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German Pages 599 [600] Year 2002
Systemtheorie 1 Allgemeine Grundlagen, Signale und lineare Systeme im Zeit- und Frequenzbereich von Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. Rolf Unbehauen 8., korrigierte Auflage mit 260 Bildern und 148 Abbildungen
Oldenbourg Verlag München Wien
Dr.-lng. Dr. h.c. Rolf Unbehauen ο. Professor, Lehrstuhl f ü r Allgemeine und Theoretische Elektrotechnik der Universität Erlangen-Nürnberg Bisher erschien das Werk in einem Band. D e r vorliegende Band 1 wird durch den bereits erschienenen Band 2 ergänzt: Systemtheorie 2, 7. überarbeitete und erweiterte Auflage 1998, ISBN 3-486-24023-4
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Unbehauen, Rolf: Systemtheorie / von Rolf Unbehauen. - München ; Wien : Oldenbourg 1. Allgemeine Grundlagen, Signale und lineare Systeme im Zeit- und Frequenzbereich : mit 148 Aufgaben. - 8., korr. Aufl.. - 2002 ISBN 3-486-25999-7
© 2002 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere f ü r Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Sabine O h l m s Herstellung: Rainer Hartl Umschlagkonzeption: Kraxenberger Kommunikationshaus, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" G m b H , Bad Langensalza
INHALT Vorwort
ΧΙΠ
Kapitel I: Eingang-Ausgang-Beschreibung von linearen Systemen
1
1. Grundlegende Begriffe
1
1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.4.1. 1.4.2.
Signale Systeme Die Systemeigenschaften Standardsignale Kontinuierliche Standardsignale Diskontinuierliche Standardsignale
2. Charakterisierung kontinuierlicher Systeme durch Sprung- und Impulsantwort 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6. 2.7. 2.8.
Die Sprungantwort Die Impulsantwort Zusammenhang zwischen Sprungantwort und Impulsantwort Die Sprungantwort als Systemcharakteristik Die Impulsantwort als Systemcharakteristik Ein Stabilitätskriterium Beispiele Erweiterung
3. Charakterisierung diskontinuierlicher Systeme durch Sprung- und Impulsantwort ... 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5.
Die Sprungantwort Impulsantwort Sprung- und Impulsantwort als Systemcharakteristiken Ein Stabilitätskriterium und Erweiterung Beispiele
4. Stochastische Signale und lineare Systeme 4.1. 4.2. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.3.4. 4.4. 4.4.1.
Beschreibung stochastischer Prozesse Stationäre stochastische Prozesse, Ergodenhypothese Korrelationsfunktionen Korrelationsfaktor Kreuzkorrelationsfunktion und Autokorrelationsfunktion Weitere Eigenschaften der Korrelationsfunktionen Experimentelle Bestimmung der Korrelationsfunktion Stochastische Prozesse und lineare Systeme Einige grundlegende Eigenschaften
1 5 7 13 13 17 19 19 21 23 24 26 29 30 36 37 37 38 39 42 43 45 45 48 50 50 51 52 54 55 55
VI
Inhalt 4.4.2. Übergangsvorgänge 4.5. Diskontinuierliche stochastische Prozesse
56 59
Kapitel II: Systemcharakterisierung durch dynamische Gleichungen, Methode des Zustandsraums
63
1. Vorbemerkungen
63
2. Beschreibung elektrischer Netzwerke im Zustandsraum
63
3. Beschreibung kontinuierlicher Systeme im Zustandsraum 3.1. 3.2. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.3. 3.4. 3.4.1. 3.4.2. 3.4.3. 3.4.4. 3.4.5. 3.5. 3.5.1. 3.5.2. 3.5.3. 3.5.4. 3.5.5. 3.5.6.
Umwandlung von Eingang-Ausgang-Beschreibungen in Zustandsgieichungen. Lineare Transformation des Zustandsraums Lösung der Zustandsgieichungen, Übergangsmatrix Der zeitinvariante Fall Der zeitvariante Fall Zusammenhang zwischen Übergangsmatrix und Matrix der Impulsantworten. Steuerbarkeit und Beobachtbarkeit linearer Systeme Einführendes Beispiel Steuerbarkeit Beobachtbarkeit Kanonische Zerlegung linearer, zeitinvarianter Systeme Ergänzungen zur Steuerbarkeit und Beobachtbarkeit linearer, zeitinvarianter Systeme Stabilität Vorbemerkungen Definition der Stabilität bei nicht erregten Systemen Stabilitätskriterien für nicht erregte lineare Systeme Die Stabilitätskriterien von A. Hurwitz und E. J. Routh Die direkte Methode von Μ. A. Lyapunov Stabilität bei erregten Systemen
4. Beschreibung diskontinuierlicher Systeme im Zustandsraum 4.1. 4.2. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.4. 4.5.
