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German Pages 254 [255] Year 2010
CASSIRER-FORSCHUNGEN
CASSIRER-FORSCHUNGEN Band 14
Sebastian Ullrich
Symbolischer Idealismus Selbstverständnis und Geltungsanspruch von Ernst Cassirers Metaphysik des Symbolischen
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-7873-1918-3 © Felix Meiner Verlag, Hamburg 2010. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Film, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen. Printed in Germany. www.meiner.de
für Hannah Magdalena
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Zur historischen und systematischen Positionierung des symbolischen Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Abriss ideengeschichtlicher Selbstverortung . . . . . . . . . 1.1.2 Der Realitätsbegriff des symbolischen Idealismus . . . . . 1.1.3 Metaphysik im Sinne Kants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4 Transzendentalphilosophie als systematische Position 1.2 Textgrundlage und Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Cassirers kritische Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Interpretation als systematische Fragestellung . . . . . . 1.2.3 Philosophieren als lebendiger Vollzug . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Der Plan der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Das System des symbolischen Idealismus . . . . . . . . . . . . . . .
1
2 Kritische Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Das animal symbolicum: Anthropologische Überlegungen . 2.1.1 Die Leiblichkeit des animal symbolicum . . . . . . . . . . 2.1.2 Die wesentlich ethische Dimension der Kultur . . . . . . 2.1.3 Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Entdeckung von Wirklichkeit als Realisierung von Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 Das Wesen der Menschheit: äén diafð e rómenon/ äeaytÖ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Das Urphänomen des Lebens: Theorie der Basisphänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die Basisphänomene: Die Bedingung der Freiheit . . . 2.2.2 Die Basisphänomene des animal symbolicum . . . . . . . 2.2.3 Die Transzendentalität der Basisphänomene. . . . . . . . 2.2.4 Die Systematik der Basisphänomene . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Rückkunft des Bildens auf sich selbst als Existenzsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 4 11 13 14 21 22 28 32 34 37 45 45 46 53 63 68 71 75 76 77 79 81 86
VIII
Inhalt
2.3 Die symbolischen Formen: Konstitutionsreflexion . . . . . . . . 2.3.1 Bewusstseinsformen und faktischer Bestand . . . . . . . 2.3.2 Bilden und Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Formen der Selbstoffenbarung des Geistes . . . . . . . . . 2.3.4 Wahrheit und Wirklichkeitsbezug. . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Ideelle Ordnung und Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6 Formkonstitution durch intelligiblen Willensvollzug . 2.3.7 Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.8 Die Einheit der Symbolfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Metaphysik des Symbolischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Vom quid facti zum quid juris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Phänomenologie und Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Das faktische Wesen der Menschheit . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Anmutung und Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Die Aufgabe der Metaphysik des Symbolischen . . . . . 3.2 Der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen . . . . . . 3.2.1 Leben als Thema philosophischer Reflexion . . . . . . . . 3.2.2 Leben und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Metaphysik des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Der Blickpunkt metaphysischen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Reflexionsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Denken der reinen Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Philosophische Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Nachvollzug des geistigen Vollzugs . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Transzendentale Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Kritik und Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Befreiung vom Zwang der Symbolik . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Metaphysische Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Anschauung geistiger Selbstoffenbarung. . . . . . . . . . . 3.5.2 Wahrheit als Problem des symbolischen Idealismus . . 3.5.3 Reflexion: Zuschauerin und Richterin. . . . . . . . . . . . . 3.5.4 Philosophisches Behaupten von Geltung . . . . . . . . . . 3.5.5 Das Prinzip der Einheit des Geistes . . . . . . . . . . . . . . 3.5.6 Kritische Phänomenologie und transformale Wahrheit 3.5.7 Die Form der Subjektivität als Reflex der Wahrheit . . 3.5.8 Die Geltung der letzten höchsten Einsicht . . . . . . . . . 3.6 Selbstrechtfertigung der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.1 Philosophieren als Fragen und Zweifeln . . . . . . . . . . .
88 89 93 96 101 104 108 113 116 119 119 120 121 125 130 132 133 140 141 142 144 151 155 155 156 159 164 168 172 177 178 182 183 185 189 192 192 193
Inhalt
3.6.2 3.6.3 3.6.4 3.6.5
IX
Sokratisches Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sittliches Interesse als Hebamme der Philosophie . . . Wahrheit als Wert und geistige Setzung . . . . . . . . . . . Rechenschaftsgrund und Sinn der Philosophie . . . . . .
194 196 197 200
4 Durchführung der synthetischen Sichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Kontemplation als Entfaltung der transzendentalen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Reflexion des intelligiblen Willens . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Der dritte Weg zum System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Der genetische Zusammenhang der Reflexionsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Basisphänomene als äußerliche Bildform geistigen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Die Sehe als Reflex des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Leben als Formung zum Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Leben als Bestimmbarkeit und Bestimmung . . . . . . . . 4.2.4 Selbstbestimmung und Reflexion im Werk . . . . . . . . . 4.2.5 Leben, Basisphänomene, Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . .
203 203 204 206 209 210 211 216 221 223 226
5 Schluss: Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommer 2008 von der PhilosophischPädagogischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt als Dissertation angenommen. Sie wurde von Prof. Dr. Reto Luzius Fetz (Eichstätt) und als Zweitgutachter von Prof. Dr. Christoph Hubig (Stuttgart) betreut. Dank schulde ich der Studienstiftung des Deutschen Volkes für die großzügige Gewährung eines Promotionsstipendiums und der Eichstätter Universitätsgesellschaft e. V. für die Verleihung des „Preises für herausragende wissenschaftliche Abschlussarbeiten“. Zahlreiche philosophische Anregungen erhielt ich in Eichstätt insbesondere durch Dr. Franz Bader. Wertvoll und hilfreich waren die freundschaftlichen Diskussionen mit Jan Müller. Die vielen und langen Gespräche mit meinem lieben Freund und Historiker Aurel Thun waren ein unerlässliches Motivans für die Arbeit, weil wir dabei immer wieder gemeinsam auf philosophische Fragestellungen geführt wurden; ohne ihn hätten nicht nur meinem geisteswissenschaftlichen Studium entscheidende Dimensionen gefehlt. Meinen Eltern danke ich für die immer wohlwollende und unterstützende Begleitung meines Studentenlebens und nicht zuletzt sehr dafür, dass sie die Strapazen des Korrekturlesens des Manuskripts auf sich genommen haben. Aus der Alpenlandschaft um Inzell schöpfte ich viel Kraft für die Arbeit.
1 Einleitung
Philosophieren ist lebendiger Vollzug. Will man philosophieren, so muss man sich mitten hinein begeben in den Vollzug – in den Prozess des Philosophierens. Es gibt keine voraussetzungslose Einleitung bzw. Hinführung. Entweder man tut es, oder man tut es nicht. Philosophieren ist schließlich reines Denken. Und auch in dieses lässt sich niemand einführen, der nicht dabei schon selber denkt. Denn jeder Akt des Lernens, der auf mehr aus ist als auf bloße Reproduktion, muss bereits von Denken begleitet sein. Freilich, die Voraussetzungen, das Vorwissen des Denkens können vielfältiger und subtiler, komplizierter und umfassender werden. Das ändert aber nichts daran, dass das Denken als solches vollzogen werden muss. Und eben so ist es mit dem Philosophieren. Die Voraussetzungen für philosophisches Denken können nur bereitgestellt und geklärt werden, indem bereits philosophiert wird. Es muss also unvermittelt angefangen werden – jegliche Vermittlung ist erst im Prozess zu gewinnen. Dies gilt nun insbesondere für das Philosophieren, für das mit der vorliegenden Arbeit ein Beispiel gegeben werden soll. In jedem Moment des lebendigen Vollzugs des Philosophierens müssen alle Bedingungen bzw. Voraussetzungen mitlaufend präsent sein, ohne freilich ständig in ihrer Totalität repräsentiert sein zu müssen – und zugleich besteht der Vollzug wesentlich in der Aufklärung seiner eigenen Bedingungen und Voraussetzungen. Weil das so ist, wird hier zu Beginn eine kurze Erläuterung einiger Aspekte des Titels der Arbeit gegeben – mit dem nämlich gewissermaßen auch schon alles gesagt ist, sofern er bereits im Sinne des philosophischen Vollzugs verstanden wird, den die vorliegende Arbeit entfaltet. Alles im ersten Hauptkapitel Folgende, und was insgesamt unter dem Titel ‚Einleitung‘ steht, soll dann in direktem Angriff der spezifischen Thematiken und Problematiken der Arbeit diese nicht nur vorbereiten, sondern vielmehr schon in Gang bzw. in Vollzug setzen. Der Titel der Arbeit spricht von ‚symbolischem Idealismus‘, von ‚Selbstverständnis und Geltungsanspruch‘, von ‚Metaphysik‘. Der Terminus ‚Geltung‘, der darin steckt, gibt schon wesentliche Hinweise. Es geht um das Problem der Geltung, um die Geltung der Begriffe und um das Begreifen von Geltung. Philosophiehistorisch ist das zu erwarten, entstammt Ernst Cassirer doch einem neukantianischen Umfeld, in dem gerade diese Problematik ein prominentes Thema darstellte. Mit dem Aus-
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erstes kapitel
druck ‚Geltung‘ wird aber Cassirer zugleich in die Nähe von Diskursen gerückt, denen er nicht ohne weiteres zugeordnet wird. Das Problem der Geltung führt das Denken nämlich bald auf das Problem der Werte. Der Terminus ‚Anspruch‘ verweist darauf, das auf etwas abgezielt wird, das nicht von vorneherein für ausgemacht gelten darf, das aber doch als Ziel der Überlegungen diese bereits zu leiten vermag. Dabei ist im Sinne einer Methode vorzugehen: Je mehr das Ziel schon vorschwebt, desto weniger soll der Weg dorthin ein bloßes Herumtasten und Probieren sein. Es ist vielmehr insbesondere immer darauf zu achten, was man selbst dabei philosophierend tut. Das verweist auf den Leser der Arbeit, der im verstehenden Nachvollzug die Gedankengänge freilich selber haben und dazu selber erzeugen muss: Er selbst ist aufgefordert, etwas zu tun, und das derartig philosophierende Subjekt lebt dabei folglich in einem Selbstbezug: „In der letzten höchsten Einsicht müssen wir uns freilich zum Begriff der Geltung erheben“, notiert in diesem Sinne Ernst Cassirer (ECN 1, 271). Hier soll also zugleich ein Selbstbezug geltend gemacht werden, und dieser soll mehr sein, als nur ein individueller Gedankengang. Der Vollzug soll vielmehr Geltung haben für jedes Wesen, das des Selbstbezugs fähig ist und der Aufforderung, sich zu erheben, Genüge leisten kann, wenn es nur will, und das schließlich in der freien Entscheidung dazu den Charakter der Forderung als etwas Höchstes und Letztes, sprich: als etwas Absolutes erlebt. Damit versteht sich die ganze Arbeit als eine Deutung von Ernst Cassirers Metaphysik des Symbolischen. Wieso spricht der aus einem neukantianischen Umfeld stammende Philosoph wieder von ‚Metaphysik‘? Und inwiefern ist sein Idealismus dabei ‚symbolisch‘? – Und schon finden wir uns mitten im lebendigen Vollzug des Philosophierens.
1.1 Zur historischen und systematischen Positionierung des symbolischen Idealismus Der Ausdruck „symbolischer Idealismus“ wird von Cassirer zur Bezeichnung seiner Konzeption von Philosophie in einem Manuskript mit dem Titel „Symbolbegriff: Metaphysik des Symbolischen“ (ECN 1, 261 ff.) verwendet. Damit ist der Terminus in Cassirers Gesamtwerk zwar wenig prominent. Dennoch trifft diese Bezeichnung am besten Cassirers philosophische Intention.1 Dies soll sich nicht zuletzt in den methodologischen Überlegungen in dieser Arbeit erweisen. In den nachgelassenen 1
Vgl. dazu Pätzold 2003, 47–60.
Einleitung
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Fragmenten zur Metaphysik des Symbolischen erscheint dieser Ausdruck an exponierter Stelle: „Die Weltanschauung des ‚symbolischen Idealismus‘ wendet sich ebenso wohl gegen die Metaphysik des dogmatischen Realismus wie gegen die Metaphysik des sogenannten Positivismus. In beiden bekämpft sie das, was trotz aller scheinbaren Differenzen den gemeinsamen Grundzug in ihnen ausmacht: daß sie den Kern des geistigen Lebens und der geistigen Funktionen irgendwie in einer ‚Wiedergabe‘ und ‚Abbildung‘ eines unabhängig von ihnen gegebenen ‚Wirklichen‘ sehen“ (ECN 1, 261). Diese Behauptung enthüllt gleich drei wichtige Gesichtspunkte: Erstens ist hier von einer „Weltanschauung“ die Rede. Sicherlich will sich Cassirer nicht in die Reihe der sogenannten Weltanschauungsphilosophen des 19. Jahrhunderts stellen. Dennoch soll die „Metaphysik des Symbolischen“ nicht nur ein rein begriffliches, theoretisches Konstrukt darstellen, sondern zugleich auf eine bestimmte Weltanschauung im Sinne einer bestimmten Haltung hinführen, nämlich, wie zu zeigen sein wird, einer sokratischen Haltung. 2 „Weltanschauung“ ist der „symbolische Idealismus“ folglich – und dies wäre das Zweite – insofern, als es sich dabei um eine systematische Position handelt, in welcher der Begriff der Realität eine spezifische Bedeutung erhält: Ein unabhängig vom geistigen Leben gegebenes Wirkliches ist nicht denkbar. 3 Wirklichkeit kann nur in Abhängigkeit von geistigen Funktionen gedacht werden,4 Realität kann folglich nur als unter den Bedingungen des geistigen Lebens stehende Erscheinungsrealität verstanden werden. 5 Drittens wird im angeführten Zitat zugleich Cassirers historisches Bewusstsein im Philosophieren einerseits, wie andererseits seine darin gerade nicht bloß historische, sondern durchschlagend systematische Bezugnahme auf Kant6 deutlich. Denn die Gegenüberstellung der Metaphysik des dogmatischen Realismus und der Metaphysik des sogenannten 2
Vgl. unten 3.6: Selbstrechtfertigung der Philosophie. „Realität“ bzw. „Außenwelt“ werden dem symbolischen Idealismus zu Namen, vgl. Sandkühler 2003, 18: „Diese Namen bezeichnen mögliche ‚Grundrichtungen der Betrachtung‘ einer phänomenalen Wirklichkeit, die in der Formung der Phänomene zu einer Welt mit Bedeutung für den Menschen entsteht.“ 4 Es kann davon ausgegangen werden, dass Cassirer klar war, dass „Wirklichkeit“ die von Meister Eckhard vorgenommene Eindeutschung der aristotelisch-scholastischen actualitas ist, vgl. Fetz 2008, 29. 5 Vgl. unten 1.1.2: Der Realitätsbegriff des symbolischen Idealismus, 2.1.4: Entdeckung von Wirklichkeit als Realisierung von Sinn. 6 Vgl. Sandkühler 2003, 20: „Wegweisend auch für Cassirer ist Kants Kopernikanische Wendung des Repräsentationsproblems.“ Cassirers Referenzwerk ist vor allem die Kritik der Urteilskraft, vgl. Pätzold 2003, 65; Ferrari 2003, 73 ff. 3
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erstes kapitel
Positivismus entspricht dem gerade von Kant geprägten historiographischen Schema. 7 Und in der Tat beansprucht Cassirer für den „symbolischen Idealismus“ die Reflexionsposition der Transzendentalphilosophie, die mit Kants drei Kritiken ihren historischen Anfang nahm. Dementsprechend spricht Cassirer mit Blick auf seine Philosophie auch explizit von kritischem Idealismus (vgl. CIPC, SMC). Diese These soll nun zunächst anhand eines Blicks auf Cassirers historisch-systematische Verortung seines Philosophiebegriffs und darauf folgend mittels einiger grundlegender, systematischer Überlegungen erhärtet werden. Es wird hier also zunächst jenem Verfahren gefolgt, das Cassirer weitgehend in seiner inhaltlichen, formanalytischen Arbeit selbst anwendet: Es soll die Artikulation einer systematischen Position in der Abarbeitung an relevanten problemgeschichtlichen Stationen verdeutlicht werden. Dazu eignen sich für den hier nur skizzenhaft durchzuführenden Aufriss besonders die Texte „The Concept of Philosophy as a Philosophical Problem (1935)“ (CPPP, SMC, 49–63) und „Critical Idealism as a Philosophy of Culture (1936)“ (CIPC, SMC, 64–91). Diese führen nämlich auf der einen Seite in den historischen Problemhorizont ein, wie sie auf der anderen eine instruktive Darstellung und Grundlegung von Cassirers philosophischem Programm und seines methodischen Ansatzes enthalten. 8
1.1.1 Abriss ideengeschichtlicher Selbstverortung Wirft man mit Cassirer einen synoptischen Blick in die Geschichte der Philosophie, so zeigt sich, dass Philosophie als solche immer beansprucht, die echte und wahre vereinheitlichte Wissenschaft zu sein. Philosophie intendiert in ihrem Wesen, so Cassirer, stets absolute Einheit. Diese Einheit werde stets als Einheit des Seins oder Einheit des Wissens aufgefasst, aber so, dass sich auf jeweils charakteristische Weise ein Sowohl-als-Auch ergibt: Die Philosophie in ihren vielfältigen historischen Gestalten hat ständig das Ziel, die Einheit sowohl des Seins als auch des Wissens zu begreifen, zu durchdringen und zur Darstellung zu bringen. Allerdings ist die Vielheit der Philosophien dabei zugleich der Beleg dafür, dass allen diesen Versuchen zwar das Ziel gemeinsam ist, doch dass der Einheit dieses Ziels keineswegs eine unmittelbare Einheit der (historischen) Phi7 8
Vgl. Kant 1965a, 709 ff. (KrV A 852 ff./B 880 ff.). – Vgl. Engfer 1996. Vgl. zum Folgenden ergänzend Pätzold 2003, 58–60.
Einleitung
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losophie selbst bzw. ihrer intellektuellen Struktur korrespondiert (vgl. CPPP, SMC, 51). Um nun aus einer schematischen Zusammenfassung der Tendenzen der Philosophie in ihrer Geschichte systematischen Nutzen für das Programm des symbolischen Idealismus ziehen zu können, teilt Cassirer in äußerster Stilisierung – und darin wiederum Kants historiographisches Schema variierend – die grundlegenden Richtungen philosophischen Fragens und Forschens in zwei Typen auf: den platonischen, der in den unterschiedlichsten Gestalten des Idealismus und des Rationalismus in der Philosophiegeschichte präsent ist, und den aristotelischen, der in realistischen und empiristischen Ansätzen vertreten ist (vgl. CPPP, SMC, 50 f.). Der Antagonismus dieser beiden Typen sei Ausdruck zweier natürlicher Impulse, zwischen denen sich das philosophische Denken bis hin zu Kant hin- und hergetrieben sehe (vgl. CPPP, SMC, 51); denn erst die kritische Philosophie Kants, so stellt Cassirer mit Kant9 fest, überwindet den Gegensatz der beiden Typen, indem sie diesen Gegensatz durch das Denken der reinen Relation ersetzt: „A pure correlation takes the place of the opposition“ (CPPP, SMC, 52).10 Mit der von Kant vollzogenen kritischen bzw. kopernikanischen Wende geht es der Philosophie fortan nicht mehr um eine Erweiterung des Wissens, sondern um ein Verständnis der Wissensfunktion und eine Rekonstruktion dieser Funktion. Um dies zu leisten, braucht die Philosophie, so Cassirer in Anschluss an Kant, eine Einsicht in die inneren Zusammenhänge der Energien des Geistes, in ihre Ordnung und systematische Abhängigkeit voneinander (vgl. CPPP, SMC, 54). Cassirer meint allerdings, dass Kant der Wissenschaft seiner Zeit verhaftet gewesen sei.11 Entscheidend für das Verständnis des symbolischen Idealismus sind jedoch nicht letztlich philologische Fragestellungen bezüglich der neukantianischen Kantinterpretation, sondern vielmehr, dass Cassirer es für möglich und richtig hält, die kritische Fragestellung, also die kanti9
Vgl. Kant 1956, 712 (KrV A 856/B 884): „Der kritische Weg ist allein noch offen.“ Vgl. unten 3.3.2: Denken der reinen Relation. 11 Zwar lässt sich mit Pätzold 2003, 55, feststellen, dass Cassirer mit einem „übersimplifi zierten Bild von Kant“ operiert, aber immerhin ist auch mit Recki 2004, 169, zu sehen, dass Cassirers Kantinterpretation „frei ist von der Engführung der Erkenntnistheorie als Wissenschaftstheorie“, so dass Cassirer „weit davon entfernt ist, ein Neu-Kantianer im Sinne der geläufigen Vorurteile zu sein: Mit der aus der kritischen Philosophie übernommenen Problematik seines Freiheitsbegriff s, der den auf theoretische und praktische Leistungen des Subjekts bezogenen transzendentalen Aktivismus aller Spontaneität umfaßt, bleibt er – ein Kantianer.“ Freilich bleibt Cassirer dadurch gerade in methodischer Hinsicht auch Neukantianer. „Denn es trifft keineswegs zu, daß Cassirer sich von Cohen und dem Neukantianismus durch den Versuch abgrenzt, auch noch jenseits der transzendentalen Methode zu denken“, vgl. Knoppe 1995, 327. 10
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sche Methode der Philosophie, in einem erweiterten Sinne beizubehalten und auf die Probleme bzw. erweiterten Problembereiche der Kultur des Menschen als seinem symbolischen Universum anzuwenden (vgl. CPPP, SMC, 55).12 Der Philosophie der symbolischen Formen gehe es dann im Sinne der Methode der kritischen Philosophie nicht mehr nur um Mathematik und reine Naturwissenschaften, wie der Kritik der reinen Vernunft gemäß Cassirers neukantianischer Interpretation, sondern um alle grundlegenden Funktionen, mittels deren der Mensch sich ein Bild des Kosmos (darin seiner selbst) und der menschlichen Welt (darin des Fremdpsychischen) macht (vgl. CPPP, SMC, 55). Es gehe in diesem Sinne um die Kultur und nicht mehr allein um die Natur (vgl. CPPP, SMC, 56).13 Cassirer entwickelt die Idee des symbolischen Idealismus in systematischem Anschluss an Kant und beansprucht dabei eine transzendentalphilosophische Position.14 Um die spezifische transzendentalidealistische Methodologie, die Cassirer in Anschluss an Kant in Ansatz bringt, zu verstehen, ist zunächst festzuhalten, dass Cassirers Position nicht mehr zwischen den antagonistischen Tendenzen des platonischen und des aristotelischen Philosophietyps herumgetrieben wird. Dies gibt einen entscheidenden Hinweis auf das Begründungsmodell, das dem Programm des symbolischen Idealismus zu Grunde liegt: Die idealistische sowie die realistische Sichtweise sollen beide als Momente im Weltverstehen begriffen werden. Es geht Cassirer um das Denken der reinen Relation, das heißt um eine Reflexion von Beziehungen.15 Auch Idealismus bzw. Positivismus wie Realismus bzw. Naturalismus sollen im methodologischen Ansatz in ihrem Verhältnis gedacht sein. Eine Notiz Cassirers zu seiner Philosophie der Kunst liest sich in diesem Zusammenhang wie ein Kommentar dieses Gedankens: „Weder ‚Naturalismus‘ noch ‚Idealismus‘ sind der adäquate Ausdruck für dieses eigentümliche Verhältnis – der Naturalismus nicht, weil er eine vorgegebene Natur – der Idealismus nicht, weil er eine vorgegebene Welt der ‚reinen Formen‘ metaphysisch, ontologisch ansetzt.“ 12
Zum Begriff der Kultur vgl. Recki 2004, 19–29, 38–41. – Gutmann 1998. Denn der Begriff der Natur geht als geistiges Gebilde selbst aus einer Energie des Geistes hervor, so wie die entsprechenden historischen Gestalten der Kunst und des Mythos usw. aus bestimmten Energien des Geistes hervorgehen. „Die ‚Natur‘ etc. konstituiert sich nur in geistigen Werken“ (ECN 1, 248). 14 Dazu GmP, ECW 9, 299 ff. – Vgl. Orth 2004a, 28 ff., 79 f., 107 ff., 123 ff.; Pätzold 2003, 52–55; Recki 2004, 154: „Wie wir uns angesichts seiner programmatischen Reflexionen klarmachen können, ist Cassirer in der Tat in wesentlichen Zügen seines Denkens Kantianer geblieben.“ 15 Vgl. unten 3.3: Der Blickpunkt metaphysischen Denkens, insbes. 3.3.2: Denken der reinen Relation. 13
Einleitung
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(ECN 3, 248) Der symbolische Idealismus beansprucht vielmehr eine Methodologie, die sowohl die idealistische als auch die realistische Position, die jeweilige Innen- und Außenperspektive des erscheinenden Wissens zugleich begründen soll. Dies ist nur im Rahmen eines transzendentalen Idealismus möglich.16 Um seine transzendentale Idealismusauffassung deutlicher zu machen, geht Cassirer auf verschiedene Idealismuskonzeptionen ein, die er wiederum als paradigmatische Beispiele für bestimmte Typen des Philosophierens aus der Geschichte der Philosophie entnimmt. So unterscheidet Cassirer – wiederum Kant folgend – zwischen dem dogmatischen Idealismus, wie er in reinster Form von Berkeley vertreten wurde, dem skeptischen Idealismus von Descartes (den er allerdings, wie auch das System von Leibniz, ganz in der rationalistischen Tendenz aufgehen sieht und deshalb nicht weiter in diesem Zusammenhang diskutiert) und schließlich dem transzendentalen Idealismus selbst, wie er von Kant inauguriert wurde (vgl. CIPC, SMC, 69). Zusätzlich sieht Cassirer auch hier weiterhin den platonischen Ansatz der Ideenlehre, wobei seinen Überlegungen Kants Platonlektüre17 als Referenzinterpretation zu Grunde liegt, als eigenen Typus des Philosophierens (vgl. CIPC, SMC, 65). Cassirer interessieren also in systematischer Hinsicht idealistische Ansätze des Philosophierens, namentlich die Platons, Berkeleys und Kants. Cassirer klassifiziert diese Typen in Hinsicht auf ihre unterschiedlichen theoretischen Interessen. So gehe es dem platonischen Idealismus vorrangig um die Natur der Wahrheit, und zwar sowohl im theoretischen als auch im praktischen Sinne (Êpist®mh und Âgajón). Außerhalb dieses Bereichs, so die spezifisch idealistische Aussage, kann es kein spezielles Problem der Realität geben, denn Wissen und Realität koinzidieren (vgl. CIPC, SMC, 67). Cassirer übernimmt von Platon entscheidende Impulse für die Entwicklung seiner Theorie des funktionalen Wahrheitsideals, wie sie in der platonischen Zusammenschau von Theorie und Praxis schon vorbereitet ist. Systematisch ist es vor allem die Annahme der Trennung (cwrismóV) von Ideen und Werden (bzw. Form und Leben), die Cassirer auch in der modernen Philosophie als deren „Grundgegensatz“ (ECN 1, 265) nach wie vor wirksam sieht und die er ablehnt. Cassirer betont dagegen in Platons Denken den Gedanken der Methexis (mæjexiV) und schließt viele seiner systematischen Überlegungen direkt 16
Die Innen-Außen-Relation darf eben nicht unkritisch vorausgesetzt werden, vgl. SuF, ECW 6, 296. 17 Vgl. Kant 1956, 321 ff. (A 312 ff./B 668 ff.).
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an Platons Konzeption der grundlegenden Korrelativität (vgl. ECN 3, 215) der Begriffe (bzw. Ideen) an. Cassirers Platon ist dementsprechend besonders der sogenannte späte Platon (Phaidon, Parmenides, Sophistes).18 In Berkeleys Idealismus wiederum, der sich besonders für die Natur von Geist und Materie interessiere und der damit in Hinsicht auf die Koinzidenz von Wissen und Realität eine wahrheitstheoretische Gegenposition zu Platon zu beziehen beansprucht, sei die Kaprizierung auf die Wahrnehmung als Quelle der Wahrheit und folglich dem abstrakten Denken als Quelle der Irrtümer deshalb irreführend, weil er die Wahrnehmung als passives Vermögen denke (vgl. CIPC, SMC, 67). Allerdings sieht Cassirer in Berkeleys Idealismustypus, obgleich er ihn als rein spekulativ diskreditiert,19 zumindest starke Argumente im Hinblick auf eine Theorie der Repräsentation (vgl. CIPC, SMC, 65). Jedenfalls sind die beiden idealistischen Hauptthemen – die von Platon hergeleitete Forderung der Einheit von Theorie und Praxis sowie die von Berkeley in ihrer Bedeutung überspitzte Repräsentationsproblematik – auch für den symbolischen Idealismus zentrale Themen, reichen jedoch noch nicht aus, um das dritte große Thema der Kultur angemessen zu erfassen, um das es Cassirer vorrangig geht. Jedoch sei der durch Kant geschaffene und gerade nicht mehr dogmatische, sondern kritische Typus des Idealismus als Methodologie am besten dafür geeignet, die Fragen einer Philosophie der Kultur adäquat zu stellen und philosophisch zu thematisieren (vgl. CIPC, SMC, 67). 20 Cassirer sprengt nämlich in seinen Überlegungen Berkeleys Theorie der passiven Repräsentation, nicht zuletzt durch seine Theorie der Differenz von natürlicher und künstlicher Symbolik21 und durch seine konsti18
Vgl. dazu LSB, ECW 22, 113–117. – Vgl. auch Janz 1997b. Hier beruft sich Cassirer auf Kants Widerlegung des (berkeleyschen bzw. dogmatischen) Idealismus in der Kritik der reinen Vernunft, vgl. Kant 1956, 254 ff. (B 274 ff.), die ganz im Gegensatz zu Schopenhauers Ansicht nicht die Grundsätze und Anschauungen der Kantischen Philosophie verdunkelt. Der Unterschied – auch mit Bezug auf Cassirers Philosophieren – liege aber nicht so sehr in den Inhalten, als vielmehr in Form und Begründung der Inhalte der Theorie. Vgl. CIPC, SMC, 68. 20 Vgl. Recki 2004, 58 f.: „Nur auf den ersten Blick erweitert Cassirer den Kantischen Idealismus durch [den] Gedanken der unabdingbaren Verkörperung des geistigen Gehalts in einem sinnlichen Medium: Dies ist ein bloß vermeintliches Desiderat der kritischen Transzendentalphilosophie; es ist vielmehr bereits bei dem, für den jedenfalls alle Erkenntnis zwei Quellen haben muß und der sich die Mühe machte, den Sinn seines Gedankens durch eine Widerlegung des (absoluten) Idealismus zu verdeutlichen [nämlich Kant], die ganze Zeit unterstellt. […] Cassirer bereichert den empirischen Realismus des transzendentalen Idealismus denn auch allein darin, daß er die Notwendigkeit der Versinnlichung des Geistigen im Gedanken der werkhaften Poiesis kultureller Bedeutungssphären deutlicher machen kann, als dies Kant offenbar für die Erfahrungswirklichkeit des Erkennens gelungen ist.“ 21 Vgl. unten 2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik. 19
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tutionstheoretischen Reflexionen des Begriffs des animal symbolicum, 22 besonders aber in seiner Überschreitung der letzteren hin zu einer Theorie der Basisphänomene. 23 Denn die „Basisphänomene“ (vgl. ECN 1, 113 ff.) der Kultur bestehen nicht nur aus theoretischen Annahmen, so dass eine Thematisierung mittels repräsentations- und wahrheitstheoretischer Überlegungen hinreichen könnte; Kultur ist vielmehr im Wesentlichen ein System von Handlungen, eine Ganzheit von im umfassenden Sinne symbolischen Tätigkeiten, wie z. B. sprachlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen und werkzeuggebrauchenden (technischen) Betätigungen. Die Basisphänomene werden in der vorliegenden Arbeit ausführlicher thematisiert. Mit Cassirer lassen sich diese „Schlüssel zur ‚Wirklichkeit‘“ (ECN 1, 137) auflisten als: (1) das Ich-Phänomen, (2) das Wirkens-Phänomen und (3) das Werk-Phänomen. Analog bezeichnet Cassirer diese Dreiheit auch als „das Phaenomen des Ich, des Du, des Es – das Phaenomen des Selbst, das Phaenomen des ‚Andern‘ (das sogenannte ‚Fremdpsychische‘), das Phaenomen der Welt (‚Gegenstand‘, objektive Wirklichkeit)“ (ECN 1, 137). Der Begriff der Kultur ist dementsprechend in der vorliegenden Arbeit mit Blick auf diese drei grundlegenden Konstanten des geistigen Lebens als sich realisierender Sinn zu entwickeln. 24 Das objektive geistige Leben entfaltet sich als Realisierung von Sinn in Werken, die in Gemeinschaften und somit unter dem Anspruch der Freiheit hervorgebracht werden, und zwar indem die individuellen Subjekte in ihren Repräsentationen der Werke diesen ihre Geltung bzw. Wahrheit als entsprechende Realisierungen von Sinn zuerkennen. 25 In diesem Begriff von Kultur liegt, dass solche Tätigkeiten nicht nur als abstrakte Größen im Sinne von bloßen Vorstellungen bzw. als bloß repräsentierte Handlungen eines möglicherweise weltlosen Subjekts verstanden werden dürfen. Vielmehr erhält die Idee tatsächlicher, etwas hervorbringender bzw. poietischer (vgl. ECN 1, 187) Handlung mit dem Begriff der Tätigkeit eine zentrale Funktion im symbolischen Idealismus. 22
Vgl. unten 2.1: Das animal symbolicum: Anthropologische Überlegungen. Vgl. unten 2.2: Das Urphänomen des Lebens: Theorie der Basisphänomene. 24 Vgl. unten 2.1.2: Die wesentlich ethische Dimension der Kultur, 2.1.3: Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug. 25 Das Werk „gilt nur, solange der Akt der Setzung […] selbst dauert und nicht durch einen anderen abgelöst und aufgehoben wird“ (ECN 1, 128). 23
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„It is this realization, this construction and reconstruction of the empirical world, that is involved in the very concept of culture and that makes up one of its essential and most characteristic features.“ (CIPC, SMC, 65)26 Kultur ist nicht nur eine Weise der theoretischen Meinungsbildung über eine gegebene Wirklichkeit, sondern sie ist vielmehr die Ganzheit von, freilich immer zugleich repräsentierten, Tätigkeiten und Handlungen, die eine bestimmte empirische Welt – als menschliche Lebenswelt, historische Mitwelt und schließlich auch als natürliche Umwelt – erst konstituieren. 27 Die Handlungen, welche die Kultur als solche ausmachen, vollziehen sich dabei immer in bestimmten Formen, und zwar in der nichtreduzierbaren Pluralität von symbolischen Formen wie Mythos, Sprache, Wissenschaft, Kunst „usf.“ (LKW, ECW 24, 458; vgl. PSF I, ECW 11, 15), die in ihrer Totalität das „symbolische Universum“ (vgl. EM, ECW 23, 30) formen. Erst durch diese kulturellen Formen erfasst sich der Mensch in seinem Selbstverständnis als animal symbolicum (vgl. EM, ECW 23, 31). 28 Damit nun also aus einer Beschäftigung mit der Kultur des Menschen eine Problematik der Philosophie der Kultur entspringt, muss eine spezifische Umwandlung der ansonsten empirischen, kulturwissenschaftlichen Fragestellung eintreten. Es müssen die Formen in den Blick genommen werden, in denen sich die Handlungen vollziehen, und nicht bloß die entsprechenden Handlungen in ihrer konkreten Geschichtlichkeit. Diese Art der Fragestellung ist nun aber keine andere als eine Anwendung der kantischen, nämlich transzendentalen, Methode auf die Philosophie der Kultur als Handlungszusammenhang des animal symbolicum. 29 Ziel der Philosophie der symbolischen Formen ist es dabei, eine „Art Grammatik der symbolischen Formen“ (PSF I, ECW 11, 17) bzw. eine „sort of grammar and syntax of the human mind“ (CIPC, SMC, 90) darzustellen, einen Überblick über seine verschiedenen Formen und Funktionen, um Einsicht zu gewinnen in die grundlegenden Regeln, die das
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Vgl. Renz 2002, 220 f.: „Kultur besteht wesentlich in der Tätigkeit des Welt-Sichten-Schaffens, wie sie sich aus dem Moment symbolischer Prägung herleiten läßt. Das als Wechselverhältnis gedachte Verhältnis von Mensch und Welt ist in der Kultur selbst beheimatet: Aufgrund des kulturellen Aktes, der den symbolischen Formen zugrunde liegt, wird zum einen Welt als je schon bestimmte – wissenschaftliche, ästhetische, ökonomische – erfaßt, zum andern ist schon die innere Geformtheit eines Symbols auf eine bestimmte Sicht abgestimmt. Allerdings ist auch diese bestimmte Sicht trotz der anders anmutenden Erfahrung erst mit dem Akt der Formung gegeben. Sie ist so gesehen selbst ein unerkanntes Erzeugnis der symbolischen Formung.“ 27 Vgl. unten 2.1.4: Entdeckung von Wirklichkeit als Realisierung von Sinn. 28 Vgl. dazu die kritischen Nachfragen in Schürmann 1995. 29 Vgl. Orth 2008.
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geistige Gefüge leiten. 30 Auf diese Weise will der kritische Idealismus die gemeinsame Welt verstehen, an der jedes individuelle Bewusstsein partizipiert und die jedes einzelne Bewusstsein auf seine eigene Weise und mit seinen individuellen Mitteln jeweils rekonstruieren muss (vgl. CIPC, SMC, 90). Soll eine solche philosophische Untersuchung nicht in einem vermögenstheoretischen Sinne missverstanden werden, 31 so bleibt nur die Transzendentalphilosophie als systematische Position des symbolischen Idealismus.
1.1.2 Der Realitätsbegriff des symbolischen Idealismus Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen beschränkt sich keineswegs darauf, eine analytische „Logik der Kulturwissenschaften“ geben zu wollen. Vielmehr handelt es sich bei dieser in ihrer von Cassirer jedenfalls so intendierten Ganzheit um einen umfassenden Ansatz im Sinne einer prima philosophia, die alle Bedeutungsnuancen32 des Begriffs der Realität in einem „komplexen System“ (PSF I, ECW 11, 27)33 begreifen will. Darin geht es um ein Verständnis aller möglichen Weltbezüge, die sich konkret immer in kulturellen Praktiken vollziehen. Die Arten und Weisen, durch die überhaupt Erscheinung von Welt statthat, sind die symbolischen Formen. Nur durch ein Verständnis dieser Formen gelangt die „philosophische Reflexion“ (ECN 1, 208) zu einem Begriff davon, was objektive Realität, was das objektive ‚Sein‘ in den verschiedenen möglichen Ausprägungen sein kann. „Der echte Begriff der Realität“, so Cassirer in der Einleitung zum ersten Band der ‚Philosophie der symbolischen Formen‘, „läßt sich nicht in die bloße abstrakte Seinsform hineinpressen, sondern er geht in die Mannigfaltigkeit und Fülle der Formen des geistigen Lebens auf – aber eines solchen Lebens, dem selbst das Gepräge der inneren Notwendigkeit und damit das Gepräge der Objektivität aufgedrückt ist.“ (PSF I, ECW 11, 46) Realität meint somit im symbolischen Idealismus immer eine geistige Setzung, in der das Leben als geistiges Leben sich selbst realisiert. Diese Setzung ist Realisierung von Sinn. Dadurch kommt es, wie noch genauer darzulegen ist, zur „Entdeckung von Wirklichkeit“ (ECN 3, 249), zur Aktua-
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Vgl. Schürmann 1996. Vgl. dazu unten 2.1.3: Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug. 32 Zur Interpretation der Philosophie der symbolischen Formen als Theorie des Bedeutungsbegriffs vgl. Bermes 1997, 142−181. 33 Zum Begriff des komplexen Systems vgl. Cappeillères 1997. 31
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lisierung dessen, was dem realen geistigen Leben in seinem Vollzug immer schon als Vorgegebenheit erscheint. 34 Im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zum Verhältnis von Form und Leben im Zuge seiner Diskussion der sogenannten Lebensphilosophie35 spielt bei Cassirer im Hinblick auf den Begriff der Realität außer dem Begriff des Lebens36 der Begriff des Geistes eine zentrale Rolle. In den nachgelassenen Notizen zur „Metaphysik des Symbolischen“ (ECN 1, 261 ff.) kommt Cassirer zu folgender klärenden und vor allem folgenreichen Aussage: „Die modernen Theorien des ‚Lebens‘ sind völlig ungenügend, weil sie am Leben vielmehr nur das negative, das bloss Naturhafte, das biologische Element herauslösen […] Aber damit kommt man noch gar nicht zum eigentümlichen Problem des ‚Lebens‘ […] als eines geistigen Prozesses – Zum Geistigen, zum ‚Für sich Sein‘ kommt es nicht im blossen Leben, sondern in der Form, die das Leben sich selbst giebt – […] Der Begriff des ‚konkreten Geistes‘ [aber] erfährt […] erst in d[]en Symbolformen seine Realisierung.“ (ECN 1, 266) Das Leben kommt erst im Geist bzw. als geistiges zu sich selbst, der Geist konkretisiert sich in den symbolischen Formen und in diesen geht die Realität als solche auf, nämlich in der „Entdeckung von Wirklichkeit“ (ECN 3, 249). Die Realität als solche erschließt sich im geistigen Leben: In der Erscheinung des Lebens in Formen, nämlich in symbolischen Formen, die immer zugleich „Verhaltungsweise“ (PSF I, ECW 11, 27; ECN 1, 5) und „Richtung der Formung“ (PSF III, ECW 13, 6) sind, wodurch dem Leben das Gepräge der inneren Notwendigkeit aufgedrückt ist und es also mittels dieser Formen Prägnanz hat, nämlich „symbolische Prägnanz“ (PSF III, ECW 13, 218 ff.); dies ist es, wodurch Wirklichkeit entdeckt wird und so Realität überhaupt erst erscheint. 37 Das Sein erscheint durch die symbolischen Formen. 38 Diesen oder vielmehr den Prinzipien ihrer Konstitution, muss sich die philosophische Reflexion zuwenden, um die Einheit aller Weisen von Weltbezügen verstehen zu können.
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Vgl. unten 2.1.4: Entdeckung von Wirklichkeit als Realisierung von Sinn. Vgl. Renz 2002, 266–272, Kapitel „Geist oder Leben? Cassirers Auseinandersetzung mit der Lebensphilosophie“. 36 Zum Lebensbegriff in der Philosophie Ernst Cassirers vgl. Möckel 2005. 37 Vgl. Hoel 2002, 194 ff. 38 Vgl. Sandkühler 2003, 28: „Bilanziert man, so geht es bei Cassirer nicht mehr – wie noch in der traditionellen realistischen Auffassung der Beziehung von Ontologie und Epistemologie – darum, die Transformation der ‚Dinge‘ in Vorstellungen zu begreifen, sondern die Frage umzukehren: Wie ist es überhaupt möglich, daß Inhalte des Bewußtseins zu Inhalten der ‚Außenwelt‘ werden?“ 35
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1.1.3 Metaphysik im Sinne Kants Der Ausdruck „Metaphysik“39 ist für Cassirer mit Kant40 im methodologischen Sinne einer „Metaphysik von der Metaphysik“41 zu verstehen. Dieser geht es um die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit des erscheinenden Lebens als Bedingung der Möglichkeit von Weltzugang (durch Form) überhaupt. Es geht um die Bedingung der Möglichkeit der symbolischen Formen als der Bedingung der Möglichkeit der Existenz des Menschen als animal symbolicum. Insofern geht es zugleich und stets um die Frage nach der Einheit des geistigen Lebens dieses animal symbolicum, und um die Frage nach dem Grund des Zusammenhangs seines symbolischen Universums und darin um den Grund des Zusammenhangs der ganzen, einen Welt, in der alle geistigen Energien auf eine „gemeinsame Mitte“ (ECN 1, 58) bezogen erscheinen – der einen Welt, die doch, im Hinblick auf die Konstitution des jeweiligen Weltgehalts, also der jeweiligen, notwendig beanspruchten Geltungen der Sinnverknüpfungen, in so vielen verschiedenen symbolischen Formen erscheint: im Mythos und in der empirisch-wissenschaftlichen Weltsicht, in der Sprache und in der Kunst, durch die Sitte (vgl. ECN 3, 209) und anhand der Technik (vgl. FuT, ECW 17, 139–183). Es geht um die Geltung der in allen Formen stets gleichen, impliziten Behauptung der einen Welt angesichts der Vielheit an Formen, in denen Realität so unterschiedlich begründet sein kann. Dabei erhebt sich mitlaufend die Frage, was eigentlich genau unter der Formel vom animal symbolicum zu verstehen sei: Wie sich der Mensch als animal symbolicum selbst konzipiert bzw. sich konzipieren muss bzw. soll, um zu sein, da er als solcher immer nur im Wechselverhältnis mit der Welt, in welcher er existiert, in einem symbolischen Universum, konstituiert ist.
