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German Pages 440 [441] Year 2004
HEIKE WÜLLER
Systemkrise als Handlungschance
Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Herausgegeben im Auftrag der Preußischen Historischen Kommission, Berlin von Prof. Dr. Johannes Kunisch und Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer
Band 26
Systemkrise als Handlungschance Christian Wilhelm von Dohm und die LüUicher Revolution von 1789
Von Heike Wüller
Duncker & Humblot . Berlin
Die Philosophische Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
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© 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahrne: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0943-8629 ISBN 3-428-11421-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @ Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Christian Wilhelm von Dohm ist in der Forschung mehrfach monographisch untersucht worden. Vornehmlich seine Schriften, allen voran die Abhandlung "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden" und die fünf Bände der "Denkwürdigkeiten meiner Zeit" fanden in der geistes- und ideengeschichtlichen Diskursforschung Beachtung. Obwohl Dohm sein gesamtes berufliches Leben in Staatsdiensten, zumeist preußischen, verbracht hat, ist er aber nur selten in einen ereignisgeschichtlichen Kontext gestellt oder unter der Fragestellung konkreten politischen Handeins untersucht worden. Mit der vorliegenden Arbeit ist der Versuch unternommen worden, eine aspektische Biographie zu zeichnen, die eine generationsspezifische Erfahrung in den Mittelpunkt stellt - nämlich das einschneidende Erlebnis der großen Französischen Revolution mit ihren ebenso in die politischen Verhältnisse wie in das Privatleben des einzelnen wirkenden Folgen. Dabei liegt die Spezifik in Dohms Fall darin, daß er nicht - wie viele andere deutsche Aufklärer - als die Ereignisse von außen betrachtender Kommentator auftrat bzw. auftreten konnte, sondern in ein - wenngleich eher kleines - Revolutionsgeschehen, nämlich die Unruhen, die im Sommer 1789 in Lüttich ausbrachen, als zum Handeln Aufgeforderter involviert war. Sein mitgeführtes Marschgepäck bestand in seiner spezifisch aufklärerischen Sozialisation, einer Theorie übernommener und selbstentwickelter Ideen vom Staat sowie ersten praktischen Erfahrungen als abhängig tätiger Staatsdiener. Die der Studie zugrunde liegende, eben so einfach anmutende wie zugleich hochkomplexe Ausgangsfrage lautete: Was hat Dohm in und ,mit' Lüttich getan? Deutlicher gesagt: Gingen ,mitgebrachte' Theorie und erlebte Praxis im Fall der Revolution eine Symbiose ein, konnten und sollten die theoretischen Vorlagen bei Dohm, dem nach tätiger Mitwirkung im politischen Handeln Strebenden, eine Umsetzung ins Praktische finden, kurz: War die Systemkrise (s)eine Handlungschance? Die Arbeit bleibt allerdings nicht bei der Darlegung von Wirken und Wirkung Dohms in der revolutionären Situation stehen: wie sie die Vorbedingungen zu entfalten sucht, werden auch Rückwirkung und Weiterwirken der Revolutionserfahrung in den Blick genommen - mit dem Ziel, die politische Biographie eines preußischen Staatsbeamten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts nachzuzeichnen. Neben seinen Selbstzeugnissen, den offiziellen Schriften, den privaten Briefen und Aufzeichnungen, sind - um der Gefahr einer perspektivisch einseitigen Interpretation, dem Vorwurf hagiographischer Tendenz zu entgehen - auch die Zeitgenossen Dohms, preußische Kollegen und Lütticher Revolutionäre, Konkurrenten und Freun-
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Vorwort
de, mit ihren Kommentaren und Einschätzungen herangezogen worden, wohl wissend, daß dies immer auch die Abweichung vom geraden Weg der Darstellung bedeutet. Mein akademischer Lehrer Prof. Dr. Johannes Kunisch hat die Anregung zu dieser Beschäftigung mit Christian Wilhelm von Dohm gegeben. Die vorliegende Arbeit ist im Sommersemester 2002 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen worden. Die Disputation fand am 11. Juli 2002 mit Frau Prof. Dr. Margit Szöllösi-Janze und den Herren Professoren Dr. Jost Dülffer, Dr. Johannes Kunisch, Dr. Volker Neuhaus, Dr. Hans-Peter Ullmann und Dr. Günter Woll stein statt. Ich danke Herrn Prof. Kunisch für sein Vertrauen und seine Unterstützung. Ich möchte hier aber auch ihm und seiner Frau für die außergewöhnliche Gastfreundschaft, die ich gemeinsam mit den anderen Schülerinnen und Schülern über die Jahre hinweg jeweils zum Semesterende in beider Haus erfahren durfte, meinen herzlichen Dank sagen. Das Korreferat der Arbeit übernahm Prof. Dr. Hans-Peter Ullmann, dem für seine sorgfältige Lektüre sowie seine anregende Kritik, die in die überarbeitete Druckfassung eingeflossen ist, mein Dank gebührt. Für sachliche Hinweise danke ich Bruno Haak und Dr. Johannes Koll, für die engagierte technische Beratung Dr. Hagen Wenzek und Dr. Birgit Wüller. Mein Studium und die Entstehung der Dissertation wären ohne die liebevolle, großzügige und bedingungslose Unterstützung meiner Eltern, Hannelore und Hans Wüller, nicht möglich gewesen. Ihnen beiden möchte ich dieses Buch deswegen in Liebe und großer Dankbarkeit widmen. Mein ganz besonderer Dank gilt darüber hinaus all denen, die mich während der Entstehungszeit der Arbeit mit ihrer Zuneigung und ihrer Großherzigkeit begleitet und mir auf diese Weise sehr geholfen haben. Ich spreche hier in erster Linie von Fine Raderrnacher, von Gerda und Michael Krings - und vor allem spreche ich von Rainer Krings. Eine ganz außerordentliche Stütze schließlich war mir Dr. Harald Buhlan. Er hat die endgültige Niederschrift der Dissertation und die Überarbeitung für die Drucklegung mit größtem Interesse, mit guten Ideen und oft genug auch mit aufmunternd humorvollen Kommentaren begleitet. Durch seine kluge und konstruktive Kritik hat die Arbeit viel gewonnen. Ich bin ihm von ganzem Herzen dankbar und auf besondere Weise verbunden. Nach der Lektüre von Goethes Briefwechsel hat er mich auf eine den weiteren Kontext dieser Arbeit berührende Stelle aufmerksam gemacht: Als Christian Wilhelm von Dohm auf seinem Altersruhesitz in der Nähe von Nordhausen im Harz an den "Denkwürdigkeiten meiner Zeit" arbeitete, wandte er sich mit der Bitte um Einsicht in die Weimarer Akten zum Fürstenbund an den Weimarer Staatsminister und Dichter. Dieser wiederum berichtete seinem Kollegen Christian Gottlob von Voigt von Dohms Anliegen und skizzierte sein geplantes Vorgehen in der Sache. Er, Goethe, wolle selbst noch einmal die Akten anschauen und dann aus ihnen referieren. "Ich kann solches um so leichter, als ich in der Sache complicirt
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Vorwort
und implicirt war; das worauf alles ankam, steht gewiß nicht in den Acten." Mit allen am Entstehen der Arbeit Beteiligten hoffe ich, daß Goethe nicht für alle Fälle Recht behalten hat. Köln, im Sommer 2003
Reike Wüller
Inhaltsverzeichnis Einleitung................................................. . .... . ... . .... . .... . ... . .... . ..
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A. Dispositionen des politischen Erlebens und Handeins ............................ I. Auf dem Weg nach Berlin ......... . ....... . . . ......................... . ........ H. Erste Positionen in der Gesellschaft der Aufklärer und im Staatsdienst ........ 1. Dohm als Herausgeber von "Das Deutsche Museum" .............. . ....... 2. Dohm als preußischer Staatsarchivar ....................................... 3. Dohm als Teilnehmer der "Mittwochsgesellschaft" und anderer Diskursgemeinschaften .. ....... .. ................ . .... . ........ . .... . .... . .... . ... .. .. 4. Dohms staatsbürgerliches Plädoyer: "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden" . ... .. . .. ... . . . .. ... . . . .. . .. . . . . . .......... . . . ...... . ......... . ........ III. Publizistische Entfaltung der Ideen vom Staat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Definition der Staatszwecke ............................................ 2. Die Rolle der Erziehung, der Stände, des Eigentums .. . ... ... .. ... .. ....... 3. Die Diskussion der Staatsformen ....... . . ... ..... . .. . ..... .. ... ... . . ... ... . IV. Einbindung in die preußische Außenpolitik . .... . .... . ... . .... . ................ 1. Die herrschenden Maximen preußischer Außenpolitik .... . ................ 2. Hertzberg und Dohm.. . ... . . ........ .... .... ... ... . .... ............ . ........ 3. Dohms Auftragsarbeit im Dienst des Monarchen: "Über den deutschen Fürstenbund" ................................ . .................................. V. Diplomatischer Dienst in Köln und Aachen .. . ............... . ....... . . . ... . ... I. Dohm als Gesandter beim Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis . ... 2. Anerkennung und Bewährungsprobe: die Nobilitierung Dohms und der Fall Bückeburg . .... .. .... . ... .. ... . ... .. . ... .. . .. .. . . . . . .. .. .. . . . . ...... . ... .... 3. Die Reichsstädte als Prüfsteine von Dohms verfassungspolitischen Ansichten .......................................................... . .... . ... .. ... . .. a) Köln . ....... . . . ... .. . . . .. . .. . . . . ........ .. .. . . .. .. . .. . . .. ... . ... . . .. . . ... b) Aachen ...... .. . . . . .... . ... . ..... . ....... . ... ... .... . ... . ........ . .... . .. c) "Mediation" als Modell: Dohm und die protestantische Sache in Köln und Aachen ........ . ... . .............. . ... . ... .. ... . . . .. . ....... . ........
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B. Die zentrale politische Erfahrung: Die Lütticher Revolution von 1789 .......... I. Das Fürstbistum Lüttich . . . . .. . .... .. ........ . .......................... . ... . ... 1. Die Verfassung Lüttichs . . .................. . .................. . .... . ....... 2. Aufklärung in Lüttich .............................................. . . . ... . .. 3. Der Konfliktfall Spa . . . . .. . .. .. ..... . ... . .. .. ..... . .. . . . .. .. ... .. . . . . ... .. . . H. Lüttich im Fokus preußischer Politik: Einrichtung und Besetzung einer Koadjutorie .......................................... . ... . .... . ... . .... . .... . ... . .... . .. 1. Die Kandidatenfrage . . .... .. .. . .......... . . . ... . ..... ... ... . . . . .. .. . .. . ..... 2. Reichspolitischer Kontext. . ......... . ............. . ... . .... . .... . ........... 3. Das Regiment Royal Liegeois als Vorbild für die geplante preußische Machtstabilisierung ....... . . .. ............... . . . ...... . . .. . . . . ..... .. . . .. . ..
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Inhaltsverzeichnis III. Der Ausbruch der Revolution ... . ..... .. ..... . .... . ............ . .... .. .... . ..... 1. Die Ereignisse in Lüttich ..... . . . .. . .. . ... .. ... . ...... . . . ... ... ... . .. .. . . .. . . 2. Die Reaktion der involvierten Mächte ..................... . ..... . ...... . ... IV. Die Radikalisierung der Positionen . ........... . .. . .... . ........ . .... .. ... . .. . .. 1. Tumulte, Mandate, Ankündigung der Reichsexekution ..................... 2. Die Frage des militärischen Eingreifens . . . . .. . ...... . . . ... .. ... ... ....... .. V. Dohms "Großer Plan": Preußen als Garant der Lütticher Verfassung und als Schutzmacht gegen "fremde Gewalt" . . . . .. . . . .... . . . .. . ... . ............. .. ... .. VI. Die Konferenz von Aldengohr .................................................. 1. Dohrns Überraschungscoup: Das preußische Separatvotum . ... . .... . . . ... . 2. Reaktion der Höfe: Zustimmung und Protest ...... . ........................ 3. Reaktion Dohrns: Wachsendes professionelles Se1bstbewußtsein und Drängen auf Loyalität des Dienstherrn . . ...... . ..... . ..... . ...... .. ... . .... . .. . .. VII. Die publizistische Verteidigung des preußischen Vorgehens: Dohrns Schrift ,,Die Lütticher Revolution im Jahre 1789 und das Benehmen seiner königlichen Majestät von Preußen bei derselben" . . ...... . .... .. ... . . . ..... .. .... .. ......... 1. Der politische Kontext: Rechtfertigungsdruck und Erklärungszwang ...... 2. Der personelle Kontext: Mitstreiter als Konkurrenten (Hertzberg, Stein, Schlieffen, Hofmann, Senfft) ...... .. .... . .. .......... . .... . . .. ... . .... . . .. . . 3. Die Analyse des Inhalts .............................. . ........... .. ..... . ... a) Die Darstellung der preußischen Position . . .... . . . . . . . . . .. . .. . .... .. ... . b) Die Differenzierung der Lütticher Positionen ....................... . ... c) Die kritische Beurteilung des Reichskarnrnergerichts .... . ........... . .. 4. Der publizistische Kontext .................................................. a) Reaktionen auf die Lütticher Revolution . . . . ... . ... . ..... . .............. aa) Christian Jakob von Zwierlein: ,,Kurze Uebersicht des Lütticher Aufruhrs" ... . . . .... . .... . ...... .. .... . ..... . ..................... . .. bb) Caspar Friedrich Hofmann: ,,Einige Berichtigungen" ......... . .... cc) Wilhelm August Danz: ,,Fortgesezte Statsrechtliche Betrachtungen" ... . .... . . . ... . ...................... . ..... . ........... . ..... . ... dd) Johann Ludwig Wemer: ,,Aktenmäßige Darstellung" .............. b) Die preußische Reaktion auf die gegnerischen Deduktionen: Johann Emanuel Küster: ,,Actenrnäßige Berichtigung" .. . ..... . ..... . .......... c) Private Reaktionen: Freundschaftliche Kritik an Dohrn (Jacobi, Forster) VIII. Dohrn in der diplomatischen Defensive: Vergebliche Verrnittlungsbemühungen im Vorfeld der Konvention von Reichenbach . . ......... . ... . . . . .. . . . . .. . .. . . . .. IX. Dohm zwischen den politischen Fronten: Scheiternde Verhandlungen im Umfeld des Frankfurter Wahlkonvents ............ . .... . ...... . ..... .. ... .. .... . . . .. X. Das Ende der Revolution ....... . ................................................ 1. Die endliche Vollstreckung der Reichsexekution ............ . . . ............ 2. Dohrns Fazit: ,,Alles - ganz verlorne Zeit und Kräfte" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Dohrns Scheitern im Lichte der Maximen der preußischen Politik .... . .... a) Der Paradigmenwechsel in der Außenpolitik: Annäherung an Österreich . .. .... . ............................................. . .... ... ..... . ... b) Die Konstanz in der Außenpolitik: Hertzbergs "Großer Plan" der Nordost-Orientierung . . ...... . ..... . . . ... .. .... ... .... . ..... . ..... .. ..... . .... c) Revolutionsfurcht als innenpolitisches Repressionsinstrument ..... .. ...
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Inhaltsverzeichnis
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d) Die Aufhebung des Allgemeinen Landrechts als Teil einer intendierten Revolutionsprophylaxe . .. ........ .. .......................... .... ...... . 323
C. Reaktionen und Konsequenzen in politischer Praxis und Reflexion.. . . . . . . . . .. . I. Dohms Vorschlag zur Novellierung der Aachener Verfassung ......... . ....... 1. Das konzeptionelle Zentrum: die Erziehung des Bürgers .. . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Ablehnung des Vorschlags durch das Reichskammergericht .... . .. . . ... .. . II. Dohms Beitrag zum Generalthema ,,Reichsreform" .......... .. ...... . ......... 1. Die diplomatische Verwendung Dohms beim Kongreß von Rastatt: Bearbeitung der ,,Reichssachen" .. ... .... ... .... . .... . ..... . ............. .. ....... .. 2. Die Reformüberlegungen Hegels: Generelle Infragestellung der Struktur . 3. Der Diskussionsbeitrag Dohms: Konzentration auf die preußischen Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ffi. Dohms Plan zur Verbesserung der Verfassung der Stadt Goslar . .. . . . . . . .. . . . . . 1. Das zentrale Anliegen: Selbstverantwortung und Förderung des Engagements der Bürger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Ablehnung des Vorschlags durch die preußische Regierung ............... IV. Dohms Option für den Dienst im Königreich Westfalen ...... . .... .. .......... V. Dohms Versuch einer Se1bstreaktivierung: Die ,,Denkwürdigkeiten meiner Zeit" als zustimmender Kommentar zu den Preußischen Reformen . ................. 1. Darstellungsgestus: Zeitzeuge, Historiker, Ratgeber . .. . . ......... . .. . ..... 2. Intentionsgebundene Themen der Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Entwurf eines Selbstbildes ............ .. ........ . ....... .. ..................
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Schluß: Systemkrise als Handlungschance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Quellen und Literatur .. . ...... . ........ .. .......... . ................. .. ...... . .......... 399 Personenverzeichnis ..................................... . .............. . ..... . .......... 436
Einleitung Christian Wilhelm von Dohm war unter den deutschen Aufklärern ein Prototyp. Soziale Herkunft, Ausbildung und gesellschaftlicher Umgang charakterisieren ihn als beispielhaftes Mitglied einer im Staatsdienst stehenden Intelligenz, die mit ihrer intellektuellen Kapazität, ihrem Wunsch nach sozialem Aufstieg und ihrer Bereitschaft zu patriotischem Engagement Handlungsmöglichkeiten anstrebte, um die politisch-sozialen Entwicklungen ihrer Zeit mitbestimmen zu können. Darüber hinaus war Dohm bemüht, sich am öffentlichen Diskurs zu beteiligen und sich schließlich als Chronist und Zeitzeuge zu Wort zu melden. Die Lütticher Revolution, die am 18. August 1789 mit der Erstürmung des Lütticher Rathauses durch aufgebrachte Massen begann, war eine der unmittelbaren Folgeerscheinungen der Französischen Revolution. In wesentlichen Punkten wies sie Parallelen zu dieser auf, so etwa in der ständischen Opposition gegen die absolutistische Obrigkeit, der damit verbundenen Etablierung des Dritten Standes als politischem Machtfaktor, der Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten, der Herausbildung eines identitätsstiftenden Patriotismus und der Tatsache der öffentlichen Diskussion der Ereignisse sowohl in Frankreich als auch im Reich. I Sie war eingebunden in die zeittypischen, einer allgemeinen Skepsis breiter Bevölkerungsschichten gegenüber der Legitimität staatlicher Autoritäten entspringenden krisenhaften Zuspitzungen und (temporären) radikalen, vom "Volk" erzwungenen politischen Veränderungen am Ende des 18. Jahrhunderts. 2 Als durch reichskammergerichtliches Mandat die Direktoren des Niederrheinisch-Westfalischen Reichskreises, zu dem auch das Fürstbistum Lüttich gehörte, beauftragt wurden, die Revolution niederzuschlagen und den Status quo ante wiederherzustellen, wurde Christian Wilhelm von Dohm, der zu diesem Zeitpunkt als Gesandter des Königs von Preußen - in dessen Eigenschaft als Herzog von Kleve - beim Niederrheinisch-Westfalischen Kreis tätig war, unmittelbar mit der Revolution in Lüttich konfrontiert. Zeittypus und Zeitphänomen trafen aufeinander. Eine Untersuchung dieser Konfrontation berührt drei Forschungskomplexe: die Biographie Christian Wilhelm von Dohms, die Ereignisse in und während der LütI Vgl. zu den Parallelen zwischen Lütticher und Französischer Revolution auch Möller, Primat der Außenpolitik, S. 65-66. 2 Zu Unruhen und Aufständen in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts vgl.: Berding (Hg.), Soziale Unruhen; außerdem die großangelegte Studie zur Expansion der Französischen Revolution in Europa und den Auswirkungen in Amerika: Godechot, La Grande Nation, passim.
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Einleitung
ticher Revolution und - als verbindendes und die Analyse in den Zeitkontext der Krise des späten 18. Jahrhunderts eingliederndes Element - die Revolutionsrezeption in Deutschland. Alle drei Komplexe sind bisher in der Forschung unterschiedlich intensiv, differenziert und nicht oder nur mittelbar aufeinander bezogen behandelt worden. Zu Christian Wilhelm von Dohm sind bisher drei umfangreiche, Leben und Werk skizzierende Darstellungen erschienen. Die erste Biographie hat unmittelbar nach Dohms Tod sein Schwiegersohn und zeitweiliger Mitarbeiter als Legationssekretär in Dresden Wilhelm Gronau verfaßt und 1824 veröffentlicht. 3 Sie stellt sich vor allem in den Dienst eines Nekrologs, bietet aber wichtiges Quellenmaterial, da Gronau Dohms persönliche Aufzeichungen in Tagebüchern und dessen Sammlung von Briefen bei der Darstellung benutzen konnte. 4 Grundlegend ist nach wie vor die Studie Ilsegret Dambachers\ die Dohm als Schriftsteller und Staatsbediensteten vorstellt, seine wesentlichen Schriften inhaltlich erfaßt und kontextuell einordnet und wichtiges Aktenmaterial zu seiner Staatstätigkeit aus dem Preußischen Geheimen Staatsarchiv zusammengetragen hat. Zuletzt erschienen ist Regina Risses Dissertation über Dohms schriftstellerische Tlitigkeit und seinen Beitrag zur Politisierung der Öffentlichkeit. 6 Risses Arbeit kommt zwar das Verdienst zu, vor allem die "Denkwürdigkeiten meiner Zeit" ausführlich vorgestellt zu haben, andererseits aber betrachtet die Autorin ausschließlich Dohms Hauptschriften, seine Artikel in Zeitschriften und auch die im Kontext der Politisierung ausnehmend wichtige Aachener Verfassungsschrift werden erstaunlicherweise nicht aufgenommen. Bei der Interpretation von Dohms Schriften wird die Gefahr einer tautologischen Darstellung nicht immer vermieden. Auch der von Risse vertretenen Auffassung von Dohms Revolutionsbegeisterung muß mit Skepsis begegnet werden. 7 Zwei der zahlreichen Aufsätze, die sich mit Dohms Leben und Werk beschäftigen, verfolgen einen biographischen Ansatz 8 , ziehen aber ausgehend von der gemeinsamen Einschätzung Dohms als einer eher ,mittelmäßigen Figur' unterschiedGronau, Christian Wilhelm von Dohm nach seinem Wollen und Handeln. Gronau deklariert, so läßt er den Leser einleitend wissen, seine Darstellung zugleich als eine Art Probestück für sich, an der sich zeigen solle, "ob ich an die von mehreren Seiten von mir gewünschte Fortsetzung der Denkwürdigkeiten mit Hofnung einigen Erfolgs mich wagen darf." (S.IV). 5 Dambacher, Christian Wilhelm von Dohm. Ein Beitrag zur Geschichte des preußischen aufgeklärten Beamtentums und seiner Reformbestrebungen im Ausgang des 18. Jahrhunderts. 1974. 6 Risse, Christian Wilhelm Dohm (1751-1820) und sein Beitrag zur Politisierung der Aufklärung in Deutschland. 1996. Vgl. auch Kapitel C. V. 1. in dieser Arbeit. 7 Risse, Dohm, S. 125, S. 128. 8 In themenbezogenen Aufsätzen wird Dohm vor allem als Vorreiter der Judenemanzipation untersucht, so bei Reuss, Dohms Schrift "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden"; Cohn, Dohm; Möller, Aufklärung, Judenemanzipation und Staat; Detering, Dohm und die Idee der Toleranz. 3
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Einleitung
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liehe Schlüsse: Rudolf Vierhaus 9 hat Dohm als Typus des politischen Schriftstellers der Aufklärung bestimmt, den er, da ,,kein überragender oder origineller Geist, kein Mann, von dessen Handeln Entscheidendes abhing", eben deshalb für besonders geeignet hielt, "in die Mitte einer sozialtypologischen Betrachtung gerückt zu werden". 10 Max Braubach gab 1937 eine Lebensbeschreibungli, die Dohm einer moralisierenden Kritik unterwirft: ,,Nicht nur, daß man Dohm ganz im Banne der in seiner Jugend herrschenden Zeitströmungen findet, über die sich zu erheben er geistig zu unselbständig war, muß man vor allem erkennen, daß den großen Talenten und dem jederzeit vorhandenen Willen, Gutes zu tun, bei Dohm nicht die Festigkeit des Charakters entsprach, die erst den bedeutenden Menschen ausmacht. "12 Zur Lütticher Revolution sind vor allem in der belgisehen Forschung eine Reihe von zum Teil ausführlichen, detailreichen Darstellungen erschienen. Einen umfassenden Überblick über die belgisehe Forschungsgeschichte zur Lütticher Revolution 13 gibt Philippe Raxhon in seiner 1986-1987 entstandenen Studie "La Revolution Liegeoise de 1789 vue par les Historiens Belges". Raxhon betrachtet dabei einen Forschungszeitraum von 1805 bis in die Gegenwart. Er unterteilt die aufgenommenen Titel in Zeitepochen, die sich an wichtigen Einschnitten in der historischen Entwicklung Belgiens orientieren, und setzt diese als Bezugspunkte zur wissenschaftlichen 9 Vierhaus, Christian Wilhelm Dohm - Ein politischer Schriftsteller der deutschen Aufklärung, 1987. 10 Vierhaus, Dohm, S. 144. Die zu Beginn der Einleitung vorgenommene 'TYpisierung Dohms orientiert sich an den von Vierhaus aufgestellten Kategorien. 11 Braubach, Christian Wilhelm von Dohm. 12 Braubach, Dohm, S. 695. Braubachs Urteil muß auch gesehen werden vor dem Hintergrund der in Dohms Engagement für die Judenemanzipation gründenden Mißliebigkeit des Aufklärers in der NS-Zeit. 13 In den letzten Jahren sind in Belgien ausführliche Auswahlbibliographien erschienen, die Quellen und Forschungsliteratur zur Geschichte des Fürstbistums im 18. Jahrhundert im Allgemeinen, zur Lütticher Revolution im Besonderen erfassen. Besonders hervorzuheben sind: Droixhe, Guide bibliographique pour 1'histoire de la principaute de Liege au 18 e siede, der Literatur zu allen Bereichen des politischen, wirtschaftlichen, sozialen und intellektuellen Lebens im Lüttich des 18. Jahrhunderts vorstellt sowie die Revolution durch Literatur zu allgemeinen und lokalen Aspekten, den Ursprüngen, den Protagonisten und kulturellen Aspekten erlaßt; außerdem: La revolution liegeoise 1789-1795. Bibliographie selective, ein zum 200. Jahrestag der Revolution erschienenes Kompendium der Bibliotheque Chiroux-Croisiers in Lüttich, in dem Titel von Quellen und Forschungen zur allgemeinen Geschichte der Wallonie und Lüttichs und zu speziellen Aspekten wie Geographie, politischen Institutionen, Wirtschaft und Kultur sowie zu Ereignissen, Protagonisten und militärischen Operationen während der Revolution bis zur endgültigen Besetzung Lüttichs durch die französischen Truppen unkommentiert aufgeführt werden. Wichtige Quellentexte finden sich im Catalogue des Collections leguees ala Ville de Liege par Ulysse Capitaine, Bd. 2, der 1872 von H. Helbig und M. Grandjean herausgegeben wurde. Hilfreich ist zudem der Katalog der verfügbaren und frei ausleihbaren Werke der Bibliotheques Centrales de la Ville et de la Province de Liege, der aus Anlaß des tausendjährigen Bestehens des Bistums 1980 erschien (Millenaire d 'une principaute 980--1980). Außerdem sind Quellen- und Quelleneditionen sowie Darstellungen zur Revolution in Lüttich verzeichnet bei Godechot, Les Revolutions (1770-1799), S. 19, 28, 49, 62.
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Beurteilung der Revolution von 1789, betont also vor allem die Rezeption der Ereignisse aus der jeweils aktuellen Zeitsituation der Rezipienten: Der Zeitraum zwischen 1805 und 1830 wird von Raxhon charakterisiert als eine Phase der unmittelbaren Auseinandersetzung mit den revolutionären Ereignissen durch die Zeitgenossen. Unverständnis, Ablehnung, Reduktion der Revolution auf ein durch die zunächst französische, dann durch die sich ausweitende allgemeine politische Unruhe stimuliertes Ereignis und mentalitäts geschichtliche Begründungsversuche bezeichnen die aus unzureichender Distanz zu den Geschehnissen entstandenen Arbeiten, deren Wert ein vorwiegend chronistischer sei. Den Abschnitt zwischen 1830 und 1865 deutet Raxhon als eine Phase, in der die Geschichtsschreibung nicht nur einerseits selbst ihren Aufgabenbereich zu definieren hatte, sondern nach der Revolution von 1830 auch eine identitätsstiftende Rolle im gerade neu entstandenen Staat Belgien auferlegt bekam. Das gemeinsame Merkmal in der Auseinandersetzung mit der Lütticher Revolution von 1789 sei das Interesse an institutionellen Entwicklungen gewesen. Die beiden die aktuelle gesellschaftspolitische Situation Belgiens tragenden Strömungen hätten ihre Widerspiegelung auch in der Geschichtsschreibung gefunden: Liberale und katholische Tendenzen seien in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bestimmend geworden. Homogen war, so Raxhon, die Verurteilung sowohl der republikanischen Ideen als auch der proklamierten Gleichheitspostulate der Revolution sowie die Ignorierung der sozio-ökonomischen Revolutionsgründe. 14 Die Zeit zwischen 1866 und 1914 sieht Raxhon bestimmt von der sozialen Frage, die sich auch in den wissenschaftlichen Arbeiten zur Lütticher Revolution deutlicher widerspiegelte. Insgesamt jedoch konstatiert Raxhon für diese Periode ein eher disparates Bild in der belgischen Forschung zur Revolution, deren Spektrum von auf dem Katholizismus der Autoren beruhenden Ablehnung der Ereignisse um 1789 bis zu radikal-sozialistische Einstellungen wiedergebenden Untersuchungen zur sozialen und wirtschaftlichen Geschichte Lüttichs am Ende des 18. Jahrhunderts reicht. 15 Die belgisch-französische Annäherung während und nach dem Ersten Weltkrieg wirkte zwischen 1915 und 1945 intensivierend auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den revolutionären Erhebungen am Ende des 18. Jahrhunderts. Verstärkt durch die weltwirtschaftliche Krisensituation zwischen 1920 und 1930 richtete sich das Interesse der belgischen Geschichtswissenschaft, so Raxhon, nun zunehmend auf wirtschaftliche Ursachen und Auswirkungen der Lütticher Revolution. Raxhon kategorisiert liberale, katholische und sozialistische Strömungen in der Wissenschaft, deren Ergebnisse den jeweiligen politischen Hintergrund widerspiegeln. 16 Für die belgische Forschung zur Lütticher Revolution nach 1945 konstatiert Raxhon eine neu entstandene Methodenvielfalt der historischen Wissenschaft, die - wenn 14 Einzuordnen sind hier die Arbeiten von Henaux, Histoire du pays de Liege; Borgnet, Histoire de la revolution liegeoise. 15 Genannt werden u. a. Daris, Histoire du Diocese; Demarteau, La revolution fran~aise 11 Liege et les classes populaires. 16 Raxhon nennt hier u. a. Pirenne, Histoire de Belgique; Delatte, Les classes rurales; Recht, 1789 en Wallonie.
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auch nicht klar voneinander abgegrenzt - drei Achsen der Auseinandersetzung entstehen ließ: Zum einen erfolgte jetzt die Einordnung der Lütticher Revolution in die revolutionären Bewegungen des 18. Jahrhunderts; zum zweiten wurde die Eigenständigkeit der Lütticher gegenüber der Französischen Revolution betont; zum dritten stellt Raxhon eine Ausrichtung von Teilen der belgischen Forschungsliteratur auf die nationale Identitätskrise des belgischen Staates im Hinblick auf eine fiämischwallonische Spaltung fest. 17 Für die deutsche Forschung hat 1931 Wilhelm Lüdtke 18 unter Berücksichtigung der Akten des Preußischen Geheimen Staats archivs eine Darstellung der Lütticher Revolution vorgenommen, die er eingliederte in den preußisch-österreichischen Dualismus und die Auflösung des Fürstenbundes. Heinz Strothotte unternahm 1936 den Versuch einer Gesamtdarstellung der Lütticher Revolution, in dem er die Einbindung der lokalen Ereignisse, "die lange Zeit die deutsche Öffentlichkeit stark beschäftigte[n] und auf die Politik der deutschen Reichsterritorien maßgeblichen Einfluß ausübte[n]", in die Politik des Reichs nachzeichnete. In Gesamtdarstellungen zur deutschen und preußischen Geschichte des ausgehenden 18. Jahrhunderts nimmt die Lütticher Revolution in der Regel wenig bis gar keinen Raum ein. 19 Das Verhältnis Preußens zur Lütticher Revolution ist lange Zeit vor allem unter außenpolitischen Gesichtspunkten wahrgenommen und die Bestrebung Preußens, in Lüttich einen Stützpunkt gegen das Haus Habsburg im äußersten Westen des Reichs zu etablieren, als vordringlich herausgehoben worden. 20 Erst in neuerer Literatur ist diese Sichtweise differenziert worden: So betont Horst Möller 21 zwar auch noch diesen Primat der Außenpolitik im preußischen Interesse, stellt aber die preußische Intervention in der Lütticher Revolution ins Verhältnis eines dezidiert preußischen Umgangs mit "Revolution": Für Möller ist Lüttich ein "Probierstein", "an dem die Vielschichtigkeit preußischer Politik gegenüber der Revolution erkennbar wird". 22 Zuletzt hat Monika Neugebauer-Wölk diese Sichtweise wieder aufgegriffen. In dem von ihr zusammen mit Dtto Büsch herausgegebenen Sammelband zum Thema "Preußen und die revolutionäre Herausforderung seit 1789" von 1991 hat sie einen Beitrag zu Preußen und der Revolution in Lüttich verfaßt und dabei den preußischen Protagonisten Christian Wilhelm von Dohm in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Zentrales Ergebnis ihrer Untersuchung ist, daß Dohm mit den MachtinteresGenannt wird u. a. Harsin, La revolution liegeoise. Lüdtke, Der Kampf zwischen Oesterreich und Preussen um die Vorherrschaft im "Reiche" und die Auflösung des FÜTstenbundes (1789/90). 19 Eine Ausnahme bildet u. a. Aretin, Heiliges Römisches Reich, I, S. 218-228, der das preußische, v. a. aber kurkölnische Verhalten nachzeichnet. 20 So vor allem von Wittichen, Preußen und die Revolutionen in Belgien und Lüttich, 1905; Wittichen, Die Politik des Grafen Hertzberg 1785-1790, 1906. 21 Möller, Primat der Außenpolitik: Preußen und die Französische Revolution 1789-1795. 1983. 22 Möller, Primat der Außenpolitik, S. 67. 17
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sen der preußischen Außenpolitik "die Perspektive einer deutschen konstitutionellen Refonnpolitik" verband 23 und Dohms Politik eine "tiefgreifende Krise des aufgeklärten politischen Bewußtseins in Deutschland" provoziert habe 24 : "Die preußische Lüttichpolitik von 1789/90 hatte geradezu eine Katalysatorfunktion. Sie bot die scharfe Trennlinie, an der sich die öffentliche Meinung scheiden mußte zugunsten des deutschen Reichsrechts oder der Akzeptanz des modernen Staatsrechts als Ergebnis der bürgerlichen Revolution". 25 Ein wesentliches Ergebnis der zahlreichen deutschen und europäischen Untersuchungen zur Rezeption der (Französischen) Revolution in Deutschland ist, daß die Revolution in Deutschland ,,keine Breiten- und keine Tiefenwirkung" erzielte. 26 Grob zusammenfassend lassen sich drei unterschiedliche Ausprägungen von Revolutionsrezeption in Deutschland herausstellen 27 : Ideengeschichtliche Gesamtdarstellungen zur Reaktion der deutschen intellektuellen Elite konstatierten mehrheitlich Zustimmung, sogar Begeisterung in der, theoretischen Rezeption' der Ereignisse in Frankreich, die mit dem Beginn des Terreur in Frankreich in Ablehnung umschlug. 28 Insgesamt blieben diese Untersuchungen auf eine nur schmale Schicht der Bevölkerung beschränkt und provozierten mit der Verallgemeinerung des Ausgangspunkts der Untersuchungen zugleich die "eindimensionale Schlußfolgerung", "die Deutschen hätten sich [insgesamt] mit der Revolution in Frankreich nur auf gedanklicher Ebene auseinandergesetzt und mit den revolutionären Prinzipien und Ideen wie mit einem verführerischen, aber abstrakten System gespielt, ohne aber dessen praktische Verwirklichung für Deutschland ernsthaft ins Auge zu fassen". 29 Neugebauer-Wölk, Preußen und die Revolution in Lüttich, S.63. Neugebauer-Wölk, Preußen und die Revolution in Lüttich, S. 68. 25 Neugebauer-Wölk, Preußen und die Revolution in Lüttich, S. 68. Neugebauer-Wölk verweist auf Forschungsdesiderate in dieser Frage, als die sie "die Ebene der diese Politik tragenden Personen und ihrer Motivationen ebenso wie die Wrrkung dieser Politik auf die deutsche Öffentlichkeit" (S.61) hervorhebt wie auch die eingehendere Betrachtung des Versuchs, eine Verfassungsreform auf Reichsboden als Folge der Französischen Revolution und unter Ausnutzung preußischer Positionen durchzusetzen (S.76). 26 Berding, Die Ausstrahlung der Französischen Revolution auf Deutschland, S. 8. Berding stellt die "Komplexität des Revolutionstransfers" (S.4) in einer Skizze der Ergebnisse neuerer ereignis- und strukturgeschichtlicher Untersuchungen dar. 21 Das Folgende orientiert sich am Überblick Härters, Reichstag und Revolution, S.12-15, an Berding, Die Ausstrahlung der Französischen Revolution auf Deutschland, und an Fehrenbach, Deutschland und die Französische Revolution. Darüber hinaus sind herangezogen worden: Berding/Franfois/Ullmann, Deutschland und Frankreich im Zeitalter der Französischen Revolution; Stollberg-Rilinger, 200 Jahre Französische Revolution; AretinlHärter (Hg.), Revolution und konservatives Beharren; Voss (Hg.), Deutschland und die Französische Revolution. Einen Überblick über die Revolutionsrezeption im Rheinland geben: Molitor, Bewegungen im deutsch-französischen Rheinland; Wittmütz, Die Französische Revolution und ihr Widerhall im Rheinland; lulku, Die revolutionäre Bewegung im Rheinland. 28 Nach wie vor grundlegend sind hier: Gooch, Germany and the French Revolution; Stern, Der Einfluß der französischen Revolution auf das deutsche Geistesleben; Droz, L' Allemagne et la Revolution fran~aise. 29 Härter, Reichstag und Revolution, S. 13. 23
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Die Auswirkungen auf das praktische politische Handeln der Protagonisten wurden hier nicht oder nur am Rande ins Blickfeld der Betrachtung gerückt. In Einzelstudien wurde die Frage nach der ,,Revolution des Geistes" im Sinne einer Beeinflussung der Geschichtsphilosophie durch die Revolution gestellt und an exponierten Beispielen wie Immanuel Kant 30, Georg Wilhelm Friedrich Hegel 31 und Johann Gottlieb Fichte 32 exemplifiziert. Fritz Valjavec 33 hat als erster die Frage nach dem Einfluß der Französischen Revolution auf die "politischen Strömungen" in Deutschland untersucht, Klaus Epstein 34 folgte ihm und unterstrich im wesentlichen das von Valjavec vorgetragene Resultat, daß sowohl liberale als auch radikaldemokratische und konservative Tendenzen bereits vor Ausbruch der Revolution entstanden, durch deren Rezeption aber erst zur intensiven Entfaltung gekommen seien. Sozialgeschichtliche Ansätze traten auch hier zurück. 35 Vergleichende Ansätze zum "Kulturtransfer" zwischen Frankreich und Deutschland 36, derer sich die neuere Forschung bedient, machen deutlich, daß die Französische Revolution auf das kollektive Bewußtsein in Deutschland vor allem "indirekt, langfristig und katalytisch"37 gewirkt hat: So wurde die Entwicklung einer ausgeprägt politischen Kultur in Deutschland zwar beschleunigt, die Haltung, allmähliche Reformierung der Zustände einem radikalen Wandel vorzuziehen, durch die negativen Eindrücke, die der französische Terreur machte, zugleich aber auch verstärkt. Die Jakobinismus-Forschung, vor allem von Walter Grab 38 und Heinrich Scheel 39 betrieben und vorangebracht, hat in den Mittelpunkt ihres Interesses die radikalen Ausprägungen im politischen Denken und vor allem Handeln in Deutschland gestellt, dabei aber im Ergebnis auch die Neigung zur Überbewertung entwickelt, sowohl was die Einschätzung des Jakobinismus im Gesamtkontext deutscher Revolutionsrezeption betrifft als auch in der vorgetragenen Kontinuitätsthese von der durch den Jakobinismus in Deutschland begründeten freiheitlich-demokratischen Tradition. 4O Burg, Kant und die Französische Revolution. Ritter, Hegel und die Französische Revolution. 32 Buhr, Revolution und Philosophie; Batscha, Gesellschaft und Staat in der politischen Philosophie Fichtes. 33 Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland, 1951. 34 Epstein, Die Ursprünge des Konservatismus in Deutschland, 1966. 35 Sowohl Droz als auch Epstein stellten dieses Desiderat bei ihren Untersuchungen heraus. Vgl. Fehrenbach, Deutschland und die Französische Revolution, S.238. 36 Vgl. etwa: Kulturtransfer im Epochenumbruch. Hg. von Lüsebrink und Reichardt; Middeli, La Revolution fran~aise et l' Allemage: Du Paradigme comparatiste a la recherche des transferts culturels ; Pelz er, Die Wiederkehr des girondistischen Helden. 37 Härter, Reichstag und Revolution, S. 13. Auch Aretin/Härter, Revolution und konservatives Beharren, Einleitung, S.4. 38 Grab, Eroberung oder Befreiung; Grab, Ein Volk muß seine Freiheit selbst erobern. 39 Scheel, Süddeutsche Jakobiner; ders., Die Mainzer Republik; ders., Deutsche Jakobiner; ders., Forschungen zum deutschen Jakobinismus. 40 V gl. Fehrenbach, Deutschland und die Französische Revolution, S. 242. 30
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Schließlich interessierte in lokalgeschichtlichen Untersuchungen die Frage, wie das französische Vorbild die Politik in einzelnen deutschen Staaten und Gebieten beeinBußte, die von französischen Besatzungstruppen annektiert waren bzw. unter französischem Protektorat standen: die Mainzer Republik, die Rheinlande, die Rheinbundstaaten und die französischen Modellstaaten Westfalen und Berg. 41 Das oben nur kurz bezeichnete Aufeinandertreffen Christian Wilhelm von Dohms mit der Lütticher Revolution paßt in keine der vorgestellten Kategorien. Hier ging es weder um eine aus theoretischer Aneignung oder auch praktischer Anschauung abgeleitete Formulierung eines Beitrags zur öffentlichen Debatte noch um die Forcierung einer politisch-radikalen Nachahmung der französischen Vorgaben in Deutschland durch ein einzelnes Mitglied der die Ausbreitung der Aufklärung in Deutschland betreibenden intellektuellen Elite. Mit Dohm stand ein Staatsbediensteter Preußens, zugleich anerkanntes Mitglied der bürgerlichen Öffentlichkeit, einer Revolution auf deutschen Boden gegenüber, zu der er nach (reichs-)rechtlichen und diesen entgegenstehenden politischen Vorgaben einerseits, nach im Vorfeld der Ereignisse öffentlich vorgetragenen persönlichen Überzeugungen andererseits Stellung zu beziehen hatte. Selbst Mitglied der bürgerlichen Aufklärungsbewegung, die mehrheitlich die Revolution (in Frankreich) begrüßte, repräsentierte Dohm bei seinem (verordneten) Eintritt in die revolutionäre Situation ,Obrigkeit'. Die folgende Studie zeichnet den politischen Lebensweg des Protagonisten nach. Beabsichtigt ist, die Komplexität des Gesamtgeschehens als jeweilige Handlungsbedingung herauszustellen und für die aufgezeigten biographischen Stationen eine Rekonstruktion des spezifisch gesellschaftlichen Rahmens des politischen Handeins in subjektiver und objektiver Hinsicht vorzunehmen, damit zugleich eine "Analyse der aufklärerischen Formen politischer Partizipation"42 anzustreben. Im ersten Teil der Darstellung wird die vorausgesetzte und in der Forschung akzeptierte sozialtypologische Einordnung Dohms als Exponent der bürgerlichen Öffentlichkeit anhand seiner politiktheoretischen Äußerungen wie auch seiner beginnenden politischen Praxis konkretisiert. Die Summe dieser Konkretionen wird als die spezifische Disposition des Erlebens und Handeins verstanden, mit der Dohm dem Ereignis der lokalen Unruhen in Aachen und Lüttich und seiner ihm auferlegten Aufgabe als Krisenmanager begegnete. Im Zentrum der Arbeit steht die Mikrostudie zu Dohms Erleben und Handeln in der Lütticher Revolution. Die intendierte Darstellung der revolutionsimmanenten Dynamik, die Zufälle, unvorhersehbare Zwischenfälle und Unfälle einschließt, und der sich ebenso aus ihr wie aus den reichs gerichtlichen und preußischen Vorgaben ergebenden allgemeinen Arbeitserfordemisse Dohms verlangt eine möglichst de41 Vgl. zur Forschung Fehrenbach, Deutschland und die Französische Revolution, S.245-252. 42 Bödeker/Herrmann, Aufklärung als Politisierung, Fragestellungen, S. 9.
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tailreiche Rekonstruktion. Dabei soll und kann es in dieser Arbeit nicht darum gehen, die Geschichte der Lütticher Revolution zu verfassen, also die Ereignisse in Lüttich während eines Zeitraums von August 1789 bis Januar 1791 43 zusammenzutragen und im Zusammenhang der europäischen Revolutionsbewegungen am Ende des 18. Jahrhunderts zu bewerten. Vielmehr ist die zu betrachtende Perspektive Dohms Handeln während der Ereignisse und sein Verhalten zu den Ereignissen. Die Rezeption von Dohms Handeln und Verhalten - durch die preußische Regierung, die Kollegen, die Revolutionäre und im öffentlichen Diskurs des Reiches - ist dann von Interesse, wenn sie auf Dohms Verhalten zurückwirkt und ihrerseits wiederum handlungsbestimmend wird. Beim Versuch, Dohms Position innerhalb der Lüttich betreffenden preußischen Außenpolitik zu bestimmen, entstehen implizit eine Skizze der preußischen personalpolitischen Verhältnisse unter Friedrich Wilhelm 11. sowie im Ansatz eine Darstellung der Entscheidungsprozesse auf der Ebene der Verwaltungsträger. 44 Vor allem die politischen Theoreme und praktischen Vorgaben Ewald Graf Hertzbergs, des wichtigsten Entscheidungsträgers in der preußischen Außenpolitik der Jahre 1789-1791, werden konfrontiert mit den grundsätzlichen Vorstellungen und den konkreten Vorschlägen Dohms. Die Untersuchung geht zunächst von der gedanklichen Konstruktion aus, die Revolution als Ereignis zu begreifen, das "den Prozeß von Aufklärung entscheidend beeintlußte [... ]"45, und Dohm, wie schon dargelegt, als typischen Vertreter der Aufklärung zu verstehen, dessen Revolutionserlebnis sich durch das Hinzutreten der im ersten Teil beschriebenen Dispositionen in Revolutionserfahrung verwandelt. Diese wird dann wiederum als die entscheidende Erfahrung des politischen Lebens begriffen. 46 43 Die Ereignisse in Lüttich werden über den Zeitraum hinweg beobachtet, in dem Dohm in sie involviert war. 44 Schindler, Der Geheimbund der Illuminaten, S. 316, Anm.94, mahnt das Fehlen solcher bürokratiegeschichtlicher Untersuchungen in der älteren Absolutismusforschung an, die "Bedeutung und Umfang strukturell abweichenden Beamtenverhaltens, sei es gezielte Insubordination oder auch nur Verschleppung bzw. aktive Uminterpretation von Anordnungen" herausarbeiten, und verweist zur Interpretation latenter Konflikte in ihrem sozialen Kontext auf Rosenberg, Bureaucracy, Aristocracy and Autocracy, S. 175 ff. 45 Bödeker/Herrmann, Aufklärung als Politisierung, Fragestellungen, S.7, sehen als solche die Aufklärung bzw. die Diskussion über sie beeinflussende Faktoren u. a. den Tod Friedrichs II., die Französische Revolution, vor allem die Errichtung des Terrorregimes in Frankreich im Jahr 1792, den französischen Einfluß auf die Rheinlande und Bayern nach 1800, die preußische Reforrnära und die Karlsbader Beschlüsse. Dohms Leben umfaßt die hier skizzierte Zeitphase vollständig. 46 Rumpier, Revolutionäre oder Revolutionen, S. 142-143, betont, daß Revolutionen in der Geschichtswissenschaft allgemein als Entscheidungssituationen angenommen werden, unabhängig, ob die jeweilige Untersuchung einem ereignisgeschichtlichen oder strukturgeschichtlichen Ansatz folgt. Er konstatiert: "Demnach müßte sich am Beispiel Revolution am ergiebigsten die Frage nach dem Verhältnis zwischen ,Struktur und Persönlichkeit' [in Anlehnung an Schieder, Strukturen und Persönlichkeiten] oder zwischen subjektiven und objektiven Triebkräften historischen Geschehens abhandeln lassen."
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Mit der Darstellung des Dohmschen Aktionskreises und der von ihm intendierten Refonnprojekte in der Folgezeit der Lütticher Revolution versucht der dritte Teil der Untersuchung die Bedeutung der Revolutionserfahrung auf den Ebenen der politischen Praxis und der politischen Reflexion zu entfalten. Auch für die Einzelbiographie wird also die in der Forschung für das Zeitphänomen ,,Revolution" aufgeworfene Frage nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten des politischen Denkens und Handeins gestellt. Alle drei Teile der Untersuchung haben zum Ziel, das Spannungsverhältnis zwischen "Geist und Macht", das heißt zwischen Reflexion und Handeln, herauszustellen 47 und sowohl die "außerhalb der Verfügungsgewalt der Handelnden liegenden ,Strukturen'" als auch die Tatsache zu berücksichtigen, daß "gesellschaftlich-politische Prozesse wesentlich durch Willensakte und Sinnentscheidungen von Menschen vennittelt sind".48 Dem heuristischen Ansatz der Arbeit entsprechend werden im ersten und dritten Teil der Untersuchung die gedruckten Schriften Dohms, die selbständigen ebenso wie die Beiträge in Zeitschriften, die überlieferten Wortbeiträge in der Berliner Mittwochsgesellschaft und der Societe des Antiquites in Kassel und abschließend die fünfbändige Ausgabe der "Denkwürdigkeiten meiner Zeit" betrachtet. Die Mikrostudie des Mittelteils bedient sich vor allem der unveröffentlichten Korrespondenz zwischen Dohm und dem preußischen Hof und zwischen Hertzberg und verschiedenen preußischen Gesandten sowie des Briefwechsels der Lütticher Revolutionäre. Als wesentliche Ergänzung dieser Archivalien ist das Tagebuch Dohms verwendet worden, das handschriftlich vorliegt, mit einzelnen Lücken den Zeitraum zwischen dem 30. Mai 1789 und dem 10. Dezember 179049 umfaßt und hier erstmals als autobiographische und revolutionsgeschichtliche Quelle herangezogen wird.
Beyme, Politische Ideengeschichte, S.26. Hardtwig, Fonnen der Geschichtsschreibung, S.181. 49 Es fehlen Einträge vom 1. bis 23. November 1789, vom 7. bis 10. Dezember 1789, vom 27. März bis 26. Mai 1790 und vom 16. August bis 11. September 1790. 47
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A. Dispositionen des politischen Erlebens und Handeins I. Auf dem Weg nach Berlin Wiewohl die deutsche Aufklärungsbewegung dem Anspruch und Wesen nach "gesamtdeutsch" I ausgerichtet war, hatte sich allmählich im Laufe der Regierungszeit Friedrichs 11. Berlin als ihr wesentliches Zentrum herausgebildet. Vor allem die herausragende Persönlichkeit des preußischen Königs, der der Aufklärung den Rang einer Staatsphilosophie verlieh, über deren Bestandteile er auch und gerade im Hinblick auf die Rolle des Herrschers und die Legitimation seiner Macht sich selbst und dem Publikum öffentlich Rechenschaft ablegte, erregte die Aufmerksamkeit einer aufgeklärten, zumeist bürgerlichen Intelligenz. In ihrem Urteil über den König antizipierte sie das schließlich vielzitierte Kantsche Diktum vom Zeitalter der Aufklärung als dem ,,Jahrhundert Friedrichs"2. Das auf Friedrich 11. projizierte Bild eines Herrschers, der das Ideal einer Einheit von Theorie und Praxis der Aufklärung verkörperte, begründete das Bestreben junger, studierter Männer, eine Anstellung im preußischen Staatsdienst zu erlangen. Ihre Hoffnungen zielten darauf, nicht nur am philosophischen Diskurs und geselligen Leben im Umfeld des Friderizianischen Hofes und der Stadt Berlin teilzunehmen, sondern vielmehr praktisch handelnd im Staatsdienst die theoretisch entwickelten Vorgaben umsetzen zu können. Der Wunsch nach sozialer Wertschätzung und gesellschaftlicher Anerkennung im Kreise Gleichgesinnter und -gebildeter ging einher mit dem Bestreben, vernünftigen, d. h. aufgeklärten Herrschern als Instrumente eines über allmähliche Reformierung in Gesetzgebung und Verwaltung zu erzielenden Fortschritts dienlich sein zu können. Die Erfahrung, die diejenigen Männer machten, die einen Posten im Staatsdienst erhalten hatten, widersprach den skizzierten Hoffnungen meist schnell. Die Beamten mußten erkennen, daß den Möglichkeiten eigenverantwortlichen Handeins oftmals enge Grenzen gesetzt waren, die dem projizierten Ideal nicht entsprachen und sich dem Selbstbewußtsein und der Handlungsmotivation der Amtsträger deutlich entgegenstellten. 3 Den "interdependenten Ebenen" aufklärerischen Engagements "den organisatorischen Aktivitäten hinsichtlich der sozialen und regionalen Erweiterung und Institutionalisierung der Aufklärungsgesellschaft, dem publizistischen Engagement sowie den reformorientierten Aktivitäten über die und innerhalb der Möller, Wie aufgeklärt war Preußen?, S. 177. Kant, Was ist Aufklärung?, S.465. 3 Diesen Sachverhalt faßt Vierfulus, Dohrn, S. 148, zusammen. Zur sozialen Einordnung der Gebildeten vgl. : Vierhaus, Umrisse einer Sozialgeschichte. I
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beruflichen Stellung"4 - stellte sich die Realität des geringen persönlichen Einflusses, der materiellen Abhängigkeit und einer aufgrund der bürgerlichen Herkunft nur unmaßgeblichen Chance zum Aufstieg innerhalb der staatlichen Hierarchie an die Seite. Zwar etablierten sich gerade diejenigen Beamten, die wegen ihrer bürgerlichen Herkunft vom sozialen Aufstieg in der preußischen Beamtenhierarchie weitgehend ausgeschlossen waren, als die am ehesten für Reformen ansprechbaren Träger der Aufklärung in Preußens, dennoch nahmen die Betroffenen die grundsätzliche Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen in der Regel gleichermaßen mit Zurückhaltung und Einfügung in die gegebenen Strukturen hin. Forderungen nach radikaler Umgestaltung gab es nicht. 6 Getragen wurde diese Unterstützung des preußischen Systems auch durch eine spezifische "Gesinnungsbildung", die in der höheren preußischen Bürokratie einen Wertehorizont etablierte, der die Beamten gleichsam zu staatsstabilisierenden Faktoren erklärte.? Den institutionellen Rückhalt dieser Lehre bildeten die Ausbildungsanstalten der preußischen Beamtenschaft, die Universitäten Halle und Frankfurt/Oder, die die Naturrechtslehren Christian Wolffs vermittelten und mit diesen zum einen ein Instrumentarium zur Begründung weitgefaßter staatlicher Verantwortlichkeiten lieferten, die die Beamten, etwa bei der Verpflichtung auf gemeinschaftliches Engagement zur Erreichung des projizierten Staatsziels allgemeiner Wohlfahrt, einbanden in den Vollzug obrigkeitlicher bürokratischer Aktivitäten gegenüber den Untertanen 8, zum anderen in der "pejorativen Charakterisierung von Demokratie und Aristokratie" die bestehende Staatsform der Monarchie stützten. 9 Auch Christian Wilhelm Dohm durchlebte die skizzierten Hoffnungen und Enttäuschungen. Am 11. Dezember 1751 war er in Lemgo, in der Grafschaft LippeDetmold, als Sohn des Predigers Wolrad Ludwig Wilhelm Dohm und dessen Frau Anna Elisabeth, der Tochter des ebenfalls in Lemgo ansässigen Lippeschen RegieBödekerlHerrmann, Aufklärung als Politisierung, Fragestellungen, S.7. Zum Thema der höheren Beamten als Träger der Aufklärung vgl. etwa Möller, Aufklärung in Preußen, S.250, in Anlehnung an Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen, 4
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S. 77ff., S. 81. 6 Auf die Staatsnähe der deutschen Aufklärung verweisen etwa Bödeker, Prozesse und Strukturen, S. 10; Vierhaus, Politisches Bewußtsein, S. 178; Vierhaus, Dohrn, S. 153-154, und Becher, Politische Gesellschaft, S. 212-213. Becher, S. 216, formuliert, die prinzipielle Zustimmung zu dem Staatswesen, in dem die jeweiligen Beamten wirkten, sei immer mit einer an einer "normativen Sollensvorstellung abgeleiteten Kritik an den Verwaltern der Macht" verknüpft gewesen. Diese habe ihren Niederschlag aber nur in ,,moralischen Appellen, nicht in einer Fundamentalkritik" gefunden. 7 Vgl. dazu Hellmuth, Naturrechtsphilosophie und bürokratischer Wertehorizont, hier: S. 114. Auch Kapitel A. III. in dieser Arbeit. 8 Hellmuth, Naturrechtsphilosophie, S.141, stellt heraus, daß Staatszweckdefinitionen, die Glückseligkeit und gemeine Wohlfahrt als Ziel erklärten, "einen nahezu universalen Rechtfertigungsgrund administrativer Tätigkeit bieten mußten", "zugleich waren sie als Motiv bürokratischen Handels geeignet, Beamten das Bewußtsein der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns zu vermitteln." 9 Hellmuth, Naturrechtsphilosophie, S.145.
I. Auf dem Weg nach Berlin
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rungsrates Christian Conrad Topp, geboren. Schon früh mußte das Kind den Tod beider Eltern verkraften. Seine Mutter starb 1758, der Vater ein Jahr später. Bei verschiedenen Vonnündern, zumeist Verwandten, wuchs der Junge auf, besuchte das Lemgoer Gymnasium und nahm schließlich im Herbst 1769 an der Universität Leipzig ein Theologie-Studium auf. Nach der Konfrontation mit aufklärerischen philosophischen und theologischen Schriften zunehmend an der Sinnhaftigkeit seines Entschlusses zweifelnd, brach Dohm mit der Theologie und wandte sich ab Ostern 1770 juristischen Vorlesungen zu. 10 Sein Interesse für die Pädagogik machte ihn zunächst mit den Theorien, dann auch mit der Person des Pädagogen und Philanthropisten Johannes Bernhard Basedow (1724-1790) bekannt, dem er 1771, nachdem er die Universität Leipzig verlassen hatte, nach Altona als Schüler folgte und dessen Vertrauter er schließlich wurde. Bei ihm ging Dohm eigenen Studien nach, kehrte dann aber - nach Zerwürfnissen mit Basedow und letztlich unbefriedigenden Arbeiten - nach Leipzig zurück. Juristischen, finanzwissenschaftlichen und philosophischen Studien an der dortigen Universität schlossen sich erste Veröffentlichungen an. Den Philosophen Christian Garve (1742-1798) betrachtete Dohm als Lehrer und Freund und betreute den häufig Erkrankten bis zu dessen Weggang nach Breslau im Jahre 1772. Seine neu gewonnene Unabhängigkeit nutzte Dohm, sich erstmals um eine Anstellung in Berlin zu bewerben. Er erhoffte sich davon die Bekanntschaft bedeutender Zeitgenossen und mit deren Hilfe weitere Aus- und Fortbildung. Dem Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) skizzierte er enthusiastisch seine Vorstellungen von seinen dortigen Wirkungsmöglichkeiten: Ein Lesebuch der preußischen Geschichte, Geographie und Statistik für Schulen und ungebildete Stände zu erstellen, wolle er wagen. "Wäre das nicht ein Werkchen für unsere Gesellschaft?"!! Seinem Alter - Dohm war gerade 21 Jahre alt - und seiner bisherigen Ausbildung entsprechend wurde ihm nur eine Stelle als Pagenhofmeister am Hofe des Prinzen Ferdinand, des jüngsten Bruders Friedrichs 11., angeboten. Obwohl Dohm sich aller persönlichen Einschränkungen und Abhängigkeiten beim Antritt der HofmeistersteIle bewußt gewesen sein mußte!2, akzeptierte er das Angebot. Es folgte schnelle 10 Schober, Spätaufklärung, S. 167-168, deutet Dohrns Verhalten als zeittypisches Phänomen. Die Persönlichkeitsentwicklung der in den 1750er Jahren in evangelischen Pfarrhaushalten Geborenen vollziehe sich, indern sich die jungen Männer von den Traditionen ihrer Elternhäuser distanzierten, ohne dadurch einen Generationenkampf zu provozieren. 11 Dohm an GIeim, 1. Mai 1773. Ungedruckte Briefe, zitiert nach Dambacher, Dohm, S. 7. 12 Zum Berufsstand des Hofmeisters vgl. vor allem: Fertig, Hofmeister. Die als Hauslehrer in großbürgerlichen oder adeligen Familien arbeitenden Hofmeister waren als "marktabhängige Intellektuelle" gleichsam "lebende Domestiken" (Fertig, S. 91), die trotz ihrer universitären Bildung bei ihren jeweiligen Dienstherren nur gering geachtet wurden. Dem Zwang, neben adeliger "conduite" ihren Zöglingen auch alle Arten von Bildungsgut zu vermitteln, stand die Verpflichtung zur Seite, sich in den Haushalt der Herrschaft vollständig zu integrieren. Einige namhafte Professoren suchten ihre Studenten in Vorlesungen und durch Publikationen mit den Aufgaben des Hofmeisters vertraut zu machen. Unter ihnen befanden sich Gottlieb Fürchtegott Gellert, der an der Leipziger Universität Vorlesungen zum Thema hielt und zeitweise auch Dohms Lehrer war, und Bemhard Basedow, dessen 1771 in Leipzig erschienenes Werk "Aga-
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A. Dispositionen des politischen Erlebens und Handelns
Ernüchterung. An seinen Freund, den Wernigeroder Bibliothekar Johann Lorenz Benzier (1747-1817), schrieb Dohm am 4. Juli 1773 aus der Sommerresidenz des Hofes in Friedrichsfelde, er werde für nichts anderes angesehen, "als ein andrer Bedienter (im eigentlichen Verstande des Wortes)". Diejenigen Gelehrten in Berlin, an die ich mich gewandt habe, um durch sie etwas Anstand zu erhalten, und mit denen ich am genauesten bekannt bin (Spalding, Teller, Büsching, Sulzer) sehen das Unangenehme meines Zustandes ein (dieB kann Niemand recht, der nicht die ganze Verfassung des Hofes und die Denkart der Großen kennt) und wollen mir auch sehr gern helfen, sobald nur eine Gelegenheit datzu sich findet. 13
Trotzdem band Dohm sich an den Prinzen, um sich nicht dessen "Ungnade", "die mir schädlich sein könnte" zuzuziehen. Auch wenn der auf einem etablierten und weitgehend akzeptierten Treue- und Gewaltverhältnis zwischen ihm und dem Prinzen basierende Dienst in seiner eigenen Wahrnehmung weit entfernt davon war, der erstrebte "Staatsdienst" zu sein, hielt Dohm zunächst noch an ihm fest. Auf der Suche nach anderen Betätigungsfeldern, in denen eigene Studien, öffentlicher Diskurs und praktisches Wirken eine Verbindung eingehen könnten, entwickelte er aber neue Vorstellungen: Prinz Ferdinand hatte ihn einmal gebeten, eine Predigt zu halten, was er "in Gegenwart des ganzen Hofes" und in der Folge jeden Sonntag in einer nahe gelegenen Gemeinde "mit sehr ausgezeichnetem Beyfall" wiederholt tat. Nun, da auch der Theologe Johann Joachirn Spalding (1714-1804) ihm zugeredet habe, hege er weit größere Hoffnung, schrieb er Benzier, "als Prediger in Berlin anzukommen, als auf irgend eine andere Art, und daß man hier in keinem Stande freyer und unabhängiger leben kann, und dann die vorzügliche Nutzbarkeit des Standes selbst, die besonders in Berlin [ ... ] groß iSt."14 Diese Rückwendung zur Theologie, von der Dohm sich doch zu Beginn seiner Studienzeit abgewandt hatte, war jetzt ein Rekurs auf seinen gesellschaftlichen Umgang und die praktischen Erfahrungen, die er in Berlin gemacht hatte. Die Emanzipationsbewegung der Aufklärung hatte Religion und Staat voneinander getrennt und zur rationalistischen Grundlage des aufgeklärten Staatsverständnisses eine vertragliche Verbindung von mit naturgegebenen Grundrechten ausgestatteten Menschen erklärt. Ethisch-moralische Leitlinien aus den Naturrechtstheorien Samuel Pufendorfs (1632-1694), Christian Thomasius' (1655-1728), Gottfried Wilhelm Leibniz' (1646-1716) oder Christian Wolffs (1679-1754) hatten ihren Bezugspunkt wesentlich in einer Hinwendung zur stoischen Philosophie, deren striktem Rationalismus und ethischem Rigorismus und der daraus folgenden obersten Maxime eines eigenverantwortlichen, in Übereinstimmung mit sich selbst und mit der Natur stehenden Handeins. Aber obwohl diesen vernunftorientierten und damit weltimmanenten thokratur oder von der Erziehung künftiger Regenten" Dohm sicherlich kannte. Es läßt sich nur mutmaßen, ob der vielversprechende Titel dieser Publikation Dohms freilich schnell enttäuschte Hoffnung geschürt haben mag, in Berlin zum Erzieher eines künftigen politischen Entscheidungsträgers bestellt zu werden. 13 Dohm an Benzier, 4. Juli 1773. Zeitschrift des Harzvereins, 49, S. 139-142, hier: S. 141. 14 Dohm an Benzier, 4. Juli 1773, Zeitschrift des Harzvereins, 49, S.141.
I. Auf dem Weg nach Berlin
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staats theoretischen Vorgaben eine Abwendung von Theologie und Kirche implizit war, wurde letztlich die (vornehmlich evangelische) Predigt ein ideales Medium zur Popularisierung der Aufklärung in Deutschland. Die Kanzel wurde zum "Katheder der Aufklärung". 15 Vor allem Christian Wolff beeinflußte seit den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts Form, Methode und Inhalt der evangelischen Predigt, deren dogmatische, hermeneutische und praktische Zielsetzung in der Folge tiefe Veränderungen erfuhr. 16 Geistige Aufgeschlossenheit der Prediger und eine ebenso bereitwillige Auseinandersetzung mit tradierten Glaubensinhalten waren notwendige Voraussetzung hierbei und eröffneten schließlich den Aufklärungstheologen neue Aufgabenfelder. Das umfassendste und langlebigste Rezensionsorgan der deutschen Aufklärung, Friedrich Nicolais in Berlin herausgegebene "Allgemeine Deutsche Bibliothek", vereinte namhafte Theologen unter seinen Autoren und legte vor allem Wert auf die Auseinandersetzung mit theologischen Fragestellungen. 17 Auch auf dem Gebiet der Verbreitung einer aufgeklärten Predigtweise wurde Berlin zum Zentrum. 18 Zu den Protagonisten im öffentlichen Diskurs zur aufgeklärten Homiletik gehörten neben anderen auch eine Reihe von Theologen, zu denen Dohm regen Kontakt pflegte, so etwa Wilhelm Abraham Teller (gest. 1804), Johann Salomo Semler (1725-1791), Hans Joachim Zollikofer (1730-1788) und Johann Joachim Spalding. Letzterer hatte mit seiner Schrift "Über die Nutzbarkeit des Predigtamtes" 1772 eine grundlegende Predigttheorie der Aufklärung veröffentlicht. Prediger verstand Spalding als "bestellte Lehrer der Sittlichkeit" 19, deren eine wichtige Aufgabe die Erziehung der Gemeindemitglieder zur moralischen Besserung und damit verbunden ein unmittelbares Hineinwirken in die gesellschaftliche Realität im Sinne einer Beförderung staatlicher Wohlfahrt und Sicherheit sein sollte. 20 Als Probst an der Nicolaikirche in Berlin und Konsistorialrat konnte Spalding mit großer Zuhörerschaft rechnen, und auch Dohm zeigte sich beeindruckt von dessen Möglichkeiten: "wenn Spalding in dieser Kirche predigt, ist es so gedrängt voll, daß man sich eine Stelle miethen muß."21 Die Wirkungsmöglichkeiten des Predigerberufes in unmittelbarer Anschauung vor Augen, das schriftlich fixierte Berufsverständnis eines Berufsstandes rezipierend, der sich verstand als Lehrer, Aufklärer und Moderator ethisch-moralischer Prinzipien, und enttäuscht von den nur unmaßgeblichen eigenen EinflußmöglichSchütz, Kanzel, S.141. Vgl. dazu etwa Krause, Predigt, S.13. 17 HockslSchmidt, Zeitschriften, S.78. 18 Krause, Predigt, S. 14. 19 Spalding, Über die Nutzbarkeit des Predigtarntes und deren Beförderung, S. 75. 20 Schulz, Kanzel, S.154, betont, daß die deutsche Predigt im Zeitalter der Aufklärung in den gesellschaftlichen Fragen patriarchalisch orientiert blieb und weder auf Umsturz noch Revolution bedacht war. ,,Die Ordnungen gelten als vorgegeben, nicht als aufgegeben; in ihnen soll der Mensch arbeiten, nicht an ihnen." Vierhaus, Dohm, S.145, verweist darauf, daß sich das Berufsfeld des Pfarrers unter dem Eindruck der Aufklärung zunehmend dem des profanen Lehrers annäherte. 21 Dohm an Benzier, 4. Juli 1773. Jacobs, Zeitschrift des Harz-Vereins, 49, S.142. 15
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A. Dispositionen des politischen Erlebens und Handeins
keiten orientierte sich Dohm am Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Er sah seine Handlungschance nun darin, Aufklärung durch Erziehung des Volkes in das staatliche Leben hineinzutragen. Das entsprach wieder ganz der frühen Mitteilung an Gleim, ein Lesebuch für Schulen und ungebildete Stände entwerfen zu wollen. ,Volk' erlebte Dohm bei seinen Beobachtungen in Berlin als ebenso ungebildete wie formbare Masse. Spalding, skizzierte er an Benzier, stehe in ungemeinem Ansehen beim "feinem Publikum". In noch größerem aber Silberschlag bey dem Pöbel. Wenn dieser auch in einer großen Kirche predigt, stehn immer einige 100 Menschen auf der Straße, durch die er hemach durchgehen und sich von ihnen zur Danksagung die Hände küssen lassen muß. Wenn ich Ihnen sage, daß er diesen Beyfall nur durch ein gewaltiges Geschrei und durch den beständigen Vortrag der gemeinsten unrichtigen Begriffe, die auf die Seele des Pöbels stark wirken, erhalten hat [... ], so hätten Sie wohl dieß nicht von Berlin gedacht.22
Mit Hilfe des gebildeten und privilegierten Publikums, "das an verschiedenen Kirchen das Wahlrecht hat, oder daß ein Fall wäre, wo mich das Oberkonsistorium vorschlagen könnte", erhoffte Dohm sich nun den beruflichen und gesellschaftlichen Aufstieg und eine mittelbare Eingliederung als preußischer Staatsbediensteter. Er stellte dabei ab auf die im Zuge der friderizianischen Justiz- und Verwaltungsreform im Jahre 1750 vollzogene Verstaatlichung der Kirchen infolge der durch die Errichtung des lutherischen Oberkonsistoriums etablierten Zentralisierung der Kirchenbehörde. 23 Als der gewünschte Erfolg ausblieb, verließ Dohm 1774 Berlin, um in Göttingen seine Studien an der dortigen Universität fortzusetzen. Die Göttinger Universität stand an der Spitze der deutschen Hochschulen. 24 An dem 1734 nach Vorbild der Reformuniversität Halle durch den Kurfürsten von Hannover und König von England Georg 11. gegründeten Institut lehrten herausragende Professoren in einem Klima, das Freiheit in Forschung und Lehre gewährte und damit Anziehungspunkt zahlreicher aufstrebender Intellektueller wurde. Der LeibnizSchüler Gerlach Adolf Freiherr von Münchhausen (1688-1770) wirkte als Kurator der 1737 offiziell eingeweihten Georgia Augusta. Keine andere Universität Deutschlands vereinte so zahlreich Schriftsteller unter ihren Studenten. Am Ende des 18. Jahrhunderts war Göttingen in der Rolle eines herausragenden Publikationsorts wissenschaftlicher Arbeiten. Mit dem Historiker August Ludwig von Schlözer Dohrn an Benzler, 4. Juli 1773. Jacobs, Zeitschrift des Harz-Vereins, 49, S.142. Vgl. hierzu Krolzik, Protestantische Geistlichkeit, S. 511-522. Dohrn schrieb am 4. Juli 1773 an Benzier (Jacobs, Zeitschrift des Harz-Vereins, 49, S.141): "Die sicherste Hoffnung aber ist die, daß ich eine Feldpredigerstelle erhielt." Die Feldprediger, deren Berufsbild durch Mobilität und Gehorsam (gegenüber dem Kommandanten) gekennzeichnet war, ähnelten im geistlichen Stand am ehesten den preußischen Beamten. "Gleichzeitig erweiterten diese Geistlichen durch ihre große Mobilität ihren Gesichts- und Erfahrungshorizont." (Krolzik, S.517). Im Gegensatz zur distanzierten Haltung, die Friedrich 11. zu den Geistlichen generell hatte, förderte er die Feldprediger ausdrücklich (Krolzik, S.522). 24 Vgl. Marino, Praeceptores Germaniae. 22 23
II. Erste Positionen
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(1735-1809), dem Staatsrechtslehrer Johann Stephan Pütter (1725-1807)25 und dem Technologen und Ökonomen J ohann Beckmann (1739-1811) hatte Dolun bedeutende Lehrer in den Fächern Staatsrecht, Neuere Geschichte und Statistik. Er pflegte persönlichen Kontakt zu Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) und dem Dichter Heinrich Christian Boie (1744-1806), mit dem er ab 1774 die Zeitschrift "Das Deutsche Museum" herausgeben sollte.
11. Erste Positionen in der Gesellschaft der Aufklärer und im Staatsdienst 1. Dohm als Herausgeber von "Das Deutsche Museum" Die redaktionelle Betreuung des Klevischen ,,Encyklopädischen Journals" gab Dolun den Impuls, deutlichere Ziel- und Wrrkungsvorstellungen einer aufklärerischen Tätigkeit zu entwickeln. Aus einem im Stile moralischer Wochenschriften 26 gefaßten Publikationsorgan machte Dolun ab dem sechsten Heft, das er 1774 herausgab, ein Journal, das namhafte Göttinger und andere Gelehrte mit statistischen, geographischen und historisch-politischen Artikeln zu Wort kommen ließ. Sein eigener Anteil beschränkte sich im wesentlichen auf Übersetzungen und Rezensionen. Die Herausgabe des ,)ournals" begründete Dohm im Gestus eines zeitkritischen Beobachters mit der emanzipatorischen Intention der Wissensvermittlung, die Wahl des spezifischen Publikationstyps mit einer angenommenen mentalitätsbedingten Rezeptionspräferenz seines intendierten Publikums: Derjenige, der Aufklärung und Bildung verbreiten wolle, habe die besonderen Eigenschaften des Publikums gemäß dessen jeweiligem Nationalcharakter zu nutzen. Die Spanier hätten einen Spleen für Romane, die "Welschen" für Dichter, die Engländer für Denker, die Franzosen für die Dictionnaires und die Deutschen eben für JournaleP Das Abstecken von Handlungsspielräumen differenzierte und konsolidierte sich schließlich erst mit der Herausgabe des "Deutschen Museums". Heinrich Christian Boie und Christian Wilhelm Dohm war diese Aufgabe im Sommer 1775 von dem Leipziger Verleger Weigand angetragen worden. Die erste Ausgabe des neuen Journals lag im Januar 1776 vor. Mit den zum Teil privat geäußerten, zum großen Teil publizierten programmatischen Vorgaben begründeten beide Herausgeber die Herausbildung eines Zeitschriftentyps, der literarisch-philosophische, populärwissen25 Vgl. dazu Link, Pütter; Willoweit, Pütter.
26 Zur Gattung der moralischen Wochenschrift vgl.: Martens, Botschaft der Tugend; Schneider, Pressefreiheit, S. 80-81 ; Habermas, Strukturwandel, S.56. 27 Encyklopädisches Journal, Einleitung zum 5. Stück, 1777. Zitiert nach Dambacher, Dohm, S. 38. Diese .. Besonderheit" der Deutschen, die hier noch positiv herausgestellt wird, sah Dohm wenige Jahre später geradezu als Plage. Am 28. Dezember 1788 schrieb er an Boie: .. Die sich unaufhörlich mehrende Menge der Journale muß alle niederdrücken". (Zitiert nach Hofstaetter, Das Deutsche Museum, S. 123).
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A. Dispositionen des politischen Erlebens und Handeins
schaftliche, politisch-historische und statistische Abhandlungen vereinte 28 , damit "zentrale Ordnungsprobleme der Gesellschaft" ansprach und sich implizit praxisorientiert vorstellte 29 : Den "public spirit" in Deutschland zu wecken, sei sein Ziel, schrieb Dohm am 29. Januar 1776 an Gleim und verdeutlichte damit, auch wenn er hier das Publikationskonzept noch nicht explizit formulierte 30, seine Orientierung an englischen Vorbildern. 31 Auch in anderer Weise fand das englische Beispiel bei Dohm Erwähnung: Auf die spezifische verfassungspolitische Situation Englands nahm er in seinen Aufsätzen im "Deutschen Museum" immer wieder Bezug und stellte sie als vorbildhaft dar. Die vortreffliche Konstitution Englands etwa mache alle Bürger mit den Interessen des Vaterlandes und den Grundsätzen von Regierung und Gesetzgebung vertraut. 32 In Deutschland dagegen bedürfe es des (Um-)Wegs über theoretisch-literarische Interessen, um Anteilnahme an öffentlichen Dingen zu wecken. 33 Die "Deutschen mit Hofstaetter, Das Deutsche Museum, S.59; Hocks/Schmidt, Zeitschriften, S. 13. Bödeker, Prozesse und Strukturen, S. 18, sieht diese Praxisorientierung vor allem darin, daß sich die ,,Forderung nach nützlichem Wissen transformierte [... ] zur Forderung nach politisch nützlichem und wirksamem Wissen". 30 Nach Hofstaetter, Das Deutsche Museum, S. 35, war für Dohm vor allem das "Universal Magazine of Knowledge and Pleasure" wegweisend. 31 Garve hatte Dohm mit den Lehren der englischen Moralphilosophie und politischen Ökonomie, mit den Werken lohn Lockes und David Humes bekannt gemacht (vgl. dazu etwa Vierhaus, Dohm, S. 146). Anthony Earl of Shaftesbury (1671-1713) hatte in seinen vielfachen Äußerungen zum "public spirit" als dessen wesentliches Merkmal immer wieder das wechselseitige Verhältnis zwischen dem Gemeinwesen als politisch-sozialer Einheit und der auf sie zurückgewendeten emotionalen Beziehung des einzelnen betont. Den "public spirit" begriff er vor allem als soziale Thgend: "public" wurde nicht nur als Gemeinwesen aufgefaßt, sondern war zugleich die Empfindung des einzelnen diesem gegenüber (Hö/scher, "Öffentlichkeit", S.442-443). Habermas, Strukturwandel, S.I08-109, erläutert: In England habe die Entwicklung von "opinion" zu "public opinion" ihren Weg über "public spirit" genommen. Von der ,,hohen und opferbereiten Gesinnung einzelner Subjekte" sei der Begriff übertragen worden auf die "objektive Größe des Zeitgeistes, einer general opinion, die vom Instrument dieser Meinung, der Presse, seitdem kaum noch getrennt werden kann. [... ] Im public spirit ist noch beides zusammen: der unverbildete Sinn fürs Rechte und Richtige unmittelbar; und die Artikulation der opinion zum judgement durch öffentlichen Austrag der Argumente." Habermas, S.1l7, verweist darauf, daß in Deutschland Georg Forster in den 1790er 1ahren "opinion publique" als "öffentliche Meinung" übersetzt und eingebürgert hat. Forsters Unterscheidung von öffentlicher Meinung und Gemeingeist zeige, daß sich der Begriff der politisch fungierenden Öffentlichkeit in England und Frankreich vollends ausgebildet hatte, bevor er nach Deutschland importiert wurde. Als Beleg dient Habermas ein Auszug aus Forsters "Über öffentliche Meinung": "Schon haben wir 7000 Schriftsteller, und dessen ungeachtet, wie es keinen deutschen Gemeingeist gibt, so gibt es auch keine deutsche öffentliche Meinung. Selbst die Wörter sind uns noch neu, so fremd, daß jedermann Erläuterungen und Definitionen fordert, indes kein Engländer den anderen mißversteht, wenn von public spirit, kein Franzose den anderen, wenn von opinion publique die Rede ist." Vgl. hierzu Dohms Äußerungen in seinen ,,Nachrichten von der Kurpfalz", Deutsches Museum 1778, Vll, S. 98; auch Kapitel A. 11. 1. in dieser Arbeit. Allgemein zur Anglophilie der deutschen Aufklärer vgl. Maurer, Aufklärung und Anglophilis. 32 Dohm, Ueber die Kaffeegesetzgebung, S.143. 33 Dohm, Miscellanien, Deutsches Museum 1776, I, S. 333. 28
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sich selbst bekannter und auf ihre Nationalangelegenheiten aufmerksamer zu machen" sollte daher die erste und grundlegendste Aufgabe des "Deutschen Museums" sein, schrieben Dohm und Boie 1777. 34 Fragend schlossen die beiden Herausgeber an: "Wird man noch lang in unseren deutschen Staaten fortfahren, aus Dingen, die jeden als Mensch und Bürger interessieren, auf eine lächerliche Art Geheimnisse zu machen?"35 Die spezifische Antwort, die Dohm und Boie gerade in diesem Zusammenhang durch ihr Publikationsorgan zu geben anstrebten, war Ausdruck des Selbstbewußtseins der Aufklärer, politisch und sozial verantwortlich zu sein: Mit Hilfe vor allem statistischer Arbeiten, für die Dohm verantwortlich zeichnete, sollte der Leser mit Fakten konfrontiert werden, die im Idealfall aus der Aufdeckung staatlicher Arkana stammten und zugleich die Transparenz der Herrschaft weiter vorantreiben sollten. 36 Damit war implizit vorgestellt, daß Fürstenentscheide nicht nur als rational nachzu34 Vorerinnerung, Deutsches Museum 1777, I, S.4. Schneider, Pressefreiheit, S. 82, hebt hervor, daß die Moralischen Wochenschriften zu ihrem wesentlichen Ziel erklärt hatten, "dem Menschen sich selbst zum Gegenstand des Nachdenkens zu geben". Die politische Presse habe sich entsprechend daran gemacht, "dieses Nachdenken über sich selbst aus dem Bereich des Menschseins in jenen des Bürger-Seins zu übertragen, dem Menschen seine Stellung innerhalb der politischen Ordnung kritisch bewußt zu machen." 35 Vorerinnerung, Deutsches Museum 1777, I, S.5; vgl. hierzu auch Möller, Aufklärung in Preußen, S. 214 ff.: Möller stellt im Bezug auf Nicolai fest, daß dieser, der in politischen Äußerungen eher zurückhaltend gewesen sei, bei der Diskussion um die Geheimhaltung staatspolitischen Handelns und die Einhaltung von Zensurmaßnahmen explizit und unmißverständlich gegen beides Stellung bezogen habe (S.214). Als weitere Protagonisten der Forderung nach Transparenz obrigkeitlichen Handels führt Möller Christian Friedrich Daniel Schubart (Teutsche Chronik, 1776) und Adolph Frhr. von Knigge (Offenheit über politische Gegenstände, 1795) an (S.215). 36 Den Zweck der veröffentlichten Miszellen bestimmte Dohm im "Deutschen Museum" 1776, I, S. 333, mit den Worten: "Ich will mehr Materialien zum Denken liefern als dem Leser vorzudenken. " Daß das selbstgesteckte Ziel, Informationen aus dem Innenlauf der höfischen Verwaltungen zu publizieren, ein ausgesprochen gewagtes war, erlebte Dohm am eigenen Leib zu Beginn des Jahres 1779. Er plante, Auszüge seiner avisierten Geschichte des Bayerischen Erbfolgekrieges im "Deutschen Museum" zu veröffentlichen. Es handle sich bei dieser Auseinandersetzung um die "wichtigste deutsche Angelegenheit", schrieb er am 23. Februar 1779 an Boie als Begründung für den gewünschten Teilabdruck seiner Ausführungen. Damit Boie aber in diesem heiklen Fall geschützt sei, wolle er die alleinige Verantwortung übernehmen und bei der Veröffentlichung ausschließlich seinen Namen nennen. Da der Druck des "Deutschen Museums" in Weißenfels, also in Sachsen erfolge, sei von Seiten der Zensur nichts zu befürchten. Als Dohm dann statt seiner Ausführungen ein Reskript Friedrichs 11., das nur durch Zufall in seine Hände gelangt war, publizierte, sollte er rasch auf eine harsche preußische Reaktion stoßen. Berlin ließ ungehalten anfragen, wer der Urheber der Veröffentlichung sei. Dohm leugnete seine Beteiligung und bat auch Boie und den Verleger Weigand dringend um Schweigen (Hofstaetter, Das Deutsche Museum, S.103, 104). Generell charakterisiert Hofstaetter Dohm als den selbstsichereren der beiden Herausgeber. Beispielhaft führt er unter anderem einen Briefwechsel zwischen beiden Männern an, in dem Boie Dohm von einer Auseinandersetzung mit August Ludwig Schlözer (1735-1809) bezüglich des nordamerikanischen-englischen Handels im Deutschen Museum abrät. ,,Etwas mehr Muth, lieber Freund", antwortete daraufhin Dohm Boie am 4. Juni 1777, "und aus dem Winkel herausgeschaut, in dem Sie leben." (Hofstaetter, Das Deutsche Museum, S.67).
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vollziehende, sondern auch als zu prüfende Fakten eingestuft wurden. Zumindest intellektuell stellten sich die Kritiker mit den Monarchen so auf eine Stufe 3?, in ihrer selbstformulierten gesellschaftspolitisch legitimierten Funktion konnten sie sich dagegen (lediglich) als durch Schreiben Handelnde sehen 38 - und gestanden damit doch zugleich ein, daß die nur eingeschränkten eigenen Möglichkeiten staatstragenden Handeins nach Kompensation verlangten. Das den Aufklärern eigene optimistische Zeitbewußtsein, unter Anwendung vernünftiger Vorgaben die zukünftige politische Entwicklung positiv, d. h. aufklärerischen Grundsätzen angemessen gestalten zu können, gesellschaftliche Führungsrollen einzunehmen und die Fürsten politisch zu beraten, erfuhr seine Grenzen an der Realität. 39 Dohm formulierte dieses Handlungsdefizit der Schriftsteller und Gelehrten selbst deutlich in einem Aufsatz im "Teutschen Merkur" im Januar 1777 und verband es mit der Darlegung eines Informationsdefizits der Öffentlichkeit. Die Statistik bleibe immer einen Gutteil Jahre zurück. Das politische System von Europa und die Verfassung der Staaten, die vor 30 Jahren waren, seien selbst dem fleißigsten Staatskundigen besser bekannt als der Zustand der eigenen Periode. "Von den Begebenheiten, die in diese fallen, wissen wir gemeiniglich nichts anderes als Gerüchte. [sic] Unsre Zeitungen, auch die besten, enthalten nichts mehr, und können auch nicht. - Denn die handelnden Personen schreiben keine Zeitungen, und die Zeitungsschreiber handeln nicht. "40 Sein besonderes Interesse 4 1, aber sicher auch seine ab dem Herbst 1776 angetretene Tätigkeit als Professor für Statistik und Finanzwissenschaft an der 1709 von Landgraf Karl (1654-1730) gegründeten naturwissenschaftlichen Forschungs- und Lehranstalt "Collegium Carolinum" in Kassel mögen zu Dohms Ressortwahl- der Mitteilung statistischer Nachrichten - beigetragen haben. Dem Ruf nach Kassel war er gefolgt, als er feststellen mußte, daß eine noch immer ersehnte Anstellung in preußischen Diensten nicht in greifbarer Nähe war. Im Gegensatz zu den meisten Trägem der Statistik, die als Professoren und Lehrer akademischen und BeamtenNachwuchs an den Universitäten ausbildeten und auf diese Weise bestenfalls indiV gl. dazu etwa Schneider, Pressefreiheit, S. 88. Vierhaus, Dohm, S. 146, betont Johann Fürchtegott Gellerts Anteil an Dohms Erziehung zur Schriftstellerei. Dieser habe ihn auf das "Schreiben als Handeln" hingewiesen. 39 Zum Selbstverständnis der Aufklärer, ihrem "Bewußtsein der politisch-sozialen Verantwortlichkeit" und dessen unterschiedlichen Ausprägungen vgl. etwa Herrmann, Herausforderung Preußens, S. 27-28. 40 Dohm, Einige neueste politische Gerüchte. Teutscher Merkur, Januar 1777, S.75-91, hier: S.75-76. 41 Dohm, Briefe nordamerikanischen Inhalts, Deutsches Museum 1777, I, S.159. Dohm verfaßte seine "Briefe nordamerikanischen Inhalts" in der Form eines Briefes an den Mitherausgeber Boie. Er formuliert zu Beginn: "gerade weil ich für politische und statistische Materien partheyisch bin, so fürcht ich immer davon mehr ins Museum zu bringen, als unsern Lesern lieb sein mögte. Und hätten Sie - der Sie von Ihrer Liebhaberey ganz einen andern Weg geleitet werden - mir nicht so oft gesagt: ,das Publikum ist schon politischer, als Sie glauben' - so würde gewiß mancher statistische Aufsaz im Museum nicht stehen." Zu den politisch-statistischen Arbeiten Dohrns im ,,Deutschen Museum" und anderen Publikationsorganen bzw. den selbständigen Publikationen Dohrns vgl. auch Dambacher, Dohrn, S.40-52. 37 38
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rekt politisch agierten, suchte Dohm, wie die programmatischen Äußerungen im "Deutschen Museum" zeigen, die Möglichkeit, selbst politisch aktiv sein zu können: Die "statistische Neugierde"42, die ohne amtlichen Auftrag zunächst eine mehr oder weniger private war, erfuhr bei ihm einen praktischen Bezug in dem Bestreben, das Publikum des "Deutschen Museums" zu politisieren. Dohm zielte auf die Sensibilisierung der Leser für staats politische, wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge und damit gleichsam auf Nachahmung seines eigenen kritischen und kontrollierten Blicks auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge. 43 Zugleich hatte die Wahl dieses Arbeitsfeldes für Dohm die weiterführende Bedeutung, den Boden für eine Laufbahn im außenpolitischen bzw. diplomatischen Dienst zu bereiten. Die 1777 begonnene Herausgabe der "Materialien für die Statistick und neuere Staatengeschichte,,44 wirkte weiter als Empfehlung an den künftigen Dienstherren und sollte bis 1785 - als Dohm bereits sechs Jahre im preußischen Staatsdienst stand - fortgesetzt werden. Obwohl diese "Materialien" nach Dohms Intention in erster Linie der Konservierung aktueller statistischer Informationen dienen und künftigen Historikern überlassen werden sollten - das sei alles, "was dem aufmerksamen Zeitgenossen übrig bleibt", schrieb er45 , sich auf einen universitärwissenschaftlichen Standpunkt zurückziehend -, war der praktische Bezug zur außenpolitischen Machtpolitik durchaus gegeben: Als Erscheinungsform der "Lehre von der Macht der Staaten" war die als beschreibende politische Staatenkunde verstandene Statistik46 zugleich eingebunden in allgemeine außenpolitische Macht42 In Anlehnung an Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde, nutzt Klueting den Begriff der "statistischen Neugierde" in seiner Untersuchung zur "Lehre von der Macht der Staaten", S. 39ff. 43 Bödeker, Prozesse und Strukturen, S. 12, betont, daß die Sensibilisierung der Gebildeten für neue gesellschaftliche Zusammenhänge ihren Niederschlag in einem wachsenden Interesse an statistischen Daten und Fakten fand. 44 Vgl. dazu Dambacher, Dohm, S. 52-55. 45 Teutscher Merkur 1777, I, S. 77. 46 Gottfried Achenwall (1719-1772) galt allgemein als der "Vater der Statistik" in Deutschland. Der Titel wurde ihm vor allem wegen der von ihm an der Göttinger Universität von 1748 bis zu seinem Tode betriebenen Popularisierung des Faches und dem großen Erfolg seines Werkes ,,Abriß der neuesten Staatswissenschaft der vornehmsten europäischen Reiche und Republiken" (1749; spätere Auflagen unter dem Titel: "Staatsverfassung der heutigen vornehmsten Reiche und Völker") zugedacht. Als Schüler Achenwalls trat August Ludwig Schlözer 1772 dessen Nachfolge in Göttingen an. Mit ihm, der auch Lehrer und Vertrauter Dohms war, entwickelte sich die Statistik zur "Methode und zum Material des Raisonnement und die statistische Neugierde zum Instrument der bürgerlichen Emanzipationsbestrebungen" (Klueting, Macht der Staaten, S. 63, 64. Vgl. auch Becher, Politische Gesellschaft, S. 129-145). Der Ausruf: ,,Es sterbe die Geheimnismalerei!" (Schlözer, Staatsanzeigen, Bd.6, 1784, Heft 23, S. 384) war geradezu programmatisch für Schlözer und findet sich, wie gezeigt, im gleichen Verständnis bei Dohm und Boie. Im "Deutschen Museum" nimmt Dohm eine Auseinandersetzung mit Schlözer auf, die sich im Bezug auf beider Kommentierung des nordamerikanischen Handels entwickelte. Dohm zeigte sich aufgebracht von Schlözers Kritik an ihm. "Wenn es Hrn. Prof. Schlözer gefällt, künftig diese Streitigkeiten fortzusezen; so wünsche ich, daß sie wie eine ächte wissenschaftliche Kontroverse unter Gelehrten allemal sollte, möge geführt wer-
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theorien, die in der Zeit in unterschiedlicher Weise zum Ausdruck gebracht wurden, als rein theoretische Auseinandersetzungen, als praktische Umsetzungen in Form von ministeriellen Vorträgen an die Adresse des Herrschers, als Belehrungen für die Thronfolger durch die amtierenden Herrscher. Statistik diente schließlich auch der unmittelbaren politischen Propaganda, indem zum Teil auch falsche Daten vorgetragen wurden, um außenpolitische Gegner in ihren Strategien zu beeinflussen. 47 2. Dohm als preußischer Staatsarchivar Die Arbeitsverpflichtung im Dienste des Landgrafen von Hessen-Kassel bestand für Dohm in einer täglichen Unterrichtsstunde, die er um eine gemeinsame Lehrtätigkeit mit Jakob Mauvillon (1743-1794)48, dem Schriftsteller und Lehrer für Kriegsbaukunst, am Kadettencorps ergänzte. Daneben unternahm er 1776 ausgiebige mehrwöchige Reisen in den Südwesten Deutschlands und 1777 an den Oberrhein, die er vor allem zur Sammlung statistischer Materialien und zum geistigen Austausch mit Gelehrten und Schriftstellern nutzte. Eine ihm am 24. November 1777 gewährte Audienz bei Friedrich 11. in Potsdam brachte nicht das gewünschte Ergebnis. Zwar war Dohm seine persönliche Lage in Kassel nicht gänzlich unangenehm, dennoch distanzierte er sich auch kritisch von ihr: "Meine hiesige Situation ist vortrefflich; Ich habe so viel Unabhängigkeit und Muße, als man nur immer verlangen kann, wenn man seine Freiheit an einen Fürsten verkauft."49 Idealisierend kontrastierte Dohm zu seiner Kasseler Arbeit wieder einmal den preußischen Staatsdienst. Er werde sich ,,nicht von dem Land abziehen lassen, das ich jetzt für die unterjochte Menschheit das beste halte, und das einer edlen Tätigkeit am leichtesten freies Spiel läßt, ohne sie an Cabalen und Hindernissen abzureiben."50 Die andauernden Bemühungen, das angespannte, auf den einen Punkt fixierte Beharren, der mit dem Wissen um die Konkurrenz universitär ausgebildeter Männer in ähnlicher Wartestellung den." (Briefe nordamerikanischen Inhalts, Deutsches Museum 1777, I, S. 159-186, hier: S. 161). Zum Streit mit Schlözer vgl. auch Dambacher, Dohm, S.41-43. 47 Vgl. dazu Klueting, Macht der Staaten, S. 304,305. Macht wurde in diesem Zusammenhang gesehen als "ein Phänomen der Relationalität der Staaten untereinander[ ... ], wobei die inneren Kräfte lediglich als bewirkende Faktoren der Macht erscheinen. Zu den Gemeinsamkeiten auch der Gelehrten gehört die Konfliktorientierung des Machtbegriffs - Macht als Möglichkeit im Kampf nicht zu unterliegen." (S. 305). Für Dohm sollte der Zwiespalt zwischen der Verwaltung der Staatsarkana auf der einen und ihr gezie1ter Einsatz im Sinne staatlicher Propaganda und Machtentfaltung auf der anderen Seite in seinem Arbeitsfeld als Archivar in preußischen Diensten besondere Bedeutung erlangen (V gl. Kapitel A. IV. 2. in dieser Arbeit). 48 Vgl. zu Mauvillon Hoffmann, der diesen im Rahmen einer ,,Fallanalyse" untersucht hat und ihn als Repräsentanten der bürgerlichen Emanzipationsbewegung, als Schriftsteller im Staatsdienst, vorstellt. Zu Mauvillons Beziehung zu Dohm vgl. hier v. a. S. 296-297. 49 Dohm an Gleim, o. D., zitiert nach Gronau, Dohm, S.48. 50 Dohm an Gleim, im Januar 1776, unpublizierte Briefe, zitiert nach Dambacher, Dohm, S.12/13.
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verbundene Ehrgeiz und die in die Tat umgesetzte Erkenntnis der Notwendigkeit, sich über eigene Publikationen und gesellschaftliche Beziehungen aus der anonymen Masse herauszuheben, führten Dohm erst im Herbst 1779 zum ZielY Auf Initiative des preußischen Staatsministers Friedrich Ewald von Hertzberg (1725-1795)52 erarbeitete er eine "Geschichte des Baierischen Erbfolgestreites"53, mit der er sich dem preußischen König empfahl: Nach mehrrnonatigen Verhandlungen erhielt Dohm im September 1779 durch Vermittlung Hertzbergs eine Anstellung als Archivar beim Hauptarchiv mit dem Titel eines Kriegsrates. 54 Die von Friedrich 11. am 28. September 1779 unterzeichnete Ernennungsurkunde enthielt unter anderem den Hinweis auf die Vergrößerung des Archivs durch die "Aquisitionen der Provinzen Schlesien, West-Preußen und Ost-Friesland" und den ausdrücklichen Vermerk, warum Dohm die Stelle als Archivar erhielt. Er sei "als ein fleißiger, gelehrter und dazu geschickter Mann" dem König "angerühmt worden" und "Uns auch schon persönlich bekannt".55 Die Begründung ist Indiz für die von der mittlerweile üblichen Einstellungspraxis in die preußische Beamtenlaufbahn abweichende Handhabung bei Dohms Bestallung: Mit der Errichtung einer "Ober-Examinations-Commission" zur Prüfung aller angehenden Kriegs-, Domänen-, Steuer- und Landräte sowie Baudirektoren im Jahre 1770 war ein tiefer Einschnitt in den Verwaltungsaufbau des preußischen Staates vorgenommen worden. Zugunsten ei51 Noch kurz zuvor, am 10. Mai 1779, hatte Dohm sich an den Münsteraner Minister Franz Friedrich von Fürstenberg (1729-1810) mit der Bitte gewandt, sich an ihn zu erinnern, "wenn Hochdenenseiben eine Stelle bekannt wäre, wo es auf Anwendung u praktische Erweiterung historischer u publicistischer Kenntnisse ankäme, die ich in hiesigen Diensten nie hoffen kann", "da mein lebhaftester Wunsch ist einen etwas erweiterten Kreis von Thätigkeit zu bekommen". (Sudhof, Kreis von Münster, S. 39-40). 52 Vgl. zu Hertzberg vor allem Kapitel A. IV. 2., B. VII. 2. und B. X. 3. b) in dieser Arbeit. 53 Dohm, Geschichte des Baierischen Erbfolgestreites nebst Darstellung der Lage desselben im Jahre 1779. Frankfurt und Leipzig 1779. 54 Ende des 16. Jahrhunderts wurde im kurfürstlichen Schloß in Cölln ein Archiv märkischer Oberbehörden eingerichtet, das im Laufe der Jahrzehnte von verschiedenen Archivaren thematisch ausgebaut und geordnet wurde. 1710 entstand als Zusammenschluß des "Churfürstlichen geheimen Hauptarchivs" und der ,,Registratur in publicis", die Staatsverträge, Familienakten der Hohenzollern u. ä. enthielt, das "Geheime Archivkabinett" , kurz "Kabinettsarchiv" , das die rechtlichen Grundlagen des preußischen Staates sicherte. Dieses Kabinettsarchiv wurde bestellt durch Staatsbeamte, die teilweise sogar - so etwa Hertzberg - zu Ministern aufstiegen. Es war dem Hauptarchiv angegliedert, das seinerseits als ,,Behördenarchiv des Geheimen Rates" fungierte. Daß es sich bei Dohms Stelle zwar um eine Vertrauensposition - wie auch der Wortlaut der Bestallungsurkunde zeigt - handelte, nicht aber um eine besonders herausragende, macht vor allem die Tatsache deutlich, daß der Aktenbestand der wichtigsten preußischen Zentralbehörde, des sogenannten Generaldirektoriums, in einer eigenen Registratur außerhalb des Hauptarchivs, Dohms Arbeitsstelle, verwaltet wurde (Vgl. dazu allgemein Henning, Die Archive, S. 469-471). Mit einer Besoldung von 500 Rthlm/Jahr war Dohms Verdienst gering, vor allem wenn man ihm den Spitzenverdienst Hertzbergs mit einem Jahresgehalt von 3000 bis 4000 Rthlm gegenüberstellt (Schober, Spätaufklärung, S. 221; Rosenberg, Bureaucracy, S.102ff.). 55 Gronau, Dohm, Beilage I, S. 553/554.
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ner "Eigemekrutierung" der Beamtenschaft unterzog sich der Monarch von nun an einer "Selbstbindung [...] an die Rekrutierungsnormen"56, die den "Übergang vom monarchisch-persönlichen zum bürokratisch-anonymen Absolutismus"57 in Preußen zu ebnen begann. Der Eintritt in die Beamtenlautbahn sollte nun nicht mehr auf der Gunstbezeugung des Regenten gründen, sondern Ergebnis einer vor einer Prüfungskommission abzulegenden obligatorischen Eingangsprüfung sein. Die von Friedrich Wilhelm I. geschaffene Grundlage zur Ausbildung der angehenden Staatsdiener durch die 1727 erfolgte Errichtung eines Lehrstuhls für Kameralistik an der Universität Halle verlor unter Friedrich 11. ihre Bedeutung zunächst insofern, als dieser die Zugehörigkeit zum Adel zur Voraussetzung für die Übernahme hoher repräsentativer StaatsdienststeIlen erklärte. Den bürgerlichen Bewerbern waren lediglich untere Dienstgrade im Militärdienst zugedacht. Mit der in Dohms Bestallungsurkunde auf den konkreten Einzelfall bezogenen Begründung einer Stelleneinrichtung aufgrund vergrößerter territorialer Verhältnisse war das gesamte Verwaltungssystem wenige Jahre zuvor reformiert worden: Seit Regierungsantritt Friedrichs 11. hatte sich Preußen um ein Dreifaches vergrößert, die Bevölkerung gar hatte sich in dieser Zeit vervierfacht. Unter diesen Bedingungen war eine Alleinherrschaft des Monarchen im Sinne einer alleinigen Führung der Staatsgeschäfte nicht mehr realisierbar. Eine zahlenmäßige Erweiterung des Beamtenapparats mußte notwendig verbunden werden mit der Erweiterung der Kompetenzen seiner Mitglieder. Mit der in der differenzierten Staatstätigkeit begründeten Abhängigkeit des Monarchen von den Fähigkeiten seiner Beamten ging eine durch die Staatsdiener selbst vollzogene neue Bestimmung der Beamtenethik einher, die unter dem Einfluß der Aufklärung vor allem eine "Modernisierung des Pflichtbegriffs"58 bedeutete. Grundsätzlich war nicht in Frage gestellt, daß Beamtenethik als Pflichtethik zu sehen war. Über den Begriff "officium" hatte bereits Pufendorf in seinem Werk "De iure naturae et gentium libri VIII" 1672 gehandelt, ein Substrat der Schrift war 1673 unter dem Titel "Von der Pflicht des Menschen und Bürgers" ("De officio Hominis et Civis") erschienen. Als Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Menschenlebens konstatierte Pufendorf, teilweise Elemente der christlichen Lehre tradierend, den unbedingten Vorrang der Pflichten vor den Rechten. Die sich der Aufklärung verpflichtet fühlenden Staatsdiener des späten 18. Jahrhunderts entwickelten gerade in der Umkehrung dieser Vorgaben Pufendorfs eine eigene Beamtenethik. Der skizzierten Vorrangstellung der Pflichten vor den Rechten stellten sie eine erst aus den natürlichen, vorstaatlichen Grundrechten sich ergebende Verpflichtung des Bürgers (und insbesondere des Staatsdieners) auf den Staatszweck entgegen. Ausdrücklich konterkarierte etwa Carl Gottlieb Svarez (1746-1798) Pufendorf: "Aus den Rechten entstehen die Pflichten.", formulierte er in seinen "Kronprinzenvorträgen". Die Freiheit, dem Streben nach Glück nachzugehen, gehe allen Pflichten voraus und Bleek, Kameralausbildung, S. 79. Bleek, Kameralausbildung, S. 80. 58 Hattenhauer, Beamtenturn, S. 152. 56 57
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müsse durch den Staat gewährleistet werden, konkretisierte er. 59 Beide, Regent und Untertanen, sah Svarez verpflichtet, sich in den Dienst des allgemeinen Wohls des Staates zu stellen, freilich mit der Akzentverschiebung, daß der Regent mit seinem Handeln auf dessen Erhaltung und Vermehrung abzielen müsse, die Untertanen am Wohl des Staates (lediglich) mitzuwirken hätten. 60 Mit einer Verpflichtung des Regenten auf die Gewährleistung der staatlichen Wohlfahrt war zugleich ein theoretisches Konstrukt entwickelt, das in seiner praktischen Auswirkung die Möglichkeit zum staatlichen Einwirken auf das Leben der Untertanen im Sinne von Beaufsichtigungen und Bevormundungen implizierte, d. h. eine "Sozialdisziplinierung" der Untertanen als "staatliche Erziehung des Bürgers zu Pflichterfüllung und Tätigkeit" legitimierte. 61 Eine unterstützende Teilnahme der Beamten an den Disziplinierungsmaßnahmen schloß das durchaus ein62 , was den Staatsdienern wiederum innerhalb des Staatssystems eine (von den Regenten und Untertanen gleichermaßen anerkannte) Sonderstellung als Leistungs- und Moralelite eintrug. Das in den theoriegeleiteten Diskursen und den aus ihnen erwachsenen Forderungen nach Teilhabe an der politischen Macht im Staat deutlich werdende Selbstbewußtsein der Staatsbediensteten hatte gerade in dieser Heraushebung aus der Masse des Staatsvolks eine wichtige Grundlage. Zu beachten ist, daß das absolutistische Staatssystem grundsätzlich die Autorität des Regenten auch bei ständig fortschreitender Intensivierung und Differenzierung der Staatsführung nicht in Frage stellte 63 , was eine weitreichende Abhängigkeit des einzelnen Amtsträgers von der Gunst des Regenten unverändert zur Folge hatte wie ebenso die auf diese monarchische Anerkennung abzielende Handlungsmotivation des Beamten. (Pointiert zusammengefaßt wurde dieses angestrebte Ideal mit der Formulierung "Travailler pour le roi de Prusse".) Die aus dieser Motivation und der Anspruchshaltung weitergehender Teilhabe an politischer Machtausübung erwachsenden möglichen inneren Konflikte der Staatsdiener bargen das Gefahrenpotential, in der Konfrontation mit den theoretischen Grundlagen eines aufgeklärten Staatssystems zu eskalieren: Zum einen gingen die anerkannten naturrechtlichen Grundlagen des Staatsgebildes von einer Interessenübereinstimmung zwischen dem Regenten und den Untertanen aus, zumindest theoretisch konnte ein Auseinanderklaffen 59 Damit freilich war das individualistische Moment der Glückseligkeit in den Vordergrund getreten und löste ein auf das Staatsziel gerichtetes Streben nach Glück ab. V gl. auch allgemein zu den eudämonistischen Staatszielen in der naturrechtlichen Lehre des 18. Jahrhunderts: Scheuner, Staatszwecke, S.475-486. 60 Vgl. zum geschilderten Sachverhalt: Hattenhauer, Beamtentum, S.152-154. 61 Scheuner, Staatszwecke, S.482. Zum Begriff der "Sozialdisziplinierung" grundlegend: Oestreich, Strukturprobleme, S. 187 ff. 62 In diesen Vorgaben, die die Beamten einbanden in die dem Monarchen auferlegte Pflicht zur Erhaltung des Staatswohls, war zugleich, so wird bei Dohms Engagement im Aachener Verfassungskonflikt zu zeigen sein, die Möglichkeit einer Lösung des einzelnen Staatsdieners aus der vorgegebenen Rolle angelegt: V gl. Kapitel C. I. 1. in dieser Arbeit. 63 Vgl. dazu Kunisch, Absolutismus, S.72-84.
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beider Gruppen also ernsthafte Zweifel am Funktionieren des Staatssystems überhaupt hervorrufen. 64 Zum anderen waren, das ist die praktische Konsequenz des theoretischen Diskurses, die öffentlich vorgetragenen persönlichen Überzeugungen des einzelnen Staatsdieners zugleich auch Beurteilungskriterien für das öffentliche Handeln innerhalb eines Kollegenkreises, der beides, ,persönliche' Theorie und Praxis, aneinander messen konnte. Das Austarieren zwischen Anpassung an den monarchischen Willen, Umsetzung persönlicher Überzeugungen und Bestehenkönnen vor dem Kreis einer aufgeklärten Öffentlichkeit wurde zudem begleitet von äußeren Konflikten, die das spezifische preußische Rekrutierungssystem für Staatsdiener hervorrief: Neben Adeligen, die qua sozialem Stand in hohe Positionen aufgestiegen waren und tradierte Handlungsspielräume behielten, standen bürgerliche Staatsbedienstete, die ihre Stellen nach Durchlaufen strengster Prüfungsverfahren erhalten hatten und solche Beamte, die durch persönliche Fürsprache vom Monarchen eingesetzt worden waren. Unzufriedenheit mit der eigenen Position, Konkurrenzdenken, personalpolitische Querelen, Neid und Mißgunst konnten unter solchen Bedingungen nicht ausbleiben. Auch Dohm mußte nach einer kurzen Phase der Zufriedenheit mit der erlangten Stellung Erfahrungen machen, die sein Diktum vom Staat ohne "Cabale und Hindernisse" in Frage stellten. Hertzberg protegierte ihn und gestand ihm neben seiner Tätigkeit im Archiv die Mitarbeit im Ministerium für äußere Angelegenheiten zu. Dohm erhielt dort die eingehenden Gesandtenberichte zur Einsicht, erstellte Auszüge daraus und wurde mit der Abfassung kleinerer Aufsätze und Vorträge beauftragt. 1780 übersetzte er auf Initiative Hertzbergs Friedrichs 11. "De la litterature allemande"65 und erarbeitete sich damit das sich in einer Gehaltserhöhung und der ordnungsgemäßen Anstellung im Auswärtigen Departement niederschlagende königliche Lob. Eine Beurlaubung im Mai 1780, die Dohm gewünscht hatte, um Henriette Helwing, die Tochter des Lemgoer Bürgermeisters und Inhabers der sogenannten Meyerschen Druckerei und Hofbuchhaltung Christian Friedrich Helwing, zu heiraten, sollte er auftragsgemäß nutzen, um die Vorbereitungen zur anstehenden Koadjutorwahl für Köln und Münster zu beobachten. Obwohl ihm die nötigen Vollmach64 Kunisch, Absolutismus, S. 175, betont den Ansatz zur Kritik arn monarchischen System in der Ausprägung des Anspruchs auf individuelles Glück: "Der Wandel zu einer neuen, radikaleren Form der Systemkritik entfaltete sich erst aus der Übertragung des allgemeinen Zweckgedankens vom Wohl des Staates und seiner tragenden Kräfte auf die Glückseligkeit des einzelnen." 65 Zu Entstehung, Komposition, Argumentation und Rezeption von Friedrichs 11. Werk "De la litterature allemande" vgl. Berger, ,,De la litterature allemande". Möller, Friedrich und der Geist seiner Zeit, S.72, charakterisiert den Inhalt dieser Schrift als bestimmt von Friedrichs Ignoranz gegenüber der deutschen Entwicklung in Literatur, Philosophie und Geschichtsschreibung. Dohm hatte den Auftrag zur Übersetzung von Hertzberg erhalten, der ihn möglicherweise beim König wieder ins Gespräch bringen wollte (vgl. Dambacher, Dohm, S. 19). Er beurteilte gegenüber Gleim den Inhalt zwar als geprägt von Friedrichs "Ungerechtigkeit des Urteils", aber auch manches Richtige lasse sich finden, vor allem die Leichtigkeit des Ausdrucks sei zu loben (vgl. Dambacher, Dohm, S. 20).
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ten zur profunden Arbeit fehlten, wurden DohIns Bemühungen in Berlin anerkannt und ihm weitere diplomatische Missionen in Hannover, Hildesheim und Paderborn übertragen. Neben seiner amtlichen Tätigkeit publizierte DohIn eine Reihe von Beiträgen für das "Deutsche Museum" und andere Zeitschriften und gab zwischen 1781 und 1782 die dritte und vierte Lieferung seiner "Materialien für die Statistick und neuere Staaten-Geschichte"66 sowie eine Buchausgabe einer Schrift über das physiokratische System 67 heraus. Die mit Anmerkungen versehene Veröffentlichung von Jacques Neckers Schrift "Compte rendu au roi"68, der in Frankreich viel beachteten Publikation mit Angaben über diverse Aufwendungen und Pensionen des französischen Hofes, folgte. Trotz der beruflichen Anerkennung spürte DohIn aber auch deutlich seine Abhängigkeit von der Gunst seiner Vorgesetzten und Kollegen und fühlte sich, möglicherweise verursacht durch die bevorzugte Behandlung bei seiner Einstellung, als "Fremder" .69 Auch den König hatte er rasch nach seiner Ankunft kritischer gesehen. Der Machtspruch Friedrichs 11. in der Müller-Arnoldschen-Rechtssache war, zumal nach Bekanntwerden des Protokolls der Audienz der Kammergerichtsräte beim König am 11. Dezember 1779, viel diskutiert und kritisiert worden. 70 Diese Begebenheit machte einen betäubenden Eindruck in der Hauptstadt und im ganzen Lande. Man fühlte mit Schrecken, daß man unter einem Herrscher lebe, der nach Willkür und augenblicklicher Laune zu handeln fähig sey, und den jezt nichts mehr zurückzuhalten scheine, da er die richterliche Würde nicht mehr achte und auf Vorstellungen und Gründe seiner einsichtsvollsten Staatsdiener nicht höre. 71
Als Dohm sich bei der Postenvergabe von Hertzberg vernachlässigt fühlte, trat 1783 eine schwere Krise ein 72, die ihn veranlaßte, über einen Wechsel ins Westfälische oder nach Hannover 73 , schließlich sogar in österreichische Dienste nachzudenDohm, Materialien für die Statistick und neuere Staatengeschichte. 1777-1785. Dohm, Kurze Darstellung des physiokratischen Systems. 1778/1782. 68 Necker, Compte rendu au roi, von Dohm mit einer Vorrede herausgegeben. 1781. 69 V gl. dazu Kapitel A. IV. 2. in dieser Arbeit. 70 Allgemeines Landrecht, Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs, S. 38-42. 71 Dohm, Denkwürdigkeiten, I, S.274. 72 Dohm wandte sich am 27. Januar 1783 an Friedrich Heinrich Jacobi und klagte: ..Ich sitze seit einem Monat in einem Schwall von dringenden, den Geist ganz niederdrückenden Arbeiten.[ ... ] von einer solchen Anspannung wie hier bei uns, haben Sie gewiß keine Idee. Wie glücklich sind Sie, daß Sie so herrlich sich und den Wissenschaften leben können! Ich muß diesen allmählig ganz entsagen." (Briefwechsel Jacobi, hg. von Bachmaier, 2, S.119). 73 Friedrich Heinrich Jacobi schrieb am 3. Oktober 1783 einen Brief an Fürstin Amalia von Gallitzin (1748-1806), in dem er dieser mitteilte, Dohm habe .. Verdruß" in Berlin und wünsche sich dort weg. Er habe ihn, Jacobi, gebeten, Fürstenberg ins Vertrauen zu ziehen und zu hören, ob dieser nicht einen Ausweg wisse. Am liebsten würde Dohm ..in unserer Nachbarschaft" sein...Könnte aber dieß nicht gehen: anderswo. Der Chur Hanover glaubt er im departement der auswärtigen Geschäffte wichtige Dienste leisten zu können". Und Jacobi fügt an: ..Wenn es 66
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ken. Die warnenden Hinweise des markgräflich-badischen Amtmanns Johann Georg Schlosser (1739-1799) auf eine mit preußischen Verhältnissen vergleichbare Situation in Österreich hielten Dohm schließlich davon ab, diesen Wechsel zu vollziehen. An Schlosser hatte er sich hilfesuchend gewandt: ich kann hier wenig nach eigner Einsicht handeln, mit meiner Thätigkeit wenig Erhebliches wirken. Unsre Verfassung bringt das mit sich, der Gang unsrer Geschäfte ist ganz mechanisch; - eine wohlaufgezogene, unaufhörlich fortspielende Maschine, die nur Hände, Ordnung und Aufmerksamkeit, aber nicht des Kopfs bedarf. Und doch fühle ich sehr wohl, daß noch in so manchen Dingen Kopf zu gebrauchen nöthig wäre, und daß unsre Einrichtungen in vieler Hinsicht gut, aber gewiß noch nicht unverbesserlich sind. 74
Im Gegensatz zu den meisten seiner Zeitgenossen, die die wohlbekannte Staatsmaschinen-Metapher vor allem dann anführten, wenn sie den Vorbildcharakter des friderizianischen Preußens als ein im Geist von Ordnung und Regelmäßigkeit, durch zentralisierte Verwaltung in größtmöglicher Effizienz geführtes Staatswesen zu betonen wünschten, gab Dohm seiner Kritik im Sinnbild der Maschine Ausdruck. Friedrichs 11. immer wieder angestellte Überlegungen zum "Systemideal" des absolutistischen Fürstenstaats, die trotz aller Ambivalenz in der Vorstellung gipfelten, der "Freiheit des Entwurfs" des Monarchen die "Berechenbarkeit und unbeirrbare Automatik des daran anschließenden Handeins" gegenüberzustellen 75, also eine Unterordnung der in einer geschlossenen Hierarchie konzentrierten Organe unter monarchischen Willen staatsgrundlegend machte, widersprach Dohm aus der ,Innenansicht' dieses Staatswesens. Der im Anspruch eines auf den staatlichen Endzweck allgemeiner Wohlfahrt ausgerichteten Instrumentalisierung der Staatsdienerschaft durch den Monarchen, der Perfektionierung und Steigerung monarchischer Herrschaft mit Hilfe funktionierender ,Ausführender' des fürstlichen Willens trat Dohm mit dem Anspruch auf Verwirklichung seiner Individualität und Nutzbarmachung seiner intellektuellen Fähigkeiten entgegen. In Johann Georg Schlosser, seinem Ansprechpartner, hatte er einen Protagonisten der Kritik des "Maschinenstaats" vor sich. Neben Johann Jacob Moser (1701-1785), Justus Möser (1720-1794), Friedrich Carl von Moser (1723-1798) und einigen anderen trat Schlosser ein in die von Überlegungen zum Preußischen Allgemeinen Landrecht inspirierte Diskussion um System-Vorstellungen. Er wandte sich vehement gegen die "aufklärerischen Simplifications Systeme", die die Vielfalt der Einzelinteressen gewaltsam in engen Grenzen hielten und kritisierte vor allem die absolutistischen Regenten, denen es "so überaus schön" erscheine, "wenn sie bis in ihre Cabinette, alles im ganzen Lande sehen, und die große Maschine mit einem einzigen Hebel, ohne Widerstand, beinahe ohne Friction lenken können!"76 Dohms private Äußerungen gegenüber Schlosser waren weit entfernt davon, dessen strukturelle Kritik am absolutistischen Staat, vor allem etwa wahr wäre, was man von den Projecten des Churfürsten v Mainz sagt, so fände sich dort vieleicht eine gute Stelle für ihn." (Sudhof, Kreis von Münster, S. 154). 74 Zitiert nach Gronau, Dohm, S. 97. 75 Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. 67. 76 Vgl. Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. 208.
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auch seine Hinwendung zu altständischen Traditionen oder idealisierten Vorstellungen der Reichsverfassung 77, derart grundsätzlich und programmatisch zu übernehmen. Dennoch verdeutlichen sie, daß er seine persönliche Unzufriedenheit mit dem preußischen Staatsdienst in übergeordnetere Kategorien als das bloß subjektive Gefühl von Mißachtung und Zurückstellung einordnete.
3. Dohm als Teilnehmer der "Mittwochsgesellschaft" und anderer Diskursgemeinschaften 1783 konstituierte sich die Berliner Mittwochsgesellschaft als eine "Gesellschaft von Freunden der Aufklärung". 78 Die Mitglieder, deren Anzahl durch die Statuten auf maximal 24 begrenzt wurde, waren vorwiegend preußische Staatsbedienstete, die entweder im höheren Verwaltungs- oder Justizdienst oder als geistliche Amtsträger und Mitglieder des Oberkonsistoriums arbeiteten. Mit der Vorgabe, nicht nur über die Gesprächsinhalte und -ergebnisse Verschwiegenheit zu wahren, sondern auch von der Existenz der Gesellschaft überhaupt nichts an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, bewegte sich die Berliner Mittwochsgesellschaft wie so viele Sozietäten der Zeit im Zwischenraum zwischen Geheimbund und informellem privatem Zirkel. 79 Das ,Grundgesetz' des Stillschweigens einzuhalten, erachteten die Mitglieder deswegen als nötig, damit ihnen ,,nicht etwa ein Nachtheil oder ein unangenehmer Ruf im Publicum" entstehen könne 80 , so eines der Gründungsmitglieder, der Jurist und Präsident des Oberschulkollegiums Karl Franz Irwing (1728-1801). Er formulierte damit den deutlichen Hinweis, daß nicht so sehr der gesellige Umgang miteinander im Vordergrund der Begegnungen stand, sondern vielmehr die Gesprächsteilnehmer eine "Institutionalisierung bestimmter privater Arbeitszusammenhänge"81 intendierten, die im geistigen Austausch über alle wichtigen Bereiche der Aufklärung stattfand und eher implizit praxisorientiert 82 im Sinne einer Umsetzung von Gesprächsergebnissen im BerufsalItag war. Dohm selbst hatte die empfundene Notwendigkeit dieses Austauschs schon mit der Herausgabe des "Deutschen Vgl. Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. 209. Zur Berliner Mittwochsgesellschaft vgl.: Birtsch, Mittwochsgesellschaft; Nehren, Selbstdenken; Nehren, Aufklärung - Geheimhaltung - Publizität; Hellmuth, Aufklärung und Pressefreiheit; Keller, Mittwochs-Gesellschaft; Kant, Was ist Aufklärung?, Einleitung von Hinske, S.XXIV-XXXI. 79 Zu Ausprägungen und Kommunikationsfonnen der geheimen Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung vgl. vor allem: Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer; Im Hof, Das gesellige Jahrhundert; Koselleck, Kritik und Krise, S.41-81. 80 Zitiert nach Nehren, Selbstdenken, S. 93. 81 van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 95. 82 Koselleck, Kritik und Krise, S.59, fonnuliert diese Praxisorientierung ex negativo und zeigt die gedankliche Konstruktion auf, die ihre letztlich nur eingeschränkte Umsetzbarkeit kompensierte: "Aus der Not, keine politische Autorität zu besitzen, machte die neue Gesellschaft ihre Thgend: sie verstand auch ihre geheime Institution nicht als ,politisch', sondern von vornherein als ,moralisch'." 77 78
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Museums" vorgestellt und zugleich dort deutlich gemacht, daß er eine Haltung wie die von Irwing vorgetragene kritisierenswert fand: Aber es ist so schwer, etwas von deutscher Politik zu erfaren, worüber die denkenden Köpfe denken könten. Unsre Regierungen bedecken meistens ihre Operazionen mit einem Schleier, der wenig sehn, nur errathen läst. Dabei ist man an politische Raisonnements in Deutschland noch so wenig gewönt, daß Privatpersonen es nicht wagen, ihre Gedanken bekant zu machen, weil sie fürchten, daß man die kleinste Misbilligung für Tadel aufnehmen, und diesen nicht gern publizirt sehn werde. 83
Der Nachlaß des zur Gesellschaft gehörenden königlichen Leibarztes Johann Carl Wilhelm Möhsen (1722-1795)84 gibt Aufschlüsse über die diskutierten Themen und geistigen Standpunkte der einzelnen Mitglieder85 , die sich in Voten reihum zu Wort meldeten. Möhsen ließ am 17. Dezember 1783 seine Thesen zu der von ihm aufgeworfenen Frage "Was ist zu thun zur Aufklärung der Mitbürger?" zirkulieren. Er schlug in einer ganzen Reihe von Punkten unter anderem vor, den Begriff "Aufklärung" zunächst zu definieren, die geistigen und politischen Entwicklungen genau zu beobachten, die (individuelle) Erkenntnis der Mißstände zu diskutieren und die Gesprächsergebnisse in praktische Anwendung umzusetzen. Den Zustand der (sozialen) Gesellschaft verstand Möhsen selbst als in Ansätzen aufgeklärt, insgesamt aber noch verbesserungswürdig. 86 Die Antworten der Mitglieder auf Möhsens gedankliche Vorlage gaben keine klare, fest umrissene Definition des Aufklärungsbegriffs, verdeutlichten aber, daß die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer Aufklärung als Prozeß sah, "an dem teilzunehmen nicht jedem in gleicher Weise beschieden sein konnte und den bedenkenlos voranzutreiben nicht in jedem Falle und um jeden Preis geboten erscheinen mochte".87 Nur drei Mitglieder gingen in ihrer Argumentation über die allgemein akzeptierte Vorstellung hinaus und lehnten es ab, die Unmündigkeit der Masse als "zu den Konstituentie[n] menschlicher Vergesellschaftung" gehörend zu sehen: Moses Mendelssohn (1729-1786), Friedrich Nicolai (1733-1811) und Christian Wilhelm Dohm. 88 83 Dohm, Einige Nachrichten von der Kurpfalz. Deutsches Museum 1778, VII, S.98. V gl. auch Kapitel A. 11. I. in dieser Arbeit. 84 Hellmuth, Aufklärung und Pressefreiheit, hat den Nachlaß, der sich zum Zeitpunkt der Bearbeitung zu Anfang der 1980er Jahre in der Staatsbibliothek Berlin/DDR befand, ausgewertet. Teile hatte bereits Keller, Mittwochs-Gesellschaft, 1896, publiziert. 85 Unter anderem waren Mitglieder der Gesellschaft: die Theologen Wilhe1m Abraham Teiler und Johann Joachim Spalding, der Pädagoge und Popularphilosoph Johann Jakob Engel, der Verleger Friedrich Nicolai, die Leibärzte Johann Karl Wilhelm Möhsen und Christian Gottlieb Seile, die beiden Landrechtsautoren Ernst Ferdinand Klein und Carl Gottlieb Svarez sowie die Herausgeber der "Berlinischen Monatsschrift" Friedrich Gedicke und Johann Erich Biester. Moses Mendelssohn war Ehrenmitglied. 86 Vgl. Keller, Mittwochs-Gesellschaft, S.74. 87 Birtsch, Mittwochsgesellschaft, S.I04. 88 So Hellmuth, Aufklärung und Pressefreiheit, S. 320.
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Möhsens Vorschläge aufgreifend, erklärte Dohm am 9. Februar 1784, er halte vorzüglich dessen dritte Vorgabe, die Diskussion über die individuellen Erkenntnisse, für wichtig, um "unseren Beschäftigungen noch mehr Plan und Ordnung zu geben", nämlich, "dass wir diejenigen Vorurtheile und Irrthümer, welche am schädlichsten sind, zuerst aufgreifen und ausrotten, und diejenigen Wahrheiten, deren allgemeine Erkenntnis am nothwendigsten ist, mehr entwickeln und ausbreiten".89 Punkt 5 der Ausführungen, in dem Möhsen zur Verbesserung der Sprache aufrief, hielt Dohm für am ehesten entbehrlich bei der Verbreitung der Aufklärung. Bezeichnend für Dohms Selbst- und Staatsverständnis war vor allem seine Reaktion auf Möhsens sechsten Vorschlag. Hierin hatte dieser eine 1778 von der Akademie der Wissenschaften gestellte Preisfrage, die implizit die Frage nach der Zulässigkeit von Zensur enthielt, aufgegriffen und zu diskutieren gewünscht: "Ist es dem gemeinen Haufen der Menschen nützlich, getäuscht zu werden, indem man ihn entweder zu Irrtümern verleitet oder bei den gewohnten Irrtümern erhält?"90 Vehement trat Dohm gegen eine Manipulation des Volkes ein und plädierte dafür, statt eines, Umwegs' über akademische Erwägungen zu nehmen, lieber den gesunden Menschenverstand zu befragen: "meiner Meinung nach ist es heute keine so schwere Sache, auszumachen, dass man das Volk nicht betrügen müsse, und dass Wahrheit und Aufklärung immer das Glück der Menschen machen". In Anlehnung an Mendelssohns Votum 91 forderte Dohm schließlich dazu auf, dass man einmal aus der Geschichte Beispiele anführe, wo Aufklärung und Freiheit wirklich der öffentlichen Glückseligkeit geschadet hätten? Sicher wird man keinen Fall citieren können, wo nicht momentanes Übel der Krisis (oder gar die mit Sturz von Despotismus und Aberglauben verbundenen Unruhen) sich in grösseres Gute aufgelöst hätten. 92
Dohms Äußerungen markierten seine Position zu revolutionären Umstürzen hier in Deutlichkeit und Offenheit als eine befürwortende, dem Umsturz im allgemeinen befreiende Wirkung zuweisende Haltung. Zugleich ließen sie sich in ein direktes Keller, Mittwochs-Gesellschaft, S. 86. Keller, Mittwochs-Gesellschaft, S. 75. Dohm äußerte sich zu dieser Fragestellung gegenüber Friedrich Heinrich Jacobi am 27. Januar 1783: "Nichts kömmt mir lächerlicher, ungereimter, stolzer und ungerechter vor; und etwas Dümmeres als: Est-il permis de tromper le peuple? hat gewiß noch keine Akademie gefragt. Wer ist peuple? Was ist tromper? Und wer ist's dem das Betrügen erlaubt seyn soll? In diese drei Fragen hätte ich die Hauptfrage abgetheilt, wenn, wie ich einmal willens war, ich eine Schrift eingesendet hätte." (Briefwechsel Jacobi, hg. von Bachmeier, 3, S. 120). 91 Mendelssohn votierte am 26. Dezember 1783. Unter anderem schrieb er: ,,1. Ich wünschte, dass die Beispiele der Geschichte aufgesucht würden, wo entweder Aufklärung überhaupt, oder insbesondere, eine ungebundene Freiheit seine Meinung zu äussem, der öffentlichen Glückseligket wirklich geschadet hat. 2. Bei Erwägung des Nutzens und Schadens, den die Aufklärung und die zuweilen daraus entstandenen Revolutionen gebracht haben, unterscheide man die ersten Jahre der Krisis von den darauf folgenden Zeiten. Jene sind zuweilen dem Ansehen nach gefährlich, im Grunde aber Vorboten der Verbesserung." (Abgedruckt bei Keller, Mittwochs-Gesellschaft, S. 80-81). 92 Votum vom 9. Februar 1784. Abgedruckt bei Keller, Mittwochs-Gesellschaft, S. 86. 89
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Verhältnis zu seiner Aufgabe als Zensor stellen, die Friedrich 11. ihm 1782 aufgetragen hatte. Dohm war unter anderem angewiesen worden, die von dem ehemaligen Kriegsrat, nun freien Schriftsteller August Ferdinand Cranz beabsichtigte Veröffentlichung "Oesterreichische Realitäten und Charlatanerien" einer Vorzensur zu unterziehen: "il faut soumettre cet homme ala critique et pas permettre I' impression avant de l'avoir censure", lautete die zu Sensibilität und gleichzeitiger Strenge aufrufende Anordnung Friedrichs. 93 Dem 5. Stück der "Berlinischen Correspondenz", in der der Cranzsche Text erschien, hatte Dohm sein Selbstverständnis als Zensor beigefügt und damit zugleich seine kritische Distanz zu der ihm aufgetragenen Aufgabe publik gemacht: Einer Erklärung darüber, warum in Preußen überhaupt die "Freyheit zu denken, und das, was man denkt, öffentlich zu sagen", diese "wesentliche [... ] Bedingung der Aufklärung und Glückseligkeit" beschnitten werde, bzw. wann dies der Fall sein dürfe 94 , schloß Dohm seine Überlegungen zum inneren Konflikt des Zensors an: Es könne passieren, "daß zwischen der Billigung eines Censors, als Censor, und der Billigung seines eigenen Verstandes, Herzens und Geschmacks oft ein sehr großer Unterschied" sei. Um Verständnis ringend, endete er schließlich seine Ausführungen mit der Bitte: Es wäre gut, wenn das Publikum diesen wichtigen Unterschied zwischen Urtheil des Censors und des Privatmannes nie vergäße; und ich ersuche insonderheit alle darum, welchen gefallen sollte, meine Censur der Kranzischen Schriften wieder zu recensieren. 95 Mit dieser Abspaltung des staatlichen Funktionsträgers vom ,Privatmann' vollzog Dohm zugleich die Trennung zwischen dem öffentlichem Raum staatlichen Handeins und einem ins Private verbannten (moralischen) Innenraum. 96 Gerade im öffentlichen Aussprechen dieser Zweiteilung lag ein entscheidender Beitrag zur Vermittlung der Aufklärung, denn: "Die Aufklärung nimmt ihren Siegeszug im gleichen Maße als sie den privaten Innenraum zur Öffentlichkeit ausweitet."97 93 Granau, Dohm, S. 90/91 . Zu Cranz vgl. auch Kapitel A. IV. 3. in dieser Arbeit (Dohms Fürstenbund - Schrift, Kommentar zu Gemmingen S. 55/56). 94 Er erläuterte, dieser Fall könne dann eintreten, wenn der Staat, auswärtige Mächte, die Religion, die guten Sitten, der Wohlstand oder die Ehre eines Staatsglieds angegriffen würden. 95 Granau, Dohm, Anhang 11, S.555/556. 96 Kasel/eck hat in seiner Untersuchung "Kritik und Krise", S.18-32, diese Ausgrenzung einer Privatsphäre, die getragen war von Gewissen und Moral des einzelnen, aus den politischen Entscheidungen des Staates, die alleine in die Zuständigkeit des Souveräns fielen, für die Zeit des Absolutismus vor allem durch die Analyse der Gedanken von Thomas Hobbes vorgestellt. 97 Kasel/eck, Kritik und Krise, S.44. Die gegenseitige Bedingtheit von privatem Raum und Öffentlichkeit führt Koselleck in seinen Überlegungen zu J ohn Lockes "Law of private censure" aus (S. 43 ff.): Danach lag die "Selbstgewißheit des moralischen Innenraums" gerade "in seiner Fähigkeit zur Publizität" (S. 44). In diesem Kontext gewinnt dann auch der ,Zensur' -Begriff eine andere, ausschließlich dem privaten, moralischen Innenraum zugewiesene Bedeutung. "Die der Vernunft zugeordnete Kritik und die der Moral zugeordnete Zensur wurden für das bürgerliche SeIbstbewußtsein zur gleichen, und zwar aus sich selbst begründenden Tätigkeit." ,Zensur' war nur noch in ihrer Konnotation als ein "sich selbst als gerecht und wahr legitimierender Urteils spruch der Bürger" akzeptiert, nur in dieser Setzung einer ,,Exekutive der
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In Berlin gehörte Dolun außer der Mittwochsgesellschaft sowohl der sich als geselliger Zirkel ohne explizit politische Ambitionen zusammenfindenden Montagsgesellschaft als auch der vorneIunlich aus aufgeklärten Geistlichen bestehenden Donnerstagsgesellschaft an. In Kassel war er Mitglied der 1771/1774 gegründeten Loge ,,zum gekrönten Löwen" gewesen, der unter anderem auch Georg Forster (1754-1794) und Adolph Frhr. von Knigge (1752-1796) angehörten, und hatte an der von Landgraf Friedrich 11. von Hessen-Kassel ins Leben gerufenen "Societe des Antiquites" teilgenommen. Insofern Äußerungen Doluns, die er in den geheimen Gesellschaften gemacht hat, vorliegen, wie das für die Mittwochsgesellschaft gilt oder die "Societe des Antiquites" in Kassel, läßt sich in Ansätzen eine Positions bestimmung seiner Auffassungen innerhalb der "Gesellschaft der Aufklärer" - wie für die Mittwochsgesellschaft bereits gezeigt - festmachen: Die Kasseler Gesellschaft, die sich aus Gelehrten und Staatsbediensteten zusammensetzte, hatte sich unter Leitung des Fürsten mit dem Anspruch verbunden, die aus der Beschäftigung mit der Antike gewonnenen Erkenntnisse für die eigene Zeit nutzbar zu machen. 98 Dolun befaßte sich mit Politik und Staatsphilosophie antiker Staaten und zog in einer Rede vor den Logenmitgliedern einige antike Quellen zu diesem Thema mit der Begründung zur Untersuchung heran, "parcequ 'ils ne donnent pas seu1ement une enumeration sterile des faits, mais encore un tableau philosophique de I' origine, des progres & des revolutions de differentes Societes civiles". 99 Die Dienstbarmachung der Quellen zum Vergleich mit den modernen Staatsformen ordnete Dolun einem hochneuen Gesellschaft" (S.45) konnte sie Akzeptanz finden, nicht als Herrschaftsinstrument der Monarchen zur Einschränkung der Untertanen in ihren Freiheitsrechten. 98 In den "Memoires de la societe des antiquites de Cassel", Kassel 1780, Bd.l, sind die Regeln der Gesellschaft (S. I-XII, hier S. I) und eine Mitgliederliste (S. XIII-XXIII) vorangestellt. Unter anderem gehören der Loge Ernst Martin von Schlieffen (1732-1825), Jakob Mauvillon, Georg Forster und der Arzt und Naturforscher Samuel Thomas Sömmering (1755-1830) als ordentliche Mitglieder an. Ehrenmitglieder waren im Jahr 1780 neben Dohm der spätere Mainzer Kurfürst Karl Theodor von Dalberg (1744-1817), der preußische Gesandte am Wiener Hof Riedese1, der Münsteraner Minister Franz Friedrich Wilhelm von Fürstenberg (1728-1810), der schweizerische Naturforscher und Philosoph Charles Bonnet (1720-1793) und der Dichter Christoph Martin Wieland (1733-1813). Dohm schien weder die Zusammensetzung der Gesellschaft noch der in ihr herrschende ,Geist' sonderlich zu beeindrucken. In einem Brief an Gleim äußerte er sich über den Ablauf einer Sitzung, in der der Landgraf die Preisaufgabe gestellt hatte, wer der größte deutsche Antiquar sei. Auf die von Mitgliedern gegebene Antwort: "ab, c'est Winckelmann", habe ein anderer bemerkt, "daß es doch nicht erlaubt sei, auf einen von unsrer echten lutherischen Lehre Abgefallenen einen Preis zu setzen, daß aber leider unser erhabener Präsident in eben dem Falle sei. - Sehen Sie, aus dieser Anekdote können Sie schon den esprit unsrer Societe erkennen!" (Zitiert nach Dohm, Ausgewählte Schriften, Lemgoer Ausgabe, S. 59-60. Hier ist auch Dohrns Antrittsrede abgedruckt, die zum Teil ironische Anspielungen auf den Landgrafen enthält, etwa in Form von nicht eindeutigen Zuordnungen der Lobpreisungen auf Friedrich 11. von Preußen und Friedrich 11. von Hessen-Kassel [So 60-62]). 99 Dohm, Memoire, S. 209 (Dohms französischer Sprachstil wird vom Herausgeber in einer Fußnote mit den entschuldigenden Worten kommentiert: "On voit bien que c'est un Etranger qui ecrit en franr;ois; mais malgre ses inexactitudes son stile ne deplait pas." [S.209]). Die Rede hat in der Forschung bisher keine Beachtung gefunden.
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A. Dispositionen des politischen Erlebens und Handeins
gesteckten Ziel unter, nämlich der Suche nach Gleichförmigkeiten in Entwicklungen, nach "une regle generale", "un ordre constant & une harmonie dans des evenemens".IOO C 'est le plaisir le plus piquant dans ces fortes de recherches [00.] de montrer que les passions meme des hommes, dont on n' attend que des irregularites, obeissent pourtant ade certaines regles, prescites par le climat & le degre de culture d'une Nation; des regles si uniformes dans tous les siecles, qu' elles sont presque naitre I' espoir flatteur de calculer un jour les revolutions des Empires [00.].101
Die Vorstellung, durch genaues Studium der Geschichte Weltbegebenheiten berechenbar machen zu können, zeugt von Dohms Optimismus hinsichtlich der Möglichkeit, durch Fähigkeiten und Willen zur Vervollkommnung sowie durch Anwendung von Vernunft und Wissenschaft gesellschaftlich ,nützlich' sein zu können. 102 Für ihn war diese prognostische Kompetenz allerdings noch nicht im Hier und Jetzt angesiedelt, sondern selbst erst eine für die Zukunft anzunehmende Möglichkeit, ein "espoir flatteur". In ihrer Intellektualität und Vernunftorientierung stellten die Gebildeten für Dohm in diesem Konstrukt den vorwiegend beobachtenden Teil der Gesellschaft dar, dessen Aufgabe die Darstellung dessen, was ist und der Vergleich der Gegenwart mit dem, was war, sein sollte. Als Träger der Revolution kamen sie nicht in Frage. Implizit stellte Dohms Darlegung zugleich die Aufforderung an die Regenten dar, sich des intellektuellen Potentials dieser Gebildeten zu bedienen und ihnen eine beratende - zugleich revolutionspräventive - Rolle zuzuweisen. Denn: daß Revolutionen eine Gefahr und zerstörende Gewalt für den Staat bedeuteten, führte Dohm hier deutlich vor Augen. In seinen weiteren Ausführungen maß er sogenannten "inneren" Revolutionen bei der Entstehung der modernen Staaten eine besondere, sogar staatskonstituierende Rolle zu: Die antiken Staaten seien immer friedvoll entstanden und dann sehr statisch im ursprünglichen Zustand ihrer Entstehung - als Monarchien oder Republiken - verblieben. Innere Revolutionen hätten das Staatswesen nie erschüttert. Im Gegensatz dazu verdankten die Staaten der Moderne Revolutionen ihre Ursprünge und seien diesen auch in ihrem Fortbestehen immer wieder ausgesetzt gewesen: 100 Dohm, Memoire, S. 211. Die Ableitung bestimmter menschlicher und sozialer ,Gesetzmäßigkeiten' aus Kultur und Klima charakterisiert Dohm einmal mehr als Anhänger Montesquieuscher Ideen (De l'esprit des lois). Vgl. dazu Kapitel A.III. in dieser Arbeit. Zu Dohms "theoretischer" Revolutionsverarbeitung vgl. in diesem Zusammenhang v. a. Kapitel C. V. in dieser Arbeit. 101 Dohm, Memoire, S.211-212. 102 Jean-Antoine Marquis de Condorcet (1743-1794), der französische Konventsabgeordnete und Populärphilosoph, hatte sich mit seiner ,,Esquisse d'un tableau historique des progres de l'esprit humain" (Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes) an die Spitze der optimistischen Fortschrittsbewegung gestellt. Er tat dies allerdings erst im Jahre 1793 unter dem unmittelbaren Eindruck der Französischen Revolution, indem er, sein Scheitern als Politiker kompensierend, eine Philosophie popularisierte, die die Hoffnung auf die Revolution als Beschleunigerin des Fortschrittsprozesses propagierte (Vgl. Baker, Condorcet, v. a. S. 389-394).