Umwandlung von Eingang-Ausgang-Beschreibungen in Zustandsgieichungen. Lineare Transformation des Zustandsraums Lösung der Zustandsgieichungen, Übergangsmatrix Der zeitinvariante Fall Der zeitvariante Fall Zusammenhang zwischen Übergangsmatrix und Matrix der Impulsantworten. Steuerbarkeit und Beobachtbarkeit linearer Systeme Stabilität
5. Anwendungen
70 73 79 85 85 92 101 103 103 104 110 115 118 123 123 124 127 129 131 138 141 142 145 146 146 151 154 155 159 162
Inhalt 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.4.1. 5.4.2. 5.4.3. 5.4.4.
νπ Transformation auf kanonische Formen Zustandsgrößenrückkopplung Zustandsbeobachter Optimale Regelung Allgemeine Lösung des Optimierungsproblems Lineare Systeme mit quadratischem Güteindex Unendliche Steuerintervalle Optimale Regelung zeitdiskreter Systeme
162 168 175 182 182 189 194 196
Kapitel III: Spektralanalyse kontinuierlicher Signale und Systeme
199
1. Die Übertragungsfunktion
199
2. Die Fourier-Transformation
202
2.1. 2.2. 2.3. 2.4.
Transformation stetiger Funktionen 202 Transformation von Funktionen mit Sprungstellen, das Gibbssche Phänomen. 207 Der ideale Tiefpaß 212 Kausale Zeitfunktionen 214
3. Eigenschaften der Fourier-Transformation 3.1. 3.2. 3.3.
Elementare Eigenschaften Weitere Sätze Zeitdauer und Bandbreite
4. Die Fourier-Transformation im Bereich der verallgemeinerten Funktionen 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 4.5.1. 4.5.2. 4.5.3. 4.5.4. 4.5.5. 4.6. 4.7.
Die Fourier-Transformierte der Delta-Funktion und der Sprungfunktion Weitere grundlegende Korrespondenzen Die Fourier-Transformation periodischer Zeitfunktionen Signale mit periodischen Spektren Zeitbegrenzte Signale, bandbegrenzte Signale, das Abtasttheorem Zeitbegrenzte Signale Bandbegrenzte Signale Abtasttheorem Bandbegrenzte Interpolation und Abtastung Bandbegrenzte Approximation Entwicklung von Signalen nach orthogonalen Funktionen Die Impulsmethode zur numerischen Durchführung der Transformation zwischen Zeit- und Frequenzbereich 4.8. Die Poissonsche Summenformel und einige Folgerungen 4.9. Die zeitvariable Fourier-Transformation 4.9.1. Verwendung eines Rechteckfensters 4.9.2. Verwendung allgemeiner Fenster, die Kurzzeit-Fourier-Transformation 4.9.3. Die Wavelet-Transformation
217 217 224 227 230 230 232 235 238 240 240 242 243 245 250 251 255 258 259 259 261 265
Vffl
Inhalt
5. Idealisierte Tiefpaß-und Bandpaßsysteme 5.1. 5.2. 5.3. 5.4.
271
Amplitudenverzerrte Tiefpaßsysteme Amplituden-und phasenverzerrte Tiefpaßsysteme Bandpaßsysteme Einseitenband-Modulation
271 276 278 287
6. Darstellung stochastischer Prozesse im Frequenzbereich
288
6.1. 6.2. 6.2.1. 6.2.2. 6.3. 6.3.1. 6.3.2. 6.3.3.
Die spektrale Leistungsdichte Spektrale Leistungsdichten und lineare Systeme Allgemeine Aussagen Beispiele Einige Anwendungen Bestimmung von Systemcharakteristiken durch Kreuzkorrelation Signalerkennung im Rauschen Suchfilter (matched filter)
288 292 292 292 295 296 297 299
Kapitel IV: Spektralanalyse diskontinuierlicher Signale und Systeme
301
1. Die Übertragungsfunktion
301
2. Spektraldarstellung diskontinuierlicher Signale
303
2.1. 2.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.4. 2.5. 2.6. 2.6.1. 2.6.2.
