maße vom Abschluss eines bestimmten Arbeitsvertrags ab, wie beim Arbeitnehmer; regelmäßig kann ein Arbeitgeber für eine Stelle auf mehrere Bewerber zurückgreifen. Auch wenn das nicht möglich sein sollte, dürfte es eine Ausnahme bleiben, dass der Arbeitgeber derart von der Besetzung eines bestimmten 648
Siehe Teil 2 D. II. 2. b) cc). Koop, Tarifvertragssystem, S. 307; Leydecker, ArbuR 2006, 11 (15). A. A. Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 165; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 122; Franzen, RdA 2006, 1 (6). 650 Siehe für die Vertragstheorie der h. M. etwa BAG 4. 5. 1999 – 10 AZR 290/98, BAGE 91, 283 (287); 16. 1. 2002 – 5 AZR 715/00, AP Nr. 56 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; 18. 3. 2009 – 10 AZR 281/08, AP Nr. 83 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, NZA 2011, 920 (925). Brox / Rüthers / Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 137 f.; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 98. Für die Vertrauenstheorie siehe etwa Lieb / Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 55. 649
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Arbeitsplatzes durch eine bestimmte Person abhängig ist, dass dadurch seine unternehmerische Tätigkeit insgesamt gefährdet wäre. Regelmäßig wird es sich daher im Hinblick auf den Arbeitgeber nur um eine Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit handeln, wenn es ihm verboten wird, bestimmte Arbeitnehmer einzustellen. Die gleichen Erwägungen gelten auch für mitgliedschaftsorientierte Kündigungsschutzklauseln. e) Zwischenergebnis Einfache Differenzierungsklauseln stellen keinen Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG dar. Tarifausschlussklauseln und Spannenklauseln hingegen beschränken die Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers und greifen daher in seine Berufsausübungsfreiheit ein. Organisationsbzw. Absperrklauseln und mitgliedschaftsorientierte Kündigungsschutzklauseln beschränken die Arbeitsplatzwahl des Arbeitnehmers und die Berufsausübung des Arbeitgebers; sie bedürfen daher ebenfalls der Rechtfertigung. 4. Rechtfertigung Soweit im Schrifttum die Unzulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit mit einem Verstoß gegen die Arbeitsvertragsfreiheit begründet wird, wird dies daraus abgeleitet, dass die Arbeitsvertragsparteien einen Anspruch darauf hätten, dass ihre privatautonomen Vertragsgestaltungschancen nicht gezielt beeinträchtigt werden. 651 Einen Anspruch auf einen bestimmten Vertragsinhalt gebe es zwar nicht, jedoch dürfe die Chance, einen bestimmten Abschluss zu erreichen, nicht vereitelt werden. Die Existenz eines derartigen „Anspruchs“ – terminologisch richtiger ist es wohl, von einem Recht zu sprechen, bewegt man sich doch auf der Ebene der Grundrechtsausübung und ihrer Einschränkbarkeit – ist gleichwohl erst nachzuweisen. Sie kann erst bejaht werden, wenn die Rechtfertigung eines festgestellten Eingriffs nicht gelingt. Es ist daher unzutreffend, wenn das BAG in seiner Entscheidung vom 23. 3. 2011 zur Unzulässigkeit von Spannenklauseln für den Verstoß gegen die Arbeitsvertragsfreiheit lediglich darauf abstellt, dass eine derartige Klausel eine Gleichstellung unmöglich machen würde, und kein Wort über mögliche Rechtfertigungsgründe für diesen Eingriff fallen lässt. 652 651 Biedenkopf, Gutachten, S. 97 (133); Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 118; Franzen, RdA 2006, 1 (6). 652 BAG 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, NZA 2011, 920 (923 ff.) = AP zu Art. 9 GG (im Erscheinen) mit krit. Anm. Neumann. Das formalistisch anmutende Argument, mit dem das BAG sich gegen die Zulässigkeit der Spannenklausel ausspricht, nämlich dass die wirksame Vereinbarung einer solchen Klausel zum unendlichen Aufschaukeln der
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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a) Tarifausschlussklauseln und Spannenklauseln Tarifausschlussklauseln beschränken Arbeitgeber und Außenseiter in ihrer Freiheit der inhaltlichen Ausgestaltung des Arbeitsvertrags. Diese Beschränkung muss sich lediglich auf legitime Gemeinwohlzwecke stützen können. Ebenso wie bei der Frage der Rechtfertigung von Eingriffen in die negative Koalitionsfreiheit lassen sich die durch Mitgliederwerbung vermittelte Stärkung der Tarifautonomie sowie die gerechte Aufteilung der Lasten innerhalb der Arbeitnehmerschaft als legitime Zwecke ausmachen. Faktische Beschränkungen der Vertragsfreiheit sind zahlreich und stoßen nur in seltenen Fällen auf verfassungsrechtliche Bedenken. Ein generelles Verbot von Exklusivverträgen gibt es ebenso wenig wie den Anspruch auf einen bestimmten Vertragsinhalt. 653 Auch bloße Vertragschancen werden häufig vereitelt, ohne dass dies zu kritisieren wäre. Das gesamte Arbeitsschutzrecht etwa ist voll von vereitelten Vertragschancen, soweit es zwingend ausgestaltet ist. Solange die individualvertraglichen Vereinbarungsmöglichkeiten nicht unverhältnismäßig stark durch Tarifausschlussklauseln beschnitten werden, sind diese mit der Arbeitsvertragsfreiheit vereinbar. Dabei ist auch zu bedenken, dass eine Tarifausschlussklausel es den Arbeitsvertragsparteien nicht untersagt, dem Arbeitnehmer an anderer Stelle einen Vorteil zu gewähren 654 – freilich unter Beachtung der Unzulässigkeit von Umgehungsgeschäften. Soweit Tarifausschlussklauseln die Grenzen einhalten, die ihnen durch die negative Koalitionsfreiheit gezogen werden, wird man jedenfalls auch im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG keine unangemessene Beeinträchtigung feststellen können. 655 Gleiches gilt für Spannenklauseln, die in die Berufsfreiheit des Arbeitgebers eingreifen. Im Hinblick auf die Berufsfreiheit des Arbeitgebers ist ferner zu bedenken, dass dieser entweder (beim Firmentarifvertrag) die differenzierende Tarifregelung selbst mit herbeigeführt hat, oder (beim Verbandstarifvertrag) die Einschränkung seiner arbeitsvertraglichen Freiheit durch Beitritt zum abschließenden Verband legitimiert hat. 656 Eine
arbeitgeberseitigen Leistungen führen würde, wenn sie auf eine individualvertragliche Gleichstellungsklausel stieße, befasst sich mit einem Scheinproblem, dem durch Auslegung der jeweiligen Klausel angemessen Rechnung getragen werden kann. Siehe dazu Neumann, a. a. O., unter III. 2. d). Ein ähnlich gelagerter Fall, in dem die Rechtfertigungsmöglichkeit aus dem Blick zu geraten droht, begegnet des Weiteren bei der Frage nach der Vereinbarkeit von Differenzierungsklauseln mit dem allgemeinen Gleichheitssatz, siehe Teil 2 D. V. 1. 653 Vgl. Deinert, Anm. zu LAGE Nr. 15 a zu Art. 9 GG, 9 (16); Gamillscheg, NZA 2005, 146 (148); Georgi, Zulässigkeit, S. 74; Ulber / Strauß, DB 2008, 1970 (1973). 654 Vgl. dazu Gamillscheg, BB 1967, 45 (51); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 232. A. A. Biedenkopf, Gutachten, S. 97 (136). 655 Ebenso vor dem Hintergrund des Art. 2 Abs. 1 GG Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (207 f.).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Rechtfertigung des durch Spannen- bzw. Tarifausschlussklauseln verursachten Eingriffs in die Arbeitsvertragsfreiheit gelingt daher. b) Organsations- bzw. Absperrklauseln und mitgliedschaftsorientierte Kündigungsschutzklauseln Arbeitsplatzwahlbeschränkungen unterliegen strengen Einschränkungsvoraussetzungen. Durch Organisations- bzw. Absperrklauseln wird der Außenseiter zwar regelmäßig nicht von der arbeitsplatztypischen Berufsausübung generell ausgeschlossen; es ist nämlich denkbar, dass der Arbeitnehmer eine entsprechende Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber ausüben könnte, sofern der Arbeitgeber, bei dem eine Tätigkeit aufgrund einer closed-shop-Absprache nicht möglich ist, nicht eine Monopolstellung hinsichtlich des fraglichen Berufs innehat. Gleichwohl genießt die Entscheidung für einen konkreten Arbeitsplatz nach mittlerweile ganz herrschender Meinung den gleichen Schutz wie die Freiheit der Berufswahl. 657 Dass dieser Gleichlauf von Arbeitsplatzwahl und Berufswahl richtig ist, wird erkennbar, wenn man sich die erhebliche Bedeutung des Arbeitsplatzes für den Arbeitnehmer als Grundlage seiner wirtschaftlichen Existenz vor Augen führt, sowie den Umstand, dass die Einflussmöglichkeiten des Einzelnen im Hinblick auf die Aufnahme einer bestimmten Tätigkeit, anders als bei der selbständigen Tätigkeit, stark begrenzt sind. 658 Dieser Aspekt nimmt umso mehr an Bedeutung zu, als die Nachfrage nach Arbeitskräften nachlässt. Für die Beschränkung der Arbeitsplatzwahl gilt im Hinblick auf die verfassungsgemäße Rechtfertigung im Grundsatz daher nichts anderes als für die Berufswahl. 659 Diese Erwägungen gelten umgekehrt genauso für mitgliedschaftsorientierte Kündigungsschutzklauseln, da es unter den genannten Umständen für den Betroffenen, sobald er einmal einen Arbeitsplatz erlangt hat, wesentlich ist, diesen auch zu behalten und daher im Rahmen der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen nicht hinter den Organisierten zurückstehen will. Die Beeinträchtigungswirkung von Organisations- und Absperrklauseln einerseits und besonderen Kündigungsschutzbestimmungen für Gewerkschaftsmitglieder andererseits sind sich daher sehr ähnlich. 660 656
Zutreffend Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 139; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 204. 657 BVerfG 24. 4. 1991 – 1 BvR 1341/90, BVerfGE 84, 133 (146 ff.) (Warteschleife). Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu et al., GG, Art. 12 Rn. 5; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 37; Mann in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 87. 658 Vgl. näher Waltermann, Berufsfreiheit im Alter, S. 116 ff. 659 BVerfG 24. 4. 1991 – 1 BvR 1341/90, BVerfGE 84, 133 (148) (Warteschleife); Mann in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 87; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 931. Ebenso bereits Waltermann, Berufsfreiheit im Alter, S. 115 ff. 660 Vgl. Boss, BB 2009, 1238 (1240); Franzen, RdA 2006, 1 (5).
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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Gemäß der Dreistufenlehre sind derartige Beschränkungen – wie dargelegt – nur gerechtfertigt, wenn sie zum Schutz überragender Gemeinschaftsgüter statuiert werden. Ob die Stärkung des gewerkschaftlichen Organisationsgrads mit dem Ziel der Aufrechterhaltung einer funktionierenden Tariflandschaft ein derart überragendes Gemeinschaftsgut darstellt, mag man möglicherweise noch bejahen können. Zumindest hat dieses Ziel Anteil an der Koalitionszweckgarantie, die durch die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG umrissen ist. Im Ergebnis stellen Organisations- bzw. Absperrklauseln ebenso wie mitgliedschaftsanknüpfende Kündigungsschutzbestimmungen jedoch eine unangemessene Benachteiligung dar. 661 Absperrklauseln zwingen den Außenseiter, sich den kollektivvertraglichen Bedingungen der Tarifpartner durch Beitritt zur Gewerkschaft zu unterwerfen. Sie nehmen dem Außenseiter jede Möglichkeit, auf individualvertraglicher Basis ein Arbeitsverhältnis bei dem tarifgebundenen Arbeitgeber einzugehen. Damit bleibt von seiner privatautonomen Arbeitsvertragsfreiheit letztlich nichts mehr übrig. Die Kollektivautonomie darf die Individualautonomie aber nicht vollends verdrängen. Die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers ist in ihrem Wesensgehalt (Art. 19 Abs. 2 GG) tangiert. Gewerkschaftlicher Sonderkündigungsschutz vor betriebsbedingten Kündigungen verletzt die Außenseiter in ihrer Berufsfreiheit, weil er eine von der zwingenden Vorgabe des § 1 Abs. 3 KSchG abweichende Ausgestaltung der sozialen Schutzbedürftigkeit vornimmt. 662 Daher verstoßen Organisations- bzw. Absperrklauseln ebenso wie mitgliedschaftsanknüpfende Kündigungsschutzbestimmungen gegen Art. 12 Abs. 1 GG. 5. Ergebnis Die Arbeitsvertragsfreiheit der Außenseiter wie der Arbeitgeber wird durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. Einfache Differenzierungsklauseln verletzen die Arbeitsvertragsfreiheit bereits mangels Eingriffs in den grundrechtlichen Schutzbereich nicht. Tarifausschlussklauseln und Spannenklauseln greifen dagegen in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ein. Sofern sie sich in den Grenzen halten, die die negative Koalitionsfreiheit ihnen zieht, sind sie jedoch gerechtfertigt. Organisations- bzw. Absperrklauseln stellen hingegen ebenso wie mitgliedschaftsorientierte Kündigungsschutzregelungen einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Freiheit der Arbeitsplatzwahl dar. 661 Im Hinblick auf Absperrklauseln Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 388; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 163 f. Auch mit Blick auf besonderen Kündigungsschutz Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 160 f.; Boss, BB 2009, 1238 (1240); Franzen, RdA 2006, 1 (4 f.); Gamillscheg, NZA 2005, 146 (150). 662 Vgl. Franzen, RdA 2006, 1 (5).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
V. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) 1. Ungleichbehandlung durch Differenzierungsklauseln und Rechtfertigungsmöglichkeit Differenzierungsklauseln müssen sich am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG messen lassen. 663 Daran ändert sich nicht deshalb etwas, weil der Gleichheitssatz den Normgeber grundsätzlich nur zur Gleichbehandlung der seiner Normsetzungsbefugnis unterworfenen Personen verpflichtet, 664 zu denen die Außenseiter, wie gesehen, gerade nicht gehören, soweit es um Differenzierungsklauseln geht. Ebenso wie bei den Freiheitsrechten besteht auch im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz die faktische Betroffenheit der Außenseiter durch den für sie fremden Tarifvertrag. Die Fremdbestimmung rechtfertigt auch bei Art. 3 Abs. 1 GG das Anlegen eines Maßstabs, der demjenigen entspricht, welcher auch für den Gesetzgeber gilt. Das Gleichheitsprinzip kann daher nicht weniger weit reichen als die oben beschriebene Regelungszuständigkeit. Dies steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG, welches seit jeher der Ansicht ist, dass Art. 3 Abs. 1 GG lediglich die Gleichbehandlung innerhalb des konkreten Zuständigkeitsbereichs gebiete. 665 Qualifizierte Differenzierungsklauseln versperren den Außenseitern den Zugriff auf exklusive Vorteile, einfache Differenzierungsklauseln erschweren zumindest den Zugriff darauf. Es kommt demnach zu einer Ungleichbehandlung von Organisierten und Außenseitern im Hinblick auf den nach der Gewerkschaftszugehörigkeit differenzierenden Tarifinhalt. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BVerfG liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe anders behandelt als eine andere, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht vorliegen, die die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten. 666 Es bedarf also regelmäßig eines tragfähigen Grundes für die Ungleichbehandlung. Gegen die Möglichkeit der Rechtfertigung wird von einigen Stimmen jedoch auf die unentrinnbare Wirkung qualifizierter Differenzierungsklauseln abgestellt. Dabei wird folgendermaßen argumentiert: Tarifliche Vorteilsregelungen für Gewerkschaftsmitglieder würden als zwingendes „negatives Günstigkeits663
Siehe allgemein zur Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien Teil 2 D. I. Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 92. 665 Siehe nur BVerfG 21. 12. 1966 – 1 BvR 33/64, BVerfGE 21, 54 (68) (Lohnsummensteuer), m. w. Nachw. 666 Vgl. BVerfG 14. 3. 2000 – 1 BvR 284/96 u. a., BVerfGE 102, 41 (54) (Beschädigtengrundrente); 21. 11. 2001 – 1 BvL 19/93 u. a., BVerfGE 104, 126 (144 f.) (Dienstbeschädigungsteilrenten); 28. 1. 2003 – 1 BvR 487/01, BVerfGE 107, 133 (141) (Rechtsanwaltsgebühren Ost); 30. 7. 2008 – 1 BvR 3262/07 u. a., BVerfGE 121, 317 (369) (Rauchverbot). 664
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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prinzip“ zu Lasten der Außenseiter wirken. Den Außenseitern würde die Chance auf eine individualvertraglich vereinbarte Gleichstellung genommen. 667 Dass der Außenseiter keinen Anspruch auf Gleichbehandlung habe, weil § 3 Abs. 1 TVG die normative Wirkung des Tarifvertrags im Grundsatz auf die Organisierten beschränke, werde nur behauptet und sei gerade zu beweisen. Zumindest habe der Außenseiter die Chance, mit seinem Arbeitgeber eine Bezugnahme zu vereinbaren. Diese Chance auf Gleichstellung sei gesetzlich nicht eingeschränkt worden. Der Tarifvertrag dürfe sie ihm auch nicht nehmen. 668 Dies überzeugt nicht. Der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG wird hier nur behauptet, aber nicht nachgewiesen. Allein der Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber eine zwingende Differenzierungsmöglichkeit nicht geregelt hat, besagt noch nicht, dass die Tarifvertragsparteien dies nicht unter Beachtung der Vorgaben des GG an seiner statt tun könnten. 669 Vielmehr führt überhaupt erst die faktisch zwingende Wirkung von Differenzierungsklauseln zu einem Rechtfertigungsbedarf vor dem Hintergrund des Gleichheitsprinzips, es führt jedoch nicht schon unmittelbar zu einen Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip. Für Art. 3 Abs. 1 GG bedeutet dies, dass die Tarifvertragsparteien die zwingende Ungleichbehandlung rechtfertigen müssen, ebenso wie der Gesetzgeber eine zwingende Ungleichbehandlung zu rechtfertigen hätte. Den (grundrechtsausübenden) Tarifvertragsparteien eine Rechtfertigungsmöglichkeit im Hinblick auf Grundrechtseingriffe abzuerkennen, hieße letztlich, sie strenger an die Grundrechte zu binden als den Gesetzgeber. Das wäre verfehlt. Die Frage, inwiefern Differenzierungsklauseln die individualvertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten der Außenseiter beeinträchtigen dürfen, ist hingegen eine Frage der Arbeitsvertragsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). 670 Ebenfalls nicht überzeugen kann die Ansicht, dass der Gesetzgeber durch die Regelung des § 3 Abs. 1 TVG das Merkmal der Gewerkschaftszugehörigkeit als Anknüpfungspunkt für eine Differenzierung bereits vollständig konsumiert habe und es den Tarifvertragsparteien deshalb nicht mehr für eine weitergehende Ungleichbehandlung zur Verfügung stehen würde. 671 Denn diese Auffassung kann nicht erklären, weshalb es zwar dem Arbeitgeber einseitig weiterhin möglich 667
Dieser Vorwurf kann sich von vornherein nicht auf einfache Differenzierungsklauseln beziehen, die eine individualvertragliche Gleichstellung gerade nicht verhindern. 668 Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 290. Dem folgend BAG 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, NZA 2011, 920 (925). Im Ergebnis auch Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 99 f. 669 Im Ergebnis auch Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 160 f. 670 So mit Recht Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 153; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 215. 671 So vor allem Mayer-Maly, ZAS 1969, 81 (89). Ähnlich Schabbeck, Das Problem der negativen Koalitionsfreiheit, S. 126.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
bleiben soll, den Außenseiter untertariflich zu entlohnen, während aber den Gewerkschaften das Differenzierungsmerkmal der Gewerkschaftszugehörigkeit nicht zustehen soll. 672 Es spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber das Merkmal der Gewerkschaftszugehörigkeit als Differenzierungskriterium abschließend in § 3 Abs. 1 TVG geregelt hat. Für die Annahme einer derartigen Einschränkung der Tarifautonomie hätte es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft. Die Tarifvertragsparteien können daher das Merkmal der Gewerkschaftszugehörigkeit für weitere Funktionen, namentlich als zusätzliches anspruchsbegründendes Merkmal, heranziehen, soweit die Grenzen der Rechtsordnung im Übrigen eingehalten werden. 673 2. Prüfungsmaßstab vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG Die Anforderungen an den Prüfungsmaßstab bei Ungleichbehandlungen variieren; das BVerfG hat insoweit bestimmte Bewertungskriterien entwickelt, die auf die Intensität des Eingriffs abstellen (sog. neue Formel). So greift das BVerfG bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen auf eine strenge Kontrolle am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zurück, während es, soweit es um eine lediglich verhaltensbezogene Differenzierung geht, auf eine bloße Willkürprüfung abstellt. 674 In letzterem Fall kommt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nur in Betracht, wenn die Unsachlichkeit des Unterscheidungskriteriums evident ist. 675 Des Weiteren werden dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. 676 Vor diesem Hintergrund ergibt sich für den Prüfungsmaßstab von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln Folgendes: Zunächst liegt es nahe, in Klauseln, die nach der Gewerkschaftszugehörigkeit differenzieren, eine Ungleichbehandlung von Personengruppen – Organisierte auf der einen Seite, Außenseiter auf der anderen Seite – zu erblicken und daher den eher strengen Maßstab der Verhältnismäßigkeit anzulegen. 677 Allerdings würde damit übersehen, dass es allein an den betroffenen Außenseitern liegt, ob sie der Gewerkschaft beitreten wollen 672
Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 162 f.; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 27; Säcker, Grundprobleme, S. 130 f. 673 Vgl. Gamillscheg, Differenzierung, S. 88 f. 674 BVerfG 20. 4. 2004 – 1 BvR 1748/99 u. a., BVerfGE 110, 274 (291) (Ökosteuer), m. w. Nachw. 675 Vgl. BVerfG 26. 1. 1993 – 1 BvL 38/92 u. a., BVerfGE 88, 87 (97) (Geschlechtsumwandlung); 10. 1. 1995 – 1 BvF 1/90 u. a., BVerfGE 92, 53 (68 f.) (Zweitregister), m. w. Nachw. 676 BVerfG 30. 7. 2008 – 1 BvR 3262/07 u. a., BVerfGE 121, 317 (370) (Rauchverbot), m. w. Nachw.