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Die Ausdrücke „Metaphysik des Symbolischen“ und „symbolischer Idealismus“ werden in dieser Arbeit als im weiteren Sinne konvertible Begriffe verstanden. Eine Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen wird allerdings darin gesehen, dass die Bezeichnung „Metaphysik“ den doktrinalen Aspekt hervorhebt, während in der Bezeichnung „symbolischer Idealismus“ der methodologische Gesichtspunkt, die Seite von Methode und Verfahren der philosophischen Reflexion, betont ist. Die „Metaphysik des Symbolischen“ als philosophischer Systementwurf ist in noch darzulegendem Sinne im wiederum faktischen Sein erstarrtes Symbol des vom „symbolischen Idealismus“ beanspruchten rein ideellen Vollzugs (als eines methodischen Verfahrens). – Vgl. zur systematischen Erhellung des Begriffs des symbolischen Idealismus insbes. 3.1.4: die Aufgabe der Metaphysik des Symbolischen, 3.5.1: Anschauung geistiger Selbstoffenbarung, 4.1.2: Der dritte Weg zum System. 40 Vgl. für eine prägnante Darstellung von Cassirers Auffassung der kantischen Philosophie KPM, ECW 17, 221–250. 41 Kant in einem Brief an Marcus Herz, nach dem 11. Mai 1781, in: Kant 1900, 269.
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Die „Metaphysik des Symbolischen“ ist damit nichts weniger als eine bloß zusammenfassende Reflexion interdisziplinärer Blickpunkte, wie sie in einer Kulturphilosophie im Sinne einer umfassenden Theorie von Kultur überhaupt oder in einer Anthropologie im Sinne einer umfassenden Theorie vom Menschen zusammenlaufen.42 Es handelt sich bei ihr vielmehr um eine echte prima philosophia. Insofern versteht Cassirer seine eigenen Überlegungen in den gleichnamigen Bänden zur ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ als noch vorläufig bzw. „in statu nascendi“ (CIPC, SMC, 91) – nämlich einerseits im Hinblick auf das Projekt einer weiter zu entwickelnden und auszubauenden Kulturphilosophie im engeren Sinne; andererseits sieht Cassirer aber auch, dass die von ihm publizierten Ergebnisse bezüglich des von ihm selbst schon im ersten Band der ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ formulierten Systembegriffs nur als vorläufig betrachtet werden können, da es sich um rein analytische Befunde handelt. Es fehlt der synthetische Blickpunkt, die Durchführung der synthetischen Sichtweise, um das Projekt des komplexen Systems des symbolischen Idealismus vollenden zu können (vgl. CIPC, SMC, 90 f.) – dazu ist noch einiges zu sagen.
1.1.4 Transzendentalphilosophie als systematische Position Cassirer gibt in dieser ‚metaphysischen‘ Haltung seinen Kantianismus unumwunden zu: „Die ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ sucht
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Vgl. Pätzold 2003, 64 f.: „Wenn Cassirer hier über den ‚symbolischen Grundcharakter der Erkenntnis selbst‘ spricht, oder früher schon (1910) über ‚Invarianten der Erfahrung‘, später dann über ‚Basisphänomene‘, dann hat man es doch offensichtlich weder mit einer rein deskriptiv klassifi zierenden Phänomenologie, noch mit einer kausal erklärenden, wissenschaftlichen Theorie des Geistes zu tun. Letzteres kann schon deshalb ausgeschlossen werden, weil Cassirer – bei allem Interesse für in seiner Zeit neueste biologische, psychologische, etc. Forschungsergebnisse – zwar evolutionstheoretische, gestaltpsychologische etc. Ansätze zur Erklärung einzelner menschlicher kognitiver Leistungen nicht prinzipiell ablehnt, sie jedoch letztlich für seine philosophische Analyse symbolischer Modalitäten nicht in Anschlag bringt. Auch noch sein spätes Buch An Essay on Man (1944) zeigt genau diese Tendenz, insofern hier vielfach von der einzelwissenschaftlichen Diskussion ziemlich abrupt auf die Ebene philosophisch-konzeptueller Analyse und vice versa übergewechselt wird. Daß man es darüber hinaus auch bei einer rein deskriptiven Phänomenologie der Erkenntnis, sozusagen einer Heuristik der verschiedenen Symbolfunktionen, belassen könnte ist ebenso unwahrscheinlich, weil Cassirer nicht nur auf ihre Klassifi kation aus ist, sondern gerade auf ihre systematische Einheit. Ihm geht es, wie es schon zu Beginn seines Hauptwerkes heißt, um ‚eine philosophische Systematik des Geistes‘, oder, wie er es noch in seinem späten Werk formuliert, um die Darstellung des ‚symbolic system‘ des menschlichen Lebens.“
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dem Wege zu folgen, den Kant der ‚kritischen Philosophie‘ gewiesen hat.“ (LSB, ECW 22, 136) Cassirer beansprucht damit für seine Philosophie der symbolischen Formen eine transzendentalphilosophische Position, die sich nicht allein mit der Frage nach der Struktur des Seins und den Bedingungen bestimmter Erkenntnisvollzüge im weitesten Sinne zufrieden gibt, sondern der es dabei immer und im Wesentlichen um die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis bzw. von Weltzugang und Welthabe überhaupt geht. Das heißt, „ihre Frage richtet sich nicht an das absolute Sein, sondern an die Erkenntnis des Seins.“ (LSB, ECW 22, 137) „Wir stehen im Kreise der allgemeinen ‚transzendentalen‘ Frage: im Kreise derjenigen Methodik, die das ‚quid facti‘ der einzelnen „Bewußtseinsformen“ nur zum Ausgangspunkt nimmt, um nach ihrer Bedeutung, um nach ihrem ‚quid juris‘ zu fragen.“ (PSF III, ECW 13, 54) Dabei geht Cassirers Konzeption des Systems des symbolischen Idealismus, das folglich im Sinne einer transzendentalphilosophischen Fundamentalreflexion rekonstruiert werden muss, in seinem Begründungsanspruch und dem daraus notwendig zu entwickelnden Reflexionsvollzug – der in dieser Arbeit zu entfalten und zu begründen ist – über Kants Konzeption einer Systematik noch hinaus. Denn in der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis- bzw. Lebensvollzügen überhaupt muss sich nicht zuletzt und sogar vor allem der Vollzug der philosophischen Reflexion (vgl. ECN 1, 208) selbst in sein eigenes Fragen mit einbeziehen – und das ganz besonders dann, wenn, wie es Cassirer tut und tun muss, für den Lebensvollzug der philosophischen Erkenntnis (vgl. ECN 1, 264) spezifische Bedingungen gefordert sind: Die philosophische Reflexion muss nämlich „versuchen […], sich den Grund und Boden, auf welchen sie sich stellt, selbständig zu erarbeiten und zu sichern.“ (PSF III, ECW 13, 54) In diesem Sinne ließen sich zahlreiche Vergleichspunkte zwischen Ernst Cassirers Anspruch und Johann Gottlieb Fichtes Durchführung einer systematischen, transzendentalphilosophischen Reflexion finden und fruchtbarer Weise nutzbar machen sowohl für das Verständnis als auch für die Weiterentwicklung und Anwendung eines solchen Ansatzes – eine Aufgabe, die in ihrer eher historisch-systematisch orientierten Fragestellung eine ganz eigene Arbeit erfordern würde. Eine solche Untersuchung könnte sinnvollerweise von zwei Seiten zugleich anheben: Einerseits mit einer kritischen Herausarbeitung von Cassirers zahlreichen sowohl terminologischen als auch vor allem systematischen Anleihen in seinem Nachlass, besonders aus Fichtes späteren Arbeiten „Ueber das Verhältniß der Logik zur Philosophie oder transscendentale Logik
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(1812)“ und „Die Tatsachen des Bewusstseins (1813)“, die Cassirer in der Ausgabe von Immanuel Hermann Fichte vorgelegen haben,43 und zwar insbesondere in seinen Überlegungen zur Theorie der Basisphänomene (vgl. ECN 1, 113 ff.; ECN 2; auch ECW 3, 247 ff.) und zur Metaphysik des Symbolischen (ECN 1, 261 ff.) im engeren Sinne; andererseits wäre eine systematische Interpretation von Cassirers Fichte-Interpretation aufschlussreich, die er bereits 1919 veröffentlichte, also bezeichnenderweise erst nach Ableben seines von ihm immer in Ehren gehaltenen akademischen Lehrers Hermann Cohen, und damit auch in seiner Werkbiographie eine deutliche Abkehr vom sogenannten Marburger Neukantianismus im engeren Sinne vollziehend: Denn in dieser mit Blick auf Cassirers Zeit und deren Rezeption und Verständnis erstaunlich zutreffenden, noch heute lesenswerten Interpretation von Fichtes Wissenschaftslehre zeigen sich zugleich alle Theoreme und methodischen Forderungen angelegt, die im Hinblick auf die systematische Reflexion des symbolischen Idealismus als der „Weltanschauung“ (ENC 1, 261) der Philosophie der symbolischen Formen relevant sind. Wie gesagt erfordert eine solche Untersuchung eine ganz eigene Forschungsarbeit. Im Folgenden werden dazu ganz im Gegenteil historische Fragestellungen und selbst philosophiegeschichtliche Bezugnahmen, die Cassirer anführt, weitestgehend ausgeblendet, um in einem rein systematischen Herangehen die Selbstentfaltung der methodischen Reflexion des symbolischen Idealismus nachzuzeichnen. Die zentralen systematischen Forderungen bzw. Annahmen von Cassirers Transzendentalphilosophie skizziert dieser in seinen beiden hier bereits herangezogenen Aufsätzen zur Methode der Philosophie „The Concept of Philosophy as a Philosophical Problem (1935)“ (CPPP, SMC, 49–63) und „Critical Idealism as a Philosophy of Culture (1936)“ (CIPC, SMC, 64–91).44 Cassirer stellt dort unter anderem heraus, dass das zentrale Problem der Philosophie der Kultur die Frage nach dem objektiven Wert und der objektiven Bedeutung als der grundlegenden bzw. sozusagen grundlegendsten Kategorie der Realisierung geistiger Existenz ist (vgl. CIPC, SMC, 72). Der Philosophie muss es primär darum gehen, den Objektivitätsanspruch der symbolischen Formen zu verstehen und diese als Formen der Realisierung geistigen Lebens zu legitimieren, eines geistigen Lebens, das sich immer (irgendwie) im Bezug auf Werte vollziehen 43
Fichte 1971, SW 9, 103 ff., 401 ff. – Cassirer bezieht sich auf die Werkausgabe von Immanuel Hermann Fichte in seinem Kapitel „Fichte“ in EP 3, EP III, ECW 4, 121–208. 44 Die dort entwickelten Thesen lassen sich, nebenbei bemerkt, auch schon aus Cassirers Text über Fichte von 1919 lesen.
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muss. Die Idee der Legitimation – hier artikuliert sich der Anspruch der Frage nach dem quid juris – hängt dabei wesentlich mit der Konzeption von Wahrheit (überhaupt) (vgl. PSF III, ECW 13, 327; EGL, ECW 9, 139; ECN 1, 191) im Selbstverständnis des Vollzugs der philosophischen Reflexion zusammen. Gemäß Cassirer wird „die Forderung der Rechenschaftsablegung […] der Philosophie nicht von außen her auferlegt, sondern ist der reine Ausdruck ihres eigensten Wesens und ihres Grundproblems.“ (FFW, ECW 17, 342) Diesen zentralen Gedanken hat Cassirer bereits in seinem, systematisch allerdings unvollständig gebliebenen, Vortrag über den Wahrheitsbegriff in aller Klarheit ausgesprochen. Cassirer hat in seinen Überlegungen zum funktionalen Wahrheitsideal (vgl. FFW, ECW 17, 357) bereits einiges skizziert, wenn auch nicht durchschlagend reflektiert, z. B. die Konzeption von Wahrheit, aus der Rechenschaft ergehen soll nicht nur über die Aussagen zur geistig-ethischen Existenz des animal symbolicum, zu der in den Basisphänomenen zur Erscheinung kommenden, immanenten Vollzugsstruktur des allen Formen der Wirklichkeit konstitutiv zu Grunde liegenden Bildens sowie zur Konstitution und zu den Konstitutionsbedingungen der symbolischen Formen, sondern zugleich auch Rechenschaft über den lebendigen Vollzug der philosophischen Reflexion, der für solche Behauptungen Geltung beansprucht. Um dieses Problem kreisen ein guter Teil der Ausführungen der vorliegenden Arbeit. Cassirer erweist sich als Vertreter einer Form von Wertrealismus. Der Bezug auf die Sphäre der objektiven Werte (vgl. CIPC, SMC, 82),45 aus denen das geistige Leben lebt, impliziert die Beanspruchung einer unabhängigen, objektiven und autonomen Wahrheit, die der gegen Hegel funktional, nicht substantiell verstandenen Vernunft als Aufgabe vorschwebt und an der sie sich in der Einheit ihrer theoretisch-praktischen Realisierung in einer unaufhörlichen, in sich selbst zurückgehenden Bewegung des Geistes selbst aktualisiert (vgl. CPPP, SMC, 61 f.).46 Ohne eine solche Konzeption der Wahrheit, so lässt sich mit Cassirer, besonders mit Blick auf die Bedeutung dieser Wahrheitskonzeption für das Selbstverständnis des Vollzugs der philosophischen Reflexion, nachschärfen, die nicht einfachhin als gegeben, sondern vielmehr als Aufgabe zu konzipieren ist, würden nicht nur die Philosophie, sondern auch jedes spezifische Gebiet des Wissens, also auch die 45
Zum Wertrealismus in der neueren philosophischen Diskussion vgl. McDowell 1998. – Zum Verhältnis der (geltungstheoretischen) Objektivität der Werte und der (konstitutiv) objektivierenden Funktion des geistigen Setzens vgl. unten 3.5.4: Philosophisches Behaupten von Geltung, 3.5.8: Die Geltung der letzten höchsten Einsicht, 3.6.4: Wahrheit als Wert. 46 Vgl. unten 2.1.3: Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug.
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Naturwissenschaften sowie die Geisteswissenschaften, ihren (inneren) Zusammenhang und ihren (objektiven) Sinn verlieren: “Without the claim to an independent, objective, and autonomous truth, not only philosophy, but also each particular field of knowledge, natural science as well as the humanities, would lose their stability and their sense.” (CPPP, SMC, 61) In der Idee der Aufgabe (vgl. ECN 1, 245; auch ECN 1, 212) und damit im Begriff des Vollzugs – als Lösen der Aufgabe – ist aber zugleich der Begriff der Freiheit im ethischen Sinne gesetzt, den Cassirer mithin als denjenigen Wert entdeckt, auf den hin alle kulturellen Leistungen sich konstitutiv entfalten und aus dem sie erst ihren Sinn und ihre Bedeutung erhalten (vgl. CIPC, SMC, 81). Dieser Gedanke ist in der vorliegenden Arbeit besonders in den anthropologischen Überlegungen zum Begriff des animal symboicum zu vertiefen. Dabei wird sich ein wesentlicher Zusammenhang zwischen der Idee der Wahrheit und dem Begriff der Freiheit herauskristallisieren, dem in den Reflexionen zur Metaphysik des Symbolischen nachzugehen ist bis hin zur Einführung und Entwicklung des Reflexionsbegriffs der transformalen Wahrheit. Sofern in diesem systematischen Zusammenhang Leben als Freiheitsvollzug verstanden werden muss,47 und sich Freiheit in der Realisierung von (ideellen) Sinnverknüpfungen als der Bedingung der Möglichkeit der konkreten Existenz des animal symbolicum vollzieht, stellt sich somit der Philosophie das Problem der Existenz nicht in der Frage nach dem Sein, sondern in der Frage nach dem Sinn (vgl. CIPC, SMC, 82).48 Es ergibt sich zuletzt als die grundlegende Aufgabe der transzendentalphilosophischen Reflexion, Rechenschaft abzulegen über sich selbst (vgl. FFW, ECW 17, 342; CPPP, SMC, 49 f.). Die entscheidende und eigentliche Frage der Philosophie ist demnach die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit des Philosophierens selbst. Nicht irgendetwas soll behauptet werden, nicht über irgendetwas soll nachgedacht werden – die Aussagen, die getätigt werden, sollen vielmehr zu Recht so getätigt werden, sie sollen begründet und grundsätzlich begründbar sein, und genauso soll das Verfahren, die Methode, die freilich wesentlich die inhaltliche Entwicklung 47
Vgl. unten 3.2: Der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen, insbes. 3.2.2: Leben und Freiheit. 48 Die Philosophie wird immer „die Seinsfrage und die Rechtsfrage erst stellen können, nachdem sie die Sinnfrage von Grund aus geklärt hat. Aber diese Klärung kann nicht gelingen, solange die Betrachtung im Kreis der […] Werke, im Bezirk des Gewirkten und Geschaffenen, verharrt. Die Welt der [Kultur] bleibt stumm, solange man sie lediglich unter diesem Gesichtspunkt betrachtet und befragt – sie beginnt sich erst zu erschließen und ihr Geheimnis preiszugeben, wenn man auch hier von der forma formata zur forma formans, vom Gewordenen zum Prinzip des Werdens zurückgeht“ (FuT, ECW 17, 142). – Vgl. zum Sinnbegriff Pätzold 1998.
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und Ausrichtung bestimmt, gerechtfertigt sein. In der Frage nach dem Philosophieren als Vollzug geht es darum, inwiefern zu Recht jeweils so und nicht anders behauptet wird. Darin manifestiert sich das grundlegende Selbstverständnis jeder Philosophie, die allen Ernstes als kritische Philosophie auftritt und für die mit Cassirer auch, wie bereits zitiert, zu Recht gesagt werden kann, dass „die Forderung der Rechenschaftsablegung [ihr] nicht von außen her auferlegt, sondern […] der reine Ausdruck ihres eigensten Wesens und ihres Grundproblems [ist].“ (FFW, ECW 17, 342) Doch da man sich nicht anders als philosophierend diesem Problem stellen, mithin nicht in einem abstrakten, gleichsam philosophiefreien Denkraum die Lösung dieser Aufgabe angehen kann, bevor dann die Philosophie und damit das eigentliche Philosophieren beginnt, bleibt die Forderung der Rechenschaftsablegung in allen inhaltlichen Argumentationen der Philosophie mitlaufend thematisch: “The concept of philosophy shows itself again and again as a problem of philosophy, as a problem which in itself never comes to rest, but which must always be undertaken anew in a continual dialectical movement of thought” (CPPP, SMC, 50). Die „Selbstbesinnung und Selbstrechtfertigung erstreckt sich nicht nur auf ihre Resultate, auf den Bestand bestimmter Lehrsätze, sondern sie richtet sich in erster Linie auf das Ganze ihrer Fragestellung und auf das Ganze ihrer Methode.“ (FFW, ECW 17, 342) In der philosophischen Reflexion muss freilich immer an einen faktischen Ausgangspunkt angeknüpft werden.49 Jeder faktische Ausgangspunkt muss dann aber vom Vorwurf der Willkür bzw. Arbitrarität befreit werden, der prophylaktisch und generell erhoben werden kann. In diesem Sinne ergibt sich „der ‚Zweifel‘ [als] das positive Instrument der Erkenntnis – [der Zweifel] drückt die Funktion der philosophischen Erkenntnis aus“ (ECN 1, 130). Um den methodischen Zweifel – ganz im Sinne der cartesischen Meditationen50 – an seinen eigenen Voraussetzungen und Verfahrensweisen abzuwehren, darf die Philosophie also, will sie sich der ihr grundsätzlich gestellten Aufgabe der Rechenschaftsablegung nicht entziehen, nichts in ihrem Vollzug zulassen, was sie nicht aus Prinzipien entwickeln kann. Dies ist freilich nur möglich im lebendigen Vollzug der philosophischen Argumentation im Blickpunkt metaphysischen
49
Vgl. Tomberg 1996, 224: „Philosophische Analyse gründet in einer Praxis, die sie selbst notwendig auslegen muß, will sie den eigenen Horizont überschreiten. Sie kann aber auch gar nicht im eigenen Horizont verbleiben; wenn sie dies dennoch versucht, muß sie redlich bemüht an die praktische Grenze ihres Beginnens stoßen und bemerken, daß sie ihr Thema wie ihre Form nur von der Wirklichkeit zu Lehen hat.“ 50 Vgl. Descartes 1986, insbes. die erste und zweite Meditation, 62 ff.
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Denkens51 möglich, die auf Anschauungen verweist bzw. die mit Blick auf den Vollzug von Anschauung überhaupt das bewährende Prinzip der Bedingung der Möglichkeit legitimierender Anschauungen überhaupt aufweist, nämlich die Geltung des Lebensbegriffs im Sinne der Metaphysik des Symbolischen. Die philosophische Reflexion muss deshalb, wie zu zeigen sein wird, zu einer Anschauung geistiger Selbstoffenbarung kommen. Solche Selbstanschauung eröffnet sich der in dieser Arbeit zu entfaltenden philosophischen Erkenntnis52 in der metphysischen Reflexion 53 als dem Medium der Wahrheit schlechthin (vgl. PSF III, ECW 13, 327; EGL, ECW 9, 139; ECN 1, 191), die mittels des interpretatorisch einzuführenden Reflexionsbegriffs der transformalen Wahrheit greifbar wird. In diesem Begriff der Wahrheit reflektiert sich die Idee der Geltung als jeweils konzeptionell einholbares Konstrukt, wobei sich Geltung jedoch immer in unmittelbaren Anschauungsvollzügen bewähren muss, in denen Wirklichkeit jeweils vermittelt erscheint. Entsprechend der zwei Fragestellungen der philosophischen Reflexion – der Frage nach dem quid facti einerseits und der Frage nach dem quid juris andererseits (vgl. PSF III, ECW 13, 54) – ergeben sich deshalb zwei verschiedene Perspektiven auf die Idee der Geltung. 54 Die Konzeption von Wahrheit, in der sich die Geltung des lebendigen Vollzugs des Philosophierens reflektiert55, ist demgemäß abzusetzen von der Konzeption von Gültigkeit als jeweils formimmanentem Geltungskriterium, die sich in den konkreten Anschauungsvollzügen realisiert, welche von der kritischen Phänomenologie im engeren Sinne (vgl. dazu weiter unten in der Einleitung) auf ihre Konstitution hin untersucht werden. 56 In dieser Arbeit werden allerdings die Konstitutionsprinzipien der jeweiligen symbolischen Formen nicht im Einzelnen thematisiert. Es werden vielmehr der Begriff des animal symbolicum und der Kultur, die Basisphänomene und die symbolischen Formen im Hinblick auf die Idee der Einheit des lebendigen Vollzugs des Geistes bzw. der Einheit der geistigen Energien in den Blick gerückt. Denn es wird darauf abgestellt, die Einheit des geistigen Vollzugs in der als bloß faktisch zur Seite gelassenen Pluralität
51
Vgl. unten 3.3: Der Blickpunkt metaphysischen Denkens. Vgl. unten 3.4: Philosophische Erkenntnis. 53 Vgl. unten 3.5: Metaphysische Reflexion. 54 Vgl. unten 3.1: Vom quid facti zum quid juris. 55 Vgl. unten 3.5.4: Philosophisches Behaupten von Geltung. 56 Vgl. unten 2.3.4: Wahrheit und Wirklichkeitsbezug, 3.5.6: Kritische Phänomenologie und transformale Wahrheit. 52
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der jeweiligen Modalitäten57 desselben Vollzugs, also der symbolischen Formen im engeren Sinne, zur Darstellung zu bringen. „Was zu fordern ist, ist [...] die Einheit des Geistes, der geistigen Energie als solcher in aller Verschiedenheit der ‚symbolischen Formen‘.“ (ECN 1, 262) Das Einsehen dieses selbstidentischen geistigen Vollzugs ist dann die eigentliche Aufgabe der Metaphysik des Symbolischen, in welcher zugleich das philosophische Erkennen legitimiert werden soll.
1.2 Textgrundlage und Interpretation Cassirer hat mit seiner Philosophie der symbolischen Formen den Ansatz einer prima philosophia vorgelegt. 58 Vollendet hat er sein Projekt nicht (vgl. CIPC, SMC, 90 f.), denn die „Metaphysik des Symbolischen“ (ECN 1, 261 ff.) ist von ihm nicht ausgearbeitet. Es liegen nur teilweise zusammenhängende, teilweise einzelne Notizen und einige Textfragmente vor. Immerhin sind auch einige seiner ausgearbeiteten Texte und Aufsätze reich an Gedanken, aus denen sich eine Interpretation von Cassirers „Metaphysik“ und ihrem methodischen „symbolischen Idealismus“ (ECN 1, 261) bedienen kann. Einschlägig ist vor allem der erste Band der Nachlassausgabe (ECN 1). Aber auch einige seiner späten Aufsätze liefern wichtige Bausteine einer teils rekonstruierenden, teils weiterführenden Interpretation. Hier seien nur die in diesem Zusammenhang bedeutendsten zu nennen: „The Concept of Philosophy as a Philosophical Problem (1935)“, „Critical Idealism as a Philosophy of Culture (1936)“ und der Text „Zur Logik des Symbolbegriffs (1938)“, sowie die Schrift „Zur Theorie des Begriffs. Bemerkungen zu dem Aufsatz von Georg Heymanns (1928)“ und der Vortrag über „Formen und Formwandlungen des philosophischen Wahrheitsbegriffs (1929)“. 59 Die theoretische Grundlegung des „symbolischen Idealismus“, allerdings ohne eine Ausführung der „Metaphysik“, hat Cassirer in der Einleitung zum ersten Band der ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ gegeben (PSF I, ECW 11, 1–49), genauso wie er besonders im Kapitel über die „Ausdrucksfunktion und Ausdruckswelt“ (PSF III, ECW 13, 49–117) im dritten Band seines Hauptwerkes ‚Die Philosophie der symbolischen Formen‘ (PSF I–III, ECW 11–13) zu zahlreichen bedeutsamen Einsichten 57
Vgl. dazu Schmitz 2006, 155 ff. Vgl. Bermes 1997, 181. 59 Siglen und Stellen der hier genannten Texte in der Reihenfolge der Anführung: CPPP, SMC, 49–63; CIPC, SMC, 64–91; LSB, ECW 22, 112–139; TdB, ECW 17, 83– 91; FFW, ECW 18, 342–359. 58
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gelangt ist. Auch diese beiden Texte von 1923 bzw. 1929 liegen den Ausführungen in der hier vorgelegten Arbeit systematisch zu Grunde. Aber in den drei Bänden der ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ bleibt Cassirer stets am (letztlich empirischen) Objekt. Seine Ausführungen versteht er als Analysen des Bestandes des objektiven Geistes. Dabei zeichnet er sogar eine Art Entwicklungsgang des objektiven Geistes nach. Alle Ausführungen verbleiben auf der Ebene der kritischen Phänomenologie.
1.2.1 Cassirers kritische Phänomenologie Den sehr aussagekräftigen Terminus „kritische Phänomenologie“ (PSF II, ECW 12, 16; ECW 16, 179) verwendet Cassirer im Hinblick auf die Analyse des mythischen Bewusstseins. Im gleichen Sinne benennt er auch ausdrücklich den ersten Band seiner ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ als eine „Phänomenologie der sprachlichen Form“ (ECW 16, 3) und den dritten als eine „Phänomenologie der Erkenntnis“. Schon alleine mit diesen Bezugnahmen ist Cassirers Bezeichnung „kritische Phänomenologie“ im engeren Sinne hinreichend extensional umrissen. Solche kritische Phänomenologie soll „die faktisch[en] […] Erscheinungen […] aus der Einheit einer [je] bestimmten ‚Strukturform‘ des Geistes verständlich machen“ (PSF I, ECW 11, 13). Dabei analysiert sie die Mannigfaltigkeit der „Gestaltungsweisen“ des Geistes und darin jeweils „die immanente Norm, der jede von ihnen folgt“ (PSF II, ECW 12, 16). Es geht, wie in der vorliegenden Arbeit noch auszuführen ist, um die symbolischen Formen und die für sie konstitutiven immanenten Geltungskriterien. 60 Die kritische Phänomenologie im engeren Sinne verbleibt dazu in ihren formanalytischen Untersuchungen vis-à-vis den symbolischen Formen, wie sie sich in ihren historischen Kontexten entwickeln. Cassirers Selbstbekenntnis zu einem bestimmten Begriff von Phänomenologie ist freilich nicht eindeutig. Namentlich schwankt er zwischen den Typen Husserl und Hegel. „Kritische Phänomenologie“ im Sinne einer Analyse der „Strukturformen“ (PSF III, ECW 13, 54) des Geistes bezeichnet Cassirer auch als „Formanalyse“ (vgl. ECN 3, 230 ff.; auch LKW, ECW 24, 391 ff., 446 ff.). Hierfür reklamiert er ausdrücklich die Idee einer „Phaenomenologie […], denn sie ermöglicht es, an der eigentümlichen Bedeutung, am Sinn des Formbegriffs festzuhalten“ (ECN 3, 245). Ein solches Verständnis aber, wie es Cassirer für seine Idee der „Formana60
Vgl. unten 2.3.4: Wahrheit und Wirklichkeitsbezug.
Einleitung
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lyse“ bzw. der „kritischen Phänomenologie“ beansprucht, findet er „nur bei Husserl selbst“ (ECN 3, 246); 61 dies gilt einerseits. Weil aber alle Fakten, von denen die Formanalyse bzw. die Analysen der kritischen Phänomenologie ausgehen, geschichtliche Fakten sind, ergibt sich andererseits notwendig eine Dynamisierung der Methode und entsprechend auch der Systematik der kritischen Phänomenologie. 62 Wenn dies auch keineswegs eine Erweiterung von oder gar einen Gegensatz zu Husserls Verfahren darstellen würde,63 so bezieht sich Cassirer in dieser Hinsicht doch auf Hegel. Mit Hegel versteht Cassirer ausdrücklich die „Wahrheit“ als das „Ganze“, das sich nur im „Rhythmus“ „seiner eigenen Selbstbewegung […] entfaltet“ – und insofern nur im Nachvollzug dieser Dynamik erfasst werden kann. In diesem Sinne ist es konsequenterweise Cassirers hegelianisch gemeintes Ziel der kritischen Phänomenologie, „die Totalität der geistigen Formen zu umspannen“ (ECN 13, VIII). 64 Der Terminus „kritische Phänomenologie“ erweist sich noch aus einem dritten Grund als geeignet, Cassirers Verfahren treffend zu bezeichnen: Mit dem Attribut „kritisch“ wird die Erinnerung an das kantische Verfahren der Philosophie im Hinblick auf die Konstitution der Erfahrungsobjekte (vgl. z. B. PSF II, ECW 12, 37) präsent gehalten – und gerade auch dessen Verständnis einer „Phänomenologie des Objekts“ (ECW 17, 241). 65 Cassirer etikettiert seine eigene Philosophie in diesem Sinne 61
Eine aussagekräftige systematische Verortung Husserls im Selbstverständnis Cassirers fi ndet sich in PSF I, ECW 11, 14, Anmerkung 12. – Vgl. Orth 1995, 51: „Wenn Cassirer sich auf die Phänomenologie bezieht, knüpft er an zwei ganz unterschiedliche Gestalten derselben an: nämlich an Hegel und Husserl. Aber in beiden Fällen ist es kein dogmatischer Anschluß. […] Die Nähe zu Husserl wird bei Cassirer deutlich, wenn es um die Bestimmung der symbolischen Formen selbst geht.“ – Vgl. zum Verhältnis Cassirer-Husserl: Bermes 1997; Bösch 2002; Plümacher 2004; Choi 2007. 62 Darauf hat wieder Massimo Ferrari auf der Hamburger Ernst-Cassirer-Konferenz 2007 besonders hingewiesen. 63 Vgl. z. B. Husserl 1992, besonders die vorbereitenden Betrachtungen, wo sich insgesamt Husserls systematische Nähe zum cassirerschen Projekt der Philosophie der symbolischen Formen zeigt. – Vgl. in dieser Hinsicht noch radikaler urteilend Orth 1995, 54: „Daß [Cassirers] Orientierung am ‚objektiven Geist‘ und seinen Gestalten methodisch nicht mehr durch Hegels Phänomenologie des Geistes zu realisieren ist, sondern eher im Anschluß an die Husserlsche Phänomenologie, wird in Cassirers Zeitanalysen deutlich.“ – Vgl. auch Orth 1982. 64 Zum Bezug auf Hegel vgl. Pätzold 2003, 55 ff.; Recki 2004, 55: „Auf Hegels Phänomenologie des Geistes bezieht sich Cassirer ausdrücklich und affi rmativ, wo er das ganze Gebiet des kulturellen Geistes skizziert.“ 65 Zur systematischen Bedeutung des Phänomenologie-Begriffs des Neukantianers Paul Natorp, der hier ebenfalls zur Geltung kommt, vgl. Orth 1995, 53 f. Dazu Cassirers Auseinandersetzung mit Natorp in PSF III, ECW 13, 56 ff. und besonders ebd. 57, wo Cassirer mit kritischem Bezug auf Natorp feststellt: „Daß ein solches ‚Erscheinen‘ stattfi ndet, daß es Phänomene gibt, die sich auf ein Ich als wahrnehmen-
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ausdrücklich als kritischen Idealismus (vgl. CIPC, SMC, 90). Es geht der kritischen Phänomenologie stets um die Bedingungen der Konstitution bzw. die geistige Genesis von (möglicher) Gegenständlichkeit überhaupt, und zwar, in Cassirers Lesart, wie sie in verschiedenen „Modalitäten der Sinngebung“ (PSF III, ECW 13, 230) immer schon jeweils imprägniert bzw. symbolisch prägnant 66 ist. In diesem systematischen Kontext steht Cassirers Rede von der genetischen Ansicht (vgl. SuF, ECW 6, 341; ECN 3, 249; ECN 5, 20) der symbolischen Formen. „Diese Genesis selbst […] ist nicht psychologisch, sondern transzendental zu verstehen.“ (KEW, ECW 16, 123)67 Cassirers im kantischen Verständnis kritisches Verfahren ist als Formanalyse also zunächst im husserlschen, und außerdem, wegen der Dynamik der symbolischen Formen, die unter dem Totalitätsaspekt der geistigen Einheit des Menschen systemkonstitutive Bedeutung hat, im hegelschen Sinne als phänomenologisch zu verstehen. Dieses Verfahren beinhaltet die von Cassirer stets befolgte Regel, vom faktischen Bestand auszugehen – der mittels kritischer Sichtung und Einbezug der Ergebnisse der Einzelwissenschaften ebenso wie in hermeneutischen Prozeduren zu erschließen ist. Sofern die Philosophie der symbolischen Formen zudem immer schon eine Pluralität an symbolischen Formen bzw. eine Mehrdimensionalität der geistigen Welt (vgl. PSF I, ECW 11, 15; ECN 1, 263) und folglich eine Pluralität von Geltungskriterien annimmt, beansprucht sie aber von Anfang an einen übergeordneten Blickpunkt der Reflexion. 68 Dieser ist in der vorliegenden Arbeit unter dem Titel einer „Metaphysik des Symbolischen“ (vgl. ECN 1, 261 ff.) zu begründen und auszuführen, wobei Cassirers Ansätze interpretierend aufgegriffen und des, anschauendes oder denkendes Ich beziehen und die sich diesem Ich darstellen: dieses Urfaktum bildet hier das alleinige Problem.“ – Zu Cassirers Neukantianismus vgl. bes. Capeillères 1992. 66 Vgl. Schmitz 2006, 152: „Das phänomenologische Moment in dieser Philosophie ist die ‚symbolische Prägnanz‘ […].“ – Vgl. Möckel 1992; Dubach 1995. 67 In diesem umfassenden Sinne geht es der kritischen Phänomenologie, so lässt sich mit Knoppe 1995, 332 formulieren, „um die von der jeweiligen Besonderheit des Erkenntniszieles und des Erkenntniswillens abhängigen Visierlinien, in denen sich das Verhältnis von Begriff und Anschauung bestimmt. Denn auf ihnen lassen sich die Phänomene bis zu dem Punkt zurückverfolgen, wo jede Frage nach einem ‚Warum‘ oder ‚Wozu‘ aufhören muß.“ Vgl. auch ebd. 329 f. 68 Vgl. Tomberg 1996, 215: „Der Ansatz der Philosophie der symbolischen Formen sucht gleichfalls nach einem Ort für die philosophische Überlegung in der Gesamtheit des Wirklichen: über, aber nicht jenseits dieser Totalität soll sie zugleich deren Einheit darstellen und ihr zugehören. Damit situiert die methodische Auszeichnung philosophischer Bemühungen in ihrer Absicht, die sie selbst, im Vollzug der Analyse, überhaupt erst an Gestalt gewinnen läßt [sic!].“ (Hervorhebung S.U., zu deren systematischen Hintergründen vgl. unten 4.1.1: Reflexion des intelligiblen Willens).
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weitergeführt werden. 69 Im Verständnis der kritischen Phänomenologie im engeren Sinne beschreibt Cassirer seinen philosophischen Ansatz auch als einen kritischen Idealismus, der lediglich damit beginnt, die Formen der Sprache, der Kunst, der Religion und der Wissenschaft (usw.) rein analytisch zu beschreiben. „But we believe that by this it does not exclude, but is preparing for, a synthetic view” (CIPC, SMC, 90). Nur aus einem solchen, zunächst freilich bloß beanspruchten und in Aussicht gestellten, synthetic view – in der vorliegenden Arbeit wird vom synthetischen Blickpunkt 70 der Reflexion bzw. von der synthetischen Sichtweise gesprochen – lässt sich schließlich zu Recht behaupten, dass „die ‚Menschheit‘ ihrem ideellen Begriff und ihrem konkreten geschichtlichen Dasein nach“ sich erst „[i]m Ganzen dieser Tätigkeiten“ – nämlich der symbolischen Formen – „konstituiert“ (PSF II, EWC 12, 16). Schließlich kann, wie genauer zu zeigen sein wird, für die philosophische Hypothese dieses „Ganzen“ nicht vom Standpunkt einer bestimmten symbolischen Form aus Geltung beansprucht werden (vgl. ECN 1, 115), ohne dass hiermit zugleich eine Art performativer Widerspruch begangen würde. 71 Dementsprechend ist herauszuarbeiten: Der Reflexionsbegriff der Geltung des philosophischen Erkennens, 72 also des Erkennens, welches zugleich die Erkenntnisdignität der als Erkenntnisse behaupteten Aussagen 69
Vgl. unten 1.1.3: Metaphysik im Sinne Kants und insgesamt 3: Metaphysik des Symbolischen. – Schon die bloße Bezeichnung „Metaphysik“ (ECN 1, 261) setzt sich deutlich von einer „Phänomenologie der Erkenntnis“ (usw.) ab. Damit ist bereits terminologisch eine weitere systematische Dimension der Philosophie der symbolischen Formen angezeigt. Vgl. Orth 1995, 55: „Allerdings darf man Cassirers Philosophie nicht schlechthin als ‚phänomenologisch‘ bezeichnen. Der Phänomenologiecharakter seiner Philosophie ist eine, wenn auch wesentliche Erschließungsperspektive der Philosophie der symbolischen Formen.“ 70 „Blickpunkt“ ist ebenfalls ein cassirerscher Terminus, den er zur Bezeichnung einer methodischen Perspektive von „Standpunkt“ abgrenzt: „Die wahre Einheit, nach der die Philosophie strebt, kann sich nicht aus der Verwischung der Differenzen ergeben: sondern sie will gerade diese Differenzen festhalten und sie als solche kenntlich und verständlich machen.“ (ECN 2, 13) „Die Bedeutung und Fruchtbarkeit einer bestimmten Philosophie liegt daher weniger in dem, was sie als Lehrgehalt in der Form fester dogmatischer Sätze aufstellt, als in dem, was sie gedanklich intendiert. Nicht der ‚Standpunkt‘ der Philosophie, sondern ihr ‚Blickpunkt‘ ist das, was für sie eigentlich bezeichnend ist. Sie will nicht einfach, von einem bestimmten Standort aus, eine Karte des Seins aufnehmen, in die die einzelnen Wirklichkeitskreise, als bekannte und gegebene eingezeichnet werden. Sie zielt vielmehr in eine noch unbekannte Ferne, die erst zu entdecken und durch den Gedanken erst aufzuschliessen ist. […] Nicht sowohl das, wovon sie ausgeht, als das, worauf sie ausgeht, macht ihre Eigenart aus. Ihre logische Bestimmtheit gewinnt sie nicht schlechthin durch die Art ihrer Praemissen, sondern durch die Richtung der Fragestellung, die sie einschlägt und die sie durchgängig festhält.“ (ECN 2, 24) 71 Vgl. insbes. unten 3.5.6: Kritische Phänomenologie und transformale Wahrheit. 72 Vgl. unten 3.5.8: Die Geltung der letzten höchsten Einsicht.