Die Grundgleichungen Die Spektraltransformation im Bereich der verallgemeinerten Funktionen .... Eigenschaften der Spektraltransformation Elementare Eigenschaften Weitere Sätze Digitale Simulation kontinuierlicher Systeme Spektraldarstellung periodischer diskontinuierlicher Signale Die zeitvariable Spektral-Transformation Verwendung eines Rechteckfensters Verwendung allgemeiner Fenster, die diskontinuierliche Kurzzeit-FourierTransformation 2.6.3. Die diskontinuierliche Wavelet-Transformation 2.7. Diskretisierung der Fourier-Transformation
3. Die diskrete Fourier-Transformation 3.1. 3.2. 3.3.
Die Transformationsbeziehungen Beziehung zur Spektraltransformation diskontinuierlicher Signale Die schnelle Fourier-Transformation
4. Diskontinuierliche Systeme zur digitalen Signalverarbeitung 4.1.
Nichtrekursive Systeme
303 307 309 309 312 315 316 322 322 324 329 332 335 335 337 341 344 344
Inhalt 4.2.
IX Rekursive Systeme
5. Beschreibung diskontinuierlicher stochastischer Prozesse im Frequenzbereich 5.1. 5.2.
Grundlegende Begriffe und Zusammenhänge Signalerkennung
347 351 351 352
Kapitel V: Beschreibung kontinuierlicher Signale und Systeme in der komplexen Ebene 356 1. Die Laplace-Transformation 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5.
Die Grundgleichungen der Laplace-Transformation Zusammenhang zwischen Fourier-und Laplace-Transformation Die Übertragungsfunktion für komplexe Werte des Frequenzparameters Eigenschaften der Laplace-Transformation Die zweiseitige Laplace-Transformation
2. Verfahren zur Umkehrung der Laplace-Transformation 2.1. 2.2. 2.3. 2.4.
Der Fall rationaler Funktionen Der Fall meromorpher Funktionen Weitere Anwendung der Residuenmethode Umkehrung der zweiseitigen Laplace-Transformation
3. Anwendungen der Laplace-Transformation Analyse von linearen, zeitinvarianten Netzwerken mit konzentrierten Elementen 3.2. Bestimmung des stationären Anteils einer Zeitfunktion 3.3. Anwendung der Laplace-Transformation bei der Systemanalyse im Zustandsraum 3.4. Realisierung von linearen, zeitinvarianten Systemen im Zustandsraum 3.4.1. Der skalare Fall 3.4.2. Der Matrix-Fall 3.5. Systementkopplung 3.6. Das Polplazierungsproblem
356 356 358 362 362 366 368 369 370 372 374 375
3.1.
4. Graphische Stabilitätsmethoden 4.1. 4.2. 4.3.
Das Kriterium von H. Nyquist Die Methode der Wurzelortskurve Nichtlineare Rückkopplung, Popow-Kriterium und Kreiskriterium
5. Die Verknüpfung von Realteil und Imaginärteil einer Übertragungsfunktion 5.1.
375 377 379 382 383 387 391 394 398 399 403 411 417
Beziehung zwischen Realteil und Imaginärteil bei rationalen Übertragungsfunktionen 417
χ
Inhalt 5.2. 5.3.
Die Hilbert-Transformation Eine Methode zur praktischen Durchführung der Hilbert-Transformation ....
6. Die Verknüpfung von Dämpfung und Phase 6.1. 6.2. 6.3. 6.4.
425
Der Fall rationaler Übertragungsfunktionen 426 Allgemeine Mindestphasensysteme 429 Die Frage der Realisierbarkeit einer Amplitudencharakteristik, das PaleyWiener-Kriterium 432 Die Nulldynamik linearer Systeme 436
7. Optimalfilter 7.1. 7.2. 7.2.1. 7.2.2. 7.2.3. 7.2.4.
420 423
Das Wienersche Optimalfilter Kalman-Bucy-Filter Vorbetrachtung Signalmodell Optimaler Zustandsschätzer Zustandsschätzung für deterministische Systeme
441 441 445 445 447 448 453
Kapitel VI: Beschreibung diskontinuierlicher Signale und Systeme in der komplexen Ebene 457 1. Die Z-Transformation 1.1. 1.2. 1.3. 1.4.
Die Grundgleichungen der Z-Transformation Eigenschaften der Z-Transformation Umkehrung der Z-Transformation Die Übertragungsfunktion für komplexe z-Werte
457 457 460 463 466
2. Anwendung der Z-Transformation bei der Systembeschreibung im Zustandsraum .. 469 3. Beziehung zwischen Realteil und Imaginärteil bei Übertragungsfunktionen diskontinuierlicher Systeme 471 3.1. 3.2.
Rationaler Fall Integral-Transformationen
471 477
4. Die Verknüpfung von Dämpfung und Phase
480
4.1. 4.2.