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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und somit in den Genuss des gesamten Tarifwerks kommen. Der strenge Schutz vor personenbezogener Ungleichbehandlung findet seinen Anwendungsbereich aber vornehmlich dort, wo der Benachteiligte den begünstigenden Sachverhalt durch sein eigenes Verhalten in seiner Person nicht oder nur schwer erfüllen kann. 678 Der Gewerkschaftsbeitritt steht jedem Arbeitnehmer frei und ist unproblematisch und zu einem für den Arbeitnehmer zumutbaren Beitragssatz durchzuführen. Dies lässt die Ungleichbehandlung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit in die Nähe einer verhaltensbezogenen Differenzierung rücken, die nur einer Willkürprüfung unterliegen würde. Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit kommt des Weiteren auch nicht den explizit in Art. 3 Abs. 3 GG aufgeführten Differenzierungsverboten nahe, was ansonsten für einen eher strengen Prüfungsmaßstab sprechen würde; insbesondere stellt eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit keine Ungleichbehandlung wegen der politischen Anschauung i. S. v. Art. 3 Abs. 3 Fall 9 GG dar. 679 Allerdings greifen (qualifizierte) Differenzierungsklauseln in die Grundrechte der Außenseiter ein, und zwar, wie dargelegt, in die negative Koalitionsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG sowie in die Arbeitsvertragsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) auf der Stufe der bloßen Berufsausübungsbeschränkung, soweit es um inhaltsbezogene Differenzierungsklauseln geht, bzw. auf der Stufe der subjektiven Arbeitsplatzwahlbeschränkung, soweit es um bestandsbezogene Differenzierungsklauseln geht. Damit ließe sich ein entsprechend strengerer Prüfungsmaßstab begründen. Jedoch ist auf der anderen Seite wiederum zu beachten – wie stets, wenn es um tarifvertragliche Rechtsetzung geht –, dass die Tarifvertragsparteien selbst in Ausübung ihres Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG tätig werden und ihnen daher ein weiterer Einschätzungsspielraum zustehen muss als dem Gesetzgeber. 680 Nach Maßgabe der verfassungsgerichtlichen Kriterien scheint eine reine 677
So Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 93. Vgl. BVerfG 7. 10. 1980 – 1 BvL 50/79 u. a., BVerfGE 55, 72 (89) (Präklusion); 4. 5. 1982 – 1 BvL 26/77 u. a., BVerfGE 60, 329 (346); 2. 12. 1992 – 1 BvR 296/88, BVerfGE 88, 5 (12) (Beratungshilfe); 26. 1. 1993 – 1 BvL 38/92 u. a., BVerfGE 88, 87 (94) (Geschlechtsumwandlung); 6. 7. 2004 – 1 BvL 4/97 u. a., BVerfGE 111, 160 (169 f.) (Kindergeld an Ausländer). 679 Vgl. näher Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 118. Siehe auch Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 176; Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 140 f.; Georgi, Zulässigkeit, S. 9; Mürau, Sonderleistungen, S. 103. 680 Söllner, NZA 1996, 897 (902 f.), mit Verweis auf BVerfG 30. 5. 1990 – 1 BvL 2/83, BVerfGE 82, 126 ff. (Kündigungsschutz). Vgl. auch BAG 30. 8. 2000 – 4 AZR 563/99, BAGE 95, 277 ff.; 29. 8. 2001 – 4 AZR 352/00, BAGE 99, 31 ff. Der Vierte Senat geht allerdings zu Unrecht davon aus, dass Art. 9 Abs. 3 GG Vorrang vor Art. 3 Abs. 1 GG habe und deshalb nur eine Willkürkontrolle stattfinden dürfe. Ebenso für einen Vorrang des Art. 9 Abs. 3 GG gegenüber Art. 3 Abs. 1 GG Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 167; Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, Grundlagen Rn. 162. Sehr kritisch dazu trotz Annahme einer bloßen staatlichen Schutzpflicht und ohne Berücksichtigung der 678
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Willkürprüfung bei der Beurteilung von Differenzierungsklauseln im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG damit ausreichend zu sein. 3. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung Nach dem soeben Dargelegten liegt es nahe, einen möglichen Gleichheitsverstoß durch Differenzierungsklauseln gemäß den Kriterien des BVerfG nur am Willkürverbot zu messen. Ein Verstoß ließe sich unter diesem Vorzeichen nicht begründen, denn sowohl das Bedürfnis nach effektiver Koalitionswerbung als auch der Wunsch nach einem Lastenausgleich zwischen Organisierten und Außenseitern lassen sich nicht als evident unsachlich bezeichnen. 681 Überdies lassen sich genügend legitime Gründe anführen, die auch eine Rechtfertigung gemäß des (strengeren) Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ermöglichen, und die bereits die Eingriffe in die Freiheitsrechte der Außenseiter rechtfertigen konnten. Art. 3 Abs. 1 GG bietet insoweit grundsätzlich keinen weitergehenden Schutz. Hervorzuheben ist an dieser Stelle nur Folgendes: Dem Tarifvertrag sind Ungleichbehandlungen immanent. Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit ist de lege lata bereits vorgezeichnet. So wird zutreffend darauf hingewiesen, dass das Tarifrecht auf der Differenzierung von Organisierten und Außenseitern beruht, was sich aus § 3 Abs. 1 TVG ergibt. 682 Auch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Arbeitgeber nicht zur Gleichstellung von Außenseitern und Organisierten. 683 Ein von Wiedemann postuliertes „Leistungsprinzip“, demgemäß für jedermann bei völlig gleicher Leistung das gleiche Äquivalent zur Verfügung stehen müsse, 684 existiert nicht. Der Arbeitgeber ist berechtigt, Außenseiter-Arbeitnehmer unter Tarif – bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) – zu entlohnen. Hat der Außenseiter keinen Anspruch auf Gleichbehandlung, so kann dieser auch nicht verfassungsgerichtlichen Ausformung des Art. 3 Abs. 1 GG Löwisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 222. 681 Ebenso Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 119. Zu keinem anderen Ergebnis dürfte man kommen, wenn man, wie es Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 151 f., vorschlägt, anstatt auf die „evidente Unsachlichkeit“ auf das Kriterium der „Vertretbarkeit“ abstellt. 682 So nunmehr auch BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1034). Ebenso schon Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 96; Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 159; Hensche in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 880; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 358; Georgi, Zulässigkeit, S. 7 ff.; Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, Grundlagen Rn. 162; Mürau, Sonderleistungen, S. 100. Siehe des Weiteren Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 167; Gieseler / Halfen-Kieper, AiB 2010, 75 (78). 683 Vgl. nur Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 167; Giesen, NZA 2004, 1317; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 24; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 24 ff.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 213 ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 131. 684 Wiedemann, SAE 1969, 265 (267). Dagegen Hölters, Harmonie, S. 167 ff.
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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dadurch verletzt werden, dass der Arbeitgeber der Gewerkschaft eine entsprechende Differenzierung verspricht. In diesem Zusammenhang wird angemerkt: Was der Arbeitgeber tun darf, darf er (oder sein Verband) der Gewerkschaft auch versprechen. 685 Dagegen wurde eingewandt, dass man nicht alles, was man rechtlich tun dürfe, auch rechtsgültig versprechen könne. So stehe es etwa jedermann frei, Junggeselle zu bleiben, rechtlich dazu verpflichten könne man sich gleichwohl nicht. 686 Dieser Einwand trifft aber nicht das Ziel: Denn über einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sagt er nichts aus. Der Junggeselle kann sein Junggesellendasein nicht deshalb nicht wirksam versprechen, weil er damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen würde, sondern weil ein derartiges Versprechen regelmäßig an Art. 6 Abs. 1 GG scheitern würde. 687 Es handelt sich bei dem angeführten Junggesellenbeispiel um einen Ausnahmefall, der sich mit der Rechtsverbindlichkeit von Abreden im Bereich höchstpersönlicher Entscheidungen bewegt. Daraus allgemeingültige rechtliche Maßstäbe für die Wirksamkeit vertraglicher Regelungen auch außerhalb dieses Bereichs abzuleiten, geht fehl. 688 Weshalb es gerade im Fall der Differenzierungsklausel ein Abspracheverbot geben soll, bleibt unklar. Verfehlt ist in diesem Zusammenhang auch der Hinweis auf das Kartellrecht, welches gerade an sich erlaubtes Verhalten wegen seiner Folgen für die Mitbewerber einschränke und welches folglich nach der Argumentation, man dürfe auch versprechen, was man tun dürfe, konsequenterweise gänzlich abgeschafft werden müsse. 689 Wenn der Gesetzgeber sich ausdrücklich gegen die Zulässigkeit von wettbewerbsbeeinträchtigenden Absprachen ausgesprochen hat, ist dieses Verhalten selbstverständlich nicht mehr erlaubt. Ein Verbot, Differenzierungsklauseln zu vereinbaren – analog zum Verbot von Kartellabsprachen –, hat der Gesetzgeber aber gerade nicht aufgestellt. Die Gleichbehandlung organisierter und nichtorganisierter Arbeitnehmer ist auch nicht deshalb zwingend erforderlich, weil sie ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit und zur Erhaltung des Betriebsfriedens erforderlich wäre, wie es der Große Senat noch annahm. 690 Wer einem Verband fernbleibt, kann nicht erwarten, 685
Gamillscheg, Differenzierung, S. 47 f.; Georgi, Zulässigkeit, S. 8 f.; Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, Grundlagen Rn. 162; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 215; Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 110 Fn. 227. 686 Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 75; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 168. 687 Zur Zulässigkeit sog. Zölibatsklauseln siehe etwa Robbers in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 6 Rn. 52, m. w. Nachw. Auch Nikisch, RdA 1967, 87 (88), räumt ein, dass das Junggesellenbeispiel „vielleicht nicht ganz glücklich gewählt“ wurde. 688 Vgl. dazu Stein, GS Zachert, S. 645 (648 f.). 689 So Hartmann / Lobinger, NZA 2010, 421 (423 f.). 690 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (223 f.).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
so behandelt zu werden wie ein Verbandsmitglied. Die faktische Gleichstellung sorgt für einen Anreiz zum Gewerkschaftsaustritt bei Organisierten und für einen Fernbleibeanreiz bei Außenseitern, die ihren deutlichen Ausdruck in dem seit Jahrzehnten geringen Organisationsgrad der Arbeitnehmer finden. Dieser von der Arbeitgeberseite durch eine umfassende Bezugnahmepraxis protegierte Effekt belastet die Tarifautonomie. Ihm etwas entgegenzusetzen, kann nicht per se als unsachlich, willkürlich oder sozial ungerecht bezeichnet werden. Was den Betriebsfrieden angeht, kann dieser durch eine Gleichbehandlung von Außenseitern und Organisierten ebenfalls gefährdet sein; letzteren kann nämlich durchaus der Gedanke kommen, dass die Außenseiter auf ihre Kosten „ernten, wo sie nicht säen“. Der daraus entspringende Unmut ist zumindest nicht weniger plausibel als der, der von einem am Lastenausgleich orientierten Tarifbonus ausgeht. Jener wird allerdings ohne weiteres hingenommen. Wie bereits mehrfach angemerkt, genießt jedes koalitionsspezifische Verhalten den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG und muss deshalb bereits als verfassungskonform verfolgtes legitimes Ziel betrachtet werden. 691 Im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung steht den Tarifvertragsparteien ein weiter Beurteilungsspielraum zu; sie müssen nicht die gerechteste und zweckmäßigste Lösung finden, was aufgrund des Kompromisscharakters des Tarifvertrags auch selten gelingen wird. Im Rahmen der Angemessenheit i. e. S. ist zu bedenken: Soweit die zusätzlich gewährte Leistung der Höhe nach den Gewerkschaftsbeitrag nicht überschreitet, wird man eine unverhältnismäßige Ungleichbehandlung nicht annehmen können. Eine Differenzierung, die das Opfer ausgleichen soll, welches die Organisierten durch ihre Beiträge an die Gewerkschaft zum Wohle eines auch für Außenseiter geltenden Tarifvertrags – und damit zum Erhalt der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie insgesamt – erbringen, verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. 692 Aber auch darüber hinausgehend ist die Differenzierung möglich, solange nicht ein wirtschaftlich denkender Arbeitnehmer der Gewerkschaft schlechterdings nicht mehr fernbleiben kann. Diese Grenze wird von Klauseln, die an den Bestand des Arbeitsverhältnisses anknüpfen, also von Organisationsklauseln und Klauseln mit besonderem Kündigungsschutz, überschritten. Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses darf nicht von der Zugehörigkeit zur Gewerkschaft abhängig gemacht werden, insoweit ist das Kriterium – anders als etwa das Kriterium bestimmter beruflicher Qualifikationen oder Ausbildungsabschlüsse – sachwidrig. Im Hinblick auf den Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen ergeben sich die sachlichen Gründe der Ungleichbehandlung zwingend aus § 3 Abs. 1 KSchG; die Gewerkschaftszu691 BAG 30. 8. 2000 – 4 AZR 563/99, BAGE 95, 277 (290). Vgl. auch Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 152 f.; Kocher, NZA 2009, 119 (121). 692 Vgl. Hensche in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 880.