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der kritischen Phänomenologie verbürgen soll, muss in einer erkenntniskritisch verfahrenden Konstruktion erreicht werden. Der Vollzug der philosophischen Erkenntnis muss also zunächst den Begriff der Geltung selbst relativieren bzw. relationieren – nämlich im Sinne von ‚in Bezug setzen‘ –, so dass Geltung, nämlich in der Frage nach dem quid facti, im gültigen Bestand formimmanent erscheint, also immer nur bezogen auf die jeweiligen, modalitätsspezifischen Konstitutionsprinzipien der symbolischen Formen. In dieser Perspektive erweist sich die Rede von Bestand und Geltung als relativ zur jeweils zu thematisierenden symbolischen Form. 73 Sofern für diese immer nur „irgend ein Aspekt als der eigentlichlegitime, der allein begründende festgestellt [werden kann] ergibt [das] nur einseitige Perspektiven“ (ECN 1, 166). Mit Blick auf die faktische bzw. relative Notwendigkeit (vgl. ECN 1, 265) der symbolischen Formen wird dadurch der Begriff der Geltung selbst relativiert: „Der Begriff des ‚Bestandes‘ ist [dann] nur ein Gleichnis!“ (ECN 1, 271). Aber schon um diese Aussage zu Recht machen zu können, muss ein ideell übergeordneter Blickpunkt eingenommen werden, der selbst für sich Rechtmäßigkeit beanspruchen können muss – wobei dieses können in einem transzendentalphilosophischen Ansatz selbst wiederum auszuweisen ist. Damit also muss sich dem Philosophieren die Geltungsfrage erneut stellen: „In der letzten höchsten Einsicht müssen wir uns freilich [wieder] zum Begriff der Geltung erheben“ (ECN 1, 271). Der geforderte Blick auf das Ganze macht allerdings notwendig, auch den Gegenstand der kritischen Phänomenologie im engeren Sinne – die symbolischen Formen als Strukturformen des Geistes – im Kontext aller Bedingungen bzw. Grundzüge des geistigen Lebens des Menschen in den Blick zu nehmen. In diesem Sinne ist im Zusammenhang der cassirerschen Phänomenologie in einem weiteren Sinne der Mensch als animal symbolicum ins Visier zu nehmen. Gerade für den Menschen als wesentlich geschichtlichem Wesen ist es freilich umso ersichtlicher, dass ohne die Berücksichtigung seiner im umfassenden Sinne entwicklungsgeschichtlichen und historischen Bezüge eine philosophische Thematisierung undenkbar wäre. Genau in diesem Sinne versteht Cassirer seinen Versuch über den Men-
73
Vgl. Renz 2002, 214 f.: „Die einzelnen symbolischen Formen entwickeln […] eine Sicht aufs Ganze, doch sie verhalten sich darin autonom und in gewissem Sinne auch blind. Ihnen eignet kein Bewußtsein um das Recht und die Richtigkeit der anderen symbolischen Formen. Ja, sie wissen nicht einmal um ihre eigenen Rechtsgründe, sondern sie kennen höchstens ihre eigene, letztlich dem Mythos entrungene, Mächtigkeit.“
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schen, den Essay on Man, als eine Phänomenologie der menschlichen Kultur – „a phenomenology of human culture“ (EM, ECW 23, 58). 74 Für einen weiteren Untersuchungsbereich verwendet Cassirer den Namen einer „Phänomenologie“, nämlich im Hinblick auf die – die Bezeichnung spricht es selbst aus – „Basisphänomene“, bei deren Thematisierung Cassirer eine Theorie der Grundkonstanten des geistigen Lebens im Visier hat (vgl. ECN 1, 113 ff.). Freilich ist eine solche Theorie im strengen Sinne nur aus der Perspektive des geforderten synthetischen Blickpunkts (vgl. CIPC, SMC, 90) zu entwickeln – und nicht zuletzt darauf wird im letzten Hauptabschnitt der vorliegenden Arbeit abgezielt. 75 Zunächst aber sind – unter Heranziehung von Cassirers diesbezüglichen Notizen – die Basisphänomene als solche wiederum ausgehend von der historischen Faktizität in den Blick zu bekommen. Also auch hier erweist sich zunächst ein phänomenologisches Herangehen und Argumentieren als geboten. 76 Das Verfahren der kritischen Phänomenologie beansprucht die Möglichkeit der synthetischen Sichtweise, sofern es nämlich – auch dies ist in der Arbeit zu entwickeln – immer schon mit eigentlich philosophischen Begriffen, nämlich mit „Reflexionsbegriffen“ (PSF III, ECW 13, 11), operieren muss, deren Möglichkeit und Legitimation wiederum erst in der höherstufig auf die Reflexionen der kritischen Phänomenologie aufbauenden Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen erwiesen werden kann. Dieses Verhältnis, das einen – noch herauszuarbeitenden – methodischen Kreisgang beinhaltet, ist im Einzelnen zu entwickeln. 77 Ebenso ist aber die Durchführung der Reflexionen bezüglich des animal symbolicum und bezüglich der Basisphänomene Voraussetzung für die Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen. 78 In dieser Hinsicht erweist sich deren Verhältnis zur Metaphysik des Symbolischen als analog dem Verhältnis der Grundbegriffe der kritischen Phänomenologie im engeren Sinne zur Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen. Es ergibt sich folglich, dass der Ausdruck „Phänomenologie“ in mehrfacher Weise zu Recht verwendet werden kann: Das Herangehen an den Begriff des animal symbolicum sowie an die Basisphänomene verfährt phä-
74
Vgl. Sandkühler/Pätzold 2003, 70 ff. Vgl. unten 4: Durchführung der synthetischen Sichtweise, insbes. 4.2.3: Leben als Bestimmbarkeit und Bestimmung und 4.2.5: Leben, Basisphänomene, Kultur. 76 Vgl. unten 2.2: Das Urphänomen des Lebens: Theorie der Basisphänomene. 77 Vgl. unten 3.3: Der Blickpunkt metaphysischen Denkens, insbes. 3.3.1: Reflexionsbegriffe. 78 Zu diesen systematischen Zusammenhängen mehr weiter unten in dieser Einleitung 1.3: Das System des symbolischen Idealismus. 75
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nomenologisch in einem weiteren Sinne. Und diese beiden Untersuchungsgegenstände sowie die Analysen der kritischen Phänomenologie im engeren Sinne, also bezüglich der symbolischen Formen, beanspruchen Begriffe, deren Verwendung auf die höherstufige Reflexion der Metaphysik des Symbolischen verweist. Der Boden der kritischen Philosophie im kantischen Verständnis wird freilich in keinem der angeführten Bereiche verlassen. Insofern ergibt sich in dieser Arbeit eine zweifache, im dargelegten Sinne engstens aufeinander bezogene Rede von „kritischer Phänomenologie“: Im oben definierten engeren Sinne, wenn von den symbolischen Formen als den Strukturformen des Geistes die Rede ist, sowie im eben erläuterten weiteren Sinne, der also die Überlegungen bezüglich des animal symbolicum, der Theorie der Basisphänomene sowie bezüglich der Konstitution der symbolischen Formen umfasst, sofern diese mit Begriffen operieren, deren Vertrautheit Voraussetzung ist für eine Nachvollziehbarkeit der Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen, wie sie in dieser Arbeit eingeführt und entwickelt wird. Entsprechend enthält die vorliegende Arbeit ein Hauptkapitel mit dem Titel „2 Kritische Phänomenologie“, das phänomenologische Untersuchungen im weiteren sowie im engeren Sinne umfasst; ein Hauptkapitel, das unter dem Titel „3 Metaphysik des Symbolischen“ die reflexionslogischen Voraussetzungen des notwendig beanspruchten synthetischen Blickpunkts entwickelt; sowie ein Hauptkapitel, das unter dem Titel „4 Durchführung der synthetischen Sichtweise“ ebendiesen als genetischen Zusammenhang der Reflexionsbegriffe im Grundansatz zur Entfaltung bringt. 79
1.2.2 Interpretation als systematische Fragestellung Als abgeschlossenes Werk können die drei Bände der ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ nur erscheinen, sofern man – aus welchen Gründen auch immer – nicht nur die Frage nach der Begründung der Prinzipien des Dargestellten, sondern vielmehr die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der philosophischen Reflexion (vgl. ECN 1, 208) ausblendet. 80 Cassirer hat aber am sogenannten vierten Band (ECN 1) seiner ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ gearbeitet. Dieser enthält das 79
Im Folgenden wird jeweils angegeben, ob von „kritischer Phänomenologie“ im engeren oder im weiteren Sinne die Rede ist, sofern die Zusammenhänge unklar werden sollten, falls diese zusätzliche Kennzeichnung unterlassen wird. 80 Zum Problematisierung der Frage nach der transzendentalphilosophischen Begründung der Philosophie der symbolischen Formen vgl. Onnasch 1998.
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Destillat von Cassirers unabgeschlossenen Überlegungen zu einer „Metaphysik des Symbolischen“. Gerade die Unvollständigkeit seiner Ausführungen erlaubt es und ermuntert sogar dazu, in vielen Teilen relativ frei zu rekonstruieren: Systematische Leerstellen müssen nicht nur kontextuell erschlossen, sondern teilweise produktiv interpoliert werden. Die dieser Arbeit zugrunde gelegte These ist – wie bereits angedeutet –, dass die „Metaphysik des Symbolischen“ eine Reflexion der philosophischen Reflexion leisten soll, deren Möglichkeit in Cassirers Überlegungen und Darstellungen der kritischen Phänomenologie im weiteren Sinne stets implizit beansprucht wird. Natürlich ist nicht zu erwarten, dass Cassirer die Reflexionsmethoden, die er in der kritischen Phänomenologie entwickelt, nun in einfacher Wiederholung auf die Philosophie selbst anwendet, gerade so, als handelte es sich bei der Philosophie um eine weitere symbolische Form, die in der kritischen Phänomenologie zum Ausdruck käme: „Solange die Philosophie noch mit [den symbolischen] Formen wetteifert, – solange sie noch Welten neben und über ihnen aufbaut, hat sie sich selbst noch nicht wahrhaft erfasst“ (ECN 1, 264). 81 Es geht Cassirer also jedenfalls nicht im Sinne einer, schließlich einen unendlichen Reflexionsregress eröffnenden, Iteration der Methode um eine Art Phänomenologie der Philosophie der symbolischen Formen selbst. Es geht ihm stattdessen um eine Aufklärung und Begründung der theoretischen Ansprüche der kritischen Phänomenologie,82 die in der Konstruktion des „symbolischen Idealismus“ (ECN 1, 261) als notwendiges Moment des lebendigen, kontemplativen Vollzugs (vgl. ECN 1, 189 ff.) einer bestimmten philosophischen Haltung ersichtlich werden. 83 Auf diesem Wege soll der von Cassirer projektierte synthetische Blickpunkt (vgl. CIPC, SMC, 90) gewonnen werden, den er fordert, der dann seine analytische Methode nicht einfachhin komplementär ergänzt, sondern letztere selbst, als positives Mittel spezifischer, nämlich philosophischer Erkenntnis (vgl. ECN 1, 264 f.), begründet und somit ermöglicht.
81
Cassirer hat vielmehr durchaus ein „Bewußtsein vom methodischen Sonderstatus der Philosophie“, vgl. Recki 2004, 46. 82 Vgl. Renz 2002, 215: „Als Metaphysik der symbolischen Formen beabsichtigt er eine metaphysische Begründung der Symbolphilosophie, nicht aber eine Phänomenologie der Philosophie als symbolischer Form.“ 83 Es ist darzulegen, inwiefern Cassirer damit zu einer „zeichenlosen, ‚adaequaten‘ Erkenntnis“ (ECN 1, 265) kommt. Um eine im schlecht spinozistischen Sinne unmittelbare Erkenntnis eines Absoluten als intuitive Erkenntnis kann es sich für die Philosophie der symbolischen Formen freilich nicht handeln. „Für sie, die sich erst in der Schärfe des Begriffs und in der Helle und Klarheit des ‚diskursiven‘ Denkens vollendet, ist […] das Paradies der reinen Unmittelbarkeit verschlossen.“ (PSF I, ECW 11, 49)
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Der Antrieb, die hier nun in Ausarbeitung vorgelegte Arbeit in Angriff zu nehmen, ergab sich nicht zuletzt aus einem systematischen Interesse am Zusammenhang der Begriffe, die Cassirer schon in seinem theoretischen Grundgerüst in der Einleitung zum ersten Band der ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ in Anschlag bringt. Erst in seinem Nachlass (besonders ECN 1, systematisch Relevantes findet sich auch in ECN 2, 3 und 5) greift er grundlegende Begriffe in klärender und vertiefender Absicht auf. Das, was Cassirer aber tatsächlich erreicht hat, lässt noch manches offen. Die mit dieser Arbeit vorgelegte Interpretation des „symbolischen Idealismus“ in Ernst Cassirers „Metaphysik des Symbolischen“ (ECN 1, 261) ist keineswegs ein durchlaufender Kommentar zu bestimmten Texten bzw. Notizen. Es wird vielmehr versucht, eine bestimmte, komplexe Interpretationsidee im Geiste von Cassirers Überlegungen systematisch durchzuführen. Historische Bezugnahmen, die in weiten Teilen von Cassirers Werk mitunter als dessen einzige Ausbeute erscheinen, werden dabei bewusst ausgeblendet; nur an wenigen Stellen werden Namen erwähnt, sofern damit systematische Tendenzen leichter bezeichnet sind als mit wortreichen Ausführungen. Betrachtet man die hinterlassenen Notizen und Fragmente von Ernst Cassirer, so drängt sich einem die Metapher der Insel auf: Die von Cassirer nachgelassenen Notizen und Fragmente sind wie Inseln. Die Interpretation der Fragmente besteht dann, um im Bild zu bleiben, im Finden der verbindenden Seewege: Sie ist das Herstellen des (fehlenden) systematischen Zusammenhangs. Da erhebt sich sofort die Frage: Woher weiß man denn, wie weit diese Inseln voneinander entfernt sind? – Doch nur aus der Interpretation selbst! Es ist nicht der Inhalt der Inseln, der darüber hinreichende Antwort geben kann, sondern es ist der Zusammenhang – sprich: die Landkarte, auf der die Inseln eingetragen sein müssten –, den die Interpretation konstruiert. Noch prägnanter gefragt: Woher weiß man denn, dass die vermeintlichen Inseln nicht vielmehr Eisberge sind? – Auch nur aus der Interpretation! Folglich muss dem Sortieren und Zueinander-in-Verhältnis-Setzen der Notizen und Textfragmente, der Bedeutungs-Inseln in Cassirers Nachlass eine Interpretationsidee bereits zu Grunde liegen. Die Interpretationsidee muss freilich mit einer möglichen und plausiblen Interpretation der Zusammenhänge der weniger problematischen, weil durchgeführten Darlegungen in der ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ verträglich sein: Es muss beim Zusammendenken eine kohärente Interpretation herauskommen.
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Eisberge haben nun aber unter der sichtbaren Wasseroberfläche einen Umfang, über den sich Seefahrer in fataler Weise im Unklaren sein können – und Inseln können gefährliche, unterseeische Riffe vorgelagert sein. Mit anderen Worten: Die jeweilige Relevanz der verschiedenen Stellen und Notizen muss selbst erst gewichtet werden – und auch dazu bedarf es bereits der Interpretationsidee. Es ist also jedenfalls nicht nur keine Legitimation einer bestimmten Interpretation, Cassirers Notizen und Fragmente im Bild der Inseln zu erfassen. Es zeigt sich darüber hinaus schon aus diesen einfachen Überlegungen heraus, dass eine Interpretation durchaus bestimmte Passagen und Gedanken aus dem Nachlass und auch aus dem Gesamtwerk von Cassirer in ihrer Relevanz als gewichtet, und sogar als klar ersichtlich unterschiedlich bedeutsam, darstellen bzw. erscheinen lassen darf. Das kann für das akademische Gesamtgeschäft der Interpretation, sozusagen für die Institution Interpretation, wie sie durch eine bestimmte scientific community repräsentiert wird, nämlich das universitär organisierte Interpretieren und (auf Tagungen) Diskutieren84 der Philosophie Ernst Cassirers, gleichermaßen hemmend wie auch beflügelnd wirken: Hemmend, weil es der allzu leichtfertigen Annahme einer möglichen Interpretation sozusagen den Wind aus den Segeln nimmt; beflügelnd aber, weil es der Freiheit, damit aber auch der Freude an der Konstruktion, zugleich die Zügel lässt. Solches Festzustellen bedeutet zugleich, ein Plädoyer zu halten für gedankliche Offenheit gegenüber verschiedenen, und auch und gerade gegenüber radikal verschiedenen Cassirer-Interpretationen, sowie auch für die Bereitschaft, jede Interpretation in ihrer systematischen Geschlossenheit – ihrer inneren Logik, Konsistenz und Kohärenz – annehmen zu wollen und das Urteil bezüglich des Statthabens dieses theoretischen Willens von der Evidenz des mittels der Interpretation selbst verhandelten systematischen Gedankens abhängig zu machen. Denn eine Interpretation ist letztlich ein Konstrukt, das an den zu interpretierenden Text herangetragen wird, um in der Textarbeit den entscheidenden, durch die Interpretationsidee selbst gefassten Gedanken erst zu radikalisieren. In diesem Sinne verfährt die hier vorgelegte Interpretation von Cassirers Metaphysik rein werkimmanent. Dazu trifft sie systematische Entscheidungen, die in der Beanspruchung eines bestimmten Blickpunkts der cassirerschen Philosophie und in spezifischen Lesarten ihrer Theoreme zum Ausdruck kommen. Die Arbeit setzt sich des84
Eine scientific community, die Gleiches betreibt, kann sich freilich auch anders beschreiben.
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halb mitlaufend vor allem mit möglicher interner Kritik auseinander, nämlich in der Form von impliziter Selbstkritik. Die Möglichkeit einer externen Kritik der damit insgesamt vertretenen philosophischen Position wird dadurch keineswegs ausgeschlossen, jedoch zum Zwecke der schärferen Selbstartikulation ausgeklammert. Gewonnen ist damit im Sinne der argumentativen Taktik zunächst ein Freiraum für gedankliche Konstruktion. Denn dieses Vorgehen schützt die Interpretation immerhin zugleich davor, dass mit dem Verweis auf bestimmte Stellen, die selbst einer Interpretation bedürftig sind, die Interpretationsidee und die durch diese bedingten Gewichtungen der systematischen Bedeutsamkeit der herangezogenen Stellen unvermittelt angegriffen werden können. Was die Applikation einer Methode der Interpretation dennoch keineswegs willkürlich macht, denn freilich gäbe es viele mögliche gedankliche Modelle, deren Fragwürdigkeit im Hinblick auf ihre Zuordnung als Interpretation des zu Interpretierenden allzu augenfällig ist. Deshalb muss die Interpretation selbst kritisch verfahren, und das heißt: Sie muss in der Textarbeit Rechenschaft ablegen über sich selbst.
1.2.3 Philosophieren als lebendiger Vollzug Idee und Methode der Interpretation entspringen und entsprechen nun aber der philosophischen Haltung des Interpreten. Was dieser also eigentlich interpretierend tut und dann der Diskussion innerhalb der interessierten Forschergemeinde vorlegt, ist der Vorschlag und darin die Aufforderung, einer bestimmten Idee und Methode der Interpretation beim Lesen der entsprechenden Texte Geltung zuzuerkennen. Ein solcher Vorschlag ist aber immer schon mit bestimmten inhaltlichen Gewichtungen des zu Interpretierenden verbunden. Was dies angeht, so ist es vielleicht (mit) entscheidend für die Annahme oder die Ablehnung der Interpretationsidee. Ersteres ist aber das viel Interessantere – denn Philosophieren, das sich hier im speziellen Fall am Interpretieren von Ernst Cassirers Nachlass aktualisiert und artikuliert, wird dabei als ein praktischer bzw. praktisch-kontemplativer Vollzug aufgefasst; andernfalls könnte die Interpretation sich nicht selbst als Vorschlag verstehen. Philosophieren, dies ist damit aber bereits rein systematisch erreicht, ist selbst ein Lebensvollzug bzw. lebendiger Vollzug. Deshalb kann sich Philosophieren nicht als das bloße Konstatieren historischer Fakten – und seien diese auch philosophiegeschichtlicher Natur – behaupten. Denn was könnte ein Konstatieren bloßer Fakten sein? Ist nicht vielmehr „alles Faktische schon Theorie“ (ECN 1, 199)? In der vorliegenden Arbeit konzipiert sich das
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Philosophieren demgegenüber als lebendiger Vollzug, nämlich als das Lösen der Aufgabe, den mit der Interpretationsidee gefassten Geltungsanspruch mitteilbar und nachvollziehbar zu machen. Philosophieren lebt dabei selbst aus dem in der angesetzten Interpretationsidee implizierten Sinnentwurf, zu dessen Anerkennung es den Leser mittels seiner symbolischen Darstellung auffordert – dieser Gedanke greift bereits inhaltlich auf in der Arbeit zu Entwickelndes vor. Eine grundlegende Annahme von Cassirers Philosophie ist die der Differenz und Pluralität der symbolischen Formen. 85 Cassirer spricht ausdrücklich von einer für die Philosophie der symbolischen Formen grundlegenden „Einsicht in die ‚Mehrdimensionalität‘ der geistigen Welt“ (PSF I, ECW 11, 15; vgl. ECN 1, 263). Damit, und aus den vorangehenden Betrachtungen, ergeben sich die beiden grundlegenden Voraussetzungen der hier vorgelegten Interpretation des symbolischen Idealismus: Einerseits die faktische Pluralität der symbolischen Formen, die zugleich faktische Voraussetzung der Auseinandersetzung ist; und andererseits die notwendige Forderung nach einer methodischen Selbstbehauptung der philosophischen Reflexion als lebendigem Vollzug, und zwar in einer selbst erst durch die Interpretation des symbolischen Idealismus aufzuzeigenden Weise. Diese Forderung stellt sich in der hier in Angriff genommenen philosophischen Reflexion als Aufgabe, an deren Bewältigung sich der lebendige Vollzug der Reflexion selbst erst entfaltet und als solcher sichtbar wird. 86 Das Entscheidende ist hier mit dem Zweiten behauptet: Die „Metaphysik des Symbolischen“ kann letztlich nicht anders, als sich selbst als eine methodische Selbstaufklärung und Durchdringung der beanspruchten philosophischen Erkenntnis zu formieren und als dieses Formieren zu behaupten, also in einer entsprechenden begrifflichen bzw. reflexionsbegrifflichen Konstruktion. Die „Metaphysik des Symbolischen“, soviel wird mithin bereits aus diesen Überlegungen deutlich, behauptet sich insofern selbst als ein sich selbst setzender Vollzug. Hieran ist folglich als weitere Aufgabe der Interpretation der Nachweis der Berechtigung der Annahme anzuknüpfen, dass das Philosophieren als lebendiger Vollzug das selbstunmittelbare Bild des Lebensvollzugs überhaupt bildet. Eine Selbstverständigung über diesen Anspruch ist nur mit Hilfe von Reflexionsbegriffen zu erzielen. Reflexionsbegriffe werden dazu im Verlauf der argumentativen Entwicklung in dieser Arbeit im Ausgang von Kants Konzeption eingeführt und als Mittel für das 85 86
Vgl. dazu z. B. Itzkoff 1977; Recki 2004, 35–38. Vgl. dazu unten 3.1.4: Die Aufgabe der Metaphysik des Symbolischen.
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sich selbst entfaltende Reflexionsverfahren der Metaphysik des Symbolischen herausgearbeitet. 87 In diesem zu entwickelnden Verständnis wird besonders der Reflexionsbegriff der transformalen Wahrheit als ein über das Repertoire des cassirerschen Wortschatzes hinausgehender Interpretationsterm eingesetzt und entfaltet. Mittels der damit bezeichneten Argumentations- bzw. Erkenntnisstrategien kann schließlich zu einer genetischen Darstellung der Reflexionsbegriffe des „symbolischen Idealismus“ übergeleitet werden, nämlich in die Durchführung der synthetischen Sichtweise 88 der philosophischen Reflexion.
1.2.4 Der Plan der Arbeit Die Interpretationsidee der hier vorgelegten Annäherung an Ernst Cassirers „Metaphysik des Symbolischen“ lässt sich kondensiert und nahezu formalisiert folgendermaßen umreißen: Cassirers philosophische Haltung ist Ausdruck eines transzendentalen Blickpunkts im lebendigen Vollzug des Philosophierens. 89 Der symbolische Idealismus legt dabei ein gesondertes Augenmerk darauf, dass transzendentales Philosophieren notwendig auf die Frage nach der Rechenschaftsablegung über den lebendigen Vollzug des Philosophierens führt: Philosophieren, so ist entsprechend auch in dieser Arbeit in einem historisch-systematischen Ausblick herauszustellen, ist ein im sokratischen Sinne fragwürdiger Lebensvollzug.90 Indem sich der symbolische Idealismus als philosophischer Lebensvollzug behauptet, erhebt er Geltungsanspruch für sich und seine Behauptungen in ihrer Totalität, d. h.: als systematischer Zusammenhang bzw. als System. Rechenschaft abzulegen über diesen Geltungsanspruch ist damit eine Aufgabe des Philosophierens selbst (vgl. FFW, ECW 17, 342; CPPP, SMC, 49 f.). Cassirer nimmt dieses Projekt in seinen Notizen zur Metaphysik des Symbolischen jedoch nur fragmentarisch in Angriff. Die Darlegungen der kritischen Phänomenologie im weiteren Sinne, die in der vorliegenden Arbeit bezüglich der geistigen Dimension des animal 87
Vgl. unten 3.3.1: Reflexionsbegriffe. Vgl. unten 4: Durchführung der synthetischen Sichtweise. 89 Vgl. Recki 2004, 53: „In seinen grundsätzlichen Reflexionen betont Cassirer immer wieder zu Recht, daß sein Ansatz idealistisch, seine Theorie eine Transzendentalphilosophie sei.“ Ebd. 162: „Die Philosophie der symbolischen Formen ist die transzendentale Theorie der Erzeugung von Bedeutungen“. 90 Vgl. unten 3.2.6: Sokratisches Fragen. 88
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symbolicum, der Basisphänomene und der Konstitution der symbolischen Formen durchleuchtet werden, dienen dabei einerseits dazu, die These zu belegen, dass es sich bei Cassirers philosophischer Haltung um einen Transzendentalismus im strengen Sinne handelt; andererseits sollen sie vor Augen halten, dass eine derartige Rechenschaftsablegung selbst nur als lebendiger Vollzug möglich ist. Damit ist ein Erkenntnisvollzug gemeint, in dem es nicht mehr um die möglichen symbolischen Formen des erscheinenden Lebens geht, wie sie im symbolischen Idealismus zu verstehen sind. Diese sind nämlich immer schon in eine Pluralität faktischer Geltungskriterien differenziert. Es muss vielmehr in Hinsicht auf die Philosophie selbst um die Einheit des Vollzugs gehen, sonst könnte sich dieser nicht einmal ideell bzw. rein konzeptionell als der „Totalität“ des Urphänomens des Lebens gegenübertretend behaupten. Die geforderte „philosophische Erkenntnis“ muss deshalb in einer „Selbsterkenntnis der Vernunft“ (ECN 1, 264) liegen. Im Anspruch auf „Selbsterkenntnis der Vernunft“ (ECN 1, 264) ist aber letztlich eine metaphysische Reflexion zu konzipieren.91 Denn diese Selbsterkenntnis soll in einer von Cassirer so genannten „zeichenlosen ‚adaequaten‘ Erkenntnis“ (ECN 1, 265) aufgehen. Als zeichenlose Erkenntnis muss diese aber als eine solche konzipiert sein, die nicht der (referierenden) Symbole bedürftig ist. Also kann sie – und dies insbesondere ist in der vorliegenden Arbeit zu entwickeln – in nichts anderem bestehen als in reiner Erkenntnis der Erkenntnis und muss als zeichenlose Erkenntnis ein reiner Anschauungsvollzug sein. Mit anderen Worten: Diese philosophische Erkenntnis im strengen Sinne beansprucht, das ‚Modalgefälle‘ zwischen Bilden und Bild in ihrem Vollzug aufheben zu können, indem in der zu entwickelnden metaphysischen Reflexion die philosophische Reflexion sich selbst erreicht und sich dabei als Exemplar von geistigem Lebensvollzug überhaupt, somit als Prototyp aller potentiellen Akte des Bildens, erlebt. Dabei ist in der metaphysischen Reflexion Geltung für das grundsätzliche Teilhabeverhältnis zu beanspruchen, in dem die potentielle Mannigfaltigkeit von konkreten Lebensvollzügen auf dieses Urbild bezogen ist (vgl. ECN 1, 271). Zu dieser Geltung als dem bewährenden Prinzip des damit beanspruchten, und ebenfalls noch zu entwickelnden, Lebensbegriffs der Metaphysik des Symbolischen92 erhebt sich die philosophische Reflexion gemäß Cassirer in ihrer „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271).
91 92
Vgl. unten 3.5: Metaphysische Reflexion. Vgl. unten 3.2: Der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen.
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In den aus dem Nachlass publizierten Überlegungen von Ernst Cassirer wird insofern eine „ideelle Befreiung vom Zwang der Symbolik“ (ECN 1, 265) postuliert. In der Konzeption der ideellen Befreiung vom Zwang der Symbolik wird eine Form von Geltung beansprucht, die nicht mehr im Sinne der noch zu entwickelnden Theorie der formimmanenten Geltungskriterien93 gemeint sein kann, wie sie in der kritischen Phänomenologie im engeren Sinne dargelegt bzw. analysiert werden. Sofern sich nämlich die letzte höchste Einsicht wiederum, so wie jeder Lebensvollzug in der einen oder anderen symbolischen Form, „zum Begriff der Geltung erheben“ (ECN 1, 271) muss, ist mit diesem Geltungsbegriff einer gemeint, der als solcher jegliche Formimmanenz transzendiert. Diese Idee der Geltung wird – eben als das bewährende Prinzip des Lebensbegriffs der Metaphysik des Symbolischen – im einzuführenden und zu entwickelnden Reflexionsbegriff der transformalen Wahrheit konzipiert.94 Es wird dann gezeigt, dass eine solche ideelle Befreiung zu Recht im faktischen Vollzug des Philosophierens (im Modus des symbolischen Idealismus) prätendiert wird. Der symbolische Idealismus konzipiert sich faktisch so, dass er in seiner Fragestellung notwendig auf die Frage nach der Rechenschaftsablegung in Hinsicht auf seinen eigenen Lebensvollzug geführt wird. Er konzipiert die letzte höchste Einsicht in einem platonischen Sinne95 als über jede mögliche konkrete Erfahrung von Seiendem hinausgehend.96 Dieser höchste ideelle Punkt des symbolischen Idealismus braucht aber eine faktische Wurzel. Sonst würde etwas in Anspruch genommen, was jeglichen Lebensvollzug überhaupt absolut transzendiert, aber gerade solches kann gemäß der Transzendentalphilosophie nicht konzipiert werden. Es muss also in der Faktizität diese Wurzel aufgewiesen werden. Da es um die Legitimierung des philosophischen Fragens geht, wird gezeigt, dass Fragen nach dem Wert von Lebensvollzügen berechtigt sind; Cassirer macht dies paradigmatisch mit dem Verweis auf die Figur des Sokra93
Vgl. unten 2.3.4: Wahrheit und Wirklichkeitsbezug. Vgl. unten 3.5.2: Wahrheit als Problem des symbolischen Idealismus, 3.5.4: Philosophisches Behaupten von Geltung, 3.5.6: Kritische Phänomenologie und transformale Wahrheit. 95 Zu dem hier gemeinten Verständnis des Terminus „platonisch“ ist die Verwendungsweise erhellend in Stekeler-Weithofer 1995, und ders. 1986. – „Platon“ wird hier mit seinem Werk zu einem historisch gewordenen Urbild und Musterbild (Prototyp) lebendigen Philosophierens. 96 Vgl. unten insbes. 3.5.3: Reflexion: Zuschauerin und Richterin, 3.5.7: Die Form der Subjektivität als Reflex der Wahrheit, 3.5.8: Die Geltung der letzten höchsten Einsicht. 94
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tes. Im sokratischen Fragen wird die Fragwürdigkeit von Lebensvollzügen thematisiert, aber gerade nicht im Hinblick auf deren faktische Konstellierung (z. B. deren Nützlichkeit, also mit Blick auf rein zweckrationale Gesichtspunkte), sondern im Hinblick auf ihren „Formwert“ (ECN 1, 191). Solcher Formwert ist aber nur zu konzipieren als Wert, der einer im ethischen Sinne zu verstehenden Freiheit eröffnet ist.97 Deshalb legitimiert der symbolische Idealismus seinen transzendentalen Blickpunkt letztlich dadurch, dass er sich als vom ethischen Fragen abkünftiges Forschen versteht. Somit beweist sich die Möglichkeit der Philosophie aus ihrer Wirklichkeit: Sie ist fragwürdig im sokratischen Sinne, und deshalb zugleich als solche legitimiert.98 Könnten die Voraussetzungen sokratischen Fragens, die in zentralen Begriffen wie Wert (Wahrheit), Freiheit und Sinn zum Ausdruck kommen, nicht zu Recht behauptet werden, so könnte sich sokratisches Fragen weder faktisch als solches verstehen noch vollziehen. Denn sokratisches Fragen kann nur um sich selbst wissendes Fragen, sich selbst verstehendes bzw. verstehen könnendes, sein. Weil aber die damit gewonnene Legitimation sich auf den symbolischen Idealismus als System beziehen soll, wird am Ende der Arbeit noch gezeigt, dass eine systematische Entfaltung der behaupteten Zusammenhänge als Ganzes möglich ist. Diese wird durch die Darstellung der Reflexionsbegriffe in der Durchführung der synthetischen Sichtweise (vgl. CIPC, SMC, 90) bis zur Ableitung der Basisphänomene geführt.99
1.3 Das System des symbolischen Idealismus Die Überlegungen der Einleitung können hier zusammengefasst, mit einem Ausblick auf die systematische Dynamik der mit dieser Arbeit vorgelegten philosophischen Entwicklung weitergeführt und auf den Einsatz der eigentlichen Reflexionen hin geöffnet werden. Cassirer hat ein systematisches Interesse (vgl. CIPC, SMC, 90 f.), selbst wenn die Forschungen der kritischen Phänomenologie im weiteren Sinne sich niemals von ihrer Bindung an faktische Bestände lossagen können und somit eine reine Systematik auf dieser Ebene der philosophischen Reflexion nicht
97
Vgl. Recki 2004, 164: „Es gilt somit zu verstehen, dass und wie Cassirers gesamte Kulturphilosophie praktisch fundiert und ethisch bedeutsam ist.“ Vgl. Orth 2004a, 23, 222 ff. 98 Vgl. unten 3.6: Selbstrechtfertigung der Philosophie. 99 Vgl. unten 4: Durchführung der synthetischen Sichtweise.
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erzeugt werden kann.100 Wie gesagt, analysiert die kritische Phänomenologie. Sie will aufzeigen, welche Prinzipien und Momente, welche Kategorien und Relationen konstitutiv im Bereich des Bestandes der jeweils betrachteten symbolischen Formen wirksam sind. In ihrem weiteren Begriff arbeitet sie die Prinzipien und konstitutiven Momente des geistigen Lebens überhaupt heraus. „Und doch kann sich […] das philosophische Denken nicht dabei beruhigen, die Mannigfaltigkeit dieser Beziehungen lediglich als solche, als einfachen faktischen Tatbestand hinzunehmen […] – was […] die Relationen betrifft, so scheint das, was sie als Einzelformen der Verknüpfungen leisten, nur dann für uns faßbar und verständlich zu werden, wenn wir sie selbst wieder durch eine Synthesis höherer Art miteinander verknüpft denken.“ (PSF I, ECW 11, 25–27) Für Cassirer ergibt sich deshalb ein komplexes System (vgl. PSF I, ECW 11, 27): Die Systematik der symbolischen Formen bleibt der Dynamik von Empirie und Geschichte unterworfen. Die philosophische Systematik der „Weltanschauung des ‚symbolischen Idealismus‘“ (ECN 1, 262) erhebt jedoch zugleich notwendig den Anspruch, in sich „ganz und geschlossen“ (ECN 1, 6) zu sein – weil sie ansonsten gar nicht das realisieren könnte, was sie prätendiert. Denn weder eine lose Verknüpfung von Einzelbetrachtungen zu Sprache, Mythos, Wissenschaft, Kunst usw., noch ein starres Ableitungssystem, wie es Cassirer in Hegels Philosophie realisiert sieht, ist das Ziel (vgl. PSF I, ECW 11, 30). In Cassirers Ansatz findet sich vielmehr ein dritter Weg 101: Die Architektonik der kritischen Phänomenologie bleibt der Dynamik ihrer Gegenstandsbereiche unterworfen. Die Architektonik der philosophischen Reflexion aber muss sich rein nachvollziehen lassen – schließlich wird sie als solche immer schon vorausgesetzt, denn ansonsten könnte es gar nicht gelingen, im philosophischen Sinne derartige ideelle Gebilde wie den Begriff des animal symbolicum, die Idee der Basisphänomene oder symbolische Formen und deren Prinzipien und Kategorien zu identifizieren, zu thematisieren, zu unterscheiden, darzustellen und zu erkennen. Es ist also erforderlich, „daß statt einer Ursprungseinheit, in welcher die Gegensätze sich aufzulösen und ineinander überzugehen scheinen, die
100
Die Theoriebildung selbst auf der Ebene der kritischen Phänomenologie kann aber auch nur, wie schon Eingangs herausgestellt wurde, „auf der Grundlage der Anerkennung der reflexiven Leistung der menschlichen Vernunft und ihres methodischen Einsatzes“ (Pätzold 2003, 66) erfolgen. Die Hinzuziehung des „anspruchsvollen Systemgedanken[s] eines immanenten Relationsgefüges“ (ebd. 68) erfordert dabei insbesondere die Anerkennung der Reflexionsebene, die in dieser Arbeit mit der Bezeichnung „Metaphysik des Symbolischen“ gemeint ist. 101 Vgl. unten 4.1.2: Der dritte Weg zum System.
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kritisch-transzendentale Begriffseinheit gesucht wird, die vielmehr auf die Erhaltung, auf die klare Bestimmung und Begrenzung der Sonderformen hinzielt.“ (PSF II, ECW 12, 29)102 Es muss folglich unterschieden werden zwischen zwei gesonderten, aber aufeinander verweisenden Verfahren der philosophischen Reflexion. Diese zwei Verfahren werden in ihrer Unterschiedlichkeit und ihrem Bezug zueinander in dieser Arbeit entwickelt und dargestellt. Es handelt sich um die Unterscheidung zwischen der Reflexion im Modus der kritischen Phänomenologie auf der einen, und der Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen auf der anderen Seite. In der Reflexion der kritischen Phänomenologie im weiteren Sinne geht es um das animal symbolicum, die Basisphänomene und die symbolischen Formen, die in Konstitutionsreflexionen103 darzustellen sind. Weil jede Wirklichkeit, also alles, worauf reflektiert werden kann, als solche aber immer durch symbolische Formen erscheint, ist der faktische Blick notwendig an den in diesen Formen erscheinenden Bestand gebunden. Solche Untersuchungen stellen deshalb auf den objektiven Bestand bzw. den Bestand an Geltungen ab, der innerhalb bestimmter, nur faktisch festzustellender symbolischer Formen erscheint. Allerdings verbleiben solche Untersuchungen, auch wenn sie als „Formanalyse“ (ECN 3, 235), also im kritisch abzusichernden Fragen nach den notwendigen Strukturmomenten (vgl. ECN 5, 13 ff.) spezifischer symbolischer Formen die bloße Empirie überschreiten, auf dem Boden des quid facti. Die Metaphysik des Symbolischen im engeren Sinne dagegen klärt die Voraussetzungen und Bedingungen des Vollzugs der philosophischen Reflexion (vgl. ECN 1, 208) bzw. philosophischen Erkenntnis (vgl. ECN 1, 264) selbst und bereitet den Vollzug der metaphysischen Reflexion vor, in dem in der „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) der Punkt erreicht werden soll, der als Forderung, Sollen bzw. Wert das quid juris des selbst faktischen und tatsächlich erforderlichen Vollzugs der philosophischen Reflexion als solcher begründen soll. Solche Reflexion erweist sich gerade mit Blick auf den philosophischen Begriff des Lebens als erforderlich. Leben ist durch die symbolischen Formen die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungsrealität überhaupt. Es erweist sich dabei zugleich als dasjenige, was sich als selbst lebendiges Erscheinen im Erscheinen Formen gibt bzw. immer schon in Formen eintritt. Durch die symbolischen
102
Vgl. unten 3.4.2: Transzendentale Logik. Zu den Begriffen der „Konstitutionsreflexion“ und der „Geltungsreflexion“ vgl. Wagner 1973, 1206–1209. Zur Problematik der Reflexion und des philosophischen Behauptens vgl. auch insgesamt Lauth 1979, Wagner 1980. 103
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Formen als den konkreten Äußerungsformen des Geistes erscheint das Leben: In der Formgebung besteht der „Prozess“ (ECN 1, 4f) des Erscheinens des geistigen Lebens, das sich dabei selbst Formen gibt.104 Dieses sich selbst Formen gebende Leben ist das geistige Leben bzw. das Leben des Geistes im engeren Sinne der Metaphysik des Symbolischen und erfordert einen spezifischen methodischen Zugang mittels transzendentaler Relationslogik und Reflexionsbegriffen. Die Metaphysik des Symbolischen bleibt damit gerade nicht bei den symbolischen Formen selbst stehen. Vielmehr versteht sie diese wiederum als erscheinende Formen, nämlich als erscheinende Formen des erscheinenden Lebens bzw. des Urphänomens des Lebens (vgl. ECN 1, 127, 263). Die Betrachtungen der kritischen Phänomenologie im weiteren Sinne – die anthropologischen Überlegungen, die Theorie der Basisphänomene sowie die Konstitutionsreflexion der symbolischen Formen – gehen vom Boden des Faktischen, des quid facti, aus. Da es sich aber – bei aller Faktizität der Geltung innerhalb dieser Bereiche – um nicht allein innerhalb bestimmter symbolischer Formen gültige Behauptungen handeln soll, stellt sich für diese Reflexionen selbst die Geltungsfrage.105 Freilich kann, wie gesagt, diese Geltung nicht aus den Bedingungen der Gültigkeit empirischer bzw. überhaupt faktischer Weltbezüge legitimiert werden; im Gegenteil soll sie vielmehr die Geltung der Aussagen bezüglich der Gültigkeit faktischer Weltbezüge erweisen.106 Dieser Anspruch aber artikuliert sich in der in der Metaphysik des Symbolischen höherstufig gestellten Frage nach dem quid juris. Die im Folgenden zunächst gegebene Darstellung der Grundbegriffe der kritischen Phänomenologie im weiteren Sinne gipfelt in einer Konstitutionsreflexion der symbolischen Formen in ihrer Grundform. Ausgegangen wird von einer philosophischen Durchleuchtung des konkreten Subjekts der symbolischen Formen, also desjenigen Wesens, das durch die symbolischen Formen als seinen „Bewußtseinsformen“ (PSF III, ECW 13, 54) Weltzugang überhaupt hat. Dieses Wesen ist das der Symbole bzw. Symbolisierung fähige – und bedürftige – Wesen: das animal symbolicum (EM, ECW 23, 31). In der Philosophie der symbolischen Formen 104
Vgl. unten 3.2: Der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen. Vgl. Recki 2004, 45: „Es ist nicht nur legitim, sondern auch zu verlangen, daß die philosophische Reflexion an der Erfahrung ansetzt – das heißt hier, bei den kulturellen Formen, die es gibt. Aber da es auch darum gehen muß, ihren Zusammenhang zu rekonstruieren und auf das Ganze zu reflektieren, werden wir uns mit der intuitiv verfahrenden semi-empirischen Methode Cassirers in letzter Instanz nicht zufriedengeben können – zumal er sie selbst als eine Transzendentalphilosophie, somit als Grundlegung aus apriorischen Prinzipien begreift.“ 106 Vgl. unten 3.5.6: Kritische Phänomenologie und transformale Wahrheit. 105
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wird darunter der Mensch im Hinblick auf seine geistige Existenz verstanden. Dieser Begriff des Menschen ist deshalb in entsprechenden anthropologischen Überlegungen zu reflektieren. In den anthropologischen Überlegungen wird sich der Begriff der Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug als Bezugsbegriff erweisen. Als „das erste Vorbild und Musterbild“ (vgl. PSF III, ECW 13, 113) von Sinnverknüpfung wird die leib-seelische Einheit des Menschen ausgemacht: Das animal symbolicum ist ein durch seine wesentliche Symboltätigkeit konstitutiv leibliches Wesen und notwendig auf das Leben in einer ethischen Gemeinschaft verwiesen107, welche sich mit ihren jeweils konkreten Symbolsystemen als symbolisches Universum bzw. als Kultur erweist, die sich immer nur in historischen Prozessen und Werken realisiert.108 Der Begriff der Kultur zeigt sich im Zusammenhang der anthropologischen Überlegungen damit als der Begriff sich realisierender und damit konkrete Freiheit ermöglichender Sinnverknüpfungen. Sofern aber Symbolisieren Freiheitsvollzug ist, kann auch gesagt werden, dass der symbolische Idealismus die Bedingungen der Möglichkeit der Realisierung der (geistigen) Freiheit als solcher zum Thema hat.109 Wie bereits angedeuted und im Verlauf des Textes zu entwickeln, kommen folglich die Begriffe der Wahrheit, der Freiheit und des Sinns immer wieder zum Vorschein, um dabei nach und nach ihr Reflexionspotential zu entfalten. Mit der Leiblichkeit, der (ethischen) Gemeinschaft und den kulturellen Werken kommt Cassirers Theorie der Basisphänomene in den Blick. Von „Basisphänomenen“ (vgl. ECN 1, 113 ff.) spricht Cassirer deshalb, weil sie die Bedingungen der Möglichkeit des geistigen Lebens des animal symbolicum sind und insofern in zu analysierender Weise den symbolischen Formen vorgeordnet erscheinen: Die Basisphänomene erweisen sich als die immanenten Bezogenheitsformen des Bildens und zeigen sich bzw. erscheinen als die leib-seelische Einheit des Menschen, als seine konstitutive Interpersonalität und als seine tätige Verwiesenheit auf Werke als objektiven Gebilden des Geistes. Sie sind konstitutive Voraussetzung des geistigen Lebens des animal symbolicum und damit notwendige Bedingung der Möglichkeit der Konstitution der symbolischen Formen.110 Den Blick auf den faktischen Bestand der symbolischen Formen hat Cassirer musterhaft in den drei Bänden der ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ demonstriert. Gegenstand der kritischen Phänomenologie
107 108 109 110
Vgl. Ullrich 2007. Vgl. Recki 2004, 31 Vgl. unten 2.1: Das animal symbolicum: Anthropologische Überlegungen. Vgl. unten 2.2: Das Urphänomen des Lebens: Theorie der Basisphänomene.