Der Fall rationaler Übertragungsfunktionen Diskontinuierliche Systeme mit streng linearer Phase
5. Optimalfilter 5.1. 5.2.
Wiener-Filter Kaiman-Filter
480 486 490 490 494
Inhalt
XI
6. Das Nyquist-Verfahren zur Stabilitätsprüfung
499
7. Multiratensysteme
502
7.1. 7.2. 7.3. 7.4. 7.5. 7.5.1. 7.5.2. 7.5.3. 7.5.4. 7.5.5. 7.6. 7.6.1. 7.6.2.
Vorbereitungen Dezimator und Expander Dezimations- und Interpolationssysteme Polyphasen-und Modulationszerlegung diskontinuierlicher Signale Digitalfilterbänke Analyse-und Synthesefilterbänke Basisfilterbänke N-Kanal-QMF-Bank Transmultiplexer Lineare, periodisch zeitvariante Systeme Interpretation der diskontinuierlichen Wavelet-Transformation Eine Analysefilterbank und eine Synthesefilterbank Konstruktion einer orthonormalen Basis
502 504 510 512 518 518 522 523 525 529 531 531 534
Korrespondenzen 1 Korrespondenzen der Fourier-Transformation 2 Korrespondenzen der Laplace-Transformation 3 Korrespondenzen der Z-Transformation
539 539 540 541
Formelzeichen und Abkürzungen
542
Aufgaben Kapitell Kapitelll Kapitel III Kapitel IV Kapitel V Kapitel VI
544 544 545 551 558 560 565
Literatur
570
Sachregister
576
VORWORT
In den drei Jahrzehnten seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches hat sich die Theorie der Signale und Systeme in unterschiedliche Richtungen, meist mit beachtlichem Tempo, entwickelt. Wesentlich beeinflußt wurde dieser Vorgang durch den technologischen Wandel dieser Zeit und grundlegende Änderungen in der Denkweise des Ingenieurs. Die vorliegende Neuauflage soll gegenüber den früheren Auflagen diesem dynamischen Entwicklungsprozeß und der steigenden Bedeutung der Systemtheorie für den Anwender vor allem im Bereich der Technik sowie den damit verbundenen erhöhten Anforderungen in der Ingenieurausbildung noch stärker Rechnung tragea Rein äußerlich zeigt sich dies an der Aufteilung des Buches in zwei Bände. Die Notwendigkeit hierzu ergab sich, da alle Kapitel des Buches nicht nur überarbeitet, sondern entweder wesentlich erweitert oder neu verfaßt wurden und damit der Gesamtumfang des Textes in beträchtlichem Maße anstieg. Die Systemtheorie stellt inzwischen ein in den Ingenieurwissenschaften fest etabliertes Grundlagenfach dar. Die vorhandenen Verfahren werden in der Informationstechnik ebenso wie in der Meßtechnik, der Regelungstechnik, der Robotik, aber auch in anderen Bereichen angewendet. Die Methodik beruht in der Regel darauf, mathematische Modelle bereitzustellen, um bei verschiedenartigen Anwendungen Einsichten in technische Zusammenhänge zu gewinnen und quantitative Ergebnisse zu erzielen. Dabei stellen die genannten Modelle mathematische Bilder für das Zusammenspiel der physikalischen Erscheinungen dar, die den technischen Vorgängen zugrunde liegen. Ein großer Teil der heutigen Verfahren zur analogen und digitalen Signalverarbeitung beruht auf systemtheoretischen Konzepten. Da zur inneren Logik einer Theorie die deduktive Vorgehensweise gehört, verlangt eine sinnvolle Anwendung systemtheoretischer Methoden eine Gewöhnung an das entsprechende abstrakte Denken. Dies heißt aber nicht, daß auf physikalische Interpretationen verzichtet werden kann. Hervorgehoben sei hier auch die didaktische und lernökonomische Bedeutung der Systemtheorie, die darin zu sehen ist, daß man leichter lehrt und lernt, wenn eine Vielzahl von Einzelerscheinungen in der Informations-, Meß- und Automatisierungstechnik als Konsequenz weniger systemtheoretischer Grundkonzepte erklärt und durchschaut werden kann; man sollte nach wie vor anstreben, den Studenten nicht in jedem Fach mit einer "spezifischen" Theorie und einer speziellen Nomenklatur zu belasten. Das Buch wendet sich an Studenten und Ingenieure in der Praxis, die sich systemtheoretische Methoden zur Lösung technischer Probleme erarbeiten wollen. Es ist zum Selbststudium und als Arbeitstext neben Vorlesungen gedacht. Der vorliegende erste Band des Buches umfaßt sechs Kapitel, deren Schwerpunkte allgemeine Grundlagen der Systemtheorie bilden. Im ersten Kapitel werden die Grundbegriffe der Theorie der Signale und Systeme eingeführt. Der Begriff der Linearität eines Systems nimmt hier eine zentrale Stellimg ein, und es wird das Zusammenspiel der Eingangsgrößen und der Ausgangsgrößen bei linearen Systemen ohne Beachtung des inneren Systemzustandes untersucht. Dabei wird sowohl der klassische Fall der kontinuierlichen (analogen) Signale und Systeme als auch der diskontinuierliche (zeitdiskrete) Fall behandelt. Die entwickelten Methoden eignen sich dazu, das Zeitverhalten von Übertragungseinrichtungen in bequemer Weise zu beurteilen. Ein spezieller Abschnitt dieses Kapitels führt den Begriff des stochastischen Prozesses ein, und es wird untersucht, in welcher Weise derartige Prozesse durch lineare Systeme verändert werden. Im