II. Erste Positionen
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[... ] il n'y a pas maintenant en Europe [... ] une seule Monarchie, qui ne soit elevee sur les debris d 'un Etat libre, & pas une Republique, qui ne soit echappee au joug despotique. Il n'y a pas de Monarques absolus, dont les anc~tres n'ayent ete des usurpateurs heureux, & il n'y a pas de Republicains, dont les anc~tres ne doivent ~tre nommes d'heureux rebelles. 103
Revolution hatte in dieser Darstellung vor allem die Funktion eines beschleunigenden Prozesses allgemeiner Umwandlung, sowohl zum Positiven als auch Negativen. Nur implizit war dem Text über die Gefahrendarstellung hinaus die Notwendigkeit der Prävention zu entnehmen. 104 Über die Mitgliedschaft Christian Wilhelm Dohms im Kasseler Illuminaten-Konventikel lassen sich über die allgemeine Darlegung der Zielsetzungen dieses Geheimbundes hinaus keine konkreten Aussagen treffen: Auch wenn nach Kenntnis der Quellen die hessischen Illuminaten weit weniger radikal gesinnt waren als ihre Ordensbrüder in anderen Teilen Deutschlands 105 , galten auch hier die grundsätzlichen Maximen der Verbindung, vor allem der Plan, durch die Besetzung wichtiger Positionen im Staat mit Ordensmitgliedem Netzwerke von Illuminaten um die Fürsten zu legen mit dem Ziel, die allmähliche "Umwandlung des absolutistischen Willkür-Staates in einen Rechtsstaat" zu vollziehen, also eine ,'perfektionierung des aufgeklärten Absolutismus"l06 statt seiner radikalen Umwandlung zu betreiben. In der Zusammenführung führender Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Staatsdienerschaft und radikal-politisierter Ideologie bildete der Illuminatenorden damit eine der konsequentesten Verbindungen zur Förderung der Aufklärung \07, die er 103 Dohm, Memoire, S. 213. In der weiteren Darstellung hob Dohm die Trennung zwischen Monarchien und Republiken auf und differenzierte zwischen "Etats despotiques", an deren Spitze ein einzelner, mit einer "pouvoir illimite" versehener Regent stehe, und ,,Etats libres", als deren konstitutives Kennzeichen er die Trennung der Gewalten bestimmte (S.214-215). Vgl. allgemein zu dieser Differenzierung bei Dohm das Kapitel A. III. in dieser Arbeit. 104 Kosellecks Darlegung, die Geschichtsphilosophie habe die Kehrseite der Revolutionsprognostik dargestellt (Kritik und Krise, S. 105), greift insofern hier auch für Dohm. Die Krise, so Koselleck, sei in Deutschland noch nicht allseitig zum Bewußtsein gelangt, vielmehr sei sie durch die Fortschrittsphilosophie verdeckt worden. "lndem die fortschrittlichen Bürger durch ihre impetuose Kritik und einen rigorosen Moralismus eine politische Entscheidung zwar herausforderten, sich aber zugleich - durch die utopische Identifizierung ihrer Pläne mit der Geschichte - der falligen Entscheidung schon gewiß waren, haben sie die Krise direkt verdeckt." (S. 115). Diesen letzten Schritt der Gewißheit dessen, was kommen würde, sparte Dohm in seinen Überlegungen aus, die ja, wie gezeigt, eine Analyse der Vergangenheit als vorläufige betrachtete, die dem Ziel, Lehrbeispiel für die Gegenwart zu sein, noch nicht gerecht werden konnte. 105 Kallweit, Freimaurerei in Hessen-Kassel, S.67, zieht aus den vorhandenen Unterlagen den Schluß, daß die hessischen Illuminaten sich nicht aktiv revolutionär betätigt haben. Die Wirkungszeit der Illuminaten in Hessen-Kassel sieht er für einen Zeitraum zwischen 1782 und 1793, danach wurde die Freimaurerei durch Landgraf Wilhelm IX. verboten (S. 64). 106 Zum Illuminatenorden allgemein vgl. etwa van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 100-112, hier: S. 110; Schindler, Illuminaten. 101 Führender Kopf der Illuminaten war - neben Adam Weishaupt - Adolph Frhr. von Knigge. In Kassel gehörte auch Georg Forster dem Illuminatenorden an, beide, sowohl Knigge als auch Forster, waren engagierte Befürworter radikal-aufklärerischer Ideen und glühende Be-
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auch auf die höchsten Reichsinstanzen, wie etwa das Reichskammergericht, auszudehnen bestrebt war. 108 Die Folie, vor der sich die persönliche Positionsbestimmung Dohms vollzog, war gerade der Beginn jenes Zeitabschnitts, der gemeinhin für die deutsche Gesellschaft als "Sattelzeit" , als Zeit des raschen Wandels, der letztlich zum Überschreiten der Schwelle zur Modeme führte, definiert wird: Mit den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts begann eine vorrevolutionäre Entwicklung, die sich unter anderem in einer zunehmenden Politisierung von Grundbegriffen manifestierte, auch in Deutschland eine zunehmende Verschärfung der sozialen Konflikte einleitete und schließlich auch hier zur Entladung in lokalen Unruhen, der Aufspaltung der ,Gesellschaft der Aufklärer' in unterschiedliche politisch-ideologische Lager und der durch staatliche Reformen eingeleiteten Umgestaltung der politischen Ordnungen führen sollte. 109 Zwischen 1776 und 1786, in jenen Jahren also, in denen sich wesentliche Elemente seines Denkens entwickelt und konsolidiert haben, war Dohm Mitglied in verschiedenen Verbindungen, die in ihren Ausrichtungen und Zielsetzungen von unterschiedlichem Charakter waren. Deutlich wird, daß er selbst in dieser Zeit Positionsbestimmungen im Hinblick auf seine Stellung innerhalb der ,aufgeklärten' Gesellschaft vorgenommen hat und zugleich Möglichkeiten und Methoden der Vermittlung eigener Vorstellungen und Konzepte gegenüber der Öffentlichkeit und den Regenten suchte und ausprobierte. Wahrend in der Kasseler Loge die eigene Position in der Darstellung geschichtsphilosophischer Überlegungen vor dem Regenten ihren Ausdruck fand und eher implizit an den Herrscher der Appell erging, die bestehenden Verhältnisse zu überprüfen, war die Mitgliedschaft im Illuminatenorden deutlich an einer Veränderung der Ordnung orientiert. Die Offenheit des an individuellen Untertanenrechten orientierten Diskurses in der Mittwochsgesellschaft fand ihren Niederschlag in Dohms öffentlichen Äußerungen zur Zensur. Die beginnende intensive Suche nach Ausdrucksformen einer bürgerlichen Mitbestimmung hatte Dohm sinnfaIlig schon 1776 im "Deutschen Museum" formuliert und sich hier als ein Befürworter einer prozeßhaft sich vollziehenden, allmählichen Reformierung der bestehenden Zustände offenbart. ,,Förmer und Störmer oder die Reformatoren. Ein Nachtstück" stellte in Rede und Gegenrede zwei Typen von Reformatoren vor: Förmer studierte Theologie und wirkte als Pädagoge, Störmer hatte wunderer der Französischen Revolution (Vgl. Kallweit, Freimaurerei in Hessen-Kassel, S.64; van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 102). 108 Neugebauer-Wölk weist in einer Studie über ,,Reichsjustiz und Aufklärung" die Mitgliedschaft zahlreicher Reichskammergerichts-Assessoren im Illuminatenorden nach und untersucht die Frage, ob dieser radikale Flügel der deutschen Aufklärung "sein Netz auch über das kaiserlich-ständische Reichsgericht in Wetzlar geworfen" hat. Dabei geht sie auch auf die Urteilsfindungen des Reichskammergerichts im Falle der Aachener Mäkelei und der Lütticher Revolution ein und konstatiert in beiden Fällen Einwirkungen des Netzwerks der Illuminaten. Vgl. dazu auch Kapitel B.l. 3. in dieser Arbeit. 109 Vgl. zur Charakterisierung der sogenannten Sattelzeit zwischen 1770 und 1820 etwa Berding, Ausstrahlung der Französischen Revolution, S. 4-5.
H. Erste Positionen
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ein Studium der Rechte begonnen, widmete sich dann den Kameralwissenschaften und wurde schließlich Kammerdirektor "bey 'm Fürsten von **" [sie]. Der erste versuchte, allmähliche Verbesserungen durchzusetzen, indem er sich das Zutrauen der Vorgesetzten erwarb, der zweite ,,rückte eilig heraus" mit seinen Veränderungsvorschlägen und lernte erst mit der Zeit, nachdem er sich schon viele Feinde gemacht hatte, sich zu mäßigen. "Beliebt's Ihnen nicht einen Spruch unter dieß Nachtstück zu sezen?", fragte Dohm zum Schluß. "Einen Spruch noch? So sey's denn der: Die Welt muß Störmer haben; aber nicht alle, die reformiren wollen, müssen Störmer seyn. Förmer war doch auch ein Reformator." 110
4. Dohms staatsbürgerliches Plädoyer: "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden" Auf Initiative Moses Mendelssohns lll , der Dohm im Jahre 1781 gebeten hatte, Recherchen für eine von ihm zu verfassende Denkschrift zur Situation der elsässischen Juden anzustellen, intensivierte Dohm seine bisherigen Studien 112 und setzte Deutsches Museum 1776, I, S. 85-94. Zu Mendelssohn vgl. etwa: Schoeps, Mendelssohn; Albrecht/Engel/Hinske, Mendelssohn und die Kreise seiner WIrksamkeit; Altmann, Mendelssohn. Zu Mendelssohns Rolle als Impulsgeber sowohl für die innerjüdische Bewegung der "Haskalah" als auch für die Reformbestrebungen Dohms vgl. Duchhardt, Juden, S. 570. Gegenüber Isaak Iselin äußerte sich Mendeissohn in Anlehnung an das Postulat einer Aufklärung und Humanität konstituierenden ,Kommunikationspflicht' , Geheimhaltung dürfe sich nur auf die geheime Gesellschaft erstrekken, niemals aber dürften ,,nützliche Wahrheiten" verborgen gehalten werden, wenn sie Aufklärung bewirken wollten (Brief vom 30. Mai 1762, vgl. Nehren, Aufklärung - Geheimhaltung - Publizität, S. 105). Es ist anzunehmen, daß Mendelssohn Einfluß darauf hatte, daß Dohm sich nicht nur zu bloßer Recherche, sondern zu einer umfangreichen Publikation seiner Ideen entschloß. Auch Dambacher, Dohm, S. 175, Anm. 2, betont Mendelssohns Anteil an der Entstehung der Dohmschen Schrift; sie verweist dazu noch darauf, daß der Verleger Friedrich Nicolai Anregungen gegeben habe (S. 175). Eine direkte Mitarbeiterschaft Mendelssohns stellt Dambacher allerdings aufgrund der Nicht-Übereinstimmung Dohmscher und Mendelssohnscher Ideen in wesentlichen Punkten in Frage (S. 175, Anm. 2). Über den für Mendelssohn angesprochenen Zusammenhang von aufgeklärter Anthropologie und Kommunikation vgl. etwa: Bödeker, Aufklärung als Kommunikationsprozeß, S. 89-111, v. a. S. 90. 112 In der "Vorerinnerung" erwähnt Dohm seine langjährigen Studien über "die Geschichte der jüdischen Nation seit der Zerstörung ihres eignen Staates" (S.l) und die Überlegung, das Resultat der Quellenstudien "dem Publicum" mitzuteilen (S. 2). Bereits 1774 hatte er sich in den ,,Lippischen Intelligenzblättern" in der Schrift ,,Probe einer kurzen Charakteristick einiger der berühmtesten Völker Asiens" u. a. mit den "Hebräern" beschäftigt (Detering, Dohm und die Idee der Toleranz, S. 31-32). Während er hier schon wesentliche Gedanken seiner großen ,,Judenschrift" vorwegnahm, etwa die Analyse der ausschließlich aus der gesellschaftlichen Benachteiligung erwachsenden negativen Charaktereigenschaften der Juden, trat er später im "Deutschen Museum" einmal sogar mit judenfeindlichen Äußerungen hervor. In seinen "Nachrichten über die Kurpfalz" hieß es: "Gewiß darf also FrankenthaI einem noch immer blühendem Wohlstand entgegen sehn, immer grössere Erweitrung seiner Fabriken und seines Handels hoffen, besonders da es auch so glücklich ist, bis izt nur erst eine Judenfamilie zu besizen; ein Mangel, dessen Erhaltung ilrrn wahrscheinlich immer vorteilhaft seyn wird." (Deutsches Museum 1778, I, S.118). 110
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den schon länger gefaßten Plan um, den Lebensbedingungen der Juden in Deutschland eine eigene Schrift zu widmen. "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden" wurde zu einem viel beachteten und diskutierten Plädoyer für die Integration und weitgehende bürgerliche Gleichstellung der aus dem staatlichen Untertanenverband ausgeschlossenen Juden. Dohms Forderungen nach gleichen Bürgerrechten und -pflichten für Juden, nach Erwerbsfreiheit, freier Berufswahl und freier Religionsausübung waren ein breitgefacherter Vorstoß in Richtung auf die Emanzipation der Juden, die in Preußen weit entfernt von ihrer Umsetzung, weder von Friedrich 11. gewünscht, noch bisher ausführlich in der Öffentlichkeit diskutiert war. 113 Mit dem sogenannten "Revidierten General-Privilegium und Reglement vor die Judenschaft im Königreich Preußen"1l4 hatte Friedrich 11. 1750 die Freiheiten der Juden in Fortsetzung der Regelungen des 1730 von seinem Vater verabschiedeten Generalprivilegs nochmals weitergehend beschnitten. Seit 1671 50 jüdischen Familien der Zuzug nach Brandenburg erlaubt worden war 1l5 , verfolgten die preußischen Könige durchgängig unter vornehmlich fiskalischen Nützlichkeitserwägungen eine Politik, deren Ziel eine Kombination von weitgehender Beschränkung der Anzahl jüdischer Familien mit deren gleichzeitig ständig wachsender Abgabenlast sein sollte. Im Gegensatz zu anderen Minderheiten (etwa den Hugenotten) war die Integration der Juden in das gesellschaftliche Leben Preußens nicht erwünscht. Als einzige Zuwanderungsgruppe wurden die Juden von zahlreichen Erwerbsmöglichkeiten ausgeschlossen: Arbeit in der Landwirtschaft und im Handwerk etwa waren ihnen gänzlich untersagt. Nach einem Sechs-Klassen-System hatte Friedrich 11. darüber hinaus die Verteilung von Privilegien an den Besitz der Juden gebunden, nur die Reichsten wurden sogenannte "Schutzjuden", die ein persönliches Privileg erhielten, das sie und ihre Kinder niederlassungsberechtigt machte. Erst ab der Mitte des 18. Jahrhunderts begann der gesellschaftliche Kontakt und intellektuelle Austausch zwischen Juden und Christen, der aber nur geringe Teile der Bevölkerung - die Gebildeten - erfaßte. Von jüdischer Seite traten vor allem diejenigen Intellektuellen in den Diskurs ein, deren Wunsch nach Emanzipation unmittelbar mit dem Streben nach Assimilation verknüpft war. Die Forderung nach klarer Trennung von Staat und Religion und die damit verbundene Vorstellung einer in den rein privaten Bereich zu stellenden Religionsausübung verfocht vor allem Moses Mendelssohn, der zu einem der Protagonisten der Auseinandersetzungen avancierte. Mendelssohns Bestreben zielte auf gleichzeitige Erziehung der Juden zu deut113 Zur Situation der Juden in Preußen vgl.: Jersch-Wenzel, Minderheiten in der preußischen Gesellschaft, S.486-506, vor allem S.491-493; Stern, Der preußische Staat und die Juden; von RönnelSimon, Verhältnisse der Juden; Baumgart, Absoluter Staat und Judenemanzipation; Duchhardt, Juden. Allgemein zur Situation der Juden in Deutschland im 18. Jahrhundert: Judentum im Zeitalter der Aufklärung (Wolffenbütteler Studien zur Aufklärung, IV); Allerhand, Judentum; Rürup, ,,Judenfrage"; Rürup, Judenemanzipation. 114 Abgedruckt bei von RönnelSimon, Verhältnisse der Juden, S. 240-264. 115 Das Niederlassungsedikt ist abgedruckt bei Stern, Der preußische Staat und die Juden, 1, 2. Abt.: Akten, S. 13-16.
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scher Kultur und zu traditioneller Vennittlung jüdischer Glaubensinhalte sowie zum Unterricht in hebräischer Sprache. Diesen Gedanken einer unter Beibehaltung der jüdischen Identität "im Privaten" notwendigen gesellschaftlichen Assimilation der Juden als Voraussetzung ihrer Integration stellte auch Dohm in den Mittelpunkt seiner Schrift. 116 Dohms Verdienst war neben einem ambitionierten Angriff auf die preußische Politik gegenüber der jüdischen Bevölkerung, die er als "Ueberbleibsel der unpolitischen und unmenschlichen Vorurtheile der finstersten Jahrhunderte" und "unsern Zeiten" "unwürdig" bezeichnete 117, daß er mit der erstmaligen umfassenden Erörterung der Lebenssituation deutscher Juden einen gesellschaftlichen Mißstand aufwies und zur öffentlichen Diskussion stellte. 118 Ausgangspunkt der Dohmschen Überlegungen ist der sowohl allgemein kameralistischen als auch spezifisch preußischen Grundsätzen folgende staatsutilitaristische Ansatz der wirtschaftlichen Nützlichkeit der Juden. In Anlehnung an Friedrichs 11. innenpolitische Vorstellung einer auf größtmöglicher Peuplierung basierenden "industrie" als Grundlage der preußischen Stärke 119 plädiert Dohm für die (wirtschaftspolitische) Integration aller bereits im Lande lebenden Einwohner. Diese Forderung umfaßt eben auch die Juden, die, wiewohl doch ihre Religion, so betont Dohm, in keinster Weise "ungesellige Grundsätze" enthalte 120, in völliger Rechtlosigkeit an den Rand der bürgerlichen Gesellschaft gedrängt waren. Ihre Ausschließung erfahre eine Begründung, so Dohm, landläufig in dem Verweis auf ihren vermeintlich verderbten Charakter, der aber doch, das hebt Dohm ausdrücklich hervor, nicht "jüdischer Nationalcharakter" sei, sondern das Ergebnis der drückenden Lage. 121 "Wir sind der Vergehungen schuldig", resultiert er. 122 Die mit der Kritik verbundenen Änderungs- und Verbesserungsvorschläge enthalten im Kern die Forderung, die allgemein menschliche Eigenschaft moralischer Verbesserungsfahigkeit durch umfangreiche staatliche Erziehungsrnaßnahmen der Juden und Christen zu befördern und damit einen wichtigen Grundstein zur bürger116 Zum Inhalt und zur Rezeption der Schrift vgl. Dambacher, Dohm, S. 168-203; Risse, Dohm, S. 40-83. 117 Dohm, Juden, 1, Vorerinnerung, S.3. 118 Vgl. Dohm, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, Anhang von Reuß, Dohms Schrift "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden", S. 98. 119 Klueting, Macht der Staaten, S. 156 ff. Unter "industrie" verstand Friedrich 11. danach die "Betriebsamkeit in allen Produktionsbereichen". Im Politischen Testament von 1763 und im Antimacchiavell ist die Rede von "Citoyens industrieux" , die die Grundlage der Staatsstärke darstellen (Klueting, S. 157). In einem Brief an d' Alembert schrieb Friedrich am 25. November 1769: "Was bedeuten einige aufgeklärte Professoren, einige weise Akademiker im Vergleich zu der ungeheuren Volkszahl eines großen Staates? Die Stimme dieser Lehrer wird wenig gehört und erstreckt sich nicht über eine begrenzte Sphäre hinaus." (Friedrich der Grosse, Ausstellungskatalog von Benninghoven, u. a., S. 302). 120 Dohm, Juden, 1, S.15. 121 Dohm, Juden, 1, S. 105. 122 Dohm, Juden, 1, S.40.
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A. Dispositionen des politischen Erlebens und Handeins
lichen Emanzipation aller zu legen. 123 Dohms ,Neun-Punkte-Programm' zur Verbesserung der Lebenssituation der Juden umfaßt Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung 124, Erwerbsfreiheit 125, Zulassung zu Ackerbau 126, Handel 127 , Kunst und Wissenschaft 128, freier Religionsausübung 129 und der Heranziehung jüdischer Männer zum Kriegsdienst l3o • Mit diesen Forderungen überschreitet Dohm seine rein merkantilistischen Kategorien folgende, die Dimension der wirtschaftlichen Effizienz des Staatsvolkes in den Mittelpunkt rückende Ausgangsargumentation, indem er mit seinem humanitären Anspruch zugleich den Appell für die Einführung und Einhaltung individueller Freiheits- und Menschemechte verbindet. Da er zugleich mit einer Widmung an die ,,Regierenden" "unsrer Staaten", die der Schrift vorangestellt war l3l , deutlich macht, daß seinen Forderungen eine Noch-Nichtanerkennung dieser Rechte durch die Regierungen der deutschen Staaten zugrunde liegt, ist seine Schrift auch eine Anklage gegen seinen Dienstherrn: In einem privaten Brief an Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819) bekannte Dohm sich ausdrücklich dazu, daß er zwar "den preußischen Staat mit keinem Worte genannt", "das Gemälde der Schinderey dieser Nation" aber "von unsenn Original (aus unserem Juden-Reglement) copirt" habe. 132 Mit seiner gleichennaßen kritischen wie staatsnahen Haltung verkörpert Dohm den typischen Charakter des deutschen Aufklärers: Zwar kündigt er mit der Veröffentlichung erkannter und im Innemaum der geheimen Gesellschaft diskutierter Mißstände die unterwürfige Loyalität zum Dienstherrn auf, die aufgestellten Forderungen aber zielen vorrangig auf eine allmähliche und gemäßigte Refonnierung der bestehenden Verhältnisse. 133 Als Reaktion auf den von seinem Kritiker Heinrich Friedrich Diez (1751-1817) gemachten Vorwurf zu großer Zurückhaltung fonnulierte er sein Selbstverständnis als Schriftsteller: Ich gestehe, daß diese Zurückhaltung bey mir allerdings Grundsatz ist, nach welchem ich glaube, daß ein Schriftsteller freylich nicht Alles, was er weiß, sondern jedesmal nur das sagen muß, was er zu einem bestimmten Zweck nützlich und wichtig hält. 134 123 Zur Bildung der Juden: Dohm, Juden, I, S.128ff. Zur Bildung der Christen: Dohm, Juden, I, S. 131. Vgl. dazu allgemeiner auch Kapitel A. III. in dieser Arbeit. 124 Dohm, Juden, I, S. 118. 125 Dohm, Juden, 1, S.119f. 126 Dohm, Juden, I, S. 122. 127 Dohm, Juden, I, S. 125. 128 Dohm, Juden, I, S. 126. 129 Dohm, Juden, I, S.123. 130 Dohm, Juden, I, S. 155. 131 Dohm, Juden, I, Vorerinnerung, S. 6. 132 Dohm an Jacobi, Berlin 18. Dezember 1781. Briefwechsel Jacobis, hg. von Bachmaier, S.391. 133 Die für die deutsche Aufklärung typische Staatsnähe ihrer Protagonisten heben u. a. hervor: Frevert, "Tatenarm und gedankenvoll", S. 285 ff.; Bödeker, Prozesse und Strukturen, S.14-18. 134 Dohm, Juden, 2 (Nacherinnerungen zu der Einleitung), S.349f.
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Mit dem Eingeständnis seiner ,Selbstzensur' bekennt Dohm sich hier nicht nur zur Erkenntnis seiner politischen und sozialen Verantwortung als Schriftsteller und Aufklärer, sondern auch - im Kantschen Sprachduktus formuliert - zu einem im Bewußtsein seines "bürgerlichen Postens" gemachten ,,Privatgebrauch seiner Vernunft" 135, der seine Position eines Gelehrten hinter die des Staatsdieners stellt. Mit diesem Bekenntnis zur Priorität der staatlichen Ansprüche relativiert sich die Kritik an der friderizianischen Politik, die ihren Ursprung in der doppelten Erkenntnis einer Begrenztheit der eigenen Handlungsmöglichkeiten hatte: Nur der Staatsdiener, nicht der Schriftsteller kann handeln, muß dieses Handeln aber auch wieder den gegebenen Machtverhältnissen anpassen. 136 Trotz oder gerade wegen des Umfangs und der Reichweite seiner Forderungen vertritt Dohm die Auffassung, daß zur unbedingt vor die "sittliche und religiöse Verbesserung" der Juden zu tretende "bürgerliche Verbesserung" 137, d. h. die Verbesserung ihrer politisch-sozialen Situation, wenn es die Umstände verlangten, auch staatliche Zwangsmaßnahmen eingeführt werden müssen. 138 Radikale Umbrüche dürfen allerdings niemals stattfinden 139: Zwar sollen Juden staatliche Bildungseinrichtungen besuchen, der Zutritt zu öffentlichen Ämtern aber solle ihnen noch längere Zeit ebenso verwehrt bleiben 140 wie den jüdischen Handwerkern der Zutritt in die Zünfte. Im letzten Fall müsse die Möglichkeit geschaffen werden, freies Gewerbe ohne Mitgliedschaft in einer Zunft auszuüben. 141 Daß der Allgemeingültigkeit seiner Forderungen zugleich die verengte Perspektive eines konkreten Bezugsrahmens zugewiesen werden mußte, um die Forderun135 Kant, Was ist Aufklärung?, S.485: ,Jch verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauch seiner eigenen Vernunft denjenigen, den man als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht. Den Privatgebrauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten, oder Amte, von seiner Vernunft machen darf." Vgl. zur "Sprachpolitik" Kants auch: Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis, S.101-105. 136 Dazu gehörte auch die Rücksichtnahme auf die Zensur. Dohm fürchtete, in Berlin könnten die politischen Anschauungen das Mißfallen der dortigen Zensur erregen. Überlegungen, aus diesem Grunde Sachsen als Druckort zu wählen, verwarf er allerdings auch wieder, weil er glaubte, daß er dort auf eine strenge Kontrolle im Hinblick auf die religiösen Inhalte seiner Schrift stoßen würde (Brief Dohms an Nicolai vom 11. Mai 1781. Vgl. dazu Dambacher, Dohm, S.175f.). 137 Dohm, Juden, 2, S.214. 138 Dohm, Juden, 2, S. 295-296. Als eine mögliche Zwangsmaßnahme nennt Dohm das Verbot des Kleinhandels auf dem Lande, das dem Ziel dienen könnte, die Juden zur Ergreifung eines Handwerksberuf zu bewegen (S. 296). Grundätzlich wehrt er sich aber gegen diese Art von Steuerung: ,,Freylich halte ich überhaupt für das Beste, die Menschen in ihren Beschäftigungen und in der Besorgung ihres Glücks meistens sich selbst zu überlassen und die natürlichen Rechte so frey und unbeschränkt, als nur irgend möglich ist, zu erhalten. Auch zu große Freyheit kann selten schaden, zu wenige schadet gewiß." (S. 294-295). 139 Dohm, Juden, 1, S. 162. 140 Dohm, Juden, 1, S.126f. 141 Dohm, Juden, 1, S.120f.; Teil 2, S. 271 ff.
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gen handelnd zur Umsetzung bringen zu können, verdeutlichte Dohm in einem Privatbrief an Friedrich Heinrich Jacobi: Auch dünkt mich, meine Erwähnung des Kaisers beweißt meine weltbürgerlichen Gesinnungen, die aber, dünkt mich, doch mit mehrerem Interesse für das Land, in dem man lebt, mit deutlicherer Empfindung und etwas Vorurtheil für die Vorzüge desselben, bestehen können und, wenn wir handeln wollen, bestehen müssen. 142
Unmittelbare politische Folgen zog die Schrift nicht nach sich. Dohm erwälmte in seiner Nachschrift zum ersten Teil das sogenannte Toleranzedikt Josephs 11. 143 , das zeitgleich mit der Entstehung seiner Schrift erlassen worden war. Da er dessen Inhalt aber nur vom Hörensagen kannte, blieb seine Erwälmung lobend, aber kurz. 144 Friedrich 11. reagierte, indem er Dohm eine "seine Absichten lobende, gütige Antwort" erteilte, ansonsten aber an dem eingeschlagenen Weg im staatlichen Umgang mit Juden in Preußen weiter festhie1t. ,,Ein Mehreres war nicht zu erwarten", kommentierte Dohm dieses Verhalten rückschauend in seinen "Denkwürdigkeiten", "denn Friedrich war in seinen Regierungsmaximen zu fest, als daß er durch eine deutsche Schrift eines noch jungen Schriftstellers zum nochmaligen Durchdenken derselben hätte bewogen werden können."145 In Dohms schriftstellerischem Schaffen nahm die ,Judenschrift' einen zentralen Platz ein. Nicht nur wurde sie so intensiv rezipiert, daß eine zweite Auflage 1783 gedruckt werden konnte, auch die Reaktionen waren derart vielfältig - zahlreiche Broschüren zum Thema wurden in der Folge in Deutschland produziert 146 -, daß Dohm einen zweiten Teil der Schrift als Antwort auf seine Rezensenten anfertigte. 147 Be142 Dohm an Friedrich Heinrich Jacobi, 18. Dezember 1781. Briefwechsel lacobis, 2, hg. von Bachmaier, S. 391. 143 Dohm, Juden, 1, S.152-154. 144 In Preußen entschärfte sich die Situation der Juden ein wenig unter Friedrich Wilhelm 11., der 1791 einige entwürdigende Dekrete abschaffte. Erst am 11. März 1812 wurde durch Initiative Karl August von Hardenbergs das ,,Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate" erlassen, das die Ansässigkeit und den Erwerb des Bürgerrechts erlaubte, die Ausschließung von Juden aus dem Staatsdienst aber beibehielt und für den Heeresdienst den Juden Beschränkungen auferlegte. 145 Dohm, Denkwürdigkeiten, 4, S. 484. 146 Vgl.: Geiger, Geschichte der Juden, 1, S.301. 147 Die Kritik des Göttinger Theologen Johann David Michaelis druckte Dohm vollständig im zweiten Teil seiner Schrift ab (S. 31-71). In den "Göttinger Gelehrten Anzeigen" kritisierte der Göttinger Philosophieprofessor Michael Hißmann (1752-1784) Dohms Überlegungen (,,zugabe zu den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen", Jg. 1781, Bd.I, 48. Stück, S. 753-763. Vgl. dazu Dambacher, Dohm, S. 199, Anm.4). Im "Mindenschen Intelligenzblatt" erschien die Rezension des Predigers Schwager, die Dohm ebenfalls im zweiten Teil vorführte (S. 89-111), Klockenbringk kommentierte die Schrift in der von Friedrich Nicolai herausgegebenen ,,Allgemeinen Deutschen Bibliothek" (Jg. 1782, Bd.50, 1. Stück, S. 301-311). Fr. T. Hartmann griff Dohm mit seiner Schrift "Untersuchung, ob die bürgerliche Freiheit den Juden zu gestatten sei" (1783) vehement an (vgl. Dambacher, S. 201, Anm. 3,4). Den Inhalt zahlreicher Briefe, die sein Werk rezensierten, druckte Dohm ebenfalls im zweiten Teil seiner Schrift ab (S.112-150). Lob und Zustimmung erhielt er vom Orientalisten Heinrich Friedrich Diez, des-
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reits 1782 war eine französische Übersetzung erschienen. 148 Daß Dohm sich in Zukunft arn Inhalt vor allem dieser Schrift würde messen lassen müssen, wog um so schwerer, als er, wie er selbst betonte 149 und auch seine Kritiker lobend erwähnten 150, hier alle Bereiche staatlichen Lebens und aufgeklärten Denkens aufgegriffen und seiner Betrachtung und persönlichen Kommentierung unterzogen hatte. 151
III. Publizistische Entfaltung der Ideen vom Staat 1. Die Definition der Staatszwecke 152 Zu Dohms durchgängig akzentuierten staatstheoretischen Grundsätzen gehörte die Festlegung der Sicherheit, d. h. bei ihm Rechtssicherheit und Systemstabilität, als oberstem Endzweck des Staates. Von ihr ausgehend entwickelte Dohm weitere Überlegungen, die sich auf die Ziele einer gemeinschaftlichen Vereinigung zum Staat, wie etwa "Wohlfahrt" und "Glückseligkeit", als auch auf die bestmögliche äußere Form des Staats und die Erziehung des Staatsvolks bezogen. sen Forderungen in seiner Schrift "Über Juden" (1783) sogar noch über Dohm hinausgingen, indem sie die von diesem gemachten Einschränkungen, etwa bezüglich des zeitlichen Rahmens für die Verbesserung der Lebenssituation der Juden, aufzuheben wünschten (Dambacher, Dohm, S. 198-203, geht ausführlich auf die Inhalte der verschiedenen Rezensionen ein). 148 Vg1. Möller, Aufklärung, Judenemanzipation und Staat, S.147. Mirabeau setzte sich für die Verbreitung der Ideen zur Judenemanzipation in Frankreich ein. Er schrieb 1786 seine Abhandlung "Über Moses Mendelssohn und die bürgerliche Besserstellung der Juden", deren zweiter Teil die Überschrift "Über die bürgerliche Besserstellung der Juden" trug. Mirabeau hatte Dohm durch Hertzberg kennengelernt und sich in persönlichen Gesprächen mit ihm über die ,Judenfrage' ausgetauscht (Vg1. Dambacher, Dohm, S.29; Dohm, Denkwürdigkeiten, 4, S.399f.). 149 Dohm, Juden, 2, S. 151: Die Absicht seiner Schrift sei gewesen, schreibt Dohm hier, "nicht sowohl die Sache der unterdrückten Hebräer, sondern der Menschheit und der Staaten zu führen." 150 In der ,.zugabe zu den Göttingisehen Anzeigen von gelehrten Sachen" Jg. 1781, I. Band, 48. Stück, S.753-763, konstatierte Hißmann, Dohms Werk sei "eine wackere Schrift voll der lichtesten Blicke in das Wesen der Staatskunst, Gesetzgebung und der davon abhängenden bürgerlichen Glückseligkeit" (vg1. dazu Dohm, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, Anhang von Reuß, Dohms Schrift "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden", S.68). 151 Vg1. dazu Kapitel A.III. in dieser Arbeit. Vierhaus, Dohm, S. 154, schreibt hierzu: Die Schlagkraft der Dohmschen Argumentation "lag in ihrer utilitaristischen, rationalistischen und humanitären Zwecksetzung und in ihrer generalisierenden Form." 152 Vg1. allgemein zu Staatszielbestimmungen im 18. Jahrhundert, v. a. im Hinblick auf deren eudämonistische Ausrichtung: Scheuner, Staatszwecke. Hellmuth, Naturrechtsphilosophie und bürokratischer Wertehorizont, S.124-141, konstatiert für die Ausprägung der Staatszweckbestimmung innerhalb der preußischen Bürokratie im wesentlichen zwei Ausrichtungen. Dominant sei die eudämonistisch-utilitaristische Staatszweckbestimmung, "die insbesondere unter den Leitworten der ,Allgemeinen Wohlfahrt' und der ,Glückseligkeit' auf eine weitgefaßte obrigkeitliche Verantwortlichkeit zielte". Daneben stand die Definition von Recht und Sicherheit als Zweck der staatlichen Gemeinschaft, die einen Ansatzpunkt bildete, "von dem aus in die Richtung der Einschränkung der Staatstätigkeit argumentiert werden konnte" (S.124).
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In der 1778 veröffentlichten "Nachricht von den Veränderungen der Zunfteinrichtungen in Frankreich im Jahr 1776"153 setzt sich Dohm im Zusammenhang mit der Bewertung von Neuordnungen zunftrechtlicher Regelungen mit der Frage nach Gefahren von Verfassungsänderungen in besonders bevölkerungsreichen (und damit unüberschaubaren) Territorien auseinander. Sie führt ihn zu dem zweifachen Schluß: ,Je mehr die Sicherheit aller in Gefahr kömt, je mehr muß die Freiheit des einzelnen Bürgers eingeschränkt werden. Je mehr die menschliche Gesellschaft sich von der Natur entfernt, desto mehr müssen auch die Gesetze ihnen nachfolgen und den geradesten, natürlichen Weg verlassen."154 Mit Hilfe von Dohms Aufsatz zur Kaffeegesetzgebung im "Deutschen Museum" lassen sich beide Vorgaben spezifizieren. Das Beispiel der Kaffeeverbotspolitik dient Dohm in dem ein Jahr zuvor entstandenen Text als Folie für allgemeine Überlegungen zur Notwendigkeit stringenter Gesetzgebung. Hier konkretisiert er, da doch sowohl medizinische als auch wirtschaftspolitische Einwände gegen den Kaffeegenuß bekannt seien, und dennoch "der Geschmack über die Vernunft", "die Mode über die Geseze" gesiegt hätten 155 , so müsse notwendig "in den bisherigen politischen Verfügungen irgend ein Fehler liegen". 156 Auch wenn - im konkreten Fall- vor allem aus staatsökonomischen Gesichtspunkten ein Kaffeeverbot unerläßlich sei, dürfe der Staat doch niemals Gesetze erlassen, die den Anschein von Willkür hätten, sondern müsse dafür sorgen, daß sich beim Untertan über die Einsicht in die Notwendigkeit bestimmter Verordnungen auch deren Befolgung einstelle. Eine weise Regierung muß sich soviel möglich hüten, Geseze zu geben, die auch nur einen Schein von bloß willkührlichen Verfügungen haben. Der Unterthan denkt bey ihnen, wenn er es auch nicht sagen darf, daß die Regierung einen Eingriff in seine Rechte thue, und er hält sich nicht moralisch verbunden ihr zu gehorchen. 157
Olme explizit zu sein, projiziert Dohm ein von den Untertanen ausgehendes Gefahrdungspotential für den Staat, das seinen Ausgangspunkt allerdings - und das ist das Entscheidende - in mangelhafter Transparenz und Stringenz der Regierungshandlungen hat. Stabilität und Sicherheit für den Staat leiten sich für Dohm vor allem aus einer "ununterbrochenen Aufmerksamkeit und Gleichheit der Regierung" ab 158, die zugleich eine Form von intellektueller Verbindung zwischen Regierenden und Regierten herstellt und damit konstitutiver Bestandteil eines aufgeklärten Staatswesens ist. Wenn der Beobachter "die Einheit des Plans und Absicht in den Gesezen" finden könne, "so gehorcht er willig, weil es ihm gefallt, als ein vernünftiges Wesen behandelt zu werden." Aufklärung wird damit zum entscheidenden Stabilitätsfaktor des Staates erklärt. 159 153 Ebenfalls Dohm, Materialien für die Statistick, 2. Lieferung 1779, S. 32-51. Dohm, Zunfteinrichtungen, S.426. Dohm, Kaffeegesezgebung, S. 124. 156 Dohm, Kaffeegesezgebung, S.124. 157 Dohm, Kaffeegesezgebung, S. 125. 158 Dohm, Kaffeegesezgebung, S. 143. 154 155
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In herausragender Weise sieht Dohm diese Zusammenhänge in England verwirklicht, dort gelte: "die Stimmen aus allen Ständen werden gehört, das Interesse aller Klassen der Bürger, aller Theile des Reichs wird gegeneinander gewogen."I60 Daher findet man auch in keinem Lande der Welt mehr politische Aufklärung, als in England. Nirgend sind alle Bürger, die nicht zum Pöbel gehören, mehr von dem wahren Interesse ihres Vaterlandes unterrichtet, mehr vertraut und einstimmig mit den Grundsäzen der Gesezgebung, - als in dem glücklichen Vaterlande der edelsten Freyheit. 161
Der impliziten Heraushebung der Republik als derjenigen Staatsform, in der die Aufklärung am deutlichsten eine praktische und zugleich staatsstabilisierende Umsetzung findet, stellt Dohm in seinem ,Bewertungssystem' für die monarchischen Staaten lediglich den preußischen an die Seite. Das Funktionieren des Staatswesens und die Orientierung auf die Erreichung des Endzwecks staatlicher Sicherheit wird hier ausschließlich fixiert auf die herausragende Persönlichkeit des Regenten, dessen politische Führungsqualitäten zum Dreh- und Angelpunkt des staatlichen Gefüges erklärt werden. Nie könne er an Friedrich 11. ohne tiefe Bewunderung für dessen Größe ,,nur als Regent und Gesezgeber" denken, betont Dohm. 162 In sieben und dreyssig Jahren geht durch seine [Friedrichs II.] Gesetze immer Ein Plan, Ein Gedanke. Seine Regierung ist, (wenn ich mich so ausdrücken darf) ganz aus Einem Stück. Man schlage die Verordnungen von 1740 und von 1770 auf, und man wird sie immer von Einem Geist belebt finden. 163
Der aus dem Aufsatz zu den französischen Zunfteinrichtungen zitierte Satz, für den Fall der GeHihrdung der Sicherheit aller die Freiheit des einzelnen Bürgers einschränken zu müssen, projiziert die Unterordnung individueller Interessen unter ein auf das gemeinsame Sicherheitsbedürfnis aller abzielendes Zweckmäßigkeitspostulat. Dohm will diesem in seinen Ausführungen zur Kaffeegesetzgebung gegebenenfalls mit Strenge in der Exekutive nachgeholfen wissen 164: "Neben der Gleichheit in der gesezgebenden Gewalt", schreibt er hier, "ist die äusserste Strenge in der ausübenden das nothwendigste Erforderniß, wenn ein Staat von seinen politischen Einrichtungen gute Folgen wünscht". 165 Auch hier zielt die Argumentation auf eine 159 Möller, Wie aufgeklärt war Preußen?, S.191, betont in diesem Zusammenhang die stabilisierende und revolutionspräventive Wirkung der Persönlichkeit Friedrichs II. auf das preußische Staatswesen. 160 Dohm, Kaffeegesezgebung, S. 143. 161 Dohm, Kaffeegesezgebung, S. 143-144. 162 Dohm, Kaffeegesezgebung, S.I44. Vgl. dazu auch Kapitel A.IV.2. in dieser Arbeit. 163 Dohm, Kaffeegesezgebung, S. 144. 164 Vgl. Wessei, Zweckmäßigkeit, S. 136 (WesseI beschreibt hier, daß "Wohlfahrt" als Staatsziel die Ausweitung der polizeylichen Tätigkeit forderte.). Garber, Politisch-soziale Partizipationstheorien, S.25, weist darauf hin, daß mit der "Absorbierung der Sicherheits- und Wohlfahrtsverptlichtungen" der Staat individuelle und korporative Freiheitsrechte aufsog. 165 Dohm, Kaffeegesezgebung, S. 144. V gl. auch Reith, Die Policey, S. 634: In Preußen war im konkreten Bezugsfall "das merkantilistisch motivierte Kaffeeverbot [... ] als wohlfahrtspoliceyliche Maßnahme" ausgegeben. Generell zur Kaffeeverbotspolitik und seiner Motive vgl. Albrecht, Kaffeetrinken.
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Herausstellung der Notwendigkeit kontinuierlicher und stringenter Staatspolitik: "Was aber kann wohl aus dem schönsten Reiche Europens mit allen herrlichen Vortheilen seiner Lage, seiner Produkte und Industrie werden, so lang in demselben noch immer die Abdankung eines Ministers auch die Abdankung eines politischen Systems zur Folge hat." 166 Der wirtschaftsutilitaristische Ausgangspunkt seiner am Beginn der ,Judenschrift' aufgeworfenen Fragestellung nach Möglichkeiten der Emanzipation der Juden erweitert die Staatsziel-Terminologie um die allgemein anerkannte Vorgabe der öffentlichen "Wohlfahrt" als Zweck der staatlichen Vereinigung. 167 Seiner Argumentation entsprechend definiert Dohm sie als wirtschaftliche Wohlfahrt. Ihre Erfüllung sieht er - in Anlehnung an die von den Regierungen der europäischen Staaten akzeptierten populationistischen Richtung der kameralistischen Lehre - im Streben nach größtmöglicher Peuplierung der Territorien. Zwar macht Dohm Einschränkungen für die Allgemeingültigkeit dieser auf das rein Materielle gerichteten Theorie in dem Sinne, daß nicht planlose Besiedelung bestimmter Territorien mit möglichst vielen Menschen anzustreben sei, sondern daß Größe und geographische Lage des Staates und die Qualität des Bodens bei allen Überlegungen zur Ansiedlung neuer Bewohner mit einzubeziehen seien. Das stellt aber nicht grundsätzlich seine Sicht in Frage, das wirtschaftliche Florieren des Gemeinwesens als Staatsziel zu deklarieren. Sicherheit und Wohlfahrt sollen das gemeinsame Ziel aller Staatsglieder sein, an ihren positiven Auswirkungen alle partizipieren. Das erfordert nach Dohms Vorgaben zum einen den intellektuellen Aufwand und das sich an vernünftigen Vorgaben orientierende, transparente und konsequente Handeln der Regierungen, zum anderen aber auch die Unterordnung der Untertanen unter dieses herrscherliehe Handeln. 168 Die in ihrem Ausgangspunkt an den Grundsätzen der kameralistischen Wissenschaft orientierte Fürstenperspektive fordert auf diese Weise zugleich die Übernahme gemeinschaftlicher Verantwortung für das Staatswesen. Deutlich stellt Dohm diese Verantwortung aller Staatsglieder im Feld der Außenpolitik im Sinne einer allgemeinen Zuständigkeit für die Sicherung der pax externa heraus: "die Erhaltung der gemeinen Sicherheit gegen fremde Gewalt ist der erste und Hauptzweck jeder politischen Vereinigung, wer von jenem sich loßsagt, kann zu dieser nicht gehören". 169 Mit der Einführung eines - neben Sicherheit und Wohlfahrt stehenden - dritten Staatsendzwecks, der "Glückseligkeit", geht Dohm in der Judenschrift über die früDohm, Kaffeegesezgebung, S.I44. Zum Begriff der Wohlfahrt als Staatszweck vgl. allgemein: Wessei, Zweckmäßigkeit, S. 135-149, zum engen Zusammenhang zwischen Sicherheit und Wohlfahrt speziell: S.136-137. 168 Dabei gilt für Dohm wie für alle anderen Aufklärer, daß nie der Gedanke formuliert wurde, der Regent habe die Kompetenz, den Staatszweck zu bestimmen. Dieser war vielmehr in den Staatstheorien der Aufklärung apriori vorhanden. Vgl dazu Wessei, Zweckmäßigkeit, S.139. 169 Dohm, Juden, 2, S.223. 166
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heren Äußerungen im "Deutschen Museum" hinaus: ,,zu den natürlichen Rechten des Menschen, die er sich auch als Bürger vorbehält", gehöre besonders, "die Freyheit [... ], die Glückseligkeit eines anderen Lebens auf dem, nach seiner Meynung sichersten Wege zu machen". "Die Verschiedenheit der Grundsätze und die Trennung nach derselben ist eine natürliche und unvermeidliche Folge dieser Freiheit" und "durchaus nicht nachtheilig für den Staat". 170 Denn: Die verschiedensten Grundsätze über die Glückseligkeit jenes Lebens hindern die Einheit der Gesinnungen über die Pflichten dieses gegen den Staat, und die Ausübung derselben nicht. Der Genuß der Freyheit in Absicht jener, nur eignen Einsichten folgen zu dürfen, macht den Bürgern den Staat, der ihn gestattet, noch lieber. 171 In zweifacher Weise kommt hier Dohrns Affinität zum Denken Christian Wolffs zum Ausdruck: Zum einen in der vorgenommenen Gliederung der Staatszwecke in ein sich an individuellen Hoffnungen und Aufgaben orientierendes, die Freiheit des einzelnen Bürgers erfüllendes Glückseligkeitsstreben und eine den Regenten zugewiesene Verpflichtung zur staatlichen Wohlfahrt, zum anderen durch die Annahme eines natürlichen menschlichen Strebens nach Vervollkommnung, die erst im sozialen Verbund - durch die Hilfe anderer - erreicht werden kann. 172 Mit der erstgenannten Begründung des Staatszwecks im Individuum aber liefert Dohrn zugleich die Plattform für die Möglichkeit einer Radikalisierung der Systemkritik am absolutistischen Staat: Mit ihr ging implizit einher die Projektion von durch die Natur vorgegebenen Menschenrechten wie etwa der Freiheit der Person und des Eigentums, der Religion und der Meinungsäußerung, ja, des Denkens überhaupt sowie die Forderung nach deren Sicherstellung durch den Staat - Vorgaben, die vor allem in den Schriften Voltaires dargelegt worden waren und im endlich postulierten Wunsch nach Volkssouveränität ihre Zuspitzung gefunden hatten. 173 Die individuelle Freiheit zur persönlichen Vervollkommnung widerspricht in Dohrns Auffassung nicht den Verpflichtungen des einzelnen gegenüber dem Gemeinwesen, die vor allem in dessen Verteidigung gegen Angriffe, "die seiner Erhaltung drohn", bestehen soll. Diese sei eine "der ersten Pflichten jedes Gliedes der bürgerlichen Gesellschaft". 174 Es ist für Dohrn schließlich gerade das größtmögliche Maß der persönlichen Freiheit, das die Bereitschaft zum patriotischen Engagement fördert. Besonders deutlich wird das auch in den privaten Äußerungen in der Berliner Mittwochsgesellschaft, die weitgehend unbeschränkte individuelle Freiheiten Dohm, Juden, 1, S.25. Dohm, Juden, 1, S.92. 172 Vgl. dazu Christian Wolffs "Grundsätze des Natur-und Vö1ckerrechts", §§ 36,44,133, in
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denen aus der menschlichen Natur selbst in fortlaufendem Zusammenhang alle Pflichten und Rechte abgeleitet werden. Wolff führt hier aus, daß der Mensch sich von Natur aus dazu gedrängt finde, sich selbst zu vervollkommnen (§ 36), daß er dazu aber der Hilfe anderer bedürfe, zu deren Vervollkommnung er umgekehrt wieder, ohne dabei seine eigenen Pflichten zu vergessen, beizutragen habe (§§ 44, 133) (Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 143 ff.). 173 Vgl. dazu etwa Kunisch, Absolutismus, S. 175. 174 Dohm, Juden, 1, S.29.
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forderten und dem Staat auch die moralische Lenkung und den Zugriff auf das individuelle Glück der Untertanen entzogen. 175 2. Die Rolle der Erziehung, der Stände, des Eigentums Den Regierungen weist Dohm die Aufgabe zu, die verschiedenen individuellen Ausprägungen und Interessen der Untertanen zum harmonischen Ganzen zu vereinen, ohne eine Unterdrückung einzelner gesellschaftlicher Gruppen vorzunehmen. Das "grosse und edle Geschäft", das diese Stiftung einer Verbindung aller dieser Gruppen darstelle, habe dann sein Ziel erreicht, wenn "der Edelmann, der Bauer, der Gelehrte, der Handwerker, der Christ und der Jude noch mehr als alles dieses Bürger ist". 176 Da alles Engagement des Bürgers für den Staat vorrangig auf der Einsicht in dessen Ordnungen und Gesetze und die Handlungen der Regierung beruhe, fordert Dohm schließlich nicht nur, wie beschrieben, das transparente Handeln der Regierungen, sondern auch die Förderung der "allgemeine[n] Aufklärung der Nation und ihre[r] von der Religion unabhängige[n] Sittlichkeit, und die Verfeinerung ihrer Empfindungen" durch die Regierung. 177 Dabei sei es von guten Folgen, "wenn die Regierung von Zeit zu Zeit das Volk nicht sowohl im Ton eines befehlenden Gesezgebers als des belehrenden Vaters" unterrichte. In den Dienst dieser Unterrichtungen will Dohm sowohl schriftliche Medien, wie Kalender und öffentliche Blätter, stellen, als auch Geistliche, die "diese Ermahnungen der Gesezgebung mit Theilnehmung bekannt machen" sollen. 178 Die Umsetzung dieser Vorgaben zielt bei Dohm primär auf eine Bildung des Menschen als Bürger ab, die sittlich-moralische Verbesserung des Untertanen als Mensch war in diesem Konstrukt eher die (positive) Begleiterscheinung. Alle Vorgaben, die Dohm seinen Erziehungsvorstellungen zugrunde legt, sind in diesen Rahmen eingebunden und - wiewohl unterschiedlich formuliert oder akzentuiert - zugleich ausgerichtet auf das reibungslose Funktionieren des Staatswesens in sozialer, rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht. Dohms gedankliche Prämisse ist, daß der Staat die "Gedanken und Empfindungen des Volks zu lenken wie die Wasserbäche" 179 in der Lage sei und dies auch - zur Vgl. dazu ebenso Dohm, Juden, 2, S.294-295. Dohm, Juden, 1, S. 27. 177 Dohm, Juden, 1, S.28. Vgl. dazu auch Mendelssohn, Über die Frage: was heißt aufklären?, S. 451: "Mißbrauch der Aufklärung schwächt das moralische Gefühl, führt zu Hartsinn, Egoismus, Irreligion und Anarchie." Vierhaus, Sozialgeschichte der Gebildeten, S. 172, erklärt, eine der fundamentalen politischen Auffassungen der Aufklärung sei gewesen, "daß neben Gesetzgebung und Verwaltung die Erziehung das entscheidende Mittel des Fortschritts, der Modernisierung, der sozialen und politischen Reform sei - einer Reform, die Revolution überflüssig macht, wirksamer ist und dauerndere Folgen hat als diese." 178 Dohm, Kaffeegesezgebung, S.142-143. 179 Dohm, Kaffeegesezgebung, S.l31. 175
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Gewährleistung dieses Funktionierens - "tleissig" tun solle. Grundsätzliche Voraussetzung für das Gelingen derart pädagogischer ,Operationen' ist dabei implizit die prinzipielle Verbesserungsfahigkeit der Menschen als Menschen ISO und ihre auf der intellektuellen Möglichkeit zur Einsicht beruhende bereitwillige Unterordnung unter stringente staatliche Gesetze als Bürger. Maßgeblich ist für Dohm, daß in den äußeren Lebensbedingungen des Untertanen dessen menschliche Eigenschaften begründet liegen. "Sittliche und politische Verhältnisse"ls1, "Himmelsstrich", Nahrungsmittel, vor allem aber die jeweilige Staatsverfassung formen die Charaktere. IS2 Der Staat hat vor allem Sorge zu tragen für die Bereitstellung angemessener, ,vernünftiger' Rahmenbedingungen für die individuelle Entfaltung der Untertanen: Nur die Gleichheit der Rechte und Pflichten der Untertanen IS3 und die Gewährleistung der ,,natürlichen Rechte des Menschen, die er sich auch als Bürger vorbehält" IS4 durch den Staat trage zur Zufriedenheit der Bürger und dem daraus resultierenden Engagement für den Staat bei IS5. Zugleich demonstriere der Staat damit, wie bereits zitiert, daß er die Untertanen als vernünftige Wesen ernst nehme. Darauf zielt auch Dohms Forderung an die Regierungen, stets zu vermeiden, "das Volk seine Unterwürfigkeit und Abhängigkeit noch mehr empfinden zu lassen".IS6 Den Mangel an Patriotismus, den Dohm bei den meisten Untertanen beklagtl s7 , will er durch politischen Unterricht gezielt beheben. "Die Erzählung der Thaten der Vorfahren gibt ein Gefühl von Stolz, das dem des Adels analogisch ist"lss, propagiert er die Ausbildung eines identitäts stiftenden kollektiven Bewußtseins, das seinen Bezugspunkt nicht so sehr in der älteren Geschichte haben solle, sondern in der unmittelbaren Vergangenheit. Die "Friedrich Wilhelmen" und "Friedrichen" müssen erinnert werden und ihre Taten und die ihrer Untertanen gleichsam als Ansporn für die Lebenden dienen. Der Gleichheit im nivellierten Untertanenverband IS9 und Allgemeingültigkeit von Menschen- und Freiheitsrechten stellt Dohm sein Festhalten an der ständischen Gliederung der Gesellschaft zur Seite. Die Ständegesellschaft interpretiert er funktionalistisch, d. h. in einem politisch-ökonomischen Konzept, wonach das soziale 180 Im zweiten Teil seiner Judenschrift, S. 153, bezeichnet Dohm die Verbesserlichkeit des Menschen als die "menschlichste aller Fähigkeiten". 181 Dohm. Juden, 1, Vorerinnerung, S. 1. 182 Dohm, Juden, 1, S. 37. 183 Dohm, Juden, 1, S.29. 184 Dohm, Juden, 1, S. 24. 185 Dohm, Juden, 1, S.28. 186 Dohm, Kaffeegesezgebung, S. 131. 187 Dohm, Kaffeegesezgebung, S. 125. 188 Dohm, Nacherinnerung zu von Zedlitz, S. 108. 189 Garber, Politisch-soziale Partizipationstheorien, beschreibt den Prozeß der "Vereinheitlichung der alten Ständegesellschaft zur Untertanengesellschaft" und den ,,Prozeß der Demokratisierung dieser Untertanengesellschaft". Die Partizipation am Staat sei, so Garber, S. 24, "gleichbedeutend mit der Erfüllung des Staatszwecks durch die Untertanen, ohne daß diese eine politische oder soziale Repräsentation gegenüber dem Staat beanspruchen können."
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Gefüge nicht primär durch die Herkunft, sondern durch die im staatlichen Verbund zu erfüllende Funktion definiert ist. 190 Verknüpft wird diese Konzeption mit der Vorstellung von der Notwendigkeit einer zwar allgemeinen, dennoch am Stand orientierten Volksaufklärung, die ihre Widerspiegelung etwa in einer von Moses Mendeissohn formulierten Definition findet: Die Aufklärung, die den Menschen als Mensch interessiert, ist allgemein ohne Unterschied der Stände; die Aufklärung des Menschen als Bürger betrachtet, modifiziert sich nach Stand und Beruf 191
Dohm unterstützt dieses Festhalten an den Ständeunterschieden in seinen Ausführungen zu den vom preußischen Etats- und lustizminister Karl Abraham von Zedlitz (1731-1793) formulierten Vorstellungen zur "Volkserziehung" im "Deutschen Museum".192 Von Zedlitz' Gedanken gefallen Dohm sehr, wie er in seinen Nachbemerkungen schreibt. "Die Ordnung und Vertheilung der verschiednen Arten von Kenntnissen für die Lehrbücher der drey Klassen scheint mir vortrefflich und die beste, die gemacht werden konnte. "193 Die Erziehung der Staatsbürger soll sich für von Zedlitz nach den jeweils präjudizierten Bedürfnissen und staatlichen Funktionen der verschiedenen Stände richten: Der geringsten Klasse sei unter anderem im Unterricht als Lernstoff abzuverlangen: Pflichten gegen die Obrigkeit - unbedingter Gehorsam gegen Geseze, nicht gegen Personen. Liebe und Zutrauen gegen vorgesezte Personen - Befugnisse und Rechte - des Menschen - des Bürgers. - Sicherheit der Person und des Eigenthums - Gewissensfreyheit [... ] Zufriedenheit - Unschuld 194
Der Unterrichts stoff der mittleren Klasse soll umfassen: Beytrag zur Wohlfahrt der Menschen - Einfluß der Gewerbe, Handlung, Künste und Wissenschaften, auf die Glückseligkeit des geselligen Lebens überhaupt, des Staats insbesondere. - Vergleichung der Regierungsformen - Vorzüge der vaterländischen Regierung - Liebe zum Vaterlande, bürgerliche Ruhe und Eintracht. - Verdienst und Belohnung.
"Die Klasse der Edelen" schließlich soll als Unterrichtsthemen behandeln: Verbindung der Völker - Pflichten und Rechte des Staats gegen einander - Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung - durch Geseze und Handhabung der Gerechtigkeit - durch kluge Anwendung der Macht - Sicherheit des Staats. - Vertheidigung seiner Rechte - Befugnisse des Krieges - Pflichten des Kriegsmannes gegen Vaterland - gegen Feinde. - Aufopferung - Ehre und Nachruhm. 195
Vierhaus, Dohm, S. 153. Mendelssohn, Über die Frage: was heißt aufklären?, S.448. 192 Dohm, Nacherinnerung zu von Zedlitz. 193 Dohm, Nacherinnerung zu von Zedlitz, S.105. 194 Wessei, Zweckmäßigkeit, S. 136, verweist auf den gesellschaftlichen Stabilisationsfaktor der Aufklärung, da sie den Untertanen das Nützliche in den bestehenden Verhältnissen zu vermitteln bestrebt war. 195 Dohm, Nacherinnerung zu von Zedlitz, S.103-104. 190 191
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Dem Adel ist mit dieser Gliederung die staatstragende Rolle zugedacht, die Inhalte seiner Erziehung sind auf die Handlungsmaximen und -ziele des Herrschers ausgerichtet (etwa: ,,Ruhm")I96, während die mittlere Klasse primär zur Stabilisierung des Staatswesens durch Gemeinwohlverfolgung erzogen werden soll. Den aktiven Impuls, den diese zweite Gruppe dem Gesamtstaatsgefüge gibt, betont Dohm in seiner Nacherinnerung zu den Zedlitzschen Ausführungen, indem er die Aufgabe dieser "besoldeten Klasse", wie er sie gegenüber der "produzierenden" Klasse einerseits, dem Adel andererseits nennt, zusammenfassend charakterisiert als: "die Nazion bedienen, aufklären, bilden."197 Auf diese Weise fungiert die mittlere, die bürgerliche Klasse tatsächlich als Mittler zwischen Regenten und Adel und der Masse des ,gemeinen' Volks, indem im wesentlichen sie die staatstragende Aufgabe der Bildung und Aufklärung zu übernehmen hat. 198 Wichtig ist hier, daß die Zielrichtung der Bildungsvermittlung zwar das Volk ist, die zu vermittelnden Inhalte aber, wie bereits an anderer Stelle beschrieben, im Sinne einer gesamtstaatlichen Sicherheit am Regenten orientiert, konkreter auf den Gehorsam diesem gegenüber ausgerichtet sind. 199 Im gegebenen Kontext ist damit sowohl bei Dohm als auch bei von Zedlitz eine Hinwendung der gebildeten Bürger zum Herrscher vollzogen, deren egoistische Zielsetzung bei von Zedlitz gleich mitformuliert wird im angestrebten Ergebnis gelungener Aufgabenerfüllung: "Verdienst und Belohnung" (durch den Herrscher). Für Dohm, so erklärt dieser an anderer Stelle2OO , kann und soll diese Belohnung auch die Nobilitierung besonders verdienstvoller Bürger einschließen - eine Rangerhöhung, die allerdings nicht sogleich eine Gleichstellung mit dem Geburtsadel, dem "die höchsten Stellen nicht nur im Militair sondern auch im Civilstande" vorbehalten sein müssen 201 , nach sich ziehen soll. Als Kompensation zu dieser Bevorzugung des Adels fordert Dohm umgekehrt eine höhere Anerkennung der Staatsbediensteten als bisher "vor den übrigen Bürgern". Diese soll sich in materieller Belohnung ausdrücken, denn: "Es ist ein grosses Glück, daß Rang und äußre Ehre unter uns einen konvenzionellen Werth haben, weil man damit dem Staat geleistete Dienste bezahlen kann. Aber diese Bezahlung reicht doch allein nicht 196 Zur Anhäufung von "Ruhm" als Handlungsziel vgl. auch Kapitel A. IV. 1. und B. IV. 2. in dieser Arbeit; zum Thema: Kunisch, Absolutismus, S.42. 197 Dohm, Nacherinnerung zu von Zedlitz, S. 105. Dohm führte neben den drei genannten Gruppen (Produzierende, Besoldete, Adel) noch eine vierte, die Tauschenden, ein. 198 Meyring, Weltweisheit, S. 122, verweist in diesem Zusammenhang auf das Prinzip der Selbstreferentialität der Aufklärung: "Die Philosophen klären die Fürsten auf, damit diese, aufgeklärt, für die Aufklärung des Volkes sorgen; das so aufgeklärte Volk sorgt notwendigerweise von selbst für aufgeklärtes Verhalten des Regenten wie für weitere Volksaufklärung. Die Aufklärung treibt insofern die Aufklärung hervor." 199 Hellmuth, Naturrechtsphilosophie und bürokratischer Wertehorizont, S. 167 ff., skizziert den Patrimonialismus der preußischen Bürokratie: "Die Vorstellung vom unmündigen Untertanen ist ebenso präsent wie das Prinzip umfassender Daseinsfürsorge. " (S. 167). "Das individuelle Leben wurde unter den Primat der Loyalität gegenüber der Obrigkeit und der Arbeit an der Vervollkommnung der staatlichen Gemeinschaft gestellt." (S. 170). 200 Dohm, Kaffeegesezgebung, S.131. 201 Dohm, Kaffeegesezgebung, S. 132. 5 Wüller
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hin"202, da der Staatsdiener schließlich allem Erwerb in Handel, Manufaktur und Ackerbau entbehre. In seinem Aufsatz "Ueber das physiokratische System" kommentiert Dohm das System der Steuerfreiheit für Adel und Geistlichkeit. Nach dem physiokratischen System müsse dieses Privileg entfernt und die Bauern völlig unabhängig und frei gemacht, d. h. Leibeigenschaft und Frondienste aufgehoben "und also die ganze Natur, alle Rechte und Pflichten der Güter und ihrer Besizer völlig verändert werden". 203 An der praktischen Durchsetzbarkeit dieser Veränderungen zweifelt Dohm entschieden. Der Adel und die Geistlichkeit, so führt er aus, würden auf ihre Privilegien nicht verzichten wollen. Jeder "patriotische Bürger des Staates", der nicht zu den höheren Ständen gehöre, verstehe, "daß die so viel mögliche unabhängige Existenz, vorzügliche Rechte und Reichthümer dieser Stände notwendig sind, wenn anders die glückliche Verfassung der deutschen Länder noch so lange und so gut als möglich, erhalten werden soll." Eine "plötzliche Reformation der Verfassung", in der über Jahrhunderte Sitten, Gesetze und Religion verwurzelt seien, werde mehr böse Folgen nach sich ziehen, als man voraussehen könne, die völlige Gleichheit aller Bürger, schließlich, sei eine Chimäre und unmöglich, wenn sie nicht in einer "gleichen Unterdrückung Aller" endigen soll. Laßt uns die Berge, dünkt mich, würden die Bewohner der Thäler dem König zurufen, der sein ganzes Land eben und gleich abtragen wolte. Zwar wohnen die Bergleute höher, haben weitem Gesichtskreis, fast Aether statt unsrer Luft, es wird uns zuweilen sauer zu ihnen hinauf zu klimmen; aber sie schüzen uns vor dem Stunnwinde, der wenn lauter Ebne wäre, uns allen vielleicht unsem Ertrag [... ] wegführen möchte. 204
An den Eigentumsbegriff knüpft Dohm die politischen Rechte der Untertanen: "Land ist das sicherste und dauerndste Eigenthum", konstatiert er, "daher erscheinen dessen Besitzer vorzüglich als die wichtigsten, ersten und bleibendsten Bürger". "Alle diese machen eigentlich die bürgerliche Gesellschaft aus, nur ihnen gehört die höchste Gewalt dieser Gesellschaft, sie mögen nun die Ausübung derselben unmittelbar sich selbst vorbehalten oder sie gewissen Verwesern übertragen haben."205
Mit der Gleichsetzung von Grundeigentümern mit politisch mündigen, zur Teilnahme an der politischen Gemeinschaft aufgerufenen Bürgern stellt sich Dohm in Beziehung zu einem frühliberalen Staatsmodell, das seinen Ursprung in der physiokratischen Lehre und der englischen Moralphilosophie hatte. 206 Mit der Koppelung von privatem Eigentum mit Individualfreiheiten in der Weise, daß der Besitz von Gütern Voraussetzung persönlicher Freiheiten und diese wiederum Grundlage politiDohm, Kaffeegesezgebung, S. 132. Dohm, Physiokratisches System, S.321. 204 Dohm, Physiokratisches System, S. 323. 205 Dohm, Juden, I, S.155. 206 Vgl. zum Eigentumsbegriff: Schwab, Eigentum. Zum FTÜhliberalismus vgl.: Wilhelm, FTÜhliberalismus. Zu Dohms nationalökonomischen Anschauungen ausführlich: Dambacher, Dohm, S. 97-139. 202
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scher Freiheit darstellte, definierte sich das "liberale Eigentümerideal"207, das letztlich auch in der französischen Verfassung von 1791 durch Übertragung des Wahlrechts an Personen mit festgelegtem Steueraufkommen seinen Niederschlag fand. 208 Die schon in der Konzeption der Ständegesellschaft vorgestellten sozialkonservativen, hier erneut auftretenden restaurativen Tendenzen seines Staatsmodells, kompensiert Dohm mit der gleichzeitigen Aufstellung politischer und wirtschaftlicher Forderungen, die zugleich die Nivellierung des Untertanenverbandes vorsehen als auch den Regenten verpflichten: Als wichtigste Bürgerpflicht für alle Bürger deklariert Dohm die Achtung vor der Obrigkeit, die Forderung nach politischer Bildung bezieht sich auf alle Schichten, ebenso wie die Forderungen nach Erwerbsmöglichkeiten und Freiheit zur Vermögensbildung für alle Bürger Gültigkeit haben 209 , allgemeine Sicherung des Eigentums für Reiche und Arme gewährleistet werden solle 21O. Schließlich wird die Eigentumsbestimmung für den Regenten im Hinblick auf seine Rolle im Staat aufgekündigt: Der Regent müsse es als höchste Würde ansehen, erster Bedienter seines Staates zu sein, niemals lasse sich ein "erbliches Eigenthumsrecht, wie bey Privatbesitzungen" auf einen Staat übertragen, denn: "ein Staat kann seiner Natur und Wesen nach, nie als ein Grundstück besessen werden."211 Sollte ein Regent gegen diesen Grundsatz verstoßen, gesteht Dohm sogar dem Volk und seinen Repräsentanten das Recht zu, sich von diesem Regenten zu befreien. 212 3. Die Diskussion der Staatsformen Die erwähnte Unterordnung des gesamten Volks unter den Monarchen erfährt mit ihrer Konkretisierung zugleich eine Liberalisierung in dem Sinne, daß Dohm in diesem Kontext das Volk zum eigentlichen Staats souverän erklärt: "Alles Recht kömmt nur vom Volke"213, folgert er in Anlehnung an die naturrechtliche Vertragslehre und Schwab, Eigentum, S. 83. Das Festhalten an der ständischen Gesellschaftsordnung gehörte zu Dohms durchgängigen Postulaten, an denen er auch oder gerade nach den Revolutionserfahrungen festhielt. Noch 1796 konkretisierte er in der Schrift über Volkskalender seine Ausführungen zu diesem Thema. Er verwies auf die Natur, in der es in ,,keiner Klasse von Wesen" völlige Gleichheit gebe und betonte, daß Unterschiede zwischen Stand und Vennögen die notwendige Folge der bürgerlichen Vereinigung seien (vgl. Kapitel C. 1.1. in dieser Arbeit). 209 Dohm, Juden, 2, S.163: ,,zu dieser vollkommnen Freyheit, dünkt mich, gehört auch dieses, daß Jeder, bey dem nicht besondre Umstände eintreten, die seine Bürgerannahme wiederrathen, ein gleiches Recht habe, Landeigenthum zu erwerben." 210 Dohm, Volkskalender, bei Gronau, Dohm, Anhang V, S. 589. 211 Dohm, Juden, 2, S. 157-158. 212 Dohm, Fortsetzung der neuesten politischen Gerüchte, S.265 f. 213 Dohm, Juden, 2, S. 156. Auch schon 1777 hatte Dohm im "Teutschen Merkur" (11, Fortsetzung der neuesten politischen Gerüchte, S.259ff.) diesen Gedanken bei seinem Kommentar zu den politischen Ereignissen in Portugal vorgetragen: "Sollte man sich schämen noch zuweilen in aufgeklärten Ländern sich auszudrücken, als wenn das Volk um des Monarchen, nicht dieser um jenes willen da wäre, und als verkennte man die große Wahrheit, daß in einem Staat 207
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schließt Überlegungen zur idealen Staatsform an. Wieder ist es die Sicherheit des Gesamtgefüges, die seine Argumentation leitet und das Plädoyer für die erbliche Monarchie evoziert. 214 Unstreitig sei die erbliche Nachfolge das beste Mittel, "um innere Unruhen zu verhüten, dem Staate von innen und aussen Festigkeit und Consistenz zu verschaffen und das Interesse des Verwesers desto inniger mit dem des Volks zu verweben".215 Eine ausführliche Beschreibung der Vor- und Nachteile der verschiedenen Staatsformen hatte Dohrn bereits 1778 im "Deutschen Museum" durch den Abdruck und die anschließende Befürwortung der von Zedlitzschen Ausführungen dargelegt. Dort wurde von von Zedlitz erörtert, daß das Maß der Einschränkungen und Abänderungen, die zwischen staatlicher Einheit und Vielfalt der individuellen Interessen existiere, die Staatsform bestimme: Die Monarchie schränkt die Mannigfaltigkeit ein, um desto grössere Einheit zu erhalten. Sie legt dem Willen der Glieder einen Zwang auf, und schränkt den freyen Gebrauch der Kräfte ein; aber zum Besten der Vereinigung. Die Republik siehet mehr auf die Mannigfaltigkeit, und sezet ihr die Einheit nach. Sie erhält den Willen der Glieder bei mehrerer Freyheit, aber mit einigem Verlust auf Seiten der Vereinigung. 216
Im Despotismus werde mit der Zerstörung der freien Willen der Glieder auch der Staat zerstört, er höre auf, "eine Vereinigung moralischer Wesen zu seyn", statt eines "sittlichen Systems" erhalte man hier ein "physisches Ganzes". Die Anarchie im Gegenzug erhalte scheinbar die uneingeschränkte Freiheit aller, die aber in ihrer uneingeschränkten Vielfalt doch nichts anderes sei als "ungebundene Frechheit". 217 keine Gewalt von oben herab dem Volk aufgedrückt, sondern allemahl von unten herauf durch das Volk (dem sie nutzen und frommen soll) geschaffen sey." (Der Herausgeber Wieland bemerkte dazu: "Ich selbst bin einer von den Ketzern, die diese Wahrheit verkennen." Zur Rezeption dieses Textes vgl. Bödeker, Menschenrechte, S.424-425). Stammler, Sprachgeschichte, S.92, will in Dohms Text bereits "in nuce" "alle Ideen der Französischen Revolution von Volkssouveränität, von Volksvertretung, vom Fürsten als Volksbeauftragten [sehenl, die vielleicht von Rousseau in Dohm geweckt, jedenfalls selbständig weiter durchgedacht waren." 214 Meyring, Weltweisheit, S. 123-124, konstatiert: "Bei zunehmender Aufklärung des Volkes geraten die deutschen Gelehrten [... ] in eine prekäre Situation: sie sehen sich gezwungen, die Institution der absoluten Monarchie als solche zu verteidigen, um den einmal eingeschlagenen Weg einer moralischen Staatsverbesserung mit Hilfe des Naturrechts (durch Appell an die Pflichterfüllung des Regenten) durchzuhalten. Das gelingt ihnen nur dadurch, daß und nur insofern, als sie die (persönlich) gut verwaltete, aufgeklärte Monarchie rechtfertigen." Meyring stellt Ausprägungen dieses Lobs der Monarchie bei Thomas Abbt (1736-1766) und Johann Jacob Engel (1741-1802) heraus (S.123-132). Hellmuth, Naturrechtsphilosophie und bürokratischer Wertehorizont, S.142ff., beschäftigt sich mit der Staatsformdiskussion innerhalb der preußischen Bürokratie, die er gekennzeichnet sieht durch eine "pejorative Charakterisierung von Demokratie und Aristokratie" (S. 145) und die "Option zugunsten der Monarchie" (S.150). Beides sieht Hellmuth als Schutz der Bürokratie vor eigenen Machtverlusten: "Hätte sich die Administration für das Prinzip politischer Teilnahme ausgesprochen, wäre damit nicht nur das Gebot der Loyalität gegenüber dem Monarchen verletzt worden; zugleich hätte dies bedeutet, die eigene Amtsgewalt stärkeren Kontrollen zu unterwerfen." (S.161). 215 Dohm, Juden, 2, S. 157-158. 216 Dohm, Nacherinnerung zu von Zedlitz, S. 100. 217 Dohm, Nacherinnerung zu von Zedlitz, S. 100.
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Nur zwei Staatsfonnen wurden bei von Zedlitz letztlich einer genaueren Betrachtung unterzogen: Monarchie und Despotie, die differenziertere Ausführungen mit Definitionen erfuhren, die die Bindung des Regenten an die Gesetze zum Maßstab der Einordnung machten. Damit war nicht nur die Präferenz des Autors von Zedlitz für das monarchische System, sondern zugleich auch eine an der Wrrklichkeit der meisten deutschen und europäischen Staaten orientierte Betrachtungsweise vorgestellt: In Anlehnung an Montesquieusche Ausführungen wurde hier - wie in der gesamten kameralwissenschaftlich ausgerichteten Staatslehre des 18. Jahrhunderts - die Problematik der Staatsfonndiskussion reduziert auf die Gegenüberstellung zweier verschiedener Alleinherrschaftssysteme. 218 Nicht die staatliche Autorität an sich wurde zur Diskussion gestellt, sondern der Grad ihrer Auf- und Übergriffe auf die Gesetze und die (individuellen) Freiheiten der Untertanen 219 zum qualitativen Bewertungsmaßstab für die Gliederung in eingeschränkte oder uneingeschränkte Herrschaft. In diese gedanklichen Vorgaben paßten, wie die angeführten Definitionen zeigen, die bürgerlichen Freiheiten nur als "variabler Rest", "nicht umgekehrt als ein Faktor, der seinerseits der Herrschaft Grenzen setzt". 220 Das "Gefährdungsbewußtsein gegenüber staatlicher Herrschaftsgewalt"221, das sich dabei gleichzeitig in der bürgerlichen Elite ausbildete, ließ aber auch Überlegungen zu möglichen Vorteilen einer Abschaffung eben dieser Herrschaftsgewalt einzelner oder weniger entstehen, die sich zum Lob der Republik ausweiteten. 222 In der bereits zitierten Rede vor der "Societe des Antiquites" in Kassel 223 hatte auch Dohm den Begriff der Monarchie differenziert. Generell sei die Monarchie zu definieren als Staatsfonn, "Oll on voit un Empereur ou un Roi tenir les renes du Gouvernement, sans se soueier, s'illes tient seul, ou si la constitution lui donne des adjoints dans cet emploi."224 Auch er unterscheidet nun zwischen Monarchien und Despotien, deren Kennzeichnungen in der Begrenzung der Macht des einzelnen durch Gesetze zu finden seien: In der Monarchie sei die Macht des Regenten "limite", während der Despot eine "pouvoir illimite" besitze. Nur die Staaten, in denen Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. 138. Bödeker, Menschenrechte, S. 394. 220 Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. 138. 221 Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. 139. 222 Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S.69. Friedrich 11. selbst verschloß sich diesen Überlegungen nicht, als er sich vor die Frage seiner eigenen Nachfolge gestellt sah. In den "Memoires pour servir 11 l'histoire de la maison de Brandebourg" von 1751 stellte er Vor- und Nachteile von Republik und Monarchie gegenüber. Die perfekteste Staatsform sei unzweifelhaft die eines ,,royaume bien administre", aber "il n'est pas moins certain que les republiques ont remoli le plus promptement le but de leur institution, et se sont le mieux conservees, parce que les bons rois meurent, et que les sages lois sont immorteIles." Auch hier waren die Gesetze der Bezugspunkt der Überlegungen und Zuordnungen. In der Republik seien sie über den Menschen stehend, in der Monarchie an den Willen des Regenten gebunden, ja, ihm untergeordnet. Umgekehrt sichere allein das in sich geschlossene System stringenter Gesetze der erblichen Monarchie die notwendige Stabilität. 223 V gl. Kapitel A. 11. 3. in dieser Arbeit. 224 Dohm, Memoire, S.214. 218
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Gewaltenteilung herrsche, seien ,,Etats libres", gleichgültig, ob sie durch einen Regenten, ein "Corps de Noblesse" oder eine "elite de citoyens" geführt würden. 225 Das eindeutige Bekenntnis zur Republik steht noch zurück hinter einem von der äußeren Staatsform unabhängigen Plädoyer für die Gewaltenteilung, die von Dohm als unabdingbare Voraussetzung freier Staaten erkannt wird. Erst mit den genannten Komponenten - unbedingter Gesetzesbindung 226 und Gewaltenteilung - ist für Dohm die Ausbildung bürgerlicher Freiheiten verknüpft. Die Staatsform schrumpft in ihrer Bedeutung in diesem Kontext dann sogar auf die reine "Nominalbeschaffenheiten" des Staats. 227 In privaten Äußerungen an Friedrich Heinrich Jacobi konkretisierte Dohm diese Aussagen entscheidend. Am 18. Dezember 1781 schrieb er: ,,[ ... ] Meine Grundsätze sind ächt republikanisch." Zwar halte er - "einen gewissen Grundfehler abgerechnet" - die preußische Monarchie wegen des großen Mannes an der Spitze, der strengen Ordnung, des alles vereinigenden Zusammenhangs, des "Gedachten", der unnachlässigen Tätigkeit und der Tatsache, daß "wenigstens in der Drückung Ordnung und Gleichförmigkeit" seien, für die beste, aber: "Dem ohngeachtet gestehe ich gern, daß ich sicher kein Preuße sein würde, wenn ich ein Britte, Schweitzer oder Reichsstädter wäre".228 Zwei Monate später stand erneut die Diskussion um die beste Staatsform im Mittelpunkt des privaten brieflichen Diskurses zwischen Dohm und Jacobi und nun, am 25. Februar 1782, ließ Dohm seinen Freund wissen, wie er die Alleinherrschaft eines Staatsführers beurteilt: Können Sie rein monarchisch und despotisch unterscheiden? Wir können, wenn wir wollen nur den Staat Monarchie nennen, wo die Gewalt des Einen beschränkt ist; aber mich dünkt, dieß ist wider den ältesten Sprachgebrauch, und ich würde lieber alle Staaten, wo die höchste Gewalt auf irgend eine Art getheilt ist, in mehr oder minderm Grade frey nennen. Sie haben recht zu behaupten, daß die Verfassung nichts nütze, wo die Gerechtigkeit auf irgend eine Weise von der höchsten Gewalt bestimmt werden könne - Aber gerade dieß ist der Fall in der Monarchie, und doch ließe sich 's untersuchen, ob es auch da nicht abusive geschehe? [... ] Nur das Recht, den Handlungen Vorschriften zu geben, und Dieser Verletzung zu strafen, hat das Volk dem Despoten übertragen; er kann freilich diese Vorschrift abändern, so oft er will, aber sie beziehen sich doch immer nur ad casus futuros, - bey den praeteritis ist er allemal an die gegebenen Vorschriften verbunden. [... ] Also könnte man sagen, hat auch der Despot nicht das Recht, der Gerechtigkeit den Weg zu weisen. Aber weil er am öftesten versucht wird, es zu thun, weil er sich auch noch außerdem in den Besitz so edeler anderer Rechte gesetzt hat, die nur der Societät gehören - weil der zum Alleinherrscher Geborene Dohm, Memoire, S. 214. Vgl. auch Dambacher, Dohm, S. 74ff., die betont, daß für Dohm "bürgerliche Freiheit nicht so sehr in der Selbstbestimmung der Bürger als vielmehr in der absoluten Herrschaft der Gesetze im Staat" bestehe. 227 So Jacobi an Dohm, 3. Dezember 1782, Briefwechsel Jacobis, 3, hg. von Bachmaier, S. 100. Vierhaus, Dohm, S. 152, konstatiert, daß für Dohm wesentliche Elemente eines republikanischen Staatswesens wie die Sicherheit der Person und des Eigentums, die gesetzliche Garantie bürgerlicher Freiheiten und eine gerechte Justiz auch in einem monarchischen Staat zu realisieren gewesen seien. 228 Dohm an Jacobi, 18. Dezember 1781, Briefwechsel Jacobis, 2, hg. von Bachrnaier, S.391. 225
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eben deßwegen der Regel nach, nicht dazu taugt - deßwegen liebe ich diese Verfassung nicht. 229
Das eindeutige Bekenntnis zur Republik wird hier begleitet und untennauert von dem gleichsam als Regelfall dargestellten fließenden Übergang, ja, sogar der Übereinstimmung von Monarchie und Despotie. Indem Dohm im zweiten Teil seiner Ausführungen sogar die Despotie als Ausgangspunkt der Überlegungen wählt und mit ihr darstellt, daß in allen Alleinherrschaftssystemen die Gesetze von der höchsten Staatsgewalt erstellt werden, mithin also auch der Despot an dieselben gebunden sei, verstärkt er noch seine ablehnende Haltung. Im Wunsch nach Mitbestimmung durch Gewaltenteilung konkretisiert sich schließlich bei Dohm der Wunsch nach Einschränkung von als bedrohlich empfundener monarchischer Machtfülle zugunsten eigener, Intellekt und Ausbildung gerecht werdender Mitarbeit der bürgerlichen Elite im Staat. Hier wie auch in den vorangegangenen Darlegungen wird deutlich, daß Dohm sich bei der Auswahl der zu reflektierenden Themen und bei den Ausgangspunkten seiner dargestellten Gedanken durchaus orientierte an den politischen, sozialen und rechtlichen Annahmen einer ,preußischen' Naturrechtstradition in Anlehnung an die Ideen Christian Wolffs. Sie umfaßten eine Staatszweckbestimmung nach der Lehre der "Allgemeinen Wohlfahrt" und "Glückseligkeit", eine Staatsfonndebatte, die die Monarchie als besten Garanten "der innergesellschaftlichen Ruhe, der persönlichen Sicherheit, der Integrität des Eigentums sowie der ,bürgerlichen' Freiheit" sah, und entwarfen ein patrimoniales Staatsverständnis, die "Doktrin vom beschränkten Untertanenverstand" und das Festhalten an der ständischen Sozialverfassung des Staates. Im Gegensatz aber zur führenden preußischen Bürokratie verharrte Dohm nicht im Festhalten an diesen Maximen, sondern reflektierte über mögliche Veränderungen. 230
IV. Einbindung in die preußische Außenpolitik 1. Die herrschenden Maximen preußischer Außenpolitik Mit dem Beginn der Regierungszeit Friedrichs 11. im Jahr 1740 bis zur Ausgleich erzielenden Konvention von Reichenbach 1790 war die preußische Außenpolitik maßgeblich durch die Konfrontation mit Österreich geprägt. Der Einmarsch preußischer Truppen in Schlesien war provokant und die Spielregeln europäischer Mächtepolitik verletzend gewesen, so daß dauerhafte Anspannungen und zielstrebige, rücksichtslose Durchsetzung eigener Expansionsbedürfnisse auf beiden Seiten die Dohrn an Jacobi, 25. Februar 1782, Briefwechsel Jacobis, 3, hg. von Bachrnaier, S.9. Vgl. zur Rezeption der Wolffschen Naturrrechtsphilosophie: Hellmuth, Naturrechtsphilosophie und bürokratischer Wertehorizont, zusammenfassend S. 279-285. Vgl. auch Kapitel A. I. in dieser Arbeit. 229
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A. Dispositionen des politischen Erlebens und Handelns
anhaltende Folge waren. Preußen sei von den größten europäischen Herrschern umgeben, schrieb Friedrich in seinem Politischen Testament von 1752, und alle diese Nachbarn müßten als ,,Neider oder geheime Feinde unsrer Macht" gesehen werden. Das Haus Österreich aber sei das ehrgeizigste von allen, denn hier sei der Wunsch, Deutschland zu unterwerfen, die Grenzen der eigenen Herrschaft auszudehnen und die eigene Familie zu versorgen Grundlage aller Pläne. Die von Österreich ausgehende Gefahr für Preußen hielt Friedrich für ursächlich für das preußische Vorgehen und deswegen so groß, weil: "De toute Les puissances de L'Europe c'est celle que nous avons La plus offencee, et qui n'oublira ni La perte de la silesie ni cette partie de Son Autorite que Nous partageons avec elle en Allemagne."231 Mit dem preußisch-österreichischen Dualismus etablierte sich schließlich im Reich ein Zustand, der "die politischen Verhältnisse in einem so fein austarierten, mit der ,Balance of Power' in ganz Europa abgestimmten Verfassungssystem wie dem des RömischDeutschen Reiches" in Frage stellte, ja die Ordnung des Reiches sogar so grundsätzlich erschütterte, daß sie "fast zerstört worden wäre". 232 Gerade in der Aufkündigung der Anerkennung des sogenannten Gleichgewichtsprinzips, also eines die ungehemmte Expansionspolitik der großen Mächte einschränkenden, auf der Ausbalancierung der Interessen basierenden Kalküls, lag ein vehementer Verstoß gegen die geltenden Spielregeln der Außenpolitik. 233 Das aus einer Befolgung des Gleichgewichtsprinzips hervorgehende praktische Handeln der Herrscher, dem durchaus und gerade die Orientierung auf die eigene Staatsräson zugrundelag, aus der sich die pragmatische Folgerung ergab, im europäischen Mächtesystem gegenseitig aufeinander angewiesen zu sein, wurde theoretisch im Naturrecht untermauert: Als Kemgedanke wurde aus diesem abgeleitet, zwischenstaatliche rechtliche Beziehungen seien analog privatrechtlichen Verhältnissen zwischen Einzelpersonen im System bürgerlicher Gesetze zu werten. Die Staaten wurden in diesen theoretischen Konstrukten solcherart in Beziehungen gestellt, "bis sich am Ende die Vertrags gemeinschaft der geschäfts- und satisfaktionsfähigen Souveräne konstituiert hatte".234 Umgekehrt war es eben diese aus dem Naturrecht abgeleitete Vorstellung, die Staaten als ,moralische Personen' zu verstehen 235 , die den Ausgangspunkt solcher staatsphilosophischer Überlegungen und Diskurse bildete, die neben expliziter Beschäftigung mit dem Völkerrecht auch weiterreichende und grundsätzliche Diskussionen über die "Anwendbarkeit moralischer und rechtlicher Normen auf das politische Handeln des Regenten, sowohl im 231 Die politischen Testamente der Hohenzollern, S. 330, 332.
232 Erbe, Deutsche Geschichte, S.ll. Allgemein: Kohler, Das Reich im Spannungsfe1d; Aretin, Heiliges Römisches Reich, I, S. 110-163; Schieder, Friedrich der Große, S. 127-224. Zu Ius publicum europeum und Reich: Kunisch, Absolutismus, S.163f. 233 Vgl. dazu Kunisch, Absolutismus, S.157-171. 234 Kunisch, Absolutismus, S. 163, verweist hier auf Christian Wolff, Grundsätze des Natur - und Völkerrechts, 1754. 235 Stolleis, Staatsräson, S. 13 ff.
IV. Einbindung in die preußische Außenpolitik
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völkerrechtlichen als auch im innerstaatlichen Bereich" verknüpfte. 236 Gerade hier entwickelte sich dann das kritische Potential, das vor allem die Vertreter der Aufklärung gegenüber der am absolutistischen Machtkalkül orientierten Außenpolitik ausprägten. Die Auseinandersetzungen zweier aufgeklärt-absolutistischer Monarchien im Reich - Preußen und Österreich - bedienten sich aller Instrumentarien der absolutistischen außenpolitischen Machtpolitik, der militärischen ebenso wie der diplomatischen. 237 Friedrich 11. hatte die Ziele seiner Außenpolitik 1742 in den "Memoires pour servir a l'Histoire de la Maison de Brandebourg" mit dem "principe de s'aggrandir" als dem Fundamentalgesetz der Regierungen umschrieben. 238 Der primär zu erfüllenden Sicherung des vorhandenen Länderbestandes sollte danach also die Vergrößerung des Territoriums folgen. Wichtige Grundlage dieses unablässigen Vergrößerungsstrebens war die ganz auf den König orientierte und von ihm selbst formulierte Zielsetzung, "sich einen Namen zu machen"239 und ,,reputation" (Ruhm) zu erlangen 240. Damit war ein Ziel im außenpolitischen Handeln definiert, das sich anlehnte an sinnstiftende Prinzipien des hohen Absolutismus, indem es ganz den persönlichen Ehrgeiz des Herrschers in den Mittelpunkt stellte. Im Bezug auf die Möglichkeit der Durchsetzung seines grundlegenden Prinzips ständiger Erweiterung des preußischen Länderbestandes offerierte Friedrich 11. in seinem Politischen Testament von 1752 zwei Arten der Vergrößerung, nämlich "durch reiche Erbfolge oder durch Eroberungen". 241 Weiter führte er aus, daß ihm "die Aquisitionen mit der Feder" weitaus lieber seien als die "mit dem Schwert", da man sich hier weniger Zufällen aussetze und Staatskasse und Armee schone.242 Diese vom König vordringlich intendierten, durch diplomatische Verhandlungen zustande kommenden Tausch- und Teilungsprojekte aber mußten im Gegensatz zu Waffengängen erbbzw. reichsrechtlich begründet werden, was zugleich eine gewisse Einschränkung der monarchischen Autonomie nach sich zog: An dieser Stelle mußte sich die friderizianische Außenpolitik in die Abhängigkeit staatlicher Bediensteter begeben, die das entsprechende Aktenmaterial bereitstellen konnten. Die Mitarbeiter der staatlichen Archive, zu denen an exponierter Stelle Ewald Friedrich Hertzberg gehört hatte, Christian Wilhelm Dohm mit Einstieg in den preußischen Staatsdienst gehörte, erlangten in diesem Kontext Bedeutung.
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Stolleis, Staatsräson, S. 1.
237 Vgl. allgemein Kunisch, Absolutismus, S.157-171.
238 Friedrich der Große, Memoires pour servir a I'Histoire de la Maison de Brandebourg, S.2. Vgl. auch Klueting, Macht der Staaten, S. 144. 239 Friedrich der Große, Memoires, S. 6. Vgl. auch Kunisch, Friedrich der Große, S. 40; Klueting, Macht der Staaten, S. 143. 240 Friedrich der Große, Memoires, S.59. V gl. auch Klueting, Macht der Staaten, S. 143, allgemein: Kunisch, Absolutismus, S. 158. Zum Ruhm-Begriff: Kunisch , Absolutismus, S. 30. 241 Die politischen Testamente der Hohenzollern, S. 367. 242 Die politischen Testamente der Hohenzollern, S. 373.
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A. Dispositionen des politischen Erlebens und Handelns
2. Hertzberg und Dohm Ewald Friedrich Hertzberg (1725-1795)243 entstammte einer landadligen hinterpommerschen Familie. Entgegen der militärische Laufbahnen vorsehenden Familientradition studierte er auf Wunsch seines Vaters ab 1742 die Rechte in Halle. Nach dem mit einer Dissertation über Kurfürstentage und -vereine abgeschlossenen Studium fand Hertzberg 1745 eine Anstellung im Berliner Geheimen Kabinettsarchiv. Der Weg führte von ersten Hilfsarbeiten schließlich zur Übernahme der Archivleitung im Jahr 1750. Neben der dortigen Tätigkeit stand der Einsatz bei kleineren diplomatischen Missionen, wie etwa der Entsendung als Legationssekretär der brandenburgischen Wahlgesandtschaft zur Kaiserwahl1745 nach Frankfurt. 244 1747 war mit der Ernennung zum Legationsrat zugleich die Aufnahme in die sogenannte Pepiniere, einer Einrichtung zur Ausbildung des Diplomatennachwuchses245 , verbunden. 1763 wurde Hertzberg neben Karl Wilhelm Graf Finck von Finckenstein (1714-1800) zum zweiten Etat- und Kabinettsminister ernannt. Er hatte zuvor stellvertretend für Finckenstein erfolgreich die Friedensverhandlungen von Hubertusburg 1762/63 geführt und war seit 1754 als Mitarbeiter an der Erstellung der kabinettsministeriellen Schreiben beteiligt. Besonders hervorgetreten war Hertzberg 1756 mit dem sogenannten "Memoire raisonne", einer nachträglichen Rechtfertigungsschrift für Friedrichs Einmarsch in Sachsen und seinen publizistischen Verteidigungen der preußischen Politik während des Siebenjährigen Krieges. 246 Hertzbergs Rolle als Autor zahlreicher Staats- und Denkschriften sowie als Produzent verschiedener außenpolitischer Konzepte brachte ihm den verächtlich gemeinten Ruf eines "premier commis" ein. 247 Tatsächlich erfüllte er - vergleichbar den französischen Staatssekretären des 17. und 18. Jahrhunderts - die Aufgabe eines "ersten Schreibers" durch die in seiner Person vollzogene Kombination eines Gelehrten und hohen Staatsdieners. 248 Besonders augenfällig wurde diese Verbindung, wenn Hertzberg als Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften, der er 243 Zu Hertzberg vgl. Bailleau, Hertzberg; Skalweit, Hertzberg; Krauel, Hertzberg; Posselt, Hertzberg; Klueting, Hertzberg; Klueting, Macht der Staaten, S. 236-273. Zur Konvention von Reichenbach 1790 vor allem: Duncker, Friedrich Wilhelm 11. und Hertzberg; Wittichen, Die Politik des Grafen Hertzberg. 244 Wegen des Protests Kurbrandenburgs gegen die Vornahme der Kaiserwahl kehrte die Gesandtschaft dann allerdings bereits in Hanau um, Hertzberg erreichte Frankfurt also nicht. 245 Klueting, Macht der Staaten, S. 239, in Anlehnung an: Kohnke, Das preußische Kabinettsministerium. 246 1756 verfaßte Hertzberg die "Memoire raisonne sur la conduite des Cours de Vienne & de Saxe, & sur les desseins dangereux contre Sa Majeste le Roi de Prusse, avec les pieces originales & justificatives qui en fournissent les preuves". 247 Zugewiesen wurde Hertzberg diese Beurteilung von M irabeau in seiner "Histoire secrete de la cour de Berlin, ou correspondance d'un voyageur fran~ois". Bd. 1, 1789, S.50 (Brief Nr. 13 vom 15. August 1786). Vgl. dazu auch Klueting, Macht der Staaten, S. 238 ff.; Klueting, Hertzberg, S. 137 f. 248 Vgl. dazu Klueting, Macht der Staaten, S. 241 ff.
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bereits seit 1752 angehörte, zwischen 1780 und 1793 alljährlich Festvorträge hielt, die nicht nur darauf abzielten, die aktuelle Verfaßtheit des preußischen Staates vorzustellen, sondern vor allem die Festigkeit und Dauerhaftigkeit des Staatswesens und der Monarchie zu preisen. 249 Besonders geprägt war Hertzbergs außenpolitisches Engagement durch den preußisch-österreichischen Gegensatz, den er als Grundsatz von Friedrich 11. nicht nur übernahm, sondern auch mit besonderer "doktrinärer Schärfe"250 vertrat. Nach der Methodik hochabsolutistischer außenpolitischer Prinzipien konzipierte Hertzberg Ländertauschpläne gleichsam ,am Reißbrett' (etwa im Fall des Bayerischen Erbfolgekrieges, in dem er Bayern, Österreich und Polen in der Weise auszugleichen versuchte, daß für Preußen der Erwerb von Danzig und Thorn erzielt werden konnte) und trat der friderizianischen Außenpolitik der Spätzeit mit ihren Konsolidierungsbestrebungen schließlich implizit durch seine Expansions- und Arrondierungspläne entgegen. m Unter Friedrichs 11. Nachfolger Friedrich Wilhelm 11., dessen Erzieher Hertzberg gewesen war, konnte er seine Position zunächst insofern ausbauen, als ihm die ausdrückliche Belobigung des neuen Königs (in Form einer Ernennung in den Grafenstand und der Verleihung des Schwarzen Adlerordens ) eine nach außen sichtbare Vertrauensstellung einräumte. 252 Prägend sollte in der Folgezeit die Entwicklung seines sogenannten "Großen Plans"253 werden, dessen vorrangiges Ziel die Verdrängung Österreichs, das sich seit 1788 im Krieg mit der Türkei befand, vom Balkan und die Rückgabe von dessen galizischen Neuerwerbungen an Polen war, mit der intendierten Folge, auf diese Weise zumindest Danzig und Thorn als Kompensationsobjekte von Polen dem preußischen Landbesitz einverleiben zu können. Zusätzlich sollte der Allianz zwischen Österreich und Frankreich ein Nordbund aus den Staaten Preußen, England, Rußland und den skandinavischen Ländern entgegengestellt werden. Mit dem Abschluß der Konvention von Reichenbach im Jahre 1790 mußte Hertzberg seine Pläne endgültig als gescheitert ansehen, da ihre Grundvoraussetzung, der preußisch-österreichische Gegensatz, erstickt war. Im Juli 1791 reichte Hertzberg sein Abschiedsgesuch ein, der König gewährte ihm den Rückzug von der Leitung der preußischen Außenpolitik. Resigniert faßte Hertzberg seine EmpfinKlueting, Macht der Staaten, S.245. Skillweit, Hertzberg, S. 716. 251 Vgl. dazu auch Kapitel A. IV. 3. in dieser Arbeit. 252 Bereits 1779 begann der Austausch zwischen Hertzberg und dem 1bronfolger. In seiner Denkschrift "Memoire sur le sisteme et les principes de politique qu'il convient a un roi de Prusse d'observer" stellte Hertzberg seine innen- und außenpolitischen Ansichten vor. Die Überlegungen zur Außenpolitik bestanden im wesentlichen in der Projektion von Präventivmaßnahmen gegen den Erbfeind des Hauses Brandenburg, gegen Österreich. Vgl. dazu Klueting, Hertzberg, S. 144, der die unveröffentliehe Schrift auswertet. 253 In seiner als ,,Plan de pacification" bezeichneten Schrift vom 19. Januar 1788 bestimmte Hertzberg die wesentlichen Punkte seines "Großen Plans". Vgl. dazu Klueting, Hertzberg, S. 150, und vor allem Klueting, Macht der Staaten, S. 267-273. 249
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A. Dispositionen des politischen Erlebens und Handeins
dungen über das Verhalten des Hofes - der König hatte ihm in einem Schreiben vom 5. Juli 1791 mitgeteilt, daß er ihn von seiner anstrengenden Arbeit entlasten wolle 254 - in einem Brief an Ernst Ludwig Posselt (1763-1804) zusammen: Für mein Personel kann es mir auch nicht gleichgiltig seyn, daß ich, nachdem ich 46 Jahre dem Staate mit so vieler Ehre und desselben Vortheil gedient, mich auch in der besten Gesundheit und mit einer Kraft von Körper und Seele, so wie im 30sten Jahr befinde, nun einen Staat, den ich als mein Eigenthum angesehen, verlassen, mich von andem, die gewiß nicht mehr thun können, ausgeschlossen sehen, und bei einem Theile des unwissenden Publicums für einen disgracirten und congedirten Minister passiren soll. Sed sic fata volunt! 255
In der entscheidenden Zeit seiner Tätigkeit, jenen Jahren zwischen 1786 und 1791, in denen er seine Einfluß sphäre gegenüber dem König vergrößern konnte, arbeitete Hertzberg intensiv mit Dohm zusammen. Bereits unter Friedrich 11. hatte es gemeinsame Anknüpfungspunkte gegeben, etwa durch Hertzbergs Initiative, Dohm mit einer Schrift zum Bayerischen Erbfolgekrieg (1779), der Übersetzung von Friedrichs 11. "De la litterature allemande" (1780) oder der mit Anmerkungen versehenen Herausgabe von Neckers "Compte rendu au roi" (1781) zu beauftragen. 256 Mit der Einrichtung des Fürstenbundes traten beide als beauftragte Apologeten dieses außenpolitischen Projekts gegenüber dem ,großen Publikum' auf, der eine (Dohm) das Werk des anderen (Hertzbergs) mit Nachdrücklichkeit und unter der konstruierten Perspektive eines Privatmannes unterstützend. Mit dem Höhepunkt der Patriotenbewegung in den Niederlanden und deren militärischer Niederschlagung durch Preußen im September 1787, an deren Ende ein im wesentlichen von Hertzbergs Vorgaben bestimmtes Bündnis zwischen Preußen, Holland und England stand, begann zugleich auch in kontinuierlicher Abstimmung zwischen Berlin (Hertzberg) und Aachen (Dohm) die erste Kontaktaufnahme zwischen Preußen und Lüttich, um die preußische Einflußsphäre durch die erstrebte Besetzung des Lütticher Koadjutorpostens zu betreiben. 257 Am Ende der gemeinsamen Arbeit in der Lütticher Angelegenheit stand der von Hertzberg als persönliches Versagen empfundene Abschluß der Konvention zu Reichenbach und Dohms mit Resignation zur Kenntnis genommenes Scheitern beim Niederschlagen der Revolution durch österAbdruck des Schreibens bei Posseit, Hertzberg, Anhang, S. 30-31. Hertzberg an PosseIt, 19. November 1791. Abgedruckt bei Posseit, Hertzberg, Anhang, S.15-30, hier S. 28. Die ,,Ehre", so konstatierte Hertzberg in einem Schreiben an Posseit vom 22. April 1788, sei seines Erachtens "ein stärkerer Trieb als jeder andre ist, um große Thaten hervorzubringen." "Bei mir hat dieser Trieb von Jugend auf am meisten gewirkt." (Vgl. Posseit, Anhang, S. 8). Deutlich hebt Hertzberg sich in seinem Selbstverständnis hier aus der Rolle eines ,bürgerlichen' Staatsdieners heraus und nimmt für sich selbst das Lebensprinzip eines aus adliger Herkunft stammenden Mitglieds der höfischen Gesellschaft in Anspruch. In dem Streben nach ,,Akkumulation von Ehre" (Kunisch, Absolutismus, S.42) verbarg sich zugleich der Wunsch nach besonderer Nähe zum Fürsten. V gl. dazu auch das Kapitel A. III. in dieser Arbeit (Dohm erklärt ,,Aufopferung" im Staatsdienst als maßgebliche Aufgabe des Adels, die Belohnung dafür bestehe in ,Zuteilung' von ,,Ehre und Nachruhm".). 256 Vgl. dazu Kapitel B.I. in dieser Arbeit. 257 Vgl. dazu Kapitel B.II. in dieser Arbeit. 254 255
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reichische Truppen. Beides von beiden Seiten nicht ohne gegenseitige Schuldzuweisungen, aber auch in solidarischem und Selbst-Mitleid ertragen: "Was ich zu Reichenbach nicht habe tun können", schrieb Hertzberg schließlich an Dohm, "werden Sie in Aachen, Lüttich und Brüssel nicht zustande bringen; Sie leiden, so wie ich bei der Negociation zu Reichenbach; das ist aber unser unwiderstehliches Schicksal, das nicht anders als in der Geschichtskunde reparirt werden kann."258 Dohms Fortschreiten im preußischen Staatsdienst war in Parallele zu Hertzbergs beruflicher Entwicklung verlaufen, eine Tatsache, die offenbar Hertzbergs Intention entsprochen hatte. In den "Denkwürdigkeiten" jedenfalls äußerte Dohm: Hertzberg wollte mich gerade auf demselben Wege, den er selbst gegangen war, zum Geschäftsmann bilden, und dankbar erkenne ich noch jetzt, daß ich dem Umgange und dem Vorbilde dieses mit dem edelsten Patriotismus und einer ganz unermüdlichen Thätigkeit arbeitenden Mannes alles Gute schuldig bin, was ich im Geschäftsleben geleistet habe. 259 Das Verhältnis zwischen dem bürgerlichen Beamten Dohm und dem adeligen Minister Hertzberg war im wesentlichen geprägt von einem von beiden Seiten akzeptierten Prinzip der Autorität260 : Hertzberg übernahm zu Anfang die Rolle des Schutzherrn, der für den im praktischen Berufsleben noch unerfahrenen Dohm Sorge trug. Dohm seinerseits dankte Hertzberg für seine Protektion mit weitgehender Loyalität und setzte dem preußischen Minister, trotz aller Differenzen in späterer Zeit, vor allem während der Lütticher Revolution, in den "Denkwürdigkeiten" das oben zitierte Denkmal. Daß die Gunst des Königs bzw. eines seiner Minister zugleich die Mißgunst der Kollegen provozieren konnte, mußte Dohm bald schmerzlich feststellen: Die Begünstigungen, welche ich als Fremder erfahren, hat mir viele Neider und Feinde erregt, die ich durch nichts versöhnen kann. Jetzt können sie mir zwar nicht schaden; aber mein Hauptbeförderer kann sterben, und dann ist es sehr möglich, daß ich zurückgesetzt und gequält werden dürfte. 261 Was beider - Hertzbergs und Dohms - Position bestimmte, war die Verknüpfung zweier Arbeitsbereiche, nämlich als Gelehrter und als Staatsdiener, die sich im Tätigkeitsfeld der Außenpolitik in den skizzierten Spannungen potenzierten, als hier der von der Intelligenz für sich reklamierte Wrrkungsbereich der Herstellung einer diskursiven ,Öffentlichkeit' sich in den Dienst des absolutistischen Staates zu stellen und dessen Reputation nach außen zu vertreten hatte. Hatte Dohm noch in den Artikeln des "Deutschen Museums" und mit der Herausgabe der "Materialien für die Statistick" die Veröffentlichung von Staatsarkana mit dem Ziel einer Politisierung des bürgerlichen Lesepublikums verfolgt, war im Rahmen seiner Tätigkeit im 258
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Vgl. dazu Kapitel B.X. in dieser Arbeit.
Dohm, Denkwürdigkeiten, I, Vorrede, S. XIV.
260 Zum Verhältnis zwischen bürgerlichen Beamten und Adel: Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums, S.107. 261 Zitiert nach Gronau, Dohm, S.70.
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Archiv und im diplomatischen Dienst diese Forderung in doppelter Weise ins Gegenteil verkehrt: Als Archivar hatte er nicht nur die Staatsgeheimnisse zu ,hüten', sondern sie auch als Diplomat gezielt einer Veröffentlichung mit der Zielsetzung außenpolitischer Staatspropaganda, d. h. einer Stabilisierung der (monarchischen) Staatsrnacht zuzuführen. Mit der Publikation ehemals staatlicher Arkanbereiche setzte hier ein Vorgang ein, der die Macht des Monarchen nicht nur im beschriebenen Sinne stützte, sondern sie - außenpolitisch - in seiner Instrumentalisierung zu Propagandazwecken weiterführte. 262 Zweifelsohne konnten aus dieser Konstellation innere Konflikte und Unsicherheiten erwachsen, zumal dann, wenn, wie dies bei Dohm der Fall war, die monarchische Staatsform nur in Bindung an einen kompetenten Regenten - wie er ihn in Friedrich 11. sah - Akzeptanz fand, ansonsten aber mit der Begründung einer großen Nähe zur Despotie, einer Regierungsweise immerhin, die Friedrich ja außenpolitisch durchaus praktiziert hatte, abgelehnt wurde. 263 Im Umgang mit diesen Spannungen zeigten Dohm und Hertzberg unterschiedliche Verhaltensweisen. Hertzberg hatte mit der Veröffentlichung von Statistiken im Anschluß an seine Akademiereden ab 1783 in ausdrücklicher Bezugnahme auf Jacques Necker (vermeintliche) Staatsgeheimnisse publik gemacht, um den Staat propagandistisch zu vertreten. Er tat dies nach eigenem Bekunden "Für das fremde Publicum und [... ] die Höfe" und gestand in einem Privatbrief weiterhin, einen nur vorsichtigen Gebrauch von den zur Verfügung stehenden Materialien gemacht zu haben, "daß dem Staate kein Nachtheil daraus entstehen und das Publicum dadurch nicht mehr erfahren kann, als was es sonst schon aus anderen Büchern und Nachrichten hat wissen können".264 Damit war deutlich die beschriebene Abkehr von einer im Dienste der ,Aufklärung' des ,Staatsvolks' stehenden Aufdeckung der Staatsgeheimnisse zu einem Mittel der Machtstabilität nach außen vollzogen. Diese war Hertzberg vor allem deswegen so wichtig, weil er Preußen für einen "Etat mediocre" hielt, dessen einzige Grundlage ("la seule base") eben nur die ,,reputation de vigueur et de fermete" sei. 265 Wenn es aber nach Hertzbergs Verständnis vor allem der Ruf der Macht war, der - auch anstelle realer Stärke - Preußens Stellung in Europa ausmachte, dann kam eben hier auch ein Selbstverständnis zum Ausdruck, das den Staats bediensteten im außenpolitischen Ressort eine besonders staatstragende Rolle zumaß. Das Selbstbewußtsein des Gebildeten 266, das sich im Streben nach aktiver Mitgestaltung der Staatsgeschikke im Inneren ausdrückte, äußerte sich hier im Vordringen in den noch ganz im Sin262 Vgl. dazu Klueting, Macht der Staaten, S. 262-263. Zur Unversöhnlichkeit von Absolutismus und Öffentlichkeit vgl. u. a.: Kunisch, Absolutismus und Öffentlichkeit. 263 V gl. Kapitel A. III. in dieser Arbeit. 264 Hertzberg an Hoym, 24. April 1785. Zitiert nach Klueting, Macht der Staaten, S. 265. 265 Vgl. Klueting, Macht der Staaten, S.258. Klueting verweist in diesem Zusammenhang auf das 10. Kapitel von Thomas Hobbes ,,Leviathan", in dem es heiBt: "Reputation of power, is power." 266 Hertzbergs adelige Herkunft tritt hier hinter seinem ,bürgerlichen Werdegang' im preuBischen Staatsdienst zurück und läBt seine Einordnung ins bürgerliche ,Lager' im beschriebenen Kontext durchaus zu.
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ne des hohen Absolutismus funktionierenden Alleinherrschaftsanspruch des Regenten im außenpolitischen Bereich, eben nicht um diesen zu hinterfragen, sondern ihn zu potenzieren. Die tatsächliche Abhängigkeit des Regenten von kompetenten Staatsrechtskennern in seinen Archiven und im außenpolitischen Dienst relativierte sich damit zugleich in der von diesen offen zur Schau getragenen Staatstreue. Als Dohm mit größeren Aufgaben im diplomatischen Dienst betraut wurde, hatte sich die preußische Außenpolitik auf "Aquisitionen mit der Feder" verlegt. Dohm kommentierte selbst in den "Denkwürdigkeiten" rückblickend: "Kurz vor meinem Eintritt in den Dienst hatte der Preußische Hof ein neues politisches System angenommen und dasselbe durch den Bayerschen Erbfolgekrieg und den Teschner Frieden bewährt. Deutschlands und Preußens Interesse sollten von nun an innigst mit einander verwebt seyn." Immer sollte fortan "die Begierde nach Vergrößerung und Rundung" "den Gesetzen des Rechts" untergeordnet werden. 267 Unzweifelhaft war Dohm von einer Einbindung Preußens ins Reich beeindruckt und lobte aus der Rückschau die mit dem Bayerischen Erbfolgekrieg 1778 beginnende Phase der friderizianischen Außenpolitik als "lezte Belebung" eines ,,neu geweckten Gemeingeists in Deutschlands Gränzen" .268 In diesem Kontext für die preußische Außenpolitik einzutreten war ihm eine mit seinen eigenen Vorstellungen zutiefst zu vereinbarende Aufgabe, wie er vor allem im Zusammenhang mit der Entstehung der Fürstenbundschrift ausführte. 3. Dohms Auftragsarbeit im Dienst des Monarchen: "Über den deutschen Fürstenbund" Dohms im Dezember 1785 erschienene Schrift "Über den deutschen Fürstenbund"269 war eine vom König im Dienste der preußischen Außenpolitik in Auftrag gegebene "Privatschrift" . 270 Sie sollte, so die Intention des Initiators, eine direkte Antwort auf die österreichische Schrift "Über die Königlich Preußische Association zur Erhaltung des Reichssystems" des Reichsfreiherm Otto von Gemmingen (1755-1836) darstellen und war von preußischer Seite nach insgesamt drei offiziellen Staats schriften Hertzbergs 271 die erste Abhandlung, die sich der Leserschaft als Dohm, Denkwürdigkeiten, 1, Vorrede, S.XIV, XV. Dohm, Denkwürdigkeiten, I, Einleitung Allgemeiner Überblick über die Regierung Friedrichs des Zweiten, S.21. 269 Zum Fürstenbund vg!.: Ranke, Fürstenbund; Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S. 162-240; Stievermann, Fürstenbund. Dohm widmet fast den gesamten dritten Band seiner "Denkwürdigkeiten" dem Fürstenbund. Detailliert wird hier die Idee und der Weg der Umsetzung geschildert (S. 46-153). 270 Vg!. dazu Dohm, Denkwürdigkeiten, 3, S. 146: Friedrich 11. wünschte eine Antwortschrift auf die Ausführungen Gemmingens. ,,Er befahl, daß dieses auch in einer Privatschrift durch einen von dem Zusammenhang des Geschäfts wohl unterrichteten Mann geschehe." 271 Für die deutschen Höfe schrieb Ewald Friedrich Hertzberg die "Erklärung der Ursachen, weIche Se. König!. Majestät von Preußen bewogen haben, ihren hohen Mitständen des deutschen Reichs eine Association zur Erhaltung des Reichssystems anzutragen" im August 1785, 267
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private Kommentierung politischer Ereignisse präsentierte. Hertzberg hatte sich an die deutschen Reichsstände und europäischen Höfe gewande72 , auftragsgemäß war es nun Dohms Aufgabe, Meinungsbildung im ,großen Publikum' zu betreiben. Mit dem Hinweis auf einen auf alle deutschen Reichsstände projizierten, mit der Bildung des Fürstenbundes noch zu intensivierenden, Verfassungs' -Patriotismus ist der Kerngedanke der Dohmschen Ausführungen entworfen. Mit Rekursen auf reichsrechtliche Grundlagen, allen voran des durch die Regelungen des Westfälischen Friedens zementierten Rechts der Reichsstände, Bündnisse untereinander zu schließen, und historischen Belegen für die vom Erzhaus Österreich ausgehende Gefahr eines Mißbrauchs der Kaiserwürde als Werkzeug seiner Großmachtpolitik wird der Zusammenschluß mehrerer Reichsstände zum Fürstenbund als eine zur Sicherung der deutschen Verfassung und zur Wahrung des innerdeutschen sowie europäischen Gleichgewichts beitragende "Defensiv-Verbindung" vorgestellt. In der Verteidigung dieser auf die Konservierung bestehender Zustände gerichteten Vereinigung des Fürstenbundes, deren Zielsetzung neben der Erhaltung der Reichsverfassung auch der Schutz der vorhandenen Rechte, Länder und Besitzungen, die Unterdrückung illegaler Unternehmungen gegen das Reichssystem und der Widerstand gegen kaiserliche Einmischungen in die Angelegenheiten des Reichstages oder der Reichsgerichte waren 273 , stellt Dohm sich hier zum einen in Argumentationszusammenhänge, die Bestandteil des verbal-kämpferischen Instrumentariums der europäischen Mächtepolitik waren und in ihren stereotypen Ausformungen auf alle offensiven und illegitimen Versuche der Machtausweitung Anwendung finden konnten. Konterkariert wird diese offen zutage tretende Einbindung in die (aggressive) preußische Außenpolitik zum anderen durch die gleichzeitige Stilisierung der eigenen Person zum Teilnehmer an der öffentlichen Debatte: Im Stil seiner Arbeiten im "Deutschen Museum" und der herausgegebenen Materialien zur Statistik oder der Judenschrift läßt Dohm gleich zu Beginn auch diese Abhandlung als Beitrag und Appell zum ,Selbstdenken' - zur Politisierung der Öffentlichkeit - erscheinen und stellt das zu behandelnde Thema in einen von der intellektuellen Elite besetzten Kontext: Wenn, so Dohm, zur Erhaltung von Freiheiten und (Grund-)Rechten sich mehrere Kräfte bzw. Staaten zusammenschließen und so wie im einzelnen Staat die Untertanen sich mit ihren Privatinteressen einem gemeinsamen Wohl unterordnen, dann muß auch in einem Zeitalter, wo Verfeinerung und Luxus Kraft und Nerven erschlaft zu haben scheinen, doch so ein Anblick die fast unwahrscheinlich und romanhaft gewordene politische Tugend wieder wecken und alle edles Mitgefühls empfängliche Zeitgenossen mit eine kürzere Version in französischer Sprache wurde für die europäischen Höfe verfaßt. Im November erstellte er eine "Beantwortung der Wiener Prüfung" als Reaktion auf eine von Anton von Spielmann geschriebene, im September 1785 erschienene österreichische Schrift mit dem Titel: "Prüfung der Ursachen einer Association zur Erhaltung des Reichssystems, welche von Sr. König!. Majestät von Preußen vorgelegt sind". Alle Titel sind aufgeführt bei Dohm, Denkwürdigkeiten, 3, S. 140-145. 272 Vg!. Dohm, Denkwürdigkeiten, 3, S.140. 273 Epstein, Konservatismus, S.287.
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Gemeingeist und Theilnehmung für eine Verfassung erwärmen, die der Erhaltung um so werther scheint, da sie so große Empfindungen in den ersten Bürgern des gemeinschaftlichen Vaterlandes hervorzubringen fähig war. 214
Schon zu Beginn der Schrift trägt Dohm die doppelte Perspektive eines sowohl in preußischen Diensten stehenden als auch am allgemeinen öffentlichen Diskurs teilnehmenden Privatmannes vor 275 , indem er einerseits feststellt, daß das Bündnisrecht der Stände rechtlich festgelegt und auch im Fall des Fürstenbundes juristisch unantastbar sei, es dennoch aber andererseits dem "Privatschriftsteller" erlaubt sein müsse, Zweifel an der Notwendigkeit des Bündnisses anzumelden und offen vorzutragen. Den "Ideengang" eines solchen Betrachters wolle er in der Folge nachzeichnen. 276 Dazu skizziert er zunächst - generalisierend im Stile einer folgenden Deduktion - die Spannungsverhältnisse in freien Staaten. Es sei ,,nothwendige Folge menschlicher Natur", daß in diesen, wo die höchste Gewalt nach Gewohnheits- und positivem Recht zu handeln hat, jeder Teil die ihm übertragenen Kräfte auch über das zugewiesene Maß hinaus zu erweitern strebe. Gründe dafür findet Dohm unter anderem in der Undeutlichkeit älterer Gesetze, der Zweideutigkeit der Sprache und der einem kasuistischen Rechtsdenken abgeleiteten Feststellung des regelmäßigen Eintretens veränderter Umstände bzw. ,,neuentstehender Fälle", für die es keine eindeutigen rechtlichen Regelungen gebe. "Daher in jedem freyen Staate beständige Aufmerksamkeit, Spannung und Beobachtung der mit der höchsten Gewalt bekleideten wirklichen und moralischen Personen untereinander, der ordentliche, natürliche und gewiß nicht unglückliche Zustand ist".277 Nach der allgemeinen Feststellung folgt als konkretes Beispiel und Beleg für das Beschriebene der Hinweis auf das stetige Vergrößerungs streben des Erzhauses Österreich. Sowohl der Wortlaut der Wahlkapitulationen von Karl V. bis Joseph 11. 278 als auch eine Reihe von skizzierten österreichischen Vertragsverletzungen der jüngsten Vergangenheit sollen als Beweis dienen 279 • Die Charakterisierung der inneren Staatsführung Josephs fällt sehr positiv aus - dieser zeige sich ohne Nachlaß bemüht, seinen Untertanen Menschen- und Bürgerrechte, Freiheit, Fleiß, Tugend und Aufklärung zu geben-, gleichzeitig werden aber auch die europäischen Mächte zur Aufmerksamkeit gemahnt und aufgerufen, sich kritisch zu fragen, ob nicht auch äußere Erweiterung das Ziel des Kaisers sein könne. 280 Dohm, Fürstenbund, S.1-2. Hervorhebungen H.W. Diese Doppelung der Perspektive trat sinnfällig im übrigen schon auf der Titelseite zu Tage, die Dohm als "König!. Preuß. Geheime-Rath hey dem Departement der auswärtigen Geschäfte" auswies. 216 Dohm, Fürstenbund, S. 10-11, S.14. 211 Dohm, Fürstenbund, S.15. 218 Dohm, Fürstenbund, S.16-17. 219 Dohm, Fürstenbund, S. 20-24. Dohm spricht hier etwa vom Vorgehen des Kaisers gegen das Hochstift Passau und den Erzbischof von Salzburg, von der Unterwerfung einer Reihe von Mitgliedern des Schwäbischen Reichskreises unter österreichische Landeshoheit und dem Versuch österreichischer Werbung in den als bayerische Lehen geltenden Teilen der Oberpfalz. 280 Dohm, Fürstenbund, S.19-20. 214
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Gegen das unterstellte Machtstreben des Hauses Österreichs hebt Dohm, implizit um gegen die Stimmen zu argumentieren, die Preußen Großmachtstreben bei der Errichtung des Fürstenbundes unterstellten, die preußische Politik als eine ganz nach innen orientierte hervor und betont die dauerhafte Identität preußischer und deutscher Interessen: Wohl also dem preußischen Staat, wenn weise Regierung, kluge Sparsamkeit, Menschlichkeit, Vernunft und Aufklärung, ihm Bedürfnisse und Bedingungen seiner Größe sind; wenn eine schlechte, tyrannische und verfolgende Regierung ihm unausbleiblich Schwäche und Untergang bewirken würde, wenn er nicht reich genug ist, um ungerecht seyn zu können. 281
Das Kurhaus Brandenburg habe nie die Reichsverfassung verletzt oder sich auf Kosten der Freiheit seiner Mitstände vergrößert, alle seine Besitzungen seien rechtmäßig erworben, durch Erbrecht zugefallen oder als Entschädigung zugeteilt worden, behauptet Dohm. Der Siebenjährige Krieg wird von ihm zur Notwehrhandlung 282 , der Überfall auf Schlesien zum Ergebnis der schlechten Behandlung des Wiener Hofes gegenüber dem preußischen, der seine "längst unterdrückten Rechte mitte1st freundschaftlicher Unterhandlung geltend machen wollte", stilisiert. 283 Die den gesamten Mittelteil der Schrift einnehmende Darstellung des intendierten österreichischen Tauschprojekts (die österreichischen Niederlande gegen Bayern) dient Dohm auch als Folie für theoretische Ausführungen zum europäischen und deutschen Gleichgewicht. 284 Im Argumentieren mit diesem theoretischen Konstrukt des absolutistischen Staates offenbart sich zunächst - wie bereits gezeigt - ein pragmatisches, auf die jeweils konkrete außenpolitische Situation der Staaten beziehbares, deren Interesse nach Selbstverwirklichung ausdrückendes Denken, mit dem Dohm hier weit weniger als Privatschriftsteller, denn als Agitator in preußischen Diensten auftritt. Denn: Als Denkfigur des europäischen Staatensystems orientierte sich das Gleichgewichtsprinzip "nicht mehr an den Normen einer christlich-universalistischen Staatsethik, sondern war der Entwurf eines säkularisierten, partikularistischen Staateneuropa aus dem Geist reiner Politik". Als Ordnungsprinzip lagen ihm nicht "Recht und Gerechtigkeit oder Moral und Weltanschauung, sondern die pragmatische Eingrenzung des freien Spiels der Kräfte" zugrunde. 285 In der Propaganda, die den polnischen und österreichischen Erbfolgekrieg oder den Siebenjährigen Krieg begleitet hatte, spielte das Argument, die eigene Politik am Streben nach Erhaltung des Gleichgewichts der Mächte auszurichten, eine bedeutende Rolle. 286 Im konkreten Kontext der Fürstenbundgründung stellte das Agieren mit dem Gleichgewichtsargument einen Rückbezug auf die friderizianische ,Öffentlichkeitsarbeit' der frühen, auf aggressive Expansionspolitik orientierten Regierungsjahre dar: GeDohm, Fürstenbund, S.40-41. Dohm, Fürstenbund, S. 38. 283 Dohm, Fürstenbund, S. 52, Anm.6 zum Text von Gemmingens. 284 Vgl. dazu allgemein von Vietsch, Gleichgewicht, S. 212-306 (Das Gleichgewichtsproblem in Deutschland), besonders S. 223-240 (Friedrich der Große). 285 Kunisch, Absolutismus, S.165. 286 Vgl. dazu Fenske, Gleichgewicht, S. 979. 281
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gen das Haus Habsburg gerichtet hatte Friedrich kurz nach Regierungsantritt ausgeführt, Österreich gefährde die "liberte germanique", Ziel seiner Politik sei "bouleverser la balance des pouvoirs". Dagegen trete Preußen an, Österreich in diesem Bestreben in die Grenzen zu weisen. 287 Gerade dieses Bestreben wurde nun zum zentralen Aspekt der preußischen Fürstenbundpolitik. Konkret sieht Dohm das deutsche Gleichgewicht durch die Verwirklichung der österreichischen Tauschpläne gefährdet. Statistisch belegt er den österreichischen Zugewinn an Staatseinkünften, Einwohnern und Ländermasse durch den Tausch der Niederlande gegen Bayern. Seine Argumentation erweiternd, rückt er schließlich das europäische Staatenverhältnis ins Blickfeld: Bayern, so Dohm, sei als Vorposten Frankreichs unmittelbar vor der österreichischen Grenze ein möglicher Durchgangsweg im Fall einer französischen Invasion, bei Einverleibung Bayerns durch Österreich werde das europäische Gleichgewicht eine erhebliche Störung zugunsten Österreichs erfahren. 288 Dohm distanziert sich schließlich, wie er formuliert, von "Philosophendiskussionen" , die das Gleichgewicht von Europa für eine politische "Chimäre" erklärten. 289 Zugleich sind für ihn Gleichgewicht und (Rechts-)Sicherheit unabdingbar verbunden. Die "unverrückbare Fortdauer der Reichsverfassung" beruhe nur darauf, "daß Jedem seine Rechte nach Vorschrift der Gesetze und Herkommens ungekränkt erhalten werden". 290 Mit der Verteidigung der Reichsverfassung ist für Dohm gleichzeitig auch das Eintreten für ,Freiheit' verbunden: Spöttisch antwortet er Gemmingen, wenn erst die österreichische Grenze bis zum Rhein vorgerückt sei, dann müsse man die alte Geschichte studieren und die Wahlkapitulationen abschaffen, und wenn dann das Zeitalter der Ottonen und Karls des Großen erst wieder hergezaubert sei, sei die Zeit der Fehde vorbei, dann würde keines Recht mehr gekränkt werden, "weil Keiner ein Recht mehr hat; kein Tractat, kein Grundgesetz wird mehr verletzt werden". Allen europäischen Nachbarn könne man dann zurufen: "Wozu des ewigen Kampfs der Freiheit, da man der Ruhe des Despotismus so süß geniessen kann?"291 Gerade die Vielschichtigkeit des Freiheitsbegriffs erlaubt Dohm hier das offene Agieren mit der 287 Entwurf Friedrichs zu einem "Expose des motifs qui ont oblige le Roi de donner des trouppes auxiliaires a I'Empereur (1744)". In: Preußische Staatsschriften aus der Regierungszeit König Friedrichs 11., 1, S. 448. 288 Dohm, Fürstenbund, S. 30-31. Epstein, Konservatismus, S. 289, betont, daß Dohm sich hier eine "pränationale, kosmopolitisch-europäische Denkweise vieler deutscher Schriftsteller des späten achtzehnten Jahrhunderts" zu eigen gemacht habe. "Dohms Ansicht über die gegenseitige Abhängigkeit des deutschen und des europäischen Gleichgewichts [... ] wurde [... ] das Lieblingsargument der Konservativen zugunsten der Beibehaltung des status quo im Reich, und zwar noch bis hin zu dessen Auflösung im Jahre 1806." 289 Dohm, Fürstenbund, S.28. Vgl. dazu auch Kunisch, Absolutismus, S. 168. Es ist anzunehmen, daß Dohm sich hier explizit gegen den Kameralisten Johann Gottlieb von Justi (1717-1771) wandte, der 1758 das Gleichgewicht als eine "Chimäre" bezeichnet hatte. Zu Justis Vorstellungen vgl. von Vietsch, Gleichgewicht, S. 244-247. 290 Dohm, Fürstenbund, S. 28. 291 Dohm, Fürstenbund, S. 118, Anm.48.
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Begrifflichkeit aus dem doppelten Standpunkt des Staatsdieners und Privatmanns und bietet die Möglichkeit einer zweifachen Lesart: Primärer Bezugspunkt des hier von Dohm verwendeten Freiheitsbegriffs ist die mit der Reichsverfassung garantierte Rechtssicherheit (der Stände). Die an Montesquieu angelehnte Verbindung zwischen Gesetz und Freiheit erhält ihren Bezugspunkt bei Dohm, auch darin folgt er dem Vorbild, in der Betrachtung des Reiches als eines republikanischen Staatskörpers. 292 Damit erfolgt eine "Anreicherung des Freiheitsbegriffs mit dem Postulat nach staatsrechtlich-organisatorischen Vorkehrungen gegen Machtmißbrauch"293, die noch keinen Bezug zur aggressiv-fordernden Benutzung des Freiheitsbegriffs im Sinne einer Positivierung individueller Freiheits- und Menschenrechte hat. Zugleich aber wird Freiheit bei Dohm zu einem mit der Anstrengung des dauerhaften Kampfes unmittelbar verknüpften Wert deklariert. Mit dieser neuen Konnotation verbunden kann der Freiheitsbegriff auch Zeugnis des Gefährdungsbewußtseins des einzelnen gegen den Staat und ebenso brauchbares Verbalinstrumentarium im Ringen der bürgerlichen intellektuellen Elite um politische Freiheit und Mitbestimmung werden. Neben die Orientierung auf die freiheitlich-republikanische Reichsverfassung als Zielpunkt des Dohmschen Patriotismus tritt hier, so scheint es, ein wesentliches, die FÜfstenbundschrift motivierendes persönliches und damit zugleich den ,,Privatschriftsteller" Dohm markierendes Moment: In Freiheit zu leben bedeutet für Dohm (politisches) Engagement für diese Freiheit. Vor diesem Hintergrund relativiert sich das Argumentieren mit der Notwendigkeit der Schaffung eines deutschen und europäischen Gleichgewichts insofern, als es mit der Verknüpfung zu Recht und Freiheit herausgehoben wird aus dem vordringlichen Eintreten für die preußische Staatsräson. Es stellt sich hier in den Kampf eines am öffentlichen Diskurs teilnehmenden Mitglieds der bürgerlichen Intelligenz, das als Staatsdiener die Chance erhalten hat, nun die Ebene des ,,Philosophendenkens" nicht nur zu bedienen, sondern sie im konkreten politischen Bezugsrahmen - zwar nur verbal, aber ,offiziell' - zu überwinden. Als Staatsdiener und enger Mitarbeiter Hertzbergs war Dohm nicht nur mit genauen Kenntnissen der Rechtsgrundlagen, mit denen ihn im wesentlichen Hertzberg versorgt hatte, vertraut, sondern auch sehr nah an internen preußischen (monarchischen) Beweggründen für die Forcierung und Umsetzung der Fürstenbundidee. Der entscheidende Impuls für Friedrich 11. war gerade nicht das Streben nach Wahrung der Reichsverfassung und des Reichssystems, sondern vielmehr die Absicherung der zu diesem Zeitpunkt ohne auswärtige Verbündete dastehenden, außenpolitisch isolierten preußischen Staatsrnacht. Friedrich 11. war am Ende seiner Regierungszeit von ,.Existenzängsten persönlicher Art" geplage94 , die sich an der bangen Frage orientierten, ob sein Nachfolger den Bestand des preußischen Staates würde sichern können, ob nicht vielmehr mit seiner eigenen Person auch Preußen sterben könnte. Für Friedrich waren Überlegungen, Preußen in einer der aktuellen Situation angemessenen Form in das europäische Mächtekonzert einzubinden, die wichtigste V gl. dazu Kapitel A. III. in dieser Arbeit. Klippei, Der politische Freiheitsbegriff, S. 479. 294 Schieder, Friedrich der Große, S. 276.
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Ausgangsbasis des Handeins. Aus einem ,,Notbehelf, den Preußen mangels anderer Allianzen einging"295, wurde der Fürstenbund durch die indirekte Einbindung Englands über den Hannoverschen Beitritt, ohne daß Preußen und das Reich in offene Konfrontation zu Frankreich traten, zu einem Garanten des europäischen Friedens. 296 Vor allen Dingen aber war der Fürstenbund ein geeignetes Werkzeug im Kampf gegen österreichische Tauschpläne, die nicht nur, aber vor allem preußische Interessen berührten: Mit dem Beitritt Zweibrückens, das ursprünglich mit Anhalt-Dessau, Baden und Sachsen-Weimar die Initiative zu einem Bund ergriffen hatte, zum 1785 gegründeten Dreifürstenbund Brandenburg-Preußen, Hannover und Sachsen war der künftige Kurfürst von Pfalz-Bayern Mitglied geworden. Ihm hatte Joseph 11. ein Angebot unterbreitet, Bayern gegen die Österreichischen Niederlande zu tauschen, womit Österreich sein Territorium vom Streubesitz entlastet und um eine der tlächenmäßig größten deutschen Ländermassen erweitert hätte. Mit der im Frieden von Teschen 1778 erreichten und durch Rußland garantierten Sicherstellung preußischer Ansprüche auf Ansbach und Bayreuth und dem durch den Fürstenbund zusätzlich garantierten Status quo konnte Friedrich seine Regierungszeit in dem Bewußtsein beenden, tatsächlich ein "Defensiv - Bündnis"297 geschlossen zu haben - freilich weniger im Bezug auf die Reichsverfassung als vielmehr hinsichtlich des preußischen Staats. Mit der auf diese Weise vollzogenen Sicherung des Besitzstandes hatte Friedrich sich ein letztes Mal als "Systernrationalist" erwiesen, der mit den (noch) möglichen Mitteln den Staats bestand gefährdenden Krisen vorzubeugen hoffte. 298 Daran ließ sich zugleich auch die Hoffnung der Staatsdiener und Publizisten auf ungehinderten Fortbestand und Verhinderung auswärtiger Einflußnahme auf die gesellschaftliche und innenpolitische Ordnung Preußens nach Friedrichs Tod knüpfen, die ja doch der wesentliche Zielpunkt ihres Lobs und ihrer Anerkennung für den preußischen König war. 299 Und so war es auch die sich hier in der vermeintlichen Begrenzung der Ansprüche offenbarende Rationalität der friderizianischen Staatsräson, die Dohms überzeugtes Eintreten für den Fürstenbund mit begründen konnte. Im von Friedrich vorgegebenen, von Dohm unterstützten Festhalten am Status quo aber zeigte sich auch eine Entfernung von Hertzberg und seinen außenpolitischen Zielvorstellungen für Preußen 3OO , die ihren Ausdruck im sogenannten "Plan de pacification" (Großer Plan) von 1788 mit seinen Vorgaben einer preußischen ExAretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S.179. Aretin, Heiliges Römisches Reich, I, S.178-179. 297 Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S.180. 298 Kunisch, Staatsverfassung und Mächtepolitik, S. 52, bestimmt, den Zusammenhang zwischen Herrschaftssystem und ,Außenverhalten • analysierend, als wichtigen Bestandteil dieser Systemrationalität des Regenten die Stabilisierung der Macht in einem bestimmten Augenblick, vor allem im Hinblick auf den eintretenden Erbfall. Vgl. dazu auch die Besprechung der Untersuchung von Kunisch bei Czempiel, Strukturen absolutistischer Außenpolitik. 299 Diesen Standpunkt nimmt Dohm ja auch in der Fürstenbundschrift ein, wenn er die preußische Innenpolitik als Garant der deutschen und europäischen Sicherheit vorführt. 300 Zum Gegensatz Friedrich 11. - Hertzberg vgl. auch: Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S.180. 295
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pansion in den Osten Europas finden sollte. In der Rückschau der "Denkwürdigkeiten" betont Dohm am Ende dennoch die intensive Zusammenarbeit zwischen ihm und Hertzberg bei der Fürstenbundschrift, die dieser Bogen für Bogen korrigiert und bei der er die Akten, die Dohm vor allem für die Kommentierung der Gemmingenschen Schrift benötigte, zusammengestellt hatte. 301 Die inhaltlichen Vorgaben für die Gestaltung der Fürstenbundakte waren durch die preußischen Zielsetzungen bestimmt. Die Vorstellung kleinerer Reichsstände, mit der Gründung des Fürstenbundes eine Reform des Reiches vollziehen zu können, wurde ignoriert. earl August von Weimar (1757-1828) strebte an, eine Neueinteilung der Reichskreise vorzunehmen, ein Bundesheer zu schaffen und einen Bundestag in Mainz zur Beratung gemeinsamer Belange und Reform der Reichsverfassung einzurichten. 302 1787 wünschte der zum Koadjutor des Mainzer Erzbischofs gewählte Reichsfreiherr Karl Theodor von Dalberg (1744-1817)303 eine Reform des Reichsjustizwesens, die vor allem eine Schlichtungsstelle für Konflikte unter den Reichsständen vorsah. Friedrich war von Anbeginn nicht gewillt, auf diese Reformpläne einzugehen, wünschte sogar, die starken kleineren Territorien wie Pfalz-Zweibrükken, Baden, Anhalt oder Sachsen-Weimar zu übergehen. 304 So verteidigte Dohm in erster Linie "preußische Interessenpolitik im Gewand konservativer Reichspolitik"305, die den Reichsverband im friderizianischen Sinne "mobil" machte: Diese preußische Reichspolitik hatte sich während Friedrichs gesamter Regierungszeit dabei "durchaus konventioneller, kurbrandenburgischer Tradition entsprechender, jedoch zunehmend geschickt eingesetzter Methoden [bedient]: familiärer Beziehungen, eines Satellitensystems, das er [Friedrich] auszubauen trachtete, konfessioneller Solidarität". Waren sie in ihrer gesamten Ausprägung auch darauf abgestellt, "letztlich gegen die Existenzgrundlagen des Reichsverbandes" anzutreten 306, wurden sie dennoch in der aktuellen politischen Konstellation als die Orientierung Preußens auf 301 Dohm, Denkwürdigkeiten, 3, S. 149, Anm. 80. Dagegen steht nach Dohms Aussage das zögerliche und skeptische Verhalten Graf Finckensteins, der von der Fürstenbundidee weniger überzeugt war, weil er fürchtete, daß diese Preußen "in unangenehme Verhältnisse verwickeln könne" (Denkwürdigkeiten, 3, S. 108). Bei der Vorbereitung des Projekts unterstellt Dohm Hertzberg allerdings eifersüchtiges Verhalten, das sich im Entzug von Dohm zugewiesenen Aufgaben manifestiert habe. So soll ihm die Führung der Verhandlungen mit Hannover und Kursachsen in Nordhausen aus diesem Grund abgenommen worden sein (Denkwürdigkeiten, 3, S. 73). Dambacher, Dohm, S. 153, betont dagegen in Anlehnung an Ranke, Fürstenbund, S. 299, daß Dohm hier irre, vielmehr sei er dem König noch zu schwach und unselbständig erschienen. Die zur Verfügung gestellten Materialien für die Kommentierung der Schrift von Gemmingens waren die Grundlage für ausführliche historische, rechtliche und genealogische Deduktionen, die Dohm als Mitarbeiter des preußischen Archivs auswiesen. Diese Kommentare sind zum Teil so ausführlich, daß sie den Gemmingenschen Text an Quantität bei weitem übertreffen. 302 Vgl. dazu Crämer, earl August von Weimar, S. 79-101; Erbe, Deutsche Geschichte, S.89. 303 Zu Dalberg vgl. auch Kapitel B. II. 2. in dieser Arbeit. 304 Vgl. dazu Aretin, Heiliges Römisches Reich, I, S.I64-175. 305 Schieder, Friedrich der Große, S.278. 306 Press, Friedrich als Reichspolitiker, S. 56.
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das Reich propagiert. Dohm zweifelte nicht an der Richtigkeit und Aufrichtigkeit dieses Arguments. Noch in den "Denkwürdigkeiten" betonte er, den Entstehungskontext seiner Schrift skizzierend: Dohm war von der Gerechtigkeit der Sache, welche er verteidigte, und von ihrer hohen Wichtigkeit innigst durchdrungen; von der Wahrheit alles dessen, was er behauptete, überzeugt; vom Gange der Sache, von ihrem ersten Anfange an, vollkommen unterrichtet; er wußte, daß sein König durchaus keine anderen Absichten hatte, als die angegeben wurden. [... ] Noch jetzt denkt der Verfasser mit Vergnügen an diese Arbeit zurück, bey welcher Erfüllung der Pflicht und innigste Ueberzeugung so ganz zusammentrafen, und welche mehr wie irgend eine, mit der er je beschäftigt gewesen, durch den glücklichsten Erfolg belohnt wurde. 307
Es mag letztlich vor allem diese feste Überzeugung der Integrität des preußischen Königs in diesem Moment gewesen sein, die Dohm zum selbstverständlichen Mitträger einer sich in die preußische Tradition des flexiblen Umgangs mit der jeweils aktuellen außenpolitischen Situation stellenden, den ,,Primat der Außenpolitik" akzentuierenden Staatsräson werden ließ. 308 Daß Friedrich umgekehrt diese Staatsräson nicht nur an der Kontinuität einer brandenburgischen Staatsüberlieferung orientierte, sondern sie in seinen Prinzipien und im Inneren des Staates einer humanitären Umprägung durch die Aufnahme der aufklärerischen Bildungseinfiüsse unterzog, daß sein persönlicher Dienstbegriff als Maxime seines Handelns Vorbildcharakter für die Pflichttreue und Zuverlässigkeit der Beamten hatte 309, waren äußere Bedingungen dieser Akzeptanz, die Dohm noch aus der Rückschau der "Denkwürdigkeiten" implizit und explizit anerkennen sollte: Die Art, wie dieser König mit seinen Ministern umging, war wirklich Erziehung derselben, welche sie immer vollkommener machte und mit vollem Recht kann man daher das Gute, was durch Friedrichs Minister geschehen ist, einem großen Theil nach ihm selbst beimessen. 31O
V. Diplomatischer Dienst in Köln und Aachen 1. Dohm als Gesandter beim Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis 1786 wurde Christian Wilhelm Dohm in den diplomatischen Dienst in die Reichsstadt Köln versetzt. Versehen mit dem dreifachen Titel eines Herzoglich Clevischen 307 Dohm, Denkwürdigkeiten, 3, S. 148-150. Ein wichtiges Argument für Dohms positive Beurteilung mag auch der Erfolg seiner Arbeit im Zusammenhang der Fürstenbundgründung gewesen sein. Sein berufliches Leben empfand er rückblickend insgesamt als wesentlich vom Scheitern geprägt. Vgl. dazu Kapitel C. V. in dieser Arbeit. 308 Zur Staatsräson bei Friedrich 11. vgl. Hubatsch, Problem der Staatsräson. Zum hier Vorgetragenen v. a. S. 15, S. 22, S. 25. Außerdem grundlegend: Meinecke, Staatsraison, darin ausführlich zu Friedrich II. S. 321-400; Schnur, Staatsräson. 309 Rössler/Franz, Sachwörtertbuch zur Deutschen Geschichte, Artikel "Staatsräson", S. 1218-1220, hier: S. 1220. 310 Dohm, Denkwürdigkeiten, 4, S.543. Vgl. dazu auch Kapitel C. V. in dieser Arbeit.