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im engeren Sinne ist die Konstellation der Formvollzüge mit ihrem konkreten Realitätsbezug. Das heißt, dass die kritische Phänomenologie die Konstitution von Lebensvollzügen mit konkretem Anschauungsvollzug thematisiert. Die kritische Phänomenologie nimmt dabei die symbolischen Formen zunächst im engeren Sinne in den Blick, und zwar im Ausgang von der Deutung dieser Formen als „Bewußtseinsformen“ (PSF III, ECW 13, 54), wobei, wie zu zeigen ist, die Begriffe des Bildens und der Auseinandersetzung, als Bedingungen der Möglichkeit solcher Bewusstseinsformen des animal symbolicum, die systematischen Bezugsbegriffe sind.111 In der Metaphysik des Symbolischen, als Grundlegung der synthetischen Sichtweise der philosophischen Reflexion112 und in der Durchführung desselben,113 geht es dann darum, die Urerscheinung des Lebens als solche darzustellen – sie sozusagen an dem Punkt zu erwischen, an dem sie im Erscheinen immer schon in bestimmte Formen eintritt. Die Metaphysik des Symbolischen muss insofern die Reflexion des als reine Aktualität gedachten Urphänomens des Lebens (vgl. ECN 1, 264) sein. Solche reine Aktualität begegnet aber allein in der Form der schöpferischen Subjektivität,114 die sich im lebendigen Vollzug der philosophischen Reflexion konzipiert und als exemplarisch begreifen kann. Der Weg der Philosophie, der in der Metaphysik des Symbolischen in einer Theorie der Reflexionsbegriffe kulminiert, führt gemäß der hier gegebenen Skizze durch eine Darstellung des Begriffs des animal symbolicum, der Theorie der Basisphänomene und der Reflexionen bezüglich der prinzipiellen Vollzugsstruktur der symbolischen Formen. Im Anschluss daran ist der metaphysische Lebensbegriff zu eruieren und des111
Vgl. unten 2.3: Die symbolischen Formen: Konstitutionsreflexion. Vgl. unten 3: Metaphysik des Symbolischen. 113 Vgl. unten 4: Durchführung der synthetischen Sichtweise. 114 Vgl. Tomberg 1996, 224: „Der Begriff der Philosophie beschreibt einen auf das Gesamt des Wirklichen und Möglichen gerichteten Vollzug. In dieser Richtung, die gemeinhin unter dem Begriff der Wahrheit thematisiert wird, liegt ihr Spezifi kum und ihr Dilemma. Indem nämlich sie von einer bestimmten, vorfi ndlichen Form des Wirklichen ihren Ausgang nehmen muß, sind ihre Methode und ihre Begriffl ichkeit um ihrer Verständlichkeit und Gültigkeit willen von dieser bestimmten Ausgangsweise des Weltverstehens kontaminiert. […] Die thematische Besinnung der Philosophie anhand anderer Wirklichkeitsbereiche beansprucht ja gerade den soeben herausgestellten strukturalen, formalen Philosophiebegriff, um ihn in einem wirklichen Vollzug zu füllen. Die transzendentale Selbstreflexion auf die Möglichkeiten dieses Vollzuges benötigt abermals ein Paradigma zu ihrer Artikulation. Dieses bleibt von der historischen Identität des Interpreten abhängig wie, umgekehrt, es sie beeinflußt und verändert. Ursprünglicher Impuls philosophischen Denkens ist die sich gestaltende Gestalt des Philosophierenden im Gewand der Freiheit.“ – Vgl. unten 3.5.7: Die Form der Subjektivität als Reflex der Wahrheit. 112
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sen methodologischen Voraussetzungen sind zu reflektieren. Die Methodologie muss zugleich die synthetische Darstellung im anschließenden Hauptteil der Arbeit analytisch vorbereiten. Dazu ist zu zeigen, inwiefern die Metaphysik des Symbolischen einen spezifischen Reflexionsvollzug beanspruchen kann und muss, der in gewisser Weise jeden Symbolvollzug im engeren Sinne überschreitet und gerade deshalb auf die Einheit der verschiedenen Formen zu reflektieren erlaubt. Der Weg zu einem synthetischen Blickpunkt auf den einheitlichen Zusammenhang der Bedingungen der Möglichkeit des geistigen Lebens, den Cassirer in seinem Werk nur noch gefordert, nicht im systematischen Sinne durchschritten hat (vgl. CIPC, SMC, 90 f.), wird damit über die Frage nach den Bedingungen eines solchen Reflexionsvollzugs selbst führen und in eine reflexionslogische Durchführung desselben münden. Damit ist das gesamte Programm, aber auch die Schwierigkeit des symbolischen Idealismus und des mit diesem philosophischen Programm aufs engste verwobenen spezifischen Lebensbegriffs angezeigt. Die Schwierigkeit besteht darin, dass im Reflektieren auf das Urphänomen des Lebens dieses in seiner ideellen „Totalität“ (ECN 1, 264) in den Blickpunkt gerückt werden soll. Die Urerscheinung als solche kann aber nicht gesehen werden, weil jede „Sehe“ (vgl. ECN 1, 28, 214, ECN 3, 249) als eine „Energie des Geistes“ (PSF I, ECW 11, 7) immer schon eine sich vollziehende forma formans,115 also, in prinzipieller Hinsicht, eine symbolische Form darstellt. Die Metaphysik des Symbolischen beansprucht demgegenüber aber ausdrücklich, in philosophischer Erkenntnis (vgl. ECN 1, 264) die Urerscheinung des Lebens als sehendes Leben bzw. als Sehe in den Blick zu nehmen. Der Blickstrahl muss gewendet werden (vgl. ECN 1, 139) – und was dann in den Blick kommen soll, ist das Sehen des Sehens selbst. Erst in der Entwicklung des systematischen Reflexionszusammenhangs kann sich erweisen, wie mit den Mitteln des symbolischen Idealismus diese Metapher116 ihren Sinn entfaltet – ohne dass hier mit Cassirer im wörtlichen Sinne auf die Paradoxie des Auges, das sich selbst sieht, zugesteuert werden würde. Die Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen erweist sich folglich im höchsten Sinne als eine Geltungsreflexion, denn es geht um den Wert und die Geltung der in der Konstitutionsreflexion der symbolischen Formen im Modus der kritischen Phänomenologie dargestellten Prinzipien: Im symbolischen Idealismus vollzieht sich – und nun zeigt 115
Vgl. Recki 2004, 37. Es handelt sich dabei um eine absolute Metapher in dem Sinne, den Hubig im Anschluss an König 1994 und Snell 1993 herausarbeitet, vgl. Hubig 2006, 145 ff. 116
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sich die Funktion des schon einmal gegebenen Cassirer-Zitats bereits in höherstufigem Licht – die philosophische Reflexion „im Kreise der allgemeinen ‚transzendentalen‘ Frage: im Kreise derjenigen Methodik, die das ‚quid facti‘ der einzelnen Bewußtseinsformen nur zum Ausgangspunkt nimmt, um nach ihrer Bedeutung, um nach ihrem ‚quid juris‘ zu fragen.“ (PSF III, ECW 13, 54)
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2.1 Das animal symbolicum: Anthropologische Überlegungen Cassirers Philosophie wird als ein wesentlicher Beitrag zur philosophischen Anthropologie gelesen.1 Auffällig ist jedoch vor allem, dass Cassirers ganze Philosophie von ethischem Denken durchprägt und gesättigt ist. 2 Gerade die grundlegende „praktische Appetenz“3 seines Denkens zeigt aber bereits, dass der bedeutendere Kern seiner philosophischen Absichten nicht in einer letztlich empirischen Bestandsaufnahme der menschlichen Kultur gefunden werden kann. Tatsächlich versteht Cassirer den Menschen primär als ein Wesen der Freiheit. Seine Konzeption der geistigen Verfasstheit des Menschen gipfelt in einer subtilen Analyse der Vollzugsstruktur des geistigen Lebens. Also hat es seine Berechtigung zu sagen, Cassirers eigentlicher Untersuchungsgegenstand sei der Mensch als animal symbolicum (EM, ECW 23, 31), wobei dies besagen soll, dass der Mensch ein durch Symbole verstehendes, denkendes und erlebendes Wesen ist. Seine theoretischen und praktischen Welt- und Selbstbezüge sind sämtlich durch symbolische Formen eröffnet.4 Das bedeutet aber auch, dass sich der Mensch selbst philosophisch nur als Kulturwesen verstehen kann, denn das Verstehen seiner Umwelt und darauf aufbauend bzw. daraus resultierend erst der Umwelt (und damit der Natur) ist nur aus seinem spezifischen Selbstverständnis als animal symbolicum möglich; erst in Folge einer Aufklärung seines Kulturbewusstseins kann sich der Mensch auch als (bloßes) Naturwesen thematisieren. So sehr Cassirers symbolischer Idealismus mithin als Anthropologie aufgefasst werden kann, so wenig geht es ihr demzu1
Vgl. z. B. Schmitz 2006, 201ff. – Der „kritische Impuls“ von Cassirers Philosophie ginge allerdings „bei einer rein kulturanthropologischen Auslegung sehr leicht verloren“, vgl. Renz 2002, 204. Vgl. ebd. 216–221, das Kapitel zur „transzendentale[n] Begründung des symbolischen Bewußtseins aus dem Verhältnis zwischen Mensch und Welt“. 2 Recki 1997, 2004, Doyon 2004, Kautz 1990, Orth 2004a, 23; Bermes 2008, Plümacher 2008. 3 Vgl. Recki 2004, 170: Praktische Appetenz meint, dass „im Grunde alle prägnanten Äußerungen schon als Form der Selbstbestimmung begriffen sind“ – es gilt eben zu sehen, „daß sein [d. h. Cassirers] gesamtes Denken ethisch imprägniert ist.“ 4 Vgl. unten 2.3: Die symbolischen Formen: Konstitutionsreflexion.
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folge um (bloß) naturwissenschaftlich fundierte Theoriebildungen über den Menschen. Es geht ihr vielmehr um den Menschen in seiner geistigen Verfasstheit. 5 Die geistige Dimension des Menschen ist es denn auch, die Cassirer in seinen Überlegungen über den Rahmen einer Anthropologie im engeren Sinne hinaustreibt und zuletzt in den Fragebereich einer „Metaphysik des Symbolischen“ (vgl. bes. ECN 1, 3 ff.) führt. 6 Der grundlegende Gedanke, dass der Mensch in seiner und durch seine Geistigkeit überhaupt erst Welt (und darin sich selbst als Wesen in der Welt) hat:7 dieser Gedanke macht eine Reflexion der rein geistigen bzw. rein ideellen, aber dennoch existentiellen Bedingungen des animal symbolicum philosophisch erforderlich.
2.1.1 Die Leiblichkeit des animal symbolicum Als Wesen in der Welt ist der Mensch ein leibliches Wesen, das mit einem Körper bzw. körperlichen Funktionen ausgestattet ist. Dies wird von Cassirer in seiner Formel des animal symbolicum mit dem Wort „animal“ angezeigt. Philosophiehistorisch stellt sich Cassirer damit scheinbar in den Horizont der auf Aristoteles zurückgehenden Definition des Menschen als animal rationale. Die Ersetzung des Begriffs der Vernunftbegabtheit durch den der Symbolfähigkeit und Symbolbedürftigkeit geht auf Cassirers kritische Haltung gegenüber einem in seinen Augen zu eng gefassten Rationalitätsbegriff zurück (vgl. EM, ECW 23, 30 f.). Die historische Richtigkeit dieser Kritik ist hier nicht zu diskutieren, da sie für die in dieser Arbeit pertinente Fragestellung nicht relevant ist. Der aristotelische Naturbegriff, der im Wort „animal“ explizit noch mitschwingt, ist bei Cassirer ohnehin durch den eigentlich kantischen Naturbegriff als Begriff einer ‚Als-ob‘-Natur8 abgelöst.
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Zu der „Frage nach dem Verhältnis von Symbolphilosophie und Anthropologie“ vgl. Renz 2002, 249–259, das Kapitel „Transzendentalphilosophie und humanistische Zeugenschaft: Vom funktionalen Menschenbegriff zur freien Persönlichkeit“ Vgl. dazu ECN 1, 35: Die Anthropologie wird von der Philosophie der symbolischen Formen fundiert und nicht umgekehrt, denn „die prinzipielle Entscheidung über jenen ‚Wesensbegriff‘ vom Menschen […wird] nirgend anders als von Seiten einer Philosophie der ‚symbolischen Formen‘ […] erfolgen können. Denn diese Formen eben sind es, die die Ebene des geistigen Tuns des Menschen vorzüglich bezeichnen und die gewissermaßen die allgemeinen Bestimmungselemente dieser Ebene in sich schließen.“ 6 Vgl. dazu programmatisch Orth 2004b. 7 Vgl. Sandkühler 2003, 20: „Menschen bilden ihr Wissen, mit dem sie ‚Welt‘ verstehen, indem sie ihre Welt verstehen, wenn sie sich verstehen.“ 8 Vgl. Kant 1956a, 156 f. (KrV B 163 f.); 1956c, 305 ff. (KdU §§ 61 ff.).
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Jedenfalls legt Cassirer einen besonderen Fingerzeig auf die Leiblichkeit des menschlichen Lebens.9 Der Leib, dies ist weiter unten noch zu vertiefen, macht den disponiblen, bewusst verfügbaren Anteil des menschlichen Körpers aus, das unmittelbar verfügbare Exekutivorgan der Spontaneität. Daraus ergibt sich die mittelbare Relevanz von Cassirers reichhaltigen Diskussionen von Theorien und Argumenten aus der Biologie sowie der Psychologie und Entwicklungslehre, sofern entsprechende einzelwissenschaftliche Probleme immer auch unter der Fragestellung der Interaktion von Leib und Umwelt thematisiert werden können. So führt es Cassirer beispielsweise im Essay on Man vor (vgl. EM, ECW 23, 32–47).10 Für das Verständnis der Grundlagen des symbolischen Idealismus ist der systematische Zusammenhang mit seiner Leibphilosophie und die systematische Einordnung des Leib-Seele-Problems mithin von zentraler Bedeutung: Der Mensch wird seiner Welt nur durch Akte der Symbolisierung habhaft. Denn für das animal symbolicum kann nur das als Welt erscheinen, was (prinzipiell) gewusst werden kann. Gewusst werden können aber nur Bedeutungen. Bedeutungen werden aber ausschließlich durch Akte der Symbolisierung erschlossen: Das geistige Leben vollzieht sich in und durch symbolische Formen, indem durch diese Sinn sinnlich wird. Überhaupt jede Interaktion ist letztlich nur auf der Grundlage der Idee der Symbolisierung zu verstehen. Sinn konkretisiert sich in der Sinnlichkeit, indem er sich einen jeweils spezifischen „Leib“ verschafft (ECN 5, 128 f.). Auf der Grundlage seiner Leibphilosophie bzw. Verleiblichungstheorie kann Cassirer erst seine Ansicht der technischen Mittel als erweiterter Organe (vgl. ECN 3, 20511) und das Theorem der „Verkörperlichung“ (ECN 5, 67) bzw. „Verkörperung“ (ECN 5, 12) der symbolischen Formen systematisch komplettieren. Das animal symbolicum existiert wesentlich interaktiv in einem symbolischen Universum (vgl. EM, ECW 23, 30) verleiblichter bzw. verkörperlichter Formen, das die Kultur als den geistigen Lebensraum des Menschen konstituiert. Das geistige Leben konkretisiert sich insofern, so lässt sich thesenartig formulieren, in der Schnittstelle bzw. Korrelation zwischen Leiblichkeit und Kulturalität. Auch und gerade der Leib in Gegenüberstellung zur Seele bzw. der Körper des Menschen in Entgegensetzung zu seinem Geist, mit dem der Mensch in klassischer Perspektive doch am meisten ein Naturwesen ist und der doch zugleich scheinbar ausschließlich als biologischer Funkti-
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Vgl. Wiegerling 2008. Vgl. Pätzold 2003, 64 f. 11 Gemäß Cassirers Auffassung ist „jedes ‚Instrument‘ nur eine Erweiterung des Organes – es ist irgendwie ‚vorgebildet‘ im menschlichen Leib“ (ECN 3, 205). 10
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onszusammenhang – also als Ereigniszusammenhang in einem kausalen Nexus – und damit als Ursprung und Ausgangspunkt aller kulturellen Überformung gedeutet werden kann, ist im Horizont des symbolischen Idealismus nur aus jenen Energien des Geistes zu verstehen, in denen sich Bedeutungen kundgeben. Wenn hingegen der Mensch als Mensch tatsächlich als bloßes Naturwesen gedeutet werden könnte, und zwar genau in dem Sinne, dass alle Phänomene, welche sich als auszeichnende am menschlichen Leben zeigen, also alle Ausdrucks- und Bedeutungsphänomene bzw. Phänomene mit symbolischer Prägnanz (vgl. PSF III, ECW 13, 218 ff.) sich vollständig bestimmt aus Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen ergeben würden; wenn nicht nur der Körperbau und die damit vorgegebenen kinästhetischen Möglichkeiten, sondern auch alle Sinnerfüllungen dieser Vermöglichkeiten (Husserl) entwicklungsgeschichtlich im Sinne einer biologischen und darauf aufbauenden psychologischen und soziologischen Evolution erklärt werden könnten; wenn also, in Cassirers Worten, „Dingverknüpfungen“ und „Kausalverknüpfungen“ die Grundlage jeglicher „Sinnverknüpfung“ (PSF III, ECW 13, 113) wären, dann müsste die Seele aus dem Leib stammen, der Geist aus dem Körper, die Kultur aus der Natur, die vermeintlich ‚zweite Natur‘ aus der vermeintlich ‚ersten Natur‘. In Wahrheit aber ist die Kultur – das (interaktive) symbolische Universum – im strengen Sinne des Menschen ‚erste Natur‘. Denn nur durch das symbolische Universum hat er als geistiges Wesen überhaupt eine Welt. Eine naturalistische Deutung des Wesens des Menschen hätte etliche theoretische (und freilich insbesondere auch ethisch-praktische) Konsequenzen. Diese sind in der Philosophiegeschichte in verschiedenen Gestalten durchgespielt worden, entsprechende Denkmöglichkeiten tauchen in unterschiedlichen Varianten als Modelle einer Erklärung der vermeintlichen Leib-Seele-Problematik auf. Soll der Mensch als solcher beispielsweise nichts weiter als ein bloß kausales Produkt seiner Umwelt oder Natur sein, dann sind alle Phänomene, die nicht in dieses Erklärungsschema passen, im Sinne eines materialistischen Monismus bloße Epiphänomene; eine Position, die manche auf Grund der ansonsten beeindruckenden Erfolge des kausalen Modells für vertretbar hielten (oder halten). Die Naturalisierung des geistigen Lebens des Menschen – kurz: des Geistes – wird hier um den Preis einer Herabwürdigung des phänomenal Unmittelbaren erkauft. Insofern allerdings die Unzulänglichkeit eingestanden wird, in unkritischer, weil nicht auf die Voraussetzungen ihrer Behauptung reflektierenden Haltung das Nichterklärbare einfach zu ignorieren, bliebe als eine weitere Modellalternative ein psychophysischer Parallelismus; eine Position, die notwendig eine Art von prästabi-
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lierter Harmonie zu implizieren scheint. Auch eine dualistische Position erscheint als unbefriedigend, beinhaltet diese doch die Annahme von zwei Substanzen, die streng genommen unvereinbar, also unvermittelbar, nebeneinander existieren. Der ontologische Dualismus kann damit ebenfalls keine Erklärung der phänomenologisch unabweisbaren leib-seelischen Einheit des menschlichen Lebens geben. Eine Auffassung, die sich von solcher Unvereinbarkeitslehre, allerdings nur scheinbar, radikal abkehrt, kann darin bestehen, die Geltung der Ding- und Kausalschemata völlig fallen zu lassen und zu behaupten, alles Wissen von Zusammenhängen und insofern von jeglichem Sein, das gewusst werden kann, gründe in der Assoziation von Wahrnehmungen: esse est percipi. Damit scheint allerdings einerseits die Materialität des Körpers einer angemessenen Würdigung entzogen, obgleich in einer solchen Position andererseits durch die Substantialisierung der Wahrnehmung durch die Hintertür der Begriff der Materialität wiederum unreflektiert beansprucht wird. Alle diese Modelle beinhalten naturalistische Grundsätze; und alle diese Modelle haben untragbare Konsequenzen.12 Cassirer hingegen, als Repräsentant der von ihm vertretenen philosophischen Haltung, ist gegenüber allen solchen Positionen viel zu sehr sowohl an den Natur- als auch an den Geisteswissenschaften interessiert, um eine der beiden Seiten zu Gunsten der anderen fallen lassen zu können; er ist viel zu sehr Phänomenologe, um irgendwelche Erscheinungen auf Grund einer unkritischen methodologischen Entscheidung für nebensächlich oder gar irrelevant zu erklären; er ist viel zu sehr Historiker, um nicht sehen zu können, dass Sinnkonstruktionen und (historische) Ereignisse in einem ständigen Ineinander existieren; er ist schließlich viel zu sehr Kantianer, um auch nur in eine der vielen Fallen zu tappen, denen die historischen Erklärungsversuche, auf die hier angespielt wurde, nicht ausweichen konnten: Denn Cassirers Ansatz ist im begründenden Kern transzendentalphilosophisch.13 Cassirer entgeht jeder Art des offenen oder verdeckten ontologischen Dualismus, indem er anerkennt, dass es keine ontologische Pluralität an Prinzipien gibt, die als Ding- und Kausalverknüpfungen, welche die Natur als solche begründen, einerseits, und die als Sinnverknüpfungen, welche die Kultur begründen, andererseits zu beschreiben wären. Dem symbolischen Idealismus geht es vielmehr darum, die Einsicht zu vermitteln,
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Die entsprechenden Erkenntnistheorien begreifen Wissen immer als einen Teil des Seins und haben deshalb keinen echten Begriff von (symbolischer) Bedeutung, vgl. Hoel 2002, 184. 13 Vgl. oben 1.1.4: Transzendentalphilosophie als systematische Position.
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dass es eine Klasse von Prinzipien gibt, welche die weiteren Prinzipien bedingen, aber zugleich ohne dass diese mit logischer Notwendigkeit folgen würden14: Cassirer wendet sich damit gegen den „Grundgegensatz der modernen Philosophie“ (ECN 1, 265). Ding- und Kausalverknüpfungen als solche allein sind nicht hinreichend, um den Begriff des animal symbolicum in seiner intensionalen Totalität zu begründen. Denn es ist nicht möglich, nach irgendwelchen Regeln bzw. Gesetzen von Sinnlosem zu Sinnhaftem überzugehen: Es gibt kein (kausales) Vorbedeutsames, denn „‚Bedeutung‘ bleibt immer ein Novum, ein Ens sui generis“ (ECN 3, 270 f.15); es gibt noch nicht einmal eine denkbare (kausale) Entstehung von Ausdruck, der „als Fundamental-Kategorie des Verstehens […] nicht rückführbar [ist] auf ursächliche Betrachtungen [… Das] Ausdrucksverhältnis darf nicht in ein Kausalverhältnis uminterpretiert werden!“ (ECN 3, 246).16 Derartige Annahmen resultieren vielmehr aus einer für den symbolischen Idealismus nicht tragbaren Verkennung des Wesens der Kausalität. Die Prinzipien der Ding- und Kausalverknüpfung sind vielmehr Ordnungsprinzipien, also Prinzipien, die es erlauben, einen Zusammenhang in den Erscheinungen auffinden zu können. „Die Kausalität ist uns gleichfalls nur ein ‚Als-Ob‘ – nicht konstitutiv, sondern regulativ“ (ECN 3, 239).17 Ding- und Kausalverknüpfun14
Vgl. unten 2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik, 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk. 15 In den Ursprungstheorien der Sprache z. B. „verfällt man noch meist dem Zirkel, daß man die Funktion der Bedeutung schon in die Beschreibung jener Stufen hineinlegt, aus denen man die Sprache erst ‚erklären‘, entwickeln will“ (ECN 1, 270). 16 Es gibt noch nicht einmal eine primitive Form von Wahrnehmung im Sinne bloßer Abbildung (z. B. bei Tieren) als eine Vorstufe der immer schon formvermittelten Wahrnehmung des animal symbolicum, vgl. Hoel 2002, 189 ff. – Vgl. Recki 2004, 61: „Das Haben von Eindrücken ist immer schon Funktion des Bewußtseins, und schon mit Blick auf dessen vermittelnde Leistung kann von Unmittelbarkeit nicht die Rede sein.“ 17 An diesem systematischen Punkt setzt sich Cassirer nebenbei bemerkt ausdrücklich von Hermann Cohen und dessen Neukantianismus ab. Auch gegenüber Kant bedeutet diese Fassung des Kausalitätsbegriffs einen systematischen Standpunktwechsel – der notwendig ist, damit eine echte „ ,Mehrdimensionalität‘ der geistigen Welt“ (PSF I, ECW 11, 15) behauptet werden kann. Wäre die Kausalität „das allein-Tragende“, so würde das vermeintliche „obere Stockwerk“, nämlich der Bereich der Formen, „blosser phantastischer Überbau“ (ECN 3, 240). Eine konstitutive Funktion der symbolischen Formen wäre damit undenkbar. Für Cassirer gilt dagegen: „ ,Konstitutiv‘ ist nur das Ganze – das System aller Grundbegriff e“ (ECN 3, 239), und zwar in einem konstituierenden Ineinandergreifen von natürlicher Symbolik und künstlicher Symbolik (vgl. PSF I, ECW 11, 39), wobei der ersteren die Kausalität im engeren Sinne als Kategorie, der letzteren aber eine je spezifische, und zwar ebenfalls konstitutive Modalität der Kategorien zuzurechnen ist (vgl. PSF I, ECW 11, 25 ff.). – Vgl. unten 2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik, 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk.
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gen sind insofern Mittel, „ein spezifisches ‚Interesse‘ des Wissens“ (PSF III, ECW 13, 66) zu realisieren. Damit müssen die Prinzipien der Dingund Kausalverknüpfung unter bestimmenden Normen des Wissens stehen, und sie haben insofern erst eine sinnvolle bzw. sinnstiftende Funktion. Folglich zeigen sich (reine) Sinnverknüpfungen als die grundlegenden Prinzipien allen Wissens und Seins. In diesem Sinne muss mit Cassirer „generell [an]erkannt [werden], daß [es] Sinnverknüpfungen […] sind, auf denen auch alle Dingverknüpfungen und alle ursächlichen Verknüpfungen letzthin beruhen. Nicht sie sind es, die innerhalb der Dingverknüpfungen und Kausalverknüpfungen eine besondere Klasse bilden; vielmehr sind sie die konstitutive Voraussetzung, die Conditio sine qua non, auf der auch diese letzteren selbst beruhen.“ (PSF III, ECW 13, 113) Sinnverknüpfungen, so ließe sich formulieren, sind, im Gegensatz zu den Dingund Kausalverknüpfungen als den kategorialen Mitteln zur Erreichung wissenskonstitutiver Interessen, die solches Interesse erst ermöglichenden Medien des geistigen Lebens. Sinnverknüpfungen sind insofern nichts anderes als diejenigen Synthesen, die von den Energien des Geistes hervorgebracht werden. Sinnverknüpfungen sind genau solche Zusammenhänge, in denen sich der objektive Geist in seinen mannigfaltigen Gestalten manifestiert. Es sind die symbolischen Formen als Energien des geistigen Lebens. Der Mensch als leiblich-seelisches Wesen erscheint nun im Horizont der Frage nach den Sinnverknüpfungen als ein animal symbolicum, weil sich nicht nur an ihm und noch nicht einmal bloß durch ihn das Geistige manifestiert – was zugleich auch immer einen Ausweg in die klassische Dichotomie von sogenannter erster und zweiter Natur lassen würde (und im schlimmsten Fall wiederum eine dualistische Position verführerisch erscheinen lässt) – sondern weil er selbst und als solcher eine Manifestation des Symbolischen ist: Das „Wesen der ‚Menschheit‘“ (ECN 1, 7; vgl. PSF III, ECW 13, 105 ff.) ist das Symbolisieren. Es ist also nicht nur so, dass die Lebenswelt und Umwelt des Menschen durch Manifestationen des Symbolischen Bestand hat, sondern das animal selbst im animal symbolicum ist grundlegend eine solche Manifestation des Symbolischen bzw. des Symbolisierens. Der Mensch als leiblich-seelisches Wesen in seinem symbolischen Universum als Wesen aus Körper und Geist kann sich selbst nur als eine ursprüngliche Manifestation des Symbolischen verstehen, weil der Mensch als leiblich-seelisches Wesen in seiner Einheit „primär ein sinnerfülltes Ganze[s] ist, das sich selbst interpretiert – das sich in eine Doppelheit von Momenten auseinanderlegt, um sich in ihnen ‚auszulegen‘“ (PSF III, ECW
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13, 113): Der Mensch als leiblich-seelisches Wesen ist eine Manifestierung der „Auseinandersetzung“ (PSF II, ECW 12, 182; PSF III, ECW 13, 44; ECN 3, 199; LSB, ECW 22, 118)18, eine in sich gegliederte Einheit. Cassirer greift diesen Gedanken in seiner Radikalität auf, indem er der Einheit von Leib und Seele eine Vorrangstellung einräumt, die erst im Zusammenhang der Theorie der Basisphänomene systematisch verortet werden kann.19 „Das Verhältnis von Seele und Leib stellt das erste Vorbild und Musterbild für eine rein symbolische Relation dar, die sich weder in eine Dingbeziehung noch in eine Kausalbeziehung umdenken läßt“ (PSF III, ECW 13, 113, Hervorhebung von S.U.). Die Grundlage der Bestimmung des Menschen im Sinne des symbolischen Idealismus ist damit weitgehend gelegt: Der Mensch ist nur das, was er wesentlich ist und sein soll, als eine Manifestation des Symbolisierens. Das heißt, er erfasst sich selbst als das, was er seinem Wesen nach ist, wenn er sich selbst und seine ganze Lebenswelt und Umwelt als Manifestation des Symbolisierens versteht – und er wird selbst zu dem, was er seinem Wesen nach sein soll, wenn er sich selbst und seine Lebenswelt symbolisch gestaltet. 20 Er existiert nur in und durch die symbolischen Formen, die Cassirer, wie sich nun zeigt, deshalb exakt und anschaulich als Verhaltungsweisen zur Welt (vgl. PSF I, ECW 11, 27; ECN 1, 5) bezeichnet. Es sind die Verhaltungsweisen zu jener Welt, welcher der Mensch selbst vollständig und ausnahmslos angehört. Der Mensch ist folglich als animal symbolicum ein Wesen, für welches das gnvji seaytón, das ‚Erkenne Dich selbst!‘, nur dadurch verwirklicht werden kann, dass es seine Kultur im weitesten Sinne kennen lernt, die es durch seine individuellen und kollektiven Leistungen einerseits (mit) hervorbringt, die ihm aber vor allem überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet, sich als Individuum zu verhalten und zu verstehen (vgl. ECN 5, 28). Auch dieser Gedanke ist erst im Kontext der Theorie der Basisphänomene mittels einer Theorie der konstitutiven Interpersonalität des geistigen Lebens systematisch zu vertiefen.
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Vgl. unten 2.3.2: Bilden und Auseinandersetzung. Vgl. unten 2.2.4: Die Systematik der Basisphänomene. 20 Vgl. Recki 2004, 166: „Cassirers Anthropologie konkretisiert sich zur Kulturphilosophie in den Diversifi zierungen einer transzendentalen Handlungstheorie – oder wie es genauer zu fassen wäre: einer fundamentalen Theorie der Poiesis, in der die Unterschiede von Theorie und Praxis kurzgeschlossen sind.“ 19
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2.1.2 Die wesentlich ethische Dimension der Kultur Der Ausdruck „Existenz“ hat gemäß Cassirer zwei verschiedene Grundbedeutungen: In der ersten Bedeutung bezieht er sich auf die Sphäre der natürlichen Dinge – sprich, denn diese Formel ist bei Cassirer im Sinne Kants zu verstehen: die Sphäre aller Dinge, sofern diese sich als Elemente eines objektiven, gesetzmäßigen Kausalzusammenhangs in Zeit und Raum erweisen; in der zweiten Bedeutung bezieht er sich auf die Sphäre der Werte: „The problem of the existence of man is not only a problem of objective Being, but of objective value.“ (SMC, CIPC, 82) „Existenz“ wird in der ersten Bedeutung von der Gesamtheit der möglichen Erscheinungsrealität ausgesagt, also von allem, über dessen Sein berechtigterweise geurteilt werden kann. In solchen Urteilen hat man es stets mit einem Seienden zu tun, das einer Deutung mittels verdinglichen der Kategorien zugänglich ist. Cassirers Fundierung seiner Leib-philosophie im Begriff der symbolischen Relation bzw. der Sinnverknüpfung verbietet es folglich, das wesentliche Dasein des Menschen als animal symbolicum im Sinne einer (bloß) dinglichen Existenz zu deuten. Die zweite Bedeutung von „Existenz“ bezieht sich dagegen, so Cassirer, auf die Sphäre des Menschen im engeren Sinne, auf die Sphäre des animal symbolicum als solches; sie meint dessen geistige Existenz, insofern sie sich nach Cassirer auf die Sphäre der (objektiven) Werte bezieht. Cassirer setzt in seiner Argumentation damit dem dinglich deutbaren Sein der Existenz eine andere Dimension synthetisch entgegen. Natürlich sieht er, dass es einen solchen Gegensatz zum (dinglichen) Sein, wie er ihn postuliert, im strengen Sinne nur im Begriff des (geltenden) Sollens gibt. Er muss also zur Begründung seiner Philosophie einen zweiten grundlegenden Aspekt der Totalität der „Sinn-Beurteilung“ (ECN 1, 197) der Existenz unterstellen. Nur auf Grundlage dieser Annahme kann Cassirer dann fragen, auf welche Seite die Problematik der (im Kontext des Zitats: angewandten) Kulturphilosophie bzw. (allgemein) die Antwort auf die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der konkreten Existenz des animal symbolicum in seinen verschiedenen möglichen geschichtlichen Realisationen zu stehen komme: „[G]ehört diese Problematik dem Reich des Seins oder dem des Sollens an – stehen wir mit ihr im Umkreis der Natur oder in dem der Freiheit?“ (ECN 5, 10) Diese zwei grundlegenden Aspekte der Totalität der Existenz lassen sich mit dem semantischen Feld um Ausdrücke wie „Sein“ und „Natur“ auf der einen Seite, und demjenigen um Ausdrücke wie „Sollen“ und „Freiheit“ auf der anderen Seite charakterisieren. Freilich darf diese Zweiseitigkeit nicht in einem ontologischen Sinne und damit als Dualismus verstanden werden. Vielmehr handelt es sich
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dabei um zwei verschiede Zugänge der philosophischen Reflexion, also um zwei verschiedene Logiken, nämlich einerseits die gegenständliche bzw. vergegenständlichende Seinslogik und andererseits die wert- bzw. geltungsbezogene Sollenslogik. Cassirer operiert hier mit der methodischen Unterscheidung von mundus sensibilis und mundus intelligibilis, und zwar offensichtlich in dem Sinne, wie sie für Kants kritische Philosophie fundamentale Bedeutung hat. „Die Scheidung von mundus sensibilis und mundus intelligibilis […] darf […] nicht metaphysisch, sondern sie muss methodisch verstanden werden – nicht Trennung zweier ‚Welten‘, sondern zweier ‚Dimensionen‘ (‚Standpunkte‘) der Sinn-Beurteilung“ (ECN 3, 197). Die weitere Analyse dieser methodologischen Dualität, die kein ontologischer Dualismus ist, zeigt, dass im Hinblick auf das geistige Leben des animal symbolicum die Existenz im Modus des Werts begründend ist für die Existenz im Modus des Seins. Die Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen hat entsprechend den Nachweis zu führen, dass die „letzte höchste Einsicht“ (ECN 1, 271) auf einen Wertbegriff Bezug nimmt. 21 Dass es tatsächlich für Cassirer das Sollen ist, und keineswegs das Werden, das als Gegensatz zum Sein konzipiert werden muss – dass Cassirer also der von ihm durch die kantische Brille gesehenen Metaphysik des Seins nicht ein Prozessontologie entgegenstellt 22 – dies zeigt sich an den weiteren begrifflichen Zuordnungen, die er im gleichen Diskussionszusammenhang zur Geltung bringt. Denn Werden im Sinne eines in den Kategorien der Zeitlichkeit zu konzipierenden Prozesses muss selbst ebendeshalb im objektiven Sinne seiendes Werden sein (ist es doch nur als Gegenstand möglicher Erfahrung denkbar). Cassirer spricht aber, neben der Gegenüberstellung von Wirklichkeit und Idee, die er platonisierend als Wechselbegriffspaar für Sein und Sollen bzw. Natur und Freiheit verwendet, im gleichen Sinne auch vom Unterschied „zwischen dem reellen Geschehen, das in der Zeit abläuft[,] und den unzeitlichen und überzeit-
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Vgl. unten 3.5.8: Die Geltung der letzten höchsten Einsicht. Dies schließt freilich keineswegs aus, dass über methodische Differenzen hinweg inhaltlich vielversprechende Querverbindungen gezogen werden können zwischen Cassirers Philosophie einerseits und prozesstheoretischen Ansätzen im weiteren Sinne andererseits. Auf innovative Weise hat in diesem Sinne Susanne Katherina Langer die Philosophien von Ernst Cassirer und Alfred North Whitehead zu verbinden gewusst, vgl. Langer 1951, 1970, 1977, dazu Roo 1972a, 1972b. – Hier ist aber auch auf die systematischen Parallelen zwischen Cassirers Symbolphilosophie und der pragmatischen Semiotik von Charles Sanders Peirce hinzuweisen, vgl. dazu Krois 1995, bes. Andermatt 2007. 22
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lichen ‚Werten‘“ (ECN 5, 12) und auch im engeren Sinne von den Standpunkten des „Physikalismus und Ethizismus“ (ECN 3, 197). 23 Cassirer eröffnet folglich für seine Argumentation in methodischer Reflexion die Unterscheidung, die entscheidende Kluft zwischen dem Sein im Sinne der „Ordnung des Geschehens“ und der Sphäre der Werte bzw. der Freiheit im Sinne der „Ordnung des Sollens“ (ECN 5, 12). Mit Blick auf den wohlverstandenen metaphysischen Begriff des Lebens kann deshalb festgehalten werden, dass dieser im Sinne des symbolischen Idealismus als Ausdruck der „Ordnung des Sollens“ aufgefasst werden muss. Dagegen sind „Ordnung des Geschehens“ und im weitesten Sinne ‚empirische Ordnung‘ bloße Wechselbegriffe: Das im weitesten Sinne Empirische ist gleichbedeutend mit dem immer schon unter den Bedingungen bestimmter symbolischer Formen Stehenden bzw. Erscheinenden – und dieses ist als Geltungsbereich für das Leben des animal symbolicum im Sinne seiner geistigen Existenz auszuschließen. 24 Cassirer setzt nun, um die Darstellung der geistigen Existenz des Menschen anschaulich zu machen, die ‚platonische Brille‘ auf. 25 Damit kehrt er für den symbolischen Idealismus das klassische Begründungsverhältnis von ‚erster‘ und ‚zweiter Natur‘ um. Die Natur im naturgesetzlichgegenständlich-prozessualen Sinne ist nicht kausaler Quellgrund des Menschen und der Kultur, sondern es gilt im Gegenteil: Die Kultur ist der
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Cassirer kennt genau genommen drei solche methodischen Standpunkte der Sinn-Beurteilung, nämlich neben dem physikalischen und ethischen auch noch den ästhetischen (vgl. ECN 3, 196). Auch hierin schließt er sich der Systematik von Kants kritischer Philosophie an, wie sie in den drei Kritiken, mit der Kritik der reinen Vernunft, der Kritik der praktischen Vernunft und der Kritik der Urteilskraft, zum Ausdruck kommt. 24 Vgl. unten 3.2: Der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen. 25 „An solchen Gestaltungen des Kulturbewußtseins [nämlich „der Gattung und der Art[, die] der des Individuums durchaus vorangeht“] und an dem Gesetz der Abfolge, das in ihnen sichtbar wird, lernen wir auch die Grundzüge des Individualbewußtseins erst schärfer erfassen und verstehen. Wieder erscheint hier vieles, was in der Betrachtung der Einzelseele nur schwer erkennbar und deutbar ist, gemäß dem Worte Platons, wie ‚in großer Schrift geschrieben‘ [Politeia]. An den großen Schöpfungen des Kulturbewußtseins wird auch das ‚Werden zum Ich‘ erst eigentlich lesbar. Denn der Mensch reift zum Bewußtsein seines Ich erst in seinen geistigen Taten heran; er besitzt sein Selbst erst, indem er, statt in der fl ießend immer gleichen Reihe der Erlebnisse zu verharren, diese Reihe abteilt und sie gestaltet. Und nur in diesem Bilde der gestalteten Erlebniswirklichkeit fi ndet er sodann sich selbst als ‚Subjekt‘, als monadischen Mittelpunkt des vielgestaltigen Daseins wieder“ (PSF III, ECW 13, 101). „Das spezifische Ich-Bewusstsein entwickelt sich eben erst kraft der Sprache, kraft des Mythos, kraft der Religion u. s. f.“ (ECN 5, 28). – Vgl. Pätzold 2003, 62: „Das erkenntnistheoretisch traditionelle Subjekt steht vielmehr auf der Ebene der einzelnen Vorstellung, während das Bedeutungsganze bei ihm [Cassirer] überindividuell, eben kulturell gedeutet wird.“
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Schöpfer des Menschen als animal symbolicum (vgl. ECN 5, 28). Cassirer fasst dabei das symbolische Universum als ein komplexes Sinngebilde auf. Im Hinblick auf den Begründungszusammenhang, welchen die Philosophie der symbolischen Formen aufspannt, rückt also nicht ein aus empirischer Forschung stammendes theoretisches Konstrukt in den Blick, sondern ein Sinnbegriff – eine Idee, die freilich ihren Gehalt im Hinsehen auf die Empirie bewähren muss und die dabei zugleich als Leitfaden jeder empirischen Kulturforschung soll dienen können. 26 Damit erweist sich ein solcher Begriff von Kultur aber auch für eine Philosophie, der es um ein Verständnis des Begriffs des Menschen als animal symbolicum geht, als regulative Idee 27 für die Entfaltung ihres eigenen Begründungszusammenhangs: Sinn realisiert sich durch symbolische Formen, die als objektive Gebilde spezifischen Akten der Symbolisierung bzw. der Funktion des Symbolisierens entspringen. Die Konkretisierung der Funktion des Symbolisierens als Bedingung der Realisierung von Sinn kann nur unter Bezugnahme auf diesen Begriff der Kultur verstanden werden. Der Begriff der Kultur als realisierte bzw. sich realisierende Sinnzusammenhänge muss folglich in methodologischer Hinsicht als Zielpunkt bzw. als regulative Idee der Überlegungen dienen (vgl. ECN 1, 269). Natürlich kann es nicht um eine historische, vorfindbare Kultur gehen, die dabei doch nur verabsolutiert würde (und in einen von der sogenannten interkulturellen Philosophie angeprangerten „Zentrismus“ schon auf prinzipieller Ebene münden würde). Es geht um Kultur überhaupt, und sonach kann problemlos von „Kulturen“ im Plural gesprochen werden. Cassirer definiert Kulturen als „Funktions-Einheiten, Ansätze zur Aktualisierung von ‚Sinn‘, […] sie sind der nie aufhörende Akt des reinen Setzens, des immer wieder Ansetzens und Abhebens selbst – das ist aber nur zu fassen, wenn wir entschlossen in das Reich der reinen Bedeutungen übergehen.“ (ECN 1, 244 f.)28 Gegen die zeitgenössischen Lebensphiloso-
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Vgl. Orth 2008, 143 f. Werte sind konstitutiv im geistigen Lebensvollzug, der im Sinnverstehen zum Ausdruck kommt. Ideen dagegen sind für das Sinnverstehen regulativ – und haben damit wiederum für die philosophische Reflexion eine systemkonstitutive Funktion. So sind objektive Werte (vgl. CIPC, SMC, 82) konstitutiv für den geistigen Lebensvollzug; dass es sich so verhält, wird unter dem Begriff der Kultur gefasst, die eine regulative Idee für das Sinnverstehen darstellt und zugleich der philosophischen Reflexion eine bestimmte Richtung und Form gibt. 28 Vgl. Recki 2004, 39: „Daran kann man sich klarmachen, wonach zu suchen ist: Nicht nach einem fi xierbaren gemeinsamen Inhalt, der ein für allemal feststünde, sondern nach einem gemeinsamen formalen Vollzug, genauer: einer gemeinsamen Leistung – denn so, als ‚Leistung im Kontext‘, darf man ‚Funktion‘ übersetzen.“ 27
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phien, die mit ihrem theoretischen Naturalismus gemäß Cassirers Analyse dem reinen Seinsdenken verhaftet bleiben und damit die methodisch aufzufassende Entgegensetzung von Sein und Sinn bzw. Natur und Freiheit wiederum ontologisieren und in den „Grundgegensatz der modernen Philosophie“ (ECN 1, 265) verwandeln, erhebt er die Forderung, damit – mit dem methodischen Übertritt in das Reich der reinen Bedeutungen (bzw. der sollenslogisch zu reflektierenden Geltungsfragen) – „das Reich des schematisierbaren [d. h. dem Bereich möglicher gegenständlicher Erfahrung angehörenden] Daseins u. des Lebens entschlossen [zu] verlassen.“ (ECN 1, 244 f.) Dieses „Verlassen“ kann offensichtlich nicht in einem naiven handlungstheoretischen Sinne verstanden werden, so wie man etwa einen Raum verlässt. Verlassen lässt sich der Schematismus vielmehr durch eine „ideelle Befreiung vom Zwang der Symbolik“ (ECN 1, 265), indem sich nämlich die „philosophische Erkenntnis“ (ECN 1, 264) zur „letzten höchsten Einsicht […] erheben“ (ECN 1, 271) muss. 29 Ohne den logisch nichtreduzierbaren Unterschied von Sein und Sollen zu leugnen – also ohne einen sogenannten naturalistischen Fehlschluss zu begehen – soll es in der Philosophie der symbolischen Formen um deren Einheit gehen, wie sie sich in der Kultur bzw. im geistigen Leben des Menschen realisiert. 30 „Unsere Betrachtung bewegt sich ganz ausserhalb dieses Gegensatzes […], denn das ‚Symbolische‘, wie wir es fassen, ist vielmehr die eigentliche Vermittlung dieses Scheingegensatzes – es ist das wahre metaxý – das die mæjexiV – die Teilhabe der ‚Erscheinung‘ an der ‚Idee‘, des ‚Lebens‘ am ‚Denken‘, des ewigen Fliessens an der geprägten Form erklärt.“ (ECN 1, 266) Kultur ist immer die Realisierung, die Konkretisierung von Sinn. Greifbar, das heißt empirisch real, sind freilich immer nur bestimmte Kulturen mit ihren verschiedenen spezifischen, symbolischen Formen in ih29
Vgl. unten 3.4: Philosophische Erkenntnis. Vgl. ECN 5, 12: „Man könnte sagen: die Kulturphilosophie kennt weder einen ‚Wert an sich‘, noch kennt sie eine ‚blosse‘, schlechthin wertfreie und wertfremde ‚Wirklichkeit‘ – sie scheidet beide nicht als ‚Stoff‘ und ‚Form‘, sondern sie kennt nur die Union von Realem und Idealem, von Wert und Wirklichkeit – Diese Union ist das für sie konkret-Gegebene, das Faktum, an das sie anknüpft – die Trennung der beiden Momente ist ‚blosse Abstraktion‘ – als Kulturphilosophie kann sie gar nicht eine blosse Seins-Ordnung und eine blosse ursächliche Geschehens-Ordnung ansetzen, der sich dann eine andere Ordnung, eine Ordnung der Zwecke, eine teleologische Ordnung künstlich überbaut, nur gewissermassen irgendwie aufpfropft – sondern sie fi ndet beides unmittelbar in einem; sie fi ndet das Werden nicht als blossen ‚Ablauf‘ von Ereignissen, die nach der Ordnung der Zeit und nach ihrer kausalen Folge beschrieben werden können; sondern so wie es ist, stellt es sich unmittelbar als Entfaltung eines bestimmten Sinnes, als ‚Werden zum Sinn‘, Platonisch gesagt als génesiV eÎV oüsían dar.“ (ECN 5, 12) 30
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rer jeweiligen Geschichte. Natürlich aber versteht sich der symbolische Idealismus nicht als (bloßer) Sachwalter der Geschichte der Kultur(en). Selbst da, wo die Überlegungen immer wieder ihren Ausgangspunkt von der Betrachtung tatsächlicher, faktischer Formen nehmen müssen, sind diese nur der terminus a quo, nicht aber terminus ad quem der philosophischen Reflexion. Diese Formen können „nur durch Versenkung in das empirische Material gefunden werden – und dieses ist uns […] nicht anders als in geschichtlicher Form zugänglich. Aber die Geschichte ist hierbei […] nur Anfangspunkt, nicht Endpunkt […,] terminus a quo, nicht terminus ad quem[,] Durchgangsstadium, nicht Ziel der philosophischen Erkenntnis.“ (ECN 1, 164) Kulturen – als formal mögliche und empirisch notwendig reale Konkretisierungen möglicher symbolischer Universen – sind wesentlich Produkte des geistigen bzw. „reinen Setzens“ (ECN 1, 244). Das reine Setzen ist das Bilden, das in der Auseinandersetzung Werke als Projektionen (vgl. ECN 1, 256) setzt, indem es auf sich reflektiert. 31 Diese Werke repräsentieren das Reich der Formen als symbolisches Universum. Das Bilden ist dabei zugleich Grund und Garant der Einheit des symbolischen Universums als Kultur, aus dem, in der in sich gegliederten Einheit des Geistes, die Formen räumlich und zeitlich disloziert, nämlich in verkörperlichten Werken, abgesetzt werden. Im Begriff der Kultur ist folglich eine wesentliche Verknüpfung der durch die Werke abgesetzten Formen zu einem einheitlichen Zusammenhang mitgedacht, weil für das geistige Setzen als Bilden Einheit die Bedingung ist, und nicht eine Folge sein kann oder gar bloß empirisch aufgreifbar. „Näher gesagt ist ‚Kultur‘ [… also] ein Relationsbegriff, der die Beziehung eines historisch zeitlich Gegebenen auf eine Sinndimension u. also auf ein immer neu ‚Aufgegebenes‘ in sich schliesst – also einen prinzipiell [empirisch] unanschaulichen Faktor in sich schliesst – (einen reinen Sinnfaktor)“ (ECN 1, 245). Cassirer bringt insofern mit dem Begriff der Kultur die Konzeption der Relationsbegriffe bzw. reinen Relation und die Vorstellung idealer (teleologischer) Sinn-Einheit (vgl. ECN 1, 244) ins Spiel. In der Reflexion auf den Begriff der Kultur zeigt sich dieser als ein Relationsbegriff, 32 der die Beziehung zwischen idealer Sinn-Einheit und konkreter Geschichte bewährt. Die Zeitlichkeit bzw. Geschichtlichkeit der Kultur bzw. konkreter Kulturen, die damit zugleich angesprochen ist, ist allerdings keine bloß empirische Zutat. Vielmehr ergibt sich diese Geschichtlichkeit aus den Bedingungen der Konkretisierung von Sinn. Der Geist erscheint als objektiver Geist immer nur in geschichtlichen Prozessen: Kulturen sind ge31 32
Vgl. unten 2.2.5: Rückkunft des Bildens auf sich selbst als Existenzsetzung. Vgl. unten 3.3.2: Denken der reinen Relation.