XIV
Vorwort
zweiten Kapitel werden die Verfahren des Zustandsraums behandelt. Diese Verfahren gehören schon lange Zeit zum festen Bestand der Systemtheorie. Breiten Raum finden die Aufstellung der Zustandsgieichungen, die Lösung dieser Gleichungen, die Klärung der Begriffe Steuerbarkeit, Beobachtbarkeit, Stabilität und die Entwicklung von Kriterien zur Überprüfung dieser Eigenschaften. Auch Methoden der Zustandsgrößenrückkopplung, des Entwurfs von Zustandsbeobachtern und Verfahren der optimalen Regelung werden behandelt. Letztere werden wesentlich ausführlicher als bisher dargestellt. Darüber hinaus wurden in die beiden ersten Kapitel mehrere neue Beispiele, namentlich aus dem Bereich der Mechanik aufgenommen. Im Gegensatz zu den beiden ersten Kapiteln, in denen ausschließlich Verfahren des Zeitbereichs studiert werden, sind in den nachfolgenden vier Kapiteln vor allem Methoden des Frequenzbereichs Gegenstand der Betrachtungen. In diesem Sinne ist das Buch methodisch gegliedert, so daß die betreffenden Teile trotz ihres engen Zusammenhangs auch unabhängig voneinander gelesen werden können. Die Signal- und Systembeschreibung mit Hilfe der Fourier-Transformation wird für den kontinuierlichen Fall im dritten Kapitel und für den diskontinuierlichen Fall im vierten Kapitel ausführlich behandelt. Diese Beschreibungsart ist in vielen Anwendungsfällen der Vorstellungswelt des Ingenieurs besonders angepaßt. Hierbei werden gelegentlich auch nichtkausale Systeme betrachtet, da in gewissen Fällen der Verzicht auf die Kausalität die Untersuchungen bemerkenswert vereinfacht, andererseits aber die dadurch bedingten Fehler bei qualitativen Überlegungen oft keine wesentliche Rolle spielen. Im Rahmen der Spektralbeschreibung wird im diskontinuierlichen Fall unter anderem auch auf die diskrete Fourier-Transformation (DFT) und das Prinzip der schnellen Fourier-Transformation (FFT) eingegangen. Erwähnt seien auch die Darstellung von Verfahren zur digitalen Signalverarbeitung, die Beschreibung stochastischer Prozesse im Frequenzbereich mit Hilfe der spektralen Leistungsdichte und, im Rahmen von Anwendungen, Methoden zur Signalerkennung im Rauschen. Neben einer Ergänzung des Abtasttheorems im dritten Kapitel findet der Leser nunmehr in diesem und dem vierten Kapitel relativ breite Diskussionen über die kontinuierliche und diskontinuierliche Kurzzeit-Fourier-Transformation und Querverbindungen zu den Wavelets, mit denen sich in der letzten Zeit die Forschung intensiv beschäftigt hat und die wichtige Anwendungen in der Praxis gefunden haben. Die Nützlichkeit der Funktionentheorie zur Behandlung systemtheoretischer Probleme wird im fünften Kapitel für den kontinuierlichen Fall und im sechsten Kapitel für den diskontinuierlichen Fall gezeigt. Im ersten Fall spielt die Laplace-Transformation, im zweiten Fall die Z-Transformation die grundlegende Rolle. Die im zweiten Kapitel geführte Diskussion über die Zustandsbeschreibung wird hier durch Betrachtungen in der komplexen Ebene wesentlich erweitert, wodurch es gelingt, insbesondere das Realisierungsproblem auf neuartige Weise zu lösen. Im Rahmen der Beschreibung einiger graphischer Stabilitätsverfahren findet man das Nyquistsche Kriterium, die Methode der Wurzelortskurven, das Popov-Kriterium und ein Kreiskriterium. Die Frage der Verknüpfung einerseits zwischen Realteil und Imaginärteil einer Übertragungsfunktion, andererseits zwischen Betrag und Phase wird für den kontinuierlichen und den diskontinuierlichen Fall ausführlich behandelt; auf diskontinuierliche Systeme mit streng linearer Phase wird besonders eingegangen. Erwähnt sei noch eine Einführung in die Theorie der kontinuierlichen und diskontinuierlichen Wienerschen Optimalfilter sowie im Zusammenhang hiermit eine Behandlung der Theorie der kontinuierlichen und nunmehr auch der diskontinuierlichen Kalman-Bucy-Filter. Im fünften Kapitel findet jetzt der Leser einen Abschnitt, in dem für lineare, zeitinvariante Systeme, zu-