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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gehörigkeit hat mit der sozialen Schutzbedürftigkeit nichts zu tun. 693 Sie darf nicht zum Anknüpfungspunkt von Differenzierungen gemacht werden. 4. Beteiligung der Außenseiter am Arbeitskampf als Sonderfall? Anders könnte sich die Situation dann darstellen, wenn der Außenseiter sich an einem Arbeitskampf um den fraglichen Tarifvertrag beteiligt hat. Im Gegensatz zum organisierten Streikteilnehmer erhält der Außenseiter keine Unterstützung durch die Streikkasse der Gewerkschaft und kann nach ganz überwiegender Auffassung ebenso wie der Organisierte durch den Arbeitgeber ausgesperrt werden. Auch der Außenseiter erbringt somit ein Opfer für den angestrebten Tarifabschluss. Dies könnte es fragwürdig erscheinen lassen, ihn von den tarifvertraglichen Regelungen auszuschließen. Vor diesem Hintergrund wird dem Außenseiter von Teilen der Literatur ein Anspruch auf die tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen zugesprochen, sofern er sich dem Streik der Gewerkschaft angeschlossen hat. 694 Zumindest in diesem Kontext könnte eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit im Tarifvertrag gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Jedoch beruht auch in diesem Fall die normative Nichtgeltung des Tarifvertrags für Außenseiter auf deren eigener Entscheidung, dem Verband fernzubleiben. Das TVG sieht einen Anspruch auf tarifliche Arbeitsbedingungen für nichtorganisierte Streikteilnehmer nicht vor, ebenso wie es umgekehrt keinen Ausschluss der Bezugnahme auf einen erstreikten Tarifvertrag für den Fall vorsieht, dass sich Außenseiter als Streikbrecher explizit gegen den Arbeitskampf gestellt haben. 695 Das Mitkämpfen macht aus den Außenseitern auch keine Gewerkschaftsmitglieder. 696 Damit ist de lege lata ein Anspruch des Außenseiters auf den Tarifinhalt nicht erkennbar. Folglich kann auch ein darüber hinausreichendes Gleichstellungsgebot mit den Organisierten im Hinblick auf exklusive Leistungsvorteile nicht begründet werden. 697
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Franzen, RdA 2006, 1 (5). Vgl. Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 115 ff.; dens. / Lambrich, NZA 2002, 193 (196); Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 290. 695 Vgl. in anderem Kontext auch Berg et al., BK, § 3 TVG Rn. 111 a. 696 Löwisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 227. 697 Im Ergebnis auch Kocher, NZA 2009, 119 (120): Weder die vollständige Beteiligung der Außenseiter am erstreikten Tarifvertrag noch die Differenzierung nach der Organisationszugehörigkeit könne man als sachlich ungerechtfertigt bezeichnen. 694
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
5. Atypische Differenzierungsklausel als Sonderfall? Eine Differenzierung zwischen aktuellen und künftigen Gewerkschaftsmitgliedern sollte die Stichtagsregelung herbeiführen, die Gegenstand der Entscheidung des BAG vom 9. 5. 2007 war. 698 Nur den Arbeitnehmern, die bereits vor Abschluss des Tarifvertrags Mitglied der IG BCE waren und danach bleiben würden, sollte eine zusätzliche Vergütung zuteil werden. Nachträglich in die Gewerkschaft eintretende Arbeitnehmer sollten keinen zusätzlichen Anspruch erhalten. Während das BAG die Unzulässigkeit dieser Differenzierungsklausel an der individuellen Koalitionsfreiheit festmachte, wird die fragliche Stichtagsregelung in der Literatur vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes als problematisch angesehen. 699 Das Abstellen auf die Verletzung der Koalitionsfreiheit kann in der Tat nicht überzeugen: Trotz der Stichtagsregelung handelte es sich bei der atypischen Differenzierungsklausel um eine einfache Differenzierungsklausel, 700 so dass ein individualvertragliches Gleichziehen mit den Arbeitnehmern, die bereits vor dem Stichtag Mitglieder der Gewerkschaft waren, möglich war. Einfache Differenzierungsklauseln können die (negative wie positive) Koalitionsfreiheit aber bereits strukturell nicht beeinträchtigen. 701 Im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG wird man nicht annehmen können, dass für die unterschiedliche Behandlung von aktuellen und künftigen Gewerkschaftsmitgliedern überhaupt kein plausibler Differenzierungsgrund zu finden ist; die Stichtagsregelung dürfte eine Kompromisslösung gewesen sein, da der Arbeitgeber keinen zusätzlichen Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt setzen wollte. 702 Franzen nimmt aber deshalb einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz an, weil die Tarifvertragspartei einerseits bei der Festlegung des persönlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrags auch bei Zuerkennung eines Beurteilungsspielraums keine organisationspolitischen Gesichtspunkte berücksichtigen dürften. Andererseits hätten sie bei der Rechtfertigung der Differenzierung auf die gesetzliche Wertung des § 3 Abs. 1, 3 TVG Rücksicht zu nehmen, nach der sich der Arbeitnehmer allein durch Beitritt zur Gewerkschaft die tariflichen Rechte sichern könne. 703 Dem erstgenannten Aspekt ist entgegenzuhalten, dass – wie dargelegt – auch die Berücksichtigung organisationspolitischer Erwägungen, die mittelbar der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen, dem 698
BAG 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439 ff. Siehe dazu Teil 1 E. IV. Siehe Franzen, RdA 2008, 304 (306); Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (198); Klebeck, SAE 2008, 97 (100). 700 Franzen, RdA 2008, 304 (307); Leydecker, ArbuR 2009, 338 (339). 701 Siehe Teil 2 D. II. 2. b) aa) sowie Teil 2 D. III. 3. c). 702 Franzen, RdA 2008, 304 (306 f.). A. A. Klebeck, SAE 2008, 97 (100). 703 Franzen, RdA 2008, 304 (307). Ähnlich Kocher, NZA 2009, 119 (121). 699
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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Gewährleistungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG unterfallen und diese damit grundsätzlich als Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung in Betracht kommen. 704 Die zweite Überlegung, nach der die gesetzliche Wertung des TVG berücksichtigt werden müsse, ist zwar recht vage, weil sie gerade keinen Gesetzesverstoß verlangt. 705 Gleichwohl ist ihr zuzustimmen. Weshalb gerade die zukünftigen Mitglieder von der Leistung ausgeschlossen werden sollen, entbehrt einer tragfähigen Begründung; sie können nicht darauf verwiesen werden, dass für sie in den Tarifverhandlungen eben nicht mehr herauszuschlagen gewesen sei. Der Arbeitnehmer tritt der Gewerkschaft bei, um vollen Anteil an den einschlägigen Tarifverträgen zu haben. Er darf nicht um diesen „wesentlichen Ertrag“ des Gewerkschaftsbeitritts gebracht werden. 706 Eine derartige Differenzierung verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. 707 6. Ergebnis Was einfache Differenzierungsklauseln (seien sie als allgemeine oder als beschränkte ausgestaltet) betrifft, so ist hervorzuheben, dass der Außenseiter die Ungleichbehandlung jederzeit durch eine entsprechende Übereinkunft mit dem Arbeitgeber aufheben kann. Tut er dies nicht, so gilt das (verfassungskonforme) gesetzliche Leitbild der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG, nach dem nur die Tarifgebundenen Zugriff auf den ausgehandelten Tarifinhalt haben. Eine Beeinträchtigung von Art. 3 Abs. 1 GG kann daher bei einfachen Differenzierungsklauseln grundsätzlich nicht angenommen werden. Anderes gilt nur, wenn von diesem Leitbild abgewichen werden soll: Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung verstoßen gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil für die Ungleichbehandlung zwischen den Organisierten kein tragfähiger Rechtfertigungsgrund ausgemacht werden kann. Allein die faktisch zwingende Wirkung qualifizierter Differenzierungsklauseln indiziert noch keinen Gleichheitsverstoß, sie macht diese Klauseln nur rechtfertigungsbedürftig. Sie sind vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes unbedenklich, solange sie sich in den beschriebenen Grenzen halten und insbesondere nicht im Hinblick auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses an die Gewerkschaftszugehörigkeit anknüpfen. Ob der Außenseiter sich an einem Arbeitskampf um den Tarifvertrag beteiligt hat, ist im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG ohne Belang. 704
Siehe Teil 2 B. II. 2. b). Zur Frage, ob im Hinblick auf § 3 Abs. 1, 3, § 4 Abs. 1 TVG ein Gesetzesverstoß vorliegt, siehe unter Teil 2 D. X. 706 Vgl. BAG 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439 (1441); Kocher, NZA 2009, 119 (121). 707 Ganz h. M. in der Literatur, siehe Franzen, RdA 2008, 304 (306 f.); Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (198); Klebeck, SAE 2008, 97 (100); Kocher, NZA 2009, 119 (121). 705
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
VI. Verstoß gegen § 75 Abs. 1 BetrVG? Gemäß § 75 Abs. 1 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden; dazu zählt die Regelung insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung unterbleiben muss. Eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit in einer Betriebsvereinbarung ist daher nicht möglich. 708 Möglicherweise ergibt sich aus dieser Regelung aber auch ein einfachgesetzliches Verbot tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln. 1. Meinungsstand Zum Teil wird aus § 75 Abs. 1 BetrVG abgeleitet, dass Tarifverträge nicht verbieten könnten, organisierte und nicht organisierte Arbeitnehmer gleich zu behandeln. 709 Differenzierungsklauseln seien daher mit den Grundsätzen der Betriebsverfassung unverträglich. Auch wenn die Vorschrift sich nach ihrem Wortlaut an die Betriebsparteien richte, enthalte sie darüber hinaus auch eine generelle Entscheidung des Gesetzgebers, wonach eine unterschiedliche Behandlung von Außenseitern und Organisierten unzulässig sei. Der Grundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG gelte bei allen Tarifbestimmungen, die sich auf der Betriebsebene auswirkten. 710 Die wohl überwiegende Ansicht sieht dies anders. 711 Die Ungleichbehandlung ergebe sich nicht aus der gewerkschaftlichen Betätigung bzw. Einstellung als solcher, sondern aus der tarifvertraglich aufgestellten Verpflichtung. § 75 Abs. 1 BetrVG habe aber keinen Einfluss auf den Inhalt von Tarifverträgen. Von den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen der Handlungsmöglichkeiten auf der Betriebsebene könnten keine Rückschlüsse auf die Tarifebene erfolgen. 712
708
Franzen, RdA 2006, 1 (8); Jacobs, FS Bauer, S. 479 (481). Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 186; Bulla, BB 1975, 889 (893 f.); Kraft, ZfA 1976, 243 (264 f.); Richardi in: Richardi, BetrVG, § 75 Rn. 38. Wohl auch Boss, BB 2009, 1238 (1240). 710 Kraft, ZfA 1976, 263 (265). Insoweit auch Wlotzke, RdA 1976, 80 (85), der allerdings nur eine unsachgemäße Differenzierung, nicht hingegen jede Differenzierung für unzulässig hält. 711 Vgl. etwa Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 174 ff.; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 138 ff.; Gamillscheg, Differenzierung, S. 50; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 285 ff.; Preis in: Wlotzke / Preis / Kreft, BetrVG, § 75 Rn. 24. Zur inhaltlich insoweit übereinstimmenden Vorgängerregelung (§ 51 BetrVG a. F.) siehe Blom, Tarifausschlußklausel, S. 51 f.; Georgi, Zulässigkeit, S. 9 f.; Weidelener, Die Tarifausschlußklausel, S. 42 ff. 709
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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2. Stellungnahme Schon der Wortlaut spricht gegen die Annahme, die Tarifvertragsparteien seien an der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln gehindert. § 75 Abs. 1 BetrVG spricht Arbeitgeber und Betriebsrat an, nicht aber die Tarifvertragsparteien, zumindest nicht in Gestalt der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände. Dass einzig der einen Firmentarifvertrag abschließende Einzelarbeitgeber im Gegensatz zum Arbeitgeberverband strengeren Beschränkungen beim Tarifabschluss unterliegen soll, ist nicht einsichtig. Die Adressaten des § 75 Abs. 1 BetrVG sind als Betriebsparteien angesprochen, nicht als Tarifvertragsparteien. 713 Aus systematischen Erwägungen würde man eine Regelung, die die Rechte der Tarifvertragsparteien beschränkt, auch eher im TVG, weniger im BetrVG erwarten. Es ist darüber hinaus allgemein anerkannt, dass der Arbeitgeber – dem Leitbild des § 3 Abs. 1 TVG entsprechend – eine unterschiedliche Entlohnung von Organisierten und Außenseitern vornehmen kann. 714 Daran kann und will § 75 Abs. 1 BetrVG nichts ändern. § 3 Abs. 1 TVG wäre sonst durch § 75 Abs. 1 BetrVG überlagert; jeder Tarifvertrag hätte faktisch stets allgemeinverbindliche Wirkung. 715 Das kann nicht richtig sein. § 2 Abs. 3 BetrVG bestimmt, dass die Aufgaben von Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen, insbesondere die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, durch das BetrVG selbst nicht berührt werden. Der Tarifvertrag hat erkennbar Vorrang vor der betrieblichen Regelungsebene. 716 Die gleiche Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers zugunsten der tarifvertraglichen Regelungsbefugnis lässt sich aus § 77 Abs. 3 BetrVG ableiten. Die Rechtmäßigkeit des Tarifvertrags kann daher nicht von der Warte des Betriebsverfassungsrechts aus bestimmt werden. Der h. M. ist also richtigerweise zu folgen.
712 Blom, Tarifausschlußklausel, S. 52; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 287. 713 Vgl. auch Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 174 f.; Georgi, Zulässigkeit, S. 10; Waltermann, Berufsfreiheit im Alter, S. 75. 714 Berg in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 75 Rn. 42; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 139; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 287. Ebenso – und insofern inkonsequent – Richardi in: Richardi, BetrVG, § 75 Rn. 37. 715 Berg in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 75 Rn. 42; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 287. 716 Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 175; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 140; Gamillscheg, Differenzierung, S. 50; Georgi, Zulässigkeit, S. 10.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
3. Ergebnis Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln verstoßen nicht gegen § 75 Abs. 1 BetrVG. Festzuhalten bleibt jedoch, dass § 75 Abs. 1 BetrVG für die Betriebsebene genau die Art von Regelung aufstellt, die auf der Tarifebene fehlt, um eine klare Absage des Gesetzgebers im Hinblick auf die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln festmachen zu können. 717 Das betriebliche Differenzierungsverbot kann jedoch nicht einfach auf die tarifliche Ebene „hochinterpretiert“ werden.
VII. Verstoß gegen § 242 BGB? 1. Unzumutbarkeit von Differenzierungsklauseln Gegen die wirksame Vereinbarung von Differenzierungsklauseln wird des Weiteren ins Feld geführt, dass sie von der Arbeitgeberseite Unzumutbares verlangen und demgemäß außerhalb der „Tarifmacht“ liegen würden. 718 Der Große Senat stützte sich dabei auf § 242 BGB und führte aus, dass es zumindest nach den „allgemeinen Maßstäben der Gerechtigkeit“ einer Arbeitgeberkoalition nicht zumutbar sei, sich für die Zwecke der Arbeitnehmerseite einspannen zu lassen. 719 Die Gleichbehandlung von Außenseitern und Organisierten sei in vielen Fällen eine zwingende betriebliche und unternehmerische Notwendigkeit geworden und werde als „Ausdruck der sozialen Gerechtigkeit“ empfunden. Eine undurchsichtige Differenzierung verletze das Gerechtigkeitsempfinden besonders und sei eine Bedrohung für den Betriebsfrieden und den „optimalen unternehmerischen Erfolg“. Für die Arbeitgeberseite sei aber eine derartige Zurückstellung ihrer „ureigensten Interessen“ nicht zumutbar. 720 717 Gegen einen Schutz der negativen Koalitionsfreiheit durch § 75 Abs. 1 BetrVG aber Berg in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 75 Rn. 42 a. Dagegen zu Recht jedoch Fitting et al., BetrVG, § 75 Rn. 99. 718 So BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (222 ff.); Bauer / Arnold, NZA 2005, 1209 (1211 f.); Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 120 ff.; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 127 f.; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 67; Thüsing / von Hoff, ZfA 2008, 77 (97). 719 BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (222 ff.). Die Einordnung bei § 242 BGB erfolgt nicht durchgängig. Manche Stimmen betrachten das Unzumutbarkeitskriterium als allgemeinen Rechtsgedanken ohne spezifischen normativen Bezug – zumindest wenn es um das Verhältnis von Verband und Verbandsmitglied geht –, vgl. Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, 146 f.; Gitter, ArbuR 1970, 129 (131). Gegen die Loslösung von gesetzlichen Vorgaben zu Recht Hensche in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 883 f. 720 In seiner Entscheidung zur Zulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln betont das BAG nunmehr, dass es dem Großen Senat primär um die Einschränkung der Möglichkeit zur Gleichbehandlung gegangen sei, aus der die Unzumutbarkeit folge, vgl. BAG
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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Des Weiteren wurde vorgetragen, dass die Arbeitgeberkoalition durch Differenzierungsklauseln wesentlich zur Stärkung ihres sozialen Gegenspielers beitragen müsse. Art. 9 Abs. 3 GG gehe aber von einem Leitbild der Koalitionsfreiheit aus, nach dem jede Koalition frei und gegnerunabhängig gebildet werden müsse, da sie sich ansonsten nicht effektiv für die Interessen ihrer Mitglieder einsetzen könne. Differenzierungsklauseln würden dieses Leitbild verfälschen, die Inanspruchnahme der Gegenseite sei dieser deswegen unzumutbar. Jede Koalition sei darauf angewiesen, ihre Kraft aus sich heraus zu bilden, ohne den sozialen Gegenspieler einzubinden. 721 Bötticher zufolge soll dem Arbeitgeber ein individueller Freiheitsbereich zustehen, innerhalb dessen er nicht durch tarifliche Regelungen belastet werden dürfe. 722 Er knüpft damit an die Lehre der kollektiven Individualsphäre 723 an, nach der es etwa unzulässig ist, dem Arbeitnehmer Vorschriften über die Lohnverwendung zu machen, da dies allein seiner persönlichen Sphäre zufalle. Diese sei einer kollektiven Regelung von vornherein entzogen. Gleiches gelte auf der Arbeitgeberseite. Rechtsfolge des Verstoßes gegen den Grundsatz, dass eine Koalition von der anderen nichts Unzumutbares verlangen dürfe, sei das Versagen der „Tarifmacht“ und als Folge davon die Ungültigkeit der in Rede stehenden Klausel. 2. Kritik im Schrifttum Das Argument der Unzumutbarkeit von Differenzierungsklauseln für die Arbeitgeberseite ist im Schrifttum auf Kritik gestoßen. Als Prüfungsmaßstab sei das Merkmal der Unzumutbarkeit zu vage und unbestimmt. Es bestehe die Gefahr einer unzulässigen Tarifzensur, wenn die Bestimmung des Inhalts der Zumutbarkeit dem Richter überlassen bleibe. 724
18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1038). Für den zu entscheidenden Fall hat es daher keine Bedenken hinsichtlich der Unzumutbarkeit, da einfache Differenzierungsklauseln eine Gleichstellung gerade nicht verbieten würden. Damit wird der Standpunkt des Großen Senats jedoch arg verkürzt wiedergegeben – wohl nicht zuletzt, um eine erneute Vorlage zu verhindern. 721 Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 128; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 52; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 430. 722 Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 120 ff. 723 Vgl. Siebert, FS Nipperdey, S. 119 (128 ff.). 724 Vgl. Biedenkopf, Gutachten, S. 97 (124); Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 178; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1173, 1185; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 334; Gitter, ArbuR 1970, 129 (133 f.); Löwisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 852; Reuß, ArbuR 1970, 33 (34). Blomeyer, ZfA 1980, 1 (16), und Zöllner, Maßregelungsverbote, S. 50, wollen dem Problem der Unbestimmtheit dadurch begegnen, dass nur eine eindeutige Überschreitung der Unzumutbarkeitsgrenze zur Unwirksamkeit der fraglichen Regelung führen soll.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Das Tarifrecht baue des Weiteren auf dem Gedanken des Zusammenwirkens der Tarifvertragsparteien auf, so dass ein gewisses Maß an gegenseitiger Unterstützung nicht von vornherein unzulässig sein könne. 725 Das Abstellen auf einen durch tarifliche Regelung nicht erreichbaren individuellen Freiheitsbereich des Arbeitgebers vertausche außerdem Voraussetzung und Rechtsfolge: Eine Klausel verletze dann die Individualsphäre, wenn sie unzumutbar sei, sie sei aber nicht unzumutbar, weil sie in die Individualsphäre eingreife. Die Unzumutbarkeit müsse sich vielmehr aus eigenständigen rechtlichen Argumenten ergeben. 726 3. Stellungnahme In § 242 BGB wird von vielen ein allgemeingültiger Grundsatz gesehen, der die gesamte Rechtsordnung durchzieht. 727 Inwiefern er aber gewinnbringend in die Differenzierungsklausel-Problematik übertragen werden kann, ist zweifelhaft. Man wird zwei Ebenen auseinander halten müssen: Zum einen geht es um das Verhältnis der Tarifvertragsparteien zueinander, zum anderen um das Verhältnis der Tarifvertragsparteien zu ihren Mitgliedern. 728 a) Unzumutbarkeit für den Tarifpartner Soweit es um die Frage geht, was sich die Tarifvertragsparteien gegenseitig zumuten können, kann man diese Sorge regelmäßig ihnen selbst überlassen. Das ergibt sich aus der ihnen durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Tarifautonomie. 729 Den zivilrechtlichen Generalklauseln kommt die Aufgabe zu, im Falle von Verhandlungsungleichgewichten einen Ausgleich herbeiführen zu können. 730 Die Arbeitsrechtsordnung geht aber davon aus, dass sich Arbeitgeberseite und 725 Biedenkopf, Gutachten, S. 97 (124); Georgi, Zulässigkeit, S. 61; Krüger, Gutachten, S. 7 (92); Reuß, ArbuR 1970, 33 (34). 726 Siehe Biedenkopf, Gutachten, S. 97 (123 f.); Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 171; Gamillscheg, Differenzierung, S. 79; Konzen, ZfA 1980, 77 (118); Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 71; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 274 f.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 336 ff., 355. 727 Siehe etwa Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 230; Weber, JuS 1992, 631 ff., m. w. Nachw. 728 So auch Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 176 ff.; Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 166; Gitter, JurA 1970, 148 (156 ff.); Hölters, Harmonie, S. 157 ff.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 269 ff. 729 Bornhagen, Zumutbarkeit, S. 201; Gitter, ArbuR 1970, 129 (131 f.); Hensche in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 883; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 269, 273 f.; Ritter, JZ 1969, 111 (112). 730 Siehe Teil 2 D. I. 4. b).