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mäß Cassirers Definition „Ansätze zur Aktualisierung von ‚Sinn‘“ (ECN 1, 245). Der „nie aufhörende Akt des reinen Setzens“ (ECN 1, 244) meint die jeweils immer schon individuierten bzw. sich individuierenden Energien des Geistes. Das „immer wieder Ansetzen[] und Abheben[]“ (ECN 1, 245) bezeichnet dabei die der „Energie des Geistes“ (PSF I, ECW 11, 7) immanente Dynamik, von der her sich die Verzeitung des Geistes in seiner Selbstentfaltung ergibt. 33 Und erst „als historische Formen unterstehen freilich die Kulturen dem Gesetz des Werdens – aber hier handelt es sich um einen komplexen Prozess freier Gestaltung – es ist ein Zielen auf objektiven Sinn hin, der jeweils in einem bestimmten spezifischen Ausschnitt verwirklicht, aktualisiert wird – aber diese Verwirklichung ist Aktualisierung im Sinne des reinen Vollzugs.“ (ECN 1, 244) Sinn erscheint immer nur in konkreten zeitlichen, genauer gesagt historisch werdenden Gebilden, wobei Sinn als ordo ordinans (ECN 1, 99, 248) eintritt: Den historisch werdenden Kulturen liegen als der durch sie realisierte bzw. zu realisierende Sinn „[ü]berpersonale Einheiten – nicht mehr als Lebenseinheiten, sondern als rein geistige Einheiten“ (ECN 1, 247) zu Grunde. Und diese „überpersonalen Einheiten sind nicht Lebenseinheiten, sondern geistig-ethische Vollzugseinheiten, die von dem [jeweiligen] geistigen Subjekt aufzubauen sind.“ (ECN 1, 248) Es folgt, dass die Bedingungen des Setzens von Sinn zugleich die Bedingungen der Individualisierung des Akts des Setzens in vereinzelten Subjekten der Kultur sein müssen. Es ist unmöglich, den objektiven Sinn in seiner Totalität zu erfassen, denn der notwendig perspektivischen, weil durch epistemische und praktische Subjekte vermittelten Betrachtung sind immer nur Ausschnitte zugänglich. Die Perspektivierung ist die notwendige Bedingung der Verzeitung des Setzens von Sinn. Insofern sich das Setzen dabei zugleich in einen Zusammenhang von realen, also zeitlich existierenden Subjekten entfaltet (Interpersonalität), 34 untersteht es als ein komplexer Prozess freier Gestaltung selbst dem Gesetz des Werdens (ECN 1, 244). Die Einheit des symbolischen Universums als solche kann gerade nicht im Sinne einer gesetzlichen zeitlichen Verknüpfung – und damit per definitionem als Natur – verstanden, sondern kann nur als die „Sinn-Einheit“ (ECN 1, 244, 248) eines Prozesses freier geistiger 33
Hoel 2002, 187: “What makes possible the subsumption of intuitions into pure concepts, and the application of categories onto appearances, is the fact that concept formation becomes a process that is inscribed in time. For Cassirer, Kant’s concept of form becomes a basically dynamic concept of form, one that Cassirer adopts and develops.” – Zu Cassirers Zeittheorie vgl. Stipp 2003. 34 Vgl. unten 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk. – Vgl. auch Orth 1995, 52 f.
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Gestaltung thematisiert werden: Solcher „Sinn ist ideal, nicht real.“ (ECN 1, 245) Der wesentliche Begriff, auf den die Idee des sich in Kulturen in einem Prozess freier Gestaltung verwirklichenden idealen Sinnes als notwendige Bedingung verweist, ist damit der Begriff der Freiheit. Es kann nun präzisiert werden, in welchem Horizont der Begriff des Sinns, auf den Kulturen in ihrer Verwirklichung zielen, zu verstehen ist: Die geltungstheoretisch objektive Sinnsphäre ist nichts anderes als die Sphäre der Freiheit bzw. des Wertes. Die Freiheit als die Bedingung der Möglichkeit von Sinn, auf welche die Kultur in ihrer Selbstverwirklichung hinzielt, ist insofern zugleich die Bedingung der Möglichkeit des Selbstverständnisses des Menschen als eines animal symbolicum. Damit erweist sich der symbolische Idealismus als eine Philosophie der Freiheit: Der Mensch als animal symbolicum, und damit als wesentlich leibliches bzw. leiblich-seelisches Wesen, existiert im strengen Sinne nur in einer Kultur, die als Realisierung von Sinn begriffen werden muss und damit als Konkretisierung der Bedingungen der Freiheit. Der Mensch als animal symbolicum versteht sich selbst, indem er seinen Sinn als ursprüngliches Kulturwesen erfasst; und das bedeutet, dass er sich selbst als ein Produkt der Freiheit versteht, indem er es als apriorische, weil auf Idealität bezogene, Aufgabe (vgl. ECN 1, 245) erfasst, sich selbst zu einem Kulturwesen zu gestalten. Mit Blick auf die methodologische Dualität von mundus sensibilis und mundus intelligibilis erweist sich der Mensch als ein ‚Bürger zweier Welten‘ im methodologischen kantischen Sinne (vgl. ECN 3, 197). Damit ist die „Ordnung des Sollens“, und nicht die „Ordnung des Geschehens“ (ECN 5, 12), damit ist das ‚Reich der Freiheit‘ die Sphäre des geistigen Lebens, der eigentlichen Existenz des animal symbolicum als solchen. In diesem Sinne also spricht Cassirer von Wert, wenn er behauptet, das Problem der Existenz des Menschen als animal symbolicum gehe nicht allein im Problem des objektiven Seins auf, sondern stelle ein Problem des objektiven Werts dar (vgl. CIPC, SMC, 82). Die Konsequenz ist: Die Sphäre von Geist und Leben im wohlverstandenen metaphysischen Sinne erschließt sich der philosophischen Reflexion im Kontext der Begriffe der Freiheit und des Sollens bzw. des objektiven, weil intrinsisch gültigen Werts. Wert aber ist etwas, zu dem man sich verhält und entscheidet, wovon man sehen kann, dass es das ist, dessen Realisierung gefordert ist. Wert hat etwas dann, wenn es sein soll. Das aus dem Wert ergehende Sollen bzw. die sich im und durch den Wert aktualisierende Forderung kann nur an eine Freiheit ergehen. Forderungen in diesem Sinne können sich nur an Wesen richten, die dadurch, dass diese Forderung, wenn auch mit Notwendigkeit, an sie ergeht, noch nicht determiniert sind. Denn durch De-
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termination würde sich alles Weitere in die bloße „Ordnung des Geschehens“ eingliedern. Dann hätte aber niemals eine Forderung an eine Freiheit bestanden, sich zu irgend etwas zu verhalten, sich zu entscheiden und etwas zu tun, sondern es hätte schlichtweg eine Ursache bestanden für ein bestimmtes Verhalten. Das, was sein soll, kann aber nicht etwas sein, das aufgrund seines Werts schon ist – aus der Forderung folgt nicht das Sein des Geforderten. Allerdings folgt aus dem Sein der Forderung als Geltung bzw. Wertsein die Forderung des Seins der realen Bedingungen der Konkretisierung von Sinn. 35 Natürlich hat nun in der Gegenüberstellung der Formeln vom ‚objektiven Wert‘ und vom ‚objektiven Sein‘ auch der Ausdruck ‚objektiv‘ zwei verschiedene Bedeutungen. Denn die Freiheit, welche durch den Wert aufgefordert ist, kann selbst keine Freiheit sein, die irgendwie objektiv ist, so wie ‚die Dinge‘ sind. 36 (Hier darf nicht suggeriert werden, dass das Dazwischentreten von Zeitlichkeit irgendeinen Einfluss auf das im strengen Sinne als wesentlich zu verstehende Verhältnis hat. Freiheit kann also auch weder in indeterministischen Quantenprozessen, noch in chaotischen Strukturen, und schon gar nicht ‚im Gehirn‘ gefunden werden.) Die Freiheit, welche sich abzeichnet als der begriffliche Kern bzw. das eigentliche Wesen des geistigen Lebens des animal symbolicum darf also nicht nur nicht verstanden werden in einem klassischen metaphysischen Sinne; es handelt sich vielmehr im positiven Sinne um den ethischen Begriff der Freiheit (vgl. CIPC, SMC, 84), den Cassirer in Kants Philosophie verwirklicht sieht. Deshalb gibt Cassirer auch unumwunden zu, dass der Bereich einer Philosophie der Kultur und der Bereich der Probleme des ethischen Lebens eng miteinander verknüpft sind, ohne freilich deckungsgleich („coextensive“) zu sein (vgl. CIPC, SMC, 84). Im Anschluss an Kant sind für Cassirer sowohl die Geschichte wie die Ethik zwei verschiedene Manifestationen desselben universalen Themas der Freiheit. 37 Die Autonomie der vom Menschen zu realisierenden Vernunft ist immanentes Ziel sowohl des ethischen Lebens als auch der menschlichen Geschichte bzw. Kultur überhaupt (vgl. CIPC, SMC, 84). Cassirer bezieht damit ausdrücklich eine Position, für welche eine berechtigte philosophische Forschung wesentlich an das Ziel der menschlichen Vernunft im 35
Vgl. unten 3.5.8: Die Geltung der letzten höchsten Einsicht. Vgl. MoS, ECW 25, 283: “Freedom is not a natural inheritance of man. In order to possess it we have to create it.“ Vgl. dazu Recki 2004, 184 f. 37 Vgl. Recki 2004, 170: „In der Moral [allerdings] als dem normativen Element unserer Selbstbestimmung im Handeln wird unsere Freiheit zum ausdrücklichen Problem und darin mit der Nötigung der praktischen Selbstverwirklichung zugleich refl exiv.“ 36
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ethischen Sinne geknüpft ist. 38 Diese Anschauung hält Cassirer für grundlegend und keineswegs als einer vergangenen historischen Epoche (in diesem Falle: der Aufklärung) angehörig. Für seine und damit für die heutige Zeit erscheint es ihm sogar als dringender denn je zuvor, auf diese Beziehung hinzuweisen und sie zur Grundlage relevanten Philosophierens zu machen (vgl. CPPP, SMC, 59). 39 Nicht nur für die Kulturphilosophie im engeren Sinne (und natürlich für die Moralphilosophie) ist also die Freiheit im ethischen Sinne ein Grundbegriff, sondern eben auch und besonders für die Metaphysik des Symbolischen, welche als Reflexion im Modus des symbolischen Idealismus gerade die Voraussetzungen einer solchen Kulturphilosophie durchdringen soll.40 Für die Kulturphilosophie ergibt sich die Leitfrage, wie sich diese Freiheit in der Geschichte realisiert.41 Die Kulturphilosophie taucht, im Gegensatz zur (reinen) Metaphysik des Symbolischen, „mitten in den Strom des zeitlichen Geschehens selbst ein; sie sucht die Ideen, die Werte, die Zwecke nicht in irgend einem An-Sich, sondern sie nimmt sie in ihrer geschichtlichen Verkörperung und geschichtlichen Selbst-Verwirklichung.“ (ECN 5, 12)42 Cassirer reklamiert in diesem Sinn ausdrücklich für sich, mit den entsprechenden Anschauungen Hegels und Kants übereinzustimmen: Der Prozess der Kultur bestehe in der Entwicklung des Freiheitsbewusstseins; denn die Freiheit des Bewusstseins werde in jedem Denk-, Willens- oder auch Fühlensakt intendiert und aktualisiert (vgl. CIPC, SMC, 90). Bei einer Kultur, als dem symbolischen Universum des animal symbolicum in seiner historischen Existenz, handelt es sich folglich grundlegend im ethischen Sinne „um einen komplexen Prozess freier Gestaltung“, um „Aktualisierung im Sinne des reinen Vollzugs“ (ECN 1, 244). Die Metaphysik des Symbolischen nimmt aber im Gegensatz zur Kulturphilosophie die Ideen, Werte und Zwecke nicht in ihrer geschichtlichen Verkörperung. Sie reflektiert nicht allein auf die Bedingungen der Möglichkeit der geistigen Existenz des Menschen, vielmehr insbesondere auf die Begriffe und die Bedingungen der Möglichkeit solcher Reflexion, die sich auf die Bedingungen der Möglichkeit der geistigen Existenz des Menschen richtet. Das Gleiche, was aber für die Kultur gilt, sofern diese als ein Gebilde, als eine historische Verkörperung von Sinnverknüpfungen erscheint, gilt auch für die Leiblichkeit des Menschen. Wie gesehen muss die leiblichseelische Einheit des menschlichen Lebens als Ausdruck, sogar als „Vor38 39 40 41 42
Vgl. Recki 2004, 45. Vgl. unten 2.6.5: Rechenschaftsgrund und Sinn der Philosophie. Vgl. oben 1.3: Das System des symbolischen Idealismus. Vgl. Renz 2002, 215. Vgl. ECN 5, 12: „[W]ie können Zwecke, Werte, Ideen ‚verwirklicht‘ werden?“ Vgl. Recki 2004, 32.
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bild und Musterbild“ (PSF III, ECW 13, 113) jeder symbolischen Relation, also von Sinnverknüpfung, verstanden werden. Seine Natürlichkeit wird dem Menschen am unmittelbarsten an seinem Leib bewusst, nämlich dort, wo dieser mit körperlichen Funktionen konstelliert ist. Der Leib selbst kann mit Blick auf die leiblich-körperliche Konstellation in den bewussten bzw. bewusst verfügbaren Körper umgedeutet und unter Abstraktion von der dann nur noch als begleitend erscheinenden Bewusstheit in seiner bloß kausal interpretierbaren Funktionalität auf reine Körperlichkeit reduziert, folglich naturalisiert werden. Damit ist und bleibt aber genau dieser Prozess der Abstraktion eine Bedingung der Möglichkeit der Selbstanschauung des Menschen als bloßem Naturwesen. Die „Ausdruckswahrnehmung“ (ECN 1, 81) des Menschen von sich selbst als leiblichem Wesen mit seiner Einheit von Leib und Seele ist früher als die „Sachwahrnehmung“ (ECN 1, 81) seiner selbst als Ding oder auch als Ereignisstruktur in einem objektiven Seinsprozess.43 Die letztere, die Sachwahrnehmung, so lässt sich dies mit Cassirer auch formulieren, „entsteht durch ‚Depersonalisation‘“ (ECN 5, 81). Die Konsequenz: Der Mensch als animal symbolicum muss sich selbst dann, wenn er sich als bloßes Naturwesen anschaut, zumindest implizit als ein Produkt der Freiheit verstehen. Als animal symbolicum lebt der Mensch in seinem geistigen Leben in Bezug auf „Bedeutungseinheiten“ – diese aber sind als „Aufgaben“ zu verstehen, nicht als „Dinge“ (ECN 1, 245) oder „vegetative Formen“ (ECN 1, 244). „Aufgaben“ können sich nur einem freien Wesen stellen und von diesem verstanden und angegangen werden.
2.1.3 Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug Freiheit heißt nicht Willkür oder gar Regellosigkeit. Ein praktisches Subjekt wird im ethischen Sinne als frei verstanden, wenn es sich selbst ein Gesetz gibt und gemäß diesem Gesetz handelt. Das im ethischen Sinne frei handelnde Subjekt ist ein autonomes Wesen. Wäre das Gesetz ein von außen an dieses Wesen herangetragenes, würde sich das Subjekt also einer fremden Regel unterwerfen, so wäre es wiederum nicht frei. Die Regel, nach dem das autonome Wesen handeln muss, um in dieser Gebundenheit frei zu sein, muss eine Regel sein, die es selbst als Regel hervorgebracht hat. Auch hier kann freilich keine Willkür oder Fremdbestimmung bzw. Heteronomie walten. Sich keine Regel zu geben, also sich stets im kausalen Geschehen aufgehen zu lassen bzw. bloßen Trie43
Zum Primat der Ausdruckswahrnehmung vgl. auch Hoel 2002, 192 ff.
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ben hinzugeben, könnte nicht zur Freiheit führen. Denn so unterstellte sich das praktische Subjekt einer bloß naturgesetzlichen Bestimmung, nämlich den Gesetzen der Natur. Auch mit der Regel, stets das zu tun, was die Triebe befriedigt, wäre das dann bloß vermeintlich freie doch nur ein heteronom aus Ursachen bestimmtes Wesen. Freiheit dagegen meint Selbstbestimmung aus Gründen. Die Regel, der sich das Subjekt in Selbstbestimmung, also autonom, unterwerfen soll, muss eine Regel sein, die in sich selbst begründet, in sich selbst unmittelbar vernünftig ist und als solche prinzipiell einsichtig sein muss. Frei handelt ein praktisches Subjekt also immer dann, wenn es sich in Selbstbestimmung der Vernunft unterstellt – wenn es folglich das Richtige bzw. das Gute tut, also das, was auf Grund seines intrinsischen Wertes gefordert ist. Für die formale Fassung des Begriffs der Freiheit bedeutet deshalb ‚Autonomie‘ in aller Strenge: Eine Tätigkeit ist dann frei, wenn sie selbst durch ihre Tätigkeit die Regel hervorbringt, nach der sie sich vollzieht – die Regel muss im Wesen der Tätigkeit selbst liegen, sofern es sich ja gerade nicht um einen natürlichen bzw. naturgesetzlichen Prozess handeln soll. Tätigkeit ist freie Tätigkeit, wenn sie sich gemäß einem selbstgewählten Prinzip vollzieht, wobei sie in diesem Vollzug einer immanenten Regel unterworfen ist, durch die sie sich selbst an dieses Prinzip bindet bzw. sich selbst als Instanz der Vernunft, als Exemplifikation von Vernünftigkeit schlechthin, versteht: Freiheit ist in diesem Sinne Selbstgesetzgebung gemäß der Vernunft. Aber die Vernunft, die in dieser Hinsicht das Prinzip solcher selbstgesetzten Regeln ist, darf keineswegs in einem substantiellen bzw. ontologischen Sinne verstanden werden: Vernunft ist keine abgelöste Substanz oder Kraft. Vielmehr muss sie mit Cassirer zunächst als ein Weg verstanden werden, die menschliche Erfahrung zu organisieren (vgl. LA II, SMC, 170). Mit Blick auf die anthropologische Konstitution des Menschen grenzt Cassirer seinen Vernunftbegriff mit dem heuristischen Mittel einer Vermögenslehre des Menschen ein. Der Mensch lebt nicht nur unmittelbar in seinen Gefühlen, Emotionen und in seinen verschwommenen und undeutlichen Eindrücken. Nur unter dieser Voraussetzung kann der Mensch unter rein biologischen und psychologischen Gesichtspunkten als Lebewesen thematisiert werden. Die Reflexion fiele hier aber weit hinter die im Hinblick auf den Begriff des animal symbolicum bereits erreichten Ergebnisse zurück: Er lebt eben nicht einfach nur in der Realität, sondern er ist sich der Realität bewusst. Und nur innerhalb dieser, gegenüber dem biologischen Lebensbegriff qualitativ neuen, intellektuellen Stufe hat er eine Welt von Objekten, also von empirischen Dingen mit definierbaren und permanenten Eigenschaften in ei-
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nem naturgesetzlichen Zusammenhang, der mittels Experiment und Theoriebildung auch prinzipiell erforschbar ist. In der hier angestellten biologisch-anthropologischen Überlegung erscheint also vorläufig die Kraft der Objektivierung als das, was als Vernunft (reason) bezeichnet werden kann, und der Mensch als Mensch durch Vernunft ausgezeichnet (vgl. LA II, SMC, 170). Die verschiedenen symbolischen Formen sind insofern verschiedene Modi der „Vernunft“ (vgl. LA II, SMC, 171). Folglich lässt sich auch die Kultur als ein System von Objektivierungen unserer Gefühle, Emotionen, Wünsche, Eindrücke, Intuitionen, Gedanken und Ideen auffassen (vgl. LA II, SMC, 167). Aber wie gesehen muss diese Kraft der Objektivierung als freie, geistigethische Tätigkeit verstanden werden. Dabei erweist sich „Vernunft“ gerade nicht als deckungsgleich mit dieser Kraft, sondern vielmehr als das Prinzip derjenigen Regel, welche die geistige Tätigkeit erst als solche konstituiert. Es ist folglich die vermögenstheoretische Betrachtung in ihrer Gültigkeit wiederum fallen zu lassen: Sie erweist sich als Leiter zu einer höheren Einsicht.44 Cassirer bezieht sich dabei in seiner entscheidenden Argumentation auf Hegel, wenn er auch eine substantialistische Konzeption der Vernunft – mit der Hegel immerhin auch die Implikationen einer Vermögenslehre überwindet – ablehnt. Cassirer lehnt in Einklang mit Hegel eine anthropologische Vernunftkonzeption ab (deren Herleitung vielmehr nur heuristischen Wert hat), wendet sich aber gegen Hegels Fassung der Vernunft als immanenter, ewiger Substanz einer metaphysischen Welt, die, wie Cassirer ironisch beschreibt, friedlich ihre immanente Arbeit verrichtet und dabei alle individuellen Pläne und Wünsche des Menschen transzendiert (vgl. CPPP, SMC, 62). Die Vernunft ist demgegenüber immer Prinzip einer Aufgabe (vgl. ECN 1, 245),45 und zwar einer grundlegend ethischen Aufgabe, die sich als solche freilich nur personalen Individuen bzw. als kulturelle Aufgabe stellen kann. Im Lösen der jeweiligen Aufgabe haben es die Individuen dabei dann auch immer mit ihren Plänen und Wünschen, ihren Emotionen usw. zu tun. Die Vernunft ist das Prinzip, auf Grund dessen sich der Mensch überhaupt Entscheidungsfragen stellen kann und auf Grund dessen er allein Probleme zu lösen hat, denen er sich mit all seiner Kraft zuwenden muss bzw. soll, und zwar unter Aufgebot einer strengen, von Vorurteilen unverdorbenen Prüfung und Selbstprüfung und mit dem vollen Gewicht
44 45
Zur Metapher der Leiter vgl. unten 3.3.1: Reflexionsbegriffe. Vgl. unten 4.2.1: Die Sehe als Reflex des Geistes.
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seines Willens und seiner Persönlichkeit (Lessing!).46 In dieser ethischen Kraftanstrengung der Individuen, die darin ihre Kultur gestalten und sich in diesem interaktiven Prozess erst als Individuen selbst in den Blick bekommen und sich als praktische Subjekte zu sich selbst verhalten können, aktualisiert sich die Vernunft in der sich selbst erneuernden Arbeit des Geistes, im nie aufhörenden „Akt des reinen Setzens“ (ECN 1, 244) – im Zurückkommen des Geistes auf sich selbst: in seiner Selbstbestimmung. Vernunft ist damit weder eine metaphysische Substanz noch ein bloß theoretisches Konstrukt. Vernunft ist vielmehr der Name des Prinzips der sich in Selbstbestimmung entfaltenden und deshalb freien geistigen Tätigkeit, die jedem theoretischen wie praktischen Weltbezug konstitutiv zu Grunde liegt und damit auch jedem konkreten Selbstbezug des Menschen, der in jedem Selbstbezug immer er selbst als leiblich-seelisches Wesen ist.47 Aus den vorangegangenen Überlegungen geht für diesen Zusammenhang hervor, dass die Lösung der durch die Vernunft prinzipiierten Aufgabe(n) in der Schaffung von Sinnverknüpfungen liegt. Denn nur im Horizont sich konkretisierenden Sinnes (sprich: in der Kultur) realisiert sich die Freiheit und existiert so der Mensch als animal symbolicum. Sinnverknüpfungen sind als Bedingungen von Ordnung überhaupt dabei zugleich die Bedingung der Möglichkeit, (ethische, ästhetische, theoretische48) Werte zu realisieren. Sinnverknüpfungen sind genau solche Verknüpfungen, die dadurch zu Stande kommen, dass die Tätigkeit des Geistes gemäß einer immanenten Regel verfährt, an die sich diese Tätigkeit selbst bindet und dadurch erst überhaupt als Tätigkeit und als diese jeweils bestimmte Tätigkeit entsprechende Verknüpfungen hervorbringt. 46
Vgl. CPPP, SMC, 62: “with the exertion of rigorous investigation uncorrupted by prejudice, and with the whole weight of our will and our personality.” – Vgl. dazu in Gottlob Ephraim Lessings Nathan der Weise den 3. Aufzug, 7. Auftritt. 47 Vgl. CPPP, SMC, 62: “Here we must take the same step as before; we must replace with a functional conception the substantive conception of reason with which Hegel‘s system is governed and permeated. Hegel declares reason as the substance which is immanent, and as the eternal which is present. But reason is never a mere present; it is not so much an actual, as it is a constant and ever actualizing, not a given but a task. Yet, far more than in the sphere of theoretical reason, it holds good for the sphere of practical reason, that we can never grasp the true nature of reason in bare existence, in the fi nished and extant. Instead, we must seek it in the continual selfrenewing work of spirit. This work is not one of a substantial, metaphysical world spirit which peacefully completes its immanent work and transcends all individual desires and plans. It is the question of a problem which is placed before us and for which we must struggle, with the pledge of all our powers, with the exertion of rigorous investigation uncorrupted by prejudice, and with the whole weight of our will and our personality.” 48 Vgl. ECN 3, 196.
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Die diese Tätigkeit konstituierende Regel muss freilich über den einmaligen Gebrauch zur Bestimmung der entsprechenden Tätigkeit hinaus Geltung haben: Die Regel muss als solche allgemeingültig sein. Cassirer findet für diesen Begriff der Regel den treffenden Ausdruck einer règle se faisante (vgl. ECN 3, 254), womit er sich damit zugleich von einem naiv platonisierenden Verständnis der Ideen, die solche Regeln setzen, abgrenzt: „Das Universelle, das Eidos – der Kosmos bestimmter Formen – ‚besteht‘; aber keine dieser Formen kann als ein vorgegebenes, substanzielles ‚Ding‘ betrachtet werden, das ein für alle Mal mit konstanten ‚Merkmalen‘ da ist – die Einheit, die hier besteht, ist immer nur die ‚Einheit‘ der Regel – und zwar in einer nicht-fertigen, sondern sich-erzeugenden und sich in dieser Erzeugung behauptenden und bewährenden Regel – nicht eine règle faite, sondern ‚se faisant[e]‘.“ (ECN 3, 253 f.) In diesem systematischen Kontext kommt Cassirer auch auf ein entscheidendes Motiv seiner Kritik an den Gebrechen so genannter lebensphilosophischer Ansätze zu sprechen, nämlich Sinneinheiten, wie sie Cassirer hier versteht, mit Lebenseinheiten zu konfundieren, und diesen eine substantialistische bzw. gegenstandslogische Deutung zu substituieren. Die règle se faisante bedingt nicht eine Ordnung mit konstanten Merkmalen, sondern einen jeweils spezifischen „ordo ordinans“ (ECN 1, 99, 248). Die Regel ist das Gesetz, das sich die geistige Tätigkeit selbst gibt, um Sinnverknüpfungen hervorzubringen bzw. indem sie Sinnverknüpfungen stiftet. Insofern erscheint die geistige Tätigkeit als prinzipiiert durch ein entsprechendes „Sinngesetz“ (ECN 1, 30). Anders herum betrachtet ergibt sich, dass das jeweilige Sinngesetz nur gilt, sofern sich eine entsprechende Tätigkeit in Selbstbestimmung, also frei, vollzieht. Denn das Sinngesetz „ist und gilt nur, sofern es sich betätigt, – und es kann sich nicht anders betätigen, als indem es in die Welt des Lebendigen eingreift und gleichsam immer wieder in sie zurücktaucht.“ (ECN 1, 3049) Die Sphäre dieses Eingreifens und Zurücktauchens des Sinngesetzes in die Welt des Lebendigen ist als Kultur die Sphäre der geistigen Existenz des animal symbolicum. Der Mensch versteht Sinn, indem er in (prinzipiell) freier, geistiger Tätigkeit die entsprechenden Sinnverknüpfungen selbst hervorbringt als die Formen, in denen ihm die Welt und darin er sich selbst als leibliches Wesen erscheint. 50 Sinnvoll sind die Formen insofern, als sie 49
Insofern kann mit Cassirer der Begriff des Sinngesetzes im Kontext einer „ideellen Morphologie“ gesehen werden, die er mit Goethes Mitteln der Dichtung und Metapher und besonders in dessen metaphorischen Betrachtungen zur Urpfl anze visionär zum Ausdruck gebracht sah. Vgl. in letzterer Hinsicht: Krois 2002, 169. 50 Vgl. Recki 2004, 166 (Fußnote 4): „Jedes Verstehen von Bedeutung ist nach diesem Ansatz ihre Hervorbringung.“
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eine Ordnung aufweisen, und indem sie als „Ordnung des Sollens“ (ECN 5, 12) zugleich gefordert erscheinen, der die Kontingenz der Realität freilich nicht mit gleicher Notwendigkeit entsprechen muss. Der Mensch als animal symbolicum „muss die Form der Dinge erzeugen, um diese Form zu verstehen. Und dies gilt ja auch in der theoretischen Sphaere – auch hier ‚begreifen‘ wir im eigentlichen Sinne nur was wir ‚konstruieren‘ können.“ (ECN 1, 256) Cassirer exemplifiziert dieses Verhältnis an der symbolischen Form der Kunst: „In diesem Sinn gibt es eine ‚innere Form‘ jeder Kunst, die allen ihren einzelnen Gebilden von vornherein ihren Stempel aufdrückt […] und die in diesem Sinne der Prae-Determination ein ‚a priori‘ für die einzelnen Gebilde darstell[t], die innerhalb einer gewissen Form ‚möglich‘ [sind].“ (ECN 3, 250)51 Die Prädetermination der Tätigkeit durch ihre Selbstgesetzgebung, durch die sie sich als von der Vernunft geforderte bzw. prinzipiierte freie Tätigkeit erst hervorbringt, ist die Bedingung der Durchbestimmung bzw. Konkretisierung zur Anschauung bestimmter Realität in entsprechenden spezifischen „Modalitäten der Sinngebung“ (PSF III, ECW 13, 230). 52
2.1.4 Entdeckung von Wirklichkeit als Realisierung von Sinn In solcher regelhaften Prädetermination ist geistige Tätigkeit als Funktion des Symbolisierens zugleich die Funktion der „Entdeckung von Wirklichkeit“ (ECN 3, 249), weil sie als forma formans die Formen, als jeweilige forma formata (vgl. ECN 1, 18, 30; FuT, ECW 17, 142), erst als solche ermöglicht, in denen Realität überhaupt erscheint. „An dieser Funktion der ‚Entdeckung von Wirklichkeit‘ aber haben wir nun stets ein doppeltes Moment zu unterscheiden – ein universelles und ein individuelles – ein ‚gattungsmäßiges‘ (eidetisches) und ein ‚persönliches‘ – Es wäre falsch über dem individuellen das universelle – über dem eidetischen das persönliche zu übersehen; beide sind gleich notwendig.“ (ECN 3, 249) Damit ist zugleich ausgeschlossen, Sinnverstehen als einen im psychischen Sinne subjektiven Prozess zu verstehen, also wiederum anthropologisch oder ver51
„Die Möglichkeiten sind ‚unendlich‘ und ‚begrenzt‘ zugleich (– wie auf einer Kugeloberfläche –).“ (ECN 3, 250). In Sinne dieser Kugelmetapher erläutert Cassirer: „jede [Kunst] hat ihr spezifisches ‚Krümmungsmaß‘[,] und nach diesem Krümmungsmaß gestaltet jede Kunst je einen besonderen ‚Raum‘, einen spezifischen ‚Kosmos‘ des Sehens.“ Hier meint der Terminus „Raum“ weder den anschaulichen Raum noch den Aktionsraum, sondern die spezifische Limitation der ideellen Totalität reiner Möglichkeiten. 52 Vgl. unten 2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik, 4.2.2: Leben als Formung zum Sinn.
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mögenstheoretisch zu deuten, und damit die ideelle Ordnung (vgl. ECN 6, 34553) von der Kontingenz der Konstruktion abhängig zu machen, verstehe man diese nun psychologistisch oder kulturrelativistisch oder in welcher Form von Subjektivismus auch immer. Das Sinnverstehen erscheint vielmehr als eine Nachkonstruktion der „Ordnung des Sollens“ (ECN 5, 12), weil es der Vollzug einer freien Tätigkeit ist, die sich in ihrem Vollzug derjenigen (allgemeingültigen) Regel unterwirft, die sie selbst erst und damit sich selbst als freie Tätigkeit hervorbringt. „Die echten ‚Ideen‘ – […] dies gilt […] von den Schöpfungen der Sprache und der Kunst, des Mythos und der Religion – stehen nicht gleich stummen Gemälden auf einer Tafel da, sondern sie bringen sich selbst hervor, und sie lassen in diesem ihrem Zeugungsakt zugleich eine neue Anschauung der ‚objektiven‘ Wirklichkeit aus sich hervorgehen.“ (GuL, ECW 17, 196, Hervorhebung S.U.) Damit ist in der letzten Wurzel jede Möglichkeit von naturalistischer Reduktion ausgeschlossen. Denn selbstverständnlich ist auch jeglicher Zusammenhang, in dem Natur als solche erscheinen kann, ein Sinnzusammenhang. Gegen die Naturalisierung des Geistes hält Cassirer fest: „Die ‚Natur‘ etc. konstituiert sich nur in geistigen Werken.“ (ECN 1, 248) Die den jeweiligen symbolischen Formen in ihrem Vollzug zu Grunde liegende Einheit der geistigen Tätigkeit – das entsprechende Sinngesetz, die jeweilige ideelle Ordnung – erweist sich in ihrem gattungsmäßigen, eidetischen Aspekt zwar als überindividuelle und insofern überpersonale Einheit, in der zugleich die Bedingungen der Personalität bzw. Interpersonalität gründen, aber als eine grundsätzlich Freiheit fordernde Einheit, wie sich bereits in der Darlegung der Binnenstruktur der regulativen Idee der Kultur gezeigt hat:54 „Alle überpersonalen Einheiten sind nicht Lebenseinheiten, sondern geistig-ethische Vollzugseinheiten, die von dem geistigen Subjekt aufzubauen sind.“ (ECN 1, 248) „Vollzugseinheit“ meint als Grund der Gültigkeit insofern die Prädetermination jener règle se faisante, an deren Durchbestimmung sich das geistige, interpersonale (praktische) und schöpferische (poietische) Subjekt und die objektiven geistigen Werke, in denen Realität als solche, in einer jeweils bestimmten Modalität der Ordnung, erscheint, differenzieren oder, mit Cassirer gesprochen, auseinandersetzen. „Das ist ordo ordinans, nicht ordo ordonatus [sic!]“ (ECN 1, 248). Sinn, so fügt Cassirer hinzu, „Sinn = Einheit statt substanzielle Einzelheit“ (ECN 1, 248), Einheit im Sinne von Vollzugseinheit. 55 53 54 55
Vgl. unten 2.3.5: Ideelle Ordnung und Forderung. Vgl. oben 2.1.2: Die wesentlich ethische Dimension der Kultur. Vgl. ECN 1, 99 f.