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A. Dispositionen des politischen Erlebens und Handelns
DirektoriaJrates und Gesandten beim Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis, preußischen Residenten bei der Reichsstadt Köln und bevollmächtigten Ministers am kurkölnischen Hof traf er um die Mitte des Monats Juli in Köln ein. Seiner Versetzung waren Differenzen mit Hertzberg und das durch den hessischen Minister Martin Ernst von Schlieffen (1732-l825)3l\ gemachte Angebot einer Professur in Marburg vorausgegangen. Dohms Unzufriedenheit gründete in dem Empfinden einer nur unmaßgeblichen Verantwortung und starker Vereinnahmung durch den Vorgesetzten sowie der Vermutung, die nach der Veröffentlichung der Fürstenbundschrift kursierenden Gerüchte einer tatsächlichen Autorenschaft Hertzbergs seien von diesem selbst gestreut worden. Der plötzliche Tod des amtierenden preußischen Gesandten beim Niederrheinisch-Westfalischen Kreis Heinrich Theodor von Emminghaus und das Angebot Hertzbergs, dessen Nachfolge in Köln anzutreten, bot Dohm die Möglichkeit, weiter für Preußen, aber entfernt von Berlin tätig zu werden. 312 Ansehen und tatsächliche Bedeutung seiner neuen Position korrespondierten keineswegs mit Dohms Wunsch nach größerer Verantwortung: Die Stelle des preußischen Gesandten in Köln gehörte, legt man die Höhe der Besoldung und die Anzahl der bewilligten Mitarbeiter zugrunde, zu den unbedeutenden preußischen Diplomatenposten. Das Amt war bisher eher von wohlhabenden, mehr nach äußerem Ansehen denn nach Verantwortung strebenden Männern besetzt gewesen, die die nach und nach vorgenommene Herabsetzung des monatlichen Gehalts mit ihren eigenen Mitteln ausgleichen konnten. Daß zudem auch der Legations-Sekretär eingespart worden war, charakterisiert die Berliner Einschätzung der in Köln anfallenden Arbeiten hinlänglich. 313 Erst nach längeren Auseinandersetzungen um die Dotierung des Gesandtenpostens und die Bewilligung von zusätzlichen Mitarbeitern stimmte Dohm, nachdem er die Zusage von 1550 Thalern Jahresgehalt, 400 Thalern Reisegeld und der Einsetzung eines von ihm selbst zu bezahlenden Sekretärs erhalten hatte, seiner Entsendung zu. Nach anfanglich nur zögerlicher innerer Annäherung an den neuen Wohnort schien sich doch zumindest Dohms Wunsch zu erfüllen, sich auf dem neuen Posten vordringlich seinen wissenschaftlichen Studien widmen zu können. An Johannes von Müller (1752-1809) schrieb er, daß er nicht vorhabe, nach Berlin zurückzukehren, in Köln könnte er ,,ruhiger und gesunder leben als es in Berlin je möglich war". Schließlich gab er sogar der Hoffnung Ausdruck, daß in Berlin "der Abwe3ll Schlieffen war bis zu seinem 24. Lebensjahr Soldat im Garderegiment Friedrichs 11. in Potsdam. Danach wechselte er in hessische Dienste, wurde 1763 dort General. Landgraf Friedrich 11. ernannte Schlieffen 1772 zum Generallieutnant und Staatsminister. Ab 1776 war er Gesandter Hessens in London. Im April 1789 trat Schlieffen erneut in preußische Dienste, wo er als preußischer Generallieutnant Gouverneur von Wesel wurde. Friedrich Wilhelm 11. zeichnete ihn mit dem Schwarzen Adlerorden aus. 1792 nahm Schlieffen seinen Abschied, zog sich auf sein Gut im hessischen Windhausen zurück und widmete sich bis zu seinem Tod im Jahr 1825 wissenschaftlichen Studien (Vgl. Friedlaender, Schlieffen, S.516-517). 312 Vgl. Gronau, Dohm, S.128-133; Dambacher, Dohm, S. 204-205. 313 Gronau, Dohm, S. 131.
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sende leicht in Vergessenheit" geraten möge. 314 Zu diesem Zeitpunkt war weder in Berlin noch für Dohm selbst vorauszusehen, welche große Bedeutung die Westpolitik für Preußens Ansehen im Reich in der Zukunft spielen sollte. Mit dem Fall Kleves an Brandenburg-Preußen sowie Jülichs und Bergs an das Haus Pfalz-Neuburg durch den Vertrag von Xanten im Jahr 1614 hatte sich die Zahl der üblichen zwei Kreisdirektoren pro Reichskreis im Niederrheinisch-WestfaIischen Kreis auf drei erhöht. Neben dem geistlichen Fürsten, dem Kurfürsten von Köln in der Funktion des Bischofs von Münster, traten nun, zunächst alternierend, ab etwa 1710 gleichzeitig, der Kurfürst von der Pfalz als Herzog von Jülich und Berg und der Kurfürst von Brandenburg bzw. der König von Preußen als Herzog von Kleve als Kreisausschreibende Fürsten und Direktoren hinzu. 315 Die westlich der EIbe gelegenen Landesteile waren Brandenburg-Preußen im 17 . Jahrhundert durch Erbschaften, militärische Eroberungen, Lehnsauftrag oder auf vertraglichem Weg zugefallen. Zu ihnen gehörten neben dem Herzogtum Kleve auch Geldern, die Grafschaften Mark, Ravensberg, Lingen und Tecklenburg sowie die Fürstentümer Minden und Moers. Nicht nur die räumliche Distanz zu den Kernlanden, sondern auch die Tatsache, daß die genannten Territorien im 18. Jahrhundert nur etwa sieben Prozent der Gesamtfläche des preußischen Staats (mit Schlesien) ausmachten und nur etwa 12 Prozent der brandenburg-preußischen Bevölkerung hier lebte, begrenzten das Interesse des Herrscherhauses an diesen Landesteilen. Darüber hinaus wirkten im gleichen Maße die Schwierigkeiten, eine einheitliche Verwaltung in den politisch, religiös und wirtschaftlich so verschiedenen Territorien zu etablieren sowie ihre Verteidigung im Kriegsfall zu gewährleisten hemmend auf das Engagement des Hauses Brandenburg. Mit dem Aufbrechen des preußisch-österreichischen Dualismus im Reich änderte sich diese Situation insofern, als nun preußischerseits besonderes Augenmerk auch auf die westlichen Besitzungen Österreichs im Reich, vor allem die Österreichischen Niederlande, gerichtet werden mußte. Mit der Ernennung des Bruders Josephs 11., Maximilian Franz 316 , zum Erzbischof und Kurfürsten von Köln und Fürstbischof von Münster im Jahr 1784 war zudem eine starke Präsenz Österreichs in den Rheinlanden etabliert, die Preußen bei der Koadjutorwahl 1780 in Münster 31 ? nicht zu verhindern vermocht hatte 3l8 • Im Gegenzug hatte die 314 Dohm an Johannes von Müller, 6. Dezember 1786. Briefe an Johannes von Müller, 2, S.316. 315 Vgl. dazu und zum folgenden ausführlicher: von Looz-Corswarem, Die westlichen Landesteile; Hartung, Der preußische Staat und seine westlichen Provinzen, v. a. S. 416-422; Opgenoorth, Die rheinischen Gebiete. Zu den Reichskreisen: Moser, Von der Teutschen CraysVerfassung; speziell zum Niederrheinisch-Westfälischen Kreis: Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S. 11-42. 316 Zu Max Franz vgl. die ausführliche Monographie von Braubach, Max Franz. 317 Vgl. hierzu ausführlich: Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S. 131-136. Zum Zusammenhang zwischen preußisch-österreichischem Dualismus und Koadjutorwahlen im Reich vgl. das Kapitel B.II.2. in dieser Arbeit. 318 Der zuständige preußische Verhandlungsführer General Wolffersdorff wurde auf seiner Mission nach Münster unter anderem von einem noch jungen Staatsdiener begleitet, der hier
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Gründung des Fürstenbundes eine Ausweitung des preußischen Einflusses im Reich mit sich gebracht, die in ihrer geographischen Streuung durch die Mitgliedschaft etwa der Territorien Baden und Kurmainz an den Rhein reichte, durch Osnabrück und Zweibrücken an die nord- und südwestlichen Ränder des Reiches sich erstreckte. Durch dynastische Beziehungen war Preußen darüber hinaus eng verbunden mit einem der westlichen Nachbarn des Reichs: Die Frau des erblichen Statthalters der Republik der Vereinigten Niederlande Prinz Wilhe1m V. von Oranien, Wilhelmina, war die Schwester des preußischen Königs Friedrich Wilhelm 11., was preußisches Engagement wie etwa im Jahr 1787, als preußische Truppen unter hohem finanziellen und militärischen Aufwand gegen die Patriotenbewegung in den Generalstaaten vorgingen, auch über die Reichsgrenzen hinaus erfordern konnte. 3\9 Trotz dieses durch äußere politische Umstände erzwungenen Interesses der beiden großen Mächte im Reich an ihren westlichen Territorien war die Westpolitik, gerade auf preußischer Seite, jahrzehntelang vernachlässigt worden. Das Engagement Preußens im Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis jedenfalls gestaltete sich - und darin unterschied Preußen sich wenig von Kurköln und Kurpfalz - ausgesprochen zurückhaltend. Nicht nur hatte seit 1738 kein Kreistag, d. h. eine Zusammenkunft aller Kreisstände, mehr stattgefunden, auch die Kommunikation der drei Kreisdirektoren untereinander bezüglich kreisinterner Angelegenheiten lag weitgehend brach. Mit der Bestallung Christian Wilhelm Dohms und seinem engagierten Einsatz sollte sich das zugunsten einer Reaktivierung des Kreislebens ändern. 320 Dohm war mit seiner Entsendung nach Köln in von ihm besonders favorisierte staats- und verfassungsrechtliche Strukturen eingebunden worden. Nicht nur war sein neuer Wohnort eine von ihm in seinen theoretischen Ausführungen mit allen Vorseine erste größere diplomatische Aufgabe zu erfüllen hatte. Sein Name war Christian Wilhe1m Dohm. Gronau, Dohm, S. 140, bemerkt dazu, daß Maximilian Franz sich Dohm gegenüber bei seiner ersten Vorstellung am kurkölnischen Hof im Jahr 1786 sehr freundschaftlich verhalten und gerne über dessen Engagement gegen seine Wahl zum Koadjutor in Münster gespottet habe. Dohm konnte bei dieser Vorstellung kein förmliches Creditiv, wie es üblich war, überreichen, da der Kurfürst als Hoch- und Deutschmeister dem preußischen Königstite1 die Anerkennung versagte. Um Unannehmlichkeiten im Vorfeld zu vermeiden, war die Ernennung Dohms daher in Form einer Bekanntmachung an den kurkölnischen Minister von Waldenfels erfolgt. Bei der Eröffnungsfeier der Universität Bonn im November 1786 hatte es einen Rangstreit gegeben. Die offizielle Festschrift führte Dohm unter dem holländischen Gesandten auf, worüber Dohm sich im Februar 1787 beschwerte. Daraufhin wurde er von Hertzberg im März als "ministre plenipotentiaire", also als bevollmächtigter Minister beim kurkölnischen Hof akkreditiert (vgl. Hansen, Quellen, I, S. 21 *). 319 Zum Verlauf der Unruhen in Holland vgl.: Heigel, Deutsche Geschichte, S. 131-150; Bailleau, Hertzberg, S. 448-463. 320 Zu Dohms herausragender Rolle vgl. zusammenfassend: Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S. 34: "Niemand hat größeren Einfluß besessen als der Clevesche Gesandte, Christian Wilhelm Dohm [... ]. Seine umfassenden Kenntnisse auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens, seine neuen Ideen aufgeschlossene Natur und nicht zuletzt seine Verhandlungs taktik [... ] verschafften ihm in kurzer Zeit ein bedeutendes Ansehen, das sein Vorgänger von Emminghaus nicht annähernd besessen hatte."
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zügen einer Republik charakterisierte freie Reichsstadt, auch hatte Dohm als Vertreter eines kreisausschreibenden Fürsten Aufgaben in dem dem Reich strukturell nachgestalteten Gebilde eines Reichskreises zu übernehmen, in dem zumindest nach theoretischer Vorgabe ein Zusammenwirken verschiedener Reichsstände - wie er es in der Fürstenbundschrift aus Überzeugung gefordert hatte - sich durchsetzen sollte. 321 Wie ernst ihm die verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben des Kreisdirektoriums waren, wie sehr auch hier wieder die Reichsverfassung als Orientierung und Wertmaßstab politisch verantwortlichen Handeins in den Mittelpunkt gerückt wurde, verdeutlichte Dohms nach seiner Ankunft in Köln veranlaßtes Zusammentreffen der Direktorialvertreter auf einem Kreisdirektorialtag. Initiativ geworden war der Jülichsche Gesandte J. H. Grein (1714-1799), der, nachdem der Kreissekretär die miserable Finanzwirtschaft des Kreises beklagt hatte, die beiden anderen Direktorialvertreter auf die Notwendigkeit einer Zusammenkunft hingewiesen hatte. Dohm forcierte seine Vorbereitungen für ein Treffen nach der Erneuerung seiner Berufung durch Friedrich Wilhelm 11. und schlug einen Direktorialtag in Köln vor. Das Treffen begann am 7. Oktober in Dohms Wohnung in der preußischen Residenz und wurde, was Themenstellung und -bearbeitung anging, maßgeblich von ihm bestimmt. 322 Der Hauptbeschluß der Versammlung war die Festlegung des Termins für einen förmlichen Kreistag auf Mai 1787. 323 Auch wenn aufgrund der folgenden Unruhen in Aachen und wenig später in Lüttich das Zusammentreffen aller Kreisstände noch weitere sieben Jahre verschoben werden mußte, gab doch Dohms Engagement nicht nur dem Kreisleben neue Impulse, sondern wies auch seiner eigenen Rolle den die bisherigen Abhängigkeiten modifizierenden Bezugspunkt für die Zukunft: Neben die Funktion der Vertretung preußischer Interessen im Westen des Reichs war nun die in Kooperation mit anderen deutschen Mächten durchzuführende Organisation (und wenig später Krisenbewältigung) in einem übergeordneten Rahmen, dem Reichskreis, getreten.
321 V gl. allgemein zur Thematik der Reichskreise: Moser, Von der Teutschen Crays-Verfassung; Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S.I-l1; Aretin, Heiliges Römisches Reich, I, S. 70-76; Hartung, Deutsche Verfassungsgeschichte, S.42-45. 322 V gl. dazu Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S. 46 f. 323 Gronau, Dohm, S. 144-145, übermittelt die Ergebnisse des Kreisdirektorialtages. Danach wurden einige kleine Länder, wie die Besitzungen der beiden Neuwiedschen Häuser sowie einiger Saynscher Linien und die Herrschaft Fagnolles des Fürsten von Ligne als vollgültige Mitglieder des Kreistages mit Sitz und Stimmrecht aufgenommen, die Kreiskasse einer Überprüfung unterzogen und, um ihren maroden Zustand zu beheben, eine Aufforderung an die Stände zur Zahlung ihrer Beiträge verschickt. Ausführlich dazu auch: Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S.46-53. (Gegen Gronau, Dohm, S. 145, der den Kreistag als ..erfolglos" und ..völlig unfruchtbar" interpretiert, setzt Hastenrath, S. 52, eine Zusammenfassung der Ergebnisse, die vor allem die Wiederbelebung des Kreislebens, die enge persönliche Zusammenarbeit der Direktoren und die Beendigung lange verschleppter Geschäfte hervorhebt.)
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2. Anerkennung und Bewährungsprobe: die Nobilitierung Dohms und der Fall Bückeburg "Es war eine Empfindung der Leere, der Verlassenheit, der Besorgnis für die Zukunft", beschrieb Dohm in der Rückschau der "Denkwürdigkeiten" seinen Gemütszustand, als er kurz nach seiner Ankunft in Köln vom Tode Friedrichs 11. erfuhr. 324 In diesen Worten drückte sich nicht nur eine gleichermaßen ins Private und Politische weisende Furcht vor Stabilitätsverlusten der inneren und äußeren Ordnung des preußischen Staates aus, sondern auch die Trauer über einen persönlich-menschlichen Verlust. Leere und Verlassenheit beim Tod des Herrschers zu empfinden, implizierte die Anerkennung eines Dienstverhältnisses, das den Dienstherrn in patriarchischer Schutzfunktion über seine Bediensteten stellte, deren Handeln umgekehrt erst im Bezug auf den Regenten einen konkreten Sinn erhielt. Für Dohm bedeutete das nicht, daß er in diesem Moment seine kritische Haltung als Staatsdiener aufgab, er offenbarte lediglich ein Staatsbewußtsein, das mit der Wertschätzung dieses einen Monarchen eine (,persönliche') Beziehung zu ihm und zu der durch ihn repräsentierten Staatsform herstellte. Bei aller gleichzeitigen kritischen Distanz hatte sich DOhms Bindung an den preußischen Staat bisher primär über die Wertschätzung der spezifisch friderizianischen Staatsführung definiert. Jetzt war dieser Bezugspunkt weggefallen, und es würde sich in der Zukuft erweisen müssen, ob die Monarchie ohne den geschätzten König vor Dohms kritischem Auge Bestand haben könnte. Mit seinen Zweifeln und Unsicherheiten folgte Dohm einer Sichtweise, die Friedrich 11. selbst im Hinblick auf das Problem dynastischer Kontinuität im allgemeinen und seiner eigenen Nachfolge im besonderen mehrfach geäußert hatte. Gerade in der durch die Souveränität des einzelnen Herrschers bedingten system immanenten Schwäche der Monarchie und dem daraus erwachsenden "strukturbedingten Mangel an Kontinuität"325, der geltende Grundsätze nach dem Tod des einen und der Thronbesteigung des neuen Monarchen zu Fall bringen konnte, sah Friedrich die Monarchie als grundsätzlich auch in Frage zu stellende Staatsform. 326 Die systemimmanente Willkür der Entscheidungen konnte nur dadurch aufgefangen und dem allgemeinen Besten dienlich gemacht werden, wenn Entscheidungen von den Fähigkeiten und der Weitsicht des Regenten getragen waren: "Die wahrhaft monarchische Regierung ist die schlimmste oder aber die beste von allen, je nachdem sie gehandhabt wird."327 Dohm, Denkwürdigkeiten, 3, S.180f. Kunisch, Kontinuität, S.17. 326 Vgl. dazu Friedrich der Große, Memoires pour servir a I'Histoire de la Maison de Brandebourg. In: CEuvres (Preuß), Bd. I, S.239: Die einzige Grundlage der Königreiche "ist die souveräne Macht des Herrschers". Gesetze, Heerwesen, Handel und Gewerbe und alle Bereiche staatlicher Tätigkeit seien immer der Willkür eines einzelnen unterworfen. Bei einem Regierungswechsel werde der Staat gewöhnlich nach neuen Grundsätzen regiert. "Und das ist es, was gegen diese Regierungsform spricht." (vgl. auch Kunisch, Kontinuität, S. 17). 327 Friedrich der Große, Essai sur les formes de gouvernement et sur les devoirs des souverains. In: CEuvres (Preuß), Bd. 9, S. 198. 324 325
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Zu den Unwägbarkeiten der neuen Regierung, die die Staatsbediensteten ganz unmittelbar betrafen, gehörte auch die Frage nach den personellen Veränderungen, die Friedrich Wilhelm 11. vornehmen würde. Hertzberg hatte sich noch zu Lebzeiten Friedrichs 11. einen herausragenden Platz gesichert, indem er dem Thronfolger als Ratgeber diente und auf diese Weise seinen Einfluß auf längerfristige Mitwirkung an der Regierung nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms 11. auszudehnen hoffte. 328 Ob aber das Dohm von Hertzberg gegebene Versprechen, ihm nach dem Tod Friedrichs 11. eine verantwortungsvolle Position in Berlin zu verschaffen, von diesem eingelöst werden konnte, mußte zu diesem frühen Zeitpunkt noch im Unklaren bleiben. Friedrich Wilhelm 11. steuerte den Unsicherheiten offensiv entgegen, indem er die enge Bindung verdienter Staatsdiener an den preußischen Staat auch über den Tod seines Onkels hinaus öffentlich und plakativ zu seinem Willen erklärte: In die Gruppe der 1786 durch Standes- und Rangerhöhungen Ausgezeichneten war auch Dohm aufgenommen worden; der neue preußische König nobilitierte ihn. 329 Dohm schätzte seine - von ihm selbst als adäquates Mittel der Belohnung verdienter Bürger anerkannte - Standeserhöhung 330 vor allem aus pragmatischen Gesichtspunkten. An Johannes von Müller schrieb er, dessen Gratulation beantwortend, daß in seiner Lage "der Adel allerdings einige reelle Vorteile" habe, "und da ich ihn ohne Ansuchen [... ] erhalten, ist er mir allerdings angenehm gewesen".331 In ,,meiner Lage" bedeutete jetzt Repräsentant des preußischen Staates außerhalb der Kernlande zu sein, Ausführender der preußischen Außenpolitik, Adressat für alle den Tätigkeitsort betreffenden Mitteilungen und Beschwerden, Wünsche und Rechtsakte, Unterhändler seiner Regierung bei Verhandlungen, "Kommunikationsglied" im Dialog der Regierungen untereinander, Beobachter und Informant seiner Regierung die Verhältnisse an seinem Aufenthaltsort betreffend sowie Berater in allen diesen Ort betreffenden Fragen. Und es bedeutete auch, derjenige Repräsentant seines Landes zu sein, "dessen Gegenwart und dessen protokollarische Behandlung zugleich die Stellung und den Rang des Absendestaates" und seine Beziehung zum 328 V gl. hierzu etwa von Bissing, Friedrich Wilhelm II., S. 32 und S. 42 f. Bissing stellt dar, daß Hertzberg ohne Wissen Friedrichs 11. eine an Friedrich Wilhelm gerichtete Denkschrift zur preußischen Außenpolitik verfaßt habe, deren Inhalt die wesentlichen Aspekte seines später erstellten "Großen Plans" umfaßte. Seit 1781 standen Hertzberg und der spätere König Friedrich Wilhelm 11. in intensivem brieflichem Kontakt und vor allem im Umfeld der Fürstenbundgründung, während der der Thronfolger erstmals in die Politik eingriff, gab es einen regen Gedankenaustausch. Friedrich 11. selbst hatte Hertzberg schließlich dazu bestimmt, seinen Neffen mit den Arkana der preußischen Außenpolitik vertraut zu machen (Vgl. zum letzten etwa auch Volz, Der Plan einer Mitregentschaft des Prinzen Heinrich, S. 178, Anm. 25). 329 Die inflationären Ausmaße der von Friedrich Wilhelm 11. in den Anfangsjahren seiner Regierungszeit durchgeführten Nobilitierungen wurden von den Zeitgenossen spöttisch kommentiert, indem sie die Neugeadelten als die "Sechsundachtziger" bezeichneten (darauf verweist Schwieger, Bürgertum in Preußen, S.46, in Anlehnung an Philippson, Geschichte des Preußischen Staatswesens, 1, S.178). 330 V gl. Kapitel A. III. in dieser Arbeit. 331 Dohm an Johannes von Müller, 6. Dezember 1786, Briefe an Johannes von Müller, 2, S.316.
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Gastort symbolisierte. 332 Hier verbanden sich die preußischen Ansprüche auf Akzeptanz der Machtstellung im Reich und die Dohmschen Nützlichkeitserwägungen in besonderer Weise. Beim diplomatischen Auftreten am kurkölnischen Hof und gegenüber den Vertretern der beiden anderen Direktorialhöfe ebenso wie im Verkehr mit den vor allem in den sich entwickelnden Auseinandersetzungen eine dominante Rolle spielenden Mitgliedern des rheinischen Adels 333 war Dohms Nobilitierung nicht nur hilfreich, sondern geradezu unerläßlich. Rang und Funktion aber mußten, wollten sie ihre Wirkung nicht verfehlen, von einer Persönlichkeit erfüllt werden, die sich den anstehenden Aufgaben und Konflikten gewachsen zeigte und den schmalen Grad zwischen geforderter Unterordnung unter die erklärte Staatsräson auf der einen sowie Eigenverantwortlichkeit und Entschlußkraft auf der anderen Seite auszutarieren verstand. Mit der Einberufung des Kreisdirektorialtages hatte Dohm seine Entschlossenheit unter Beweis gestellt. In den politischen und religiösen Auseinandersetzungen der Folgezeit galt es nun, den Respekt der Kollegen und der Konfliktparteien zu erhalten und dabei zugleich die eigenen Möglichkeiten und Grenzen so weit als möglich auszudehnen. Eine frühe Bewährungsprobe hatte Dohm in der sogenannten Bückeburger Affäre zu bestehen: Im Februar 1787 marschierten Truppen des Landgrafen Wilheim IX. von Hessen-Kassel in den lippe-bückeburgischen Teil der Grafschaft SchaumburgLippe ein und besetzten diesen. Zur Begründung für sein Vorgehen brachte der Landgraf ein ihm seiner Auffassung nach durch den Tod des Grafen von Schaumburg-Lippe zustehendes Lehen in Anschlag. Da tatsächlich aber keine erbrechtlichen Ansprüche vorlagen 33\ mußte die gewaltsame Besetzung als Landfriedensbruch und Störung der Ruhe innerhalb des Reichskreises gewertet werden. Ohne Anrufung einer Partei mußte sich das Direktorium des Niederrheinisch-WestHUischen Kreises von Amts wegen in die Auseinandersetzung einmischen. Für Preußen war dieser Zwischenfall vor allem deswegen eine besondere Herausforderung, weil Hessen-Kassel Mitglied des Fürstenbundes war und sich als solches der Maxime einer Verhinderung gewaltsamer Vergrößerungen einzelner Reichsstände unterworfen hatte. Aus beiden Blickwinkeln, dem auf kreisinterne als auch dem auf ausdrücklich preußische außenpolitische Angelegenheiten gerichteten, war preußischerseits das Verhalten Hessen-Kassels zu ahnden, im zweiten Fall aber trat verschärfend die sich nun gegen Preußen herausbildende negative öffentliche Meinung hinzu. 335 Preußen 332 Grewe, Diplomatie als Beruf, S.ll-12. Dohms Tagebuch belegt die zahlreichen Besuche, die ihm in Aachen abgestattet wurden. Pauls, Berühmte Fremde, zählt die herausragenden Gäste auf, die sich zwischen 1789 und 1793 in der Reichsstadt aufhielten, darunter der Bruder Ludwigs XVI. und spätere König Karl X. von Frankreich, Graf Artois (der auch Dohm besuchte, wie das Tagebuch zeigt) sowie zahlreiche französische und Lütticher adelige Emigranten. Zu Dohm speziell: Pauls, S.1l7. 333 Zur Rolle des rheinischen Adels in den Konflikten vgl. etwa: earl, Mäkelei, S. 166f. 334 V gl. dazu Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S. 53. 335 Vor allem der Kölner Kurfürst Max Franz soll sich hier mit spöttischen Bemerkungen gegenüber Dohm über den aktuellen Zustand des Fürstenbundes hervorgetan haben (Vgl. Braubach, Max Franz, S.177, Anm.l).
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reagierte, indem es aus Berlin Kassel eine Note übermittelte, in der die sofortige ,,Redressierung" des Vorgefallenen gefordert und das Angebot preußischer Vermittlung unterbreitet wurde. Nach weiteren Kasseler Truppenaushebungen in Bückeburg rief ein kaiserliches Mandat schließlich zur Exekution gegen den Unruhestifter auf. Preußen stellte 10.000 Soldaten, die sich in Minden sammelten, Kurköln und Kurpfalz erklärten die Bereitstellung von je 1500 Mann. Mit dem daraufhin erfolgten Abzug der Kasseler Soldaten aus Bückeburg war die Affäre unblutig beendet. Bemerkenswert war die von Dohm an den Jülichschen Gesandten Grein in diesem Zusammenhang getane Äußerung über die Einbindung der kaiserlichen Gewalt in die Niederschlagung der Unruhe: Dohm betonte, daß "der schnelle Erfolg" vor allem durch die preußischen Truppen mitbefördert worden sei und empfahl, den Abzug der Kasseler Soldaten umgehend dem Kaiser zu melden, "da dieses vielleicht noch weitere kaiserliche Aufträge zur Folge habe und hierdurch auch die Beschleunigung der Sache, woran uns wegen Aachen sehr gelegen, befördert werden wird."336 Diese Angelegenheit machte eine Abreise der drei Direktorialvertreter noch Mitte Mai 1787 in Richtung Aachen nötig.
3. Die Reichsstädte als Prüfsteine von Dohms verfassungspolitischen Ansichten Seine Vorliebe für republikanische Staatsstrukturen hatte Dohm in privaten und öffentlichen Äußerungen mehrfach hervorgehoben. Nun ließ sich zuerst in Köln und wenig später in Aachen beobachten und überprüfen, ob die diese Präferenz begründenden Vorstellungen einer vom Gemeinwesen akzeptierten Vorherrschaft der Gesetze vor der Rechtsetzung einzelner, Gewaltenteilung und weitgehender Mitbestimmung aller Glieder der Gemeinschaft in den Reichsstädten 337 tatsächlich ihre Umsetzung fanden. Theoretisch jedenfalls hatte Dohm in seinem Bewertungssystem den Reichsstädten ja den gleichen Stellenwert eingeräumt wie der Schweizer Eidgenossenschaft und England und war mit dieser Vorgabe ganz den stereotypen Interpretationen seiner Zeit gefolgt. 338 Bereits 1777 hatte er im "Deutschen Museum" den Vorbildcharakter der englischen Verfassung hervorgehoben: Die ,,kun336 Dohm an Grein am 28. April 1787. Zitiert nach Hastenrath, Ende des NiederrheinischWestfälischen Kreises, S. 55. Anm. 31. Vgl. zur Militarisierung der Konflikte auch die Kapitel B. IV. I. und B.IV. 2. in dieser Arbeit (Dohm forderte preußische Truppen für Lüttich an.). 337 Zur Verfassungsstruktur und der reichsrechtlichen Stellung der deutschen Reichsstädte vgl.: Maser, Von der Reichs-Stättischen Regiments-Verfassung; Brunner, Souveränitätsproblem; Press, Reichsstädte in der frühen Neuzeit; ders., Die Reichsstadt in der altständischen Gesellschaft; ders., Reichsstadt und Revolution; Dickerhaf, "Unser und des riches stat"; Hammerstein, Das ,,Reich" in den Vorstellungen der Zeitgenossen; Marawa, Der rechtliche Status der Reichsstädte; Gerteis, Die deutschen Städte in der frühen Neuzeit; ders., Frühneuzeitliche Stadtrevolten; Hildebrandt, Rat contra Bürgerschaft; Schilling, Städtischer "Republikanismus"; Neugebauer-Wölk, Reichsstädtische Reichspolitik. 338 Vgl. dazu Dohms Brief an Jacobi vom 18. Dezember 1781, Kapitel A. III. in dieser Arbeit. Zur zeittypischen Vorstellung von ,funktionierenden' Republiken vgl.: Mayer, Republik, hier speziell S. 587-595.
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digsten und weisesten Männer" hätten hier bei der Gesetzgebung konkurriert, "die Stimmen aus allen Ständen werden gehört, das Interesse aller Klassen der Bürger, aller Teile des Reichs wird gegeneinander gewogen. Daher die fast immer gleiche Einheit des Plans in der britischen Legislation." Besonders dann zeigten sich die Vorzüge der auf Mitbestimmung des ganzen Volkes basierenden Verfassung, wo es "auf Manufakturen und Handlung ankommt". Soll in dem freien Britannien [...] eine neue Einrichtung gemacht werden, so wird sie nicht der parteiischen oder betrogenen Einsicht eines einzelnen Mannes überlassen. Nein, die Versammlung der ganzen Nation nimmt sie in Überlegung; die Stimmen aller Ordnungen der Gesellschaft werden gehört; die verschiedenen und miteinander streitenden Vorteile, die möglichen und wahrscheinlichen Verbindungen gegeneinander gehalten; - und auf diesem Wege sind dann auch die Verordnungen des britischen Parlaments fast immer unumstößliche Lehrsätze in der Politik der Handlung geworden. 339
Gerade in der Betonung pragmatischer Aspekte lag auch ein Ansatzpunkt für die Übertragbarkeit der formulierten Anerkennung auf reichsstädtische Verfassungen. Denn sie hatten ihren Ursprung in einem pragmatisch und positivrechtlichen politischen Denken genommen 340, das seine Ausrichtung auf den konkreten Bezugsrahmen einer im überschaubaren territorialen Gefüge als notwendig erachteten, das Zusammenleben regelnden Alltagspolitik erhielt. Dieser praktischen Ausrichtung war eine auf gemeinsame Grundzüge zurückzuführende ,Politiktheorie' lediglich implizit, explizit formuliert existierte sie nicht. Als wesentliche Bestandteile dieser ,Theorie' müssen u. a. die Orientierung an allgemein gültigen Freiheitsrechten341 , die Korrelation von Rechten und Pflichten, "d. h. der Beteiligung aller an den städtischen Lasten und der direkten Mitverantwortlichkeit eines jeden für das Funktionieren des gemeinen Besten" und die "genossenschaftliche Partizipation der Bürger am Regiment der Stadt" gesehen werden 342 • Neben diesen den reichsstädtischen Gemeinwesen immanenten Faktoren stand deren starke Orientierung auf Kaiser und Reich, die nicht nur in den seit Leopold I. vorgeschriebenen reichsstädtischen Huldigungen an den jeweils neu gewählten Kaiser ihren (symbolischen) Ausdruck fand, sondern auch und vor allem in den seit etwa Mitte des 17. Jahrhunderts sich etablierenden Anrufungen des Reichshofrats zur innerstädtischen Konfliktregelung. 343 339 Dohm, Kaffeegesezgebung, S. 143 f. Vgl. auch Kapitel A. III. in dieser Arbeit. Gerade in der Mitbestimmung von Bürgerausschüssen in Finanzangelegenheiten sah die Reichspublizistik des 18. Jahrhunderts ein wesentliches Merkmal reichsstädtischer, ausdrücklich als republikanisch bezeichneter Ordnungen. Vgl. dazu Schilling, Städtischer ,,Republikanismus", S.106, in Bezugnahme auf: Malblank, Abhandlungen aus dem Reichsstädtischen Staatsrechte. 340 Schilling, Städtischer ,,Republikanismus", S.137. 341 Schilling, Städtischer ,,Republikanismus", S. 103ff., differenziert diese Freiheitsrechte und nennt explizit den Schutz der Bürger gegen willkürliche Verhaftungen und das Recht auf freie und ungeschmälerte Verfügung über den Besitz. Zu den Freiheitsrechten speziell in der Stadt Köln vgl.: Holbeck, Freiheitsrechte in Köln. 342 Schilling, Städtischer "Republikanismus", S.137. 343 Vgl. dazu etwa Press, Die Reichsstädte im Reich, S.12, S.17f.; Schilling, Städtischer ,,Republikanismus", S. 138 f. Interessant ist in diesem Zusammenhang Dohms Umgang mit der
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Diese Kontlikte waren fast immer Ausdruck von politischer und (damit zusammenhängender) wirtschaftlicher Stagnation innerhalb des städtischen Verbundes und damit zugleich Vorboten der krisenhaften Zuspitzungen während des 18. Jahrhunderts. Der Befund vieler Reichsstädte, sowohl was ihr äußeres Erscheinungsbild als auch ihre innere, vom Diktat mittelalterlicher Ordnungen verursachte Erstarrung betraf, entsprach vielfach nur noch in der politiktheoretischen Vorstellung aufgeklärter Staatsdenker und Reichspublizisten dem Ideal einer funktionierenden Republik. Daß diese dennoch an ihrer grundsätzlich positiven, die konstitutionelle Form der Reichsstädte lobenden Bewertung festhielten, kann wesentlich mit der Applizierbarkeit republikanischer Strukturelemente auf reichsstädtische Verfassungen begründet werden. Als solche Elemente erwiesen sich, wie bereits skizziert, die Ablehnung der Einpersonenherrschaft, also die Multiplikation der für das zum Staatsziel erklärten "Gemeinen Besten" Verantwortlichen von einer auf eine Vielzahl von Personen, und - damit unmittelbar zusammenhängend - der öffentliche Charakter der Staatsgewalt, sowohl im Bezug auf die allgemein bekannte Verfassung als auch auf die personelle Zusammensetzung der städtischen Regierung. 344 Damit war aber zugleich auch der Widerspruch, in dem sich die meisten Reichsstädter befanden, evident: "der hohe Verfassungswert ihrer veralteten Rechtsprinzipien entsprach durchaus modernem Denken, stand aber jeder Neuerung entgegen". 345 Diese das Gemeinwesen fundierenden republikanischen Verfassungen verdankten, wie oben gezeigt, ihre Entstehung zumeist innerstädtischen Kontlikten bzw. den vom Gemeinwesen erarbeiteten Regulierungen 346 und weiteten qua definitionem das politische Agitationspotential auf die Gesamtheit der Bürger aus. In der vorrevolutionären Situation des 18. Jahrhunderts schafften diese Strukturen bürgerlicher Mitwirkung die Möglichkeit, neuzeitliche, in der Aufklärung begründete politische und wirtschaftliche Freiheitsrechte zu realisieren. Gerade im Spannungsfeld dieser Kombination war der ,Reiz' begründet, den die aktuelle Kontliktbewältigung ausmachte und der die Möglichkeit eröffnete, die Reichsstädte für beauftragte ,KrisenFrage nach der jeweiligen reichsgerichtlichen Zuständigkeit und den von den Reichsgerichten erlassenen Mandaten im Umfeld der Aachener und Lütticher Auseinandersetzungen: Seine juristische Deduktion über die Nichtzuständigkeit des Reichhofrats in der Aachener Angelegenheit wird vom Berliner Hof mit heftiger Rüge und dem Hinweis auf eine nicht gewünschte Provokation des Kaisers beantwortet. Die Abhandlung über die Lütticher Revolution spickt Dohm mit direkter und indirekter Kritik an der Arbeit des Reichskammergerichts (vgl. Kapitel B. VII. 3. in dieser Arbeit). Er schlägt damit einen politischen Kurs ein, der sich von der Reichsorientierung des Fürstenbundes entfernt und den impliziten Konfrontationskurs Preußens gegenüber dem Haus Habsburg intensiviert. 344 Schilling, Städtischer ,,Republikanismus", S.141 f. Zum Umgang mit der ,Kategorie' des "Gemeinen Besten" vgl. auch: von Friedeburg, Der "Gemeine Nutz". 345 Press, Reichsstadt und Revolution, S. 57. 346 Press, Reichsstadt und Revolution, S. 11, betont die Entstehung normenstiftender Verfassungsordnungen aus den nach gleichmäßigen Gesetzmäßigkeiten ablaufenden innerstädtischen Kämpfen. Dazu allgemein: Hildebrandt, Rat contra Bürgerschaft. Vgl. auch Dohms als allgemeingültige Regel formulierte Ausführung zu aus Revolutionen entstandenen Republiken (Kapitel A. III. in dieser Arbeit). 7 Wöller
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manager' wie Dohm zu Experimentierfeldern für die Umsetzung ihrer eigenen staatsrechtlichen Vorstellungen werden zu lassen. a) Köln
Der Befund der erstarrten inneren Ordnung war ernüchternd, dennoch erwuchs aus ihm auch die Hoffnung auf eine Veränderung, die den etablierten politischen Strukturen entsprechend alle Bürger zu ihrer Angelegenheit machen würden. In Köln 347 hatte Dohm ein Gemeinwesen vorgefunden, in dem, wie in vielen anderen Reichsstädten am Ende des 18. Jahrhunderts, eine Lücke klaffte zwischen einem durch die kodifizierten Verfassungsnormen evozierten republikanischen Selbstverständnis der städtischen Gemeinschaft als "Senatus populusque"348 und einer Verfassungs wirklichkeit, die die Mitwirkung an politischen Entscheidungsfindungen einer nur zahlenmäßig geringen städtischen Oligarchie zuwies. Die Pauperisierung großer Bevölkerungsschichten, vor allem des zünftigen Kleinbürgertums entzog zugleich weiten Teilen der städtischen Bewohner die Teilnahme an der politischen Mitwirkung, die entgegen der ursprünglich im Verbundbriefvon 1396 vorgesehenen Partizipation aller Zunftmitglieder im wesentlichen von einer kaufmännisch dominierten Oberschicht wahrgenommen wurde. 349 Von solcherart sich herausbildenden "Dekorporierungsprozessen" geprägt 350, existierte das "Konzept von Bürgerlichkeit im altständischen Sinn nur noch als reines Integrationsinstrument" . 351 Erst die Aufnahme wohlhabender zugezogener Neubürger und akademisch gebildeter Stadtbürger in den Rat war Zeichen einer sich allmählich abzeichnenden ,vorsichtigen' Dynamisierung der bestehenden Verhältnisse. 352 Gerade diese neuen Bildungs- und Funktionseliten spielten dann ihrerseits häufig in den aufbrechenden Konflikten eine wichtige Rolle. Wenngleich die Ursprünge dieser Konflikte in Köln vielfach schon im 17. Jahrhundert lagen, kam es doch erst am Ende des 18. Jahrhunderts zur Eskalation. Im 347 Zu Köln im 18. Jahrhundert vgl.: Ebeling, Bürgertum und Pöbel; von Looz-Corswarem, Die Reichsstadt Köln; ders., Die politische Elite Kölns; Braubach, Beiträge zur Geschichte der Stadt Köln; Nicolini, Die politische Führungsschicht; Metteie, Kölner Bürgertum in der Umbruchszeit; Bayer, Köln um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts. 348 Allgemein zum republikanischen Selbstverständnis des städtischen Gemeinwesens als "senatus populusque" und dem hieraus abgeleiteten Ausgangspunkt innerstädtischer Opposition vgl.: Press, Reichsstadt und Revolution, S. 13. 349 Metteie, Kölner Bürgertum in der Umbruchszeit, S.240; Nicolini, Die politische Führungsschicht, S.193ff., 214ff. 350 Metteie, Kölner Bürgertum in der Umbruchszeit, S.237 in Anlehnung an Ebeling, Bürgertum und Pöbel. 351 Ebeling, Bürgertum und Pöbel, S. 35 ff. 352 Vgl. dazu Metteie, Kölner Bürgertum in der Umbruchszeit, S. 240f., die sich sich in ihren Ausführungen ausdrücklich gegen eine Gleichsetzung des "Kölschen Klüngels" mit Erstarrung und Rückwärtsgewandtheit wendet (Anm. 30) und die oben zitierten Beispiele der Öffnung des Rats für Neubürger und für Akademiker als wichtigste Belege ihrer These anführt.
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Rekurs auf die im Verbundbrief von 1396 und Transfixbrief von 1513 festgelegten reichsstädtischen Verfassungsgrundsätze bildeten sich verstärkt ab den 177Der Jahren oppositionelle Bewegungen heraus, die unter Hinzuziehung des für reichsstädtische Rechtsstreitigkeiten verantwortlichen Reichshofrats gegen Machtmißbrauch und Verstöße gegen geltendes Recht vorzugehen strebten. Zwei Daten markieren diese Auseinandersetzungen in Köln am Ende der reichsstädtischen Zeit: die Einrichtung einer "Bürgerlichen Deputatschaft" im Jahr 1778 353 und der sogenannte Toleranzstreit von 1787 354 . Die allgemeinen Mißstände in der Stadt zu begreifen, hilft die Lektüre einer am 27. Juni 1776 verfaßten Denkschrift des österreichischen Gesandten am Niederrhein Franz Georg Graf Metternich-Winneburg (1746-1818) an die Wiener Reichskanzlei. 355 Neben die dringende Bitte um Einsetzung einer kaiserlichen Untersuchungskommission für die Reichsstadt Köln trat hier die Unterbreitung zahlreicher Reformvorschläge zur Verbesserung des städtischen Gemeinwesens: Metternich erachtete die Einsetzung einer "neuen und besser eingerichteten Regierungsform" ebenso wie die Aufstellung einer "wohlgeordneten Stadtpolizei" für notwendige Voraussetzungen einer Veränderung. Darüber hinaus plädierte er für die Einschränkung der Justiz auf weniger Gerichtsstellen, die Umänderung bzw. besser noch Aufhebung des Gewaltgerichts, die Beschränkung zunftherrlicher Gewalt, ja, sogar die Abschaffung der Zünfte, Handelsfreiheit für Protestanten unter bestimmten Voraussetzungen, die Beschäftigung arbeits- und obdachloser Kölner, den Ausbau der Arrnen- und Krankenversorgung, bessere Aufsicht über die jährlichen Einkünfte der Stadt, mehr Ordnung im Bau-, Schiffs- und Handlungswesen und schließlich die Ersetzung des kostspieligen Stadtregiments durch ein Regiment kaiserlicher oder Reichstruppen. 356 Die mit diesen weitreichenden und vorausweisenden Forderungen vorgetragene implizite Kritik an der reichsstädtischen Verwaltung war eine von einem außenstehenden Beobachter formulierte. Die in der Stadt lebenden und arbeitenden Zunftmitglieder, die in den immer wieder aufflackernden Unruhen ihren Protest ausdrückten, gingen zwar mit den grundsätzlichen Kritikpunkten Metternichs - der "Überoligarchisierung"357 und der finanziellen Mißwirtschaft der städtischen Verwaltung - konform, der Movens ihres Aufbegehrens aber war nicht die von Metternich geforderte Reform der Verfassung, sondern die wörtliche Befolgung derselben im Sinne einer konservierenden Sicherstellung der Privilegien aller durch sie in der politischen Mitsprache Begünstigten. Die Zuspitzung der Konfliktsituation, die ihren Ausgangspunkt in der schwierigen wirtschaftlichen Situation vor allem der Kölner Handwerker und der im 353 Vgl. zur Einrichtung der Deputatschaft: Weingärtner, Zur Geschichte der Kölner Zunftunruhen; Fischer/Scherer, "Der Genius der Freiheit ruft"; Müller, Studien zum Übergang vom Ancien Regime zur Revolution, S.126ff. 354 Heinen, Kölner Toleranzstreit; vgl. Kapitel A. V. 3. a) in dieser Arbeit. 355 Braubach hat die Denkschrift im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv eingesehen und in Auszügen wiedergegeben in: Geschichte der Stadt Köln, S. 99-117. 356 Braubach, Geschichte der Stadt Köln, S.115-116. 357 Press, Reichsstadt und Revolution, S. 11.
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Jahr 1774 daraus erwachsenden Proteste am Freikaufsrecht vom städtischen Wachdienst für Wohlhabende nahm 358 , wurde ablesbar an den zunehmenden politischen Aktivitäten auch einzelner Bürger, die Beschwerden an den Rat der Stadt formulierten und diese auch durch persönliches Erscheinen in den Ratssitzungen den verantwortlichen Funktionsträgern zu Gehör brachten. Zu Beginn des Jahres 1778 fruchteten die Proteste insofern, als der Rat die Teilnahme von in den Zünften gewählten Bürgerdeputierten an den Ratssitzungen gewährte und damit neben den bereits existierenden Kontrollgremien - dem sogenannten Bannerrat und den, Vierundvierzigern' - eine neuartige Kontrollinstanz zuließ. Die Anrufung des Reichshofrates institutionalisierte die Opposition insofern, als dieser die Einrichtung einer Bürgerlichen Deputatschaft dauerhaft vorschrieb 359 und deren Kontrollfunktion gegenüber dem Rat grundlegend anerkannte. Erst mit der Überschreitung ihrer Befugnisse im Sinne eines eigenständigen, in den bestehenden Rat hineinwirkenden, exekutiven Handelns und mit einem den Anforderungen der Zeit wenig entsprechenden "veralteten Reformprogramm"360, das die Deputatschaft insgesamt als Vertreterin reaktionärer Vorstellungen auswies, war ihr Scheitern beschlossen. Nach kurzer, intensiver 361 Zeit des Wirkens wurde sie zu Weihnachten 1789 durch kaiserlichen Beschluß aufgelöst. Vgl. Weingärtner, Kölner Zunftunruhen, S.5-12. Fischer/Scherer, "Der Genius der Freiheit ruft", S. 31, sprechen in diesem Zusammenhang von der ,,lnstutionalisierung der Opposition"; Press, Reichsstadt und Revolution, betont die Gleichartigkeit im Aufbrechen und Ablauf reichsstädtischer Unruhen am Ende des 18. Jahrhunderts. Es handle sich hier um Auseinandersetzungen, die im wesentlichen um drei Faktoren kreisten, nämlich die fortschreitende Oligarchisierung, die wirtschaftlichen Krisensituationen und die städtischen Finanzkrisen (S. 13), und "die sich oft in tumultuarischen Forderungen, aber dennoch in einem sehr traditionellen Ritual vollzogen und recht häufig mit der Durchsetzung eines Bürgerausschusses oder einer Bürgerdeputation gegen die erstarrende Ratsoligarchie endeten" (S. 11). Die Klageschriften der Deputatschaft in den Folgejahren nahmen vorwiegend Bezug auf die etablierten Mißbräuche der Verfassung, deren Einhaltung nachhaltig gefordert wurde (vgl. dazu Weingärtner, Zur Geschichte der Kölner Zunftunruhen, S. 14 f. und S. 30 und zusammenfassend Fischer/Scherer, S. 31 f.) lulku, Die revolutionäre Bewegung im Rheinland, 1, S. 65 f., stellt zusammenfassend den Bericht der Deputatschaft an den Reichshofrat vom Januar 1784 vor, den er zur Grundlage seiner Interpretation der Kölner Erhebungen macht: "Die Unruhen in Köln erweisen sich nach dieser Klageschrift als konservativ." (S. 66). Fischer/Scherer, S. 32, wünschen eine Differenzierung eines solchen Befundes. Sie sehen in der Entstehungsgeschichte der Deputatschaft ein in die Zukunft gewandtes Moment schon insofern, als hier ein in der Verfassung nicht vorgesehenes Organ installiert werde. Auch einige Forderungen des Bürgerausschusses, wie etwa vor allem die nach der Abhaltung von Versammlungen ohne vorherige Anmeldung und Nennung von Gründen, seien über den Verfassungsrahmen hinausweisend und ließen den Schluß zu, der Ausschuß ziele auf eine ,,Politik der Kompetenzeroberung". 360 Weingärtner, Kölner Zunftunruhen, S.78. 361 Intensiv zu nennen ist die Arbeit der Deputatschaft insofern, als sie sich selbst mit ihrer personellen Zusammensetzung (die auch einen juristischen Beirat, Protokollführer und einen festen Agenten beim Reichshofrat vorsah), einem ständigen Sitzungslokal und der Anschaffung eines eigenen Siegels Voraussetzungen einer dauerhaften und wirkungskräftigen Beschäftigung schuf. 358
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b) Aachen Die Voraussetzungen der Aachener Auseinandersetzungen am Ende der reichsstädtischen Zeit 362 , ihre Elemente und Konfliktbewältigungsversuche sind in Parallele zu den Kölner Entwicklungen zu setzen. Hier wie dort waren "soziale Differenzierungserscheinungen, wirtschaftliche Stagnation und Verschuldung"363 wesentliche Voraussetzungen der Konflikte und der Rekurs auf die geltenden, weitgehend mittelalterlichen Vorgaben folgenden verfassungsrechtlichen Grundlagen, der Rahmen ihrer Auslegbarkeit und der Bedarf nach ihrer Modernisierung wichtige (strategische) Bezugspunkte der Konfliktparteien. Vor allem aber war es die Dauer und Intensität der Aachener und Kölner Konflikte, die beide Reichsstädte ohne sie im Sinne einer einheitlichen Bewegung zu verknüpfen 364 , in der unmittelbaren vorrevolutionären Zeit miteinander verband. "Die schwersten und langwierigsten Auseinandersetzungen in den Jahren vor dem Ausbruch der Französischen Revolution fanden in den Reichsstädten Aachen und Köln statt."365 Konkreter Bezugspunkt der Auseinandersetzungen in Aachen war die sogenannte "Mäkelei" des Jahres 1786. 366 Generell verstand man unter "Mäkelei" die weitgehend akzeptierte Wahlwerbung der konkurrierenden Parteien um die Sitze im Rat, die aber in vielen Fällen auch in exzessive Fonnen wie Bestechung, Bewirtung von Wahlern, Gewaltanwendung und andere Fonnen der Manipulation ausartete. 367 Deutlicher noch als in Köln trat die Rückständigkeit des Gaffelbriefs hinter den tatsächlichen sozialpolitischen Verhältnissen in Aachen hervor: Ein Bürger-Bürgennei362 Zu Aachen im 18. Jahrhundert vgl. ausführlich in Text und Bild: Kraus, Auf dem Weg in die Modeme. Darüber hinaus Müller, Die Reichsstadt Aachen; Haagen, Geschichte Achens. 363 Carl, Mäkelei, S. 108. 364 Müller, Studien zum Übergang vom Ancien Regime zur Revolution, S. 110, erläutert: "Die vorrevolutionären Unruhen im Rheinland waren anders als die politischen Strömungen am Ende der neunziger Jahre an einzelne Städte gebundene Phänomene, die trotz mancher gemeinsamer Züge keine Ansätze zur Formierung einer den lokalen Horizont überschreitenden ,Bewegung' erkennen lassen." 365 Müller, Studien zum Übergang vom Ancien Regime zur Revolution, S. 104. 366 Zur sogenannten Aachener Mäkelei von 1786 vgl. vor allem die herausragende Arbeit von Carl, Mäkelei, die den Aachener Konflikt als Synthese von Reichs- und Landesgeschichte analysiert und dabei weitreichende geschichtliche, politische und personelle Beziehungsgeflechte aufdeckt. Außerdem: Dambacher, Dohm, S.204-269. Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S.57-76, stellt die reichskammergerichtlichen Aufträge im Zusammenhang mit der Mäkelei in den Vordergrund seiner Untersuchung. Heusch, Aachener Verfassungskämpfe, kontrastiert die verschiedenen Verfassungsentwürfe der Aachener Bürger; ebenso verfährt Harbauer, Aachener Verfassungsschriften, die neben inhaltlicher Analyse der Entwürfe von Peter Johann Franz Dautzenberg und Johann Amold von Clermont vor allem die exponierte Stellung des Dohmschen Vorschlags heraushebt. Zusammenfassende Darstellungen bei: Bausch, Mäke1ei in der Reichsstadt Aachen; Teppe, Die lokalen Unruhen in Aachen; Müller, Studien zum Übergang vom Ancien Regime zur Revolution, S. 110-124. 367 Vgl. dazu etwa Müller, Studien zum Übergang vom Ancien Regime zur Revolution, S. 111. Zur Wortgeschichte und verschiedenen Definitionen von "Mäkelei" vgl.: Bausch, Mäkelei in der Reichsstadt Aachen, S.lOff.
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ster, ein Bürger Aachens, und ein Schöffenbürgermeister, ein Mitglied des Schöffenstuhles, standen dem sogenannten kleinen Rat vor, der die Verwaltung, Regierung und teilweise auch die Gerichtsbarkeit übernahm. Dieser kleine Rat setzte sich aus den städtischen Beamten und je zwei Vertretern der 14 bevorrechtigten Zünfte zusammen. Ihm stand als Wahlgremium und zu bestimmten vorgegebenen Anlässen der große Rat zur Seite, der neben den Mitgliedern des kleinen Rates zusätzlich je sechs Mitglieder jeder Zunft umfaßte. Stadt und "Reich von Aachen" (21 Dörfer der Umgebung) wurden, so sah es der Gaffelbriefvor, durch diesen aus den Vertretern der in der Verfassung festgelegten Zünften bestehenden Rat repräsentiert und verwaltet. Die Zahl der Zünfte aber hatte sich im Laufe der Jahrhunderte um 13 auf insgesamt 27 erhöht, die Anzahl der Mitglieder je Zunft schwankte enorm (So standen zwölf Kupfermeistern etwa 1200 Mitglieder der Krämerzunft gegenüber.).368 Den veränderten Verhältnissen angepaßte Modifikationen der Verfassung aber blieben aus. Dennoch wurde am Ende des 18. Jahrhunderts nicht primär diese Unzulänglichkeit zum Gegenstand der harschen Auseinandersetzungen, sondern vor allem der in der durch forcierte Machtkonzentration auf wenige Amtsinhaber begründete Mißbrauch des Gaffelbriefs: Die Regelung, einer einjährigen Amtszeit als Bürgermeister eine einjährige Pause als "abgestandener Bürgermeister" folgen zu lassen, war immer wieder mißbraucht worden, indem unbedeutende willfahrige Männer das Bürgermeisteramt übernahmen, um den pausierenden Bürgermeistern im Hintergrund weiterreichende Handlungssmöglichkeiten zu erhalten. Unumschränkter, dauerhafter Machterhalt einzelner und die Aushebelung der im Gaffelbrief von 1450 festgelegten verfassungsrechtlichen Normen in diesem Punkt waren die durch die Mäkeleien provozierten Folgen. Im Wahlkampf zur Juniwahl 1786 wandte sich die Neue, d. h. nach Macht strebende Partei mit einem 80-Punkte-Beschwerdebrief gegen die regierende Alte Partei an den Rat, indem sie vor allem die Finanzverwaltung derselben massiv angriff. Der Angriff gipfelte in der Forderung nach Einsetzung einer Bürgerlichen Deputatschaft. 369 Als am 24. Juni bei der durch den großen Rat vorgenommenen Wahl des kleinen Rats erneut die amtierende Alte Partei die Mehrheit erhielt, stürmten aufgebrachte Massen das Aachener Rathaus und vertrieben die Mitglieder der Alten Partei. Der Bürgermeister mußte sein Amt niederlegen, der Schöffenbürgermeister ernannte Anhänger der Neuen Partei zu "Adjunkten" der 63 getlüchteten Ratsherren. Dann verließ auch er die Stadt und versuchte von den nahe gelegenen Ortschaften Burtscheid und Kornelimünster aus, eine neue Regierung zu bilden. Mit dem Sturm aufs Rathaus war eine politische Krise evident geworden, die zugleich und vor allem eine ,,Legitimationskrise der Honoratiorenschicht als politische[r] Führungsschicht" war. 370 Unter dem Titel "Geschichte der Mäkelei" verfaßten beide Parteien Schriften, die dem Reichskammergericht zugesandt wurden; die Alte Partei wandte sich zudem an 368 369 370
Vgl. dazu Dambacher, Dohm, S.21O. Carl, Mäkelei, S. 114. Carl, Mäkelei, S. 118.
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den Reichshofrat, der am 3. August 1786 die Ratswahl für ungültig erklärte. Das Reichskammergericht beauftragte die Niederrheinisch-Westfälische Kreiskornmission, nachdem die Unruhen weiter anhielten, einzugreifen. Nach einem Urteil vom 13. April 1787 rückten 300 Mann kurpfälzische Truppen in Aachen ein. Am 16. Mai wurde eine Kommission aus den Vertretern der drei Kreisdirektoren nach Aachen entsandt -J. H. von Grein (1714-1799) für Jülich, Maximilian von Forkenbeck für Münster und Christian Wilhelm von Dohm für Kleve. 371 Durch reichskammergerichtliches Mandat waren sie angewiesen, die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen, Untersuchungen bezüglich der Ursachen und Urheber des Tumults vom 24. Juni 1786 und bezüglich der Beschwerdeeingabe gegen den amtierenden Rat vom 31. März 1786 anzustellen und eine Überprüfung der Aachener Verfassung mit nötigenfalls anschließender Verbesserung der Finanz- und Polizeiverwaltung vorzunehmen. 372 Damit nahm eine mehrjährige, am Ende erfolglose Schlichtungsanstrengung ihren Ausgang. Daß die allzeit geübte und ohne Widerstände verlaufende Praxis der Mäkelei nun zum ernsthaften Konflikt geführt hatte, lag vor allem in der Tatsache begründet, daß sie jetzt nicht, wie gewohnt, als "Vehikel der Kontinuität", also stabilisierend wirkte, sondern durch das starke Auftreten einer chancenreichen Opposition (ähnlich wie schon vorher in den Jahren 1716, 1732 und 1755) gerade das Gegenteil, nämlich Aufbruch zum Machtwechsel provoziert hatte. 373 Geprägt waren die Auseinandersetzungen der folgenden Jahre außerdem von der Verflechtung des lokalen Geschehens mit der Reichspolitik: Über das Hineinwirken des Kurfürsten von der Pfalz, der als Herzog von Jülich die Vogteigewalt über Aachen ausübte 374 , und die Funktionszuweisung des aus städtischem und aus der Umgebung stammenden Adel zusammengesetzten Schöffenstuhls als kaiserlichem Gericht mit Aufsichtsrecht über den Rat 375 war das Konfliktpotential zwischen innerstädtischen und überregionalen Interessen permanent vorgegeben. Jetzt wurden alle Verfassungsinstitutionen des Reichs vom Kreis über die beiden Reichsgerichte bis hin zum Kaiser als Instanzen bei der Konfliktschlichtung aktiviert. Mit Preußen, Österreich und PfalzlBayern wurden außerdem die bestimmenden Faktoren im Reich in die Aachener Ereignisse eingebunden. 376 Eine Ausweitung des Konflikts 371 Die Vertreter der Direktorialhöfe stellt Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälisehen Kreises, S. 35 f. namentlich vor. Die Kölner Personalpolitik war unstetig, zwischen 1786 und 1794 bekleideten faktisch sechs verschiedene Gesandten den Direktorialvertreter-Posten, jeweils drei aus der Kölner und drei aus der Münstersehen Administration. Vgl. zur alternierenden Besetzung: Carl, Mäkelei, S. 148. 372 Ausführlich dazu Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S. 57 ff. Zusammenfassend Dambacher, Dohm, S.215; Carl, Mäkelei, S.142. 373 Carl, Mäkelei, S. 106. 374 Ausführlich dazu Carl, Mäke1ei, S. 109ff. 375 Dambacher, Dohm, S. 209. 376 Carl, Mäke1ei, S. 104. In Berlin schien anfänglich die Hoffnung groß gewesen zu sein, der Kelch der Einmischung in die Aachener Angelegenheiten könne an Preußen vorüberziehen: Das auswärtige Departement wies Dohm am 4. August 1786 an, abzuwarten. Mit dem
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war eine geradezu verfassungsimmanente Konsequenz auch insofern, als die Unüberschaubarkeit des Beziehungs- und Kompetenzgetlechts zwischen Zunftgerichten, Ratsgericht und Schöffenstuhl die Erwirkung innerstädtischer Kontliktlösungen ungemein erschwerte. Die Erkenntnis dieser verfassungsrechtlichen Ursachen der aktuellen Auseinandersetzungen und des hierin liegenden dauerhaften Kontliktpotentials mußte eine grundlegende Verfassungsdiskussion provozieren, an deren Ende - idealerweise - eine neue, verbesserte Verfassung stehen sollte. Hier trat Christian Wilhelm von Dohm als Protagonist hervor. 377 Parallel zu Verhaftungen und langwierigen Vernehmungen der Aufrührer wurde die Aachener Bevölkerung im Oktober 1788 zur Einreichung von Verbesserungsvorschlägen für die Verfassung aufgerufen. Die sieben eingereichten Entwürfe erwiesen sich als übereinstimmend im grundsätzlichen Festhalten am Gaffelbrief und in der Forderung nach künftiger Unterbindung von Mäkeleien. Mit nur einer Ausnahme, dem Vorschlag des erst neunzehnjährigen Peter Johann Franz Dautzenbergs (1769-1828)378, der sich als Verfechter französischer Aufklärungsideen vorstellte, waren die anderen Entwürfe darüber hinaus einig in der Reduzierung demokratischer Elemente als Mittel künftiger Kontliktvermeidung. 379 Dohm selbst erarbeitete ab Herbst 1789 einen ausführlichen Verfassungsentwurf, der nach seiner Fertigstellung im Mai 1790 zunächst der Aachener Bürgerschaft zur Diskussion vorgelegt und erst im Dezember 1790 dem Reichskammergericht überstellt wurde. Innerhalb der Direktorialkommission war zwischenzeitlich eine Ressortteilung erfolgt, die den drei Direktorialvertretern unterschiedliche Arbeitsgebiete zuteilte. Dohm berichtete darüber nach Berlin, daß er selbst die eigentliche Einrichtung der Constitution, auch das Polizeifach und die zur Beförderung der Fabriken und Handlungen nötigen Verbesserungen (worunter auch religiöse und Handelsfreiheit der Protestanten gehört), der Münstersche Subdelegatus die Justizverfassung und der Jülichsche die bessere Einrichtung der Accisen, Grundsteuer und sonstigen Stadtrevenuen auszuarbeiten übernommen haben. 380
Damit war Dohm quantitativ und qualitativ die umfangreichste Arbeit zugewiesen: Nicht nur war mit der Erstellung einer verbesserten Verfassung das Kernstück des reichskammergerichtlichen Mandats in seinen Verantwortungsbereich gelegt, Hinweis darauf, daß es wenig dienlich sei, sich "in dieser uns wenig angehenden und Weitschichtig werden könnenden Sache" mit dem Kaiser anzulegen und Pfalz als Schutzherr von Aachen sowie Münster und Jülich als "vor uns sitzende Directores des Westphal. Creyses" ohnehin mehr Grund hätten, sich einzumischen, schloß das Reskript an Dohm mit den Worten: "Vielleicht werden auch die Achener Burger [sic !], wenn sie den Ernst sehen, sich untereinander selbst vergleichen, und Uns die Mühe erspahren, an dieser schröcklichen Sache Antheil zu nehmen." (Zitiert nach Pauls, Friedrich der Große und die Aachener Mäkelei, S. 6-7). 377 Ausführlich zu Dohms Verfassungsentwurf vgl. Kapitel C.1. in dieser Arbeit. 378 Dautzenberg, Meine Gedanken über die in unserer Vaterstadt vorzunehmende Verbesserung. Zu Dautzenbergs Biographie vgl. Müller, Franz Dautzenberg, hierin zu seinem Verfassungsentwurf S. 66-68; außerdem dazu: Harbauer, Aachener Verfassungsschriften, S. 187 ff. 379 Dambacher, Dohm, S. 218. 380 Zitiert nach Dambacher, Dohm, S. 218.
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sondern ihm auch die Lösung des VOn der Neuen Partei formulierten zentralen Problems des wirtschaftlichen Mißstands der Stadt übertragen. 381 Dieses deutliche Hervortreten Dohms in der Kommission lag weit entfernt VOn den ursprünglichen, am 28. August 1786 ausgegebenen Handlungsrichtlinien des preußischen auswärtigen Departements: Wir sind gar nicht gemeynet, allein vorzutreten, die Rolle der Partey zu übernehmen - das Kammergericht zu unterstützen, seine Praevention geltend zu machen, den Jurisdictions Conflict der beyden Reichsgerichte uns eigen zu machen. Es würde uns hierinn eine nicht sattsam überlegte Theilnehmung und Einmischung weit führen und in verdrüßliche Weitläufigkeiten mit dem Wiener Hof verwickeln. Es kommt in dergleichen Vorfallenheiten nicht auf Vorhaltung gemeiner allbekannter Lehrsaeze, sondern darauf an, wie man Schritte und Behauptungen souteniren will und kann. In Gemeinschaft mit dem Münstersehen und lülichschen Condirectorio sind wir bereit, alle Maasregeln mit anzugeben, welche diensam erachtete werden, die Kreis-Directorial-Gerechtsame zu behaupten. Ihr müsset also dessen Gesinnung erst vernehmen, nicht aber den Antrag zu bedenklichen Schritten machen. 382 Ungeachtet dieser Vorgaben zeigte sich Dohm bei der Ausführung der ihm zugeteilten Aufgaben engagiert. Er forderte die Verfassungen der Reichsstädte Hamburg und Köln an, die er als vorbildlich ansah, ließ sich von Johannes von Müller über einige Schweizer Verfassungen, vor allem die Züricher und die Genfer unterrichten 383 , während einer Reise VOn Pempelfort nach Aachen bei einer Zwischenstationen über die Essener Verfassung berichten 384 und studierte Rousseaus "Sur le Gouvernement de Pologne"385, um schließlich aus allen diesen Vorlagen Muster für die zu erarbeitende Aachener Konstitution zu nehmen. Außerdem erweiterte er die Problemstellungen in Aachen um aktuelle soziale und konfessionelle Fragenkomplexe.
381 Vgl. dazu Schilling, Städtischer ,,Republikanismus", S.137. Auch im weiteren Rahmen der reichspublizistischen Beobachtung der Reichsstädte wurde in der Regelung der Finanzangelegenheiten durch Bürgerausschüsse der zentrale Aspekt des reichsstädtischen Republikanismus gesehen, mithin also von Dohm gerade die Themenkomplexe zur Bearbeitung übernommen, die das (republikanische) Wesen der Reichsstadt in der öffentlichen Meinung überhaupt ausmachten. Vgl. dazu auch Dohms Äußerungen zu den als besonders positiv zu bewertenden Merkmalen des englischen Staates im "Deutschen Museum", in denen er die Vorzüge der englischen republikanischen Verfassung vor allem da sah, wo es "auf Manufakturen und Handlung ankommt". 382 Zitiert nach Pauls, Friedrich der Große und die Aachener Mäkelei, S. 16-17. Die Anweisungen erfolgten, nachdem Dohm umständliche juristische Untersuchungen zur Frage der Zuständigkeiten des Reichshofrates und des Reichskammergerichts angestellt und sie nach Berlin übersandt hatte. 383 Dambacher, Dohm, S. 219. 384 Dohm, Tagebuch, Eintrag vorn 3. Juni 1789. Die Reise führte Dohm und seine Frau Henriette von Jülich über Düsseldorf-Pempelfort, Ratingen, Mülheim, Essen, Hattingen, Duisburg, Krefeld, Venlo, Roerrnond und Geilenkirchen nach Aachen (30. Mai bis 9. Juni 1789). 385 Dohm, Tagebuch, Eintrag vorn 11. März 1790: ,,Ich habe inzwischen durch Rousseau Sur le Gouvernement de Pologne gelesen, um vieleicht Ideen zu meinem Const. Plan zu sammeln. Es macht mir groß Vergnügen & die größte Sehnsucht endlich einmal doch mit Ruhe wider zu den Wissenschaften & Studien von Hauptwerken zurückgehn zu können."
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c) "Mediation" als Modell: Dohm und die protestantische Sache in Köln und Aachen
Am Beispiel des Umgangs mit den Kölner und Aachener Protestanten - einem in diesem Kontext bisher wenig beachteten Thema -läßt sich die Wechselwirkung der unterschiedlichen Handlungsmotivationen Dohms an einem ersten Beispiel exemplarisch und in der Darstellung von Dohms konkretem Vorgehen grundlegend für die Bewältigung der weiteren Konflikte darlegen. Dabei spielten die aus den reichsgerichtlichen Vorgaben erwachsende Notwendigkeit, präventive Abwehrmaßnahmen für Aachen vorzubereiten, sowie die Einbeziehung spezifisch preußischer Interessen im Reich - auch im Sinne propagandistischer Aufarbeitung - ebenso eine Rolle, wie die aus den Staatsauffassungen Dohms ableitbare persönliche Überzeugung der Dringlichkeit zeitgemäßer Modifikationen bestehender Verhältnisse. Am Ende des 18. Jahrhunderts verschärfte sich in den Reichsstädten nicht nur das politische und wirtschaftliche Konfliktpotential, sondern auch lang schwelende konfessionelle Streitigkeiten trieben neuen offenen Auseinandersetzungen entgegen. Vor allem in den nach den Regelungen des Westfalischen Friedens so genannten "puren" Städten, also denjenigen, in denen nur einer Religionsgruppe im Normaljahr 1624 eine öffentliche Religionsausübung erlaubt war, drangen die benachteiligten Gruppen nun auf Gleichberechtigung - und provozierten damit zugleich die teilweise oder vollständige Infragestellung beinahe aller das Gemeinwesen politisch und wirtschaftlich bestimmender Ordnungen. 386
In Köln etwa verbanden die dort lebenden Protestanten mit der Einsetzung der Deputatschaft die Hoffnung auf die Verbesserung ihrer Situation. Als 1785 zur Finanzierung des Reichshofratprozesses gegen den Rat das nötige Geld fehlte, boten sich Protestanten 387 zur Aufbringung der zu zahlenden Summen an und verknüpften mit ihrem Angebot die Forderung nach wirtschaftlicher Gleichstellung und freier Religionsausübung. Zu einer Verbindung zwischen den Protestanten und der Deputatschaft aber kam es nicht nur in diesem Fall nicht; auch als zwei Jahre später der Rat der Stadt einem protestantischen Gesuch nach Einrichtung eines Bet-, Schulund Predigerhauses innerhalb der Stadtmauern nachgab, widersprach der Bürgerausschuß diesem Vorhaben aufs entschiedenste. Die Untersagung protestantischer Religionsausübung in der Reichsstadt Köln basierte auf den überregionalen Bestimmungen des Westfälischen Friedens und den innerstädtischen Regelungen des Transfixbriefes. 388 Trotz dieser rechtlichen Festlegungen gab es mehrfach Versuche, "von außen" den Kölner Protestanten Hilfe vor 386 Zum Problem religiöser Toleranz seit dem Westfalischen Frieden vgl. allgemein: Weber, Parität, S.159-236; Conrad, Religionsbann, S. l64-171. 387 Zur Situation der Protestanten in Köln vgl.: Schwering, Die religiöse und wirtschaftliche Entwicklung des Protestantismus; Becker-Jakli, Protestanten in Köln. 388 Heinen, Kölner Toleranzstreit, S. 67.
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allem bei der Abhaltung ihrer Gottesdienste in der Stadt zukommen zu lassen. Intensiv bemühten sich hier die jeweils amtierenden preußischen Residenten. Nach ersten nur wenig erfolgreichen Versuchen mußte der Rat der Stadt schließlich beigeben und mit der Einräumung des Rechts zum Gottesdienstfeiern für die in Köln liegende brandenburgische Garnison zwischen 1688 und 1697 zugleich auch den protestantischen Einwohnern Kölns die Teilnahmemöglichkeit einräumen. 1708 lud der preußische Resident von Diest zum protestantischen Gottesdienst in sein Privathaus. Den Protesten der Kölner Universität, des städtischen Klerus, des päpstlichen Nuntius und schließlich 1711 auch des Rates konnte dieses Engagement nicht standhalten: Gegen die Androhung von Repressalien durch Friedrich I. von Preußen wurden die protestantischen Familien 1714 aus der Stadt vertrieben. Die im Umfeld der Verfassungsdiskussionen und der Einsetzung der Deputatschaft wieder aufflammenden Versuche der Kölner Protestanten, größere Freiheiten bei der Religionsausübung zu erhalten, der sogenannte Toleranzstreit zwischen 1787 und 1789 389 , hatten nachahmende Wirkung bis nach Aachen. In beide Auseinandersetzungen war Christian Wilhelm von Dohm involviert. Dohms Rolle in diesen innerstädtischen Konflikten reduzierte sich zunächst im wesentlichen auf die eines nur auf Anfrage der betroffenen Parteien eingreifenden Beobachters. Diese Anfragen schienen dabei vor allem orientiert gewesen zu sein an der Funktion des preußischen Gesandten, den man - zum al nach der im Fürstenbund bekräftigten Reichsorientierung der preußischen Monarchie und ihres im Anschluß an den Bayerischen Erbfolgekrieg entwickelten Rollenverständnisses als Hüterin der ständischen Libertät und Verteidigerin des Corpus evangelicorum 390 - als einen die Interessen der (Kölner) Protestanten traditionell protegierenden Vertreter einer mächtigen auswärtigen Macht ansah. Ob bei der Bitte um Dohms Unterstützung auch die Erinnerung an sein Eintreten für religiöse Toleranz eine Rolle gespielt hat, ist schwer zu sagen. Obwohl der Ausgangs- und wesentliche Streitpunkt des Toleranzstreits in Köln die Diskussion um die religiöse Duldung der insgesamt vier verschiedenen Gruppen von Protestanten war, trat doch schnell zu Tage, daß alle am Konflikt beteiligten Parteien verfassungsrechtliche und wirtschaftliche Aspekte in den Mittelpunkt ihrer jeweiligen Argumentation rückten. Der vermeintliche Streit um Ausweitung und Grenzen religiöser Toleranz innerhalb der Stadtmauern bot vor allem "einen neuen Ansatz im alten Streit zwischen Rat und Zünften um die Macht".391 Ausgehend von der an den Kölner Rat gerichteten Bitte der Reformierten und Lutheraner um Aufhebung des Verbots der protestantischen Religionsausübung und des protestantischen Unterrichts in der Stadt, entspann sich eine Konfliktsituation, die über die beiden genannten 389 Zum sogenannten Kölner Toleranzstreit vgl.: Stevens, Toleranzbestrebungen im Rheinland, S. 50-87; Heinen, Kölner Toleranzstreit (1787-1789); Becker-Jakli, Protestanten in Köln, S.55-92. 390 V gl. dazu Aretin, Heiliges Römisches Reich, I, S. 61-63, hier vor allem S. 62. 391 Becker-Jakli, Protestanten in Köln, S. 91.
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Gruppen (Rat und Protestanten) auch die Bürgerliche Deputatschaft (als Vertreterin der Zünfte), den Reichshofrat, den Körner Bannerrat, die Kölner katholische Geistlichkeit, den Kölner Kurfürsten Max Franz und Abgesandte verschiedener Höfe einbezog. Der Kölner Rat beschied die Eingabe der Protestanten nach Abstimmung am 29. November 1787 mit knapper Mehrheit positiv, sah sich aber schon kurze Zeit später Protesten vor allem der Deputatschaft ausgesetzt. Die daraufhin durch den Rat vom Reichshofrat erbetene Genehmigung des Ratsbeschlusses wurde von diesem zwar umgehend erteilt, verhinderte abernicht weitere Proteste des Kölner Kurfürsten, der Geistlichkeit und des Bannerrats. Die Opposition von Rat und den letztgenannten Gruppen hob sich nach den Ratsneuwahlen am Jahresende insofern auf, als nun auch im Rat die Zahl der Toleranzgegner die der -befürworter überwog. Ausschließlich der Kaiser stand nun noch auf Seiten der Protestanten und hielt an dieser Unterstützung auch nach Mitteilung des neuen Ratsbeschlusses vehement fest, indem er den sofortigen Bau des Bethauses am 27. März 1789 anordnete und den neuen Ratsbeschluß als nichtig kassierte. Mit dem Hinweis, "allen Unordnungen" vorbeugen zu wollen 392 , führten schließlich die Protestanten selbst die Beilegung des Konflikts herbei: Anfang August 1789 erklärten insgesamt 42 Protestanten, wenig mehr als die Hälfte der Bittsteller vom November 1787, ihren Verzicht auf die Errichtung eines Bethauses. Die die Auseinandersetzungen begleitenden Zeitungsartikel und Flugschriften 393 unterstützten und propagierten vor allem die Gegnerschaft zur Toleranz. In seinen ersten Berichten an Friedrich Wilhelm 11. begrüßte Dohm nicht nur den nun endlich auch in die Reichsstadt Köln einziehenden "Geist der Aufklärung und Duldung", sondern auch die mit diesem Einzug zu erwartende "Erhöhung des Wohlstandes dieser Reichsstadt", "welcher nicht so sehr herabgesunken sein würde, wenn ein so weiser Entschluß hundert Jahre früher gefaßt wäre". 394 Er argumentierte hier erneut, wie bereits ausführlich in seiner Schrift "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden", mit ökonomischen Überlegungen, die von den Protestanten immer wieder auch selbst als wichtiges Argument für ihre rechtliche und wirtschaftliche Gleichstellung ins Feld geführt wurden. Im Bezugsrahmen der Reichsstadt aber war der ursprünglich obrigkeitliche Blickwinkel dieser Argumentation der Judenschrift der Adressierung an einen einzelnen Staatslenker entzogen, vielmehr wurde die Verantwortung für das Gemeinwohl durch die Multiplikation der Adressaten, bei denen es sich im konkreten Fall um die wirtschaftlich potenten, politisch aktiven Stadtbürger handelte, ganz in die Zuständigkeit der Gemeinschaft gelegt. 395 Dohms Selbsteinschätzung seiner Rolle war geprägt von der Überzeugung, ein geeigneter Mediator zwischen den Protestanten und den Magistraten in Köln und Aachen zu sein. Bis zum Abschluß der vom Kölner Rat angestrebten und erbetenen Hansen, Quellen, I, S.401. Vgl. dazu Becker-Jakli, Protestanten in Köln, S. 81-87. 394 Dohm an Friedrich Wilhelm 11.,3. Dezember 1787. In: Hansen, Quellen, 1, S.217. 395 V gl. zur Problematik des Begriffs der Religionsfreiheit und seiner Entwicklung von der religiösen "Toleranz" zum allgemeinen Menschenrecht: Schlumbohm, Freiheit, S. 118-121. Hier speziell zur Übernahme der fiskalischen Argumentation religiöser Minderheiten: S. 119. 392
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Revisionsverhandlungen über das die Religionsfreiheit der Protestanten bekräftigende Reichshofratsurteil wäre doch nun, so schrieb Dohm am 20. Mai 1789 an den württembergischen Residenten Friedrich Karl Peletier (1752-1809) in Köln, die Zwischenzeit "allerdings wohl zu einer öffentlichen Mitwirkung meinerseits ganz bequem". 396 Das Prozedere dieser Mediation entwarf Dohm nach einem auch in der Folgezeit immer wieder gehandhabten Muster: Die Protestanten sollten mit einer von Dohm vorformulierten Bittschrift397 den preußischen König um Unterstützung durch den preußischen Gesandten ersuchen. Erst dann, nach der offiziellen Bestätigung des Auftrags durch den König, wollte Dohm eingreifen. Am 24. Dezember 1787 wandten sich auch die Prediger der reformierten Gemeinde Aachen-Burtscheid an Friedrich Wilhelm 11. mit der Bitte, Dohm zu ermächtigen, sich - dem Kölner Beispiel folgend - für sie beim Aachener Rat einzusetzen. Auch hier hatte Dohm selbst die Initiative ergriffen und den Burtscheider Protestanten zu diesem Schritt geraten, um eine entsprechende Vollmacht zu erhalten. 398 Mit dem Hinweis darauf, daß im Jahr 1773 die Restriktionen gegen die Aachener Protestanten sogar so weit gegangen seien, daß der preußische Gesandte von Emminghaus auf offener Straße "gröblich beleidigt" worden sei und sich doch nun die kaiserliche Kommission in Aachen schon befinde, erging der Wunsch, Dohm möge für die Aachener Protestanten und ihre Nachfahren Religions- und Schulfreiheit erstreiten und den Grundstein für eine auch künftige Garantie der verliehenen Freiheiten durch die nachfolgenden preußischen Gesandten im Namen des preußischen Königs legen. 399 An Finckenstein und Hertzberg waren ebenfalls Schreiben mit der Bitte um Unterstützung ergangen, und vor allem letzteren hatten die Aachener Protestanten gebeten, sich bei einem seiner dem Magistrat angehörigen Bekannten für sie zu verwenden. 400 Am 7. Januar 1787 erhielt Dohm durch königliche Resolution die entsprechende Ermächtigung. 401 Ihr folgten Bittschriften sowohl der reformierten als auch der lutherischen Gemeinden an den Magistrat der Stadt Aachen, die nach dem beschriebenen Muster vor allem mit der Argumentation einer dem städtischen Gemeinwesen zugute kommenden wirtschaftlichen Potenz der Protestanten um freie Religionsausübung in eigenen Bethäusern und Schulen anhielten. Vom vorgesehenen Druck und der Verteilung der Bittschriften, die auf Dohms Wunsch mit einem von ihm verfaßten Vorwort versehen werden sollten, an Rat und Aachener Bürger, vor allem um zu beweisen, "daß es den Protestanten nicht um größere bürgerliche, sondern nur um religiöse Freiheit zu tun sei"402, sah man schließlich nach von Dohm geleiteten Gesprächen zwischen protestantischen Gemeindevorstehern und einem der Bürgermeister ab; sowohl um den vom Magistrat prophe396
Hansen, Quellen, 1, S. 372.
Der Text des Dohmschen Entwurfs findet sich bei Hansen, Quellen, 1, S. 372 ff. Stevens, Toleranzbestrebungen, S. 91. Abdruck bei Hansen, Quellen, I, S. 225 f. 399 Vgl. Hansen, Quellen, I, S. 227. 400 Stevens, Toleranzbestrebungen, S. 93. 401 Hansen, Quellen, I, S.227, Anrn.1. 402 Stevens, Toleranzbestrebungen, S. 94. 397 398
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zeiten Unruhen keine Nahrung zu geben als auch, um vorerst noch die beiden anderen Direktorialvertreter möglichst aus den Verhandlungen herauszuhalten. 403 Dohms Engagement für die Sache der Protestanten, seine Bemühungen um Gespräche und Vermittlung mit allen Parteien wurden derweil sowohl vom Magistrat kritisiert, der Abordnungen mit der Aufforderung zu ihm sandte, sich weiterer Einmischungen zu enthalten, ihm beängstigende Szenarien von einem bevorstehenden "Tumult und Blutbad" entwarf und ihm die alleinige Vermittlung ohne Hinzuziehung der beiden anderen Direktorialvertreter absprach 404 , als auch von anderen, wie etwa dem kaiserlichen Gesandten Graf Metternich-Winneburg, kritisch beobachtet. Letzerer berichtete seinem Hof am 24. Februar 1788: "Aus Aachen habe ich die bestätigte Anzeige erhalten, daß die dortigen Protestanten auf eine gleiche Begünstigung wie in Köln angetragen [... ]. Der königlich-preußische, auch Kreisdirectorial-Gesandte v. Dohm fängt an, sich öffentlich hierbei herauszustellen und das Ansinnen zu unterstützen".405 Auch noch am 10. Mai 1789 bekräftigte Metternich in einem Brief an den Reichsvizekanzler Franz von Colloredo (1731-1807) diese Einschätzung: E.F.G. werden sich zu erinnern geruhen, daß ich über die desfalsige Einmischung und Bemühungen des Herrn v. Dohm bereits unterm 24. Februar v. J. gelegentlich der zu Köln entstandenen Religionsbewegungen zuvorgekommen bin, und es bestätigen ganz neuere Nachrichten, daß dieser Herr Direktorialgesandte sich noch immer beeifere, seine Religionsverwandten zur Ausführung ihres Vorhabens nach seinem dortigen persönlichen Einfluß in der Stille zu unterstützen. 406 Während die Kölner Protestanten mit Ausnahme einer kleinen Gruppe unter Führung des württembergischen Residenten Peletier Dohms weiteres Engagement mit Dank für geleistete Arbeit ablehnten, verknüpften die Aachener mit dem Scheitern der direkten Gespräche mit dem Rat die Forderung nach religiöser Toleranz mit den politischen Problemen im Zusammenhang mit der "Mäkelei" und hofften auf Aufnahme ihrer Interessen in die Vorschlagslisten zur Verbesserung der Aachener Verfassung. Damit wurden auch die beiden anderen Direktorialvertreter stärker involviert. 407 Aus Dohms Tagebuch geht hervor, daß sich auch noch in der Folgezeit Protestanten aus verschiedenen Orten des Aachener und sogar weiteren Umlandes mit ihm in Verbindung setzten. 408 Die Ausweitung der Religionsangelegenheiten auf den AufStevens, Toleranzbestrebungen, S. 95 f. Stevens, Toleranzbestrebungen, S. 95. 405 Hansen, Quellen, I, S. 263 f. 406 Hansen, Quellen, I, S. 366. 403
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407 Dohm erbat von der preußischen Regierung, den pfalzbayerischen Hof zur Nichteinmischung zu bewegen, was tatsächlich erfolgreich geschah. Kurköln reagierte auf die Aufnahme der protestantischen Angelegenheiten in die Kommission mit dem Hinweis auf Nichtzuständigkeit derselben (vgl. dazu: Stevens, Toleranzbestrebungen, S. 96). 408 Dohm, Tagebuch: ,,Freytag den 12ten [Juni 1789]. [... ] Beym Essen kam M. Lany aus Creveld, der hier baden will. Dann die Burtscheider Protestanten Deputirten, ein ungarischer Geistlicher zu collectioniren, noch allerley Besuche [... ]."; ..Montag den 13ten [Juli 1789].
V. Diplomatischer Dienst in Köln und Aachen
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gabenbereich der Aachener Kreiskommission zog nicht nur die gleichzeitige Vergrößerung des Diskussionsforums nach sich - die Aachener Bevölkerung insgesamt war ja aufgefordert, Verbesserungsvorschläge zur Änderung der Verfassung einzureichen 409 -, sie politisierte den Konflikt auch zunehmend. Bereits in den Kölner Auseinandersetzungen war klar geworden, daß das gegen die Protestanten gerichtete Eingreifen des Kölner Kurfürsten Max Franz nicht orientiert war an der Frage einer religiösen Duldung der Protestanten, sondern Verfahrensfragen zum Ausgangspunkt hatte. Auch Dohm erkannte diese Akzentverschiebung: "Obgleich im vorliegenden Falle eigentlich nur über eine politische Frage, nämlich das Recht des Rats, ohne Zuziehen der Bürgerschaft die Konzession zu erteilen, gestritten wird, so wird er doch wohl, da diese Konzession ein Bethaus betrifft, für eine Kirchensache gelten müssen."410 Ohne Einbeziehung der beiden anderen Direktorialvertreter verknüpfte Dohm, wie aus seinem Tagebuch hervorgeht, die Toleranzfrage im Mai 1789 mit der Diskussion um die Armenfürsorge. So notierte er unter dem 19. Juni 1789: "Auf meinen Betrieb besuchten wir heute das Armenhaus und examinirten dessen Beschaffenheit & bisherige Verwaltung."411 Am 22. Juni begann Dohm mit dem Studium von Christian Garves Aufsatz "Über die Armut" und vermerkte dann unter dem 23. Juni: "Ich brachte heute in der Conferenz eine Deputation zu Errichtung eines Arbeits- & Werkshauses zu Stande, worinn auch prot. Fabrikanten seyn sollen. [... ]."412 Ein Besuch im Waisenhaus folgte am 25. Juni und schließlich konnte in der am nächsten Tag folgenden Sitzung der Direktorialvertreter die Initiative konkretisiert werden: ,,[ ... ] In der Conferenz hielt ich einen Vortrag an die zum Entwurf Nachmittags Besuch vom jungen Loewenich & Steinberg wegen dortiger Protestanten Sache, die sie durch Bewilligung eines Bäthhauses für die Catholiken in Kettwick durchzusetzen hoffen."; "Mittwoch den 26ten [August 1789]. [... ] Heute viel Redens wegen Tumults hier in Burtscheid, ich deshalb mit dem Bruder Nachmittags zu H. von Loewenich."; "Freytag den 4ten [September 1789]. [... ] Fast um 4 Uhr zu Hause, wo ich die Nachricht fand, daß Plessing uns besuchen wolle und der reformirte Prediger aus Stolberg da gewesen. Da dieser schon etlichemal vergebens hier gewesen, entschloß ich mich folglich ihn auf den Abend mit Wildenstein, wo er logirt, und Jacobi bitten zu lassen." (Vgl. zur Situation der Protestanten im Gebiet des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises ausführlich: Brämik, Die Verfassung der lutherischen Kirche. Zur Situation in Stolberg: LohmannISchleicher, Geschichte der evangelischen Kirchen in Stolberg; Rosenbrack, Unter dem Schwan). 409 Im Fall der anonym erschienen Schrift "Beitrag zu den Verbesserungsvorschlägen in Betreff der kaiserlich-freyen Reichsstadt Aachen, besonders ihrer Thchmanufakturen" (Aachen 1789) geschah dies mit ausdrücklicher Widmung an Dohm. Aller Wahrscheinlichkeit nach stammt die Schrift von Johann Arnold von Clermont (1728-1795), der selbst als Thchhändler tätig war. Clermont war der Schwiegervater von Friedrich Heinrich Jacobis Sohn Johann Friedrich, der in Aachen ansässig war und dort die Interessen des Hauses Clermont vertrat. Während seiner Aachener Zeit hatte Dohrn engsten Kontakt zu Johann Friedrich Jacobi, der ihm vor allem während der Abfassung der Verfassung ein ständiger Berater war, wie zahlreiche Belegstellen im Tagebuch deutlich machen. (Bezüglich der hier aufgezeigten verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Familien Clermont und Jacobi vgl.: OppenhojJ, Die Beziehungen Friedrich Heinrich Jacobis und seiner Familie zu Aachen). 410 Dohm an Pelletier in Köln, 20. Mai 1789. In: Hansen, Quellen, I, S. 371. 411 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 19. Juni 1789. 412 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 23. Juni 1789.
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A. Dispositionen des politischen Erlebens und Hande1ns
des Arbeitshauses Deputirten. Allerley Gemunnel über diese erste Zuziehung der Protestanten zu öffentl. Geschäfften [... ]."413 Die von Dohm direkt oder indirekt forcierte räumliche Ausweitung der Konflikte führte bei den Beobachtern zu Spekulationen über die preußischen bzw. Dohmschen Pläne. Von Metternich venneldete am 2. Mai 1788: Der preußische Gesandte v. Dohm befindet sich dermalen in Lüttich, und man will wissen, daß dessen dortige Anwesenheit auf die Religionsduldungs-Einführung in Aachen, wovon ich bereits berichtet habe, Bezug habe. 4 [4
Der wahre und von Dohm, wie sich hier zeigt, erfolgreich verschleierte Grund für seinen Aufenthalt in Lüttich allerdings stand mit der Protestanten-Problematik in keiner Verbindung. Vielmehr hatte Dohm aus Berlin den Auftrag erhalten, sich geheim zugunsten eines Preußen genehmen Kandidaten bei der avisierten Koadjutorwahl in Lüttich einzumischen. 415
413 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 26. Juni 1789. Auch dieses sozialpolitische Engagement Dohms war von ihm mit Interesse und Eifer vorbereitet worden: Aus den Tagebuch-Vermerken zur Reise von Pempelfort nach Aachen zwischen dem 30. Mai und 9. Juni 1789 geht hervor, daß Dohm in Essen-Borbeck Arbeiter in ihren Unterkünften besuchte (2. Juni 1789: "Wir sahn hier auch arme Leute aus dem Trierischen, die Flachsschwingen machen, äußerst dürftig in einem Behältniß wohnen, worinn wir kaum durch die enge Oefnung uns drängen konnten. Wir erkundigten uns bey ihnen nach dem Gewinn ihrer Arbeit der ungemein klein ist.") und in Krefeld (7. Juni 1789) "das gros se Seiden Magazin & andre FabrikGebäude" besichtigte. 4[4 Hansen, Quellen, 1, S.286. 4[5 V gl. dazu Kapitel B. II. 1. in dieser Arbeit.
B. Die zentrale politische Erfahrung: Die Lütticher Revolution von 1789 I. Das Fürstbistum Lüttich 1. Die Verfassung Lüttichs Im 18. Jahrhundert bildeten im wesentlichen zwei Vertragswerke die Grundlagen der Lütticher Konstitution: der sogenannte Paix de Fexhe von 1316 und das von Fürstbischof Maximilian Heinrich von Bayern (1621-1688)1 erlassene Reglement von 1684. 2 1316 fanden Auseinandersetzungen zwischen Bischof und Bürgern des Landes Lüttich ihren Abschluß mit dem im Frieden von Fexhe festgelegten Grundsatz der Anerkennung einer gleichberechtigten Teilnahme des Bischofs und der Stände an der Landesregierung. Gewählt wurde der Bischof vom 60-köpfigen Kapitel der Kathedrale Saint Lambert, dann durch Kaiser und Papst bestätigt. Mitverantwortlich für alle seine politischen und wirtschaftspolitischen Handlungen waren zwei Gremien: zum einen der von einem Kanzler geführte "Conseil prive", der unterstützend wirkte bei allen politischen und administrativen Angelegenheiten, zum anderen eine Finanzkammer, die bei fiskalischen Fragen beriet. Nach seiner Wahl hatte der Bischof bis ins 17. Jahrhundert hinein eine Kapitulation zu unterzeichnen, in der er sich verpflichtete, die Rechte der Bürger Lüttichs zu wahren. Den Ersten Stand bildete das Kapitel der Kathedrale Saint Lambert der Stadt Lüttich, den Zweiten die begüterten Oberhäupter adeliger Familien, den Dritten je zwei Bürgermeister der 23 sogenannten "bonnes villes". Die Aufrechterhaltung der "Franchises & anciens usages des bonnes villes & du commun Pays de 1,Eveque de Liege"3, die Behandlung aller nach geltendem Recht und Gesetz 4 und die gleichbeVgl. dazu Huisman, Essai sur le regne du Prince-Eveque. Zur Verfassung des Landes Lüttich ausführlich: Henaux, Constitution du Pays de Liege; Gilissen, Le Regime representatif; Hansotte, La Principaute episcopale, vor allem S. 10-13; Sage, Les Institutions politiques; Harsin, La Revolution Liegeoise, S.15-20. Zur Einordnung des Verfassungskonflikts der Revolution im Rahmen von ,,Forderungen nach Landtagsreform in deutschen Territorien" vgl. Stollberg-Rilinger, Vormünder des Volkes, S. 155-159. 3 Abgedruckt bei (Noel-JosephLevoz:) Histoire des principales revolutions de la principaute de Liege, 1789. S. 27-31, hier: Art. 1, S. 27. Außerdem bei Hormans, Receuil des Ordonnances. Allgemein zu Entstehung und Inhalt des Paix de Fexhe vgl.: Wohlwill, Paix de Fexhe, v. a. S. 111 ff.; Daris, Histoire du Diocese, S.404-412. 4 (Levoz) Histoire des principales revolutions de la principaute de Liege, Art. 2, S. 27. I
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
rechtigte Mitwirkung des Bischofs und der drei Stände, dem "Sens du pays"5, bei der Einrichtung und Änderung der Gesetze 6 waren wesentliche Bestandteile dieses Vertragswerkes, das seine Inhalte vor allem aus den "Coutumes" des Landes zog. Den Prärogativen des Bischofs bezüglich der "pouvoir de police generale", die neben konkreten verwaltungs technischen Aufgaben wie der Aufsicht über das Rechtswesen, die Landespolizei, das Gesundheits- und Forstwesen und die Kriminalitätsbekämpfung auch die dem mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Begriff der ,,Policey" implizite Kontrolle über die öffentliche Moral umfaßte 7 , standen nicht nur die Befugnisse der Stände gegenüber, wie etwa die, in allen Fragen rechtlicher und fiskalischer Natur mit entscheidungsbefugt zu sein oder allein berechtigt die 22 Richter des sogenannten "Tribunal des Vingt-deux"s, des höchsten Lütticher Gerichts zu benennen, sondern auch die allen Untertanen gewährten Grundrechte, wie etwa das Eigentums- und Versammlungsrecht, das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung oder das Recht auf Gewerbefreiheit 9 • Allein das Recht auf freie Religionsausübung war, bedingt durch die reichsrechtlichen Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens, eingeschränkt: Die Untertanen des Lütticher Landes mußten wie ihr Landesherr katholisch sein. Zugleich implizierte die aus dem Herrschaftsvertrag sich ergebende Mutua obligatio ein auf konservierende (Wieder-)Herstellung der alten (guten) Ordnung zielendes Widerstandsrecht des Landes gegen den Bischof im Falle der Nichteinhaltung der ihm vorgegebenen Aufgaben und der für alle verbindlichen Gesetze. 10 Der dualistische Ständestaat war damit früher als irgendwo anders im Heiligen Römischen Reich in Lüttich verwirklicht worden. 11 Vgl. zum Sens du pays etwa: Gilissen, Le Regime representant, S. 56-58. (Levoz) Histoire des principales revolutions de la principaute de Liege, Art. 8, S. 29. Zur Durchsetzung bestimmter Gesetzesvorhaben oder Finanzangelegenheiten war das Einverständnis aller Stände nötig, d. h. in jedem einzelnen Stand die Mehrheit der Wahlberechtigten. Die Unterschrift des Kanzlers ratifizierte das Gesetz (vgl. etwa Harsin, La Revolution Liegeoise, S.16). 7 Hansotte, La Principaute episcopale, S. 10-11. 8 Vgl. dazu etwa Sage, Les Institutions politiques, S.76-93 ; Harsin, La Revolution Liegeoise, S. 16f; Gillissen, Le Regime representatif, S.58. Das Gericht der Zweiundzwanzig setzte sich aus je vier Vertretern des Kapitels, der Ritterschaft und der Stadt Lüttich sowie 10 Vertretern der auf dem Landtag vertretenen Stände zusammen. Es residierte dauerhaft in der Hauptstadt und konnte jederzeit angerufen werden, wenn es galt, über Verstöße gegen die ,,Paix" bzw. die Freiheiten der Lütticher Bürger zu entscheiden. Mit Ausnahme des Bischofs waren alle Bürger an die direkt zu vollstreckenden Urteile gebunden. Die lokale Rechtsprechung oblag den vom Bischof ernannten ,,Echevins". In der Hauptstadt residierte zudem ein Appellgericht für Zivilangelegenheiten und seit dem 17. I ahrhundert ein sogenannter "Conseil ordinaire", der höchste Gerichtshof, der nur in Ausnahmefällen als eine Art Vorstufe zu den Reichsgerichten fungierte (vgl. Harsin, La Revolution Liegeoise, S. 16-17). 9 Hansotte, La Principaute episcopale, S. 11-13. 10 Vgl. etwa Gillissen, Le Regime representatif, S.58. Zum Widerstandsrecht allgemein etwa: Link, Ius resistendi. (Dohm wird sich in seiner Abhandlung über die Lütticher Revolution auch auf das Widerstandsrecht der Stände im Paix de Fexhe berufen; vgl. dazu Kapitel B. VII. 3. in dieser Arbeit.) II V gl. dazu Lüdtke, Preußen und Frankreich, S. 84. Allgemein dazu: Hintze, Typologie der ständischen Verfassungen; Brunner, Freiheitsrechte in der altständischen Gesellschaft; Oest5
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1. Das Fürstbistum Lüttich
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Die Städte spielten von Anbeginn eine entscheidende Rolle bei der Verfassungsbildung des Landes Lüttich 12: zum einen in dem eher allgemeingültigen Sinne einer Lieferung von Anregungen für die landesherrliche Initiative, die ihre Vorlagen für die Entwicklung eines Rechtswerks für das gesamte Territorium aus den den jeweils "aktuellen Planungserfordernisse und Nützlichkeitserwägungen" entsprungenen Verfassungen und Verwaltungen der Städte ziehen konnte 13, zum anderen in dem konkreten Sinne, daß die Städte schließlich das einzige Gegengewicht zur Stellung des Fürstbischofs bilden sollten. Das Domkapitel nämlich schloß sich dem Bischof an und monopolisierte zunehmend die für sich in Anspruch genommene Repräsentation des gesamten Klerus, indem es sich nahezu ausschließlich aus sich selbst rekrutierte l 4, der Adel büßte seine Rolle als Zweiter Stand weitgehend schon im 14. Jahrhundert ein, etwa 15 Familien waren seine Repräsentanten, die zugleich auch die Rolle einer Vertretung des in keinem anderen Stand repräsentierten flachen Landes übernahmen. Der starken wirtschaftlichen Stellung des städtischen Bürgertums entsprach der regelmäßig manifestierte Wille zur politischen Mitsprache, der am Ende der Auseinandersetzungen des Jahres 1384 in der Stadt Lüttich eine auch für die anderen Städte vorbildliche Verfassung hervorbrachte, die die eigenständige Verwaltung und Durchführung von Magistrats- und Bürgermeisterwahlen in der Stadt durch die 32 Zünfte unabhängig vom Bischof festschrieb. Die beiden Bürgermeister Lüttichs, die als Städtevertreter Mitglieder des Dritten Standes waren, gewannen in den Folgekontlikten zwischen den quantitativ weitgehend bürgerlich geprägten Ständen und dem Bischof zunehmend an Bedeutung, wurden schließlich die herausragenden Protagonisten. 15 Im Verlauf des 17. Jahrhunderts spitzten sich diese Kämpfe zu. Ihr vorläufiges Ende fanden sie im von Max Heinrich von Bayern erlassenen Reglement vom 28. November 1684 16, das jede Mitregentschaft des Zweiten und Dritten Standes ausschloß, ausnahmslos dem Kapitel ein Vetorecht und Mitbestimmung bei allen vom Fürstbischof entschiedenen Akten der Landeshoheit zubilligte und vorsah, die Bürgermeister der "bonnes villes" zur Hälfte vom Fürstbischof bestimmen zu lassen. Wiewohl der Fexher Friede weiterhin gültiger Bestandteil der Landesverfassung blieb, hatten Max Heinrichs Modifikationen einschneidende Wirkung: Die alte Grundordnung wurde ersetzt durch eine "Scheinkonstitution einer absoluten geistreich, Ständetum und Staatsbildung; Blickle, Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus. 12 V gl. etwa Gilissen, Le Regime representant, S.29-50. 13 Wessei, Zweckmäßigkeit, S. 36. Allgemein zur Rolle der Städte in der Verfassungsbildung der Territorien des späten Mittelalters: von Below, Die städtische Verwaltung, S. 396 ff. 14 Harsin, La Revolution Liegeoise, S.18. 15 Herkunft, Ausbildung und Karrieren der Lütticher Bürgermeister im 18. Jahrhundert untersucht Moreau, Les Bourgmestres de Liege. 16 Abgedruckt bei Bormans, Receuil des Ordonnances de la Principaute de Liege, 3 e serie, 1, S. 1-11; (Levoz) Histoires des principales revolutions de la principaute de Liege,
S.225-251.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
lichen Oligarchie" 17, die "ständisch-regierte Selbstverwaltung" eingeschränkt und überwacht und "in einem Prozeß allmählicher Integration für die Verstaatlichungsabsichten des Fürstenregiments nutzbar" gemacht 18. Vor allem der Dritte Stand mußte gravierende Eingriffe in seine Rechte hinnehmen: Mit der Einrichtung eines sogenannten "Conseil communal" aus insgesamt 16 Kammern, die jede aus 20 Mitgliedern der adeligen Lütticher Familien, zehn Kaufleuten und sechs Handwerkern bestanden, hebeIte der Bischof über komplizierte, von ihm beeinflußte Wahlverfahren die plebiszitären Momente der Verfassung im wesentlichen aus. 19 Die beiden Bürgermeister Lüttichs wurden jährlich nach der Versammlung aller Kammern bestimmt, und zwar einer aus den Reihen der vom Volk gewählten Kammermitglieder, einer durch die Deputierten des Fürstbischofs. Mit Ausnahme der Jahre 1789 und 1790, in denen die Bürgermeister im Zuge der revolutionären Wirren per Akklamation durch das versammelte Volk bestimmt wurden, galten die Regelungen des Jahres 1684 bezüglich der Magistrats- und Bürgermeisterwahlen bis 1793. Dem Herrschaftsanspruch des Fürstbischofs, neben dem die im Mittelalter bedeutende Funktion auch der Bürgermeister auf eine vorwiegend rein symbolische zurückgedrängt wurde, setzten - wie andernorts - die Stände des Landes das Beharren auf dem alten Recht und der alten Ordnung entgegen, als die "außen- und innenpolitischen Machtprätentionen des Landesherren die bestehenden Verhältnisse im Lande tatsächlich oder vermeintlich gefährdeten". 20
2. Aufklärung in Lüttich Liegeois, vous etes un Peuple libre! Un Peuple est libre quand il n' obeit qu' aux Loix qu' il se donne a lui-meme, par le consentement de tous les Individus qui le composent ou par celui des Representans nommes & autorises par eux; en sorte qu'un Peuple n'est libre qu'autant que la Souverainete, le Pouvoir legislatif reside dans la Nation entiere. [... ] Le premier commis de la Nation, son Chef, & non Son Maitre, est l' organe de la volonte nationale. Membre de La Souverainete quand il s' agit de faire la Loi, il est son seul delegue pour la faire executer. Illa fait promulguer quand tous y ont consenti, mais il n'en est que l'organe & non interprete, il ne peut que la publier, & non la changer; il ne peut meme la faire executer que selon les formes prescrites 21 ,
schrieb Jean-Nicolas Bassenge (1758-1811)22 im ersten seiner zwischen 1787 und 1789 veröffentlichten sogenannten ,,Lettres al' abM de P... ". Als Antwort auf die im Lüdtke, Preußen und Frankreich, S. 85. Kunisch, Absolutismus, S.59. 19 Vgl. etwa Harsin, La Revolution Liegeoise, S.18f. Das Wahlverfahren und die Zusammensetzung der Kammern vermittelt übersichtlich Moreau, Les Bourgmestres de Liege, S.39-44. 20 Kunisch, Absolutismus, S. 60. 21 Bassenge, Lettres, 1, Lettre I, S.5-7. 22 Biographie nationale, 1, Sp. 748-761 ; Gonne, Un Type de Revolutionnaire Liegeois ; Bosmant, Les Grands Hommes de la Revolution Liegeois, S.27-34. Bassenge war Anwalt und 17 18
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1. Das Fürstbistum Lüttich
Zusammenhang mit der Spielbankaffäre von Spa 23 entstandene fürstenfreundliche Schrift "De la souverainete des Princes-Eveques de Liege" des Lütticher Advokaten Jean-Joseph Piret (1758-1838)24 gedacht, nutzte Bassenge seine auf insgesamt fünf Bände und über 2000 Seiten angelegte Schrift als leidenschaftliches Plädoyer für den Erhalt und die Umsetzung des Paix de Fexhe, als dessen wesentliche Grundsätze er die Herrschaft der Gesetze und die Volkssouveränität besonders herausstellte. Die Affäre um die Spielbank in Spa diente Bassenge als Fallbeispiel für die, wie er zeigen wollte, Überschreitung der verfassungsrechtlich geregelten fürstbischöflichen Kompetenzen in der aktuellen politischen Situation in Lüttich. Die Stoßrichtung seiner Kritik machte Bassenge über den gesamten Verlauf seiner Abhandlung deutlich: Seit zwei Jahren, also etwa seit dem Beginn der Amtszeit des Fürstbischofs Konstantin-Franz von Hoensbroeck (1724-1792)25 im Jahr 1784, herrsche in Lüttich ein "Systeme constant d'oppression", in dessen Folge sich vielfach "les scenes de Despotisme" abspielten. 26 Überall anderswo verbreite sich das Klima der Aufklärung, in Lüttich dagegen sei Züchtigung und Bedrohung durch den Fürstbischof an der Tagesordnung: Dans ce siede, ou toute I'Europe voit des lumieres se propager, I'humanite se repandre, ou les Droits des Peuples, la dignite de I 'homme sont chaque jour plus connus, ou les Souverains les plus absolus se font gloire de les respecter, de par1er ce Peuple le langage noble de la raison, de la justice, de la bienfaisance; c' est ainsi qu' on nous traite au nom d 'un Eveque, qui sur le Siege Episcopal depuis que1ques jours, ne parle que de peines, de chatimens, de menaces! On veut nous faire reculer vers les siedes barbares. On renverse ainsi toute notre Constitution, on foule au pied notre Contrat Social [ ...].27
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Rousseaus Vertragstheorien vom Contrat Social, dessen Lehre von der Souveränität des Volkes und der Volonte generale durchziehen Bassenges gesamte AusfühSchriftsteller. 1781 war er für einige Zeit nach Paris gegangen, kehrte dann nach Lüttich zurück, wurde Mitglied im nach dem Revolutionsausbruch installierten Conseil municipal und nahm als Mitglied der Lütticher Ständedeputationen an den Verhandlungen während des Wahlkonvents in Frankfurt (1790) teil. Um Preußen um weitere Unterstützung zu bitten, reiste er im Anschluß an diese Versammlung nach Berlin. Bassenge war während der Revolution vor allem als Autor gefragt, etwa um aus Sicht der Stände auf Dehortatorien der Kreisdirektoren zu antworten oder Schriften für den Frankfurter Konvent zu entwerfen. Im September 1791, nachdem er aus Lüttich zunächst nach Givet, dann nach Bouillon geflohen war, verfaßte er die "Adresse I'Empereur", in der er die Lütticher aus seinem Exil heraus aufforderte, sich allein auf sich zu verlassen. Als Vertreter der gemäßigten Partei war er im Januar 1792 an zwei Sitzungen des sogenannten "Comite revolutionnaire des Belges et Liegeois unis" beteiligt. Nach der Besetzung des Lütticher Landes durch französische Truppen und der Einverleibung des Landes in den französischen Staat arbeitete er in der neu eingerichteten Verwaltung. 1802 zog er sich ins Privatleben zurück. 23 V gl. Kapitel B. 1. 3. in dieser Arbeit. 24 Biographie nationale, 17, Sp.559-563. 25 Biographie nationale, 9, Sp.419-423. Hoensbroeck war als Sohn des Grafen Ulrich Anton von Hoensbroeck d'Oost und der Gräfin Anne-Salome von Nesselrode-Ehreshoven geboren, studierte in Heidelberg und wurde Kanoniker in Aachen und Lüttich, bevor er 1784 zum Fürstbischof von Lüttich gewählt wurde. 26 Bassenge, Lettres, 1, Lettre I, S.l. 27 Bassenge, Lettres, 1, Lettre 111, S. 127-128.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
rungen. Der von Bassenge verwendete Freiheitsbegriff war dem "demokratischen Freiheitsbegriff" Rousseaus 28 nachempfunden, der die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz und Souveränität dem Volk zusprach. Er war unmittelbar verknüpft mit einer naturrechtlich hergeleiteten Gleichheit aller vor dem Gesetz. 29 Hierin und in der Tatsache, daß Bassenges Ausführungen an der konkreten Konfliktsituation einer juristischen Auseinandersetzung über die polizeiliche Verfügungsgewalt des Fürstbischofs orientiert, also weit entfernt waren, bloße ,theoretische' Vorlage eines öffentlichen Diskurses zu sein, lag die eigentliche Sprengkraft, der implizite Kampfruf gegen die bestehende Lütticher Obrigkeit. 30 Im Gegensatz zu Rousseau nämlich, dessen einleitende Ausführungen zum "Contrat Social" ("Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten.") zwar vielfach "wie ein Aufruf zur revolutionären Befreiung" gedeutet wurden, aber doch, da "von dieser Knechtschaft im Grunde alle betroffen" waren, nicht im Sinne einer ,,revolutionären Veränderung in der personalen Zusammensetzung der herrschenden Schicht" zu verstehen waren 3l , kritisierte Bassenge vehement die Lethargie des Lütticher Volks und ermunterte es ausdrücklich zum Handeln "Alors Mr. Piret nous serons tranquilles, nous aurons la tranquillite du cadavre."32 ,,[ ... ] le silence, dans le moment, dans la circonstance Oll nous sommes, seroit une lachete, seroit un crime. "33 "Encore quelques pas, & le Liegeois est esclave; il est tems de le tirer de sa lethargie, ou il est perdu. "34 Bassenges Forderungen zielten auf die Umsetzung vorhandener mittelalterlicher Gesetze; sie waren damit (vorerst noch) nicht auf radikalen Umbruch orientiert, sondern der Aufruf, seit langem bestehende, allen Bürgern zugängliche, über Jahrhunderte erprobte und mit den Zielen aufgeklärten Denkens zu vereinbarende gesetzliche Grundlagen zur Basis auch des obrigkeitlichen Handelns zu machen. Mit der Bezugnahme auf eine konkrete aktuelle politische Bedarfslage ging er, wie beschrieben, hinaus über die Publikation einer die grundsätzliche Unzufriedenheit mit den Verhältnissen zum Ausdruck bringenden Diskussionsgrundlage. ,Politisierung' bedeutete zwangsläufig hier nicht nur bewußte Wahrnehmung der vom Autor er28 Zu Rousseaus staatsphilosophischen Ideen vgl. vor allem: Fetscher, Rousseaus politische Philosophie. 29 Bassenge, Lettres, I, Lettre III, S. 78: "Que chacun soit mineis & traities par Loi & par jugement des Echevins ou d'hommes, selon ce que a chacun & au cas affierat & nient autrement. - Paix de Fexhe - Tel est le paragraph sacre de notre contrat social, qui assure ala Nation liegeoise la Liberte civile."; Bd. I, Lettre I, S.4: "L'edifice qu'ils ont eleve est appuye sur la base inebranlable du Droit de la nature, sur celle du Droit positif, qui au premier, sur le titre precis de notre Droit politique & civil, sur cette Paix de Fexhe enfin, notre Contrat social, par qui nous sommes une Nation, des Hommes, & non un viI troupeau d'escalves [... ]." 30 V gl. hierzu etwa Schlumbohm, Freiheit, S.66: Indem sich der vielseitig als Schlagwort verwendete Begriff der Freiheit mit dem Begriff der allgemeinen Gleichheit verband, wurde er "zum Kampfruf der antifeudalen Bewegung." 31 Fetscher, Rousseaus politische Philisophie, S.95. 32 Bassenge, Lettres, I, Lettre IV, S. 232. 33 Bassenge, Lettres, I, Lettre I, S. 2. 34 Bassenge, Lettres, I, Lettre I, S.12.
I. Das Fürstbistum Lüttich
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kannten Mißstände 35 , sondern vielmehr die konkrete Forderung nach Umsetzung in Handlung. Der Boden für die Rezeption französischer, aufgeklärtes Gedankengut publizierender Schriften war in Lüttich seit etwa 1750 bereitet. Mit dem Durchzug französischer Truppen während des Österreichischen Erbfolgekrieges fanden vor allem die Werke der französischen Enzyklopädisten ihren Weg ins Fürstbistum und von hier aus ins Reich. 36 Daß Französisch die Muttersprache des weitaus größten Teils der Bevölkerung des Lütticher Landes war, gewährleistete die unmittelbare Rezeption der hereinströmenden Texte. In Lüttich selbst wurden darüber hinaus - zumeist heimlich - Nachdrucke der Texte vorgenommen: ,,Lüttich wurde eine Zentrale für den französischen Aufklärungsbuchhandel" .37 Die Eigenproduktionen Lütticher Autoren waren quantitativ eher begrenzt, in ihrer Themenauswahl und den dargelegten Gedanken lehnten diese sich oft eng an die französischen Vorbilder an. 38 35 Diese theoretische Ausrichtung der ,,Politisierung der Aufklärung" stellen vor allem Bödeker/Herrmann, Aufklärung als Politisierung, Fragestellungen, S.4, heraus, wenn sie Politisierung als "das in der Reflexion auf die eigene Lage gründende Bewußtsein des Zusammenhangs von staatlicher Verfassung, gesellschaftlichem Gefüge und individueller Situation" fassen. 36 V gl. dazu Droixhe, Des Lumieres ala Revolution, S. 22. Zur, Verteilung' der Literatur auf ein breites Publikum äußert sich Küntziger, Essai historique, S. 67. Er bemerkt, daß französische Werke an die Lehrer der Elementarschulen auf dem Land verschickt wurden, die dann deren Inhalte im Unterricht lehren sollten. 37 Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 7. Strothotte verweist in diesem Zusammenhang vor allem auf Georg Forster, der das Verlagswesen in Lüttich als besonders ergiebige Erwerbsquelle für Handwerker und Künstler herausstellte. Droixhe, Des Lumieres a la Revolution, S. 23-26, untersucht u. a. mit Hilfe verschiedener Inventarlisten von Lütticher Privatbibliotheken, welche Werke bevorzugt in Lüttich rezipiert wurden. Voltaire, Montesquieu, Helvetius, Marmontel, Diderot und Mirabeau sind nach seinen Recherchen besonders häufig vertreten. Waren im vorrevolutionären Frankreich die Werke Rousseaus "selbst bei der einfachen Stadtbevölkerung bekannt und beliebt" (Chartier, Die kulturellen Ursprünge, S.102f.), konstatiert Droixhe für Lüttich eine gute Präsenz Rousseaus in den Bücherschränken der Lütticher Intelligenz (Zu Rezeption und Nachdruck Voltairescher Werke vgl.: Droixhe, Voltaire et I'edition liegeoise; Vercruysse, Quelques editions liegeoises de Voltaire. Zur Rezeption von Helvetius: Smith, Helvetius et l'edition liegeoise). 38 So hielt Forster noch 1790 in den "Ansichten vom Niederrhein" fest: "Doch mit den eigenen Produkten des Geistes, die hier fabriziert werden, dürfte es wohl etwas schlechter stehen, wenigstens wenn man den zum Sprichwort gewordenen hiesigen Almanach zum Maßstab nehmen darf." (S. 141). Auch: Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 6. Harsin, La Revolution Liegeoise, S. 25, zitiert als einzig nennenswerte originäre Lütticher Produktion die gegen die Geistlichkeit gerichteten Pamphlete des Chevalier de Heeswyck, die dieser mit Gefängnisstrafe zu bezahlen hatte. Droixhe, Noblesse eclairee, S.18ff., hebt die von Jacques d'Heusy erstellte Schrift "Essai sur le projet d'etablissement d'un Höpital general dans la ville de Liege" von 1773 zur Errichtung von Armen- und Krankenhäusem in Lüttich als herausragenden reflexiven Beitrag zur Aufklärung Lüttichs heraus. Daneben stellt er eine Reihe von Autoren und juristischen Werken zwischen etwa 1730 und der unmittelbaren vorrevolutionären Zeit vor (S. 28-35). Le Roy, La Philosophie au Pays de Liege, S. 152, betont, daß nur die Universitätsund Rechtsgelehrten, "c'est a dire des savants formalistes", überhaupt einen Beitrag zum aufgeklärten Diskurs im ansonsten wenig ,politisierten' Lüttich geleistet hätten.
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Mit der Herausgabe des ,,Journal encyc1opedique" erschien seit 1756 unter der Genehmigung des amtierenden Fürstbischofs Johann Theodor von Bayern 39 die erste größere und über die Dauer von drei Jahren andauernde Kompilation enzyklopädischen Wissens in Lüttich. Herausgeber war der Franzose Pierre Rousseau (geb. um 1725). AufDruck der Geistlichkeit mußte die Veröffentlichung 1759 wieder eingestellt werden. 4O Ähnlich umfangreich und im geistigen Leben Lüttichs eine Zäsur bildend sollte in der Folge dann erst wieder das ebenfalls von einem Franzosen, Pierre Lebrun (1763-1793), herausgegebene ,,Journal general de l'Europe" werden. 41 Eine ganze Reihe von Autoren des Lebrunschen ,,Journal general" haben sich als Revolutionäre hervorgetan. 42 Über eine nur kurze Dauer dienten daneben während der Revolutionszeit das ,,Journal patriotique" (24. August 1789 bis 4. Juli 1790) und der von Nicolas Bassenge herausgegebene "Avant Coureur" als Publikationsorgane der Revolutionäre. Im gegnerischen, die Forderungen der Revolutionäre strikt ablehnenden Lager erschienen im wesentlichen zwei Periodika: das ,,Journal historique et politique" und 39 Vgl. Biographie nationale, 10. Johannes Theodor war zwischen 1744 und 1763 Lütticher Fürstbischof. 40 Ausführlich geht Francotte, Essai historique, S. 31-80, auf Pierre Rousseau und die Bedeutung des ,,Journal" in Lüttich ein. Er betont die weitgehende Zurückhaltung Rousseaus in seinen zeitkritischen Bemerkungen und stellt vor allem die reaktionäre Haltung der Lütticher Geistlichkeit ihm gegenüber heraus (S. 52 ff.). Dagegen betont Le Roy, La Philosophie au Pays de Liege, S. 142 und S. 152f., daß mit Pierre Rousseau und dem Einzug der Enzyklopädisten in Lüttich ein desinteressiertes und der eigenen kritischen Reflexion entwöhntes Publikum eine fulminante geistige ,,renaissance" erlebt habe. 41 Zu Lebrun und seinem ,,Journal general" vgl. ebenfalls v. a. Francotte, Essai historique, S.112-142. Lebrun hatte 1785 durch die Regierung der Österreichischen Niederlande die Publikationserlaubnis für Herve erhalten, lebte und publizierte dann in der Folge aber vor allem in der Stadt Lüttich. Das Titelblatt seiner ,,Politique, Commerce, Agriculture" zu Themen machenden Publikation schmückte das Wappen des Kaisers. Dessen Begeisterung für die Lebrunsche Ehrenbezeugung hielt sich allerdings in Grenzen: Sofort nach Erscheinen der ersten Nummer teilte Joseph H. Lebrun sein Mißfallen darüber mit und betonte, daß dessen Druckerzeugnisse ebenso wie alle anderen literarischen Produkte der "censure ordinaire" unterzogen würden (Francotte, Essai historique, S. 115). Der österreichischen Regierung diente Lebrun sich mit der Verteidigung der josephinischen Reformen an, was Kaunitz mit der Betonung von Lebruns besonderer Bedeutung als nützlichem Instrument der österreichischen Politik kommentierte. Nach seiner anfänglichen Gegnerschaft gegen die Ständeopposition in Brabant wechselte Lebrun schließlich ins Lager der Vonckisten. In Lüttich, wohin er wegen fortwährender Angriffe auf seine Person endgültig floh, pflegte er intensive Kontakte zu den ,,Patrioten", denen das ,,Journal general" in der Revolutionszeit immer wieder als Forum für die Verbreitung ihrer Ideen und Forderungen dienen sollte. Bis Ende 1790 begleitete das Journal die revolutionären Ereignisse, dann mußte der Druck eingestellt werden. Lebrun floh nach der Rückkehr Hoensbroecks auf den Bischofsstuhl nach Paris, wo er eine kurze Karriere als Minister im auswärtigen Departement machte, bevor er schließlich zum Tode verurteilt wurde. Am 22. September 1793 wurde das Urteil vollstreckt. 42 Francotte, Essai historique, S. 127; Recht, 1789 en Wallonie, S. 28, nennt als Autoren und Revolutionäre Bassenge, Reynier, Henkart und Hyacinthe Fabry.
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das von dem Jesuiten Franyois-Xavier de Feller (1735-1802)43 ab 1789 bis 1794 in Lüttich edierte ,,Journal historique et litteraire" (Bereits zwischen 1774 und 1788 war das Journal in Luxemburg erschienen.)44 Bassenge markierte in seinen "Lettres", wie gezeigt, die Zäsur im geistigen Leben Lüttichs mit dem Amtsantritt Hoensbroecks, durch den er das Land in den Zustand von Unterdrückung und Despotismus versetzt sah. Davon abgehoben erschien den Zeitgenossen Hoensbroecks Vorgänger Franz-Karl von Velbrück (1719-1784)45 als Begründer des ,,1' äge d' or de la philosophie"46 im Lütticher Land. Auf dem Höhepunkt leidenschaftlicher Debatten in den schon unter der Ägide seiner Amtsvorgänger Johann Theodor von Bayern und Charles d'Oultremont (1716--1771)47 gegründeten Logen, Clubs und Gesellschaften (vor allem debattierten hier Handwerker über industrielle Verbesserungen) trat Velbrück 1772 sein Amt als Fürstbischof von Lüttich an. Seine Amtszeit war bestimmt von der Öffnung des Lütticher Landes nicht nur für die französischen Ideen der Aufklärung, sondern auch für die Erneuerung im Inneren: Mit der 1779 erfolgten Gründung der sogenannten "Societe d ,Emulation" , deren Vorsitz Velbrück selbst übernahm, traten auch die späteren Revolutionäre, wie etwa Jean-Nicolas Bassenge, Jean-Remi de Chestret48 oder PierreJoseph Henkart (1761-1815)49 in den direkten Dialog mit dem Regenten. 5o Auf dem
43 Biographie nationale, 7, Sp.3-8.
44 Vgl. dazu etwa Harsin, La Revolution Liegeoise, S.27. Franeotte, Essai historique, S. 197-201, listet mit Kurzbeschreibungen die Journale der Revolutionszeit auf. Zu Feiler und seinem Journal vgl. auch Le Roy, La Philosophie au Pays de Liege, S.145-148. 45 Biographie nationale, 26/27, Sp.523-531; de Froidcourt, Velbrück; ders., Einleitung zu: Lettres autographes de Velbruck, S. 16-27 (Froidcourt publiziert und kommentiert hier mehr als 300 Briefe Velbrücks, die in seiner Amtszeit von seinem Sekretär Jean-Nicolas Chestret archiviert wurden.); Franeotte, Essai historique, S. 81-111. Aus einer alteingesessenen westfälischen Familie stammend, trat Velbrück dreizehnjährig 1732 in den Trappistenkonvent des Düsseltals bei Düsseldorf ein und übernahm bereits 1735 die ursprünglich seinem Bruder zugedachte Stelle eines Kanonikers der Kathedrale St. Lambert in Lüttich. 1746 stieg Velbrück zum Mitglied des fürstbischöflichen Ministeriums unter Johann Theodor von Bayern auf, 1756 wurde er zum Erzdiakon von Hesbaye ernannt, 1757 zum Dornherm von Münster. Von 1759 bis 1762 führte er in Lünich das Amt des ,,Premier Ministre" des Bischofs aus und vertrat im Wahlverfahren für den Nachfolger Johann Theodors vehement die französischen Interessen zugunsten des dann gewählten Charles d'Oultremont. 1772 folgte schließlich seine Wahl zum Fürstbischof von Lüttich. 46 Franeotte, Essai historique, S. 81. 47 Biographie nationale, 16, Sp.387-392. 48 Zu Chestrets Biographie vgl. Kapitel B. I. 3. in dieser Arbeit. 49 Biographie nationale, 9, Sp.62-67. 50 Zur "Societe d'Emulation" vgl. Franeotte, Essai historique, S.104-107, S.220 (Abdruck des Privilegs zur Einrichtung der Societe). Francotte beschreibt die Zusammensetzung der Societe aus 100 vorwiegend geistlichen Mitgliedern. Ein knappes Jahr nach der Gründung allerdings habe sich die Ausrichtung der Gesellschaft zugunsten bürgerlicher Intellektueller vollzogen. Hieraus zieht Francotte dann sogar den Schluß einer besonderen Beeinflussung der späteren Revolutionäre durch die Mitgliedschaft in der Societe: "C 'est la que, dans l'echange continuel des idees revolutionnaires, se prepara la ruine de la nationalite liegeoise; c'est la que se recruta et s'organisa l'etat-major de la revolution." (S.105). Albertine de Limbourg berichtete
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Gebiet der sozialen und wirtschaftlichen Einrichtungen fanden die wesentlichen staatsphilosophischen Ideen der Zeit unter Velbrück eine besondere Beachtung: Wohlfahrt und Humanität sollten in seinen Projekten einen "statut institutionnel" erhaltenSI; sie spiegelten sich in den Einrichtungen eines sogenannten "Höpital general" und verschiedener Schulen (zur künstlerischen, medizinischen oder technischen Ausbildung) wider. Die Zeitgenossen goutierten Velbrücks Engagement in Lobreden und -schriften, indem sie seine Regentschaft - im Gegensatz noch zu der seines Vorgängers Oultremont - ausdrücklich mit dem Attribut "eclaire" belegten. 52 Daneben aber zeichneten sich ab etwa 1759 Auseinandersetzungen zwischen Regent und Untertanen ab, die unabhängig von der Person des amtierenden Fürstbischofs ihren Ausdruck in sogenannten "Resolutions instructives" und ,,Plaintes" fanden, die die Bewohner bestimmter Regionen des Lütticher Landes 53 den "Messieurs les echevins", den "Messeigneurs les deputes de son Altesse" oder dem Fürstbischof selbst überstellten, um diese mit ihren Beschwerden zu konfrontieren. Wiewohl hierbei lokale Interessen, wie etwa die Mißachtung geltenden Jagdrechts, im Vordergrund standen, gewannen diese Resolutionen eine Bedeutung im Kontext eines sich ausbildenden bürgerlichen Selbstbewußtseins und der damit einhergehenden zunehmenden Politisierung der Bevölkerung: ,)usqu'a la Revolution, l'administration seigneuriale et les bourgeois s'affronteront sans treve et sans douceur."54 Beide Aspekte, die Herausbildung einer kommunikativen Infrastruktur innerhalb der bürgerlichen Schichten, aber eben auch mit dem Regenten, sei es in Form von intellektuellem Austausch im pseudoöffentlichen Arkanum der Diskursgesellschaften, sei es durch Klageschriften oder Pamphlete mit realpolitischem Bezugspunkt, verdeutlichen die Existenz eines geistigen Klimas in der Ära Velbrück, das die Forderung der Zeitgenossen nach verfassungsrechtlichen Veränderungen obsolet machte: Die prinzipielle Möglichkeit einer zunehmenden Verdichtung der Kommunikation ließ den Wunsch nach Umgestaltung, womöglich gar das Infragestellen des gesamtstaatlichen Gefüges offenbar gar nicht erst aufkommen. 55 am 27. Mai 1790 an den Grafen von Hartig, daß die Gesellschaft den preußischen Minister Hertzberg, den preußischen Residenten in Lüttich Senfft-Pilsach, den preußischen General und Befehlshaber der Kreistruppen Schlieffen und Dohm als neue Mitglieder aufgenommen habe (Lettres et Memoires, S.161). 51 Droixhe, Noblesse eclairee, S. 23. Droixhe sieht die Umsetzung der Projekte, wie etwa die Einrichtung von Armen- und Krankenhäusern, die Veränderungen in fiskalischen Fragen und die Projekte zur Förderung von Bildung und Kunst insgesamt kritisch und mitunter im Vergleich rückständig. Er betont dennoch die Bewunderung der Revolutionäre für Velbrück (S. 23-24). 52 V gl. zur Sprache der "aufgeklärten" Literatur in Lüttich vor allem in den 177Der Jahren: Droixhe, Noblesse eclairee, S. 24ff., hier: S.25. 53 Droixhe, Noblesse eclairee, S. 10, nennt die Einwohner Florennes, die zahlreiche solcher Beschwerden in regelmäßigen Abständen versandten. 54 Droixhe, Noblesse eclairee, S. 10. 55 Le Roy, La Philosophie au Pays de Liege, S. 114 f., stellt heraus, daß unter Velbrück die Kritik sehr moderat war, der französische, holländische und englische Einfluß (etwa der Physiokraten) zwar zu einer deutlicheren Artikulation bestimmter Unzufriedenheiten geführt habe,
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Mit dem Amtsantritt Karl Franz von Hoensbroecks änderte sich das. Erstmals tauchten nun Forderungen der am politischen Diskurs Beteiligten auf, die sich dann rasch in der Weise radikalisierten, daß sogar über die Notwendigkeit einer Säkularisation des Bistums nachgedacht wurde: ,,Puissons-nous etre delivres du joug des pretres", schrieb Jacques-Joseph Fabry (1722-1798)56 am 9. Oktober 1787 57 an Hertzberg und fonnulierte damit schon früh eine Forderung, die Jean-Nicolas Bassenge im Verlauf der Revolution als eines der programmatischen, in Zusammenarbeit mit der preußischen ,Schutzmacht' zu realisierenden Ziele des Aufruhrs festhalten sollte: Pourquoi un prince? Du moment que nous tirons l'epee contre le cercle, rebellion pour rebellion, allons au but. Ces princes sont la bOlte de Pandore pour notre petit pays, et une republique qui serait attache ala Prusse par interet et par reconnaissance, vaudrait mieux que tout cela. 58
Entscheidend war, daß der unmittelbare Bezugspunkt der Kritik die Persönlichkeit des jeweiligen Herrschers war. Das "Gefährdungsbewußtsein gegenüber staatlicher Herrschergewalt"59 im allgemeinen, so scheint es hier, erwuchs erst mit der im konkreten Fall empfundenen Einschränkung bürgerlicher Freiheiten durch den amtierenden Fürstbischof. Mit den Freiheiten, die dieser gewährte, stand und fiel dann aber zugleich auch die Akzeptanz des gesamten Systems. Das bedeutete endlich eine Qualität der Auseinandersetzung mit der staatlichen Autorität, die abwich von den kameralwissenschaftlichen Staatsfonndiskussionen am Ende des 18. Jahrhunderts. Es ging in Lüttich ab etwa 1787 nicht mehr um die qualitative Bewertung der Herrscherleistung im Sinne einer Einordnung als monarchische oder despotische Regierungsweise, sondern vielmehr um eine grundsätzliche Diskussion um die gültige Staatsverfassung und damit auch über mögliche (republikanische) Alternativen. Zunehmend wurden die vorhandenen Gesetze der Betrachtung unterzogen, und zwar vor allem in dem Sinne, wie auf ihrer Grundlage der Herrschergewalt Grenzen gesetzt werden konnten. Mit dieser Aufkündigung der Unterordnung unter die Alleinherrschaft des Bischofs unter Berufung auf vorhandene Gesetze war zugleich die Stabilität des gesamten Gefüges gefährdet 60 : In den unmittelbar vor Ausgenerell aber festzuhalten sei, daß in Lüttich jede Form von "propagande dans un sens extreme" ohne dauerhafte Wirkung geblieben sei (vgl. Anm.2, S. 114-115). 56 Zur Biographie Fabrys vgl. Kapitel B.l. 3. in dieser Arbeit. 57 Papiers de Fabry, zitiert nach Borgnet, Histoire de la revolution liegeoise, 1, S.58. 58 Bassenge an Fabry, 6. April 1790. Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1051, Brief 576. 59 Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. l39. V gl. allgemein hierzu Kapitel A. III. in dieser Arbeit. 60 Als Teil der Ursachenforschung für das Aufbrechen der revolutionären Strömungen am Ende des 18. Jahrhunderts kann die Frage nach dem Einfluß aufgeklärten Gedankenguts nicht außer acht gelassen werden. Ihre Beantwortung ist schwierig und fällt naturgemäß sowohl bei zeitgenössischen Beobachtern als auch in der Forschung unterschiedlich aus. Die neuere Revolutionsforschung hat in zunehmendem Maße den Stellenwert der kulturellen Ursprünge der revolutionären Bewegungen am Ende des 18. Jahrhunderts in den Mittelpunkt ihres wissen-
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bruch der Revolution entstandenen Liedern und ,volkstümlichen', im Dialekt verfaßten Texten spiegelte sich diese zunehmende Wahrnehmung vermeintlicher Mißstände in der Weise wider, daß in immer deutlicheren Worten wirtschaftliche und lokale politische Entscheidungsträger als Repräsentanten eines in seinen Strukturen in Frage zu stellenden (staatlichen) Systems kritisiert wurden, der Ausbruch von gewalttätigen Aktionen schließlich antizipiert wurde: ,)' espere qu 'un jour, cela finira: si ce n'est pas en plaidant, ce sera autrement."61 Entscheidend für das spätere Aufeinandertreffen von Dohm mit der Revolution in Lüttich ist, daß es sich bei der Trägerschicht der Revolution im wesentlichen um die Protagonisten der Aufklärungsbewegung in Lüttich handelte, die, da zu Dohms Sozialtypus gehörend, grundsätzlich für ihn akzeptable Ansprechpartner darstellten. Daß schon in der vorrevolutionären Phase die Ausprägung radikaler Tendenzen deutlich wurde, barg ein Spannungspotential in sich, das die gemeinsame Suche nach geeigneten Mitteln bei der praktischen Umsetzung der gewünschten größeren politischen Einflußnahme zwischen den potentiellen Partnern erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen konnte.
schaftlichen Interesses gestellt. Rückgreifend auf die wegweisende Darstellung Mornets von 1933 (,,Les Origines intellectuelles de la Revolution fran~aise") stellt Chartier, Les origines culturelles de la revolution fran~aise (dt.: Die kulturellen Ursprünge der Französischen Revolution), die Frage nach den intellektuellen Ursachen der Französischen Revolution noch einmal, um nach eingehender Untersuchung der Sphäre politischer Öffentlichkeit, des literarischen Marktes und der politischen Kultur die noch von Mornet behauptete Kausalität der zur Revolution führenden Ereignisse und die Zwangsläufigkeit der revolutionären Vorgänge zu verneinen und deren kulturelle Aspekte in ein Netz von unterschiedlichsten Ursachen einzubinden. Eine zentrale Frage Chartiers, nämlich die, ob Bücher Revolutionen machen, kehrt er in seiner auf einer ausführlichen Diskursanalyse beruhenden Antwort dahingehend um, daß er nachweist, daß erst die Revolution "gewissen Werken eine vorausschauende und programmatische Bedeutung verlieh und sie nachträglich als ihren Ursprung hinstellte" (S. 109). Zwischen der neuen öffentlichen Kultur und der Sphäre des Individuellen konstatiert Chartier eine Kontinuität, die ihren Ausdruck u. a. in Angriffe auf das Privatleben und die Sittlichkeit des Monarchen bzw. verschiedener Arntsinhaber formulierenden Schmähschriften und Pamphleten fand. "Die von der Revolution aufgezwungene Allgegenwart des Politischen stand [... ] nicht im Widerspruch zur voraufgegangenen ,Privatisierung' des Verhaltens und der Gedanken. Ganz im Gegenteil war es gerade die Schaffung eines, dem Einfluß staatlicher Autorität entzogenen und auf das Individuum beschränkten Raumes für Handlungsfreiheit, der die Geburt der neuen Öffentlichkeit zugelassen hat, wobei die kreative Energie der revolutionären Politik diese Öffentlichkeit dann zugleich ererbt und verwandelt hat." (S. 231). Die Zäsur in der Herausbildung einer deutlich politisierten Öffentlichkeit setzt Chartier erst mit dem Ausbruch der Revolution in Frankreich, er verneint in kritischer Auseinandersetzung mit Peter Burkes These von der ,.Politisierung der Volkskultur" im Zeitraum zwischen dem frühen 16. Jahrhundert und der Französischen Revolution eben diese. 61 Zitiert nach: Droixhe, La Genese de la Revolution, S.I06 ("Dj'espere k'on djofi, ~oula finire: su ~'n'est nin a plet!, ~u sere aöte tchwe.").
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3. Der Konfliktfall Spa Am Ende des 18. Jahrhunderts gehörte der Kurort Spa zu den beliebten Modebädern. 62 Besonderer Anziehungspunkt für die zahlreichen Kurgäste und Besucher waren ab den 60er Jahren neben den örtlichen Mineralquellen auch die neu eröffneten Spielbanken und Ballsäle des Ortes. 1763 und 1764 waren die ersten Privilegien zur Einrichtung der "Assemblees publiques de Bal et de Jeu" vergeben und damit durch die Erlaubnis des amtierenden Fürstbischofs Johann Theodor von Bayern das bis dahin gültige Verbot von Glücksspielen aufgehoben worden. Ausgestellt wurden die Privilegien den beiden Bürgermeistern von Spa, dem Apotheker Gerard Deleau und dem Kaufmann Lambert Xhrouet, nach zusätzlicher Bewilligung durch die kommunale Verwaltung Spas, die in ihrer Genehmigung vor allem mit dem aufgrund des zu erwartenden Besucherstroms anfallenden wirtschaftlichen Gewinn für das Gemeinwesen argumentierte. Beide, Deleau und Xhrouet, erklärten sich bereit, nachdem die Munizipalität vor den Baukosten des Projekts zurückgeschreckt war, diese zu übernehmen. Nach dem Tod Johann Theodors von Bayern ließ sich das Kapitel von Saint Lambert, der Verwalter fürstbischöflicher Aufgaben in Zeiten einer Vakanz, die Zusagen der örtlichen Behörden in Spa bestätigen, die den beiden Privatmännern auf die kommenden 50 Jahre das Privileg für das Spiel- und Ballhaus zubilligten. Dieses firmierte ab Januar 1764 unter dem Namen ,,Redoute".