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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Gewerkschaften gleichrangig gegenüberstehen. Erst daraus folgt die Annahme einer sog. „Richtigkeitsgewähr“ des Tarifvertrags. Das gilt für Firmen- wie Verbandstarifverträge. Des Weiteren wird im Bereich des Privatrechts auf das Unzumutbarkeitskriterium grundsätzlich dann zurückgegriffen, wenn es um nachträgliche Änderungen von Umständen geht, die bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar waren: 731 Dauerschuldverhältnisse können gemäß §§ 314 Abs. 1 S. 1, 626 Abs. 1 BGB gekündigt werden, wenn einer Partei das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann; im Fall der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB kann Vertragsanpassung verlangt werden, wenn ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zumutbar ist; ist auch die Vertragsanpassung unzumutbar, besteht die Möglichkeit des Rücktritts vom Vertrag, vgl. § 313 Abs. 3 S. 1 BGB. Ist ein Vertrag von Anfang an unzumutbar, ist § 138 BGB die Norm, die anzuwenden ist. 732 Für die Beurteilung der Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln kann der Aspekt der Unzumutbarkeit unter diesem Vorzeichen somit nicht weiterhelfen, denn es geht um die Frage der Zumutbarkeit zum Entstehungszeitpunkt. Auch der Einwand, die Unzumutbarkeit resultiere daraus, dass das Leitbild der Koalitionsfreiheit verfälscht werde, welches auf Gegnerunabhängigkeit und der freien Verbandsbildung basiere, stößt auf Bedenken. Es wurde oben dargelegt, dass tarifliche Klauseln, die den Wegfall der Koalitionseigenschaft aufgrund mangelnder Gegnerunabhängigkeit zur Folge haben, nicht von der in Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie gedeckt sind. Die Unwirksamkeit ergibt sich daraus, dass derartige Abreden außerhalb des Schutz- und Aufgabenbereichs liegen, den Art. 9 Abs. 3 GG eröffnet. Die Gegnerunabhängigkeit ist erst dann beeinträchtigt, wenn die Gewerkschaft aufgrund der Unterstützung der Arbeitgeberseite im Wesentlichen nur noch von dieser getragen wird. 733 Solange diese Grenze nicht überschritten wird, ist die gegenseitige Parität gewahrt. Aus dem Kriterium der Unzumutbarkeit kann insoweit keine neue, strengere Grenzziehung generiert werden. 734 Es drohte sonst eine auf Billigkeitserwägungen beruhende und von den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 GG weitgehend losgelöste Betrachtungsweise ohne klare Konturen. 731
Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 166 f.; Gitter, JurA 1970, 148 (157); Hölters, Harmonie, S. 157; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 69; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 269; Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 228. Vgl. auch Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 451. 732 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 177; Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 167; Hölters, Harmonie, S. 157; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 270. 733 Biedenkopf, Gutachten, S. 97 (124). 734 Ebenso Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 170 f.; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 71 ff. Gegen die Bevorzugung des äußerst verschwommenen Kriteriums der Unzumutbarkeit gegenüber dem noch „einigermaßen handfesten Kriterium der Gegnerfreiheit“ auch Seitenzahl / Zachert / Pütz, Vorteilsregelungen, S. 67 f.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Sofern es also nicht um bedeutsame Veränderungen der tatsächlichen Umstände nach Abschluss des Tarifvertrags geht, ist § 242 BGB für dessen Beurteilung unergiebig. b) Unzumutbarkeit für den verbandsangehörigen Arbeitgeber Während man davon ausgehen kann, dass im Verhältnis der Tarifvertragsparteien zueinander regelmäßig kein Rückgriff auf das Kriterium der Unzumutbarkeit möglich ist, stellt sich die Situation im Verhältnis des Verbands zu seinen Mitgliedern anders dar. In der letztgenannten Konstellation ist es durchaus denkbar, dass der vereinbarte Tarifvertrag die Tarifgebundenen über Gebühr belastet. Aber auch in dieser Konstellation ist § 242 BGB wenig hilfreich. Es wurde bereits dargelegt, dass zivilrechtliche Generalklauseln wie § 242 BGB dazu dienen, Verhandlungsungleichgewichte zwischen Vertragsparteien auszugleichen. 735 Geht es – wie hier – um das Verhältnis des Verbands zu seinen Mitgliedern, kommen schon aus diesem Grund Zweifel daran auf, § 242 BGB für die Bewertung einer tarifvertraglich vereinbarten Differenzierung heranzuziehen. 736 Näher liegt es, das Verbandsmitglied zunächst darauf zu verweisen, die von ihm empfundene Unzumutbarkeit mit innerverbandlichen Mitteln zu verhindern. Im äußersten Fall kann es mit seinem Austritt aus dem Verband drohen. Was der Verband seinen Mitgliedern zumuten darf, ergibt sich primär aus dessen Satzung. Sofern es um die Unwirksamkeit einer tarifvertraglichen Differenzierungsklausel geht, folgt jene jedoch noch nicht aus einem Satzungsverstoß zu Lasten eines Mitglieds: Pflichtwidriges Verhalten im Innenverhältnis schlägt nur in Ausnahmefällen, wie etwa bei kollusivem Zusammenwirken oder im Fall des Missbrauchs der Vertretungsmacht, auf die Wirksamkeit von Vereinbarungen im Außenverhältnis durch; der Verband kann sich dem Mitglied gegenüber aber möglicherweise schadensersatzplichtig machen. 737 Freilich bleibt das Restrisiko einer unzumutbaren Belastung weiterhin bestehen. Gerade wenn der sich belastet fühlende Arbeitgeber mit seinen Argumenten beim Verband nicht durchsetzen kann, weil die Interessen der Verbandsmehrheit anders gelagert sind, droht eine unzumutbare Fremdbestimmung. Genau aus diesem Grund ist hier auch eine Kontrolle der tariflichen Rechtsetzung an den Grundrechten angezeigt, welche derjenigen ähnelt, die auch für den Gesetzgeber 735
Siehe oben Teil 2 D. I. 4. b). Zutreffend Gitter, JurA 1970, 148 (157 f.). 737 Siehe zum Ganzen Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 178; Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 168 f.; Gitter, ArbuR 1970, 129 (133); Hölters, Harmonie, S. 158 f.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 271 f.; Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 230 f.; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 453. 736
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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gilt. Die Kategorie der Unzumutbarkeit findet ihren Platz aus diesem – öffentlich-rechtlich geprägten – Blickwinkel unschwer im Rahmen der Grundrechtsprüfung unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit i. e. S. 738 Sie ist insofern kein eigenständiges Rechtsinstitut, sondern wird als Kriterium der Rechtmäßigkeitsbeurteilung im Hinblick auf bestimmte Grundrechtseingriffe behandelt. Vor allem erfordert eine solche Herangehensweise, dass eine geschützte Rechtsposition des Betroffenen aufgezeigt wird; das Abstellen auf Befindlichkeiten des Arbeitgebers reicht nicht aus. So bekommt die Unzumutbarkeitskontrolle Konturen und droht nicht, in Billigkeitserwägungen des Rechtsanwenders unterzugehen. Dass sich ein Verbandsmitglied, welches sich freiwillig in den Regelungsbereich der Tarifvertragsparteien begeben hat, unter Umständen mehr gefallen lassen muss als ein Außenseiter, kann bei der Bewertung der Angemessenheit der jeweiligen Regelung – der möglicherweise an anderer Stelle auch ein Entgegenkommen der Arbeitnehmerseite gegenübersteht – berücksichtigt werden. 739 Folgt man dieser Auffassung, wird zugleich deutlich, dass nicht bereits eine zwingende Ungleichbehandlung von Organisierten und Außenseitern an sich eine die Unwirksamkeit des Tarifvertrags indizierende Unzumutbarkeit herbeiführen kann. 740 Damit stünde man letztlich wieder bei einem der Sozialadäquanz gleichenden Kriterium, welches mit einem dem jeweiligen Betrachter genehmen Inhalt gefüllt werden kann, ohne dass auf eine rechtliche Begründung – etwa anhand von Art. 9 Abs. 3 GG oder anhand der Grundrechte Dritter – zurückgegriffen werden müsste. So lässt sich jedoch eine „kollektivfreie Individualsphäre“ sachlich nicht begründen. Das Vorliegen einer solchen lässt sich in der Tat erst bejahen, wenn sie sich nach einer Abwägung mit anderen relevanten Aspekten durchgesetzt hat; sie ist Rechtsfolge, nicht Rechtsgrund der Unzumutbarkeit. 741 Aber auch in diesem Fall empfiehlt es sich, direkt auf die Unzulässigkeit der einschlägigen Tarifregel qua Rechtswidrigkeit abzustellen, und nicht noch auf eine aus dieser Rechtswidrigkeit zusätzlich resultierende Unzumutbarkeit zu rekurrieren. 742 Damit ist nichts gewonnen. § 242 BGB kommt daher keine weitergehende Bedeutung bei der Beurteilung von Tarifinhalten zu. 738 Vgl. Bornhagen, Zumutbarkeit, S. 201; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 451. 739 Vgl. auch Söllner, NZA 1996, 897 (905 f.); Waltermann, 50 Jahre BAG, S. 913 (926). Hier kann das Kriterium von Blomeyer, ZfA 1980, 1 (16), und Zöllner, Maßregelungsverbote, S. 50, nach dem nur eindeutig unzumutbare Regelungen unzulässig sein sollen, dogmatisch zufriedenstellend eingebettet werden. 740 So aber Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 120 f., und Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 127, die darauf abstellen, ob es sich der Arbeitgeber überhaupt gefallen lassen müsse, seine Lohnzahlungspflicht von der Gewerkschaftszugehörigkeit der Höhe nach bemessen zu lassen. 741 Siehe oben die Nachw. bei Fn. 726. 742 So aber Bauer / Arnold, NZA 2005, 1209 (1211 f.); Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 127.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
Dagegen kann auch nicht geltend gemacht werden, dass verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Grenzen nicht deckungsgleich seien und § 242 BGB insofern ein eigener Anwendungsbereich bleiben müsse. 743 Ein derartiger Ansatz beachtet nicht hinreichend, dass gerade unbestimmte Generalklauseln wie § 242 BGB ihren inhaltlichen Gehalt vornehmlich aus verfassungs- und insbesondere grundrechtlichen Wertungen ableiten. „Jenseits der durch die Grundrechte gezogenen Grenzen für die tarifvertragliche Regelungsbefugnis ist eine eigenständige Zumutbarkeitskontrolle und -prüfung überflüssig und daher nicht anzuerkennen.“ 744 4. Ergebnis § 242 BGB enthält keine zusätzliche Schranke für die Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung. Die Tarifvertragsparteien dürften regelmäßig selbst am besten wissen, was sie sich gegenseitig zumuten wollen. Was die Zumutbarkeit für die Verbandsmitglieder angeht, bietet eine den Besonderheiten der autonomen Rechtsetzung angepasste Grundrechtskontrolle Gewähr für valide Ergebnisse. Insoweit ist Hanau zuzustimmen: „Die Berufung auf § 242 erbringt [. . .] wenig, denn diese ohnehin überforderte Norm muß versagen, wenn sie auch noch zum Regulator des kollektiven Arbeitsrechts werden soll.“ 745
VIII. Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung als Grenze? 1. Meinungsstand Gegen die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln ist ferner vorgetragen worden, dass sie einer Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 TVG im Weg stünden. 746 Zwar seien die Tarifvertragsparteien nicht verpflichtet, einen Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung zu stellen. Sie seien aber nicht in der Lage, auf ihr Recht zur Antragstellung zu verzichten, da es ihnen nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch im öffentlichen Interesse verliehen worden sei. 747 743
So aber Loritz, Tarifautonomie und Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers, S. 120. Säcker / Oetker, Grundlagen, S. 231. Siehe auch Konzen, ZfA 1980, 77 (118). 745 Hanau, JuS 1969, 213 (217). Ebenfalls zustimmend Georgi, Zulässigkeit, S. 63. 746 So insbesondere Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 111 ff., 117. Zustimmend Thüsing / von Hoff, ZfA 2008, 77 (101). Siehe auch Blom, Tarifausschlußklausel, S. 57 f.; tendenziell auch Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 35 ff.; Mayer-Maly, BB 1965, 829 (831 f.). 747 Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 112; Thüsing / von Hoff, ZfA 2008, 77 (102). 744
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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Die Unverzichtbarkeit des Antragsrechts könne aber nicht dadurch umgangen werden, dass die Tarifvertragsparteien Klauseln vereinbaren, die von vornherein auf Außenseiter keine Anwendung finden könnten. Dies sei der Preis, den die Tarifvertragsparteien für die ihnen übertragene „Tarifmacht“ zu zahlen hätten. 748 In einer Entscheidung vom 23. 3. 2005 führt auch das BAG aus, dass die Tarifvertragsparteien keine Regelungen treffen könnten, die im Ergebnis die Erstreckung der Geltung von Tarifverträgen auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer durch die Allgemeinverbindlicherklärung ausschließen würden. 749 Dabei ist jedoch zu beachten, dass es in diesem Fall um einen Tarifvertrag ging, dessen persönlicher Geltungsbereich zur Gänze auf die gewerkschaftlich Organisierten beschränkt war. Das Gericht qualifizierte die Klausel als einen deklaratorischen – und somit unproblematischen – Hinweis auf die bestehende Gesetzeslage gemäß § 3 Abs. 1 TVG. In seiner Entscheidung zur Zulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln vom 18. 3. 2009 hat sich das BAG von diesen Ausführungen distanziert. 750 2. Stellungnahme Die Auffassung, dass § 5 TVG die Vereinbarung tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln verbietet, kann nicht überzeugen. Zunächst ist bereits zweifelhaft, ob die Tarifvertragsparteien nur Regelungen vereinbaren dürfen, die potentiell „allgemeinverbindlicherklärungstauglich“ in dem Sinn sind, dass im Fall der Allgemeinverbindlicherklärung alle Arbeitnehmer Zugriff auf alle im Tarifvertrag vorgesehenen Leistungen haben müssten. 751 Dieser Gedanke ist der Argumentation Zöllners verwandt, der unter Rückriff auf die Gesamtrepräsentationsfunktion der Gewerkschaften annimmt, dass Tarifverträge nur so gefasst werden dürften, als seien sie „Recht für alle“. 752 Diese Ansicht wurde verworfen, weil sie der Gesamtrepräsentationsfunktion Rechtsfolgen beigemessen hat, die ihr nicht zukommen, und die Verschiedenheit von Tarifautonomie und inhaltlicher Rechtmäßigkeit der tariflichen Regelung verwischte. Die gleiche Kritik lässt sich gegen die Verpflichtung zur „allgemeinverbindlicherklärungstauglichen“ Regelung anbringen. Sie rückt den bisher nicht Tarifgebundenen zu sehr ins Zentrum der Betrachtung. Der Außenseiter ist aber weder der „archimedische Punkt“ noch der „Nabel des Tarifrechts“. 753 Dass den Tarifvertragsparteien das Antragsrecht 748
Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 113. BAG 23. 3. 2005 – 4 AZR 203/04, BAGE 114, 186 (189 f.). Siehe dazu Klebeck, SAE 2007, 271 (276 ff.). 750 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1035 f.). 751 Biedenkopf, Gutachten, S. (97) 120; Krüger, Gutachten, S. 7 (11); Säcker, Grundprobleme, S. 131; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 433. 752 Siehe dazu Teil 2 B. III. 1. d). 749
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
gemäß § 5 Abs. 1 TVG vorwiegend als eine öffentliche Verantwortung überlassen worden ist, ist im Schrifttum denn auch auf Kritik gestoßen. Zweck der Allgemeinverbindlicherklärung sei in erster Linie der Schutz der organisierten Arbeitnehmer vor der „Schmutzkonkurrenz“ der Unorganisierten, die durch die Allgemeinverbindlicherklärung daran gehindert würden, ihre Arbeitsleistung unterhalb der tariflichen Arbeitsbedingungen anbieten zu können. 754 Zum Teil wird vertreten, dass die Tarifvertragsparteien daher auch auf ihr Antragsrecht verzichten können. 755 Richtigerweise wird man keinen der genannten Zwecke als derart überragend ansehen können, dass er alleine für die Auslegung des § 5 TVG maßgeblich wäre. Der Schutz vor Schmutzkonkurrenz war vor allem zur Zeit der Weimarer Republik vor dem Hintergrund hoher Arbeitslosigkeit oft das Hauptmotiv für Allgemeinverbindlicherklärungen. 756 Mittlerweile geht die überwiegende Meinung aber davon aus, dass der Allgemeinverbindlicherklärung (zumindest als Nebenzweck) auch eine soziale Schutzfunktion zugunsten der Außenseiter zukommt. Das BVerfG hat insoweit ausgeführt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung auch dem Ziel diene, den Außenseitern angemessene Arbeitsbedingungen zu sichern. 757 Dieses Ziel wird durch die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln aber nicht vereitelt, solange der Rest des Tarifvertrags weiterhin ein angemessenes Schutzniveau für diejenigen Arbeitnehmer bereithält, die dem Tarifvertrag 753 Diese Formulierungen von Gamillscheg, Differenzierung, S. 94, einerseits und Hanau, JuS 1969, 213 (220), andererseits sind zum festen Bestandteil des Zitatenschatzes arbeitsrechtlicher Literatur geworden. 754 Biedenkopf, Gutachten, S. 121; Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 182; Dorndorf, ArbuR 1988, 1 (14); Hölters, Harmonie, S. 173 f.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 176; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 649; Wagenitz, Tarifmacht, S. 108; Wiedemann, RdA 1969, 321 (234). Vgl. ferner Buchner, ZfA 2004, 229 (234). 755 Vgl. Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 182; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 251; Koop, Tarifvertragssystem, S. 313; Richardi, Kollektivgewalt, S. 176 Fn. 65. Siehe auch Lakies in: Däubler, TVG, § 5 Rn. 77; Löwisch / Rieble, TVG, § 5 Rn. 68. 756 Vgl. zur Geschichte der Allgemeinverbindlicherklärung etwa Dorndorf, ArbuR 1988, 1 (10 f.); Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 5 Rn. 1 ff. 757 BVerfGE 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 (342) (Allgemeinverbindlicherklärung I). Die neuere Literatur hat sich dem überwiegend angeschlossen, vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1244; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 886 f., der diesen Zweck jedoch als Rechtsreflex auffasst und, a. a. O., Fn. 28, treffend darauf hinweist, dass die Auffassung, die Allgemeinverbindlicherklärung diene auch dem Schutz der Außenseiter, zur Legitimationstheorie – aus deren Warte das Argument teilweise vorgebracht wird – in einem nicht überbrückbaren Widerspruch steht; Lakies in: Däubler, TVG, § 5 Rn. 9; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 242; Thüsing / von Hoff, ZfA 2008, 77 (102); Wank in: Wiedemann, TVG, § 5 Rn. 5; Wiedemann, RdA 2007, 65 (69). Franzen in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, § 5 TVG Rn. 1, stellt die soziale Schutzfunktion sogar an erste Stelle. Umfassend zu den unterschiedlichen Schutzdimensionen Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 93 ff.
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärung unterfallen. Insofern ist nochmals hervorzuheben, dass es nicht darum geht, den „Tarifvertrag als exklusives Gut“ den Außenseitern als Ganzes zu entziehen, sondern dass den Organisierten ein Bonus zukommen soll. Diese Argumentation deckt sich mit der nunmehr auch vom BAG vertretenen Ansicht, dass auch einzelne Tarifvertragsbestimmungen von der Allgemeinverbindlicherklärung ausgenommen werden können, soweit die verbleibenden im Übrigen ein in sich geschlossenes, auch ohne die ausgenommenen Regelungen vom Regelungswillen der Tarifvertragsparteien mitumfasstes Regelwerk bilden. 758 Es sind aber auch keine Gründe ersichtlich, derentwegen ein Tarifvertrag, der eine Differenzierungsklausel enthält, nicht für allgemeinverbindlich erklärt werden könnte. Es ist nicht zutreffend anzunehmen, dass eine ungleiche Behandlung von Organisierten und Nicht- bzw. Andersorganisierten im Fall der Allgemeinverbindlicherklärung nicht denkbar sei, da diese die Aufgabe habe, die Tarifnormen auf die Außenseiter auszudehnen. 759 Differenzierungsklauseln verhindern eine Allgemeinverbindlicherklärung nicht. Aber die Allgemeinverbindlicherklärung macht aus den Außenseitern auch keine Gewerkschaftsmitglieder. Allein die nunmehr auch für Außenseiter zwingende Wirkung der Tarifnormen führt nicht dazu, dass die Außenseiter auch alle Voraussetzungen erfüllen, die die einzelnen Regelungen an die Inanspruchnahme von Sonderleistungen stellen. Es muss weiterhin differenziert werden zwischen Tarifbindung und Anspruchsvoraussetzung. 760 Die Gewerkschaftszugehörigkeit bleibt weiterhin als Anspruchsvoraussetzung relevant; nur für die Tarifbindung hat sie ihre Bedeutung verloren. Es gilt also letztlich nichts anderes als bei einer individualvertraglichen Inbezugnahme des Tarifvertrags. 761 Dagegen kann nicht eingewendet werden, der Staat dürfte einen differenzierenden Tarifvertrag nicht für allgemeinverbindlich erklären, weil er an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sei und der Gleichheitssatz ihm jede Ungleichbehandlung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit verbiete. 762 Wäre dies zutreffend, dann 758 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1036), mit Verweis auf Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 891. Ebenso Löwisch / Rieble, TVG, § 5 Rn. 25 ff. A. A. OVG Münster 23. 9. 1983 – 20 A 842/81, BB 1984, 723; Klebeck, SAE 2008, 97 (98); Koop, Tarifvertragssystem, S. 313; Wank in: Wiedemann, TVG, § 5 Rn. 57 ff. Kritisch auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 240. 759 Dorndorf, ArbuR 1988, 1 (10); Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 36; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 49. A. A. Mürau, Sonderleistungen, 132 f. 760 Vgl. Gamillscheg, Differenzierung, S. 89, der hervorhebt, dass auch ein lediger Außenseiter nach einer Allgemeinverbindlicherklärung keine Familienzulagen verlangen könne. Siehe auch Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 183; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 49. 761 Vgl. BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1036).