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Während die kritische Phänomenologie im engeren Sinne, als dem Forschungsprogramm, dem Cassirer im Wesentlichen in seinen Bänden zur ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ folgt, der Frage nachgeht, wie sich in den verschiedenen symbolischen Formen die entsprechende Realität konstituiert, geht es hier also, und schon mit Blick auf die Idee der Metaphysik des Symbolischen, um die Frage nach dem Zusammenhang von Sinn bzw. Wert und Freiheit als dem Horizont der Selbstentfaltung der symbolischen Formen als Formen des Ausdrucks der „Energie des Geistes“ (PSF I, ECW 11, 7). Es geht also um die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der symbolischen Formen selbst. Bei der phänomenologischen Analyse der verschiedenen symbolischen Formen zeigt sich, dass „das ‚Verstehen‘ der Welt kein bloßes Aufnehmen, keine Wiederholung eines gegebenen Gefüges der Wirklichkeit ist, sondern daß es eine freie Aktivität des Geistes in sich schließt.“ (PSF III, ECW 13, 14) Im Sinnverstehen kommt insofern eine ideelle Ordnung (vgl. SuF, ECW 6, 345) zum Ausdruck, aber diese kann nicht als objektiv im Sinne der in diesem Sinnverstehen erscheinenden Wirklichkeit verstanden werden. Das Leben, welches die Metaphysik des Symbolischen zu durchdringen hat, ist also genau die Lebendigkeit bzw. innere Agilität der Aktivität des Geistes. Diese ist aber nichts anderes als das freie Sichverhalten zu der Forderung, die aus dem jeweiligen Wert bzw. der „Ordnung des Sollens“ (ECN 5, 12) ergeht. Die Aktivität des Geistes, das Leben, so kann hier schon vorgreifend festgehalten werden, ist aktuelle Freiheit; aber eben eine Freiheit, die nur im ethischen Sinne zu verstehen ist: als niemals wirklich, so wie das Sein, sondern als immer nur zur Realisierung gefordert, als aufgegeben. Das Urphänomen des Lebens (vgl. ECN 1, 127, 163 f.) besteht in dem Verweisungszusammenhang von erscheinendem Wert und der Freiheit, die sich an der aus dem Wert ergehenden Forderung aktualisiert. 56 Erscheinender Wert überhaupt ist insofern der Ermöglichungsgrund individueller Freiheit. 57 In diesem Sinne kann Cassirer mit Blick auf die Form der symbolischen Formen in ihrer immanenten Struktur als règle se faisante (vgl. ECN 3, 254), als geistig-ethische Vollzugseinheit, die vom Subjekt her aufzubauen ist (vgl. ECN 1, 248), auch von einem „Imperativ der reinen Form“ (ECN 1, 192) sprechen.
56
Vgl. unten 3.2: Der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen. Vgl. unten 3.5.8: Die Geltung der letzten höchsten Einsicht, 4.2.1: Die Sehe als Reflex des Geistes. 57
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2.1.5 Das Wesen der Menschheit: äén diafð e rómenon/ eaytÖ Das „Wesen der ‚Menschheit‘“ (ECN 1, 7; vgl. PSF III, ECW 13, 105 ff.), so wurde festgestellt, ist das Symbolisieren. 58 Dieses hat sich als freier Selbstvollzug der geistigen Tätigkeit erwiesen, die in der Einheit ihres Vollzugs auf die Einheit der Regel ihres Vollzugs bezogen ist. Die Einheit des Symbolisierens stellt sich als erscheinender Geist folglich als eine in sich gegliederte Einheit dar. Diese in sich gegliederte Einheit des Geistes ist in ihrem Vollzug das Leben des animal symbolicum in seiner geistigen Existenz. Es ist das Hervorbringen jener Sinnverknüpfungen, in denen Realität als solche, und darin das animal symbolicum als reales Wesen, erscheint: Das Leben bezieht sich in unauflöslicher wechselseitiger Bedingtheit der notwendigen Erscheinungsformen und der Einheit seines geistigen Vollzugs auf sich selbst, auf anderes Leben (im ‚Reich der Geister‘) und auf Entäußerungsformen des Lebens (im ‚symbolischen Universum‘), an denen es sich erst abschließend seiner eigenen Geistigkeit bewusst wird, 59 „– u. eine andere ‚höhere‘ Form der Realität als dies Sich-selbst-Wissen des Geistes giebt es nicht!“ (ECN 1, 267). Dieses Wissen um sich selbst und seine Geistigkeit ist eine Bedingung der Existenz des animal symbolicum als solchem und jeglicher Erscheinung von Realität überhaupt: Es gibt keine höhere Form der Realität als die Reflexionsform (vgl. ECN 1, 31, 21260) des Geistes, die in der „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) zu durchdringen ist. Indem das Leben in wechselseitiger Bedingtheit, in grundlegenden Bezogenheitsformen, 61 erscheint, bezieht es sich also auf sich selbst als Geist. 62 Der Geist in seiner Idealität ist als in sich gegliederte Einheit die erscheinende Reflexionsform bzw. Bezogenheitsstruktur als solche, 58
Vgl. oben 2.1.1: Die Leiblichkeit des animal symbolicum. Vgl. unten 4.2.3: Leben als Bestimmbarkeit und Bestimmung, 4.2.5: Leben, Basisphänomene, Kultur. 60 Vgl. dazu unten 3.5.1: Anschauung geistiger Selbstoffenbarung, 3.5.5: Das Prinzip der Einheit des Geistes, 3.5.7: Die Form der Subjektivität als Reflex der Wahrheit, 4.2.1: Die Sehe als Reflex des Geistes. 61 Vgl. unten 2.2.2: Die Basisphänomene des animal symbolicum. 62 „Es ist dieses Hervorgehen, es ist gewissermaßen der Akt des Sich-Losreissens von dem einfachen Natur- und Lebensgrund, in dem sich das Wesen des menschlichen Geistes und sein in allen Gegensätzen mit sich selbst identisches Sein am deutlichsten bezeugt.“ (ECN 1, 7, Hervorhebung S.U.) – Es ist natürlich zu beachten, dass die Rede vom „Losreissen“ von einem „Lebensgrund“ bereits eine (methodische) Ansicht impliziert, welche eine strukturelle Differenzierung von Subjektivität und Objektivität voraussetzt. Bei der hier zitierten Stelle erklärt sich dieser Standpunkt Cassirers daraus, dass die Stelle einem Zusammenhang der Diskussion lebensphilosophischer Positionen entstammt, die in diesem Sinne „naiv-objektivistisch“ (ECN 1, 208) argumentieren. 59
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durch die sich jeder Selbstbezug erst realisieren kann. Der Geist an sich erweist sich dabei als doppelter Bezug in der Einheit dieses lebendigen Beziehens: „Hier weiss er [d. h. der Geist] sich als Eins und Vieles, als unmittelbar u. vermittelt, als Einheit, Synthese von Leben u. Form[.] – Diese Einheit (Synthese) von Leben und Form macht eben den eigentlichen Begriff des Geistes, sein ‚Wesen‘ aus.“ (ECN 1, 267) Diese Einheit, welche den Geist ausmacht, ist das für das Dasein bzw. die Erscheinung des objektiven Geistes notwendige Beziehen der idealen Einheit dieser Tätigkeit des Beziehens bzw. Verknüpfens auf die wechselseitig bezogenen Momente der ursprünglichen Bezogenheitsformen bzw. Erscheinungsformen des Lebens. „Der Geist ist eins, indem er sich in der Vielheit mannigfacher Richtungen des Tuns seiner Identität (als Tun überhaupt) bewusst wird.“ (ECN 1, 263) Dieses Beziehen erscheint als ein Handeln bzw. ein Tun, welches sich als eine sich in ihrem Dasein als ein Beziehen selbst hervorbringende Tätigkeit vollzieht. Wie gesehen: Die „Ideen“, als der geistige Vollzug in der Vielheit seiner mannigfachen Richtungen, „bringen sich selbst hervor“ (GuL, ECW 17, 196). Damit erreicht Cassirer hier bereits eine Fundierung seines Gedankens der Selbstoff enbarung des Geistes (vgl. PSF I, ECW 11, 7, 23) in den symbolischen Formen als „d[en] Wege[n], die der Geist in seiner Objektivierung […] verfolgt.“ (PSF I, ECW 11, 7) In der in sich gegliederten Einheit des Geistes als hier zunächst noch postuliertem idealem Selbstvollzug liegt zugleich die Einheit der nichtreduzierbar vielgestaltigen symbolischen Formen. „In jeder dieser Richtungen entsteht uns eine besondere Welt (die Welt der Wissenschaft, der Religion, der Kunst), aber die Einheit dieser ‚Welten‘ wurzelt in dem gemeinsamen Ursprung, in einem identischen Prinzip des Tuns.“ (ECN 1, 263) Das identische Prinzip des Tuns ist der Selbstvollzug der in sich gegliederten Einheit des Geistes als Vollzug der Vernunft. Als solcher Selbstvollzug muss der Geist hier folglich als die Selbstanschauung seiner Handlungsweisen bzw. sich differenzierenden Tätigkeiten konzipiert werden, der sich selbst in der Selbstanschauung hervorbringt, welche als Prinzip der Mannigfaltigkeit der verschiedenen symbolischen Formen zugleich die Einheit dieser Formen bedingt. „Zu dieser so gefassten Einheit des Tuns verhält sich die Vielheit der möglichen symbolischen Ansichten [dann] nicht gegensätzlich u. feindlich: sondern sie bildet für sie vielmehr das notwendige Korrelat.“ (ECN 1, 263) Der Geist ist ein Tun, das sich in seiner Erscheinung als geistigem Leben als ein identisches Prinzip von Bezogenheitsformen (bzw. Sinnverknüpfungen bzw. symbolischen Formen) selbst erfasst. Aus Hölderlins Hyperion übernimmt Cassirer zur Bezeichnung dieser Idee den von Heraklit inspitierten und durch eine platonisch geprägte
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Rezeption geformten Ausdruck des äén diafð e rómenon eaytÖ: 63 das Eine, das in sich verschieden ist. 64 Von hier aus lässt sich der gedankliche Bogen schlagen zu Cassirers Lebensspekulation und der dem Leben immanenten „Dialektik“ (ECN 1, 26665), welche sich im objektiven Geist aufhebt: Das geistige Leben, der konkrete Geist, hat die Form der in sich gegliederten Einheit des Lebens in seinen Erscheinungsweisen und Bezogenheitsformen. Der objektive Geist ist die (historische) Gesamtheit der sich in den symbolischen Formen als Werke entäußernden, objektiven Gebilde des Lebens. 66 Diese in sich gegliederte Einheit und die notwendige wechselseitige Verwiesenheit in den Erscheinungsformen des Lebens bleibt nicht auf einen ‚Urgrund‘ des Geistes beschränkt. Die Metapher des Urgrundes ist genau deshalb unangemessen, weil das Erscheinen des geistigen Lebens ein Heraustreten bedeutet aus seiner „Bewegung […] um sich selbst“ (ECN 1, 264), die „in sich ganz und geschlossen“ (ECN 1, 6) ist, wie sie Cassirer – ebenfalls metaphorisch – bezeichnet: Das geistige Leben in der Kontingenz ist Ausdruck des Geistes. Damit meint „Geist“ hier die Grundstruktur der Formen, in denen der konkrete Geist objektiv existiert. Als äén
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Vgl. HdI, ECW 9, 351: „Das Eine ist nicht die unendliche allumfassende Substanz, für die es keinen Wechsel und kein Werden gibt; sondern es ist jenes Eins, das in sich selbst den Keim zur Vielheit und zum Wandel birgt: das äén diafð e rómenon/ eaytÖ, wie es Hölderlin später im ‚Hyperion‘ mit dem Worte des Heraklit bezeichnet. Von hier führt ihn schon früh der Weg zu Platon weiter: Aber wieder ist es nicht der Logiker Platon, nicht der Kritiker des ‚Theaetet‘, der die Heraklitische Lehre vom Werden bekämpft und ihr die Lehre vom ÓntwV Ón der Idee entgegensetzt, der ihn fesselt. Wie der Platonismus Shaftesburys und Winckelmanns, so ist auch der Platonismus Hölderlins ausschließlich auf die Erscheinung des Lebens und auf die Erscheinung des Schönen gerichtet.“ – Cassirer schreibt „äén“ mit Akut, nach der griechischen Schreibregel wäre der Gravis der richtige Akzent. In der Tat zitiert Cassirer die von ihm herangezogene griechische Hölderlin-Stelle aus dem Hyperion in zweifacher Hinsicht nicht korrekt: Erstens schreibt Hölderlin den gesamten Ausdruck ohne jeglichen Akzent bzw. Spiritus; zweitens schreibt er diafð e ron, was im Unterschied zu der von Cassirer verwendeten grammatischen Form einen Aktiv ausdrückt. Allerdings ist auch zu beachten, dass Hölderlin diafð e ron schreibt, obwohl er das von ihm gemeinte Wort bei Heraklit bzw. Platon – beide schreiben diafð e rómenon – richtig übersetzt, nämlich medial mit „das ... in sich selber unterschiedne“, vgl. Friedrich Hölderlin (1998): Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 1, hg. v. Michael Knaupp, Darmstadt, 685. Es ist aber auch zu sehen, dass der heraklitische Ausdruck diafð e rómenon/ eaytÖ (vgl. Diels/Kranz 22 B 51) erst von Platon im Symposion 187 a auf das „äèn“ bezogen wird. – Diese philologischen Hinweise verdanke ich meinem Vater Norbert Ullrich. 64 Genauer: Das Eine, das sich in sich unterscheidend in sich verschieden ist. – Dies entspricht dem besonders in der neuplatonischen Spekulation des Mittelalters immer wieder begegnenden unum in se multiplex. Auf diese Spekulation verweist Cassirer allerdings nicht. 65 Vgl. Itzkoff 1977, 102 ff. 66 Vgl. unten 2.2.5: Rückkunft des Bildens auf sich selbst als Existenzsetzung.
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diafð e rómenon/ eaytÖ erweist sich insofern zugleich die Grundstruktur der symbolischen Formen, in denen als Schöpfungen seiner selbst der Mensch als animal symbolicum in seinem symbolischen Universum überhaupt erst ermöglicht ist und existiert. 67 In diesem Sinne bezeichnet Cassirer die verschiedenen symbolischen Formen auch direkt als verschiedene Modi der „Vernunft“ (vgl. LA II, SMC, 171), die spezifische Entäußerungsformen des Lebens in die konkrete Geschichte des objektiven Geistes und damit Formen der Geschichtlichkeit des Menschen als animal symbolicum, „Taten des menschlichen Geistes“ (ECN 1, 7), sind. 68 Denn sie sind „Entfaltungen und Ausprägungen jenes Wesens der ‚Menschheit‘, das wir nicht anders als ein solches äén diafð e rómenon/ eaytÖ denken und bestimmen können“ (ECN 1, 7). In allen Richtungen der geistigen Tätigkeit ist deshalb immer die ganze Natur (im Sinne von Wesenheit) des Menschen auffindbar. Deshalb gibt es auch – um hier wiederum einen Blick auf die konkreten, anthropologischen Bestimmungen des Menschen zu werfen – keinen Bereich der menschlichen Kultur, in dem nicht zugleich Gefühl und Denken, Einbildungskraft und Kontemplation, Emotion und Handeln ihre „symbolische Prägnanz“ (PSF III, ECW 13, 218 ff.) haben. Und deshalb kann auch keine symbolische Form auf eine im engen logizistischen Sinne begrifflich fi xierte Funktion reduziert werden (vgl. LA II, SMC, 187). Das heißt aber auch zugleich, dass es nur eine Funktion der Repräsentation bzw. des Symbolisierens gibt, die sich allerdings in sich selbst differenziert. Was – aus einer anthropologischen Perspektive – verschiedene Namen wie Gefühl, Einbildungskraft, Denken usw. trägt, darf deswegen nicht als verschiedene Dinge oder Vermögen aufgefasst werden – hier ist nun eingeholt, warum die vermögenstheoretische Deutung in der Auslegung der Vernunft nur als heuristisches Mittel eingesetzt werden durfte: 69 Die eine Aktivität unterscheidet sich in sich selbst, indem sie in verschiedene Richtungen tendiert, aber nicht, indem sie sich in verschiedene Teile aufteilt (vgl. LA II, SMC, 187). Das äén diafð e rómenon/ eaytÖ kann insofern als das realisierende Ineinandergreifen der beiden Dimensionen der Totalität der Existenz, der „Ordnung des Sollens“ und der „Ordnung des Geschehens“ (ECN 5, 12), aufgefasst werden. Insofern ist es das Prinzip der Realität des animal symbolicum. Leben 67
In diesem Sinne kann Cassirer auch von der Kunst, als Beispiel für eine symbolische Form, als einem äén diafðerómenon/ eaytÖ sprechen (vgl. LA II, SMC, 192). 68 „Die Einheit, die die fertigen Produkte uns versagen, scheinen wir daher unmittelbar zurückzugewinnen, wenn wir statt ihrer selbst vielmehr die Art ihres Produzierens, ihres Hervorgehens ins Auge fassen.“ (ECN 1, 7) 69 Vgl. oben 2.1.3: Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug.
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im vollen Sinne kann unter völliger realer Ablösung von seinen Bezogenheitsformen – also vom idealen Moment – nicht existieren, ohne dass es eben seines spezifischen Charakters als Leben beraubt würde. Die Bezogenheitsformen als solche können freilich nur als erscheinend am Leben in seiner Kontingenz existieren. Wohin man den Blick auf der Suche nach den Bedingungen des spezifisch Geistigen im geistigen Leben auch richten mag, letztlich zeigt sich das Prinzip der in sich gegliederten Einheit, zeigt sich das äén diafð e rómenon/ eaytÖ, immer wieder als das eigentliche Wesen der Menschheit: „So weit wir in den Gestaltungen des sinnlich-geistigen Bewußtseins auch hinabgehen mögen – niemals treffen wir dieses Bewußtsein als ein schlechthin Gegensatzloses, als ein absolut Einfaches, vor allen Scheidungen und Unterscheidungen, an. Immer erscheint es als ein Lebendiges, das sich in sich selber trennt, als ein äén diafð e rómenon/ eaytÖ.“ (PSF III, ECW 13, 105) Die Vernunft als die Einheit des Geistes ist das Prinzip der sich in ihrer Einheit in den Erscheinungen des geistigen Lebens in mannigfaltigen Bezogenheitsformen selbst erstellenden Tätigkeit: des Bildens. Der Geist erweist sich damit als Prinzip des Bildens.70 Die Frage nach der Entfaltung des Geistes in seine grundlegenden Bezogenheitsformen, die als Konstanten des geistigen Lebens erscheinen, leitet über in die Theorie der Basisphänomene.
2.2 Das Urphänomen des Lebens: Theorie der Basisphänomene Eine literarische Quelle der Anregung zu seiner Theorie der Basisphänomene findet Cassirer in Goethes Maximen und Reflexionen. 71 Der Dichter bringt hier den Philosophen auf eine Idee, die er zunächst in phänomenologischen Herleitungen verfolgt. Cassirer entdeckt die Basisphänomene (vgl. ECN 1, 113 ff. 72). Die Theorie der Basisphänomene, die er aber entwickelt, ist auf dichterische Metaphern nicht mehr angewiesen. 73
70
Vgl. Ullrich 2008. Cassirer kommt auf dem Weg einer „rätselhaften Gewinnung“ (Recki 2002, 206) von Goethes Maximen 391–393 (J. W. v. Goethe: Sämtliche Werke in 18 Bänden, Bd. 9, 543) zur Bestimmung der Basisphänomene. – Zu den Beziehungen CassirerGoehte vgl. insgesamt Naumann/Recki 2002. 72 Cassirers systematische Grundlegungsgedanken zur Theorie der Basisphänomene fi nden sich in ECN 1, aber auch in ECN 2, 3 und 5 vertieft er seine Überlegungen. 73 Eine prägnante Zusammenfassung von Cassirers Notizen zur Theorie der Basisphänomene fi ndet sich in Schmitz 2006, 235–241. 71
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2.2.1 Die Basisphänomene: Die Bedingung der Freiheit Die „‚natürliche‘ Symbolik“ (PSF I, ECW 11, 39) lässt sich nur rein analytisch als konstitutive Voraussetzung für die notwendige Entfaltung der künstlichen Symbolik ausmachen. 74 In phänomenologischer Perspektive wird damit zugleich der natürliche Anteil jeder möglichen Erscheinung beschrieben, die im Erleben gegeben sein kann, also jeglicher Realität überhaupt. Dieser natürliche Anteil umfasst im engeren Sinne das, was durch die unterschiedlichen symbolischen Formen jeweils als konkrete Natur erscheint. Freilich kann dabei Natur immer nur als Umwelt und insofern zumindest mögliche Erlebenswelt des Menschen als animal symbolicum gemeint sein. Dazu gehört zunächst und vor allem die menschliche Natur selbst und insofern die Bedingungen der Realität des Lebens als konkrete Voraussetzung menschlich-geistigen Lebens. Diese umfassen nicht nur die organische Form des Leibes, sondern seine soziale Verfasstheit wie auch die Tatsache, dass es notwendig Mittel geben muss, mittels derer sich ein solches Wesen seine organische und soziale Umwelt strukturiert, ordnet und verfügbar macht. In phänomenologischem Hinsehen zeigt sich folglich noch ‚hinter‘ der natürlichen Symbolik als Grundform geistiger Repräsentation (vgl. PSF I, ECW 11, 25–39) genau das, was Cassirer in seinem Nachlass unter dem Titel der „Basisphänomene“ thematisiert. Das kann in einem allzu naiv objektivistischen Hinsehen, das vom naturwissenschaftlichen Sehen (unkritisch) geprägt ist, übersehen werden, weil „von ihnen [d. h. den Naturwissenschaften] aus die ‚Basisphaenomene‘ nicht sichtbar gemacht werden können […,] denn diese Phaenomene liegen in der genau entgegengesetzten Richtung als die, die die Naturwissenschaften einschlagen.“ (ECN 1, 139) Die Mittel, mit denen der Mensch als leiblich-organisches und soziales Wesen seine Erlebenswelt und damit zugleich auch erst seine natürliche Umwelt als objektive Natur strukturiert, ordnet und verfügbar macht, sind aus der rein formalen Perspektive auf die natürliche Symbolik das, was Cassirer als drittes Basisphänomen bzw. (meistens) als „Werke“ bezeichnet: „Die ‚Natur‘ etc. konstituiert sich nur in geistigen Werken.“ (ECN 1, 248) Diese Werke haben aber selbst immer schon eine bestimmte Form und konkrete (dingliche) Existenz: Sie sind in künstlicher Symbolik vermittelt. 75 Werke sind Repräsentanten der symbolischen Formen im engeren Sinne der künstlichen Symbolik. Die in Werken objektivierten und verkörperten künstlichen Symboliken konstituieren insofern die konkre74 75
2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik. Vgl. unten 2.2.5: Rückkunft des Bildens auf sich selbst als Existenzsetzung.
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te Ausdruckswelt der Freiheit als symbolisches Universum des animal symbolicum. In phänomenologischem Hinsehen erweisen sich damit zugleich die künstlichen Symboliken als Weiterbestimmungen der Basisphänomene bzw. der basisphänomenal strukturierten Erlebenswirklichkeit des animal symbolicum. Insofern auch schon die natürliche Symbolik konstitutive Voraussetzung der künstlichen Symbolik ist, zeigt sich damit, dass die Basisphänomene als Bedingung der Möglichkeit der Realisierung der geistigen Freiheit in symbolischen Formen angesehen werden müssen. 76
2.2.2 Die Basisphänomene des animal symbolicum Es ist leicht zu sehen, dass die Basisphänomene, auch wenn sie so nicht bezeichnet sind, implizit schon in den Darstellungen der ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ fungieren (vgl. z. B. PSF II, ECW 12, 20577). Denn auch wenn sich in den symbolischen Formen, also den verschiedenen „Modalitäten der Sinngebung“ (PSF III, ECW 13, 230), verschieden ausgestaltete Realitätsbegriffe ergeben, wenn es also auch verschiedene Modalitäten für den Menschen selbst gibt, in denen er sich als wirkliches leibliches Wesen konzipieren kann – phänomenologisch unabweisbar bleibt, dass der Leib mit seinem Körper in seinem Sosein, abgesehen von technisch vermittelten Eingriffen, dem Vollzug der Willkürfreiheit entzogen ist: In ihrem Dass ist die Leiblichkeit des Menschen eine Konstante. Nimmt man den Begriff der Kultur in den Blick, so zeigt sich auch hier eine Konstante: Kultur ist immer eine Handlungsgemeinschaft, ob nun in einer wissenschaftlich-technischen Zivilisation oder in einer mythischen Volksgemeinschaft. Phänomenologisch unabweisbar muss jede konkrete geistige Realität in eine realisierte Zweckgemeinschaft eingebettet sein. Verschiedene Kulturen unterscheiden sich in dieser Hinsicht entsprechend dadurch, dass die symbolischen Formen unterschiedlich, mitunter sogar in bestimmten sich wechselseitig ausschließenden Hinsichten zur Geltung
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Vgl. unten 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk. „Die Entgegensetzung von ‚Subjekt‘ und ‚Objekt‘, […] ist […] nicht die einzige Form, in der sich der Fortschritt von einem allgemeinen, noch undifferenzierten Lebensgefühl zum Begriff und zum Bewußtsein des ‚Selbst‘ vollzieht. […] Die Subjektivität hat zu ihrem Korrelat nicht sowohl irgendein äußeres Ding als vielmehr ein ‚Du‘ oder ‚Er‘, von dem sie sich auf der einen Seite unterscheidet, um sich auf der andern mit ihm zusammenzufassen. Dieses ‚Du‘ oder ‚Er‘ bildet den wahren Gegenpol, dessen das Ich bedarf, um an ihm sich selber zu fi nden und sich selbst zu bestimmen“ (PSF II, ECW 12, 205). – Vgl. auch Naumann 1999. 77
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kommen, wie es zum Beispiel bei den Formen der Wissenschaft und des Mythos der Fall sein kann (vgl. PSF III, ECW 13, 87 ff.). Und es findet sich eine weitere phänomenologisch unabweisbare Konstante: Formen müssen objektiviert sein; sie müssen in der jede Kultur zusammenhaltenden Zweckgemeinschaft intersubjektiv zugänglich sein; es muss auf sie in leiblich-körperlichen Aktionen und Interaktionen zugegriffen werden können – also müssen die Formen, die das symbolische Universum konstituieren, auch mit der körperlichen Seite der leib-seelischen Existenz des Menschen in Wechselwirkung stehen können. Folglich müssen die Formen selbst unter Bedingungen der Körperlichkeit objektiviert, also verkörpert bzw. verkörperlicht sein (vgl. ECN 5, 12, 67). Es zeigt sich folglich eine dreistrahlige78 Einheit des geistigen Erlebensund Handlungszusammenhangs des Lebens: seine leib-seelische Einheit, seine Interpersonalität sowie der Werkcharakter der objektivierten Formen seiner geistigen Existenz. Cassirer unterscheidet entsprechend drei „Dimensionen“ (ECN 1, 132) bzw. „Stufen“ (ECN 2, 12) der Urerscheinung des Lebens, eben die drei Basisphänomene. Dabei findet Cassirer unterschiedliche Umschreibungen der drei Basisphänomene als den „Schlüssel[n] zur ‚Wirklichkeit‘“ (ECN 1, 137). In jeweils analogem Sinne spricht er vom Ich-Phänomen, Wirkens-Phänomen und Werk-Phänomen bzw. vom Ich, Du und Es oder auch von den Begriffen des Selbst, des Anderen und der Welt (vgl. ECN 1, 137). Mit Blick auf die jeweilige Qualität der ursprünglichen Bezogenheit, 79 die in jedem Basisphänomen zum Ausdruck kommt, spricht er auch vom „Fühlen als Ausdruck des ‚Lebens‘, der Monas[,] [vom] Wollen als Ausdruck des Handelns auf andere und mit anderen und schließlich [vom] Denken als Ausdruck der Objektivierung“ (ECN 1, 143). Die Basisphänomene müssen, soviel kann vor jeder inhaltlichen Präzisierung gesagt werden, als die ursprünglichen Bezogenheitsformen aufgefasst werden, in denen das „Leben und Tun“ (ECN 1, 127) als solches erscheint. Methodisch analog zu den Dimensionen der Symbolfunktion, nämlich Ausdruck, Darstellung und Bedeutung, 80 gilt, wenn auch mit etwas 78
Vgl. Recki 2004a, 550, über „die im Werk realisierte dreistrahlige Relation von Ich, Du und Objekt, mit der die kommunikative Vermittlung als konstitutiv begriffen ist“ (Hervorhebung S.U.). 79 Akenda 1998, dagegen hält – obgleich er bezüglich des zweiten Basisphänomens von einer „engen Verschmelzung“ von „Wirken und Wollen“ (90) spricht – „das Urphänomen [für] eine ungeschiedene, ungegliederte Wirklichkeit, die als Ganzes vor uns steht“ (88). 80 Diese sind nicht als kategoriale, sondern gemäß der Bestimmung durch Ernst Wolfgang Orth mit dem Begriff von Eugen Fink als „operative Begriffe“ aufzufassen-
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anderen Akzenten, für diese drei grundlegenden Dimensionen des Lebens und Tuns (vgl. ECN 1, 127), dass „jene Gliederung und Abteilung, jenes ‚Eins, Zwei, Drei‘, das der Philosoph an den Inbegriff dieser Funktionen, an dieses lebendige Gewebe des Geistes heranbringt, […] ihm [d. h. dem lebendigen Gewebe des Geistes] durchaus fremd [ist]. Es ist in sich ganz und geschlossen.“ (ECN 1, 681)
2.2.3 Die Transzendentalität der Basisphänomene Den transzendentalphilosophischen Blickpunkt82 gibt Cassirer auch in den von Goethes Urphänomen-Spekulationen angeregten Überlegungen zu den Basisphänomenen nicht auf. Vielmehr bezeichnet er die Basisphänomene in ihrer Gesamtheit als die „Grunderfahrung, ohne welche es für den Menschen das Phaenomen des Lebens und der Wirklichkeit nicht geben könnte“ (ECN 2, 9 f., Hervorhebung S.U.). Natürlich leben wir als (individuelles) Bewusstsein in unserem Leib bzw. Körper (vgl. PSF III, ECW 13, 104 ff.), als Person in Zweckgemeinschaften bzw. Handlungszusammenhängen (vgl. ECN 3, 196 ff.) und als Symbolwesen in unseren Werkwelten bzw. im symbolischen Universum (vgl. EM, ECW 23, 30 f.). Abgetrennt von diesen drei Dimensionen existiert der Mensch als animal symbolicum gar nicht. „Wir sind in ihnen [den Basisphänomenen] – aber wir können uns ihnen nicht gegenüberstellen.“ (ECN 1, 127) Das heißt, „es kann sich hierbei nicht um Stufen innerhalb einer absoluten Wirklichkeit handeln, [… sondern] lediglich um die Artikulation der Erkenntnis selbst und um die Beziehungen, die in ihr obwalten.“ (ECN 2, 12) Die Theorie der Basisphänomene ist damit keine Ontologie, vielmehr müssen die Basisphänomene als fundierend in Hinsicht auf alle symbolischen Formen und diese als Weiterbestimmungen des Bildens (vgl. PSF I, ECW 11, 23, 49; ECN 1, 107, 209, 256 ff.) bzw. als Modalitäten der reinen „Sehe“ den, vgl. Orth 1988. – Vgl. ECN 1, 240: „Ausdruck, Darstellung, Bedeutung[:] Wir haben sie hier lediglich phaenomenologisch geschieden – wir fassen sie als immanentnotwendige Stufen in der Entwicklung des Selbstbewusstseins – keine ist entbehrlich[.]“ – Hier legt sich der Gedanke an die transzendentalphilosophische Trias von Einbildungskraft, Verstand und Urteilskraft (vgl. EP III, ECW 4, 153) nahe. 81 „Die eigentliche, die ‚konkrete‘ Wirklichkeit des Geistes besteht vielmehr eben darin, daß alle seine verschiedenen Grundmomente in einander eingreifen und in einander verwachsen – daß sie im eigentlichen Sinne ‚konkreszieren‘.“ (ECN 1, 6) Dieser Begriff des Konkreszierens hat nichts mit Whiteheads Begriff der Konkreszenz zu tun, sondern stellt eine systematisch-begriffl iche Anleihe aus Fichtes Vorlesungen über die Wissenschaftslehre aus dem Jahr 1813 dar (Fichte 1971, SW 10, 8). Vgl. EP III, ECW 4, 134. 82 Vgl. oben 1.1.4: Transzendentalphilosophie als systematische Position.
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(ECN 1, 28, 214, ECN 3, 249) angesetzt werden:83 „Die Basisphaenomene und dasjenige, was uns Wirklichkeit in all ihren verschiedenen Formen, Richtungen, Dimensionen zuerst zugänglich macht – sie sind nicht ein ‚Resultat‘, das wir mittelbar zu erschliessen haben – sondern sie sind ‚das Licht und der Weg‘.“ (ECN 1, 132) Wenn Cassirer mit der Theorie der Basisphänomene gleichsam einen Grundriss des „Aufbaus des Lebens“ (ECN 1, 123) geben möchte, dann geht es um den ursprünglich sich herausdifferenzierenden Aufbau der Bezogenheitsformen des Urphänomens des Lebens. In diesem Sinne richtet sich die Darstellung „nach der Art des Seins [des Lebens], und nach der Art, wie es uns selbst und anderen erkennbar ist.“ (ECN 1, 123) Ein solcher Nachvollzug erfolgt methodisch „nach der Art des Wissens, die wir von ihm [nämlich dem Leben] gewinnen können“ (ECN 1, 123) – sprich: nach der Art der transzendentalphilosophischen Methode. Das Wissen, welches dem animal symbolicum als Wissen vom Leben am unmittelbarsten zugänglich ist, ist das Sichwissen. Denn „menschliches Leben ist seiner selbst bewusstes Leben […] und dieses ‚um sich Wissen‘ ist für es konstitutiv, macht seine spezifische Differenz aus“ (ECN 1, 123). Sichwissen aber ist reflektiertes (bzw. sich reflektierendes) Bilden. 84 Der philosophische Nachvollzug der dreistrahligen Bezogenheitsform der Basisphänomene bringt deshalb die immanente Bezogenheitsstruktur des Bildens im Reflex in den Blick. Die Basisphänomene als solche zeigen sich dabei als Projektionen (vgl. ECN 1, 256) der immanenten Vollzugsstruktur des Bildens selbst. „Bildlich gesprochen: sie [nämlich die Basisphänomene] sind nicht etwas an sich Vorhandenes, was irgendwie durch die Fenster unseres Bewusstseins (sei es durch die Fenster unserer ‚Sinnesorgane‘, sei es durch andere ‚geistige‘, spirituelle ‚Medien‘ […]) zu uns hereinkommt, sondern sie sind selbst die Fenster der Wirklichkeits-Erkenntnis – das, wodurch wir uns [!] der Wirklichkeit aufschließen […] – sie sind der Blick, den wir auf die Welt werfen [!].“ (ECN 1, 132) Der Verweisungszusammenhang der Basisphänomene stellt die immanente Vollzugsstruktur der „Energie des Geistes“ (PSF I, ECW 11, 7) als solcher dar. Umgekehrt ist damit zugleich gesagt, dass sich das erscheinende Leben in sich selbst differenziert: Der Geist ist in Cassirers Verständnis eine in sich selbst gegliederte Vollzugseinheit. 85 Energien des Geistes
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Vgl. ECN 2, 89, im Manuskript gestrichene Stelle. Vgl. unten 2.2.5: Rückkunft des Bildens auf sich selbst als Existenzsetzung, 4.2.1: Die Sehe als Reflex des Geistes. 85 Vgl. oben 2.1.5: Das Wesen der Menschheit: äén diafðerómenon/ eaytÖ. 84
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sind aber nicht nur ein Erkenntnis bzw. bloße Wissensbilder hervorbringendes Tun. Das geistige Leben äußert sich als poietische Synthesis: Es differenziert sich zugleich in Wollen, Wissen und Tun. Schon in einem werkbiographisch bezüglich seiner Konzeption einer Theorie der Basisphänomene etwas früheren Text zu den Begriffen von Geist und Leben deutete Cassirer mit der folgenden Formulierung auf diese systematische Unterscheidung vor: „Die Energie des Wirkens richtet sich unmittelbar auf die Umwelt des Menschen, sei es, um sie, so wie sie ist, zu ergreifen und in Besitz zu nehmen, sei es, um sie in einer bestimmten Richtung zu verändern. Die Energie des Bildens aber ist nicht direkt auf diese Umwelt bezogen, sondern sie bleibt in sich selbst beschlossen: Sie bewegt sich in der Dimension des reinen ‚Bildes‘, nicht in der der ‚Wirklichkeit‘.“ (GuL, ECW 17, 195) Freilich fällt der realistische Umweltbegriff, den Cassirer hier verwendet, hinter eine transzendentale Reflexion zurück. Phänomenologisch nähert sich Cassirer im dritten Band der ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ dem Problem der Wirklichkeit über den Begriff der Ausdrucksphänomene. 86 Mit der Theorie der Basisphänomene gelingt es Cassirer dann, diesen vorkritischen Begriff der Umwelt reflexiv einzuholen, indem es die Theorie der Basisphänomene erlaubt, die Annahme einer unabhängig vom individuellen Erleben unmittelbar präsenten Umwelt aus dem Begriff der in konstitutiv interpersonaler Erfahrung gegebenen Welt objektiver Bedeutungen (Werke) zu begründen. Um dies sehen zu können, ist hier in Grundzügen das von Cassirer entdeckte Beziehungsgefüge der Basisphänomene nachzuzeichnen.
2.2.4 Die Systematik der Basisphänomene Die erste Dimension bzw. Stufe des Urphänomen des Lebens (vgl. ECN 1, 127, 163 f.) ist „[d]as Phaenomen des Ich, der Monas […]. Es ist nicht aus etwas anderem ableitbar, liegt vielmehr allem anderen ‚zum Grunde‘.“ (ECN 1, 133) „Leben ist uns in der Form des ‚monadischen‘ Seins gegeben.“ (ECN 1, 123) Die Erscheinung des Lebens in der Form der Ichheit ist „die Uroffenbarung selbst“ (ECN 1, 123), wobei Cassirer damit ersichtlich an den Begriff der „Selbstoffenbarung“ (PSF I, ECW 11, 7) anschließt, den er für die Darstellung der symbolischen Formen ins Spiel
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Vgl. den ganzen Teil „Ausdrucksfunktion und Ausdruckswelt“ in PSF III, ECW 13, 49–117.
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bringt. 87 Hier ist zugleich der eigentliche systematische Einsatzpunkt für Cassirers Konzeption des Leib-Seele-Verhältnisses, 88 auch wenn er das in den Notizen nicht eigens berücksichtigt. Immerhin ist der sich am bewussten Körper realisierende Modus des Gewahrwerdens mit dem Ausdruck „Fühlen“ (ECN 1, 143) trefflich bezeichnet. Ganz im Sinne der Uroffenbarung hat Cassirer in dem bedeutenden Kapitel über das LeibSeele-Problem im dritten Band der ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ (PSF III, ECW 13, 104–117) die Einsicht festgehalten, dass „[d]as Verhältnis von Seele und Leib […] das erste Vorbild und Musterbild für eine rein symbolische Relation dar[stellt]“ (PSF III, ECW 13, 113). Und die Grundform der symbolischen Relation ist, wie noch eingehender zu erläutern ist, die sich im Bilden (vgl. PSF I, ECW 11, 23, 49; ECN 1, 107, 209, 256 ff.) aktualisierende „Auseinandersetzung“ (PSF II, ECW 12, 182; PSF III, ECW 13, 44; ECN 3, 199; LSB, ECW 22, 118). 89 Die Erscheinung des Lebens in der Form der Ichheit geht einher mit einer Verleiblichung des Bildens. Das Leben ist hier in der Form der Ichheit zur in Leiblichkeit erscheinenden „Sehe“ (ECN 1, 28, 214; ECN 3, 249) geworden, wobei die Form des im Wissensbild gebildeten Seins bereits in die dritte Dimension, auf das Basisphänomen des Werks, verweist. Natürlich meint Cassirer mit der Monas als Form der Ichheit nicht das psychologisch auszufassende Ich. Das monadische Ich vielmehr „ist keinem Einzelaugenblick ‚verhaftet‘, sondern die Totalität seiner Lebensmomente, die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft erschliessen“ (ECN 1, 134). Das sich konkretisierende, individuelle Ich als schöpferische Subjektivität (vgl. ECN 1, 7) in Selbstvollzug muss mithin als auf seine ideelle Totalität als Monas (Form der Ichheit) bezogen konzipiert werden. Cassirer geht es folglich ersichtlich um eine reflexionsbegriffliche Fassung des Ich.90 Real ist Totalität natürlich nicht erreichbar. Die Totalität der Monas zerlegt sich in Lebensmomente (vgl. ECN 1, 134). Die leiblichen Gefühle und seelischen Empfindungen haben deshalb als reale Vorkommnisse, nämlich psychische Phänomene, ihre Geschichten in der Zeit. In diesem Sinne ist die Monas „kein Sein (oüsía als Permanenz), sondern eine strömende Bewegtheit“ (ECN 1, 133). Im reflexionsbegrifflichen Sinne aber ist geistige Existenz zugleich niemals als im Moment beschlossen zu verstehen, sodass – wie auf das psychologische Ich – mit einem inde-
87 88 89 90
Vgl. unten 2.3.3: Formen der Selbstoffenbarung des Geistes. Vgl. oben 2.1.1: Die Leiblichkeit des animal symbolicum. Vgl. unten 2.3.2: Bilden und Auseinandersetzung. Zu den Reflexionsbegriffen vgl. 3.3: Der Blickpunkt metaphysischen Denkens.