Nachdem 1772 eine Konkurrenz zur ,,Redoute" in Form eines Cafes für Eis und Erfrischungen entstanden war, versuchten Deleau und Xhrouet dieser durch die Einrichtung einer entsprechenden Gastronomie zu begegnen. Im Gegenzug errichtete der Besitzer des neuen Restaurants einen eigenen Spielsalon. Der aufkommende Streit wurde durch Fürstbischof Velbrück mit einer Kompromißlösung beizulegen versucht, indem er im August 1774 und im Juni 1775 Mandate zur Verschmelzung beider Unternehmen erließ, an die die Genehmigung zur alleinigen Durchführung von Hasardspielen geknüpft war. Gegen dieses Vorgehen des Bischofs gab es von Seiten der Juristen keinerlei Einwände, die fürstlichen Prärogativen in Polizeiangelegenheiten, zu denen diese Auseinandersetzungen gezählt wurden, waren hier (noch) nicht in Frage gestellt. Ab 1785 aber sollte sich an dieser Frage ein lang andauernder, schließlich sogar das Reichskarnmergericht beschäftigender Streit entzünden: Nach dem Tode Velbrücks (am 30. April 1784) wiederholte das Kapitel von Saint Lambert bestätigend die Privilegien für beide Etablissements. Grund dafür war vor allem wohl das Bestreben des Lütticher Kaufmanns Noel-Joseph Levoz (gest. 1793)63, die Erlaubnis für den Bau ei62 Vgl. dazu etwa Lettres et Memoires, Einleitung, S. XXIV-XXVI. Der Herausgeber Philipp de Limbourg bemerkt auf S. XXIV: "Spa etait alors le rendez-vous de tout ce que I'Europe comptait d'illustre et de distingue, et le Gotha ne contient guere de nom qui ne se retrouve dans les tables des registres de consultation du praticien theutois". Es folgt eine lange Aufzählung dieser illustren Gäste Spas. 63 Biographie nationale, 12, Sp.53-58. Levoz war Kaufmann. Nach Ausbruch der Revolution war er im Lütticher Stadtrat, schließlich 1792 Mitglied des "Comite des Belges et Lie-
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nes dritten Spielsaals zu erhalten. Levoz suchte ab Januar 1785 Teilhaber, erwarb ein Grundstück und begann schließlich mit der Einrichtung seines "Club". Gegenüber dem Conseil prive verwies Levoz auf den - seiner Meinung nach - unrechtmäßigen Charakter der Privilegienverteilung an seine Konkurrenten. Fürstbischof Hoensbroeck allerdings, seit 1784 im Amt, bestätigte die erteilten Mandate. Am 8. Juli 1785 eröffnete Levoz seinen "Club" in Spa64 , nicht ohne beim Kammergericht Berufung gegen die Entscheidung des Regenten eingelegt zu haben 65 • Noch nachdem die Revolution in Lüttich ausgebrochen war und bereits mehrere Monate andauerte, prozessierten die Parteien in Wetzlar, der Bischof vertreten durch seinen Agenten Christian Jakob von Zwierlein (1737-1793)66, die Gegenseite durch den Prokurator Caspar Friedrich Hofmann 67, der sowohl der Vertreter Preußens als auch der Vertreter der Lütticher Stände und des Gerichts der XXII in Wetzlar war 68 • geois unis". Er ist Autor der Schrift ,,Precis historique de la Revolution arrivee a Liege" (1791). 64 Die neueste Darstellung der Spaer Spielbankaffare unter Hinzuziehung der entsprechenden Protokolle und Mandate in den Archives de l'etat a Liege und den Archives de l'eveche stammt von Helin, Les Jeux de Spa. Helin konzentriert sich auf die Vorstellung der zahlreichen beteiligten Personen und die Untersuchung ihrer finanziellen Interessen und Aufwendungen. Als Gesamtdarstellungen sind vor allem zu beachten: Borgnet, Histoire de la revolution liegeoise, 1, S. 9-118 (Borgnet beschreibt die Vorgeschichte der Revolution unter Hinzuziehung verschiedener Korrespondenzen und Archivalien, die Spaer Ereignisse und ihre (reichs-)rechtlichen Konsequenzen werden verstreut dargestellt.); Recht, 1789 en Wallonie, S. 24-28; Harsin, La Revolution liegeoise, S. 35-43; Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 9-11; Neve, Die Lütticher Revolution vor dem Reichskammergericht, S. 13-20. 65 Nach Auskunft Neves, Die Lütticher Revolution vor dem Reichskammergericht, S. 15 und S. 39, Arun.26, sind die Akten zu diesem reichskammergerichtlichen Prozeß im Frankfurter Generalrepertorium als Nummer L 1198 geführt worden (,,Leodii, Constantinus Franciscus princeps et episcopus, mandati, Leodium, actor" gegen ,,Levoz, Natalis Josephus et consortes, Spadae, rei."). Aus der Bezeichnung des Streitgegenstandes geht hervor, daß es sich um einen Mandatsprozeß handelte, in dem der Fürstbischof als Kläger auftrat ("De praestando debitam principi ejusque edictis obedientiam abstinendoque ab omnibus choreis conventibus publicis, ac ludis aleatoriis/: jeux d'hasard:/in domo appelati Levoz privata ac revocando audacem et seditiosam protestantionem aliaque adversus autoritatem principis suscepta seditiosa attentata"). Die Akten zu diesem Prozeß sind, wie viele andere Bestandteile des Lütticher Staatsarchivs, so Neve, bei den Bombenangriffen der deutschen Luftwaffe im Dezember 1944 vernichtet worden. In den Aktenbeständen des Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchivs Düsseldorf befinden sich unter der Aktennummer Niederrheinisch-Westfälischer Kreis I L 24 11 Korrespondenzen der Kreisgesandten, reichskammergerichtliche Mandate und fürstbischöfliche Anweisungen bezüglich der Angelegenheit ,,Freron et Heptia geg. das Consilium vigintiduumvirale zu Lüttich 1786". 66 Zwierlein war nach Beendigung seines Studiums in Gießen und Göttingen als Anwalt ans Reichskammergericht gegangen. 1758 wurde er zur Advokatur zugelassen, 1762 zur Prokuratur. Er vertrat in Wetzlar Kurhannover, Braunschweig-Wolfenbüttel, mehrere sächsische Häuser, Anhalt-Bernburg, Nassau-Oranien, Schaumburg-Lippe, die Fürstabtei Quedlinburg, die Städte Bremen und Hildesheim und (wahrscheinlich ab 1776) den Fürstbischof von Lüttich, dessen alleiniger Vertretung er sich ab 1780 widmete (vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 45, S. 537-538). 67 Hofmann war ab 1761 als Advokat, seit 1769 auch als Prokurator am Reichskammergericht zugelassen. Er war Vertreter der drei Lütticher Stände in ihrem Streit gegen Freron 1786,
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Im Juli 1785 verfügte das Reichskammergericht qua Mandat, daß Levoz die Edikte des Bischofs zu befolgen habe. Hoensbroeck bekräftigte im August noch einmal seinen Willen, gegen die "continuite d'intrigues, des cabales, et d'entreprises, reprouvees par toutes les Loix, et specialement par les constitutions de I 'Empire" ebenso wie gegen "une conduite aussi rebelle, et Seditieuse, qui attaque ouvertement nötre autorite territoriale" vorzugehen 69 und ließ im weiteren im Wirtshaus von Jean-Joseph Bovy, offenbar einem Strohmann Levoz', unter Federführung seines Generalstaatsanwalts Freron eine Razzia durchführen. Bovy richtete im Anschluß eine Beschwerde an das ,Tribunal des XXII' 70 wegen seiner Verhaftung ohne richterlichen Haftbefehl und Hausfriedensbruchs, und obwohl das Reichskammergericht dem örtlichen Lütticher Gericht eine Einmischung in die Angelegenheit ausdrücklich verboten hatte, nahm das Gericht der XXII am 30. Juli 1785 Bovys Klage an. Am 24. November erging daraufhin aus Wetzlar die Vorladung der Vertreter der Zweiundzwanziger vor das Reichskammergericht. Damit sahen die Lütticher eine ihrer ältesten, aus den Regelungen des Paix de Fexhe hervorgegangenen Institutionen vor eines der beiden höchsten Gerichte des Reichs zitiert. Erstmals wurde in Lüttich daran zugleich die Frage nach der politischen Gesinnung des eben erst neu eingesetzten Fürstbischofs geknüpft. Zur Wiederholung der Vorgänge kam es im August 1786, als der Stadtkommandant von Spa, Andre Robert, auf Anweisung des Conseil prive eine Razzia in einem von Levoz an einen Bürger namens Paul Redoute verpachteten Club durchführen ließ. Wieder wurde das Gericht der Zweiundzwanzig eingeschaltet, das im Dezember des Jahres sowohl Roberts Vorgehen verurteilte als auch darüber hinaus die sich auf dieses beziehenden bischöflichen Privilegien und Edikte mit der Begründung, sie seien nicht vom "Sens du pays" getragen, für ungültig erklärte. Robert ging in die Berufung vor den sogenannten Etats Reviseurs, Hoensbroeck trug einige Monate später die Angelegenheit den Ständen vor. Der Erste und Dritte Stand, die sich ja seit dem Edikt von 1684 vornehmlich aus fürstenfreundlichen Mitgliedern zusammensetzten, widersprachen dem Urteil der Zweiundzwanziger, der Adel bekräftigte es. Ein vom Bischof erlassenes abschließendes Edikt faßte alle Maßregelungen noch einmal zusammen. Daraufhin erfolgte die Anrufung des Kammergerichts sowohl durch den Lütticher Adel als auch durch den gemaßregelten Spielhallenpächter ReAgent des Etat Noble und der Zweiundzwanziger zwischen 1787 und 1789 und schließlich Vertreter der drei Stände während und nach der Revolution (vgl. Einleitung der Papiers de Chestret, I, S. XXVIII-XXIX; Hascher, Jahrbücher des kaiserlichen Reichskammergerichts, 1. Band, 1. Teil 1789, S.28; Neugebauer-Wölk, Reichsjustiz und Aufklärung, S.61). 68 Mit der Veröffentlichung seines Aufsatzes "Droits des Etats de la principaute de Liege au pouvoir legislatif en general, et necessite du concours de Etats avec I' evecque et prince tant dans I' administration de la justice que dans le gouvernement de la police prouve par les juristes et les historiens liegeois et nombre de documents tires des archives des Etats de la noblesse" im Jahre 1788 bezog Hofmann öffentlich erstmals Stellung für eine extensive Auslegung des Paix de Fexhe. Vgl. Neve, Die Lütticher Revolution vor dem Reichskammergericht, S. 40, Anm.28. 69 Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, NWK IL24 II, Freron/Heptia, BI. 128r.-129r. 70 Vgl. zum Tribunal des XXII Kapitel B.L1. in dieser Arbeit.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
doute, der die Einhaltung des von den Zweiundzwanzigern gesprochenen Urteils nachhaltig forderte. Am 28. Juni 1787 erging ein erneutes Verbot des Reichskammergerichts an das ,Tribunal des XXII', sich in die schwebenden Verfahren in Wetzlar einzumischen. Der Beschluß der Zweiundzwanziger, eine erneute Klage Redoutes gegen Robert zuzulassen, forderte das Reichskammergericht am 15. Oktober zur Erlassung eines Mandatum arctius gegen das Lütticher Gericht heraus. Was sich hier wie eine Auseinandersetzung zwischen einem der beiden höchsten Reichsgerichte und einem lokalen Gericht ausnimmt, war in der Tat eine Auseinandersetzung um die Frage fürstlicher Prärogative. Nous sommes un peu comme des enfants, il faut I' avouer, Monsieur le comte; quand il n' obtiennent pas ce qu 'ils demandent de leurs peres, ils s' adressent atout le monde, sans faire attention que ceux-Hl sont les seuls maitres 71,
umriß Jean-Remi de Chestret (1739-1809)72, der Lütticher Gesandte der Zweiundzwanziger in Wetzlar, in einem Brief vom 17. Juli 1787 an den Grafen JosephLouis-Eugene d' Argenteau 73 seine sich auf die bündnispolitische Situation der Lütticher Protestparteien vor dem Wetzlarer Gericht beziehende Selbsteinschätzung. So weit möglich, bemühte sich Chestret in der Folgezeit, wichtige Funktionsträger in Wetzlar von den politischen Forderungen und Protestinhalten in persönlichen Gesprächen und Briefen in Kenntnis zu setzen und um deren Unterstützung zu bitten. 74 Mit einem Brief Jacques-Joseph Fabrys 75 vom 9. Oktober 1787 setzte die Kontaktaufnahme der Lütticher "Patrioten" mit Hertzberg und Dohm und die Bitte um 71 Chestret an d' Argenteau, 17. Juli 1787, Papiers de Chestret, I, S.1O-11. Die folgende Rekonstruktion der Ereignisse und Bündniskonstellationen ergibt sich aus der Auswertung der Papiers de Chestret. 72 Biographie nationale, 4, Sp. 55-73; Bosmant, Les Grands Hommes de la Revolution Liegeoise, S. 35-39. Chestret entstammte einer seit dem 16. Jahrhundert in Lüttich ansässigen adeligen Familie, deren Vertreter als Juristen in die öffentlichen Geschäfte des Bistums involviert waren. Er selbst war zweimal Bürgermeister in Lüttich, bevor er als Mitglied des Gerichts der XXII und dessen Vertreter (vgl. Kapitel B. I. 1. in dieser Arbeit) ans Reichskammergericht nach Wetzlar ging. Nach der Erstürmung des Lütticher Rathauses am 18. August 1789 wurde Chestret zusammen mit Fabry zum Bürgermeister ausgerufen. Er war dann außerdem Oberst der "Garde patriotique" und des ,.Regiment municipal" (vgl. dazu H/WnlDuchesne, Les fastes militaires, S.48-49 und S.49-50. Die Garde patriotique bildete sich nach Ausbruch der Revolution unter Führung der Mitglieder adeliger Familien. Sie kam vor allem bei Folgeaufständen, als aufgebrachte Massen das Rathaus in Lüttich stürmten und die Unruhen sich in der Umgebung zunehmend radikalisierten, zum Einsatz, um die öffentliche Ruhe aufrecht zu erhalten. Das Regiment municipal bestand aus etwa 500 Stadtsoldaten, die im wesentlichen die Citadelle in Lüttich zu verteidigen hatten.) 73 D' Argenteau war seit 1765 Vertreter im Lütticher Etat-Noble (vgl. Lettres et Memoires, S. 306, Anm.4). 74 Vgl. etwa den Brief vom 6. Oktober 1787 an den Sekretär des "Grand juge" Goffinet, Papiers de Chestret, I, S.23: "Daignez m'aiderde vos conseils etde vos bons offices: les Liegeois en ont besoin et moi plus que personne." 75 Biographie nationale, 6, Sp. 828-845; Bosmant, Les grands hommes de la Revolution liegeoise, S. 19-26; zu den politischen Anfangen Fabrys: Jozic, Les debuts de la carriere politique
I. Das Fürstbistum Lüttich
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preußische Vennittlung ein. "Tout ce que je souhaite, est de pouvoir amener les choses au point que sa Majeste prussienne en fiit l'arbitre. Je suppose que nos divisions finiront par de grands changements"76, schrieb Fabry und schickte in der Folgezeit Dohm und Hertzberg verschiedene Broschüren zur Lage in Lüttich. Am 17. Oktober 1787 teilte er Chestret mit, daß er auf Anraten des preußischen Hofes sich mit dem bevollmächtigten Minister Dohm in Aachen in Verbindung gesetzt habe, cela m'a donne occasion de commencer une correspondance avec celui-ci, qui nous deviendra essentielle. C' est un tres habile ministre et nos affaires sont de son departement; il lit Bassenge et, auteur tres fleuri lui-meme, il ne trouvera pas mauvais de voir des fleurs. 77
Auf den Agenten am Reichskammergericht Caspar Friedrich Hofmann setzten Chestret und Fabry dagegen zunächst nicht viel. Nachdem noch im Juli nach den ersten Begegnungen Chestret sich angetan gezeigt hatte von Hofmanns Höflichkeit und Sachkompetenz bezüglich der Lütticher Verhältnisse 78 , kühlte sich das Verhältnis ab Anfang Oktober ab. Hofmann habe ihn, so berichtete Chestret am 6. Oktober 1787 an Fabry, sehr kalt empfangen und ihm vorgehalten, er, Chestret, habe ihn durch die Tatsache der Vorlage eines fürstbischöflichen Briefes vor dem ,Tribunal des XXII' als Werkzeug des Lütticher Regenten kompromittiert. 79 Ein am folgenden Tag verfaßter weiterer Brief Chestrets an Fabry enthielt ein vernichtendes Urteil über Hofmanns Engagement für die Interessen der Zweiundzwanziger und ihrer Verteidiger in Lüttich. Chestret empfand, so teilte er nun mit, Hofmann als "homme mecontent, douteux al'exces, pointilleux, peu communicatif, excessivement prevenu de son merite qu'il ne cache pas". Um aber die eigene Sache nicht zu gefährden, bleibe wohl kein anderer Ausweg, als an Hofmann als dem Vertreter des ,Tribunal des XXII' und des Lütticher Etat noble in Wetzlar festzuhalten, auch wenn dieser "par parenthese, approuve peu Bassenge, le blfune dans beaucoup de passages, et le trouve hardi et temeraire". 80 Fabry reagierte mit einem Brief an Hertzberg, in dem er bat, ein Wort an Hofmann zu schreiben "pour echauffer son zele". Diesem Brief beigelegt war eine ausführliche Darstellung der Situation in Lüttich aus Fabrys Sicht, ein Schreiben Fabrys an den Fürstbischof vom Mai in Kopie und - "Bassenge," dessen Lektüre nun offenbar immer mehr zur Pflicht für Befürworter und Gegner der sogenannten Lütticher Pade Jacques-Joseph Fabry. Fabry war zweimal Bürgermeister von Lüttich, 1780 und 1783, bevor er in der Spielbankaffare von Spa als Kritiker der bischöflichen Politik hervortrat und schließlich zum führenden Kopf der Revolution wurde. Er war Redakteur der "Gazette de Liege" und Berater des Bischofs Velbrück. Bei der Rückkehr des Bischofs Hoensbroeck nach Lüttich nach Beendigung der Revolution 1791 floh er nach Paris und kehrte mit den französischen Truppen 1792 nach Lüttich zurück, wo er an die Spitze des Conseil municipal gesetzt wurde. Nach erneuter Flucht nach Paris kehrte er 1798 nach Lüttich zurück. 76 Papiers de Fabry; zitiert nach Borgnet, Histoire de la Revolution liegeoise, 1, S.58. 77 Fabry an Chestret, 17. Oktober 1787, Papiers de Chestret, I, S.46. 78 Chestret an Fabry (?) [siel, 16. Juli 1787, Papiers de Chestret, I, S.3. 79 Chestret an Fabry, 6. Oktober 1787, Papiers de Chestret, 1, S. 24. 80 Chestret an Fabry, 7. Oktober 1787, Papiers de Chestret, 1, S. 26-27. 9 Wüller
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
trioten werden sollte, um auf diese Weise nicht nur ein genaues Bild der Lage "vor Ort", sondern auch der Rechtmäßigkeit der Forderungen einer möglichst breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Aus diesem Grund wurden Bassenges "Lettres a I' AbM de p..... 8l in hoher Auflage gedruckt und durch Chestret in Wetzlar verteilt, der, sobald ihm die Exemplare ausgingen, umgehend neue in Lüttich anforderte. Die Reaktion der jeweiligen Rezipienten auf Bassenges Ausführungen nutzten Fabry und Chestret dann, so offenbart ihr Briefwechsel, als Gradmesser für das Maß an ,Aufgeklärtheit' und politischem Denken, das sie ihrem Gegenüber zubilligten. Wie sich herausstellte, schnitt in diesem Koordinatensystem Dohm zunächst wesentlich besser ab als Hofmann. Dessen Zurückhaltung provozierte Fabry schließlich etwa Mitte Oktober 1787 zu der Überlegung, Hofmann in Kenntnis zu setzen, daß "dictees par des raisons d'etat et de politique" man bereit sei, sich nicht auf die Unparteilichkeit des Kammergerichts zu verlassen, sondern zu anderen Mitteln zu greifen, daß [... ] on espere que les cours de Vienne et de Berlin [... ] sauront y mettre ordre; [... ] que notre reaccession au cercle de Westphalie nous est plus nuisible qu'utile, des que la chambre ne met pas ordre aux empietemens des eveques contre la liberte et les privileges de la nation[ ... ]. Neue Hoffnungen setze er zudem auf Wien, schrieb Fabry darüber hinaus, hier erkenne man die Lage Lüttichs deutlich; zugleich aber mußte er doch auch einschränkend feststellen: "mais les circonstances, les variations de la politique et de plus grands interets ne permettent pas de songer ades petits".82 Am 20. Oktober 1787 schließlich unterbreitete er Chestret den Vorschlag, sich bezüglich der "affaire des juges" zwar nach Wien zu wenden, ansonsten aber schlage er, Fabry, vor, er wolle "mon cousin le grand-duc de Brunswick", bitten, mit einem preußischen Bataillon nach Lüttich zu kommen. 83 Die preußische Bereitschaft zur Unterstützung wurde Anfang November 1787 in einem von Dohm verfaßten Schreiben an Fabry signalisiert. Der Hof in Berlin, so notierte Fabry an Chestret, "me temoigne dans sa reponse qu'elle s'interesse a nous", die Instruktionen an Hofmann allerdings seien noch unklar. "Mais M. Dohm m'a ecrit tres-positivement qu'il avoit vivement recommande." Ein Treffen mit Dohm habe wegen Fabrys akutem Zeitmangel noch nicht stattfinden können. 84 Die Anweisungen, die zeitgleich Chestret von Dohm im direkten Auftrag Hertzbergs erhielt, waren ungleich strenger: Es gebe lebhafte Beschwerden bezüglich des ,,renversement de la constitution nationale du pays de Liege, et, comme agent dans ce proces, il m'en demande les details et la verite."85 Fabry erbat auf diese Nachricht im Gegenzug von Chestret vertrauliche Gespräche mit Hofmann, um seinen, Fabrys, Plan, die alleinige Mediation Preußens - ohne Hinzuziehung der beiden ande81 Vgl. dazu Kapitel B. I. 2. in dieser Arbeit. 82 Fabry an Chestret, 14. Oktober 1787, Papiers de Chestret, 1, S. 37. 83 Fabry an Chestret, 20. Oktober 1787, Papiers de Chestret, 1, S.57. 84 Fabry an Chestret, 4. November 1787, Papiers de Chestret, 1, S.90. 85 Chestret an Fabry, 5. November 1787, Papiers de Chestret, 1, S. 90-91.
I. Das Fürstbistum Lüttich
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ren Direktorialmächte des Kreises - zu realisieren. 86 Erstmals im November 1787 tauchte dieser Gedanke also auf, der für den Verlauf der folgenden Ereignisse, vor allem während der revolutionären Auseinandersetzungen ab August 1789, von entscheidender Bedeutung werden sollte. Und ebenso wie die nun klar zu Tage tretende Forcierung einer ausschließlich preußischen Unterstützung konkretisierten sich die erwünschten personellen Konstellationen. Das Mißtrauen gegenüber Hofmann war nach den skizzierten anfänglichen Unsicherheiten gewichen, die Schlichtungsgespräche zwischen den Parteien in Lüttich sollten von Dohm geleitet werden: "Prevenez M. Dohm", schrieb Chestret an Fabry, "M. Hofmann m'a peint ce seigneur comme un homme bien propre a etre arbitre de nos differends, avec cette difficulte que pour admettre un arbitrage, il faut que les parties en conviennent".87 Die außerordentlich positive Einstellung gegenüber Dohm teilte auch Fabry.88 Entsprechend respektvoll fiel die Behandlung Dohms aus. Während die Ankunft des preußischen Residenten in Lüttich Senfft und die diplomatischen Schritte Hofmanns höchst kritisch beobachtet wurden 89 , zeigten sich beide Dohm gegenüber besonders auf die Einhaltung diplomatischer Etikette bedacht. 90 Schließlich wurde von mehreren Seiten die Verärgerung über die lange Dauer der Auseinandersetzung lauter. Chestret sah sich zunehmend in die Lage versetzt, die Entscheidungen des ,Tribunal des XXII' , die er nicht nur nicht vollkommen teilte, sondern auch ob ihres nur zögerlichen Entstehens kritisierte, in Wetzlar verteidigen zu müssen. Den avisierten Zeitraum bis zum frühstmöglichen Abschluß der Streitigkeiten setzte Chestret auf 17 bis 18 Monate fest: Hofmann benötige für seine Darstellung etwa vier Monate, genauso lange müsse auf die Antwort gewartet werden, und bis zur endgültigen Verkündung des kammergerichtlichen Urteils müßten noch einmal neun bis zehn Monate veranschlagt werden. Unzweifelhaft sei dies trotz des zu erwartenden Erfolgs für die Zweiundzwanziger ein hoher, ja sogar zu hoher Aufwand "tant pour la chambre qui veut etablir un empire dans l'empire, que pour les agents qui en vivent et pour les princes que l'on menage".91 Hinzu trat bei Chestret das offenbar demoralisierende Gefühl, als Bittsteller eines nur kleinen, am äußersten Rande des Reiches gelegenen Territoriums in Wetzlar auftreten zu müssen. Dem Anwalt Arnold-Godefroid-Joseph de Donceel (1738-1791) 92 gegenüber klagte er: Fabry an Chestret, 7. November 1787, Papiers de Chestret, I, S. 93. Chestret an Fabry, 15. November 1787, Papiers de Chestret, I, S.103. 88 Fabry an Chestret, 25. November 1787, Papiers de Chestret, I, S.126. 89 Vgl. Kapitel B. 11. 1. in dieser Arbeit. 90 Fabry an Chestret, 24. Mai 1789, Papiers de Chestret, 1, S. 274. 91 Chestret an Bailly, 1. November 1787, Papiers de Chestret, I, S. 82-84. 92 Donceel war Autor verschiedener Revolutionsschriften und Mitverfasser der sogenannten .. Points fondamenteaux" (vgl. Kapitel B. III. in dieser Arbeit), außerdem Vertreter der Lütticher Stände in Aldengohr (November 1789) und Frankfurt (Sommer 1790). Im Sommer 1790 wurde er neben Fabry zum Bürgermeister Lüttichs gewählt; vgl. Kapitel B. VI. in dieser Arbeit (Einleitung der Papiers de Chestret, I, S. XIX-XX.). 86 87
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Je ne veux de salaire que dans l'amitie de ceux qui vous ressemblent; ici je vis avec des etrangers qui, quoique honnetes, sentent qu' ils sont juges, juges allemands, juges de tout I' empire. 93
Seine ,zwanglosen' Auftritte auf dem diplomatischen Parkett in Wetzlar, etwa bei Diners mit Assessoren des Kammergerichts, waren ihm vielleicht gerade deswegen berichtenswert94, abgesehen davon, daß er sie mit Beschreibungen seiner persönlichen finanziellen Aufwendungen für ein standesgemäßes Leben im Umgang mit dem Wetzlarer Publikum verband. 95 Gewisse Bedeutung schien bei diesen informellen Kontakten Chestrets zunehmend die Freimaurerei zu gewinnen. Zwar sei er vor dem Assessor Franz Dietrich von Ditfurth (1738-1813) 96 gewarnt worden, gestand er Donceel, ließ sich dann aber doch von diesem in die Geheimnisse der Maurerei einführen und wußte von der anschließenden Bekräftigung des Assessors, dieser werde bezüglich der am Kammergericht anhängigen Lütticher Sache sein "coeur de mayon" öffnen, zu berichten. 97 Auch noch bei bereits weit fortgeschrittenem Prozeßverlauf schien die Freimaurerei eine besonders hoffnungsgebende Rolle zu spielen. Am 12. Juni 1789 vermeldete Chestret: Nous avons au senat un franc-rn .. un franc juge qui plaide pour nous mieux qu'un avocat; il veut hautement acquiescer li tout ce que nous demandons. 98
Ab Juni 1789 drängte Berlin zunehmend zur beschleunigten Beendigung des Konflikts. Am 7. Juni berichtete Jean-Pierre Ransonnet (1744-1796)99, der nach Berlin gereist war, nach Lüttich von der Verstärkung seiner Position durch die Ankunft Senffts. Das von ihm mitgeführte Memoire aus Lüttich wurde aufmerksam rezipiert und Ransonnet von Hertzberg ausführlich dazu befragt. 100 Wenige Tage später erhielt Hofmann die Anweisung, die Richter des zuständigen Senats in Wetzlar zur Beschleunigung des Verfahrens zu ermahnen, da der Lütticher Bischof bereits Chestret an Donceel, 3. November 1787, Papiers de Chestret, 1, S. 87. Vgl. etwa Chestret an Fabry, 24. November 1787, Papiers de Chestret, 1, S.122. 95 So schilderte er Bailly, wie unvorstellbar teuer es sei "d'etre ici sur un certain ton": Der kleinste Dienst müsse bezahlt werden und vor allem das (tägliche Tarot-)Spiel verschlinge Unsummen, "il seroit messeant qu 'un solliciteur du pays de Liege gagnät I' argent des femmes des assesseurs." Chestret an Bailly, 24. November 1787, Papiers de Chestret, 1, S. 123. Das Klagen über das teure Wetzlarer Leben findet sich in einer ganzen Reihe von Briefen. 96 Vgl. Neugebauer-Wölk, Reichsjustiz und Aufklärung, S. 7 passim. 97 Chestret an Doncee1, 3. November 1787, Papiers de Chestret, 1, S. 87. 98 Chestret an Dethier und Depresseux, 12. Juni 1789, Papiers de Chestret, 1, S. 314. Den Einfluß des Illuminatenordens auf das Reichskarnrnergericht hat Neugebauer-Wölk, Reichsjustiz und Aufklärung, nachzuweisen versucht. Dazu und zu Härters Kritik an Neugebauer-Wölk vgl. Kapitel B. VII. 3. c) in dieser Arbeit. 99 Ransonnet leistete als junger Mann Dienst in der österreichischen Armee und kehrte als Hauptmann in seinen Geburtsort Lüttich zurück. Er gehörte im August 1789 zu den Besetzem der Lütticher Zitadelle und kämpfte dann in der ,,Armee brabanr;:onne". Sein unruhiges Leben wird skizziert in der Einleitung der Papiers de Chestret, 1, S.XXIV-XXV. 100 Ransonnet an Chestret, 7. Juni 1789, Papiers de Chestret, I, S. 309. 93
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Beschwerden gegen das Kammergericht vorgebracht habe. 101 Chestret reagierte in seinem Brief vom 28. Juni 1789 an Fabry entnervt: "peut-on regarder le jeu a Spa comme autre chose qu'un commerce? D'ailleurs c'est une affaire trop avancee; il faut qu'elle y vienne."102 Die Rolle des Reichskammergerichts wurde von Chestret kritisch beurteilt. Vor allem sah er die Gefahr, das Gericht beschäftige sich nicht ausreichend mit der Verfassung des Bistums und sei der speziellen Art der Auseinandersetzung aufgrund seltener ähnlicher Fälle entwöhnt; territoriale Besonderheiten verschwänden allzu leicht hinter Allgemeinvorstellungen, die das tägliche Geschäft der Juristen ausmachten. Auch hier trat wieder eine Einschätzung zu Tage, die mit der geographischen Randlage Lüttichs im Reich zugleich die Vorstellung einer politischen ,Exterritorialität' verband: Hs se sont laisse conduire par I 'idee generale qu'ils ont des peuples d' Allernagne, sans trop faire attention a nos privileges reconnus par les empereurs, et a notre constitution particuliere et peut-etre unique. 103
Die knappe Rekonstruktion der Ereignisse bis hierher zeigt vor allem, daß die Spaer Affäre Interessenkoalitionen und diplomatische Verbindungen entstehen und erkennen ließ, die im weiteren Verlauf der Entwicklung von zunehmender Bedeutung werden sollten. Als Mediator wurde früh allein Preußen ins Spiel gebracht, sogar eine militärische Intervention preußischer Truppen von Lütticher Seite als mögliche ,Hilfeleistung' für die Interessen des Gerichts der XXII für möglich gehalten. Darüber hinaus verweist der vor das Reichskammergericht gehende Streit, vor allem in Verbindung mit den parallel laufenden Auseinandersetzungen in Huy, Theux, Verviers und anderen "bonnes villes" des Fürstbistums auf den primären Charakter der sich anbahnenden großen Unruhen als Verfassungskonflikte: In Huy profilierte sich Chestret als Schlichter bei der Auseinandersetzung um das imperative Mandat, das der Dritte Stand in Anlehnung an ein Reglement aus dem Jahr 1427 für seinen Bürgermeister forderte. 104 In Theux 105 entzündete sich der Streit an der Verweigerung der Bewohner, eine bestimmte Steuerabgabe, die sogenannte "Waite avoine", zu zahlen und mündete auch hier im Gang nach Wetzlar. In Verviers reichte der Führer der 101 Chestret an Ransonnet, 13. Juni 1789, Papiers de Chestret, 1, S. 325.
Chestret an Fabry, 28. Juni 1789, Papiers de Chestret, 1, S. 348. Chestret an d'Argenteau, 17. Juli 1787, Papiers de Chestret, 1, S.lO. 104 Vgl. dazu die Briefe Chestrets an seinen Bruder J. N. H. de Chestret, einen Kanoniker in Huy, vom 17. Dezember 1787, Papiers de Chestret, 1, S. 158-159, und vom 23. Dezember 1787, Papiers de Chestret, 1, S.168. 105 In den Aktenbeständen des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf befinden sich im Bestand NWK IL24 III Stadtrechnungen, Suppliken des Bürgermeisters und eine umfangreiche Druckschrift mit dem Titel ,,Etat de la communaute de Theux, avant et apres la Revolution Du 18 Aollt 1789. Par la Regence etablie provisoirement, d'autorite de la COMMISSION IMPERIALE [sie!], conformement aux Decrets de I'Empire, ensuite de I'Inhabilite de celle de cette epoque" aus dem Jahr 1791 (BI. 200 r.-209 v.). Verfasser ist (Jean-Philippe) de Limbourg, vgl. dazu auch Lettres et Memoires, S.XII, Anm.1. 102 103
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
oppositionellen Partei Jean-Joseph Fyon (geh. 1747) 106, der selbst zwischen 1772 und 1779 die Verwaltung Verviers geleitet hatte, im Frühjahr 1787 Klage beim Reichskammergericht ein. Nach einem 1724 festgeschriebenen Reglement hatte der Bischof das Recht, die Festlegungjährlicher Wahlen in Verviers zu modifizieren. Fyon klagte, weil der Bischof die anstehende Wahl des Magistrats angeblich verhindere. 107 Die lokalen Konflikte in Spa weiteten sich zur grundsätzlichen Frage, ob der Fürstbischof allein berechtigt sei, über Polizeiangelegenheiten zu bestimmen oder auch hier, wie im Fall aller anderen Akte der Gesetzgebung, der Zustimmung der Stände bedurfte. In der Öffentlichkeit wurden die Auseinandersetzungen durch Publikationen begleitet, die die Empörung über das Handeln des Bischofs zum Ausdruck brachten. Ein "Cri general du peuple liegeois" betiteltes Pamphlet wurde der Urheberschaft Hyacinthe Fabrys zugewiesen, der daraufhin sein Amt als Mitglied des Magistrats aufgeben mußte. 108 106 Fyon wurde 1789 Bürgermeister Verviers und geleitete 1790 ein Freiwilligenkorps aus Franchimont nach Stavelot, um die Revolution dorthin zu tragen. Nach Rückkehr des Bischofs Hoensbroeck 1791 floh Fyon nach Frankreich und kämpfte in der Armee La Fayettes (Papiers de Chestret, I, S.48-49, Anm.2). 107 Papiers de Chestret, 1, S.249-253 (Auszug aus ,,Exposition succinte des plaintes du prince-eveque de Liege contre la Chambre imperiale"). 108 Tatsächlich war der Maler Uonard Defrance der Autor. Vgl. Biographie nationale, 6, Sp. 822 (Artikel ,,Jacques-Hyacinthe Fabry"); zu Hyacinthe Fabry auch Kapitel B. 11. 1. in dieser Arbeit. Der Stellenwert der Spielbankaffare von Spa als revolutionsauslösendes Moment ist von den Protagonisten der Revolution und der Forschung unterschiedlich bewertet worden. Sowohl Jean-Nicolas Bassenge (Lettres li. 1'abM de P... ) als auchNoel-JosephLevoz (Precis historique de la Revolution arrivee li. Liege, le 18 Aout 1789, Et des causes qui y ont concourus) maßen in ihren unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse entstandenen propagandistischen Schriften den Auseinandersetzungen um die Spielbank in Spa außerordentliche Bedeutung bei. Hier machten sie die Grundlage der Anklagepunkte gegen den Bischof während der Revolution fest und nutzten ihre ausführlichen und detailversessenen Darstellungen zur Ausmalung der Überschreitung bischöflicher Kompetenzen bezüglich der Lütticher Polizeiangelegenheiten. Levoz schreibt, 1791 zum Zeitpunkt der Entstehung seiner Schrift als Vertreter des Lütticher Senats auftretend, im eigenen, das Verhalten in der Auseinandersetzung rechtfertigenden Interesse unter Hinzuziehung vonjuristischen und diplomatischen Schriftstücken (er fügt etwa einen Teil des Briefwechsels des Lütticher Bischofs mit dem preußischen Hof bei, ebenso den Abdruck des Paix de Fexhe und den Wortlaut des von Hoensbroeck geleisteten Amtseides). Bassenge beginnt seine Darstellung schon zu Anfang des Streits und begleitet die Auseinandersetzungen mitAkribie über einen Zeitraum von zwei Jahren und am Ende über 2000 Seiten Text. Dabei konsultiert er, der Rechtsanwalt, neben staats- und verfassungsrechtlichen Grundlagen auch immer wieder Teile des Zivilrechts (wie etwa das Wegerecht der Gemeinde), um seine Argumentationen, die ja, wie beschrieben, von den prozessierenden Parteien in Wetzlar immer wieder agitatorisch eingesetzt wurden, zu untermauern. Wahrend Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, Kapitel 1 bis 3 zur Vorgeschichte der Revolution (die Reichskammergerichtsentscheide bilden über weite Strecken einen Leitfaden), die Briefwechsel und Schriften der Revolutionsprotagonisten sowie die reichskammergerichtlichen Entscheidungen rezipierend, der detaillierten Beschreibung der Spaer Auseinandersetzungen über hundert Seiten seines Werkes widmet, betont Recht, 1789 en Wallonie, S. 24-28, in Anlehnung an Lonchay, La Principaute de Liege, S. 163, die Bewertung der Auseinandersetzungen als schwerwiegende Revolutionsursache sei eine im Nachhinein von der Geschichtsschreibung übergestülpte, die ihre Grundlage eben überhaupt erst im Wissen um den Revolutionsausbruch habe, ansonsten als nichtige und nur von wenigen rezi-
11. Lüttich im Fokus preußischer Politik
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11. Lüttich im Fokus preußischer Politik: Einrichtung und Besetzung einer Koadjutorie 1. Die Kandidatenfrage Seit dem Frühjahr 1788 richtete sich das preußische Interesse auf die Besetzung der Stelle eines Koadjutors im Fürstbistum Lüttich. Nach dem gescheiterten Versuch, 1780 Franz Friedrich Wilhelm von Fürstenberg (1729-1810) 109 als Kölner Koadjutor zu installieren und der für Preußen erfolgreichen Wahl Karl Theodor von Dalbergs (1744-1817)110 als Koadjutor von Mainz im Juni 1787 suchte die preußische Regierung nun die Chance, die Einflußsphäre am westlichen Rand des Reichs auszuweiten und zugleich einen Keil zwischen die österreichische Präsenz in den Niederlanden und Kurköln zu treiben. Erste Kontakte zwischen Dohm, Hertzberg und dem Lütticher Bürgermeister Jacques-Joseph Fabrylll bestanden ab Mai 1787. 112 Sie waren im Zusammenhang mit den holländischen Unruhen und der von Preußen angestrebten Unterrichtung über französische Truppenbewegungen an der französischen Grenze entstanden. 113 Im Februar 1788 steigerte Preußen seine eigene Präsenz pierte Randerscheinung vernachlässigt worden wäre. Harsin, La Revolution liegeoise, S. 35-43, hebt die okkasionelle Rolle der Spielbankaffäre hervor, indem er ihr neben den langfristigen Ursachen des Revolutionsausbruchs auf der einen und den unmittelbaren auf der anderen Seite die Rolle als quasi auslösender Funke in einer ohnehin angespannten Atmosphäre zuweist. Im Zusammenhang dieser Arbeit ist, wie oben bemerkt, die Spaer Affäre als entscheidendes Moment der lüttich-preußischen Kontaktaufnahrne, der ersten Involvierung Dohms und der Einschätzung seiner Person durch die späteren Revolutionsprotagonisten von Bedeutung. (Zu den Revolutionsursachen vgl. Kapitel B. III. 1. in dieser Arbeit.) 109 Brühl, Die Tätigkeit des Ministers Franz Freiherr von Fürstenberg; Keinemann, Fürstenberg. 110 Roh, Dalberg. 111 Biographie nationale, 6, Sp. 828-845; Bosmant, Les grands hommes de la Revolution liegeoise, S. 19-26; zu den politischen Anfangen Fabrys: fozie, Les debuts de la carriere politique de Jacques-Joseph Fabry. Fabry war zweimal Bürgermeister von Lüttich, 1780 und 1783, bevor er in der Spielbankaffaire von Spa als Kritiker der bischöflichen Politik hervortrat und zum führenden Kopf der Revolution wurde. 112 Briefliche Kontakte bestanden auch schon zwischen Fürstbischof Velbrück und Dohms Vorgänger im Amt des preußisch-klevischen Direktorialvertreters Heinrich Theodor von Emminghaus, wie aus der Lektüre der gedruckten Briefe Velbrücks hervorgeht (Lettres autographes de Velbruck). Darin sind Briefe von Emminghaus an Velbrück unter anderem für Oktober 1773 (Bd.l, Nr. 18), Juni 1778 (Bd.I, Nr.162), November 1778 (Bd.l, Nr.177), Juni 1782 (Bd.2, Nr. 299), März 1783 (Bd.2, Nr. 336), September 1783 (Bd.2, Nr. 359) nachgewiesen. Velbrücks Kommentierungen zeugen von einer gewissen Geringschätzung des Preußen, den er als "Kerl" ("gaillard") bezeichnet, der wohl nicht ganz zufrieden sei, wenn "l'eau ne tourne plus sur son moulin" (Bd.2, S.145), den er, Velbrück, auf Antwort warten lassen will, bis Emminghaus neue "Standpauken" ("semonce") verschicke (Bd. 2, S. 197) oder dem Velbrück, wie er seinen Sekretär Chestret anweist, mit einem belanglosen Wortschwall zu antworten wünscht (Bd.l, S.255). 113 V gl. dazu Borgnet, Histoire de la revolution liegeoise, I, S. 58. Danach suchte Dohm vermutlich den ersten Kontakt am 19. Mai 1787.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
vor Ort durch die Einsetzung eines Ministerresidenten in Lüttich: Baron von SenfftPilsach 114 wurde mit diesem Posten betraut. In seinen Berichten nach Berlin skizzierte Dohm das in Zusammenarbeit mit von Senfft-Pilsach und dem Lütticher Bürgermeister Fabry verabredete mögliche Vorgehen in der Lütticher Koadjutorie-Angelegenheit des Jahres 1788. Den Plan, unter dem Vorwand eines Badeaufenthaltes nach Spa und von dort aus incognito nach Lüttich zu Gesprächen mit dem Bischofund geheimen Treffen mit Senfft und Fabry zu reisen, hatte Dohm am 21. April 1788 nach Berlin berichtet. 115 Einen Tag vor seiner Abreise, am 1. Mai 1788, informierte er dann über einen Besuch des päpstlichen Nuntius Bartolomeo Pacca aus Köln in Aachen, der mit der Nachricht erschienen war, der Papst wünsche vor den Augen Europas Preußen seine Aufwartung zu machen, indem die bevorstehende Reise Friedrich Wilhelms 11. nach Westfalen zu einem Treffen des päpstlichen Nuntius mit dem preußischen König genutzt werden sollte. Dohm sah hierin die Chance, den Papst für die preußischen Interessen vor allem bei der "vorhabenden Coadjutorie-Negotiation in Lüttich, wo der Pabst vielen Einfluß hat", einzuspannen. 116 Die vor Ort in Lüttich geführten Gespräche Dohms mit Fabry und Senfft offenbarten erste Schwierigkeiten der geplanten Unternehmung. Die möglichen Vorgehensweisen reduzierten sich auf zwei Alternativen: die Zahlung von Bestechungsgeldern an Mitglieder des Kapitels auf der einen, das gänzliche Verhindern der Koadjutoriewahl auf der anderen Seite. Dazwischen stand die Befürchtung, der amtierende Fürstbischof selbst könnte auf der Wahl eines Nachfolgers bestehen, den preußischen Bemühungen also zuvorkommen, für welchen Fall, so Dohm, Preußen sich auf die Nennung eines geeigneten Kandidaten zu präparieren habe. Dieser dürfe kein ,,Particulier", sondern müsse selbstverständlich ein zugleich Preußen wohlgesinnter als auch potenter Kandidat sein. Nach Absprache mit Senfft präsentierte Dohm daraufhin zunächst den jüngeren Bruder des sächsischen Kurfürsten, den Prinzen Maximilian, als potentiellen Lütticher Koadjutorkandidaten. Damit sei der Beitritt Lüttichs zum Fürstenbund gewährleistet, zugleich ein Geldgeber gefunden, der die aufzuwendenden Kosten mit Preußen teilen könne und auch die Protektion der Römischen Kurie, die sich mit Sicherheit gegen die Nachfolge in Lüttich durch den Kölner Erzbischof oder irgend einen österreichischen Prinzen wenden werde, mit großer Wahrscheinlichkeit gesichert. Wenig später faßten Dohm und seine Berater Fabry und Senfft andere mögliche Kandidaten ins Auge. So dachte man wahlweise an den Münsteraner Domherrn Hompesch, den Bischof von Tournai Graf von Salm, den Bischof von Ypern Karl Graf von Arenberg und den Bischof von Cambrai Prinz Ferdinand von Rohan. 117 Aus verschiedenen Gründen allerdings schienen alle bei genauer Prüfung für die Durchsetzung preußischer Interessen untauglich: der er114 Senfft-Pilsach war zuvor Unterleutnant in sächsischen Diensten (Lettres et Memoires, S. 161, Anm.4). 115 Bericht Dohms vom 21. April 1788. Pr.G.St.A. Rep.96, 166 C, BI. IOr.-ll v. Auch: Pr.G.St.A. Rep.ll, 152cI, Nr.5, BI.6r.-7v. Vgl. dazu auch Kapitel A. V. 3. b), Anm.414 in dieser Arbeit. 116 Bericht Dohms vom 1. Mai 1788. Pr.G.St.A. Rep.96, 166C, BI. 14r.-15r.
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ste, da er ,,keine Festigkeit" besitze, was sich vor allem bei der letzten Koadjutorwahl in Münster gezeigt habe, wo er, zunächst schwankend, schließlich für den habsburgischen Kandidaten gestimmt habe, die beiden folgenden, weil sie von Österreich protegiert sich in Brabant für den Kaiser ausgesprochen hätten, der letzte schließlich, weil er mit dem französischen Hof völlig überworfen und es ratsamer sei, einen auch Frankreich genehmen Kandidaten zu finden. Fabry resignierte als erster und schon sehr früh: "Der Fabry [... ] setzt hinzu daß man wünschen müße die Coadjutorie überhaupt zu hindern, da es äußerst schwer seyn würde ein Subject zu finden auf welches man sich verlassen könnte". 118 Auch Holland sollte den preußischen Plänen nützlich werden: Nach Sicherstellung einer propreußischen Mehrheit im Kapitel, skizzierte Dohm in seinem Bericht an den König seine erarbeiteten Entwürfe, könnte ein dann an den Lütticher Fürstbischof zu erfolgendes Angebot eines Subsidien-Traktats mit Holland diesen zu einer Wahl willig machenY9 Nach dem von Dohm erbetenen Abzug des holländischen Gesandten Vanderhoop, "der ganz patriotisch gesinnt und deshalb bereits mit dem von Senfft gänzlich bromittirt ist", sollte über einen von Senfft noch zu findenden zuverlässigen Mann Kontakt zu den Generalstaaten im Hinblick auf die Koadjutoriewahl in Lüttich aufgebaut bzw. gefestigt werden. Die Prinzessin von Oranien sollte ebenfalls eingeweiht werden. 120 Senfft war mit dem holländischen Residenten Vanderhoop verwandtschaftlich verbunden: Senffts Frau war Vanderhoops Nichte. In Lüttich wurde diese Verbindung bei Senffts Einsetzung mit Skepsis zur Kenntnis genommen. Bürgermeister Fabry skizzierte sein Erstaunen darüber, daß der preußische Resident in Lüttich in so enger Verbindung mit einem Sympathisanten der hol117 Rohans Biographie, seine Kandidatur für die Nachfolge des Lütticher Bischofs d'Oultremont 1772, vor allem die Regentschaft im Herbst 1790 vor dem Hintergrund des Vertrags von Reichenbach und des Frankfurter Wahlkongresses beleuchtet Sage, Une republique de trois mois. Vgl. auch Kapitel B.IX. in dieser Arbeit. 118 Bericht Dohms vom 21. April 1788. Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c I, Nr. 5, BI. 6 r-7 v. Auch: Rep.96, 166C, Bl.lOr.-ll v. 119 Zur Unterstützung der Schlagkraft der Armeen der kleineren Fürstenbund-Mitgliedstaaten hatte Carl August von Weimar im November 1787 den Vorschlag gemacht, Subsidienverträge mit Holland und England abzuschließen, die Preußen finanziell entlasten sollten (vgl. dazu Politischer Briefwechsel Carl August von Weimar, 1, S. 388-392, Nr.356: Denkschrift Carl Augusts über die Niederlande und den Fürstenbund. Den Haag, Ende November 1787. Hier: S.390: ,,[ ... ]I'Angleterre et les Provinces Unies sont plus riches en argent qu'en troupes, meme cette derniere puissance ne pourra pas facilement se donner tout a fait des soldats qui maintiennent le repos interieur et la defendent contre des attaques du dehors, c' est a I' Angleterre et a la Hollande de soutenir par le premier I' armement des troupes des Princes d' Allemagne, et ils augmentent par Ja les forces de la Prusse en lui epargnant la defense des subsides."). Hertzberg hatte mit der Vorstellung seiner Pläne zur Erweiterung des Fürstenbundes als einer größeren (europäischen) Allianz geantwortet (Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S.213). Dohm griff mit seinem Vorschlag eines Subsidienvertrags zwischen Holland und Lüttich also bereits projektierte Instrumentarien zur Fürstenbunderweiterung auf. 120 Bericht Dohms vom 4. Mai 1788. Pr.G.St.A. Rep.96, 166C, BI. 18r.-23r. (Teile dieses und der zitierten nachfolgenden Berichte sind verschlüsselt. Darauf wird in der Folge nicht mehr ausdrücklich hingewiesen).
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
ländischen Patrioten stand, in einem an Dohm gerichteten Brief vom 11. Februar 1788: "On trouve ici fort plaisant que l'envoye de Prusse soit ainsi lie et presente par le bon ami des defunts patriots hollandais."121 Senfft suchte nach einer schwierigen und VOn Fabry skeptisch betrachteten Annäherung an denselben das offene Wort. Mit der ausdrücklichen Betonung seiner Bestrebung, sich von seinem angeheirateten Onkel zu lösen, "qui I' obsede et I' espionne, et s' est empare de I' esprit de sa niece pour mieux observer le mari." 122 Schließlich gewann er Fabrys Vertrauen für eine konstruktive Zusammenarbeit. Als besonders nützlich für die preußischen Interessen erachtete Dohm die Einsetzung eines holländischen Regiments nach dem Vorbild des sogenannten Regiment Royal Liegeois in Lüttich 123 , da dieses die Bindung des Lütticher Adels an die avisierten Garantiernächte Holland, England und Preußen durch die Bewerbung des Adels um die Offiziersstellen im Regiment vorantreibe. Nach Auskunft Senffts und Fabrys bedürfe die Errichtung eines solchen Regiments nicht der Einwilligung des Fürstbischofs. 124 Um die Einstellung des Prinzen VOn Oranien zu erfahren, bat Dohm um Mitteilung durch den preußischen Gesandten im Haag. 125 Vom Gesandten in Turin sollten Informationen über den Wahrheitsgehalt des kursierenden Gerüchts eines Interesses Sardiniens an der Besetzung der Koadjutoriestelle in Lüttich eingeholt werden. 126 Das in Planung befindliche Vorgehen wurde zusätzlich bestimmt VOn verfassungspolitisch akzentuierten und privat motivierten Interessen, die Preußen VOn Lütticher Seite vorgetragen wurden. So berichtete Dohm, daß Fabry sein Engagement für Preußen beim Erfolg der Mission mit dem Schutz der Rechte und Freiheiten der Lütticher Stände und der Garantie der Verfassung und ständischen Freiheiten durch Preußen, Holland und England entlohnt zu sehen wünschte. Fabry also strebte offensichtlich die Intensivierung seiner bereits bei den ersten Kontakten 1787 intendierten Bestrebungen einer preußischen Involvierung in die internen Lütticher Angelegenheiten an. Bereits im Oktober 1787 hatte er im Umfeld der Unterrichtung der 121 Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1049, in Brief 389 eingelegt. An Chestret meldete Fabry am 16. Januar 1788 die Ankunft Senffts mit der gleichzeitigen Bemerkung, unmittelbar nach seiner Ankunft habe dieser Lüttich bereits in Richtung La Haye verlassen, um dort seinen Verwandten Vanderhoop zu besuchen. "Cela est bien mal dans les circonstances" (Papiers de Chestret, 1, S. 208). Sorgenvoll und mit Enttäuschung nahm Chestret die Verwandtschaft zwischen Vanderhoop und Senfft in Wetzlar auf: ,,11 [Vanderhoop1 ne nous aura pas peint sous de bonnes couleurs" (Chestret an Fabry, 20. Januar 1788, Papiers de Chestret, 1, S.21O). 122 Fabry an Dohm, 15. März 1788. Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1049, in Brief 389 eingelegt. Fabry selbst war am Posten eines preußischen Ministerresidenten interessiert und schien sich von Senfft zurückgedrängt zu fühlen: ,,Au reste, je crois que M. de Senfft ignore mon existence." (Fabry an Dohm, 22. Februar 1788. Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1049, in Brief 389 eingelegt). 123 Zum Regiment Royal Liegeois vgl. Kapitel B. 11. 3. in dieser Arbeit. 124 Bericht Dohms vom 4. Mai 1788. Pr.G.St.A. Rep.96, 166 C, BI. 18 r.-23 r. 125 Bericht Dohms vom 17. Juli 1788. Pr.G.St.A. Rep.96, 166C, BI. 33 r.-36 v. 126 Bericht Dohms vom 24. Juli 1788. Pr.G.St.A. Rep.96, 166 C, BI. 41 f. und v.
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preußischen Regierung über Truppenbewegungen an der französischen Grenze im Zuge der holländischen Unruhen die preußische Diplomatie mit Broschüren über die aktuelle innenpolitische Situation in Lüttich, vor allem hinsichtlich der SpielbankAffäre von Spa und der diesbezüglichen gerichtlichen Anordnungen versorgt. 127 Seine Ausführungen kulminierten in einem Brief vom 19. Oktober 1787 an Dohm: Les nouvelles d'ici sont mauvaises pour les honnetes gens. Nous avons re~u hier avis d'un nouveau decret de Wetzlar en faveur du prince. Si ce decret est suivi, c'est la perte de notre sacre Tribunal des XXII, et par consequent de notre constitution et de notre liberte .. 128
Die für die Koadjutorie-Untemehmung zu veranschlagenden Kosten bezifferte Fabry auf geschätzte 500.000 Holländische Gulden, wie er Dohm schrieb. Für seinen persönlichen Einsatz erbat er eine persönliche Anerkennung: Sein Sohn Jacques-Hyacinthe (1758-1851)129, der in einem holländischen Freikorps gedient hatte, wünschte im Dragoner-Regiment Bylandt eine Stellung zu finden, die vorzüglich über den Prinzen von Oranien zu erreichen sei. Fabry selbst bekundete Interesse an dem Posten des preußischen Residenten am Hof des Königs von England und Kurfürsten von Hannover. 130 Wenn auch letzteres aufgrund der zu wahrenden Geheimhaltung außerordentliche Schwierigkeiten bereiten würde, so müsse sich doch für Fabrys Sohn sicherlich ein Weg in die gewünschte militärische Laufbahn finden lassen, fügte Dohm seinem Bericht hierzu an. 131 Die Berliner Reaktionen auf Dohms Berichte waren von Anfang an zurückhaltend. Dohms Ansicht, daß die Koadjutorwahl nur schwerlich gegen den Willen des Bischofs vonstatten gehen könne, wurde von Hertzberg und Finckenstein ebenso geteilt wie Fabrys Auffassung, die gänzliche Verhinderung einer Wahl zum Handlungsziel zu machen. "Dieses muß auch unser Endzweck seyn, wenn sich kein Mittel finden sollte, den Bischof in Unser u. in des Holländischen Interesse zu stellen".132 Am 6. Juli wurde Dohm instruiert, mit Johann Friedrich vom Stein (1749-1799)133, dem preußischen Gesandten in Mainz, Gespräche über die Nuntia127 Zur Affaire von Spa und den verfassungspolitischen Hintergründen in Lüttich vgl. Kapitel B. 1. 3. in dieser Arbeit. 128 Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1049, eingelegt in Brief 389. Fabry bezieht sich hier auf die Vorgaben des Reichskammergerichts, das in die Spaer Angelegenheit einbezogen war. 129 Biographie nationale, 6, Sp.821-831. 130 Fabry hatte bereits in einem Schreiben vom 15. März 1788 an Dohm sein Interesse an einem Posten in preußischen Diensten bekundet. Vanderhoop, so berichtete er Dohm, habe Senfft gegen ihn, Fabry, aufbringen wollen, indem er ihm das Bestreben, für Preußen zu arbeiten, unterstellte. "Si l'on m'avait propose cet honneur", kommentierte Fabry, ,Je l'aurais sans doute accepte, dans l'esperance de pouvoir etre utile." (Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry. Mss. 1049, in Brief 389 eingelegt). 131 Bericht Dohms vom 4. Mai 1788, Pr.G.St.A. Rep.96, 166 C, BI. 18 r.-23 r. 132 Reskript an Dohm, 7. Mai 1788. Pr.G.St.A. Rep.ll, 152cI, Nr. 5, BI. 8r.; mit gleichem Inhalt an Senfft, 12. Mai 1788. Pr.G.St.A. Rep.92, Hertzberg 40, ohne Blattnummer. 133 Johann Friedrich vom Stein war der älteste Bruder des preußischen Reformers Karl vom Stein. 1769 war er Kompagniechef eines holländischen Infanterieregiments geworden, 1778
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tur- und die Mainzer und Lütticher Koadjutorie-Angelegenheit aufzunehmen. 134 Dohm trat die Reise an und erhielt in Mainz am 25. Juli 1788 die Nachricht, mit Stein keine Negotiation anzufangen, da keine völlige Sicherheit zu reüssieren bestehe und der Verlust großer Summen Geldes zu befürchten sei. Auch solle beim Stand der Dinge, der "es schwer, wenn nicht unmöglich" mache, bei so vielen Personen die Sache geheim zu halten, Holland vorerst nicht informiert werden. 135 Bremsend wirkte offenbar Hertzbergs noch vor der Dohmschen Reise an den König gerichteter Brief, der seine großen Zweifel am Gelingen einer preußischen Mission in Lüttich bekundete. Hertzberg argumentierte hier gegenüber dem König mit finanziellen Gesichtspunkten. Frankreichs Einfluß in Lüttich sei derart überragend, daß die aufzuwendenden Kosten in Anbetracht der Aussichtslosigkeit des preußischen Unterfangens vollkommen vergeudet seien. Dies wiege um so schwerer, als es sich sowohl beim Nuntiaturstreit als auch bei den Koadjutorwahlen in Mainz und Lüttich nur um sekundäre Themen der preußischen Außenpolitik handle. Überdies verzögere Dohms Reise nach Mainz das Aachener Kommissionsgeschäft, das ohnehin bereits die finanziellen Möglichkeiten Aachens überstrapaziere, noch weiter. 136 Alle Überlegungen und weitverzweigten Pläne ließen Dohm nicht aus den Augen verlieren, daß das gesamte Unternehmen mit großen Schwierigkeiten verbunden war. Von Anfang an betonte er seine Zweifel am Gelingen der preußischen Intervention, die er sowohl durch den überragenden französischen Einfluß in Lüttich als auch durch die problematische Konstellation einer Ausweitung der beteiligten Parteien auf der einen und der Notwendigkeit der Geheimhaltung aller preußischen Pläne auf der anderen Seite gefährdet sah. Erschwerend wirkte dazu die Unkenntnis über die Wünsche und Pläne des Lütticher Fürstbischofs Konstantin-Franz von Hoensbroeck 137. Er habe sich bisher nicht geäußert, ob er eine Koadjutorwahl überhaupt wünsche, meldete Dohm Anfang Mai nach Berlin, und befinde sichja offenkundig auch noch in bester Gesundheit. Sollte Hoensbroeck allerdings eine Wahl initiieren, müsse man am wahrscheinlichsten davon ausgehen, daß er seinen Neffen und Suffragan, den ebenfalls von Frankreich protegierten Grafen Franyois-Antoine de Mean (1756-1831) 138, als seinen Nachfolger vorschlagen werde. Unter Zugzwang gerieten die preußischen Vertreter ab Mitte Juli 1788, als einer der Neffen Hoensbroecks, der Lütticher Domherr und Erzdiakon von Brabant, CharOberst eines preußischen Regiments, 1780 berief Friedrich 11. Stein an den Hof und schickte ihn als preußischen Gesandten an den Wiener Hof. Vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 35, S. 642 ff. , auch: Hansen, Quellen, 1, S. 19*-20*. 134 Bericht Hertzbergs vom 7. Juli 1788 (hierin Verweis auf das am Vortag verfaßte Reskript an Dohm). Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c I, Nr. 5, BI. lOr. und v. 135 Reskript an Dohm, 25. Juli 1788. Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c I, Nr.5 , BI. 14r. und v. 136 Bericht Hertzbergs vom 7. Juli 1788. Pr.G.st.A. Rep.ll, 152c I, Nr.5, Bl.lOr. und v. 137 Biographie nationale, 9, Sp.419-423. Hoensbroeck war Domherr in Aachen und Lüttich gewesen, bevor er 1784 zum Fürstbischof von Lüttich gewählt wurde. 138 Biographie nationale, 14, Sp.197-2lO. Mean wurde der Nachfolger Hoensbroecks nach dessen Tod 1792.
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les Graf de Geloes, sich selbst als Kandidat für den Koadjutorposten ins Gespräch brachte und die Diskussion um die Nachfolge Hoensbroecks, ohne daß Preußen eine Entscheidung für das eigene Vorgehen getroffen hatte, in Gang gebracht zu werden drohte. 139 In Köln traf Dohm sich mit dem kurpfaIzischen Geheimen Staats- und Konferenzminister Franz Graf Nesselrode-Ehreshoven (1713-1798), der aus Düsseldorf angereist war, und der Gräfin Horion 140, einer Nichte des vorigen Lütticher Fürstbischofs Franz Karl von Velbrück '4', die ihm gemeinsam den von Sophie von Coudenhoven '42 , einer Freundin des Kurfürsten von Mainz, erarbeiteten und vom preußischen König genehmigten Plan vortrugen. Danach sollte der Münsteraner und Lütticher Domherr Franz Karl von Nesselrode (1754-1816), der Sohn des Staatsministers, der preußische Kandidat für den Koadjutorposten werden. Dohm goutierte diesen Vorschlag insoweit, als er Nesselrode für einen charakterfesten Mann hielt, der seine Gesinnung vor allem bei der Koadjutorwahl zu Münster unter Beweis gestellt habe, "da ihm alle Ueberredung seines Vaters, des Chefs der Regierung zu Düsseldorf, und selbst eigene Schreiben des Churfürsten von der Pfalz nicht bewegen konnten, seine Stimme dem itzigen Churfürst von Cölln zu geben". In Lüttich selbst aber, gab Dohm zu bedenken, seien die zu erwartenden Reaktionen auf Nesselrode eher zwiespältig. Zwar könne man auf die Unterstützung der ständischen Partei rechnen, da Nesselrode, der nicht im Lüttichsehen begütert sei, an den inneren Auseinandersetzungen im Bistum keinen Anteil genommen habe. Beim Fürstbischof allerdings sei er nicht sehr beliebt und vor allem: Derselbe ist ein Fremder, und hat also die National Eifersucht aller Eingebohrenen zu bekämpfen; er hat unbekümmert um jede politische Absicht, durchaus keine Parthey für sich, und da also die, welche ihm gemacht werden soll, fast allein mit Gelde wird erkauft werden 139 Bericht Dohms vom 17. Juli 1788. Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c I, Nr. 5, BI. 15 r.-18 v. Auch Rep.96, 166C, B1.33r.-36v. 140 Maria Anna Felicitas Gräfin von Horion (1743-1806) tauchte auch später während der revolutionären Unruhen in Lüttich immer wieder im Zusammenhang mit Geheimgesprächen auf. Ihr Verhalten wurde vor allem vom preußischen Gesandten in Mainz von Stein kritisiert. Sie sei "intrigante fameuse et capable de tout entreprendre" und dirigiere alles. ,,11 est de fait que cette megere a ete elle-meme aWetzlar, pur essayer acaptiver le grandjuge en faveur des insurgens", schrieb von Stein am 29. Januar 1790 an den preußischen König. Dohm empfange alle Neuigkeiten durch die Gräfin (Hansen, Quellen, I, S. 537-538, hier: S.538). '" Biographie nationale, 26/27, Sp.523-531. "2 Sophie von Coudenhoven (1747-1825) war die Tochter des kurkölnischen Oberhofmarschalls Karl Ferdinand Graf von Hatzfeld. Der Kurfürst von Mainz Friedrich Karl von Erthal, in dessen Diensten sowohl ihr Mann als auch einige ihrer Brüder standen, war ein Cousin ihrer Mutter. Stein, der Frau von Coudenhoven sehr verehrte und nach dem Tod ihres Mannes wohl auch an eine Ehe mit ihr dachte, schrieb am 18. Oktober 1786 an den preußischen König: "Tant de fois que je nommerai Madame de Coudenhoven, je voudrais repeter, qu' elle est sans contredit le plus excellentministre, que V. M. puisse avoir ala cour de Mayence [... ]." (Hansen, Quellen, 1, S.174, Anm.2 und 4). Auch der preußische Koadjutorkandidat Franz Karl Graf von Nesselrode war mit Sophie von Coudenhoven verwandt (Hansen, Quellen, 1, S.I77, Anm.5). Gronau, Dohm, S.167-168, berichtet, daß Dohm Sophie von Coudenhoven auf seiner Reise nach Aschaffenburg im August 1788, wohin er vom Mainzer Kurfürsten auf dessen Residenz eingeladen worden war, kennengelemt hatte. Die Reise stand im Zusammenhang mit der Nuntiaturstreitigkeit.
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müssen, so ist nicht zu läugnen, daß die für ihn anzuwendende Summe grösser seyn werde als bey jedem andem.
Mit der Ausführung des Plans und aller geheimen Verhandlungen war die Gräfin Horion beauftragt, sowohl Dohm als auch Senfft und Stein waren also von der Umsetzung unmittelbar ausgeschlossen - eine Tatsache, die Dohm mit der Bemerkung kommentierte, daß keine Person diese "intrigue" besser vollziehen könne als die Gräfin, die alle Verhältnisse in Lüttich vorzüglich kenne und die Fähigkeiten habe, "welche eine Negociation dieser Art erfordert, die vielleicht ihrer Natur nach immer am glücklichsten von einer geschickten weiblichen Hand geführet werden wird." Bei "dem ganzen Gange ihrer Negotiation" allerdings wolle er, Dohm, die Gräfin "möglichst beobachten". Der maßgeblich zwischen Dohm und vom Stein bei einer Konferenz in Schlangenbad 143 ausgearbeitete Plan für die Zukunft sah folgendes Verfahren vor: Nach Rücksprache mit Holland sollten - unter Berücksichtigung der gebotenen Geheimhaltung - Bedingungen zur Vorlage an Nesselrode formuliert werde, deren bedeutendste wohl der Beitritt Lüttichs zum Fürstenbund war. Nesselrode hätte außerdem das Versprechen abzugeben, keine Allianzen gegen Frankreich ohne vorherige Absprache mit Preußen und seinen Alliierten einzugehen. Mit der Gräfin Horion wollte man klären, wie die französische Zustimmung zu erlangen sei, auf jeden Fall aber vor der Einbeziehung Frankreichs zuerst das Placet des Kapitels zu Nesselrodes Wahl einholen. Preußen sollte die Mediation bei "einer gütlichen Berichtigung der Irrungen mit den Ständen" übernehmen und ebenso wie England, Holland und eventuell Frankreich die Unterstützung bei der Schaffung einer verbesserten Verfassung zusagen. "Diese Bedingung ist wahres Wohl des Landes, so wie des Fürsten, und ihre Festsetzung wird die Liebe der Nation auf immer für Ew. Königl. Majestät, als ihren ersten Wohlthäter erwerben." Was die finanziellen Fragen betraf, wurden Zahlungen größerer Summen von der holländischen Republik avisiert. (Dohm erwog, in Aachen einen Bankier aus Amsterdam hierzu anzuwerben.) Dohm und von Senfft wollten sich jeglicher ,öffentlicher Auftritte' enthalten, statt ihrer wurden andere Protagonisten ins Auge gefaßt: Fabry wollte man die Aufgabe zuweisen, für die Bildung einer propreußischen Partei im Kapitel zu sorgen, ohne ihn allerdings von den genauen Plänen zu unterrichten. Die Gräfin Horion sollte die gesamte Unternehmung im Geheimen koordinieren. Sogar den holländischen Gesandten Vanderhoop wollten Dohm und vom Stein aus Lüttich entfernen lassen, um auf diese Weise die Verhandlungen der Gräfin der Beobachtung zu entziehen. Diesen letzten projizierten Verfahrensschritt ergänzte Dohm um den Vorschlag, dem holländischen Ministerium die Entsendung eines zuverlässigen Ersatzes für Vanderhoop nach Aachen oder Spa nahezulegen, um von dort mit diesem Rücksprache zu halten, "da ich in einer so verwickelten und delikaten Unterhandlung meiner eigenen Einsicht allein nicht genug traue". 144 Zur Konferenz in Schlangenbad vgl. auch: Hansen, Quellen, 1, S.438, Anm.l. Bericht Dohms (aus Schlangenbad) vom 28. Juli 1788. Pr.G.St.A. Rep.96, 166 C, BI. 42 r-46v. 143
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Die an die genannten Punkte angelehnte endgültige Absprache der Bedingungen erfolgte am 30. August 1788 während eines Besuches von GrafNesselrode bei Dohm in Aachen. Als Beilage fügte Dohm sie seinem Schreiben vom 1. September nach Berlin bei. Sie enthielten den Beitritt Lüttichs zum Fürstenbund, die Einrichtung eines "Freund-Nachbarschaftlichen Einverständnißes" Lüttichs mit Preußen, England und Holland, das von Nesselrode abgegebene Versprechen, sowohl keine Allianzen mit Frankreich und Österreich ohne vorherige Absprache mit den befreundeten Alliierten zu schließen als auch, keiner mit den drei genannten Alliierten im Krieg befindlichen Macht Durchmarsch, Werbung von Truppen und Anlegung von Magazinen zu gewähren. Unter dem sechsten Punkt bekundete Nesselrode seinen Wunsch, die "unglücklichen Irrungen des Landes" baldmöglichst korrigiert zu sehen und erbat zur Erreichung dieses Ziels, wie in den Vorgaben gewünscht, die preußische Mediation. Mit der Übereinkunft strengster Geheimhaltung schloß die Beilage. 145 Bei ihrem Aufenthalt in Lüttich mußte die Gräfin dann in einer vertraulichen Unterredung mit dem Fürstbischof erfahren, daß er und ein Großteil des Domkapitels dem Wunsch des französischen Hofes entsprechend bereits zwei Monate zuvor den Verzicht auf eine Koadjutorwahl beschlossen hatten. 146 Ähnlich wie diese vergeblichen preußischen Bemühungen verliefen die ein Jahr später zugunsten des Bischofs von Ypern, Graf von Arenberg unternommenen. Auch hier spielte wieder die Gräfin Horion eine entscheidende Rolle. Sie teilte Dohm bei einem Aufenthalt in Aachen im April 1789 mit, daß die "Compatanten" jetzt um Parteien für die nächste Koadjutorwahl kämpften. Sie wolle sich für den Grafen von Arenberg einsetzen, für den sie 300.000 Holländische Gulden bereit halte. Gegen die preußische Zusicherung einer Unterstützung erbringe sie Arenbergs Unterschrift unter von Preußen diktierte Bedingungen, vorzüglich die preußische Protektion und "Vermittlung zu Berichtigung der innern Landes Streitigkeiten". 147 Dohm erbat daraufhin Auskunft über das weitere Vorgehen und schlug vor, Arenberg mit den bereits an Nesselrode gestellten Bedingungen zu konfrontieren. Auch diese zweiten Bemühungen scheiterten schließlich an der Weigerung des amtierenden Fürstbischofs Hoensbroeck, einen Nachfolgekandidaten überhaupt in Erwägung zu ziehen.
2. Reichspolitischer Kontext Dohm spielte die Erfolglosigkeit in der Koadjutorie-Angelegenheit herunter: "notre manque de bonheur devoit etre notre plus grand secret." 148 Von Anfang an waren die preußischen Unternehmungen nicht nur in ein Netz von zu berücksichtiBericht Dohms vom I . September 1788, Pr.G.St.A. Rep.96, 166C. BI. 71 r.-75 r. Gronau, Dohm, S. 171. 147 Bericht Dohms vom 22. April 1789. Pr.G.St.A. Rep.96, 166D. BI. 5r.-6v. 148 Dohm an den Bruder Nesselrodes (Karl Franz) in Düsseldorf, zitiert nach Gronau, Dohm, S. I72. Auch: Brief Dohms an Johannes von Müller vom 14. September 1788, Briefe an Johannes von Müller, 2, S. 338. 145
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
genden außenpolitischen Koalitionen eingebunden, die vor allem die alliierten Mächte Holland und England einbeziehen mußten, sondern auch auf die zunehmende Ausweitung der primär inneren Lütticher Angelegenheiten auf weitere Verbündete, wie etwa das Fürstenbundmitglied Sachsen oder die gerade erst in einem aktuellen Zweckbündnis mit Preußen verbundene Römische Kurie angelegt. Zugleich mußten auch diejenigen auswärtigen Kräfte in die Überlegungen einbezogen werden, die ihrerseits außenpolitisches Interesse am Lütticher Fürstbistum hegten, nämlich Frankreich und das Haus Österreich. Die Geheimabsprachen forderten einen diplomatischen Spagat zwischen Kontakten zum amtierenden Fürstbischof als der aufgrund der Verfassungssituation entscheidenden Instanz und einem Vertreter des Dritten Standes - dem Bürgermeister von Lüttich Fabry -, der die Koadjutorwahl zugleich mit einer intendierten Veränderung der Verfassung zugunsten der Rechte des Dritten Standes verband. Aus der Verbindung zu Fabry hatte die preußische Diplomatie gelernt, daß eine dauerhafte Einflußnahme in Lüttich nur mit Hilfe der ständischen Partei erfolgversprechend sein konnte. 149 Die schwierigen, strengste Geheimhaltung voraussetzenden Gespräche konnten am Ende nur noch inoffiziell über Mittelsmänner - oder besser: Mittelsfrauen - arrangiert werden, was die Zahl der involvierten Kräfte erneut erweiterte. Das zunehmend sich vergrößernde Personal der an den Verhandlungen Beteiligten ließ ein Netz von personellen Verbindungen entstehen, das durch die vielfach mit persönlichem Ehrgeiz verbundenen Motivationen der Beteiligten schon in diesem frühen Stadium des preußisch-Iüttichschen Kontakts zu einem verschlungenen Knäuel zu werden drohte. Diese Motivationen standen darüber hinaus mitunter im unmittelbaren Zusammenhang mit aktuellen Entwicklungen preußischer Außen- bzw. Lütticher Innenpolitik, die quasi als "Altlasten" in die Unterhandlungen einflossen: Im wesentlichen verknüpfte die preußische Diplomatie die avisierte Koadjutorwahl mit denjenigen Angelegenheiten, die die rheinischen Territorien zwischen 1787 und 1789 am stärksten beschäftigten 150 und an deren Verlauf zugleich die preußische Außenpolitik maßgeblich beteiligt war: dem Nuntiaturstreit l51 , der Koadjutorwahl in Mainz 152 und der Erweiterung des Fürstenbunds. \49 Dambacher, Dohrn, S. 278. Es ist zu beachten, daß Fabry Dohm bereits arn 10. April 1788 in Kenntnis gesetzt hatte, daß er eine Säkularisation Lüttichs für die sinnvollste Alternative zu den bestehenden Verhältnissen hielt, die Position der radikalen Revolutionäre, zu denen Fabry nicht gehören sollte, also von ihm, Fabry, selbst vorforrnuliert und Dohm bekannt war! (Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1049, in Brief 389 eingelegt: ,,11 ne m'appartient pas de faire des projets; mais s'il en etait un qui, moyennant la conservation de nos privileges les plus chers, nous tirat de la tyrannie des pretres, je le suivrais avec ardeur.") 150 Hansen, Quellen, 1, S. 297 ff. 15\ Vgl. dazu vor allem: Braubach, Max Franz, S. 185-205; Lehmann, Preussen und die katholische Kirche. Sechster Teil, Urkunden 23,25,31,34,39,40,44,48,63, 67ff., 101, 104, 116, 118, 123, 124, 156, 166, 195,201 ff., 487, 488. \52 Vgl. Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S. 198-211; Rob, Dalberg, S. 168-208.
H. Lüttich im Fokus preußischer Politik
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Die in den febronianischen Ideen einer Betonung der Rechte und Freiheiten der deutschen Reichskirehe und der Zurückdrängung päpstlicher Primatansprüche begründeten Angriffe der Erzbischöfe von Köln, Mainz, Trier und Salzburg gegen die Einrichtung einer Nuntiatur in München im Februar 1785 hatten eine lang andauernde Auseinandersetzung zwischen den geistlichen Kurfürsten und dem Papst evoziert. Ihren ersten Höhepunkt erreichten diese im Abschluß der sogenannten Emser Punktation vom 25. August 1786, die im wesentlichen die Ergebnisse der Verhandlungen des Mainzer, Trierer, Salzburger und Kölner Erzbischofs zusarnmenfaßte und einen massiven Angriff gegen das Papsttum und die hierarchische Kirchenordnung enthielt. 153 Nur wenige Bischöfe verweigerten sich dem Inhalt der Punktation. Neben dem Speyrer Fürstbischof erwies sich vor allem der Lütticher als unzugänglich. 154 Die Reaktionen des Kaisers in dieser Angelegenheit waren zurückhaltend, was vor allem den Kölner Erzbischof und Bruder Josephs 11. Max Franz verärgerte. Unter der Androhung, sich mit weiteren Erzbischöfen auf den gemeinsamen Beitritt zum Fürstenbund zu verständigen, machte er sich zum Wortführer der episkopalischen Opposition und versuchte, die kaiserliche Antwort gegen die päpstlichen Machtansprüche zu erzwingen. 155
Im Juni 1788 traf Friedrich Wilhelm 11. auf seiner Reise durch die westlichen Provinzen mit dem päpstlichen Nuntius Pacca zusammen, mit dem er sich auf die Übernahme einer Vermittlerrolle Preußens zwischen dem Papst und seinen Gegnern verständigte. 156 Pius VI. hatte im Gegenzug sein Einladungsschreiben zu dieser Zusammenkunft so formuliert, daß die Anerkennung der preußischen Königswürde durch die römische Kurie, die noch nicht erfolgt war, in Aussicht gestellt wurde. 157 Dohm hatte am 16. Mai 1788 bereits Gespräche mit Max Franz in Bonn aufgenom men, der die preußische Unterstützung der erzbischöflichen Sache auf dem Reichstag wünschte. Auch mit dem amtierenden Mainzer Kurfürsten Friedrich Karl von Erthal (1719-1802) und dem designierten Koadjutor Karl Theodor von Dalberg sprachen Dohm und Stein am 2. und 5. August 1788 in Aschaffenburg und Nassau. 153 Braubach, Max Franz, S. 194: "Die Frage der Nuntiaturgerichtsbarkeit, wegen der der Kampf ausgebrochen war, war nicht die einzige Angelegenheit, die im Sinne der Erzbischöfe hier entschieden wurde. Alle Rekurse nach Rom überhaupt sollten wegfallen, die Aufhebung der Exemtionen und Reservationen wurde ausgesprochen, die Bischöfe als berechtigt zur Dispensation in allen Ehehindernissen erklärt und die Verwandlung der Annaten und Palliengelder in eine Taxe gefordert. Der Instanzenzug für die geistlichen Streitfälle wurde dahin geregelt, daß die erste Instanz beim bischöflichen Gericht lag, von da an die Metropolitangerichte appelliert werden konnte und die letzte Instanz schließlich die iudices in partibus oder ein von jedem Erzbischof im Einverständnis mit seinen Suffraganen zu errichtendes Provinzialsynodalgericht bilden sollten." 154 Braubach, Max Franz, S.197. 155 Hansen, Quellen, 1, S.297-304. 156 Braubach, Max Franz, S. 202, betont, daß Friedrich Wilhelm H. nur durch die Vorgaben seiner Berater davon abgehalten wurde, sich für die Aufrechterhaltung der Nuntiaturen einzusetzen. 157 Hansen, Quellen, 1, S.298.
\0 Wüller
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Mit der ursprünglich vorgesehenen Einbeziehung von Mainz in die Gespräche über die Lütticher Koadjutoriefrage rekurrierte die preußische Diplomatie auf ihren ein Jahr zuvor erzielten Erfolg in der Besetzung des dortigen Koadjutorpostens mit Karl Theodor von Dalberg. Zwar war Dalberg nicht ursprünglich der preußische Kandidat für den Posten des Mainzer Koadjutors l58 , unmittelbar nach seiner Wahl aber - nach noch zuvor bekundeter Präferenz für eine Leitung des Fürstenbundes durch den Kaiser I 59_ bestätigte er den von Erthal vollzogenen Beitritt Mainz' vom 23. Oktober 1785. Mit Dalberg war ein Kandidat ins Amt berufen, der diejenigen Kreise im Reich ansprach, die eine aktive Reichspolitik forderten 160 und sich zu Befürwortern einer umfassenden Reichsreform machten. Er erklärte sich zum Verfechter eines Ausgleichs zwischen Kaiser und Reich und bot schließlich an, nachdem seine Vorlage für die Reformierung der Reichsjustiz in Wien wohl vor allem aufgrund der Fürstenbundmitgliedschaft ohne Reaktion geblieben war, das Rechtswesen nach den Vorstellungen sowohl Preußens als auch Österreichs zu reformieren. 161 Die Entsendung einer Delegation an den Reichstag zur Schaffung eines neuen Zivilund Kriminalgesetzbuches und einer allgemeinen Gerichtsreform sowie die Festlegung der strittigen Punkte der Reichsverfassung durch eine Ge1ehrtenkommission, also letztendlich die Schaffung eines Kommentars zur Reichsverfassung, waren wesentliche Inhalte einer von Dalberg verfaßten Denkschrift mit dem Titel "Vorschläge zum Besten des Reiches" vom 30. August 1787. 162 Das Bewußtsein von der allgemeinen Reformbedürftigkeit des Rechtswesens war zu dieser Zeit verbreitet und fand seinen Ausdruck wahlweise in auf die Reformierung des gesamten Reichs zielenden Denkschriften oder konkreten Plänen zur Reformierung der eigenen territorialen Rechtsordnungen. Mit Entwürfen zur Reform des Reiches waren neben Dalberg auch earl August von Weimar und der amtierende Mainzer Kurfürst von Erthal hervorgetreten; Österreich, Preußen und Bayern waren zeitgleich vor allem mit der Kodifizierung landesinterner Zivil- und Kriminalrechtsordnungen beschäftigt. 163 Daß an Dohm im letzten Moment die Order erging, jegliche Verhandlungen mit Mainz über die Lütticher Frage trotz seiner Reise vor Ort zu unterlassen, zeigt deutlich, daß eine Ausweitung der Lütticher Angelegenheit im Sinne einer Realisierung reichsreformerischer Bestrebungen bei der preußischen Regierung nicht erwünscht war, ihr Interesse sich vielmehr vorrangig machtpolitisch auf eine Ausweitung der Einflußsphäre Preußens im Reich orientierte. Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S.200f. Rob, Dalberg, S. 209. 160 Aretin, Heiliges Rö~isches Reich, 1, S.200. 161 Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S.205. 162 Rob, Dalberg, S. 216-217, stellt Dalbergs Rahmenprogramm zu einer Verfassungsrefonn im Reich vor. Danach strebte Dalberg eine Exegese der Grundgesetze an, eine Einrichtung einer Deputation für Zivil gesetzgebung und Eigentumsrecht, eine Refonn des Gerichtswesens, eine Überarbeitung des Strafgesetzbuches sowie den Abbau von Zöllen, Steuern, Zunftbeschränkungen und Refonnen in Handel und Gewerbe. Dazu auch: Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S.205-206. 163 Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S.205. 158 159
11. Lünich im Fokus preußischer Politik
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Die zu Beginn der allgemeinen Überlegungen avisierte Aufstellung eines sächsischen Kandidaten für die Lütticher Koadjutorie wäre - zumindest in Hinsicht auf reichsreformerische Pläne - ins Gegenteil verkehrt worden, stellte sich Sachsen doch im Verbund mit Hannover entschieden gegen die reichische Partei der kleinen Stände des Fürstenbundes unter der Führung von Mainz und auch gegen jede Erweiterung des Bundes, die zusätzliches österreichisches Mißfallen provozieren konnte. 164 Gerade die kleineren Mitgliedstaaten des Fürstenbundes hatten eine solche grundlegende Neuordnung des Reichs durch das von Preußen geleitete Bündnis erhofft, Preußen selbst verweigerte sich diesen Bestrebungen. Federführend wirkte vor allem Hertzberg, der mit seiner Denkschrift vom 27. August 1787 den Fürstenbund auf die Funktion des Kernstücks einer Allianz zwischen Preußen, England, Rußland, Dänemark, Holland und Sizilien zuspitzte. 165 Dem Protokoll einer geheimen Unterredung zwischen Hertzberg und Finckenstein vom Oktober 1789, das unbeabsichtigterweise in österreichische Hände gelangt war, ist allerdings zu entnehmen, daß Hertzberg (in Übereinstimmung mit Finckenstein) den Fürstenbund seit 1787 für Preußen als bedeutungslos erachtete. l66 Mit der Schaffung der englischpreußischen Allianz am 13. August 1788 war das mit der Einrichtung des Fürstenbundes verbundene primäre Interesse der preußischen Außenpolitik, die Aufhebung der Bündnislosigkeit, endgültig obsolet geworden. Die dem potentiellen Lütticher Koadjutorkandidaten Nesselrode diktierten Bedingungen für eine preußische Unterstützung, die endgültig am 30. August 1788 vorlagen, banden nicht nur die Protektion des holländischen Generalstatthalters (Punkt 2, 4, 5) und die Gegnerschaft zu Frankreich und Österreich (Punkt 3) ein, sondern forderten ausdrücklich auch - und zwar als ersten Punkt - den Ausbau des Fürstenbundes durch den Beitritt Lüttichs. Damit war eine Zielsetzung formuliert, die nach Bekunden Hertzbergs und Finckensteins einer zu diesem Zeitpunkt bereits veralteten Perspektive preußischer Außenpolitik folgte und die doch zur Grundlage allen weiteren Vorgehens und der öffentlichen Rechtfertigung für das preußische Verhalten während der Lütticher Revolution werden sollte. Insgesamt präsentierte sich das preußische Verhalten in der Lütticher Koadjutoriefrage als eines, das mit der Bereitschaft zu enormem finanziellen und diplomatischen Engagement zugleich ein hohes Maß an Halbherzigkeit verband. Die Auswahl potentieller Koadjutorkandidaten, die bis auf ihre anzunehmende Bereitschaft, Lüttich in den Fürstenbund zu führen, aus unterschiedlichen politischen Lagern stammten, ließ auf ein insgesamt wenig planvolles und nicht auf eine längerfristig angelegte Rolle Lüttichs in der preußischen Außenpolitik abzielendes Vorgehen schließen. Dazu stand dem zögerlichen Verhalten in Berlin eine Anzahl ehrgeiziger preußischer Diplomaten und kurzfristig in preußische Dienste gestellter Personen gegenüber, deren Handlungsmotive zumal in Anbetracht der gerade erst übernomZur Rolle Sachsens im Fürstenbund vgl.: Aretin, Heiliges Römisches Reich, I, S.209. Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S.212. 166 Aretin, Heiliges Römisches Reich, I, S.212, Anm.226. 164 165
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
menen Regentschaft durch Friedrich Wilhelm 11. geprägt war von persönlichem Profilierungsstreben 167 gegenüber dem Monarchen und die ein schnelles Aufgeben in der Lütticher Koadjutorfrage aus eben diesen Gründen verhinderten. Mit der Übernahme einer Zusage des preußischen Engagements bei der Korrektur der "unglücklichen Irrungen des Landes" und dem Vorschlag Dohms, ein holländisches Regiment nach dem Vorbild des Regiment Royal Liegeois einzurichten, waren schließlich weitreichende Eingriffe in die Lütticher Innenpolitik projiziert, die im außenpolitischen Rahmen preußischer Politik und in den Zielen vor allem Hertzbergs keine Entsprechungen fanden.
3. Das Regiment Royal Liegeois als Vorbild für die geplante preußische Machtstabilisierung Auf Vorschlag des Lütticher Fürstbischofs Konstantin von Hoensbroeck hatte am 18. November 1787 der französische König Ludwig XVI. die Einrichtung des sogenannten Regiment Royal Liegeois dekretiert, eines aus zwei Bataillonen Infanterie bestehenden Truppenkontingents vorwiegend Lütticher Soldaten unter französischem Oberkommando. l68 Ein erstes, am 8. Juli 1787 in Versailles geschlossenes Abkommen zwischen dem französischen Verhandlungsführer Gerard de Rayneval und dem Lütticher Fürstbischof169 legte Befehlsstrukturen, Zusammensetzung, Besoldung, Ausrüstung und Stationierung des geplanten Regiments fest. Danach war der Lütticher Fürstbischof "proprietaire perpetuei" des Regiments, versehen mit dem Recht, seinen Stellvertreter als "Mestre-de-Camp-Proprietaire" vorzuschlagen, während die als sogenanntes "Regiment National Liegeois" konstituierten Bataillone "au service & a la solde perpetuelle de la France, & aux ordres du Roi & ses Successeurs" standen. Der französische König besetzte alle hohen Offiziersstellen, wobei darauf zu achten war, möglichst Mitglieder des Lütticher Adels in die entsprechenden Posten zu befördern. Insgesamt sollte das Regiment zu etwa Dreivierteln aus Mitgliedern Lütticher Familien und zu Einviertel aus Franzosen (aus dem Elsaß und Lothringen) bestehen. Die Aushebung des Regiments mußte der Bischof gewährleisten, der auch versprach, sofern von Frankreich als nötig erachtet, eine Vergrößerung des Regiments zu unterstützen. Das genaue Datum der endgültigen Aushebung des Regiments wurde auf den 1. Mai 1788 festgelegt. 170 [67 VgI. dazu Kapitel B. III., C. IV., C. V. 3. in dieser Arbeit. So erfährt Dohm von dem Berliner Gerücht, er solle nach Finckensteins Abdankung Minister werden; Fabry glaubt zu wissen, daß Senfft Minister werden will (Borgnet, Histoire de la revolution liegeoise, 1, S. 86). Von Stein bietet sich früh an, sich propagandistisch in die preußische Politik in der Lütticher Revolution einzuschalten. [68 Zum Regiment Royal Liegeois vgI.: Helin/Duchesne, Fastes Militaires, S.42. Das Regiment bestand zwischen 1787 und 1791 und ging dann, nach Beschluß der Assemble nationale in Paris, wie alle auswärtigen französischen Regimenter in der französischen Armee auf. [69 Pr.G.StA. Rep.ll, 152c I, Nr.6, BI. 12r.-14v. [70 Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c I, Nr.6, BI. 15 r.-18 r.
11. Lüttich im Fokus preußischer Politik
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Gegen diese vom Fürstbischof ohne vorherige Absprache mit den Ständen vorgenommenen Vereinbarungen regte sich vor allem im Tiers-Etat Protest. Ebenso sorgenvoll wie resignativ vermeldete Bürgermeister Fabry an Jean-Remi de Chestret am 30. Dezember nach Wetzlar von der Einrichtung des Regiments: "Cela ne laisse pas que de me donner quelque inquietude."171 Dohm berichtete am 14. Januar 1788 nach Berlin vom Vertragsabschluß zwischen dem Lütticher Fürstbischof und dem französischen Hof. Die versammelten Stände habe der Bischof in einer Sitzung von der Errichtung des geplanten Regiments bis Mai 1788 in Kenntnis gesetzt. Aus Sorge um den Verlust der Neutralität des Landes und aus Furcht vor der Unterdrückung aller fremden Werbung außer der französischen hätten sich ausgehend vom Protest des Dritten Standes auch Mitglieder der beiden anderen Stände demselben angeschlossen. Daraufhin sei die Versammlung durch den Bischof aufgehoben worden. 172 Mit Empörung registrierte Chestret in Wetzlar das Geschehen in Lüttich. An Fabry skizzierte er seine Sicht des (innen- und außen-)politischen Gesamtzusammenhangs: Depuis quand le prince peut-il faire des traites sans les etats? Dans un moment ou tout son peuple est mecontent de son administration et qu'on accuse ouvertement son conseil; dans une circonstance ou I'Europe entiere est menacee d'une guerre, un eveque de Liege devient le chef d'une legion au service de la France! Et tot se passe sous les yeux des etats! Non, mon cher confrere, si cette legion n'a pas lieu. Ce n'est pas l'argent qui l'empechera, mais les consequences d'un projet si visiblement contraire au pays et a nos voisins. 173
Aus La Haye berichtete Senfft am 18. Januar 1788, daß Frankreich holländische Offiziere aus dem Lager der Patrioten mit Gratifikationen versehen habe und nun beginne, "contre la constitution et au prejudice de la neutralite du pays de Liege" eine Legion Liegeoise einzurichten. Eine Protestnote des Bürgermeisters der Stadt Chastelet an den Dritten Stand fügte Senfft seinem Schreiben bei. 174 Darin nahm dieser, ausgehend von dem Vorwurf, den Ständen sei jegliche Möglichkeit der Mitsprache vorenthalten worden, ausführlich Stellung zum befürchteten Verlust der in diversen Verträgen und durch die "declarations Solemnelles du Prince et des Etats" ratifizierten Lütticher Neutralität 175 , deren Schutz er dem Bischof persönlich zuschrieb. Mit dem Verweis auf den völkerrechtlichen Status des Fürstbistums Lüttich wurde der Angriff auf den Fürstbischof mit altem Recht begründet - diesmal nicht in Bezugnahme auf die innere Verfassung des Fürstbistums, sondern auf außenpolitische, die Beziehung Lüttichs zum Reich und zu anderen auswärtigen Mächten tangierende Verhältnisse. Fabry an Chestret, 30. Januar 1787, Papiers de Chestret, I, S.182. Pr.G.St.A., Rep.ll, 152c I, Nr. 6, BI. 1 r.-2r. 173 Chestret an Fabry, 16. Januar 1788, Papiers de Chestret, 1, S. 206. 174 Pr.G.St.A., Rep.ll, 152c I, Nr. 6, BI.4r.-6r. 175 Zum Status der ,,Neutralite perpetuelle" des Landes Lüttich vgl. etwa: Sage, Les Institutions politiques, S.129-154; Henaux, Constitution du Pays de Liege, S. 29-30; Strothotte, Exekution gegen Lüttich 1789-1792, S. 14-16, Anm.5. 171
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B. Die Lünicher Revolution von 1789
Seit 1492 befand sich Lüttich im Zustand pennanenter Neutralität, die zunächst von Frankreich und den Niederlanden, 1654 von Spanien und 1673 von den vereinigten holländischen Provinzen garantiert worden war. Wenngleich die Details dieser Neutralität nicht sehr genau festgelegt waren, war sie doch zu verstehen als eine grundlegende Handlungsrichtlinie der jeweils amtierenden Fürstbischöfe im Bezug auf das Verhältnis Lüttichs zu den benachbarten Mächten. 176 Entstanden aus dem Bedürfnis, das Land Lüttich, "un pays ouvert, sans defenses naturelles, une marche romane sur la route d'Allemagne, une halte de transit, une barriere etrangere entre les deux tron~ons des Etats autrichiens aux Pays-Bas: le Luxembourg d'une part, les Flandres et Bruxelles de l'autre"m, weitgehend vor feindlichen Angriffen zu schützen und sich aus allen Kampfuandlungen der Nachbarn untereinander herauszuhalten, mutierte die ,,neutralite perpetuelle" von einer von den Ständen immer wieder eingeforderten Rechtstheorie zu einer in ihren Modalitäten variabel gehandhabten, praktischen Umsetzung von Politik im jeweilig aktuellen Anwendungsfall. I78 Der Schutz der Lütticher Neutralität durch Kaiser und Reich (1629, 1654, 1672 und 1673) 179 konnte zwangsläufig nicht ein Zugeständnis in Richtung auf eine Souveränität Lüttichs, das heißt eine Loslösung vom Reich, bedeuten, bereitete aber den Boden einer Lockerung der Bindungen an das Reich, die unter anderem in der Gewährung der Beitragsfreiheit Lüttichs, also der Befreiung von der Truppenstellungspflicht bzw. entsprechender Geldzahlungen für die Reichsarmee, im Jahre 1640 ihren Ausdruck fand. Erst der 1688 eintretende Kriegsfall gegen Ludwig XIV. zwang zur Aufuebung der Lütticher Neutralität durch den Kaiser und das gemeinsame Vorgehen mit allen Reichsständen gegen Frankreich. Während des Spanischen Erbfolgekrieges konnte Lüttich erneut seine Neutralität geltend machen, im Jahre 1708 aber erforderten die außenpolitische Situation Lüttichs, die vor allem charakterisiert war durch die Bedrohung durch holländische Truppen, die die Festungen Lüttich und Huy gegen Frankreich besetzen wollten, und die Aufforderungen des Kaisers den Wiedereintritt Lüttichs in den Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis. Auf dem Kreistag in Köln versprach Lüttich wegen der langen Zeit der Nichtteilnahme die Zahlung bestimmter Geldsummen an Reich und Kreis als Ausgleichsleistung. Erst nach langwierigen Verhandlungen und dem Anmarsch eines preußischen Truppenkontingents aber erfolgte der endgültige Vertragsabschluß über die Mitgliedschaft Lüttichs im Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis am 4. Januar 1717. Zur Neutralität des Landes Lüttich legte der Vertrag fest, daß die Kreisdirektoren sich beim Kaiser für die generelle Möglichkeit Lüttichs verwenden wollten, Neutralitäts- und Kontributionsverträge mit den kriegführenden Parteien unter Berücksichtigung reichsrechtlicher Vorschriften zu schließen. 180 Sage, Les Institutions Politiques, S.129. Sage, Les Institutions Politiques, S.131. 178 Vgl. dazu etwa Sage, Les Institutions Politiques, S.143-145. 179 Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 15, Anm.5. 180 Vgl. hierzu Harsin, Les relations extverieures, S. 238 f.
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Der Dritte Stand sah in der vollzogenen Annäherung an Frankreich eine Bestätigung seiner Befürchtungen, der Bischof ,verkaufe' sich und das Land Lüttich an den mächtigen französischen Nachbarn. 181 Chestret nutzte darauf die Gelegenheit während seiner die Spielbank-Affare in Spa betreffenden Anwesenheit in Wetzlar 182, öffentlich mehrere Richter von der geplanten Zusammensetzung und Leitung des Regiments in Kenntnis zu setzen und auf die finanzielle Bindung an Frankreich hinzuweisen. 183 Was die Übernahme des Kostenanteils durch den Lütticher Bischof anging, kommentierte Fabry spöttisch, er glaube gar nicht an die Aufstellung des Regiments, "car l' Altesse aime trop l' argent". 184 Wenn Dohm unter Kenntnis und Berücksichtigung dieser Vertragssituation und der im Zusammenhang mit der Errichtung des Regiment Royal Liegeois stehenden Proteste der Stände l85 , vor allem des dritten, trotzdem vorschlug, eine preußische Einflußnahme in Lüttich unter Zuhilfenahme der Errichtung eines holländischen Regiments nach dem Vorbild des Regiment Royal Liegeois zu versuchen, zeigte das eine primär an außenpolitischen preußischen Machtinteressen angelehnte Handlungsorientierung, die die Interessen des Dritten Standes in Lüttich und die damit zusammenhängenden inneren Konflikte außer acht ließ. Eine Präferenz für eine preußische Einflußnahme über die Verbesserung der Lütticher Verfassungssituation zugunsten der Rechte der Stände, vor allem des dritten, wurde - zumindest im beschriebenen Kontext - nicht sichtbar, im Gegenteil wäre der Einsatz des avisierten holländischen Regiments nach Senffts oben zitierten Worten sogar als ein Akt "contre la constitution et au prejudice de la neutralite du pays de Liege" billigend in Kauf genommen worden. 186
Vgl. etwa Chestret an Fabry, 6. Januar 1788, Papiers de Chestret, 11 , S.196. Vgl. Kapitel B.1.3. in dieser Arbeit. 183 Chestret an Fabry, 10. Januar 1788, Papiers de Chestret, 1, S. 199-200. 184 Fabry an Chestret, 13. Januar 1788, Papiers de Chestret, 1, S. 203. 185 Vgl. dazu auch Dohms Lütticher Schrift, S. 13-14, in der mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Neutralität Lüttichs das Verhalten der Stände im Falle der Einrichtung des Regiment Royal gerechtfertigt wird: "Die Ständische Parthey glaubte dagegen über eine von dem Bischof einseitig geschlossene Verbindung mit der Krone Frankreich gerechte Beschwerde führen zu können, welche nicht nur die Werbung einer dem Reiche fremden Macht zu sehr begünstige, sondern auch das Land in Gefahr setze, die bey seiner Lage so wichtige von seinen erleuchtesten Patrioten zu allen Zeiten mit Eifer behauptete Neutralität zu verlieren." 186 Erst wesentlich später, Mitte Januar 1790, entwarf Jean-Remi de Chestret, jetzt in der Funktion des Lütticher Bürgermeisters eine Note an Henri van der Noot, die eine mögliche Vereinigung zwischen Lütticher und Brabanter Aufständischen zum Gegenstand hatte und die unter anderem vorschlug, eine "indirekte" Art der Vereinigung in der Weise vorzunehmen, ein aus etwa 1200 bis 1500 Mann bestehendes Regiment nationalliegeois in den Sold der Brabanter zu stellen, also gerade den umgekehrten Weg als den des hier vorgesehenen Regiment Royal zu beschreiten. Vgl. dazu "Note adressee par de Chestret aVander Noot, vers la mi-janvier 1790". Papiers de Chestret, 1, S. 67-68. 181
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
III. Der Ausbruch der Revolution 1. Die Ereignisse in Lüttich Am Morgen des 18. August 1789 sprengten aufgebrachte Lütticher Bürger, indem sie gewaltsam ins Rathaus eindrangen, eine Sitzung des Stadtrates. Per Akklamation bestimmte die sich vor dem Rathaus versammelnde Menge, der sich auch bewaffnete Bauern aus der Umgebung angeschlossen hatten, Jean-Remi de Chestret und Jacques-Joseph Fabry zu Bürgermeistern. Die Zitadelle der Stadt Lüttich wurde besetzt, Gefangene befreit und eine Abordnung von Aufständischen unter Führung von Chestret in Richtung des bischöflichen Lustschlosses Seraing entsandt, um den sich dort aufhaltenden Fürstbischof in die Stadt zu geleiten. Hoensbroeck hatte eine Erklärung zu unterzeichnen, die sowohl die Bestätigung des neu gewählten Magistrats als auch die Zusicherung der Abschaffung des Edikts von 1684 enthielt. Ungehindert konnte er anschließend auf sein Schloß zurückkehren. Mit ihren Aktionen unterbrachen die Aufständischen gewaltsam einen von Hoensbroeck eingeleiteten vorsichtigen Reformprozeß: Am 13. August hatte er das Kapitel zum Verzicht auf seine finanziellen Privilegien aufgerufen und für den 31. August eine gemeinsame Versammlung der Stände anberaumt, um über Lösungen zur Verbesserung der Lebenssituation der Armen zu beraten. Jetzt sah er sich einer aufgebrachten Menge gegenüber, die ihn nicht nur zur Beschleunigung dieses Prozesses, sondern auch zu grundlegender Veränderung drängte. Unter dem Druck dieser Situation floh Hoensbroeck in der Nacht vom 26. zum 27. August, ohne seinen Zielort bekannt zu machen, nach Trier. 187 Zurück ließ er eine zur Veröffentlichung in Auftrag gegebene Erklärung, in der er versicherte, weder selbst gegen die Aufständischen Klage zu führen, noch eine solche in seinem Namen führen zu lassen, und das Volk aufforderte, in Ruhe und Mäßigung über die "changemens utiles & necessaires" zu beraten. 188 Seine ausdrückliche Billigung des per Akklamation bestimmten städtischen Magistrats war bereits von Seraing aus am 23. August erfolgt. Noch am 27. August proponierte er gegenüber diesem erneut die von ihm selbst auf den 31. August bestimmte Versammlung des Landtages, was faktisch einer weiteren Anerkennung gleichkam. 189 Zugleich war durch die Flucht des Bischofs aus einer im Ursprung nur städtischen Krise eine das gesamte Bistum betreffende Angelegenheit geworden. 187 Hoensbroeck wird dann allerdings auch in Trier mit den Auswirkungen der (Französischen) Revolution konfrontiert: Im Oktober kommt es, wie Wagner, Kurfürst Clemens Wenceslaus und das Aufflackern der Revolution, S. 560, ausführt, in Trier zu einem Aufstand, bei dem die versammelte Menge die Abschaffung von Privilegien für den Ersten und Zweiten Stand fordert. Das Trierer Land sei mit Revolutionsschriften aus Frankreich "überschwemmt" worden, so daß der Kurfürst am 1. Dezember 1789 eine eigene Kommission eingesetzt habe, die "über die Verbreitung irreligiöser und ungläubiger Schriften" zu wachen gehabt habe. Zu den Unruhen in Trier vgl. auch Härter, Soziale Unruhen und Revolutionsabwehr, S.72-74. 188 Die Erklärung Hoensbroecks vom 26. August 1789 ist abgedruckt bei Dohm, Lütticher Revolution, S.126-l27, Anlage 4. 189 Dohm, Lütticher Revolution, S.126, Anlage 2 und 3.
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Eine umfangreiche Zusammenfassung des verfassungsrechtlichen vorrevolutionären Konfliktstoffs bot der Fürstbischof selbst in einer am 30. April 1789 an den preußischen Hof adressierten Darlegung. Die ,,Exposition succincte des plaintes du prince-eveque de Liege contre la Chambre imperiale"l90 umfaßt vier Themenbereiche: - I. Touchant la police au pays de Liege. - 11. De l'election magistrale de la ville de Verviers. - III. De la chambre des comptes pour les droits et revenus de la mense principale episcopale. - IV. Infonnation du Conseil-ordinaire de Liege. Mit der Betonung auf seinem Status als Reichsfürst trat der Lütticher Fürstbischof hier im wesentlichen die staatsrechtliche Beweisführung für seine in Reichsund lokalem Recht verankerten Hoheitsrechte an. Diese wurden als wesentliche Garanten der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit im Fürstbistum vorgestellt und in Verkopplung mit dem Bild ihrer akuten Bedrohung sowie der Gefahr anarchischer Zustände als in absoluter Strenge durchzusetzende Maßregeln gezeichnet. Mit den aktuellen Konflikten in Spa, Verviers und Theux waren die Gefahrenherde für die öffentliche Ruhe benannt. "Selbst das physische Uebel, welches Lüttich mit benachbarten Landen gemein hatte, wurde in demselben durch den Geist der Zwietracht auch zu einem politischen umgeschaffen, und zwiefach drückend gemacht", schrieb Dohm bei der Aufzählung der allgemeinen Ursachen der Lütticher Revolution in seiner Revolutionsschrift. 191 Das Land Lüttich war im 18. Jahrhundert geprägt von dynamischer Textil- und metallverarbeitender Industrie, befand sich aber in starker Abhängigkeit von Rohstoffeinfuhren und dem Export der produzierten Güter, die sich wiederum durch die protektionistische Wirtschaftspolitik der benachbarten Staaten als besonders schwerwiegend erwies. Der Winter 1788/89 war außerordentlich hart und zog im Lütticher Land, zumal da eine nach den schlechten Ernten der Vorjahre von der Bevölkerung geforderte Sperre der Getreideausfuhr ausblieb, eine erhebliche Brotteuerung nach sich. Die industriell geprägten Gebiete des Lütticher Landes rund um die Städte Lüt190 Abgedruckt in Papiers de Chestret, I, S. 241-255; außerdem als Anlage zu einem Schreiben Dohms an den Berliner Hof vom 12. Mai 1789. In seinem Bericht faßt Dohm den Inhalt der bischöflichen Abhandlung zusammen. Er bezieht selbst für die Stände Stellung, indem er einen Vergleich der bischöflichen Beschwerden beim Reichskammergericht und der Beschwerde der Stände anstellt. Insbesondere bei dem wichtigsten Punkt des Vergleichs, nämlich der "Concurrenz der Stände zu der Policey Gesetzgebung", meint er, der Position der Stände "die Ueberzeugung schwerlich" versagen zu können (Pr.G.st.A. Rep. ll, 152c I Nr. ll , BI. 1 r.-4r., hier: BI. 1 v., Anlage: Anschreiben des Fürstbischofs an den preußischen Hof [BI.5r. und v.], Beschwerdeschrift des Bischofs: BI. 6 r.-22r.). 191 Dohm, Lütticher Revolution, S. 14. Zum Folgenden vgl. allgemein: Hansotte, La Principaute episcopale, hier: S. 13-19; Harsin, La Revolution Liegeoise, S. 31-32; Recht, 1789 en Wallonie, S.28-39.
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tich und Verviers und die Gegenden um Huy und im Gebiet Entre-Sambre-et-Meuse waren von den Teuerungen insofern besonders betroffen, als hier große Teile des Industrieproletariats ohne die Möglichkeit geringfügiger Selbstversorgung der landwirtschaftlichen Mangelwirtschaft ausgesetzt waren. 192 Erst am 8. Januar 1789 erfolgte auf Drängen des Kapitels die Abfassung eines Edikts, das die Getreideausfuhr untersagte. Der Adel protestierte dagegen mit dem Argument, die Zustimmung aller Stände sei nicht ordnungsgemäß eingeholt worden, und zog auch mit diesem Fall vor das Reichskammergericht. Im Mai wurden schließlich große Mengen an Getreide aus Holland gekauft, eine Aktion, die ebenfalls den Adel auf den Plan rief, jetzt die Einberufung der Stände zu verlangen, um die eingeführten Mengen genauer Kontrolle zu unterziehen. Zwischenzeitlich waren in verschiedenen Städten Unruhen ausgebrochen, die in einigen Fällen sogar nur unter Zuhilfenahme des Militärs eingedämmt werden konnten. Auch für die Stadt Lüttich fürchtete Fabry zu diesem Zeitpunkt bereits Aufstände. 193 Ursache dieser Unruhen war nicht allein die drohende Hungersnot, sondern auch und vor allem die in ihrem Zusammenhang als besonders prekär empfundene ungleiche Verteilung der Steuerlasten zwischen den einzelnen Ständen: Zweidrittel des Bodens des Lütticher Landes war im Besitz des Klerus, gleichzeitig konnte der Erste und Zweite Stand Steuerbefreiungen für sich in Anspruch nehmen. Von den sogenannten ,,40 patars" beispielsweise, einer Biersteuer, waren sie nicht nur entbunden, sondern konnten auch noch in Teilen von den geleisteten Abgaben profitieren. 1787 wurde die Steuer unter Zustimmung des Klerus und des Adels, aber mit heftiger Kritik aus der Bevölkerung erneuert. 194 Die Geistlichkeit vor allem profitierte zudem von der Aufhebung der Grundsteuer, die die Stände zu Beginn des 18. Jahrhunderts zugunsten der Einrichtung indirekter Steuern beschlossen hatten. Zudem erzwang die zunehmende Staatsverschuldung die Aufnahme von Anleihen, deren Lasten zusätzlich auf die unteren Bevölkerungsschichten abgewälzt wurden. Rechtliche Ungleichheiten zwischen Geistlichen und Nicht-Geistlichen waren im institutionellen System Lüttichs festgeschrieben: Während Adelige und Nichtadelige vor dem Gesetz gleich behandelt wurden und sich gleichen rechtlichen Ordnungen zu unterwerfen hatten, gab es für Geistliche eigene klerikale Gerichte. Deutlicher noch als die rechtlichen Unterschiede traten vor allem die sozialen hervor: Zu192 46% der kultivierbaren Fläche des Landes waren im Besitz von Bauern (Hansotte, La Principaute episcopale, S.18). Allgemein dazu Delatte, Les classes rurale. 193 Fabry an Chestret, 19. Juni 1789, Papiers de Chestret, 1, S.334: Fabry berichtet, seiner Tochter sei, da sie keinen entsprechenden Bezugsschein vorweisen konnte, der Kauf von Mehl bei einem Müller versagt worden. Auch der Kauf von Getreide und Brot werde in der Umgebung unterbunden. "Si j' en avois ete informe,je crois que j' aurois ete donner un coups de baton, au lieu de demander cette permission. [... ] On aura peine a Wetzlar a croire ces extravagances." 194 Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, S. 69-72, beschreibt detailliert die Kritik in Form von Voten an die Regierung und publizistischen Polemiken. Vor allem Lebrun tat sich hier mit einer umfangreichen Darlegung in seinem ,Journal general de I 'Europe" (1788, I, S.226-255) hervor. Seine Informationen hatte er von Fabry erhalten, wie aus dessen Briefen hervorgeht (Borgnet, S. 71).
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nehmende Arbeitslosigkeit verstärkte im Verlauf des 18. Jahrhunderts die Annut in der Bevölkerung. Immer häufiger fristeten entlassene Arbeiter aus den Städten ein Leben als Bettler, wenn sie nicht das seltene Glück hatten, in einem der wenigen Armenhäuser ein Unterkommen zu finden. Insgesamt war die Pauperisierung des Lüttieher Landes, bedingt vor allem auch durch die wirtschaftlichen Konsequenzen der Kriege Ludwigs XIV. und des österreiehischen Erbfolgekrieges, in denen das Land Verwüstungen und Requisitionen durch die Besatzungstruppen hinzunehmen hatte, unmittelbar vor Ausbruch der Revolution auf einem Höchststand angekommen. 195 Zeitgleich mit der Flucht des Bischofs war vom Reichskammergericht am 27. August ein Mandatum poenale et proectorium zur Übermittlung an die Direktoren des Niederrheinisch-Westfalischen Reichskreises erlassen worden. 196 Das Mandat sah 195 Ausführlich dazu Haesenne-Peremans, La pauvrete dans la region liegeoise. Gegenüber den skizzierten Revolutionsursachen werden für die Lütticher Unruhen kulturelle Ursachen in der Forschungsliteratur als geringfügiger erachtet denn für Frankreich (vgl. etwa Harsin, La Revolution Liegeoise, S. 29: ,,lI importe donc de faire au mouvement de pensee de la seconde moitie du XVIIIe siede une part moindre dans les causes de la revolution liegeoise qu'il ne convient de le faire pour la France. Mais ce serait errer grandement que d'en contester I 'importance relative. "). Relativ gesehen zu anderen Ursachen. wie vor allem den sozio-ökonomischen, werden sie von den Historiographen der Revolution als die am wenigsten ins Gewicht fallenden interpretiert (v gl. etwa Recht, 1789 en Wallonie, S. 17 ff.; Harsin. La Revolution Liegeoise, S. 23 ff., v. a. S. 29 f.; Droixhe beschäftigt sich in vielen seiner Arbeiten ausführlich mit dem Einfluß der Ideen auf den Ausbruch der Revolution. Genannt sei vor allem: Noblesse edairee). Vgl. dazu auch Kapitel B. I. 2. in dieser Arbeit. 196 Mit der revolutionspräventiven "mandatorischen GeneralklauseI" war dem Kammergericht ein Instrument zum schnellen Eindämmen bereits aufgebrochener gewaltsamer Konflikte in die Hand gegeben: Ausgehend von einer im Falle einer Klage durch notarielle Bescheinigung oder durch Eid, im Falle eines revolutionären Ausbruchs durch allgemeines "Gerücht" belegten Behauptung, daß die beklagte Seite dem Kläger "schweres Unrecht und nicht wieder gut zu machenden Schaden zufüge", erließ das Reichskammergericht Mandate, die in ihrer rechtlichen Qualität etwa den heutigen "einstweiligen Verfügungen" entsprachen. In der Regel war das Mandat in Untertanenprozessen verbunden mit einem "Schreiben um Bericht" an die beklagte Obrigkeit und der Einsetzung einer Kommission, die die Beweiserhebung vor Ort vornehmen sollte. Vordringlichster Wunsch war dabei in den meisten Fällen die Erzielung eines Vergleichs zwischen den streitenden Parteien (Gabel, Deutsche Untertanen, S.278). Die tatsächliche Schnelligkeit, mit der solche Mandate erlassen werden konnten und - etwa gerade auch im Fall der Lütticher Revolution - erlassen wurden, stand in krassem Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung der Zeitgenossen, deren wesentlichster Kritikpunkt die außerordentliche Langsamkeit der Reichsgerichte in Prozeßsachen war. In dieser Hinsicht prägend ist bis in die jüngste Zeit das Bild, das Goethe in "Dichtung und Wahrheit" über seine Zeit als Kammergerichts-Praktikant in Wetzlar abgegeben hat. Er bemängelte v. a. die unzureichende personelle Ausstattung des Gerichts, die damit zusammenhängende Ineffizienz der Reichsjustiz sowie die Bestechlichkeit einiger Assessoren (vgl. Dichtung und Wahrheit. Dritter Teil, 12. Buch. Hamburger Ausgabe. 9. S. 524-533). Härter. Soziale Unruhen und Revolutionsabwehr, S.47-48, korrigiert neuerdings nachhaltig dieses Bild: Das RKG habe trotz gestiegener Inanspruchnahme nach 1788 nahezu alle Eingänge aufgearbeitet. viele ältere Verfahren erledigt und jährlich mehrere 100 Urteile und Tausende von Dekreten verkündet. Härter hat auch die Mandate und Protokolle des zweiten ludizial- und Extrajudizialsenats mit Relationen. Koreferaten, Voten und Verhandlungen über die Lütticher Revolution im Bundesarchiv. Außenstelle Frankfurt am Main. Bestand Reichskammergericht. eingesehen und ausgewertet (S. 54-64).
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vor, unverzüglich mit militärischen Mitteln die Unruhen in Lüttich niederzuschlagen, den Fürstbischof und seine Anhänger zu schützen, die Verfassung und die öffentliche Ordnung wieder einzusetzen, den alten Magistrat und die beiden vor der Revolution amtierenden Bürgermeister in ihre Ämter zurückzuholen, eine Neuwahl nach der gültigen Verfassung durchzuführen, die Urheber der Rebellion in Haft zu bringen und Flüchtige steckbrieflich suchen zu lassen. Ein zweites Mandat richtete sich an alle Einwohner des Stifts und der Stadt Lüttich und befahl diesen unter anderem Gehorsam gegenüber dem Bischof und den Kreisdirektoren, den Verzicht auf Unruhen und die Forderung nach Neuerungen, die Niederlegung der Waffen, das Verbot, Kleidung mit revolutionären Emblemen zu tragen oder aufrührerische Lieder zu singen und ordnete außerdem die Einhaltung des Rechtsweges bei der Vorbringung von Beschwerden an. Das Reichskammergericht hatte damit nicht nur außerordentlich schnell auf die Ereignisse in Lüttich reagiert, sondern auch durch die Einleitung eines Verfahrens wegen Landfriedensbruchs gegen die Aufständischen eindeutig Stellung zugunsten des Bischofs bezogen. 197 Unmittelbar nach dem Eintreffen des Mandats beim Kreisdirektorium am 1. September sandte Dohm es kommentiert und mit seiner "ersten Idee" versehen nach Berlin. Dohms Kommentierung zeugte nicht nur von seiner Unsicherheit, "wie man die Sache in Berlin nehmen würde", sondern auch von einer ersten vorsichtigen Annäherung an seine künftige, im Spannungsverhältnis zwischen preußischer Machtpolitik, reichsgerichtlichen und damit höchstinstanzlichen Anordnungen und Lütticher Interessen stehenden Rolle in diplomatischen Diensten: Dieser Auftrag ist wohl an sich der gesetzlichen Ordnung ganz gewiß, da das eigenmächtige Verfahren und die gewaltsame Selbsthülfe der Bürgerschaft in Lüttich und anderen Städten des Landes, so gerecht auch immer ihre Beschwerden seyn möchten, ein offenbar gesetzwidriges Unternehmen ist, das wegen der Folgen, die es im ganzen Reich haben könnte, und in hiesigen Gegenden durch den allgemein verbreiteten Geist der Unruhen und des Aufruhrs schon wirklich hat, wohl nicht ohne alle Ahndung bleiben darf.
Rechtliche "Anstände" stünden der Vollziehung nicht im Wege, die Wiedereinsetzung des Fürsten mit militärischen Mitteln und die Aufhebung der "mit allgemeiner Bewilligung" eingeführten neuen Verfassung und Bestrafung der Aufständischen allerdings sei eine Sache "von sehr weit reichenden Folgen". Das gesamte Lütticher Land sei bewaffnet, der hartnäckigste Widerstand allenthalben zu erwarten. Ein Abmahnungsschreiben an die jetzige Regierung durch den preußischen Hof 197 Der Kölner Bischof Max Franz betonte in einem am 5. April 1790 an den Mainzer Bischof Erthal verfaßten Schreiben, daß er der "principal moteur de I' assistance constitutionelle" gewesen sei, die dem Lütticher Bischof durch den Kreis zuteil werden sollte (vgl. Lüdtke, Preußen und Frankreich, S. 89, Anm. 1). Das Reichskammergericht stellte dar, daß es "per famam publicam neutiquam negandam" über die Ereignisse in Lüttich informiert worden sei und entsprechend reagiert habe (Neve, Die Lütticher Revolution vor dem Reichskamrnergericht, S. 25). Härter, Soziale Unruhen und Revolutionsabwehr, S.54-55, kann nach Einsicht der Akten nachweisen, daß das Verfahren durch den Agenten des Lütticher Bischofs von Zwierlein eingeleitet worden war, der am 21. August per Supplik eine Anzeige vorgebracht hatte.
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könne die Grundlage für einen Vergleich sein und dem Land eine verbesserte Verfassung, "der es durchaus bedarf", geben. "Ein solcher unter E.K.M. Theilnehmung bewirkter Vergleich würde dann auch in politischer Rücksicht sehr wichtig und die beste Gelegenheit seyn, das Hochstift Lüttich einmal für immer der französischen Dependenz zu entziehen."198 Den Rahmen seiner Argumentation konstruierte Dohm zunächst also vor allem aus der Außenwirkung des preußischen Verhaltens in der öffentlichen Meinung des Reichs. Das offenkundig rechtswidrige Verhalten der Lütticher Aufständischen stellte er als Gefahrenquelle für das gesamte Reich heraus, zugleich machte er den französischen Einfluß auf das Lütticher Land geltend. Wenn Preußen hier als alleiniger Mediator einen Krisenherd entschärfen könnte, wäre ihm die Rolle eines Ruhestifters im Reich zugekommen. Mit der Rückgewinnung Lüttichs unter deutschen Einfluß wäre damit zugleich das Bild einer ordnungschaffenden Macht - wenn möglich noch durch die öffentlich sichtbare Wiederbelebung des Fürstenbundes durch die Einbeziehung Lüttichs - nach außen verbunden und vor allem nach der verpatzten Koadjutoriebesetzung von 1788 eine zweite Chance für preußischen Einfluß auf das Fürstbistum Lüttich gewonnen. Unter Einsparung aller aufwendigen, d. h. vor allem militärischen Mittel, propagierte Dohm die Neugestaltung der verfassungsrechtlichen Grundlagen Lüttichs, also eine Übertragung seiner für die Reichsstadt Aachen bestimmten Tätigkeit auf das Fürstbistum. Damit war nicht nur ein erster vorsichtiger Vorstoß in Richtung auf seine eigene Rolle im Lütticher Konflikt gemacht, sondern auch eine Begründung für das umsichtige Verhalten gegenüber den Anführern der revolutionären Unruhen gegeben: Sie waren in ihrer Quantität und der Vehemenz ihrer Kritik an den bestehenden Zuständen neben dem Landesherren die entscheidenden Kooperationspartner bei der avisierten, auf langfristige Ruhe angelegten Konfliktbewältigung im Lütticher Land. Die projizierte herausragende Rolle Preußens bei der Konfliktregelung wurde im übrigen von der Seite des Lütticher Bischofs nicht anders gesehen. Dessen Agent beim Reichskammergericht Zwierlein äußerte sich bereits im September in einem Brief, daß die Exekution für das Lütticher Land zwar ein Unglück sei, die Anarchie aber ein noch viel größeres. "Tout depend des resolutions de la cour de Berlin."I99 Die Ereignisse in Lüttich kamen für die preußische Diplomatie nicht vollkommen unerwartet. Schon am 30. Juli hatte Dohm, einer Eintragung im Kopialbuch zufolge, auf die besonders prekäre Situation in Lüttich in einer Meldung nach Berlin hingewiesen. Bezugnehmend auf die Auseinandersetzungen in Spa und die gerade erfolgte Entsendung von fürstbischöflichen Soldaten dorthin formulierte er seine Sorge, daß, "wenn nicht bald eine befriedigende Entscheidung erfolgt", dies für Lüttich 198 Bericht Dohrns vom 3. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 3 (Copialbuch Dohrns), BI.19r.-20r. 199 Zwierlein an Philippe de Limbourg, 12. September 1789. Lettres et Memoires, S.34-35.
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"einen völligen Aufstand und anarchische Verwirrung zur Folge haben" werde. 2°O In Berlin reagierte man zunächst nur auf die Meldung von den Brabanter Unruhen und forderte Dohm auf, regelmäßige Nachrichten über die Ereignisse in den Niederlanden anzufertigen. 201 Am 4. August warnte Dohm erneut vor den immer stärker anschwellenden Unruhen in den westlich von Aachen gelegenen Gebieten der Niederlande und des Lütticher Landes: Das glückliche Beyspiel der Französischen Revolution machet den Geist der Unruhe überall in hiesiger Gegend, besonders in Lüttich, ganz vorzüglich aber in den Österreichischen Niederlanden, wie das Mißvergnügen allgemein und auf den höchsten Grad gestiegen ist, so rege, daß man die gefährlichsten Folgen besorgte. In Tirlemont und Löwen sind völlige Revolten ausgebrochen, im ersten Ort an 30 Häuser niedergerißen, an beyden mehrere Menschen, sowohl Soldaten als Bürger umgekommen. Auch in Ypem, Tournay, Gent sind gewaltsame Auftritte vorgefallen. Das Gouvernement erläßt die schärftsten Verordnungen, und sendet allenthalben Truppen hin, welche aber kaum hinreichen, um den fast überall ausbrechenden Geist des Aufruhrs wirksam zu wehren. 202
Unter dem Datum des 18. August 1789, dem Tag des Ausbruchs der Lütticher Revolution, vermerkte Dohm in seinem Tagebuch neben einer kurzen Notiz zur morgendlichen Direktorialgesandten-Konferenz auch den privaten Besuch des Grafen Nesselrode 203 , mit dem er eine lebhafte Unterhaltung über die französischen Ereignisse geführt hatte. Die Eintragung schließt mit der beiläufigen Bemerkung, Nesselrode habe berichtet, "was er in Spa gehört, auch [von] den Vorbereitungen der Lütticher, die heute vorgieng."204 Am 20. August machte Dohm die erste Meldung nach 200 Bericht Dohms vom 30. Juli 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 3 (Copialbuch Dohms), BI. 15 r.-16r.; Hansen, Quellen, 1, S. 393, Anm. 3, konstatiert, daß ein Schreiben des kaiserlichen Gesandschaftssekretärs von Komrumpf an den Reichsvizekanzler Fürst von Colloredo vom 25. Juli 1789 die erste Erwähnung der Französischen Revolution in den Berichten der kaiserlichen Gesandschaft am Rhein enthalte. Etwa ebenso früh hätten Dohm und von Stein (in Mainz) an ihre Regierung berichtet. Nach Hansen rechneten die Regenten am Rhein nicht mit starken Auswirkungen der französischen Vorgänge auf die eigenen Länder. Dohms Mitteilung vom 30. Juli widerlegt das. 201 Reskript vom 8. August 1789 (Eingang am 13. August 1789), Pr.G.St.A. Rep. 92, Dohm I, 3 (Copialbuch Dohms), BI. 16v.-17 r. Zu den Unruhen in Brabant vgI.: Vetter, Die Brabanter Revolution; Roegiers, Der Umsturz in Brabant; Koll, Die belgisehe Nation. Im Juli 1789 war noch im Zusammenhang mit der Spaer Spielbankaffäre in Wetzlar die Frage nach einer möglichen Beeinflussung, wenn nicht gar Vereinigung zwischen den Brabanter Aufständischen und der Lütticher Protestpartei aufgetaucht. VgI. dazu Chestret an Fabry, 8. Juli 1789, Papier de Chestret, 1, S. 361. 202 Bericht Dohms vom 4. August 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, Bl.10r. und v. VgI. auch Meyring, Politische Weltweisheit, S.142, die konstatiert, daß es nur deswegen möglich gewesen sei, in Preußen die Französische Revolution zu loben, weil Preußen als der "empirische Beweis für die Möglichkeit einer Verwirklichung der philosophischen Konzeption des aufgeklärten Staates" von den Aufklärern gesehen worden sei. 203 Es wird sich hier um den Münsteraner und Lütticher Dornherrn gehandelt haben. V gI. Kapitel B. 11. 1. in dieser Arbeit. 204 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 18. August 1789.
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Berlin, daß "Meine Vennuthung, daß die unruhigen Lütticher durch das Pariser Beyspiel noch zu ernstlichen Thätigkeiten erhitzet werden könnten, [... ] sehr bald erfüllt worden" sei. 205 Mit der Übennittlung des reichskammergerichtlichen Mandats Anfang September war eine intensive Beschäftigung mit den Lütticher Ereignissen nicht nur der preußischen Regierung durch höchstrichterliche Anweisung diktiert, sondern auch Dohms Arbeitsfeld um eine gehörige neue Aufgabe erweitert. Ich früh arn Bericht wegen der Lütticher Sache gearbeitet, die mir viel Mühe kostete, da ich nicht wußte, wie man die Sache in Berlin nehme, um [sie] auf alle Fälle viele Schwierigkeiten sind. Wlf überlegten viel unter uns, wie diese neue Commission mit unsern häuslichen Einrichtungen zu vereinigen. 206
Ahnungsvoll vorausblickend bestimmte Dohm hier die seine Zukunft maßgeblich konstituierenden Komponenten. In der Erkenntnis des zu den aufreibenden Aachener Aufgaben hinzukommenden Arbeitspensums lag zugleich die Sorge um die eigene Position und Rolle, die die preußische Regierung ihm zuerkennen würde, die Unsicherheit, die Komplexität der Ereignisse nicht zureichend erfassen und die Besorgnis, den privaten Verpflichtungen - Dohms Frau Henriette erwartete ein Kind, ein Umzug stand unmittelbar bevor - nicht im gewünschten Maße nachkommen zu können.
In seinem Bericht vom 1. September erwähnte Dohm erstmalig das angebliche Interesse des Bonner Hofes an den Unruhen in Lüttich. Gerüchten zufolge strebe der Kurfürst die Ausnutzung der Situation an, um für sich selbst oder seinen Neffen die Koadjutorie zu erlangen. Die Aufopferungen, wozu die VolksRevolution den Fürsten gezwungen hat, sind so groß, und die Einstimmigkeit aller Stände hierin noch weiter fortzugehen, ist so stark, daß die Parthey der Fürsten nur durch fremden Beystand sich wieder empor zu heben hoffen kann.
Da man sich aber bisher weder an den preußischen König und dessen Alliierte noch an Frankreich, das augenblicklich außer Stande sei, etwas zu tun, gewandt habe, stehe zu befürchten, daß der Wiener Hof als Ansprechpartner herangezogen werde, zumal auch Gerüchte kursierten, der Bischof sei in die Österreichischen Niederlande geflüchtet. Mit der Ankündigung der Zusendung des Reichskammergerichtsmandats und der Bitte, schon jetzt Anweisungen zum weiteren Vorgehen nach Aachen zu senden, endet Dohms Bericht. 207 Bericht Dohms vom 20. August 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, BI. 13r-14r. Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 3. September 1789. 207 Bericht Dohms vom 1. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, BI. 15 r.-16 v.; Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S. 219 ff., nimmt eine Verbindung zwischen Hoensbroeck und Max Franz an, vor allem aufgrund der schnellen Reaktion des Reichskarnmergerichts, die Max Franz ,organisiert' zu haben sich rühmte. Ein konkreter Beleg für diese Beziehung allerdings fehle noch, konstatiert Aretin. Dohm notiert in seinem Tagebuch unter dem 19. September 1789 über seinen ersten Besuch in Lüttich, daß Senfft den Kanzler des Bischofs mit einem Brief konfrontiert habe, aus dessen Inhalt hervorgegangen sei, daß "der Churf. v. Cölln hier durchgekommen u. sich einige Stunden ganz geheim mit ihm, dem Canzler, unterhalten habe". Der Kanzler habe dies ganz abgeleugnet. 205
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Am 31. August trat der Lütticher Landtag zu seiner noch vom Fürstbischof einberufenen Versammlung zusammen. Die preußische Politik in der unmittelbaren Folgezeit war geprägt durch eine zunächst abwartende Haltung, zum einen gegenüber dem genauen Auftrag des Reichskammergerichts, dessen Mandate in Berlin bis Mitte September offiziell noch nicht eingegangen waren, zum anderen gegenüber den Reaktionen der beiden anderen Kreisdirektorialhöfe, deren Pläne zunächst erkundet werden sollten. Zugleich entwickelten der preußische Hof und die preußische Diplomatie das vorrangige Ziel des eigenen Engagements: Nur durch die Erreichung einer alleinigen Mediation Preußens unter weitgehendem Ausschluß von Kurpfalz und Kurköln, und das hieß letztlich auch unter Umgehung des kammergerichtlichen Mandats, waren Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten auf längere Dauer zu erreichen und ein langfristiger Gewinn für die preußische Außen- und Machtpolitik zu erzielen. Darüber hinaus waren sich Dohm, Senfft und Hertzberg einig, daß eine Beilegung des Konflikts nur unter Einbeziehung des Bischofs, mit dessen Zustimmung am besten zu einem Vergleich, durchsetzbar und nach außen vertretbar war. Die Aufrechterhaltung der Ruhe im Lütticher Land mußte notwendige Voraussetzung allen weiteren Vorgehens und von Preußen in jedem Fall mit zu betreiben sein. Peinlich genau achtete Dohm darauf, bei allen direkten Kontakten mit Vertretern der Aufständischen die Verfahrensnormen in der Weise einzuhalten, daß alle drei beteiligten Höfe gleichermaßen informiert und involviert wurden. 208 Nichts durfte darauf hindeuten, daß eine Ausschaltung Max Franz' und earl Theodors von Preußen arrangiert sein könnte, vielmehr mußten alle Bestrebungen dahin gehen, die Lütticher Insurgenten zu einem Hilfsgesuch allein an Preußen zu bewegen. "Vous sentez Vous meme que je ne dois rien ignorer dans la situation actuelle des affaires" , schrieb Dohm an Senfft und bat ihn um ausführliche Informationen so wie ein Treffen auf den 6. September in Belveil. 209 Zugleich weist diese strikte Einhaltung der Regeln auf ein später in Dohms Verteidigungsschrift vorgebrachtes Argument voraus, das die Revolution zwar inhaltlich als gerecht, in der Vorgehensweise aber als ,Formfehler' charakterisiert. 210 Mit Brief vom 14. September mußte Dohm nach Berlin melden, daß eine nach Trier zu Hoensbroeck entsandte Deputation von Delegierten der drei Stände erfolglos zurückgekehrt war. Der Bischof verweigerte seine Rückkehr nach Lüttich und 208 Als etwa durch Schreiben von Fabry eine Erklärung der Aufständischen an Dohm allein übermittelt wurde, bestand Dohm darauf, daß die Note durch alle Stände des Fürstbistums formgerecht unterzeichnet und allen Kreisdirektorialhöfen in Kopie zugestellt werde. Vgl. Bericht Dohms vom 8. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm 1,3 (Copialbuch Dohms), BI. 20 r. und v. und Schreiben Dohms an Fabry vom 8. September 1789, Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1051, Brief 499. Auch als Lütticher Vertreter auf dem Weg nach Wetzlar in Aachen Station machten, ermahnte Dohm sie, ebenfalls die beiden anderen Direktorialvertreter zu konsultieren. Er legte zudem besonderen Wert auf ihren ,,Reces des Etats", also die Vollmacht, die sie als ordentliche Vertreter der Lütticher Stände legitimierte. 209 Anhang zu Dohms Bericht vom 8. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm 1,3 (Copialbuch Dohms), BI. 20v.-21 r. 210 V gl. Kapitel B. VII. 3. in dieser Arbeit.
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jede Fonn der Zusammenarbeit. Fabry und Senfft versah Dohm daraufhin mit Anweisungen, unbedingt für Ruhe in Lüttich Sorge zu tragen. Letzterem trug er auf, sich außerordentlich zurückzuhalten und "Alles zu venneiden, was Ew. Königl. Majestät auf einige Weise compromittiren könnte". Zugleich zeigte Dohm seine persönliche Einschätzung bezüglich der preußischen Handlungsspielräume auf: Seinen Fonnulierungen war einerseits zu entnehmen, daß das reichskammergerichtliche Mandat in seinem jetzigen Wortlaut für ihn Interpretationsspielräume und damit Möglichkeiten zur Abänderung lassen würde, andererseits der Infonnationsverzug seiner Direktorialkollegen, die noch keine Instruktionen ihrer Höfe erhalten hatten, die Chance für Preußen bot, die Handlungsrichtlinien für die Zukunft zu diktieren. Dem Hof in Berlin hielt Dohm die drohende militärische Präsenzpflicht im Falle des diplomatischen Scheiterns vor Augen, die er nach Möglichkeit auszuschließen hoffte, zumal, da sie - und hier vollzog Dohm erstmals einen Perspektivwechsel in seiner Argumentation - das Lütticher Land enonn belasten würde. "Sollte das ReichskammerGericht auf seinem Mandat bestehen, und das KreißDirectorium [... ] die Vollziehung wirklich zu unternehmen sich entschließen", sei dies nur mit einer gehörigen Anzahl von Truppen auf Kosten der Lütticher durchzuführen. Das Vorteilhafteste könne also nur "die gütliche Berichtigung aller obwaltenden Irrungen und Verbeßerung der Constitution" durch den preußischen König sein. Als besonderes Problem allerdings stellte sich die mangelnde Bereitschaft der Lütticher dar, überhaupt um die preußische Mediation zu ersuchen. Mit der Hoffnung, "die Umstände" würden die Situation verändern, dem Ratschlag zuzuwarten und dem Angebot, selbst "die Richtung" für den preußischen König zu geben, schloß Dohm seinen Bericht. 2ll In Berlin sah man die Zusammenführung des Bischofs mit der regierenden Partei als Grundlage für eine dem Reichskammergericht gegenüber zu leistende Überzeugungsarbeit mit dem Ziel der Aufhebung des Mandats. Dohm wurde die Aufgabe zugeteilt, den Ständen ihr gegen Reichskonstitution und Landfriedensordnung gerichtetes Verhalten vor Augen zu führen und sie unter indirekter Androhung eines Truppeneinsatzes zu diesem Eingeständnis gegenüber dem Bischof zu bewegen, dem seinerseits das Zugeständnis der Aufhebung des Edikts von 1684 unter Darstellung der Gefährlichkeit eines militärischen Eingreifens abgerungen werden sollte. Eine preußische Vennittlung könne Dohm nicht nur in Lüttich anbieten, sondern auf entsprechenden Wunsch der Stände sogleich umsetzen. Auf jeden Fall müsse Dohm sich aber unparteiisch zeigen und die ganze Revolution "zu einer beyden Theilen convenabel seyenden Conciliation" bringen, "indem sie so wie in Frankreich geschehen, nicht bestehen noch ausgeführet, noch auch wegen der gefährlichen Folgen geduldet werden kann."212 Vorerst allerdings sollte sich das preußische Handeln im Falle einer Ausweitung der Unruhen auch auf andere Territorien, etwa den Westfälischen und OberrheiniBericht Dohrns vom 14. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, BI. 17r.-18 v. Reskript vom 11. September 1789. Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 3 (Copialbuch Dohms), BI. 22 v.-23 v. 211
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schen Kreis, auf die zusammen mit den beiden anderen Direktorialhöfen gestaltete Abfassung und Verteilung von öffentlichen Erklärungen beschränken, "um einen jeden zur Ruhe zu ermahnen und nachdrücklich Maaßregeln Seitens der KreisDirectorii zu kündigen".213 Auch die Rolle Preußens im Reich und die mit dieser verbundenen Außenwirkung des preußischen Verhaltens in der öffentlichen Rezeption rückte in Berlin durch Hertzberg schnell auf den Plan. Schon am 14. September wurde Dohm darauf hingewiesen: Bey gegenwärtigen Umständen und da wir als Kreis-Director und Chef der Union die Reichsconstitution handhaben müssen, so können Wir Uns anitzt für die Lütticher Stände allein nicht erklären, werden sie aber auch nicht unterdrücken lassen.214
Laufend erhielt Dohm nun in Aachen auch Besuche von Vertretern der Lütticher Revolution. Deren Berichte nach Lüttich und Wetzlar machen deutlich, daß Dohm als aufgeschlossen für die Vorträge der Abgesandten und interessiert an ihren Ideen und Zielvorstellungen empfunden wurde 2l5 , als freundlich, aber dennoch den Revolutionären nicht recht trauend: "Cette Excellence m'a re~u avec une affabilite peu commune aux Allemands, mais de laquelle je n'ai cependant pas cru devoir etre dupe par exces de confiance", schrieb Louis-Joseph de Donceel 216 nach seinem Besuch in Aachen an Chestret. 217 Am 18. September brach Dohm zu seiner ersten Reise nach Lüttich auf. 218 In den ausführlichen Eintragungen in seinem Tagebuch 219 skizziert er seine Vorbereitun213 Reskript vom 14. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 3 (Copialbuch Dohms), BI. 24 v.-25 r. 214 Reskript vom 14. September 1789, Pr.G.St.A. Rep. 92, Dohm I, 3 (Copialbuch Dohms), BI. 24 v.-25 r. 215 So etwa AbM Ista, Kanoniker von St. Gilles, an Chestret, 7. September 1789. Papiers de Chestret, 2, S. 22. 216 Louis-Joseph war der Sohn des lange Zeit in österreichischen Diensten stehenden Oberst Lambert-Joseph de Donceel, der 1790 das Kommando der Lütticher Freiwilligen gegen die Exekutionstruppen übernahm. Er war Mitglied des städtischen Magistrats vom 18. August 1789 und wurde als Deputierter mehrfach zum Kreisdirektorium nach Aachen und zur Konferenz nach Aldengohr geschickt. Nach der Rückkehr Hoensbroechs nach Lüttich verließen Vater und Sohn Lüttich und flohen nach Brüssel (vgl. Papiers de Chestret, Einleitung, S. XXXXII). 217 Louis-Joseph Donceel an Chestret, 31. Oktober 1789, Papiers de Chestret, 2, S.44-45. 218 Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 22, Anm. 6, nimmt nach Studium der Quellen bei Hansen an, daß Dohm bereits Anfang September erstmals in Lüttich gewesen sei. Tatsächlich war Dohm, so die Eintragungen in seinem Tagebuch, am 6. September zu Gesprächen mit Senfft nur nach Belveil gereist. Sein erster Aufenthalt in Lüttich fand vom 18. bis 20. September statt. Während seiner diplomatischen Mission in den Jahren zwischen 1789 und 1791 besuchte Dohm das Fürstbistum Lüttich auf Anweisung der Regierung in Berlin insgesamt viermal. Auf die skizzierte Reise folgten Aufenthalte zwischen dem 25. und 27. März 1790, dem 13. und 15. August sowie dem 10. und 12. Oktober desselben Jahres. 219 Um ein Panorama des Aufenthalts zu zeichnen und die Diktion des Tagebuchs vorzustellen, werden an dieser Stelle einmalig Eintragungen in ihrer Ausführlichkeit zitiert. Das Tage-
III. Der Ausbruch der Revolution
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gen, sein Vorgehen und die beteiligten Gesprächspartner seines ersten Aufenthalts in Lüttich. Freytag den 18ten. Ich wartete noch die Post ab und fuhr um 9 Uhr mit eigenen Pferden nach Batisse ab. Das Wetter kalt. Unterwegs in Bassenge gelesen. Um I Uhr war ich auf der Poststation, wo ich mit einem Paar Reisenden, Mann & Frau, speiste. Dann weiter durch die schönen Gegenden. Eine Stunde von der Stadt kam mir H. v. Senfft schon entgegen zu Pferde & fuhr mit mir in die Stadt, da ich ihm gestern Abend meine Ankunft gemeldet. Wir blieben nur kurze Zeit im WIrthshause & giengen zusammen nach seinem Hause, wo wir uns gegenseitig unsre Rescripte commentirten & er mir Alles erzählte, was ich von dortiger Lage der Sachen nicht wußte. Nach meinem Wunsche kamen die Beyden Bürgermeister Fabry und Chestret mit großen Bändern angethan, so wie alle Menschen itzt Cocarden tragen. Beyde suchten mich von der Gerechtigkeit der Sache, der Einwilligung des Fürsten, der völligen Ruhe & Ordnung, zu überzeugen. Fabry gestand mir in Augenblicken, da Chestret hinausgieng, wie er allein mir über vieles noch anders reden werde, & wie er kaum noch Mittel finde, Alles in Ordnung zu halten und weitere Excesse zu verhüten. Er ist gewiß ein sehr rechtschaffener, nur das gemeine Wohl zur Absicht habender Mann. Chestret blieb zum Souper und brachte mich um 11 Uhr Abends zu Hause. Diese bey den Männer sind die Chefs des Ganzen und ganz ungemein beschäftigt Tag & Nacht. Sonnabend den 19ten. Ich war nach 5 Uhr wach, etwas kopfwehig, im Bett Thee und Caffee getrunken und dabey in Bassenge gelesen und den Gang meiner heutigen Geschäffte überdacht. Nach dem Frisiren ein Briefehen an meine Henriette geschrieben. Dann kam Fabry, weIcher ganz offen über die hiesigen Sachen redte u. mir klagte, daß es ihm kaum möglich sey, die zu weit gehende Hitze der meisten Glieder des Conseils der Stadt und Tiers Etat zurückzuhalten, weIche ganz des französischen Beyspiels nachahmen und statt der drey Stände, deren jeder für sich besteht & als corps votirt, eine Assemblee nationale errichten wollten, auch sogar von gänzlicher Abschaffung des Bischoffs und Stiftung einer unabhängigen Republik sey die Rede. Er Fabry, habe schon mehrmal mit Abdankung gedroht und werde es auch thun, wenn man die Sache zu weit treibe. Aus Allem, was ich von Fabry höre, ist er ein bloß auf das gemeine Wohl gehender Mann, 70 Jahre alt, noch sehr rüstig. Er scheint von NebenAbsichten frey, dagegen die meisten andern ihr & ihrer Freunde PrivatInteresse suchen. Kaum war Fabry weg, so kam Senfft mich zu den Visiten abzuholen, dann Chestret, mit dem wir uns eine halbe Stunde unterhielten. Mit Senfft fuhr ich zuerst zu dem Graf Lannoy, der wichtigsten Person im Adel, weIcher itzt vom Fürsten auf Verlangen des Volks die Stelle des Gr. Majeur erhalten. Ein alter sanfter und vernünftiger Mann, er empfieng mich mit seinem Sohn dem Chef der errichteten NationalMiliz, zu Pferde. Er schien die Idee unserer Mediation zwar auch gern zu hören, doch schien die Idee durch, daß man glaube allein fertig werden zu können. Alle anderen Visiten wurden mit Charten gemacht, da wir Niemand fanden zu Hause zeigte mir Senfft seine Briefe von Feiler, welche einen nahen Ausbruch der Revolution in Brabant vermuthen ließen. Besuch des Canzlers, ein Dohmherr, dieser zeigte bald durch sein Reden, daß er für den Fürst sey, und sagte mir zuerst, wie mir die andren, auch Senfft verschweigen, der Fürst habe der an ihn abgesandten Deputation gerade zu gesagt, er sey zu seiner Einwilligung gezwungen worden. Er hielt auch die Ruhe hier keineswegs sicher und fürchtete die Folgen. Ich erklärte mich gegen ihn meiner Instruction gemäß u. sagte ihm, er könne dem Fürsten melden, daß ich hier gewesen, um mich von der buch befindet sich im Stadtarchiv Regensburg. Für die dortige freundliche Betreuung durch Herrn F. Duschl möchte ich mich ausdrücklich bedanken. 1\*
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wahren Lage der Sachen zu informiren, auch den Auftrag habe, die Mediation des Königs anzunehmen, wenn man sie verlange. [.... ] Zum Mittagessen kamen Graf Geloes, Chestret, Fabry & deren beyde Söhne. Vor Tische noch stark über die Alfairen debatirt. Nach Tisch Besuch vom Grand Ecolatre, dem Dohmherrn, Gr. Outremont, dem Canzler. Mit beyden erstem, die sehr patriotisch, gieng ich wider tief in die Materie herein. Der Canzler sagte, er habe eine Estafette mit der Nachricht meines Hierseyns an den Fürst geschickt und bezeugte noch sehr viel Unruhe. Mit Senfft in die Comödie von einer KinderTruppe die recht gut ist. Gr. Geloes kam bald in unsre Loge und redte mir Viel vor über die Affairen, bezeugte auch wie er wünsche, als Deputirter der Stände an mich u. das Kr. Direct. nach Aachen gesandt zu werden. [... ] Chestret kam auch noch in die Loge. Die Comödie schloß mit Lobgesang des Conseil de ville. [... ] Sonntag den 20ten. Früh morgens Senfft bey mir, dann Fabry & mit ihm Graf Geloes, mit denen ich dann den Plan der Behandlung des Geschäfts und Absendung einer Deputation der Stände hierher wo möglich gegen Mittwoch abredte. [... ] Um 3 Uhr war ich in Herve, wo ich ein Billet des Fabry an Le Brun, Verfasser der Zeitung schickte, der dann sogleich zu mir kam. Ich unterhielt mich wohl ein Stündchen mit ihm u. fand einen sehr fähigen Mann, der besonders eifrige Grundsätze von politischer Freyheit äusserte. [... f20
Ausführlich berichtete Dohm nach seiner Rückkehr nach Aachen am 20. September über die Ereignisse und Gespräche und stellte seine Vorschläge für das weitere Vorgehen Preußens vor: Nur wegen der gänzlichen Aufhebung aller Auflagen sei im Moment noch die Ruhe in Lüttich aufrechtzuerhalten, mit ihrer Instabilität aber und dem Aufbrechen neuer Unruhen sei durchaus zu rechnen. Von zwei Seiten drohe der jetzigen Obrigkeit Gefahr: durch heimliche Anhänger des Fürsten zum einen, zum anderen durch die im Tiers Etat überlegene radikale Partei. Deren Ziel sei die Loslösung Lüttichs vom Reich, die Umwandlung in eine Republik und möglicherweise die Vereinigung mit Brabant. Ein etwas gemäßigterer Flügel strebe doch zumindest die Umwandlung der Ständeversammlung in eine Assemblee nationale nach französischem Vorbild an. Der Bischof solle in diesem Modell nur noch die Exekutive übernehmen können. Die abschließende Bewertung des Tiers Etat fiel sehr negativ und durch die Besorgnis ergänzt aus, daß, so jedenfalls schien es Dohm, nur "der einzige wirklich redliche und patriotische Fabry" sich in den Schranken der Mäßigkeit halte, alle übrigen Mitglieder aber eine mehr oder weniger neue Ordnung der Dinge "zu Durchsetzung ihrer PrivatAbsichten" einzuführen wünschten. Auch in den zweimal täglich stattfindenden Versammlungen gehe es "tumultuarisch" zu, diese Menschen seien ständig beschäftigt, zu sehr, um ihre Situation zu reflektieren und "weise Entschlüße" zu fassen. Dohm habe deshalb betont, daß die jetzige Revolution "nicht zu justificiren" sei, da die Wahl des Magistrats nur per Akklamation erfolgt und die Zustimmung des Bischofs nicht von dem Verdacht frei sei, erzwungen worden zu sein. "Da solche eigenmächtige Selbsthülfe und Gewalt am deutschen Reich nicht geduldet werden könne", sei gegen den rechtlichen Grund des Reichskammergerichts nichts einzuwenden. 220
Dohm, Tagebuch, Einträge vom 18., 19. und 20. September 1789.