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
wäre § 3 Abs. 1 TVG verfassungswidrig. Jeder Tarifvertrag hätte de facto allgemeinverbindliche Wirkung, ohne dass es noch einer formalen Allgemeinverbindlicherklärung bedürfte. Der Gleichheitssatz verbietet jedoch nur unsachliche Ungleichbehandlungen, nicht aber jegliche Ungleichbehandlung. 763 Aus tatsächlicher Sicht ist ferner auf Folgendes hinzuweisen: Speziell im Hinblick auf Firmentarifverträge, die zu Sanierungszwecken abgeschlossen worden sind, wird man kaum ein öffentliches Interesse an einer Allgemeinverbindlicherklärung ausmachen können. 764 Gleiches gilt auch für firmenbezogene Verbandstarifverträge. Um derartige Sanierungstarifverträge handelt es sich mittlerweile häufig, wenn es um die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln geht. Die Gewerkschaften lassen sich ihre Zustimmung zu den Sanierungstarifverträgen durch die Gewährung von Sonderleistungen für ihre Mitglieder „abkaufen“. Der Außenseiter kommt mit der Differenzierungsklausel regelmäßig über eine arbeitsvertragliche Bezugnahme, und nicht über eine Allgemeinverbindlicherklärung in Kontakt. Auch dieser Aspekt weist in die Richtung, dass die Problematik der Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln nicht unter dem speziellen Blickwinkel der Allgemeinverbindlicherklärung geklärt werden sollte. 765 3. Ergebnis § 5 TVG setzt der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln keine Schranken.
IX. Verstoß gegen das Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG)? Möglicherweise verstößt die tarifvertragliche Vereinbarung von Differenzierungsklauseln gegen § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG. Gemäß § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG sind vom Tarifvertrag abweichende Vereinbarungen zulässig, soweit sie eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten. Aus dieser Regelung wird überwiegend abgeleitet, dass tarifvertraglich vereinbarte Arbeitsbedingungen stets Mindestarbeitsbedingungen seien bzw. – anders gewendet – der 762 Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 135, unter Verweis auf BVerfG 15. 1. 1969 – 1 BvR 723/65, BVerfGE 25, 101 (106 ff.). 763 Zur Vereinbarkeit von Differenzierungsklauseln mit Art. 3 Abs. 1 GG siehe Teil 2 D. V. 764 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1036); Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 184; Klebeck, SAE 2008, 97 (98 f.); Wank in: Wiedemann, TVG, § 5 Rn. 74. Vgl. auch Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 216. 765 Gegen ein derartiges Vorgehen zu Recht Dorndorf, ArbuR 1988, 1 (11).
D. Inhaltliche Rechtmäßigkeit
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Tarifvertrag keine Höchstarbeitsbedingungen statuieren dürfe. 766 Während dieses sog. Günstigkeitsprinzip gemäß der Systematik des § 4 TVG zunächst nur für Tarifnormen gilt, wendet die h. M. es – regelmäßig aus Sorge vor Umgehungstatbeständen – auch auf den schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags an. 767 Ebenfalls über den gesetzlich explizit vorgesehenen Anwendungsbereich hinaus wird angenommen, dass das Verbot von Höchstarbeitsbedingungen auch zu Gunsten von Außenseitern Anwendung finde. 768 Die Begründung beruht auf einem Erst-Recht-Schluss: Wenn die Tarifvertragsparteien schon keine Höchstarbeitsbedingungen für Verbandsangehörige setzen können, die ihr Handeln schließlich legitimiert hätten, dürften sie das erst recht nicht für Außenseiter tun, die auf die Vereinbarung des Tarifvertrags keinen Einfluss nehmen könnten. Was einfache Differenzierungsklauseln angeht, besteht kein Konflikt mit dem Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG. 769 Außenseiter werden durch sie nicht gehindert, Arbeitsbedingungen auszuhandeln, die denen des Tarifvertrags gleichkommen oder diese sogar übertreffen. Die Vertragsfreiheit der Außenseiter wird nicht beeinträchtigt. Der Tarifvertrag setzt mithin keine Höchstarbeitsbedingungen. Im Hinblick auf qualifizierte Differenzierungsklauseln besteht hingegen Streit über die Vereinbarkeit mit dem Günstigkeitsprinzip. 1. Meinungsstand Die herrschende Auffassung in der Literatur hält qualifizierte Differenzierungsklauseln für unvereinbar mit § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG. 770 Derartige Klauseln würden für Außenseiter zumindest faktisch Höchstarbeitsbedingungen statuieren, 766
BAG 15. 12. 1960 – 5 AZR 374/58, AP Nr. 2 zu § 4 TVG Angleichungsrecht; Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 184; Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 167; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 230; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 233; Richardi, Kollektivgewalt, S. 210, 365; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 42. Gegen ein generelles Verbot von Höchstarbeitsbedingungen aber Deinert in: Däubler, TVG, § 4 Rn. 585; Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 63; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 844; Zachert in: Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 276. 767 Vgl. etwa Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 167; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 195; Hölters, Harmonie, S. 39; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 233 f.; Rieble, Arbeitsmarkt, Rn. 1695. Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 42, stellt darauf auf ab, dass auch schuldrechtlich ein vom Gesetzgeber missbilligtes Ergebnis nicht erstrebt werden dürfe. A. A. Deinert in: Däubler, TVG, § 4 Rn. 591 f.; Zachert in: Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 276. 768 BAG 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, NZA 2011, 920 (924); Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 167; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 126; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 104; Richardi, Kollektivgewalt, S. 211; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 42. 769 Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 127; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 321.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
ein Gleichziehen mit den Organisierten werde gezielt ausgeschlossen. Das Günstigkeitsprinzip besage, dass jede tarifliche Leistung nur als Mindestarbeitsbedingung vereinbart werden könne; daher sei es auch irrelevant, ob der Außenseiter an anderer Stelle eine zusätzliche Leistung vereinbaren könne. Die Gegenauffassung erkennt im Günstigkeitsprinzip keine zusätzliche Grenze für qualifizierte Differenzierungsklauseln. 771 Der Außenseiter könne weiterhin an jeder besonderen Zulage teilhaben, die an Leistung, Betriebstreue oder Familienstand anknüpfe; eine besondere Zulage aufgrund seines Status als Außenseiter verstoße gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG. Das Verbot von Höchstarbeitsbedingungen beruhe auf dem Leistungsprinzip, welches durch Differenzierungsklauseln aber nicht tangiert werde, denn die Außenseiterstellung sei keine besondere Leistung, die am Schutz des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG teilhabe. 2. Stellungnahme Zunächst ist der letztgenannten Auffassung insoweit zuzustimmen, dass auch Spannenklauseln, ebenso wie einfache Differenzierungsklauseln, nicht gegen das Verbot von Höchstarbeitsbedingungen verstoßen. Spannenklauseln verhindern, wie dargelegt, eine individualvertragliche Gleichstellung nicht, ihr Mechanismus wird erst durch kollektive Leistungsgewährung ausgelöst. 772 Schwieriger ist die Situation bei Tarifausschlussklauseln. Diese Klauseln verhindern eine Gleichstellung zwar nicht in rechtlicher, wohl aber in faktischer Hinsicht. Insofern ist es nicht damit getan, den Außenseiter auf andere Leistungen zu verweisen, die einen Tarifausschluss nicht vorsehen, oder die Anwendbarkeit von § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG damit zu verneinen, dass das Leistungsprinzip nicht betroffen sei. Das Günstigkeitsprinzip findet nämlich auch auf tarifliche Vergünstigungen Anwendung, die nicht an die Leistung des Arbeitnehmers anknüpfen, sondern vorwiegend soziale Zwecke verfolgen. 773 Als Begründungsansatz für § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG gilt das Leistungsprinzip heute als überholt. 774 Richtigerweise 770 BAG 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, NZA 2011, 920 (924); Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 185; Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 166 ff.; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 126 f.; Giesen, NZA 2004, 1217 (1319); Otto in: Richardi / Wlotzke, MünchArbR III, 2. Aufl., § 285 Rn. 21; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 42 f. Nur im Hinblick auf Tarifausschlussklauseln Biedenkopf, Gutachten, S. 97 (135 f.); Blom, Tarifausschlußklausel, S. 56; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II 1, S. 168 Fn. 34; Richardi, Kollektivgewalt, S. 211. Siehe auch LAG Köln 8. 12. 2005 – 10 Sa 235/05, LAGE Nr. 6 zu § 4 TVG; offenlassend noch BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAG 20, 175 (194). 771 Gamillscheg, BB 1967, 45 (51); Hensche in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 882; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 103 ff.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 229 ff. 772 Zutreffend Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 231.
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wird man das Günstigkeitsprinzip heute als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auffassen müssen. 775 Die Einschränkung der Arbeitsvertragsfreiheit der Tarifgebundenen durch den zwingend wirkenden Tarifvertrag ist nur insoweit gerechtfertigt, als sie Abweichungen nach unten verhindern soll. Nur insoweit soll der Tarifvertrag seinen Schutzzweck erfüllen. Für übertarifliche Leistungen können die Arbeitsvertragsparteien ihre Privatautonomie wieder aktivieren. 776 Diese Begründung ist erkennbar auf die gemäß § 3 Abs. 1 TVG Tarifgebundenen zugeschnitten. Nur deren Privatautonomie wird hinsichtlich solcher Abreden beschnitten, die zu Lasten der Arbeitnehmer vom Tarifvertrag abweichen. Der Außenseiter ist hingegen nicht tarifgebunden. Er kann seine Arbeitsleistung ohne weiteres unter Tarif anbieten. Den Schutz vor tarifvertraglichen Höchstarbeitsbedingungen erwirbt er erst durch eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG. Zumindest was die Frage nach der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln angeht, bestehen aber Zweifel hinsichtlich der vergleichbaren Interessenlage, die diese Analogie rechtfertigen könnte. Ist § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips aufzufassen, so müssen bei der Frage nach seiner analogen Anwendung auch die besonderen Umstände der Außenseiter im System des Kollektivarbeitsrechts berücksichtigt werden. Im Hinblick auf Tarifabweichungen von Verbandsmitgliedern hat der Gesetzgeber eine Abwägung von Koalitionsfreiheit und Privatautonomie vorgenommen und letzterer bei dem Arbeitnehmer günstigeren Abreden den Vorrang eingeräumt. Bei Tarifabweichungen zugunsten von Außenseitern kann die Verhältnismäßigkeitsabwägung aber durchaus anders ausfallen. Das hat sich schon bei der Prüfung der Grundrechtsbetroffenheit der Außenseiter gezeigt. Eine schematische Gleichstellung mit den Organisierten kommt nicht in Betracht. Denn während die Organisierten durch ihre Verbandsmitgliedschaft und Beitragslast das Tarifvertragssystem finanzieren, kommt den Außenseitern der Tarifvertrag ohne eigene Aufwendungen zugute. Das beeinträchtigt die Koalitionsfreiheit der Organisierten und die Tarifautonomie insgesamt. Die im Schrifttum aufgeworfenen Bedenken, die Tarifautonomie durch das Verbot von Höchstarbeitsbedingungen für Organisierte zu beschneiden, 777 gelten verstärkt, 773 Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 232 f. Vgl. auch Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 105. 774 Vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 198; Deinert in: Däubler, TVG, § 4 Rn. 580; Zachert in: Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 254; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 388. 775 Siehe BAG 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, NZA 2011, 920 (924); Belling, Günstigkeitsprinzip, S. 64 ff.; Deinert in: Däubler, TVG, § 4 Rn. 583. 776 Vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 197; Deinert in: Däubler, TVG, § 4 Rn. 583; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 235; Richardi, Kollektivgewalt, S. 367; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 387. Vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 837. 777 Siehe die Nachw. bei Fn. 766.
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2. Teil: Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung
wenn sich auch der Außenseiter auf dieses Verbot berufen kann. Soweit in dem im Rahmen der Grundrechtsprüfung dargelegten Umfang Differenzierungsklauseln zulässig sind, kommt eine analoge Anwendung von § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG zugunsten der Außenseiter nicht in Betracht. Es sind vielmehr die Ergebnisse heranzuziehen, die ebenda gefunden worden sind. 778 3. Ergebnis Soweit Differenzierungsklauseln nicht gegen die Grundrechte der Außenseiter verstoßen, stellen sie keinen Verstoß gegen das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG dar.
X. Verstoß atypischer Differenzierungsklauseln gegen § 3 Abs. 1, 3, § 4 Abs. 1 TVG? Speziell im Hinblick auf sog. atypische Differenzierungsklauseln stellt sich die Frage nach einem Verstoß gegen die Vorgaben, die das TVG im Hinblick auf die Tarifbindung in § 3 Abs. 1, 3, § 4 Abs. 1 aufstellt. Einen tatsächlichen Rechtsverstoß hat das BAG in seiner Entscheidung vom 9. 5. 2007 779 nicht explizit bejaht, sondern sein Urteil auf einen Verstoß gegen die individuelle Koalitionsfreiheit gestützt. 780 Im Hinblick auf die Vorschriften des TVG hat es ausgeführt, dass die fragliche Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung zum einen „im Widerspruch“ zu § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG stehe, wonach die Tarifgebundenheit allein vom Beginn der Mitgliedschaft abhängig sei und mit dem Beitritt der Anspruch auf die tariflichen Leistungen begründet werde. Auf der anderen Seite stehe es „im Widerspruch“ zur gesetzlichen Regelung, eine einmal erlangte Leistung nach Austritt aus der Gewerkschaft zurückzahlen zu müssen, denn die Tarifbindung bleibe gemäß § 3 Abs. 3 TVG bis zum Ende des Tarifvertrags bestehen. Der Tarifvertrag gelte trotz Austritt weiter. Auch Franzen sieht in der Stichtagsregelung nur ein Durchkreuzen der gesetzlichen „Wertung“ des TVG, welches seiner Ansicht nach zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von aktuellen und künftigen Gewerkschaftsmitgliedern führt. 781 Die vorsichtige Ausdrucksweise ist berechtigt: In der Tat liegt kein Gesetzesverstoß vor, denn die gesetzlich vorgesehene Tarifbindung bleibt auch durch die atypische Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung unberührt. Die Stich778
Ebenso Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 235 f. Siehe dazu Teil 1 E. IV. 780 Vgl. BAG 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439 (1441). A. A. Franzen, RdA 2008, 304 (305). 781 Franzen, RdA 2008, 304 (307). 779
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tagsregelung präzisiert den persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags. 782 Dieser wird durch das Merkmal der Gewerkschaftszugehörigkeit und deren Andauern beschrieben und erhebt beides somit zu eigenständig zu erfüllenden Anspruchsvoraussetzungen. 783 Die Normen des Tarifvertrags gelten zwar unmittelbar und zwingend für den Organisierten gemäß § 3 Abs. 1 TVG oder gemäß § 3 Abs. 3 TVG nach dessen Austritt, er erfüllt aber nicht (mehr) die Anspruchsvoraussetzung der Gewerkschaftszugehörigkeit. Die gleiche Wirkung ist im Übrigen bereits einer einfachen Differenzierungsklausel zuzuschreiben; auch hier sind Tarifbindung und Erfüllung aller Tatbestandsvoraussetzungen für eine bestimmte Leistung strikt zu trennen. Mit Verlassen des Verbands erfüllt der Arbeitnehmer nicht mehr das Tatbestandsmerkmal „Gewerkschaftsmitglied“. Würde man dies anders sehen, bestünde die Gefahr, dass ein Nichtorganisierter mittels Eintritts und sofort anschließenden Austritts – freilich im Rahmen der Kündigungsfristen – unter Berufung auf § 3 Abs. 3 TVG bis zum Ablauf des Tarifvertrags die einfache Differenzierungsklausel unterlaufen könnte. Der verfassungsrechtlich legitime Zweck, Beitritts- und Verbleibeanreize zu setzen, würde in sein Gegenteil verkehrt. Atypische Differenzierungsklauseln verstoßen somit nicht gegen § 3 Abs. 1, 3, § 4 Abs. 1 TVG.
782 Ebenso Franzen, RdA 2008, 304 (306); Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (198); Klebeck, SAE 2008, 97 (100). Vgl. allgemein zur Unterscheidung von Tarifbindung und Geltungsbereichsbestimmung Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 24, m. w. Nachw. 783 Dazu, dass die Gewerkschaftszugehörigkeit als solche nicht durch das TVG konsumiert wurde und als anspruchsbegründendes Merkmal weiterhin in Frage kommt, siehe Teil 2 D. V. 1.
Teil 3
Folgefragen A. Folgen der Bezugnahme auf Tarifverträge mit einfachen Differenzierungsklauseln Mit dem Urteil des BAG vom 18. 3. 2009 ist die Frage nach der Rechtmäßigkeit einfacher Differenzierungsklauseln für die Praxis in erheblichem Umfang geklärt: Ihre tarifvertragliche Vereinbarung ist nach Ansicht des Vierten Senats zumindest dann zulässig, wenn sie nicht an die Regelungen des Austauschverhältnisses von Leistung und Gegenleistung anknüpfen und die gewährte Sonderleistung nicht mehr als zwei Jahresmitgliedsbeiträge ausmacht. 1 Die damit intendierte Rechtsfolge ist, dass eine einfache Bezugnahmeklausel auf den Tarifvertrag den Außenseiter (noch) nicht in den Genuss der Sonderleistung bringt, da der Tarifvertrag zwar sein Arbeitsverhältnis regelt, der Außenseiter aber nicht das Tatbestandsmerkmal der Gewerkschaftszugehörigkeit erfüllt. In der Literatur mehren sich seit der genannten Entscheidung jedoch Stimmen, die im Hinblick auf die Auslegung der Bezugnahmeklausel oder aufgrund AGBrechtlicher Bedenken an der Einbeziehung der Differenzierung in den Individualarbeitsvertrag die intendierte Rechtsfolge verneinen und dem Außenseiter somit die Sonderleistung zukommen lassen wollen. Es handelt sich also um die Frage nach den Rechtswirkungen, die einfache Differenzierungsklauseln tatsächlich hervorrufen.