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xikalischen Ausdruck darauf zu referieren wäre. Die Monas als Form der Ichheit ist vielmehr „durch ein Jetzt gar nicht beschreibbar.“ (ECN 1, 133) Das „sich ‚Gewahrwerden‘“ (ECN 1, 123 f.) des Lebens kann gemäß Cassirer erst dann eintreten, wenn es „seine zentripetale (ego-zentrische) Bewegung, die ‚rotierende Bewegung der Monas um sich selbst‘, auf[gibt].“ (ECN 1, 124) Aber „[d]ie ‚Monade‘ als isoliertes Individuum ist [ohnehin] eine Abstraktion – […] wir erfahren uns [vielmehr] nicht nur ‚perzeptiv‘ als von Zustand zu Zustand übergehend – sondern wir erfahren uns als wirkend und handelnd “ (ECN 1, 134). Das heißt, „[e]s gibt kein Bewusstsein von Wirklichkeit ohne dieses ursprüngliche, unableitbare Bewusstsein des Wirkens – Wir ‚erleben‘ nicht nur uns selbst, sondern wir erleben etwas, das uns entgegensteht, widersteht – und aus diesem Widerstand erwächst uns [schließlich] erst das Bewusstsein vom Gegen-Stand.“ (ECN 1, 134) „Hierbei ist das Entgegen-Stehende, das Wider-Stehende, das ursprünglich in der Willenserfahrung gegeben ist, noch kein blosses unpersönliches ‚Es‘; sondern wir finden es ursprünglich als ein ‚Du‘.“ (ECN 1, 134 f.) Das zweite Basisphänomen ist mithin das „[e]thische Urphaenomen: das Ich erkennt andere Wesen ‚neben‘ sich, ‚ausser‘ sich, nicht extra, sondern praeter nos an und setzt sich zu ihnen in ein tätiges Verhältnis.“ (ECN 1, 124) Das, was Cassirer in seinen phänomenologischen Untersuchungen zur „Ausdrucksfunktion“ (vgl. PSF III, ECW 13, 64–103) noch als die „Gewißheit vom ‚fremden Ich‘“ (PSF III, ECW 13, 92) durch eine adäquate Erkenntnis der Ausdrucksphänomene gewährleistet und als hinreichend begründet ansieht, holt er nun hier systematisch mit dem Begriff der Anerkennung ein. Dazu finden sich in einem kurzen Fragment zur Ethik (ECN 3, 196– 199) erhellende Bemerkungen. Denn „im Ethischen herrscht […] ein reines Wechselverhältnis, ein rein umkehrbares Verhältnis[,] das ‚Anerkennen‘ ist gegenseitig – wir geben und nehmen[,] es ist eine Form der ethischen Ansprache und Aussprache – der ‚Auseinandersetzung‘ zwischen Ich und Du“ (ECN 3, 199). Das Leben des animal symbolicum ist demzufolge immer ein als solches ermöglichtes personales Dasein. Die ethische „Persönlichkeit“ allerdings lässt sich „nur durch Kategorien des Sollens konstituieren“ (ECN 3, 196). Das heißt, die ethische Persönlichkeit ist nicht durch irgendwelche äußerlich aufweisbare Merkmale bzw. Seins-Charaktere bestimmt, sondern dadurch, dass an diese „‚sinngemäß‘ eine bestimmte Forderung ergehen kann.“ (ECN 3, 196) Das schließt ein, dass die Taten, die in diesem Sinne als Taten einer Person anerkannt werden müssen, nicht als bloße Reflexe bzw. Vorgänge interpretiert werden dürfen, sondern „auf Grund bestimmter Kriterien“ einem Ich zugerechnet werden
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müssen, indem sie sich nämlich als „‚Ausdruck‘ eines Willensentschlusses“ (ECN 3, 196) zeigen. Dieser Willensausdruck zeigt sich allerdings nicht im Sinne einer bloßen Einwirkung auf das monadische Ich. Vielmehr ist das im Empfangen einer (ethischen) Forderung bestehende Anerkennungsverhältnis „kein bloss passives Angesprochen werden, es ist ein aktives Ansprechen, ein aktiver Anspruch, […] wir setzen uns mit ihm in eine wechselseitige Verbindung – wir setzen uns mit ihm ‚auseinander‘.“ (ECN 3, 198) Als geistiges Leben müssen wir immer schon von uns aus für derartige Setzungen eröffnet sein, indem wir, als sich konkretisierendes Bilden, den Sinn solcher Setzungen, Forderung zu sein, grundsätzlich in Bezug auf unseren eigenen Vollzug anerkennen. Dadurch stehen wir in einer ursprünglichen Korrelation mit einem an uns eine Forderung richtenden anderen Bilden. „Diese Korrelativität, Wechselseitigkeit, diese durchgängige Entsprechung (respondere)“, das ist die Grundform der Bezogenheit im Sinne der zweiten Dimension des erscheinenden Lebens und zugleich „die Grundform der ethischen Gemeinschaft“ (ECN 3, 199). Cassirer notiert in diesem Sinne für seine Theorie der Basisphänomene: Das Leben „‚bedingt‘ sich selbst durch die Hinwendung zu anderem Lebendigen – Dem Urphaenomen des Ich tritt das Urphaenomen der Liebe zur Seite – Und aus der Liebe folgt die Tat.“ (ECN 1, 124) Ohne den zutreffenden terminus technicus zu gebrauchen formuliert Cassirer hier in Grundzügen eine Theorie der Interpersonalität. Denn das Entgegenstehende, das dem Ich ursprünglich Entgegengesetzte, deutet Cassirer als Forderung, die an den Willen ergeht, der sich am in dieser Forderung gesetzten Wert erst als solcher formiert, weil und insofern das Sichöffnen für die Forderung eine Selbstbestimmung des sich konkretisierenden Bildens darstellt. Den Widerstand, der durch seine sollenslogische Verfasstheit als Ausdruck eines Willensentschlusses kenntlich ist, umschreibt Cassirer metaphorisch als „ein Eigen-Sinniges und Eigen-Williges – ein Etwas, das uns den Raum des Handelns verengt und streitig macht“ (ECN 1, 135). Das mit dem „Eigen-Willigen“ die Werthaftigkeit der entsprechenden Setzung gemeint ist, macht Cassirer ex negativo im Anschluss deutlich: „Das ‚Sein‘ – der Dinge – ‚im Raume‘ ist ein anderes und sehr viel verwickelteres und späteres Problem – Hier handelt es sich um etwas anderes und Primitiveres [im Sinne von ursprünglicher] – um das Wirken in einem gemeinsamen Aktions-Raum.“ (ECN 1, 135) Der „Aktions-Raum“, so schärft Cassirer hier ein, darf in diesem Sinne nicht mit dem anschaulichen Raum bzw. mit dem Repräsentationsraum des ausgebildeten Objektivitätsbewusstseins verwechselt werden. „Wir halten hier zunächst nur das Eine fest, daß diese Form des Mit-Einander-
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Seins in der Form des Auf-Einander-Wirkens ein echtes Basisphaenomen ist – von nichts anderem ableitbar, sondern ursprünglich konstituierend.“ (ECN 1, 135 ) „In diesem Bezug auf andere gewinnt der Mensch die erste Klarheit über sich selbst.“ (ECN 1, 124) „Diese ‚Bindung‘ [an Andere] ([die insofern] im [erlebten] Wirken und Leiden [zugleich gegeben ist,]) ist also ein ursprüngliches Phaenomen, ohne welches es [erst gar] kein ‚Objektivitäts-Bewusstsein‘ gäbe.“ (ECN 1, 135) Allerdings ist auf dieser Stufe die logische Genesis der Objektivierung im Sinne der Repräsentation der Objektivität noch nicht abgeschlossen. Darauf verweist Cassirer mit der berechtigten Frage: „Wie werden wir anderen kenntlich?“ (ECN 1, 125) Denn ersichtlich braucht es in einem Aktions-Raum, der mit seiner Grundform der ethischen Gemeinschaft zugleich den Raum sozialer Kommunikation eröffnet, Mittel zum Zweck der Kenntlichwerdung und Kommunikation, durch die also die Forderung von einem (leiblichen) Ich zum anderen übertragen werden kann. Hier liegt denn zugleich der systematische Grund, warum die Sprache, und zwar einerseits als Gebärdensprache bzw. als (potentiell absichtlicher) leiblicher Ausdruck und andererseits als Sprache im engeren Sinne, die „elementare“91 symbolische Form ist. Denn kenntlich im grundlegenden Sinne werden wir anderen „[n]icht durch uns selbst, nicht durch das, was wir leben oder sind, sondern nur durch die Objektivierung, durch das ‚Werk‘, das wir schaffen […] und zwar als Handlung und Tat, als Wort und Schrift“ (ECN 1, 125). Das Werk – wohlgemerkt als Handlung und Tat (Praxis) wie auch als Wort und Schrift (Theorie) – ist damit zugleich „der Anfang zu einer ganz neuen Position – zu derjenigen ‚Position‘, die uns erst zu dem eigentlichen Wirklichkeitsbewusstsein hinführt.“ (ECN 1, 136) Neu ist diese Position bzw. Setzung gegenüber den vorhergehenden Stufen bzw. Dimensionen (des Bildens), weil sich erst in der Selbstanschauung der Gesetzlichkeit der Werkfunktion die Repräsentations- und Handlungszusammenhänge als objektive Strukturmomente der erscheinenden Realität erweisen können. Cassirer spricht in diesem Sinne auch von „Projektion“ (ECN 1, 256). Freilich sind diese Repräsentations- und Handlungszusammenhänge immer im Modus spezifischer symbolischer Formen, nämlich im engeren Sinne der künstlichen Symbolik (vgl. PSF I, ECW 11, 39), weiterbestimmt.92 Insofern schränkt Cassirer völlig angemessen in 91
Vgl. Recki 2002, 199. Die Basisphänomene sind also konstitutiv für Wirklichkeit: Sie sind zugleich Bedingung der Möglichkeit der „Entdeckung von Wirklichkeit“ (ECN 3, 256) überhaupt und bilden Grundkonstanten des geistigen Lebens überhaupt. Als immanente Vollzugsstruktur des Bildens sind sie immer schon Moment dessen, was in der Rück92
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Bezug auf die Setzung der objektiven Realität ein: „Der erste Schritt zu dieser ‚Position‘ ist das Werk, das der Mensch aus sich ‚herausstellt‘ – das beständige ‚Produkt‘, das sich aus seinen Werken ‚absetzt‘ – die ‚Sphaere der Werke‘, der ‚Gebilde‘ liefert den Durchgang, die eigentliche Vermittlung zur Sphaere des ‚objektiven‘ Seins.“ (ECN 1, 136) Insofern ist mit der Setzung des Werks als solchem die Sichformierung des Realitätsbewusstseins nicht bereits in sich geschlossen, sondern „[a]us dem Werk-Bewusstsein erwächst das eigentliche Sach-Bewusstsein“ und „hier zuerst erfahren wir auch, was die sachliche Notwendigkeit bedeutet.“ (ECN 1, 136, 1. Hervorhebung S.U.) „Daher ist es auch richtig [zu sagen], daß das ‚Sein‘ uns zunächst nicht als ein völlig abgelöstes So-Sein (‚Ausser uns‘-Sein) gegeben ist, sondern daß es uns gegeben ist, in dem Medium des Werks.“ (ECN 1, 136 f.) „Das ‚Fenster‘, das zur Wirklichkeit führt, ist erst jetzt ganz geöffnet – der ‚Blick‘ für die Wirklichkeit, für die Objektivität ist uns geöffnet, indem wir sie im Werk und in der objektiv-darstellenden Sprache vor uns ausbreiten.“ (ECN 1, 137)93 Mit Blick auf den Grund der Setzung des Werks, nämlich Mittel der Kommunikation der konstitutiven Forderung zu sein, lässt sich noch hinzufügen: „Das Werk ist das Ziel des Wirkens; aber in ihm ist das Wirken auch zu seinem Ende gelangt.“ (ECN 1, 136) Der Kreis der Systematik der Basisphänomene schließt sich hier.
2.2.5 Rückkunft des Bildens auf sich selbst als Existenzsetzung Nicht jedoch schließt sich damit der Kreisgang der in sich zurückgehenden Tätigkeit des Bildens, der hier in gewisser Weise erst eigentlich anhebt. Denn wie gesagt erscheint das Bilden immer nur in Weiterbestimmung zu spezifischen Modalitäten der „Energie des Geistes“ (PSF I, ECW 11, 7), zu bestimmten symbolischen Formen. Und erst in und mit diesen symbolischen Formen entfaltet sich das jeweils spezifisch charakterisierte, realitätshaltige Wollen und Wissen.94 Denn das Bilden ist eine Tätigkunft des Bildens auf sich selbst (vgl. unten 2.2.5), also der sichformierenden Durchbestimmung in den symbolischen Formen im engeren Sinne als Vorgegebenheit erscheint. Vgl. unten 2.3.3: Formen der Selbstoffenbarung des Geistes, 2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik, 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk. 93 Zur grundlegenden Funktion der Sprache vgl. SAG, ECW 18, 111–126. 94 Vgl. PSF I, ECW 11, 46: „Der echte Begriff der Realität läßt sich nicht in die bloße abstrakte Seinsform hineinpressen, sondern er geht in die Mannigfaltigkeit und Fülle der Formen des geistigen Lebens auf – aber eines solchen Lebens, dem selbst das Gepräge der inneren Notwendigkeit und damit das Gepräge der Objektivität aufgedrückt ist.“
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keit, „die nicht schlechthin im ‚Wirken‘ aufgeht, nicht in ihrem Effekt“ (ECN 1, 256). Im Sinne des Endes der Tätigkeit wird das Werk nämlich „als Hemmung empfunden […,] es gehört [deshalb] der [so sich erst als solche eröffnenden] Aussenwelt mehr an als uns selbst.“ (ECN 1, 125) Damit wird aus der philosophischen Reflexion heraus auf die bloß empirisch erfahrbare Kontingenz bzw. Materialität des Werks verwiesen, denn „[u]m für uns ‚da zu sein‘, müssen sie [das heißt, die Werke] sich ‚verkörpern‘[,] und diese ‚Verkörperlichung‘ ist die [der Position bzw. Setzung durch das Bilden beigeordnete weitere] Bedingung für ihre ‚Existenz‘“ (ECN 5, 6795), und zwar „Existenz“ hier im Sinne der „Ordnung des Geschehens“ (ECN 5, 12). Mit der hier nur in ihrer Notwendigkeit aufweisbaren, in ihrer konkreten Ausgestaltung allerdings als rein historisch erscheinenden Materialität ergibt sich zugleich, dass „das Sein des Werks, des Gebildes […] seinen Schöpfer [überdauert] – es ist in gewissem Sinne mehr als der Schöpfer – behält ihm gegenüber immer eine eigenartige ‚Transzendenz‘.“ (ECN 1, 125) Allerdings trägt die bloße Materialität als solche nichts zum formalen Bestand des Werkes bei,96 denn „es ‚ist‘ nur, indem es ‚gilt, aber es gilt nur, solange der Akt der Setzung […] selbst dauert und nicht durch einen anderen abgelöst und aufgehoben wird“ (ECN 1, 128). Dieser Akt der Setzung nun ist das immer in einer spezifischen Modalität, also als symbolische Form im engeren Sinne der künst-
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Vgl. auch ECN 5, 85: „‚Die‘ Sprache – das ist nichts anderes als ein Ganzes das uns in ‚Wort‘ und ‚Schrift‘ gegeben ist – die Worte sind bestimmte Lautkomplexe, die Schrift bestimmte Veränderungen, Eindrücke, die an irgend einem Material haften – entweder in Stein geritzt oder auf Pergament geschrieben sind – und all dies macht erst den ‚Körper‘ der Sprache aus – Aber auch die Kunst ist ja nur in solcher Verkörperung wirklich – die bildende Kunst ist nur in jeweiligem ‚Material‘ der Malerei, der Plastik, der Architektur, und Malerei, Plastik und Architektur haben je ihr eigenes Material – Am ehesten könnte man noch geneigt sein, der Religion ein eigenes, nicht-materielles ‚übersinnliches‘ Dasein zuzuschreiben – Aber auch die Religion hat ihre historische ‚Wirklichkeit‘ nur an bestimmten Urkunden, denen sie den Wert der ‚Heiligkeit‘ zuspricht, und die sie als Träger einer höheren ‚Offenbarung‘ ansieht – sie ist irgendwie an ihre ‚heiligen Bücher‘ geknüpft – Und wenn wir uns vom Kreis der Kulturreligionen zu dem der primitiven Religionen wenden, so fi nden wir hier die gleichen Bindungen – Diese primitiven Religionen stützen sich zwar im allgemeinen nicht auf das Zeugnis einer ‚heiligen Schrift‘, aber sie leben weiter auf Grund der mündlichen Tradition, des gesprochenen Wortes – und vor allem auf Grund des Ritus, – bestimmter Handlungen, die immer wieder als solche vollzogen werden und die ein bestimmtes, regelmässig wiederkehrendes materielles Geschehen in sich schliessen – ein Opfer wird dargebracht, ein Trank wird genossen.“ 96 In diesem Sinne notiert Cassirer, Kulturgüter ließen sich „mit bloss-physikalischen Kategorien nicht beschreiben; denn diese vermögen eben [ihre] ‚Bedeutung‘ als Kulturg[üter] niemals auszudrücken“ (ECN 5, 86).
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lichen Symbolik, sich vollziehende Bilden, das darin weiterbestimmend auf die ursprüngliche Werksetzung zurückkommt.97 Das Bilden kann in diesem Sinne als fortwährende Aktivität oder auch als Aktion bestimmt werden, das konkrete Wissensbilder bzw. Repräsentationszusammenhänge absetzt, indem es in jeweils spezifischer Weiterbestimmung auf seine ursprünglichen Setzungen reflexiv bezogen ist – die daher auch ihre Funktion ändern können und so nicht mehr ausschließlich im Dienste interpersonaler Kommunikation stehen müssen. „Nur die[se] Aktion [nämlich] führt zur Objektivation – nur im freien Gestalten, im Bilden entsteht dem Menschen ein ‚Bild‘ der Dinge.“ (ECN 1, 256) Das Bilden in diesem Sinne der Objektivation muss sich immer als ein freies Gestalten vollziehen.98 Es hat als solches folglich die realisierten Bedingungen von Freiheit, mithin eine ursprünglich interpersonale und wertbezogene Verfasstheit der geistigen Energien zur Voraussetzung, nämlich die ursprüngliche Realisierung der grundlegenden Bezogenheitsformen des durch das Wissen erscheinenden Lebens, also der Basisphänomene. Nur in grundsätzlich ermöglichter Freiheit99 kommt es dazu, dass das Leben zur „Sehe“ (ECN 1, 28, 214, ECN 3, 249) wird, konkretisieren sich das Bilden und damit die symbolischen Formen, kann überhaupt von Realität, von Dingen und von Existenz (des Seienden) gesprochen werden: „Im Bilden gewinnen die Dinge erst die ihnen eigentümliche ‚Wirklichkeit‘; hier gelangen sie zur ‚Existenz‘.“ (ECN 1, 257)
2.3 Die symbolischen Formen: Konstitutionsreflexion Im Folgenden geht es nicht um symbolische Formen im Einzelnen.100 Es geht um die Struktur und die Prinzipien, die Cassirer als zum Wesen der symbolischen Form überhaupt gehörig ins Spiel bringt. Zunächst scheint sich in solcher Absicht die Begriffstrias von Ausdruck, Darstellung und
97
Vgl. unten 2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik, 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk. 98 Im so systematisch begründeten Sinne kann Cassirer erst eigentlich von einer Distanzierung des Menschen von seiner Umwelt sprechen, vgl. z. B. PSF I, ECW 11, 136: „Diese Distanz vom unmittelbaren Dasein und vom unmittelbaren Erleben ist die Bedingung seiner Sichtbarkeit, seiner geistigen Bewußtheit.“ 99 Vgl. oben 2.1.3: Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug. 100 Ergänzende Überlegungen zum Folgenden in: Recki 2004, 30–4; Pätzold 2003, 60–69; Schmitz 2006, 159–165.
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Bedeutung aufzudrängen.101 Diese drei Funktionen treten in den Analysen der kritischen Phänomenologie zu dem Zweck ein, das Material der Untersuchungen zu ordnen und zu strukturieren, um so den Blick auf die Differenzen der verschiedenen symbolischen Formen zu lenken. Für das hier angestrebte Ziel, nämlich eine Darstellung der Metaphysik des Symbolischen, sind sie deswegen weder einträglich noch erforderlich. Es geht, wie noch methodologisch einzuholen ist, letztlich um die Reflexionsbegriffe,102 die in ihren konstitutiven Verweisungszusammenhängen reflexionsrelevante Bedeutungsfelder generieren.103 Kurz: Hier wird nun nicht auf Unterschiede der symbolischen Formen im Einzelnen, sondern vielmehr auf das allen Formen Gemeinsame reflektiert.
2.3.1 Bewusstseinsformen und faktischer Bestand Im Zusammenhang der Philosophie der symbolischen Formen wird unter konkreten „sinnlichen Zeichen“ (PSF I, ECW 11, 33) sowie unter „intellektuellen Symbolen“ (PSF I, ECW 11, 7) die „künstliche Symbolik“ (PSF I, ECW 11, 39) verstanden, und zwar in methodischer Entgegensetzung gegen „die ‚natürliche‘ Symbolik“ (PSF I, ECW 11, 39). Die Grundfunktion der Repräsentation (vgl. PSF I, ECW 11, 39 ff.)104 entfaltet sich konkret immer nur in jeweils spezifischen Formen der künstlichen Symbolik bzw. in der mitlaufenden Entäußerung objektiver Gebilde als zugleich intersubjektiv verfügbarer Werke.105 Der Repräsentationszusammenhang ist dabei immer schon und ebenso originär ein Aktionszusammenhang und somit in einem (grundlegenden) „Aktionskreis“ (ECN 1, 246, 249, 255) verortet.106 Es ist ein konstitutives Moment der symbolischen Formen, dass sie sich in einen sich jeweils verschieden darstellenden Zusammenhang von sinnlichen Momenten entfalten, ohne allerdings in der Materialität der sinnlichen Momente aufzugehen.
101
Zur Problematisierung dieser Begriffe und auch der Begriffe des mimischen, analogischen und rein symbolischen Ausdrucks vgl. Recki 2004, 46–48. Zu einer Kritik der geschichtsphilosophischen Imprägnierung dieser Begriffe bei Cassirer vgl. Knoppe 1992, 151–171. 102 Vgl. unten 3.3: Der Blickpunkt metaphysischen Denkens. 103 Vgl. unten 4: Durchführung der synthetischen Sichtweise. 104 Zu „Repräsentation“ erhellend: Schmitz 2006, 154 f.; Sandkühler 2003, 17–22 105 Vgl. oben 2.1.3: Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug, 2.2.5: Rückkunft des Bildens auf sich selbst als Existenzsetzung, unten 2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik, 4.2.2: Leben als Formung zum Sinn. 106 Vgl. oben 2.1.2: Die wesentlich ethische Dimension der Kultur, 2.2.4: Die Systematik der Basisphänomene.
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Allen verschiedenen symbolischen Formen bzw. Systemen sinnlicher Symbole ist dabei als solchen der Anspruch auf Allgemeingültigkeit eigen (vgl. PSF I, ECW 11, 19). Sinnliche Symbole als Erzeugnisse der „Aktivität des Sinnlichen“ (PSF I, ECW 11, 17) sind Vorstellungen und Handlungen bzw. Vorstellungszusammenhänge resp. Handlungszusammenhänge, die an sich über die Subjektivität von „individuellen Bewußtseinserscheinungen“ (PSF I, ECW 11, 19) hinaus verweisen.107 So wie sie von der sinnlichen Aktivität hervorgebracht bzw. gesetzt werden, haben diese sinnlichen Konstruktionen einen „bestimmten Objektivitäts- und Wertanspruch“ (PSF I, ECW 11, 19). Sie beanspruchen, als Konstruktionen, die von einer sich als solcher individuierenden, prinzipiellen „schöpferischen Subjektivität“ (ECN 1, 7) vollzogen werden, Nachkonstruktionen eines objektiven Sinnes zu sein; als Bilder beanspruchen sie, mitteilbare Abbildungen des in ihnen Gebildeten zu sein. Darin sieht Cassirer die Lösung des „Ding an sich-Problem[s] – Auch hier wird die ‚Transzendenz‘ als Bedeutungs-Transzendenz (Sinnsphaere des Objektiven, ‚Intention‘ auf das Objekt) richtig hervorgehoben – aber der ‚Realismus‘ [dagegen] bleibt in der Ding-Kategorie stecken – erbaut eine neue Sphaere von ‚Dingen‘ über der alten […]. Wir geben die Transzendenz zu – halten keineswegs am Gedanken der Bewusstseins-Immanenz fest – Aber die Sphaere ‚jenseits‘ des Bewußtseins ist uns SinnSphaere, keineswegs Ding-Sphaere – Sie noch dinglich zu nehmen, ist naiv.“ (ECN 1, 249) Der Anspruch auf die Objektivität dieser Sinntranszendenz verbürgt allerdings keine Gewissheit, sondern kann sich vor einem „entwickelten und durchgebildeten Wahrheitsbegriff möglicherweise als hinfällig erweisen.“ (PSF I, ECW 11, 19; vgl. ECN 2, 28 ff.) Es ist immer ein bloß faktischer Geltungsanspruch – die Legitimation solcher Anspruchserhebung überhaupt ist dann aber nicht mehr Thema der kritischen Phänomenologie, sondern der Metaphysik des Symbolischen. In diesem Sinne werden die „Bewußtseinsformen“ (PSF III, ECW 13, 54) als das quid facti zum Ausgangspunkt genommen für die Frage der Metaphysik des Symbolischen nach dem quid juris (vgl. PSF III, ECW 13, 54). Die kritische Phänomenologie fragt aber, auch wenn sie nur auf die Faktizität der Formen reflektiert, doch keineswegs nach der „empirischen Herkunft des Bewußtseins, sondern nach seinem reinen Bestand. Statt seinen zeitlichen Entstehungsursachen nachzugehen, richtet sie sich lediglich auf das, was ‚in ihm liegt‘; auf die Erfassung und Beschreibung seiner Strukturformen. Die Sprache, der Mythos, die theoretische Erkenntnis: sie alle werden hier als Grundgestalten des ‚objektiven Geistes‘ genommen, deren 107
Vgl. Recki 2004, 166.
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‚Sein‘ sich rein als solches, unabhängig von der Frage nach seinem ‚Gewordensein‘, aufweisen und verstehen lassen muß. Der ‚objektive Geist‘ ist, was sich als reiner Bestand des Bewusstseins erweist“ (PSF III, ECW 13, 54). Der reine Bestand kommt aber gerade nicht in den Blick, wenn man ihn gemäß den methodischen Richtlinien einer „empirisch-kausalen ‚Erklärung‘ der Bewußtseinsphänomene“ (PSF III, ECW 13, 54) zu erfassen sucht. Die Strukturformen, welche der symbolische Idealismus meint, sind vielmehr diejenigen Vollzugsformen, in denen Wissen bzw. Handeln überhaupt bestimmtes Wissen objektiver Gehalte resp. Handeln in objektiver Zweckgemeinschaft sein kann. Cassirer wendet sich damit zugleich gegen eine unkritische Verwendung des Terminus ‚Bewusstsein‘ in der Philosophie. Die Klärung dieses gleichwohl bedeutsamen Begriffs stellt lediglich eine sehr wichtige, „allgemeine methodische Vorfrage“ (PSF III, ECW 13, 53) dar, die in die Philosophie der symbolischen Formen hineinführt. Jedenfalls kann nicht unbefragt ein Bewusstseinsbegriff aus klassischer Metaphysik, Erkenntnistheorie, empirischer Psychologie oder Phänomenologie108 übernommen werden, und zwar gerade deshalb, weil die Philosophie der symbolischen Formen Topoi neu bzw. eigenständig thematisiert, die man traditionell in unterschiedlicher Weise diesen verschiedenen Gebieten zuordnet (vgl. PSF III, ECW 13, 53). Die Philosophie der symbolischen Formen hat sich nämlich „den Grund und Boden, auf welchen sie sich stellt, selbständig zu erarbeiten und zu sichern.“ (PSF III, ECW 13, 54) Die kritische Phänomenologie und die Metaphysik des Symbolischen bleiben folglich von der Frage nach psychologischen Bewusstseinsprozessen völlig unberührt. Auch die Frage nach der „Pathologie des Symbolbewußtseins“ (PSF III, ECW 13, 234 ff.) dient, genau wie der Ausblick in alle anderen herangezogenen einzelwissenschaftlichen Forschungsfelder, insofern natürlich nicht der Begründung irgendwelcher spezifischer Behauptungen mit rein philosophischem Erkenntnisanspruch, sondern, im Sinne des terminus a quo, der kritischen Eingrenzung und Problematisierung der zu reflektierenden Geltungsansprüche. Die Prinzipien, welche die kritische Phänomenologie aufsucht und darstellt, sind mithin diejenigen, welche Bewusstsein bzw. Wissen in seinem Bestand ermöglichen sollen. Es müssen diejenigen Prinzipien sein, welche zunächst eine Differenzierung bzw. die „Auseinandersetzung“ (dazu gleich mehr) von Subjektivität und Objektivität begründen – was immer und nur eine Differenzierung im Wissen und Handeln, bzw., mit Cassirer 108
Cassirer meint in negativer Abgrenzung gegen die Phänomenologie nicht Husserl, sondern „die Schüler, die die phaenomenologische Methode von ihm annahmen, […] vor allem Scheler“ (ECN 3, 246).
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gesprochen, nur als Moment des geistigen Werdens zur Form (vgl. ECN 1, 15) bzw. der „Symbolfunktion“ (PSF III, ECW 13, 49) sein kann. Ausgeschlossen ist damit, dass es eine Erklärung dessen sein soll, wie es, obgleich im Allgemeinen, aber eben nichtsdestotrotz empirisch, dazu kommt, dass es bestimmte Bewusstseinsprozesse gibt und wie diese sich auf Wahrnehmungen beziehen (wobei dann Gehirnprozesse als deren organisch-substrathafte Repräsentationen gelten können usw.). Denn jede empirische Theorie bzw. überhaupt jede Aussage des naiven Bewusstseins bzw. „natürlichen Weltbildes“ (ECN 1, 5) setzt die Differenzierung von Objektivität der Geltung und Subjektivität der Perspektive immer schon voraus – notwendigerweise auch da, wo es einen konstitutiven Wert einer spezifischen symbolischen Form darstellt, dass von Perspektivität bzw. Subjektivität (so weit es nur geht) abstrahiert werden soll, wie im Falle der naturwissenschaftlichen Betrachtung (vgl. ECN 1, 139). Es geht also nicht um die Betrachtung historischer Abfolgen oder Ursache-Wirkungs-Verknüpfungen, sondern um die Natur („nature“) der verschiedenen Funktionen, von denen diese Phänomene, als Ganze betrachtet, abhängen. Untersuchungsgegenstand sind insofern nicht die Werke, sondern die Energien, die diese Werke hervorbringen.109 Dabei geht es nicht um den historischen Ursprung dieser Energien, sondern um ihre Struktur, also um die Frage, in welcher Weise sie sich voneinander unterscheiden können und worin ihre Einheit besteht. Dies führt zu einer Erkenntnis der konstitutiven Funktionen der menschlichen Kultur. Solche „Kulturphilosophie“ betritt in ihrer philosophischen Reflexion eine neue Dimension des Denkens. “We can understand the work of human civilization not only in its historical but also in its systematic conditions; we have entered, so to speak, into a new dimension of thought.” (CIPC, SMC, 81) Die Metaphysik des Symbolischen fragt dagegen nach der Legitimation der Geltungsansprüche bezüglich der Prinzipien des Bestandes, nämlich der symbolischen Formen, und sieht sich damit notwendig auf die Frage getrieben, woraus sich die praktische Notwendigkeit von Geltungserhebung überhaupt ergibt und damit deren faktische Unumgehbarkeit, die zugleich einhergeht mit der Unaufhebbarkeit der faktischen Perspektive, also einer grundlegenden Relativität (bzw. Relationalität) jeder möglichen empirischen bzw. realitätshaltigen (geistigen) Äußerung (im weite-
109
Vgl. Recki 2004, 36 f.: „Als symbolische Form wird nicht der einzelne Bedeutungsträger bezeichnet, also etwa das Kreuz, das Herz, der Anker an der Halskette. […] Die symbolische Form ist die geistige Energie.“
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sten Sinne).110 Das heißt, das Vorgehen der philosophischen Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen ist a fortiori eine „rein ‚rekonstruktive‘ Arbeit […]. Diese letztere bleibt freilich insofern unselbständig, als sie den konstruktiven Aufbau schon als vollzogen voraussetzen muß.“ (PSF III, ECW 13, 59)
2.3.2 Bilden und Auseinandersetzung In der Formanalyse der Kunst111 treten die „Strukturformen“ (PSF III, ECW 13, 54) bzw. „Strukturmomente“ (ECN 5, 13), welche diese wie jede „Verhaltungsweise“ zur Welt (vgl. PSF I, ECW 11, 27; ECN 1, 5) konstituieren, am deutlichsten zu Tage: „Die Kunst ist […] in ihren höchsten Leistungen das Bilden an sich – das Bilden um des Bildens willen“ (ECN 1, 258). Die Form der Kunst, bzw. – besser! – des Ästhetischen, eignet sich mithin als Brennglas einer systematischen Darstellung der Strukturmomente symbolischer Formen überhaupt, denn „das Bilden um des Bildens willen enthüllt die innere Gesetzlichkeit des ‚Gebildes‘.“ (ECN 1, 258) Der Terminus ‚Verhaltungsweise‘ als Synonym für symbolische Form lässt allerdings erkennen, dass symbolische Formen nicht als bloßtheoretische Formen zu verstehen sind, sondern Lebensformen im vollen Sinne sind – der Ritus ist für die Form des Mythos z. B. eine Form, die quasi atheoretisch ist, nämlich insofern, als er nicht von reflexivem Bewusstsein im Sinne des Wissens um die Differenz von Bild und Sache (vgl. PSF III, ECW 13, 76) begleitet ist bzw. sein muss und es sich um ein rein praktisches Vollzugswissen handelt, vergleichbar dem praktischen Vollzugswissen der Tugenden; nicht zufällig diskutiert Cassirer im Zu110
Vgl. Sandkühler 2003, 20: „Daß Menschen repräsentieren, heißt, daß sie sich etwas vorstellen als etwas. Repräsentation und Perspektivität und Kontextualität müssen zusammenspielen, damit dieses bestimmte Etwas entsteht.“ 111 Gemäß Recki 2002, 199, muss die Kunst als „die exemplarische symbolische Form angesprochen werden“; vgl. Itzkoff 1977, 123. – Vgl. ECN 3, 247 ff.: An der Kunst zeigt sich am mühelosesten, dass sie „reinen Symbolcharakter“ hat. Sie ist niemals bloße Mimesis. „Das ‚Bild‘, das die Kunst von der Welt entwirft, kann niemals als blosses ‚Abbild‘ verstanden werden – […] weil sie [… vielmehr] ein Weg zur Entdekkung von Wirklichkeit – ein Inbegriff von Entdeckungsreisen in das Land der Wirklichkeit [ist] – und das Seltsame ist, daß wir uns diese ‚Land‘ nicht als praeexistent […] vorstellen dürfen – […] es ‚bestand‘ allenfalls ‚der Potenz nach‘, aber seine Aktualisierung, Ver-Wirklichung erfährt es erst kraft des schöpferischen Prozesses, in dem das Kunstwerk entsteht […] – es ist der Aufgang einer Welt, die vorher noch nicht ‚gewesen‘ ist – der wir aber, nachdem sie uns einmal kraft des schöpferischen Prozesses ‚aufgegangen‘ ist, nachdem sie, wie aus dem Nichts, emporgestiegen ist – ein dauerndes Sein, einen festen, ewigen Bestand zuschreiben – Die Kunst […] ist eben damit der Ausdruck und die Gewähr eines Zeit-Losen[,] des ‚Ewig-Schönen‘.“
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sammenhang von „Sprache, Sitte, Mythos, Kult“ (ECN 3, 211) die Sitte als Lebensform bzw. symbolische Form (vgl. ECN 3, 209 ff.112). Der Begriff der Form wird in den Begriff des Bildens als einer Tätigkeit bzw. Energeia transformiert; dieser Tätigkeit korreliert immer schon ein Gebilde (als Gebilde überhaupt) als ihrem konstitutiv notwendigen Werk. Form ist für Cassirer kein statisches Wie der Bestimmtheit, sondern die Art und Weise der Bestimmung.113 Diese Konzeption der symbolischen Form als Bilden bringt Cassirer gerne mit der Metapher der „Energie des Geistes“ (PSF I, ECW 11, 7) zum Ausdruck bzw. mit dem Begriffspaar forma formans und forma formata (vgl. ECN 1, 18, 30; FuT, ECW 17, 142). Das „Gebilde“ ist hierbei Platzhalter für „ein konkretes sinnliches Zeichen“, mit dem als „Bedeutungsgehalt“ die innere Gesetzlichkeit synthetisch vereinigt ist, die sich am Bilden selbst als die Eigengesetzlichkeit der jeweils spezifisch bildenden Energie des Geistes enthüllt.114 „Konkretes sinnliches Zeichen“ kann unter jeweils verschiedenen Aspekten – in den unterschiedlichen Hinsichten verschiedener symbolischer Formen – freilich jeglicher Bewusstseinsgehalt im Sinne der symbolischen Formen als „Bewußtseinsformen“ (PSF III, ECW 13, 54) sein. Symbolische Formen als die Energien des Geistes können also durchaus in diesem systematischen Sinne als Bewusstseinsformen bezeichnet werden, insofern sie schließlich Formen des Bildens sind – wobei das Bilden ineins poietische, praktische und theoretische Aspekte in sich vereinigt (vgl. ECN 1, 187 ff.). In Hinsicht auf die symbolischen Formen als Bilden gilt jedenfalls: „Alle diese Energien [des Geistes] sind ‚genetisch‘ zu verstehen – als wirklichkeits begründend – konstituierend [sic!], nicht als eine vorhandene – sei es ‚geistige‘, sei es ‚natürliche‘ Wirklichkeit abbildend.“ (ECN 3, 249) Jede spezifische symbolische Form im engeren Sinne zeichnet sich insofern als Weiterbestimmung (und zwar in Selbstbestimmung) des Bildens aus – Cassirer spricht deshalb gerne von verschiedenen „Richtungen“, welche die Energien des Geistes bzw. das Objektivieren jeweils nehmen können, etwa in Wendungen wie „Art und Richtung der Formung“ (PSF III, ECW 13, 6) oder auch „Richtungen des Weltverstehens“ (PSF III, ECW 13, 14 u. ö.). Die symbolischen Formen
112
„[W]o uns der ‚Mensch‘ überhaupt begegnet, begegnet uns sein Dasein und Leben schon in der Gestalt bestimmter Formen – […] er lebt in Sprache und Sitte – als der theoretischen und praktischen ‚Grundform‘[,] in beiden hat er sein Sein, seinen Fortbestand“ (ECN 3, 210). 113 Vgl. zum Tätigkeitscharakter besonders ECN 1, 261 ff. 114 Vgl. BAG, ECW 16, 79: „Unter einer ‚symbolischen Form‘ soll jede Energie des Geistes verstanden werden, durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird.“
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sind „reine Sehe“, „um einen Ausdruck […] zu gebrauchen, […] der […] für jede Form, jede geistige ‚Energie‘ gilt.“ (ECN 3, 249)115 Den Blick auf die Kunst gewendet formuliert Cassirer dementsprechend: „Die ‚Gestalt‘ der Welt ‚ist‘ nicht praeexistent, um nachher sichtbar gemacht zu werden[,] sondern im Sehen und für das Sehen bildet sich die Gestalt. Die Kunst [wie jede Form] ist ‚reine Sehe‘.“ (ECW 3, 249) Die symbolischen Formen sind demzufolge verschiedene Weiterbestimmungen116 gemäß verschiedener Modalitäten (vgl. PSF I, ECW 11, 27) der reinen Sehe. „Sehe“ fungiert hier als Reflexionsbegriff, der alle Weisen des Welthabens und Erlebens, mithin Fühlen, Ahnen, Intuieren, allgemein: Behaupten (in einem jeweils bestimmten, geistigen Medium) vertritt.117 Die wesentliche Leistung der symbolischen Formen besteht nach Cassirer also gerade nicht darin, „die Welt des Äußeren in der des Inneren abzubilden oder eine fertige innere Welt einfach nach außen zu projizieren“ (PSF II, ECW 12, 182). Eine solche Behauptung würde unkritisch „mit dem metaphysischen Unterschied des Innen und Außen“ (SuF, ECW 6, 296) operieren. Dies würde die Vorstellung einer an sich bzw. vorgängig zur symbolischen Formung existierenden Realität implizieren. Damit würde das Denken notwendig in einen ontologischen Dualismus getrieben, in dem die symbolischen Formen nur noch dem Zweck dienen könnten, zu vermitteln.118 Cassirer dagegen charakterisiert die Leistung bzw. die Funktion der symbolischen Formen nicht in diesem Sinne als ‚Vermittlung‘, sondern vielmehr als „Auseinandersetzung“ (PSF II, ECW 12, 182; PSF III, ECW 13, 44; ECN 3, 199; LSB, ECW 22, 118). Diese „Auseinandersetzung“ ist es, in der ursprünglich „die beiden Momente des ‚Innen‘ und ‚Außen‘, des ‚Ich‘ und der ‚Wirklichkeit‘ erst ihre Bestimmung und ihre gegenseitige Abgrenzung erhalten.“ (PSF II, ECW 12, 182) 115
Vgl. unten 4.2.1: Die Sehe als Reflex des Geistes. Vgl. unten 2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik, 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk. 117 „So bewährt sich auch an der Kunst das Wort Goethes, daß jeder neue Gegenstand, recht betrachtet, ein neues Organ in uns aufschliesst – dieser Aufschluss neuer Organe des Sehens (nicht neuer Objekte des Sehens): das ist der reinste und tiefste Sinn der wahrhaft-großen künstlerischen ‚Gesichte‘. Sie sind ‚Visionen‘ – aber als solche nicht Ausblicke auf eine gegenständlich-natürliche oder auf eine transzendente Welt – sie sind etwas ganz anderes – sie sind ein neuer Modus des Sehens, der uns plötzlich (‚visionär‘, nicht ‚doktrinär‘) erschlossen wird.“ (ECN 3, 254) „Und in diesem Sinne lässt sich auch sagen, daß diese Visionen echte Erkenntnisse in sich schließen – das neue Organ, das in uns aufgeschlossen wird, macht einen neuen Umriss, eine andere Zeichnung und Kontur der Welt deutlich, als sie zuvor gesehen worden war[.]“ „Das ist nicht ‚Nachahmung der Natur‘ – […] Es ist eine neue Schau des Lebens als Ganzes, als Kosmos – eine ‚vita nuova‘. Noch weit weniger ist es eine ‚jenseitige‘ Welt, die über der Natur errichtet wird – eine Welt der reinen (= blossen) Phantasie.“ (ECN 3, 255) 118 Vgl. auch LKW, ECW 24, 410. 116
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Es geht in den symbolischen Formen allerdings nicht lediglich um eine Begründung des „Verhältnis[ses] des Denkens und Seins, des Subjekts und Objekts der Erkenntnis“ (SuF, ECW 6, 292), sondern zugleich um die Begründung der praktischen Wechselwirkung von Ich und Du als der „Grundform der ethischen Gemeinschaft“ (ECN 3, 199). Diese erscheint, wie bei Gelegenheit der Nachzeichnung der Systematik der Basisphänomene gesehen, grundlegend als „ein reines Wechselverhältnis [… von] Ansprache und Aussprache“, also als ein gegenseitiges „Anerkennen“ (ECN 3, 199).119 Es lässt sich hinzufügen, dass auch die Momente der Form und des Gehalts hier ihre Bestimmung und gegenseitige Abgrenzung erhalten.120 Die Unterscheidung von Form und Gehalt, die zur Beschreibung der Konstitution symbolischer Formen vorausgesetzt werden muss, wird mithin selbst erst durch diese hervorgebracht – hier fungieren sie fogllich als Reflexionsbegriffe,121 was sowohl inhaltlich als auch methodisch zu reflektieren ist. „Denn beides: ‚Tatsachen‘ wie ‚Erklärungsgründe‘, gibt es ja erst innerhalb der Richtung der objektivierenden Betrachtung selbst, nicht aber außerhalb und vor derselben.“ (PSF III, ECW 13, 58) Die sozusagen strukturellen Erklärungsgründe – sprich: die Reflexionsbegriffe –, welche in der kritischen Phänomenologie die Bewusstseinsformen bzw. symbolischen Formen darzustellen erlauben, bleiben in dieser selbst ungeklärt. Die Reflexion im Modus der kritischen Phänomenologie verweist damit über sich hinaus auf eine zweitstufige Reflexion, welche als Metaphysik des Symbolischen begründende Kraft haben muss.
2.3.3 Formen der Selbstoff enbarung des Geistes Symbolische Formen sind „nicht verschiedene Weisen, in denen sich ein an sich Wirkliches dem Geiste offenbart, sondern sie sind die Wege, die der Geist in seiner Objektivierung, d. h. in seiner Selbstoffenbarung, verfolgt.“ (PSF I, ECW 11, 7) Dies gilt in einem umfassenden, alle möglichen theoretischen wie praktischen Aspekte bzw. Weltverhältnisse mitmeinen-
119
Vgl. dazu vorbereitend die Untersuchungen zum Ausdrucksphänomen PSF III, ECW 13, 64–103, auch PSF II, ECW 12, 205. – Vgl. zu der mit dieser Begriffl ichkeit beanspruchten Relationslogik LSB, ECW 22, 112–139. – Vgl. oben 2.2.4: Die Systematik der Basisphänomene. 120 Vgl. Knoppe 1995, 337: Die entsprechende transzendentalkritische Frage „lautet, ob und wie weit die im Urphänomen gedachte Einheit gegenseitiger Bestimmung von Form und Inhalt, Denken und Anschauen ihrerseits Denkresultat ist.“ 121 Vgl. unten 3.3.1: Reflexionsbegriffe.