III. Der Ausbruch der Revolution
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Als Resultat seiner Bemühungen stellte Dohm die Entsendung einer Deputatschaft aus gemäßigten Patrioten vor, die ihn in Aachen mit dem Ersuchen um alleinige preußische Vermittlung aufsuchen wollten. Senfft werde weitere geheime Gespräche vor Ort führen, um nicht den Eindruck eines preußischen Drängens aufkommen zu lassen. Schließlich riet Dohm der preußischen Regierung zu einem Vorgehen, das dem in der Bückeburger Affäre gleichkommen sollte. Statt der sofortigen Durchführung der Exekution könne die Simulation des Ernstfalls durchgeführt werden, die in der Erlassung eines gemeinsamen Dehortatoriums bestehen könne, dessen Wirkung im besten und erhofften Fall die Einschüchterung der Lütticher und ihr Ersuchen nach dem Eintreten Preußens als Schutzmacht sei, in der Hoffnung freilich, daß diese das Mandat niemals übernehmen müsse. 221 Neben die abwartende und die Eigendynamik revolutionärer Wirren verkennende Verzögerung endgültiger Entscheidungen trat mit dieser Konzeption zugleich noch die Aussicht auf eine risikoreiche diplomatisch-militärische Aktion mit ungewissem Ausgang hinzu. Das bedeutete letztlich, daß Preußen unter (simulierter) Aufwendung militärischer Machtmittel die höchstrichterliche Entscheidung einer durch die Reichsverfassung garantierten, Reichsrecht schützenden Institution zu umgehen suchte und zugleich über die Vorgabe eines militärischen Einschreitens politische Einflußnahme auf das Reichskammergericht auszuüben bestrebt war. Die Vorlage für dieses Vorgehen hatte Dohm geliefert, von Hertzberg wurde sie in späteren Reskripten wieder aufgegriffen.
2. Die Reaktion der involvierten Mächte In seinem Bericht vom 24. September 1789 skizzierte Dohm das intendierte Vorgehen der beiden anderen Direktorialhöfe. Beide Gesandte hatten mittlerweile erste Anweisungen von ihren Dienstherren erhalten und in mündlichen Erklärungen auf der Durchführung des reichskammergerichtlichen Mandats bestanden. Kurköln wünschte ein gemeinsames Dehortatorium der Direktoren an die Anführer der Revolution, quasi als letzte Chance vor der wortwörtlichen Durchführung des Mandats, Kurpfalz intendierte, ein "warnendes Exempel" zu statuieren. Dohm seinerseits präferierte die Erlassung eines gemeinsamen Dehortatoriums, vor allem um von dem Verdacht abzulenken, die Insurgenten würden Preußen "begünstigen". Sollte die Nachsuchung einer Mediation durch die Stände an Preußen erfolgen, wollte Dohm sofort handeln: Die Punkte, die die Stände vom Fürsten bewilligt wünschten, würde er diesem übermitteln, den anderen beiden Direktorialgesandten die Notwendigkeit dieses Vorgehens mit der drohenden Gefahr von revolutionären Exzessen begründen. Dies war umso leichter vorzubringen, als Senfft Dohm von der "unordentlichen Art" der Beratschlagungen der Stände und der Zerstrittenheit des Tiers-Etat berichtet hatte und weil der Strom nach Lüttich geflüchteter Brabanter 221
Bericht Dohms vom 21. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, BI. 19 r.-24r.
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den Ausbruch der dortigen Revolution dem preußischen Residenten immer wahrscheinlicher machte. 222 In Berlin zeigte man sich indeß beunruhigt über die Nachrichten aus dem Haag, die eine Trennung zwischen den ersten beiden und dem Dritten Stand übermittelten. Geradezu verärgert war man vor allem aber darüber, daß Senfft über diese Ereignisse nichts gemeldet hatte. Aufgrund der Umstände könne man sich nun nicht entschließen, "die Mediation so schlechthin von einem Theil anzunehmen". Man erwarte in Zukunft jedoch zuverlässige Berichte von vor Ort. Als abschließendes Resume wurde Dohm mitgeteilt: "Die Sachen sind überhaupt noch nicht reif genug, daß wir einen entscheidenden Entschluß darüber nehmen könnten."223 Aus Holland hatte Dohm Nachricht erhalten, daß die Generalstaaten an der Mediation teilzunehmen wünschten. Dohm stand diesem Angebot ausgesprochen skeptisch gegenüber. Sicherlich, berichtete er nach Berlin, seien die beiden anderen Direktorialmächte nicht einverstanden, außerdem könnten auf diese Weise auch die beiden anderen Nachbarn Lüttichs, Frankreich und das Haus Österreich, auf den Plan gerufen werden und ähnliche Einmischung vornehmen wollen. Erst wenn Pfalz und Köln ausgeschlossen seien, könne sich eine Mitwirkung Hollands als "vielleicht nicht übel" erweisen, vorerst jedoch wollte er dem preußischen Gesandten Renfner mitteilen, die Republik solle ihren Wunsch noch zurückhalten. 224 Mit Bericht vom 28. September 1789 teilte Dohm zudem mit, daß sich in Lüttich nunmehr zwei Parteien gebildet hätten, die eine bestehend aus Kapitel, Ritterschaft und "Wohlgesinnten" des Tiers-Etat, die die Herstellung der alten Kapitulation von vor 1684 wünsche, die andere, die sich aus "erhitzten Köpfen" des Dritten Standes zusammensetze und die gänzliche Neuordnung der bestehenden Verfassung im Sinne einer Abschaffung des Bischofs und der drei Stände intendiere. Einer geplanten Lütticher Deputation nach Berlin habe er widerraten, es habe sich hier um eine Idee des ersten Augenblicks gehandelt, ebenso wie auch aus einem spontanen Impuls heraus der Gedanke an eine Gesandtschaft nach Versailles entstanden sei. 225 Am 4. Oktober erhielt Dohm ein am 29. September durch königlichen "SpecialBefehl" erlassenens Reskript. Darin teilte Friedrich Wilhelm 11. durch Finckenstein und Hertzberg seine Zufriedenheit über Dohms Arbeit in Lüttich mit, vertröstete ihn allerdings bezüglich genauerer Anweisungen auf seine Rückkehr aus Rheinsberg, wo er sich zu dieser Zeit aufhielt. 226 Sollte allerdings eine alleinige preußische 222 Bericht Dohms vom 24. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 1660, BI. 27 r.-30v. 223 Reskript vom 2l. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 3 (Copialbuch Dohms),
BI. 35 r.-36 v. 224 Bericht Dohms vom l. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 1660, BI. 39r.-40v. 225 Bericht Dohms vom 28. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 1660, BI. 32r.-33 v. 226 Aus Hertzbergs Akademiereden zum königlichen Geburtstag läßt sich das Itinerar für Friedrich Wilhelm 11. für die Jahre 1788/89 rekonstruieren: Danach weilte der König vom 14. August bis zum Ende des Monats 1788 in Schlesien, um die Armeerevuen vorzunehmen,
ill. Der Ausbruch der Revolution
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Mediation nicht möglich sein, habe zuerst die Ausgabe eines Dehortatoriums aller drei Direktoren zu erfolgen, anschließend die Exekution "wie in der Bückeburgschen Sache". Auf keinen Fall könne Preußen zugeben, daß der Tiers-Etat in Lüttich "auf französische Art" verfahre und sich vom Deutschen Reich abwende. Dohm solle den anderen beiden Gesandten klar machen, daß Preußen die rechtmäßige Konstitution Lüttichs erhalten, "zugleich aber auch dieselbe auf einem dem wahren Wohl des Landes angemessenen Fuß wieder her[zu]stellen suchen"227wolle. Zeitgleich reisten am Abend des 4. Oktober Ständevertreter aus Lüttich in Aachen an: Charles Graf Geloes 228 als Gesandter des Kapitels, lean-Louis-Bernard Graf Berlaymont229 für den Etat Noble und Henri-Gerard Bailly (1746-1813)230 für den Tiers Etat. 231 Dohm war in seinem Vorgehen durch Berlin zunächst wenig eingeschränkt. Hin und hergerissen zwischen der Chance einerseits, die das reichskammergerichtlich vorgeschriebene Eingreifen Preußen bieten mochte und dem möglichen hohen finanziellen Aufwand sowie dem öffentlichen Schaden, den ein Mißlingen für das preußische ,Image' im Reich andererseits bringen konnte, war es ab Ende September vorrangiges Ziel der preußischen Außenpolitik, wie Hertzberg im Namen des Königs an Senfft formulierte, freie Hand zu behalten, um den Umständen entsprechend agieren zu können. 232 Dazu wurde mit fortschreitenden Überlegungen eine aus zwei unabhängig voneinander entwickelten Vorgehensweisen sich zusammensetzende Strategie vorgegeben: Gezielte Informationen an die Öffentlichkeit in Form VOn Publikationen in Zeitungen (Dohm wurde mit deren Erstellung Anfang im Herbst, Winter und Frühjahr des folgenden Jahres teils in Potsdam, teils in Berlin, Ende Mai bis Mitte Juni 1789 zu Truppenrevuen in Magdeburg, der Neumark und Pommern. Im Juli und August war Friedrich Wilhe1ms Schwester Wilhelmine, die Prinzessin von Oranien, mit ihrer Familie zu Besuch, im September fuhr der König wieder nach Schlesien, wo er sich zum Zeitpunkt der Rede Hertzbergs am 1. Oktober 1789 noch aufhielt (Hertzberg, Abhandlung über das dritte Jahr der Regierung Königs Friedrich Wilhelm 11., S. 17). 227 Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm 1,3 (Copialbuch Dohms), BI. 39 v.-40r. 228 Geloes (1741-1791) war der Neffe des amtierenden Fürstbischofs Hoensbroeck. Er war seit 1759 Stiftsherr von St. Lambert in Lüttich, außerdem Erzdiakon von Brabant. Er stellte sich weitgehend positiv zu den Forderungen der gemäßigten Revolutionäre und hoffte, die Nachfolge seines Onkels antreten zu können (vgl. Lettres et Memoires, S.202, Anrn.2). 229 Berlaymont schloß sich als Mitglied des Zweiten Standes den Aufständischen an, war Gesandter des Etat-Noble in Wetzlar, in Aldengohr, Berlin und Frankfurt. 1790 strebte er an, gegen den Prinz von Rohan Regent zu werden. Nach der Rückkehr Hoensbroecks gehörte er zu den Verfolgten (vgl. Lettres et Memoires, S. 75, Anm.3). 230 Bailly war Anwalt und Mitglied des Gerichts der XXII. Nach Ausbruch der Revolution ersetzte er Freron als Generalstaatsanwalt. Vgl. Einleitung der Papiers de Chestret, I, S. XXIIIXXIV. 231 Vgl. Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 4. Oktober 1789. 232 Reskript vom 21. September 1789 an Senfft, Pr.G.St.A. Rep.l1, 152c 11, Nr.l, BI. 92r. und v.: "Dans cette situation de l'affaire vous n'avez pas besoin d'empecher que les Etats de Liege recherchent ma mediation; mais vous ne deves pas aussi assurer d' avance, afin que Je garde les mains libres d'agir selon les circonstances, pour accepter la mediation ou l'execution." (BI. 92r.).
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Oktober, wenn auch noch vage, beauftrage33) sollten einhergehen mit der Vermeidung jeglichen öffentlichen Auftretens für die Aufständischen, jeglicher "sensation inutile".234 In seinen Briefen an den König erwies Hertzberg sich als insgesamt zunehmend skeptisch gegenüber der Möglichkeit eines erfolgreichen Vorgehens Preußens. Noch Anfang September betonte er dem König gegenüber die preußenfreundliche Gesinnung des Lütticher Bürgermeisters Fabry und stellte ihn als einen ihm, Hertzberg, lange schon bekannten Ansprechpartner Preußens in Lüttich vor. Die Zerstörung der Zitadelle hielt Hertzberg als Präventivmaßnahme gegen den Einmarsch und die anschließende Besetzung der Stadt Lüttich durch auswärtige Mächte, etwa Frankreich, für eine notwendige, von Preußen zu unterstützende Maßnahme. 235 Bereits eine Woche später aber legte er dem König auch die Probleme eines preußischen Eingreifens in Lüttich dar: Cet incident est tres embarassant. On ne sauroit disconvenir, que I' arret emane de la Chambre Imp.le est constitutionel et conforme aux loix de I'Empire, parceque la revolution faite par le peuple de Liege est une violation de la paix publique de I 'Empire, que le Directeur du cercle doit maintenir. Les Co-Directeurs, l'Electeur de Cologne comrne Eveque de Munster et I'Electeur Palatin comme Duc de Juliers opineront apparemment pour executer I'arret de la Chambre de Wetzlar et sommeront V. M. d'y concourir, aqu' elle ne pourra pas refuser publiquement. D 'un autre cöte il n' est pas de I' interet de V. M. de subjuger le peuple ou les presents Etats de Liege, il seroit meme difficile de le faire, et il faudroit y envoyer 101m hommes de bonnes trouppes pour soumettre une nation aussi nombreuse [... ]. 236
Grundsätzlich zielte das preußische Engagement in Lüttich - in Anlehnung an die vorangegangenen Bemühungen - auf eine langfristige preußische Einflußnahme: zum einen in Form einer möglichen Besetzung des Koadjutorpostens in Lüttich und zum anderen durch den Beitritt Lüttichs zum Fürstenbund. Daneben standen kurzfristige Maßnahmen etwa im Sinne der Betreibung der Aufhebung des Regiment Royal Liegeois und der Zerstörung der Lütticher Zitadelle, um die französische Ein233Reskript vom 9. Oktober 1789 an Dohm, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr. I, BI. I59r.-160r. Dohms Vorschlag einer gemeinsamen Erklärung der drei Kreisdirektoren an alle Stände, sich ruhig zu verhalten und sich aller Gewaltmaßnahmen zu enthalten, wurde besonders goutiert. "Die Declaration könnte wohl am besten durch die Zeitung publiciret u. besonders auch an die Majestäten oder Kreißstände gerichtet werden." Auch im Reskript vom 2. Oktober 1789 an Dohm wurde diese Idee erneut aufgegriffen. Bezüglich der Formulierungen in der intendierten Erklärung hieß es hier: "Wrr haben Euch die Wendung davon nicht vorschreiben können, sondern Eurer Klugheit und Local Kenntniße überlaßen; Ihr werdet aber suchen müßen diese Nachricht sobald als möglich u. allenfalls durch die Zeitungen auszubreiten, damit das falsche Vorurtheil von Unserer Mediation dadurch baldigst wiederleget werde." (Pr.G.St.A. Rep.ll, I52c 11, Nr.I, BI. 176 r.-I77 v.). 234 Reskript vom 21. September 1789 an Dohm, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr. 1, BI. 92r. und v. Die Reise einer Deputation der Lütticher Stände nach Berlin sollte von Dohm verhindert werden, um nicht eine "sensation inutile" im Reich zu provozieren. 235 Bericht Hertzbergs an den König vom 1. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, I52c 11, Nr. 1, BI. 2lr. und v. 236 Bericht Hertzbergs an den König vom 9. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, I52c 11, Nr.l, BI.44r. und v.
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tlußnahme auf Lüttich zu bannen. Hertzberg trug diese Vorgaben bis etwa zu dem Zeitpunkt der Zustellung des reichskammergerichtlichen Mandats in Berlin mit, verfügte dann am 3. September 1789 in einem Brief an Senfft aber in des Königs Namen den vorläufigen Stop aller preußischen Aktivitäten und empfahl eine zurückhaltende und abwartende Haltung. 237 Dem König gegenüber formulierte er am 9. September seine Zweifel bezüglich einzelner preußischer Zielsetzungen. Vor allem den ursprünglich und besonders von Senfft intendierten Beitritt Lüttichs zum Fürstenbund desavouierte Hertzberg: Selon son rapport le Sr. de Senfft a [sic!ll'idee de faire ... I'Etat de Liege a la Ligue Gerrnanique, et de provoquer I'abritage de V.M. seul. Je doute qu'il y reussisse, et qu'il faut attendre, et ensuite les Co-Directeurs n 'y consentiront pas.
Als bestes Mittel zur genaueren Erkundung der Lage wähnte Hertzberg den sofortigen Besuch Dohms in Lüttich und intensive Gespräche mit den beteiligten Parteien vor Ort. 238 An Senfft erging mit Datum vom 11. September die Order, Dohms Anweisungen zu folgen. Der Beitritt zum Fürstenbund sei erst dann zu betreiben, wenn das Lütticher Land in Frieden lebe und festgestellt werden könne, daß die Lütticher Verfassung in Einklang stehe mit dem "Systeme de l'union".239 Als kurzfristiges Ziel der preußischen Einmischung wurde Senfft durch Hertzberg die königliche Anweisung einer Rückführung des Lütticher Fürstbischofs aus Trier nach Lüttich und die Zusammenführung aller Stände mit diesem vorgestellt. Der preußische Agent am Reichskammergericht Hofmann sollte instruiert werden, auch in Wetzlar in diesem Sinne zu intervenieren und dort die alleinige Mediation Preußens in der Weise zu betreiben, daß die Lütticher Deputierten in Wetzlar nicht nur sich öffentlich zur alleinigen Anrufung Preußens erklären, sondern vor allem sich mit dieser Bitte an das Reichskammergericht wenden sollten. Fabry solle wissen, daß Preußen keine Exekution gegen die patriotische Partei anstrebe, mais qu'il falloit qu'il suivent simplement mes conseils, et mes directions, et que surtout, ils s'abstiennet de toute violence et demarche illegale, qu'ils contiennent le peuple, et qu'on n'imite pas a Liege le mauvais exemple de la nation Francoise, ce que Je ne perrnettrai jamais en Allernagne. 240
Nach Möglichkeiten des Vorgehens in Lüttich suchend, geriet die Arbeit der Aachener Direktorial-Kommission ins Visier. Sie wurde sowohl von Fabry als auch vom preußischen Hof als abschreckendes Beispiel zitiert. Die Mitgliedschaft im Fürstenbund und der Abbruch der Zitadelle seien durchaus zu bewerkstelligen, bot Fabry in seinem Schreiben vom 8. September an Hertzberg an, allerdings würde die Reskript vom 5. September 1789 an Senfft, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c II, Nr. I, BI. 30r. Hertzberg an den König, 9. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.l1, 152c II, Nr.l, BI.44r. und v. 239 Reskript vom 11. September 1789 an Senfft, Pr.G.St.A. Rep.l1, 152c II, Nr.l, BI. 48 r. undv. 240 Reskript vom 14. September 1789 an Senfft, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr. 1., BI. 71 r.-72 v. 237 238
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Unruhe wegen der angeblich sich im Anmarsch befindenden preußischen Truppen dies Vorhaben durchaus erschweren. Wie kein anderer sei Senfft geeignet, sich der Sache anzunehmen, während: ,,L'exemple d' Aix-La-Chapelle effraie: cette ville ruinee offre une terrible perspective a La notre; nous risquerons tout pour L'eviter."241 Die dringende Bitte des preußischen Hofes an Hofmann, auch in Wetzlar die alleinige preußische Mediation voranzutreiben, erfuhr ihre Begründung im gleichen Tenor: "Es würde gut seyn, wenn Ihr es dahin bringen köntet, daß diese Commission Uns allein aufgetragen würde, weil aus der allgemeinen Erfahrung zu ersehen ist, daß bey dem gesammten Creyß Directorio sie so kostbar als langwierig und zulezt fruchtlos ausfallen würde wie selbst die Erfahrung von der Aachenschen Commission anjetzo zeiget. "242 Eine klare und engagierte Position für die Lütticher Aufständischen bezog allein der Agent am Reichskammergericht Hofmann. Er verteidigte vehement das Vorgehen der Revolutionäre gegenüber dem Berliner Hof. Schon unmittelbar nach Ausbruch der Unruhen hatte er sich demonstrativ auf die Seite der Revolutionäre gestellt. Dergleichen Auftritte waren seit einiger Zeit vorauszusehen, da der Herr Fürstbischof, der zwar selbst ein gutmüthiger und würdiger Herr ist, sich von einem Conseil und besonders der ihm verwandten Familie Mean leiten läßt, die ihm violente Rathschläge an Hand geben und das Lüttichsehe Volck gegen das Genie dieses Volcks beherrschen, auch nicht immer auf die großen Vorzüge und Freyheiten, die es nach seiner Constitution und Verfaßung hat, gehörige Rücksicht zu nehmen. 243
Seine prorevolutionäre Argumentation stützte Hofmann vor allem auf die Betonung einer verfassungsrechtlichen und mentalitäts bezogenen Sonderrolle, die er dem Lütticher Volk zuschrieb. Nach dem gewöhnlichen Maaßstabe andrer deutscher Unterthanen können die Lütticher, welche ihre besondere Verfaßung und große Privilegien haben, nicht beurtheilt werden und es würde zu dermaligen Extremitäten wol nicht gekommen seyn, wenn das Conseil des Herrn Bischofs bessere Aufmerksamkeit darauf gelenkt hätte. 244 Das Lüttichsehe Volck, ein Theil des ehemaligen Reiches von Austrasien und Burgund, ist auf seine Rechte und Freyheiten sehr eifersüchtig und durch die Vorgänge in dem benachbarten Frankreich und in den österreichsehen Niederlanden erhitzt. 245
Aus dieser Argumentation heraus schloß Hofmann auf die zwar in der Form widerrechtliche, von der Sache her aber verständliche, ja, in ihren Bemühungen sogar "beyfallswürdige" Vorgehensweise der Revolutionäre. Voller Vertrauen war er in Bericht Senffts vom 8. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.I., BI. 79 r.-80v. Reskript an Hofmann vom 15. September 1789, Pr.G.St.A. Rep.11, 152c 11, Nr.l, BI. 84r. und v. 243 Bericht Hofmanns vom 22. August 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.l, BI. 11 r.-12r. 244 Bericht Hofmanns vom 29. August 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.l, BI. 82 r.-83r. 245 Bericht Hofmanns vom 8. September 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr. 1, BI. 40r.-43v. 24\
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m. Der Ausbruch der Revolution
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das gute Gelingen des noch vom Bischof einberufenen und nun in vollem Gange befindlichen Landtags: Man will die vertrag- und gesezmäßige Landesverfaßung und Freyheit wieder herstellen, die in abominable Verwirrung und grenzenlose Sportelnsucht versunckene Justiz, besonders den richterlichen Despotismus des bloß von den Wincken des Hofes abhängenden Officials zu Lüttich reformiren und die Steuern und Abgaben, wovon die geringe Volksc1aße fast unterdrückt wird und wozu der übermäßig reiche und begütherte Clerus Nichts beyträgt, in Ordnung und Gleichheit bringen. 246
In reger Korrespondenz mit den Revolutionären stand Hofmanns Sohn 247 , der von Wetzlar aus Informationen an Chestret oder andere Revolutionäre in Lüttich weitergab, ausdrücklich sich zur Revolution bekannte und zum Teil ohne Wissen des Vaters Handlungsvorschläge machte: "Je vous supplie, Monsieur, de ne pas oublier que ce sont des secrets que je vous ai ecrits dans mes precedentes, et principallement dans celle-ci; au moins que I' auteur est inconnu ... 248 Die Verantwortung, Entscheidungen über das weitere Vorgehen zu treffen, lastete zunehmend auf Dohm allein. Von ihm wurde erwartet, die Schaltstelle zwischen den verschiedenen Parteien in Lüttich, dem preußischen Residenten vor Ort, dem preußischen Gesandten im Haag, den anderen beiden Direktorialhöfen und dem Berliner Hof zu sein, darüber hinaus die Aachener Streitigkeiten zu einer Schlichtung zu führen und alle in Aachen weilenden Reisenden (und das waren in dem beliebten Kurort nicht wenige), die Kontakte zum preußischen Hof wünschten, als dessen Vertreter dort zu empfangen. Dohm suchte Vertraute bei seinen Entscheidungen und fand, so geht aus seinem Tagebuch hervor, vor allem in Johann Friedrich Jacobi, den mit einer Aachener Fabrikantentochter verheirateten Sohn Friedrich Heinrich Jacobis, eine wichtige Stütze. 249 Seinen Aufgaben gemäß hatte Dohm die Grundlinien preußischer Außenpolitik praktisch umzusetzen. Diese aber konnten in der gegebenen Situation nur auf Grundlage seiner Berichte enwickelt werden. Das so entstandene Verhältnis wechselseitiger Bedingtheit wurde zur Chance des Bediensteten für ein selbständiges Handeln. Für Dohm aber - überlastet von der Arbeit in der Kommission zur Beilegung des Aachener Konflikts, mit wenig Hoffnung auf ein Einlenken des Reichskammergerichts - war die Situation in der Lütticher Angelegenheit bereits einen guten Monat nach Ausbruch der Revolution verfahren. Es könne zum jetzigen Zeitpunkt in Lüttich noch gar nicht darauf ankommen, die Verfassung für die Zukunft zu 246 Bericht Hofmanns vom 8. September 1789, Pr.G.St.A., Rep. 11, 152c 11, Nr. 1, BI. 40r.-43v. 247 Vgl. Papiers de Chestret, Einleitung, S.XXIX. Auch Kapitel B.IX. in dieser Arbeit. 248 Hofmann (Sohn) an Chestret, 10. September 1789, Papiers de Chestret, 2, S.23. 249 V gl. etwa Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 24. September 1789: "Bericht über Lüttich, langes Schreiben an Renfner im Haag, Dec1aration deshalb auf das Münstersehe votum, gearbeitet bis spät in die Nacht. Jacobi's bey uns, weil ich ihn gern zur Arbeit mit haben wollte." Eintrag vom 25. September 1789: ,,Jacobi konnte nicht fertig werden. Küster [Dohms Sekretär] mußte auch den Rest machen." Zu Johann Friedrich Jacobi vgl. Kapitel A. V. m.b) dieser Arbeit.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
schaffen, schrieb er am 5. Oktober nach Berlin, "sondern die vorgefallenen eigenmächtigen Thathandlungen zu justificiren" . Darüber hinaus hatte er neue Tumulte in Verviers, Stablo und Malmedy zu vermelden, und auch in Köln und Erke1enz gab es Unruhen. 25O Was seine eigene Person anging, waren die Reaktionen aus Berlin, wie gezeigt, außerordentlich positiv, und mit Zufriedenheit vermerkte Dohm in seinem Tagebuch, daß er derart "approbirt" sich in den Stand gesetzt sehe, mit den Lütticher Gesandten "mit Nachdruck" zu reden. 251 Schließlich berichtete ihm der Legationssekretär Johann Emanue1 Küster 252 von einem Schreiben seines Vaters, eines Predigers, aus Berlin, in dem dieser ein dort kursierendes Gerücht wiedergab: Graf Finckenstein sei im Begriff, sein Amt niederzulegen und, so die Notiz im Tagebuch, "ich werde Minister werden."253
IV. Die Radikalisierung der Positionen 1. Tumulte, Mandate, Ankündigung der Reichsexekution Die abwartende Haltung Preußens, die nach Zustellung des reichskammergerichtlichen Mandats zum Tragen kam, wurde aufgebrochen mit der Radikalisierung der Unruhen in Lüttich. Die unmittelbare Gefahr für Leib und Leben des preußischen Residenten Senfft zwang zur Neuorientierung. In den ersten Oktobertagen sah Dohm sich zunehmend einem kaum mehr zu bewältigenden Arbeitspensum ausgesetzt. "Viel Ueberlegens wie ich es mit aller Arbeit anzufangen, um noch zu der morgenden Post fertig zu werden. [... ] Nach Tische etwas geschlummert, da ich sehr erschöpft", notierte er am 5. Oktober in seinem Tagebuch 254 und obwohl- oder gerade weil- ihn das Berliner Gerücht seiner Beförderung zum Minister für das auswärtige Departement erst unmittelbar erreicht hatte, verfaßte Dohm am Morgen des folgenden Tages einen Bericht nach Berlin, dessen Schlußpassage auf den ersten Blick einer Kapitulationserklärung gleichkam: Ich bin mir bewußt nichts zu versäumen, was von mir abhängt und meinen Pflichten Genüge zu thun. Dieß Bewußtsein und Ew. Excellenz Zufriedenheit mit meinen Bemühungen ist allerdings sehr belohnend. Aber ich gestehe daß diese verwickelten Sachen verbunden mit den 250 Bericht Dohms vom 5. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, Bl.41 r.-46v. Zu den Unruhen im Lütticher Land vgl. Molemans, Oe Luikse Revolutie, der erstmals die Bestände kleinerer (Gemeinde-)Archive für eine Darstellung herangezogen hat. Speziell zu Stablo-Malmedy: Hansotte, Histoire de la Revolution dans la Principaute de Stavelot-Malmedy. 251 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 4. Oktober 1789. 252 Küster war bei seiner auf Dohms Empfehlung erfolgten Ernennung zum Legationssekretär Kandidat der Jurisprudenz. Als Dohm von Mai bis November 1791 eine Erholungsreise in die Schweiz unternahm, vertrat Küster ihn auf seinem Posten als Gesandter. Im April 1793 wurde Küster zum Kriegsrat ernannt und nach Berlin gerufen. Später amtierte er als preußischer Gesandter in München (vgl. dazu Hansen, Quellen, 1, S. 22*). 253 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom l. Oktober 1789. 254 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 5. Oktober 1789.
IV. Die Radikalisierung der Positionen
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hiesigen verdrießlichen Geschäften, welche mir weder Tag noch Nacht Ruhe lassen, fast meine Kräfte übersteigen und ich es in der Lage nicht würde aushalten können. 255 Der Bericht war entstanden unter dem Eindruck des Besuchs der Lütticher Ständevertreter in Aachen und der Erklärung des Kapitels, sich den beiden anderen Ständen bei einer möglichen Bitte an Preußen um alleinige Mediation zu verweigern. 256 Alle Bemühungen, die Mediation ausschließlich zu erhalten, seien vergebens gewesen, begann Dohm seine Darstellung und fuhr fort, daß "es vielleicht so übel nicht" sei, daß die Sache diesen Ausgang genommen und selbst in politischer Rücksicht dürfte es am beBten seyn, ohne weiteren Aufenthalt den Weg der Justiz zu gehen. Die Würde des Königs und der mit so unglaublicher Schnelligkeit um sich greifende Geist des Aufruhrs machen ernstliche Vorkehrungen zu Vollziehung des Wetzlarer Mandats durchaus erforderlich und ich hoffe durch die nächsten Rescripte zu Erlassung des Dehortatorii autorisirt zu werden. Gut sieben Wochen nach Ausbruch der Revolution war es Dohm, der den König aufforderte, sich dem Mandat aus Wetzlar zu beugen und es zu vollstrecken! Gegen diesen Vorschlag setzte er, ihn zugleich wieder einschränkend, die Hoffnung, daß eine militärische Exekution nicht nötig, vielmehr der Anmarsch der Truppen eine Warnung an die Lütticher Bevölkerung sei, präferierte also einmal mehr das ,Bükkeburger Modell': "Die feste Ueberzeugung, worinn sie [die Lütticher] bisher waren, daß sie vom König nichts zu besorgen hätten, hat ihnen allein den Muth des Widerstandes eingeflößt." 257 Kritisch äußerte Dohm sich über Senffts Verhalten. Dessen ,,PrivatGesinnungen" und auch "zu genaue Verbindung mit den Insurgenten" hätten dem Geschäft geschadet. Dohm jedoch sei nunmehr überzeugt, daß Senfft in Zukunft vorsichtiger handeln würde, "und ich wiederhole ihm beständig, wie nothwendig dieselbe [Vorsicht] sey und er keine Hoffnung zu Vermeydung der Execution itzt mehr übrig lassen müsse".258 Die Beurteilung, die Dohm hier über Senfft abgab, scheint sich vor allem aus einem Brief des Lütticher Domherrn Etienne-Joseph de Waseige (1739-1799)259 herzuleiten, den dieser am 2. Oktober an Dohm übermittelt und den wiederum Dohm als Anhang zu seinem Bericht vom 5. Oktober mit nach Berlin gesandt hatte. Darin äußerte Waseige, daß Senfft außerordentlichen Druck ausübe, um die alleinige preußische Mediation zu erreichen, und mit seinem Verhalten die Revolte inso255 Bericht Dohms vom 6. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, l52c 11, Nr.l, BI. 189 r.-190r. 256 Vgl. dazu etwa Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 4. Oktober 1789. 251 Bericht Dohms vom 6. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.l, BI. 189r.-190r. 258 Bericht Dohms vom 6. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.l, BI. 189 r.-190 r. Vgl. dazu Kapitel B. VII. 3. in dieser Arbeit: Dohm versicherte Senfft im September nach dessen Befürchtungen, er werde, da nun Dohm eingesetzt sei, in Berlin "null" werden, dessen "Verdienst" nach Berlin "beBtens" darzustellen. 259 Waseige war Kanoniker von St. Lambert, Berater der Finanzkammer und bevollmächtigter Minister der Bischöfe Velbrück und Hoensbroeck (V gl. Lettres et Memoires, S.70, Anm. 2; außerdem: Eine Charakterisierung Waseiges gibt Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, S.181-182).
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
fern anstifte, als er allzu offen im preußischen Namen gegen den Bischof und das Kapitel und für die Aufständischen auftrete. 260 Senfft gegenüber indessen äußerte Dohm Verständnis für dessen Verhalten: Je comprends bien que vous devez etre fatigue de ces occupations epineuses. Je me trouve dans le meme cas. Quoique accoutume aun travail assidu pourtant celui qui m'opprime actuellement, surpasse presque mes forces; vous n'avez pas d'idees, commentje suis tracasse jour et nuit par ces affaires et celles d'ici. Je suis jusqu'ici assure de n'avoir pas rien neglige et d' avoir rempli tout ce que mon devoir demande. C' est le plus grande satisfaction qu' on puisse avoir en servant I' etat. 261
Waseige selbst traf am 6. Oktober in Aachen ein. Er gesellte sich zu den bereits anwesenden drei Ständevertretern, Geloes für das Kapitel, Berlaymont für den Etat Noble und Bailly für den Tiers Etat, in das Dohmsche Haus. Dohm hatte einige Mühe bei diesem Treffen, das Erstaunen und die offenkundige Verärgerung vor allem Geloes über Waseiges Eintreffen zu zügeln. 262 Bailly war kaum etwas allein bey mir, so ließ sich Waseige melden. Da Bailly nichts dagegen, ließ ich ihn hereinkommen. Beyde waren anfangs ziemlich kalt gegeneinander, besonders W. Ich suchte sie zu nähern & brachte sie in das Gespräch über die Affairen. Gr. Berlaiment kam auch wider & das Gespräch gieng ziemlich fort, da ich abwechselnd herausgieng. W. welcher den beyden andern an Kopf überlegen, trieb sie ziemlich in die Enge und sagte ihnen einige harte Sachen. Endlich kam Gr. Geloes, dieser zeigte sich sehr stutzig über des Waseige Anblick, wollte durchaus sich auf Affairen nicht einlassen, obgleich ich es ein paarmal anfieng. Er redte heimlich mit den beyden andern ihnen zu verweisen, daß sie sich mit W. eingelassen. Dieß gab eine üble Stimmung, wir mußten von andern Dingen reden. Ich war in Verlegenhiet, ob ich W. auch zum Souper behalten sollte oder nicht? Er blieb bis 9 Uhr, da er Miene machte, fortzugehn und ich das beßte hielt ihn zu bitten, obgleich Geloes keine gute Miene datzu machte. Bey Tische hatten wir auch [... ] Jacobi, es war durch Geloes etwas peinlich, indeß mißfiel sein Betragen allgemein & Waseige betrug sich sehr gut. Beym Weggehn bot erster doch letzerem noch eine Stelle in seinem Wagen, welche er annahm. 263
Waseige warnte Dohm am nächsten Tag vor neuen Unruhen in Lüttich. Unmittelbar nach seiner Abreise traf bereits ein Bedienter Senffts aus Lüttich ein und meldete einen neuen Aufstand gegen den Magistrat, bei dem Fabry, Chestret und Senfft um ihr Leben zu fürchten hatten. 264 Am 8. Oktober informierte Dohm in der Konferenz 260 Lettre de Mr. de Waseige a Mr. de Dohm, 2. Oktober 1789, in Abschrift: Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.l, BI. 170r.-17lr. 261 Brief Dohms an Senfft, 6. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm 1,3 (Copialbuch), BI. 46r.-47r. 262 Die beiden Kanoniker waren in ihren politischen Einstellungen zur Revolution gegensätzlich. Wahrend Geloes sich, wie beschrieben (Kapitel B. III. in dieser Arbeit), auf die Seite der gemäßigten Revolutionäre stellte, warf Waseige Preußen vor, es wolle die "fruits de la revolution" ernten und vertrat die Auffassung, nur die Wahl des Kölner Kurfürsten zum Koadjutor könne die Situation in Lüttich noch retten (vgl. dazu Brief Dohms an Senfft, 6. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 3 [Copialbuch], BI. 46r.-47 r.). 263 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 6. Oktober 1789. 264 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 7. Oktober 1789.
IV. Die Radikalisierung der Positionen
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die beiden anderen Direktorialgesandten, die der Abfassung eines gemeinsamen Dehortatoriums, so wie es vom preußischen König Dohm vorgegeben war, zustimmten. 265 Über "den Geldpunct" und den Abgang der Truppen gab es anschließend heftige Auseinandersetzungen. 266 Zugleich informierte Dohm den preußischen Hof über die Tumulte in allen Teilen des Lütticher Landes und den angeblichen Plan eines konstitutionswidrigen, aus Vertretern der kleinen Städte sich zusammensetzenden Kongresses, ein eigenes, aus 1800 Mann bestehendes Regiment aufzustellen. 267 Mit Senfft, der zusammen mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter Lüttich aus Sicherheitsgründen zu verlassen im Begriff war, traf Dohm sich in Herve, um dessen Bericht nach Berlin abzusprechen. 268 Senffts Ausführungen waren im wesentlichen nach den Vorgaben Dohms gestaltet269 und stellten besonders auf die bedrohliche Situation für den preußischen Residenten in Lüttich ab: Am 7. Oktober seien Einwohner des Vororts St. Giles mit mehr als 1000 Bewaffneten in die Stadt Lüttich eingedrungen, um vom Magistrat die Erlaubnis zu erpressen, Armenbillets zu verkaufen. Fabry und Chestret hatten die Massen nur beruhigen können, indem sie ihren Forderungen nachgaben. Senfft sei in den allgemeinen Tumult geraten. Die Angreifer hätten ausdrücklich seinen Namen genannt und geschrien, "qu'ils en vouloient principalement au Ministre de Prusse". Der Magistrat habe Senfft durch Offiziere Geleitschutz erteilt und sich entschuldigt für die Zwischenfälle, Senfft aber habe dieses Verfahren nicht akzeptiert, sondern ausdrücklich Ordnung und sofortige Suche nach den Schuldigen gefordert. Vier verdächtige Personen seien daraufhin vom Magistrat festgenommen worden. "C' est n' est que par la force qu' on pourra sau ver ce pais", resultierte Senfft schließlich und spekulierte, daß eine Zahl von etwa 10.000 Infan265 Bericht Greins an den Münchner Hof vom 8. Oktober 1789, HStA Düsseldorf, NWK I Lit L24 11, BI. 56r.-57 V.; Bericht Greins an den Münchner Hof vom 10. Oktober 1789, HStA Düsseldorf, NWK I Lit L 24 11, BI. 62 r.-63 v. 266 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 8. Oktober 1789. 267 Bericht Dohms vom 8. Oktober Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, BI. 56r.-57r. 268 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 9. Oktober 1789. Dohm erwähnt unter diesem Datum, er sei früh morgens nach Herve aufgebrochen, "ich laß Les Prussiens denonces a I'Europe, abscheuliche Dinge über das Betragen unsrer Truppen in Holland. Der Ton recht gut." Bei dieser Schrift handelte es sich um einen 1789 in Paris erschienenen antipreußischen Text, der aus den Reihen der holländischen Patrioten stammte. Im November 1789 wurde in Köln eine deutsche Übersetzung herausgegeben. Der preußische Gesandte in Paris Goltz (vgl. dazu auch Kapitel B. X. 3. a) in dieser Arbeit) hatte das Erscheinen der Schrift nach Berlin an Hertzberg gemeldet. Lüdtke, Preußen und Frankreich, S.237, charakterisiert deren Inhalt wie folgt: ,,Es handelte sich um eine überstürzt abgefaßte langatmige, weitschweifige Schmähschrift gegen Preußen, darauf berechnet, diesen Staat in der öffentlichen Meinung Frankreichs herabzusetzen, den Franzosen zu schmeicheln und sie an die Innehaltung ihrer Verpflichtungen gegen die holländischen Emigranten zu erinnern. Das Eintreten Frankreichs für die Freiheit Hollands wurde rühmlichst hervorgehoben, wogegen Preußen als der Feind der Freiheit, als das Land, in dem persönliche Freiheit unbekannt sei, hingestellt wurde". Umso erstaunlicher scheint Dohms Bemerkung, der Ton sei recht gut. 269 Vgl. dazu Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 9. Oktober 1789: ,,Er erzählte mir Alles, erconcipirte nach meinem Rath seinen Bericht über den Vorgang [... l."
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
teristen und 2000 Kavalleristen nötig sei, um die Ordnung wiederherzustellen und aufrecht zu erhalten. 270 Die Reaktion aus Berlin ignorierte vollkommen die Eskalation in Lüttich, ja, schob sie geradezu als nicht existent weg: Obwohl das Reskript ausdrücklich vermerkte, daß Dohms und Senffts Berichte vom 8. Oktober eingegangen waren, ließ Friedrich Wilhelm 11. am 9. Oktober wissen: Da keine Gewaltthätigkeiten geschehen und es dahero nicht nöthig seyn wird, wenigstens voritzt Executions Truppen nach Lüttich zu schicken, so könnt Ihr Euch mit den beyden anderen Kreis-Directorialräthen vereinigen, auf einige Tage nach Lüttich zu gehen um zu versuchen, ob Ihr nicht einen Vergleich zwischen dem Bischof und den Ständen zu Stande bringen könnt, so daß von beyden Seiten etwas aufgegeben, und doch die Constitution einigermaßen verbessert würde.
Darüber hinaus erging die Anweisung an Dohm, "eine gemeinschaftliche Erklärung" im Westfälischen und im Oberrheinischen Kreis zu erlassen und über die Zeitungen zu veröffentlichen, "wodurch alle Stände und Einwohner dieser Kreise ernstlich ermahnet werden, sich ruhig zu verhalten".271 Dohm bestätigte in seinem Bericht vom 10. Oktober die Beschlußfassung eines gemeinsamen Dehortatoriums an sämtliche Städte des Landes, die ihre Magistrate abgesetzt hatten. Da er allerdings für voraussehbar erachtete, daß das Dehortatorium ohne Wirkung bleiben würde, hielt er das baldmögliche Einrücken des Militärs für unumgänglich. Für vorteilhaft erachtete Dohm einen alleinigen Einmarsch preußischer Truppen ins Lütticher Land - oder zumindest eine Unterstellung aller Truppen unter preußisches Kommando -, um zunächst die Ruhe wiederherzustellen und dann an die Neugestaltung einer Verfassung gehen zu können. "Die Lütticher sind vermessen genug, sogar mit einem Einfall in die Jülich-Bergischen Lande zu drohen, falls Pfälzische Truppen gegen sie anrücken würden", untermauerte Dohm seine Vorgaben. Die Beleidigung von Senffts, die grobe Ausschweifung des Pöbels, sei so unangenehm, daß sowohl der Fürst als auch die Stände und der jetzt amtierende Magistrat öffentlich vom preußischen Hof darüber in Kenntnis zu setzten seien; diese Beleidigung würde allerdings wohl nicht gut als ein Grund angeführt werden können, die militärische Exekution durchzuführen, "da nun ein rasender Pöbel, der gegen seine eigene Obrigkeit mörderische Unternehmungen wagt, und offenbar von dieser nicht gebändigt werden kann, der beleidigende Theil ist". Ausdrücklich aber vermerkte DOhm weiter, daß die geschehenen Handgreiflichkeiten der Stadtregierung 270 Bericht Senffts vom 9. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.2, BI. 3r.-v. und 14r.-v., eingelegter Bericht BI.4r.-13v. 271 Dohms Schreiben an die beiden anderen Kreisdirektorialvertreter vom 16. Oktober 1789, HStA DüsseldorfNWK I Lit L24 11, BI. 74r.-75 r. Darin auch der Inhalt der Erklärung: Die Bevölkerung soll zum schuldigen Gehorsam gegen ihren Landesherm und die Obrigkeit aufgefordert sowie ennahnt werden, Beschwerden in dem von den Gesetzen vorgegebenen Weg der Ordnung vorzubringen. Thmulte im Kreis könnten vom Direktorium nicht geduldet werden, dagegen würden die "wirksamsten Maasregeln" zur Anwendung kommen.
IV. Die Radikalisierung der Positionen
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unangenelun seien 272 und differenzierte damit einmal mehr entschieden zwischen der gemäßigt auftretenden städtischen Regierung, die als Verhandlungspartner neben dem Fürstbischof zu akzeptieren war, und dem Gros der revoltierenden Massen, die als Bedrohung nicht nur für das städtische Regiment auftraten, sondern eben auch für die preußische Diplomatie und Außenpolitik als außerordentliches Druckmittel eines schnellen und für die Rezeption im Reich akzeptablen Eingreifens wirkte. Der Bürgermeister Chestret hat einen Menschen, der einen Fehlschuß auf ihn gethan, auf der Stelle todtgeschoßen. Auch ein Priester hat ihn meuchelmörderisch angefallen, man waget aber wegen seines geistlichen Standes nicht, ihn zu arretiren. Die Bürger verlangen, daß die von den Thmultuanten gemachten Gefangenen sofort ohne rechtliche Form gehängt werden sollen,
skizzierte Dolun nur zwei Tage später neue Eskalationen in Lüttich. Zusätzliche Gefahr drohte von außen, da Brabanter Patrioten sich ins Lüttichsche begeben hatten, was die Brüsseler Regierung mit Androhung von militärischem Eingreifen österreichischer Truppen kommentierte. 3000 Mann kaiserliche Truppen seien angeblich schon von Brüssel in Richtung Hasselt in Gang gesetzt. 273 Neben die avisierten militärischen Aktionen trat vorerst vor allem die Verkündung des Dehortatoriums am 12. Oktober und die Konzentration der preußischen Diplomatie auf im wesentlichen zwei Aspekte: die Kontaktaufnalune mit dem Fürstbischof, dessen weitgehendes Verharren im Schweigen ihn zunelunend zu einer Unbekannten auf der preußischen Rechnung werden ließ, und die unbedingte Verhinderung einer Besetzung der Koadjutoriestelle durch einen preußenfeindlichen Kandidaten, allen voran den Kölner Kurfürsten. Das Dehortatorium wurde an die 23 landtagfähigen Städte und die Städte Spa und Theux erlassen und enthielt als wesentliche Punkte die Erhaltung der Ruhe sowie in Anlehnung an das reichskammergerichtliche Mandat die Wiederherstellung des verfassungsrechtlichen Status quo ante binnen einer Frist von acht Tagen. Der Sohn des Bürgermeisters Fabry, Hyacinthe, eilte nach Erlaß dieses Dekrets nach Aachen, um sich mit Dolun über das weitere Vorgehen zu verständigen. Dolun wandte das bereits in Aachen und Köln praktizierte Verfahren, Interessengruppen bei der Durchsetzung ihrer Forderungen gegenüber staatlichen Autoritäten zu unterstützen, auch hier wieder an. Die Antwort des städtischen Magistrats an das Kreisdirektorium formulierte er vor: Die Revolution sei in den Augen der Aufständischen das einzige Mittel gewesen, "den gerechten Beschwerden" abzuhelfen und die seit 1684 gestörte Verfassung wieder herzustellen. Zwar sei die Revolution illegal und die Wahl des amtierenden Magistrats nicht in der Ordnung, aber auf rechtlichem Wege seien die skizzierten Ziele nicht zu erlangen gewesen. Der Magistrat erkläre sich bereit, seine Stellen sofort niederzulegen, allerdings sei dies unmöglich zu einem Zeitpunkt, an dem diejenigen, gegen die die Revolution sich gerichtet 272 273
Bericht Dohms vom 10. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, BI. 58r-61 r. Bericht Dohms vom 12. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, BI. 63 r.-67v.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
habe, geflüchtet seien. Das Kreisdirektorium schließlich sollte ausdrücklich um Schutz gebeten und zu der Versicherung bewogen werden, die alte Verfassung wieder herzustellen, um auf diese Weise den gerechten Beschwerden abzuhelfen. 274 Deutlich nahm Dohm hier die Perspektive der gemäßigten Revolutionäre ein, machte sich zu einem Vermittler ihrer Vorstellungen gegenüber den Regierungen des Kreisdirektoriums. Mit einem Brief an den Fürstbischof275 versuchte Dohm zugleich, die Gesinnung des Fürsten herauszufinden. Dem gleichen Zweck sollten Gespräche mit dem von Dohm trotz der ihm nachgesagten Kontakte zum Haus Österreich und zum Kölner Kurfürsten geschätzten Lütticher Domherrn Waseige dienen. Dieser war Preußen insofern nützlich, als er sich für die alleinige preußische Vermittlung bzw. Entsendung von Truppen öffentlich erklärte, und sollte zugleich als Kontaktperson zum Fürstbischof eingesetzt werden. Da ihm zugleich nach den kursierenden Gerüchten unterstellt wurde, ein Hauptbeförderer einer Kurkölnischen Koadjutorie zu sein, war er auch in diesem Punkt ein wichtiger Ansprechpartner. Allen Abmilderungen des preußischen Hofes zum Trotz, hielt Dohm gerade diesen letzten Punkt nach wie vor für beachtenswert. Das immer wieder aus Berlin vorgebrachte Argument, es bedürfe einer - als unwahrscheinlich geltenden - besonderen päpstlichen Dispension, um drei Bischofsstühle, nämlich den von Köln, Münster und Lüttich, zu besetzen, konterte Dohm mit dem Beispiel des Freiherrn von Dalberg, der drei Koadjutorien - für Mainz, Worms und Konstanz - zugeteilt bekommen habe. Dohm schlug vor, die preußische Vermittlerrolle in der Nuntiaturstreitigkeit zwischen den Erzbischöfen von Köln, Mainz, Trier und Salzburg auf der einen und dem Papst auf der anderen Seite in die Überlegungen einzubeziehen - und stellte auch in diesem Punkt ganz auf die - gescheiterte - Vorgehensweise Preußens bei der geplanten Koadjutoriebesetzung des Jahres 1787 ab. 276 Genau an dem Tag, an dem das sogenannte Dehortatorium lenius die Exekution förmlich eröffnete 277 , am 12. Oktober, wurden in Lüttich die sogenannten Points fondamentaux verabschiedet. Die vom Tiers Etat formulierten, dann auch von den beiden anderen Ständen unterstützten und schließlich im Namen aller drei Stände veröffentlichten Punkte umfaßten zunächst 13 Artikel, in denen die dem Mandat zuwider laufenden Forderungen der Stände formuliert wurden, nämlich: die Wiedereinführung des Paix de Fexhe in seiner ursprünglichen Fassung; die Wiedereinsetzung des Wahlrechts aller Bürger zur Wahl des Magistrats; die Etablierung eines den Einkommensverhältnissen angepaßten Steuersystems; die endgültige Aufhebung der 40 Patars und aller steuerlichen Ausnahmeregelungen; die Aufhebung von PriBericht Dohms vom 12. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, BI. 63 r.-67v. Anhang zu Dohms Bericht vom 12. Oktober 1789, BI. 68r. und v.: Dohm teilte dem Fürsten hier die ergriffenen Maßnahmen mit und bat um dessen Stellungnahme. 216 Bericht Dohms vom 12. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166 D, BI. 63 r.-67v. Vgl. auch Kapitel B.II. in dieser Arbeit. 211 Das sogenannte Dehortatorium arctius, also die Inmarschsetzung der Truppen, erfolgte erst am 27. Oktober. 214 215
IV. Die Radikalisierung der Positionen
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vilegien, Monopolen, u. ä.; die Gleichheit vor dem Gesetz; die Wiedereinsetzung des "Tribunal des Etats reviseurs"; die Unterdrückung von Adelsprivilegien; die Kontrolle über Mißbräuche in der Justiz, im städtischen Magistrat, bei den Bürgermeistern und in der Finanzverwaltung sowie die Festsetzung der Ausgaben, die durch den Zehnten getragen werden mußten. 278 Bei der Veröffentlichung am 12. Oktober wurden sie noch um weitere "Ordres" ergänzt, deren wesentlichste die Forderung nach der grundsätzlichen Möglichkeit der Stände war, Justiz und Polizei betreffende Gesetze zu initiieren. 279 Wieder erwies sich im gegebenen Kontext Hofmann als ,prorevolutionär': Während die militärischen Vorbereitungen schon anliefen, schickte Hofmann noch am 18. Oktober aus Wetzlar seine auf juristischen Überlegungen und auf Abmilderung der erneuten Unruhen basierenden Vorstellungen über eine mögliche Abwendung der Mandatsvollstreckung. Der Aufstand des 7. Oktober habe sich als in der Folge und Dauer eher unerheblich herausgestellt. Am Reichskammergericht werde die Lütticher Angelegenheit nun bald erneut verhandelt. Das Mandat vom 27. August sei ein "auf rumorem publicum und auf die Zeitungen erlassenes extrajudicial Decret", gegen ein solches Mandat seien "exceptiones sub et ab reptiones sive facti aliter se habentis" zulässig und so lange diese Ausnahmen nicht vom Richter verworfen, das Mandat bestätigt und wiederholt und ein Mandatum de exequendo darauf erkannt seien, finde in der Regel keine Exekution statt. Zwar könne im Falle öffentlicher Unruhe, wenn der Landfrieden gebrochen oder ein Kreisstand von fremden oder eigenen Untertanen vergewaltigt werde, das Eingreifen der Kreisdirektoren auf den Hilferuf des Angegriffenen hin mit allen zweckdienlichen Mitteln erfolgen; Aber ist das der Fall mit Lüttich? Und in Ansehung eines vor vollen 2 Monaten vorgegangenen facti? Die eigentlich sogenannte dortige Revolution besteht darin, daß die Stadt Lüttich einen neuen Magistrat gewählt hat und daß die kleineren Städte das nämliche gethan haben und künftig thun wollen. Eine Sache, die in der Landesgrundverfassung ihren Grund hat. Der Fürst hat die neue Magistratur toties quoties anerkannt, hat sie zum Landtage berufen, ermuntert die Stände vorzüglich in dem Schreiben vom 7ten Sept., allen Fleiß auf der Verbesserung der Constitution zu verwenden, verspricht dazu keine Sanction. Die Stände vereinigen sich einhellig am 1.2.12. 17. über die Hauptpuncte der Constitution, und es ist die Genehmigung des Fürsten zu hoffen. 278 Vgl. dazu Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, S. 145 (Abgedruckt wurden die Points fondamentaux im Journal patriotique, 1, S.2l.). 279 Vgl. dazu ausführlicher Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, S. 146. Dohm läßt den "Reces des Trois-Etats du 12.0ctobre 1789" als Anlage 11 seiner Verteidigungsschrift über das preußische Verhalten in der Lütticher Revolution abdrucken (S. 134-135). Er kommentiert die Points fondamentaux in seiner Schrift als grundlegendes Angebot der Stände an den Bischof (S. 57). Hätte der Fürst, so Dohms Argumenation, diese von den Ständen vorgegebenen Punkte akzeptiert, wäre die Einheit zwischen ihm und den Ständen wieder hergestellt gewesen und die Grundlage für weitere Verhandlungen zur allgemeinen Verbesserung der Situation in Lüttich gelegt worden. Einer Aufforderung zur Exekution hätte die Basis gefehlt. Die Radikalisierung stellt Dohm nicht in ihrem tatsächlichen Ausmaß dar.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Beim gegenwärtigen Stand der Dinge, so Hofmann, sehe er keinen Grund für die Durchführung der Exekution. Anders gestalte sich die Situation erst, wenn der Magistrat das Volk nicht mehr im Zaume halten könne und eine völlige Anarchie das Land bedrohe. Dann könne man wohl "einige Truppen" zur Erhaltung des Ruhestandes nach Lüttich schicken. Sogar der fürstliche Anwalt von Zwierlein bestätige Hofmann in der Annahme, daß schon ein kleines Kontingent ausreiche, dem Lütticher Volk zu imponieren. Vor Preussen, - aber sonst für Niemand, soll dieses Volk Furcht haben. Auch sind sie so klug, um zu wissen, daß einigen Hundert gleich viele Tausend [... ] nachkommen können. Das Exempel von Holland ist ihnen in frischem Angedenken.
Das Land Lüttich sei überdies mit 16 Millionen Schulden belastet, die Kosten der Truppenversorgung seien untragbar. Und zu welchem Zwecke der grosse Aufwand: Um die Magistratur wieder zu verändern und dem Bischofe auf seine ganze Lebenszeit Todfeindschaft und ewige Unruhe zu erwürken? [... ] Greift man von Seiten Preussen die Lütticher, die ohnehin ein bigottes Volk sind, zu sehr mit Gewalt an, so werfen sie sich am Ende ganz in oesterreichische Hände. 280
Ende Oktober hielt Hofmann schließlich nicht mehr für möglich, die Durchführung des Mandats noch aufzuhalten. Den Lütticher Fall sehe man in Wetzlar als übles Beispiel im Reich, zumal sich in der Zwischenzeit neue Unruhen zugetragen hatten und auch in anderen Reichsgebieten, wie jüngst gerade in Straßburg, Mandate gegen Aufständische erlassen worden seien. Es bleibe nur übrig, daß die Stände sich mit der Bitte, die Mißstände gemeinsam mit dem Bischof abzuschaffen, diesem unterwerfen und vorerst die alte Ordnung wieder annehmen würden. Dabei solle der Bischof allerdings, vor allem aufgrund ihrer Verdienste in den letzten Wochen, die amtierenden Magistrate in ihren Ämtern bestätigen. Für unbedingt nötig hielt man in Wetzlar die Absendung der Direktorialvertreter nach Lüttich unter mäßigem militärischem SchutZ. 281 Erst mit einem Schreiben vom 29. Oktober schwenkte Hofmann um auf ein Einlenken des Magistrats 282 ; als letzter von preußischer Seite an maßgeblicher Stelle Involvierter tat er diesen Schritt. Zwischenzeitlich war durch das Reichskammergericht auch ein Mandat gegen die aufständischen Untertanen der Abteien Stablo und Malmedy ergangen. Dohm 280 Bericht Hofmanns vom 18. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 3 (Copialbuch Dohms), BI. 75 v.-77r. Die Schrift wurde Dohm von Ständevertretern in Aachen am 22. Oktober überreicht (vgI. dazu Bericht Dohms vom 22. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166 D, BI. 75 r.). Die von Hofmann aufgeworfene Frage, ob die Unruhen überhaupt als Revolution bezeichnet werden könnten, wird Dohm in seiner Verteidigungsschrift aufgreifen (vgI. Kapitel B. VII. 3. in dieser Arbeit). 281 Bericht Hofmanns vom 27. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep. ll, 152c H, Nr. 2, BI. 141 r.-I44r. 282 Bericht Hofmanns vom 29. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 3 (Copialbuch Dohms), BI.102r. und v.
IV. Die Radikalisierung der Positionen
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hatte den preußischen Hof darüber in Kenntnis gesetzt. Mit Reskript vom 19. Oktober verfügte dieser, lediglich einem gemeinsamen Dehortatorium beizutreten, ein militärisches Eingreifen aber im nötigen Fall dem kurpfälzischen Hof zu übertragen. 283 Am gleichen Tag berichtete Dohm vom Abzug der österreichischen Truppen aus dem Lütticher Land, lediglich in St. Trond waren 400 Mann Infanterie und 150 Dragoner zurückgeblieben. Zugleich mußte Dohm in diesem Schreiben gestehen, daß wichtige, das weitere diplomatische Vorgehen betreffende Entscheidungen in Lüttich ohne seine Mitwirkung gefallen waren. Im Auftrag des Etat Noble und des Tiers Etat war Bürgermeister Fabry nach Berlin entsandt worden, Ge10es sollte für das Kapitel nacheinander alle drei Direktorialhöfe kontaktieren. Letzteres bedeutete nicht nur erneut eine zeitliche Verzögerung, sondern bezog in einer von Preußen überhaupt nicht gewünschten Weise die beiden anderen Kreisdirektoren in die Konfliktbewältigung mit ein. Fabrys Entsendung nach Berlin hatte dagegen noch eine andere Qualität: Sie war geeignet, Dohms Kompetenzen als ,Krisenmanager' und anerkannte Autorität vor Ort zu desavouieren und ihn in den Augen der Verantwortlichen am preußischen Hof zu demontieren. Ausdrücklich war der Empfang einer Lütticher Delegation in Berlin nicht gewünscht, und es war Dohms Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die Parteien in Lüttich sich daran hielten. Entsprechend erbost reagierte er auf Fabrys Reise, zumal da dieser seinen Weg durch Aachen genommen hatte, ohne ihn zu kontaktieren. 284 Nur einen Hilferuf hatte Fabry ihm hinterlassen: ,,notre prince est un monstre [... ] au nom de dieu, monsieur, defendez nous contre la mauvaise volonte de vos deux collegues."285 In seinem Brief an Fabry kritisierte Dohm, die Reise nach Berlin trage nur dazu bei, neuen Gerüchten Nahrung zu geben. Mais cornme Vous avez fait cette demarche ce n' est plus a moi de Vous parler beaucoup sur Vos affaires. Vous etes actuellement a la source, ou Vous entendrez infiniment mieux que je pourrois Vous les rendre, les intentions justes et genereuses du Roi [... ],
fügte er ein wenig konsterniert hinzu, um dann doch am Schluß Fabry aus ganzem Herzen Glück für seine Unternehmung zu wünschen 283 Reskript vom 19. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 3 (Copialbuch Dohms), BI. 77v. 284 Vgl. dazu auch Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 19. Oktober 1789: "Ich erfuhr, daß Fabry gestern Abend hier durch nach Berlin passirt sey, ohne mich besucht zu haben, welches mich sehr frappirte. Nachmittags Besuch der Lütticher Deputirten Gr. Geloes, Berlaiment, Bailly. Ich erhielt durch einen Soldaten einen Brief, den Fabry mir geschrieben. Ich beantwortete ihn sub volante an Hertzberg." Fabry hatte sein Billet am 18. Oktober um 17 Uhr abends geschrieben und darin mitgeteilt, er habe Dohm besuchen wollen, ihn aber nicht angetroffen. Eine weitere Ständedeputation kündigte er für den kommenden Tag an (Billet Fabrys vom 18. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 3 [Copialbuch Dohms], BI. 78 r. und v.). 285 Billet Fabrys vom 18. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep. 92, Dohm I, 3 (Copialbuch Dohms), BI. 78 r. und v.
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B. Oie Lütticher Revolution von 1789
et que Vous pourriez retoumer en peu et trouver Votre patrie plus approchee du bonheur, qui a ete le grand but de tous les travaux de Votre vie. Vous pourrez etre bien assure que j'y contribuerai en attendant tout ce qui depend de moi. 286
Vom König erbat Dohm in seinem Bericht vom 22. Oktober, er möge Fabry anweisen, ,,mehrere Mäßigung und Befolgung meiner wohlgemeinten Rathschläge bey seiner Parthey zu bewirken, und ihr keine Hoffnung zu einer Protection Ew. Königl. Majestät übrig zu lassen, welche nicht zugleich mit der Justiz gebührenden Genugthuung verbunden wäre". 287 Senfft bemühte sich, das Vertrauen Fabrys aufrechtzuerhalten: "parlez-moi comme a un Liegeois", schrieb er diesem am 22. Oktober und bat um Offenheit in der Berichterstattung. 288 2. Die Frage des militärischen Eingreifens Das Dehortatorium lenius vom 12. Oktober hatte förmlich die Exekution eröffnet. Durch Senffts Besuch erfuhr Dohm am 14. Oktober vom Einzug österreichischer Truppen ins Hochstift Lüttich. 289 Nach Berlin berichtete er darautbin vom Vorstoß zweier Bataillone des Regiments Württemberg über Hasselt bis Tongeren, das Regiment Arberg sei über Huy eingedrungen, 3000 Mann seien in der Gegend von Tirlemont an der Lütticher Grenze aufmarschiert. Unsicherheit bestehe darüber, ob nicht vielleicht der Fürstbischof bei Nichtbefolgung des reichskammergerichtlichen Mandats sich dieser nun schon im Lande stehenden österreichischen Soldaten bediene. Die unruhigen Bewohner der Lütticher Vorstadt hätten sich in die umliegenden Dörfer verzogen, und es bestehe die zusätzliche Gefahr, daß sie ,,mit vermehrten Haufen" zurückkehrten.290 Beigefügt war dem Schreiben ein Avis Trauttmansdorffs und des Kommandanten der kaiserlichen Truppen Schroeder an alle Einwohner der Städte und Dörfer des Lütticher Hochstifts, die am Marschweg lagen. Die Brabanter und alle, die beiderseits der Grenze Exzesse verübten, würden unter die Oberherrschaft des Kaisers zurückgeführt, die Lütticher wurden aufgefordert, alle diejenigen zu denunzieren, die augenscheinlich gegen die öffentliche Sicherheit verstießen. 291 Hertzberg wandte sich am 14. Oktober mit der Empfehlung an den König, zwei bis vier preußische Bataillone unter das Kommando des Generals Martin Ernst von Schlieffen zu stellen und nach Lüttich zu entsenden. Er folgte also den Vorgaben und Ratschlägen Dohms in diesem Punkt und trug sie als eigenen Standpunkt noch 286 Brief Oohms an Fabry vom 20. Oktober 1789, Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1051, Brief 507. 287 Bericht Oohms vom 22. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep. 96, 1660, BI. 78r. 288 Senfft an Fabry, 22. Oktober 1789, Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1051, Brief 511. 289 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 14. Oktober 1789. 290 Bericht Oohms vom 15. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep. 96,1660, BI. 70r.-71 v. 29\ Avis Trauttmansdorffs und Schroeders, Pr.G.St.A. Rep. 96, 1660, BI. 72r. und v.
IV. Die Radikalisierung der Positionen
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einmal an den König heran. 292 Der schon avisierte, nun tatsächlich neu einzuschlagende Weg Preußens, durch angedrohte Waffengewalt weiter diplomatisch zu agieren, ließ eine Akzentverschiebung in der personellen Struktur folgen: Zu Hauptak:teuren wurden von Hertzberg nun Dohm und General Schlieffen bestimmt. 293 Am 16. Oktober wies Friedrich Wilhelm 11. das Oberkriegskommando an, sich mit General Schlieffen in Verbindung zu setzen, seine eigene Order hatte er Schlieffen bereits erteilt. Danach sollten die Regimenter von Budberg und von Romberg sowie die Grenadier-Bataillone der Weselschen Regimenter sich marschfertig für den Weg nach Lüttich halten. 294 Seine Kavallerie wollte Friedrich Wilhelm 11. für diese "desagreable afaire", wenn die Umstände es erlaubten, nicht zur Verfügung stellen, sie würde auf dem Marschweg ruiniert und sei dann für andere Gelegenheit nicht mehr sinnvoll einsetzbar. Statt dessen schlug er vor, den Kölner Kurfürsten oder den Landgrafen von Hessen um Stellung der Kavallerie zu bitten oder die Truppen des Herzogs von Braunschweig aus Holland anzufordern. 295 Einem weiteren Reskript war zu entnehmen, wie man in Berlin die zwischenzeitlich erfolgte Entsendung der preußischen Truppen zu verstehen wünschte: Ob Wir zwar das Executions-Corps nach Lüttich schicken, um dort die Ordnung und Ruhe zufolge der Requisition des Reichskammergerichts wieder Herzustellen, so ist doch Unsere Meynung nicht, daß Ihr Alles nach [... ] dem Wunsch des Bischofs und des Capitels einrichten und ganz in den vorigen Stand setzen sollet, sondern Ihr müsset vielmehr suchen, eine Mediation unter dem Bischof und den entgegengesetzten Ständen einzuleiten, daß eine dem Besten des Landes gemäße Constitution eingeführet und dem Bischof und dem Capitul die Hand gebunden, auch eine Coadjutorie verhindert werde. Da auch die nach Lüttich sich retirirten Malcontenten unleicht durch die Ankunft Unserer Truppen erschrecket oder auch im Gegentheil dreister gemacht werden möchten, so müßt Ihr suchen, es mit dem General von Schlieffen dergestalt zu vermitteln und ihnen [... ] zu erkennen zu geben, daß sie durch Unsere Truppen in ihrem Aufenthalt im Lüttichsehen Lande nicht würden gestöret werden, aber auch auf eine thätige Unterstützung von denselben, wie sie vieleicht glauben, nicht rechnen können. 296
Hertzberg wandte sich mit seinen Anweisungen am 17. Oktober an Schlieffen. Dieser habe den beiden anderen Direktorialhöfen klar zu machen, daß ihre Truppenkontingente "nur pro forma" mitmarschierten, um der Exekution das äußere Gewicht und Autorität zu geben. Wichtige Vorinformationen sollte Schlieffen bei Dohm einholen, der auch über die Gepflogenheiten bezüglich der Truppenverpflegungen im Lütticher Land Auskunft geben könne. Ausdrücklich erhielt Schlieffen Order, seine Soldaten zu Disziplin und Ordnung anzuhalten, "daß über keine willBericht Hertzbergs vom 14. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, BI. 32r. und v. Bericht Hertzbergs vom 15. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152cll,Nr.2,BI.33r. undv. 294 Abschrift des Schreibens Friedrich Wilhelms 11. an das Ober-Kriegs-Collegium vorn 16. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.2, B1.36r. 295 Königliche Order, handschriftlich und undatiert, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr.2, BI. 37 r.-38 v. 296 Reskript vorn 9. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 1660, BI. 69 v.-70v. 292 293
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
kürliche Execution geklaget und kein solches Geschrey, als über die Expedition von Holland erregt werden könne". 297 Der König verfügte, die Exekution habe "d 'une maniere conforme a mes interets" zu erfolgen. Der Einmarsch österreichischer Truppen nach Lüttich sollte auf jeden Fall verhindert werden. 298 Während Fabry sich auf dem Weg nach Berlin befand, verhandelte Dohm mit den Abgesandten der Lütticher Stände in Aachen 299 und fertigte einen ausführlichen Bericht für General Schlieffen an. Darin stellte Dohm zunächst die avisierte Stärke der Truppenkontingente vor. Als Problem stellte sich vor allem die Stellung der Kavallerie heraus, da der preußische König nach wie vor auf seinem Standpunkt beharrte, keine Pferde zur Verfügung zu stellen, die beiden anderen Kreisdirektorialhöfe im Gegenzug über keine ausreichend starken Kavalleriekontingente verfügten 3OO : Für Münster nahm Dohm eine Stärke von etwa 150 Pferden an, für Jülich etwa 100. Zwar mußten aus der Pfalz die Pferde über den Rhein anrucken, allerdings schien das weniger zeit- und kostenintensiv als der Aufwand für die langen Marschwege, die die preußische Kavallerie, die vorzugsweise aus Halberstadt eingesetzt worden wäre, zurückzulegen gehabt hätte. Ausdrücklich begrüßte Dohm die Zustimmung des Königs zur Exekution, die er nunmehr als absolut unumgänglich zur Wiederherstellung der Ruhe ansah, zumal er Schlieffen gegenüber seine kritische Haltung gegenüber dem amtierenden Magistrat, den er als unfähig zur Bewältigung der Gewaltausbrüche ansah, äußerte. Zugleich aber machte er auch unmißverständlich deutlich, daß die Truppenpräsenz lediglich eine abschreckende Funktion einnehmen solle. Daher verbat sich für ihn auch eine zu große Truppenstärke, die ihn im übrigen eine starke Lütticher Gegenwehr befürchten ließ. Genaue Vereinbarungen bezüglich der Vereinigung der Bataillone in WeseI, der Truppenstärke und der Logistik erbat Dohm abschließend, möglichst schnell von Schlieffen zu erhalten. 301 Die preußischen Protagonisten zeigten Ende Oktober Unsicherheiten und Zweifel. Hertzberg schrieb an Dohm, daß nicht nur Fabry über den bevorstehenden TrupReskript an Schlieffen vom 17. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, BI. 7lr. und v. Instruktionen an Schlieffen vom 19. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr.2, BI. 64r.-65v. 299 Den Inhalt der Verhandlungen skizzierte Dohm in seinem Bericht nach Berlin vom 22. Oktober in der Weise, daß er sich auf seine Darstellungen vom 12. Oktober bezog (vgl. Bericht Dohms vom 22. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, BI. 75 r.-78 v.). 300 Noch am 26. Oktober war das Problem nicht gelöst: Köln beteuerte, keine Kavallerie zur Verfügung zu haben, die Pfalz stellte fest, daß ihre im Pfälzischen stationierte Kavallerie sich in ebenso schlechtem Zustand befande wie die im Jülich-Bergischen Land. Man wolle diesen Mangel durch ein erhöhtes Aufgebot von Artillerie aus den Festungen Düsseldorf und Jülich kompensieren (Bericht Dohms vom 26. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep. 96, 166 D, BI. 85r.-86r.). Am 3. November brachte Dohm in einem Brief an Schlieffen seine Hoffnung auf einen Exekutionsaufschub zum Ausdruck. Immer noch sei nicht geklärt, wer die nötige Kavallerie stellen könne, der Jülicher Vertreter habe selbst zu diesem Zeitpunkt noch keine genauen Anweisungen (Brief Dohms an Schlieffen vom 22. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm 1,3 [Copialbuch DohmsJ, BI. 88 r.-90 v.). 301 Dohm an Schlieffen, 22. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 3 (Copialbuch Dohms), BI. 88r.-90v. 297 298
IV. Die Radikalisierung der Positionen
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penanmarsch "demontirt" sei, sondern auch Schlieffen und die anderen "Militär Personen" gegen die Expedition seien, weil sie glaubten, die Lütticher völlig zu "decouragiren", "und der König selbst besorgt es einigermaßen". Es gebe aber dessen ungeachtet wichtige Gründe, dennoch die Truppen in Marsch zu setzen, vor allem stehe zu befürchten, daß bei einer Verweigerung Preußens das Reichskammergericht die beiden anderen Kreisdirektoren oder gar den Kaiser als den Direktor des Burgundischen Reichskreises mit der Mandatsdurchführung beauftragen könnte. Es solle keine wörtliche Ausführung des Mandats vorgenommen, sondern nur ein Vergleich, eine diplomatische Lösung also, vorbereitet werden. Entscheidend schien für Hertzberg einmal mehr die öffentliche Rezeption des preußischen Verhaltens im Reich zu sein: Sich der Kommission zu entziehen, stellte Hertzberg Dohm ganz zu Beginn seiner Ausführungen dar, würde bedeuten, sich dem Vorwurf des größten Teils des Reiches auszusetzen, die Reichskonstitution für etwaige "Nebenabsichten" preiszugeben. 302 Die österreichischen Truppen waren mittlerweile wieder abgezogen, während doch gleichzeitig die Bemühungen der brabantischen Patrioten dahin zu gehen schienen, auch das Herzogtum Limburg zur Auflehnung gegen das Haus Österreich zu bewegen. Zu diesem Zweck waren Flugblätter in Umlauf gebracht worden, die schließlich auch im Lütticher Land auftauchten. 303 Am 26. Oktober wurden die preußischen Truppen schließlich in Marsch gesetzt. Am 30. Oktober erhielt Dohm die Nachricht, daß Senfft mit der Gräfin Horion in Aachen eingetroffen sei - ein sicherer Hinweis auf das preußische Bestreben, geheimdiplomatisch vorzugehen, war die Gräfin doch auch schon im Jahre 1787 wesentlich mit der Durchführung der Koadjutoriebesetzung im preußischen Interesse betraut worden. Erste Gespräche mit ihr und dem Lütticher Deputierten des Dritten Standes Louis-Joseph Donceel fanden bereits am nächsten Tag statt. 304 Die Ankunft der preußischen Truppen am Rhein wurde von Schlieffen, für den 12. und 13. November ins Auge gefaßt; dann sollte am 14. November die Vereinigung mit den pfaIzischen Kontingenten, 800 Mann Infanterie, 200 Kavalleristen und 60 Mann Artillerie in Düsseldorf erfolgen. 305 Ziel des preußischen Hofes war es durchaus aber auch, möglichst noch vor den anderen Kreistruppen im Lütticher Land einzurücken, um die Einwohner für die preußische Seite einzunehmen. Die preußischen Soldaten sollten als Freunde ins Land kommen, die Ruhe wieder herstellen, möglichst geringe Exekutionskosten verursachen und auf diese den Einwohnern entgegenkommende Art die Bevölkerung dahingehend vorbereiten, daß "sie im Reskript vom 20. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.11, 152c 11, Nr. 2, BI. 71 r.-nv. Bericht Dohms vom 26. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166 D, BI. 85 r.-86r. Zum Limburger Land vgl. Pauquet, Die Revo1utionsjahre 1789-1794 und das Limburger Land. Das Herzogtum Limburg war eine der zehn Provinzen der österreichischen Niederlande und gehörte zur Diözese Lüttich. Pauquet betont die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Verviers (das zur Lütticher Markgrafschaft Franchimont gehörte) und Limburg. 304 Dohm, Tagebuch, Einträge vom 30. und 31. Oktober 1789. 305 Reskript vom 6. November 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c II, Nr. 3, BI. 47 r. und v. 302 303
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Nothfall sich an unsere Truppen anschließen und mit denselben gegen fremde Gewalt gemeinschaftliche Sache machen". 306 Einzelheiten des militärischen Vorgehens hatte Friedrich Wilhelm 11. eigenhändig aus Potsdam an General Schlieffen übermittelt. 307
V. Dohms "Großer Plan": Preußen als Garant der Lütticher Verfassung und als Schutzmacht gegen "fremde Gewalt" Am 28. Oktober verfaßte Dohm eine umfangreiche Übersicht über die LüUicher Ereignisse und seine grundlegenden Vorstellungen über das weitere preußische Vorgehen. 308 Ausgangspunkt seiner Überlegungen war der Rückgriff auf die historische Entwicklung, die zu den Unruhen geführt hatte. Damit verband er zugleich eine Argumentation, die ihn zum Verteidiger der Aufständischen gegenüber dem preußischen Hof machte. Die "sogenannte Revolution" habe lediglich in der Absetzung eines zur Hälfte vom Bischof bestimmten Magistrats und der durch Akklamation erfolgten Einsetzung eines neuen bestanden. Die Veranlassung dazu habe in den Mängeln der Verfassung seit 1684 gelegen, die dem Bischof das Recht einräumte, den Magistrat zur Hälfte zu besetzen und damit die Abhängigkeit der Stände vom Fürsten dauerhaft und in allen Entscheidungen begründete. Das einzige Mittel zur Verhütung der Eingriffe des Bischofs sei die Wiederherstellung der konstitutionsmäßigen Verfassung und die Abschaffung des Reglements von 1684, diese aber sei seit 100 Jahren nicht über Anwendung von rechtlichen Mitteln betrieben worden, da mit den Regelungen zugleich potentielle Kläger mundtot gemacht worReskript vom 9. November 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr. 3, BI. 80r.-81 v. In Duisburg sollten die beiden in Marsch gesetzten preußischen Regimenter Romberg und Budberg sich vereinigen und zusammen mit den drei Bataillonen aus Wesel den Rhein überqueren, worauf die Vereinigung mit den pfälzischen Truppen in Düsseldorf erfolgen sollte. Nach dem gemeinsamen Vormarsch auf Lüttich wollten die Truppen die Maas überqueren. Ein Bataillon hatte die Aufgabe, das diesseitige Ufer zu sichern. In der Stadt Lüttich war die Einnahme der Zitadelle nach den zuvor von General Riedesei erteilten Anweisungen vorgesehen. Auf keinen Fall dürfe die Bevölkerung zum Widerstand provoziert werden (Reskript vom 5. November 1789 (Kopie), Pr.G.St.A. Rep.11, 152c 11, Nr.3, B1.35r.-36r.). Maximilian Franz beschwerte sich in einem Schreiben vom 28. November 1789 über die mangelnde Transparenz des preußischen Vorgehens: Er halte sich bei seinen Truppen an der Maas auf und habe feststellen müssen, daß die preußischen Bataillone sich benähmen, als ob sie einem Geheimplan folgten, dessen Ziel die Unterstützung der Patrioten sei, nicht aber, als ob sie mit der gemeinsamen Durchführung der mandatlichen Anweisungen beauftragt seien (Pr.G.St.A. Rep. 92, Dohm 11, 3 [Copialbuch Dohms], BI. 191 v.-l92r.). 308 Vgl. Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 28. Oktober 1789. Danach fertigte Dohms Sekretär Küster auch eine Abschrift für General Schlieffen an. Dambacher, Dohm, S. 286ff., versucht noch, den Inhalt des Berichts aus den vorhergehenden und nachfolgenden zu rekonstruieren, da er sich nicht im von ihr zur Auswertung herangezogenen Copialbuch befindet. Sein Fehlen dort begründet sie mit der offensichtlich hohen Geheimhaltungsstufe. Der Bericht ist tatsächlich allerdings vollständig erhalten im Preußischen Geheimen Staatsarchiv Rep. 11, 152c 11, Nr.3, BI. 37 r.-44 v. 306 307
V. Dohms "Großer Plan"
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den seien. Das jetzt gewählte Verfahren der gewaltsamen Absetzung des Magistrats sei illegal und ein übles Beispiel für das Reich und daher auch nicht zu dulden; ebenso wie auch die Wahl des neuen Magistrats als unrechtmäßig zu betrachten sei. Aber: Eigentlich Strafbares kann [...] hiebey nur von denen begangen seyn, weiche das Volk in der Hauptstadt in die tumultuarische Gährung gesetzet haben. Die Landstädte, weiche dem durch ihren Fürsten so öffentlich genehmigten Beyspiel folgten, haben gar nicht gefehlet. Sie glaubten wirklich den Willen ihres Fürsten zu erfüllen, und ihre Sache war es nicht zu untersuchen, ob derselbe frei oder gezwungen handle.
Erst in der Abwägung der in der Zukunft durch Preußen zu tuenden Schritte nahm Dohrn auch die Perspektive Preußens wieder ein und stellte sich ebenso kritisch zum amtierenden Magistrat wie zur radikalen Partei in Lüttich. Dabei differenzierte er implizit zwischen grundsätzlicher Ablehnung (nämlich der Radikalen und der Idee der Einsetzung einer Nationalversammlung, die ebenso grundsätzlich nicht Dohrns Zustimmung erhielt) und spezifischer Kritik an der temporären Unzulänglichkeit der eingesetzten Magistrate. Weder die förmliche Vollziehung des Mandats noch die Nichtvollstreckung hielt Dohrn für möglich und sinnvoll. Im ersten Fall sei die völlige Unterdrückung der Stände die zu erwartende Konsequenz, da die Urheber der Revolution zugleich die Hauptverfechter der ständischen Rechte seien; wolle man sie nach dem Mandat in "Criminal Inquisition" geben, so sei davon zwangsläufig die ganze Nation betroffen. Eine Nichtvollziehung des Mandats umgekehrt bedeute die Unterdrückung des Fürsten sowie der beiden ersten Stände und den Ausbruch völliger Anarchie. Nur das Wetzlarer Mandat und die Furcht vor seiner Durchführung halte die radikale Partei nieder, die die Errichtung einer vom Reich losgelösten be1gischen Republik und die Einsetzung einer Assemblee nationale nach französischem Vorbild anstrebe, worin auch, wie Dohm schrieb "jeder Bauer repräsentirt wäre" - eine Formulierung, die erneut seine Fixierung auf eine ständestaatliche Verfaßtheit des Staatswesens deutlich macht. Außerdem, so Dohrn weiter, erweise sich der amtierende Magistrat als ohnmächtig, was sich etwa in der Abschaffung des von Fürst und Ständen unterhaltenden Regiments, der Aufhebung aller Abgaben in der Hauptstadt, dem erneuten Aufbrechen von Gewalt, diesmal sogar mit Todesfolgen und nicht zuletzt in der Bedrohung des preußischen Residenten Senfft gezeigt habe. Was die Rezeption des preußischen Handelns im Reich anging, erwartete Dohrn nicht nur positive Reaktionen. Er bot sich - hier erstmals - an, die preußische Politik öffentlich zu verteidigen. 309 Widerspruch sei vor allem von den beiden anderen Kreisdirektorialen zu erwarten, gegebenenfalls müsse Preußen seinen Weg auch alleine gehen. Wie dieser Weg aussehen könnte, skizzierte Dohrn nachfolgend so: Nachdem preußische Truppen - allein oder im Zusammenschluß mit den Kontingenten der anderen beiden Direktorialhöfe - ins Lütticher Land eingerückt seien, was in Kürze geschehen solle, müsse das Kreisdirektorium die Magistratswahlen 309
Vgl. Kapitel B. VII. I. in dieser Arbeit.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
für illegal erklären. Auf dieser Grundlage könne dem Fürstbischof bekannt gemacht werden, daß nunmehr der Hauptpunkt des reichskammergerichtlichen Mandats erfüllt sei und Preußen die Sicherheit im Lütticher Land garantiere. Damit sei dem Bischof die Möglichkeit gegeben, "frei" das Reglement von 1684 aufzuheben und Neuwahlen nach der alten Regelung von vor 1684 anzuordnen. Sollten die Unterhandlungen zwischen Ständen und Bischof längere Zeit in Anspruch nehmen, könne ein Interimsmagistrat installiert werden, an dem möglichst auch die in der Revolution abgesetzten Ständevertreter beteiligt sein sollten. Der Fürst müsse angehalten werden, die Bestrafung der Aufständischen zu unterlassen oder aber sie nur gegen die Urheber des Aufstands in der Hauptstadt, nicht in den Landstädten durchführen zu lassen. Nach erfolgten Neuwahlen zum Magistrat sei es in der Folge den Ständen in Zusammenwirken mit dem Bischof überlassen, die in Wetzlar anhängigen Verfahren weiter auf dem juristischen Weg zu verfolgen oder die Konflikte durch Vermittlung Preußens bzw. des gesamten Kreisdirektoriums beizulegen. Der Allianzvertrag Lüttichs mit Frankreich, das durch Frankreich errichtete Regiment Royal Liegeois und die französischen und spanischen Werbungen im Lütticher Land müßten aufgehoben werden. Und schließlich, gleichsam den Ausgangspunkt des preußischen Engagements in Lüttich wieder aufgreifend, avisierte Dohm, daß - diesmal möglichst mit Bewilligung des Fürsten - eine Preußen und seinen Alliierten genehme Koadjutorie eingerichtet, zumindest aber eine feste Partei im Kapitel geschaffen werden solle, die dieses preußische Bestreben unterstütze. 310 Nach diesem Plan schmeichle ich mir diese Sache in der Art zu berichtigen, daß Ew. König!. Majestät Absichten erreicht, das wahre Wohl des Lütticher Landes bewürkt, und Ew. König!. Majestät die Liebe und Verehrung seiner Einwohner, so wie der Beyfall von ganz Deutschland erworben würde. Die Schwürigkeiten, welche sich der Ausführung widersetzen werden, sind allerdings beträchtlich, indeß wie ich hoffe nicht unüberwindlich. 311
Dohm antizipierte als positives Ergebnis dieses Plans für die preußische Reputation im Reich also das allgemeine Lob, das Preußen dadurch zuteil werde, daß es mit seiner freien Auslegung des Mandats die Parteilichkeit der beiden anderen Höfe, die an der buchstäblichen Durchführung starr festhielten, vorzuführen im Stande sei; für die preußische Außenpolitik sah er gute Erfolgsaussichten auf die Besetzung eines preußenfreundlichen Koadjutorpostens, den der Bischof aus Dankbarkeit für die geleistete Vermittlungsarbeit einrichten würde. Gerade an diesen beiden ,Wunschergebnissen ' zeigt sich, auf welch wackeligen Füßen die preußische Diplomatie, die von Dohm maßgeblich bestimmt wurde, in dem Moment stand, als die Radikalisierung der revolutionären Aufbrüche vor Ort Spielräume für die freie Interpretation reichskammergerichtlicher Vorschriften nicht mehr zulassen konnte, sondern vielmehr das gezielte, und das heißt auch klar reglementierte Eingreifen der Kreisdirektorialhöfe erforderte. 310 Vg!. dazu auch den Besuch der Gräfin Horion in Aachen, die möglicherweise wieder in diese Pläne mit einbezogen werden sollte. 311 Bericht Dohms vom 28. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep.11, 152c 11, Nr. 3, BI. 37 r.-44v.
VI. Die Konferenz von Aldengohr
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VI. Die Konferenz von Aldengohr 1. Dohms Überraschungscoup: Das preußische Separatvotum Ein gemeinsames "Avertissement exhortatoire" der Direktorialhöfe an die Bewohner der Stadt und des Landes Lüttich zeigte deutlich die unterschiedliche Sichtweise und Interessenlage der Höfe und ihrer Vertreter und bereitete die sich zuspitzende problematische Situation während der Ende des Monats November stattfindenden gemeinsamen Konferenz in Aldengohr vor. Die Formulierungen der Ankündigung an die Bevölkerung liegen in einer von Dohm mit Korrekturen versehenen Fassung vor. Es wird deutlich, wie sehr Dohm bedacht war, die Bewohner der Stadt und des Landes Lüttich in ihren Forderungen ernst zu nehmen, sie nicht übermäßig durch die Besetzung mit Kreistruppen zu belasten und ihnen gegen Mißhandlungen Widerstands-Rechte einzuräumen. Schon in den einführenden Darstellungen wünschte Dohm eine Veränderung: Die Formulierung "une rebellion si scandaleuse et contraire a la Paix publique" korrigierte er mit der Randbemerkung: "Ich hielte besser: d 'un tel evenement absolument contraire aux loix et a la Constitution de l'Empire".312 In Wiedergabe des reichskammergerichtlichen Mandats wurde die Verweigerung der Unterwerfung unter dasselbe durch die amtierenden Bürgermeister und Magistrate als wesentlicher Grund für den nötigen Einmarsch der Kreistruppen angegeben. Dohm bemerkte dazu am Rand: Ich hielte besser, daß der ganze Auszug des hinlänglich bekannten Mandats, auch die Erwähnung des nicht auf alle Städte passenden Ungehorsams gegen das Directorium, wegbliebe. Der Zweck dieser Declaration ist nur, allen Lüttichschen Unterthanen, sie mögen in der Sache interessiret seyn oder nicht (und der letztem sind die meisten, nämlich alle Einwohner des platten Landes,) die Absicht des Einmarsches bekannt zu machen, und ihnen vorzuschreiben, wie sie sich gegen die Truppen zu verhalten haben.
Das Direktorium, so sollte es nach Dohms Vorschlag heißen, sehe sich aufgrund des Mandats gezwungen, die Truppen einmarschieren zu lassen. Comrne I' entree de ces trouppes n' a d' autre but, que de retablir ferment et maintien de la surete et tranquillite publique elle ne doit inspirer aucune crainte aux habitans du pays, mais au contraire de la reconnaissance due aux sentiments magnanimes et justes des Princes Directeurs du Cercle, qui ne souhaite que de retablir d'une maniere solide le bonheur du pays de Liege.
Abschließend wünschte Dohm dem Text der Ankündigung hinzuzufügen, daß die einmarschierenden Truppen angehalten seien, sich diszipliniert zu verhalten und weder Personen noch Sachen Schaden zuzufügen. Sollte es dennoch zu Übergriffen 312 Diese Vermeidung der Begriffe ,,Rebellion" oder ,,Revolution" zur Darstellung der Ereignisse praktiziert Dohm auch in seiner Verteidigungsschrift (vgl. Kapitel B. VII. 3. c) in dieser Arbeit).
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
kommen, seien Beschwerden gegen die Soldaten durch die Bewohner dem kommandierenden General zu übermitteln. Auch Münster und Jülich hatten das Avertissement kommentiert, ihre Bemerkungen verdeutlichen die unterschiedlichen Standpunkte: Münster wünschte den Passus ergänzt, daß allen Bewohnern, die den Inhalt der Ankündigung befolgten, Schutz für Person und Besitz zugesichert würde; ,,Jülich äusserte zuförderst mündlich, daß einige Ausdrücke wohl zu schärfen wären." Einig waren sich die Direktorialgesandten in folgenden Punkten: Bis zu Neuwahlen seien die alten Bürgermeister und Magistrate wieder einzusetzten. Die Urheber der Rebellion seien zu ermitteln und zu arretieren, Flüchtige zu verfolgen. Widerstand gegen die Kreistruppen werde militärisch beantwortet, das Tragen von Uniformen, Kokarden und Feuerwaffen wurde verboten (eine Ausnahme bildete nur das durch den Stand begründete Tragen eines Schwertes). Für die Versorgung der Truppen waren als Standards schließlich eine Ernährung durch Brot, Fleisch, Gemüse und gutes Bier sowie Quartiere mit Heizung und Licht vorgesehen. 313 Am 8. November tagten die Kreisdirektorialvertreter in einer eigens für die Stablo-Malmedysche Sache anberaumten Konferenz in Aachen. Dabei wurde beschlossen, daß die vom Fürstabt von Stablo beantragte Hilfe der Kreistruppen durch ein Kontingent von 700 bis 800 Mann bewilligt und aus dem für die Lütticher Exekution zusammengestellten Corps herausgezogen werden sollte, diese Truppenkontingente zugleich, da sie durch das Marquisat Franchimont marschieren würden, auch die Städte Spa, Verviers, Theux und einige andere besetzten sollten. Schon im voraus sollten 2000 Mann separat in die Landschaften Franchimont und Stablo abgesandt werden, da die Angelegenheit von höchster Dringlichkeit war. Schlieffen sollte mit dem Kommando versehen, der preußische Legationssekretär Küster unverzüglich zu Absprachen mit Schlieffen nach Wesel abgesandt werden. Küster berichtete am 11. November aus Wesei, daß General Schlieffen nicht den vorgetragenen Ideen zustimmen wolle, sondern Anweisungen aus Berlin erwarte. 314 Dohm unterstrich seinen Wunsch, den Einmarsch in das Marquisat Franchimont vorzuziehen und als Abschreckung für die Hauptstadt Lüttich zu nutzen, in der es zu neuen Attacken der radikalen Partei gekommen war, wie etwa der auf dem Marktplatz der Hauptstadt durchgeführten Aufhängung einer dem Domherrn Waseige nachempfunden, als "Vaterlandsverräter" titulierten Puppe. 315 Hertzberg derweil wandte sich in einem Schreiben ratlos über das Verhalten des preußischen Königs an General von Schlieffen. Der König unterstütze per militäri313 Avertissement exhortatoire atous les Habitans, Citoyens et Sujets de la ville et du principaute de Liege (undatiert), Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr. 3, Bl.18r.-21 r. 314 Bericht Küsters vom 11. November 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.3, Bl.112r. und v. 315 Bericht Dohms vom 9. November 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr. 3, B1.113r. und v. und 116r. und v. Auch Senfft berichtet von diesem Zwischenfall in seinem Brief aus Herve vom 9. November 1789 (Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr. 3, Bi. 118 r. und v.).
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scher Instruktion die Retardierung des Truppeneinmarsches in Lüttich, "mais pourquoi cela?" Hertzberg schlug vielmehr erheblich weitergehend und selbst Dohms Vorschläge übertreffend vor, die Unruhen in Brabant in der Weise auszunutzen, daß durch die Möglichkeit, die Brabanter Insurgenten ins Lüttichsche eindringen zu lassen, ihnen indirekte Unterstützung zugebilligt würde. 316 Das Verhältnis zwischen den Direktorialvertretern wurde zunehmend angespannter. Am 23. November berichtete Dohm nach Berlin von den unmittelbaren Vorbereitungen zur gemeinsamen Konferenz mit den Ständedeputierten aus Lüttich in AIdengohr, einem kleinen Dorf nordwestlich von Roermond, nahe dem Ort Weert gelegen. 317 Die von Schlieffen befehligten Truppen sollten am 24. November ins Lütticher Land einmarschieren und ihr Ruhequartier in Aldengohr nehmen. Auf der Konferenz sollte dann beraten werden über "Subsistenz" und Verteilung der Truppenkontingente. Fast eine ganze Nacht, so Dohm, habe er nun erneut im Streit mit den beiden anderen Direktorialgesandten verbracht, um noch einmal über den Konferenzort zu diskutieren. Der Münsteraner Vertreter hatte gedroht, wenn nicht, wie von Münster und Jülich gewünscht, Düsseldorf, der Ort, an dem sich das Kreisarchiv befand, Konferenzort werde, erkläre er alles, was Dohm alleine im Lüttichschen tue, für null und nichtig. Dohm seinerseits berief sich auf seine Anweisungen aus Berlin und erklärte, auch ohne die beiden anderen Vertreter sich nun nach AIdengohr begeben zu wollen, worauf es dann doch noch zu einer Einigung kam. Als Vertreter des Fürstbischofs war der Domherr Waseige bevollmächtigt worden; die Lütticher Patrioten ließen zunächst noch sowohl mit der Benennung ihrer Abgeordneten als auch mit einer Erklärung über ihre Bereitschaft zur "Submission" auf sich warten. Mit Rangstreitigkeiten zwischen Chestret und einigen anderen Magistraten hatte Fabry diese Verzögerung Dohm gegenüber begründet. Nicht informiert hatte Fabry Dohm allerdings darüber, daß es erneut zu einer Radikalisierung der Situation in Lüttich gekommen war. 30.000 Flinten sollten angeblich verteilt worden sein, wie Dohm von Senfft gehört hatte, um Widerstand gegen die Kreistruppen leisten zu können. Die Brabanter Insurgenten seien in großer Menge ins Lüttichsche eingedrungen und dort auch gut aufgenommen worden. In den Provinzen Flandern, Brabant, Hennegau und Namur hätten bereits die Patrioten die Oberhand gewonnen. Im Postskriptum des Schreibens berichtete Dohm von der Ankunft eines Lütticher Gesandten, der ihm mitgeteilt habe, daß die Brabanter Insurgenten durch Schreiben und mündlichen Vortrag an den Magistrat und die Stände der Hauptstadt, um eine Verbindung mit den Lüttichern und gemeinsamen Beitritt zum Fürstenbund anzutragen und den Verbund mit den Bürgern der Hauptstadt dann tatsächlich durch gemeinsamen Eid auf die Brabanter Fahne vollzogen hätten. Das Volk in Lüttich sei 316 Reskript an Schlieffen vom 28. November 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr.3, BI. 169r. und v. Jl7 Die Schreibweise des Namens variiert, in den Quellen und älteren Darstellungen finden sich die Möglichkeiten Aldengohr, Altengohr, Aldenghoor. In neueren (detaillierten) Karten ist der Ort als Aldenghoir verzeichnet. In der Folge wird die am häufigsten benutzte Schreibweise Aldengohr verwendet.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
zum Widerstand gegen alle fremden Truppen entschlossen, auch bereits der Versuch vorgenommen worden, die Domkirche in Brand zu setzen, um das Kapitel zu bestrafen, das als Hauptschuldiger des allgemeinen Unglücks gesehen wurde, da es die alleinige preußische Mediation, die von der Mehrheit des Volkes gewünscht werde, vereitelt habe. 318 Die Konferenz in der Abtei St. Elisabeth nahe Aldengohr begann am 25. November 1789. Sie war überschattet von mißlichen Begleitumständen. Am Vortag war Dohm von Aachen aus aufgebrochen. Gegen Mittag des 24. November stieß er in Geilenkirchen auf den Münsterschen Direktorialvertreter Kempis und den Lütticher Domherrn Waseige. Dohm entschied sich, alleine weiterzureiten und traf am Abend, nachdem der zweifache Sturz eines ihn begleitenden reitenden Boten die Reise verzögert hatte, in Roermond ein, wo Kempis und der Jülicher Vertreter Grein bereits warteten. Waseige hatte einen Unfall mit seinem Wagen gehabt und erreichte die anderen erst gegen zehn Uhr abends.3\9 Nach einem gemeinsamen Frühstück wurde die Reise am folgenden Tag fortgesetzt. An der Maas angelangt stieß die Gruppe auf preußische Soldaten. Ein Dohm aus Wesel bekannter Offizier, der ihn bei der Überfahrt über die Maas in seinem Kahn begleitete, erläuterte ihm den Weg zu General Schlieffen. Um noch vor allen anderen bei diesem einzutreffen, nahm Dohm ein eigenes Pferd und heuerte einen Bauern als Begleiter an. Dieser aber zeigte ihm den falschen Weg - zu einem anderen Gut gleichen Namens. Erst als eine preußische Wache Dohm half, erreichte er - noch nach dem Eintreffen von Kempis und dem preußischen Legationssekretär Küster - das Hauptquartier Gut Aldengohr. Damit war das Vorgespräch mit Schlieffen nicht mehr zu realisieren. Nach Dohms Vorstellung wurde so eine wichtige Weichenstellung für die folgenden Konferenztage verhindert. General Schlieffen suchte das Gespräch mit den Direktorialgesandten sofort nach deren Ankunft und appellierte, zum Mißvergnügen Greins und Kempis, Mäßigung walten zu lassen. Dohm forderte zu reiflicher Überlegung auf, vor allen Dingen, um Zeit zu gewinnen und zu verhindern, daß Schlieffen ohne vorherige Absprache sich ausführlicher erklärte. "Er redte indeß mit solcher Würde, daß er sichtbar Allen Respect einflößte und es gieng mit einem gewaltigen Ernst Alles zu, Jeder wog seine Worte ab, & oft waren Pausen." Vor allem die militärische Verpflegung wurde im Anschluß besprochen, ein gemeinsames ,Publicandi' abzudrukken beschlossen (Der Drucker hatte die Delegation aus Roermond begleitet). Im Hauptquartier war das "Gewirr" sehr groß, ,,Alles voll Menschen und Pferde, es haben an diesem Tage über 150 Menschen hier gespeist." Die Lütticher Deputierten trafen dann ein - Graf Geloes, Graf Berlaymont, Chestret und der junge Donceel- und überreichten Rezesse für ihren jeweiligen Stand. Nach einem gemeinsamen Gespräch begaben sich der Jülicher und der Münsteraner Direktorialvertreter zum Kloster St. Elisabeth, Dohm blieb im Hauptquartier bei Schlieffen, wohin dann am frühen Abend noch einmal die Lütticher Deputierten kamen. Erst nach deren 318 Bericht Dohms vom 23. November 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 3 (Copialbuch Dohms), BI. 180v.-182r. 319 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 24. November 1789.
VI. Die Konferenz von Aldengohr
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Weggang konnten Dohm und Schlieffen ihre Anweisungen austauschen und das weitere Vorgehen besprechen, das darin bestehen sollte, mit den oder ohne die beiden anderen Kreisdirektorialvertreter den Lütticher Patrioten, sofern sie sich den Kreistruppen nicht widersetzten und ihre Waffen ablieferten, Sicherheit für Person und Eigentum und Wiederherstellung der alten Verfassung zu versprechen. 320 Der 26. November wurde der wichtige und entscheidende Konferenztag. 321 "In aller Harmonie", so Dohm, regelten die Kreisdirektorialvertreter zunächst die Beschaffung der Gelder zur Truppenversorgung. Dann votierte Münster für die Ablieferung der Waffen, die sich in den Händen der Lütticher Bevölkerung befanden. Dohm widersprach, indem er zunächst auf Absprachen mit der militärischen Führung als notwendige Voraussetzung verwies und betonte, daß "mein votum leztendlich schon hinreichend die Mitte angeben werde ohne Gewalt zu gebrauchen, das Volk durch Mäßigung und Abschaffung seiner gerechten Beschwerde zu entwaffnen." Die beiden anderen Direktorialvertreter drückten ihr Befremden über diese Aussagen aus und betonten, daß sie das Wetzlarer Mandat durch Preußen für ganz aufgehoben hielten. Wir disputirten sehr lange, ich suchte die äußerste Mäßigung im Ausdruck & es gelang mir, daß diese höchstwichtige Debatte mit weit mehr Ruhe und Stille zugieng, als so manche Zänkerey in Wochen über Kleinigkeiten. Die Ursache war, weil ieh nach sehr bestimmten Instructionen handelte und wußte, daß die Andern nach den ihrigen nur nicht beystimmen konnten, also an Vereinigung nieht zu denken, sondern nur die Trennung mit möglichstem Anstand zu bewirken war.
So verfaßten schließlich Münster und Jülich eine Resolution, Kleve erstellte eine eigene. Beide Papiere sollten nach gemeinsamer Vereinbarung schriftlich veröffentlicht werden. Wie aus dem Bericht Dohms vom 27. November hervorgeht, hatte er mit Schlieffen verabredet, bei den Gesprächen zwei Anträge vorzutragen, deren einer die Gewährleistung der Sicherheit für Person und Besitz für alle diejenigen Magistrate enthielt, die sich keiner Widersetzung gegen die Kreistruppen schuldig machten. Der andere Antrag formulierte als Kompensation für den geforderten Rücktritt des mit der Revolution eingesetzten Magistrats eine gravierende Veränderung des verfassungsrechtlichen Status quo in Lüttich: die Wiedereinsetzung der Verfassung von vor 1684!322 Darin lag die besondere Sprengkraft des Separatvotums. Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 25. November 1789. Ablauf und Ergebnisse der Konferenz werden im Folgenden rekonstruiert aus Dohms ausführlichen Tagebuchnotizen und seinem Bericht vom 27. November 1789 nach Berlin. Von den Protokollen der Sitzungen ist lediglich eine - die erste - Seite in den Akten des Hauptstaatsarchivs Düsse1dorf erhalten (NWK I L 24, vgl. dazu auch Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S. 86, Anm. 27. Hastenrath verweist hier auch auf die späteren Verhandlungen der Direktorialvertreter, die protokolliert und einsehbar sind im Staatsarchiv Münster, Fürstentum Münster, Landesarchiv 471 I, 45. Vgl. v. a. Sessio vom 20.1.91 [BI. lOr.-12r.], wo Grein Dohms Darstellung bezüglich Aldengohr [in seiner Schrift zur Lüttieher Revolution] als ..zutreffend und wahr" bezeichnet. Ein umfangreicher Auszug dieses Sitzungsprotokolls befindet sich in Pr.G.St.A. Rep.l1, 152c 11, Nr.4, BI.15r.-19v.). 322 Bericht Dohms vom 27. November 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166 D, BI. 108r.-Ill v. 320
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13 Wüller
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Den wartenden Lütticher Deputierten wurden die Papiere noch am Nachmittag überreicht. Sie wünschten daraufhin, Dohm alleine zu sprechen, was er ihnen aber abschlug, vor allem, um bei den anderen Direktorialvertretern nicht als parteiisch zu erscheinen. In dieser Hinsicht hatte er allerdings in Aachen schon Vorarbeiten geleistet. Donceel, der Vertreter des Lütticher Dritten Standes, war von Dohm mit genauen Instruktionen versehen worden 323 , wie aus einem Brief des jungen Mannes an seinen Vater deutlich wird. Darin teilt er mit, er komme gerade aus Aachen und glaube nun an einen vollkommenen Erfolg seines Vorgehens: ,,1' ai dans mon portefeuille des points d'instruction que j'ai ecrits sous sa [Dohms] dictee [... ] De la fermete, meme jusqu'a l'exces, c'est la volonte de Dohm."324 Die Lütticher Deputierten baten dringend darum, die Truppen abzuziehen. Dann würden sie sich zu einer Einigung mit dem Fürstbischof bereit erklären. Außerdem sollte auf eine Verfolgung der an der Revolution beteiligten Personen verzichtet, die Aufstellung von eigenen Bürgerwachen erlaubt und Neuwahlen nach einem neu festzulegenden Reglement erfolgen. 325 Ein gemeinsames Essen der Direktorialvertreter beschloß den Tag. "Ich und Kempis sprachen viel und waren, der Geschäfte vergessend ganz munter, aber Grein saß grießgrärnend ohne ein Wort zu sagen". 326 Gegen Dohms Separatvotum protestierten die beiden anderen Direktorialvertreter heftig. 327 In einem Schreiben nach Berlin hielt Dohm es nun für "unvermeidlieh", daß sich eine völlige Trennung zwischen Jülich, Münster und wohl auch dem Lütticher Fürstbischof auf der einen und dem preußischen Hof auf der anderen Seite vollziehe. Schlieffen und er seien dadurch "in einige Verlegenheit" gebracht, und man hoffe nun auf genaue Anweisungen aus Berlin. "Ob die Vereinigung der Brabanter und Lütticher wirklich geschehen sollte oder nicht wird nur von einem einzigen Wink Ew. Königlichen Majestät abhangen."328 Am folgenden Tag reiste Dohm in Richtung Maastricht ab, wo er ein weiteres Treffen mit General von Schlieffen vereinbart hatte. Unterwegs erhielt er durch einen Postillon die Mitteilung, daß der General sich ein Bein gebrochen habe. Die Nachricht wurde beim Eintreffen in Maastricht bestätigt, was Dohm außerordentlich beunruhigte, "da in den itzigen Umständen nichts fataler als eine Unterbre323 Dieses Verfahren erinnert an Dohms Praxis der Behandlung der protestantischen Angelegenheiten in Aachen und Köln im Jahr 1787/88. VgI. dazu Kapitel A. V. 3.c) in dieser Arbeit. 324 Louis Joseph Donceel an Amold Donceel, 24. November 1789, Bibliotheque Generale, Papiers de Donceel, Mss. 1059, Brief 42. 325 Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S.86. 326 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 26. November 1789. 327 Grein hatte noch keine Instruktion von earl Theodor erhalten, trat also offenbar aus eigenem Antrieb Kempis bei. VgI. dazu Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S. 87, Anm. 30 und Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 33. Den Inhalt des preußischen Separatvotums gibt Dohm in seiner Schrift zur Lütticher Revolution zusammenfassend auf S. 92-93 wieder, in Anlage 17 und 18 werden die Resolutionen von Jülich und Münster, die beide auf die wörtliche Vollstreckung des Mandats dringen, und die Klevische Erklärung abgedruckt (S.141-142). 328 Bericht Dohms vom 27. November 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166 D, BI. 108r.-llI v.
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chung von SchI. Activitäten gewesen wäre, indem der auf ihn folgende GenLt. Budberg gar kein Mann zu einem solchen Geschäft ist." Schlieffen wohnte in Maastricht beim braunschweigischen Generalleutnant Friedrich Adolf Freiherr Riedesei (1738-1800), den der preußische Legationssekretär Küster aufsuchte und in Kenntnis gesetzt wurde, daß Schlieffen nun etwa drei Wochen lang nicht mobil sei. "Dieß veränderte also unsern ganzen Plan." Damit war ein weiteres Mal eine der Voraussetzungen, die Dohm für das Gelingen seines Plans wichtig waren, entfallen. Briefe von Hertzberg und Senfft beruhigten Dohm zunächst insofern, als sowohl in Berlin als auch und vor allem in Lüttich die preußische Separaterklärung positiv aufgenommen worden war. In Lüttich hatte sie nach Senffts Beobachtungen sogar beim Verlesen vom Rathaus einen "ganz ausserordentI. Eindruck" gemacht. 329 Schlieffen selbst schien willig zu sein, das Kommando zu behalten. 33o Die Besetzung der Zitadelle sollte durch preußische Soldaten und Teile der pfälzischen Kavallerie ("um die Pfälzer zu gewinnen") erfolgen, noch vor Eintreffen der "Münstermänner". Dann allerdings wurde Schlieffen durch ein Schreiben des Münsteraner Generals Wartensleben infonniert, daß mit seinen Truppen nicht zu rechnen sei, daß also letztlich Kurköln seine Truppen dem preußischen Oberbefehl entziehe und sie vorerst im Limburgischen stationiere. 331 Am 30. November rückten die preußischen und pfälzischen Truppen in Lüttich ein. 2. Reaktion der Höfe: Zustimmung und Protest Für den 3. Dezember erzielte Dohm die erneute Versammlung der drei Kreisdeputierten, um gemeinsam über die rechtlichen Grundlagen für die preußische Separatnote zu diskutieren. Kurköln und Kurpfalz hatten zwischenzeitlich dieselbe als nach dem Neusser Rezeß von 1665 für unzulässig erklärt. 332 Beschlüsse konnten hiernach nur gemeinsam per majora gefaßt werden, dem Überstimmten war die Möglichkeit eines eigenen Votums nicht eingeräumt. 333 Vor allem die öffentliche Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 28. November 1789. Er sei vielmehr von "größter Gemüthsheiterkeit", schrieb Dohm in seinem Bericht vom 1. Dezember 1789 nach Berlin (Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, BI. 117r-119v., hier: 117r.). 331 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 29. November 1789. Max Franz hatte gegenüber Wartensleben diese Maßnahme damit begründet, daß man abwarten wolle, "bis der Kreistruppen Befehlshaber auch sich anheischig mache, nie gegen die Conclusa der Majorität zu handeln, sondern solche, wie es einem Chef der Kreistruppen gebühret, zu befolgen." Brief Max Franz' an Wartensleben vom 28. November 1789, zitiert nach Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 29. 332 Vg1. dazu Abschrift einer Erklärung Münsters mit Gegenerklärung Kleves vom 1. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.4, BI. 33r.-41 v.; Protokoll der Sitzung vom 2. Dezember 1789 in Maastricht (StA Münster, Fürstentum Münster, Landesarchiv 471 1,3, BI. 3 r.-8 v.). 333 Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S.89, Anm.34. Dohm seinerseits begründete den Inhalt des Separatvotums in seiner Lütticher Schrift neben dem 329
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Bekanntmachung der preußischen Resolution per Anschlag in Lüttich sorgte für harsche Kritik, da man fürchtete, es könne der Eindruck entstehen, als wenn "Münster und Jülich wenig zu sagen hätten".334 Aus Berlin dagegen erhielt Dohm mit Datum vom 3. Dezember die Mitteilung von Hertzberg und Finckenstein, daß man die Resolution vom 26. November völlig "approbiere". 335 Parallel verliefen in Aldengohr die Gespräche zur Finanzierung der militärischen Operationen, die nun dem Kriegskommissariat aus General Schlieffen, Oberst von Baden (für Jülich) und General Wenge (für Münster) übertragen wurden. Rückwirkend ab 1. November sollte Lüttich die entstehenden Kosten übernehmen, die Verteilung der Gelder durch die Kreiskanzlei vorgenommen werden. Zur Tilgung der Kreisschulden hätten ferner sowohl Aachen als auch Lüttich je nach Aufenthaltsort der Kommission anteilsmäßig Zweidrittel bzw. Eindrittel der Kosten für das DirekVerweis auf eine aus preußischer Sicht angemessene Reaktion auf die Umstände mit dem Hinweis auf eine Passage der Reichskammergerichtsordnung, nach der unter bestimmten Ausnahmen reichskammergerichtliehe Urteile nicht vollzogen werden mußten: "Wenn die Execution ohne merklichen Nachtheil nicht geschehen kann; wenn derjenige, gegen den sie vollzogen werden soll, eine solche starke Befestigung hätte, die ohne trefliche große Kosten nicht erobert werden könnte, diese Kosten auch nicht wieder einzubringen wären; auch wenn ein mächtig Commun, so außerhalb des Reichs gesessen, aber gleichwohl dem Reich unterworfen wäre, der Vollziehung der Urtheile mit Gewalt widerstehen wollte, so ist der Execusor rechtlich entschuldigt." Dohm, Lütticher Revolution, S. 103 (Kammergerichts-Ordnung Theil III, Tit. LVII). Für den Lütticher Fall sah Dohm diese Voraussetzung dadurch gegeben, daß es zu einer Vereinigung zwischen Lütticher und Brabanter Aufständischen gekommen war (Dohm, Lütticher Revolution, S. 104). Zu dieser Vereinigung vgl. etwa Darquenne, Les Revolutions et l'Empire en Wallonie, S. 5-11. Am 1. Dezember schrieb Hertzberg an Dohm, seine ersten Vorstellungen in dieser Frage umkehrend, den Lüttichem müsse begreiflich gemacht werden, daß eine Vereinigung mit den Brabantern ihrer Sache verderblich sei und Preußen hindere, ihnen "eine dem wahren Interesse des Lütticher Landes angemessene Constitution zu verschaffen". Von preußischer Seite war eine Vereinigung spätestens ab diesem Zeitpunkt also nicht mehr gewünscht (Reskript vom 1. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.4, B1.2r.). 334 Sitzungsprotokoll vom 2. Dezember 1789 (Maastricht), StA Münster, Fürstentum Münster, Landesarchiv 471 I, 3, BI. 3 r.-8 v. Dohm meldete in seinem Bericht vom 1. Dezember nach Berlin die Verlesung des Textes durch Fabry sowie deren öffentlichen Aushang. Der preußische König sei als "Wohlthäter der Nation" gefeiert worden; "eine Illumination der ganzen Stadt bezeugte die allgemeine Freude, welche durch die an demselben Tag erfolgte Rückkunft des von Senfft noch erhöhet wurde." (Pr.G.St.A. Rep.96, 166 D, BI. 117r.-119v., hier: BI. 118r.). Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S. 90, charakterisiert die Verhandlungen vom 2. bis 5. Dezember 1789 nach Einsicht der Akten wie folgt: "Bei den unklaren Rechtsverhältnissen der Kreisverfassung und den unsicheren Nachrichten über die Vorgänge in Lüttich debattierte man 2 Tage heftig aneinander vorbei, ohne zu einem Komprorniß zu gelangen." Dohm begründete die schriftliche Abfassung und Publikation des Separatvotums in seiner Lütticher Schrift: ,,Es wurde aber beschlossen, sie [die Beschlüsse Münsters und Jülichs] als einen Sammtschluß namens gesammten Directorii abfassen und vom Kreissecretarius unterzeichnen zu lassen. Hiedurch wurde es also für das Publicum unmöglich, die Clevische Nichteinstimmung zu vermuthen, wenn diese nicht ausdrücklich sich äußerte." (Dohm, Lütticher Revolution, S.96). 335 Reskript vom 3. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.4, BI. 24r und v.
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torium zu tragen. 336 Die Direktorialerlasse sollten auf Empfehlung des Kreisdirektoriums an den Magistrat zu Lüttich öffentlich in der Stadt ausgehängt werden. 337 Dohm notierte in seinem Tagebuch wenig später: Freytag den 4ten, einer der unangenehmsten Tage für mich. Früh ein Brief von Senfft über unruhige Bewegungen in Lüttich, die aber so dunkel angegeben waren, daß ich sie nicht verstehn konnte. Bei Schlieffen fand ich Chestret & Donceel, welche erzählten, daß das vom Conseil prive angeschlagene Directorial-Publicandum wieder abgerißen und vom Magistrat eine GegenVerordnung erlassen sey, welche die Cocarden wieder erlaubt. Ich empfand sogleich die Folgen des Vorgangs und konnte SchI. der das Volk zu sehr fürchtet, doch zu keinen entscheidenden Entschlüssen bringen. Chestret eilte indeß sogleich auf L. zurück, um wo möglich noch die Verordnung des Magistrats zurückzuhalten und Donceel machte eine neue wodurch die Cocarden verboten wurden. In der Conferenz mußte ich die bittersten Vorwürfe über diese unter den Augen der Truppen vorgegangene Beschimpfung der Commission & der Fürsten hörn. Kempis redte mit äußerster Heftigkeit. Ich gab ein votum zur Beantwortung des seinigen & Grein eines gegen mich ab. [... ] SchI. war dieser Tage sehr übel & litt vom Fieber. Dann ich zu Hause, wo ich über die unangenehme Lage nachdachte. 338
Zeitgleich erließ das Reichskammergericht am 4. Dezember ein neues Mandat, das zwar im wesentlichen das Mandat vom 24. August bestätigte, insofern allerdings abwich, als es zum einen den Fürstbischof anhielt, nach Wiederherstellung der Ruhe sich "ernsthaft mit der Beschwerde des Volkes zu beschäftigen", zum anderen, aus Gründen der Kostenerspamis und Beschleunigung anwies, die Lütticher Angelegenheit durch andere Subdelegierte als diejenigen, die mit der Aachener Mäkelei beschäftigt waren, zu behandeln. 339 Das bedeutete faktisch, daß Dohm der Lütticher Vgl. dazu Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S.90-91. Sitzungsprotokoll vom 7. Dezember 1789. StA Münster, Fürstentum Münster, Landesarchiv 471 I, 3, BI. 20r.-21 v. 338 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 4. Dezember 1789. Übereinstimmend ist das Protokoll der Sitzung vom 7. Dezember (sie!), in dem der heftige Streit zwischen den Gesandten festgehalten wird.' Danach riet Münster, Schlieffen zu beauftragen, nicht nur die Zitadelle, sondern auch die Stadt Lüttich zu besetzen. Dohm plädierte zwar für Bestrafung der Verantwortlichen, stellte aber Nachrichten über Mißhandlungen als Propaganda Übelgesinnter hin, die nur Unruhe provozieren wollten. Den Vorschlag Dohms, in Lüttich zu debattieren, lehnten Münster und Jülich ab (Sitzungsprotokoll vom 7. Dezember 1789 [Münster], StA Münster, Fürstentum Münster, Landesarchiv 471 I, 3, BI. 20r.-21 v.); vgl. auch Hastenrath, Ende des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, S. 91. 339 Hansen, Quellen, 1, S.506, Anm.3. Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.4, BI. 294r.-295r. (Sententia die 4ta Decembris 1789. publicata), außerdem abschriftlich ebenda BI. 70r.-75r., ebenda BI. 45 r.-46 v. Und inhaltlich zusammengefaßt in Hofmanns Bericht vom 11. Dezember 1789, ebenda BI. 43 r.-48 r.). Danach sollten unter anderem die Schuldigen der Unruhen in Sicherheitsverwahrung gebracht, das von den "Rebellen" sich angemaßte ius armorum aufgehoben, eine strenge Zensur eingeführt und alle "Winkelkonvente" vor allem im Franchimont zerschlagen werden. Die ,,nötige Reformation" der Lütticher Landesverfassung sollte zur Sache eines Landtages gemacht werden. Schließlich wurden Hofmann und Zwierlein zu Geldstrafen verurteilt: Hofmann mußte acht Mark Silbertaler in den Armen-Säckel zahlen, weil er den "der Hoheit Kaiserlicher Majestät und des Reichs zu nahe tretenden Ausdruck" ,,Leodiensis foedere cum Imperiis inito" verwendet, in seiner Schrift die Rebellion geleugnet und wesentliche Um336
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Sache entzogen war. Münster drängte nun darauf, von Kleve zu erfahren, ob es zu "dessen ganzem Inhalt mitwirke oder nicht". 340 Dohm wollte erst neue Instruktionen aus Berlin abwarten 341 , die er mit Bericht vom 8. Dezember auch einforderte. Zur Begründung führte er die völlig veränderte Lage an: Nicht mehr das bloße Gerücht sei nun der Anlaß des Mandats, sondern beide Seiten hätten weitläufige Schriften mit Gründen und Gegengründen vorgelegt, und der Bischof sei als Kläger aufgetreten. Dohm skizzierte dann die nach seiner Einsicht mögliche Vorgehensweise für die Zukunft. Erstens könne die buchstäbliche Vollziehung des Mandats gemeinsam mit Jülieh und Münster vorgenommen werden; das aber widerspreche der Würde des preußischen Königs. Zweitens könnte Preußen allein seinen einmal eingeschlagenen Weg fortsetzen; darin sah Dohm aber die Gefahr, daß der Kölner Kurfürst den angestrebten Vergleich zwischen den Lütticher Ständen und dem Bischof verhindere. Als dritten Weg sah Dohm die Abgabe einer preußischen Erklärung an das Reichskammergericht und die beiden anderen Kreisdirektoren mit dem Inhalt, man könne sich nicht entschließen, ein Mandat umzusetzen, das man für der Sache nicht angemessen ansehe; sollten die beiden anderen Direktoren nicht billigen, daß Preußen den einmal eingeschlagenen Weg weiter verfolge, ziehe es sich aus der Lütticher Sache ganz heraus. 342 Auf den letzten und von Dohm favorisierten Vorschlag ging er wieder in seinem nächsten Bericht ein und modifizierte ihn dergestalt, daß er dem König vorschlug, falls er sich tatsächlich für die Variante entscheiden sollte, die Lütticher sich selbst zu überlassen, doch nicht sofort die Truppen abzuziehen, und "die Nation, welche einmal von Ew. Königl. Majestät Protection Alles erwartet, der Unterdrükkung ihrer erbitterten Feinde und einer gänzlichen Verwirrung [zu] überlaßen".343 Kempis beantragte die Weiterführung der Aachener Geschäfte. An die Lütticher Stände erließen Münster und Jülich nun ohne Hinzuziehung von Kleve Schreiben, informierten das Reichskammergericht und trafen Entscheidungen über die Bezahlung der Truppen. 344 Die Spannungen innerhalb der Kreiskommission verschärften sich weiter. So berichtete Dohm, daß die Lütticher Stände "zu einstweiliger Bestreitung der Commisstände verschwiegen hatte. Außerdem wurde er angehalten, in Zukunft die "teutsche Sprache" zu verwenden. Zwierlein und Hofmann hatten zudem je zwei Mark Silber zu zahlen, weil sie ,,nach bereits reproducirten Mandat extrajudicaliter mehrmalen angerufen, die Anlagen unordentlich numeriret, und größten Theils in französischer Sprache übergeben" hätten. 34ü Sitzungsprotokoll vom 8. Dezember 1789 (Maastricht). StA Münster, Fürstentum Münster, Landesarchiv 471 I, 3, Bi. 24 r-27 r. 341 Hansen, Quellen, 1, S. 528, Anm. 3. 342 Bericht Dohms vom 8. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, Bi. 129r-133v. 343 Bericht Dohms vom 11. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, Bi. 148r.-153r. 344 Sitzungsprotokoll vom 10. Dezember 1789. StA Münster, Fürstentum Münster, Landesarchiv 471 I, 3, Bi. 28 r.-29v. Unter dem Datum des 5. Dezember 1789 notierte Dohm in seinem Tagebuch, daß er erfahren habe, Grein und Kempis hätten gegen ihn einen Bericht beim Kammergericht eingereicht. Er protestierte gegen die Absendung, da man ihm keine vorherige Einsicht und Möglichkeit zur eigenen Darstellung gegeben habe. Dazu auch Bericht Dohms vom 8. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166 D, Bi. 129r.-133 v., hier: 130r.
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sion" eine Summe von 30.000 Reichstalern an die Kreiskanzlei gegeben hätten. Die beiden anderen Direktorialvertreter hätten sich aus der Summe sofort die Kommissionsgebühren bezahlen lassen. Dohm habe gleich den Antrag gestellt, den größten Teil des Geldes in die Bezahlung und Verpflegung der preußischen Truppen zu geben, da diese bis jetzt auf preußische Kosten stationiert seien. 345 Statt aber das Geld beim Kriegskommissariat zu belassen, hätten die beiden anderen Gesandten es mit nach Aachen genommen, wohin sie Dohm schon voraus gereist waren, und erklärt, das bedürfe noch genauerer Überlegungen. Das sei ungerecht und beleidigend sowohl für die Lütticher Stände als auch für den preußischen König, kommentierte Dohm. Und um das schlechte Benehmen der beiden anderen Vertreter zu untermauern und die Gesinnungen der "Leute" vorzuführen, mit denen er "es zu thun hat", skizzierte Dohm kleinere Zwischenfalle der Vergangenheit: Wahrend er bei seiner Ankunft in Maastricht Besuche bei Grein und Kempis gemacht habe, hätten die beiden Gesandten diese nie erwidert, sich nicht einmal bei Dohm verabschiedet, als sie abgereist seien. Auch Schlieffen hätten sie nicht besucht. Da er "bei dem Charakter, den ich zu bekleiden" dieses Verhalten als Beleidigung auffasse, fragte Dohm schließlich an, ob der König es nicht für gut fande, gegenüber dem kurkölnischen Gesandten in Berlin Klemens August von Schall und durch den preußischen Gesandten in München von Brühl ein Wort der Mißbilligung auszusprechen und eine Erklärung zu fordern. 346 In Berlin war man außerordentlich erbost darüber, daß Dohm sich die Gelder hatte entziehen lassen: "Wir begreifen nicht, wie Ihr solches habt zugeben können, und warum Ihr nicht das Geld an Euch genommen und Ihnen bloß Ihre Gebühren davon gegeben habt, welches Sie nicht einmahl verdient haben". Dohm solle sofort das Geld zum Unterhalt der Truppen verlangen, ansonsten werde Preußen beim Reichskammergericht den Vorgang zur rechtlichen Ahndung anzeigen. 347 Auch noch am 21. Dezember insistierte Hertzberg. Dohm solle sich durch die "Impertinenzen und Grobheiten" der anderen Direktorialgesandten nicht vom einmal eingeschlagenen 345 In seinem Bericht vom 22. Dezember schlug Dohm vor, darauf hinzuwirken, die preußischen Truppen noch eine Weile im Lütticher Land zu behalten. Da das mit erheblichen Kosten für Lüttich verbunden sei, sei Widerstand zu erwarten. Weil doch keine eigentliche Exekution stattfinde, setze er voraus, so Dohm, daß der König die Truppen nicht nach Exekutionsfuß bezahlen lasse. Die Stadt Lüttich habe völlig zur Zufriedenheit des Militärs die Naturalversorgung der Truppen übernommen. Nun könnten auch der Bischof, das Kapitel und die übrige Geistlichkeit, die ja Zweidrittel des Landes besitze, an der Aufbringung der Kosten beteiligt werden (Pr.G.St. Rep.96, 166D, Bl.168r.-173v., hier 169v.-170r.). Nach Vorgaben des preußischen Hofes hatte Dohm die geringst möglichen Kostenaufwendungen für die Exekution veranschlagt, "dergleichen gewiß noch bey keiner Execution stattgefunden." Die vennißten 30.000 Reichstaler forderte er von den beiden Kondirektoren als Aufwendung für Auslagen und Verpflegung des Kriegskommissariats bis Ende Januar ein und erhielt auch deren Einwilligung zur Auszahlung (Bericht Dohms vom 4. Januar 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166 E, B1.3r.-6r.). 346 Bericht Dohms vom 11. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 1660, Bl.I48r.-153r. 347 Reskript vom, 18. Dezember 1789. Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c II, Nr.4, Bl.I52r.-153r., hier B1.153 r.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Weg abbringen lassen, "es kommt nunmehro nur darauf an, wie Ihr das Geld von Ihnen zurückbekommen werdet."348 Dohm antwortete, die Beleidigungen seien ihm gar nicht unlieb, "um auch meinerseits eine Rechnung von Unförmlichkeiten machen zu können." Und schließlich: Uebrigens haben Ew. Excellenz eine zu gute Idee von meiner Autorität im Directorio. Die bey den anderen Dir. Gesandten sind viel zu eifersüchtig auf ihre Rechte und lassen mich keinen Schritt allein thun. 349
Der kurkölnische Minister Johann Christian Joseph Waldenfels hatte bereits am 1. Dezember einen harschen Brief an den preußischen Hof geschrieben, um sich über Dohm zu beschweren. Es stehe nach dem Dorstener Rezess von 1665 350 keinem einzelnen Kreisstand, viel weniger dessen Gesandten zu, bei Exekutionen reichskammergerichtliche Urteile zu reformieren, noch sei Dohm befugt, "mit bewafneter Hand dasjenige durchzusetzen, was seine einzelne Meinung ist" - wobei dieser dabei "vorgeschützt" habe, dies sei seine Instruktion. Der Kurkölnische Hof schickte außerdem seinen Gesandten von Schall nach Berlin, um dort persönlich Dohms Verhalten noch einmal vorzustellen. 351 Der fürstbischötliche Agent am Reichskammergericht Zwierlein nutzte seine Mißbilligung der preußischen Separaterklärung ebenfalls zu einer strengen Abrechnung mit Dohm: Zwar unterstellte er noch zu Beginn, Dohm könne von dem ,,mit den Insurgenten in trautestem Verhältnis stehenden Herrn von Senft" getäuscht worden sein, zitierte dann aber eine Stelle des ,,Journal patriotique", in der dargestellt wurde, daß Dohm das Kreismanifest der beiden anderen Direktorialen vom 23. November in Lüttich am 3. Dezember abgerissen habe und "mit den Füßen in den Koth tretten lässet", er ein Gegenmanifest habe anschlagen lassen, "daß er neben die Preussischen Wachen patriothische an die Thore stellt, die Niemand einlassen, er habe denn eine Cocarde auf dem Huth, daß sogar wie man sagt, zum Teil Preussische Soldaten, wenn sie nicht unter dem Gewehr sind, diese Cocarde tragen". 352 Auf die Bitte Dohms vom 15. Dezember, ihm eine Kopie eines Berichts zuzustellen, wurde ihm dieses von Kempis ausdrücklich verweigert. Daraufhin erklärte Dohm, sich bis zur Erteilung neuer Befehle aus Berlin nicht mehr an der Beilegung der Lütticher Auseinandersetzungen zu beteiligen. 353 Fortan erfolgte eine Zusammenarbeit der Kreiskornmission bezüglich der Lütticher Angelegenheit nur noch im Zusammenhang militärischer Fragen. Das bedeutete für Dohm allerdings keinen Reskript vom 21. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.11, 152c 11, Nr.4, BI. 240r. Dohm an Hertzberg, 28. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr. 4, BI. 352r.-355 v., hier: BI. 354 v.-355 r. 350 von Mörner, Kurbrandenburgs Staatsverträge, S. 262-264, S. 291. 351 Waldenfels an das Königlich Preußische Ministerium in Berlin, 3. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.4, BI. 143r.-147 v., in Kopie: BI. 156r.-159v. 352 Zwierlein an Hertzberg, 15. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr.4, BI. 276r.-279v. 353 Hastenrath, Ende des Niedrheinisch-Westfälischen Kreises, S. 92. 348 349
VI. Die Konferenz von Aldengohr
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wirklichen Rückzug aus der Lütticher Angelegenheit. Er sehe zwar keine Möglichkeit mehr zur Zusammenarbeit mit den beiden anderen Direktorialgesandten, hatte er schon am 8. Dezember nach Berlin geschrieben, aber er wolle dennoch den vorgeschriebenen Weg weiter fortsetzen und zusammen mit den in Maastricht anwesenden ständischen Vertretern Lüttichs den Plan einer bis zur Einrichtung der Verfassung von vor 1684 amtierenden interimistischen Regierung entwerfen. Noch am 11 . Dezember hielt Dohm sich in Maastricht auf, wo er unter anderem Gespräche mit der Gräfin Horion führte, die er mit Schlieffen zusammenführen sollte. 354 Schlieffen entschied sich schließlich nach dem Gespräch mit der Gräfin, ob auf ihre Veranlassung ist nicht ersichtlich 355 , zur Entsendung von Truppen nach Spa und Verviers, was Dohm ausdrücklich unterstützte. Den Rückweg nach Aachen hatte Dohm im Wagen der Gräfin zu absolvieren, mit der er unterwegs "meistens politische Diskurse über die Lage der Lütticher Affairen" abhielt, "um 7 Uhr waren wir im Aachner Thor, wo ich in meinen Wagen stieg Gottlob!"356 Am 13. Dezember besuchten Dohm in Aachen Vertreter des dortigen Rats, um mit ihm über die Aachener Streitigkeiten zu sprechen. "Sie empfahlen mir sehr ihre hiesigen Sachen, bezeugten grosse Freude über die Lütticher Sache wie sie von mir gewandt aber auch grosse Besorgniß, mich zu verliehren, wollten deshalb an Wetzlar und Berlin Vorstellung thun". 357 Hertzberg teilte noch einmal am 14. Dezember, den Inhalt des zweiten kammergerichtlichen Mandats wiedergebend, mit, daß nun auch Dohms Abberufung aus der Kommission befohlen sei, Preußen aber niemals die Sentenz des Reichskammergerichts buchstäblich vollstrecken werde, da man sie für ungerecht und nicht praktikabel halte: "wir werden die ganze Sache ihrem Schicksal überlaßen" und - vielleicht - die Truppen zurückziehen, worüber aber auch noch zu beratschlagen sei. 358 Hertzberg formulierte unter dem Datum des 18. Dezember einen neuen Plan an den König. Danach sollte der amtierende Magistrat unter der Versprechung einer Generalamnestie und dem persönlichen Schutz des einzelnen zurücktreten, durch das Kreisdirektorium unter Hinzuziehung des Bischofs und der Stände eine Interims-Regierung eingesetzt, ein Vergleich zwischen dem Bischof und den Ständen mit dem Ziel der Schaffung einer neuen Verfassung erzielt und schließlich nach Erreichung dieser Ziele der größte Teil der Kreistruppen - bis auf einige Bataillone zur 354 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 11. Dezember 1789. Dohm schrieb mit gleichem Datum an Hertzberg, daß er Maastricht nun endgültig verlassen müsse, da der Münstersche Gesandte gedroht habe, wenn er nicht wie die beiden Kollegen nach Aachen zurückkehre, ihn in Wetzlar zu verklagen. Ihm werde vorgeworfen, daß er auch die Aachener Kommission ins Stocken bringe (Pr.G.St.A. Rep. ll, 152c 11, Nr.4, BI. 272r.-273 v., hier: BI. 273r.). 355 Schlieffen äußerte sich gegenüber Hertzberg sehr kritisch zur Gräfin Horion. Sie sei eine "femme intriguante, qui voudrait se meier de tout." Schlieffen an Hertzberg, 29. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 92, Hertzberg 41 , BI. 7r.-8v., hier: BI. 8r. 356 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 12. Dezember 1789. 357 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 13. Dezember 1789. 358 Reskript vom 14. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.4, BI. 84 r.-85r.
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Erhaltung der Ruhe - abgezogen werden. 359 Dohrn teilte er diesen Plan ebenfalls mit, nach seiner Kritik an Dohrns in der Altengohrer Erklärung gemachten Zusicherung der Errichtung einer Verfassung auf der Grundlage von vor 1684, deklarierte er ihn als "Ausweg". Wir geben zwar zu verstehen, daß Wir die Execution andern überlaSen wollen, wir sind aber deshalb noch nicht Willens Unsere Truppen zurück zu ziehen & die Lütticher der Übermacht und Rachsucht der Condirektorialen zu überlaßen, sondern wir ertheilen deshalb besondere Instructionen an den General von Schlieffen. 360
In wesentlichen Punkten zeigte sich Preußen damit immer noch weit entfernt von dem, was das Reichskammergericht vorgab. Erst Ende Dezember schränkte Hertzberg zum ersten Mal ein, man könne sich in Berlin noch nicht ganz entschließen, "daß die Constitution von 1684 unveränderlich angenommen werden müßte".361 Friedrich Wilhelm 11. ließ am 19. Dezember Hertzberg und Finckenstein eine Notiz zugehen, in der er die Beschwerden über Dohrn zum Anlaß nahm, eine Erklärung an die preußischen Gesandten zu befehlen. 362 Die "Note sur l'affaire de Liege" umfaßte zwei gedruckte Seiten und skizzierte zum einen den Ablauf der Ereignisse, den Inhalt der Dohrnschen Erklärung von Aldengohr und den neuen Plan Hertzbergs; zum anderen rechtfertigte sie das preußische Vorgehen. Dohrn und Schlieffen hätten früh erkannt, daß die Exekution, zumal bei einem Volk wie dem Lüttichschen - "tres nombreux & naturellement belliqueux" -, Blutvergießen bedeute und möglicherweise sogar scheitern könnte. Der entscheidende Punkt beim reichskammergerichtlichen Urteil sei, "si ces principes sont applicables dans le cas present", d.h. vor allem, ob es dem preußischen König zumutbar sei, seine Truppen einem so widerstands starken, von den ebenfalls rebellierenden Brabantern zudem unterstützten Volk entgegenzustellen und sich den unkalkulierbaren Risiken auszusetzen. Verschickt wurde die kleine Schrift an insgesamt 19 preußische Gesandte 363 , um sie, wie es in dem Begleitschreiben hieß, in Stand zu setzen, sich über die Sache zu erklären. 364 Wie dringend nötig das war, macht ein späterer Hilferuf Hofmanns an Chestret deutlich. Nach der Aldengohrer Erklärung Preußens hätten sich Mainz, Köln, Hannover, Sachsen und beinahe alle Fürsten des Reiches gegen Preußen gestellt. Die 359 Expose Hertzbergs an den König, 18. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c I1, Nr.4, BI. 136r.-137r. 360 Reskript vom 18. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c I1, Nr.4, BI. 152r.-153r. 361 Reskript vom 25. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c I1, Nr.4, BI. 266r. 362 Friedrich Wilhelm H. an Hertzberg und Finckenstein, 19. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c I1, Nr.4, BI. 166r. 363 Goertz in Regensburg, Podevils und Jacobi in Wien, Brühl in München, Böhmer in Nürnberg, Gesler in Dresden, Madeweiss in Karlsruhe, Hochstätter in Frankfurt, Hecht in Hamburg, Renffner in La Haye, Alvensleben in London, Goltz in Paris, Sandoz in Madrid, Chambriez in Thrin, Cattario in Venedig, Goltz in Petersburg, Lucchesini in Warschau, Borck in Stockholm, Arriem in Kopenhagen. Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c I1, Nr.4, BI. 167r. 364 Note sur l'affaire de Liege. Decembre 1789. Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c I1, Nr.4, BI. 168r. und v., Anschreiben: BI. 167r.
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Absichten des Königs seien vollkommen mißverstanden worden. Der Lütticher Fürstbischof wünsche immer noch eine Verständigung. "Faites, Monsieur, l'impossible pour y parvenir. Vous vous etes devoue a votre patrie, mais a la fin on ne le reconnoitra pas."365 3. Reaktion Dohms: Wachsendes professionelles Selbstbewußtsein und Drängen auf Loyalität des Dienstherm Dohm bat Hertzberg Ende Dezember in einem persönlichen Brief, weiter an der einmal eingeschlagenen Linie festzuhalten und vor allem, ihm auch in der Zukunft freie Hand zu lassen. Es sei ihm nicht lieb gewesen, daß Schlieffen die Idee vom Abzug der Truppen vorgetragen habe, das sei weder des Königs Würde gemäß noch politisch ratsam. Auch, daß Schlieffen "auf Versicherung des Ruhestandes" der Magistrate von Verviers und Spa sich habe abhalten lassen, dorthin Truppen zu schicken, kritisierte Dohm. Eine Unterhandlung zwischen den Wetzlarer Vertretern würde nur zusätzliches Gewirre bringen. Die Art, wie Ew. Excellenz bisher die Sache behandelt, ist ganz vortrefflich und hat allein mich in Stand gesetzt, Alles zu leiten, wie es geschehen. Ich bitte auch ferner mir alle unnöthige Einmischung zu verhüten, so wird Alles gut gehn. 366
Die persönlichen Briefe, die Dohm in der Folge der Kritik an seiner Separaterklärung in Aldengohr an Hertzberg richtete, zeugen von dem intensiven Bemühen, die Lütticher Angelegenheit hauptverantwortlich und ohne Einmischung anderer zu leiten. Deutlich wird das Bestreben, die durch die jeweiligen Umstände gegebenen Spielräume auch für die eigene Reputation und den persönlichen Erfolg weitmöglichst zu nutzen. Bezeichnenderweise kommentierte Dohm, eine Bemerkung Hertzbergs aufnehmend, dessen Kritik am preußischen Gesandten in Konstantinopel Heinrich Friedrich Diez: "Es thut mir indeß sehr leyd, daß Ew. Excellenz mit [... ] v. Diez [... ] nicht zufrieden sind. Er hätte doch itzt Gelegenheit eine schöne Rolle zu spielen. "367 Parallel zum Streben nach eigenverantwortlichem Handeln stand bei Dohm aber immer auch der Wunsch nach Rückendeckung durch den König. Er stelle Hertzberg anheim, schrieb Dohm, ob nicht noch eine General-Vollmacht für mich gut wäre, die mich autorisirte nach den Umständen die mir bekannten Absichten des Königs durch die mir dienlichst scheinenden Mittel zu erfüllen, und mich gegen alle Verantwortung sicherten. 368 Hofmann an Chestret, 2. Februar 1790. Papiers de Chestret, 2, S. 71. Dohrn an Hertzberg, 22. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c H, Nr. 4, BI. 255 r.-256 v. 367 Dohm an Hertzberg, 8. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c H, Nr. 4, BI. 268 r.-270 r., hier: BI. 269 v.-270 r. 368 Dohrn an Hertzberg, 18. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c H, Nr. 4, BI. 272 r.-273 v., hier: BI. 272 v.-273 r. 365
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Grundsätzlich also galt weiter die Regel, als Gegenleistung zum geleisteten Treueversprechen den Schutz des Dienstherrn einzufordern. Im Rückhalt durch die Regierung manifestierte sich die eigene Position innerhalb des Machtgefüges des preußischen Staates und die Wertschätzung durch den König. Dabei war es für Dohm am Jahresende von besonderer Bedeutung, ein Gleichgewicht zwischen Quantität und Qualität der zu leistenden Arbeiten zu erzielen. So zeigte er sich gegenüber Hofmann einerseits sehr einverstanden, die Aachener Kommission nach Maßgabe des reichskammergerichtlichen Mandats vom 4. Dezember nicht mehr auch für die Bewältigung der Lütticher Krise einzusetzen und äußerte hier: Der einzige Punkt, welcher meinen beyden Collegen nicht gefällt daß endlich zum Lütticher Geschäft andere Commissionen als die Aachner gedacht werden sollen, hat meinen völligen Beyfall. Ein Mann der seine Pflicht thun will, kann nicht zwey solche Geschäfte zugleich verwalten. 369
Zugleich aber bat Dohm Hertzberg inständig, ihm seine Position in der Lütticher Angelegenheit zu erhalten: Er bedauerte Hertzberg, daß dieser durch die Lütticher Sache so viel Arbeit bekomme, "welche wichtige Geschäfte durchkreuzt", wenn aber die Einmischung vieler Personen, "welche die Sache nicht unmittelbar angeht", verhindert werden könnte, so "hätten Ew. Excellenz nicht viel Arbeit mehr von diesem Geschäfte". "Ich verspreche dieß als ein Mann, der Ew. Excellenz noch nie eine unerfüllte Hoffnung machte und nicht leicht mit Zuversicht von der Zukunft redet." Wenn es nur bei dem einmal eingeschlagenen Weg bleibe, so wolle Dohm "die Lütticher zu Allem bringen".37o Erfolgreiche Pflichterfüllung band Dohm an die Überschaubarkeit der Arbeit, die ja sein ,Aussteigen' aus der Lütticher Angelegenheit gefordert hätte. Zugleich beobachtete das Reich nach der Konferenz von Aldengohr aufmerksamer als zuvor die preußische Politik in dieser Frage, kritisierte und stellte Dohm als den verantwortlichen Protagonisten heraus. In den eigenen - preußischen - Reihen brachen latente Konkurrenzsituationen, wie zu zeigen sein wird, offener als zuvor auf. Obwohl das reichskammergerichtliche Mandat vom 4. Dezember einen hinreichenden Grund für Dohms Rückzug geboten hätte, wäre dieser zu einem Zeitpunkt eines - vor allem - persönlich zu verantwortenden Mißerfolgs vollzogen worden. Ein Festhalten an der Lütticher Vennittlerrolle mußte schon vor diesem Hintergrund notwendige 369 Dohm an Hofmann, 9. Dezember 1789, Rep. 92, Dohm 1,3 (Copialbuch), BI. 222 r.-223 r., hier: BI. 222 v. 370 Dohm an Hertzberg, 28. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr. 4, BI. 352 r.-355 v. Am 28. Dezember 1789 schrieb Dohm an Hertzberg, daß die Aachener sowohl an den König als an das Reichskammergericht geschrieben hätten, sie wollten Dohm als "Commissarius" behalten. Wenn das so geschehe, bat Dohm, solle Hertzberg doch die Gnade haben, nicht eher eine Resolution herauszugeben, bis er, Dohm seinen Bericht über Lüttich fertiggestellt und einen Vorschlag "zu Verbindung der beyden Geschäfte" gemacht habe, "obgleich ich noch selbst nicht recht weiß, wie es anzufangen und gern noch etliche Wochen die Wendung der Lütticher Affaire abgewartet hätte." (Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr.4, BI. 352r.-355 v., hier: B1.355 r.).