I. Meinungsstand Das BAG hat in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln bekanntlich den Standpunkt bezogen, dass sich aus der Bezugnahmeklausel kein Anspruch auf die Sonderleistung ergebe. 2 Die Inbezugnahme des differenzierenden Tarifvertrags bewirke lediglich die Anwendbarkeit des Tarifvertrags auf das Arbeitsverhältnis, ersetze aber nicht die als besondere An1
BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1037). BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1030 ff.). Im Folgenden ebenso BAG 22. 9. 2010 – 4 AZR 117/09, juris. 2
A. Folgen der Bezugnahme
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spruchsvoraussetzung vorgesehene Mitgliedschaft in der Gewerkschaft. Ohne besondere Anhaltspunkte im Wortlaut könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Arbeitsvertragsparteien eine Statusbestimmung haben regeln wollen, nach der ein Außenseiter in jeder Hinsicht wie ein Gewerkschaftsmitglied behandelt werden solle. 3 Anderes gelte auch dann nicht, wenn man die Verweisungsklausel als sog. „Gleichstellungsabrede“ i. S. d. älteren Rechtsprechung des BAG auffasse. Diese hatte für die Zeit vor dem 1. 1. 2002 dynamische Verweisungen auf Tarifverträge einschränkend dahingehend ausgelegt, dass die Dynamik dann ende, wenn der Arbeitgeber selbst nicht mehr tarifgebunden ist, auch wenn dies im Wortlaut der Verweisungsklausel keinen Ausdruck gefunden hatte. Bei einer Gleichstellungsabrede gehe es dem Arbeitgeber nur darum, sich gegenüber dem Außenseiter nicht weitergehend an einen Tarifvertrag zu binden, als gegenüber einem Organisierten. Dieser Auslegung der Bezugnahmeklausel wird entgegengehalten, dass sie zu sehr am Wortlaut hafte und den wirklichen Willen bzw. die Interessen der Vertragsparteien unberücksichtigt lasse. 4 Einer Gleichstellungsabrede sei stets der Gedanke der Gleichstellung von Organisierten und Außenseitern zugrunde gelegt worden. 5 Der Arbeitnehmer denke beim Stichwort „Gleichstellung“ zuerst an die materiellen Arbeitsbedingungen. Der Arbeitgeber verfolge mit der Bezugnahmeklausel auch den Zweck, den Arbeitnehmer vom Gewerkschaftsbeitritt abzuhalten. Das sei für den Arbeitnehmer erkennbar und könne von diesem als Zusage verstanden werden, nach der ein Gewerkschaftsbeitritt nicht erforderlich sei, um die gleichen Arbeitsbedingungen zu erhalten wie Organisierte. 6 Zumindest eine arbeitnehmergünstige Auslegung müsse gemäß § 305 c Abs. 2 BGB dazu führen, dass eine Bezugnahmeklausel auch weiterhin so ausgelegt werde, dass sie im Ergebnis den Außenseitern die gleichen Leistungen zukommen lässt wie den Organisierten. 7 Schließlich wird angeführt, dass die Einführung der Gewerkschaftszugehörigkeit als Differenzierungskriterium für den Außenseiter derart überraschend sei, dass sie gemäß § 305 c Abs. 1 BGB nicht Bestandteil seines Arbeitsvertrags werde. 8 3
BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1031). Siehe zur Kritik Bauer / Arnold, NZA 2009, 1169 (1171); Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 165; Giesen, ZfA 2010, 657 (674 f., 677 f.); Greiner / Suhre, NJW 2010, 131 (132 f.); Hanau, FS Hromadka, S. 115 (125 ff.); Lobinger / Hartmann, RdA 2010, 235 ff.; Richardi, NZA 2010, 417 (419). 5 Bauer / Arnold, NZA 2009, 1169 (1171); Greiner / Suhre, NJW 2010, 131 (132); Hanau, FS Hromadka, S. 115 (125 f.). 6 Lobinger / Hartmann, RdA 2010, 235 (237 f.). 7 Bauer / Arnold, NZA 2009, 1169 (1171); Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 165; Giesen, ZfA 2010, 657 (675); Greiner, Rechtsfragen, S. 373; ders. / Suhre, NJW 2010, 131 (132 f.). Vgl. auch Hanau, FS Hromadka, S. 115 (126). 4
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3. Teil: Folgefragen
II. Stellungnahme 1. Auslegung der Bezugnahmeklausel als Statusfiktion Die Auslegung einer dynamischen Bezugnahmeklausel als Statusfiktion kann nicht überzeugen. Wer mit seinem Arbeitgeber vereinbart, dass der jeweils einschlägige Tarifvertrag gelten soll, vereinbart nur die Anwendbarkeit des Tarifvertrags auf sein Arbeitsverhältnis, nicht jedoch eine Statusbestimmung dahingehend, dass der Außenseiter alle Ansprüche gegen den Arbeitgeber geltend machen kann wie der Organisierte. 9 Das BAG hat frühere Ausführungen, die in diese Richtung deuteten, 10 mittlerweile zu Recht korrigiert. Der Arbeitgeber will durch die Bezugnahme eine Gleichstellung dergestalt treffen, dass alle Arbeitnehmer dem gleichen Tarifvertrag unterfallen, an den auch er gebunden ist. Die Bezugnahme soll die fehlende Tarifbindung, nicht die fehlende Mitgliedschaft der Außenseiter ersetzen. An dieser Lesart müsste sich gerade auch der Außenseiter festhalten lassen, der seine negative Koalitionsfreiheit hochhält und folglich auch eine fingierte Mitgliedschaft in der doch zuvor noch so vehement abgelehnten Gewerkschaft zurückweisen müsste, will er sich nicht dem Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens aussetzen. Der Wortlaut der gängigen Bezugnahmeklauseln („Es gilt der jeweils einschlägige Tarifvertrag in seiner jeweils gültigen Fassung.“ 11) enthält keine Anhaltspunkte für eine Auslegung, nach der der Arbeitnehmer in jeder Hinsicht wie ein Gewerkschaftsmitglied zu behandeln sei. Insofern gibt es keine Zweifel, die zu Lasten des Verwenders gehen könnten. 12 Es liegt die Vermutung nahe, dass unter dem Deckmantel der Unklarheitenregel letztlich eine „kaschierte Inhaltskontrolle“ vorgenommen werden soll. Der möglicherweise vorliegende insgeheime Wunsch des Außenseiters, durch eine Bezugnahmeklausel stets die gleichen Leistungen zu erhalten wie ein Organisierter, ohne zugleich dessen Lasten tragen zu müssen, ist bloßes Motiv, welches in seinem geäußerten Willen keinen Ausdruck findet, und somit grund8
Giesen, ZfA 2010, 657 (675); Richardi, NZA 2010, 417 (419). Zutreffend BAG 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439 (1440); 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1031). Ebenso Kamanabrou, Anm. zu AP Nr. 41 zu § 3 TVG, Bl. 19 links, und Kocher, NZA 2009, 199 (122), nach der die Interpretation von vertraglichen Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabrede bereits „eine interpretatorische Leistung“ ist. 10 Vgl. etwa BAG 29. 8. 2001 – 4 AZR 332/00, BAGE 99, 10 (23): „[Die Bezugnahme] ersetzt lediglich die fehlende Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in der tarifschließenden Gewerkschaft und stellt ihn so, als wäre er tarifgebunden [Zitat].“ 11 Sog. große dynamische Bezugnahmeklausel, vgl. Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn. 180. Siehe auch Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 621. 12 Zutreffend Jacobs, FS Bauer, S. 479 (482 f.); Schorn, Die Unklarheitenregel, S. 253 f. Im Ergebnis auch Mengel/Burg in: Thüsing / Braun, Tarifrecht, 5. Kap. Differenzierungsklauseln Rn. 4. A. A. Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 145; Hanau, FS Hromadka, S. 115 (126). 9
A. Folgen der Bezugnahme
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sätzlich unbeachtlich ist. 13 Näher liegt hingegen die Annahme, dass sich weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer bei Abschluss des Arbeitsvertrags Gedanken über die stete Gleichbehandlung von Außenseitern und Organisierten gemacht haben. Eine Regelung in diese Richtung war über Jahrzehnte nicht nötig, da Tarifverträge weitestgehend keine Differenzierungsklauseln enthielten. Dann kann ein entsprechender Wille der Arbeitsvertragsparteien, einen aus damaliger Sicht nicht regelungsbedürftigen Fall gleichwohl regeln zu wollen, nicht angenommen werden. 14 Er wäre bloße Fiktion. Auch eine ergänzende Vertragsauslegung hilft nicht weiter. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich der Arbeitgeber ohne Not bereits zu einem Zeitpunkt, in dem die tarifvertragliche Differenzierung nicht absehbar war, eigener Gestaltungsmöglichkeiten, die in diese Richtung zielen würden, begeben wollte. 15 2. Nichteinbeziehung der einfachen Differenzierungsklausel aufgrund von § 305 c Abs. 1 BGB § 305 c Abs. 1 BGB regelt, dass Bestimmungen in AGB, die nach den Umständen so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil werden. Unterscheidet ein Tarifvertrag hinsichtlich bestimmter Leistungen nicht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, sind die Rechtsfolgen einer einzelvertraglichen Bezugnahme auf ihn im Ergebnis keine anderen als die einer statusmäßigen Gleichstellung von Organisierten und Außenseitern. Der Tarifvertrag bestimmt alle Arbeitsverhältnisse gleichermaßen, so, als seien alle Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglieder. Kommt nun eine Differenzierungsklausel ins Spiel, wird dieser Gleichlauf beendet; der Tarifvertrag findet weiterhin Anwendung, der Außenseiter wird aber nicht wie das Gewerkschaftsmitglied behandelt. Es fragt sich, ob diese Durchbrechung eines vielleicht über Jahrzehnte praktizierten Gleichlaufs derart ungewöhnlich i. S. d. § 305 c Abs. 1 BGB ist, dass der Außenseiter damit nicht zu rechnen braucht.
13 Siehe auch Schorn, Die Unklarheitenregel, S. 254. Vgl. zur Unbeachtlichkeit von Motiven bei der Auslegung von Bezugnahmeklauseln BAG 18. 4. 2007 – 4 AZR 64/05, NZA 2007, 965 (968), und bereits Thüsing / Lambrich, NZA 2002, 193 (200). 14 Vgl. BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1031). A. A. Lobinger / Hartmann, RdA 2010, 235 (237 ff.). 15 Zutreffend Kamanabrou, Anm. zu AP Nr. 41 zu § 3 TVG, Bl. 20 rechts. A. A. Giesen, ZfA 2010, 657 (675), der darauf abstellt, dass sich der Arbeitnehmer bei Kenntnis der künftigen Rechtslage wohl kaum darauf eingelassen hätte, schlechter gestellt zu werden als Gewerkschaftsmitglieder. Dass sich der Arbeitnehmer mit diesem Standpunkt bei einer individualvertraglichen Vereinbarung hätte durchsetzen können, ist jedoch mehr als zweifelhaft.
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3. Teil: Folgefragen
Die Frage ist zu verneinen. Zunächst einmal ist eine Klausel, die dynamisch auf den einschlägigen Tarifvertrag verweist, nicht überraschend, sie ist vielmehr gängige arbeitsvertragliche Praxis. Ob über die an sich nicht überraschende dynamische Bezugnahme hinaus einzelne Tarifbestimmungen nicht Vertragsinhalt werden, weil sie bei Abschluss des Arbeitsvertrags „schlechterdings nicht vorhersehbar“ waren, hat das BAG bisher ausdrücklich offen gelassen. 16 In der Literatur ist die Frage umstritten. 17 Erkennbar ist zumindest, dass es sich in der Diskussion regelmäßig um Konstellationen handelt, in denen das Leistungsniveau zulasten der Arbeitnehmer erheblich abgesenkt wird und (auch) der Außenseiter somit im Vergleich zur vorherigen Regelung spürbar belastet wird. Dabei wird häufig eine Parallele zur Rechtsprechung des BAG zur Vereinbarung von Widerrufsvorbehalten gezogen, wonach der Arbeitnehmer eine Kürzung der Vergütung um mehr als 25 bis 30 % nicht hinnehmen muss. 18 Ein derartiges Ausmaß wurde von den bislang praktisch relevant gewordenen Differenzierungsklauseln nicht erreicht. Des Weiteren ist zu bedenken: Dynamische Verweisungsklauseln sind gerade darauf angelegt, auch Regelungen erfassen zu können, die man beim Abschluss des Arbeitsvertrags noch nicht vorhersehen konnte. 19 Das Risiko späterer negativer Änderungen des Tarifvertrags ist ihnen ebenso immanent wie die ansonsten vom Außenseiter einkalkulierte und erwünschte Besserstellung der eigenen Position durch höhere Tarifabschlüsse. 20 Das Überraschungsmoment kann also nur an dem Umstand festgemacht werden, dass die Gewerkschaftsmitgliedschaft nunmehr ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal ist. Was diesen Punkt betrifft, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass Außenseiter auch bei Bezugnahme nicht alle Anspruchsvoraussetzungen für sämtliche Leistungen erfüllen, die etwa an die Dauer der Betriebszugehörigkeit oder den Familienstand anknüpfen. Wohl niemand würde einem Junggesellen zugestehen, eine neu eingeführte tarifliche Familienzulage für sich beanspruchen zu dürfen, auch wenn diese in all den vorangegangenen Jahren nie zu den Tarifleistungen zählte und ihn damit in gewisser – aber rechtlich eben nicht relevanter Weise – „überrascht“. Ebenso ist das Kriterium der Gewerkschaftszugehörigkeit als Anknüpfungspunkt für tarifliche 16
Vgl. BAG 24. 9. 2008 – 6 AZR 76/07, NZA 2009, 154 (156). Die h. M. bejaht die Frage, vgl. Löwisch / Rieble, TVG, § 3 Rn. 256; Rieble, Arbeitsmarkt, Rn. 1732; Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn. 195. Verneinend hingegen Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 736 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 307. 18 Stoffels, ZfA 2009, 861 (888); Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn. 196; ders. / Lambrich, NZA 2002, 1361 (1365). Vgl. auch Rieble, Arbeitsmarkt, Rn. 1732, der die Grenze bei etwa einem Fünftel zieht. 19 Seibert, NZA 1985, 730 (732). 20 Vgl. Stoffels, ZfA 2009, 861 (887 f.). 17
B. Die Erstreikbarkeit von Differenzierungsklauseln
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Boni alles andere als überraschend. Es fehlt bereits an der objektiven Ungewöhnlichkeit: Das Kriterium dient letztlich der (teilweisen) Aufrechterhaltung der gesetzlich ohnehin vorgesehenen Differenzierung gemäß § 3 Abs. 1 TVG, die durch den umfassenden Gebrauch von Bezugnahmeklauseln überspielt wird. 21 Über die Zulässigkeit mitgliedschaftsbezogener Differenzierung wird des Weiteren seit Jahrzehnten diskutiert. Wo, wenn nicht in einem Tarifvertrag, der grundsätzlich der Bezugnahme zugänglich ist, kann man damit rechnen, auf einfache Differenzierungsklauseln zu stoßen? Dass Differenzierungsklauseln bis vor kurzem von der h. M. umfassend für unzulässig gehalten wurden, rechtfertigt keine andere Bewertung hinsichtlich der Ungewöhnlichkeit i. S. v. § 305 c Abs. 1 BGB. Denn Rechtmäßigkeit – bzw. Unbilligkeit – und Ungewöhnlichkeit sind zweierlei. 22 Allein der Meinungsumschwung zugunsten einfacher Differenzierungsklauseln kann deren Ungewöhnlichkeit deshalb nicht begründen. Somit kann § 305 c Abs. 1 BGB nicht gegen das Wirksamwerden einer einfachen Differenzierungsklausel in Stellung gebracht werden.
III. Ergebnis Einfache Differenzierungsklauseln entfalten ihre intendierte Wirkung im auf sie bezugnehmenden Arbeitsverhältnis. Weder führt eine (erweiterte) Auslegung der Willenserklärungen der Arbeitsvertragsparteien noch die Regelung des § 305 c Abs. 2 BGB dazu, dass eine Bezugnahmeklausel als vertraglich vereinbarte Mitgliedschaftsfiktion auszulegen wäre. Ebenso hindert § 305 c Abs. 1 BGB nicht die Einbeziehung auch der einfachen Differenzierungsklausel.
B. Die Erstreikbarkeit von Differenzierungsklauseln Es hat sich gezeigt, dass Differenzierungsklauseln in gewissem Umfang tarifvertraglicher Regelung zugänglich sind. Daran knüpft die Frage nach ihrer Erstreikbarkeit an. Dabei ist die Anmerkung vorweg zu schicken, dass der Arbeitskampf um Differenzierungsklauseln in der Praxis zuletzt keine Rolle gespielt hat. 23 Differenzierungsklauseln wurden den Gewerkschaften regelmäßig 21 So zutreffend auch Giesen, ZfA 2010, 657 (674), der aber – insoweit widersprüchlich – gleichwohl von einem Verstoß gegen § 305 c Abs. 1 BGB ausgeht, a. a. O., 675. 22 Vgl. BAG 6. 9. 2007 – 2 AZR 772/06, AP Nr. 62 zu § 4 KSchG 1969; Gotthardt in: Henssler / Wilemsen / Kalb, Arbeitsrecht, § 305 c BGB Rn. 3; Grüneberg in: Palandt, BGB, § 305 c Rn. 3; Stadler in: Jauernig, BGB, § 305 c Rn. 1. 23 Vgl. BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 1028 (1037).
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3. Teil: Folgefragen
im Rahmen von Sanierungstarifverträgen zugestanden, an deren Abschluss vor allem die Arbeitgeberseite Interesse hat. Gleichwohl ist es für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber freilich von Interesse, ob Differenzierungsklauseln auch mittels Arbeitskampfs erstritten werden können.
I. Überblick Das Arbeitskampfrecht ist „dienendes Recht“. Es soll der Verwirklichung der Tarifautonomie zugute kommen (sog. Hilfsfunktion für die Tarifautonomie). Ein Arbeitskampf darf daher nur zur Durchsetzung tariflicher Regelungen geführt werden. 24 Erkämpft werden können nur rechtmäßige Tarifregelungen; eine rechtswidrige Streikforderung führt zwangsläufig zur Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfs. 25 Damit wird eine erste Grenze im Hinblick auf die Erstreikbarkeit von Differenzierungsklauseln sichtbar: Nur soweit Differenzierungsklauseln tarifvertraglich überhaupt zulässig sind, ist ihre Durchsetzbarkeit mittels Streiks denkbar. 26 Damit ist das letzte Wort aber noch nicht gesprochen; die Besonderheiten des richterrechtlich entwickelten Arbeitskampfrechts lassen die Erstreikbarkeit von Differenzierungsklauseln fraglich erscheinen. Der Große Senat musste sich mit der Frage der Ersteikbarkeit, die ihm ausdrücklich vorgelegt worden war, nicht befassen, da nach seiner Auffassung bereits der erstrebte Tarifvertrag rechtswidrig war. 27 In seiner Entscheidung vom 18. 3. 2009 beschränkt sich der Vierte Senat auf die Feststellung, dass differenzierende Klauseln in Sanierungstarifverträgen nicht durch Arbeitskämpfe erzwungen würden. 28 Auch in diesem 24 Ständige Rspr., vgl. BAG 5. 3. 1985 – 1 AZR 468/83, BAGE 48, 160 (168); 7. 6. 1988 – 1 AZR 372/86, BAGE 58, 343 (348); 27. 6. 1989 – 1 AZR 404/88, BAGE 62, 171 (182). Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1071; Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, Rn. 605; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 2; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 317; Ricken in: Richardi et al., MünchArbR II, § 200 Rn. 29 f.; Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 676. A. A. Berg et al., KK, AKR Rn. 22; Däubler in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 5 ff. 25 Dieterich in: Müller-Glöge et al., ErfKomm, Art. 9 GG Rn. 115; Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, Rn. 607; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 490. Weniger streng Söllner / Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 677: Nur ein eindeutiger Verstoß gegen zwingendes Recht führt zur Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfs. Das BAG behandelt diesen Aspekt im Rahmen der Rechtsfolgen eines rechtswidrigen Arbeitskampfs im Hinblick auf das Verschulden der kämpfenden Tarifvertragspartei, vgl. BAG 21. 3. 1978 – 1 AZR 11/76, BAGE 30, 189 ff. 26 Umgekehrt will Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 123, vorgehen, der der Ansicht ist, dass tarifvertraglich nur dasjenige vereinbar sei, was auch erstreikt werden könne. Damit wird das Verhältnis von Tarifrecht und „dienendem“ Arbeitskampfrecht freilich auf den Kopf gestellt. Dagegen zu Recht Krüger, Gutachten, S. 7 (11). 27 Siehe BAG 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (176, 229). 28 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 (1037).
B. Die Erstreikbarkeit von Differenzierungsklauseln
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Fall war eine Stellungnahme zur Erstreikbarkeit von rechtmäßigen Differenzierungsklauseln nicht erforderlich.