Vorwort
XV
gleich als Vorbereitung für die im zweiten Band des Buches behandelten nichtlinearen Systeme, die Konzepte der äußeren und inneren Dynamik sowie der Nulldynamik vorgestellt werden. In das sechste Kapitel wurde ein Abschnitt über Multiratensysteme aufgenommen, der als Einführung in diese Thematik und in Anwendungen derartiger Systeme, insbesondere zum Entwurf von Filterbänken gedacht ist. Fortgeschrittenere Themen wie mehrdimensionale Signale und Systeme, adaptive Systeme und nichtlineare Systeme werden im zweiten Band des Buches behandelt. An zahlreichen Stellen des Buches wird versucht, die gewonnenen Ergebnisse durch Beispiele zu erläutern und zu erproben. Die verwendeten Symbole wurden in Anlehnung an die im deutschen Schrifttum üblichen Bezeichnungen gewählt. So werden Vektoren und Matrizen durch halbfette Zeichen, transponierte Matrizen durch ein hochgestelltes "T", konjugiert-komplexe Zahlen durch einen Stern und die komplexe Frequenzvariable durch ρ bzw. ζ gekennzeichnet. Die wichtigsten Formelzeichen und Abkürzungen sind am Ende des Buches in einer Tabelle zusammengestellt. In Anlehnung an die in der Mathematik schon seit langem üblichen Bezeichnungen für die bei Funktionszuordnungen auftretenden Variablen kennzeichnet χ den Vektor der Eingangssignale (Ursachen), y den Vektor der Ausgangssignale (Wirkungen) und ζ den Zustandsvektor. Am Ende des Buches sind in Tabellenform für Anwendungen wichtige Korrespondenzen der Fourier-, Laplace- und Z-Transformation zusammengestellt. Auf die Vielzahl der Übungsaufgaben, die kapitelweise geordnet sind und zusammen mit dem Literaturverzeichnis den Abschluß des Buches bilden, sei besonders hingewiesen. Diese inzwischen 148 Aufgaben sollen zusätzlichen Anreiz zur Beschäftigung mit dem Gegenstand des Buches bieten und sind darüber hinaus dazu gedacht, den Leser zur ständigen aktiven Mitarbeit anzuregen. Zugehörige Musterlösungen sind im zweiten Band zu finden. Vom Leser wird erwartet, daß er mit den Elementen der Matrizenalgebra und der Analysis reeller Funktionen einschließlich der Theorie gewöhnlicher linearer Differentialgleichungen vertraut ist und über einige Grundkenntnisse der Funktionentheorie verfügt. Der Umfang dieser Kenntnisse entspricht etwa dem Stoff, wie er Ingenieuren in den mathematischen Grundvorlesungen an deutschen wissenschaftlichen Hochschulen geboten wird. Im zweiten Band findet der Leser in Form von Anhängen eine kurze Einführung in die Elemente der Distributionentheorie, die sich für die moderne Systemtheorie als nützlich erwiesen hat, weiterhin einige Grundbegriffe aus der elementaren Wahrscheinlichkeitsrechnung sowie verschiedene wichtige Grundtatsachen aus der linearen Algebra und der Funktionentheorie. In seiner vorliegenden Gestalt hätte das Buch ohne die tatkräftige Unterstützung zahlreicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht vollendet werden können. Besonderer Dank gilt Herrn Dr.-Ing. U. FORSTER und Herrn Dipl.-Phys. K. REIF, die den gesamten Text einer kritischen Prüfung unterzogen und an vielen Stellen Korrekturen, Verbesserungen und Erweiterungen einbrachten. Wertvolle Beiträge stammen von Herrn Dipl.-Ing. B. ANHÄUPL und Herrn Dipl.-Ing. S. GÜNTHER. Die äußere Gestaltung mittels eines Textverarbeitungssystems und eines Grafiksystems besorgte Frau H. SCHÄDEL mit Unterstützung von Frau R. SCHWARZ. Bei der Erstellung komplizierter Diagramme halfen Herr Dipl.-Ing. H. WEGLEHNER und Herr Dipl.-Ing. G. TRIFTSHÄUSER. Frau B. SCHOLZ besorgte das Stichwortverzeichnis. Allen genannten Damen und Herren und auch den nicht genannten Helfern sei an dieser Stelle für das unermüdliche Engagement herzlicher Dank ausgesprochen. Dank gebührt auch den auswärtigen Kollegen, die durch kritische Hinweise wichtige Anregungen gegeben haben. Von diesen Kollegen sei Herr Prof. Dr.-Ing. W. ZSCHUNKE (Τ. H. Darmstadt) besonders genannt. Dem Lektor vom R. Oldenbourg Verlag, Herrn Dipl.-Ing.