VII. Die publizistische Verteidigung des preußischen Vorgehens
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Folge sein. Zugleich bemühte sich Dohm, vor allem in der Öffentlichkeit, deutlich zu machen, daß er im preußischen Interesse und mit Rückhalt seines Hofes gehandelt hatte: Den Vorschlag Hertzbergs, einen Bericht Dohms an den König zu veröffentlichen, lehnte er rigoros ab: Dadurch würde der Anschein entstehen, "als wenn ich mein Benehmen und nicht das des Clev. Directorii zu rechtfertigen hätte, welches doch nicht denkbar ist und nur mit Abdruck meiner pünctlichen befolgten Instructionen geschehen könnte". 371 Schon Anfang Dezember, kurz nachdem das reichskammergerichtliche Mandat Dohm der Lütticher Sache entzogen hatte, trat ein neuer, von Dohm erstmals in dieser Offenheit gegenüber seiner Regierung vorgetragener Aspekt als Grundlage seines Engagements hinzu. Gegenüber Hertzberg legte Dohm das Bekenntnis ab: "Je mehr ich die Lütticher Sache in allen ihren Details studiere, desto mehr finde ich, daß es eine gerechte, des Schutzes des Königs würdige Sache ist". 372
VII. Die publizistische Verteidigung des preußischen Vorgehens: Dohms Schrift "Die Lütticher Revolution im Jahre 1789 und das Benehmen seiner königlichen Majestät von Preußen bei derselben" 1. Der politische Kontext: Rechtfertigungsdruck und Erklärungszwang Der Entstehungszeitraum der Lütticher Schrift fiel in "die außenpolitische Krise der Zeit vor dem Zusammenbruch des friderizianischen Staates".373 In der öffentlichen Rezeption der preußischen Politik in der Lütticher Angelegenheit standen zwei Faktoren im Vordergrund: Zum einen wurden die preußischen Anstrengungen als sichtbare Unterstützung einer revolutionären Bewegung in einem Teil des Deutschen Reichs wahrgenommen, zum anderen die Fürstenbundmaximen als Richtschnur der Beurteilung des preußischen Verhaltens angelegt. Über die Kritik am preußischen Hof insgesamt hinaus wurden die Angriffe schnell personengebunden: Schon mit der Erneuerung der reichskammergerichtlichen Sentenz vom 4. Dezember 1789 war implizit die Forderung nach Absetzung Dohms verbunden. 374 Vor allem Köln betrieb diese Kampagne und sah schließlich Dohm als einen Funktionsträger, der den König, 371 Dohm an Hertzberg, 28. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr.4, BI. 352 r.-355 v. (Unterstreichungen im Text). 372 Dohm an Hertzberg, 8. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr. 4, BI. 268 r.-270 r., hier. BI. 268 v. Diese Überzeugung formulierte Dohm später unter anderem auch in einem Privatbrief an Johannes von Müller als Erwiderung auf dessen Kritik an Dohms Auftreten in Lüttich: "dites-moi, si vous n'etes pas convaincu de ces verites [... ] Que la cause du peuple etoit tres juste en elle-meme." (Brief Dohms vom 28. Mai 1790, Briefe an J ohannes von Müller, 2, S. 366). 373 Neugebauer-Wölk, Preußen und die Revolution in Lüttich, S. 66. 374 Vgl. etwa Danz, Fortgesetzte Staatsrechtliche Betrachtungen, S. 36.
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dessen Verhalten als schlechtes Beispiel für ganz Europa kritisiert wurde, irregeführt habe. 375 Schließlich schlossen sich die anderen Fürstenbundhöfe, allen voran der Kurfürst von Mainz Friedrich Karl von Erthal, der Forderung nach Abberufung Dohms an. 376 Erthal hatte den preußischen König ennahnt, als mächtigstes Fürstenbundmitglied nicht das schlechte Beispiel einer "Veränderung in den Grundlagen der deutschen Territorial-Verfassung" zu geben, die durch Empörungsgeist hervorgebracht und durch reichskammergerichtliches Eingreifen unterdrückt werden sollte. Der dringende Rat, Dohm, der doch zu eigenmächtig handle und falsche Berichte erstatte, abzusetzen, folgte. 377 Gegenüber dem preußischen Gesandten am Mainzer Hof vom Stein äußerte sich der Kurfürst in gleicher Schärfe: Mainz, Hannover, Sachsen und die anderen Reichsstände sähen sich gezwungen, gegen Preußen gerichtlich aufzutreten, wenn der Kölner Kurfürst tatsächlich die Lütticher Sache vor den Reichstag bringe. 378 Dohms Arbeit an der Verteidigungs schrift zur preußischen Politik in der Lüttieher Angelegenheit war eingebunden in die skizzierte prekäre außenpolitische Situation, in der Preußen sich befand. Die Schrift hatte zu antworten auf die Angriffe gegen Preußen, die die politische Öffentlichkeit des Reiches fonnulierte. Aber sie wurde gerade aufgrund der personengebundenen Kritik auch zur persönlichen Apologie Dohms - freilich ohne, daß der preußische Hof, wie zu zeigen sein wird, Dohm ein unbegrenztes Forum zur Selbstdarstellung geboten hätte. Zu den besonderen Rahmenbedingungen der Schrift müssen darüber hinaus die rein praktischen Sachzwänge der Alltagsarbeit, denen Dohm sich zu stellen hatte, ebenso gezählt werden wie die sich ständig zuspitzende Konkurrenzsituation innerhalb der preußischen Diplomatie. Nur im Zusammenspiel aller dieser Faktoren werden der Entstehungskontext, der Inhalt und die Argumentationsführung der preußischen Verteidigungsschrift greifbar. Schon früh - im Oktober - hatte Dohm gegenüber seiner Regierung bemerkt, daß die Reaktionen auf das preußische Handeln in der Lütticher Angelegenheit nicht nur positiv sein würden und den Bedarf nach einer öffentlichen Verteidigung fonnuliert, die er selbst zu erstellen gedachte: Er "getraue" sich die preußische Politik "zu jeder Zeit gegen allen Widerspruch und Tadel, den man nur von denenjenigen, welche hiebey ihre PrivatAbsichten nicht erreichen, erwarten muß, auf die überzeugendste Weise zu rechtfertigen."379 Erstmals am 7. Dezember 1789 wurde Dohm, der sich zu diesem Zeitpunkt in Lüttich aufhielt, vom preußischen Hof instruiert, einen ,,kurzen und bündigen" Be375 Der Kölner Kurfürst Max Franz an den Kurfürsten von Mainz Friedrich Karl von Erthal, nach Lüdtke, Kampf zwischen Österreich und Preußen, S.95. 376 Vgl. Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S.224. 377 Schreiben des Kurfürsten von Mainz an Friedrich Wilhe1m II. vom 7. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 92, Dohm 1,3 (Copialbuch Dohms), BI.163r.-I64v. 378 Bericht Steins vom 4. Januar 1790, Hansen, Quellen, 1, Nr.232, S.527ff. 379 Bericht Dohms vom 28. Oktober 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152 c 11, Nr. 3, BI. 37 r.-44 v. Vgl. Kapitel B. V. in dieser Arbeit.
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richt ans Reichskammergericht zu verfassen, der als Rechtfertigung des preußischen Vorgehens in der Lütticher Angelegenheit dienen und Preußen "in einem guten Lichte" darstellen sollte. Dieser Bericht müsse so verfaßt sein, daß er auch "dem Publico" vorgelegt werden könnte. 380 Am 11. Dezember erklärte Hertzberg Dohm, daß ein "umständlicher und documentirter Bericht" ans Reichskammergericht und - "wenn die Zeit es Euch erlaubt" - eine Deklaration zu verfassen sei, die über die Zeitungen veröffentlicht werden sollte, damit das Publikum über die Ursachen des preußischen Verhaltens informiert würde. 381 Drei Tage später wurde konkretisiert, daß Dohm einen Bericht zu erstellen habe, der zunächst nach Berlin geschickt werden sollte, um von dort aus eine Kopie nach Wetzlar senden zu können. Zusätzlich war ein Begleitungs-ProMemoria an die Reichsversammlung avisiert und vorgesehen, die Veröffentlichung eines Auszugs des Berichts und eines zusätzlichen Artikels in der Clevischen und Hamburgischen Zeitung vorzunehmen, "um den Vorsprung zu guarantiren" .382 Ungeduldig wartete man in Berlin auf Dohms Bericht, teilte ihm dann schließlich mit, "da es aber damit zu lange dauern möchte", werde nun von Berlin aus eine kurze Deklaration an den Gesandten Hofmann nach Wetzlar geschickt, die dieser dem Reichskammergericht zu übergeben habe. 383 Erstmals wurden Dohm nun Aufgaben entzogen, da offenkundig der Druck der Notwendigkeit empfunden wurde, schnell und intensiv Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. "Wir laßen geschehen, daß Ihr keinen Bericht an das Reichs-Cammergericht machet", statt dessen sollte Dohm einen Bericht nach Berlin senden, der nach der neuen Vorgabe nur noch lediglich als Beilage zu der in Berlin erstellten Erklärung ans Gericht zugefügt werden sollte. 384 Dohm seinerseits schlug vor, eine Ausführung mit etwa dem Titel "Entwicklung der Gründe welche das Benehmen Seiner Königl. Maj. von Preußen in der Lütticher Angelegenheit bestimmt haben" für das Reichskammergericht und den Reichstag anzufertigen und bekräftigte, er wende alle Zeit, die er bei seinen überhäuften Geschäften erübrigen könne, für diese Schrift auf. 385 380 Reskript vom 7. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.4, B1.30r. und v. (auch: Rep. 92, Dohm I, 4, BI. 3). 381 Reskript vom 11. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr.4, BI. 42r. und v. (auch: Rep. 92, Dohm I, 4, Bl.4r.und v.). 382 Reskript vom 14. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.11, 152c 11, Nr.4, BI. 84r.-85r. (auch: Rep.92, Dohm I, 4, BI. 5 r. und v.). Mit der "Clevischen" Zeitung war der dort erscheinende "Courier du Bas-Rhin" gemeint, der als "Sprachrohr der preußischen Politik" fungierte. Seit 1767 erschien er in Kleve. Aus Paris war für das französischsprachige Blatt der Redakteur Jean Manzon engagiert worden. Ab 1769 stand die Zeitung unter direkter Kontrolle des Generaldirektoriums. Sie erschien zweimal pro Woche jeweils mittwochs und samstags (vgl. dazu Angelike/Beermann/Nohr, Frankophone Zeitungen, S. 148-153). 383 Reskript vom 18. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 4, BI. 6 r.-7r. 384 Reskript vom 21. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 4, BI. 12r. 385 Bericht Dohms vom 21. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 96, 166D, BI. 168 r.-173 r., hier: B1.l70v.
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Parallel zum Plan der Ausfertigung einer preußischen Verteidigungsschrift stand ab etwa Mitte Dezember auch der Dohmsche Vorschlag im Raum, bei Nichtannahme der preußischen Vorgehensstrategien durch die anderen beiden Direktorialhöfe oder das Reichskammergericht "die ganze Sache ihrem Schicksal zu überlassen". 386 Auch wenn diese Ankündigung vor allem Drohcharakter haben sollte, mußte doch bei wirklicher Ablehnung des preußischen Alleingangs mit ihrer Umsetzung gerechnet werden. Vor diesem Hintergrund erhielt die avisierte Verteidigungsschrift dann zugleich den Charakter des Abschlusses eines Teils preußischer Reichspolitik. Tatsächlich stellte Hertzberg am Jahresende die Schrift in diesen Kontext. Wenn die beiden anderen Kondirektorialen und der Bischof das preußische Vorgehen nicht approbierten, sollte der Truppenrückzug erfolgen. Dohms Vorschlag, sich zwar aus der diplomatischen Konfliktbewältigung herauszuziehen, dennoch aber die preußischen Truppen zum Schutz der Lütticher im Land zu halten, lehnte Hertzberg jetzt als widersprüchlich zum Ultimatum Preußens gegenüber den anderen Direktorialhöfen ab. Allerdings sollten die Lütticher im Fall des preußischen Truppenrückzugs rechtzeitig informiert werden, damit sie alles zu ihrer Verteidigung vorbereiten könnten. Um einem allgemeinem "Geschreibe" vorzubeugen, drängte der preußische Hof weiter auf die Fertigstellung des Berichts. 387 "Wir müssen allerdings bald was publiciren laBen, wodurch dem Publico die sehr allgemeine Vorurtheile über unser Betragen in dieser Sache benommen werden".388 Den Umfang der Schrift gab Hertzberg mit einem Bogen in quarto vor, "denn Ihr wisset, daB die Höfe nicht gerne weitläufige Deduktionen lesen".389 Am 1. Januar 1790 wurde von Hertzberg vorgeschlagen, statt des Dohmschen Berichts oder der Berliner Deklaration die letzte preußische Korrespondenz mit dem Fürstbischof in Abschrift ans Reichskammergericht, an den Kölner Hof, nach Mainz, Regensburg, Hannover und Wien zu senden und die Immediatkorrespondenz zwischen dem preußischen Hof und dem Lütticher Fürstbischof zu publizieren. 390 Die Vehemenz, mit der der preußische Hof Dohm nun drängte, die Öffentlichkeit über die Gründe für das preußische Verhalten in der Lütticher Angelegenheit in Kenntnis zu setzen und propagandistisch aufzutreten, brachte Dohm unter Zeit- und Handlungsdruck. 391 Den Tagebucheintragungen nach begann Dohm die Schrift am 386 Bericht Dohms vom 24. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166 D, BI. 176r.-180v., hier: BI. 176 r. 387 Reskript vom 25. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.4, BI. 266r. 388 Reskript vom 28. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr.4, BI. 303r.-304r. 389 Reskript vom 28. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr.4, BI. 303r.-304r. 390 Reskript vom 1. Januar 1790, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr.4, BI. 338 r.-339 r. 391 An Hertzberg vermittelte Dohm den Eindruck, mit souveräner Gelassenheit die Bonner und Münchner Attacken hinzunehmen. "Man muß dies Alles ruhig ansehen, ich bin aber gar nicht besorgt, daß man im Reich überall, so wie in hiesiger Gegend längst geschehen, ganz anders urtheilen soll, wenn nur erst meine ganz natürliche Darstellung des Benehmens des Königs da ist." (1. Januar 1790, Pr.G.St.A. Rep. 92, Hertzberg 42, BI. 12r.-13v.).
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2. Januar 1790 392 und arbeitete verteilt über einen Zeitraum von zwanzig Tagen Anfang und Ende Januar und dann bis Mitte Februar sowie Anfang März an ihr. Am 1. März stellte er sie fertig. Erste ,Leseproben' schickte er mit einem Bericht am 18. Januar 1790 nach Berlin. 393 Begleitet und zum Teil überschattet wurden seine Anstrengungen von den Verhandlungen bezüglich der Aachener und Lütticher Konflikte, dem Empfang der zahlreichen Aachener Besucher, der notwendigen Lektüre für die Erstellung der ,Lütticher' Abhandlung (am 2. Januar ist wieder vermerkt, daß Dohm Bassenge zur Vorbereitung las) und vor allem der parallelen Arbeit an der Aachener Verfassung, zudem von persönlichen Zweifeln und körperlicher Schwäche sowie Verleumdungen gegen Dohm, die ihre Wirkung in Berlin offenbar nicht verfehlten. Immer häufiger vermerkte Dohm in seinen persönlichen Notizen, daß er krank, ,,kopfwehig" vor allem, und sein häusliches Glück die einzig verläßliche Konstante in seinem Leben sei - am 6. November war die Tochter Betty zur Welt gekommen, die Einträge im Tagebuch sind nun sehr bestimmt von Bemerkungen zum Befinden seiner Frau und des Kindes. Erste Mißverständnisse mit Hertzberg traten unmittelbar nach Beginn der Abfassung der Schrift auf. Montag den 11 ten. Früh morgens kopfwehig Das viele Gewirre der Geschäfte macht mich sehr unruhig. Ist es besser itzt nach Lüttich zu gehn oder hier zu bleiben? Wo kann ich am beßten arbeiten? Die Verläumdungen, die unangenehme Ge1darrangirung für die Truppen [... ] In der Conferenz am Bericht gearbeitet. Mittags die erste Correktur meines Constitutionsplans erhalten, die ich am Abend mit Henrietten laß. Sie schrieb neben mir über unser schönes häusliches Glück nach Lemgo [... ] Ja es ist gewiß unser Glück ohngeachtet alles Drucks und Gewirres! [... ] Hertzberg mißversteht mich ganz, glaubt die Lütticher Sache anders zu sehn, ob es gleich nicht ist. 394
J acobi und seiner Frau Henriette las Dohm die Aachener ,Deduction' vor, Schlieffen befaßte er mit der Lütticher. Am 14. Januar besuchte er den General, der seinerseits "seinen Unwillen über H.[ertzberg] bezeugte, aber Alles aus dessen Eitelkeit und Jalousie erklärte". "Ich laß ihm aus meiner Schrift vor die er sehr approbirte nur hin & wider zu democratisch & zu sehr vertheidigend für die Lütticher fand."395 392 Nach Berlin hatte er allerdings schon am 28. Dezember gemeldet, er sei an der "anbefohlenen Ausführung" unablässig beschäftigt, soweit es die sonstigen Geschäfte erlaubten. Der König solle nur überall im Reich auf diese Darstellung verweisen (Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, BI. 182r.-187 v.). Tatsächlich waren Dohm und Küster so überlastet, daß Dohm am 17. Dezember nach Berlin mitteilte, er habe einen zusätzlichen Sekretär, den Klevischen Karnmerkanzlisten Bode, eingestellt, damit Küster sich wieder mehr auf das Konzipieren von Schreiben, statt auf das bloße Abschreiben konzentrieren könne (Post Scripturn ad relationem LXXXVI. Pr.G.St.A, Rep.ll, 152c 11, Nr.4, BI. 263r.). 393 Bericht Dohms vom 18. Januar 1790, Pr.G.St.A. Rep. 96, 166E, BI. 24r.-25v. 394 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 11. Januar 1790. 395 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 14. Januar 1790.
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Schlieffen bekräftigte seine Aversion gegen Hertzberg auch noch am folgenden Tag und zeigte sich sehr "aufgebracht über neue Inconsequenzen". Dohm entwickelte daraufhin, auch wohl, weil ihn ein Schreiben des Lütticher Fürstbischofs beunruhigte, einen Plan, der vorsah, Vertreter der Lütticher Stände nach Berlin zu entsenden, "um den vielen gegenseitigen Machinationen bey H. [ertzberg] entgegenzuarbeiten". Schlieffen stimmte zu, und noch am Abend wurde auch Senfft mit der Bitte eingeweiht, Fabry und Chestret zu Gesprächen mit Dohm zu begleiten. 396 Das Treffen zwischen Dohm, Schlieffen, Senfft, Fabry und Chestret fand am 16. Januar statt. 397 "Etwas niedergeschlagen über alles Unangenehme, was ich noch in der Lütticher Sache voraussehe", befand sich Dohm danach. 398 Auch die Unstimmigkeiten mit Hertzberg setzten sich fort. Am 25. Januar verfaßte Dohm daraufhin eine Rechtfertigungsschrift in eigener Sache, die er aber nach Absprache mit seiner Frau zunächst noch zurückhielt und Hertzberg nicht zustellte. "Unmuthig, daß diese unnützen Deliberationen mir so viele Zeit nehmen."399 Als sich diese Unannehmlichkeiten zu legen begannen, Dohm immer wieder für ihn beruhigende Nachrichten von Hertzberg erhielt, gab es Verstimmungen mit Schlieffen, der nun seinerseits auf Mißverständnisse zu reagieren schien.400 "An Schlieffen eine mir unangenehme Antwort. "401 Als zusätzliche Belastung für Dohm sollte sich die von ihm verschuldete Übernahme der 30.000 Reichstaler durch die beiden Kondirektoren herausstellen, eine Verfehlung, die ihm von Berlin immer wieder vorgehalten wurde. 402 Gegen Schlieffen und Dohm kursierte außerdem das Gerücht, sie seien von den Lütticher Patrioten bestochen worden. 403 Der preußische Hof zeigte sich im Januar geneigt, diesen Vorwürfen nachzugehen. Dohm wurde untersagt, weitere KorreDohm, Tagebuch, Eintrag vom 15. Januar 1790. Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 16. Januar 1790. 398 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 17. Januar 1790. 399 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 25. Januar 1790. 400 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 31. Januar 1790. 401 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 3. Februar 1790. 402 Reskript vom 18. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohrn 14, BI. 6r.-7r., auch im Reskript vom 25. Dezember 1789 (Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm 14, BI. 13r.): "WiI erwarten auch übrigens endlich Euren Bericht, wo die dreissig tausend Thaler Contributions-Gelder geblieben sind."; Reskript vom 28. Dezember 1789 (Pr.G.St.A. Rep.92, Dohrn 14, BI. 14r.-15 r.): Dohm wiId dringend um einen Kostenplan für Lohn und Verpflegung der Soldaten gebeten, außerdem erneut aufgefordert, den Verbleib der Gelder zu recherchieren. Darüber hinaus wünscht die preußische Regierung den baldigen Rückzug der eigenen Truppen. Dohrns Vorschlag, die Soldaten zum Schutz der Lütticher noch eine Weile im Land zu lassen, wird rigoros abgelehnt. 403 Dohrn an Hertzberg, 1. Januar 1790, Pr.G.St.A. Rep.92, Hertzberg 42, BI. 12r.-13v. Dohrn weist Hertzberg hier auf seinen Bericht hin, in dem er das Gerücht der Bestechung erwähnt: "Die Sache ist zu absurd als daß sie anderswo als im niedrigsten Pöbel Attention erregen könnte." Schlieffen wehrt sich ebenfalls in seinem Brief an Hertzberg vom 20. Januar 1790 (Pr.G.St.A. Rep. 92, Hertzberg 41, BI. 64r.). 396
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spondenzen mit dem Fürstbischof zu unterhalten, "außer in solchen Fällen, wo es nötig ist, als wegen des verläumderischen Gerüchts und Bestechung, welches allerdings zu untersuchen [... ] ist". 404 Dohm reagierte irritiert: Wir besorgten aus dem ganzen Ton, daß die Verläumdungen gegen mich auch in Berlin gewirkt. Ich hatte in meinem heutigen Berichte mir hierüber schon eine öffentliche genugthuende Erklärung des Königs erbäten. Itzt beschloß ich diesen Puncte zum Gegenstand eines aparten Berichts zu machen, den ich auch noch in der Nacht Henrietten dictirte. 0 des Gewirres und geplagten Lebens!405
Die Arbeit an der preußischen Verteidigungs schrift wurde Dohm, trotz guten Fortkommens, immer mehr verleidet. Ende Januar notierte er: "Die Wahrscheinlichkeit, daß Alles umsonst sey, schlägt nieder. "406 Diese Arbeit wird mir [... ] schwer wegen der mannichfachen Rücksichten, der Enge der Zeit die mir nicht erlaubt, Alles Nöthige nachzusehn, der Ungewißheit, ob und wie sie in Berlin Beyfall finde. 407
Und schließlich heißt es Anfang Februar: "Ein Brief von Siebmann machte es wahrscheinlich, daß Hertzberg sie wohl ganz unterdrücken werde. "408 Daß die Möglichkeit einer Veröffentlichung des preußischen Standpunkts in der Lütticher Angelegenheit zu einem ganz persönlichen Anliegen Dohms geworden war, macht auch seine Hinwendung zum preußischen Gesandten am Reichstag in Regensburg Johann Eustach Graf Goertz (1737-1821) deutlich, dessen Unterstützung er sich erhoffte. Am 27. Februar verfaßte Dohm ein Schreiben an diesen, "im Vertrauen über die Lütticher Sache & um ihn zu bewegen, an Herausgabe meiner Schrift mitzuwirken."409 Zwischenzeitlich verschlechterte sich das Verhältnis zu Hertzberg entschieden: "wieder ein Rescript, das von Hertzbergs Planlosigkeit & widriger Gesinnung zeugte."4\O Und schließlich Ende Februar: Ich bekomme itzt von Hertzberg gar keine Nachricht über die L. S. welches mich in nicht geringe Verlegenheit setzt, da so oft Vorfälle kommen, in denen ich handeln muß. Sein eifersüchtiger Neid ist sichtbar. 411
Die Wahrnehmung von Mißhelligkeiten zwischen Dohm und Hertzberg kam nicht von ungefähr. Dohms Separatvotum in Aldengohr hatte den Wendepunkt ge404 Reskript vom 8. Januar 1790, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm 14, BI. 20r., ebenso: Rep. 11, 152c II, Nr.4, B1.369r. 405 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 11. Januar 1790. 406 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 28. Januar 1790. 407 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 30. Januar 1790. 408 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 5. Februar 1790. 409 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 27. Februar 1790. 410 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 8. Februar 1790. 411 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 28. Februar 1790.
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bracht. Unterschiedliche Positionen hatten sich in der Folge abgezeichnet: Die Reaktion von Seiten der Anführer des Aufruhrs in Lüttich war durchweg positiv gewesen, dagegen hatten die Kreisdirektorialgesandten Münsters und Jülichs - wie bereits dargestellt - ihre Ablehnung des Votums durch den Hinweis auf dessen juristische Unzulänglichkeiten bekundet und Dohm - und mit ihm die preußische Diplomatie - über kurze Phasen aus den Beratungen ausgeschhlossen. Berlin hatte sich noch zu Beginn auf Dohms Seite gestellt, Mitte Dezember hatte sich das geändert: Mit Schreiben vom 18. Dezember 1789 war Dohm in Kenntnis gesetzt worden, daß der preußische Hof an Dohms Deklaration auszusetzen habe, daß der Verfassungszustand aus der Zeit vor 1684 von ihm "zur alleinigen und entscheidenden Richtschnur" gemacht worden sei, was den beiden Kondirektoren ihr Vorgehen gegen die Erklärung erleichtert habe. Außerdem war die Publikation des preußischen Separatvotums in Lüttich, die sich ,,mit solchem eclat" und unter solcher Freude vollzogen habe, kritisiert worden, da dies nur den Verdacht der preußischen Parteilichkeit nähre. Als "Ausweg" war vorgesehen worden, die Magistrate zur Ämterniederlegung aufzufordern, eine Interimsregierung in Zusammenarbeit mit dem Kreisdirektorium und dem Bischof zu bilden, eine Amnestie zuzulassen und dann eine neue Verfassung mit Rücksicht auf die von 1684 zu erstellen. 412 Berlin hatte damals also nicht nur die öffentliche Klarstellung der preußischen Politik von Dohm gefordert, sondern auch die Revision seines - wie man dort konstatierte - fehlerhaften HandeIns vor den Augen des Reichs. Dohm war damit eine Position zugewiesen worden, die ihn gleichzeitig zum Apologeten des preußischen Vorgehens als auch des eigenen Auftretens werden lassen mußte. Diese Rolle hatte er angenommen, ja, wie gezeigt, gerade die Möglichkeit dieser doppelten Verteidigung gewünscht. Zugleich aber hatte sich Dohm von seiner Regierung in Entscheidungssituationen im Stich gelassen gefühlt, während doch andererseits die Konstituenten des Möglichen und Notwendigen nun, wie die von Hertzberg gemachten Vorgaben eines Auswegs zeigen, deutlicher als vorher formuliert worden waren. Dohm entwickelte Entlastungsstrategien, indem er seine eigene Person schonende Interpretationen des Hertzbergschen Verhaltens entwarf - wie etwa die, Hertzberg handle aus Neid -, zugleich, indem er als Reaktion auf die inhaltliche und rechtliche Kritik an seinem Separatvotum seine Position gegenüber den Revolutionären als Kampf für eine gerechte Sache bestimmte. Sowohl gegenüber Hertzberg hatte er sich, wie gezeigt, so geäußert als auch - noch deutlicher -gegenüber Hofmann: Das Geschrei unseres an Fönnlichkeit gewöhnten Deutschlands war vorauszusehen. Am Ende wird uns der Beyfall aller Männer von Einsicht nicht fehlen, und man wird erkennen, wie es in Lüttichjeder weiß, daß meine Resolution vom 26. November allein Stadt und Land vom gänzlichen Ruin gerettet hat. [... ] der Gedanke, ein ganzes Land und vielleicht das Le412
Reskript vom 18. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm 14, BI. 6r.-7r.
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ben von Tausenden erhalten zu haben, ist mir ungleich süßer, als es der sein würde, auf die reichsconstitutionsmäßige Art ein unschuldiges Volk errasiren geholfen zu haben. 413
An diese Vorstellung knüpfte Dohm im März 1790 an, als er eine Verbindung zwischen Lüttich und der Niederländischen Republik als Möglichkeit vorschlug, den Truppenkontingenten der Münsteraner sowie der Kölner und weiterer Kontingente des Oberrheinischen Kreises, die durch die Erweiterung des reichskammergerichtlichen Mandats hinzugezogen werden könnten, von Lütticher Seite entgegenzutreten. Weder die Reichsverfassung noch die Verfassung des Hochstifts Lüttich sah er dabei in Gefahr. Zugleich aber erbat Dohm ebenso Anweisung aus Berlin, ob er nach Abzug der preußischen Truppen trotzdem weiterhin die Kommunikation mit den Lüttichern aufrecht erhalten - und damit den diplomatischen Verkehr fortführen - oder aber es zu völligem Abbruch der Kontakte kommen sollte. Zwischen diesen beiden Polen - bedingungslosem Einsatz für die Revolutionäre oder Abbruch jeglicher Kontakte - schien für ihn im März entschieden werden zu müssen. 414 Dabei war Dohm während der Entstehungszeit der Lütticher Schrift offiziell von den direkten Verhandlungen zwischen Preußen und Lüttich ausgeschlossen. Anfang Februar trafen in Berlin Chestret und Bassenge als Vertreter des Dritten Standes und Berlaymont sowie Renier-Charles de Blois de Cannenbourg 415 für den Etat noble ein. Sie konferierten dort mit Hertzberg, wobei es, wie aus der Korrespondenz nach Lüttich zu Fa413 Dohm an Hofmann, 9. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I 3 (Copialbuch Dohms), BI. 348 r.-349 v. In dieser Abschrift werden Dohms Korrekturen deutlich. Diesen Passus hat er später ergänzen lassen. Er ersetzt die ursprüngliche Version: ,,Ew. können aus meinem vorherigen Schreiben die besonders verwickelte und verdrießliche Lage, worin ich mich befinde" ersehen und erkennen, "wie diese durch jenes Urteil noch kritischer geworden ist" (BI. 348 r.). Überhaupt ändert sich in der korrigierten Version der Tenor in der Weise, daß Dohm seine eigenen Schwierigkeiten mit der Kritik der Direktorialkollegen wegen der preußischen Separaterklärung vom 26. November, mit dem Fürstbischof, der sich gegen ihn erklärte, und vor allem mit den Lütticher Ständen, die ihn schon so oft "compromitirt" hätten, etwa durch Kokardentragen, Folgeunruhen im Franchimont oder das Abreißen öffentlicher Erklärungen der Direktorial-Avertissements, herausnimmt zugunsten einer eher allgemeineren Darstellung des aktuellen Zustands preußischer Politik in Lüttich (vgI. dazu auch Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I3 [Copialbuch], BI. 221 r.-223 r., dort die endgültige Version des Briefes noch einmal). 414 Bericht Dohms vom 22. März 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, BI. 55 r.-56v. Erste Rückzugsabsichten Preußens waren ab Anfang Januar angekündigt (vgI. dazu Bericht Dohms vom 7. Januar 1790, in dem er von einer zuvor getanen Ankündigung Preußens spricht, Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, BI.11 r.-13 v.). Der König wollte in einem Schreiben vom 15. Januar an Schlieffen mit einer Entscheidung abwarten, bis er Antwort vom Lütticher Bischof haben würde (Pr.G.St.A. Rep.92, Hertzberg 41, BI. 67v. [Kopie]). Dohm schilderte Mitte Januar, daß die voraussehbaren Verhandlungen von so langer Dauer sein würden, daß es unmöglich sei, bis zum Ende sämtliche Truppen im Lande zu lassen, rechnete also mit einem Teilabzug und gleichzeitiger Fortsetzung der diplomatischen Mission (Bericht Dohms vom 18. Januar 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, BI. 24r.-25 v.). 415 De Blois de Cannenbourg war Offizier, seit 1765 Mitglied des Etat-Noble, nach Rückkehr Hoensbroecks wurde er als Oppositioneller verfolgt (vgI. Lettres et Memoires, S.76, Anm.1).
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bry hervorgeht, auch um die Frage eines neuen Regenten für Lüttich und einer möglichen Vereinigung mit den Brabantern ging. Hertzberg habe sich dabei weder gegen das eine noch gegen das andere ausgesprochen. 416 Parallel dazu bemühte man sich in Lüttich, ein deutliches Bekenntnis zu Preußen abzulegen. Fabry berichtete an Chestret, man feiere das Fest des heiligen Wilhelm in großem Stil zu Ehren des preußischen Königs: Glockenläuten, Feuerwerk, feierliches Geleit für Senfft und Schlieffen, auf der Freitreppe vor dem Rathaus würden der preußische Adler und eine Uhr aufgestellt "VIVe, VIVe, FreDerIC GUILLaUMe Le Juste."417 Bis Ende März korrespondierte der preußische Hof direkt aus Berlin mit dem Bischof und den Ständevertretern und informierte seinerseits Dohm über die Ergebnisse. Dohm fügte sich äußerst unwillig in diese Tatsache. 418 Neben die bis hierhin skizzierte institutionelle Ebene der die Entstehung der Dohmschen Verteidigungsschrift begleitenden Umstände, tritt die personelle Ebene, bei der vor allem die Konkurrenz der preußischen Handlungsträger - Dohm, Hertzberg, Stein, Schlieffen, Hofmann und Senfft - sowohl als objektiv gegebener Tatbestand als auch als von den Protagonisten wahrgenommener, zunehmend belastend empfundener Zustand auf Dohm wirkte. 2. Der personelle Kontext: Mitstreiter als Konkurrenten (Hertzberg, Stein, Schlieffen, Hofmann, Senfft) Briefe, die Hertzberg an Goertz schrieb, an den Dohm sich ja um Unterstützung für die Publikation seiner Schrift bittend gewandt hatte, geben Aufschluß über Hertzbergs Einschätzung des preußischen Königs, Dohms und vor allem seiner eigenen Position. Hertzbergs Beurteilung der eigenen Stellung bei Hofe, die Zusammenarbeit mit Finckenstein419 und seine außenpolitischen Pläne äußerte er in einem Brief vom 20. November 1789: Le public a crU pendant quelque tems, que mon Collegue se retireroit, pour son äge, mais au lieu de cela, il creat de demander au Roi, qu ' illui soit permi, de ne rien voir ni signer que jusqu' a midi et que lui a ete accorde. Ainsi je suis Secretaire d'Etat dans la matine et Ministre d 'Etat dans l'apres-midi, ou toutes les depeches arrivent et sont aussi expedies et separes pour la plus grande part. [... ] Je ne peus pas me plaindre, que le Roi ne me montre pas[ ... ] sa confiance. 11 adopte ordinairement tout ce que je propose et signe toutes les depeches qui se presentent le lundi et le vendredi le soir pour la postes du cour suivantes, mais je le regretterai toute ma vie, que je n' ai pas pu etre au voyage de la Silesie, que par la j' ai ete empeche de mettre la machine en mouvement, et que mon grand Plan a ete alors contrecarre par de
Vgl. dazu Borgnet, Histoire de la Revolution liegeoise, I, S. 228-230. Fabry an Chestret, 9. Februar 1790, Papiers de Chestret, 2, S. 71-72. 4 18 Bericht Dohms vom 21. Januar 1790, Pr.G.St.A. Rep. 96, 166E, Bl.53r.-54r. 419 Auch wenn dieser im Brief nicht namentlich genannt wird, läßt der Inhalt Rückschlüsse auf ihn zu. 416 41 7
VII. Die publizistische Verteidigung des preußischen Vorgehens
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personnes de qui on ne devroit jamais I' attendre, et qui par la ont fait manquer a la Prusse la plus grande epoque qu' elle a jamais eu; mais ce sont des regrets inutiles. 420
Hertzberg stellte Mitte Dezember Goertz die Situation in Lüttich als gefestigt dar. Trotz Schlieffens krankheitsbedingtem Ausfall sah er den militärischen Verlauf als gut an. Jetzt komme es vor allem darauf an, vor dem Reich und dem Reichskammergericht das preußische Verhalten zu rechtfertigen. Damit sei Dohm beauftragt. Außenpolitisch schätzte Hertzberg die Situation Ende Dezember so ein, daß er Belgien für Österreich verloren sah, sofern nicht Frankreich unterstützend eingreife. Von der Assemblee nationale allerdings sei eine solche Unterstützung wohl nicht zu erwarten, schrieb er Goertz. 421 In diesem Kontext verwundert dann die Bereitschaft Hertzbergs nicht, Lüttich aufzugeben, wenn nicht der eingeschlagene preußische Weg des Vergleichs zwischen dem Lütticher Bischof und den Ständen unter Zuhilfenahme militärischer Präsenz fortgesetzt werden könne. Entsprechende Mitteilungen machte der preußische Hof an die beiden anderen Kreisdirektorialhöfe und den Fürstbischof. 422 Mit einem Brief an den Fürstbischof, den Hertzberg im Namen des Königs am 31. Dezember verfaßte, hoffte er, die Lütticher Angelegenheit zu beenden. 423 Der Bischof wurde darin aufgefordert, nach Lüttich zurückzukehren und damit seinen Teil zu einem Vergleich beizutragen, den die Anwesenheit preußischer Truppen nun zu erreichen möglich machen könne. Eine Kopie des Schreibens wurde auch Goertz zugestellt und Hofmann nach Wetzlar geschickt. 424 Der Bischof verweigerte sich und ließ damit für den preußischen Hof keine Möglichkeit des schnellen Rückzugs aus der Lütticher Angelegenheit mehr zu. Hertzberg begann, unruhig zu werden, sich über seine eigene, von ihm ungeliebte Rolle als Krisenmanager in dieser Angelegenheit zu beschweren und machte Goertz gegenüber schließlich in den eigenen Reihen einen Schuldigen für die Misere aus, dessen Fehler er sich öffentlich zu korrigieren anstellte: j'ai procede avec la meilleure bonne foi possible n'ayant pas pu prevoir que Mr. D. pousseroit l'imprudence de faire sans necessite le dictateur dans sa fameuse Resolution du 26 No420 Hertzberg an Goertz, 20. November 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Hertzberg 36 (ohne Numerierung). 421 Hertzberg an Goertz vom 12. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Hertzberg 36 (ohne N umerierung). 422 Schreiben Dohms vom 27. Dezember 1789, als Anlage 21 bei der Schrift zur Lütticher Revolution. 423 Der Brief ist als Anlage 22 Dohms Schrift angefügt. Für die Zusammenstellung der Anlage war im wesentlichen Hertzberg zuständig (vgl. Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 4. März 1790: Dohm sendet Hertzberg die Beilagen zur Schrift.). 424 Die Lütticher Stände reagierten mit einem Schreiben an Dohm, in dem sie darauf verwiesen, daß eine preußische Akzeptanz einer interimistischen Regierung der Städte in Konkurrenz zum Bischof und den Ständen der angestrebten Aufhebung des Edikts von 1684 widerstrebe und den Zielen der Revolution damit diametral entgegenstehe (vgl. Brief der Stände an Dohm vom 5. Januar 1790, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm III, 23, BI. 1 r.-2 r.).
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vembre, en retablissant la Constitution de 1684, qu'il pouvoit renvoyer a la transaction. Je crois cependant avoir corrige cet erreur dans tout ma lettre & dec1aration, de sorte qu' on ne peut nous faire aucune reproche reel. 425
Stein und Dohm wurden im Januar angewiesen, keine Erklärungen oder Briefe zu schreiben oder zu veröffentlichen, ohne sie vorher Hertzberg vorgelegt zu haben. 426 Für Dohm galt diese Vorgabe vor allem im Zusammenhang mit Briefen an die Kreisdirektoren und den Lütticher Fürstbischof. Da er doch nun angewiesen sei, einen Bericht zu verfassen, sei es "überflüßig", die Korrespondenz mit dem Bischof fortzusetzen, teilte ihm Hertzberg zunächst noch moderat mit. 427 Als Dohm sich an die Vorgabe nicht hielt, wurde Hertzbergs Ton schärfer: Man finde es zu "voreilig und unnöthig", daß Dohm wieder an den Bischof, die Stände und die Kondirektorialen geschrieben habe, das bringe ,,nur neue Schreiberey u. Geschrey im Reich", "welche immer mit auf Uns gehen, da Ihr immer in Unserm Nahmen schreibet. Ihr hättet Uns dieses überlaßen sollen [... ]."428 Dohm entschuldigte sich für seine Briefe an den Fürstbischof, die Lütticher Stände und die Kondirektoren mit seiner Unkenntnis darüber, daß der Hof diese Schreiben nicht gewünscht und der Bischof bereits ein Schreiben nach Berlin verfaßt habe. Er sei aber Antworten schuldig gewesen und habe sie ganz im Sinne preußischer Absprachen vorgebracht. 429 Immer mehr schienen alle außenpolitischen Aktivitäten in Hertzbergs Hand zusammenzulaufen, immer deutlicher wurde zugleich die Bedrängnis, in der er sich sah: Dieu sait comment je pourrai faire face atout cela, pendant que les affaires de Turquie, de Pologne, de Suede, des Pays-Bas, de Saxe sont encore tout en I' air. [... ] Enfin ma situation est terrible. L' affaire de Liege me presse aussi encore. l' ecrivai un de ces jours une lettre au Eveque de Liege, pour le meUre au pied de mur, et pour finir ceUe miserable tracasserie. 430
Das avisierte Ende der Lütticher Angelegenheit erhoffte Hertzberg nun für März. Ein letzter Brief an den Bischof sollte dies bewirken. 431 Unterstützung in seinen allgemeinen Bemühungen für die preußische Außenpolitik sah Hertzberg jetzt nur noch durch den König gegeben: "Je sais ce que je crois devoir faire en patriote Prus425 Hertzberg an Goertz vorn 22. Januar 1790, Pr.G.SLA. Rep.92, Hertzberg 36 (ohne Numerierung). Hertzberg verwechselt in der Regel in seinen Briefen und Reskripten die Verfassung von 1684 mit der von vor 1684. 426 Hertzberg an Goertz vorn 26. Januar 1790, Pr.G.SLA. Rep.92, Hertzberg 36 (ohne Numerierung). 427 Reskript vorn I. Januar 1790, Pr.G.SLA. Rep.ll, 152c 11, Nr.4, BI. 338 r.-339 r. 428 Reskript vorn 4. Januar 1790, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr.4, BI. 356r. und v. 429 Bericht Dohrns vorn 14. Januar 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, BI. 2lr.-23 r. 430 Hertzberg an Goertz vorn 27. Februar 1790, Pr.G.St.A. Rep. 92, Hertzberg 36 (ohne Numerierung). 431 Hertzberg an Goertz vorn 2. und vorn 9. März 1790, Pr.G.SLA. Rep.92, Hertzberg 36 (ohne Numerierung).
vn.
Die publizistische Verteidigung des preußischen Vorgehens
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sien, mais je ne suis soutenu que par le Roi seul, qui ades principes assez vigoureux."432 Die Dohm zugewiesene Rolle wird Hertzberg im Mai weiter als nicht zufriedenstellend erfüllt kommentieren. Er selbst sah sich vielmehr in der Situation, öffentlich die Verantwortung für die preußische Außenpolitik, deren Aktivitäten und Kanalisierung der öffentlichen Meinung zu denselben, übernehmen zu müssen: Je ne mets point d'importance a I'affaire de Liege. Ma conscience me dit, que j'y ai prouve loyalement. Desque j'aurai le tems de lire tous les ecrits, je ne serai pas embarasse, de refuser toutes ces crialleries dans quelques feuilles. Je suis le martyr de la cause publique & je dois expier les fautes d'egoisme de Mrs de Dohm et Diez. Si on pouvoit voir leurs instructions, on verrait, que je n' ai rien gate de mon cote, et que je dirige les affaires non comme un Louvois, mais comme un Torcy.433
Jetzt waren es in Hertzbergs Wahrnehmung nur noch die Gesandten Goertz in Regensburg, Brühl in München und Jacobi-Kloest in Wien, die ihn unterstützten. Dohm habe sehr viel verdorben, ließ er Goertz Ende Mai wissen. Und dann folgte die Bewertung der eigenen Position als die eines doch ,nur' der Öffentlichkeitsarbeit Dienenden, dessen Handlungsvollmachten unzulänglich für die anstehenden Arbeiten waren. Zwar werde er als Verantwortlicher wahrgenommen, aber es sei doch nur "Geschreibe", das man ihm zugewiesen habe, wenn man ihn nur gelassen hätte, wären die Angelegenheiten in der Türkei, Brabant und Lüttich vollkommen anders verlaufen, "mais on ne me lais se quelquefois du griffonage"434. Als neue wichtige Figur auf dem diplomatischen Parkett wurde zudem der preußische Gesandte in Mainz Johann Friedrich vom Stein eingesetzt, der den Mainzer Bischof auf die preußische Seite ziehen sollte. 435 Stein wurde zu einem der schärfsten Kritiker Dohms in den Reihen der eigenen Kollegen. In seinen Berichten aus Mainz skizzierte er die schlechten Eindrücke, die die preußische Lüttichpolitik im Reich, innerhalb des Fürstenbundes und am Mainzer Hof direkt hervorrief. Dohm machte er als einen der wesentlichen Verantwortlichen aus und berichtete auch von dem kursierenden Gerücht, nicht Dohm, sondern die Gräfin Horion steuere die preußische Politik. 436 Stein zeigte sich entrüstet über die vermeintliche Hinwegsetzung Preußens über die Fürstenbundmaximen. Es sei ihm schon immer unmöglich gewe432 Hertzberg an Goertz vom 2. März 1790, Pr.G.St.A. Rep. 92, Hertzberg 36 (ohne Numerierung). Im laufenden Text heißt es "fort vigoureux", Hertzberg streicht "fort" und ersetzt es durch über die Zeile geschriebenes "assez". 433 Hertzberg an Goertz vom 4. Mai 1790, Pr.G.St.A. Rep.92, Hertzberg 36 (ohne Numerierung). 434 Hertzberg an Goertz vom 29. Mai 1790, Pr.G.St.A. Rep. 92, Hertzberg 36 (ohne Numerierung). 435 Hertzberg an Goertz vom 29. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 92, Hertzberg 36 (ohne Numerierung). 436 Bericht Steins vom 29. Januar 1790, Hansen, Quellen, 1, Nr. 239, S.537f. (vgl. auch Kapitel B. 11. 1. in dieser Arbeit).
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sen zu verstehen, schrieb er am 13. Dezember 1789 an Hertzberg, wie der Unionsvertrag, "qui fit tant d'honneur aFrederic et ason Ministre", sich mit der Lütticher Affäre vertrage. 437 In der Folge schlug Stein vor, ein ,,Expose des faits" anzufertigen, um sich gegen die Beleidigungen des Mainzer und Bonner Hofs zu wehren. Es sei nötig, Auszüge aus Dohms Berichten zu veröffentlichen und vor allem den vom König ratifizierten Plan vorzustellen, aus dem sich das weitere Vorgehen ergebe. Sollte seine Idee Zustimmung finden, schrieb Stein weiter, wolle er sich sofort daran machen, Auszüge zusammenzustellen und die Redaktion dieser Note vorzunehmen. 438 Mit Schreiben vom 12. Januar 1790 änderte sich sein Engagement in der Weise, daß er nun Schlieffen und Dohm angriff. Beide seien nicht mit ausreichend Details über die militärischen Vorbereitungen der Lütticher informiert. 439 Dohms Politik könne von niemandem, der mit den Lütticher Angelegenheiten vertraut sei, verteidigt werden. Unverständnis zeigte Stein darüber, daß Dohm trotz seiner Arbeit vom preußischen Hof getragen wurde. Dohms Apologie, so Stein, müsse ein ganz kurioses Stück sein, denn es sei doch für den Autor ein bißchen schwer, allen, die die Originalschriftstücke kennen, zu erklären, warum eine so einfache Sache noch erläutert werden müsse. Es bleibe ihm, Stein, die Hoffnung, daß eine Schrift gerade dieses berühmten Autors im Reich die unangenehmen Eindrücke preußischer Politik in Lüttich verwische. 44O Im März wurde Stein nach Trier geschickt, um dort mit dem Lütticher Bischof direkt zu sprechen und Depechen des preußischen Königs zu übergeben. 441 Wie sehr diese schlechte Meinung über Dohm sich vor allem in Mainz ausgebreitet hatte, zeigte die Abkehr Johannes von Müllers. Er, der in so engem Kontakt zu Dohm gestanden, ihn bei seinem Bemühen, an den preußischen Hof zu gehen, bekräftigt und Dohm vor allem für seine Fürstenbundschrift über die Maßen gelobt 437 Bericht Steins vom 13. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Hertzberg 37 (ohne Numerierung). 438 Bericht Steins vom 14. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 92, Hertzberg 37 (ohne Numerierung). 439 Bericht Steins vom 12. Januar 1790, Pr.G.St.A. Rep.92, Hertzberg 37 (ohne Numerierung). 440 Bericht Steins, 1. Februar 1790, Pr.G.St.A. Rep. 92, Hertzberg 37 (ohne Numerierung). Das große Selbstbewußtsein Steins kommt in seinen Briefen an Hertzberg immer wieder zum Ausdruck. Er habe den König darum gebeten, schrieb er Hertzberg am 22. Januar 1790, doch Dohm nach Mainz zu schicken, damit er sich mit ihm über die Nuntiaturfrage besprechen könne, außerdem habe er Hofmann aus Wetzlar nach Mainz gebeten, um ihm alle möglichen Anweisungen wegen dieser "desaströsen" Lütticher Angelegenheit zu geben (Pr.G.St.A. Rep. 92, Hertzberg 37 [ohne Numerierung]). Möglicherweise war Steins rigorose Kritik auch mitgetragen vom Verhalten des Mainzer Kurfürsten ihm gegenüber. Der kaiserliche Gesandte Graf Schlik berichtete am 7. Februar 1790 an den Reichsvizekanzler Fürst von Colloredo, der Mainzer Kurfürst fühle sich durch die preußische Lüttichpolitik getäuscht. "Stein[ ... ] wurde durch einige Zeit sehr frostig und fast mit Unwillen behandelt. Der Kurfürst bediente sich sogar des Ausdrucks: ,daß man ihn nur einmal betrüge'." (In: Hansen, Quellen, I, Nr. 243, S. 547-549, hier: S. 547-548). 441 V gl. Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, I, S.231-232.
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hatte, teilte nun, wie aus Dohms entsetzten Briefen an Müller zu entnehmen ist, die Auffassung, die zunehmend sich abzeichnende preußische Misere hänge mit Dohms Überschreitung seiner Instruktionen und seiner bewußt falschen Berichterstattung zusammen. 442 Schon im Januar 1790 hatte Müller in einem ausführlichen Schreiben an Schlieffen mit großer Offenheit sein Unverständnis über die preußische Politik in Lüttich geäußert. Überall im Reich rede man nur noch von Lüttich, dagegen verschwinde sogar das Interesse an der französischen Revolution, dem Türkenkrieg und der belgischen Republik: "To be or not to be that is the question; il faut etre decide". Weder er, Müller, noch Stein könnten begreifen, wie Preußen gleichzeitig den Kreis, den Fürstbischof und das Reichskammergericht brüskieren könnte; "ce n' est pas de Liege, dont il s'agit principalement, mais des maximes, qui guident le Roi dans les affaires de I'Empire". Dohm müsse sich doch daran erinnern, wie sie beide, Müller und er, im Kontext der Gründung des Fürstenbundes immer wieder in ihren Schriften nach Betrachtung aller ökonomischen, politischen und abstrakt-philosophischen Prinzipien betont hätten, daß die Reichsgesetze gewahrt werden müßten. "Indiquez-moi, avec un mot", fragte Müller schließlich im Bezug auf die preußische Lüttichpolitik, "quelle est la politique dans laquelle on peut trouver le principe de tout cela". Daß Dohm nun ein Expose zur preußischen Lüttichpolitik schreiben sollte, hatte Müller von Hofmann erfahren. Schon zu Beginn seines Schreibens an Schlieffen hatte Müller das preußische Verhalten vor allem in den Kontext der öffentlichen Rezeption im Reich gestellt: "Vous le savez, dans cette expedition il ne s' agissait pas de conquerer Liege mais de conquerer l' opinion publique de l' Allemagne" . Falls Schlieffen Dohm einmal schreibe, bat Müller diesem auszurichten, wie betrübt er über die grausame Situation sei, in der Dohm sich befinde, nach Prinzipien handeln zu müssen, die niemand verstehe, Dinge verteidigen zu müssen, gegen die jedermann sich auflehne, so wie vor allem seinen guten Namen opfern zu müssen für die Verteidigung einer Sache, von der sich einmal sein eigener Hof abwenden werde, die unkalkulierbar und die Lüttich nicht wert sei. 443 Wie sehr Müller sich in seinen politischen Einstellungen von Dohm entfernt hatte, zeigten auch seine Reaktionen auf die Unruhen im Mainzer Land. Unter anderem auf Anregung Müllers war der Kurfürst rigoros gegen Aufständische vorgegangen. Müller kommentierte dies am 6. Mai 1790 an seinen Bruder: 442 Briefe an Johannes von Müller, 2, Brief Dohms vom 8. April 1790, S. 355-359 und vom 28. Mai 1790, S. 360-368. Dohm zeigt sich darin befremdet, daß der Mainzer Hof keine Verbindung zu ihm, dem zuständigen Vertreter Preußens, aufgenommen habe und Stein, den er schätze und immer verteidigt habe, der seinerseits ihm immer freundlich begegnet sei, ohne mit ihm kommuniziert zu haben derart gegen ihn aufgetreten sei. Was die Freundschaft zu Müller betraf, schrieb Dohm: "Quelle liaison entre les affaires et nos liaisons personelles! Si le cas pouvait jamais arriver (ce que j' espere pour le bonheur d' Allemagne ne sera jamais) que nos deux Cours se trouveroient dans des systemes ouvertement opposes - qu'est- ce que cela regarde Müller et Dohm?" (S. 362). 443 Müller an Schlieffen, 6. Januar 1790, Pr.G.St.A. Rep.92, Hertzberg 41, BI.47r.-50v. Es handelt sich bei diesem Schreiben um eine Abschrift, weder Absender noch Adressat sind erkennbar und erst aus der Lektüre rekonstruierbar.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Ich halte nicht nur für die beste Politik, sondern selbst für ein Werk der Barmherzigkeit gegen betörte Untertanen, aufrührerischen Geist nicht zu Kräften kommen zu lassen, sondern durch überraschend schnelle Maßregeln zu schrecken. 444
Umgekehrt schien Müller jetzt in Stein einen Protege gefunden zu haben, denn dieser erinnerte mit Nachdruck Hertzberg daran, daß Müller die Zusage erhalten habe, in die "Academie Royale des Sciences" in Berlin aufgenommen zu werden. Ein Mann, mit so viel "attachement zele aux Interets de notre Cour", verdiene diese königliche Gnade, betonte Stein. 445 Neben Hertzberg und Dohm waren außerdem noch Schlieffen und Hofmann in die preußische Öffentlichkeitsarbeit involviert. Als zunehmend klar wurde, daß Dohm unter der Arbeitsbelastung, in der er sich befand, die Verteidigungs schrift nicht schnell erstellen können würde, erwog der preußische Hof die Übergabe einer kleinen Schrift durch Hofmann an das Reichskammergericht. Dohm sollte seine Abhandlung dann ebenfalls erst nach Berlin schicken, damit sie nach der Lektüre dort nach Wetzlar zu Hofmann gehen könnte. 446 Schlieffen hatte - mit zweifelhaftem Erfolg - anonym eine Schrift für den "Courier du Bas Rhin" am 28. Oktober unter dem Titel "Lettre d'un Officier General de Wesel a Son Correspondant" verfaßt. Die Kreisdirektorialgesandten für Münster und Jülich Kempis und Grein hatten nach der Veröffentlichung Pro Memoria 447 mit der Aufforderung an Dohm gesandt, sich über den Inhalt des Artikels zu erklären. Ihre Proteste wandten sich gegen die Darstellung, der preußische Hof allein würde die Herstellung der Ruhe in Lüttich durch Mediation und unter Hinzuziehung von Truppen unter General Schlieffen vollziehen. Dohm antwortete beiden Direktorialvertretern, der Artikel sei lediglich die Arbeit eines Privatmannes, "an welcher der Allerhöchste Hof des Unterzeichneten nicht den entferntesten Antheil nehme" und der auf keine Weise öffentlich autorisiert sei. Unbedenklich sei der Artikel vor allem deshalb, weil er nach seiner Überschrift von einer Militärperson stamme, die sich mit dem genauen Umfang des Mandats gar nicht auskenne. Dohm aber wolle sich nach dem Urheber erkundigen und diesem eine Berichtigung empfehlen. 448 Nach Berlin teilte Dohm am 5. November mit, der Artikel habe in Lüttich großen Eindruck gemacht, er habe allerdings mit Schlieffen verabredet, zur Verhütung weiteren Mißtrauens eine "schickliche Berichtigung" vorzunehmen. Ausdrücklich erZitiert nach Hansen, Quellen, I, S.621, Anm.l. Bericht Steins vorn 12. Januar 1790. Pr.G.St.A. Rep.92, Hertzberg 37 (ohne Numerierung). 446 Reskript vorn 18. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 92, Dohrn 14, BI. 6 r.-7r. 441 Pro Memoria von Kernpis, 3. November 1789, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm 1 3 (Copialbuch), BI. 117v.-118r., Pro Memoria von Grein vorn 4. November 1789, BI. 118v., Pro Memoria von Dohm vorn 4. November 1789, B1.119r. (auch: Rep.ll, 152c 11, 3, BI. 99 r.-102 r. als Abschrift). Ein Auszug aus Schlieffens Artikel findet sich auf BI. 118 r. und v. 448 Pro Memoria von Dohrn vorn 4. November 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, 3, BI. 101 r.-102r. Auch: HStA DüsseldorfNWK 1 Lit L24 11, BI. 140r. und v. 444
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wähnte Dohm hier, daß Schlieffen der Autor des Artikels sei. In Berlin war dieses Faktum offensichtlich nicht bekannt, Schlieffen hatte mit der Publikation eigenmächtig gehandelt. 449 Am 13. November kamen vom preußischen Hof klare Anweisungen zur Veröffentlichung von Zeitungsartikeln. Nur die Fakten seien zu publizieren, keine "unzeitigen und partheyischen Raisonnement[s]", "weil das Publikum und selbst die Höfe dadurch nur irre gemacht werden, wenn wir etwas zu declariren nötig finden, so wird es schon von hier mit größerer Zuverläßigkeit geschehn".45o In Lüttich arbeitete die Partei des Bischofs mehr und mehr durch propagandistische Schriften in der Öffentlichkeit. Mitte März 1790 meldete Dohm, daß "eine Menge kleiner Schriften" in die Landessprache übersetzt und verteilt würde. 451 Hofmann war zunehmend verärgert über den Gang der Lütticher Angelegenheit. Am 3. Dezember schrieb er Dohm aus Wetzlar, er sei der Lütticher Sachen mit ihrer "unsäglichen Mühe und ausgestandenen vielen Desagrements und Verdrieslichkeiten so müde", daß ich nach dem bevorstehenden Urteil geneigt bin, den Lüttichschen Ständen die Agentia aufzukündigen, zumal wegen der Collisionen, in die ich dabey als Preußischer Agent komme, und da man behauptet, ich könne nicht zugleich dem Executori und Exequendo bedient sein. 452
Schon früh war es vor allem Hofmann gewesen, der sich gegenüber Chestret für eine schnelle Einigung zwischen Preußen und der revolutionären Partei in Lüttich ausgesprochen hatte, um gegenüber dem Reichskammergericht eine quasi ,außergerichtliche' Einigung als Faktum zu präsentieren und damit die Umsetzung des Mandats zu verhindern. ,,11 faut se bäter, avant que de plus grands interets et la situation Bericht Dohms vom 5. November 1789, Pr.G.St.A. Rep.96, 166D, BI. 9lr.-92 v. Reskript vom 13. November 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, 3, BI.I03r.-l04r. 451 Bericht Dohms vom 15. März 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, BI. 53 r.-54v. 452 Hofmann an Dohm, 3. Dezember 1789, Rep.92, Dohm 13 (Copialbuch Dohms), BI. 317 r.-318 r. Den Lütticher Ständevertretem war dieses veränderte Verhalten Hofmanns offenbar aufgefallen. Louis-Joseph Donceel berichtete jedenfalls im November 1789 Amold Donceel, Hofmann verhandle mit Zwierlein entgegen den Vorgaben des Berliner Hofs und den Interessen der Lütticher (Bibliotheque Generale, Papiers de Donceel, Mss. 1059, Brief 42). Dohm teilte Fabry seinen Unmut über Hofmanns Auftreten in Wetzlar mit. Er, Dohm, sehe Hofmanns Rolle darin zu beobachten, was passiere, und in jeder Hinsicht den preußischen König zu vertreten (Dohm an Fabry, um den 9. Dezember 1789, zitiert nach Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, S.199-200). Hinzuweisen ist auf die Tatsache, daß sich Hofmann zu einem noch relativ frühen Zeitpunkt aus der Vertretung der Lütticher Stände zurückziehen wollte. Seine bisherige Vorgehensweise wurde von Dohm kritisch gesehen. Hofmanns Engagement über die "amtliche Notwendigkeit hinaus", wie Neugebauer-Wölk, Reichsjustiz und Aufklärung, S. 61, darlegt, relativiert sich ab diesem Zeitpunkt des avisierten Rückzugs. Hofmanns Auftreten in Wetzlar im Jahr 1795, wo er Teilnehmer eines nächtlichen Umzugs war, bei dem Revolutionslieder gesungen wurden (Neugebauer-Wölk, Reichsjustiz und Aufklärung, S.61), spricht zwar für seine positive Einstellung zur Revolution, ist aber in dieser Vehemenz nicht übertragbar auf das Verhalten im Lütticher Fall, in dem die Sympathie für die Ideen der Revolutionäre letztlich hinter den Alltagsgeschäften des Juristen verschwand. 449
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critique des affaire en Europe donnent trop d'occupation ala Cour de Berlin.", hatte er im Oktober 1789 geschrieben. 453 Wenig später hatte Hofmann sich bei Chestret über die immer neu aufflammenden Unruhen beschwert. Man dürfe sich nicht wundem, wenn es von Seiten des Direktoriums immer neue Monita gebe. In Wetzlar nehme man das zögerliche Verhalten Preußens sehr kritisch auf und mache ihn, Hofmann, dafür verantwortlich: J'ai eu sur ce sujet des conversations fort desagreables, mais sij'ai une fois la permission de faire imprimer mes relations a la Cour de Berlin, je serai parfaitement justifie, car je n' ai pour but que le bien public de votre pays.454
Mit Senfft war man weder in Berlin zufrieden, noch konnte Dohm in ihm eine Hilfe sehen. Schon im Oktober hatte Dohm sich kritisch geäußert, Senfft vertrete zu sehr seine ,.Privat Gesinnung" in Lüttich und mache sich mit den Insurgenten gemein. 455 Im November äußerte sich Dohm nun ausführlich gegenüber Hertzberg: Wegen seiner Nähe zu den Patrioten sei Senffts Anwesenheit in Lüttich nicht nur der Sache, sondern auch ihm selbst nachteilig. Es würde ihm, Dohm, sehr lieb sein, Senfft von Lüttich entfernt zu sehen, da es ihm im Moment ein eigenes Geschäft sei, "ihn nach seinem Wunsch in Thätigkeit und Ansehn zu erhalten." In Trier könne er als Beobachter sicher nützlich sein. "Da in der politischen Carriere, worinn den Mann doch eigentlich nur ein Zufall geworfen, [... ] kein Platz seyn wird", wäre der Wiedereintritt in die militärische Laufbahn sicher wünschenswert. Ew. Excellenz wissen, daß ich bey Äusserung dieses Wunsches, gewiß von Allem, was Jalousie heissen könnte, entfernt bin, da H. von Senfft aufkeinerley Art mir im Wege ist, vielmehr ich von ihm durchaus keine Beschwerde habe, als daß er mir viele Zeit kostet.
Dohm sorge sich nur um die Sache und um Senfft, bei dem er voraussehe, daß er sich ruinieren werde und wenn die Krise vorbei sei, seinen Posten, der doch nie verbessert werden könnte, auf eine unangenehme Weise verlieren werde. 456 In der Folge setzten offenbar in Berlin Überlegungen ein, wohin Senfft versetzt werden könnte. Dohm gab jedenfalls in einem Schreiben vom 8. Dezember zu bedenken, daß Senfft für den Gesandtenposten in Konstantinopel, auf dem Diez ersetzt werden sollte, noch zu unreif sei. 457 Am Monatsende hatte Senfft selbst Dohm offenbar eindringlich darum gebeten, ihn gegenüber Hertzberg nach Brüssel zu empfehlen. Dohm fügte dieser Meldung an Hertzberg bei: "Ich habe meine Meynung, inwiefern er datzu brauchbar schon aufrichtig gesagt. "458 453 Hofmann an Chestret, 4. Oktober 1789, Papiers de Chestret, 1, S.30. 454 Hofmann an Chestret, 16. Oktober 1789, Papiers de Chestret, 1, S. 35. 455 Vgl. Kapitel B. IV. in dieser Arbeit. 456 Dohm an Hertzberg, 12. November 1789, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr. 3, BI. 129r.134v. 457 Dohm an Hertzberg, 8. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep.11, 152c 11, Nr.4, BI. 268r.270r. 458 Dohm an Hertzberg, 28. Dezember 1789, Pr.G.St.A. Rep. 11, 152c 11, Nr.4, B1.352r.355v.
VII. Die publizistische Verteidigung des preußischen Vorgehens
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Senfft seinerseits hatte schon sehr früh gefürchtet, neben Dohm keine eigenen Entfaltungsmöglichkeiten mehr zu haben. Am 6. September 1789, bei seinem Treffen mit Dohm in Belveil hatte er diese Angst zum ersten Mal geäußert. "Er gestand mir frey", hatte Dohm in seinem Tagbuch notiert, "daß er besorge man möge mich zu sehr in der Sache gebrauchen, und wenn die Lütticher sich einmal an mich gewandt, werde er null werden"459. Tatsächlich hatte Senfft sich schriftlich mit der Bitte um Vertrauen besonders in seine Person auch an Fabry gewandt: "Si un peu de confiance particuliere en ma personne, que j' ai tache de meriter pouvoit contribuer, j' en serois tres flatte, car je ne dementirai jamais mes sentiments qui sont connus"460 Am 19. September 1789, während seiner ersten Lüttichreise, hatte Dohm Ähnliches festgehalten: Senfft bezeugte viel Unruhe, daß man in Berlin so wenig Vertrauen ihm beweise, und er itzt durch meine Erscheinung null würde [... ]. Ich suchte ihn beßtens zu beruhigen und versicherte ihn, daß ich ferner, wie bisher als redlicher Mann, gegen ihn handeln und sein Verdienst beßtens geltend machen werde.
Wenige Zeilen weiter bekräftigte Dohm noch einmal, daß Senfft ihm "ungemein viel Unruhe über sein Verhältniß in der künfftigen Behandlung des Geschäffts bezeugte".461 3. Die Analyse des Inhalts Die Grundzüge der preußischen Vorgehensweise mit den zugrundeliegenden Intentionen und der Aufgabenverteilung an die Protagonisten, die Darstellung der Politik des Lütticher Bischofs und der Stände, allgemein staatsphilosophische Überlegungen und die ausführliche, sich zu grundsätzlichen Vorstellungen ausweitende rechtliche Würdigung des reichskammergerichtlichen Vorgehens bilden die vier wesentlichen Stränge, die Dohm in seiner Verteidigungsschrift miteinander verwebt. Im wesentlichen folgt die Darstellung der Chronologie der Ereignisse und zeigt eher pragmatisch denn systematisch diese unterschiedlichen Aspekte auf. Dohms Schrift ist nicht ohne innere Widersprüche, zum Teil merkt man ihr den ,Entstehungsdruck' , die Zeit- und sicher auch Erklärungsnot einer im Zeichen eines Verstoßes gegen geltendes Recht stehenden Verteidigung an. Dohm selbst beurteilte aus der späten Rückschau seiner "Denkwürdigkeiten" seine "Staatsschriften" als zweckorientierte, aus aktuellen (politischen) Notwendigkeiten heraus entstandene Abhandlungen, die ihre Bedeutung mit Beendigung der konkreten Bezugssituation verloren. Er sei von Freunden ersucht worden, als Beilagen seiner "Denkwürdigkeiten" seine Staatsschriften anzufügen. Seine Weigerung, dieDohm, Tagebuch, Eintrag vom 6. September 1789. Senfft an Fabry, 7. September 1789, Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1051, Brief 502. 461 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 19. September 1789. 439
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sem Wunsch zu entsprechen, begründete Dohm damit, daß ihre "Beziehungen, ihre feinen Andeutungen allgemein bekannter Dinge" nicht mehr verstanden würden, vielmehr Staats schriften nur dann noch vom Leser erfaßt werden könnten, wenn "es dem Geschichtsschreiber gelingt den Leser ganz in die Umstände und Verhältnisse zu versetzen, aus denen jene entstanden" seien. 462 Die Verteidigungs schrift der preußischen Politik in Lüttich ist geprägt von Dohms redundantem Stil und seiner vielfach detailbesessenen Darstellung der Ereignisse. Eine Systematisierung der Darlegungen läßt die zentralen Aussagen deutlicher werden. Nebeneinander gestellt werden im Folgenden zunächst die von Dohm beschriebenen Positionen der Protagonisten, nämlich der preußischen Regierung und der Lütticher Aufständischen. In einem zweiten Teil wird es um Dohms Beurteilung des reichskammergerichtlichen Auftretens in der Lütticher Krise gehen, die dabei eingeordnet wird in den zeitgenössischen Kontext der Reichspublizistik. Festgehalten werden muß, daß der Dohmsche Text in Berlin von Hertzberg gegengelesen und mit den Anlagen ergänzt wurde. So sehr man ihn als Dohms eigene Ansichten widerspiegelnde Abhandlung verstehen sollte, so deutlich muß man sich doch auch die Verantwortlichkeit Hertzbergs vor Augen führen. Die Schrift erschien im April 1790 beim Verleger Johann Friedrich Cotta, der sie in der "Chronik" vom 15. Juni 1790 den Zeitungsiesem als "eine Hauptschrift über eine der wichtigsten Zeitereignisse" empfahl. 463
462 Dohm, Denkwürdigkeiten, I, Vorrede, S. XVII. Forschungsmeinungen, die Dohm hier grundsätzliche Aussagen zur Reformbedürftigkeit des Reichssystems oder Bewertungen der Revolution unterstellen, sind zu hinterfragen. Risse, Dohm, S.122, etwa behauptet im Zusammenhang ihrer Interpretation der Lütticher Schrift, daß Dohm ..selbst diese als Verteidigungsschrift des preußischen Staates gedachte Schrift dazu nutzt, seine eigenen politischen Anschauungen zu verbreiten und so mittels der aus dem ,moralischen Innenraum' entstandenen Sphäre der bürgerlichen Öffentlichkeit politisch zu wirken." Die Ereignisse in Frankreich hätten, so Risse weiter, dazu geführt, daß Dohm seine politischen Vorstellungen nun "präziser und klarer artikuliert" - sie zählt zu diesen Vorstellungen die Befürwortung unblutiger Revolutionen und die Vorbehalte gegen unumschränkte Alleinherrschaft (S.125) -, um dann wieder einzuschränken, Dohm heiße Aufstände gegen die Obrigkeit allerdings nicht grundSätzlich gut, denn er mache hier nur Aussagen zu Lüttich. Das Ergebnis von Risses Sprachanalyse erklärt Dohm zu einem begeisterten Anhänger der Revolution in Lüttich, zu einem engagierten politischen Schriftsteller, "der sich schreibend bemühte, Reformen in Gang zu setzen, Bürger und Regierende wachzurütteln" und dies nirgendwo "so plastisch zum Ausdruck [brachte) wie in seiner Sprache in der Schrift ,Die Lütticher Revolution'" (S. 136). Die Analyse der vorhandenen Quellen und des konkreten Entstehungskontextes verlangt eine differenziertere und weniger revolutionszustimmende Interpretation. Neugebauer-Wölk, Preußen und die Revolution in Lüttich, S.73, spricht Dohm, im Gegensatz zu Risse, ab, der preußischen Machtpolitik "eine moralische Pseudobegründung" zu geben. 463 Chronik, 15. Juni 1790, S.411.
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a) Die Darstellung der preußischen Position Dohm eröffnet seine Schrift mit der Vorstellung der konkreten Zielsetzung preußischer Politik in Lüttich, nämlich der Restauration der Ordnung im Sinne einer Rückführung des Fürstbischofs in ein befriedetes Land sowie der Herstellung einer "den Bedürfnissen und Einsichten unseres Zeitalters näher anzupassenden Constitution". Dem reichskammergerichtlichen Mandat wird mit dieser Zielvorgabe insofern Rechnung getragen, als zunächst der Status quo ante als durch preußische Politik zu erreichender Sollzustand definiert, dann aber über den Wortlaut des Mandats hinaus die Schaffung einer veränderten, weiteren Konflikten präventiv entgegen wirkenden Verfassung als erstrebenswertes Ergebnis preußischer Mittlertätigkeit bestimmt wird. Dabei bleiben die Konstituenten der Lütticher Verfassung erhalten: Die Autorität der Obrigkeit wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt, wohl aber eine Modifikation ihres Machtpotentials angestrebt. Der Truppeneinmarsch wird dann nicht als konstitutiver Bestandteil des reichskammergerichtlichen Mandats vorgestellt, sondern als den ,,zufallen, welche die Zeitumstände erwarten ließen", entwachsen. 464 Auch hier wird der Ausnahmesituation begegnet mit dem Vorschlag ihrer Auflösung durch Pragmatismus vor Rechtsbefolgung. Den Beginn der "Theilnehmung Sr. Königl. Majestät an diesen Streitigkeiten" datiert Dohm auf den Einsatz des preußischen Agenten in Wetzlar im Mai 1789, als dieser auf Bitte des Lütticher Fürstbischofs und Anweisung des preußischen Königs sich für die Beschleunigung der Entscheidung in den Lüttich betreffenden anhängigen Rechtssachen verwendete. Bis zum Ausbruch der Unruhen habe es keine weitere Einmischung Preußens in die Lütticher Angelegenheiten gegeben. 465 Über "die wiederhergestellte Einigkeit zwischen Fürst und Unterthanen, der allgemein verbreiteten Freude des Zutrauens und der Achtung, die der Fürst dem neuen Magistrat bewieß", sei der preußische König dann von seinem Ministerresidenten Senfft-Pilsach informiert worden. Die Berichte über das reichskammergerichtliche Mandat und über die Flucht des Bischofs, beides die Situation entscheidend verändernde Faktoren 466, seien etwa zeitgleich in Berlin eingegangen und hätten den König bewogen, Entschließungen über die zur Wiederherstellung der Ruhe anzuwendenden Mittel zu fassen. Dohm sei befohlen worden, sich in Lüttich einen Eindruck von der Situation vor Ort zu machen und den streitenden Parteien zu verdeutlichen, daß Preußen "aus Wohlwollen für das Land" keine militärische Exekution wünsche, dem Übel aber durch "wohlmeynende und kräftigste Mitwürkung" zuvor kommen wollte. Die Reise wird von Dohm so datiert, daß sie zwar in Kenntnis des Mandats angeordnet, jedoch vor dessen "Insinuierung" stattgefunden habe. 467 Vor allem die Dohm, Lütticher Revolution, S.4. Dohm, Lütticher Revolution, S.45. 466 Dohm, Lütticher Revolution, S. 34. Als Anlage (4) wird der Schrift die Erklärung des Bischofs, die dieser bei seiner Flucht zurückgelassen hatte, beigefügt. 467 Dohm, Lütticher Revolution, S. 46, schildert das Prozedere der Insinuierung in einer Fußnote: "Die Reichs-Kammergerichtlichen Mandate für das Clevische Kreiß-Direktorium wer464
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Abwesenheit des Bischofs und sein Unwille, auf Bitten der Stände, die Deputationen nach Trier schickten, zu reagieren, hatte nach Dohms Eindruck zur Mißstimmung in Lüttich beigetragen. Eine weitere Deputation sei nach Wetzlar geschickt worden, um das Kammergericht zur Rücknahme des Mandats zu drängen. Das Volk allerdings habe auf "noch schleunigere, auf gewissere Hülfe" gedrungen und eine Deputation nach Berlin, eine andere nach Versailles verlangt. 468 "Lüttich durch Frankreich" helfen zu wollen hatte Dohm in seinem Tagebuch als Ziel seines HandeIns skizziert469 und ebenso an den preußischen König formuliert. Hier nun wird dieser Gedanke als Wahrnehmungsebene des Lütticher Volkes dem großen Publikum vorgestellt: Die neuen Ideen aus Frankreich, die raschen Erfolge der dortigen Revolutionäre seien Movens für die Lütticher Aufständischen gewesen. Sichere und schnelle Hilfe bei der Umsetzung der Ideen erwarteten sie, so Dohm, durch Preußen. Die Selbstverständlichkeit, mit der vor dem Reich in dieser Argumentation ein Bild von Preußen als Helfer revolutionärer Untertanen entwickelt wird, ist verblüffend. "Der allgemeine Ruf von der unpartheyischen Gerechtigkeitsliebe Sr. Majestät", so erläutert Dohm später, und die Unmöglichkeit, daß Preußen irgend ein Interesse bey der Sache haben, irgend ein anderes Ziel sich setzen könne, als zu einer gründlichen Verbesserung der Constitution des Lütticher Landes ohne Begünstigung der einen oder andern Parthey aufrichtig mitzuwirken, waren Gründe, welche Jedem einleuchteten. 47o Das Ziel der preußischen Intervention skizziert Dohm als Präventivmaßnahme gegen weitere Unruhen in Lüttich und den österreichischen Niederlanden und in der reichspatriotischen Absicht einer Verhinderung der Trennung des Hochstifts vom Reich. Ohne militärisches Eingreifen sei dies schließlich nicht mehr möglich gewesen. Da aber Preußen die größten Truppenkontingente stellte und "die unangenehmen und lästigen Folgen vorzüglich auf den König zurückfallen mußten", sei der König voll des Vertrauens gewesen, daß alle einzuleitenden Maßnahmen unter preußischem Oberkommando sich vollziehen und den jeweiligen Umständen angepaßt, also nicht einer buchstäblichen Vollziehung des kammergerichtlichen Mandats folgend, sein müßten. 471 Ausschlaggebend für alles Handeln mußte, so Dohm, die Anpassung an die sich rasch verändernde Situation vor Ort sein, eine Beratschlagung über jeden einzelnen Punkt zwischen den Direktorialvertretern hätte bedeutet, über alles Beratschlagen das gemeinsame Ziel aus den Augen zu verlieren. 472 den dem Gebrauch nach durch Kammerboten der König!. Regierung zu Cleve insinuiret, von derselben dem Clevischen Directorial-Gesandten zugeschickt und von diesem Sr. Majestät vorgelegt, und die allerhöchsten Befehle darüber erbeten." 468 Dohm, Lütticher Revolution, S. 55. 469 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 9. Juli 1790: "Ich redte noch allerIey mit ihm [Graf Nesselrode1ab, um den Lüttichern durch die Franzosen etwas zu helffen & zugleich dadurch für die Freyheit von Deutschland überhaupt etwas Gutes zu stiften." 470 Dohm, Lütticher Revolution, S. 55, 56. 471 Dohm, Lütticher Revolution, S. 75. 472 Dohm, Lütticher Revolution, S.78.
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Teile der Korrespondenzen zwischen dem preußischen König und dem Lütticher Fürstbischof sollten, als Anlage beigefügt, belegen, wie sehr Preußen um Unterstützung des Bischofs gebeten hatte, aber auch, wie zögerlich dieser sich nur auf ein Entgegenkommen einlassen wollte. 473 Beim Scheitern der Mission sei unzweifelhaft vor allem der preußische König betroffen. Die westfalischen Provinzen hätten dann einen hohen Aufwand zu leisten gehabt, Kosten und Menschen verloren, "deren Ersatz nie zu hoffen war". Und dann, in einer expliziten Wendung gegen den Lütticher Bischof: Und dieses Alles, um den Fürst Bischof von Lüttich in den Stand zu setzen, eine feyerliche zum Wohl seines Landes gereichende Handlung wieder zurücknehmen zu können, um vielleicht ihm eine Gewalt wieder zu geben die der Constitution seines Landes zuwider, die Neigung seines Volkes auf immer von ihm entfernt hätte. 474
Das 13. Kapitel der Dohmschen Ausführungen ist der Darstellung der Konferenz von Aldengohr gewidmet. Gemäß den Instruktionen des preußischen Königs hätten Dohm und Schlieffen versucht, die Lütticher Deputierten zu beruhigen, eine dringend von diesen geforderte schriftliche Erklärung habe allerdings nicht zustande kommen können, weil es "das collegialische Directorialverhältniß" nicht erlaubt habe. Besorgt ob der dadurch entstehenden Verzögerungen sei Bürgermeister Chestret zurück nach Lüttich geeilt, wo sich in der Tat die Situation bereits verschärft habe, durch sein dortiges Auftreten ohne eine beruhigende Erklärung sei es zu einer erneuten Verschlechterung vor Ort gekommen. Dohm habe in Aldengohr dargelegt, daß dem Inhalt des Mandats Genüge getan sei, wenn der amtierende Magistrat zurücktrete und bis zur Erstellung einer neuen Wahlform durch eine interimistische Regierung ersetzt würde. Der Bischof könne zurückkehren, das Kreisdirektorium "mit gemeinsamem Einverständniß" an einer Wiedervereinigung des Bischofs mit seinen Untertanen arbeiten. Münster sei für eine wortgetreue Vollstreckung des Mandats eingetreten, Jülich habe sich, obwohl noch ohne offizielle Instruktionen, angeschlossen. Ausdrücklich vermerkt Dohm, daß alle Vertreter nicht nach persönlichen Motiven, sondern gemäß den ihnen erteilten Instruktionen gehandelt hätten und stellt gerade diesen Punkt als einen von allen drei Vertretern gegenseitig akzeptierten heraus. 475 Die Reaktion auf die preußische Erklärung in Lüttich sei berauschend gewesen und habe einen Schimmer von Hoffnung aufkeimen lassen, daß doch wenigstens nicht das gesamte Kreisdirektorium das Mandat vollstrecken wolle. 476 Dohm, Lütticher Revolution, S.136-141, Anlagen 13-16. Dohm, Lütticher Revolution, S. 89. 475 Dohm, Lütticher Revolution, S. 95. Vgl. dazu auch die gleichlautende Tagebuch-Eintragung vom 26. November 1789 (vgl. Kapitel B. VI. in dieser Arbeit). Ausdrücklich habe Kempis zu Protokoll gegeben, daß Dohm nicht verwehrt werden könne, seine persönliche, d. h. hier die ,preußische' Gesinnung den Revolutionären bekannt zu geben. 476 Dohm, Lütticher Revolution, S. 100. 473
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Das 14. Kapitel der Dohmschen Schrift enthält im wesentlichen die Anklage gegen den Fürstbischof, mit seinem Verhalten die durch das preußische Separatvotum erzeugte Ruhe in Lüttich wieder zerstört zu haben. Der Bischof habe nämlich das Reichskammergericht entgegen seiner ursprünglichen Versprechungen angerufen und um Beistand gebeten, daß aus Wetzlar eine Anweisung zur Beschleunigung der Exekution an die Direktoren des Kreises ergehen und die Hauptpersonen der Unruhen arretiert werden sollten. Gegen dieses Verhalten setzt Dohm kontrastierend - in Fortführung der gerade skizzierten Argumentation - seine zum Verständnis für die Lütticher Aufständischen aufrufende Darlegung: Die Lütticher wollten nicht Unruhe, Verwirrung und Bürgerkrieg. Sie wollten Ruhe und Eintracht. Nur die Noth, nur die unvenneidliche Gefahr das wieder zu verliehren, was ihnen die feyerlichste Versicherung ihres Fürsten gegeben hatte, das nicht zu erhalten, was sie im Einverständniß mit ihm so gewiß zu hoffen berechtigt waren - nur diese Noth und Gefahr, nur die Verzweiflung hatte ihnen die Waffen in die Hände und den Muth ins Herz gegeben, mit der Freyheit auch das Leben verliehren zu wollen. 477
Das so vorgetragene Verständnis bietet Dohm in der Folge die Grundlage, die Revolution als inhaltlich gerechtfertigt, lediglich in der Vorgehensweise mit Formfehlern versehen darzustellen: Die Verbesserung der Verfassung "mit einer unserm Zeitalter angemessenen Bestimmtheit" stellt er in eine vom preußischen König übernommene Verantwortlichkeit. 478 Die Verbindung zwischen Preußen und den Lütticher Aufständischen gegen den Bischof ist in diesem Dohmschen Konstrukt vor allem eine, deren Maßstab die Orientierung an und die Bereitschaft zur Umsetzung aufgeklärter Ideen im Staatsgefüge ist. Sie wird damit vorgestellt als ein weitaus weniger an außenpolitischen Konstellationen denn an übergeordneten Wertmaßstäben angelehntes Bündnis. Dohm erklärt im weiteren Verlauf seiner Darstellung, nach Eingang des zweiten Kammergerichtsmandats vom 4. Dezember habe er sich aus der Kommission mit der Begründung zurückgezogen, erst die Instruktionen seines Hofes zu dieser neuen Sachlage einholen zu müssen. Das Aussetzen seiner Teilnahme begründet er neben diesem mit zwei weiteren Aspekten: Zum einen habe er dem Reichsgericht, jetzt wo es auf eine "persönliche und augenblickliche Entscheidung" angekommen sei, seinen Respekt zollen wollen; zum anderen habe er auf eine Rücksprache der beiden anderen Direktorialvertreter mit ihren Höfen gehofft, damit sie von den Umständen und der Notwendigkeit, sich mit Preußen zu verbinden, berichten könnten. Zudem skizziert Dohm generalisierend eine Verhandlungsunterbrechung als notwendigen Bestandteil des diplomatischen Verkehrs, um auf allen Seiten sich einen ausreichenden Kenntnisstand zur Weiterführung der Gespräche zu erwerben. Statt dieser Unterbrechung allerdings hätten nun Jülich und Münster ein neues Dehortatorium an die Lütticher Stände erlassen, das die Vollstreckung des Mandats verkündete, ohne Dohm darüber in Kenntnis zu setzen. Eindeutig sei damit ein Verstoß gegen die 477 478
Dohm, Lütticher Revolution, S. 110. Dohm, Lütticher Revolution, S. 110.
VII. Die publizistische Verteidigung des preußischen Vorgehens
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Kreisverfassung erfolgt. Mit der Darstellung des Briefverkehrs zwischen Preußen und dem Fürstbischof untermauert Dohm, daß der preußische Hof sich fortlaufend bemüht habe, den Konflikt auf einem diplomatischen Wege beizulegen. In einem umfangreichen, 40 Seiten langen Anhang werden die gegenseitigen Briefe abgedruckt. 479 Gespräche mit dem Kanzler des Bischofs hätten ergeben, daß der Bischof nach Vorlage der Beschwerden durch die Stände zu einem Vergleich bereit sei. 480 Schließlich aber habe sich der Bischof allen Vermittlungsversuchen verweigert. Die Hauptschuld am gegenwärtigen mißlichen Stand der Dinge wird ihm zugewiesen. Seine eigene Rolle beschreibt Dohm als diplomatischer Ruhestifter, der die Rahmenbedingungen für eine friedliche Lösung des Konflikts vorgetragen habe. Gegen geltendes Recht, das heißt gegen die Gerechtsame des Bischofs und der ersten beiden Stände, aber auch gegen Reichsrecht - im Sinne der Aufkündigung der Zugehörigkeit zum Reich - dürfe es keinen Verstoß geben. "Ich darf mir schmeicheln, daß diese Vorstellungen nicht ohne Eindruck blieben."481 Das neunte Kapitel seiner Darlegungen nutzt Dohm vollständig um gegen die Anschuldigungen des Agenten des Fürstbischofs am Reichskammergericht von Zwierlein sein Verhalten in Lüttich coram publico und gleichsam persönlich antwortend darzustellen. Bezugspunkt ist die von Zwierlein veröffentlichte Schrift ,,Kurze Uebersicht des Lütticher Aufruhrs vom Jahr 1789 gröstentheils aus einer eigenen Nationalschrift der sogenannten Patrioten herausgehoben und erwiesen"482, in der dieser Dohm Unfähigkeit zur differenzierten Wahrnehmung der Lütticher Ereignisse und einseitiges Engagement für die Rebellen vorwarf. Dohm hält Zwierlein entgegen, die ständische Partei habe keinen Kontakt zum preußischen Hof vor Dohms erstem Besuch in Lüttich im September aufgenommen, sondern vielmehr geglaubt, die eigenen Angelegenheiten ohne fremde Hilfe berichtigen zu können. Nur dem Volkswunsch Ausdruck gebend hätten dann in den letzten Septembertagen der Zweite und Dritte Stand die preußische Mediation erbeten. Nicht die Lütticher hätten Dohm bewogen, nach Lüttich zu kommen, vielmehr habe er auf Anweisung seines Königs, die auch ihn überraschend erst einen Tag vor der Abreise erreicht habe, seine Reise angetreten. Vor Ort seien Gespräche auch mit Vertretern des Bischofs erfolgt, Dohm habe sich in keiner Weise einseitig beeinflussen lassen. Niemals habe Preußen eine alleinige Mediation angetragen, vielmehr habe wohl die Versicherung einer wohlwollenden Teilnahme seiner Majestät zu der Annahme geführt, daß "der König eine vom Fürsten und Ständen gehörig nachgesuchte Mediation nicht verweigern werde". 483
Dohm, Lütticher Revolution, S. 146-186, Anlage 20-27. Dohm, Lütticher Revolution, S. 50. 481 Dohm, Lütticher Revolution, S. 50. 482 Zum Inhalt dieser Schrift Zwierleins vgl. Kapitel B. VII.4. in dieser Arbeit. 483 Dohm, Lütticher Revolution, S. 60-61.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
b) Die Differenzierung der Lütticher Positionen Dohm analysiert den Revolutionsausbruch und -verlauf primär aus der Darstellung der (Verfassungs-)Geschichte des Landes Lüttich. Als wesentliche Grundzüge der Lütticher Verfassung des Jahres 1316, des Paix de Fexhe, stellt Dohm die Mitbestimmung der Stände bei Verfassungsänderungen heraus 484 , die unbedingte Gültigkeit der Gesetze, für deren Einhaltung vor allem das Gericht der Zweiundzwanzig Sorge zu tragen habe, und das Recht zum Widerstand gegen die Obrigkeit bei deren Verstoß gegen die Gesetze. 485 Die immer wieder aufbrechenden Kämpfe um diese "glücklichen bürgerlichen Freyheiten" Lüttichs wertet Dohm als konstitutive Bestandteile freiheitlicher Verfassungen, sie seien "überall natürliche Folge menschlicher Thätigkeit, veränderter Zeitumstände und erweiterter Bedürfnisse; [... ] Leben und Nahrung jeder freyen Constitution."486 Wie bereits in seinen Schriften zuvor, wird auch hier wieder das Bild von politischer Freiheit als einem Prozeß dauerhafter Anstrengung bemüht. Als unmittelbaren Anlaß der Revolution sieht Dohm die Auseinandersetzung um die Spielbank in Spa, die immer mehr von einer privaten zu einer "wahren Angelegenheit der Nation" geworden sei. 487 Darüber hinaus gelten für ihn als weitere im politisch-rechtlichen Bereich liegende Ursachen einerseits die Beschwerden des Bischofs bei den Reichsgerichten - über die Eingriffe in seine Gerechtsame bei der Bestellung des Magistrats in der Stadt Verviers, über den Widerstand gegen seine Hofkammer bei der Einziehung der Gefalle und über Nichtachtung seiner Gerichtshöfe - sowie andererseits die Beschwerden der Stände gegen die Aufstellung des Regiment Royal Liegeois und gegen die Wiedereinführung der sogenannten 40 Patars. Dohm konstatiert bei der Erörterung der wirtschaftlichen Ursachen der Revolution eine Verschiebung von den objektiven Gegebenheiten zu den subjektiven Wahrnehmungen: Nicht allein der strenge Winter 1788/89 sei von der Bevölkerung als Ursache der Brotteuerung angesehen worden, sondern die aufgrund von Auseinandersetzungen zwischen Fürst und Ständen ausbleibende Getreideausfuhrsperre. Ein durch die Landespolitik verursachter Mißstand also habe in der Wahrnehmung des Volkes den Bischof als Haupturheber des (wirtschaftlichen) Problems erscheinen lassen. 488 Der großen französischen Revolution und den lokalen Unruhen in Brabant wird die Funktion von Revolutionsverstärkern- und beschleunigern in Lüttich zugewiesen. Die Erhebung des Volkes in Frankreich im Sommer 1789 sei vom Lütticher Volk um so intensiver aufgenommen worden, als Lüttich von je her "durch Lage, Sprache und Sitten jener Nation so ähnlich und nahe verwandt ist". Vor allem die der neuen Ordnung in Frankreich implizite Teilnahme der Geistlichkeit an den Lasten Dohm, Lütticher Revolution, S.7. Dohm, Lütticher Revolution, S. 8. 486 Dohm, Lütticher Revolution, S. 9. 487 Dohm, Lütticher Revolution, S. 13. 488 Dohm, Lütticher Revolution, S. 14. 484
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des Staates und die "gleichere Repräsentation" des Volks hätten in Lüttich, wo Zweidrittel des Grundbesitzes in Händen des von Steuern befreiten Klerus sei, großen Eindruck gemacht. 489 Darauf habe der Bischof präventiv reagiert, indem er von sich aus noch vor der Erhebung des Volkes die Geistlichkeit zur Leistung von Abgaben aufgefordert und eine Ständeversammlung einberufen habe, wie Dohm lobend hervorhebt. Das Volk habe dieses Handeln des Bischofs mit Dank aufgenommen, zugleich aber auch festgestellt, daß es etwas noch Teureres als die Gleichheit der Abgaben gebe, nämlich die "bürgerliche Freyheit durch Abschaffung des Reglements von 1684".490 Die Zustimmung des Fürsten, so erläutert Dohm weiter, sei für das Volk an seinem Verhalten ablesbar gewesen, das bestimmt war durch die zur Schau getragene Sympathie mit dem Volk: Sogar das Tragen von Kokarden sei erlaubt gewesen. Auch die umliegenden Städte, die sich dem Lütticher Beispiel angeschlossen und ebenfalls neue Magistrate bestimmt hatten, hätten die Genehmigung des Bischofs erhalten. Auf förmliche Art habe sich der Bischof schließlich durch erneuerte Proposition der Ständeversammlung auf den 31. August zum Dritten Stand bekannt. Die "Wiedervereinigung eines guten Fürsten mit einem biedern Volk" sei zu konstatieren gewesen: "Heiter wie eine Morgenröthe, die einen schönen Tag verkündigt, war der bisherige Zustand der Dinge in Lüttich."491 Gegenstand des Angebots der Brabanter sei die Erneuerung der alten Konföderation von 1347 gewesen, die zur gemeinsamen Verteidigung der Religion der Väter, der Rechte und Freiheiten aufrufe. Tatsächlich sei es in der Stadt Lüttich zu einem Fahneneid zwischen Lütticher Bürgern und Lütticher Miliz auf der einen, Brabanter Vertretern auf der anderen Seite gekommen. Die gemäßigten Lütticher Revolutionäre hätten noch versucht, das Volk von einem Bund mit den Brabantern abzuhalten. Wie aber hätten sie mit einem Gelingen ihrer Bemühungen rechnen sollen, wenn sie zugleich (im Reich) wie Verbrecher behandelt würden. Und mit literarischem Pathos fügt Dohm schließlich an: Ewiger Ruhm als Befreyer des Vaterlandes durch edlen Sieg oder edlen Tod gleich sicher erworben, - oder ewige Schande ehrloser Flüchtlinge, - eins von beyden war ihr Loos! Wer wird glauben, daß sie zu wählen vermochten?492
Sowohl nach Aachen als auch nach Aldengohr seien Vertreter der Lütticher Stände entsandt worden, die vor allem mit dem Argument des völligen Ruins des Lütticher Landes bei einer militärischen Exekution angetragen hätten, diese nicht durchzuführen, sondern statt dessen die Angelegenheit vor den Kreisdirektorialgesandten in Aachen zu verhandeln oder diese als Vermittler nach Lüttich zu entsenden. Bei Zurückhaltung der Truppen, Verzicht auf strafrechtliche Verfolgung der AufständiDohm, Lütticher Revolution, S. 16. Dohm, Lütticher Revolution, S.19. 491 Dohm, Lütticher Revolution, S. 31. 492 Dohm, Lütticher Revolution, S. 84.
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sehen und Erlaubnis des Erhalts der Bürgerwachen sei der Magistrat jetzt bereit zum Rücktritt, damit das Volk neu wähle. 493 Nicht Rache für Vergangenes sei vom Lütticher Volk gefordert worden, sondern Verbesserung für die Zukunft, erläutert Dohm. 494 Die Zustimmung des Sens du pays sei die Grundlage jeder Verfassungsänderung, auch in der Zukunft. Die Rechte künftiger Bischöfe könnten also nicht durch eine aktuelle Veränderung in Frage gestellt sein. Vielmehr seien Verfassungsänderungen zum Wohl des Staates erforderlich, und es liege in der Anstrengung jedes Nachfolgers Hoensbroecks einzuleiten, daß "der Sens du pays seiner Zeit richtiger urtheile".495 Der Friede von Fexhe sei vom ganzen Land Lüttich abgeschlossen worden, nicht nur von den Ständen der Hauptstadt. Eine Veränderung hätte also im Namen des sogenannten Sens du pays vollzogen werden können, folgert Dohm und liefert zugleich einen nachträglichen Verfahrensvorschlag: Am besten wäre mit einer neuen Organisation der städtischen Gemeinheiten begonnen worden, deren Folge eine "wohldurchdachte Wahlform" hätte sein sollen, "um von einer Seite die Nachtheile zu großer Versammlungen zu vermeiden, und von der andern doch dem Volke die beruhigende Ueberzeugung zu geben, daß künftig seine Männer nur seinen Willen ausdrücken würden".496 Den eigentlich revolutionären Akt des Sturzes des amtierenden Magistrats und der Neuwahl der Bürgermeister schildert Dohm als getragen von Ordnung und Disziplin und im Ergebnis vom Bischof genehmigt497 und kompensiert auf diese Weise den vom Volk vollzogenen Rechtsbruch. Die Einigkeit der Stände wird in diesem Zusammenhang besonders betont und von Dohm hervorgehoben, daß der Abschluß der Points fondamenteaux durch die Stände Grundlage einer Einigung mit dem Bischof gewesen sei und als Basis dafür hätte dienen können, auf ein militärisches Eingreifen der Kreiskontingente zu verzichten. 498 Schließlich wird in Dohms Argumentationskette der Volkswille sogar über die Reichsinstitutionen gestellt. Kaiser und Reich könnten unmöglich etwas dagegen einzuwenden haben, wenn durch Einstimmigkeit aller Betroffenen eine Verfassungsänderung durchgeführt werde. Vielmehr sei zu bemerken, daß der gewaltsame Umsturz der Verfassung im Jahr 1684 ein "unverkennbares Unrecht" gewesen sei, bei dem die Reichsverfassung die Kraft nicht gehabt habe, durch Einsatz fremder Truppen dieses zu verhindern; statt dessen habe das Unrecht sogar 105 Jahre bestehen können. Allein die Vertreter des Volks hätten gegen die Unrechtmäßigkeit der Verfassungseinsetzung von 1684 klagen können, gerade die Existenz dieser VolksDohm, Lütticher Revolution, S. 88. Dohm, Lütticher Revolution, S. 20. 495 Dohm, Lütticher Revolution, S.25. 496 Dohm, Lütticher Revolution, S. 64. 497 Dohm, Lütticher Revolution, S. 20. 498 Dohm, Lütticher Revolution, S. 56,57. In Anlage 11, S. 134-135, wird der "Reces des Trois-Etats du 12. Octobre 1789" beigefügt. 493
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vertreter aber sei Gegenstand der Klage gewesen: "Das Reglement von 1684 hatte den Kläger selbst getödtet."499 Aus den vorgetragenen Überlegungen leitet Dohm schließlich staatsphilosophische Grundsätze ab, bei denen hier jedoch der propagandistische Impetus der Schrift immer wieder auch deutlich vor den Vortrag ,moderner', sich in den Dienst einer Politisierung der Leserschaft stellenden Staats ideen tritt: Das dritte Kapitel seiner Abhandlung überschreibt Dohm mit ,,Rechtlicher und politischer Werth der Revolution" und stellt damit eine Verknüpfung von Recht und Politik her, die in der rechtlichen Würdigung des Mandats eine wichtige Rolle spielen soll. Als zentrale Frage formuliert Dohm, ob der Fürst, als er den Wunsch des Volkes erfüllte, dazu gezwungen war. Quantität und Qualität des Vortrags wertet Dohm relativierend: Zwar sei eine große Menge Volks aufgetreten, diese habe aber nicht mit Drohungen gefordert. 5°O Letztlich könnten nur die Handlungen des Bischofs die Bewertungsgrundlage sein, um zwischen "eigentlichem Zwang und ganz eigener Bewegung" zu beurteilen. 501 Dabei will Dohm nicht das Verhalten eines Privatmannes bewerten, sondern das eines Fürsten, der sich dem Staatsgrundsatz der Interessenidentität zwischen Monarch und Volk zu unterwerfen hat: "Was helfen dem Fürsten alle Rechte, wenn sein Volk unglücklich ist, und welche Rechte können ihm fehlen, wenn es glücklich ist?"502 Moralischen und politischen Zwang ebenso wie pragmatisches Nachgeben fordernde Sachzwänge interpretiert Dohm als konstitutive Bestandteile von Vertragsschlüssen im allgemeinen und überträgt diesen Grundsatz auf den Staatsvertrag zwischen Volk und Monarchen: Gesetzt, der Bischof hätte geglaubt, daß die gemeine Meinung hierin irre, er hätte aber zugleich vorausgesehen, daß wenn er derselben sich entgegensetzen wollte, innere Zerrüttung seines Landes, auf immer von ihm gewandtes Vertrauen seines Volks, nebst allen deren unabsehlichen Folgen, unvermeidlich seyen; so hätte seine Pflicht und, welches ein und dasselbe ist, sein Interesse gefordert, seine Privatmeinung dem allgemeinen Wohl aufzuopfern, und durch ein kleineres Uebel (wenn er die Erfüllung des Volkswunsches dafür hielt) ein ungleich größeres abzuwenden. Diese Pflicht wäre denn allerdings Zwang gewesen, aber nicht des hier gar keine Anwendung leidenden bürgerlichen Rechts, sondern in eben der Art, wie fast jeder Friedensschluß immer für einen contrahierenden Theil Zwang ist, der dem mächtigem nachgeben, Provinzen und Rechte verlieren muß, um das ganze zu erhalten. Man schlage die Geschichte auf, und suche die Verträge, welche von einem solchen moralischen und politischen Zwang frey geblieben! 503
Der dem aufgeklärten Fürstentum immanente Dienstgedanke wird von Dohm hier als Prävention vor Revolutionen vorgestellt. Das fürstliche Verständnis einer Dohm, Lütticher Revolution, S. 27. Dohm, Lütticher Revolution, S. 22: "Wenn ein durch zahlreiches Volk lebhaft geäußerter Wunsch, Zwang ist, so war er hier vorhanden; wenn zum Zwang Drohung auf den Fall der Weigerung erfordert wird, so war er es nicht." SOl Dohm, Lütticher Revolution, S. 23. 502 Dohm, Lütticher Revolution, S. 24. S03 Dohm, Lütticher Revolution, S. 24. 499
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Pflicht, das Aufopferung von Privatinteresse zum allgemeinen Wohl impliziert, verhindert in dieser Argumentationskette ein zur Volkserhebung sich ausweitendes Auseinanderklaffen von Volk und Regenten und teilt zugleich dem Herrscher allein die maßgebliche Verantwortung für öffentliche Ruhe und Ordnung zu. Nicht das bürgerliche Recht wird zum Maßstab des Handeins des Regenten in Dohms Argumentation, sondern ein der Sicherheit des Staatsgefüges untergeordneter, in der Einsicht in politische Notwendigkeiten gründender Pragmatismus des Herrschers. 504 Dabei geht Dohms Forderung soweit, den Regenten gegen besseres Wissen zum Nachgeben gegenüber dem Volk, "dem mächtigem", aufzufordern: Auch wenn der Herrscher im Glauben ist, die gemeine Meinung irre, hat er sich doch um dieser Sicherheit willen der Volksmeinung zu beugen. Das ist eine Argumentation, die den zeitgenössischen Gedanken der Interessenidentität auf den Kopf stellt, die den Regenten zum Werkzeug des Volks willens werden läßt. Dohms eigene Vorgabe, Reformen immer den Vorrang vor Revolutionen zu geben 505, wird von ihm selbst hier überdehnt, indem er nicht die Einsicht in die Notwendigkeit der Reform im Sinne einer Verbesserung der Lebenssituation des Volks sieht, sondern den Sicherheitsgedanken zur Leitidee von Reform durch den Herrscher gegen die eigene Überzeugung macht. Die Machtfrage innerhalb des Staates wird in diesem Gedankenmodell nach Quantitäten entschieden: Das Volk ist der Mächtigere, dem der Regent sich in Krisensituationen zu beugen hat. Gerade hier liegt zugleich auch der Schwachpunkt der Dohmschen Argumentation, birgt dieses Konstrukt doch ein größtmögliches Maß an Instabilität für den Staat, indem es die Entscheidungsfreiheit des Regenten mit dem Druck der Masse konterkariert. Ausführlich beschreibt Dohm dann Ausbruch und Forderungen der Unruhen im Marquisat Franchimont. Das beBte Mittel, die unruhigen Bewegungen des Volks zu dämpfen, ist immer, wenn man ihm zeigt, daß man sich mit seinem Wohl wirklich beschäftigt 506 ,
konstatiert er, auch an die Adresse des Bischofs gewandt. Den Franchimontesern habe man klar machen müssen, daß zwar ihr Verlangen gerecht, die Art, es auszudrücken aber nicht zu entschuldigen sei. Die sich hier andeutende Trennung zwischen gerechtfertigtem Anliegen und Vortrag desselben in einer angemessenen, d. h. reflektierten Weise, setzt Dohm fort, indem er in der anschließenden Darstellung der Folgeunruhen in der Stadt Lüttich deren Trägerschicht als ungebildeten Pöbel vorstellt. Nicht dieser "große Haufen, der keine richtigen Begriffe von bürgerlicher Freyheit hat" allerdings wird desavouiert, sondern vielmehr diejenigen, die seinen 504 Wessei, Zweckmäßigkeit, S. 121, interpretiert: ,Je mehr der Satz von der ,salus populi' als Zweck allen hoheitlichen Handeins betont wurde, desto stärker verloren die Schranken des gesetzten Rechts an Bedeutung. Indem man diesen Satz als hohe Norm natürlichen Rechts begriff, verlieh man ihm die Kraft, einfaches Recht außer Geltung zu setzen." Das gilt auch für Dohms folgende Interpretation des reichskammergerichtlichen Verhaltens. 505 Vgl. Kapitel A. IlI. in dieser Arbeit. 506 Dohm, Lütticher Revolution, S.66.
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Forderungen, hier im Konkreten nach Aufuebung der Abgaben, nachgegeben haben. 507 c) Die kritische Beurteilung des Reichskammergerichts
Der zentrale Gedanke seiner Ausführungen zur juristischen Bewertung des Reichskammergerichtsmandats ist für Dohm die Frage nach Hinlänglichkeit und Anwendbarkeit vorhandener (reichs)rechtlicher Normen. Die "Form" wird zum Leitbegriff einer aus mehrfach wechselnder Perspektive geführten Diskussion: Zum einen ist sie verwendet als Synonym für die dem Handeln der verschiedenen Parteien zugrunde liegenden Rechtsnormen; zum anderen ist sie Begriff zur Charakterisierung des konkreten Handeins der unterschiedlichen Parteien im Hinblick auf die Einhaltung dieser Normen. Für die Bewertung des reichskammergerichtlichen Vorgehens wird die "Form" des Verfahrens überprüft, im umgekehrten Blick auf das Verhalten der Aufständischen ist der Verstoß gegen vorgegebene "Formen" der Ausgangspunkt zur grundsätzlicheren Bewertung der Revolution als Beginn einer Verfassungsänderung. Zur Handlungsrichtlinie des Reichskammergerichts macht Dohm die Maxime eines pragmatischen statt normorientierten Vorgehens. Indem er das Fehlen von Rechtsnormen zur Bekämpfung des konkreten revolutionären Aufbruchs in Lüttich konstatiert, billigt er implizit durch die Revolution entstandene Handlungsspielräume zu, die fehlendes Recht durch Einsatz der ,Aufklärung' zu kompensieren erlauben. Zugleich argumentiert Dohm, daß es für einen Ausnahmefall wie eine Revolution gar keine normorientierte Reaktion geben könne: Die "Vergehung des Augenblicks" solle nicht "zum Gegenstand einer Untersuchung von Monaten gemacht werden", fordert Dohm im Hinblick auf den temporären Charakter der Unruhen. 508 Da Revolutionen gerade die Ordnung der Dinge kurzzeitig abschafften, seien sie auch nicht mit strengen Regeln zu be- und verurteilen, so Dohm weiter. Und wenig später: "der große und letzte Zweck aller Förmlichkeiten, wahre und innere Gerechtigkeit der Sache [konnte] hier nur mit ihrer Beseitigung erreicht, nur mit ihrer Befolgung verfehlt werden."509 Diese grundsätzliche Bemerkung zum Zweck der ,Förmlichkeiten' konkretisiert Dohm in seinen Überlegungen zur Konferenz von Aldengohr, die er in Bezug auf die Frage nach der Notwendigkeit der unbedingten Einhaltung von Rechtsnormen in der Feststellung kulminieren läßt: Ist das deutsche Reich um der Form, oder die Form um der Erhaltung des Reichs willen da? Sicher ist die Form sehr gut, sehr wichtig, aber nur nicht so gut, so wichtig, als die Sache, für 507 Dohm, Lütticher Revolution, S. 67. Dohm wird diesen Gedanken in der Folgezeit in der Verarbeitung der Revolutionserfahrung differenzieren, indem er die Erziehung des ,,Pöbels" als revolutionspräventives Moment fordert. Vgl. dazu Kapitel C.I.!. in dieser Arbeit. 508 Dohm, Lütticher Revolution, S.4. 509 Dohm, Lütticher Revolution, S. 5.
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die sie gemacht war. Sicher darf nur in seltnern Fällen, nur in Ausnahmen von der Regel, die Fonn überschritten werden; aber wenn dieser seltnere Fall, diese Ausnahme eintritt, so muB sie auch überschritten werden. Ob diese Ausnahme vorhanden sey? darüber kann gestritten werden, aber daß sie nie vorhanden seyn könne, dies wird nur der behaupten, der vergiBt, daß alle menschliche Einrichtungen nur für die Mehrheit der Fälle gemacht sind, daß alle Fälle zu übersehen, über den Gesichtspunct auch derer reichte, die nach und nach die Composition gebildet haben, welche wir Reichs-und Kreisverfassung nennen. 510
Positives Recht wird hier als in einem ständigen Veränderungsprozeß befindliches Normwerk menschlichen Zusammenlebens interpretiert, die Notwendigkeit der Veränderung implizit veränderten Zeitumständen zugeschrieben. Dohm begründet den flexiblen preußischen Umgang mit vorhandenen Rechtsnormen auf zweifache - eine abstrakt-generalisierende und eine konkrete - Weise: Zum einen betont er, einem kasuistischen Rechtsdenken folgend, wie oben gesehen, daß es Normdefizite gibt, die es nötig machen, losgelöst vom fixierten Recht der politischen Lage angemessen zu reagieren. Die Rettung eines wichtigen Reichslandes, die Abwendung eines Bürgerkriegs vom Reich sei eine solche Ausnahme, bei der die Überschreitung der Form den Dank des Reiches für einen so wichtigen Dienst nicht schwächen dürfte. Zum anderen bemüht er vorhandene Regeln - die Kammergerichts- und die Exekutionsordnung des Reichsabschieds von 1555 -, um mit ihrer Hilfe die Argumentation, Preußen habe gar nicht gegen Reichsrecht verstoßen, zu entwickeln. Zitiert wird Teil 11 Tit. LVII und LVIII der Kammergerichtsordnung: Wenn ohne aufwendige Kosten die starke Befestigung desjenigen, zu dessen Nachteil ein Mandat vollstreckt werden solle, nicht erobert werden könne, so sei die Vollstreckung rechtlich entschuldigt. Durch die Verbindung der Lütticher und niederländischen Aufständischen sei die starke Befestigung, von der in dieser Regelung die Rede sei, gegeben, auf eine für die vom preußischen König aufzubringenden Kosten folgende Entschädigung sei nicht zu hoffen. Niemand könne also von Preußen verlangen, mehr Truppen aufzuwenden, als das Kontingent des Herzogs von Kleve verlange - zur Vollziehung eines Urteils zumal, das nach Überzeugung des Königs nicht angemessen sei. 511 Der Argumentationsbruch setzt mit diesem Zusatz einer politischen Beurteilung des Mandats durch den preußischen Hof ein: Dohm stellt hier vorhandenes Reichsrecht als interpretationsfähige, Ermessens-und Handlungsspielräume bietende Grundlage innen- wie außenpolitischen Handeins dar. Die intendierte Nichtvollziehung des Mandats relativiert Dohm, indem er auf den Kontext anderer Krisenf,Hle innerhalb des Reichs verweist, die er nicht namentlich nennt, aber dem Leser als durch eigene Erfahrungen als bekannt voraussetzt. Implizit und explizit ermöglicht das die gleichzeitige Kritik an der Behäbigkeit des Reichssystems bei der Umsetzung reichsgerichtlicher Vorgaben: Wieso, fragt Dohm, sollte ausgerechnet die Nichtvollziehung des Mandats im Lütticher Fall eine 510 511
Dohm, Lütticher Revolution, S. 102-103. Dohm, Lütticher Revolution, S. 104.
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größere Verletzung der Reichsverfassung sein als so viele andere Fälle, die aus weit weniger erheblichen Gründen seit Jahrzehnten unvollzogen seien. 512 Die Hinweise auf grundsätzliche Defizite werden schließlich einer konkreten und konstruktiven Kritik zugeführt: Verschiedene Paragraphen der im Reichsabschied von 1555 enthaltenen Exekutionsordnung wendet Dohm an, um ein nach seiner Vorstellung der Situation angemessenes Verfahren aufzuzeigen: § 62 des Reichsabschieds sehe vor, daß der Niederrheinisch-Westfälische Kreis die Hilfe zweier anderer Kreise hätte anfordern müssen; wenn dies nicht ausreichend gewesen wäre, hätten noch einmal zwei weitere Kreise hinzugezogen werden müssen. Diese fünf Kreise hätten sicher erkannt, daß nach § 63 des Reichsabschieds die Sache an den Kurfürsten von Mainz zur Vorlage an die Reichsdeputation in Frankfurt hätte übergeben werden müssen, die ihrerseits eine Entscheidung über das Vorgehen hätte treffen müssen. Da dieser - die Dohmsche Kritik an der Behäbigkeit der Rechtswege im Reich gerade bestätigende - Weg im vorliegenden Fall zu aufwendig gewesen sei, habe der preußische Hoffür sich in Anspruch nehmen dürfen, nach § § 54 und 55 des Reichsabschieds verfahren zu sein, die vorgeben, daß jeder Stand beflissen sein soll, eine dem Reich drohende Gefahr auch für sich selbst abzuwenden, ein jeder Stand sich den anderen gegenüber freundlich und "mitleidendlich" erweisen SOll.513 Schwer wiegen für Dohm Verfahrensfehler, die er dem Kammergericht zur Last legt: Der Bischof habe in seiner Erklärung auch den Vergleich zwischen ihm und den Ständen in am Kammergericht anhängenden Streitigkeiten in Aussicht gestellt. Seine Bitte, im rechtlichen Verfahren inne zu halten aber, sei ihm verwehrt worden, "eine Bitte, die doch nie ein Gerichtshof einer Parthey versagen kann".514
In Anwendung der Kaiserlichen Wahlkapitulation (Art. XIX § 7 und I. R. A. § 105) erhebt Dohm weitere Kritik am prozessualen Vorgehen des Reichsgerichts: Wenn Klagen gegen Obrigkeiten erhoben werden, sollen [... ] diese zuförderst von den Reichsgerichten mit ihrem Bericht und Gegennothdurft gehört, und bey dessen Unterbleibung den Mandaten keine Parition geleistet werden. Und hier soll die nur durch die unbestimmteste, so glaubwürdig widersprochene Gerücht [sic] bekannte Handlung eines Fürsten und seines gesamten Volks vernichtet werden?515 Da schon keine Berichte beider Parteien eingeholt worden seien, so hätte doch zumindest eine Kommission der Kreisausschreibenden Fürsten den Auftrag erhalten können, vor Ort Erkundungen einzuholen. Mit diesem Perspektivenwechsel rückt erstmals das Aufgabenfeld der Kreiskommissionen in den Mittelpunkt der Betrachtung. In Analogie zur Aachener Arbeit konstruiert Dohm ein Konfliktlösungsmodell, das weder unmittelbar reichs gerichtliches noch militärisches Einschreiten vorsieht, sondern ganz allein auf die Kapazitäten der Kreisvertreter als Krisenmanager abstellt. Dohm, Lütticher Revolution, Dohm, Lütticher Revolution, 514 Dohm, Lütticher Revolution, 515 Dohm, Lütticher Revolution, 512
513
S. 104.
S.108-109.
S.41. S.43.
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Bei einem militärischen Einschreiten sei ein Sieg der disziplinierten Kreistruppen über die Revolutionäre ebenso wahrscheinlich wie umgekehrt die Überwindung der Truppen durch ein tapferes und mutiges, vom Trieb zum Selbsterhalt und der Verzweiflung angefülltes VOlk. 516 Die Wiederherstellung der Ruhe in Lüttich jedenfalls sei in jedem der beiden Fälle vereitelt worden. Immer hätten die Kreisdirektoren sich in einen Bürgerkrieg hineingezogen sehen müssen, "den von dem übrigen Reich abzuhalten, allein ein Ihrer würdiger Zweck war".517 Dem Mandat unterstellt Dohm einen Zwangscharakter, den er differenziert in eine "Inquisition" gegen eine ganze Nation, die Aufzwingung einer Landeskonstitution, die doch nach allgemeinem Willen aufgehoben werden sollte, den durch den Einmarsch der Kreistruppen unabwendbaren Ruin des Landes Lüttich und eine für die Truppenkontingente sich bietende Gefahrensituation im Einsatz gegen ein für seine Freiheit kämpfendes Volk. 518 Der Inhalt des Mandats sei ,,hart; er muß besonders dem auffallend seyn, welcher dem hier in natürlicher Ordnung dargestellten Gang der Begebenheiten gefolgt ist." Aus den rühmlichsten Gründen seinen Spruch gefällt zu haben, billigt Dohm dem Gericht zu, die Unkenntnis über Sachverhalt und Gegenstand des Mandats aber wirft er ironisierend vor: Wer etwas Erfahrung von Menschen und Dingen hat, weiß, daß es bey jeder Sache der Gesichtspunkte mehrere giebt; er tadelt deshalb nicht den, welcher nicht grade den seinigen hat, zumal wenn andere nicht aus dem nahen und aufklärenden Standort sehen konnten, auf welchen uns das Schicksal gestellt hat. 519
Entschuldigend bettet Dohm das reichskammergerichtliche Handeln in den zeitlichen Kontext revolutionärer Erhebungen, allen voran des französischen Aufbruchs ein und unterstellt dem Gericht Prävention als Handlungsrnotiv. Erstaunen statt Bewunderung konstatiert er als erste Reaktion deutscher Fürsten auf die Französische Revolution und dann Furcht und Besorgnis vor anarchischer Verwirrung in Deutschland. Der Verweis auf die Gesetze des Reichs nur konnte "Pflicht des aufmerksamen Richteramtes" sein, auch wenn "dieser Weg, diese Form, dem Geist des Jahrhunderts zu langsam" war, folgert er weiter. 52o Die Revolution gewinnt in Dohms Argumentation damit einen doppelten Charakter: Sie provoziert zum einen als zeitimmanenter Auslöser ein der allgemeinen Prävention dienendes reichsgerichtliches Handeln, das zum anderen aber für gerade diesen eingetretenen Fall keine rechtlichen Handlungsgrundlagen im Sinne reichsrechtlicher Normen hat. Mit dieser sich vom speziellen Fall Lüttich zur allgemeinen Kritik ausweitenden Argumentation stellt Dohm sich außerhalb der mehrheitlichen Meinung der Reichs516 Zudem sei Lüttich "wegen seiner sehr ansehnlichen Waffenfabriken berühmt", schreibt Dohm auf S. 88. 517 Dohm, Lütticher Revolution, S.88. 518 Dohm, Lütticher Revolution, S. 42. 519 Dohm, Lütticher Revolution, S. 35. 520 Dohm, Lütticher Revolution, S. 36.
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publizisten des späten 18. Jahrhunderts, die gerade in der durch die Einrichtung der Reichsgerichte begründeten Spezifik des Reichssystems eine Prophylaxe vor allgemeinem Aufruhr sah. 521 Die wesentliche Grundlage eines von der Aufklärung geprägten Reichspatriotismus war dabei um die Mitte des 18. Jahrhunderts die mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Reiches in Verbindung gebrachte Rechtssicherheit der Untertanen. 522 Das Lob des Alten Reichs galt vor allem den Möglichkeiten, die seine Verfassung bot. Gemeinsames Merkmal der Darlegungen von Staatsrechtlern wie Stephan Pütter, August Schlözer und Johann Jacob Moser sowie dessen Sohn Friedrich earl von Moser war neben dem Lob der Gesamtverfassung des Reiches eine über die rein deskriptive Darstellung in der Regel nicht hinausgehende Vorstellung seiner einzelnen Bestandteile, sowohl der gesetzlichen Grundlagen als auch der juristischen Einrichtungen. 523 Das Reichskammergericht gewann, neben dem Reichshofrat und dem Reichstag, in diesem Koordinatensystem die Stellung eines die Einheit des Reichs nach außen sichtbar machenden Trägers hoheitlicher Rechte. 524 Besonders in den unruhigen Zeiten unmittelbar nach Ausbruch der Französischen Revolution und der allmählichen Ausbreitung revolutionärer Erhebungen im Deutschen Reich wurde mit Lob am Kammergericht, seiner schnellen Reaktion im Sinne von Mandatserlassen zur Gewährleistung der inneren Sicherheit des Reichs, nicht gespart. Gerade jetzt, in Krisenzeiten, schien die Festigkeit der Reichsverfassung, die als Vorzug des Reichs vor den anderen europäischen Staaten gepriesen worden war 525 , durch die Urteile des Reichskammergerichts sichtbar und faßbar zu werden. "Durch seinen Beitrag zur Herausbildung des modernen Instanzenwesens und zur 521 Gabel, Deutsche Untertanen, S.273. So äußerte sich etwa Adolph von Knigge ("Ursachen, warum wir vorerst in Teutschland wohl keine geflihrliche politische Haupt-Revolution zu erwarten haben", Schleswigsches Joumal2, 1793, Ndr. 1973, S. 281 ff.): "Man denkt nicht weiter an Empörung", schreibt Knigge, "weil die Gerichtswege nach Wetzlar und Wien möglich sind". Wo der Geist der Rebellion schon um sich greife, wie in Mainz, werde dieser eingedämmt durch die Nachbarstaaten mit ihren eigenen Verfassungen (zitiert nach Kasel/eck, Revolution, S.709). 522 Grundlegend für die folgenden Ausführungen: Press, Das Reichskarnmergericht in der deutschen Geschichte, S.40-49; Ranieri, Die Arbeit des Reichskarnmergerichts, S. 11-22; Diestelkamp, Das Reichskammergericht im Rechtsleben, S. 23-24; Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S. 94-103. 523 Vgl. etwa: Press, Das Römisch-Deutsche Reich, S.225-226; Hertz, Rechtsprechung der höchsten Reichsgerichte, S. 346. 524 Aretin, Heiliges Römisches Reich, 1, S. 98, im Verweis auf Stefan Pütter. 525 Als Beispiel für einen solchen deutschen ,Verfassungspatriotismus ' läßt sich etwa der Kommentar zur Wahlkapitulation Leopolds 11. des Gießener Professors für Kameralistik und Statistik August Friedrich Wilhelm Crame anführen (Die Wahlkapitulation des römischen Kaisers, Leopold des Zweiten, 1791). Dort heißt es unter anderem, da die Reichsverfassung eine "vermischte, auf gültige Verträge und Grundgesetze fundirte Regierungsform" vorschreibe, und an der Spitze des Reichs ein "gerechter und tugendhafter Monarch" stehe, sei ein Umsturz wie in Frankreich nicht zu befürchten (S. 33). Allgemein zur Problematik "Nationale Elemente in der deutschen Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution" vgl. den gleichlautenden Aufsatz von GÖdde-Baumanns.
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Professionalisierung der Rechtsverwaltung im Alten Reich stellte das Reichskammergericht ein wesentliches Antriebsmoment im Sinne einer Staatsverdichtung und innerstaatlichen Modernisierung während der frühen Neuzeit dar."526 Die Organisation des Reichskammergerichts, inzwischen selbst zur Konstanten in der Entwicklung des Reichs während der vergangenen fast drei Jahrhunderte geworden, hatte nun erst recht die Funktion, Garant für die Stabilität des Gesamtgefüges zu sein. Diese skizzierte Verbindung von einer durch aufklärerisches Gedankengut beeint1ußten Rechtsauffassung einerseits 527 und gleichzeitiger hoher Akzeptanz altrechtlicher Staatsgrundlagen funktionierte vor allem deswegen, weil der Reichspatriotismus des 18. Jahrhunderts eine theoretische Erweiterung "der traditionellen Auffassung vom Reich als ständischer Rechtsordnung zur Vorstellung vom Reich als konstitutionellem Rechtsstaat"528 vornahm. Das setzte zugleich eine (gedankliche) Loslösung von der faktisch vorhandenen ständischen Gesellschaft voraus und applizierte auf das Alte Reich die Vorstellung eines "bürgerlich-nationalen Rechtsstaates".529 Verfassungsreformen wurden einzelstaatlich oder bezogen auf einzelne Aspekte der Gerichtsordnungen des Reiches projiziert, sie waren nicht verknüpft mit Grundsatzdebatten über die rechtliche Konstitution des Reichs als Ganzem. Dohm begriff dagegen unter bestimmten Umständen rechtliche Normen als modifizierbar und akzeptierte die Revolution im konkreten Fall als Auslöser einer Verfassungs änderung durch Reformen 53o - worin, im Vergleich zur skizzierten verbreiteten Akzeptanz des alten Rechts, die eigentliche Sprengkraft seiner Argumentation lag. 531 Zugleich widersprach er hier - und nur hier - seinen immer wieder vorgetraScheurmann, Organisation der Gerichtsbarkeit. Einleitung, S. 175. Becher stellt in ihrer Abhandlung über die "Politische Gesellschaft" unter anderem auf die soziale Herkunft der Träger dieses aufgeklärten Reichspatriotismus ab und betont, daß die positive Bewertung der deutschen Verhältnisse, im Gegensatz etwa zu den französischen, vor allem auch darauf beruhe, daß die, versachlichte Loyalität' der bürgerlichen Staatsdiener zu ihrem Dienstherrn (S. 213) und die intime Kenntnis der Regierungspraxis sowie der politischen Einwirkungsmöglichkeiten zur verstärkten Einsicht beigetragen haben, lieber mit einer Politik der (allmählichen) Reform Veränderungen zu erzielen, "statt mit Revolutionen ein nicht berechenbares Machtvakuum zu schaffen" (S. 216). 528 Neugebauer-Wölk, Preußen und die Revolution in Lüttich, S. 68. 529 Neugebauer-Wölk, Preußen und die Revolution in Lüttich, S. 72. 530 Auch die Form der Beschwerdeführung der Lütticher Stände unterzieht Dohm einer genaueren Betrachtung. Zu bemängeln sei nur die Form der Einsetzung des neuen Magistrats, die nicht nach Vorgabe der alten Ordnung, die ja nun wieder gelten sollte, erfolgt sei. Die "dringende Lage der Umstände" sowie die mangelnde Kenntnis der alten Verfassung auf der einen, das Wissen um ihre Unvollkommenheit auf der anderen Seite seien Ursachen dafür gewesen (S. 29). 531 Neugebauer-Wölk, Preußen und die Revolution in Lüttich, S.72, weist darauf hin, daß Dohm hier über altrechtliche Grundprinzipien hinausgehe, indem er bereit sei, die Revolution als Ursprung einer Verfassungsreform zu akzeptieren. Der preußischen Staatsräson habe das nicht mehr entsprochen. Stollberg-Rilinger, Vormünder des Volkes, S. 158-159, erklärt die Lütticher Revolution zu einem Paradefall, "bei dem die Erneuerung der altständischen Verfassung als vernunftrechtlich gebotener Gründungsakt zwischen Fürst und ,ganzem Volk' erscheinen konnte." Dabei seien revolutionär neue Forderungen als altüberlieferte ausgegeben und zugleich umgekehrt der überkommene mittelalterliche Landesvertrag naturrechtlich umgedeutet 526
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genen eigenen staatsphilosophischen Überlegungen zur Sicherheit als höchstem Staatsziel. Grade aus diesem Kampf des Gefühls innerer Gerechtigkeit der Sachen, welches nach einem glücklichem Zustand sich sehnte, und der Behauptung des wirklich vorhandenen Zustandes, bis er in rechtlicher Form gewürdiget und verworfen sey, - durfte man eine wahrhaft verbesserte Ordnung der Dinge hoffen, ohne die Gräuel innerer Kriege zu fürchten. 532
Die Erhaltung des Ist-Zustands und die Verhinderung von Gewaltanwendung als Grundlage gleichzeitiger Modifikation der verfassungsrechtlichen Situation zu sichern, darin sieht Dohrn hier die "edelste Ausübung des höchsten Richteramts im Reich" und die Legitimation des reichskammergerichtlichen Auftretens im Krisenfall. Diese generalisierende Sicht im einzelnen aber auch aufzubrechen und den Umständen gemäß Urteile nach genauer vorheriger Einziehung von Informationen zu fällen, um nicht erst Gewalt durch Fehlurteile zu provozieren, das fordert er im Hinblick auf die Ereignisse in Lüttich gleich im Anschluß. Kritik am Reichskammergericht zu üben, so betont Dohrn, sei kein Zeichen von Respektlosigkeit: Das Reichskammergericht ist ehrwürdig, aber nicht unfehlbar. m
Mangelnde Verehrung des Reichskammergerichts will Dohrn sich nicht unterstellen, Kritik aber auch nicht verbieten lassen. Beide Aspekte vereinend konstatiert er abschließend, Recht und Moral, Handlung und Gesinnung verknüpfend, daß im vorliegenden Fall "ein Reichsgericht, von den rühmlichsten Beweggründen bey einer Handlung geleitet, doch menschlich gehandelt, - daß es geirrt habe."534 Als wesentlicher Grund dieses Irrtums ist für Dohrn die mangelnde Information des Gerichts zu sehen. Die Schnelligkeit, mit der in Wetzlar das Mandat ausgesprochen wurde, führt Dohrn auf den im Mandatstext angegebenen Grund der Erlassung zurück, der "allgemein bekannt gewordene Nachricht und Notorietät" lautete. Kursierende Gerüchte und nicht etwa Beratschlagungen und genaue Überlegungen seien Ursache für das Urteil eines Gerichtshofes gewesen, der doch immerhin "dreyfache Kriegsmacht gegen ein ganzes Land aufzufordern sich verpflichtet hält!"535 worden. Die völlige Unvereinbarkeit des traditionell ständischen und des naturrechtlichen Vertragsverständnisses sei in Lüttich deutlich geworden, als die von der Theorie in die Praxis überführte Frage, wer in der eingetretenen Gründungssituation das Volk repräsentiere und zu handeln befugt sei, gestellt wurde. 532 Dohm, Lütticher Revolution, S. 37. 533 Dohm, Lütticher Revolution, S. 37. 534 Dohm, Lütticher Revolution, S.44. Zu den unterschiedlichen Sichtweisen auf die Frage nach der Anwendbarkeit von rechtlichen und moralischen Normen im Hinblick auf das Handeln des Regenten vgl. Stolleis, Staatsraison. In den Mittelpunkt seiner Untersuchung hat Stolleis die Schriften Christian Garves gestellt - deren Inhalt und Rezeption durch Kant, Friedrich von Gentz, August Wilhelrn Rehberg, Johann Georg Schlosser, Ernst Ferdinand Klein, Karl von Dalberg und Carl Gottlieb Svarez -, um hieran den Umgang mit den Begriffskategorien des allgemeinen Wohls als Staatsziel, des Widerstandsrechts und des Verhältnisses von Theorie und Praxis aufzuzeigen. m Dohm, Lütticher Revolution, S.40. 16 Wüller
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Zugleich stand Dohm als Repräsentant preußischer Politik in der Tradition eines spezifisch preußischen Umgangs mit dem Reichskammergericht. Denn: Unabhängig von der (publizierten) Meinung einzelner Staatswissenschaftler und Rechtsphilosophen hatten die Reichsfürsten durch konkretes Handeln Stellung zu den höchsten Gerichten des Reichs bezogen und damit implizit ihre Reichstreue oder Kritik am Reichssystem bekundet. Hannover und vor allem Preußen waren mit einer über lange Phasen "auf Zerstörung ausgehenden Politik" hervorgetreten, die die Unabhängigkeit des Reichskammergerichts nachhaltig gefährdete. 536 Unter Friedrich Wilhelm I. hatte Preußen nachdrücklich versucht, sich der Reichsgerichte gänzlich zu entziehen. Der König hatte seinen Untertanen die Anrufung eines der Reichsgerichte verboten (woran diese sich freilich nicht hielten) und 1721 die Erhöhung des Beitrags zur Erhaltung des Reichskammergerichts verweigert. 537 Friedrich 11., der mit seinen Provokationen gegenüber Österreich zunächst vor allem durch seine plakativ demonstrierte ,,negative Reichspolitik" auffiel 538 , vollzog mit der Gründung des Fürstenbundes und der in ihrem Zusammenhang intensiv betriebenen Öffentlichkeitsarbeit eine Kehrtwende hin zu einem offenen Bekenntnis zu den reichsrechtlichen Grundlagen. Schon im Vorfeld der Etablierung des Fürstenbundes kam es zu einer allmählichen Intensivierung auch des Kreislebens im Niederrheinisch-Westf31ischen Kreis, die dem Kammergericht unmittelbar zugute kam: 1782 wurden die beiden Kammergerichtsassessoren-Stellen des Westf31ischen Reichskreises, die seit 1603 nicht besetzt waren, installiert. 539 Darüber hinaus trat Friedrich 11. nachhaltig für die Durchführung einer Kammergerichtsvisitation ein. 54O Dohm hob in den "Denkwürdigkeiten" diesen Schritt als wesentliche auf das Reich hin orientierte Leistung Friedrichs in einer vor der Fürstenbundgründung gelegenen Regierungsphase hervor, die noch ganz auf expansives Bestreben Preußens 536 Aretin, Heiliges Römisches Reich, I, S. 1()(); Koser, Brandenburg-PreuBen in dem Kampf zwischen Imperialismus und reichs ständischer Libertät, S.214; Smend, Das Reichskammergericht, 2, S. 222, speziell zu Brandenburg-PreuBen und dessen Exemtionen, S. 501; Hertz, Die Rechtsprechung der höchsten Reichsgerichte, S.355. 537 Hertz, Die Rechtsprechung der höchsten Reichsgerichte, S. 353. Zur Finanzierung des Reichskammergerichts über den "Gemeinen Pfennig", eine allgemeine Reichssteuer, und den "Kammerzieler" , eine Reichssteuer, deren Aufbringung den Reichsständen oblag, vgl. etwa: Schmidt-von Rhein, Das Reichskammergericht, S. 12-13. 538 Press, Friedrich 11. als Reichspolitiker, S. 33; Aretin, Heiliges Römisches Reich, I, S.19ff.; Carl, Mäkelei, S.149, führt aus, daß im Fall der Aachener Mäkelei eine Konfliktregelung mit Hilfe der Kreiskommission erzielt werden sollte, die unabhängig von der Person des Kaisers, aber trotzdem im Rahmen der Reichsverfassung stattfand. "Daß ständischen Verfassungsinstitutionen wie Kammergericht und Kreis diese Aufgabe einer Substitution kaiserlicher Reservate zufallen sollte, war ein Aspekt preußischer Politik, die Aretin mit seiner Formel von Preußens Rolle als Gegenkaiser in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts umschrieben hat." 539 Carl, Mäkelei, S. 147. 540 Zu den Visitationen des Reichskammmergerichts vgl.: Scheurmann, Organisation des Reichskammergerichts, S. 121. Die Vorschläge der Visitationskommissionen gingen in die Ordnungen bis 1555 ein. Im 18. Jahrhundert gab es nur zwei Visitationen (1704-1711 und 1767-1776), deren Ergebnisse aber nicht mehr zu einer Reform der Kammergerichtsordnungen beigetragen haben.
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gegen Interessen anderer Reichsterritorien angelegt war. 541 Dieses von den Vorgängern abweichende Bekenntnis Friedrichs 11. zum Reichskammergericht, das sich in der konstruktiv-kritischen Forderung nach und Zusage zur Beteiligung an der Visitation manifestierte, bildete nun die Tradition, in die Dohm sich als Apologet preußischer Politik zu stellen hatte, ein offen ausgesprochener Bruch mit dieser Reichsinstitution hätte Preußen zugleich in den Ruf der Unzuverlässigkeit gebracht und auch Dohm, einen der Protagonisten aus dem Umfeld der Fürstenbundgründung und des damit plakativ vollzogenen Bekenntnisses Preußens zum Reich einmal mehr in eine persönliche Bredouille gebracht. Dohms Darlegung ist wesentlich getragen von Überlegungen zum rechtlichen Stellenwert des reichskammergerichtlichen Urteils. Sie muß es sein, denn Preußen verstößt mit seiner Politik in der Lütticher Angelegenheit gegen geltendes Recht. Auf Grundlage der reichsrechtlichen Bestimmungen, die Dohm nicht in Frage stellt, plädiert er für Modifikationen, die er aus der Kritik am konkreten Mandat entwikkelt, die sich aber nicht zu einem detaillierten, generellen Reformentwurf zuspitzen. Vielmehr zwingen die skizzierten Entstehungsbedingungen der Schrift zur Zurückstellung reformorientierter Aktion hinter propagandistische Reaktion auf öffentliche Kritik am preußischen Vorgehen. Wenn Dohm die Machtinteressen der preußischen Außenpolitik hier mit der "Perspektive einer deutschen konstitutionellen Reformpolitik,,542 verbindet, handelt er im Impuls auf eine revolutionäre Situation, die sein Handeln gleichermaßen ermöglicht und erzwingt. Die Einbeziehung Hertzbergs und Friedrich Wilhelms 11. ist zunächst eine obligatorische, durch die hierarchischen Entscheidungsstrukturen vorgegebene. In der (semi-)privaten Korrespondenz zwischen Dohm und Hertzberg übernimmt Dohm die Position eines Impulsgebers für das konkrete Vorgehen. Die öffentliche Rechtfertigung wird durch die vom König und Minister vorgegebene Linie der preußischen Außenpolitik bestimmt und zum konkreten Zeitpunkt der Publikation aufgrund der mittlerweile eingetretenen Spannungen von Hertzberg kontrolliert. Auch als Dohm schließlich "über altrechtliche Grundprinzipien" hinausging, "als er bereit war, die Revolution als Ursprung der Verfassungsreform zu akzeptieren", und dies durchaus ein Verstoß gegen allgemeine preußische Staatsräson war 543 , handelte es sich im Konkreten nicht um ein Überschreiten der politischen Vorgaben für den Lütticher Fall. Die Bemühung des Schlagwortes "Revolution", die Anwendung eines assoziativ belegten Begriffes 544 macht Dohm mit verantwortlich für die in seinen Augen überzogenen Reaktionen des Reichsgerichts: Dohm, Denkwürdigkeiten, 4, S.19-20. Neugebauer-Wölk, Preußen und die Revolution in Lüttich, S.63. 543 Neugebauer-Wölk, Preußen und die Revolution in Lüttich, S.73. 544 Neugebauer-Wölk, Preußen und die Revolution in Lüttich, S.70, erläutert, daß beim Streit um die preußische Lüttichpolitik deutlich werde, "daß eine wichtige Grundlage der entstandenen Irritation auf die Sprach- und Begriffsverwirrung zurückzuführen ist, die dieses Zeitalter des Übergangs kennzeichnet. Begriffe wie ,Nation', ,Despotismus', ,Konstitution' hatten noch traditionale Inhalte und gleichzeitig schon moderne Bedeutung, und es lag an den 541
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Hätte man jenem Vorgang den Nahmen gegeben, den er verdiente: Vereinigung der Meinung des Fürsten und seiner Unterthanen über Herstellung der alten Landesconstitution, und wären zugleich alle die Nebenideen, welche die Zeitumstände darboten, entfernt geblieben, wahrscheinlich wäre alsdann die Sache auswärts auch ganz anders gesehen, und ohne die Folgen, die sie itzt gehabt hat, geblieben. 545
Die Vehemenz, mit der Dohm eine Beschreibung der Ereignisse als ,,Revolution" negiert, wird an keiner anderen Stelle des Textes von ihm selbst durchgehalten. Vielmehr offenbart er gerade hier, in der zitierten Umschreibung, sein Agieren mit einem friedlichen Revolutionsbegriff, der insgesamt in der Frühphase der Französischen Revolution Grundlage der zustimmenden Rezeption in Deutschland war. Ausdruck dieser Zustimmung war die Verwendung eines Revolutionsterminus, der eine Veränderung der Verfassung mit ihrer Notwendigkeit begründete und von einer Einsicht in dieselbe bei allen Parteien ausging. Durch freiwillige Verbindung des Staatsoberhaupts mit der Mehrheit der Untertanen zur Durchführung der Veränderung vollziehe sich dann eine Revolution, die, so etwa argumentiert Anselm Feuerbach, als "gerecht" zu qualifizieren sei. Indem die positive Konnotation zugleich in diese juristische Formel gekleidet wird, legalisiert sie das "angestaute Veränderungspotential"s46 und untermauert das dem Fortschrittsoptimismus der Aufklärung entsprungene Bild einer "glücklichen Revolution". unausgesprochenen Intentionen des Autors und an der jeweiligen Rezeption des Lesers, wie sie gemeint und verstanden wurden." Koselleck, Erfahrungsraum und Erwartungshorizont, in: Die Französische Revolution als Bruch, S.658, faßt als wichtiges Diskussionsergebnis einer Arbeitstagung am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld zusammen, eine Gruppe von Diskutanten um Guilhaumou, Hoock, Bödeker und Lottes habe herausgestellt, wie eine stete Spannung zwischen "den revolutionären Sachverhalten und ihren damaligen sprachlichen Verarbeitungen" obwaltet, jede sprachliche Erfassung schon eine Deutung enthalten und jede Deutung zugleich die revolutionären Sachverhalte registriert und beeinflußt habe. Zum Revolutionsbegriff und zu seiner Verwendung durch die Zeitgenossen vgl. auch die Auswahl von Quellentexten bei Garber, Revolutionäre Vernunft, S. 1-24. Zur Begrifflichkeit und zum Sprachgebrauch von ,,Revolution" vgl.: Mohnhaupt, Spielarten ,,revolutionärer Entwicklung"; allgemein zur Benutzung verschiedener ,politischer Grundbegriffe' vgl. die semantische Analyse von Reichardt, Revolutionäre Mentalitäten; Stammler, Sprachgeschichte, S. 48-1 00 (Politische Schlagworte in der Zeit der Aufklärung), v. a. S.62-64. S45 Dohm, Lütticher Revolution, S. 38. Härter, Soziale Unruhen und Revolutionsabwehr, S. 59, S. 99, stellt in diesem Zusammenhang dar, daß das RKG in die Situation gekommen war, die Revolution in Lüttich beweisen zu müssen. Diesen Beweis sah das Gericht darin erbracht, daß sich die Rebellen selbst in Zeitungen und Publikationen ihrer ,,Revolution" gerühmt hätten, ohne daß aus Lüttich publizistischer Widerstand dagegen gekommen sei. Härter zitiert den zuständigen Referenten Balemann: "Schweigt nun das Publikum zu der ihm im Druck vorgelegten Geschichte, schweigt die Obrigkeit zu denen ihr nachtheilig werden könnenden Umständen, meldet sich keine [sic!] von der Obrigkeit authorisierte Geschichtsschreiber, der die nehmliche Revolution dem publico zu erzählen hat mit einer Berichtigung", könne man den Wahrheitsgehalt der Selbstdarstellung nicht bezweifeln. Dohm unternimmt hier den Versuch eines solchen Widerspruchs. 546 Koselleck, Revolution, S. 732. Koselleck benutzt diese Formulierung bei seiner Interpretation der zentralen Gedanken von Paul Johann Anselm Feuerbachs Abhandlung: ,,Philosophisch-juridische Untersuchung über das Verbrechen des Hochverrats" von 1798.