II. Auseinanderdriften von Tarifrecht und Arbeitskampfrecht Während das Tarifrecht, wie gesehen, von einer grundsätzlichen Differenzierung zwischen Organisierten und Außenseitern ausgeht, wird im Arbeitskampfrecht regelmäßig auf die Einheit des Betriebs abgestellt. Obwohl Tarifverträge im Grundsatz normativ nur für Verbandsmitglieder und (bei Firmentarifverträgen) Einzelarbeitgeber gelten, entspricht es der weit überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass sich auch die Außenseiter am Gewerkschaftsstreik beteiligen dürfen und umgekehrt auch vom Arbeitgeber ausgesperrt werden dürfen. Nach Auffassung des BAG darf der Arbeitgeber eine Aussperrung noch nicht einmal gezielt auf Organisierte beschränken (sog. selektive Aussperrung), da eine solche Differenzierung die Organisierten in ihrer positiven Koalitionsfreiheit verletze. 29 Zur Begründung dieser Einbeziehung der Außenseiter in den Arbeitskampf wird unter anderem angeführt, dass auch ihnen – wenngleich nicht normativ – jedenfalls faktisch das Streikergebnis, der Tarifvertrag, zugute komme. 30 In diesem Zusammenhang wird auch auf den Beschluss des Großen Senats zur Unzulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung eingegangen: Wenn ein Tarifvertrag, der eine zwingende Differenzierung vorschreibe, nach dieser Rechtsprechung wegen eines Verstoßes gegen die negative Koalitionsfreiheit unzulässig sei, so könne eine Gleichbehandlung von Außenseitern und Organisierten im Arbeitskampf keine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit darstellen. 31 Das Verbot tarifvertraglicher Differenzierung rechtfertigt demnach, unter anderem, die Gleichbehandlung von Außenseitern und Organisierten im Arbeitskampf. Da dieses generelle Verbot tarifvertraglicher Differenzierung nicht aufrecht erhalten werden kann, sind mögliche Auswirkungen auf das Arbeitskampfrecht 29
Siehe BAG 10. 6. 1980 – 1 AZR 331/79, BAGE 33, 195 (203). Ebenso Rüthers in: Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rn. 216. A. A. Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 74 ff. 30 BAG 21. 4. 1971 – GS 1/68, BAGE 23, 292 (310); 10. 6. 1980 – 1 AZR 331/79, BAGE 33, 195 (202 f.); 22. 3. 1994 – 1 AZR 622/93, BAGE 76, 196 (201 f.); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 38 Rn. 12, § 55 Rn. 9; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 328 f.; Ricken in: Richardi et al., MünchArbR II, § 200 Rn. 22; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 344 ff. Dagegen Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 50 f.; Wiedemann, RdA 2007, 65 (69). 31 BAG 10. 6. 1980 – 1 AZR 331/79, BAGE 33, 195 (203); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 55 Rn. 10. Vgl. auch Rüthers in: Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rn. 216. Hanau / Kroll, JZ 1980, 181 (184); Säcker, Gruppenautonomie, S. 482 Fn. 85.
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3. Teil: Folgefragen
nicht fern liegend. Differenzierungsklauseln sollen der Gleichbehandlung von Organisierten und Außenseitern (zumindest teilweise) entgegenwirken. Das Arbeitskampfrecht hat sich parallel zum Grundsatz der Tarifeinheit entwickelt und wird nur vor dessen Hintergrund verständlich. Mit der Aufgabe dieses Grundsatzes im Fall der Tarifpluralität und mit dem zunehmenden Gewerkschaftswettbewerb erscheint es äußerst fraglich, ob die arbeitskampfrechtlichen Maximen der Rechtsprechung aufrecht erhalten bleiben können. 32 Die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex steht noch am Anfang, höchstrichterliche Entscheidungen fehlen bisher.
III. Teilnahme des Außenseiters am Streik Betrachtet man zunächst die Frage, ob die Außenseiter sich an einem Streik um einen differenzierenden Tarifvertrag beteiligen dürfen, scheint das Problem noch übersichtlich zu sein: Der Außenseiter wird es sich in der Regel gut überlegen, freiwillig für einen Tarifvertrag zu kämpfen, der ihn von – aus seiner Sicht – wesentlichen Arbeitsbedingungen ausschließt. Entscheidet er sich für die Teilnahme am Arbeitskampf, etwa weil er sich trotz Differenzierungsklausel noch genug (faktische) Vorteile davon verspricht, spricht nichts dagegen, dass der Arbeitgeber ihn auch aussperren darf. 33 Soll ein Arbeitskampf aber letztlich allein um mitgliederexklusive Sondervorteile geführt werden, wird die Gewerkschaft nicht mit der Unterstützung der Außenseiter rechnen können. 34 Die Lage wird dann problematisch, wenn man in diesem Fall die Kampfmittel der Arbeitgeberseite in den Blick nimmt: Soll auch der Außenseiter ausgesperrt werden können, wenn die Gewerkschaft zum Arbeitskampf um einen Tarifvertrag aufgerufen hat, an dessen Vorteilen der Außenseiter durch Bezugnahme nicht (voll) partizipieren kann und an dessen Abschluss er kein Interesse hat? Der Arbeitgeber mag ein berechtigtes Interesse haben, einen eng geführten Arbeitskampf nur der Organisierten auch auf die Außenseiter auszudehnen, wenn er mit diesen seinen Betrieb wegen mangelnder Lukrativität nicht mehr aufrecht erhalten will; nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG ist er dazu sogar verpflichtet. 35 32 Vgl. dazu etwa Bayreuther, NZA 2008, 12 (15 f.); Greiner, Rechtsfragen, S. 426 ff. Für die Aufrechterhaltung der Betriebseinheitlichkeit hingegen Franzen, RdA 2008, 193 (201 ff.). 33 Vgl. Bertelsmann, Aussperrung, S. 349; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 301 f. 34 Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 413. 35 Siehe BAG 10. 6. 1980 – 1 AZR 331/79, BAGE 33, 195 (203). Dagegen Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 74 ff.
B. Die Erstreikbarkeit von Differenzierungsklauseln
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IV. Gleichlauf von tariflichem Vereinbarungskanon und Erstreikbarkeit? Auch wenn man richtigerweise Differenzierungsklauseln in gewissem Umfang für rechtmäßig und demnach tarifvertraglich vereinbar hält, kann man somit daran zweifeln, ob sie deshalb auch erkämpft werden können. Je weiter die Unterscheidung zwischen Außenseitern und Organisierten durch Differenzierungsklauseln auf tarifvertraglicher Ebene auseinanderdriften soll, desto weniger erscheint es gerechtfertigt, die Außenseiter in den Arbeitskampf um ebendiesen Tarifvertrag einzubinden. Dies wirft die Frage auf, ob es zu einer Durchbrechung des Grundsatzes kommt, nach dem all das auch erstreikt werden könne, was einer tariflichen Regelung zugänglich ist. Die Diskussion um die Erstreikbarkeit von Differenzierungsklauseln ist weit weniger ausgeprägt als die Diskussion um die generelle Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit. Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass die bislang h. M. von der Unzulässigkeit von Differenzierungsklauseln ausging und bereits damit die Unzulässigkeit des Arbeitskampfs um ebendiese indiziert war. 36 Diese Auffassung kann im Folgenden außer Acht bleiben, da schon ihrer Prämisse nicht zu folgen ist. Auch aus dem Umstand, dass Differenzierungsklauseln organisationspolitische Zwecke verfolgen, ergibt sich keine Einschränkung des Streikrechts. 37 1. Meinungsstand Anerkennt man die grundsätzliche Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung, ergibt sich folgendes Meinungsspektrum: Gemäß einigen Stimmen in der Literatur ist auch bei (unterstellter) Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln zumindest deren Erstreikbarkeit zu verneinen. 38 Insbesondere im Hinblick auf Tarifausschlussklauseln wurde geltend gemacht, dass diese auch deshalb nicht erstreikbar seien, weil sie nur schuldrechtlich, nicht aber normativ vereinbart werden könnten. 39 Ansonsten wurde zur Begründung des Streikverbots – sofern eine 36 Vgl. etwa Lieb / Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 585; Rüthers in: Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rn. 263. 37 Vgl. ausführlich Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 386 ff.; ferner Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1070; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 311. A. A. Otto in: Richardi et al., MünchArbR II, § 285 Rn. 7. 38 Im Hinblick schon auf einfache Differenzierungsklauseln Greiner / Suhre, NJW 2010, 131 (134); zur Tarifausschlussklausel Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 52, und Mayer-Maly, BB 1965, 829 (833); nicht differenzierend Otto in: Richardi / Wlotzke, MünchArbR III, 2. Aufl., § 285 Rn. 12 ff. 39 Mayer-Maly, BB 1965, 829 (833).
242
3. Teil: Folgefragen
solche überhaupt versucht wurde – auf die gleichen Aspekte zurückgegriffen, die schon gegen die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln als solchen ins Feld geführt wurden, insbesondere auf die soziale Inadäquanz des Streiks. 40 Nach a. A. soll ein Streikrecht im Hinblick auf eine tarifvertragliche Differenzierung im Fall ihrer Rechtmäßigkeit gegeben sein. 41 Das Streikrecht wird allerdings teilweise eingeschränkt, wenn ein ausschließlich differenzierender Tarifvertrag erkämpft werden soll oder es allein darum geht, den differenzierenden Teil eines Tarifvertrags zu erstreiken. 42 Hintergrund ist der oben bereits angeklungene Gedanke, dass es unangemessen erscheint, den Außenseiter in einen Arbeitskampf zu verwickeln, von dem er letztlich keinen Nutzen hat, bzw. dem Arbeitgeber eine Aussperrung der gesamten Belegschaft zu untersagen ohne den Gewerkschaften zugleich das Streikrecht abzusprechen. Demnach wirkt der Ausschluss des Rechts der Arbeitgeber zur Aussperrung zurück auf das Streikrecht der Gewerkschaften. 2. Stellungnahme a) Keine grundsätzliche soziale Inadäquanz eines Arbeitskampfs um Differenzierungsklauseln Soweit gegen die Streikberechtigung im Hinblick auf differenzierende Tarifverträge die Sozialadäquanz für den Arbeitgeber ins Feld geführt wird, 43 kann auf die bereits dargelegten Argumente zurückgegriffen werden. 44 Die Sozialadäquanz ist zu unbestimmt, um als subsumtionsfähiger Rechtsbegriff dienen zu können; auch im Arbeitskampfrecht, wo sie lange Zeit vom BAG zur Rechtmäßigkeitsbeurteilung von Arbeitskämpfen herangezogen wurde, 45 taucht der Begriff in der Rechtsprechung mittlerweile nicht mehr auf. 46
40
Vgl. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 52. Siehe zur Tarifausschlussklausel Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, 1. Aufl., S. 137 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 355, 1070; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 312 ff. 42 Zu Ersterem Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 314 ff.; zu Letzterem Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 413 ff. 43 Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 52. 44 Siehe dazu Teil 2 D. II. 2. a) bb). 45 Siehe BAG 28. 1. 1955 – GS 1/54, BAGE 1, 291 (306). 46 Vgl. zum Ganzen Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1129 f.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 313, jeweils m. w. Nachw. 41
B. Die Erstreikbarkeit von Differenzierungsklauseln
243
b) Erstreikbarkeit von schuldrechtlichen Tarifklauseln Eine Differenzierung der Erstreikbarkeit im Hinblick auf normative Klauseln einerseits und schuldrechtliche Klauseln andererseits vorzunehmen, überzeugt ebenfalls nicht. Insofern bestehen die gleichen Bedenken, die bereits oben im Hinblick auf die Begrenzung der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis auf normativ Regelbares vorgetragen worden sind. 47 Hinzu kommt, dass zu Beginn des Arbeitskampfs oft noch nicht feststeht, ob sich die Vorstellungen der Tarifvertragsparteien letztlich normativ oder schuldrechtlich vereinbaren lassen; dies kann möglicherweise auch Teil der Verhandlungsmasse sein. Die Grenze des Streikrechts verläuft grundsätzlich parallel zur Grenze der Regelungszuständigkeit, die von Art. 9 Abs. 3 GG durch die „Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen“ umschrieben wird. Eine Einschränkung des Streikrechts durch § 1 TVG ist nicht erfolgt, der Wortlaut der Vorschrift gibt für diese Auslegung nichts her. Es bleibt insoweit bei der Regel: Was tarifvertraglich rechtmäßig vereinbart werden kann, kann auch erstreikt werden. 48 c) Arbeitskampf um einen auch differenzierenden Tarifvertrag Soll ein Tarifvertrag erstreikt werden, der neben dem differenzierenden Teil noch angemessene Arbeitsbedingungen für Außenseiter bereithält – der also etwa nur ein zusätzliches Urlaubsgeld gewährt, welches sich in den Grenzen des Zulässigen bewegt –, ist es nicht völlig fern liegend, dass sich auch der Außenseiter am Arbeitskampf beteiligen möchte, weil der erstrebte Tarifvertrag aus seiner Sicht immer noch genug Vorteile bereithält. Stellt man für die Zulässigkeit der Kampfbeteiligung von Außenseitern auf den Gedanken der Partizipation ab, so kann dieser auch hier sowohl das Streikrecht des Außenseiters als auch die Aussperrungsbefugnis des Arbeitgebers zu Lasten des Außenseiters rechtfertigen; durch eine Bezugnahme auf den differenzierenden Tarifvertrag kann der Außenseiter auf dessen wesentlichen Inhalt zugreifen. Handelt es sich bei der fraglichen Differenzierungsklausel überdies um eine einfache Differenzierungsklausel oder eine Spannenklausel, kann er durch eine zusätzliche Vereinbarung mit dem Arbeitgeber sogar auf deren Gegenstand zugreifen und eine Gleichstellung mit den Organisierten erreichen. Die rechtliche Situation der Außenseiter unterscheidet sich in diesem Fall nicht so gravierend 47
Siehe dazu Teil 2 C. III. Ebenso die h. M., vgl. Däubler in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 12; Rüthers in: Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rn. 260 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1070; dens., BB 1967, 45 (51); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 312; Schumann in: Däubler, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rn. 154; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 488 ff. A. A. Lieb, DB 1999, 2058 (2067). 48
244
3. Teil: Folgefragen
von der Vereinbarung sonstiger Tarifinhalte, dass dies das Streikrecht einschränken könnte. 49 d) Arbeitskampf um einen ausschließlich differenzierenden Tarifvertrag Bisher wurden die Fälle betrachtet, in denen ein Tarifvertrag unter anderem auch Differenzierungsklauseln enthält. Der Fall, dass ein Arbeitskampf lediglich um diesen Differenzierungsbetrag geführt wird und über den restlichen Tarifvertrag zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft Einvernehmen besteht, dürfte in der Wirklichkeit nicht vorkommen. 50 Kommt es zum Kampf um einen Tarifvertrag, geht es stets um den Tarifvertrag im Ganzen. Allerdings ist es denkbar, dass eine Gewerkschaft einen Tarifvertrag anstrebt, der ausschließlich nur ihren Mitgliedern zugute kommen soll. Vorstellbar ist die Errichtung einer Gemeinsamen Einrichtung etwa zur gewerkschaftsexklusiven Ausgestaltung einer betrieblichen Altersvorsorge. Auch Tarifverträge mit speziellen Vorruhestandsregelungen 51 können bei entsprechender Auslegung zu den ausschließlich differenzierenden Tarifverträgen gezählt werden. 52 Derartige Tarifverträge sind durchaus zulässig, solange den Außenseitern im Übrigen eine angemessene Ausgestaltung ihrer Arbeitsbedingungen in den dargelegten Grenzen verbleibt. Jedoch erscheint es unangemessen, den Außenseiter in einen Arbeitskampf um einen derartigen Tarifvertrag, von dem er – im Gegensatz zu einem Tarifvertrag, der nur einzelne Leistungen exklusiv ausgestaltet – letztlich überhaupt keinen Nutzen haben kann, einzubeziehen. Dem Außenseiter kommt das Kampfergebnis auch faktisch nicht zugute, noch nicht mal teilweise. An einem Streik wird sich der rational denkende Außenseiter in dieser Konstellation nicht beteiligen wollen. Der Streik würde de facto allein von den Gewerkschaftsmitgliedern geführt. Gewährt man in dieser Situation der Gewerkschaft das Streikrecht, kann man dem Arbeitgeber auf der anderen Seite das Recht der Aussperrung aufgrund des Paritätsgedankens nicht verwehren. Rechtfertigt man die generelle Einbeziehung der Außenseiter in den Arbeitskampf unter Paritätsgesichtspunkten, wird man ein legitimes Interesse des Arbeitgebers an der Aussperrung auch der Außenseiter nicht generell leugnen können. Zwar übt die Außenseiteraussperrung 49
Ebenso Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 311. Gegen diese Unterscheidung von Bunge, Tarifinhalt und Arbeitskampf, S. 413 ff., zu Recht Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 303: „hypothetisches und praxisfernes Konstrukt“. 51 Siehe Teil 1 E. III. 52 Vgl. dazu und zu weiteren möglichen Konstellationen Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 304. 50
B. Die Erstreikbarkeit von Differenzierungsklauseln
245
keinen nennenswerten Druck auf die kämpfende Gewerkschaft aus; auch mag der Arbeitgeber der Ansicht sein, dass er seinen Betrieb mit den Außenseitern teilweise weiterführen kann, und daher eine selektive Aussperrung nur der organisierten Arbeitnehmer anstreben. 53 Es kann aber durchaus zu einer Störung des Kräfteverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft kommen, auch wenn die Außenseiter sich nicht am Arbeitskampf beteiligen wollen. Der Arbeitgeber kann durch eine Aussperrung auch der Außenseiter seine wirtschaftliche Belastung reduzieren. 54 Die zwangsweise Einbeziehung der Außenseiter in einen Arbeitskampf um einen Tarifvertrag, der ihnen nicht zugute kommt, verletzt die Außenseiter in ihrer negativen Koalitionsfreiheit, denn es ist unverhältnismäßig, ihnen die arbeitskampfrechtlichen Lasten aufzubürden, ohne ihnen zugleich zumindest einen (teilweisen) faktischen Zugriff auf den erstreikten Tarifvertrag zu ermöglichen. Der Druck zum Gewerkschaftsbeitritt dürfte in diesem Fall fast unausweichlich sein. Diese Erwägungen rechtfertigen es, auch ein Streikrecht der Organisierten bezüglich eines ausschließlich differenzierenden Tarifvertrags zu verneinen. 55 3. Ergebnis Halten sich Differenzierungsklauseln im Rahmen des Zulässigen, können sie grundsätzlich auch erstreikt werden. Nur sofern die Außenseiter unter keinen Umständen am Tarifinhalt partizipieren können, ist ein Streikrecht ausgeschlossen.
53 Die selektive Aussperrung ist nach Ansicht des BAG freilich unzulässig, vgl. BAG 10. 6. 1980 – 1 AZR 331/79, BAGE 33, 195 (203). Es bleibt aber abzuwarten, ob diese Ansicht vor dem Hintergrund der Aufgabe des Tarifeinheitsgrundsatzes bei Tarifpluralität aufrechterhalten bleiben kann. Dafür Franzen, RdA 2008, 193 (202). 54 Vgl. Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 314; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 72; Wiedemann, SAE 1969, 321 (326). 55 Ebenso im Ergebnis Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 316.
Teil 4
Schlussbetrachtung A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse I. Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien Die Vereinbarung tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln unterfällt der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Tarifautonomie. Zumindest nach Aufgabe der Kernbereichslehre werden weder in sachlicher noch in personeller Hinsicht die Grenzen des Zulässigen überschritten. Die Betätigungsfreiheit der Koalitionen ist auch dann garantiert, wenn es um eine bloße mittelbare Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geht. 1 Den Gewerkschaften kommt für den von ihnen per Satzung festgelegten räumlichen und sachlichen Geltungsbereich eine Gesamtrepräsentationsfunktion zu, die es ihnen gestattet, auch diesem Bereich zugehörige Außenseiter in den Blick zu nehmen. 2 Auch im Hinblick auf den Verlust der Koalitionseigenschaft ergeben sich keine Bedenken, die bereits an dieser Stelle gegen die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln sprechen würden. 3 Damit ist die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln zugleich selbst verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrechtsausübung.
II. Tarifliche Regelungsbefugnis Das TVG regelt die Tarifwirkung und stellt keine inhaltlichen Anforderungen an tarifvertragliche Vereinbarungen. Einfache Differenzierungsklauseln sowie Spannenklauseln können als Inhaltsnormen i. S. v. § 1 Abs. 1 TVG ausgestaltet werden. Tarifausschlussklauseln sowie Organisations- bzw. Absperrklauseln sind nur als schuldrechtliche Vereinbarung im Tarifvertrag regelbar. Eine Differenzierung mittels einer Gemeinsamen Einrichtung ist ebenfalls denkbar; sie bietet vor allem praktische Vorteile. Die Tarifvertragsparteien sind im schuldrechtlichen Teil nicht auf Regelungen beschränkt, die auch normativ möglich wären. 1 2 3
Siehe Teil 2 B. II. Siehe Teil 2 B. III. Siehe Teil 2 B. IV.