XVI
Vorwort
Ε. KRAMMER, wird für die ausgezeichnete Zusammenarbeit und die verlegerische Betreuung des Vorhabens gedankt. Hinweise sowie konstruktive Kritik und Vorschläge werden vom Verfasser auch in Zukunft dankbar entgegengenommen. Erlangen, Oktober 1996
R. Unbehauen
A N M E R K U N G Z U R 8. A U F L A G E
Die vorliegende Neuauflage des Buches unterscheidet sich von der vorausgegangenen (siebten) Auflage nur durch Korrektur weniger Stellen. Bei dieser Richtigstellung hat mich Herr Dipl.-Ing. H. Mayer unterstützt, wofür ich mich an dieser Stelle herzlich bedanke. Erlangen, April 2002
R. Unbehauen
1
I
Eingang-Ausgang-Beschreibung von linearen Systemen
1
Grundlegende Begriffe
Die wichtigsten Grundbegriffe der Systemtheorie sind das Konzept des Signals und das des Systems. Unter einem Signal versteht man, grob gesagt, die Repräsentation einer Information. Beispiele für Informationen sind die zwischen zwei Punkten auftretende elektrische Spannung, die Stärke des in einem Leiter fließenden elektrischen Stromes, die Schallwelle aus einem Lautsprecher, die zweidimensionale Helligkeitsverteilung auf einem elektronischen Bildschirm oder die zeitliche Entwicklung des Kurses einer Aktie. Eine bestimmte Information kann durch verschiedene Signale repräsentiert werden. Die Frage nach der Wahl eines geeigneten Signals zur Darstellung einer vorliegenden Information, etwa im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit und Zuverlässigkeit für eine beabsichtigte Übertragung, ist Gegenstand der Informationstheorie. Die Systemtheorie beschäftigt sich mit den verschiedenen Möglichkeiten der Beschreibung, der Kennzeichnung, der Umwandlung und Verarbeitung von Signalen. Unter einem System versteht man in der Praxis ein Gebilde, das in der Lage ist, Signale umzuwandeln. Typische Beispiele sind ein elektronischer Verstärker, eine Alarmanlage oder eine Einrichtung zur automatischen Auswertung eines Elektrokardiogramms. Aufgabe der Systemtheorie ist es, für in der Realität existierende Systeme Modelle bereitzustellen. Diese Modelle werden nun selbst ebenfalls Systeme genannt. Es ergeben sich dann beispielsweise die folgenden Fragestellungen: Wie reagiert ein System auf eine bestimmte Klasse von Signalen (Systemcharakterisierung), welche Eigenschaften hat ein System (Systemanalyse), welches System (Modell) eignet sich zur Repräsentation eines praktischen Systems (Systemidentifikation), wie lassen sich unerwünschte Eigenschaften eines Systems beseitigen (ζ. B. Systemstabilisierung), welche Maßnahmen sind zu treffen, um aus einem fehlerbehafteten Signal verwertbare Aussagen über das wahre Signal zu gewinnen (Signalerkennung, Signalschätzung, Signalrestaurierung) ?