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In der intellektuellen deutschen Öffentlichkeit hatten sich nach Ausbruch der französischen Unruhen unterschiedliche Haltungen zur ,,Revolution" entwickelt, alle Einstellungen aber erzwangen eine "grundsätzliche Parteinahme" .547 Gerade diese Parteilichkeit, die subjektive und politische Stellungnahme der Öffentlichkeit - auch der Funktionsträger des Reiches - stellt sich in Dohrns Gedankengebäude einem objektiven juristischen Urteil entgegen. Die öffentliche Meinung als Machtfaktor und Movens des Handelns staatlicher Autoritäten darzulegen, bedeutet zugleich aber auch, diese Autoritäten nicht als außerhalb des (politischen) Diskurses stehend, lediglich als ihren Gegenstand zu sehen, sondern sie einem ebenso rezeptiven wie produktiven Kommunikationsprozeß einzugliedern, sie gleichsam zum Teil der ,aufgeklärten Gesellschaft' zu machen. Im Konkreten kommt zum Tragen, was Dohrn an anderer Stelle formuliert, als er dem Kammergericht den Charakter des Sakrosankten abspricht. Auf diese Weise wird das Gericht zum Kommunikationspartner, den man überzeugen und mit dem man verhandeln kann. Es wird zum Partner im gemeinsamen Kampf um die Durchsetzung aufgeklärter Ideen und als solcher vor allem aufgefordert, nicht mit der Kraft eines juristischen Urteils, sondern mit der auf Vernunft bauenden Urteilskraft zum Besten der staatlichen Gemeinschaft zu handeln. Umgekehrt ist es in Dohrns Argumentation gerade der politische öffentliche Dialog, der die Einmischung des Kammergerichts in lokalen Auseinandersetzungen überflüssig macht. Die verfassungsrechtliche Institutionalisierung dieses Dialogs vollzieht sich in der Möglichkeit des Meinungsaustauschs zwischen Fürst und Volk in der Versammlung des Landtags: wie mancher Vergleich zwischen Landesherrn und Unterthanen ist nicht schon nach stürmischen Landtagen zu Stande gekommen, ohne daß ein Reichsgericht für nöthig befunden zu untersuchen, in welchem Grade vielleicht die innere Ueberzeugung des Herrn mit der öffentlich erklärten Meinung zusammen stimme ?548 547 Koselleck, Revolution, S. 731, schreibt dazu: Der Revolutionsbegriff "verlor seine generelle Zustimmungsfähigkeit aus der Aufklärungszeit. Je nach den theoretischen Prämissen und der entsprechend gefilterten Erfahrung spalteten sich die Lager, idealtypisch gesprochen, in das der konsequenten Demokraten, der Konstitutionalisten und der tendenziell eher konservativen politischen Pragmatiker. Für alle wurde ,Revolution' zu einem verschieden besetzten Parteibegriff [... ]". Zu den ,,Revolutionslehren deutscher Geschichtsschreiber und - denker des späten 18. Jahrhunderts" vgl. auch Griewank, Der neuzeitliche Revolutionsbegriff, S. 175-186. 548 Dohm, Lütticher Revolution, S. 38. Für den vorgetragenen Kontext könnte die personelle Zusammensetzung des Reichskammergerichts im Hinblick auf die politischen Haltungen der in der Lütticher Angelegenheit entscheidenden Assessoren von Bedeutung sein. Schon im Spaer Konflikt hatte Chestret nach eindringlichen Kontakten zum Richter Ditfurth nach Lüttich gemeldet, daß nach seinem Eindruck die Freimaurerei eine gewisse Rolle bei der Urteilsfindung gespielt habe (vgl. Kapitel B. I. 3. in dieser Arbeit). Was die Diffusion aufklärerischen Gedankenguts in das Reichskammergericht betrifft, hat Neugebauer-Wölk, Reichsjustiz und Aufklärung, den Einfluß des Illuminatenordens auf die Assessoren betont (Ein Schaubild [So 11] verdeutlicht den Anteil der Ordensmitglieder an den verschiedenen Personalgruppen des Reichskammergerichts. Danach waren 40,9 % der Assessoren, 9,8 % der Advokaten/Prokuratoren und 1,2 % der Mitglieder der Kanzlei bzw. der Verwaltung Illuminaten). Neugebauer-Wölk glaubt,
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4. Der publizistische Kontext a) Reaktionen auf die Lütticher Revolution "Die Pr e u s sen sind so schwer in Lütt ich aufgetreten, daß das ganze Deutsche Reich davon dröhnt", war in Schubarts "Chronik" vom 15. Januar 1790 zu lesen. 549 Einen guten Überblick über die zahlreichen Einzelveröffentlichungen, die sich mit den Ereignissen in Lüttich und der Reaktion des Reichskammergerichts und der von ihm zur Niederschlagung der Unruhen beauftragten Höfe beschäftigen, gibt die zwischen Januar 1790 und Januar 1792 monatlich bei Friedrich Christoph Cotta erschienene "Teutsche Stats-Literatur".55o Ziel dieser Publikation war es, "Sachverständigen sowohl in Kanzleien als in Hohen Schulen", "Obrigkeiten" der Staaten, Vertretern der Reichsversammlung und der Reichsgerichte jeweils aktuelle eine Analogie zwischen dem idealistischen Konzept des Ordens und den Aufgaben des Gerichts zu erkennen: der sogenannte Aeropag definiere sich als "Kreis aufgeklärter weiser Männer, Archivare der menschlichen Rechte, moralischer Körper, der der Herrschaftssphäre der Fürsten entgegengesetzt ist". In ähnlicher Weise fungiere das Richterkollegium am Reichskammergericht als ,,Aeropag des Reiches", in dem sich Gelehrte als "Sachwalter der Macht der Vernunft" versammelten, die Herrschaft von Recht und Moral und die Zurückdrängung des fürstlichen Elements der Reichsverfassung propagierten (S. 28). Die Assessoren nutzten ihre Kompetenz, um die Verfassungspolitik in Deutschland voranzutreiben (S. 54), was in der Praxis bedeute, daß, da die Revolution in der Theorie des Ordens als Irrweg gesehen wurde, die politische Entwicklung ab 1789 verurteilt worden sei (S. 56). Das habe sich entscheidend auf die Urteile im Zusammenhang mit revolutionären Erhebungen im Reich ausgewirkt: Da die illuminatischen Assessoren des Kammergerichts den Prozeß der staatlichen Revolutionierung selbst hätten steuern wollen, seien sie antirevolutionär orientiert gewesen (S. 60). Die Urteile des Kammergerichts hätten sich, so Neugebauer-Wölk, als juristische, nicht politische Entscheidungen dargestellt, formuliert allerdings von Menschen, die politisch dachten (S. 57). Härter, Soziale Unruhen und Revolutionsabwehr, dagegen kritisiert Neugebauer-Wölks Darstellung und konstatiert nach Einsicht der Relationen, Voten und Urteile der Judizialsenate gerade auch im Hinblick auf die Lütticher Angelegenheit, daß von einer illuminatischen Rechtsprechung keine Rede sein könne (S. 53, 88, 101-102). 549 Chronik, 15. Januar 1790, S. 37. Schubarts "Chronik" stellt vor allem auf die Wahrnehmung der preußischen Lüttich-Politik im Reich ab und kommentiert sie ihrerseits in der Tendenz zustimmend. ,,Die Preußische Staatsklugheit erscheint jetzt in einem Lichte, das allgemein Bewunderung erregt. Man wollte den Funken in L ü t t ich zur hellen Flamme aufblasen, um die Preußen dort zu beschäftigen, und ihre Aufmerksamkeit von andern Orten abzulenken; aber der scharfblickende, mit tiefer Ueberlegung handelnde preußische Staatsrath merkte es, und entschlüpfte schlau der Schlinge dieser List", hieß es am 9. Februar 1790 (S. 91). Etwa einen Monat später sieht der Kommentator das Risiko des preußischen Scheiterns vor allem in der Überlastung durch die Gleichzeitigkeit verschiedener Projekte. Preußen wolle "die krachende Pforte stüzen, Oestreich und Rußland Schranken sezen, in Pohlen gebieten, die Freiheit der Niederländer schüzen, das aufs neue gährende Holland bändigen, die Lütticher Fehde ausgleichen und den Deutschen Fürstenbund lenken. - Das sind Arbeiten, vor denen AI z i des zurückgeschauert hätte" (23. März 1790, S. 197). 550 Der Göttinger Zeitschriftenindex verzeichnet einschlägige Zeitschriftenartikel, die zur Lütticher Revolution erschienen sind. Das Hamburger Historisch-politische Magazin lieferte eine ausführliche zeitgenössische Berichterstattung. Vgl. dazu Stollberg-Rilinger, Vormünder des Volkes, S. 156, Anm. 10.
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Schriften, die "Reichsstände und Gelehrte" verbreiteten, in Auszügen und mit Beurteilungen versehen vorzustellen. Auf diese Weise sollte "allen diesen Männern, welche für das Vaterland arbeiten", ein schneller und möglichst vollständiger Überblick verschafft werden. 551 Friedrich Cotta intendierte mit der Herausgabe der "Statsliteratur" eine Kommentierung der verfassungsrechtlichen und politischen Verhältnisse und Entwicklungen im Deutschen Reich, mit der er zugleich seine forderung nach Wahrung und Ausbau der alten Grundrechte in den einzelnen Herrschaftsgebieten verband. Die revolutionären Entwicklungen der Zeit waren ihm in dieser Hinsicht eine Hoffnung, er glaubte sie als Ausgangspunkt einer Kanalisierung zum Verfassungs wandel im Sinne einer Integration aufgeklärter Ideen deuten zu können. Dohm bekam hier eine besondere Rolle zugewiesen: Cotta stilisierte ihn zu einer "Symbolfigur dieser Hoffnung". 552 Er sorgte dafür, daß Dohms Schrift in Süddeutschland verbreitet wurde und ließ auch eine kurze, von ihm selbst erstellte Zusammenfassung im Verlag seines Bruders als Separatdruck erscheinen. 553 Im genannten Zeitraum werden allein 34 Publikationen zur Lütticher Revolution in der "Statsliteratur" aufgeführt. Die meisten waren im Umfeld der beauftragten Kreisdirektorialhöfe entstanden, nur wenige stammten von ,unbeteiligten' Beobachtern; darüber hinaus wurden publizierte Protokolle, Berichte und Mandate aufgenommen. Das Drängen des preußischen Hofs, möglichst schnell die Öffentlichkeit mit einer preußischen Verteidigungsschrift zu konfrontieren, rührte auch daher, daß mit Ausbruch der Revolution Kommentierungen erschienen, die explizit das preußische Verhalten aufgriffen. Noch bevor DOhm seine Schrift publizieren konnte, hatten die Gegner der preußischen Politik, in Person des bischöflichen Agenten Zwierlein, des Stuttgarter Staatsrechtslehrers Wilhelm August Danz und des Bonner Staatsrechtsprofessors Johann Ludwig Werner zur Feder gegriffen. Von preußischer Seite hatte sich bis zum Erscheinen des Dohmschen Textes im wesentlichen nur Hofmann in direkter Antwort auf Zwierlein eingeschaltet. Die umfangreicheren Reaktionen auf das preußische Verhalten in der Lütticher Revolution, ob zum öffentlichen Diskurs im Reich beitragend oder im privaten Kreis getan, haben die Fixierung auf im wesentlichen drei Protagonisten der preußischen Außenpolitik in dieser Frage gemeinsam: Christian Wilhelm von Dohm, Ewald Friedrich von Hertzberg und Martin Ernst von Schlieffen. Friedrich Wilhelm 11. tritt dahinter als handelnder Charakter, als verantwortlicher Herrscher zurück, wird erst dann mit größerem Interesse betrachtet, wenn es in der Diskussion um die unterschiedlichen Rechtspositionen und Machtpotentiale des Königs als König von Preußen oder als Herzog von Kleve geht. Teutsche Stats-Literatur, Januar 1790, Vorrede, S. 1-2. Vgl. dazu Neugebauer-Wölk, Revolution und Constitution, S. 84-90. 553 Nachzulesen als gleichlautender Abdruck in der "Statsliteratur", Mai 1790, S.257-259, Juni 1790, S. 354-356 (Nach Neugebauer-Wölk, Revolution und Constitution, S. 86, Anm.239, ist der Separatdruck "Auszug aus der Schrift: Die Lütticher Revolution" nicht mehr zu finden.). 551
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Damit hatte sich in der öffentlichen Rezeption eine Akzentverschiebung vollzogen: Selbst wenn es sich bei dem skizzierten Blickwinkel in der öffentlichen Rezeption in einzelnen Fällen um politisches Kalkül gehandelt haben mag, mit dem das Ziel verfolgt wurde, dem preußischen König einen Spielraum zu schaffen, über die Entlassung Dohms in Verhandlungen mit den Direktorialmächten unter veränderten politischen Prämissen einzutreten, ändert das nichts grundsätzlich an der Tatsache, daß Dohm, Hertzberg und Schlieffen weitgehend selbständiges Handeln unterstellt wurde. Daß einzelne Beamte, unabhängig vom Monarchen und dessen Handlungsanweisungen in der Öffentlichkeit als Handelnde wahrgenommen und beurteilt wurden, wäre in der Regierungszeit Friedrichs 11., dessen System ganz an seine Person gebunden und in der öffentlichen Rezeption auch ebenso wahrgenommen wurde, weitgehend unmöglich gewesen. 554 Jetzt vollzog sich diese Loslösung der Staatsdiener vom Monarchen in der öffentlichen Wahrnehmung beinahe selbstverständlich. Das bedeutete im Hinblick auf die von den ,aufgeklärten' Staatsbediensteten aufgestellte Forderung größerer Beteiligung am staatlichen Handeln implizit, daß diese sich zumindest für das öffentliche Bewußtsein bereits vollzogen hatte. Ihre Potenzierung fand diese Einschätzung der Einflußmöglichkeiten in der Beurteilung der "Gefährlichkeit" der Beamten: Die Generalstatthalter der österreichischen Niederlande Marie-Christine und Albert von Sachsen-Teschen schrieben am 21. August 1790 aus Bonn einen aufgeregten Brief an Leopold 11., in dem sie diesem mitteilten, daß sie Nachricht erhalten hatten, Dohm sei na,ch Brüssel gereist: Nous venons au reste de recevoir un avis portant que M. de Dohm Ministre du Roi de Prusse ala Direction du Cercle de Westpalie etoit alle aBruxelles. C 'est le meme qui a si bien ambrouille les affaires de Liege, et son influence dans les nötres ne sauroit etre regardee que comme tres dangereuse, ainsi que celle du Lieutenant-General de Schlieffen; leur liaison ayant ete publique et manifeste avec les chefs du Congres Belgique. 555
Die Kehrseite dieses (unterstellten) Machtzuwachses bekamen die Protagonisten gleich zu spüren: Ihr Handeln wurde jetzt der öffentlichen Kritik unterzogen, nicht das des Königs. 556 554 In den ,,Politischen Testamenten" von 1752 und 1768 betont Friedrich II., daß es für Preußen absolut notwendig sei, daß der Herrscher alleine seine Regierungsgeschäfte führe (Die politischen Testamente der Hohenzollem, S. 324 ff.). Schon im Antimachiavell hatte Friedrich dargelegt, daß Minister ,,nur Werkzeuge" in der Hand des Monarchen sein sollten (22. Kapitel), Werke (Volz), 7, S. 92. 555 Den Hinweis auf diesen Brief verdanke ich Johannes Koll, der ihn im Bestand "Chancellerie de Cour et d'Etat a Vienne. Departement des Pays-Bas 216, fo1.172" im Generalstaatsarchiv Brüssel gefunden hat. 556 Klueting, Hertzberg, S. 152, weist darauf hin, daß Hertzberg als Untersuchungsgegenstand auch deshalb von Interesse sei, weil er eine Stellung als Minister inne gehabt habe "zwischen monarchischer Selbstherrschaft und eigener staatsmännischer Wrrkungsmöglichkeit, die Ausweis ist für Wandlungen im spätfriderizianischen Herrschaftssystem und für die Problematik der Regierungspraxis Friedrich Wilhelms II.". Abschließend konstatiert Klueting: "Doch blieben dabei die Momente der monarchischen Selbstherrschaft immer stärker als die der eigenen politischen Wrrkungsmöglichkeiten eines Ministers."
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Die Desavouierung der preußischen Politik war vor allem deswegen so leicht zu vollziehen, weil ihre Protagonisten zugleich in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Gründung des Fürstenbundes als "Verfechter der aufgeklärten Reichsverfassungslehre" aufgetreten waren. 557 Es ist dieser Aspekt, der auf die zweite wesentliche Gemeinsamkeit in der öffentlichen Auseinandersetzung um die preußische Außenpolitik in Lüttich verweist: Die Urteile stützen sich fast ausschließlich auf eine - je nach Lager unterschiedliche - Analyse der rechtlichen Situation, die nur gelegentlich mit "moralischen" Bewertungen unterfüttert wird. 558 So sehr Dohm und die Verteidiger der preußischen Politik versuchten, Ideen aufgeklärten Denkens in ihre Abhandlungen einfließen und diese als Grundlage einer ,gerechten', der Zeit ,angemessenen' Erhebung erscheinen zu lassen, so wenig waren die Gegner bereit, sich auf die veränderten geistigen Grundlagen gesellschaftlichen Lebens als Movens von Modifikationen der dieses Leben regelnden Verfassungen einzulassen. Schließlich raUt auf, wie emphatisch die im Umfeld der beteiligten Direktorialhöfe entstandenen Schriften den Detailreichtum der Verhandlungsführung, -diskurse und -ergebnisse der Öffentlichkeit preisgaben. Es entspricht auf den ersten Blick so gar nicht der Darstellung der "Chronik" vom 29. Juni 1790, die konstatiert, daß bei der "unbegreiflichen Verschwiegenheit der Höfe" kein Laut aus dem ,,heiligen Dunkel der Kabinette" ertöne und daher "so viel mystisches, so viel änigmatisches, so viel unbegreifliches in den Staatsereignissen" sei 559 , wenn man diese mit der Realität der produzierten Staats schriften vergleicht. Die im Dienst der Staatspropaganda stehende Veröffentlichung einer unüberschaubaren Detailfülle aber verfolgte gerade nicht die Absicht, die mit der Publizierung von Staatsarkana in ,Privatschriften' angestrebt war und die die "Chronik" einforderte, nämlich die Politisierung einer breiten Öffentlichkeit. 560 Mit ihrer Hilfe sollte vielmehr der jeweilige Gegner vor den Augen des Reichs, seiner territorialen Mächte und seiner Institutionen, desavouiert, eigene außenpolitische Zielsetzungen und diplomatische Strategien sollten als normorientiert und rechtmäßig verteidigt werden.
Neugebauer Wölk, Preußen und die Revolution in Lüttich, S. 70. Das gilt auch für Gesamtdarstellungen zum Thema ,,Revolutionen", in denen die Lütticher Revolution exemplarisch vorgestellt wird. Zu nennen sind hier etwa: Hoscher, Beyträge zur neuesten Geschichte der Empörung, Vorrede, S. 24-28 und S. 1-111; Schlettwein, Die in den teutschen Reichsgesezen bestimmte weise Ordnung der Gerechtigkeit, S. 17-69 (v. a. § 9: "Anwendung der vorhergehenden Ausführungen auf die Lütticher Revolution" und § 15: "Unrichtige Erklärung und Anwendung des Herrn von Dohm, von diesem Reichsgesetz") oder Ewald, Über Revolutionen, S. 112-125. 559 Chronik, 29. Juni 1790, S. 446. 560 Diese übernahmen eher die Zeitschriften, die die Ereignisse in Lüttich kommentierten, und die kursierenden Flugblätter und Flugschriften. Vgl. auch Kapitel B. I. 2. in dieser Arbeit. 557
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aa) Christian Jakob von Zwierlein: "Kurze Uebersicht des Lütticher Aufruhrs"~61 Christian Jakob von Zwierlein stützt sich bei seine Ausführungen vor allem auf den von Bassenge herausgegebenen "Avant coureur" und ein in der Revolutionszeit erschienenes Blatt mit dem Titel ,,Feuille nationale Liegeoise". ~62 In ihrem Duktus ist seine Schrift nicht nur eine Anklage gegen die Revolutionäre und, gemäßigter, gegen ihre vermeintlichen Unterstützer, vor allem den preußischen Hof, sondern auch eine Abrechnung mit den für ihn in Zerrüttung und Aufruhr sich manifestierenden Folgen der Aufklärung. Die Ursachen der Lütticher Unruhen des Augusts 1789 sieht Zwierlein in von einzelnen Personen provozierten Ausschweifungen: Levoz, Fabry, Chestret und Bassenge seien die Begründer einer patriotischen Gesellschaft, die als "Schuz-und Truzbund" aufgetreten sei, um Streitigkeiten anzuzetteln und Prozesse gegen den Fürsten zu finanzieren. Bassenge habe ,,hochtrabende Gemeinplätze" in seinen aufrührerischen Schriften bemüht, um gegen üble Verwaltung und Despotismus zu protestieren, während doch auf der anderen Seite der Bischof eine Ständeversammlung einberufen habe, um über Abgabengleichheit zu debattieren. Die Druckschriften hätten das Volk zum Griff zu den Waffen aufgefordert, und "da man nach dem besten Ton des jezzigen philosophischen achtzehenden Jahrhunderts das polizirte Costume der Völker Cocarden, als legale Herolde und Losung des Aufruhrs, eingeführet hat", so habe man diese auch am 15. August im Lütticher Land anzulegen begonnen. 563 Der Fürstbischof sei zu seiner Unterschrift unter die Erklärung zur Aufhebung des Edikts von 1684 gezwungen worden. Den Akt der Unterzeichnung stellt Zwierlein als einen vom Bischof in Verwirrung vollzogenen dar: Der Bischof habe die ihn Begleitenden schließlich gefragt, was er unterschrieben habe. "Kann den Inhalt nicht glauben, und verlangt am folgenden Tag Abschriften seiner Reverse, um sich davon zu überzeugen. "564 Seine Flucht sei eine Folge der um sich greifenden Gärung und der Gefahr einer Nachahmung des französischen Beispiels gewesen. 565 Da mit dem Bischof auch Zweidrittel des Domkapitels geflohen seien und der Bürgerstand aus unrechtmäßigen Vertretern sich zusammengesetzt habe, sei der 561 Der genaue Titel lautet: "Kurze Uebersicht des LüUicher Aufruhrs vom Jahr 1789. Größtentheils aus einer eigenen Nationalschrift der sogenannten Patrioten herausgehoben und erwiesen 1789". In einem großen Anhang befinden sich die Quellentexte, fast ausschließlich Auszüge aus dem ,,Feuille nationale Liegeoise", dazu auch aus dem ,,Journal general de I'Europe", das reichskammergerichtliche Mandat vom 27. August, Korrespondenzen zwischen Fürstbischof und LüUicher Ständen. 562 Vgl. zu den Zeitschriften: Franeotte , Essai historique, S. 198-200. Unter der Bezeichnung "Feuille Nationale Liegeoise" erschienen zwei Zeitschriften, die eine vom 19. August 1789 bis 15. April 1790, die andere vom 10. Oktober 1787 bis zum 18. Juni 1790. 563 Zwierlein, LüUicher Aufruhr, S. 5. 564 Zwierlein, LüUicher Aufruhr, S. 14. 565 Zwierlein, Lüuicher Aufruhr, S. 19.
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Landtag vom 31. August keine gesetzmäßige Versammlung gewesen. Den verbliebenen Rest des Domkapitels stellt Zwierlein als den Vollstrecker des bischöflichen Reformprogramms dar. Während dieses auf der Ständeversammlung über die Gleichheit der steuerlichen Abgaben debattieren wollte, also an dem vom Bischof vorgegebenen Beratungsgegenstand festhielt, hätten die Städte die Verwandlung Lüttichs in eine Republik zu ihrem Thema gemacht. Die Schilderung des Dohmschen Besuchs in Lüttich unterstellt eine schnelle Eingenommenheit Dohms für die Interessen des Dritten Standes und Ignoranz gegenüber den Vertretern des Bischofs. "Das Vorgeben des Ruhestandes und eines allgemeinen Einverständnisses, ist eine Erdichtung, die an Kühnheit keiner gleichet", überschreibt Zwierlein das 28. Kapitel seiner Darstellung. Er nutzt die Fortführung zur erneuten heftigen Attacke gegen die negativen Folgen des Zeitgeists: Nur dem wundervollen achtzehenten Jahrhundert war es vorbehalten, auch Wunder der Art zu erleben, Aeronauten zu sehen, deren Dreistigkeit über die von andern Menschen je beathmete Regionen unglaublich emporstieg; und Rebellen, die dem kühnen Aug ihrer Behauptungen einen noch höheren Schwung als jene zu geben vermogten. 566
Die Darstellung aller Schrecken des Aufruhrs in Lüttich schließt Zwierlein mit der Aufforderung, eine Mediation erst der buchstäblichen Vollziehung des Mandats folgen zu lassen. Ziel seiner Schrift soll sein, das Reichskammergericht aufzuklären und in Stand zu setzen, "warnenden Unterricht für alle Obrigkeiten drukken zu lassen, welche noch jetzt in sorgloser unthätiger Indolenz schlafen, indes die Häuser ihrer Nachbarn in hellen Flammen auflodern".567 Zwierlein veröffentlichte 1789 außerdem noch den 30 Seiten starken "Memoire instructif sur la Revolte liegeose & les Motifs, Manoeuvres & Pretextes employes par ses Chefs, avec une Analyse du Droit de regler la Police & de l'Edit de 1684."568 Die Schrift erschien anonym und schilderte die Motive und Maximen der Revolution aus der Sicht des Revolutionsgegners - vor allem wurde abgestellt auf die intendierte Veränderung des Fürstbistums in eine Republik. Sie enthielt einen Abriß über die Rechte des Bischofs mit ihrer geschichtlichen Ableitung und eine Analyse des Edikts von 1684, dazu Anwürfe gegen die Führer des Aufstands etwa in der Form, daß ihnen unterstellt wurde, von langer Hand die Absetzung des Bischofs und die Umwandlung des Bistums Lüttich in eine Republik vorbereitet zu haben. Einen kritischen Umgang mit den vom Bischof übernommenen Handlungsvollmachten in Polizeisachen vermittelte Zwierleins Schrift insofern, als sie einen grundsätzlichen Diskussionsbedarf zugab.
Zwier/ein, Lütticher Aufruhr, S.47. Zwierlein, Lütticher Aufruhr, S. 60-61. 568 Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c 11, Nr.4, Bl.309r.-324v.
566 567
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
bb) Caspar Friedrich Hofmann: "Einige Berichtigungen"569 Im November des Jahres 1789 antwortete der Vertreter der Lütticher Stände und preußische Agent am Reichskammergericht Caspar Friedrich Hofmann auf Zwierlein. Hofmanns Darlegungen gipfeln in zwei Fragen: 1.) Worinn bestehet denn eigentlich die sogenannte Lüttichsche Revolution vorn 17. und
18. August? [... ] 11.) Hat solche der Fürst genehmigt?
Zur ersten Frage führt er aus, daß die Aufhebung des Edikts von 1684 und die in den Städten wieder eingeführte freie Wahl der Magistrate die eigentliche Revolution gewesen sei. Die Antwort auf die zweite Frage müsse, so Hofmann, einfach ,Ja' heißen. 570 Der Fürst habe seine Genehmigung der aufständischen Forderungen sowohl durch seine unmittelbar vor seiner Flucht gegebene Erklärung erteilt als auch durch die Ermahnung an den nach seiner Vorgabe einberufenen Landtag, im Sinne des Volkswohls zu beraten, sowie durch die Vorgabe an das Reichsgericht, keinen Rechtsspruch, sondern einen Vergleich anzustreben. Hofmann wendet sich auch gegen die Darstellung Zwierleins, der Bischof habe in einem Zustand der Verwirrung die Forderungen der Revolutionäre unterzeichnet. Augenzeugen hätten eine derartige Unzulänglichkeit des Fürsten nicht feststellen können, vielmehr habe der Bischof bei der Unterzeichnung "freymüthig, unbefangen und leutselig gesprochen und frey gehandelt". 571 Furcht oder Abneigung des Bischofs als Movens seines Vorgehens schließt Hofmann vor allem durch dessen Verhalten gegenüber dem Landtag aus. Kann das ein Fürst mit Leuten thun, die Er für eine Rotte von Aufrührern, Empörern, Rebellen, Volks bezwingern, Landfriedbrechern, die des Reichs Acht und Aberacht verwürkt haben, oder gar für Tyrannen und ein brüllendes Löwengeschlecht [... ] hält?S72
Mit dem "Nationalgeist der Eburonen" entschuldigt Hofmann, wie auch schon Dohm, die mangelhafte Form, in der das Lütticher Volk seine Beschwerden vorgebracht habe: Sie sind keine Deutsche, haben nichts vorn Phlegma der Deutschen, kennen die Reichsverfassung nicht. Es sind Austrasier, sie bilden sich nach Gallischen Sitten, lernen auf Französischen Schulen und Universitäten, und haben mit dem benachbarten Frankreich viele Verbindung.
Zudem, die Position eines Anwalts der Lütticher Stände beziehend, ergänzt Hofmann: Der Sieg über den Rechtsweg könnte den Lüttichern wohl nie entstehen, da die 569 Der genaue Titel lautet: ,.Einige Berichtigungen der Druckschrift: Kurze Uebersicht des Lüttichschen Aufruhrs". 570 Hofmann, Einige Berichtigungen, S.269-270. Vgl. zum ,Beweis' der Revolution auch Härter, Soziale Unruhen und Revolutionsabwehr, S.59, und Kapitel B. VII ..3.c) in dieser Arbeit. 57\ Hofmann, Einige Berichtigungen, S.272. 572 Hofmann, Einige Berichtigungen, S.277.
VII. Die publizistische Verteidigung des preußischen Vorgehens
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"Hofparthey" dem Grundsatz folge: "Verzögere und du hast genug gewonnen." Die Kameralakten lieferten genug Beispiele dieser Art der "Lüttichschen Rabulistery". 573 Den Verlauf der Unruhen beschreibt Hofmann als außerordentlich zivilisiert. Da das Volk sein Recht zur Magistratswahl reklamiert habe, seien die amtierenden Bürgermeister zurückgetreten und hätten ihre Ämter angeboten. Ohne Tumulte sei die Neuwahl vonstatten gegangen, die beiden alten Bürgermeister seien ohne die mindeste Beleidigung nach Hause geführt worden. 574 Auch Hofmann, Dohm ähnlich, schreibt in eigener Sache: Um seine Rolle zu charakterisieren, integriert er einen Bericht an den preußischen Hof vom 15. Dezember 1789. Darin unterrichtete er diesen, daß die beiden Lütticher Advokaten Lesoinne und Bassenge ihn im September über die Lütticher Revolution mit einem schriftlichen Bericht informiert hätten. 575 Hofmann erläutert, er sei schon seit vielen Jahren Anwalt der Lütticher Stände, vor allem der Ritterschaft, bei reichskammergerichtlichen Prozeßsachen, habe auch eine Druckschrift für sie verfaßt. 576 Er habe daher auch jetzt in der so wichtigen Sache, in der er durch Lütticher Deputierte als Anwalt ersucht worden sei, seinen Dienst nicht versagen können. Unablässig sei es seitdem sein Ziel, an einem Vergleich zwischen Bischof und Ständen zu arbeiten und den preußischen König um Vermittlung nachzusuchen. cc) Wilhelm August Danz: ,,Fortgesezte Statsrechtliche Betrachtungen,,577 Als unmittelbare Reaktion auf Hofmanns Darlegungen erschien 1790 die zweite von insgesamt drei Schriften zur Lütticher Revolution des Stuttgarter Staatsrechtlers Wilhelm August Danz. Schon vor Erscheinen des ersten reichskammergerichtlichen Mandats hatte Danz im August 1789 auf die Ereignisse in Lüttich reagiert, indem er sie in seiner Abhandlung ,,statsrechtliche Betrachtungen über die Lütticher Unruhen vom Jahr 1789" als Landfriedensbruch qualifizierte und eine Reaktion des Kammergerichts beschwor. Durch das ausgesprochene Mandat, aber auch andere publizierte Meinungen, namentlich die Zwierleins, fühlt Danz sich nun bestätigt. Er nimmt für sich in Anspruch, weder "Anwald noch ein gedungener Schriftsteller" zu sein, in keinem Fürstendienst, noch in Verbindung mit den Insurgenten zu stehen 578 , wenn er in der Folge die preußische Erklärung von Aldengohr vom 26. November zu kommentieren Hofmann, Einige Berichtigungen, S.275-276. Hofmann, Einige Berichtigungen, S. 260. 575 Abdruck eines Berichts an einen deutschen Hof bey Gelegenheit der Lüttichschen Sache. December 1789. In: Staatsschriften zur Lütticher Revolution, Bd. I, S. 286-291, hier: S.288. 576 Der Titel der Schrift lautet: "Oe ordinum provinciae Leodiensis jure in legislatoria potestate cum principe concurrendi & c .. Wezlar 1788" (Hofmann, Einige Berichtigungen, S. 289). 577 Der genaue Titel lautet: ,,Fortgesezte Staatsrechtliche Betrachtungen über die Lüttichischen Unruhen vom Jahr 1789". 578 Danz, Fortgesetzte Staatsrechtliche Betrachtungen, S. 9. 573
574
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
übernimmt. Diese unterzieht er einer Untersuchung nach vier verschiedenen Aspekten: Die Verfassung des Reichskreises, das Mandat des Reichskammergerichts, die Reichsgesetze und "gemeine[ ... ] Rechtsgrundsätze" sollen auf ihre Übereinstimmung mit der Erklärung überprüft werden. Im einseitigen, ohne Vorwissen und Einwilligung der beiden anderen Höfe geschehenen Handeln Preußens erkennt Danz einen Verstoß gegen den Dorstener Rezeß des Jahres 1665. 579 Der durch das Mandat geforderten Wiederherstellung des Status quo ante sieht er widersprochen durch die Zusage Kleves, den Insurgenten Sicherheit ihrer Person und Güter zu gewähren und eine Interims-Regierung mit der Zielsetzung zu installieren, ein neues Wahlreglement zu entwickeln und einzuführen. 58o Die Reichsgesetze legten den höchsten Gerichten und den Kreisausschreibenden Fürsten wechselseitige Verbindlichkeiten in Ansehung der Vollstreckung ausgesprochener Urteile auf; mit der eigenmächtigen Abänderung des Mandats habe Kleve auch hier gegen geltendes Recht verstoßen. 581 Das gemeine Recht verlange, so Danz, Restitution, d. h. derjenige, der eigenmächtig Besitz ergriffen habe, solle nicht geschützt werden, sondern sei durch Gesetz aufgefordert, den Besitz zurückzuerstatten. Diesen Grundsatz sieht er als auf die Situation der Lütticher Insurgenten übertragbar. 582 Die deutsche Reichsverfassung ist so sehr kompliziert, daß die Verrückung eines einzigen Rads dieser gros sen und wahrlich mit Weisheit zusammengesezten Maschine ihre Bewegung hindern, und das ganze, für das allgemeine Glück der Nation so wohlthätige System zerrütten und umstürzen kann, konstatiert Danz schließlich. Vor diesem Hintergrund hält er es für äußerst bedenklich, wenn "einer der mächtigsten Reichsstände", "gar das Haupt des Fürstenbundes" "Heiligkeit der Verträge und Unverlezlichkeit der Reichsgrundgeseze ausser Augen sezt". 583 Die gegenwärtige Lage beurteilt er als höchsttraurig für den bedrängten Fürstbischof von Lüttich, gefährlich für alle deutsche Reichsstände, denen ähnliche Unfälle in unsem Tagen drohen, wo verheerender Schwinde1geist des Aufruhrs und der Empörung in vielen Territorien noch immer unter der Asche glimmt; gefährlich für die ganze Reichsverfassung; bedenklich endlich für jeden biedem deutschen Patrioten. 584 In seiner dritten Abhandlung über die Lütticher Revolution ,,zweite Fortsetzung der Statsrechtlichen Betrachtungen über die lüttichischen Unruhen. Ueber das Verhältnis des burgundischen Kreises gegen das Reich und die Reichsgerichte", die 1791 erschien, wendet sich Danz vor allem gegen Dohms Verhalten in der Briefaffare mit dem österreichischen Feldmarschall Bender. 585 Danz, Fortgesetzte Staatsrechtliche Betrachtungen, S. 17/18. Danz, Fortgesetzte Staatsrechtliche Betrachtungen, S.18. 581 Danz, Fortgesetzte Staatsrechtliche Betrachtungen, S.20, 25. 582 Danz, Fortgesetzte Staatsrechtliche Betrachtungen, S.25. 583 Danz, Fortgesetzte Staatsrechtliche Betrachtungen, S. 34. 584 Danz, Fortgesetzte Staatsrechtliche Betrachtungen, S.40-41. 585 Vgl. dazu Kapitel B.X. in dieser Arbeit. 519 580
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dd) Johann Ludwig Wemer: "Aktenmäßige Darstellung"586 Die Schrift des Bonner Staatsrechtsprofessor Johann Ludwig Wemer muß etwa parallel zur Dohmschen Schrift entstanden sein, wurde aber kurz vor dieser publiziert. 587 Wemer baut seine Abhandlung auf der Argumentation auf, daß kreis ausschreibende Fürsten bei einer Exekution immer als "Bestellte der Reichsgerichte" zu handeln hätten, Reichsrecht (ihnen) also niemals als flexibel zu handhabende Laviermasse zur Verfügung stehen könne. Ausführlich skizziert er die Grundlagen des Reichsrechts und zitiert die Landfriedensordnung von 1495, den Reichsabschied von 1555 und die Wahlkapitulationen als solide Grundlage allen hoheitlichen Handelns im Reich. Den Ursprung wesentlicher Gesetze sieht Wemer in einer "glücklichen Revolution", ihre Etablierung als Sicherheitspotential für das Reich gegen Angriffe von außen. So formuliert er bezogen auf die Entstehung der Landfriedensordnung : Durch diese glückliche Revolution gieng Deutschland aus einer stürmischen zu einer ruhigen Verfassung über, und wurde ein auf solide Grundpfeiler gestützter Staat; der sich von nun an durch die Handhabung seiner Konstitution allein gegen auswärtige Feinde erhalten konnte. 588
Es sei ein "Grundsatz der zerstörendsten Modepolitik", wenn diejenigen, "welche den Gesetzen gehorchen sollen, die Verbindlichkeiten bezweifeln, weil die Zeiten, Sitten und Umstände sich geändert" und die Gesetze der Vorzeit nach ihrer Meinung nicht mehr zu passen scheinen. 589 Der "Geist des Misvergnügens" und "allgemeine Begeisterung übelverstandener politischer Freiheit" trage nun ein "philogistisches Gift epidemisch von Nation zu Nation"590, bedrohe also auch die festen Grundsätze der Verfassung. Diese aber sieht Wemer nun in ihrer ganzen Wirksamkeit gerade in der Bedrohung ihrer Substanz. Die Reichsverfassung stellt für ihn eine fruchtbare Prävention gegen revolutionäre Erhebungen dar, sie habe viele solide Dämme und zur Erstickung einzelner Ausbrüche wirksame Mittel. 591 Zur Erhaltung dieser Verfassung habe Preußen den Fürstenbund gegründet, betont Wemer weiter und lenkt damit ein auf eine zweite durchgängige Argumentation, nämlich das öffentliche Bekenntnis Preußens zur Reichsverfassung. 592 Gerade daraus konstruiert er eine Erwartungshaltung der Reichsstände gegenüber dem preußischen Verhalten in der Lütticher Angelegenheit, die er in das Bild Preußens als einer "allgemeinen Reichs586 Der genaue Titel lautet: "Aktenmäßige Darstellung der Ursachen, warum die von dem Kaiserlichen und Reichskammergerichte den Kreis-ausschreibenden Herren Fürsten des niederrheinisch-westphälischen Kreises unterm 27. August 1789 gegen die Lütticher Aufrührer aufgetragene Executions-Kommission bisher unvollstreckt geblieben ist". 587 Vgl. dazu Kapitel B. VII. 4. a)aa). Dohms Bericht nach Berlin vom 29. März 1790. 588 Werner, Aktenmäßige Darstellung, S.6. 589 Werner, Aktenmäßige Darstellung, S.2l. 590 Werner, Aktenmäßige Darstellung, S. 33. 591 Werner, Aktenmäßige Darstellung, S. 34. 592 Werner, Aktenmäßige Darstellung, S. 38.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
nothhelferinn"593 kleidet. Den Bruch dieser Erwartung kann er in der Folge unmittelbar Dohm und Hertzberg anlasten. Schließlich laufen in ihren Personen beide außenpolitischen Konzepte Preußens zusammen, die Gründung des Fürstenbundes und das in der öffentlichen Rezeption dieser Idee zuwiderlaufende Verhalten in Lüttich. Vor allem von Dohm sei mehr als von jedem anderen "die strengste Verfolgung der konstitutionsmäßigen Vorschriften" zu erwarten gewesen 59\ so Werner. Bezüglich der Vorbereitungen zur Konferenz von Aldengohr, die nach dem ursprünglichen Plan aller Direktorialvertreter in Düsseldorf hätte stattfinden sollen, wirft Werner allein Dohm eine ausgeklügelte Verzögerungstaktik vor, die unter anderem darin bestanden habe, gerade die Punkte angesprochen zu haben, von denen er wußte, daß die anderen Vertreter von ihren Höfen noch nicht informiert waren oder viel zu spät vom Aufbruch preußischer Truppen unter Schlieffen Mitteilung gemacht zu haben, so daß die anderen Höfe unmöglich ihre Kontingente auch zum Abmarsch fertig stellen konnten. 595 Für den Zeitraum der Konferenz konstatiert Werner eine abgesprochene Übereinstimmung zwischen Dohm und den Vertretern der Revolution 596, die schon vorformulierten Vorschläge Dohms aus den Instruktionen seines Hofes hätten den Lütticher Postulaten genau entsprochen. 597 Das Verhalten der preußischen Truppen in Huy war Gegenstand einer am 20. Dezember 1789 in Aachen unter einem Notar namens Quirinus eingesetzten Untersuchungskommission gewesen. 500 Preußen und sieben pfälzische Dragoner, so schildert Werner den Grund des Einsatzes der Kommission, seien in Huy eingedrungen und hätten Einquartierungen ausschließlich bei den Bürgern vorgenommen, die auf der Submissionsliste an den Bischof standen, zum Teil hätten die Hausinhaber die Truppen aus eigener Tasche zahlen müssen, die Magistrate und Rebellen dagegen seien von Einquartierungen verschont geblieben. 598 Alleinige Triebfedern dieses preußischen Verhaltens seien Schlieffen und Dohm gewesen, neun Augenzeugen werden als Gewährsleute genannt. 599 Schließlich wird noch einmal auf den offenkundigen Bruch geltenden Reichsrechts durch den preußischen Hof abgestellt: Werner zitiert Dohm mit den Worten, es sei herabwürdigend, daß die Reichsfürsten sich als Maschinen des Reichskammergerichts mißbrauchen lassen müßten, um dann sein Erstaunen darüber zum Ausdruck zu bringen, daß Dohm nunmehr öffentlich für ein Droit de convenience eintrete, das er doch in seiner Fürstenbundschrift verurteilt habe. 600 Bedenklich sei es Werner, Werner, 595 Werner, 5% Werner, 597 Werner, 598 Werner, 599 Werner, 600 Werner, 593
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Aktenmäßige Darstellung, S.41. Aktenmäßige Darstellung, S.47. Aktenmäßige Darstellung, S.58, 69. Aktenmäßige Darstellung, S.74. Aktenmäßige Darstellung, S. 75. Aktenmäßige Darstellung, S. 109-111. Aktenmäßige Darstellung, S. 111. Aktenmäßige Darstellung, S.124.
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für Deutschland, daß Preußen, das doch hier nur als untergeordneter Reichsstand antrete - kurz zuvor wird auf das Auftreten des preußischen Königs lediglich als Herzog von Kleve in der Lütticher Angelegenheit verwiesen 601 -, Köln und die Pfalz zu Anhängern der preußischen Prinzipien machen wolle, die darin bestünden, Gewohnheitsrecht vor Reichsrecht zu setzen. Dohm habe mit seinem Vorgehen versucht, den beiden anderen Höfen, "eine Verzichtleistung auf die Reichsverfassung abzunegotiiren".602 Der Artikel 4 der Wahlkapitulation sehe vor, daß Kaiser und Reichsgerichte keinen Reichsfürsten absetzen dürften, Preußen aber maße sich an, im Falle des Lütticher Bischofs etwas zu tun, was sogar der obersten Reichsgewalt untersagt sei. 603 Das aktuelle Verhalten Preußens schließlich sieht Werner als mittel- und langfristige Gefahr für das gesamte Reichssystem: Er unterstellt den Versuch einer allmählichen Aushöhlung der Reichsverfassung. Die Verriickung eines einzelnen Teils könne den Umsturz der gesamten Verfassung nach sich ziehen, denn allmähliche Untergrabung zerstöre sicherer und leichter als der "schnelle Sturm". Gefahr drohe sehr konkret auch für den Niedersächsischen und Fränkischen Kreis, die durch die Ämter des preußischen Königs als Herzog von Magdeburg und Erbe der Markgrafschaft Ansbach der preußischen Machtpolitik ausgesetzt seien. 604 Das Reich also habe "Ursache" nachzudenken, wie Einbriichen gegen die Verfassung mit vereinten Kräften in der Zukunft begegnet und verhindert werden könne, daß Urteile des Reichskammergerichts vom politischen Gewicht übermächtiger Höfe abhängig würden. 60S b) Die preußische Reaktion auf die gegnerischen Deduktionen: Johann Emanuel Küster: "Actenmäßige Berichtigung "606 Am 8. April 1790 schrieb Dohm an den preußischen Hof, daß er es zunächst für nicht ratsam halte, auf die Wernersche Schrift, die den König auf das Gehässigste diffamierte, zu reagieren, vielmehr solle doch eher der Eindruck abgewartet werden, den seine eigene Schrift im Reich mache. Sollte allerdings noch eine kurze Erklärung aus Berlin an die deutschen Höfe oder den Reichstag geplant sein, dann sollten doch die neuerlichen Vorfalle, die sich seit Fertigstellung seiner Schrift ereignet hätten, darin enthalten sein. Besonders wichtig war Dohm dabei, auf das konstitutions601 Werner, Aktenmäßige Darstellung, S.112. 602 Werner, Aktenmäßige Darstellung, S. 126. 603 Werner, Aktenmäßige Darstellung, S. 130.
Werner, Aktenmäßige Darstellung, S.161. Werner, Aktenmäßige Darstellung, S.157-158. 606 Der genaue Titel lautet: "Actenmäßige Berichtigung der sogenannten Actenmäßigen Darstellung der Ursachen, warum die von dem Kaiserlichen und Reichs-Kammer-Gericht den Kreisausschreibenden Herrn Fürsten des niederrheinisch-westphälischen Kreises unterm 27ten August 1789 gegen die Lütticher Aufrührer vorgetragene Executions-Commission bisher unvol1streckt geblieben ist, und deren Nachtrags". 604 605
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
widrige Verhalten der beiden anderen Direktorialvertreter hinzuweisen, das vor allem in der "gegen alle Kreißverfassung mir verweigerte Kenntniß der einseitigen Münsterisch-Jülichschen Verfügungen" und der "vereitelten Untersuchung der Bestechungsgerüchte [gegen ihn] ohnerachtet meiner so dringenden Anträge" liege. 607 Die Wernerschen Ausführungen waren dann doch Anlaß für den preußischen Hof, sich ein zweites Mal in die öffentliche Debatte über das preußische Verhalten einzuschalten. Der Legationssekretär Küster übernahm die Aufgabe, Werners Publikation zu kommentieren und zu entkräften und Dohms Schrift - in erster Linie chronologisch - weiterzuführen. Aus Dohms Tagebuch geht hervor, daß er selbst ausführliche (im einzelnen nicht zu bestimmende) Korrekturen und Ergänzungen vorgenommen 608 und den Zeitpunkt von der Fertigstellung durch Küster bis zur Veröffentlichung um ungefahr ein halbes Jahr verzögert hat. Erstmals am 18 . Juni 1790 erwähnt er das Korrekturlesen der Küsterschen Schrift: "ganz gefällt mir ihr Ton nicht". Wenige Tage später notiert Dohm eine ,,kleine Unzufriedenheit mit Küster, die ich aber unterdrückte".609 Den Anfang der Schrift sandte er am 16. Juli nach Berlin. Anfang Oktober sah Küster offenbar Grund zur Klage über Dohms Verzögerungen. Heftiger Aerger da ich von dem jungen J acobi hörte, daß Küster fähig gewesen, mitten im itzigen Gepreß, worinn er mich sieht, sich gegen J. zu beklagen, daß ich seine Lütt. Schrift nicht durchsähe [00.], der Mensch ist ohne alles Gefühl!610
Dohm hielt Küster am nächsten Tag "seine Uebereilung" vor, worauf dieser sich "ziemlich indeß entschuldigte".611 Erst am 20. November las Dohm, so seine Eintragung im Tagebuch, den letzten Abschnitt, am 21. November diktierte er seiner Frau den "Vorbericht" dazu, der im Druck auf "October 1790" datiert ist. Küsters Schrift umfaßt 272 Seiten und einen 50 Seiten langen Anhang. In der offenbar von Dohm formulierten "Vorerinnerung" wird vorgestellt, daß Dohm, nachdem er seine Schrift im Februar 1790 fertiggestellt hatte, im März die Schrift Werners erhalten habe. Obwohl es noch in seiner Macht gestanden hätte, auf diese Ausführungen einzugehen, habe er dennoch kein Wort seiner Schrift verändert, sondern gegenüber Küster geäußert, so heftige Angriffe am besten "durch ein verachtendes Stillschweigen" zu quittieren. 612 Offenbar zwang dann allerdings die Rezeption der Wernerschen Schrift im Reich den preußischen Hof zur Reaktion. Der wütende An6fYI Bericht Dohms vom 8. April 1790, Pr.G.st.A. Rep. 96, 166E, BI. 59r.-61 v. In seinen Bericht vom 29. März 1790 (Pr.G.St.A. Rep. 96, 166E, BI.58v.) verwies Dohm auf die soeben erschienene Schrift des kurkölnischen Hofes, deren falsche oder aus dem Zusammenhang gerissene "facta" er zu widerlegen zwar im Stande sei, nach der erfolgten Veröffentlichung seiner Schrift allerdings auch für unnötig halte, da das Publikum ,,nicht mehr wird irre geführt werden können." 608 Vgl. etwa den Eintrag vom 27. Juni 1790: "ich den ganzen Tag hauptsächlich Küsters Lütticher Schrift ausgearbeitet und noch viel zugesetzt." 609 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 21. Juni 1790. 610 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 6. Oktober 1790. 611 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 7. Oktober 1790. 612 Küster, Actenmäßige Berichtigung, S. IV.
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griff gegen Preußen habe "doch hin und wieder nachtheilige Eindrücke, zweideutige und schwankende Urtheile" hervorgebracht. Mit Hilfe authentischer Quellen soll das entstandene Bild der preußischen Politik korrigiert werden. Persönliche Erfahrungen nimmt Küster - durch Dohms Worte - für sich in Anspruch, da "fast alle Verhandlungen, die Beziehung auf eleve und Lüttich hatten, wenigstens durch meine Hand gegangen sind".613 Die beiden zwischen Küster und Dohm eine Rolle spielenden Streitpunkte der Schrift, der allgemeine Ton, den Dohm nicht immer angemessen fand, und das späte Erscheinungsdatum, das Küster unzufrieden stimmte, werden in der Vorrede aufgegriffen und potentiellen Kritikern von außen gegenüber offensiv entkräftet. Das späte Erscheinen der Schrift wird zum einen damit begründet, daß am Ende der Darstellung noch die Periode der Ereignisse geschildert werden sollte, in der Preußen sich von den Lütticher Geschäften zurückgezogen hatte, zum anderen "bin ich durch die gehäuften Geschäfte meines Berufs, und selbst durch den Unmuth, mit welchem mich das Verwirrungstalent meines Gegners arbeiten machte, nicht wenig gehindert worden".614 Der als "zuweilen lebhaft, vielleicht bitter" umschriebene Ton der Schrift wird als Reaktion der Notwehr gegen die kurkölnische Abhandlung erklärt. In der Tat ist er weitaus schärfer als der der Dohmschen Verteidigungsschrift und trägt ins Allgemeine sich ausweitende Kritik und Staatsideen vor. Ausgangspunkt der Darstellung ist die Feststellung, daß die im Gegensatz zur großen Revolution in Frankreich "eingeschränktere" Erhebung in Lüttich deswegen ein besonderes Gewicht in der öffentlichen Rezeption erhalten habe, weil "die Reichs-Verfassung Deutschlands neue Gesichtspunkte, neues Interesse dargeboten" habe. Die gebildeten Mittelklassen der Deutschen hätten die Revolution gebilligt, weil sie "sich kosmopolitischen Ideen über Veredelung des Bürgerlebens überlassen konnten", statt nur die eigenen Vorteile der vaterländischen Konstitution zu sehen, und weil sie "fühlten, daß diese Veredlung unmöglich ohne Erschütterung sey". Die höheren Klassen dagegen hätten die Revolution mißbilligt, weil sie nicht erleiden wollten, daß eines Landesherren Rechte vermeintlich eigenmächtig untergraben und "ein gemeinsames System von Rechten erschüttert" würde. 615 Durchgängig wird die Forderung vorgetragen, die Anwendung der Gesetze als "moralische Folge" der Eigenheiten des jeweiligen Geschichtsfalls zu interpretieren und daraus die Forderung nach einer an den neuen Ideen universeller Menschheitsrechte orientierten - flexiblen - Handhabung bestehenden Rechts abgeleitet. 616 Begleitet werden diese Forderungen von grundsätzlicher Kritik am geltenden Recht: Das System "unsrer Staaten" sei gegründet auf Meinungen, "befestigt durch Subordination, und diese beruhet auf Furcht der Einzelnen gegen einander". Wenn die Nation der Überzeugung sei, daß der Gesellschaftsverbund dem früheren Naturzustand Küster, Actenmäßige Berichtigung, S. VIII. Küster, Actenmäßige Berichtigung, S. X, XI. 615 Küster, Actenmäßige Berichtigung, S. 2-3. 616 Etwa: Küster, Actenmäßige Berichtigung, S. 10. 613
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
wieder anzupassen sei, folge aus dieser Furcht voreinander die allgemeine Gärung. 617 Der Guthmütigkeit der Deutschen ist Vieles erträglich aber nicht Alles. Bey überspanntem Druck entfloh er seither dem undankbaren Vaterland in Haufen nach Nord-Amerika und anderswohin; itzt wird er - rebelliren. 618
Für die Allgemeinheit der Fälle wird nicht angezweifelt, daß reichsgerichtliche Urteile befolgt werden müssen, wie "in jeder menschlichen Norm", allerdings müsse es Ausnahmen geben können. Auch wenn es diese bisher nicht gegeben habe, so müßte die Lütticher Angelegenheit, da sie doch viel mehr eine ,,Regierungs- als Justizsache" sei, als solche behandelt werden. 619 Kein Deutscher solle im Falle der kammergerichtlichen Urteile fragen, ob sie rechtlich oder unrechtlich seien, sondern ob sie ,,mit Recht oder Unrecht" gefallt seien. Daraus schließt Küster, daß die Kreisausschreibenden Fürsten in den Konflikt nicht als Exekutoren reichsgerichtlicher Mandate hätten eintreten müssen, sondern im Interesse aller Reichsstände als "benachbarte, patriotische Mitstände" nach eigener Autorität und angemessener Lokalkenntnis. 620 Passagenweise wird die Wernersche Schrift zitiert und - oft detailreich - zu widerlegen versucht. Die Bandbreite dieser Widerlegungen reicht von juristischen und historischen Ausführungen bis zu polemischen Anwürfen. Eine immer wieder verwendete einleitende Formulierung zur Widerlegung aus preußischer Sicht unrichtig dargestellter Verhandlungs- und Gesprächsverläufe lautet: "Herr von Dohm erinnert sich noch sehr genau".621 An der Notwendigkeit einer Konferenz, namentlich der von Aldengohr, zur Abstimmung zwischen Generalität und Direktorialvertretern bei der Durchführung militärischer Aufträge des Reichskammergerichts wird nun sogar gänzlich gezweifelt 622 , da dies nicht aus dem Dorstener Rezeß zu entnehmen sei, das Reichskammergericht doch in einem Urteil vom 19. April 1790 fünf weitere Reichskreise mit der Exekution in Lüttich beauftragt hatte, ohne eine vorherige Korrespondenz ",geschweige Conferenz", zu fordern. Die Verschiebung des Konferenztermins wird entschuldigt, indem Dohms Privatleben vor der Öffentlichkeit offengelegt wird: Eine Erkrankung wird mit einem ärztlichen Attest in der Anlage belegt. 623 Küster, Actenmäßige Berichtigung, S.19. Küster, Actenmäßige Berichtigung, S.20. 619 Küster, Actenmäßige Berichtigung, S. 191. 620 Küster, Actenmäßige Berichtigung, S. 206. 621 Etwa: Küster, Actenmäßige Berichtigung, S. 38, S.40. 622 Küster, Actenmäßige Berichtigung, S.41. 623 Küster, Actenmäßige Berichtigung, Anlage 9, S.14-15: "Des König!. Preuß. Gesandten Herrn von Dohm Excellenz, befanden sich am 6. November 1789 so unpäßlich, daß ich Sr. Excellenz das Ausgehen an diesem und folgenden Tage, als Arzt schlechterdings untersagen mußte. Und da Sr. Excellenz mir von einer wahrscheinlich unvermeidlichen Reise gegen den 9ten d. M. Nachricht gab, bestand ich um desto mehr auf das Innehalten, um aller übeln Folgen einer zu befürchtenden Erkältung vorzukommen. Ich erinnere mich der Epoche sehr wohl, indem der 617 618
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In erstaunlicher Offenheit wird ebenso Dohms Wahrnehmung der Arbeitsüberlastung der Öffentlichkeit präsentiert: Immer sei er der Meinung gewesen, daß das Aachener und das Lütticher Geschäft nicht von einem Mann allein zureichend versehen werden könnten. "Er hatte dieses pflichtmäßig auch nach Berlin geäußert". Dort habe man es nicht für ratsam gehalten, ihn der Lütticher Angelegenheit zu entziehen, wie er selbst "sich im Gewissen verpflichtet hielt", in Aachen bis zur Erstellung einer neuen Verfassung zu verweilen. Große Teile der Aachener Bürgerschaft hätten ausdrücklich um seine Anwesenheit gebeten, die Kreisdirektorialvertreter zusammen beschlossen, alternierend zwei Wochen in Aachen und zwei Wochen in Lüttich sich aufzuhalten. Zu Recht konnte, so die weitere Argumentation, Kleve die Verordnung des kammergerichtlichen Mandats vom 4. Dezember, für Lüttich und Aachen unterschiedliche Kommissionen einzusetzen, als kostspielig kritisieren, hätte sie aber dennoch, gerade auf die zitierte Vorlage Dohms der Doppelbelastung reagierend am ehesten befolgt. 624 Die schwankende Politik des Lütticher Bischofs 625 wird wenig später konfrontiert mit dem preußischen Auftreten in Aldengohr: Die dort von Dohm getane Separaterklärung vom 26. November wird hier zum Zeichen der preußischen Verläßlichkeit im europäischen Mächtesystem stilisiert: Die einmal erteilte Zusage des klevischen Direktorialvertreters, die die "von dem ganzen Europa als gerecht und weise bewunderten Briefe des Königs an den Fürstbischof" bestätigte, "war einmal a la face de I'Univers geschehen, und so etwas nimmt wenigstens kein König von Preußen zuTÜck".626
Die öffentlichen Angriffe gegen Hertzberg werden mit dem Hinweis auf die mit seinem Namen verbundene Anerkennung der preußischen Unternehmungen in Europa beantwortet. Das Lütticher Geschäft verfolge schon allein deswegen einen edlen Endzweck, weil "Herzberg es leitete". 627 Die letzten dreißig Seiten der Küstersehen Schrift dienen der Darstellung der Ereignisse seit Erscheinen der Abhandlungen von Dohm und Werner, dem ,,künftigen 6. November der Tag der Niederkunft der gnädigen Frau von Dohm war, weshalb ich täglich mehrere Male in dem Hause Sr. Excellenz gegenwärtig sein mußte. Aachen, den 5. Julius 1790. Le Soine. d. Arz. Gel.D." 624 Küster, Actenmäßige Berichtigung, S. I64-165. 625 Der "Begriff von Gewaltthat", so Küster, S. 227, sei in der Geschichte Lüttichs höchst zweideutig. Die Lütticher hätten sich nun durch eine unblutige Erklärung ein altes Wahlrecht wiedergeholt, das ihnen durch blutige kriegerische Gewalt hundert Jahre zuvor entwendet worden sei. Gegen den dann eingetretenen konkreten Fall der Rücknahme einer Zusage zur Unterstützung durch den Fürstbischof - auch nach (bisheriger) preußischer Argumentation der eigentliche Moment der Radikalisierung - gebe es keine direkte Vorschrift in den Reichsgesetzen. 626 Küster, Actenmäßige Berichtigung, S. 229. Zugleich wird der preußische König von Küster und Dohm hier vor den Augen des Reichs mit in die Verantwortung gezogen. 627 Küster, Actenmäßige Berichtigung, S. 237. Betrachtet man die Konflikte und Konkurrenzsituationen innerhalb der preußischen Außenpolitik, ist dies eine Hertzberg sehr entgegen kommende Aussage Küsters (und Dohms).
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Geschichtsschreiber zum Leitfaden". 628 Auch diese Ausführungen sind wieder durchdrungen von der Doppelung eines öffentlich zur Schau getragenen Verständnisses Preußens für ein unrechtmäßig unterdrücktes Volk, das sich zur Wehr setzt, und der Projektion eines aus dieser Auflehnung entstehenden Gefahrenpotentials für die Sicherheit der Reichsterritorien. Aus dieser doppelten Perspektive wird das preußische Vorgehen eines Vorzugs der diplomtischen vor der militärischen Lösung des Konflikts begründet, ein Vorgehen, für das im Hinblick auf den klaren Bruch bestehenden Reichsrechts gegenüber der Öffentlichkeit, namentlich gegenüber den Reichsständen, um Verständnis geworben werden soll. Künftige Geschichtsschreiber, die pragmatisch mit philosophischem Sinn etwas mehr als eine Chronik der Execution zeichnen wollen, finden fruchtbaren Stoff. 629
Wenige herausragende Männer hätten in Lüttich das Wohl der Nation im Blick, die Mehrzahl ordne das gemeine Wohl dem eigenen unter, bezeuge aber dennoch - vor allem im Vergleich mit anderen aufständischen Völkern, etwa den Franzosen und Brabantern - Mäßigung in der Aufwallung. 63o Auch das ist ein immer wieder verwendeter Topos der preußischen Darstellung. In ihm werden Distanzierung vom revolutionären ,,Pöbel" und Anerkennung einzelner gemäßigter Protagonisten der Revolution argumentativ gepaart mit dem Ziel, zwei Rezipientengruppen zu befriedigen: die Angreifer der preußischen Politik, die die Staatsräson vor Reichsrecht zu stellen schien, werden durch die Distanzgebärde besänftigt, die Mitglieder einer ,aufgeklärten Gesellschaft', zu der nach Dohms Vorstellung auch seine unmittelbaren Ansprechpartner, die gemäßigten Revolutionäre, gehörten, sollen mit dem Hinweis auf die Akzeptanz der "bürgerlichen" Revolutionsprotagonisten für die Überzeugung gewonnen werden, daß sich die preußische Politik an den Prinzipien der Aufklärung orientiert. c) Private Reaktionen: Freundschaftliche Kritik an Dohm (Jacobi, Forster)
Aus seinem freundschaftlichen Umfeld erhielt Dohm - direkt oder indirekt - Rückmeldungen auf seine Verteidigungsschrift. So pries etwa Hofmann gegenüber Chestret die Schrift als "un vrai chef-d'oeuvre", den er sofort ins Französische übersetzt wünsche. 631 Friedrich Heinrich Jacobi führte Dohm die Widersprüche in seiner Schrift am deutlichsten vor Augen und kritisierte den Freund: Ausgehend von Dohms Darlegung, daß der letzte Zweck aller Förmlichkeit innere Gerechtigkeit der Sache sein müsse, erwiderte Jacobi, daß er vielmehr glaube, daß das Förmliche den einzigen 628 629 630
631
Küster, Actenmäßige Berichtigung, S. 240. Küster, Actenmäßige Berichtigung, S. 258. Küster, Actenmäßige Berichtigung, S.258-259. Hofmann an Chestret, 19. April 1790, Papiers de Chestret, 2, S.118.
VII. Die publizistische Verteidigung des preußischen Vorgehens
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Zweck habe, sich der Willkür entgegen zu setzen 632 , "Fonn ist Gestalt der Sache; Ihr Ausdruck, nicht ihr Princip".633 Die Vorstellung, von nun an könne eine reine Vernunft, "nicht innerlich und im einzelnen Menschen, sondern äußerlich" regieren, wird von ihm als unsinnig abgewiesen. 634 Den Aufstand in Lüttich empfindet Jacobi als übertrieben. Die Nachbarn in Jülich und Berg, Geldern, Mörs, Kleve und Mark hätten mehr Grund, sich zu beklagen; und wie elend auch die Verfassung des deutschen Reichs ist, so sehen wir es doch noch lieber in diesem erbärmlichen, Geist und Herz darniederschlagenden Zustande fortkränkeln, als verreckt daliegen, wie ein Aas, über welchem Adler oder - Raben sich versammeln, und aus dem die tödliche Seuche nun hervorgeht. 635
Mit harschen Worten resümiert Jacobi seine Wahrnehmung der Verteidigungsschrift, des preußischen und Dohmschen Verhaltens: Daß mein Freund Christian Wilhe1m von Dohm nicht selbst König von Preußen und Herzog von Cleve war: dieß einzige vermisse ich an der Lütticher Sache. Dieser einzige Umstand ist auch schuld an dem Angstschweiß des Geschichtsschreibers, schuld, daß eine solche bewaffnete Geschichte überhaupt geschrieben werden mußte. 636 [ ... ] Trefflich haben Sie den Clevisch-Preußischen Ungehorsam in Ihrem XII. Abschnitte durch die Umstände entschuldigt. Man kann nicht hinreißender seyn, als Sie an dieser Stelle; und gewiß ergeht es Mehrern, wie mir, daß sie über dieser meisterhaften Rede den frühem re c h t I ich e nun d pol i ti s c hen We rth der Revo I u ti on vergessen. [... ] Hart mein Liebster, wirklich sehr hart fallen S. 92. die Vorstellungen des Clevischen Direktorials auf; wie es denn auch scheint, daß Ihr Hof von seinen Anmaßungen nachher gern wieder etwas zurückgenommen hätte. 637
Samuel Thomas Sömmerring (1755-1830) faßt seine Gedanken über Dohms Schrift eher salopp zusammen. Am 14. Mai 1790 schreibt er an seinen Freund Georg Forster: Dohm's Schrift, die doch wahrlich meisterhaft in ihrer Art geschrieben ist, findet nicht den Beifall, den sie verdient, weil man so verschiedenes Interesse nimmt, und besonders die steifen Juristen, die doch allein die Sache einsehen zu können glauben, die Verletzung der Formalität schlechterdings nicht vertragen können, da muß gerädert und geviertheilt sein, wie es das dümmste abominabeiste Jahrhundert vorschrieb. 638 Jacobi an Dohm, 4. Mai 1790, Jacobis auserlesener Briefwechsel, 2, S. 27. Jacobis auserlesener Briefwechsel, 2, S. 28. 634 Jacobis auserlesener Briefwechsel, 2, S. 30. 635 Jacobis auserlesener Briefwechsel, 2, S.27. 636 Jacobis auserlesener Briefwechsel, 2, S. 25. 637 Jacobis auserlesener Briefwechsel, 2, S. 28. Das 12. Kapitel der Dohmschen Schrift trägt die Überschrift: ,,Einmarsch der Truppen. - Critische Lage der Umstände. - Deputation der drey Stände nach Aldengoor" (S. 81-90). Die Darstellung auf S. 92 legt Dohms Vorschläge auf der Konferenz in Aldengohr dar. Am Ende schließlich freut Jacobi sich doch, eine Zeit zu erleben, "wo alle Dinge sich verändern und eine neue Gestalt gewinnen müssen" (S . 32). "Unterdessen lassen Sie uns, lieber, edler Freund, jeden an seiner Stelle, thun, was unser Geist uns gebietet, und wozu Herz und Gewissen uns Muth und Freudigkeit ertheilen." (S. 32). 638 Sömrnering an Forster, 14. Mai 1790, Briefe an Forster, S.406. 632
633
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Georg Forster schreibt Dohm im Sommer 1790, wie gerne auch er einmal dessen Schrift über die Lütticher Revolution lesen wolle. Hier [in Mainz] hat meine Frau Ihre Lütticher Schrift vielen Leuten leihen müssen, die sie alle mit Begierde u. höchster Befriedigung gelesen haben, aber einer ist damit verreist, und so bin ich bis jetzt um das Lesen geprellt. 639
Die positive Reaktion der ,Leihnehmer' setzt Forster ab von seinen zuvor gemachten allgemeinen Äußerungen über die Fähigkeit der Deutschen, sich mit Revolutionen auseinanderzusetzen: "Hier freilich räsoniert man so strohdumm über die Revolution, daß man sich mit Ekel wegwenden muß."640 Forster äußert sich später, am 8. März 1791, gegenüber dem Philologen Christian Gottlob Heyne (1729-1812) über die preußische Öffentlichkeitsarbeit der Folgezeit. Küsters Schrift sei ausführlich und gründlich, die Kölnische dagegen "höchst elend". Den Nutzen der Schrift allerdings kann er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sehen. Implizit vermittelt Forster die Erkenntnis, daß Propaganda ihre Wirksamkeit nur in Begleitung von politischem Handeln entfaltet: "aber wo man nicht sehen will, ist alles zu spät. Durch das schwache Zaudern hat Preußen alles verloren."641 Darüber hinaus sieht er einen in Regensburg kursierenden Brief des Grafen Goertz als kontraproduktive Öffentlichkeitsarbeit. "Preußen sakrifiziert die Lütticher, und der arme Dohm ist nun die dupe davon." Goertz habe Dohm einen Brief geschrieben, der "einen Ministerialwischer enthält" und die Stimmung des preußischen Kabinetts an den Tag lege. Der Brief zirkuliere überall in Abschrift "und es sollte mich nicht wundern, wenn er bald gedruckt erschiene".642 In seinen ,,Ansichten vom Niederrhein" widmete Forster Lüttich einen ausführlichen Abschnitt. Er knüpfte an die Lütticher Unruhen die Hoffnung, sie könnten die Einsicht in die Notwendigkeit wecken, bei Zeiten bessern und den Mängeln in Konstitutionen abhelfen zu müssen, um den Umschlag in einen gewaltsamen Aufbruch zu vermeiden. "Wenn Sie", schrieb er an Wilhelm von Humboldt (1767-1835), für Lüttich und für Deutschland Gutes in Berlin stiften können, so werde ich einen sehr lebhaften Antheil an Ihrer Freude nehmen. [... ] Ich fürchte nur, daß Preußen, da es die Dupe von der Reichenbacher Negociation geworden ist, jetzt nichts Gutes wird durchsetzen können. 643
Forster nutzte seine Darlegungen in den "Ansichten vom Niederrhein" zum ,Philosophieren', wie er im gleichen Brief an Humboldt schrieb, "doch ist in unsern Zeitläuften das Raisonnement auch nicht ganz überflüßig". Zentral steht in Forsters Überlegungen der hohe Grad der Politisierung, den er bei der Lütticher Bevölkerung festzustellen glaubt. Aus seiner Darstellung, überall eifrige Zeitungs leser in WIrtsForster an Dohm, [Mainz, Sommer 1790], Forster, Werke in vier Bänden, 4, S. 617. Forster, Werke in vier Bänden, 4, S.616. 641 Forster an Heyne, 8. März 1791, Forster, Werke in vier Bänden, 4, S.648. 642 Forster, Werke in vier Bänden, 4, S. 648. 639
640
643 Forster an Wilhelm von Humboldt, 5. April 1791, Archiv für Litteraturgeschichte, 12, S. 573. Zu Reichenbach vgl. Kapitel B. VIII. in dieser Arbeit.
VIII. Dohm in der diplomatischen Defensive
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häusern und Kaffeehäusern gesehen zu haben, geht er zum grundsätzlichen Gedanken über, daß aus der naturgegebenen Perfektibilität des Menschen das durch Staatsverfassung abgesicherte Recht zur (sittlichen) Perfektionierung aller Stände und Klassen abzuleiten sei. 644 Zugleich lehnt sich Forster aber dagegen auf, einen einheitlichen politischen Mechanismus anzustreben, der "durch alle Individuen des Menschengeschlechts" geht, da er durch diesen eine Reglementierung der Kräfte fürchtet, die statt fortlaufender Bewegung zum Stillstand führt. ,,Excentricität ist daher eine Bedingung, ohne welche sich der höchste Punkt der Ausbildung gewisser Anlagen nicht erreichen läßt. "645 Übertragen auf die politische Welt plädiert Forster dafür, leidenschaftliche Ausbrüche eines Krieges als Reinigung der politischen Luft anzuerkennen. 646
VIII. Dohm in der diplomatischen Defensive: Vergebliche Vermittlungsbemühungen im Vorfeld der Konvention von Reichenbach Die Nachrichten, die Dohrn aus Berlin von den direkten Verhandlungen zwischen dem preußischen Hof und dem Fürstbischof erwartete, kamen nur spärlich. Der Lütticher Bischof zeigte sich zu keinerlei Einlenken bereit. In seinem letzten, nach Beratungen mit seinen Räten, dem Kapitel, aber auch den Kurfürsten von der Pfalz und Köln entstandenen Brief vom 27. März 647 verweigerte Hoensbroeck die Entsendung eines Ansprechpartners nach Berlin, lehnte alle weiteren Verhandlungen ab und bezichtigte schließlich den preußischen König des Einverständnisses mit den Revolutionären. 648 Daraufhin publizierte Berlin am 6. April die sogenannte "Note finale"649, in der der preußische Hof noch einmal kurz sein Verhalten erläuterte. Nach Wetzlar wurde über Hofmann der Brief des Bischofs und die preußische Note mit der Bitte um eine Entscheidung gesandt, während Schlieffen zeitgleich schon den Befehl zum Abzug der preußischen Truppen aus Lüttich erhalten hatte. Dohrn war bereits mit der ihn am 15. März erreichenden Depeche über den bevorstehenden Abzug der preußischen Truppen für den 30. März informiert worden. 650 Formal wartete man in Berlin eine Antwort aus Wetzlar noch ab. Als diese am 15. April noch nicht eingetroffen war, setzte Friedrich Wilhelm 11. Fakten: Die preußischen Truppen verließen am 16. April Lüttich und zogen sich nach Geldern und Kleve zurück. 651 Forster, Ansichten vom Niederrhein, S. 112-115. Forster, Ansichten vom Niederrhein, S. 128. 646 Forster, Ansichten vom Niederrhein, S. 129-130. 641 Vgl. dazu Daris, Histoire du Diocese, 2, S. 172. 648 Dohm, Lütticher Revolution, Anlage 27, S.174ff. 649 Dohm, Lütticher Revolution, Anlage 28, S.182ff. 650 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 15. März 1790. 651 Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S.44. Hertzberg schrieb dazu noch am 5. Juni 1790 an Dohm, es sei nicht seine Schuld, daß die Truppen aus Lüttich zurückgezogen worden seien, "ich habe genug dagegen protestirt". Wieder wird hier deutlich, daß die militärischen Fragen vom König selbst entschieden wurden (Pr.G.St.A. Rep.92, Hertzberg 42, BI. 17 r.). 644 645
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Dohm hatte noch Ende März nach Berlin mitgeteilt, er werde sich für einen Tag nach Lüttich begeben, um unter anderem die Absicht der Lütticher im Hinblick auf einen preußischen Truppenrückzug zu erkunden. 652 Die eher beiläufig eingefügte Mitteilung basierte auf "viel Ueberlegens", wie Dohm in seinem Tagebuch notierte, und zeugte von dem Status, den er sich in dieser Frage mittlerweile zumaß. Er diskutierte jetzt nicht mehr mit dem Berliner Hof, der ihm nur zögerlich Anwort gab, schlug vor oder bat um Befehl, sondern entschied alleine, ob und wann er nach Lüttich gehen sollte. Die Entscheidung für die Reise war maßgeblich auch aus Sympathie zu den Lüttichern und dem Bestreben, ihnen Hilfestellungen zu geben, gefallen: Es waren Gründe dafür & dagegen, erstere überwogen indeß, sowohl um den Lüttichem guten Rath zu geben, auf den Fall des Abzugs, als auch mit SchI. zu überlegen, wie die Pfälzischen Truppen abzuhalten, nicht ohne uns im Lande zu bleiben, welches sehr wichtig.653 Im Sommer 1790 berichtete Georg Forster in einem Brief an Dohm von seinen Absichten, die seiner Frau mitgeteilten Eindrücke der am 25. März 1790 in Mainz begonnenen Reise nach Belgien, Holland, England und Frankreich als "Ansichten von Brabant, Flandern pp." in Buchform herauszugeben. "Es ist eine gute Gelegenheit", schrieb er, "allerlei Dinge, die man auf dem Herzen hat, dem Publikum zu sagen." Ich werde auch von Aachen und, mit einiger Behutsamkeit, auch von Lüttich sprechen. Ihre Schrift muß dabei zum Grunde liegen, aber Konklusionen, die sie nach der Natur der Sache darin anbringen konnten, müssen noch eigentlicher die Leute mit der Nase drauf stoßen [... ] Wäre etwa ein besonderer Punkt, den sie berührt wünschten, so könnte es bei dieser Gelegenheit geschehen. 654 Forster hatte Lüttich erst nach Dohms zweiter Reise erreicht, die gerade am Tag seines Aufbruchs aus Mainz begonnen hatte. Nach eigenem Bekunden suchte er den Kontakt "mit dem Volk", um die allgemeine Stimmung in Lüttich aufzufangen und konstatierte hierzu aus der Rückschau: Sie waren durchgehends von ihren politischen Verhältnissen bis zum Überströmen voll, hingen daran mit unglaublichem Eifer, und schienen sich im gegenwärtigen Zeitpunkte, wie alle freie Völker, mit den öffentlichen Angelegenheiten beinahe mehr, als mit ihren Privatbedürfnissen zu beschäftigen. Die Namen des Königs von Preußen, des Grafen v. Herzberg, des Generals von Schlieffen und des Herrn v. Dohm wurden nicht anders als mit einem Ausdruck der Verehrung und Liebe, mit einer Art von Enthusiasmus genannt. Man hatte schon in Aachen erzählt, und hier bestätigte es sich, daß der letztere den Umarmungen der Köhlerweiber, welche hier die Pariser Poissarden vorstellen können, mit Noth entgangen sei. Zum Lobe der preußischen Truppen und ihrer vortrefflichen Manneszucht vereinigten sich Bericht Dohms vom 22. März 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166 E, BI. 55 r-56 v. Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 23. März 1790. 654 Forster an Dohm ,[Sommer 1790], Forster, Werke in vier Bänden, 4, S.617. Ein Antwortschreiben Dohms an Forster ist mir nicht bekannt, vergleicht man aber die Darstellungen Forsters und Dohms Notizen im Tagebuch, fallen Übereinstimmungen auf, vor allem, was Dohms Empfang in Lüttich, das große Lob des preußischen Königs und der preußischen Protagonisten angeht. 652
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alle Stimmen. Ils sont doux comme des agneaux, sagten sie, und hinterdrein erscholl die wahre französische Ruhmredigkeit, mit der Betheurung, daß, wenn sie es nicht wären, on leur feroit voir du pais; [... ].655
Dohm hatte seine zweite Lüttichreise im Tagebuch ebenfalls ausführlich und nicht ohne persönliche Ergriffenheit und Stolz festgehalten. Als Reiselektüre hatte er die "Münstersche Deduction"656 und "in Peysonnel Situation pol. de la France" gelesen. Bei seiner Ankunft geriet Dohm in eine Prozession, die ihn und seine Begleiter nötigte, in einer Privatwohnung einige Zeit auszuharren. Der Wirt seiner Unterkunft, "welcher mich erkannte, und sehr patriotisch gesinnt war", hatte bereits Fabry über sein Eintreffen in Kenntnis gesetzt. Fabry beklagte sich über die Verzögerungstaktik des Bischofs und wünschte, daß "die Sache doch endlich zum Ende kommen & man ihnen freye Hände lassen, auch das Land von der unnützen Last der Truppen befreyet würde". Eine Verbindung mit den Brabantern schien ihm nützlich, allerdings besorgte er deren Zerrüttetheit und den "Despotismus der ständischen Parthey". Am nächsten Tag, dem 26. März 1790, verabredete sich Dohm mit General Schlieffen, den er "ungewöhnlich zurückhaltend & kalt" vorfand und der ihm "mißvergnügt über die ganze Affaire & ihren bisherigen Gang" schien. Mit General Romberg besuchte Dohm die Zitadelle. Gespräche mit Senfft, Graf Lannoy und dessen Sohn, Vater und Sohn Fabry, Arnold und Louis-Joseph Donceel, Henkart 657 und Geloes schlossen sich an. Eine Abordnung des Magistrats lud Dohm nach TIsch zum Konzert auf den Abend, eher unwillig nahm er die Einladung an. Mit dem Prinzen Rohan 658 , der unvermutet aus Paris eingetroffen war, führte Dohm ein langes Gespräch, in dessen Verlauf Rohan immer wieder deutlich seinen Anspruch auf das Bistum anmeldete. Abgesandte des Magistrats unterbrachen diese Unterredung mit dem dringenden Hinweis darauf, daß das versammelte Publikum bereits auf Dohm warte und das von der Societe d'Emulation organisierte Konzert nun beginnen solle. Durch "eine unglaubliche Menge Volks" und unter "beständigem Vivatrufen" wurde er in den Konzertsaal geleitet. Hier stand die ganze Versammlung wohl von 600 Menschen auf, Damen & Herrn schrie Alles unter beständigem Händeklatschen Vive Dohm, ich mußte auf einem Fauteuil zwischen Gr. Geloes & Fabry Platz nehmen, & nun trath ein Mädchen hervor und sang ein Couplet, das erst diesen Nachmittag von Hancart zu meinem Lobe verfertigt war, und nach dessen Forster, Ansichten vom Niederrhein, S. 110. Gemeint ist offenbar Johann Ludwig Werners Schrift "Aktenrnäßige Darstellung". Vgl. dazu Kapitel B. VII. 4. in dieser Arbeit. 657 Biographie nationale, 9, Sp. 62-67. Pierre-Joseph Henkart (1761-1815) war Schriftsteller und in der Revolutionszeit Mitglied des Magistrats von Lüttich. Er war Mitglied der Societe d'Emulation und zusammen mit Reynier und Bassenge Herausgeber des sogenannten Journal patriotique, das in der Revolutionszeit erschien. Nach der Rückkehr Hoensbroecks floh Henkart nach Paris, kehrte 1794 nach Lüttich zurück, wo er Mitglied des Conseil Municipal wurde, sowie Richter und Vizepräsident des Zivilgerichts. Schlieffen bot Henkart an, sein Sekretär bei der Gesandtschaft in Konstantinopel zu werden, was dieser allerdings ablehnte. 658 Ferdinand de Rohan-Guemenee war Erzbischof von Cambrai und Kanoniker von St. Lambert in Lüttich. Vgl. Kapitel B. IX. in dieser Arbeit. 655
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Endigung das VivatRufen & Klatschen wider anfieng. Hierauf das Concert, wo von lauter Frauenzimmern aus den beBten Familien der Stände Stücke gesungen wurden, die auf die Umstände Anspielungen enthielten. Ich wurde auf gleiche Weise, wie beym Eintritt, wider bis an den Wagen gebracht.
Ein Deputierter der patriotischen Partei in Brüssel bat Dohrn nun zum dringenden Gespräch. Er war an Schlieffen abgesandt worden;um diesen über die schwierige Situation der Patrioten zu informieren. Wenn "Preussen sich nicht von dem Verdachte reinigte, die Freyheit des Volkes unterdrücken zu wollen", wolle man sich in etwa vierzehn Tagen wieder unter österreichische Herrschaft begeben. Nach einiger Zeit war das Zimmer durch Fackeln ganz erleuchtet. Die Garde patriotique brachte eine Musik, alle Fenster wurden geöffnet, das patriotische Lied, welches auf den Namenstag des Königs verfertigt war, mehrmalen abgesungen und unter beständigem Vivatruffen die Gesundheit des Königs, meine, Senffts, die Freyheit, die Lütt. Constitution getrunken wobey Alles aufstand[659]. Ich sagte laut zu dem Volk: Soyez toujours dignes d'etre 659 Body veröffentlicht in seinem ,,Recueil de vers, chansons & pieces satiriques sur la Revolution Liegeoise de 1789", S. 214ff., "Couplets & choeurs analogues a la rete de Frederic Guillaume roi de Prusse, chantes au concert de la societe d'emulation de Liege, le 3 mars 1790". Von Reynier und Henkart, den beiden Sekretären der Socic~te, werden zwei Arien vorgestellt:
"AIR: un Militaire (dans I' Amant Statue). Pour la Patrie Liegeois! Consacrons ce jour! Celebrons la fete, la fete cberie d'un grand Roi Qui merite I' amour, D'un grand Roi Qui merite I' amour De la Patrie. Frederic que la victoire Appelle aux plus beaux succes, Prerere la douce gloire Et les palmes de la paix. Dans les alarmes 11 ne met point son bonheur. Bonte, lustice et Grandeur, Roi bienfaiteur, Voila tes armes. De ce Roi digne Interprete Schlieffen s' offre a nos regards; 11 vient sourire a la fete, A I'hommage des beaux-arts. Guerrier terrible
A I' aspect de I' ennemi Oui, terrible. Mais au sein d'un peuple ami Heros sensible.
VIII. Dohm in der diplomatischen Defensive
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libre et vous soyez assurer de la protection du Roi & bey dem oft wiederholten: Vive le Sauveur des Liegeois setzte ich einmal hinzu, le Roi est le Sauveur des Liegeois dignes d' etre sauves, welches erstaunend applaudirt wurde. Der Brabanter schlich sich weg & hatte gesagt, er habe den Anblick eines glücklichen freyen Volks nicht mehr aushalten können und bedauert, daß Preussen nicht in Brüssel eben die Rolle, wie in Lüttich spielen wolle. Bis nach 12 Uhr währte diese wirklich frohe & rührende Scene. Ich fuhr mit Gr. Geloes zu Hause unter beständigem VivatRufen, welches wirklich durch die ganze Stadt erschallte. Wie ich mich oben ausgekleidet, kam noch einmal eine Nachtmusik und der Wirth kam herauf und sagte, das Volk wünsche so sehr mich noch einmal zu sehen & die Commandirenden Officiers der Garde Nationale wollten mich complimentiren. Ich zog also noch den Ueberrock an & gieng herunter, da dann die Officiers mit ihren Schwerdtern in der Hand eine kleine Anrede an mich unten im Haus, wo das Volk ganz herein gedrungen hielten, die ich mit Dank und Ermahnung daß sie der Protection des Königs durch ihr Betragen sich immer würdig beweisen sollten, beantwortete & dann unter gewaltigen Vivatruffen mich wieder entfernte. Nochmals wurde das Lütticher Freyheitslied gesungen und endlich war es um 2 Uhr still.
Am folgenden 27. März traf Dohm sich noch einmal abschließend mit Schlieffen. Dieser kritisierte Senffts Einladung an "alle Chefs der Parthie" zum Souper, da ihm dieses Verhalten als zu einseitig parteiisch erschien. Dohm notierte dazu kritisch, Schlieffen selbst habe zuvor Treffen mit den führenden Köpfen der aufständischen Partei gehabt und sei bei seiner Ankunft mit eben solchen Ehrenbezeugungen wie er selbst empfangen worden. 660 Irritiert zeigte sich Dohm vor allem von Schlieffens nachhaltig abweisender Kühle, die er nicht zu deuten wußte. 661 Vous aussi ministres sages Organes de l'equite Ah! Recevez les hommges, Offerts par la liberte. Quel douce partage! Vous avez brise nos fers Doux partage! Soyez heureux, soyez fiers De votre ouvrage. AIR D'EVELINA: le voila ce heros qui combattit pour nous. Le voila ce heros, le vengeur de nos droits; D'un peuple qu'il cherit le soutien et la gloire! Oui, cet auguste front ou brille la victoire Annonce Frederic, le Sauveur des Liegeois." 660 Vgl. dazu auch Body, Receuil des verses, S.216: "A MONSIEUR LE GENERAL DE SCHLIEFFEN, en lui envoyant le Journal de la Revolution de Liege, fait en 1789.
Heros cher aux Prussiens, aux Liegeois, aux Sages, Cet essai vous retrace un ciel seme d'orages, Que vous sutes calmer en venant parmi nous. La liberte, le coeur, nous dicterent ces pages: Il en est qui du temps braveront les outrages, . Il en est qui parlent de vous." (verfaßt von Henkart) 661
Dohm, Tagebuch, Eintragungen vom 25., 26. und 27. März 1790.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
In seinem Bericht vom 29. März 1790 662 nach Berlin erwähnte Dohm die Ehrenbezeugungen nicht. Vielmehr betonte er die außerordentlich schlechte Stimmung gegen den Bischof und dessen Weigerung, sich auf die preußischen Bedingungen einzulassen, vor allem weil dadurch die Stationierung der Truppen im Lütticher Land andauere. Damit verbunden war die implizite Kritik an der preußischen Regierung, dem Bischof auf Ersuchen Steins den gewünschten Aufschub von vierzehn Tagen gewährt zu haben. Mit besonderem Respekt berichtete Dohm vom Etat noble, der mit seiner Unparteilichkeit die "Mittel straße" behaupte, sich aber von den beiden anderen Ständen bedroht fühle. Dem Tiers Etat habe er nahe gelegt, so Dohm, bei allen Reformen dem Adel keine Besorgnis zu geben. 663 Nachdem der Brief des Fürstbischofs vom 27. März an den preußischen Hof eingegangen und die vollständige Verweigerung weiterer Verhandlungen verkündet war, plädierte Dohm entschieden für den Abzug der preußischen Truppen. Das Geschrei der Gegner bei weiterem Verbleib aller Truppen im Land sei vorauszusehen, die verwickelte Lage werde noch unübersichtlicher, und schließlich würden die anwesenden Truppen dem Lütticher Land zunehmend zur großen (finanziellen) Last. Wenn man nun die Lütticher schon sich selbst überlassen müsse, sei der jetzige Zeitpunkt der richtige, denn die Nation sei wegen des bischöflichen Verhaltens so in Erbitterung, daß sie sich in einer Verfassung zeige, die es dem kölnischen Kurfürsten unmöglich machen werde, sie mit den Kräften, die er im Moment aufbringen könne, anzugreifen. Schließlich ließ Dohm einen preußischen Truppenabzug als Statuieren eines Exempels erscheinen: Auf jeden Fall werde auf diese Weise eine Wende herbeigeführt, "und den Klagen und Vorwürfen wird ein Ende gemacht", wenn Preußen sich, "wie es lange genug vorher gesagt" zurückziehe. An den Verhandlungen des Kreisdirektoriums werde er nach Abzug der preußischen Truppen, auch wenn man ihn einlade, nicht mehr teilnehmen. Als Anlage fügte Dohm die Aufstellung über die Kosten bei, die die preußischen und pfälzischen Truppen für den Zeitraum vom 26. November 1789 bis zum 15. April 1790 dem Lütticher Land verursacht hatten. 664 Damit, so scheint es, war das Lütticher Projekt nicht nur für den preußischen Staat, sondern auch für Dohm weitgehend abgeschlossen und bedurfte im wesentlichen nur noch einer möglichst raschen Abwicklung. Nach dem unmittelbaren Abschluß der Lüttichreise, den Ehrenbezeugungen gegenüber dem preußischen Hof und Dohm und der Zusicherung desselben, Lüttich könne sich der "proteetion du Roy" gewiß sein, war dies eine Abkehr von den Revolutionären und ihren von Dohm doch zumindest in ihrer gemäßigten Form als richtig und gerecht empfundePr.G.St.A. Rep.96, 166 E, BI. 57 r.-58 v. Pr.G.St.A. Rep.96, 166 E, BI. 58 v. Der Lütticher Dritte Stand entschied am 21. April, daß, da der Bischof sich offensichtlich als Staatsfeind betrachtete, dessen Einkünfte in die Staatskasse fließen und zur Deckung der durch die Exekutionstruppen verursachten Kosten verwendet werden sollten. Darüber hinaus verwandte man zur Einrichtung eigener Truppen Gelder aus den beschlagnahmten Mitteln des Bischofs, der geflüchteten Domherren und Spenden. Vgl. Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 44,45. 664 Bericht Dohms vom 12. April 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, BI. 62 r.-66r. 662 663
VIII. Dohm in der diplomatischen Defensive
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nen Belangen. Die Betonung, an den Direktorialsitzungen zu diesem Thema nicht mehr teilzunehmen, setzte Dohm zudem in den Status eines - unabhängig von den eigenen persönlichen Überzeugungen - durch königliche Order von den Geschäften abgezogenen Repräsentanten des preußischen Hofes. Dieser Status kam zum ersten Mal zum Tragen, als neun Vertreter des bis auf sechs Zurückgebliebene aus Lüttich geflüchteten Domkapitels sich in Aachen an Dohm wandten mit Beschwerden über die verbliebenen Domkapitulare - sie hatten sich mit den beiden anderen Ständen vereint und zwei Regimenter a 1000 Mann zur Verteidigung des Landes aufgestellt - und über die aufgebrachte Stimmung in Lüttich, die sie zur Flucht gezwungen hatte. Er habe ihnen geantwortet, schreibt Dohm an den König, "daß da der Bischof Ew. Königl. Majestät gezwungen ihre lang genug dargebotene wohlthätige Hand von der Sache abzuziehen, die Zeit auch vorbey sey, wo ich ihnen hätte nützlich seyn können". 665 Am 19. April war ein erweitertes Mandat durch das Kammergericht erlassen worden, das den Exekutionsauftrag auf den Kurrheinischen, den Oberrheinischen, den Fränkischen und den Schwäbischen Kreis erweiterte. Dohm zeigte sich über die Dimension dieses Auftrags irritiert und erbost zugleich: Zuverläßig ist noch nie ein solcher ReichsGerichtlicher Auftrag an fünf Kreise ergangen und wenn es mit demselben zur Ausführung kommen sollte, so ist die aus der Vereinigung so vieler Kriegs Völker und Berathschlagungen der Commission so vieler Fürsten zu erwartende Verwirrung ganz unabsehbar, und der Ruin des Bisthums Lüuich unvermeidlich,
schrieb er dem König. 666 In Lüttich wurden am 24. April die Regierungsgeschäfte einem "Conseil de ft!gence" aus neun, vom Volk gewählten Mitgliedern übertragen; im Mai nahmen erstmals an der Ständeversammlung auch die Vertreter des flachen Landes teil und verwandelten diese so in eine am französischen Beispiel orientierte Nationalversammlung; in den Städten und Landgemeinden fanden im Juli Wahlen statt. 667 Nur wenige Tage später hatten sich die Münsterschen und die im Lütticher Land noch verbliebenen Pfälzischen Truppenkontingente bereits vereinigt. Wütend schob Dohm diese Vereinigung auf die Streitigkeiten zwischen den Ständen in Lüttich, die, statt sich mit der Verteidigung des Landes mit der internen Vergabe von Posten beschäftigten. Außerdem galt es nun, den König über neue Gerüchte zu informieren: Der Bischof von Lüttich arbeite eifrig daran, daß einer der Söhne Leopolds zum Koadjutor bestimmt würde. Noch zuverlässiger sei, daß der Kurpfalzische Vertreter Kontakte mit der Ständischen Partei aufgenommen habe, um diese zu einer Unterstützung bei der Einsetzung des Kölner Kurfürsten Max Franz zum Lütticher Koadjutor zu bewegen. 668 Beide Faktoren, die militärische Bedrohung des Lütticher LanBericht Dohms vom 19. April 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, Bi. 67r.-68 v. Bericht Dohms vom 22. April 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166 E, Bi. 69 r.-70 v. 667 Strothotte, Exekution gegen Lüuich, S.44-45. 668 Zur Frage der Koadjutorie vgi. Strothotte, Exekution gegen Lüuich, S.47-48. Strothotte hält es nach seinen Recherchen für sicher, daß Max Franz nicht für sich, sondern für einen sei665
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
des durch die Exekutionstruppen und die Gerüchte um die möglicherweise anstehende Koadjutorwahl, waren für Dohm, wie er darstellte, Anlaß, den doch gerade erst abgesteckten Weg eines preußischen Rückzugs wieder zu verlassen und schon am 29. April dem preußischen Hof erste Vorschläge für ein weiteres Vorgehen zu präsentieren: Er halte für Mittel gegen Verwüstung des Landes, erstens eine aus Gemäßigten zusammengesetzte Interimsregierung zu installieren, zweitens eine militärische, auf gemeinsame Verteidigung zielende, nicht politische Verbindung zwischen Lüttichern und Brabantern zu betreiben. Das waren gerade jene Aktivitäten, die der Dritte Stand seit April betrieb! 669 Peinlich genau achtete Dohm darauf, in der Öffentlichkeit die preußische, und das heißt vor allem auch seine eigene Entfernung aus den Lütticher Geschäften zu betonen. Der Mainzer Direktorialvertreter für den Kurrheinischen Kreis hatte ihn nach Jülich zu Beratschlagungen geladen. Dohm lehnte mit der Begründung der erzwungenen gänzlichen Zurückziehung der preußischen Regierung ab. Aus Lüttich direkt hatte er zu diesem Zeitpunkt keine Nachrichten. Der preußische Hof war jetzt auf die Berichterstattung Senffts angewiesen. 670 Seine Zurückhaltung brach Dohm auf, als der Prinz Rohan ihn um eine geheime Unterredung bat. Er glaubte, so schrieb er nach Berlin, diese nicht ablehnen zu dürfen. Rohan, Berlaymont und einige Vertreter des Dritten Standes trugen Dohm darauf die dringende Bitte vor, dem Lütticher Land preußischen Schutz zu gewähren, um es nicht vollkommen dem Untergang zu weihen. Auch eine Unterstützung durch die Niederländer hänge ganz von der preußischen Intervention ab. "Ob Ew. Königl. Majestät [... ] der gänzlichen Verheerung des Landes Einhalt zu thun gut finden, muß ich ehrerbietigst anheimstellen", formulierte Dohm suggestiv, um anschließend den König zu bitten, sowohl den Bischof als auch die Vertreter der Stände aufzufordern, ihre Vorschläge zur Beendigung der Streitigkeiten zu machen, welche dann durch Mediation Preußens und - erstmals von Dohm ins Spiel gebracht, der alten Verbindung im Fürstenbund Rechnung tragend - Mainz umgesetzt werden könnten. Auch die Ultima ratio eines möglichen Krieges, sollten die Lütticher und Brabanter sich vereinigen, wird von Dohm nun angesprochen: Dann sei es für Preußen wichtig, sich rechtzeitig in den Besitz der Maas und des Lütticher Landes zu bringen. 671 ner Neffen das Bistum Lüttich erlangen wollte. Der Kurfürst hatte sich an seinen Bruder Leopold mit einer entsprechenden Anfrage gewandt, die dieser auch positiv beschied. 669 Bericht Dohms vom 26. April 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, BI. 71 r.-74r. Auf Vorschlag des Dritten Standes war im April mit der Einrichtung eines aus neun Mitgliedern bestehenden "Conseil de regence" begonnen worden. Der Dritte Stand hatte seine drei Kandidaten am 8. Mai benannt, der Adel brauchte Zeit bis zum Oktober, der Klerus entsandte letztlich keine Vertreter (Borgnet, Histoire de la revolution liegeoise, I, S. 301). Lesoinne war vom Dritten Stand beauftragt, Verhandlungen mit den Brabantern zu führen. In ausführlichen Berichten vornehmlich an Fabry erläuterte er sein Scheitern, das er vor allem mit Unstimmigkeiten in finanziellen Fragen begründete. Vgl. dazu Borgnet, Histoire de la Revolution liegeoise, 1, S.360-369. 670 Bericht Dohms vom 11. Mai 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166 E, BI. 8lr.-82 v. 671 Bericht Dohms vom 27. Mai 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, BI. 89r.-92v.
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Schon Anfang Mai hatte Kunnainz aufgrund des neuen reichskammergerichtlichen Auftrags 1500 Mann Infanterie nach Lüttich entsandt, die sich mit den pfälzischen und münsterischen Truppen zu einem 6000 Mann starken Korps vereinten, um die Exekution gegen Lüttich durchzuführen. Vom Stein betonte dem preußischen König gegenüber, daß der Kurfürst sich ausschließlich, um eine weitere Ausweitung der Unruhen zu verhindern, zu diesem Akt entschlossen habe, dieser jedoch keineswegs gegen Preußen gerichtet sei. 672 Etwa zeitgleich verhandelten in Bonn die Minister Waldenfels und von Müller gemeinsam mit dem Kölner Kurfürsten Max Franz und bekräftigten eine enge Verbindung zwischen Kurköln und Kurmainz. Im Zuge der bevorstehenden Wahl eines neuen Kaisers korrespondierten Max Franz und earl Theodor vertraulich. Max Franz gab seiner Beunruhigung Ausdruck, Preußen und Österreich könnten den Geist des Aufruhrs nutzen, unter dem Vorwand des gemeinsamen Kampfes des Reichs gegen die Revolution die kleineren Reichsstände für sich zu vereinnahmen. Es zeige sich nunmehr deutlich: Ce n' est plus la constitution qu' on veut maintenir, c' est la convenience, les interets, les vues politiques des ministres, qui decident du sort des autres etats et prince d'empire. 673 Die hier vorgetragene Einschätzung, daß nunmehr die "ministres" die die Ereignisse lenkenden Protagonisten seien, wurde auch von exilierten Vertreten des Domkapitels in Aachen vertreten, die sich gegen Dohms Politik wandten. Am 27. August 1790 schrieb Jean-Philippe de Limbourg an Franz Graf von Hartig: Tant pis pour la Prusse meme, si c'est aux intrigues de ses ministres qu'on doit attribuer l'inaction scandaleuse des troupes executrices ! [ ... ] M. de Dohm, seul contre tous [... ] induit le roi de Prusse a vouloir pacifier, en privant de la possession ceux qui en ont ere deboutes, malgre le droit des nations de l'univers entier [... ].674 Auf der Rückseite einer Spielkarte fand sich eine handschriftliche Warnung: Avertissement. Le sieur Dohm, seul capable de conduire les affaires de la ville asa fin, avertit officiellement qu 'il continue son cours deprediations ministerieIs et familiers pres les capucins a aix-Ia-chapelle. 675 Noch am 25. Januar 1791 schrieb Limbourg an Hartig, er fürchte nun, wo sich so viele in Lüttich einmischten, daß das Land bis zu seiner völligen Zerstörung zum Spielball der Interessen werde. Dabei unterstellte er durchaus den guten Willen der Handelnden, sah aber gerade in seinem Übennaß die Gefahr: ,Je Roi de Prusse, par trop de bonte et trop de zele pour un petit prince, et beaucoup de desir de M. de Dohm de nous arranger" . Der preußische König habe erklärt, sich nicht mehr einzumischen, Dohm dagegen habe im Umfeld des Frankfurter KongresBericht Steins vom 24. April 1790. Abgedruckt bei Hansen, Quellen, I, S.619ff. Vgl. Hansen, Quellen, 1, Nr.261 (Max Franz an Friedrich Karl, 5. April 1790) und Nr.265 (Friedrich Karl an Max Franz, 11. April 1790), S. 595-598 und 601-604, hier: S.596. 674 Lettres et Memoires, S. 240-247, hier: S.242. 675 Lettres et Memoires, S.242, Anm. 1. 672
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ses 676 deutlich gemacht, daß Preußen sich der Angelegenheit wieder angenommen habe. 677 Die Berliner Depechen beunruhigten Dohm "wegen der zu nehmenden Maßregeln". Nachdem er den Bericht vom 27. Mai abgeschlossen hatte, erhielt er die Nachricht, daß die Brabanter schon am 23. Mai geschlagen und die Österreicher ins Lütticher Land eingedrungen seien, die Lütticher Stände bereits den preußischen König um dringende Hilfe ersucht hätten. Er entwickelte darauf den Gedanken, zu Schlieffen nach Wesel zu reisen. 678 Am 28. Mai kündigte er seine Reise, ohne dieses Vorgehen abgesprochen zu haben, in der Direktorialkonferenz an. Zusammen mit seiner Frau Henriette und der kleinen Tochter Betty machte Dohm sich am 29. Mai auf den Weg nach Wesel. Während der am folgenden Tag stattfindenden Unterredung mit Schlieffen stellte sich heraus, daß dieser ebenfalls "sehr unzufrieden über die Unbestimmtheit & Widersprüche in den Plänen & Befehlen" war. Beide entschlossen sich abzuwarten, was "unser Bericht in Berlin gewirkt". 679 In seinem folgenden Bericht vom 4. Juni erklärte Dohm sein Treffen mit Schlieffen mit dem Druck, den die Lütticher Stände auf ihn ausgeübt hatten: "Da nach der Niederlage der Brabanter bey Marche von den Lütticher Ständen gar zu heftig in mich gedrungen wurde, um ihnen wegen der von Ew. Königl. Majestät erbetenen Hülfe einige Versicherung zu geben", habe er sich zu Schlieffen begeben, um die Sache mit diesem zu besprechen. Die Lütticher, berichtet Dohm weiter, hätten nach dreifachem Angriff auf Hasselt und Maseyk die Kreistruppen zurückgeschlagen und sich dabei als mutig und diszipliniert erwiesen 68o , während die Kreistruppen zerstritten seien und der pfälzische Generalleutnant von Winckelhausen 681 das Kommando an Graf von Isenburg abgegeben habe. Der Kurfürst von der Pfalz wolle noch weitere Truppen gegen die Lütticher und Brabanter aufbringen, die Direktorialvertreter hätten sich mit der Generalität zu Beratungen in Sittard getroffen. 682 Zum Beleg für Zum Wahlkonvent vgl. Kapitel B. IX. in dieser Arbeit. Lettres et Memoires, S. 299-300, hier: S.300. 678 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 27. Mai 1790. 679 Vgl. dazu Dohm, Tagebuch, Einträge vom 28., 29., 30. und 31. Mai 1790. 680 Das Gemeinschaftsgefühl war in Lüttich immer wieder durch die Regierungspartei gestärkt worden. Zuletzt war die Bevölkerung am 11. April aufgefordert worden, einen Eid abzulegen, dem Lütticher Volk, dem Gesetz und dem Magistrat gegenüber treu zu sein und die Revolution zu verteidigen (vgl. Daris, Histoire de la Diocese, 2, S. 193). Am 26. April erfolgte der Aufruf, sich bei den "Fahnen der Ehre und der Freiheit" zu versammeln (Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 45). 681 Nach Abzug der Preußen war der pfälzische General Winckelhausen mit dem Kommando über die Kreistruppen beauftragt worden. 682 Zugleich spekulierte earl Theodor aber auch auf einen möglichen Rückzug seiner Truppen. An Grein schrieb er im Juni 1790 (ohne genaueres Datum), daß, wenn man mit den Lüttichern einen ordentlichen Krieg führen wollte, man ganz andere Maßregeln hätte treffen müssen, wenigstens nicht die Truppen auf den Exekutionsfuß setzen müssen. Sollten die Lütticher nun zum Feldzug rüsten, würde der kommandierende Offizier seine Maßnahmen zu treffen wissen. Das bedeute: entweder mit Vorteil angreifen oder bei überlegener Macht der Lütticher den Rückzug sichern (HStA Düsseldorf NWK I Lit L24 n, B1.355r.-357r., hier: BI. 356r.). 676 677
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die Feigheit und Unfahigkeit der Niederländer fügte Dohm einen Auszug aus einem ihm zugekommenen Schreiben bei. Gleich beim ersten Schuß einer Haubitz Canone waren die Leute nicht mehr in Ordnung zu bringen, noch zu halten. Bei jedem Kanonenschuß [... ] warfen sie sich auf die Erde, und liefen nebst Officieren und Unterofficieren davon. Der General schickte mich darauf weg, andere Truppen zu holen; diese hatten sich aber schon bey Zeiten retiriret,
heißt es darin. Vor allem nutzte Dohm diese Darstellung, um noch einmal zu appellieren, daß ohne preußische Hilfe eine gänzliche Unterdrückung der Niederländer und Lütticher nicht mehr aufzuhalten sei. 683 Tatsächlich erging in der Folge an General Schlieffen ein Befehl, mit einem preußischen Kontingent wieder bis an die Lütticher Grenze vorzurücken und dort abzuwarten, ob die Lütticher und Brabanter sich aus eigener Kraft noch eine Weile halten könnten. 684 Das Reichskammergericht erzielte dagegen mit einem neuen Mandat vom 23. Juni die Ausweitung des Exekutionsauftrags auch noch auf den niedersächsischen Kreis und schuf damit die Situation, daß bis auf Österreich und Sachsen das gesamte Reich zum Vorgehen gegen Lüttich aufgerufen war. Das deutet darauf hin, wie groß das Kammergericht die revolutionäre Bedrohung für das Reich eingeschätzte. Zugleich ist bemerkenswert, daß über die bereits aktivierten Reichsstände hinaus kein weiterer auf diese gerichtliche Vorgabe reagierte. Nach wie vor waren nur die drei Kreisdirektoren des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises und Kurmainz für den Kurrheinischen Kreis tätig. 685 Das war ein Indikator, wie wenig bindend die Reichsstände die reichsgerichtlichen Anordnungen zu diesem Zeitpunkt empfanden, wie wenig das Reich als Ganzes als Verantwortungsbereich der Reichsstände gesehen wurde, statt dessen - als möglicher Grund für dieses Verhalten - die Sicherung des eigenen Territoriums, die Zurückhaltung der Truppen für den Fall ausbrechender Unruhen vor Ort Priorität zugewiesen bekam. In Wetzlar kursierten Gerüchte, die Lütticher Truppen begingen Exzesse, "qui font rougir I 'humanite" , wie der junge Hofmann, der seinem Vater als Anwalt der Lütticher Stände am Kammergericht folgte 686 , an Chestret schrieb. Er bat daher darum, mit jedem Kurier aus Lüttich Nachrichten vor allem über das Verhalten der Pfälzer und Mainzer Truppen zu übermitteln, damit er Sorge tragen könne, diese Berichte in allen Blättern zu veröffentlichen. 687 Bericht Dohms vom 4. Juni 1790, Pr.G.St.A. Rep. 96, 166E, BI. 93 r.-95 r. Bericht Dohms vom 11. Juni 1790, in dem Dohm auf das Reskript vom 4. Juni und den darin an Schlieffen ergangenen Befehl Bezug nimmt (Pr.G .St.A. Rep. 96, 166 E, BI. 96 r.). Zum Verlauf der militärischen Aktionen der Kreistruppen und der Ignoranz des erteilten Exekutionsauftrags durch den Fränkischen und Schwäbischen Reichskreis vgl. die ausführliche Darstellung bei Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S.49-60. 685 Vgl. dazu Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 58-59. 686 Borgnet, Histoire de la Revolution liegeoise, I, S. 240. 687 Hofmann an Chestret, 6. Juni 1790. Papiers de Chestret, 2, S. 20-21. 683
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Während des Juni war Dohm längere Zeit neben den Aachener Auseinandersetzungen vor allem mit der Revision der Küsterschen Schrift beschäftigt. 688 Parallel dazu nahm er immer wieder Kontakt nach Lüttich und zur Gräfin Horion auf. 689 Privat wurde er nun ganz bestimmt von einem vorbereiteten und schließlich durchgeführten Umzug in ein neues Haus, das der jungen Familie nicht ganz zu gefallen schien: ,,0 wie eng & klein ist diese Wohnung gegen die, welche wir verlassen. "690 Eingegangene private Briefe erinnerten an Berlin und machten die Unzufriedenheit mit der Aachener Situation deutlich: Abends wir allein, Brief von der Lucia, [... ] den mir Henriette vorlaß, wobey wir uns sehr lebhaft an Berlin erinnerten, Alles Gute erkannten, das wir dort durch besseren Umgang geniessen würden, doch aber unsern schon oft gefaßten Entschluß erneuerten, nichts zu thun, um unser Schicksal zu lenken. 691
Eher beiläufig findet sich eine Bemerkung, die eine Wende in der Lütticher Angelegenheit andeutet: "Montag den 28ten. [ ... ]. Nach Lüttich die Idee begünstigt sich fr. Schutz zu verschaffen."692 Henkart hatte Dohm "umständlich geschrieben", "wie sich die Lütticher, welche eine Deputation zum 14ten Juli nach Paris senden, gegen Frankreich zu benehmen".693 Nach Berlin hatte Dohm dagegen gemeldet, daß er die Absendung einer Delegation von Lütticher Deputierten zur Feier des 14. Juli nicht habe verhindern können. 694 In einem Gespräch mit Graf Nesselrode, der in Aachen zu Besuch war und ebenfalls zum 14. Juli nach Paris gehen wollte, redete Dohm "noch allerley mit ihm ab, um den Lüttichern durch die Franzosen zu helffen & zugleich dadurch für die Freyheit von Deutschland überhaupt etwas Gutes zu stiften."695 Lütticher Delegierte und einige Franzosen trafen mit Dohm in den folgenden Tagen zusammen. 696 Im Juli und August waren die Vertreter des Dritten Standes Lüttichs, zunächst Reynier, dann Henkart, beide Redakteure des ,.Journal patriotique", zur Nationalversammlung nach Paris entsandt worden, um französische Unterstützung zu erbitten. 697 Vgl dazu Kapitel B. VII.4. in dieser Arbeit. Dohm, Tagebuch, Einträge vom 12. und 21. Juni 1790. 690 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 30. Juni 1790. 691 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 27. Juni 1790. In einer Eintragung vom 6. Juli zeigt Dohm sich mit seiner Lebenssituation gänzlich unzufrieden: "Ich verlasse unsre schöne Wohnung mit etwas Wehmuth und mit Verdruß über unser Schicksal, beständig so herumgeworfen zu werden, welches besonders Henriette so viele Zeit schon im Leben genommen. In unserm Haus Alles sehr klein & eng gefunden." 692 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 28. Juni 1790. 693 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 7. Juli 1790. 694 Dambacher, Dohm, S.309. 695 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 9. Juli 1790. 696 Dohm, Tagebuch, Einträge vom 9., 11., 12. Juli 1790. Die meisten Gäste befanden sich wohl aufgrund der sogenannten Heiligtumsfahrt in der Stadt, Dohm berichtet von seinem Besuch im Dom aus Anlaß der Vorführung der nur alle sieben Jahre in Aachen gezeigten ,Heiligtümer'. 697 Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 66; Daris, Histoire du Diocese, 2, S. 264; Borgnet, Histoire de la Revolution liegeoise, I, S. 374-379, berichtet von den Reisen der Lütticher Ver688
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VIII. Dohm in der diplomatischen Defensive
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Äußerer Anlaß der Reise nach Paris war die Überbringung der französischen Übersetzung der Dohmschen Verteidigungschrift, die Reynier (der Sekretär der Societe d 'Emulation) angefertigt hatte. 698 Konkret wollten die Lütticher Vertreter die Pariser Nationalversammlung um Geld bitten. 699 Es gab Gespräche mit Necker und Mirabeau, wobei letzterer besonders betonte, die Lütticher sollten Leopold nicht mißachten, ihr Schicksal hänge ganz entschieden von diesem ab. Reynier bemühte sich außerdem um Kontakte zum Jakobinerclub, der sich bereit erklären sollte, Verbindung aufzunehmen mit dem kurz zuvor in Lüttich unter seiner maßgeblichen Beteiligung gegründeten Club "Amis de la liberte" .700 Die zahlreichen gesellschaftliche Verpflichtungen während dieser Tage und Wochen belasteten Dohm zunehmend: Ich überhaupt alle diese Tage sehr unruhig in mir & unzufrieden über unsre äussere Lage, zu welcher unsre Wünsche, Gesinnungen & inneres Wesen gar nicht paßt. Allerley Ideen, wie wir uns zu heUTen, gehen in mir herum. Die verdrießlichen Aussichten der hiesigen Geschäffte & meine körperliche Mattigkeit kommen datzu. 701
Parallel zu diesen Bemühungen Dohms liefen im schlesischen Reichenbach die Verhandlungen zwischen Preußen und Österreich über die Beilegung territorialpolitischer Konflikte. 702 Am 28. Juni berieten sich Friedrich Wilhelm 11., Hertzberg, treter nach Paris. Maximilien de Chestret (1737-1811), der Vetter des Lütticher Bürgenneisters, war der diplomatische Vertreter des Lütticher Fürstbischofs in Paris. Er berichtet in seinem Brief vom 18. September 1790 an seinen Bruder Nicolas vom Auftritt der Lütticher Vertreter vor der Nationalversammlung und den heftigen Debatten, die dieser Auftritt bei den verschiedenen Parteien in der Versammlung provoziert hat (Correspondance de Maxirnilien de Chestret, I, S. 105-106). Aus seinen Briefen geht hervor, daß man in Paris - vor allem nach dem Kammergerichtsmandat vom 4. Dezember - Anteil nahm an den Ereignissen in Lüttich. "Successivement tous les membres presents du corps diplomatique [... ] m'ont demande des nouvelles de Liege" (Maximilien de Chestret an seinen Bruder Nicolas, Paris 24. Dezember 1789; Correspondance de Maximilien de Chestret, I, S. 79. In demselben Tenor: 9. September 1789, I, S.67). Chestret berichtete den Fragenden dann vom Inhalt des Mandats und von Dohms Separaterklärung. 698 Borgnet, Histoire de la Revolution liegeoise, I, S.375. Dagegen schickten die Vertreter des Domkapitels, die sich in Aachen aufhielten, die Übersetzung des Textes von Zwierlein nach Paris. Borgnet, I, S. 379. 699 Dabei gaben die Lütticher vor, es stünden noch Summen aus, die Lüttich Frankreich im Siebenjährigen Krieg geliehen habe (Borgnet, Histoire de la Revolution liegeoise, I, S.375). 700 Vgl. dazu: Magnette, Aug.-B. Reynier aux Jacobins de Paris. Reynier schrieb am 23. Dezember 1790 einen Brief an Henkart, in dem er von seinem Auftritt im Jakobinerclub berichtete. Er war dort wenig erfolgreich: Vor etwa 1000 Menschen erläuterte er die Ereignisse der letzten Monate in Lüttich und bat zunächst um finanzielle Unterstützung. Die Versammlung war zögerlich: Ein Mitglied namens Dubois fragte, "si I' on doit payer aux Liegeois ou al'Eveque [... ]" (S. 77). Im Bezug auf die erstrebte Beziehung zur Lütticher "Societe des Amis de la liberte" suggerierten die Pariser Jakobiner, daß man vorerst noch warten wolle. Reynier mutmaßte, das hänge mit dem Nationalstolz der Franzosen zusammen, aber auch mit der aktuellen politischen Lage; die Bewegungen der Österreicher und die Wut der deutschen Fürsten beunruhigten die Franzosen. Dennoch gab Reynier sich optimistisch, daß eine Union zustande komme. 701 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 20. Juli 1790. 702 Vgl. etwa Wittichen, Preußen und die Revolutionen, S. 85-103.
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
der Herzog von Braunschweig, und die Generäle Möllendorf und Kalkstein über die Bedingungen, die für die Verhandlungen mit Österreich aufgestellt werden sollten. Auch die Lütticher Sache wurde einbezogen. In Punkt 6 der an Österreich überreichten Präliminarien hieß es: Der König von Ungarn wird sich, in Übereinstimmung mit dem König von Preußen, dafür interessieren, daß sich die Kreistruppen zurückziehen und die Affäre von Lüttich auf freundschaftliche Weise durch die drei Direktoren des westfälischen Kreises in der Weise geordnet wird, daß den Lütticher Ständen Amnestie gewährt und eine interimistische Regierung eingesetzt wird, daß die neue Verfassung durch gemeinsame Arbeit von Bischof und den Ständen unter Vermittlung der westfälischen Kreisdirektoren vereinbart wird. 703
Vorbereitet war dieser Teil der Erklärung durch einen Auftrag Hertzbergs an Dohm, durch Schlieffen mit den Lütticher Ständen zu verhandeln, damit diese sich zu einer provisorischen Herstellung der alten Magistrate bereit erklärten. 704 Wenzel Anton Graf Kaunitz (1711-1794) lehnte die Einbeziehung Lüttichs in die Verhandlungen ab, was Hertzberg veranlaßte, Dohm zu raten, die Angelegenheit mit den beiden Kondirektorialvertretern gütlich zu beenden. Dagegen hielt Dohm die Schwierigkeiten, die er mit einem solchen Unterfangen verbunden sah: Auch der Kurfürst von Mainz, der sich so engagiert habe, müsse nun hinzugezogen werden, eine Abweichung des Kammergerichts von seinen Urteilen sei nicht zu erwarten, die Würde des Königs wiederum erlaube es aber nicht, erneut von diesem zurückgewiesen zu werden. Preußen dürfe jetzt nicht vom einmal eingeschlagenen Weg abweichen, eine völlige Unterdrückung der Lütticher dürfe es nicht zulassen. Sollten aber die gemachten Vergleichsvorschläge durch die Lütticher Stände abgelehnt werden, sollte es mit den anderen Kreisdirektoren die Lütticher zur Umsetzung anhalten. Eine entsprechende Erklärung werde sicher große Wirkung tun, "und das Reichskammergericht verdient wahrlich von uns r e r Seite keine Schonung mehr, man müßte vielmehr die Untersuchung seines ungerechten Verfahrens der künftigen Visitation vorbehalten". 705 Hertzberg versuchte wenigstens, noch eine mündliche Übereinkunft mit Österreich zu erzielen, und wandte sich an den österreichischen Vertreter in Reichenbach Reuß, der ihm allerdings nur mitteilte, Leopold wolle sich vor der Kaiserwahl nicht mit der Lütticher Angelegenheit befassen. 706 In Lüttich drohte die weitere Eskalation der Situation. Am 28. Juni schrieb Fabry an Chestret: Ici tout va a l' ordinaire, c' est -a-dire mal. La populace, les pauvres sont dans l' effervescence, et chaque instant peut amener une bagarre. Et personne ne s'inquiete ! Insouciance, betise, interet particulier ; et nous voulons etre libres ! 707 703
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Zitiert nach Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 63. Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 25. Juli 1790. Zitiert nach Gronau, Dohm, S. 194. Vgl. dazu Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S.64. Fabry an Chestret, 28. Juni 1790, Papiers de Chestret, 2, S. 162-163, hier: S. 163.
VIII. Dohrn in der diplomatischen Defensive
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Lange war Dohm über die Verhandlungen in Reichenbach im Ungewissen geblieben. Am 29. Juli notierte er in seinem Tagebuch, daß die Post wieder nichts gebracht habe, "also Ungewisheit über Krieg & Frieden".708 Erst am 6. August während seiner dritten Reise nach Lüttich erhielt er in Stavelot die Nachricht vom Abschluß des unter englischer Vermittlung zustande gekommenen Vertrags vom 27. Juli 709 , in dem Österreich auf Gebietserwerbungen in der Türkei, Preußen auf Arrondierungsbestrebungen zu Lasten Polens verzichtete. 710 Fabry und Donceel teilte Dohm mit, sie sollten nun eine Mitteilung an den preußischen Hof formulieren, in der sie um weitere Unterstützung der frei gewählten provisorischen Regierung bitten. Der ,,Plan provisoire de municipalite" wurde zwei Tage später nach Berlin geschickt, abgesendet vom Conseil de la Cite und den Ständen. Dohm war von Inhalt und Stil wenig überzeugt und wies Fabry an, das an Hertzberg formulierte Schreiben klarer auszudrücken. 711 Hofmann (Sohn) hatte sich gegenüber Chestret positiv zu einer Neubesetzung des Magistrats geäußert. Es scheine ihm unausweichlich, daß die alten Magistrate ihre Plätze räumten, vor allem um sich der Schande einer Absetzung zu entziehen, wenn die Dinge schief gingen. 712 Besonders betonte er dann, die Lütticher sollten nicht die Vorgaben einer N ationalversammlung übernehmen; "je crois a leur justesse, mais pour vous ce n'est pas encore le temps d'en profiter."713 Der Domherr Waseige zeigte sich dem Lütticher Fürstbischof gegenüber wenig optimistisch. Am 25. August schrieb er diesem, Preußen wolle sich mit aller Macht wieder in die Lütticher Angelegenheiten mischen. ,,11 n'y aurait pas de mal, s'ils voulaient y porter d'autres vues et d'autres intentions que ce1les de Mr. de Dohm."714 In Mainz, äußerte er sich später, betreibe man die Ablösung Dohms und Senffts. "Ce serait quelque chose", und es sei zu hoffen, daß Preußen nun wieder auf den rechten Weg finde. 715 Die schwankende Politik, die Dohm gerade in der Phase während der Reichenbacher Verhandlungen betrieb, indem er wahlweise für preußisches Engagement oder für Aufgabe von Lüuich plädierte, verdeutlicht, wie sehr die Ereignisse gleichermaßen als Chance, aber auch als Belastung empfunden werden konnten. Die Beschleunigung der Ereignisfolge und der permanente Wechsel des Ereignischarakters provozierten bei ihm Verunsicherungen in der Frage, was zu tun sei. Allgemein war für Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 30. Juli 1790. Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 6. August 1790. 710 Vgl. Konferenzen und Verträge (Vertrags-Ploetz), II, Bd. 3, S. 200-201; Heigel, Deutsche Geschichte, 1, S.261-270. 7ll Dohm an Fabry, 18. August 1790. Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1051, Brief 674. 712 Hofmann an Chestret, 12. Juli 1790, Papiers de Chestret, 2, S.172-173. 713 Hofmann an Chestret, 22. Juli 1790, Papiers de Chestret, 2, S. 175-176. 714 Zitiert nach Borgnet, Histoire de la Revolution liegeoise, 1, S. 383. 715 Zitiert nach Borgnet, Histoire de la Revolution liegeoise, 1, S. 384. 708 709
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die Zeitgenossen ein Wandel im Umgang mit Erfahrung bemerkbar, die ,,Erfahrungsfristen" verkürzten sich; "die Erfahrung selbst wird verunsichert". Dies provozierte einen "erhöhten Planungszwang" .716 Dohms Beispiel macht deutlich, daß diese spezifische Konstellation von Ereignisdichte und Erfahrungsproblematik verstärkt noch auf diejenigen wirkte, deren Handeln nicht nur auf die Ereignisse zu reagieren hatte, sondern sie gleichermaßen hervortreiben konnte und mußte.
IX. Dohm zwischen den politischen Fronten: Scheiternde Verhandlungen im Umfeld des Frankfurter Wahlkonvents Zur dritten Reise nach Lüttich brach Dohm am 30. Juli 1790 diesmal zusammen mit seiner Frau Henriette auf. Sein Weg führte ihn über Zwischenstationen in Battice, Herve, Spa und Theux, bevor er am 12. August in Lüttich ankam und drei Tage dort blieb. Von Battice aus reiste Dohm kurzfristig in das "belgische Lager" bei Herve, wo er von einigen Offizieren, die ihn erkannten, in ihre Zelte geführt und mit Vivatrufen auf Henri van der Noot 717 und den preußischen König begrüßt wurde. Beim zweiten Besuch im Lager stand "das ganze Corps im Gewehr" und empfing die Reisenden mit Kanonenschlag, um anschließend vor ihnen zu exerzieren, "welches aber so schlecht gieng, daß ein Officier voll Unmuth aufhörte". Am Abend des 30. Juli erreichte die Reisegesellschaft Spa. 718 In den nächsten Tagen empfing Dohm Deputa716 So Kosel/eck, Erfahrungsraum und Erwartungshorizont, in: Die Französische Revolution als Bruch, S. 658-659, als Ergebnis einer anthropologischen Zuordnung von Erfahrung und Erwartung unter dem Einfluß der Französischen Revolution. 717 Henri-Charles-Nicolas van der Noot de Vrecken (1731 in Brüssel geboren) setzte sich als Anwalt zunächst für die Reformen Josephs 11. in den österreichischen Niederlanden ein, bevor er, nach Holland geflohen, zusammen mit Jean-Fran~ois Vonck das sogenannte Comite von Breda gründete und zum Kopf der Brabanter Revolution wurde. 718 Vgl. dazu Lettres et Memoires, S. 197: Albertine de Limbourg erwähnt in einem Brief vom 1. August 1790 aus Theux an ihren Vater: "Messieurs de Senfft et de Dohm sont a Spa, Oll un officier prussien s'est rendu pour se communiquer[ ... ]. On ne comprend pas le motif de ce voyage. Cependant les apparternens que le Magistrat leur avoit fait preparer a 1'hötel de Prusse, de meme que le souper le jour de leur arrivee, n' ont point ete acceptes." Aus einer nicht näher definierten Liste geht hervor (Lettres etMemoires, S.197, Anm.l), daß Dohm im Hotel Duc de Valois, Senfft im Hotel du Loup abgestiegen war. Im Tagebuch erwähnt Dohm unter dem Datum vom 30. Juli seine Aufnahme bei seinen alten Wirtsleuten, die ihm schon entgegengeeilt waren, um zu erfragen, ob er erneut bei ihnen absteigen wolle. Wie genau selbst solche vermeintlichen Nebensächlichkeiten wie die Wahl des Hotels von verschiedenen Seiten beobachtet und im Kontext des preußischen Engagements in Lüttich zu deuten versucht wurden, wird an diesem Beispiel besonders deutlich. Albertine de Limbourg gibt in den folgenden Tagen jeweils genaue Auskunft, wo Dohm sich aufgehalten und mit wem er sich getroffen hat. ,,[ ... ]le desir que nous avons de voir la fin de nos malheurs nous fait faire attention atout [... ]", kommentiert sie ihr Interesse in einem Brief an den Vater vom 8. August 1790 und in Bezug auf Dohm und seine Besuche bei Anhängern der Revolution in Theux und Malmedy: "Ces liaisons, dans ces circonstances, ont de quoi donner beaucoup a penser." (Lettres et Memoires, S. 204-208, hier: S.206-207). Am 15. August berichtet sie ihrem Vater von der Abreise des
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tionen des Magistrats und kommunizierte mit Senfft über die neuesten Lütticher Nachrichten, die dieser nach Besuchen dort weitergab. Ausflüge in die nähere Umgebung bestimmten das weitere, immer auch in die Aufgabe des Krisenmanagements eingebundene Programm. 719 Am 6. August trafDohm in Stavelot mit dem dortigen Fürstabt und seinen beiden Prioren zusammen. In den Gesprächen bezeugte dieser Dohm mit "größter Willigkeit", "seinen Unterthanen in Allen Belangen nachzugeben." Auch in Theux trafDohm dann am 7. August mit den "Vornehmsten", die er als "sehr eifrige Demokraten" empfand, zusammen. Am 8. August besuchte Dohm die Stadt Malmedy, wo "eine große Menge Volks" sich versammelt hatte, "um mich zu sehn". Den dortigen Magistrat ermahnte Dohm ausdrücklich zum Nachgeben und der Erhaltung der Ruhe. Auf ausdrücklichen Wunsch Dohms wurde die Abtei besichtigt, anschließend die Lederfabriken. Die gesellschaftlichen Verpflichtungen, vor allem Ballbesuche mit von ihm nicht sehr geschätzten Personen, drängten Dohm zum raschen Verlassen der Stadt Spa, und am 12. August schließlich brach er in Richtung Lüttich auf. In Chaudfontaine machte er noch eine Station, um dann mit Fabry, der ihm entgegeneilte, allein vorweg nach Lüttich zu reisen. In der Vorstadt von Lüttich alles voll von geflüchteten & verwundeten Brabantern, der Magistrat hatte unterdeß daß Fabry abwesend war, ihnen Durchpaß verboten, er wollte sie einzeln zu Fuß durchlassen, darüber allerley Explicationen vorm Thore, mit brabantschen Unterofficiers, Lüttichschen Soldaten, Thorwächtem p. Fabry setzte mich bei Dupont ab, wo bald von der Hoop, ein blessirter brabantscher Major & der neue Cornrnandeur der Brabanter sich bey mir einfanden, die alle hier logirten.72o
Am 14. August besprach Dohm mit Vertretern der Stände ihre Vorstellung an den preußischen König in einer Konferenz, im nachmittäglichen Gespräch mit Prinz Rohan, Lannoy 721, Berlaymont, Fabry, Donceel und Bassenge konkretisierte man die Vorgaben. Bassenge nahm die Ideen zu Papier. Nach einem abschließenden Besuch beim Prinzen Rohan am 15. August reiste Dohm zurück nach Aachen. 722 Die die Verhandlungen begleitenden, kleineren militärischen Auseinandersetzungen konnten die Truppen der Revolutionäre für sich entscheiden. In der Nacht vom 8. auf den 9. August trafen die von dem Grafen Blois de Cannenbourg geführten Lütticher Patrioten bei Niel und Asch auf einen Teil der Kreistruppen, nämlich die Ehepaars Dohm nach Lüttich. Sie gibt ihrer Verwunderung Ausdruck, daß man allenthalben Ruhe bewahre gegenüber den Kontakten, die Dohm pflege, in der Öffentlichkeit vielmehr behauptet werde, diese ,Sachen' würden arrangiert (S. 223). 719 Wichtig war dabei vor allem die eher private und lockere Stimmung. Vgl. dazu die Einträge vorn 3. August 1790, wo Dohm eine Unterredung mit Donceel, Bassenge, Henkart und Malmedyer Deputierten in vergnügter Atmosphäre erwälmt, oder vorn 5. August, in der Dohm sein "Bauchweh" beklagt, "weil ich wider Willen zuviel essen & trinken müssen". 720 Dohm, Tagebuch, Eintrag vorn 13. August 1790. 72 1 Es wird sich hier wahrscheinlich um Felix-Balthasar-Pierre-Adrien de Lannoy-Clervaux (1757-1827) gehandelt haben, der als Vertreter des Etat-Noble anwesend war (vgl. Lettres et Memoires, S. 252-253, Anrn. 3). 722 In Aachen wurde Dohm mit der Nachricht der kursierenden Blattern empfangen. Zum Vorhergehenden: Dohm, Tagebuch, Einträge unter den jeweils vermerkten Daten.
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von Oberst Kinkel geführten Pfälzer. Obwohl die Pfälzer das Feld behaupteten, erbat Kinkel vom Oberkommando, sich mit seinen Leuten zurückzuziehen. Unterstützt wurde er von den anderen kurpfälzischen Offizieren, die die Lage der Kreistruppen als äußerst mißlich beschrieben. Man sei viel zu schwach, hieß es in einem gemeinsam verfaßten Brief an den Kommandierenden General Friedrich Wilhelm von Isenburg, "einem so starken, frechen und tapferen Volke allein widerstehen zu können". Der Brief schloß mit der Bitte, das Heer nach Maseyk zurückzuziehen, solange es noch ohne Gefahr und Schande ginge. Am 12. August war der Rückmarsch nach Maseyk abgeschlossen. 723 Am 10. August war in Frankfurt feierlich der Konvent zur Wahl eines neuen Kaisers eröffnet worden. 724 Die Idee zur Verhandlung der Lütticher Sache auf dem Frankfurter Konvent hatte der Mainzer Kurfürst entwickelt. 725 In seinem Bericht vom 13. September bekräftigte Dohm Friedrich Wilhelm 11. gegenüber, daß er den Lütticher Ständen deutlich gemacht habe, daß der preußische König sich nicht um ihretwillen mit dem Reich und anderen Mächten streiten werde. "Ich habe ihnen lange nicht einmal so viel Hoffnung gegeben, als nach Ew. Königl. Majestät itzigem Plan für sie verlangt, und auch wahrscheinlich im Wesentlichen für sie erhalten werden wird."726 Seinem Bericht fügte Dohm eine Kopie seines Schreibens an die preußischen Wahlbotschafter Karl von der Osten-Sacken (1725-1794) und Johann Eustach Graf Goertz bei, in dem er Vorschläge für das Vorgehen bei den Verhandlungen machte. Dohm eröffnete seine Vorschlagsliste mit einem persönlichen Eingeständnis: Nebst dem Hauptbeweggrund der Pflicht meines Berufs ist der Wunsch sehr natürlich, doch noch zuletzt von den mühevollen Arbeiten, welche mir diese Sache gemacht, eine Frucht zu sehen, welche der gerechten und großmütigen Absichten Sr. Majestät des Königs würdig ist, und ganz Deutschland nötige uns die Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, welche man uns zum Theil so unbillig versagen wollen.
Seit bekannt geworden sei, daß die Lütticher Sache in Frankfurt verhandelt werden sollte, seien, so Dohm, täglich Anfragen der Stände eingetroffen, wie man sich zu verhalten habe. Er habe sich aber bisher zurückgehalten und werde das auch bis zum Eintreffen genauer Anweisungen aus Berlin tun. Überhaupt rät Dohm, da er die Personen genau kenne, zur Vorsicht. Deutlich wird in dieser Phase der Verhandlungen, wie sehr Dohm in der Korrespondenz nach Berlin in besonderem Maße seine Loyalität und die Transparenz seines Handeins herausstellt. Zugleich aber ließ der 723 V gl. zu diesem ,,Augustfeldzug" Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S.60-62. Der zitierte Brief des Grafen Moritz von Isenburg und sämtlicher Offiziere an den Grafen Friedrich Wilhelm von Isenburg vom 10. August 1790 findet sich hier auf S. 62. 724 Zum zähen Ringen um den Kandidaten und die Inhalte der Wahlkapitulation vgl. Aretin, Heiliges Römisches Reich, I, S.229-238. 725 Vgl. Dambacher, Dohm, S. 3IO. 726 Bericht Dohms vom 13. September 1790, Pr.G.St.A. Rep. 96, 166E, BI. 108r.-I09v. Dohm bezog sich dabei auf ein Berliner Reskript vom 24. August, in dem die Grundsätze festgelegt wurden, nach denen die Lütticher Sache durch gütliche Verhandlung in Frankfurt beendet werden sollte.
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enge Kontakt zu den Revolutionsvertretern eine Abkehr von diesen nicht zu, setzte Dohm vielmehr in die Verpflichtung, sich auch und gerade gegenüber dem eigenen Hof als Interpret der Lütticher Forderungen und als Patron ihrer Durchsetzung vorzustellen: Es sei wichtig, auf der einen Seite klar zu machen, daß der preußische König die Lütticher nicht in ihren überzogenen und "constitutionswidrigen" Forderungen unterstütze, auf der anderen Seite, die Lütticher aber auch nicht dem Gerücht glauben sollten, Preußen überlasse sie nun ihren "erbitterten Feinden, daß sie dem Bischof und seinen Anhängern ohne alle Bedingung und ohne alle Abhilfe ihrer Beschwerden unterworfen würden". 727 In drei Schritten skizziert Dohm anschließend die von ihm für sinnvoll erachtete Vorgehensweise für die Verhandlungen in Frankfurt, die vor allem darauf abstellt, den Wahlkonvent als eine die Loslösung von reichsgerichtlichen Vorgaben ermöglichende Ausnahmesituation wahrzunehmen: Erstens solle zwischen den Exekutionshöfen und den Lüttichern für die Zeit der Verhandlungen ein Waffenstillstand vereinbart werden. Zweitens müßte dem Kurkölnischen und Kurpfälzischen Hof deutlich gemacht werden, daß ihre Vertreter bei den Verhandlungen nicht in ihrer Eigenschaft als Münsterischer und Jülicher Kreisdirektor auftreten728 und auf der Vollstreckung der kammergerichtlichen Mandate bestehen könnten; ebenso müsse die Arbeit des Kurrheinischen Kreisdirektoriums unterbrochen werden. Dagegen müßte auch deutlich gemacht werden, daß bei Fortsetzung der Verhandlungen nach Frankfurt diese gemeinschaftlich durch die Direktoren des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises geleitet würden. Drittens sollten Fürstbischof und Lütticher Stände angehalten werden, selbst Vorschläge für eine Einigung vorzulegen, die dann durch Vermittlung der Wahl botschafter zusammengefaßt würden. Falls die Aufgabe, diese Aufforderung an die Lütticher Stände zu übermitteln, durch Dohm übernommen werden sollte, "so würde ich mich äusserst bemühen, schon in die ersten Vorschläge möglichste Nachgiebigkeit zu bringen; ein Gleiches wäre aber auch vom Bischof zu verlangen".729 Ebenfalls Mitte September war beim Lütticher Bürgermeister Arnold Donceel ein Brief vom jungen Hofmann aus Wetzlar eingegangen, in dem dieser einen eigenen 727 In einem persönlichen Brief an Bürgermeister Fabry vom 7. September versicherte Dohm, daß seine Prinzipien sich nicht verändert hätten: "Vous connaissez mes sentiments, j' ai fait tout ce qui a dependu de moi etje continuerai toujours d'agir selon les memes principes" (Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1051, Brief 675). 728 Die Frage nach der Funktion der jeweils handelnden Personen spielte im diplomatischen Kontext eine wichtige Rolle. Dohm skizziert in seinem Tagebuch die Vorbereitungen für die Exequien des verstorbenen Kaisers Joseph 11. Dabei kommt es zu Auseinandersetzungen darüber, in welcher Funktion die Aachener Direktorialvertreter teilnehmen sollen: Dohm äuBerte gegenüber Grein, er könne nur als Königlicher Gesandter erscheinen und bat diesen darum, auch Kempis diesbezüglich zu informieren. Kempis bestand darauf, daß er, Grein und Dohm nur als Kreisvertreter an den Feierlichkeiten teilnehmen könnten, worauf Dohm ihm erklärte, "daß ich gar nicht beywohnen könne, wenn ich nicht den mir gebührenden Rang erhielte". Nach erneuten Diskussionen zwischen den drei Diplomaten vermerkte Dohm in seinem Tagebuch: "Beschlossen gar nicht hinzugehn" (Einträge vom 13., 15. und 16. März 1790). 729 Bericht Dohms vom 13. September 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166 E, BI. 108r.-109v.
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15-Punkte-Plan als Basis der Frankfurter Verhandlungen vorstellte. Danach empfahl er den Lütticher Ständen, auf der Abschaffung des Edikts von 1684 zu bestehen, dem Fürstbischof das Recht abzusprechen, Bürgermeister und Teile des Magistrats zu bestimmen, den am 28. Juni gewählten Magistrat beizubehalten, dem Regenten zu überlassen, die Points fondamenteaux anzunehmen oder diesen Punkt zu einer Sache des Kammergerichts zu machen, und die Lütticher Truppen - bis auf ein kleines Kontingent zur Landesverteidigung - aufzulösen; im Gegenzug sollten dann die Reichstruppen zum Verlassen des Lütticher Landes aufgefordert sein. 730 Hofmann stellte sich damit deutlicher als alle anderen Fürsprecher der Lütticher ganz hinter deren Forderungen und bestärkte sie, an diesen in ihrer ursprünglichen Form festzuhalten. Chestret gegenüber bat er um Diskretion, diese Mitteilungen seien nur für ihn geschrieben 731, der Plan ganz allein von Hofmann erstellt, ohne Wissen und Zutun des Vaters. 732 War der Sohn hier ganz der Anwalt der Lütticher Stände, trat etwa einen Monat später der Vater Hofmann als der Vertreter Preußens in Frankfurt auf. "Par ordres" der preußischen Wahl botschafter in Frankfurt erging ein von ihm formuliertes Schreiben an die Lütticher Stände mit der Aufforderung, sich zu beeilen, die angebotenen (preußischen) Bedingungen anzunehmen und den preußischen Hof als Garant für die Umsetzung der am 12. Oktober 1789 vereinbarten Points fondamenteaux sowie einer vernünftigen Nationalrepräsentation anzunehmen - "comme prince mMiateur et voisin". Hofmann fügte an: "Ce ne sont pas la mes reves; je l' ai appris de la bouche de personnes respectables et du plus haut rang."733 Mit Lüttich stand Dohm im September im regen Kontakt. 734 Direkt von dort erhielt er auch am 15. September die Nachricht, daß der Erzbischof von Cambrai und Kanoniker von St. Lambert Prinz Ferdinand de Rohan-Guemenee zum ,,Mambour", das heißt zum vorläufigen Regenten, bestimmt sei. 73S Bereits am 7. September war diesem vom dritten und den noch in Lüttich anwesenden Vertretern der beiden anderen Stände einstimmig die Regentschaft übertragen worden. 736 Die Einsetzung Vgl. Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, I, S. 388. Hofmann (Sohn) an Donceel, 11. September 1790. Papiers de Chestret, 2, S. 199-200. 732 Hofmann (Sohn) an Donceel, 13. September 1790. Papiers de Chestret, 2, S.201. 733 Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, I, S.409. Borgnet, I, S.400, prägt für den Einfluß Hofmanns auf die Lütticher Stände den Begriff "s'enhoffmanniser". 734 Am 12. September schrieb er an Fabry und Berlaymont, am 15. nach Lüttich, am 16. an Fabry, Lebrun und Chestret, der seine Schrift zur Munizipalität an Dohm geschickt hatte. Am 18. erreichten Dohm "traurige Briefe von Fabry", "der den Verläumdungen fast erliegt" (vgl. die entsprechenden Einträge im Tagebuch). 735 Das Wort ,,mambour" stammt aus dem Wallonischen und ist ein Synonym für "protecteur". Nach Vorgabe des Paix de Fexhe war der Bischof an die Sentenzen des Tribunal des Vingt-deux gebunden. Verstieß er gegen diese Regel, sollten die Stände das Recht zum Widerstand haben. Da dann eine Sedisvakanz eintrat, sollten die Stände in der weiteren Folge mit einfacher Mehrheit einen Mambour bestimmen können, der die exekutive Gewalt vollzog (vgl. dazu Henaux, Constitutiondu Pays de Liege, S.I00-101). Zu Rohan vgl. Kapitel B.lI.1. in dieser Arbeit. 736 Wahrscheinlich hatte Rohan sich gegen Geloes durchgesetzt, der auch als Kandidat im Gespräch war (Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, S. 370). Schon im Juli hatte es 730 731
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Rohans war im Geheimen vorbereitet und mit ihm abgesprochen worden, wie aus Briefen zwischen diesem, Fabry und Chestret hervorgeht. Rohan zeigte sich zögerlich, betonte aber zugleich, wie patriotisch gesinnt und um das Wohl des Landes besorgt er sei. ,)e ne scais trop", schrieb er am 24. August an Chestret, mit diesem ein geheimes Treffen verabredend, en verite, Monsieur le Colonel, ce qui se passe dans les tetes de ce pais-ci: ils veulent, Hs ne veulent point; Hs cabalent et disent que se sont les autres; ils sont fliches des marques d'amitie qu'un grand nombre de particuliers temoignent a une personne que ces messieurs disent aimer, meme tout haut; ils font des crimes des moindres choses, crient a l'insurrection des que l'on n'a point eu auparavant leur sanction, quoique cependant une musique et quelques bouteilIes de vin bues dans la simple gaite patriotique, ne ressemblent point aune revolution. 737
Rohan war Franzose, was als deutliches Signal der Lütticher Stände an das Reich gewertet werden darf. Hertzberg hatte vermutet, daß Rohan sich an Preußen binden könne, wie Bassenge im April an Fabry über ein Gespräch mit diesem und dem König berichtete - Bassenge war, zu seinem Kummer, allein in Berlin zurückgeblieben, nachdem die anderen Lütticher Gesandten ihren Aufenthalt in Berlin im Februar beendet hatten. 738 Friedrich Wilhelm 11. habe sich danach erkundigt, wie man in Lüttich zu Rohan stehe. Bassenge habe geantwortet, man kenne ihn dort zu wenig, er sei selten in Lüttich, seine Reputation sei allerdings nicht schlecht. Gegenüber Fabry nahm Bassenge diese Ausführungen zum Anlaß für ein Plädoyer für die Republik: ces princes sont la boite de Pandore pour notre petit pays, et une republique, qui vous serait attachee par interet et par reconnaissance, vaudrait mieux que tout cela ... 739
Dohm wiederum hatte an seinen Hof nicht berichtet, daß während und kurz nach seiner Lüttichreise im August dort der Wunsch an ihn herangetragen worden war, neuer ,,mambour" zu werden. 74O In Lüttich mutmaßte der Domherr Jean-Nicolas Ghisels (1748-1826) 741 unterdessen in einem Brief an seinen Kollegen Waseige, daß Dohm die Wahl Rohans forciert Überlegungen gegeben, Rohan dieses Amt zu übertragen. Der Kapitular Berlaymont schrieb am 10. Juli an Chestret, daß die Gemeinde St. Servais Rohan zum Fürstbischof bestimmt habe. Berlaymont wies darauf hin, daß es unumstößliches Recht des Kapitels sei, den Fürstbischof zu wählen (Papiers de Chestret, 2, S. 168-170). 737 Rohan an Chestret, 24. August 1790, Papiers de Chestret, 2, S.195-197. 738 Vgl. Kapitel B. VII. 1. in dieser Arbeit. 739 Bassenge an Fabry, 6. April 1790. Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1051, Brief 576. 740 Vgl. Gronau, Dohm, S. 195. Gronau berichtet außerdem, daß die Brabanter General Schlieffen die Führung angeboten hätten. 741 Ghisels verwaltete das Synodalarchiv, das er in seine Emigration mitnahm. Er starb in Münster. 1841 wurde das Archiv nach Belgien zurückgebracht und zusammen mit den persönlichen Papieren des Verstorbenen den Archives de l'Etat in Lüttich übergeben. Dort sind die Unterlagen als Fonds Ghisels verzeichnet (vgl. Lettres et Memoires, S.298, Anm.2).