A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
247
Auch Vereinbarungen, die der Selbsterhaltung der Tarifvertragsparteien dienen, sind einer tariflichen Regelung zugänglich. Weder die faktische Außenseiterbeeinflussung von Differenzierungsklauseln noch die verfehlte Interpretation als eine „Art Mitgliedsbeitrag“ noch die Annahme eines Vertrags zu Lasten Dritter beeinträchtigen die tarifliche Regelungsbefugnis. 4
III. Inhaltliche Rechtmäßigkeit 1. Vereinbarkeit von Differenzierungsklauseln mit Verfassungsrecht Im Hinblick auf das Verfassungsrecht bleibt festzuhalten: Die Tarifvertragsparteien sind bei der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln in ähnlicher Intensität an die Grundrechte gebunden wie der Gesetzgeber. 5 Der daraus resultierende eher strenge Prüfungsmaßstab führt hingegen nicht zur weitgehenden Rechtswidrigkeit von Differenzierungsklauseln. Die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten wird durch Art. 2 Abs. 1 GG als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt. Sie ist erst dann verletzt, wenn der Außenseiter einem faktisch unentrinnbaren Beitrittszwang ausgesetzt wird. Einfache Differenzierungsklauseln und Spannenklauseln können bereits strukturell das Fernbleiberecht nicht beeinträchtigen. Rechtfertigungsbedüftig und rechtfertigungsfähig bleiben Tarifausschlussklauseln. Eine Differenzierung in Höhe des Doppelten des Gewerkschaftsbeitrags ist zumindest als noch zulässig anzusehen. Die Höchstgrenze noch zulässiger tarifvertraglicher Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit bildet jedenfalls § 138 BGB. Die Frage nach der Zulässigkeit der Differenzierung im Bereich zwischen diesen Polen kann nur im Einzelfall beantwortet werden. Gleiches gilt für Vorteile, die pekuniär nicht fassbar sind. An den Bestand des Arbeitsverhältnisses anknüpfende Klauseln verstoßen gegen die negative Koalitionsfreiheit. 6 Die positive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten gemäß Art. 9 Abs. 3 GG muss nach der Abkehr des Grundsatzes der Tarifeinheit bei Tarifpluralität verstärkt vor dem Hintergrund miteinander im Wettbewerb stehender Tarifverträge gesehen werden. Tarifverträge dürfen es dem Arbeitgeber nicht verbieten, mit anderen Gewerkschaften entsprechende Tarifverträge abzuschließen. Dies verstieße gegen die kollektive Koalitionsfreiheit der konkurrierenden Gewerkschaft. Jedoch können Gewerkschaften eine bloße Übernahme ihres Tarifvertrags durch eine konkurrierende Gewerkschaft mittels Differenzierungsklauseln 4 5 6
Siehe Teil 2 C. Siehe Teil 2 D. I. Siehe Teil 2 D. II.
248
4. Teil: Schlussbetrachtung
verhindern. Beschränkte Differenzierungsklauseln sind im Hinblick auf die individuelle Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten vor diesem Hintergrund unbedenklich, da die Andersorganisierten nicht mehr auf den Zugriff des fremden Tarifwerks angewiesen sind, sondern die Möglichkeit haben, eigene Kollektivvereinbarungen abzuschließen. Der Übertrittsdruck wird zum Anreiz zum Tätigwerden. 7 Die Arbeitsvertragsfreiheit von Arbeitgebern und Außenseitern ergibt sich aus Art. 12 Abs. 1 GG und schützt auch vor faktischen Beeinträchtigungen. Lediglich qualifizierte Differenzierungsklauseln stellen einen Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit dar, der rechtfertigungsbedürftig ist. Dieser Eingriff erfolgt auf der niedrigsten Stufe der vom BVerfG entwickelten Dreistufentheorie und kann durch die legitimen Gemeinwohlzwecke (Stärkung der Tarifautonomie mittels Werbung, Lastenausgleich unter den Arbeitnehmern) gerechtfertigt werden. Organisations- bzw. Absperrklauseln sind ebenso wie mitgliedschaftsanknüpfende Kündigungsschutzbestimmungen als Berufswahlregelungen zu qualifizieren, die nicht gerechtfertigt sind. Sie verstoßen gegen Art. 12 Abs. 1 GG. 8 Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG wird durch die Ungleichbehandlung von Organisierten und Außenseitern grundsätzlich nicht verletzt. Gemäß der sog. neuen Formel des BVerfG erscheint eine auf eine Willkürkontrolle reduzierte Prüfung ausreichend zu sein. Aber auch wenn ein strengerer Maßstab angelegt wird, gelingt eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung, die in §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG gesetzlich ohnehin bereits vorgezeichnet ist. Eine Differenzierung zu Lasten von sich am Streik beteiligenden Außenseitern ist ebenfalls zulässig. Lediglich an den Bestand des Arbeitsverhältnisses anknüpfende Differenzierungsklauseln sowie atypische Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung sind unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG. 9 2. Vereinbarkeit von Differenzierungsklauseln mit einfachem Recht Das einfache Recht zieht der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln grundsätzlich keine Schranken. Eine Ausnahme statuiert § 138 BGB, der zugleich den Maßstab für eine eindeutige Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit bildet. Tarifvertraglich vereinbarte Differenzierungsklauseln verstoßen nicht gegen § 75 BetrVG. Diese Norm richtet sich nur an die Betriebspartner, nicht an die Tarifvertragsparteien. 10 7 8 9
Siehe Teil 2 D. III. Siehe Teil 2 D. IV. Siehe Teil 2 D. V.
A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
249
§ 242 BGB bildet keine zusätzliche Schranke für die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln. Zur Bewertung einer anfänglichen Unzumutbarkeit der fraglichen Regelung ist § 138 BGB heranzuziehen. Was sich die Tarifvertragsparteien gegenseitig zumuten wollen, bleibt ihnen überlassen. Im Hinblick auf die Zumutbarkeit für die Verbandsmitglieder ist eine den Besonderheiten der autonomen Rechtsetzung angepasste Grundrechtskontrolle angezeigt. 11 Auch § 5 TVG verbietet nicht die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, nur solche Klauseln zu vereinbaren, die potentiell „allgemeinverbindlicherklärungstauglich“ in dem Sinne sind, dass im Fall der Allgemeinverbindlicherklärung alle Arbeitnehmer Zugriff auf alle Tarifleistungen haben. Auch wenn die Allgemeinverbindlicherklärung den Zweck erfüllen soll, auch Außenseitern angemessene Arbeitsbedingungen zu gewähren, wird dieser Zweck durch Differenzierungsklauseln nicht vereitelt, solange der Rest des Tarifvertrags weiterhin ein angemessenes Leistungsniveau bereithält. Auch ein differenzierender Tarifvertrag ist grundsätzlich einer Allgemeinverbindlicherklärung zugänglich. 12 Differenzierungsklauseln verstoßen des Weiteren nicht gegen das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG. Das Günstigkeitsprinzip ist als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die Tarifgebundenen gemäß § 3 Abs. 1 TVG zugeschnitten. Eine schematische Übertragung auf Außenseiter ist nicht angezeigt, es muss vielmehr auf die Wertungen zurückgegriffen werden, die im Rahmen der verfassungsrechtlichen Betrachtung tarifvertraglicher Differenzierung ausschlaggebend waren. 13 Schließlich verstoßen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung nicht gegen § 3 Abs. 1, 3, § 4 Abs. 1 TVG. Die Stichtagsregelung definiert den persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags und statuiert keine vom TVG abweichende Regelung der Tarifbindung. 14
IV. Folgefragen Einfache Differenzierungsklauseln entfalten ihre intendierte Wirkung auch im auf sie bezugnehmenden Arbeitsverhältnis. Den Arbeitsvertragsparteien kann ohne entsprechende Äußerungen – auch vor dem Hintergrund des § 305 c Abs. 2 BGB – nicht unterstellt werden, bei Vertragsschluss eine Statusfiktion als Ge10 11 12 13 14
Siehe Siehe Siehe Siehe Siehe
Teil 2 Teil 2 Teil 2 Teil 2 Teil 2
D. VI. D. VII. D. VIII. D. IX. D. X.
250
4. Teil: Schlussbetrachtung
werkschaftsmitglied vereinbart zu haben. Auch § 305 c Abs. 1 BGB hindert die Einbeziehung nicht; einfache Differenzierungsklauseln sind nicht derart ungewöhnlich, dass der Außenseiter mit ihnen nicht rechnen müsste. 15 Schließlich können Differenzierungsklauseln grundsätzlich auch erstreikt werden. Können Außenseiter jedoch unter keinen Umständen am Tarifinhalt partizipieren, muss ein Streikrecht verneint werden. 16
B. Ausblick Wie die Ausführungen gezeigt haben, sind Differenzierungsklauseln in unterschiedlichen Spielarten praktizierbar und zulässig. Hinsichtlich einfacher Differenzierungsklauseln ist mit dem Grundsatzurteil des BAG vom 18. 3. 2009 17 der Weg für die Praxis geebnet worden. Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass die Zahl der Tarifverträge, die für bestimmte Leistungen die Gewerkschaftsmitgliedschaft als konstitutive Anspruchsvoraussetzung vorsehen, steigen wird. Insofern ist es nachvollziehbar, dass Stimmen, die sich bereits vor dieser Entscheidung gegen die Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit ausgesprochen haben, nunmehr den Fokus auf die individualvertragliche Bezugnahme auf derartige Tarifverträge richten und an dieser Stelle die Differenzierung wieder neutralisieren wollen. Die rechtswissenschaftliche (und rechtspolitische) Auseinandersetzung ist auch im Hinblick auf die einfache Differenzierungsklausel noch nicht ausgestanden. Was qualifizierte Differenzierungsklauseln angeht, hat das BAG mit seiner Entscheidung vom 23. 3. 2011 18 die Weichen für die Zukunft ebenfalls gestellt. Um eine Anrufung des Großen Senats wäre es wohl nicht herum gekommen, hätte es die vorgelegte Spannenklausel für wirksam gehalten. 19 Es ist zumindest zu begrüßen, dass das BAG seine Entscheidung nicht mehr mit einem Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit begründet hat. Bedenken muss andererseits das immer noch vorherrschende Rekurrieren auf die sog. „Tarifmacht“ schüren, welche durch Spannenklauseln überschritten sein soll. Die vorliegende Erörterung dürfte aufgezeigt haben, dass mit diesem Begriff kein Staat zu machen ist. Soweit das Gericht die Klausel an Art. 12 Abs. 1 hat scheitern lassen, ist es bedauerlich, 15
Siehe Teil 3 A. Siehe Teil 3 B. 17 BAG 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028 ff. 18 BAG 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, NZA 2011, 920 ff. = AP zu Art. 9 GG (im Erscheinen) mit krit. Anm. Neumann. 19 Ebenso Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 213; Mengel/Burg in: Thüsing / Braun, Tarifrecht, 5. Kap. Differenzierungsklauseln Rn. 16; Spielberger, NZW 2010, 170 (171). 16
B. Ausblick
251
dass es der Versuchung erlegen ist, bereits die zwingende Ungleichbehandlung als Unwirksamkeitsgrund der Klausel auszumachen. Grundrechtseingriffe sind zwar rechtfertigungsbedürftig, aber auch rechtfertigungsfähig. Nach wie vor ist eine einfachgesetzliche Regelung wünschenswert, um Klarheit hinsichtlich der Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zu erhalten. Der Gesetzgeber könnte damit einen rechtswissenschaftlichen Streit, der nunmehr über ein halbes Jahrhundert andauert, weitgehend befrieden. Was die Ausgestaltung einer derartige Differenzierungsklauseln grundsätzlich untersagenden oder (in verfassungsmäßigen Grenzen) ermöglichenden gesetzlichen Regelung angeht, steht dem Gesetzgeber ein weitreichender Beurteilungsspielraum zu. Solange jener von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht, verbleibt Rechtsunsicherheit bei der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln, die auch eine höchstrichterliche Rechtsprechung – die, wie gesehen, wandlungsfähig ist – nicht zur Gänze ausräumen kann.
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Sachverzeichnis Absperrklausel, siehe Organisationsklausel Abstandsklausel, siehe Spannenklausel agency shop 33 Allgemeine Arbeitsbedingungen 92 Allgemeinverbindlicherklärung 21, 23, 28, 74, 91, 92, 249 – Arbeitsvertragsfreiheit 197 – schuldrechtliche Tarifbestimmungen 99 – von Differenzierungsklauseln 222 – 226 Angemessenheitsvermutung 75, 168 Anschluss an den Tarifvertrag (Schweiz) 32 Anschlusszwang (Schweiz) 32 Arbeitskampf 237 – 245 – Aussperrung 239, 240, 242 – selektive 239, 245 – Grundsatz der Tarifeinheit 240 – negative Koalitionsfreiheit 239, 245 – Parität 244 – Sozialadäquanz 242 – Streik 237, 238, 240 Arbeitsvertragsfreiheit 194 –203 – Allgemeinverbindlicherklärung 197 – Anspruch auf Nichtbeeinträchtigung von Verhandlungschancen 200 – dogmatische Herleitung 194 –195 – Dreistufentheorie 196 – einfache Differenzierungsklausel 197 – Organisationsklausel, siehe dort – Spannenklausel 199, 201 – Tarifausschlussklausel 197 –198, 201 Ausgestaltung, rechtstechnische
– einfache Differenzierungsklauseln 91 – 92 – Gemeinsame Einrichtungen 95 – 96 – Kündigungsschutzklauseln 92 – Organisationsklauseln 94 – Spannenklauseln 94 – 95 – Tarifausschlussklauseln 92 – 94 Außenseiter, Begriff 31 Außenseiterklausel 98, 117 Aussperrung, siehe Arbeitskampf Autonomie, erweiterte 68 Beitragszahlung durch Arbeitgeber 84, 85 Beitragszahlung durch Außenseiter 36, 58, 103 Benachteiligungsverbot 35, 180 Bereicherung, ungerechtfertigte 161 closed shop – Begriff 26 – Rechtsvergleich 32 – USA 33 – Vereinigtes Königreich 34 Differenzierungsklausel – als Wettbewerbsinstrument 22, 180, 181, 183, 185 – atypische 39, 230 – Begriff 26 – deklaratorische oder konstitutive Wirkung 28 – 29 – einfache 28 – Organisationspolitik 23 – 25 – qualifizierte 29 Drittwirkungsklausel, siehe Nichtigkeitsanordnung, unbedingte
270
Sachverzeichnis
fair share 33 Freiwilligkeit 82, 87 –88, 136, 137 – negative Koalitionsfreiheit 147 –148 Fremdbestimmung durch Tarifvertrag 114, 117, 119, 204, 220 Gegnerunabhängigkeit 82, 83 –87 Gemeinsame Einrichtung – Härtefallfonds 42 – Urlaubskassenverein 41 Gerechtigkeitsempfinden 36, 152, 153, 216 Gesamtrepräsentation 119 Gesamtrepräsentationsfunktion 223 – personelle Reichweite der Tarifautonomie 66 – 81 Geschäftsführung ohne Auftrag 161 Gleichbehandlungsgrundsatz, arbeitsrechtlicher 208 Gleichheitssatz 204 –213 – arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz 208 – Junggesellenbeispiel 209 – Konsumption der Gewerkschaftszugehörigkeit als Tatbestandsmerkmal 205 – Leistungsprinzip 208 – Prüfungsmaßstab 206 –207 – Rechtfertigungsmöglichkeit 204 –206 – Stichtagsregelung 212 –213 – Willkürverbot 206, 207, 208 Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien 106 – 120 – bei der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln 115 –119 – Delegationstheorie 108 – faktische soziale Macht 109 – Fremdbestimmung 114, 117, 119 – Generalklauseln 107, 112 – Gleichheitsgrundsatz 111 – Maß der 110 – mitgliedschaftliche Legitimation 109 – Normenhierarchie 108
– Rechtsnormcharakter 108 – Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags 116 – schuldrechtlicher Teil des Tarifvertrags 118 – Schutzpflichten 107 – 108, 109, 110, 111, 113 – Tarifzensur 115 – Verhältnismäßigkeitsprüfung 111, 115, 120 Günstigkeitsprinzip 226 – 230 – negatives 205 Günstigkeitsvergleich 190 Junggesellenbeispiel 209 Koalitionseigenschaft 82 – 88 Koalitionsfreiheit, negative 120 – 171 – Arbeitskampf, siehe dort – Dogmatische Einordnung 122 – 151 – Drittwirkungsklausel 129 – Freiwilligkeit 147 – 148 – Koalitionspluralismus 148 – 150 – Koalitionsunwilligkeit 148 – 150 – negative Tarifvertragsfreiheit 121 – Sozialadäquanz 152 – 154 Koalitionsfreiheit, positive – Drittwirkungsklausel 184, 187 – Nachbindung, siehe dort – Tarifeinheit bei Tarifpluralität 172 – 177, 193 Kündigungsschutzklausel – Arbeitsvertragsfreiheit 200, 202, 203 – Begriff 28 – Gleichheitssatz 210 – negative Koalitionsfreiheit 156, 163, 171 – rechtstechnische Ausgestaltung 92 – §1 Abs.3 KSchG 171 Labor Management Relations Act (TaftHartley Act) 33 Lastenausgleich 25
Sachverzeichnis Leistungsprinzip 208, 228 Mitgliederwerbung 24, 25, 56, 57, 62, 63, 84, 101, 121, 130, 144, 160, 163, 181, 183, 185, 201, 208 Nachbindung 188 – 192 National Labor Relations Act (Wagner Act) 33 Nichtigkeitsanordnung, unbedingte 129, 131, 151, 184, 187, 193 Normenhierarchie 48, 108, 141 Organisationsgrad – Deutschland 22 – Großbritannien 34 – Rechtsvergleich 31 Organisationsklausel 97, siehe auch closed shop – Arbeitsvertragsfreiheit 195, 199, 202 – 203 – Begriff 26 – 27 – Gleichheitssatz 210 – negative Koalitionsfreiheit 156, 160, 163, 170 – Parlamentarischer Rat 136, 137, 138 – rechtstechnische Ausgestaltung 94 Parität, siehe Arbeitskampf Prioritätsprinzip 190 Rechtsvergleich – Dänemark 32 – Niederlande 32 – Österreich 32 – Schweden 32 – Schweiz 32 – USA 33 – Vereinigtes Königreich 34 Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags 116, 219 Sanierungstarifverträge 23, 85, 170, 188, 191, 226, 238
271
Schutzpflichten 77, 106, 116, 119, 129, 198 – Grundrechtsbindung 107 – 108, 109, 110, 113 – Richter als Adressat 110 Solidaritätsbeitrag 163 – Schweiz 32 Sozialadäquanz – Arbeitskampf 242 – negative Koalitionsfreiheit 152 – 154, 164 – Rechtsprechung 36, 41, 44 – Unzumutbarkeit 221 Spannenklausel 35, 36, 38, 43, 44, 60, 99, 115, 155 – Arbeitskampf 243 – Arbeitsvertragsfreiheit 201 – Begriff 30 – Konkurrenztarifvertrag 182 – 186 – negative Koalitionsfreiheit 158 – positive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten 193 – rechtstechnische Ausgestaltung 94 – Verbot von Höchstarbeitsbedingungen 228 Spezialitätsprinzip 173, 174, 189, 190, 191 Stichtagsregelung – Gleichheitssatz 212 – 213 – Rechtsprechung 39 – Regelungszuständigkeit 64 Stichtagsregelung, siehe Differenzierungsklausel-SubIndex atypische Streik, siehe Arbeitskampf Tarifausschlussklausel – Arbeitsvertragsfreiheit 201 – Begriff 30 Tarifautonomie 48 – als kollektiv ausgeübte Privatautonomie 109, 113, 114, 129 – funktionale Reichweite 50 – Kernbereichslehre 55 – 58
272
Sachverzeichnis
– personelle Reichweite 65 –81 – sachliche Reichweite 59 –65 Tarifbonus 22, 25, 210 Tariffähigkeit 24, 82, 87, 112, 124, 176 Tarifkonkurrenz 173 Tarifmacht 21, 58, 61, 75, 82, 91, 98, 100, 103 – Allgemeinverbindlicherklärung 223 – Begriff 36 – personelle Reichweite der Tarifautonomie 78 – 80
– §242BGB 216, 217 Tarifzensur 111, 115, 170, 217 Transparenz 36, 58, 152 TULR(C)A 1992 34 union shop 33 Vertrauensleute, gewerkschaftliche 84 Vorruhestandstarifverträge 38, 244