1.1 SIGNALE Man unterscheidet zunächst zwischen kontinuierlichen und diskontinuierlichen Signalen. Kontinuierliche Signale werden gewöhnlich durch stückweise stetige F u n k t i o n e n / ( f ) beschrieben, durch die jedem t e R = ( e i n d e u t i g ein (skalarer) Wert zugewiesen wird, möglicherweise abgesehen von einzelnen Sprungstellea Dabei spricht man von einer Sprungstelle t = t0, wenn f(t0 - ) und f(tQ+) voneinander verschieden sind; man versteht unter / ( t 0 - ) und / (t 0 +) den links- bzw. rechtsseitigen Grenzwert von / ( t ) an der Stelle t = t0, d. h. mit e > 0 f(t0~)
=lim/(f0-E), ε-»0
/ ( f 0 + ) = l i m / ( i 0 + ε) t-»0
2
I Eingang-Ausgang-Beschreibung von linearen Systemen
Ein kontinuierliches Signal ist also in der Regel für alle Punkte des reellen Kontinuums R erklärt. Wenn als Definitionsbereich nur ein Teil von R, beispielsweise ein Intervall (f j, t2) mit - °° ^ tx < ί2 ^ °° verwendet wird, soll diese Einschränkung explizit genannt werden. Meistens ist die unabhängige Variable t als Zeit (in Sekunden oder als normierter, d. h. dimensionsloser Zeitparameter) zu verstehen. Dies ist jedoch nicht zwingend. So können Signale auch als Funktionen in Abhängigkeit einer Variablen auftreten, welche die Bedeutung einer Längenkoordinate hat. Darüber hinaus kann es notwendig werden, bestimmte Signale, ζ. B. Bilder, durch Funktionen von mehreren unabhängigen Variablen zu beschreiben. Derartige mehrdimensionale Signale bleiben jedoch zunächst außer Betracht. Als Funktionswerte f ( t ) werden beliebige reelle Zahlen, gelegentlich aber auch komplexe Zahlen zugelassen. Sofern nicht durch Normierung erzielte dimensionslose Größen vorliegen, sind diese Zahlenwerte mit der jeweils zugehörigen Dimension behaftet. Beispiel 1.1: Bild 1.1 zeigt den Verlauf der Signale 0
für
t
π/3 ,
und ο
Λίθ-
-2 1 t- 2
für für für für
t< -1 , —1< ί < 2 , 2 0
(1.6a)
soll nun stets die Konvergenz der Folge der entsprechenden Ausgangsvektoren gegen die Nullfunktion, also {T(x(t))}
0
(1.6b)
implizieren. Unter der Voraussetzung (1.6a,b) läßt sich jetzt in Gl. (1.4) der Grenzübergang N-» °° ausführen. Auf diese Weise ergibt sich die erweiterte Linearitätseigenschaft Γ [ Σ Μ
μ
( 0 | = Σ*»Γ(ιμ(0)·
(ΐ·7)
Zum Nachweis der Gültigkeit von Gl. (1.7) stellt man die linke Seite dieser Gleichung zunächst in der Form
Τ [ ς μ μ Ο > + **0
verstanden (Bild 1.7). Man beachte, daß es sich bei der Sprungfunktion um eine an der Stelle t = 0 unstetige Funktion handelt. s{t) 1
Bild 1.7: Die kontinuierliche Sprungfunktion
Mit Hilfe dieser Funktion kann jede in -°°< t < °° stetige und stückweise differenzierbare Funktion f (t), deren Grenzwert l i m / ( f ) = / ( - ° ° ) existiert, dargestellt werden: Ausgel-t
hend von der Beziehung I / ( , ) = / ( - » ) +
mit f'(t)-= lung
df(t)/dt
//'(T)dT
erhält man unter Verwendung der Sprungfunktion s ( / ) die Darsteloo
/(O
=/(—)+
ff(r)s(t-T)dT .
(1.16)
Die Anwendung der Gl. (1.16) auf Funktionen / ((), die Unstetigkeiten in Form von Sprüngen aufweisen, ist erlaubt, wenn / ( I ) als verallgemeinerte Funktion im Sinne der Distributionentheorie aufgefaßt wird.
Die Darstellung für / ( t ) gemäß Gl. (1.16) kann nach Bild 1.8 gedeutet werden. Aus Bild 1.8 ist nämlich unmittelbar die approximative Form /(0 «/(-»)+
Σ i('-T,ti)[/(V,)-/(Tj]
(1.17)
mit τ „ + 1 = τ„ + Δ τ zu erkennen. Erweitert man die unter dem Summenzeichen stehende eckige Klammer mit Δ τ, so geht Gl. (1.17) für Δ τ-» 0 in Gl. (1.16) über. (c) Die kontinuierliche Impulsfunktion Die Impulsfunktion