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habe. 742 Dagegen äußerte Fabry Unsicherheit, mit der Wahl des Franzosen die Preußen brüskiert zu haben. 743 Tatsächlich hatte Dohm sich kritisch zur Wahl Rohans gestellt. Am 7. September hatte er an Fabry geschrieben: ,,Je ne saurais rien dire sur la question s'il est convenable, dans un moment que celui-ci, de s'occuper de l'election d'un regent."744 Auch der junge Hofmann trug aus Wetzlar Donceel sein Unverständnis über diese Entscheidung in Lüttich vor: "Quelle idee de choisir un mambour dans le moment actuel! Cela embrouillera de plus en plus les affaires!" Wenn Rohan schon Regent sein wolle, solle man ihn wenigstens zur vollkommenen Untätigkeit verpflichten. "Comment a-t-on pu faire cette demarche sans avoir averti la Prusse?" 745 In seinem Bericht nach Berlin vom 23. September sah Dohm deutlich das Problem, daß Rohan die Rückkehr des Bischofs aus eigenem Interesse zu verhindern versuchen werde. Ein notwendiger Vergleich zwischen dem Bischof und Rohan dürfe niemals ohne preußische Beteiligung geschehen. Im Moment allerdings hänge es vom preußischen Hof ab, sich dem allgemeinen Gerücht, Preußen habe die Einsetzung Rohans betrieben, zu widersetzen und zu äußern, der preußische Hof sei von diesem Schritt vorher nicht unterrichtet gewesen. 746 Nach den Berichten Ghisels wurde Rohan bei seiner feierlichen Einsetzung nicht nur von Mitgliedern der Stände, sondern auch vom preußischen Residenten Senfft begleitet. 747 Die von Lüttich nach Frankfurt entsandten Ständevertreter (Bürgermeister Donceel, die Kapitulare Frederic Fran~ois de Greiffenclau und Charles de Geloes, JeanLouis de Berlaymont als Vertreter des Etat-Noble, Jean-Nicolas Chestret, Jean-Nicolas Bassenge und der Anwalt P. J. A. Lesoinne für den Tiers-Etat)748 wurden von Dohm in Aachen am 22. September empfangen. Er notierte zu dieser Begegnung, wie er alle zur Einigkeit ermahnt hätte. Beeindruckt war er von dem bei allen "unbegränzt[en]" Vertrauen zu ihm. "Doncel kam aber wider, redte mir in größtem Ver142 Brief Ghisels an Waseiges (Fonds Ghisels, farde 415). Zitiert nach Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, S.371 ("L'on dit assez haut a Liege que c'est M. Dohm qui a presse cette affaire."). 143 Brief Hyacinthe Fabrys an seinen Bruder Albert vom 4. September 1790 (Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1051, Brief 685). Schon am 11. Juli äußerte sich Fabry gegenüber Chestret, daß er zwar Rohan als "Mambour" wünsche, zugleich aber fürchte, daß die Lütticher der Abenteuer müde seien. Ein Gespräch mit dem Prinzen war für den Nachmittag geplant. ,,Je vais encore veiller ala tranquillire publique; on dit que c 'est pour six heures, la visite au prince. Je ne m'y opposerai pas; mais je crains cette scene." (Papiers de Chestret, 2, S.171-172). 144 Dohm an Fabry, 7. September 1790. Bibliotheque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1051, Brief 675. 145 Hofmann an Donceel, 12. September 1790. Papiers de Chestret, 2, S. 200-201. 146 Bericht Dohms vom 23. September 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166 E, BI. 118r.-120v. 141 Borgnet, Histoire de 1a Revolution Liegeoise, 1, S. 372. Auch der Anwalt Guillaume de Rome schrieb am 18. September 1790 an Jean Philippe de Limbourg von der Ernennung Rohans zum Regenten: "le ministre de Prusse lui a donne une fete a Chaudfontaine, alaquelle ont ete invites les principaux seigneurs". (Lettres et Memoires, S. 276-278, hier: S.277). 148 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 21. September 1790.
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trauen & nahm mit wahrer Empfindlichkeit und den Thränen in den Augen Abschied." 749 Über diese Besprechung verfaßte Dohm am nächsten Tag einen Bericht nach Berlin: Nachdem er erfahren habe, daß als Ergebnis der ersten Konferenz zwischen Wahlbotschaftern und Kurhöfen 750 die Entscheidung für die Einladung Lütticher Deputierter nach Frankfurt gefallen sei, habe er alles daran gesetzt, "um die Ernennung, Instruierung und wirkliche Abreise dieser Deputierten zu beschleunigen". Die in Aachen bei ihm erschienenen Deputierten hätten ihre Instruktionen vorgelegt, deren Inhalt zum einen die Forderung nach Waffenstillstand und Rückzug der Kreistruppen sowie Versicherung der Abhilfe ihrer Beschwerden durch eine gründliche Konstitutionsverbesserung, zum anderen die Unmöglichkeit der Rückkehr des Bischofs und der ihrer Freiheit nachteiligen Unterwerfung unter das Reich sei. 751 Dohm habe dagegen klar gemacht, daß die Unterwerfung unter das Reich sowie die Rückkehr des Bischofs unbedingt zu erfüllende Bedingungen einer Verbesserung seien, als Gegenleistung aber den Aufständischen Amnestie versichert würde. Obwohl die Deputierten die Rückkehr des Bischofs als Ruin des Landes verstünden, hätte Dohm mit seinen Vorstellungen "sehr starken Eindruck" gemacht, die Deputierten seien auf Frankfurt gut vorbereitet. Was seine eigene Position für die Zukunft betraf, gab Dohm sich selbstbewußt: Wenn nur die gerechten Beschwerden der Stände diesen zugesichert würde, sehe er sich im Stande, "alle übrigen Schwürigkeiten zu überwinden" und dem Bischof und seiner Partei wieder zu einem ruhigen Besitz seiner Gerechtsame zu verhelfen. Da die Kürze der Zeit es den Wahlbotschaftern unmöglich mache, sich in Details einzuarbeiten, so bleibe seines Erachtens nichts anderes übrig, als die Frankfurter Verhandlung dahin gehend zu vereinfachen, daß neben Amnestie und Rückkehr des Bischofs unabweichliche Bedingung sein müsse, daß eine "gerechte, proportionirte, und unabhängige Repräsentation der Nation auf dem Landtage" derart eingerichtet würde, daß "die gesetzgebende Macht künftig bey dem Bischof und den das Volk repräsentirenden und von diesem ernannten Deputirten, die execution aber allein bey dem Bischof beruhe". 752 Die Verbesserung der Verfassung sei eine viel Zeit und Arbeit kostende Sache, die nur im Lande selbst zwischen Bischof und Ständevertretern unter Vermittlung des gesamten Kreisdirektoriums zustande kommen könne. Um den Kurfürsten von Mainz zu be749 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 22. September 1790. Donceel war für Dohm ein wichtiger Ansprechpartner. In einem persönlichen Brief hatte er diesem am 9. August zur Wahl zum Bürgermeister gratuliert: ,,J' ai eu deja I'honneur de Vous dire combien de part j'y prends tant pour Vous que pour la Ville de Liege, et je me flatte que Vous serez convaincu de la sincerite des sentiments, que Votre fa~on de penser et d' agir m' a inspiree depuis le moment que j' ai eu le plaisir d'en etre ternoin." (Bibliotheque Generale, Papiers de Donceel, Mss. 1059, Brief 53). 750 Diese Verhandlungen fanden ab dem 12. September statt. Über die Verhandlungen zwischen den Kurhöfen aus Mainz, Bonn, Trier, München, Hannover und Berlin vgl.: Hansen, Quellen, 1, S.697, Anm.4. 751 Zum Inhalt der geheimen Instruktionen der Lütticher Ständevertreter vgl. auch Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S.70; Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, S.388. 752 Die hier zitierte Passage ist in Dohms Bericht unterstrichen.
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ruhigen, könnte als "Mediateur" auch noch der Gesandte des Mainzer Hofes hinzugezogen werden. 753 Und auf sich selbst bezogen ergänzte Dohrn: Bey dem Vertrauen, das die Lütticher zu mir haben, bin ich überzeugt, daß ich, jene Abhe1fung der Hauptbeschwerde vorausgesetzt, in Absicht der landesherrlichen Gerechtsame des Bischofs, so wie auch der Rechte des Capitels mehr mit guter Art erhalten werde, als man nach den itzigen Volks gesinnungen selbst erwarten kann. 754
Die Lütticher Delegation traf am 25. September in Frankfurt ein; am 26. und 27. September fanden Treffen mit den preußischen Wahlbotschaftern Sacken, Goertz und Stein statt. Dabei wurde den Lütticher Vertretern lediglich zugesagt, daß Preußen sich für den Verzicht auf die Abfassung eines Unterwerfungsschreibens an den Bischof einsetzen werde. Ansonsten bestanden die preußischen Gesandten auf der Umsetzung der gemeinsam mit den anderen Kurhöfen erarbeiteten Punkte, also der Unterzeichnung von Unterwerfungsschreiben an das Kurfürstenkollegium und das Reichskammergericht. Beim zweiten Treffen war nur Sacken von preußischer Seite anwesend, der lediglich die preußischen Vorgaben überreichte, Verhandlungen im eigentlichen Sinne fanden nicht statt. 755 Dohrn hatte nach wie vor große Sorge, ob der preußische Hof überhaupt an ihm als Direktorialvertreter für die Lütticher Frage festhalten würde. Am 12. September hatte er in seinem Tagebuch vermerkt, wie sehr ihn die Nachrichten aus Berlin beruhigten. Er sehe nun doch, "daß man kein [sic] Gedanken hat mich aus der Sache zu halten". Die vermeintliche Ruhe wich schnell neuer Unsicherheit in dieser Frage. Am 21. September trug er in sein Tagebuch ein, daß er wieder an Graf Goertz geschrieben habe, "dem ich dringend empfehlen wollte, dafür zu sorgen, daß mir die mir gebührende Beendigung der Sache, die niemand auch so wie ich machen kann, nicht entrissen würde." Grund für diese Beunruhigung war die Tatsache, daß Dohrn mitgeteilt worden war, "es werde Stein die Sache übertragen werden".756 Offenkun753 Der Bitte Mainz' um preußische Unterstützung war es zu verdanken, daß Preußen überhaupt wieder an der Beilegung des Lütticher Konflikts teilnahm (Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 67; Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, S. 383-385). 754 Bericht Dohrns vom 23. September 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, B1.118 r.-120v. Tatsächlich schätzten die Lütticher Vertreter Dohrn sehr. Am 7. Oktober 1790 berichtete Bassenge Donceel von einem Treffen mit Dohrn: Dohm sei "le seul illustre ami de la justice" (Bibliotheque Generale, Papiers de Donceel, Mss. 1059, Brief 78). 755 Vg1. dazu auch Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, S. 393. Kurzer Bericht Chestrets an die Stände vom 28. September 1790, Papiers de Chestret, 2, S. 207-208. Die Protokolle der Gespräche zu Frankfurt mit den Deputierten der Lütticher Stände vom 26. und 27. September befinden sich im Preußischen Geheimen Staatsarchiv Rep.92, Dohrn 111, 21, BI. 1 r.-4v. 756 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 21. September 1790. Aus einem Schreiben Johannes von Müllers aus Mainz an Hertzberg vom 5. September 1790 geht hervor, daß Müller und Goertz gemeinsam eindringlich bitten, Hertzberg möge vom Stein damit beauftragen, "de comparer le projet en question avec les instructions, dont lui et nous sommes munis relativement acet objet; d'examiner, combien ceux-ci different des principes, que le Roi a adopte; de s'employer efficacement a faire agreer l'esprit d'equite et de moderation." Pr.G.St.A. Rep.92, Hertzberg 41, B1.100r.und v.
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dig hatte auch die Gräfin Horion, die sich zu diesem Zeitpunkt wieder in Aachen aufhielt, Dohm schlechte Nachrichten überbracht. Sie habe viel von den inneren Gärungen in Lüttich berichtet, schreibt Dohm am 23. September in sein Tagebuch, und von den wenig guten Gesinnungen. 757 Schließlich wandte Dohm sich an Hertzberg, mit der Anfrage, ob er auch weiterhin die Lütticher Angelegenheit für den preußischen Hof zu leiten habe: "Früh auf, Schreiben an Hertzberg über den Gedanken, daß Stein gebraucht werden sollte. Der Brief wurde mir sauer, ich auch innerlich sehr unruhig wegen dieses Puncts & dessen, was mir die Horion gesagt."758 Vorläufige Beruhigung in dieser Hinsicht brachte erst Hertzbergs Antwort, die bei Dohm am 26. September einging: "Brief von Hertzberg, daß ich nichts zu erwarten."759 Während Dohm sich noch am 23. September mit Möglichkeiten eines Vergleichs zwischen dem Lütticher Bischof und den Ständen an den preußischen König wandte, waren in Frankfurt die entsprechenden Punkte längst am 12. September entschieden. 760 Erst am 30. September erfuhr Dohm davon: Im Aachener Rathaus erhielt er während einer Konferenz eine Estafette, die er zunächst nur flüchtig durchlesen konnte. Erst zu Hause beschäftigte er sich noch einmal in Ruhe mit dem Papier und mußte feststellen, daß bei den Frankfurter Punkten "die Lütticher zu betrügen offenbar Absicht war". Lesoinne und Bassenge seien nach Lüttich zurückgeschickt worden, hieß es in der Mitteilung, um dort den Inhalt der Frankfurter Punkte zu verkünden; die Wahlbotschafter baten Dohm, die beiden Ständevertreter dorthin zu begleiten. Dohm aber war fest entschlossen, zu diesem Zeitpunkt selbst nicht nach Lüttich zu gehen, vielmehr Fabry und Donceel nach Aachen zu bitten, weil er glaubte vorauszusehen, daß die Lütticher die Frankfurter Punkte "unmöglich [... ] annehmen konnten". Schließlich trat Dohm deutlicher als zuvor ganz auf die Seite der Revolutionäre. Er wollte Bassenge und Fabry raten, gegen die Frankfurter Punkte "Vorstellung in Berlin zu thun".761 Tatsächlich hatten die Lütticher Ständevertreter das Papier in Frankfurt mit der Begründung, sie seien nicht autorisiert, dies ohne Zustimmung der Stände zu tun, nicht unterzeichnet. Die ihnen vorgelegten Frankfurter Punkte enthielten die Anerkennung der Zugehörigkeit zum Reich, die Unterwerfung unter die kammergerichtlichen Mandate und unter die fürstbischöfliche Autorität sowie die Herstellung des Status quo ante und die Übernahme der verursachten Exekutionskosten. Die Lütticher Stände hatten danach an die Kurhöfe, den Fürstbischof und das Reichskammergericht genau vorgeschriebene Bittschriften zu formulieren, in denen sie die Vermittlung der Kurhöfe anrufen sollten. Dagegen wurde nur sehr vage die Abschaffung der Beschwerdegründe und der Einsatz der Kurhöfe beim Fürstbischof für eine Generalamnestie zugesagt. Nach Unterwerfung unter den Fürstbischof und Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 23. September 1790. Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 24. September 1790. 759 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 29. September 1790. 760 Hansen, Quellen, 1, S. 697, Anm.4. 761 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 30. September 1790. 757
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tatsächlichem Straferlaß für die Revolutionäre sollte dann die Exekution suspendiert werden. Die Überwachung der anschließenden Entwaffnung des Lütticher Landes sollten die Kurhöfe übernehmen und dann überprüfen, ob neue Magistrate zu wählen oder eine Form einer interimistischen Regierung einzusetzen seien. Danach sollte der Bischof zurückkehren und an der gemeinsamen Neugestaltung der Verfassung teilnehmen. Ein aus 1200 Mann bestehendes Truppenkontingent aus Preußen, Kölnern und Pfälzern sollte schließlich für die Aufrechterhaltung der Ordnung sorgen. 762 Die preußische Gesandtschaft hatte ihre vollkommene Zustimmung und Beteiligung an der Umsetzung der Punkte am Ende der Konferenz zugesagt. 763 Wieder zeigte sich, wie sehr mittlerweile die beteiligten Reichsstände von ihrem eigentlichen, durch das Reichskammergericht zugewiesenen Auftrag abwichen. Vor der durch Anlaß des Frankfurter Wahlkongresses gegebenen Möglichkeit gemeinsamer Gespräche und Verhandlungen traten die Mandate des Gerichts in den Hintergrund und waren für die beauftragten Höfe nicht mehr als Anstoß zur Entwicklung eigner Konfliktregelungsmodelle. Gerade das war der Vorwurf, den Preußen aus dem Reich zu hören bekommen hatte, der letztlich wichtiger Anlaß für die Entstehung der Dohmschen Verteidigungsschrift gewesen war. Daß nunmehr alle Beteiligten das preußische Modell - mit unterschiedlicher Zielsetzung und Motivation - durchführten, zeigte deutlich, daß die in Wetzlar gefällten juristischen Entscheidungen nunmehr fast im gesamten Reich politisch beantwortet wurden, daß diese im vorliegenden Konfliktfall für die Beteiligten nicht mehr als unabdingbare Richtschnur ihres Handeins verstanden wurden. 764 Am 1. Oktober traf Bassenge in Aachen ein und ,,redte voll Indignation über die Puncte, mit Thränen in den Augen". Außerdem erklärte er Dohm "daß Stein ihnen selbst gesagt, ich [Dohm] habe nichts mehr mit der Sache zu thun, er sey datzu ernannt & wolle sie in 6 Wochen schon endigen". Dohm war konsterniert, daß man ihm diese Nachricht vorenthalten hatte. 765 In Lüttich begann man, sich neu zu orientieren: Chestret meldete an Rohan, er solle sich bemühen, Kontakt zu vom Stein aufzunehmen, da dieser nun die Lütticher Angelegenheiten verhandle. Er selbst versuche, diesem zu schmeicheln, und bitte, Dohm und Hofmann zu informieren, sowie ihn, Chestret, zu autorisieren, nun mit vom Stein offen zu sprechen. 766 Der schwierigen personellen Situation war sich Chestret durchaus bewußt. Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 68-69. Daris, Histoire du Diocese, 2, S. 255 f. 164 Aretin, Heiliges Römisches Reich, I, S.229, geht noch weiter, wenn er sagt: "Gerade in der Lütticher Affäre hätte die Phrase von der Verteidigung der Reichsverfassung zu einer Beteiligung aller Stände führen müssen, wie sie durch die vom Reichskammergericht verfügte Heranziehung des Kur- und des Oberrheinischen, des Fränkischen und des Schwäbischen Kreises legitimiert war. Die daraus erwachsende Chance eines Zusammenschlusses der Reichsstände ging [... ] unwiederbringlich vorbei." 165 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 1. Oktober 1790. 166 Chestret an Rohan, 3. Oktober 1790, Papiers de Chestret, 2, S.211-212. 162
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V. A. aura remarque qu'eloigner M. de Dohm de nos affaires et lui substituer M. de Stein, c'est annoncer un systeme different et se menager des ressources pour ne pas tomber dans des contradictions personnelles. 767
Bassenge und Lesoinne besuchten DohIn erneut am 6. Oktober. Sie teilten ihIn mit, daß alle 60 Lütticher Sektionen sich für Dohm als "Commissarius" ausgesprochen hatten. 768 DohIn seinerseits verbreitete Optimismus. Er sei "plein d' espoir pour la suite et enchante de ce qui s'est passe a Liege", schrieb Bassenge in seinem Bericht über das Treffen an Donceel. 769 Die am 7. Oktober eintreffende Mitteilung von Hertzberg, der König habe die von den Kurhöfen verlangte Ernennung Steins abgelehnt, beruhigte DohIn wieder. 770 Zwischenzeitlich war nun auch noch die Kommunikation zwischen DohIn und dem in Lüttich sich aufhaltenden Senfft gestört worden. Dohm hatte die Mitteilung bekommen, daß Senffts letzte Depechen alle erbrochen seien. "Ueberlegens ob wir nun unsre so wichtige Briefe nach Lemgo auf diesem Wege senden sollen? Beschlossen nein." Mit der Gräfin Horion stand DohIn ebenfalls in dauernder Korrespondenz. Diese wurde plötzlich dadurch erschwert, daß sie in Chiffren schrieb, "die nicht zu lesen".77I Neben die sich zuspitzende Einschränkung der Verhandlungsspielräume durch Hinzuziehung fast des gesamten Reichs, d. h. auch die quasi gerichtlich verordnete öffentliche Rezeption des Verhaltens aller Involvierten, und alle personellen Querelen innerhalb der preußischen Diplomatie traten nun also noch unglückliche Zwischenfalle der beschriebenen Art, die eine reibungslose Kommunikation als Grundlage schneller und klarer Entscheidungen erschwerten. DohIn riet Bassenge, den Lütticher Magistrat Jean-Benoit Reynier, der sich in Paris aufhielt, zur Rückkehr aufzufordern und statt dessen eine Delegation, der vor allem ein Lütticher Bürgermeister angehören sollte, nach Berlin zu schicken. Das sei vor allem deswegen nötig, weil das in Aachen weilende Kapitel in Henri du Val-Pyrau 772 einen eigenen Vertreter gegenüber dem preußischen Hof habe. 773 In einem Be767 Chestret an Rohan, um den 4. Oktober 1790, Papiers de Chestret, 2, S.212,Anm.l. Schon wesentlich früher war die problematische Konkurrenzsituation zwischen Dohm und Stein Thema auch in der Korrespondenz anderer beteiligter Kräfte des Reiches. Der österreichische Vertreter in Koblenz Graf Metternich-Winneburg beispielsweise schrieb am 8. Mai an Kaunitz, Stein habe seine Abberufung zur Armee verlangt, die bisherige gute Stimmung gegen Preußen, so habe er geäußert, werde bei den jetzigen Plänen wohl verschwinden. Hofmann in Wetzlar habe Stein geschrieben, er "hätte gewunschen, daß Herr v. Dohm entweder bei der Goldgrube zu Aachen oder in dem Archiv zu Berlin geblieben wäre, anstatt, daß ihn nun der kölnische Hof an seinen eignen Spieß stecke und in seinem Fette trume" (Hansen, Quellen, 1, S. 627). 768 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 6. Oktober 1790. 769 Bassenge an Donceel, 7. Oktober 1790, Bibliotheque Generale, Papiers de Donceel, Mss. 1059, Brief 78. 770 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 7. Oktober 1790. 771 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 5. Oktober 1790. 772 Henri-Fran~ois Pirard war 1737 in Verviers geboren. Er war dem Karmeliterorden beigetreten, verließ diesen aber nach Zerwürfnissen und ging nach Berlin, wo er für einige Zeit Vorleser Friedrichs 11. wurde. 1789 ließ er sich in Heusy nieder, mittlerweile unter dem ,neuen' Namen du Val-Pyrau. Die Motivation für sein Engagement in der Frankfurter Konferenz, bei
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richt nach Berlin äußert sich Dohm auf dortige Anfrage hin ausführlicher und sehr kritisch zu du Val-Pyrau. Dieser biete ihm ständig seine Dienste in der Lütticher und Niederländischen Frage an und sehe sich als Vertreter der nach Aachen geflüchteten Vertreter des Lütticher Domkapitels, das ihn als seinen Vertreter nach Frankfurt entsandt hatte. Seine Rolle sehe er darin, diese Kapitulare davon zu überzeugen, die preußischen Vergleichsvorschläge anzunehmen. Allerdings fordert Dohm zu größter Vorsicht auf, nichts von dem, was du Val-Pyrau zu tun versprochen habe, sei geschehen. Vielmehr äußerten die Kapitulare jetzt, wie sie einsähen, daß sie Dohm bisher verkannt hätten, und setzten jetzt alles Vertrauen auf ihn. Das sei wohl Folge seiner Lüttichreise, "bey der man die Aufrichtigkeit und Unpartheilichkeit meiner Absichten nicht verkennen können."774 In einem langen Schreiben wandte sich Dohm am 9. Oktober an Fabry, in dem er zur Eile drängte. Nun, wo auf den Tag der neue Kaiser gekrönt würde und die Versammlung der Wahlbotschafter sich auflöse, dürfe man keine Zeit mehr verlieren. Alle Kurhöfe stimmten den grundsätzlichen Punkten zu, die gerechten Beschwerden der Lütticher Stände abzuschaffen und eine gewählte Volksrepräsentation ohne Beeinflussung durch den Bischof einzurichten. 775 Alle anderen Punkte seien doch, wie Fabry dies selbst erkannt habe, vor allem Formalitäten, die nicht in einem Moment, wo es um das Wohl des Landes ginge, zum Problem werden dürften. Er selbst, Dohm, wolle sich am nächsten Tag nach Lüttich begeben, um den Ständen dort die Notwendigkeit der Akzeptanz der Frankfurter Punkte vorzutragen. Dohm bat Fabry, alles Entsprechende vorzubereiten, damit es zu einer schnellen Mitteilung an die Botschafter nach Frankfurt kommen könne. 776 Der letzten Reise Dohms nach Lüttich waren, wie gezeigt, angespannte Beratungen und Kritik aus den Reihen der preußischen Regierung, der preußischen und Dider er sich als Vennittler zwischen den Vertretern Lüttichs und den preußischen Wahlbotschaftern verstand, ist weitgehend unklar (v gl. Lettres et Memoires, S.279, Anm.l; ausführlicher: Buchet, Un ambitieux et intrigant Vervietois I' Abbe du Val Pyrau). Dohm kannte du Val-Pyrau seit 1781, wie aus einem Brief an Johannes von Müller hervorgeht (30. April 1782, Briefe an Johannes von Müller, 2, S.279). 773 Bassenges an Henkart, 7. Oktober 1790. Zitiert nach Borgnet, Histoire de le Revolution Liegeoise, I, S.437. 774 Bericht Dohms vom 31. Oktober 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, BI. 123 r.-124 v. Briefe du Val-Pyraus aus Frankfurt an Sacken und die Kapitulare in Aachen vom September und Oktober 1790 finden sich in: Lettres et Memoires, S. 278-288. Darin ist das große Selbstbewußtsein du Val-Pyraus immer wieder ablesbar. In einem Brief vom 15. Oktoberrechnet er es sich als Verdienst an, daß die ..deputes patriotes" die Frankfurter Punkte unterzeichnet hatten. Das sei nicht ohne Mühe geschehen, und er könne versichern, wenn er nicht da gewesen sei ..pour solliciter et detenniner nos ministres a leur parler hors des dents, la chose n'en seroit pas la" (S.288). 775 Am 7. Oktober meldete Hofmann aus Frankfurt, daß er sicher sei, daß auf der am nächsten Tag stattfindenden Konferenz Kurköln und Kurpfalz ihre Zustimmung zur Einrichtung einer ordentlichen Volksrepräsentation ohne Einfluß des Bischofs geben würden, .. worüber unser Hof die Garantie übernimmt. Alsdann ist dem Hauptstein des Anstosses geholfen u. so kann Alles gut gehen". Bericht Hofmanns vom 7. Oktober 1790, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm 1139, B1.4r. 776 Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, I, S.405-407.
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rektorial-Kollegen und Dohms eigene Zweifel vorausgegangen. Unter dem Eindruck des Vorgehens vom Steins gegen ihn und der unbestimmten Nachrichten, die er diesbezüglich erhalten hatte, vermerkte Dohm unter dem 3. Oktober 1790 in seinem Tagebuch sogar, daß von dem braunschweigischen Pädagogikprofessor Johannes Stuve (1752-1793) ein Vorschlag wegen einer MinistersteIle in Braunschweig eingegangen sei und er viel "Ueberlegens" deswegen angestellt habe. 777 "Die Unruhe des Geistes ist groß, wenn man Entschlüsse in so wichtigen Sachen fassen muß", notierte er einen Tag später nach Gesprächen mit Fabry und Donceel in Aachen, deren Inhalt die Frankfurter Beratungen waren. 778 Nach einiger Überlegung entschloß sich Dohm zur Reise nach Lüttich. 779 Seine Begrüßung dort war überschwenglich: Eine gute halbe Stunde vor den Thoren von Lüttich ein großer Haufen von der Garde patriotique, die mich erwartete, & sobald sie mich erkannten mit großem Vivat empfingen. Mehrere stiegen hinten auf den Wagen, wovon mein Bitten sie nicht abbringen konnte. Bis zur Stadt beständige Haufen von Soldaten & Menschen, & so zog ich unter einem ungeheuren Schreien um 4 Uhr ins Thor wo die ganze Wache paradirte. In der That wurde die Begleitung & Geschrey noch ärger, alle Thüren & Fenster voll, die wohlgekleidetsten Männer & Frauens riefen mir mit frohstem Händeklatschen Vivat zu, die gemeinen Weiber zum Theil mit gräßlichen Gesichtern tanzten unaufhörlich neben dem Wagen und wollten meine Hand haben. Statt in das Wirthshaus zu fahren, folgte der PostilIon dem Schwarm & fuhr über den mit Menschen ganz vollgedrängten Markt an das Rathhaus, wo abermals die Wache ins Gewehr trath, die Trommeln geriihrt & die grosse Fahne niedergeschlagen wurde. Ein Officier kam an den Wagen, dem ich sagte, daß ich unmöglich hier aussteigen könne, sondern nach dem Wirthshause wolle. Nun wider über den Markt & endlich unter entsetzlichem Geschrey im Cour de Londres abgestiegen.78O
Sehr schnell trafen dann eine Deputation der Jointe des Etats und der Prinz Rohan ein. Gemeinsam mit Senfft diskutierte Dohm mit diesen die Frankfurter Punkte. Nach langen Gesprächen, die unterbrochen wurden durch Anfragen von Levoz, Bailly und Henkart, die Dohm auf dem Rathaus zu sprechen wünschten, gelang man schließlich gegen zehn Uhr abends zu einem Ergebnis, das noch in der Nacht nach Frankfurt gesandt werden sollte; "ich war höflich, vergnügt, meinen Zweck erreicht zu haben, da nun Herstellung der alten Constitution & von der andren Seite Rückkehr des Bischoffs nebst allen Uebrigen bewilligt war", notierte Dohm abschließend seine Stimmung. 781 Schon am nächsten Tag wurde seine Hoffnung wieder getrübt. Donceel brachte Einwände gegen die Ergebnisse vom Vortag vor und erklärte seine Vorstellung von Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 3. Oktober 1790. Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 4. Oktober 1790. 779 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 9. Oktober 1790. 780 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 10. Oktober 1790. 781 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 10. Oktober 1790. Borgnet, Histoire de le Revolution Liegeoise, 1, S.411, verweist auf eine Schrift mit dem Titel ,,Projet d'arrangement qui a ete propose par Son Excellence Mr. Oe Oohm, ministre de Sa Majeste prussienne". 777
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der Notwendigkeit der Einberufung des Conseil de la ville oder sogar der sogenannten 60 Sektionen. Auch Henkart und Lebrun sprachen sich nun gegen die Annahme der Frankfurter Punkte aus und hielten eine Rückkehr des Bischofs für unmöglich. Schließlich gesellte sich auch Fabry zu den Diskutierenden. Irritiert stellte Dohm fest: "Fabry nahm sich ganz wunderlich, redte von nichts als ecrasiren lassen."782 Unterdeß sammiete [sic] sich eine [... ] Menge Volks, auch bewaffnet, & Soldaten, welche ordentlich aufmarschirten. Das Volk war durch das Gerücht, ich sey mit denselben einmüthig verworffnen Frankfurter Puncten gekommen, verlange die unbedingte Rückkehr des Fürsten, in die größte Bewegung gekommen & erklärte sich laut, daß dies nicht eingegangen werden könnte, mit Drohungen gegen die Stände, wenn sie es wollten. Die Capitains der Bürgerschafft kamen um dem Regenten anzukündigen, das Volk wolle, er solle vom fürst!. Schloß Besitz nehmen um zu zeigen, daß es nie Honsbroeck wider haben sollte. Der Regent gieng mehrmalen heraus, sagte, er könne das Volk nicht beruhigen, die Bürgermeister auch, Alles war äusserst verlegen, endlich sagte ich, man möchte einen der BürgerOfficiers hereinlassen, den ich sprechen wollte, es erschien der junge Bassenge dem ich mit Nachdruck diese Excesse des Volks vorhielt, welches die freyen Berathschlagungen der Stände mit mir störte & den Regenten zwingen wolle, wider seinen Willen zu einer so ungelegenen Zeit das Schloß zu beziehn, ich könne derg!. unter meinen Augen nicht dulden & wenn das Volk nicht sofort auseinandergehe würde ich die Stadt verlassen & alle Unterhandlung abbrechen. 783
Eine halbstündige Rede Dohms an Vertreter aller drei Stände folgte, in der er mit Nachdruck darauf hinwies, daß nur die bedingungslose Annahme der Frankfurter Punkte eine Rettung für das Lütticher Land bedeuten würde, jedes weitere Zögern die Sache verloren sein ließe; "ich sagte ihnen die stärksten Wahrheiten". Da der größte Teil der Jointe am Abend nicht mehr zur Debatte zur Verfügung stand, wurde die Entscheidung der Stände, sehr zum Mißfallen Dohms, auf den nächsten Morgen verschoben. 784 Auch der 12. Oktober brachte keine angenehmen Nachrichten. Die Gräfin Horion, die Dohm zum Gespräch aufsuchte, berichtete ihm "horreurs" von Fabry. Am Mittag erfuhr Dohm beim abschließenden Besuch des Regenten Rohan, daß "über 1000 Menschen in das Zimmer der Assemblee des Etats gedrungen & mit [... ] ecrasiren dahin sie gezwungen hätte, den verabredeten Receß nicht zu unterschreiben". Rohan hatte in einem Flugblatt erklärt, daß er "unpäßlich" sei, ,,heute sein Haus nicht verlassen könne, & um das erste Recht des Bürgers, Freyheit bäte". 785 Damit waren die Verhandlungsergebnisse des ersten Tages nahezu nichtig. 782 Möglicher Grund für Fabrys Verstimmungen könnten die Auseinandersetzungen der Revolutionäre untereinander gewesen sein. Vor allem Fabry und Chestret hatten sich zerstritten. Dohm berichtete am 8. November 1790 nach Berlin, der Sohn des Bürgermeisters Fabry sei als Deputierter mit nach Berlin geschickt worden, "welches ohne Zweifel eine Folge der zwischen dem [ ... ] Fabry und Chestret bestehenden Eifersucht und verschiedenen Gesinnungen ist." (Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, B!.127r.-129v. [Postscripturn BI. 129 v.]). 783 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 11 . Oktober 1790. 784 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 11 . Oktober 1790. 785 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 12. Oktober 1790. Das Wort ,,Freyheit" ist unterstrichen. Der Eintrag vom 13. Oktober fehlt, die folgenden Einträge vom 14. - 16. Oktober sind nicht
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Hertzberg kommentierte die Bemühungen Dohms kühl. Zwar sehe man, "daß Ihr Euch [... ] viel Mühe gegeben", im Ergebnis aber stellte er fest: "Es ist also Eure ganze Bemühung, auch in Ansehung der Stände vergeblich gewesen". Als wesentlichen Grund für die ablehnende Haltung des Volkes gegenüber den Frankfurter Punkten hielt Hertzberg schließlich Dohm dessen fundamentalen Fehler von Aldengohr wieder vor: Noch immer walte der Irrtum, den Dohm "supponiret" habe, daß im voraus die Herstellung der Ordnung von vor 1684 und freie Magistratswahlen zugesagt worden seien. "Dieses können wir ja nicht zuverläßig versichern und Ihr habt es auch nicht können [... ]."786 Der Domherr Waseige meldete am 11. Oktober an Hoensbroeck eine kritische Haltung der preußischen Wahlbotschafter gegen Dohm und Senfft. Sacken, Goertz und Stein fühlten sich von Hertzberg und Dohm nicht ernst genommen, er selbst könne in allem, was von den beiden komme, nichts anderes sehen als "pur jeu et comedie".787 Stein hatte unterdessen der in Frankfurt weilenden Lütticher Delegation bei einem Zusammentreffen mitgeteilt, daß der preußische König, falls es zu keiner Einigung komme, sich aus der Lütticher Angelegenheit zurückziehe und dem Kaiser die Exekution überlasse. 788 Dohms Vorgaben für Lüttich waren mit Hertzberg abgesprochen und entsprachen ganz den preußischen Richtlinien zu diesem Zeitpunkt. Es verstärkt sich bei der Lektüre eines Briefes von Hertzberg an Fabry sogar der Eindruck, als sei Hertzberg beinahe moderater als Dohm. In dem Schreiben skizziert Hertzberg noch einmal die preußischen Vorgaben für das zukünftige Vorgehen in Lüttich. Der Bischof müsse zurückkehren und wiedereingesetzt sowie die Unterwerfungserklärung unter das Reichskammergericht von den Ständen unterzeichnet werden. Aber Preußen versichere im Gegenzug eine Generalamnestie und gebe das Versprechen, sofort an der Behebung der Beschwerden zu arbeiten und dem Land Lüttich eine den Anforderungen gemäße Verfassung und eine verbesserte Nationalrepräsentation einzurichten, schließlich sogar: "On conserva pour un an les magistrats municipaux qui ont ete elus dernierement". Das ging über Dohms Zusagen hinaus! Außerdem betonte Hertzberg gegenüber Fabry, daß an eine Einsetzung Steins als "Commissaire", wie sie die übrigen fünf Kurhöfe forderten, nicht zu denken sei. Der König "ne fera le choix de son commissaire". 789 von Dohms eigener Hand geschrieben. Sage, Une republique de trois mois, S. 237-248, unternimmt den Versuch, die Reise Dohms mit der Perspektive vorzuführen, den Regenten Rohan in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. 786 Hertzberg an Dohm, 5. November 1790, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm I, 4, BI. 28 r. und v. 787 Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, S.407. 788 Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, S.438. 789 Hertzberg an Fabry, 12. Oktober 1790. Bibliotbeque Generale, Correspondance de Fabry, Mss. 1051, Brief 679. Hertzbergs Engagement für die Revolution muß zu diesem Zeitpunkt wohl am ehesten als Strategie zur vorläufigen Ruhestellung der Revolutionäre und baldigen Beendigung der Revolution gesehen werden. Das Zugeständnis, die gewählten Magistrate im Amt zu belassen, kann, legt man Hertzbergs Lamento über seine überhäuften Arbeiten zugrunde, auch Unkenntnis der bis dahin im einzelnen verhandelten Punkte sein.
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Dohm war darüber irritiert. Unter dem 17. Oktober vermerkte er in seinem Tagebuch: Briefe von Hertzberg, die sehr unangenehm, da er an Fabry geschrieben, daß Stein nicht Commissarius seyn solle, aber sich so ausdrückt, als wenn ich es auch nicht bleiben solle. Unmuth über alle diese Wendungen & das ganze Benehmen in Berlin ohne Kopf und Sinn. Einfall mich unter dem Pretext schwacher Gesundheit auf einige Monate von Allem zu entfernen. 790
In der Folge finden sich etliche Einträge im Tagebuch, die auf Briefe an Hertzberg deuten mit der Anfrage, wie es um Dohms Posten stehe. In diesem "critischen Augenblick" halte er es für nötig, Hertzberg oft zu schreiben. 791 Als "späte Frucht meiner vielen nachdrücklichen Schreiben" schließlich wertete Dohm die Mitteilung aus Berlin, an ihm festzuhalten. 792 In seinem Bericht vom 22. November vermerkte er noch einmal seine (bedeutende) Rolle im Lütticher Konflikt. In verschiedenen Gegenden des Lütticher Landes gingen Exzesse vor, vor allem in Franchimont. Gewöhnlich wende man sich dann an ihn, und er versäume nicht, "um durch nachdrückliche Vorstellungen das Meinige zur Erhaltung von Ordnung und Ruhe zu thun." Vom preußischen Hof verlangte Dohm abermals Unterstützung: Mein ehrerbietigster geäusserter Wunsch, die Churhöfe um eine Anzeige der Gründe, weshalb sie mich vom Lütticher Geschäft ausschließen wollen, an Ew. König!. Majestät zur Untersuchung zu bitten, war blos Folge meines reinsten Bewußtseyns, und des gerechten Gefühls einer durch schändliche Verläumdung gekränkten Ehre. Der Wink, den Ew. Königl. Majestät mir zu geben geruhen, daß dieser Schritt unnötig sey, ist mir indeß hinreichend, ihn nicht zu thun, da die Zufriedenheit meines huldreichsten Monarchen mit meinem Benehmen Alles ist, was ich wünsche, und ich dabey jedes andere Gerede verachten kann. Sollten indeß jene Zudringlichkeiten fortgesetzt werden, so zweifle ich nicht Ew. Königl. Majestät werden huldreichst geruhen, dieselben auf eine der Ehre eines redlichen Dieners, dessen Eifer zu Erfüllung Allerhöchstdero Befehle anderer Höfe Absichten im Wege steht, gemässe Art abweisen und dabey zu erkennen geben zu lassen, wie ich zu der vollkommensten Aufklärung über jeden Punct meines Benehmens immer bereit und strengste Gerechtigkeit mein einziger Wunsch sey.793
Gleichzeitig hatte Dohm mit neuen Widrigkeiten, diesmal in seinem engsten Umfeld, zu kämpfen. Die "Stadtarmen" Aachens hatten am Nachmittag des 18. Oktober sein Haus gestürmt ,,mit größtem Schimpfen & Drohen, da die Juffer allein zu Hause." Da die Armen, wie es bei Dohm heißt, vor allem durch Betreiben des Münsteraner Gesandten Maximilian Forkenbeck ihr Geld nicht ausgezahlt bekommen hatten, wollten sie auf diese Weise den Magistrat zwingen, endlich Gelder frei zu geben. Obwohl er doch immer dafür gewesen sei, daß die Armen nicht leiden dürften, vermerkte Dohm dazu in seinem Tagebuch, "war [nun] das tolle Gerücht ausgebreiDohm, Tagebuch, Eintrag vom 17. Oktober 1790. Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 16. November 1790. 792 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 25. November 1790. 790 791
793 Bericht Dohms vom 22. November 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, BI. 130r.-131 v., hier: BI. 131 v.
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tet, ich hätte die Annen-Gelder in Beschlag genommen". Der Sekretär Küster riet sogar, Kommission und Stadt sofort zu verlassen. Dohm vermutete dahinter eine Intrige Küsters: Sehr wahrscheinlich, daß er absichtlich diesen Vorfall nützen wollte, die Commission zu zerreißen, welches in Berlin vorzuschlagen, er schon vorgestern ernstlich und dringend angerathen hatte. Ich kehrte mich aber nicht daran.794
Am 21. Oktober trafen in Aachen Chestret, Bassenge und Lesoinne mit der Nachricht ein, man habe sie in Frankfurt gezwungen, die von den Kurfürsten vorgegebenen Punkte anzunehmen. Dohm riet dazu, sich an den preußischen König direkt zu wenden und korrigierte noch am gleichen Tag die von Lebmn per Estafette an ihn gesandten offiziellen Schreiben für den König, Hertzberg und ihn selbst, weil er sie für "zu declamatorisch und nicht dem Zweck gemäß" hielt. 795 Noch einmal wurden nach den Gesprächen mit Dohm Lütticher Ständevertreter nach Frankfurt geschickt. Unter Vorbehalt der Zustimmung der Stände in Lüttich erklärten sie sich zur Unterzeichnung der vorgelegten Punkte bereit. Dazu wurde eine Frist bis zum 1. November vorgegeben. Am 28. Oktober fand in Lüttich eine Ständeversammlung statt, bei der mit Mehrheit gegen die Annahme der Punkte entschieden wurde. Eine Delegation der Lütticher Stände, die nach Aachen zu den Kreisgesandten geschickt worden war, traf dort am 29. Oktober bei Dohm ein. Bassenge hatte je einen Entwurf von ihm und von Chestret an Dohm geschickt, zwischen denen dieser entscheiden sollte. 796 Am 29. Oktober besprach Dohm sich mit den Deputierten Geloes, Berlaymont, Chestret, Bassenge und Lesoinne. Ich sagte ihnen erst, daß ich bey itziger Lage keinen andern Rat geben könne, als die Frankfurter Puncte zu ratificiren. Sie waren hirüber ganz verzweifelt. Endlich sagte ich ich wollte noch etwas überlegen, gieng ins andre Zimmer, kam bald wider & ließ mir von ihnen heilig versprechen, das was ich ihnen aus beßter Meynung nicht als Minister sage, durchaus keinem als meine Idee widerzusagen. Ich zeigte ihnen nun, wie Alles darauf ankäme, daß sie den andern Höfen so schrieben, um ihren Hauptpunct sich vorzubehalten & doch die Execution aufzuhalten, zugleich aber auch an den König Deputirte schickten, um in Berlin einen Plan zu machen, welchen dann der König den andem Höfen vorschlüge. Dieß sey das einzige Mittel sie zu retten, sie begriffen es, waren entzückt darüber, Bassenge setzte gleich ein Schreiben an die Churf. auf, da ich es zu dictiren weigerte, unterdeß mit Geloes, der mich wegen des Capitels allein sprechen wollte, ins andre Zimmer gieng, nachher das Schreiben noch mit ihnen durchgieng & Alles abredete. Um 7 Uhr giengen sie fort [.. .].797 794 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 19. Oktober 1790. Der Mißmut über Küster drückte sich vor allem im Umfeld der Revision seiner Verteidigungsschrift aus. V gl. dazu Kapitel B. VII. 4. in dieser Arbeit. 795 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 19. Oktober 1790. 796 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 28. und 29. Oktober 1790. 797 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 29. Oktober 1790. Vgl. dazu die Darstellung Borgnets, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, S. 449-451. Borgnet schließt aus seiner Auswertung der Datierungen der Deputiertenbriefe aus Aachen nach Lüttich, daß Dohm nur wenig Zeit für das Gespräch hatte. Dohm habe die Deputierten auf den Nachmittag gebeten, heißt es in einer er-
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Hier wird deutlich, wie noch in der Ausgangssituation des Gesprächs mit Dohm auf der einen, den Vertretern der Lütticher Stände auf der anderen Seite durch ihre jeweiligen Repräsentanten Preußen und die Revolution in Lüttich sich gegenüberstanden. Stilisierte Dohm sich zu Beginn noch ganz zum in das Korsett der Umstände eingebundenen offiziellen Vertreter eines Reichsstandes, forcierte er schließlich die Auflösung seiner Funktion als Repräsentant Preußens und vollzog die Vorstellung der eigenen Person als Privatmann. Ausdrücklich konnte dies nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit, die doch konstitutiver Bestandteil einer ,funktionierenden' Repräsentation war, geschehen. 798 Aber auch für die Zukunft mußte über dieses einseitige Aufbrechen Dohms Stillschweigen herrschen, wollte er in die ,Ausgangssituation ' des preußischen Repräsentanten unbehelligt zurückkehren können. Dohm gestand hier gegenüber seinen Gesprächspartnern - wohl auch taktierend - ein, daß die preußische und seine Position nun nicht mehr - wie bisher offen und offiziell vertreten - übereinstimmten und löste damit zugleich seine bisher auch von den Ständevertretern akzeptierte Identifikation mit dem preußischen Hof. Die implizite Sympathieerklärung Dohms mit den (gemäßigten) Revolutionären und ihren Zielen mußte bei gleichzeitiger Lösung vom Status des Repräsentanten Preußens suggerieren, daß Preußen sich von der Politik der Unterstützung Lüttichs verabschiedet hatte. Dohm wurde durch einen Kurier aus Lüttich informiert, daß die Stände "ziemlich nach meiner Abrede" die Frankfurter Punkte modifiziert und danach unterzeichnet hatten. Danach war nun von Lütticher Seite vorgesehen, eine Unterwerfung zu unterzeichnen, wenn die Kurfürstenkonferenz mit klaren Worten die Berichtigung der Beschwerden und eine freigewählte, unabhängige Repräsentation garantiere. Am 4. November brachen Bassenge und Chestret nach Berlin auf, wo sie am 12. November eintrafen. Hertzberg empfing die Lütticher Vertreter nicht. 799 Gegenüber Hofmann begründete er diesen Schritt: Er habe, so erläuterte Hofmann gegenüber Dohm Hertzbergs diesbezügliche Ausführungen an ihn, mit den Lütticher Deputierten "Nichts anfangen können, weil sie auf ihre Volksrepräsentation bestünden".8°O Kurz nachdem die Unterzeichnung der Frankfurter Punkte vollzogen war, zog sich der Kurpfalzische Hof mit seinen Truppen aus dem Lütticher Land zurück. Am 30. September 1790 schon war Leopold 11. zum neuen Kaiser gewählt worden. 80l Die Lütticher Revolution hatte eine direkte Auswirkung auf die Wahlkapitulation Leopolds. Der Gießener Professor für Statistik und Kameralwissenschaften sten Mitteilung nach Lüttich, der avisierte Beginn der Versammlung wird angegeben mit "Ie quart avant 3 heures" , im zweiten Brief sei unten die Abfahrtszeit mit "cinq heures apres-midi" verzeichnet. 798 Zum Begriff und Vorgang der Repräsentation, der Notwendigkeit stets neuer Begründung dieses Vorgangs und der öffentlichen Rezeption vgl. Rausch, Repräsentation. 799 Vgl. dazu Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 72; Daris, Histoire du Diocese, 2, S.263; Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, I , S.457. Dambacher, Dohm, S.313-314 datiert den Reisebeginn auf 31. Oktober. 800 Hofmann an Dohm, 15. Dezember 1790, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm 39, BI.6r.-7v. 801 Heigel, Deutsche Geschichte, 1, S. 347 ff.; Hansen, Quellen, 1, S.695-699.
X. Das Ende der Revolution
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August Friedrich Wilhelm Crome (1753-1833) geht in seinem Kommentar der Wahlkapitulation darauf ein, daß die Reichsgesetze, die das Vorgehen bei Exekutionen regeln, "noch nicht zu derjenigen Vollkommenheit gebracht sind, welche erforderlich wäre, wenn die Anwendung derselben in jedem Fall, den eintretenden Bedürfnissen gemäß, den bezwekten Vorsatz entsprechen solte" und fügte erklärend hinzu: "z. B. in der berüchtigten Lütticher Angelegenheit, 1789-91". S02 Der letzte Wahlkonvent habe wegen dieser "wichtigen Lütticher Sache" zu einer Kurtrierischen Eingabe geführt, die die anderen Wahl botschafter "für patriotisch" erkannten und die zu dem gegenwärtigen Zusatz der Wahlkapitulation geführt habe. S03 Der betreffende § 5 des Artikels XII umfaßte die Zusage des Kaisers, beim Reichstag die Revision der Exekutionsordnung zu befördern, "daß der Endzweck der allgemeinen Sicherheit und Wohlfahrt dadurch vollkommen und dauerhaft erreicht werde. "S04
x.
Das Ende der Revolution
1. Die endliche Vollstreckung der Reichsexekution In einem Bericht vom 8. November stellte Dohm dem Berliner Hof seinen Plan vor, "wie die Sache itzt auf einfachem Weg zu Ende zu bringen". 805 Danach schien es Dohm ratsam, ein Bündnis mit dem Münchner Hof einzugehen, der nach seiner Einschätzung vor allem aufgrund der hohen Kosten froh sei, sich aus der Lütticher Angelegenheit herausziehen zu können. Auf die Wiedereinsetzung des Lütticher Bischofs und seiner Partei in die Ämter müsse bestanden werden, aber auch die Verbesserung der Verfassung auf Grundlage des Paix de Fexhe "mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Zeiten" "eben so aufrichtig gemeint, und wirklich ohne allen Vorbehalt zu Stande gebracht werden". Die Stabilität der neuen Ordnung sah Dohm nun ebenso - deutlicher als zuvor - wesentlich abhängig von einer gestärkten Position des Bischofs: Zu beseitigen sei vor allem auch der "Hauptfehler der Lütticher Constitution", nämlich der Mangel an "gehöriger Kraft" der dem Bischof gebührenden exekutiven Gewalt. Gegen die vielen in allen Parteien, die nur aus Privatabsichten gehandelt hätten und denen mit einer Beendigung der Angelegenheit nicht gedient sei, sei mit "ganz unnachsichtlicher Strenge" zu verfahren. Es bleibe kein anderes Mittel übrig, als daß Preußen einen auf Basis der Frankfurter Punkte entwickelten Vergleich entwerfe und sich dessen Befolgung von den Ständen versprechen lasse. Für die Kreiskornmission müsse eine Richtschnur des Handeins entworfen werden, auch über Anzahl und Verteilung der Truppen und die Frage des Oberkommandos gesprochen werden. ,,Eine Oesterreichische Einmischung wäre das Einzige, welches diesen nunmehrigen Gang der Sache unterbrechen könnte", folgerte Dohm schließlich und schlug deswegen vor, ob "es vielleicht nicht etwa rathsam seyn dürfCrome, Wahlkapitulation, S. 99. Crome, Wahlkapitulation, S.100. 804 Crome, Wahlkapitulation, S. 98-100. 805 Dohm, Tagebuch, Eintrag vom 8. November 1790. 802
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
te, dem Kaiserlichen Hofe selbst von Ew. Königl. Majestät gerechten und unpartheyischen Gesinnungen hiebey vertrauliche Communication zu geben".806 Für den Prinzen Rohan wurde der Plan entwickelt, ihn mit der Koadjutorie für Lüttich quasi zu entschädigen. Dohm hielt ihn des preußischen Schutzes nach seinem bisherigen Verhalten für würdig, sah aber durchaus Schwierigkeiten, dieses Unterfangen durchzusetzen, da der größte Teil des Kapitels gegen Rohan und man auf den guten Willen des Bischofs angewiesen sei. 807 Rohan selbst war mit dem Plan einer Koadjutorie schon im Oktober durch Chestret vertraut gemacht worden. Er schien nicht abgeneigt, bezeichnete sich selbst als "Ie plus agr6able" unter allen Kapitularen, erkannte aber zugleich: "Ce röle sera difficile aremplir et tres d6Iicat", es sei besser, wenn der Fürstbischof ganz abdanke. Schließlich betonte Rohan seine äußerste Zurückhaltung als momentaner Regent. Er habe sich nicht einmal nach Seraing begeben, "puisque tous les meubles sont au prince." Auf Chestrets Einlassung, man müsse den preußischen Gesandten in Mainz vom Stein von Rohan überzeugen, gab Rohan an, er selbst kenne Stein kaum, Schlieffen, Dohm und Senfft sollten bei diesem um ihn werben. Im übrigen werde er von den Dingen erdrückt, habe eine schwankende Gesundheit und hoffe, daß die Angelegenheit auf die eine oder andere Weise beendet werde. 808 Im Dezember berichtete Dohm von andauernden Unruhen im Lütticher Land. Die Ausschreitungen im Gebiet um Franchimont schienen bedrohlich zu werden, das Schloß eines Baron de Herve, so Dohm, sei geplündert worden, der Abb6 duVal-Pyrau mußte nach eigenen Angaben aus seinem Haus bei Verviers fliehen, weil er um sein Leben fürchtete. "Der ganze Ruin des Lütticher Landes scheint indeß unvermeidlich, wenn demselben nicht bald Hilfe geschaft wird." In der Hauptstadt gebe es zwar keine groben Exzesse, aber die demokratische "oder französische Parthey" sei ganz verblendet und verfolge immer noch ihre "schimärischen Ideen" der Abschaffung der beiden ersten Stände und bringe damit alles in größte Verwirrung. Dohm empfahl dringend, daß der preußische König sich an die Deputierten der Stände wende mit der Aufforderung, die Unordnungen zu steuern und erkläre, daß die Schuldigen "ohne Unterschied mit angemessenen Strafen" belegt würden. Von Vorteil sei, einen Vertreter des Lütticher Domkapitels in Berlin zu empfangen, um der bischöflichen Partei auf diese Weise zu zeigen, daß man auch ihr das schuldige Vertrauen zukommen lasse. 809 Nach Verviers hatte Dohm sich indessen schon vorher gewandt. An den Magistrat der Stadt hatte er am 13. November einen harschen Brief geschrieben, in dem er die erneuten Unruhen aufs schärfste verurteilte. Er sprach von kriminellem Mißbrauch des Namens des preußischen Königs, der nicht ungestraft bleiben dürfe: "je dois apBericht Dohms vom 8. November 1790, Pr.G.St.A. Rep. 96, 166E, BI. 127r.-129v. Bericht Dohms vom 22. November 1790, Pr.G.St.A. Rep. 96, 166 E, BI. 130r.-131 v., hier: BI. 131 r. 808 Rohan an Chestret, 7. Oktober 1790, Papiers de Chestret, 2, S.217-222. 809 Bericht Dohms vom 6. Dezember 1790, Pr.G.St.A. Rep. 96, 166E, BI. 132r.-133v. 806 807
x. Das Ende der Revolution
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prendre, a ma plus grande surprise, qu'on pousse l'impudence jusqu'a ce point de vouloir justifier meme ces exces comme des sujets de principes de la liberte, que le Roi mon maitre avoit proteges."SlO Am 9. November hatten die kurkölnischen und kurmainzischen Truppen noch einmal einen Vorstoß versucht, wieder wurden sie aber nach Maseyk zurückgedrängt. Von dort brachen Anfang Dezember erneut kurmainzische und -kölnische Truppen auf mit dem Ziel, die Stadt Lüttich einzunehmen. Das Unternehmen scheiterte auch diesmal am Widerstand der Lütticher. Der Mainzer General Hatzfeld hatte eine Vorhut von etwa 40 Mann über die Maas bei Vise gehen lassen, die sofort von Lütticher Reitern entweder getötet oder gefangen und in der Hauptstadt vorgeführt worden waren. Dohm berichtete nun, daß diese Begebenheit in Lüttich für einige Mißstimmung gesorgt habe. Der Mainzer Angriff, so die dortige Wahrnehmung, sei mitten in die Verhandlungen Preußens und zu einem Zeitpunkt geschehen, als die übrigen Kurhöfe sich noch nicht gegenüber den Lüttichern bezüglich ihrer Unterzeichnung der Frankfurter Punkte erklärt hatten. In Flugblättern werde nun zur Weiterführung der Revolution bis zum äußersten Ende aufgerufen, die Nation müsse sich nun nicht mehr an Bedingungen halten, und - in Umkehrung des von den Kurhöfen verlangten Zugeständnisses - werde erklärt, auch dem Bischof müsse nun keine Amnestie mehr gewährt werden. Noch einmal schlug Dohm vor, doch VOn Seiten des preußischen Hofes dem Kaiser auf eine vertrauliche Weise von der Lage der Sache zu berichten, und ließ eine Sympathieerklärung für Leopold IL folgen: Wollte der Bischof von Lüttich, der bey weitem nicht solche Beleidigungen, wie der Kaiser von seinen Unterthanen, erlitten hat, das Muster von Mäßigung und Milde, wodurch dieser Monarch eben itzt seine Niederlande ohne alles Blutvergießen wieder eingenommen und sich wirklich die Herzen der Unterthanen wieder unterworfen hat, nachahmen, so würde diese ohne Noth so verwickelte Sache sehr einfach und schnell beendigt werden können. 811 Zugleich wurde hier deutlich, daß Dohm nun die Einbindung der Lüttich- in die Reichspolitik als Möglichkeit sah, den Konflikt zu beenden. Jetzt, wo Österreich nicht mehr in den Niederlanden militärisch gebunden war, schien es für Dohm als Partner Preußens bei einer politischen Kontrolle über die Unruhen durchaus interessant. S12 810 Lettres et Memoires, S. 291-292, hier: S. 292. Dohm bekräftigte die Notwendigkeit einer Bestrafung der Aufrührer noch einmal in einem Schreiben an den Magistrat von Verviers vom 1. Dezember 1790 (vgl. Lettres et Memoires, S. 295). 811 Bericht Dohms vom 13. Dezember 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, BI. 134r.-136r. 812 earl, Mäkelei, S. 130, verweist darauf, daß im Fall des Aachener Konflikts die Einbindung der städtischen Politik in die regionale und über diese in die Reichspolitik eine Eskalation unter den beteiligten Mächten ebenso wie ein Auswachsen der Unruhen zu einer "revolutionären Situation" verhinderten. "Diese Beobachtung wird plausibel, wenn man einen Blick auf die Lütticher Ereignisse des Jahres 1789 wirft: diese eskalierten unter anderem deshalb, weil nach Ausfall der österreichischen Niederlande das territoriale Umfeld nicht mehr die Funktion politischer Kontrolle übernehmen konnte."
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
In einem Schreiben vom 7. Dezember ließ Hertzberg die Lütticher Stände wissen, daß in Berlin vorgeschlagen wurde, die Verhandlungen zwischen Vertretern des Bischofs und Vertretern der Stände in Regensburg vor einer Kommission aus den sechs Kurhöfen wiederaufzunehmen, um die unterschiedlichen Prinzipien, sei es durch Verhandlung oder durch Vermittlung, in Übereinstimmung zu bringen. Im übrigen ergänzte Hertzberg: "Je dois d'ailleurs vous dire, Messieurs, que la position du roi, comme prince de I'Empire, ne lui permet pas de declarer votre cause pour juste, ni de vous assurer une protection decidee."813 Aus einem Schreiben Hofmanns aus Wetzlar an Dohm vom 15. Dezember 1790 geht hervor, daß vom Stein der Urheber dieser Idee war. Hofmann hatte von Hertzberg die entsprechende Mitteilung mit der Bemerkung erhalten, daß man den Steinsehen Vorschlag "geschehen lassen werde, um der Last einmallooß zu werden". 814 Was jetzt in Berlin als Ultima ratio erschien, war bereits kurz nach Ausbruch der Lütticher Revolution - unter preußischer Beteiligung - bei einem ersten Versuch gescheitert: Im wesentlichen durch die Initiative Kurmainz', das nach der am 2. Oktober 1789 anberaumten Kreisversammlung des Oberrheinischen Kreises in Frankfurt den Kreisdirektorialgesandten mit entsprechender Anweisung nach Regensburg geschickt hatte, war die Idee entstanden, den Reichstag mit den revolutionären Unruhen im Reich zu befassen. Offenbar wurde befürchtet, das Lütticher Beispiel könne die Stimmung für Unruhen im Reich begünstigen, was die Notwendigkeit, einheitliche Maßnahmen gegen die gestörte "öffentliche Sicherheit" (so die Bezeichnung des Reichstags) auf reichsrechtlicher Grundlage zu entwickeln, dringend erforderlich zu machen schien, und den Bedarf vorführte, "Maßnahmen und Strategien zur Entschärfung, Neutralisierung, Kanalisierung und Eindämmung möglicher revolutionärer Vorgänge und Tendenzen im Reich zu diskutieren". 815 Zwar bestand Konsens in der Frage der grundsätzlichen Notwendigkeit einer reichsgesetzlichen Behandlung, über die Verfahrensfrage aber waren drei unterschiedliche Positionen entstanden: Eine kleine Minderheit unter dem Bischof von Bamberg und Würzburg Franz Ludwig von Erthal wollte die Sache am Reichstag überhaupt nicht behandelt sehen, fürchtete vielmehr erhöhte Spannungen und Gefahr von Unruhen, wenn der Gebrauch von Gewalt gegen Erhebungen eingesetzt würde. Eine zweite Gruppe, angeführt von Mainz und Preußen, wünschte eine formlose Beschlußfassung und Aufforderung an den Kaiser, die Kreise zu einer verstärkten, koordinierten Tätigkeit anzuhalten. Hertzberg wich dann allerdings, obwohl durch Goertz dieser preußische Vorstoß gemacht worden war, unter dem Eindruck der Lütticher Ereignisse immer mehr von dem Gedanken eines formlosen Reichstagsbeschlusses ab. Schließlich sprach sich die Reichskanzlei, als dritte Gruppe, für formelle Reichstagsberatungen aus. Etwa Mitte Dezember 1789 allerdings war der Versuch, eine reichseinheitliche Vorgehensweise gegen Unruhen zu entwickeln, gescheitert. 816 Zitiert nach Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 1, S.438-439. Hofmann an Dohm, 15. Dezember 1790, Pr.G.St.A. Rep.92, Dohm 11 39, BI. 6r.-7v. 815 Härter, Reichstag und Revolution, S. 303. 816 Härter, Reichstag und Revolution, S. 290-305. Härter skizziert, daß sich drei Möglichkeiten des Vorgehens gegen Unruhen abgezeichnet hätten: I. die räumliche, personelle und gei813 814
X. Das Ende der Revolution
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Am 2. Dezember schaltete sich das Reichskammergericht ein. 817 Es erließ ein weiteres Mandat, das diesmal den Kaiser in seiner Eigenschaft als Direktor des burgundisehen Reichskreises 818 aufforderte, die an der Exekution beteiligten Höfe militärisch zu unterstützen. Von Lüttich aus wurden daraufhin Gesandte nach Brüssel, nach Wien und zum künftigen bevollmächtigten Minister in den Niederlanden Graf von Metternich-Winneburg geschickt, um die Bereitschaft zur Unterwerfung unter den Kaiser vorzutragen. 819 Auf Flugblättern wurde in Lüttich zur Ruhe und Ordnung aufgerufen. 820 Die "Hauptpersonen" dagegen, so teilte Dohm nach Berlin mit, dachten an Flucht 821 , der Prinz Rohan war bereits nach Frankreich abgereist. In seinem Schreiben mutmaßte Dohm, daß in Wien bereits im voraus bekannt gewesen sein mußte, daß das Reichskammergericht das Mandat an den burgundischen Kreis erlassen würde. Entweder werde die Exekution gegen Lüttich nun buchstäblich vollstreckt oder, sobald der Form Genüge getan sei, auf Veranlassung des Kaisers aufgehoben. Beides gebe Preußen Anlaß zur Beschwerde. Im ersten Fall würde die Vollstreckung noch während der durch die Kurhöfe an Preußen herangetragenen Vermittlungsbemühungen vollzogen, obwohl in den Frankfurter Punkten ausdrücklich Waffenstillstand zugesagt war. Im zweiten Fall würden die Kurhöfe dem Kaiser etwas nachgeben, was sie Preußen vorgeworfen hatten, "obgleich Ew. Königl. Majestät als Kreißausschreibender Fürst schon von Amts wegen berufen waren, bey Herstellung der Ruhe in einem Kreißland auch eigener Einsicht zu folgen". Niemand würde es Preußen nun verdenken können, wenn es seinerseits auf der Durchsetzung der Frankfurter Punkte unter Hinzuziehung stige Abschottung des Reichs durch Schaffung eines Schutzkordons und Verschärfung der Zensur, 2. die Anwendung militärischer Gewalt gegen reichsinterne Unruhen durch eine gegenseitige Hilfspflicht aller Reichsstände, 3. die juristische Konfliktlösung über die Reichsgerichte. Eine Reform der Exekutionsordnung kam schließlich nicht zustande, obwohl sie - angefacht durch die Furcht vor Übergriffen der französischen Unruhen auf das Reich und aufgeschreckt durch das Lütticher Beispiel - von den Mitgliedern der Reichstagskommission als wichtiger Diskussionspunkt auf die Tagesordnung gesetzt und die Verhandlungen durch ein Kommissionsdekret vom 20. Januar 1794 intensiviert worden waren (S.414-422). Vgl. dazu auch Kapitel B. VIII. in dieser Arbeit, in dem auf die Wahlkapitulation Leopolds 11. und die intendierte Erneuerung der Exekutionsordnung eingegangen wird. 817 Dambacher, Dohm, S.314-315, vermutet, daß wohl ohne Wissen des Kaisers, von Max Franz veraniaßt, vom kaiserlichen Gesandten in Koblenz Graf Mettemich-Winneburg unterstützt, das Mandat zustande gekommen war. 818 Grundlage war der "Burgundische Vertrag" vom 26. Juli 1548, der die relative Selbstständigkeit der Niederlande festschrieb. 819 Ein Exemplar des Unterwerfungsschreibens der Lütticher Stände vom 28. Dezember 1790 an das Reichskammergericht befindet sich im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, NWK I L 24 IX, BI. 825 r. und v. Ein gedrucktes Exemplar der entsprechenden Mitteilung an earl Theodor vom 1. Januar 1790 ist ebenfalls im Repositum NWK I L 24 IX, Bl. 857 r.-858 r. zu finden. 820 HStA Düsseldorf, NWK I L 24 IX, Bl. 830: "Adresse au peuple de la part du conseil municipal". 30. Dezember 1790 (unterschrieben von Rouveroy, Greffier autorise). 821 Bassenge wandte sich in der Tat am 28. Dezember 1790 aufgewühlt an Donceel: ,,Partons, partons tous! et attendons en silence le jour de la vengeance ! elle sera terrible, elle sera efficace" (Bibliotheque Generale, Papiers de Donceel, Mss. 1058, BI. 244).
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
der Kreistruppen, kölnischer, pfälzischer und preußischer Soldaten, bestehe. Dolun befürchtete für die Zukunft, daß der Besitz des Lütticher Hochstifts für einen österreichischen Prinzen als Belohnung dienen sollte, was er aus den an ihn herangetragenen Nachrichten ablas, auch für Köln und Trier strebe Österreich eine Koadjutorie an und sogar, was Dohm für unwahrscheinlich hielt, Dalberg sei schon zum Verzicht auf sein Koadjutoramt aufgefordert worden. 822 Die Lütticher Deputierten hätten in Brüsse1 gute Aufnahme gefunden, meldete Dohm am 3. Januar nach Berlin, und man habe ihnen die "Erfüllung ihrer Wünsche" versprochen, wenn sie aller Verbindung zum preußischen Hof sich entsagten. Wie sehr das gesamte weitere Vorgehen offenkundig von beiden Seiten, der österreichischen und der preußischen, aber auch im Argumentieren Doluns nach wie vor vom Streben um die Hegemonie - in diesem Konflikt und damit zugleich im Reich - geprägt war, wird in der Folge immer wieder deutlich; die Konvention von Reichenbach stellte nicht das (plötzliche) Ende des preußisch-österreichischen Dualismus im Reich dar. Vielmehr war schon beim Wahlkonvent in Frankfurt klar geworden, daß Preußen auch hier noch als "Gegenkaiser" auftrat, während doch parallel zu den Verhandlungen dort in Reichenbach der Einigungsvertrag unterzeichnet wurde und ein letztes Mal die Einheit des Fürstenbundes, der auch und gerade vor dem Hintergrund der Lüttichpolitik und dem gegensätzlichen Handeln Preußens und Mainz immer stärker aufbrach, zu demonstrieren versuchte. 823 Auf das Schreiben der Lütticher Stände wegen unumschränkter Unterwerfung unter den kaiserlichen Willen an Kaiser, Kurhöfe und Reichskammergericht sah Dolun sich gezwungen, in der, wie er nach Berlin schrieb, "delicaten Lage des itzigen Augenblicks" zu antworten. Dabei war er zunelunend verunsichert, befand sich nach eigenem Bekunden "in nicht geringer Verlegenheit". An die Lütticher Stände schrieb er, die auch ilun mitgeteilte Unterwerfungserklärung verstehe er so, daß sie die Verhandlungen über die Frankfurter Punkte obsolet mache, ebenso daß die Schwierigkeiten, wegen derer die Lütticher Gesandte nach Berlin geschickt hatten, insofern sie von den Lüttichern abhingen, aufgehoben seien. 824 Die Stände schickten daraufhin sofort eine Deputation nach Aachen, um Dolun mitzuteilen, daß ihre Unterwerfungsgeste auf einem Mißverständnis beruhte. Sie hatten offensichtlich nicht verstanden, daß der burgundische Kreis nur mit der militärischen Unterstützung der Exekution, nicht aber mit deren alleiniger DurchfühBericht Dohms vom 27. Dezember 1790, Pr.G.St.A. Rep.96, 166E, BI. 137 r.-140r. Vgl. dazu: Aretin, Heiliges Römisches Reich, I, S. 236-238. Besonders deutlich wird das auch in der Auseinandersetzung zwischen Dohm und Senfft auf der einen, den österreichischen Militärs Bender und Keuhll auf der anderen Seite sowie Dohms abschließender Beurteilung der preußischen Lüttichpolitk, in der er das Scheitern charakterisiert als ..Triumph unsrer Feinde vor unsern Augen" und .. Verfall des preußischen Ansehns und Namens in diesen Gegenden" (Dohm an Hertzberg, zitiert nach Gronau, Dohm, S. 205-206). Vgl. zu beidem die weiteren Ausführungen in diesem Kapitel. 824 Bericht Dohms vom 3. Januar 1791, Pr.G.St.A. Rep.96, 166F, BI. 1 r.-4 r. (mit Kopie des Schreibens der Lütticher Stände an Dohm und Dohms Antwort an die Stände). 822 823
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Das Ende der Revolution
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rung beauftragt war. Man hoffe immer noch auf die alleinige Protektion Preußens, ließen die Deputierten Dohm wissen, da dies aber jetzt wohl nicht mehr zu bewerkstelligen sei, wenigstens darauf, daß Preußen und Österreich die "Schiedsrichter" sein könnten. 825 Der Kaiser habe nicht das mindeste Recht, sich in die Sache selbst zu mischen, und wenn er zu einer gütlichen Einigung herangezogen werden sollte, könne dies nicht ohne Preußens Einwilligung als einem der Direktoren des betroffenen Reichskreises geschehen, erläuterte Dohm dem preußischen König seine Sicht der Dinge. 826 Am 12. Januar 1791 marschierten Mainzer, Kurkölner und österreichische Truppen in Lüttich ein. 827 Dohm war ohne klare Anweisungen und weitgehend in diesem Moment auf sich selbst gestellt. Als einzige Möglichkeit, die Vollstreckung der Exekution noch kurzzeitig aufzuhalten, sah er ein Schreiben an den österreichischen Feldmarschall Bender, in dem er diesen bat, bis zu einer Einigung zwischen dem österreichischen und preußischen Hof die Truppen nur zur Erhaltung der Ruhe einzusetzen. Mit den anderen Direktorialgesandten wollte Dohm sich vorerst nicht besprechen. Ohne ihn zu informieren, waren der Münsteraner, der Jülicher und der Mainzer Gesandte am 13. Januar zu einer Reise nach Herve aufgebrochen, um sich dort gemeinsam zu beraten. 828 Auf Anraten Dohms verfaßten die Lütticher Stände ein Bittschreiben an den preußischen König, in dem sie die Frankfurter Punkte anerkannten und den König baten, diese durchzusetzen. Senfft übernahm es, das Schreiben Dohms an Bender in Lüttich den Ständen mitzuteilen, diese wiederum machten es "sofort zur Beruhigung des Volks bekannt". Die bischöflichen Anhänger dagegen waren erbost über Dohms Schreiben und ließen, so mutmaßte dieser, anonyme Briefe mit gröbsten Schmähungen an ihn schikken. 829 Unglücklicherweise wurde das Schreiben Dohms schon gedruckt, als es Bender noch nicht zugegangen war. Es hatte einen Tag auf dem Postamt gelegen. Bender leugnete öffentlich, einen Brief Dohms überhaupt erhalten zu haben, stellte diesen sogar als Fälschung dar. 830 Er antwortete Dohm, daß er die Bestimmung der Truppen zur Vollstreckung der Exekution nicht abändern könne. Dohm hielt dem Berliner Hof gegenüber dagegen, der Hauptzweck seines Schreibens an Bender sei doch erreicht, nämlich die Würde und Gerechtsame des preußischen Königs zu behaupten. Inzwischen aber hatte der österreichische General Keuhll ein Flugblatt in Lüttich in Umlauf gesetzt, in dem zu lesen stand, das Schreiben an Bender könne Bericht Dohms vom 13. Januar 1791, Pr.G.St.A. Rep.96, 166F, Bl. 5r.-7v. Bericht Dohms vom 17. Januar 1791, Pr.G.St.A. Rep. 96, 166F, Bl. 8 r.-9v. 827 Zum Eingreifen des Kaisers, der Verständigung der beteiligten Höfe untereinander und dem eigentlichen militärischen Vorgehen vgl. Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S.75-91. 828 Bericht Dohms vom 13. Januar 1791, Pr.G.St.A. Rep.96, 166F, Bl.5r.-7v. Die Sitzungen zwischen dem Münsterischen und dem Jülicher Vertreter fanden während des gesamten Jahres 1791 in Lüttich statt (vgl. die Protokolle der Besprechungen: StA Münster, Fürstentum Münster, Landesarchiv 471 I, 45 Heft 1-12). 829 Bericht Dohms vom 17. Januar 1791, Pr.G.St.A. Rep. 96, 166F, Bl. 8r.-9v. 830 Vgl. Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 85. 825
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
nur "eine Erdichtung eines Feindes der öffentlichen Ruhe" sein - eine Formulierung, die ihm Bender in einem Schreiben vom 15. Januar geradezu in den Mund gelegt hatte. 831 Dohm und Senfft verlangten daraufhin, daß Bender Keuhll "zur gebührenden Satisfaction anhalten" solle. Sollte es keine öffentliche ,,Reparation" in diesem Fall gebe, schrieb Dohm nach Berlin, "so zweifle ich nicht, Ew. Königl. Majestät werden deshalb in Wien selbst die gebührende Genugthuung auswirken laBen." Die "Cöllnische Zeitung" verbreitete die Ansicht, Dohm schüre mit seinem Schreiben an Bender die Unruhen in Lüttich. 832 Schließlich bat Dohm den König, den Gesandten Jacobi damit zu beauftragen, in Wien genaue Gründe für die Klage gegen Senfft und ihn einzuholen. Er scheue nicht die strenge Untersuchung, sondern wünsche sie im Gegenteil. 833
2. Dohms Fazit: "Alles - ganz verlorne Zeit und Kräfte" Dohms immer wieder gegenüber dem Berliner Hof vorgetragenes Bestreben, Preußen in den Verhandlungen zur Lütticher Angelegenheit zu halten, so seine noch im Schreiben vom 20. Januar formulierte Aufforderung, nicht zu erlauben, daß ein Vgl. Brief Benders an Keuhll, 15. Januar 1790, UB Köln, Sammlung AlffK 112, Bl. 16. Bericht Dohms vom 20. Januar 1791, Pr.G.St.A. Rep.96, 166F, Bl.lOr.-11 v. 833 Bericht Dohms vom 21. Februar 1791, Pr.G.St.A. Rep.96, 166F, Bl.18r.-21 r. Senfft hatte an Bender geschrieben, um eine Klarstellung zu fordern, da er sich von Lütticher Seite attackiert sah. Der Briefwechsel zwischen Bender, Dohm, Senfft und Keuhll befindet sich im Bestand der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, Sammlung Alff (nach vorläufiger Ordnung durch Haak: Alff K 112). Er besteht im wesentlichen aus 12 Schriftstücken, acht Schreiben des Baron Senfft, vier des Baron de Keuhll, als Beweisstücke sind fünf weitere Stücke beigefügt: ein Brief Dohms an Bender vom 13. Januar, ein Brief Dohms an die Lütticher Stände vom 2. J anuar, ein Brief Benders an de Keuhll vom 15. Januar, ein Brief Senffts an Bender (0. D.) und eine Notiz des Sekretärs von Senfft (o.D.). Zudem im HStA DüsseldorfRep. NWK IL24 IX, Bl. 903 r.-91 0 r. handschriftliche Kopien dieser Texte und gedruckt der Brief Dohms an Bender vom 2. Januar 1791 (Bl. 904r. und v.) und im StA Münster, Fürstentum Münster Landesarchiv 471 I, 24 (abschriftlich der Briefwechsel zwischen Senfft, Dohm, Bender und Keuhll; als Druck die Briefe der Sammlung Alff). Außerdem gibt es in der Sammlung Allf ein Augblatt mit dem Titel: "Aux Aveugles" (Alff K. 39), das den Brief Dohms vom 13. Januar zum Teil abdruckt und dann zum Anlaß nimmt, die preußische Politik in Lüttich als groben Verstoß gegen Vorgaben der Reichsjustiz zu verurteilen. Zur Ehrenrettung Dohms habe Bender noch dessen Autorschaft geleugnet, Senfft habe nichts Wichtigeres zu tun gehabt, als eine Klarstellung zu verlangen. In einem ganzen Absatz dieser Schrift wird Senfft als Provokateur der Unruhen dargestellt, die ihn im Herbst 1789 zur Aucht nach Herve veraniaßt hatten, und als ein Protagonist charakterisiert, dem berechtigterweise gemeinsame Intrigen mit den Rebellen unterstellt würden (S. 6). Franz von Hartig wandte sich am 26. Februar 1791 aus Dresden an Jean-Philippe de Limbourg mit einer vernichtenden Kritik über Senfft. Senfft, der doch vor nicht allzu langer Zeit noch sächsischer Unteroffizier gewesen, dann "tout-li-coup" Minister geworden sei, zeige, daß der Heilige Geist nun einmal nicht in alle Köpfe herabsteige, um sie in ihrem Stand zu erhellen, "car les lettres de M. de Senfft ont plus senti le ton d'un militaire subalterne que d'un politique sage et experimente." (Lettres et Memoires, S. 302). Der Ton des gesamten Schriftwechsels, die gegenseitigen Beschuldigungen und Empfindlichkeiten zeigen, wie angespannt die Situation zwischen Österreich und Preußen zu diesem Zeitpunkt war. 831
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Volk, "blos darum, weil es für Ew. Königl. Majestät Ehrfurcht und Ergebenheit zeigt, auf die unerhörteste Weise mißhandelt werde", war spätestens Anfang Februar nicht mehr erkennbar. Der König hatte ihn mit Reskripten vom 25. und 28. Januar beauftragt, sich nach Brüssel zu begeben, um zu erreichen, daß Preußen bei den Kommissionsgeschäften nach Vollziehung der Exekution weiter mitwirken könne, zum einen, um die "Würde und Direktorialgerechtsame" Preußens zu unterstützen, zum anderen, um der Lütticher Nation "die Execution so leidlich als möglich" zu machen, was vor allem eine vollständige Amnestie bedeuten sollte. Parallel sollten Jacobi in Wien, Senfft in Lüttich und Dohm in Brüssel an diesem Plan arbeiten. Dohm lehnte ab. Es sei alles bereits wieder in den Stand vordem 18. Juli [sic] 1789 versetzt, von Unterstützung der Nationalbeschwerden sei in den reichskammergerichtlichen Dekreten keine Rede mehr. Er könne nicht bewirken, daß die mit Mehrheit zwischen Münster und Jülich gefaßten und von österreichischen Truppen ausgeführten Beschlüsse aufgehalten würden, vielmehr müßte Kleve konstitutionsgemäß die Direktorialbeschlüsse mitunterzeichnen; den Parteien und dem Publikum würde der Protest Preußens nicht einmal bekannt. Selbst wenn es eine Amnestie geben sollte, würde diese so eingeschränkt sein, daß Männer wie Fabry, Chestret oder Bassenge, "die wichtigsten Personen, welche das größte Attachement für uns gezeigt" davon ausgenommen seien. Ohnfehlbar würde auch ich persönlich, da ich bisher nur immer Ew. Königl. Majestät gerechte und großmütige Gesinnungen auszudrücken hatte, wenn ich nunmehr ein Werkzeug der Unterdrückung würde, für meine Ehre und persönliche Sicherheit Alles riskiren, und wenigstens den endlosen Verdrießlichkeiten ohne allen Nutzen für Ew. Königl. Majestät Dienst ganz unterliegen, eine Aussicht wegen welcher ich schon allein Ew. Königl. Majestät inständig anflehen würde, mich mit diesem Geschäft zu verschonen, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß Allerhöchstdero Weisheit gewiß für das Beßte finden werde, dieser unheilbaren Sache nunmehr ganz sich zu entziehen.
Allerdings sah Dohm keinen leisen Rückzug Preußens vor. Vielmehr schlug er vor, eine Erklärung an den Kaiser und den Reichstag zu formulieren, in der Preußen sich die Untersuchung der Beschwerden der Lütticher Nation ausdrücklich vorbehalte, vor allem aber auch mit dem Ziel, vom Reichstag eine Deputation mit der Untersuchung der Hauptfrage der künftigen Wahl der Lütticher Magistrate ebenso zu beauftragen, wie mit der Überprüfung des ersten Mandats des Reichskammergerichts, der "Quelle alles Unheils". Es müsse dem ganzen Reich daran liegen, betonte Dohm - und griff die Argumentation seiner Verteidigungsschrift in verbaler Verschärfung wieder auf -, daß den Reichsgerichten nicht nachgesehen werde, auf ein bloßes unbescheinigtes Gerücht den Untergang eines ganzen Landes zu decretiren, ohne alle Klage und Anlaß über eine bloße innere Regierungs Sache Entscheidung sich anzumaßen [... ] und unter dem ganz nichtigen Vorwand, einem Landfriedensbruch vorzukommen, ihn hervorzulocken und eine Reihe von Excessen zu veranlassen, an die im Lütticher Lande ohne das Wetzlarsche Erkentniß nie gedacht wäre. 20'
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Am Schluß seines Schreibens bat Dohm den König um einen viennonatigen Urlaub, um seine geschwächte Gesundheit wieder herzustellen. 834 Diese Bitte wiederholte er auch später noch einmal und konkretisierte, er wolle eine Reise nach Südfrankreich und in die Schweiz unternehmen und sei bereit, zugleich Aufträge des preußischen Hofes auszuführen, so wie er auch die Lütticher Sache betreffende Ausführungen an einem anderen Ort vornehmen könnte. Die Aachener Angelegenheiten könne er dem Legationssekretär Küster überlassen. 835
Als Hertzberg Dohm schließlich Vorwürfe ob seines Verhaltens vor allem im Bezug auf das eigenmächtige Schreiben an den österreichischen General Bender machte, konterte dieser: Dies Alles benimmt mir natürlich den Muth; der Triumph unsrer Feinde vor unsern Augen, der gänzliche Verfall des preußischen Ansehns und Namens in diesen Gegenden, schlägt mich so nieder, daß ich es nicht ausdrücken kann. Alles - ganz verlorne Zeit und Kräfte, die schändlichsten Verläumdungen, eingebüßte Gesundheit zum einzigen Lohne so eifriger und redlicher Arbeiten will ich noch ertragen; - aber, wenn Ew. selbst den Werth meines Benehmens verkennen, und mir etwas beimessen sollten, was Schuld der so unglücklich verketteten Umstände ist, dann wäre es Zeit einer Aufopferung ein Ende zu machen, die ferner ohne allen Nutzen seyn wird. Ich zweifle nicht, daß wenn man mich in Lüttich beschimpfte und ermordete, es vom Hofe würde desapprobirt werden; indeß wird das bis jetzt Geschehene Ew. nun schon überzeugt haben, daß es eben so unmöglich ist, mich 0 h n e Truppen nach Lüttich zu schicken, als mit denselben. 836
In wütender Erregung und tiefer Resignation skizzierte Dohm hier die Rahmenbedingungen seines eigenen Handeins. Schon bei der Erstellung der Verteidigungsschrift(en) hatte er den Gestus eines reflexiven, sich vor sich selbst und anderen zu verantwortenden, der Aufklärung verpflichteten Staatsdieners über weite Strecken verlassen müssen zugunsten einer Verteidigung auch des eigenen Handeins im konkreten staatspolitischen Kontext. Das Scheitern seines Bemühens, die Anklagen gegen ihn, brachten ihn nunmehr in die Rolle eines Verteidigers der eigenen Vorstellungen und konkreten Handlungen gegenüber den Kollegen und Vorgesetzten und vor den Augen des Reiches. Wenn er vor diesem Hintergrund noch einmal die preußische Regierung aufgefordert hatte, sich öffentlich, diesmal vor dem Reichstag, zu erklären, dann war dies eine politische Überlebensstrategie 837 auch im eigenen In834 Bericht Dohms vom 6. Februar 1791, Pr.G.St.A. Rep.96, 166F, BI. 12r.-16r. Die Einschaltung des Reichstags hatte Hertzberg erstmals im Dezember 1789 vorgenommen, indem er durch Goertz eine preußische Note zum Verhalten seines Hofes in der Lütticher Sache in Regensburg kommunizieren ließ (vgI. Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, I, S.196-197). 835 Bericht Dohms vom 21. Februar 1791, Pr.G.St.A. Rep.96, 166F, BI. 18r.-21 v. 836 Zitiert nach Gronau, Dohm, S. 205-206. 837 Detering, FAZ, 11. Dezember 2001, S.48, stilisiert Dohm in dieser Hinsicht: "Daß sich dieser empfindliche Mann als preußischer Reformer der politischen Praxis verschrieb, war für ihn eine Sache der moralischen Pflicht, nicht der Macht. Diese Praxis unablässig schreibend zu begründen, zu begleiten und zu reflektieren, war ihm ein Überlebensmittel."
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teresse. Zwar entsprach sie im weiteren Sinne gleichermaßen dem ethischen Prinzip einer Veröffentlichung moralisch vertretbaren Handelns wie der juridischen Verteidigung rechtmäßiger Politik und war somit eingebunden in ein aufklärerisches Konzept von Öffentlichkeit, das auf der imaginierten Kongruenz von Vernunft und Publizität basierte, aber sie spitzte sich vor dem Hintergrund dauerhafter, konkreter Attacken und im Rahmen der Verteidigung preußischer Staaträson primär zur profanen Rechtfertigung des politischen Handelns zu, konnte nicht mehr in den Dienst der Aufklärung gestellte öffentlich vorgetragene Selbstretlexion sein. Friedrich WiIhelm 11. entließ Dohm noch nicht in den erbetenen Urlaub, sondern beauftragte ihn vielmehr mit einem Reskript vom 1. März 1791 die von diesem selbst vorgeschlagene Erklärung an den Reichstag zu formulieren. Dohm antwortete dem König, er sei alleine nicht imstande, diese Erklärung zu verfassen, weil er nur bis zu dem Zeitpunkt, als das Klevische Direktorium sich der Lütticher Sache entzogen hatte, vollständige Akten besitze 838 , von allem Folgenden, vor allem bezüglich der Frankfurter Verhandlungen seien nur sporadisch Unterlagen bei ihm vorhanden. Daher schlage er vor, nach Berlin zu reisen und dort unter "der erlauchtesten Direction Ew. Königl. Majestät CabinetsMinisterii" die kompletten Akten auszuwerten und zu einer Abhandlung aufzuarbeiten. 839 Am 20. April trat Dohm die Reise nach Berlin an 840 , arn 5. Mai traf er dort ein. Hertzberg schilderte Dohm die Situation vor Ort als besonders düster 84l : "Sie werden, wenn Sie herkommen, sich sehr wundern, wie Sie das hiesige Lokal finden werden, und werden gewiß nicht wünschen, an meiner Stelle zu seyn."842 Durch direkte Vorstellung an den König erhielt Dohm arn 12. Mai die Erlaubnis zu seiner geplanten Schweizreise, die er zusammen mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter antrat und von der er erst arn 30. Oktober nach Aachen zurückkehrte, um dort die Geschäfte wieder aufzunehmen.
In Lüttich war arn 13. Februar 1791, zwei Tage nachdem das Reichskarnmergericht ein weiteres Dekret zum strengen Fortgang der Exekution erlassen hatte, der Bischof zurückgekehrt. Friedrich Wilhelm 11. drückte diesem in einem Schreiben vom 25. März seine Unzufriedenheit aus, daß die Versuche der Vermittlung, die das Land in einer weniger verlustreichen Weise gerettet hätten, arn Verhalten des Bischofs gescheitert seien, und warf ihm sogar vor, sich nicht nach den Buchstaben des Gesetzes, sondern nach politischen Grundsätzen verhalten zu haben: "vous avez prefere les rigueurs de la force", "la politique vous aporte, plutöt que la justice". 843 838 Das im Preußischen Geheimen Staatsarehiv befindliche Kopialbuch Dohms (Rep. 92, Dohm 13) weist tatsächlich nur für die Zeit von August bis Dezember 1789 zahlreiche Einträge zur Lütticher Revolution auf. 839 Bericht Dohms vom 14. März 1791, Pr.G.St.A. Rep.96, 166F, BI. 22r.-22v. 840 Bericht Dohms vom 19. April 1791, Pr.G.St.A. Rep.96, 166F, BI. 23r.-24r. 841 Er selbst hatte gerade Schulenburg und Alvensleben als neue Kabinettsminister an die Seite gestellt bekommen. Vgl. dazu Kapitel B. X. 3. b) in dieser Arbeit. 842 Zitiert nach Gronau, Dohm, S. 206. 843 Friedrich Wilhelm 11. an Konstantin-Franz von Hoensbroeck, 25. März 1791. Kopie des Briefes in: Papiers de Chestret, 2, S.233-235.
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Münster und Jülich hatten gemeinsam in Aachen am 10. Januar 1791 bereits einen Beschluß für das Vorgehen nach der militärischen Niederschlagung der Revolution entwickelt. Danach sollte Keuhll eine Liste der ,,hauptsächlichen Anstifter des Aufruhrs" erhalten, damit dieser die Betreffenden in "civilen Arrest" nehme. Am Ende des Resolutums findet sich ein entsprechendes Verzeichnis. Angeführt wird es von Ferdinand de Rohan, ihm folgen unter anderem die Domherren Geloes und Blois de Cannenbourg, die beiden Grafen Lannoy (Vater und Sohn) als Vertreter des Etat Noble, und als Mitglieder des Tiers-Etat Vater und Sohn Fabry, Vater und Sohn Donceel, der Anwalt Lesoinne, der Redakteur Lebrun und der Unternehmer Levoz. Insgesamt besteht die Liste aus 31 Namen. 844 Eine rigorose, von Rachsucht und Wut geprägte Reaktion vollzog sich unter Führung Hoensbroecks in der Folge. Nicht nur wurde den Ständen, wie vor Ausbruch der Unruhen, ausschließlich das Recht zur Steuerbewilligung zuerkannt, der Bischof setzte auch wieder eigenmächtig die Magistrate ein und bestimmte neuerdings, welche Mitglieder des Adels in den Zweiten Stand berufen werden sollten. Die führenden Köpfe der Revolution waren nach Frankreich geflohen. Selbst das Reichskammergericht, der Kaiser und Kurfürst von Köln Maximilian Franz mißbilligten das Vorgehen. 845 Von Wesel aus, wohin sich Chestret begeben hatte, bat dieser noch im Mai 1792 Preußen um Unterstützung für das Lütticher Land. An die neuen preußischen Kabinettsminister im auswärtigen Departement Friedrich Wilhelm von der Schulenburg (1742-1815) und Philipp Karl von Alvensleben (1745-1802) schrieb er, daß in Lüttich nur eine "tranquilite de cadavre" herrsche, und erinnerte offenbar in Anspielung an Dohms Schrift daran, daß es doch einen Bericht des preußischen Hofes gegeben habe, "De ce qu' il a vu et De ce qu' il jugait De cette affaire qu'improprement on a appelle Revolution", um auf die strenge Behandlung der in diesem Argumentationskontext eben nur vermeintlichen Insurgenten hinzuweisen. Inständig bat Chestret im Namen seines Landes am Schluß seines Schreibens den preußischen König, den Lütticher Fürstbischof zur Rechenschaft zu ziehen und nicht die Protektion zu vergessen, die Preußen den unglücklichen Lüttichern immer habe zukommen lassen. 846 Am 3. Juni 1792 starb Hoensbroeck, das Kapitel wählte am 16. August dessen Neffen, den Kanoniker und Suffragan Franyois-Antoine de Mean 847 zum Nachfolger. Die HStA Düsseldorf, NWK IL24 IX, BI. 865r.-870r. (Chestret steht nicht auf der Liste!). Vgl. Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S.88-89. Im September 1791 wurde in Wetzlar eine 65-seitige Druckschrift mit umfangreichem Anhang anonym veröffentlicht, die sich in den Dienst einer fürstenfreundlichen Propaganda stellte und das durch "Herzensgüte" geprägte gelinde Vorgehen des Bischofs pries. Die Schrift muß im Kontext der Angriffe auf den Bischof gesehen werden (HStA Düsseldorf NWK I Lit.L24 lI, BI. 171 r.-238 v.). 846 Chestret an Schulenburg und Alvensleben, 23. Mai 1792, Pr.G.St.A. Rep.l1, 152c 1,13, BI.4r.-6r. 847 Biographie nationale, 14, Sp.197-21O; vgl. auch Kapitel B.lI.I. in dieser Arbeit. Mean floh, nachdem die Franzosen das Lütticher Land besetzt hatten, nach Erfurt. Er wurde von König Wilhelm I. zum Mitglied der ersten Kammer der Generalstaaten und Erzbischof von Mecheln ernannt, 1817 wurde er Primas der Niederlande. 844
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Briefe, die Dohm aus Aachen und Köln im Vorfeld der Bischofswahl in Lüttich schrieb, machen deutlich, wie wenig Preußen (und Dohm) zu diesem Zeitpunkt noch bereit waren, sich engagiert in die Lütticher Angelegenheiten einzumischen. Am 5. Juni 1792 zeigte Dohm nach Berlin den Tod Hoensbroecks an, nicht ohne gleich nachzufragen, ob und welchen Anteil der preußische Hof bei der bevorstehenden Wahl nehmen wolle. Es sei wahrscheinlich, daß die Mehrheit des Kapitels sich einen Österreicher wünsche. Für den Fall, daß der König sich nicht einmischen wolle, empfahl Dohm eine entsprechende Erklärung an das Domkapitel, um ihm "dabey zu empfehlen, seine Wahl auf ein Subjekt zu richten, welches im Stande, den noch sehr zerrütteten inneren Ruhestand nunmehr gründlich herzustellen."848 In den folgenden Berichten spielte die Besetzung des Bischofsstuhls in Lüttich zwar immer wieder eine Rolle, das Engagement aber war keinesfalls mehr vergleichbar dem bei der (am Ende bloß angenommenen) Koadjutorwahl des Jahres 1788. Mean blieb nur bis zum November 1792 im Amt, dann besetzten die französischen Truppen das erste Mal das Lütticher Land. Die meisten der nach Frankreich geflohenen Anführer der Revolution kehrten nun zurück. Im Exil hatten sie sich zusammengefunden mit Brabanter Revolutionären. Die gemeinsame Erfahrung einer gescheiterten Revolution ebenso wie die besondere Situation im Exil trugen zur Überwindung der Partikularität beider Gruppen bei und hatten im Februar 1792 unter Federführung des Redakteurs des "Journal general de l'Europe" Pierre Lebrun das "Manifeste des Belges et Liegeois unis"849 entstehen lassen. 850 Entworfen wurde hier die Errichtung einer französischen Schwesterrepublik, die aus 10 Provinzen bestehen und einen ,,President de la republique" an der Spitze haben sollte. Mit der Einverleibung des Lütticher Landes sahen die Lütticher Revolutionäre einen deutlichen Erfolg verknüpft - und tatsächlich beschleunigte die französische Besetzung den revolutionären Prozeß des Landes. Die Präsenz des französischen Militärs markierte das Ende der Feudalherrschaft, führte aber gleichzeitig zum Bestreben, die neue Unabhängigkeit zugunsten eines Anschlusses an die Französische Republik aufzugeben. Die Notwendigkeit dieser Vereinigung begründete Bassenge, der das Manifest dieser Bestrebung verfaßte 851 , vor allem mit der Unmöglichkeit einer Rückkehr in den Schoß des Reiches. Wenngleich die Furcht vor der Schwächung Bericht Dohms vom 5. Juni 1792, Pr.G.St.A. Rep.ll, 152c I, 13, BI. 8r.-9r. Universitäts- und Stadtbiliothek Köln, Alff K. 268: Manifeste des Belges et Liegeois unis. A Paris,l'an 4 de la liberte fran~oise. 1792 (abgefaßt vom Comite des Peuples Belges et Liegeois unis, Seant a Paris). Die Verfasser erklären Bischof Hoensbroeck für abgesetzt und verweigern Franz 11. die Unterwerfung. Es wird eine republikanische Verfassung mit Gewaltenteilung und plebiszitären Elementen für den projizierten Zusammenschluß der belgisehen Provinzen mit dem Fürstbistum Lüttich entwickelt. 850 Darquenne, Les revolutions et l'empire en Wallonie, S.lO-lI, charakterisiert die Unterschiede zwischen der Lütticher und der Brabanter Revolution "I 'une est antic1ericale et democratique; l' autre est c1ericale et reactionnaire." 851 Bassenge, Rapport fait a la Societe des Amis de la Liberte et de l'Egalite sur cette question importante : le pays de Liege doit-il demander d'etre reuni a la Republique fran~aise ?; ders., Manuel du Republicain (zitiert nach Raxhon, Quelle republique, S. 197). 848
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der eigenen Wirtschaft entwickelt war, trat sie dennoch hinter dem Wunsch, eine Schutzmacht an der Seite zu haben, zurück. 852 Am 30. November 1792 wurde ein Freiheitsc1ub gegründet, der beschloß, die administrative Gewalt einem MunizipalConseil zu übergeben, die Zusammenkunft der 60 Sektionen zur Wahl neuer Magistrate verfügte und Versammlungen im Lande zur Zusammenstellung eines aus 120 Personen bestehenden Lüttichschen Nationalkonvents organisierte. 853 Dohm mußte sich in der Folge den Ruf eines "Demokraten"854, eines Mannes "un peu enc1in aux principes democratiques" gefallen lassen. 855 Es wurde sogar gemutmaßt, er habe sich - statt in die Schweiz - nach Paris begeben, um dort "ungefahr eben die Rolle" zu spielen "wie ehemals zu Lüttich" und die Versuche der demokratischen Partei "mit seinem geheimen Einfluß" zu unterstützen. 856 Der Angegriffene wehrte sich gegenüber seinem Dienstherrn, er habe sich streng an dessen Vorgaben gehalten und schwor "sur mon honneur de n'avoir pas quitter l'Allemagne et la Suisse ni ou la moindre ville fran\!aise".857 Am 3. Februar 1791 schon hatte die "Gazette de Liege" in einer kurzen vierzeiligen Mitteilung an die Leser gemeldet, man habe erfahren, daß Dohm Aachen verlasse und in seiner Eigenschaft als Kreisdirektorialvertreter nach Lippe gehe, "pour travailler a l'appaisement des troubles, que l'insurrection qui s'y est manifestee, y entretient depuis quelques tems".858 Hertzberg skizzierte das Verständnis seiner Rolle bei der Lütticher Revolution in einem Schreiben an Jean-Philippe de Limbourg: J 'ai fait, en mon particulier, tout ce qui a ete possible pour faire cesser ces maux et pour etablir un bon ordre dans tout le pays, comme vous I' aurez bien observe par ce grand nombre de lettres que j'ai ecrit au nom du Roi a l'Eveque. Si ce Prince avoit voulu suivre mes conseils de s'arranger avec les Etats sous la mediation du Directoire du Cercle, toute cette revolution auroit cesse bientöt [ ... ] Je crois avoir fait de grandes choses et joue un grand röle dans les affaires politiques de I'Europe depuis que j'ai ete a Spa [ ... ].859
Die öffentliche Verteidigung der preußischen Politik war Hertzberg ein besonderes Anliegen, in dessen Dienst er sich selbst stellen wollte, letztlich aber, so schilderte er Georg Forster, daran gehindert wurde. Forster schrieb er im November 852 Zur Zeit der französischen Besetzung des Lütticher Landes zwischen November 1792 und März 1793 vgl.: Raxhon, Quelle republique, S. 195-203. Raxhon betont, daß in der Geschichtsschreibung lange Zeit das republikanische Lüttich hinter der belgisehen Monarchie zurücktrat. 853 Strothotte, Exekution gegen Lüttich, S. 91. 854 Diesen Ruf habe Dohm in Lüttich, so vom Stein an Friedrich Wilhelm 11. am 23. Juli 1791. Hansen, Quellen, 1, S. 882. 855 Hansen, Quellen, 1, S.915, Anm.3. 856 Mettemich-Winneburg an Colloredo, 1. Juli 1791, Hansen, Quellen, 1, S. 882, Anm.2. 851 Bericht Dohms aus Basel vom 1. Oktober 1791, Hansen, Quellen, 1, S.915, Anm.4. 858 HStA Düsseldorf NKW I L 24 IX, BI. 925 v. 859 Lettres et Memoires, S. 317-318, hier: S. 318. Hertzberg bezieht sich offenbar auf seine Besuche in Spa in den Jahren 1775 und 1776, in denen er auch mit Jean-Philippe de Limbourg zusammengetroffen war (vgl. dazu: Lettres et Memoires, Einleitung, S. XXXI).
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1792, er dürfe den dritten Teil seiner öffentlichen Schriften, den er schon ausgearbeitet und mit großen Kosten gedruckt habe, nicht publizieren. Darin enthalten seien seine Staatsverhandlungen des Jahres 1790, unter anderem die Lütticher Verhandlungen, und die Darstellung der offenen und ehrlichen Politik Preußens. 860 Im Nachhinein distanzierte Hertzberg sich von den Revolutionen in Lüttich und Brabant, indem er sie öffentlich als vom preußischen Hof niemals gebilligt darstellte. In einem Brief, den er an verschiedene französische Zeitungen sandte, minimalisierte er seine Einmischung: "personne au monde ne pourra produire la moindre preuve que j'ai fait ou promis quelque chose que je n'ai accompli ou qui soit contre la probite, la droiture et la justice". 861 Lebrun antwortete Hertzberg in einem öffentlichen Brief, den er in seinem ,,Journal general" abdruckte. Sicher sei Hertzberg nicht verantwortlich für diejenigen, die er nicht autorisiert habe, "mais quant aux agents officiellement charges d'executer vos ordres, c'est different." Warum habe Preußen ausgerechnet, als die Revolutionen in Lüttich und Brabant begannen, eine nie zuvor eingerichtete ResidentensteIle in Lüttich installiert; "Pourquoi ces frequentes conferences de Dohm avec les chefs des revolutions beIge et liegeoise, pourqoui aussi ce1les de Schlieffen?"862 Damit wurde offiziell von Seiten der Revolutionäre eine Positionierung der preußischen Protagonisten in der Lütticher Revolution vorgenommen, die vor dem Hintergrund des Scheiterns allein die preußische Regierung in Person des Ministers Hertzberg schuldig sprach, Dohm und Schlieffen dagegen lediglich zu Repräsentanten und vollstreckenden Organen einer von ihnen nicht bzw. nur unmaßgeblich zu verantwortenden preußischen Politik machte. Durch die Reduzierung auf diese Rolle war Dohm in den Augen der Lütticher Revolutionäre entschuldigt.
3. Dohms Scheitern im Lichte der Maximen der preußischen Politik a) Der Paradigmenwechse/ in der Außenpolitik: Annäherung an Österreich Will man das Scheitern Christian Wilhelm von Dohms bei seinen Missionen in Lüttich und, wie zu zeigen sein wird, in Aachen erklären, müssen die Grundzüge der preußischen Außen- wie Innenpolitik als entscheidende Bedingungen seines Hande1ns in Anschlag gebracht werden. 863 Dabei wird deutlich, wie sehr Dohm sich in Hertzberg an Forster, 13. November 1792. Briefe an Forster, S. 575. Zitiert nach Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 2, S.47. 862 Zitiert nach Borgnet, Histoire de la Revolution Liegeoise, 2, S.48. 863 Gronau, Dohm, S.207, fragt am Ende seiner Darstellung über Dohms Engagement im LüUicher Konflikt, "ob, was Dohm beabsichtigte, so großer Anstrengungen werth war? Ob seine lebhafte, in diplomatischen Verhältnissen etwas ungewöhnliche Theilnahme an der Sache ihm zur Ehre gereicht? Und ob das Mislingen in den genommenen Maaßregeln, oder in dem Mangel der beharrlichen Durchführung derselben, oder auch in den verwickelten Verhältnis860
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seinem Tun konfrontiert sehen mußte mit den reaktionären Kräften, die in Preußen bald nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms 11. immer größeren Einfluß gewannen. Die Suche nach den Ursachen für diese innerpreußische Entwicklung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der grundsätzlicheren Frage nach der preußischen Auseinandersetzung mit der Revolution in Frankreich. Die Sanktionierung des Dohmschen Verhaltens in Lüttich und Aachen durch die preußische Regierung ist nicht zu lösen von den Einstellungen der Protagonisten zu den revolutionären Forderungen, deren geistes geschichtlichen Grundlagen und der jeweiligen Wahrnehmung der auswärtigen Ereignisse als genuin französisches Problem oder konkrete Bedrohung für die eigenen Länder. Vor allem für Friedrich Wilhe1m 11. gilt, daß die Furcht vor dem Übergreifen der Unruhen auf die preußischen Länder zu einer wichtigen Handlungsdisposition864 im Umgang mit der Revolution wurde, auch wenn die Gefahr revolutionärer Erhebungen in Preußen selbst nicht nur in weiten Kreisen als unwahrscheinlich angesehen wurde, sondern auch tatsächlich nur wenige lokale Unruhen, etwa in Schlesien sich ereigneten. Die eigentliche Revolutionserfahrung "sammelte in Preußen nicht der Bürger, sondern der Staat".865 Was die Grundzüge der Außenpolitik betraf, vertrat Preußen gegenüber Frankreich eine Linie, die sich "in ihren Zielen, Formen und Maximen" zwar prinzipiell nicht unterschied von der vorrevolutionären Politik 866 - wichtigste Zielsetzung auch und gerade im Hinblick auf die Polarität der preußischen und österreichischen Monarchie während der vergangenen Jahrzehnte war das Aufbrechen der französischsen, und den verfassungsmäßigen Förmlichkeiten seinen Grund hatte?" Die Antwort überläßt er dem Leser. 864 Birtsch, Revolutionsfurcht, S. 87, Anm. 1, verweist in diesem Kontext in Anlehnung an Begemann, Furcht und Angst, auf Furcht als entscheidende Disposition im geschichtlichen Handlungsgefüge. Sie könne auf den geschichtlichen Prozeß gleichermaßen hemmend oder beschleunigend wirken und verdiene vor allem unter mentalitäts- und sozialgeschichtlicher Perspektive größere Aufmerksamkeit. 865 Schultz, Gesellschaftliche Strukturen, S. 389. 866 Möller, Primat der Außenpolitik, S. 71. Möller vertritt die These, daß die preußische Politik gegenüber der Revolution vom Primat der Außenpolitik bestimmt war. Die Annäherung an Österreich bezeichnet er als Ausdruck von "Kurskorrekturen" (S. 69) auf einem ansonsten an alten Maximen orientierten Weg gegenüber Frankreich. Im Hinblick auf die mit dieser Annäherung verbundene fundamentale Änderung der allgemeinen Grundzüge preußischer Außenpolitik der vergangenen Jahrzehnte erscheint mir das als Unterbewertung der preußisch-österreichischen Allianz. Kontinuitäten in der preußischen Außenpolitik sieht Möller vor allem auch im Umgang mit den östlich des Reiches gelegenen Staaten: Von weitaus größerem Interesse als der Krieg gegen Frankreich sei im Hinblick auf die polnischen Teilungen die Furcht gewesen, Rußland könne sich mit Österreich verständigen, was zu Lasten diesbezüglicher preußischer Interessen hätte ausfallen können. Der Koalitionskrieg gegen Frankreich sei "alles andere als ein Krieg antirevolutionärer Ideologie" gewesen, sondern vielmehr, wie schon Braubach (Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongress, S. 3) es herausgestellt hatte, geprägt von machtpolitischen Expansionsplänen der Koalitionspartner (S. 70). Insgesamt plädiert Möller im Bezug auf Preußen für eine "Re I at i v i eru n g der E pochens c he ide 1789" (S.81).
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österreichischen Allianz -, die angewandten Mittel aber modifizierten sich vor dem Hintergrund der veränderten innenpolitischen Verhältnisse in Frankreich. Schon mit Ende des Jahres 1789 hatte der preußische König seinen Gesandten in Paris Wilhelm Bernard Graf von der Goltz (um 1730-1795)867 beauftragt, Kontakte zu Vertretern der Demokratie aufzunehmen. Er war darin einer Vorgabe Hertzbergs gefolgt, der die Wende in der preußischen Frankreichpolitik vollzogen hatte, indem er eine Verständigung mit den neuen Machthabern nicht nur für machbar, sondern auch für ratsam hielt. Im Hinblick auf die Bekämpfung Österreichs als wichtiger Zielsetzung der preußischen Außenpolitik war das aktive Wirken an der Auflösung der französisch-österreichischen Allianz von besonderer Bedeutung. Preußen war hierzu bestrebt, den Kampf um die neuen demokratischen Gesprächspartner ebenso wie um die öffentliche Meinung in Frankreich zu führen. GoItz sollte beide Vorgaben umsetzen. Er nahm Kontakte auf zu Herausgebern verschiedener Publikationsorgane und veröffentlichte ab etwa Dezember 1789 eigene Artikel im "Mercure national ou Journal d 'Etat et du Citoyen" sowie vor allem in den "Annales patriotiques et litteraires". 868 Kontakte zu politischen Funktionsträgern konnten zwar hergestellt werden, waren aber insgesamt wenig erfolgreich.869 Erst vor dem Hintergrund zunehmender äußerer Bedrohung entwickelte sich eine den alten Dualismus zwischen Österreich und Preußen aufhebende Solidarität, die in den gemeinsamen Verträgen der beiden Staaten ihren Ausdruck fand: Mit dem revolutionären Frankreich sich in direkte Konfrontation zu begeben war zunächst nicht von Friedrich Wilhelm 11. gewünscht. Unter dem Einfluß der französischen Emigranten - allen voran der Graf von Artois (1757-1836), der spätere König Karl X. (1824-1830)870 - kam die von beiden Staaten unterzeiclmete Deklaration von Pillnitz im August 1791 zustande. Die in ihr durch Friedrich Wilhelm 11. und Leopold 11., den Bruder der französischen Königin, unter Mitwirkung der beiden Brüder des französischen Königs formulierte Aussicht, sich - bei Zustimmung der anderen europäischen Herrscher - in Frankreich zugunsten einer monarchischen Regierung zu engagieren, war eine öffentlich vorgetragene klare Abkehr von der Revolution und von der ursprünglich betriebenen Politik einer Annäherung an die französische Revolutionsregierung. 871 Zu Goltz' Biographie vgl. Bourel, Zwischen Abwehr und Neutralität, S.45-46. Zur gleichen Zeit erhielt Dohm die Anweisungen, in der Lütticher Angelegenheit publizistisch tätig zu werden. Vgl. Kapitel B. VII. 1. in dieser Arbeit. Zu den oben beschriebenen Fakten vgl.: Lüdtke, Preußen und Frankreich, S. 243-244. 869 Vgl. dazu ausführlich: Lüdtke, Preußen und Frankreich, S. 246 f. Lüdtke faßt Goltz' Bemühungen zusammen mit der Feststellung, dieser habe letztlich keine ernsten Beziehungen zu den Führern der Demokraten aufbauen können (S. 262). 870 Dohm notierte in seinem Tagebuch am 3. August 1789 den Besuch beim Grafen d' Artois, der nach Aachen geflohen war: "Der Gr. d' Artois hat ein offenes munteres Gesicht, sehr lebhaft und gesprächig". V gl. auch Pauls, Berühmte Fremde, S. 116. 871 Möller, Primat der Außenpolitik, S. 71, betont in diesem Zusammenhang: ,,Eine solche Außenpolitik konnten nur Könige betreiben, denen nicht bewußt war, wie fundamental die 867 868
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b) Die Konstanz in der Außenpolitik: Hertzbergs "Großer Plan" der Nordost-Orientierung Ewald von Hertzberg, bis zum Sommer 1791 wichtigster Entscheidungsträger im auswärtigen Departement, erlebte gerade in den Jahren 1786 bis 1789 den Höhepunkt seiner politischen Tätigkeit und Einflußmöglichkeiten. 872 Bestimmend für diese außenpolitische Phase war neben dem Ausbruch des russisch-türkischen Krieges, in den im Winter 1787/88 das mit Rußland verbündete Österreich eingriff, der Höhepunkt der holländischen Patriotenbewegung, die mit preußischer Militärgewalt auf Drängen Hertzbergs niedergeschlagen wurde. Die damit verbundene Unterzeichnung des Berliner Vertrages vom 2. Oktober 1787 durch England und Preußen, in dem beide Staaten vereinbarten, die wiederhergestellten Verhältnisse in den Niederlanden zu erhalten, war der wichtige Schritt zur Lösung Preußens aus seiner Bündnislosigkeit. Das preußisch-englische Bündnis vom 13. August 1788 besiegelte diese Verbindung endgültig. Im August 1787 schon hatte Hertzberg eine Denkschrift über seine außenpolitischen Ideen verfaßt, der er den Titel "Tableau abrege d'un sisteme politique de la Prusse"873 gab. Hertzberg legte dar, daß Preußen den Status als Macht der ersten Ordnung, den es der Politik Friedrichs 11. zu verdanken habe, auch in der Zukunft halten könne und erklärte weiterhin Österreich zum natürlichen Gegner Preußens. Wegen gleicher Interessen im Bezug auf Polen und Österreich empfahl er eine preußisch-russische Allianz, die ausgedehnt auf das Bündnis mit England und Holland eine Art Nordbund gegen die österreichisch-französische Verbindung darstellen sollte. In seinem "Großen Plan", der sich aus verschiedenen Denkschriften und Äußerungen zusammensetzte und Variationen aufwies, dessen Kernstück aber der sogenannte "Plan de pacification"874 von 1788 war, baute Hertzberg zuletzt 1789 auf ein bewaffnetes Eingreifen Preußens in den Türkenkrieg und die Okkupation polnischer Gebiete 875 und entwickelte 1790 das Szenario einer Restitution der von Preußen unterstützten "Etats belgique unis" zugunsten Österreichs als Äquivalent für das an Polen zurückzugebende Galizien, für das wiederum Polen Danzig und Thorn an Preußen abtreten sollte. 876 Der preußische Gesandte in Warschau Marchese Girolamo Lucchesini (1751-1825) brachte am 29. März 1790 ein preußisch-polnisches Bündnis zustande, das von Friedrich Wilhelm 11. zur Unterstützung beim drohenden Krieg gegen Österreich gesehen wurde. Schon am 20. Januar 1790 war eine preuFranzösische Revolution das europäische Staatensystem und die einzelstaatliche Verfassungsund Gesellschaftsordnung in Frage stellte." Seine Schlußfolgerung lautet, daß die preußische Außenpolitik gegenüber der revolutionären Herausforderung "antiquiert" war. 812 Vgl. dazu Klueting, Hertzberg, S.146-150. 873 Klueting, Hertzberg, S. 147, Anrn.45, gibt den Inhalt der Schrift wieder, die sich im Preußischen Geheimen Staatsarchiv befindet. 874 Zum Inhalt vgl. etwa: Klueting, Macht der Staaten, S. 267-273. 875 Wittichen, Hertzberg, S.185. 876 Wittichen, Hertzberg, S. 190.
X. Das Ende der Revolution
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ßisch-türkische Allianz geschlossen worden. Alle wichtigen Schritte auf dem Weg zur Verwirklichung des "Großen Plans" orientierten sich auf die östlich des Reichs gelegenen Gebiete. Mit voranschreitender Zeit, das ist im Zusammenhang dieser Untersuchung entscheidend, mußten Hertzberg die preußischen Anstrengungen im Westen, in Aachen und vor allem Lüttich nicht nur lästig werden, sondern auch als seinen eigenen Plänen im Weg stehend erscheinen, die Arbeit Dohms stieß, wie gezeigt, zunehmend auf sein Mißfallen. 877 Dennoch war Hertzberg von Anbeginn in die Entwicklungen im Westen einbezogen und mußte sie, auch im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit, auf dem einmal eingeschlagenen Weg zu Ende führen. So sehr er, wie bereits dargelegt, sich selbst als alleiniger Verantwortlicher der preußischen Außenpolitik - in ihrer Durchführung und der öffentlichen Darstellung - empfand, so sehr sah er sich eben doch auch zugleich im Mai 1790 in die Rolle eines an Vorgaben und Machtkonstellationen Gebundenen gedrängt, dem nichts anderes als "du griffonage" übrigbliebe. 878 Tatsächlich reduzierte der König Hertzbergs Einflußmöglichkeiten erheblich, als er 1791 Friedrich Wilhelm von der Schulenburg und Philipp Karl von Alvensleben zu Kabinettsministern neben Finckenstein und Hertzberg ernannte. Damit war die Ablösung Hertzbergs im Amt eingeleitet. Im Sommer 1791 zog er sich schließlich aus dem außenpolitischen Geschäft zurück. 879 Sein Nachfolger im Amt wurde Johann Rudolf von Bischoffwerder (1741-1803). Hertzberg hat sich immer wieder auch als ,Gelehrter' mit theoretischen Schriften zu Wort gemeldet oder in seinen Reden vor der Akademie der Wissenschaften, deren Kurator er ab 1786 war, Stellung zu aktuellen politischen Zuständen genommen. Seit 1780 hielt er - bis zum Jahr 1793 - seine Festvorträge aus Anlaß des jeweiligen königlichen Geburtstags bzw. der Wiederkehr der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms 11. Die Reden wurden in französischer Sprache in den "Memoires de l' Academie Royale des Sciences et Belles-Lettres" gedruckt und auch in deutschsprachigen Broschüren verteilt. Interessant im Kontext dieser Untersuchung sind Hertzbergs öffentlich vorgetragene Auseinandersetzungen mit der (Französischen) Revolution. 1783 präsentierte er seine "Abhandlung über die großen Veränderungen der Staaten, besonders von Deutschland", 1791 griff er unter den veränderten Zeitumständen zentrale Gedanken noch einmal in der "Abhandlung über äußere, innere und religiöse Staatsrevolutionen" auf, 1793 trug er in der Akademie die "Memoire sur la Vgl. dazu Kapitel B. VII. in dieser Arbeit. Hertzberg an Goertz vom 4. Mai 1790, Pr.G.St.A. Rep.92, Hertzberg 36 (ohne Blattnumerierung). 879 In seiner Akademierede aus dem Jahr 1791 (Abhandlung über äußere, innere und religiöse Staatsrevolutionen), S. 18, kommentiert Hertzberg diesen Schritt durchaus resignativ und implizit Friedrich Wilhelm 11. anklagend: ,,[ ... ] es ist nicht der Mangel an Eifer, wenn mir alle meine Entwürfe nicht ganz und bis zum Ende geglückt sind, und ich durch bekannte Umstände genöthigt worden bin, meine 46jährige diplomatische Laufbahn zu verlassen, um mich gänzlich andem Beschäftigungen, dem Landleben, den Angelegenheiten unserer Gesellschaft und dem Geschäft zu widmen, eine vollständige und pragmatische Geschichte unsers unvergleichlichen Königs, Friedrich 's 11. zu schreiben." 877 878
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B. Die Lütticher Revolution von 1789
Monarchie Prussienne, pour faire la preuve, que le Gouvernement Monarchique peut-etre bon et preferable atout Gouvernement Republicain"88o vor. Tenor aller Ausführungen Hertzbergs war das Lob der Beständigkeit der preußischen Monarchie, "die sanft, gemäßigt, gerecht und wohlthätig, aber auch zugleich stärker, thätiger, fester und kraftvoller, als irgend eine andere Europäische Regierung ist"881, sowie die Verteidigung des preußischen Staates gegen alle Kritik von außen 882 . Hertzbergs Rezeption der Französischen Revolution war geprägt von einer Abneigung gegen die republikanische Staatsform, die er zwar schon in vorrevolutionären Zeiten vorgetragen hatte, die aber nun eine noch stärkere Betonung erfuhr. 883 1785 hatte er ausgeführt, daß im Grunde jede Staatsform monarchisch ausgerichtet sei, da auch in einer Demokratie oder Aristokratie ein einzelner, besonders Begabter den Staat lenke. Die erbliche Monarchie zog er dabei allen anderen monarchischen Regierungsformen vor. An diesem Gedanken hielt Hertzberg auch 1793 noch fest. Die Stabilität der Monarchie begründete er hier mit der Interessenidentität zwischen Monarch und Untertanen, die Republik sah er durch die Pluralität der Herrschaftsausübung von Anarchie bedroht, die ihrerseits charakterisiert sei durch die despotische Alleinherrschaft eines durch besondere Eloquenz oder die Fähigkeit zur Intrige ausgestatteten Mannes. 884 An der Etablierung der Landstände hielt Hertzberg dennoch fest, wollte sie 1793 sogar nach dem Vorbild des englischen Parlaments eingerichtet sehen. 885 Entgegen der Realitäten vor allem in Lüttich, aber auch in anderen Reichsterritorien stellte Hertzberg in seiner Abhandlung des Jahres 1791 heraus, daß er keine Gefahr eines Übergreifens der Ereignisse in Frankreich auf andere europäische Staaten sehe 886 , vielmehr war die Revolution für ihn - ebenso wie für Finckenstein - primär ein genuin französisches Problem. 887 880 In der Druckfassung lautete der Titel "Memoire sur le regne de Frederic 11 roi de Prusse, pour faire la preuve, que [... ]". Der oben genannte Titel ist der der am 2. Februar 1793 an den König übersandten Fassung. Vgl. auch Klueting, Macht der Staaten, S.244 und S.244-245, Anm.49. 881 Hertzberg, Abhandlung über das dritte Jahr der Regierung Königs Friedrich Wilhelm 11. und zu beweisen, daß die Preußische Regierung nicht despotisch ist [... ], 1789, S. 2. 882 Vor allem durch Mirabeaus 1788 erschienene sieben Bände der "Monarchie Prussienne"; vgl. dazu: Klueting, Macht der Staaten, S. 246ff. 883 Vgl. dazu auch Kapitel B.IX. in dieser Arbeit. Hofmann erläuterte Dohm, Hertzberg habe mit einer Lütticher Gesandtschaft deswegen nichts anfangen können, weil sie an ihrer N ationalrepräsentation festgehalten habe. 884 Hertzberg, Memoire sur le regne [... ], 1793, S.472ff. 885 Hertzberg, Memoire sur le regne [... ], 1793, S. 474. 886 Hertzberg, Staatsrevolutionen, S.17. Keine andere Nation habe einen so aufbrausenden Charakter und keine leide unter einer so despotischen Regierung wie die Franzosen, erklärt Hertzberg hierzu. 887 V gl. dazu den Briefwechsel zwischen Hertzberg und Finckenstein und Goltz, teilweise abgedruckt bei Bourel, Preußen und die Französische Revolution, S.47. Möller, Primat der Außenpolitik, S. 72, stellt heraus, daß Hertzberg betont habe, der preußische Schutz der Revolu-
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Hertzberg betonte sogar die Vorteile der revolutionären Errungenschaften für Frankreich, daß nämlich die "aristokratische Monarchie" beseitigt worden sei und die Abgabenlast des Volkes durch eine neue, bessere Staatswirtschaft geringer werde. Für das Ausland sah er die Folgen ebenfalls positiv insofern, als die neue französische Regierung offenbar weniger Interesse an Expansion habe, vielmehr in besserem Einvernehmen mit England und Preußen stehe, was darüber hinaus entscheidend zum Gleichgewicht der Mächte in Europa beitrage 888 . Hertzberg definierte "Staatsrevolution" als "jede große, heftige und gewaltsame Veränderung der Besitzungen oder der politischen, bürgerlichen und religiösen Verfassung großer Nationen und Staaten"889 und unterschied zwischen äußeren, inneren und religiösen Revolutionen. Erstere bestimmte er als Unterjochung eines Volks "durch den Einfall und die äußere Macht eines fremden Volkes"890, die zweite als stets partielle, nur die "innere Regierungsveränderung großer oder geringerer Staaten" betreffende Veränderung, die "gemeiniglich die Einführung oder Abänderung der drei Hauptregierungsformen, der monarchischen, aristokratischen und demokratischen"891 zum Ziel habe. Das Heilige Römische Reich bezeichnete Hertzberg in diesem Zusammenhang als "eine aristokratische Republik unter der Oberaufsicht eines Kaisers". 892 Durch Erhaltung dieser Regierungsform und das Gleichgewicht der Macht und des gegenseitigen Vertrauens der verschiedenen Glieder könne diese Konföderation ihr eigenes, aber auch das Gleichgewicht von Europa erhalten, bis es durch eine mögliche Revolution unter die Gewalt eines despotischen Monarchen kommen sollte. Dies hängt aber nicht von Tractaten, noch von persönlichen vorübergehenden Gesinnungen der Souverains, sondern von ihrem natürlichen und fortdauernden System, von der Stärke ihres wahrhaften Interesses und vom Druck der Zeitumstände ab. 893
Die positive Konnotation eines Revolutionsbegriffs, der Veränderungen zum Guten als Möglichkeit implizierte, so wie Dohm ihn etwa in seinen Äußerungen in der Berliner Mittwochsgesellschaft oder der Societe des Antiquites in Kassel vorgetragen hatte, als er ,,Revolutionen" definierte und qualifizierte 894, ist bei Hertzberg aufgegeben zugunsten einer Betonung der grundsätzlich zerstörerischen Kraft von Staatsrevolutionen. Neben dem Scheitern der außenpolitischen preußischen Bemütion in Lüttich entspreche den liberalen Grundsätzen der preußischen Politik. Dies habe nicht nur propagandistischen und legitimierenden Charakter gehabt, die Bemerkung sei ,,kaum minder das problematische Bemühen eines aufgeklärten Ministers, die Revolutionen des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts in eine nicht revolutionäre Politik einzuordnen." Gleiches läßt sich auf die oben vorgestellten Äußerungen Hertzbergs, die die Gefahr des Übergreifens der französischen Unruhen auf das Reich leugnen, übertragen. 888 Hertzberg , Staatsrevolutionen, S. 16. 889 Hertzberg, Staatsrevolutionen, S. 2. 890 Hertzberg, Staatsrevolutionen, S. 3. 891 Hertzberg, Staatsrevolutionen, S. 11-12. 892 Hertzberg, Staatsrevolutionen, S. 13. 893 Hertzberg, Staatsrevolutionen, S. 14. 894 V gl. Kapitel A. 11. 3. in dieser Arbeit.
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hungen ist auch dieser staatsphilosophisch-theoretische Hintergrund ein mögliches Argument für Hertzbergs öffentliches Ignorieren der Beteiligung Preußens an der Revolution in Lüttich. c) Revolutionsfurcht als innenpolitisches Repressionsinstrument
Im Innern war mit der immer stärker werdenden Beeinflussung des preußischen Königs durch seine Berater Johann Christoph von Woellner (1732-1800) und Johann Rudolf von Bischoffwerder eine Wende vollzogen, die mit der Abkehr Preußens von der Aufklärung umschrieben worden ist. "Friedrich Wilhelm und mit ihm Woellner wollten die von der Revolution drohenden Gefahren weniger durch planmäßig eingeleitete und der gesellschaftlichen Lage entsprechenden Reformen abwehren, als durch Mittel der Gewalt und der geistigen Absperrung."895 Auch wenn die steigende Furcht vor dem Übergreifen der Revolution auf die preußischen Länder Friedrich Wilhelm 11. bewog, der Außenpolitik den Primat zuzuweisen, schätzte er die innenpolitischen Gefahren sich ausbreitender Unruhen für Preußen nicht gering. 896 Die Reaktion des Staates auf lokale Unruhen in den preußischen Ländern, etwa in Schlesien 897 , zeigte, wie hoch der Stellenwert solcher Unruhen bewertet wurde, wie unvorbereitet man mit der neuen Situation in Preußen umging: Festungshaft wurde als Strafe für Unruhe stifter erlassen, ein Netz von Polizeispitzeln sollte in der Hauptstadt Berlin einer Überwachung der Ausländer, vor allem französischer Emmissäre, ebenso dienen wie der Kontrolle der einheimischen Stadtbewohner. 898 Derlei Überreaktionen, die den Justizstaat Preußen gleichsam in einen Polizeistaat zu verwandeln schienen 899, waren nicht nur Ausdruck der aufrichtigen tiefen Besorgnis des Königs, sondern zugleich auch Ergebnisse einer vor allem durch den Kabinettsminister Woellner geschürten Instrumentalisierung der Revolutionsfurcht, der ein realer Bezugspunkt in Preußen selbst fehlte. 900 von Bissing, Friedrich Wilhelm 11., S. 152. Vgl. dazu die Einschätzungen von Möller, Primat der Außenpolitik, S. 75, der in Anlehnung an Lüdtke, Friedrich Wilhelm 11. und die revolutionäre Propaganda, den antirevolutionären Motiven in der Außenpolitik Preußens nur temporären Charakter zumißt. Diese beiden unterstützend: Birtsch, Revolutionsfurcht, S. 93. 897 Zu den schlesischen Aufständen vgl.: Ziekursch, Hundert Jahre schlesische Agrargeschichte, S.199-241. 898 Vgl. dazu Schultz, Gesellschaftliche Strukturen, S. 386-388. 899 So Birtsch, Revolutionsfurcht, S. 98. 900 Möller, Wie aufgeklärt war Preußen?, S.190-191, legt wesentliche Gründe für das Fehlen einer revolutionären Situation in Preußen dar: Staat und Dynastie in Preußen standen nicht vor dem finanziellen Ruin. "Die soziale Disziplinierung [... ] aller Stände, ihre Funktionalisierung für den Staat, [... ] die Militarisierung des Zivillebens, [... ], die politische, auf das gesamtstaatliche Leben bezogene Entmachtung der landständischen Vertretungen bei gleichzeitiger sozialer und regionaler Sicherung adliger Privilegien wirkten stabilisierend", die Schicht der nicht voll in die ständische Sozialordnung eingebundenen Bürgerlichen sei relativ schmal und in spezifischer Weise an den preußischen Staat gebunden gewesen, die Persönlichkeit Fried895
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Woellner, ab Juli 1788 Chef des geistlichen Departements, hatte bereits 1785 eine Denkschrift verfaßt, in der er die Gefahr der Aufklärung für Staat und Gesellschaft darlegte. 901 Das von ihm vorgetragene ideale Verhältnis zwischen Monarch und Untertanen orientierte sich ganz an der fürstlichen Alleinherrschaft und ließ sich unter anderem an der Frage ablesen, ob denn zugelassen werden dürfe, daß man dem Volk die Religion wegnehme, wenn doch der König durch dieselbe gehorsame und gute Untertanen gewinne. Die mit Woellners Namen verbundenen Edikte aus dem Jahr 1788, das Religionsedikt902 und das Zensuredikt903 , waren markanter Ausdruck der antiaufklärerischen Politik Friedrich Wilhelms 11. und deutlich eingebunden in den Grundsatz, durch "Aufklärungshygiene" zugleich "Revolutionshygiene" zu erreichen. 904 Vor allem auf revolutionäre Propaganda reagierte Friedrich Wilhelm 11. heftig. Besonders deutlich wurde dies, als die beiden Vertreter Preußens beim Wahlkonvent in Frankfurt 1790 Sacken und Goertz beauftragt wurden, den Druck des sogenannten ,,Journals für Menschenrechte", als dessen Autor zunächst August Ferdinand Cranz 905 vermutet wurde, zu unterbinden sowie Nachrichten über gegen die Monarchie gerichtetes propagandistisches Material oder Gesellschaften zu sammeln. Am 12. Oktober 1790 erließ der preußische König durch General von Schlieffen ein Dekret in Kleve, wonach Richtern befohlen wurde, jedem, der Untertanen aufwiegele, den Prozeß zu machen. Als Strafe wurde Festungshaft - in extremen Fällen für mehrere Jahre - festgelegt. 906 In dieser Situation war der preußische König bestrebt, die Reichsinstitutionen aufzufordern, Abwehrmaßnahmen gegen die Revolution einzuleiten. Ein kurfürstliches Kollegiatschreiben an den Kaiser enthielt die Bitte, ein allgemeines Reichsgesetz über das Bücherwesen im Reich und die Folgen der grenzenlosen Pressefreiheit auf dem Reichstag beraten zu lassen. Das Schreiben folgte auf die Neufassung der Wahlkapitulation, in der festgelegt war, richs 11. habe nicht zur Revolution gereizt (Zum letzten Punkt vgl. auch Kapitel A.1. in dieser Arbeit). 901 Vgl. dazu Schwartz, Der erste Kulturkampf, S. 81-82. 902 Vgl. dazu Valjavec, Das Woellnersche Religionsedikt, S. 386-400; Schwartz, Der erste Kulturkampf, S. 93-106. 903 Vgl. Schwartz, Der erste Kulturkampf, S.129-150. Dort sind auf S.130ff. die zur Zensur vorzulegenden Druckerzeugnisse und Strafen bei Verstößen gegen das Edikt vorgestellt. 904 Birtsch, Revolutionsfurcht, S. 93. 905 Cranz hatte auch die "Österreichischen Scharlatanerien" publiziert, gegen die Dohm als Zensor einzuschreiten hatte. V gl. dazu Kapitel A. 11. 2. in dieser Arbeit. 906 Lüdtke, Friedrich Wilhelm 11. und die revolutionäre Propaganda, S.77; auch: von Bissing, Friedrich Wilhelm 11., S. 140. Schlieffen wünschte sich noch größere Verbreitung dieser Anordnung und schlug vor, den "Courier du Bas Rhin" als Publikationsorgan in dieser Hinsicht zu nutzen (Lüdtke, Friedrich Wilhelm 11. und die revolutionäre Propaganda, S.74-75). Während der Lütticher Revolution hatte Friedrich Wilhelm 11. im Oktober 1789 eine Erklärung initiiert und unterzeichnet, in der die Bevölkerung unter anderem aufgefordert wurde, Beschwerden in dem von den Gesetzen vorgegebenen "Weg der Ordnung" vorzubringen. Gegen Tumulte im Kreis würden vorn Direktorium die "wirksamsten Maasrege1n" zur Anwendung kommen. Vgl. Kapitel B. IV. in dies.e r Arbeit. 21 Wüller
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daß keine Schrift geduldet werden sollte, die den Umsturz der Verfassung und öffentlichen Ruhe fördere. 907 Die Orientierung auf das Reich, die Preußen mit seiner Lüttichpolitik mehr oder weniger plakativ verlassen hatte, gewann neue Bedeutung vor dem Hintergrund einer intendierten gemeinsamen Revolutionsabwehr. Auch in dieser Hinsicht verließ die preußische Regierung den (von Dohm) eingeschlagenen Weg einer vorsichtigen Distanzierung von Reichsinstanzen zur Veränderung bestehender verfassungsrechtlicher Verhältnisse in Teilen des Reichs mit der erklärten Zielsetzung der Integration ,,moderner", d. h. der Aufklärung verpflichteter Rechtsund Staatsphilosophie. 908 Die vom preußischen König intendierten rigorosen Einschränkungen der Pressefreiheit widersprachen grundsätzlich Dohms sowohl ,privat' in der Mittwochsgesellschaft als auch öffentlich als Zensor der Cranzschen "Österreichischen Scharlatanerien" vorgetragenen Forderung weitgehender Freiheit der Meinungsäußerung. 909 Für die Gestaltung der Verwaltungstätigkeit unter Friedrich Wilhelm II. war nicht unbedeutend, daß er das von Friedrich II. abgeschaffte Kollegialprinzip im Generaldirektorium wieder einführte. Woellner hatte am 22. August 1786 die entsprechende Instruktion verfaßt, mit der verfügt wurde, daß Entscheidungen nun wieder im Kollegium gemeinsam getroffen wurden. Was aber unter Friedrich Wilhelm I. noch funktioniert hatte, konnte nun den veränderten und komplizierteren Bedingungen im preußischen Staat nicht mehr gerecht werden: Der Staat war seitdem um Schlesien und Westpreußen vergrößert, die Einwohnerzahl um ein Vielfaches gewachsen. Das Arbeitsaufkommen und die gleichzeitige Vorgabe des Königs, sich selbst letzte Entscheidungen vorzubehalten, die, wie die Auswertung der königlichen Notizzettel belegt, auch Umsetzung fand, führte dazu, daß der Verwaltungsapparat zunehmend schwerfällig wurde. 910 Diese Schwerfälligkeit der Entscheidungsfindung war es nicht zuletzt, die auch in der Lütticher Angelegenheit die dort Handelnden, allen voran Dohm, immer wieder in Erklärungsnotstände und Aktionszwang versetzte. Der König war bei seinen Entscheidungen angewiesen auf ständige Informationen, die, nachdem sie den Weg von Lüttich nach Aachen, von dort nach Berlin gegangen waren, nun noch den vorgegebenen Verwaltungsweg zu absolvieren hatten. Die dann getroffenen Entscheidungen mußten schließlich auf dem gleichen mühsamen Weg nach Aachen zurück gemeldet werden. Diese Kombination aus räumlicher DiLüdtke, Friedrich Wilhelm II. und die revolutionäre Propaganda, S. 74-75. Möller, Primat der Außenpolitik, S. 75, betont die reichspolitischen Zwänge, denen Preußen gerade in der Lütticher Angelegenheit unterlag, sieht aber insgesamt keine Abkehr von den Grundsätzen der preußischen Außenpolitik. Die Konvention von Reichenbach, der Sturz Hertzbergs und der wachsende Einfluß Bischoffwerders seien zwar Indizien innenpolitischer Veränderungen mit außenpolitischer Dimension gewesen, erläutert Möller, hebt dann aber hervor, daß es sich hier nur um eine außen- und kriegspolitische Kehre von Kurzlebigkeit gehandelt habe. 909 Vgl. Kapitel A. 11. 3. in dieser Arbeit. 910 Vgl. von Bissing, Friedrich Wilhelm 11., S. 143. Eine besondere Machtstellung erhielt auch hier wieder Woellner, der als Kabinettschef alle Entwürfe des Generaldirektoriums vorgelegt bekam, bevor er sie - mit seinen Stellungnahmen versehen - an den König weiterleitete. 907 908
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stanz zwischen Entscheidungszentrum und Handlungsort als Spezifikum der konkreten Situation einerseits und einem notwendige Entscheidungen nur schwerfällig produzierenden Verwaltungsapparat als genereller Voraussetzung preußischer Politik andererseits machte die Handhabung einer revolutionären Situation, die zudem aus machtpolitischem Kalkül erhalten werden sollte, von Anfang an zu einem nahezu aussichtslosen Unterfangen. Zugleich erwuchs aus der Spezifik der Situation für die am Handlungsort stehenden Staatsbediensteten, also vor allem für Dohm, gerade in den Momenten, die schnelle Entscheidungen forderten, die Verantwortung, weitgehend selbständig zu agieren. Gerade die situativ bedingte Handlungsautonomie barg die Chance der Profilierung und förderte wiederum ebenso die ohnehin vorhandene Konkurrenz der Beamten untereinander. d) Die Aufhebung des Allgemeinen Landrechts als Teil einer intendierten Revolutionsprophylaxe Während Friedrich Wilhelm 11., bewegt von Befürchtungen, die revolutionären Wirren könnten die preußischen Länder erreichen und beraten von Personal, das eine im Kern antiaufklärerische Politik betrieb, wesentlichen Grundlagen des friderizianischen Staates zunehmend untreu wurde - im Innern durch die Abkehr von der Aufklärung, nach außen, indem der Jahrzehnte dauernde Kampf gegen Österreich auch und gerade im Hinblick auf die revolutionäre Bedrohung beigelegt wurde - hielten Protagonisten wie Hertzberg oder auch Goltz fest an der ,alten' Linie, indem sie die Auflösung gegnerischer Allianzen in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellten 911 oder - wie Dohm - die Ideen der Aufklärung zum Maßstab ihrer theoretischen Entwürfe und ihres praktischen Handeins machten912 • Plakativer Ausdruck dieser Handlungsrichtlinien war bei Dohm vor allem, wie zu zeigen sein wird, Möller, Primat der Außenpolitik, S.65-81. Direkte Äußerungen Dohms im Bezug auf Friedrich Wilhelm 11. finden sich in den nachgelassenen Schriften, so weit überschaubar, nicht. In privaten Briefen an Johannes von Müller hatte Dohm, nachdem er noch vor dem Tod Friedrichs II. kritisch von dem beginnenden "Kampf zwischen Schwärmerei und Vernunft" (in Preußen) berichtet hatte (6. April 1788, Briefe an Johannes von Müller, 2, S. 296; vgl. auch Kapitel A. V. 1. in dieser Arbeit), mit Bewunderung von Friedrich Wilhelms 11. Talent in der Außenpolitik geschrieben: ,,Le röle que la Prusse joue actuellement dans les grands affaires de I, Europe est surement tres-beau. Il est conforme aun politique grande et noble et doit concilier au Roi la confiance et l'amour generaux. Vous jugez comme moi du grand sens et du vrai coup d'