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den Sinne. „In diesem Sinne bedeutet jede neue ‚symbolische Form‘, bedeutet nicht nur die Begriffswelt der Erkenntnis, sondern auch die anschauliche Welt der Kunst wie die des Mythos oder der Sprache nach dem Wort Goethes eine von dem Inneren an das Äußere ergehende Offenbarung, eine ‚Synthese von Welt und Geist‘, die uns der ursprünglichen Einheit beider erst wahrhaft versichert.“ (PSF I, ECW 11, 46122) Natürlich, dies muss hier noch einmal zur Einschränkung der dichterischen Metaphern des Innen und Außen betont werden, wird der Unterschied von Innen und Außen, so wie bei Form und Gehalt, selbst erst durch den in jeder symbolischen Form obwaltenden geistigen Vollzug der „Auseinandersetzung“ konstituiert.123 Dementsprechend schärft Cassirer in der Einleitung zum dritten Band der ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ auch nach, dass es nur „so scheint […], daß [die symbolischen Formen], als bestimmte geistige Gestaltungsweisen, auf eine letzte Urschicht des Wirklichen zurückgehen, die in ihnen nur wie durch ein fremdes Medium erblickt wird.“ (PSF III, ECW 13, 1) Es „scheint für uns“ so zu sein, fügt Cassirer hinzu, als ob „das in sich einheitliche und einzigartige Sein“ durch „ebensoviele Brechungen“, wie es symbolische Formen gibt, „vom ‚Subjekt‘ her aufgefaßt und angeeignet wird.“ (PSF III, ECW 13, 1) Dies scheint sich so zu verhalten, wie Cassirer mehrfach betont: Das heißt, Wirklichkeit erscheint eben immer schon in solchen Gegebenheitsweisen, und damit erweist sich als Aufgabe für die philosophische Reflexion, aufzuklären, warum uns Wirklichkeit so erscheint – wobei das Uns bzw. Wir, dem da Wirklichkeit erscheint, selbst Moment dieser Erscheinungsrealität ist, mithin selbst Erscheinung in diesem systematischen Sinne. Cassirer fundiert jedenfalls seine Definition der symbolischen Form im Begriff der Selbstoff enbarung des Geistes (vgl. PSF I, ECW 11, 7, 23). Ersichtlich können die symbolischen Formen also nicht in einem wie auch immer zu deutenden gegenstandslogischen Sinne verstanden werden. Vielmehr liegt jeder Objektivierung und damit jedem Objekt, das als solches immer nur in einem Lebenszusammenhang vorliegt, „dem selbst“, wie bereits eingangs betont, „das Gepräge der inneren Notwendigkeit und damit das Gepräge der Objektivität aufgedrückt ist“ (PSF I, ECW 11, 46, Hervorhebung S.U.), ein geistiger Vollzug zu Grunde bzw. ein Anschauungsvollzug, nämlich das Bilden (vgl. PSF I, ECW 11, 23, 49; ECN 1, 107,
122
Goethezitat aus Johann Wolfgang von Goethe, Über Naturwissenschaft im Allgemeinen, einzelne Betrachtungen und Aphorismen. In: Werke, Bd. XI, 103–163, 128. 123 Vgl. PSF I, ECW 11, 22.
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209, 256 ff.). Das Bilden ist die „Aktivität des Sinnlichen“ (PSF I, ECW 11, 17), die an sich selbst die Eigengesetzlichkeit ihrer selbst enthüllt und sich damit in einem System von Vorstellungen bzw. in einem Repräsentationsund Aktionszusammenhang objektiviert. Hier ergibt sich in analytischer Perspektive zugleich der systematische Einsatzort von Cassirers Begriff des animal symbolicum. In dieser formalen Deutung des Menschen als dem begrifflichen Pol, der sich im Bilden als „dynamisches Zentrum“ (ECN 2, 10) in konstitutiver Interpersonalität (Praxis) und zugleich als „schöpferische[] Subjektivität“ (ECN 1, 7) des Objektivität setzenden Werks (Poiesis) erweist,124 notiert Cassirer weiter: „Der Mensch allein ist solcher in sich zurückgehender Tätigkeiten fähig; dies der Charakter seiner ‚reflexio‘. Aber das für uns Wesentliche ist hierbei, daß er in dieser re-flexio nicht etwa sich selbst lediglich bespiegelt, sondern daß die Reflexion zur ‚Projektion‘ wird, daß sie ihm das ‚Bild‘ des ‚Gegenstandes‘ aufschliesst.“ (ECN 1, 256) Wiederum den Bezug zu den von der symbolischen Form der Kunst ausgegangenen Betrachtungen herstellend zeigt sich nämlich das Bilden als fortwährende Aktivität bzw. als Aktion, die konkrete Wissensbilder bzw. Repräsentations- und Handlungszusammenhänge absetzt. „Nur die[se] Aktion führt zur Objektivation – nur im freien Gestalten, im Bilden entsteht dem Menschen ein ‚Bild‘ der Dinge.“ (ECN 1, 256) Wie bereits weiter oben entwickelt, ist die Rückkunft des Bildens auf sich selbst als Prinzip der Form von Gegenständlichkeit (in der Erscheinungsrealität) ideelle Bedingung der Existenz der Dinge.125 „Der Grund dafür liegt darin, daß im ‚Bilden‘ eine Tätigkeit gewonnen ist, […] die sich selbst anschaut, sich selber ‚objektiv‘ wird.“ (ECN 1, 256) Das Bilden kommt in einer fortwährenden Aktion zurück auf seine eigenen Setzungen, auf sich selbst in seinen objektiven Gebilden, um seine eigene Gesetzlichkeit erfassen zu können. In diesem Bilden wird mit dem objektiven Bild zugleich der Mensch in der zunächst noch rein formalen Bestimmung abgesetzt als das Subjekt in diesem Prozess. Die hier entwickelte Auffassung der symbolischen Formen lässt es jedenfalls nicht zu, das Bilden bzw. die Energie des Geistes zugleich als aus irgendeiner Wirklichkeit hervorgehend zu denken – weder aus einem organisch-vital oder einem historisch vorgegebenen Lebensgrund, noch aus einem irgendwie präexistenten Ich.126 In den Kategorien der realistischen 124
Vgl. oben 2.2.4: Die Systematik der Basisphänomene, 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk. 125 Vgl. oben 2.2.5: Die Rückkunft des Bildens auf sich selbst als Existenzsetzung. 126 Vgl. z. B. die Ausführungen in ECN 2, 233 f. – „Die ‚Ursprungsprobleme‘ bilden daher keine empirisch-mögliche und empirisch-sinnvolle Frage – sie müssen durch die Sinnprobleme (Strukturprobleme / Formprobleme) ersetzt werden“ (ECN 3, 234).
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Ontologie sind die Energien des Geistes nicht konzipierbar. Auch ein naiver platonischer oder der (beispielsweise berkeleysche) dogmatische Idealismus bieten keine Instrumente zur Erfassung des Gemeinten, denn weder ist das Bilden eine geistige Substanz, der die Tätigkeit dann wieder nur akzidentell zukommen könnte, noch bezieht sich das Bilden irgendwie auf ein transzendentes Reich ewiger Objekte, da doch vielmehr der Selbstvollzug des Bildens – die Selbstoff enbarung des Geistes im Erfassen seiner eigenen Gesetzlichkeit – die Art und Weise, also die Form, darstellt, in der die entsprechende, subjekt-objektive Wirklichkeit gegeben ist bzw. erscheint.127 Demgemäß wehrt sich Cassirer gegen jede Form von Abbildtheorie, Positivismus und ontologischem Realismus. „Weder ‚Naturalismus‘ noch ‚Idealismus‘ sind der adäquate Ausdruck für dieses eigentümliche Verhältnis – der Naturalismus nicht, weil er eine vorgegebene Natur – der Idealismus nicht, weil er eine vorgegebene Welt der ‚reinen Formen‘ metaphysisch, ontologisch ansetzt.“ (ECN 3, 248) Die Aktion des Bildens, die das jeweilige Gebilde in seinem als notwendig erscheinenden Repräsentations- und Aktionszusammenhang in seiner Existenz als objektiv bedeutsames und wertvolles setzt, „zerlegt“ (ECN 1, 264) sich demzufolge immer in spezifische Projektionen (vgl. ECN 1, 256) des sich objektivierenden Bildens. „Unendlichkeit“, im Sinne eines begrifflichen Platzhalters für Geltung, Bedeutsamkeit, Wert usw., hat dabei ideell nur das Bilden, nicht das Gebilde. „Denn die Unendlichkeit, die der fertigen Gestalt versagt ist, lebt in dem reinen Prozess der Gestaltung fort. Dieser erstarrt in keinem einzelnen Gebilde, sondern er ist ein ewig sich fortzeugender Akt. Das Sinngesetz, unter dem er steht und kraft dessen er sich immer von neuem gebiert, nicht das, was aus ihm erzeugt wird, bildet seinen eigentlichen Gehalt.“ (ECN 1, 30) Das Bilden reflektiert sich eben deshalb, weil es sich nicht direkt auf einen ohnehin in seiner Möglichkeit bereits ausgeschlossenen irgendwie vorgegebenen Gegenstand – ein Ding an sich – richtet, sondern indem es vielmehr indirekt die geltungstheoretisch objektive Subjektobjektivität seiner Erzeugnisse (nämlich der Bilder) intendiert, dadurch dass es ursprünglich auf ein „Sinngesetz“ (ECN 1, 30) bzw. auf formkonstitutive und zugleich formspezifische „ideelle Ordnungen“ (SuF, ECW 6, 345) ausgerichtet ist; die erwähnte Subjektobjektivität ist dabei die als Zusammenhang mit innerer Notwendigkeit (vgl. PSF I, ECW 11, 46) erscheinende eigene Gesetzlichkeit des Bildens (vgl. PSF I, ECW 11, 23). Um einen Blickpunkt der Reflexion erreichen zu können, von dem aus dieses hier postulierte Verhältnis reflektiert werden kann, muss zunächst 127
Vgl. oben 2.1.3: Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug.
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der Begriff des „Sinngesetzes“ bzw. der „ideellen Ordnung“ in der analytischen Perspektive der kritischen Phänomenologie herausgearbeitet werden. Aus diesen „ideellen Ordnungen“ beziehen die verschiedenen symbolischen Formen ihre jeweilige Bestimmtheit – und zwar im Sinne einer apriorischen Spezifikation –, indem es dadurch zu den unterschiedlichen „Modalitäten der Sinngebung“ (PSF III, ECW 13, 230) kommt bzw. zu jenem jeweils spezifischen und unableitbaren „Moment“ (PSF I, ECW 11, 14), durch welches sich die verschiedenen symbolischen Formen apriorisch in ihrer „Gestalt“ (PSF I, ECW 11, 14) unterscheiden. In den durch die symbolischen Formen in jeweils unterschiedlichen Modalitäten der Sinngebung gebildeten Zusammenhängen „erfaßt der Geist den ‚Gegenstand‘, indem er dabei zugleich sich selbst und die eigene Gesetzlichkeit seines Bildens erfasst.“ (PSF I, ECW 11, 23) Es zeigt sich mithin: Das Leben128 erscheint selbst als Bilden durch die symbolischen Formen, indem es als geistiger Vollzug auf sich selbst als Gesetzgebung bzw. Regelbildung reflexiv bezogen ist, wobei es sich ursprünglich in eine grundlegende Bezogenheitsstruktur ausdifferenziert,129 in der mögliche Alternativen für die freie Durchbestimmung und Realisierung des Lebens initiiert sind. Die gegenständliche Realität wird erfasst, indem das Bilden als erscheinendes geistiges Leben seine eigenen Bezogenheitsformen reflektiert. Diese ursprünglichen Bezogenheitsformen sind die letzten faktischen Grundkonstanten des geistigen Lebens. Cassirer nennt sie die „Basisphänomene“.130 Hier ergibt sich, dass die Funktion des Symbolisierens im rein geistigen „Prozess“ (ECN 1, 4) ihrer Konkretisierung, in ihrer Konkreszenz (vgl. ECN 1, 6) offenbar in zwei Ebenen unterschieden können werden muss: Die Bewusstseinsformen überformen das Urphänomen des Lebens (vgl. ECN 1, 127, 163 f.); dieses erscheinende Leben kann aber nicht als einfachhin ungeformt gegebenes verstanden werden. Denn wird das immer schon in den symbolischen Formen in bestimmter, faktischer Prägung erscheinende Leben in den Blick genommen und wird die Bestimmtheit der symbolischen Formen quasi davon abgezogen, so zeigt sich dieses Leben als keineswegs amorphes Vollzugswesen. Das Urphänomen des Lebens erweist sich vielmehr immer schon als in einer dreistrahligen Verweisung erscheinend: Aus dem Urphänomen des Lebens werden so analytisch die drei Basisphänomene.131 128
Vgl. unten 3.2: Der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen. Vgl. unten 4.2.3: Leben als Bestimmbarkeit und Bestimmung. 130 Vgl. oben 2.2.3: Die Transzendentalität der Basisphänomene und 2.2.4: Die Systematik der Basisphänomene. 131 Vgl. unten 4.2.5: Leben, Basisphänomene, Kultur. 129
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2.3.4 Wahrheit und Wirklichkeitsbezug Jede konkrete symbolische Form eignet sich als faktischer Ausgangspunkt der philosophischen Reflexion, weil jede symbolische Form grundlegend als Sehe bzw. Selbsterfassung des Bildens im dargestellten Sinne konzipiert werden kann. Insofern tragen auch Cassirers Überlegungen zur Form des rein theoretischen Wissens Erhellendes bei. In der Analyse der Form der theoretischen Erkenntnis, wie sie Cassirer in Substanzbegriff und Funktionsbegriff 132 durchführt, zeigt sich, was der Ausdruck ideelle Ordnung (vgl. ECN 6, 345) meint, für den Cassirer dann wiederum in verschiedenen Diskussionszusammenhängen die unterschiedlichsten Termini verwendet, wie z. B. den Ausdruck „Sinngesetz“ (ECN 1, 30) und „Formwert“ (ECN 1, 191). In der Formanalyse der theoretischen Erkenntnis stellt sich heraus, dass der Garant für „die ‚Wirklichkeit‘ unserer Erfahrungen [… die] ‚Wahrheit‘ unserer abstrakten dynamischen Begriffe und Grundsätze“ (SuF, ECW 6, 201) ist, welche die Erkenntniskritik als „Bedingungen jedweder Theorie“ entdeckt, insofern sie „sich im Fortschritt von Theorie zu Theorie erhalten“ (SuF, ECW 6, 290). Diese Bedingungen sind es, für die der „streng begrenzte sachliche Sinn des ‚a priori‘“ (SuF, ECW 6, 290) angewendet werden muss. Die Wahrheit der Form der theoretisch-empirischen bzw. wissenschaftlichen Erkenntnis ist „diese Wahrheit eines Urteilszusammenhangs, nicht die Existenz irgendwelcher Vorstellungen in uns“ (SuF, ECW 6, 291). Die Wahrheit empirischer Behauptungen im Sinne ihrer objektiven Gültigkeit kann diesen insofern nur mit Bezug auf die „Geltung bestimmter Relationen“ (SuF, ECW 6, 291) zugesprochen bzw. zuerkannt werden. Insofern ist hier mit „Wahrheit“ immer eine formrelative bzw. formspezifische Geltung gemeint. Mit dieser kritischen Analyse der Form der theoretischen Erkennt133 nis im Hinblick auf den Begriff der Wahrheit wird dabei die „ ,genetische‘ Ansicht der Erkenntnis“ (SuF, ECW 6, 341) vollzogen, die Cassirer 132
In Substanzbegriff und Funktionsbegriff hat Cassirer bereits die systematische Position der Philosophie der symbolischen Formen erreicht, auch wenn z. B. der Symbolbegriff dort noch nicht begegnet. Vgl. Sandkühler 2003, 25. 133 Von Erkenntnis kann also dann gesprochen werden, wenn dem Gegenstand, der mit dem Wirklichkeitsbezug des Wissensbildes gebildet ist, Wahrheit zuerkannt werden kann. In einer solchen Erkenntnis wird insofern vielmehr dem Begriff des Gegenstandes objektive Gültigkeit zugesprochen. In diesem Sinne schreibt Cassirer mit Bezug auf Kant: „Einen ‚Gegenstand‘ erkennen heißt nichts anderes, als das Mannigfaltige der Anschauung einer Regel zu unterwerfen, die es in bezug auf seine Ordnung bestimmt. Das Bewußtsein einer solchen Regel aber und der Einheit, die durch sie gesetzt ist: dies und nichts anderes ist der [theoretische] Begriff.“ (PSF III, ECW 13, 362)
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sowohl im relativ frühen Werk Substanzbegriff und Funktionsbegriff als auch im Nachlass fordert (vgl. SuF, ECW 6, 341; ECN 3, 249; ECN 5, 20). Denn die Wahrheit, die innerhalb dieser (symbolischen) Form dem zugesprochen bzw. zuerkannt werden kann, was durch dieselbe Form als Wirklichkeit gebildet wird, ist konstitutiv mit dem Aktus verknüpft, der als Energie des Geistes freilich in nichts anderem besteht als dem Vollzug dieser (symbolischen) Form selbst.134 In dieser Wahrheitskonzeption, wie sie hier zunächst anhand der Form der theoretischen Erkenntnis herausgearbeitet wurde, zeigt sich wiederum, dass Cassirer abbildtheoretischen Wahrheitskonzeptionen entgegentritt, für die es „immer […] die ‚Übereinstimmung mit dem Seienden‘ [ist,] die […] als Kriterium der Wahrheit der Begriffe gedacht wird.“ (GmP, ECW 9, 299) Cassirer vertritt dagegen mit seiner Philosophie der symbolischen Formen eine Form kritischer Philosophie, die im komplexen System der zweistufigen Reflexion von kritischer Phänomenologie einerseits und Metaphysik des Symbolischen andererseits zu einer höchst differenzierten Gestalt findet.135 „Eine völlig andere Ansicht [der Wahrheit nämlich und damit zugleich] über das Verhältnis von Denken und Sein, und damit auch über die Beziehung der einzelnen Methoden und Grundrichtungen der Erkenntnis selbst, ergibt sich für die Denkart der kritischen Philosophie.“ (GmP, ECW 9, 299) Denn unter den Voraussetzungen des kritischen Philosophierens kann die Wahrheit nicht aus irgendeinem Sein kommen, das in verschiedenen (dann allerdings psychologisch bzw. psychologistisch zu verstehenden) Wissensformen nur unterschiedlich aufgefasst würde. Es muss unter diesen Voraussetzungen zur Beantwortung der Frage nach der Wahrheit „im Wissen selbst […] ein immanentes Kriterium aufgewiesen werden, durch welches es seiner Gesetzlichkeit und Notwendigkeit und damit seiner objektiven Geltung versichert wird.“ (GmP, ECW 9, 299, Hervorhebung S.U.)136
134
„Diese Genesis selbst […] ist nicht psychologisch, sondern transzendental zu verstehen.“ (KEW, ECW 16, 123) 135 Vgl. oben 1.3: Das System des symbolischen Idealismus. 136 Vgl. auch FFW, ECW 17, 356: „Das Maß der Wahrheit liegt für uns weder in einem fertig gegebenen, absoluten Objekt, einem ‚Ding an sich‘, noch in einem fertigen Subjekt, einer in ihrer Form vorgegebenen, schlechthin starren Intelligenz, die allem, was sie ergreift, gleichmäßig ihr Siegel aufdrückt. Was wir ‚Wahrheit‘ nennen: das begründet sich nicht und das besteht nicht in einer solchen einfachen Wiedergabe, in einer bloßen Widerspiegelung, sei es der Natur des Objekts, sei es der Natur des Subjekts. Alle Wahrheit muß vielmehr erarbeitet werden in einem freien Kräftespiel des Geistes, in der Ausübung seiner theoretischen Grundfunktionen und seiner spezifisch verschiedenen Energien.“
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Die entsprechend beabzielte Wahrheit zeigt sich als eine rein formimmanente Wahrheit, weil sie selbst nur als solche erst konzipiert und gebildet (bzw. erfasst) wird durch den Vollzug des Aktus, der die symbolische Form konstituiert, bzw. durch die entsprechenden, individuierten Akte, die sich in der Weise der „Auseinandersetzung“ (PSF II, ECW 12, 182; PSF III, ECW 13, 44; ECN 3, 199; LSB, ECW 22, 118) vollziehen, die durch die entsprechende Form zum Ausdruck kommt. Es kann also nicht von der formimmanenten Wahrheit in Abstraktion von dem innerhalb einer bestimmten Form notwendig gegebenen Wirklichkeitsbezug gesprochen werden. Durch die notwendige Abhängigkeit der Konzeption der Wahrheit von dem jeweiligen Akt, in dem sich eine bestimmte Form vollzieht, „scheint damit der Gehalt der Wahrheit, und somit zugleich der Gehalt des ‚Seins‘, […] gleichsam in Fluß zu geraten: Denn was eine bestimmte Wahrheit ‚ist‘, können wir uns nach dieser Gesamtanschauung nicht anders verdeutlichen als dadurch, daß wir sie gedanklich nacherzeugen, indem wir sie aus ihren einzelnen Bedingungen vor uns entstehen lassen.“ (SuF, ECW 6, 340 f.) Dabei wird in solchem gedanklichen Nacherzeugen der geistige Vollzug abgebildet, welcher den formimmanenten Gegenstandsbezug überhaupt konstituiert mit dem Gegenstand = X in seiner kategorial verfassten Einheit als intentionalem Korrelat.137 Für die Philosophie der symbolischen Formen gibt es nun allerdings wesentlich verschiedene Formen des Wissens im weitesten Sinne bzw. verschiedene Modalitäten der Sinngebungen. Diese Wissensformen sind gemäß der Einsicht des symbolischen Idealismus die symbolischen Formen als Energien des Geistes bzw. als Funktionen, welche die ihnen korrespondierende Wirklichkeit jeweils konstituieren. Die kritische Phänomenologie postuliert insofern unterschiedliche, formspezifische ideelle Ordnungen als jeweilige formspezifische Geltungskriterien. Es eröffnet sich damit der Reflexion an diesem Punkt ein klarer Blick auf die Spannung zwischen der einen Welt der verschiedenen symbolischen Weltzugänge und der nichtreduzierbaren Pluralität verschiedener Geltungsmodi. „Diese Welt bildet ein in sich geschlossenes Kraftfeld, in welchem alle verschiedenen Einzelkräfte, so sehr sie zu divergieren scheinen, doch auf
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Vgl. Knoppe 1995, 331 f.: „Ohne den Sieg des Substanz-Gedankens über die Substanz-Vorstellung gäbe es keine symbolische Betrachtung. Für diese Betrachtung nämlich bieten die Dinge keinen eigenen substantiellen Hintergrund mehr für bestimmte Relationen, sondern fungieren nur noch als deren systematischer Ausdruck und Inbegriff. Die Synopsis bildet den in ihr erscheinenden Gegenstand nicht einfach nach oder ab, sondern konstituiert als der Zusammenhang, innerhalb dessen allein Gegenstände als bestimmte angesprochen werden können, seinen Kern.“ – Vgl. unten 2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik.
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eine gemeinsame Mitte bezogen und in ihr vereinigt sind.“ (ECN 1, 58) Damit stellt sich aber auch in aller Klarheit die Aufgabe der philosophischen Reflexion. „Da das ‚Wirkliche‘ für uns, gemäß der idealistischen Einsicht, nicht anders als in diesen Funktionen zu erfassen ist, da Sprache und Mythos, Kunst und Religion, da mathematisch-exakte und empirisch-beschreibende Erkenntnis für uns nur gleichsam verschiedene symbolische Formen sind, in denen wir die entscheidende Synthese von Geist und Welt vollziehen: so gibt es für uns ‚Wahrheit‘ nur insofern, als wir jede dieser Formen in ihrer charakteristischen Eigenart begreifen und uns zugleich die Wechselbezüglichkeit vergegenwärtigen, in welcher sie mit allen andern zusammenhängt.“ (GmP, ECW 9, 303)138 Das Begreifen der Eigenart bezeichnet dabei wiederum die Aufgabe der Formanalyse im Modus der kritischen Phänomenologie, das philosophisch reflektierende Vergegenwärtigen der Einheit des Zusammenhangs als Einheit aller dagegen das Problem der Metaphysik des Symbolischen.
2.3.5 Ideelle Ordnung und Forderung Die als den symbolischen Formen immanent erscheinende Konzeption von Wahrheit bzw. Geltung beinhaltet zugleich wichtige Konsequenzen im Hinblick auf den Wirklichkeitsbezug der Wahrheit bzw. im Hinblick auf den Bezug von Wissen und der in diesem Wissen in der Weise theoretischer (bzw. allgemein formspezifischer) Repräsentation gewuss-
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Die kritische Philosophie als kritische Phänomenologie und als Metaphysik des Symbolischen stellt sich dann dar als der „Versuch eines Überblicks über alle Mittel und Wege, vermöge deren sich uns die Wirklichkeit überhaupt zu einem bedeutungsund sinnvollen Ganzen, zu einem geistigen „Kosmos“ gestaltet. Jetzt ist es daher nicht lediglich die Kritik des „Verstandes“, sondern die Analyse aller Grundformen des Weltverständnisses überhaupt, die als allgemeines Ziel vor uns steht. Und damit hat sich die Aufgabe für uns noch nach einer anderen Seite hin erweitert. Der Bestand und Gehalt jeder besonderen Funktion kann nur dadurch zur vollständigen Darstellung kommen, daß wir ihn in einer fortschreitenden Stufenfolge vor uns entwickeln. Was z. B. die Sprache ist und leistet: das tritt erst ganz hervor, wenn wir diese Leistung nicht auf einen bestimmten Einzelbezirk des Geistigen beschränkt, sondern wenn wir sie als durchwirkend durch alle geistigen Gebiete denken. Es muß gezeigt werden, was die Sprache für das primitive Denken und für das „natürliche Weltbild“ und was sie für die exakte wissenschaftliche Erkenntnis bedeutet“ usw. (GmP, ECW 9, 304). „Für die Philosophie aber, als die allgemeinste und umfassende Theorie der geistigen Formen, würde sich von hier aus die Aufgabe ergeben, jede dieser Formen zugleich in ihrer Individualität und in ihren systematischen Beziehungen zu erfassen, so daß in ein und derselben Bestimmung ihre Eigenart gesichert und ihre Stellung innerhalb der Gesamtreihe, innerhalb der Totalität der geistigen Auffassungsweisen, bezeichnet würde.“ (GmP, ECW 9, 307)
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ten Wirklichkeit. Im Hinblick auf die Möglichkeit, bestimmtem (empirischem) Wissen Wahrheit zuzuschreiben bzw. zuzuerkennen, ergeben sich vier philosophisch bedeutsame Punkte. Erstens ist zu sehen, dass sowohl unsere Erfahrungen als auch unsere empirischen Begriffe und Theorien „nicht dadurch ihre Wahrheit [empfangen,] daß sie Abbilder an sich vorhandener Wirklichkeiten sind, sondern dadurch, daß sie ideelle Ordnungen ausdrücken, die den Zusammenhang der Erfahrung herstellen und verbürgen.“ (SuF, ECW 6, 345) Wissen ist niemals bloßes Abbild von Gegebenem, sondern primär eine bestimmte Form bzw. Formierung von Zusammenhang. Dieser Zusammenhang ergibt sich dabei allerdings auch nicht durch eine Abbildung oder auch Nacherzeugung gegebener Verhältnisse der im Wissen vorliegenden Momente, quasi durch Angleichung des Wissensbildes an die vorgegebene Objektivität. Wissen kommt vielmehr dadurch zustande, dass sich eine ideelle Ordnung (im zitierten Text: in einem theoretischen Zusammenhang) objektiv ausdrückt. Dies geschieht zweitens dadurch, dass der Akt, durch den der theoretische Vorstellungszusammenhang in seinem Anspruch, Wirklichkeit darzustellen, hervorgebracht wird, als seine Bedingung der Möglichkeit auf die Etablierung der entsprechenden ideellen Ordnung zielt, eine entsprechende ideelle Ordnung intendiert und insofern das Objektive (vgl. ECN 1, 132, 249). „Dieses Ziel mag auf keiner gegebenen Stufe des Wissens vollständig erreicht sein: Als Forderung bleibt es nichtsdestoweniger bestehen und bestimmt in der stetigen Entfaltung und Entwicklung der Erfahrungssysteme selbst eine feste Richtung.“ (SuF, ECW 6, 290) Das bedeutet aber nichts anderes, als dass einerseits jedes Wissen in seiner möglichen Geltung, also im Hinblick darauf, ob und inwiefern ihm bzw. dem in diesem Wissen gebildeten Wirklichkeitsbezug Wahrheit zugesprochen werden kann, sich nicht in einem einfachen Bezug auf die als solche nur gewusste Wirklichkeit bildet und unmittelbar an dieser bewähren könnte; andererseits kann sich die bewährende ideelle Ordnung zugleich freilich nur in einem Akt des Wissens bzw. der Repräsentation realisieren. Dieser Akt, bzw. die entsprechende Energie, ist durch sein Zielen auf die Wahrheit verbürgende ideelle Ordnung folglich ein intentionaler Akt: Die ideelle Ordnung ist das „Medium“, an dem sich dieser Blickstrahl bricht und auf die, in dieser Brechung gebildete, Eigengesetzlichkeit des bildenden Geistes gelenkt wird, die ihm durch die Projektion des Bildens in der objektivierenden Richtung des Blickstrahls als Gesetzlichkeit des erscheinenden Gegenstandes = X erscheint.139 Ent139
Vgl. oben 2.3.3: Formen der Selbstoffenbarung des Geistes.
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scheidend an dieser Überlegung ist, dass die ideelle Ordnung als Forderung mit der Selbstformierung der intentionalen geistigen Energie ins Wissen ein- und dadurch als Geltungsgrund der Objektivitätsbehauptung der Repräsentationsstrukturen heraustritt (vgl. PSF III, ECW 13, 54; ECN 5, 13). Zugleich aber kann es drittens keinen Aktus, keine geistige Energie, geben, die keine solche intentionale Struktur aufweisen würde. Es folgt mithin: „Es gibt keinen Akt des Wissens, der nicht auf irgendeinen festen Gehalt von Beziehungen, als seinen eigentlichen Gegenstand, gerichtet wäre; wie andererseits dieser Bestand sich nicht anders als in Akten des Wissens belegen und zum Verständnis bringen läßt.“ (SuF, ECW 6, 341) Daran zeigt sich auch zugleich, dass vom Standpunkt einer bestimmten symbolischen Form aus (im zitierten Text: von der Form der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis) die Frage nach der Wahrheit an sich, das heißt, unter Absehung von ihrem Wirklichkeitsbezug, nicht gestellt werden kann. Die philosophische Reflexion einer in ihrem Sinn erst noch einzuführenden und zu erläuternden transformalen Wahrheit als Bewährung der Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen ist von solcher formspezifischen Wahrheit noch abzuheben.140 Mit dem geistigen Akt, der sich insofern als eine als Tätigkeit gedachte reine Korrelation von Begreifen und Beziehen (vgl. PSF III, ECW 13, 343) erweist, hat sich so die ideelle Ordnung in einer als objektiv gewussten Struktur als „die reine Funktion der Bedeutung an ihm herausgestellt und eben darin [ist] sein ‚objektiver‘ Gehalt begründet.“ (PSF III, ECW 13, 344 f.) Sein objektiver Gehalt in diesem Sinne ist durch sich selbst objektivierte Tätigkeit und insofern ist das der geistigen Tätigkeit notwendig korrelierende Werk der geltungstheoretisch objektive Träger von Wert und Bedeutung. Bis hierher wurde gezeigt, dass dem Wirklichkeitsbezug des Wissens (1) nur im Hinblick auf eine ideelle Ordnung Wahrheit zukommen kann, wobei diese ideelle Ordnung (2) als Forderung die Konstitution dieses Wissens bedingt, indem der geistige Akt, der das empirische Wissen mit seinem Wirklichkeitsbezug als solches erst konstituiert, als den eigentlichen, diesen Aktus in seiner Aktualität erst konstituierenden Gegenstand die Realisierung dieser ideellen Ordnung hat und außerdem (3) jede geistige Energie eine solche intentionale Struktur aufweist. Damit ergibt sich schließlich viertens als notwendiges Postulat der Begriff der Spontaneität (SuF, ECW 6, 343). Die Spontaneität ist der entsprechenden Wahrheit bzw. dem formimmanenten Geltungskriterium 140
Vgl. unten 3.5: Metaphysische Reflexion.
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eröffnet und ist insofern Bedingung der Möglichkeit objektiver Gültigkeit, das heißt geltungstheoretischer Objektivität. „Die Tätigkeit selbst ist es somit, aus der die Anerkennung eines dauernden Bestandes von Wahrheiten quillt. Mitten im Akt des Produzierens hebt sich für den Gedanken ein bleibendes logisches Produkt heraus, sofern er sich bewußt wird, daß dieser Akt selbst nicht willkürlich vor sich geht, sondern nach konstanten Regeln erfolgt, denen er sich nicht zu entziehen vermag, wenn anders er in sich selbst Sicherheit und Bestimmtheit gewinnen soll.“ (SuF, ECW 6, 343) Die Energien des Geistes vollziehen sich in diesem Sinne also nur spontan an einer an sie angesichts einer ideellen Ordnung ergehenden Forderung. Der Geist als solcher aktualisiert sich in Freiheit.141 Damit ist ausgesprochen, dass die Konstitution jeglichen Wissensakts bzw. jeder Energie des Geistes zwar die aufgewiesenen, notwendigen Strukturen hat und sich nicht anders denn als Realisierung einer Forderung vollziehen kann, dass sie sich aber dennoch spontan vollziehen muss, um sich überhaupt zu vollziehen. Die Notwendigkeit der Strukturformen der geistigen Energien, die hier im Modus der kritischen Phänomenologie aufgewiesen wurden, erweist sich somit als bedingt und insofern als eine (bloß) faktische. Nach wie vor ist also die hier durchgeführte Formanalyse als Konstitutionsreflexion auf der Ebene des Bestandes der Strukturformen verblieben, auf der Ebene des quid facti. Damit zeichnet sich auch die Aufgabe der Metaphysik des Symbolischen deutlicher ab. Die Frage nach dem Grund des Vollzugs der Spontaneität bzw. Freiheit, die sich nämlich stellt, kann keine Frage nach kausalen Verhältnissen sein, sondern einzig und allein die Frage nach der Legitimation der Annahme der Spontaneität bzw. Freiheit der geistigen Energie bzw. des Bildens, und zwar einer Legitimation, die sich selbst nicht mehr aus den formspezifischen Geltungskriterien ergeben kann. Insofern zeigt sich zugleich in dieser Skizze der Aufgabe der Metaphysik des Symbolischen, dass diese nicht, wie die erststufige Reflexion der kritischen Phänomenologie, auf selbst als objektiv erscheinende Strukturmomente und Konstitutionsvollzüge reflektiert, sondern einzig und allein auf die Rechtmäßigkeit der in solcher Konstitutionsanalyse implizit erhobenen, aber notwendig transformalen Geltungsansprüche. Philosophie im strengsten Sinne (vgl. ECN 3, 148), also als Metaphysik des Symboli-
141
Vgl. Recki 2004, 66, auch 166: „Es ist der Ansatz ausdrücklich bei der schöpferischen Spontaneität, der in allem auffällt. Und das Entscheidende: Diese Spontaneität ist in ihren artikulierten Formen nicht nur als Produktvität, sondern auch als Autonomie gefasst, und das heißt: als Freiheit.“
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schen, ist insofern die Reflexion der Bedingungen der Möglichkeit der kritischen Phänomenologie selbst. Der kritischen Phänomenologie ist es dagegen um die jeweiligen formimmanenten Geltungskriterien zu tun, das heißt um die Frage, nach welchem Kriterium innerhalb des Modus einer bestimmten symbolischen Form den entsprechenden Verhaltungsweisen zur Welt theoretische oder praktische Geltung zugesprochen werden kann. Freilich gibt es verschiedene theoretische Wissensformen im engeren Sinne (diskutiert im Hinblick auf das formimmanente Wahrheitskriterium z. B. in ECN 3, 147 ff.). Zudem gesellt sich zu den praktischen Vollzugsformen (Mythos, Technik) auch noch zumindest die poietische Form der Kunst. Aber gemeinsam ist den symbolischen Formen die Grundform der Auseinandersetzung: Jede symbolische Form schafft in charakteristischer Weise die Entgegensetzung von Subjektivität und Objektivität, wobei es für jede symbolische Form zugleich charakteristisch ist, dass für die entsprechende Form der Subjektobjektivität wiederum geltungstheoretische Objektivität bzw. objektive Gültigkeit beansprucht wird. Jede Form hat aber ein formimmanentes Geltungskriterium. Insofern kann Cassirer verschiedene „Wege der Wahrheitsfindung“ (ECN 3, 158; vgl. FFW, ECW 17, 343) unterscheiden.
2.3.6 Formkonstitution durch intelligiblen Willensvollzug Geistige Energie ist Spontaneität bzw. sich realisierende Freiheit. Die symbolischen Formen als spezifische Modi des Bildens sind Tätigkeiten, aus denen selbst die Anerkennung der entsprechenden ideellen Ordnung „quillt“ (SuF, ECW 6, 343), wobei darin die jeweilige ideelle Ordnung zugleich als fordernd bzw. als Forderung konzipiert wird. Damit kommt im Zusammenhang der kritischen Phänomenologie in systematischer Hinsicht der Begriff des Formwerts zur Geltung: „‚Wahrheit‘ ist nicht etwas, was dem Wirken verhaftet – und nicht etwas, was mit seinen Maßstäben zu messen ist – Das war der Grundirrtum der Sophistik, daß sie die Wahrheit in dieser pragmatischen Sphaere suchte und sie in ihr festzuhalten, mit ihren Maßen zu messen versuchte – […] Aber Wahrheit ist kein Nutzwert, sie ist ein Formwert.“ (ECN 1, 191) Spontaneität bzw. Freiheit und Wert bzw. Forderung sind also systematisch aufeinander bezogene Begriffe. Der hier mit dem Terminus „Formwert“ ins Blickfeld gerückte Begriff eines geltungstheoretisch objektiven Werts jedenfalls, der mittels eines notwendigen, intelligiblen Willens142 142
Vgl. dazu Cassires Kantinterpretation nach Recki 2004, 169: „Unter dem Titel einer Analogie zwischen dem ‚Willensproblem‘ und dem ‚Wahrheitsproblem‘ weist er
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in jeder Form der Auseinandersetzung des Lebens (implizit) gewollt wird, ist zunächst mit Cassirer von der Willkürfreiheit anheimgestelltem, bloß subjektivem Wert zu unterscheiden. Cassirer argumentiert ausdrücklich gegen die Vertauschung von Formbegriffen, sofern sie konstitutiv für Objektivität überhaupt sind, und Wertbegriffen, sofern diesen nur innerhalb der konstituierten Realität subjektive Funktion zukommt.143 Im Zusammenhang mit diesen Betrachtungen der kritischen Phänomenologie thematisiert Cassirer exemplarisch die Geschichte bzw. Geschichtsschreibung als symbolische Form. Denn auch die „‚Geschichte‘ gibt nicht Wirklichkeit wieder; sie ‚entdeckt‘ Wirklichkeit.“ (ECN 3, 19) In diesem Verständnis der Geschichte als symbolische Form, das heißt als eine spezifische Modalität der Auseinandersetzung, muss mit Cassirer festgestellt werden, dass „durch ihren Blick gesehen […] die Natur, die Wirklichkeit eine neue Gestalt an[nimmt.] […] Solche Vision ist überall unerlässlich, wenn sich für uns die Wirklichkeit zum Bild formen soll.“ (ECN 3, 20) Eine Gestalt (vgl. auch PSF I, ECW 11, 14; ECN 1, 30) von Wirklichkeit offenbart sich nur in einem Bild, wie es in einer bestimmten symbolischen Form gebildet und projiziert wird. Innerhalb des bestimmten Modus der Auseinandersetzung, also innerhalb einer bestimmten symbolischen Form, unterliegt es aber gerade nicht der Willkürfreiheit, wie diese Gestalt von Wirklichkeit sich wesentlich ausprägt. Es ist vielmehr diese Gestalt, die, sofern praktische Relevanz vorliegt, eine wie auch immer geartete wählende Willkür bedingt, sofern es schließlich zu willkürlich wählender Subjektivität nur durch die Auseinandersetzung kommen kann. Um diese Analysen nicht missverständlich werden zu lassen, ist freilich zu sehen, dass „die Geschichte“ nicht im strengen Sinne eine symbolische Form ist, sondern als sprachliche Gestalt entweder im Mythos als Epos auftritt und damit zugleich die Selbstüberwindung des mythischen Bewusstseins anzeigt und einleitet (vgl. ECN 3, 11, 210), oder im auf Erkenntnis ausgerichteten, wissenschaftlichen Denken als geisteswissen-
[d. h. Cassirer] hin auf dies theoretisch-praktische Oszillieren, auf die grundsätzliche Praktizität auch der theoretischen Vernunftleistung, wenn er denselben Begriff von Autonomie, der für Kant als Bestimmung des reinen Willens zum Thema wird, auch schon als den ‚Kern der Kritik an den reinen Verstandesbegriffen‘ begreift“‚ denen Kant, in einem weiteren Sinne des Begriffs, gleichfalls Autonomie zuschreibe. Vgl. auch Reckis Verweis auf die Stellen in Freiheit und Form, ECW 7, 160–167. 143 Eine solche Verwechslung liegt nach Cassirer unter anderem in Rickerts Geschichtsphilosophie und allgemein in der Windelband-Schule vor (vgl. ECN 3, 231; ECN 5, 101).
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schaftliche Disziplin.144 Jedenfalls gilt, dass die Ausprägung der Gestalt, welche die Wirklichkeit als geschichtliche Realität hat, nicht in das Belieben bzw. die Willkür des jeweiligen Historikers gestellt ist. Die vom Historiker nur zur Darstellung zu bringende bzw. heraufzuholende (vgl. ECN 3, 19) Gestalt ist vielmehr ein geltungstheoretisch objektives Moment des sich entsprechend zeigenden Bildes von Wirklichkeit. In diesem Sinne hat der Historiker immer eine geltungstheoretisch objektive Gesamtvision der Wirklichkeit darzustellen, und nicht, wie es laut Cassirer die naive Geschichtsphilosophie will, bestimmte Aspekte oder Teilmomente einer vorgegebenen Chronologie in eine subjektiv bedingte Darstellungsform zu bringen. „Eine Gestalt ist vielmehr eine ‚Vision‘, eine ‚Sichtbarmachung‘ von Wirklichkeit – eine Gestalt stellt stets ein Ganzes vor den Blick.“ (ECN 3, 20) Der Historiker in diesem Sinne „wählt nicht bestimmte Bereiche der Wirklichkeit nach irgendwelchen (Wert-)Gesichtspunkten aus, denn jede Auswahl wäre letztlich immer willkürlich, sofern immer irgendwelche Teile für das Ganze ausgegeben werden müssten“ (ECN 3, 20). Der Wertbegriff im Sinne des Formwerts, der hier systematisch zum Tragen kommt, ist rein formal betrachtet genau derjenige der konstitutiven Forderung, der exemplarisch in der Analyse der theoretischen Erkenntnis gewonnen wurde.145 Der Historiker im hier thematisierten Sinne hat sich folglich als immer schon zu einer aus einem Formwert ergehenden Forderung entschieden, wenn bzw. in dem jeweiligen Vollzugsmoment, in dem er sich als Historiker betätigt, wobei er sich dann auch als solcher in einem bestimmten Sinne verhalten will, worin sich wieder die bedingte Notwendigkeit der Spontaneität der entsprechenden geistigen Energie zeigt. In jedem Fall fordert ein so gearteter Wert bestimmte Handlungen bzw. Akte, um als solcher erfasst zu werden. Zugleich braucht es freilich ein Verständnis des Wertes als Wert, um das mögliche Gelingen solches tätigen Erfassens philosophisch zu reflektieren. Der im Ausdruck des geistigen Vollzugs146 der darstellenden, schriftstellerischen Tätigkeit des Historikers implizite Wert ist für das Ganze der entsprechenden geschichtlichen Auffassung bzw. Bildung oder Formwerdung von Realität konstitutiv. Diese implizite Bezugnahme auf Wert lässt sich mit Cassirer auch als implizite Kontemplation deuten. Denn es lässt sich sagen: Der Formwert „schafft die neue Sphaere, die sich charakteristisch von der blos-
144
Erhellend für ein Verständnis der Geschichte sind besonders Cassirers Vergleiche mit der Kunst als symbolischer Form, vgl. ECN 3, 18 ff. 145 Vgl. oben 2.3.5: Ideelle Ordnung und Forderung. 146 Vgl. unten 4.4: Die Sehe als Reflex des Geistes.
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sen ‚Theorie‘ und von der blossen ‚Praxis‘ unterscheidet – In diesem Sinne ist die Betrachtung […] weder einseitig theoretisch, noch praktisch – weder intuitiv, noch aktiv, sondern echt-kontemplativ. In dieser Kontemplation wird das Reich der Form […] entdeckt.“ (ECN 1, 190147) Kontemplation meint dementsprechend hier die immer schon mitvollzogene Wertentscheidung, die den lebendigen Vollzug des Historikers als ins Werk setzendes Subjekt einer solchen Heraufholung im Auseinandersetzungszusammenhang konstituiert. Konstitutiv ist der Formwert insofern, als er die Bedingung der Möglichkeit der synthetischen Einheit ist, welche in dem entsprechenden Bild bzw. der entsprechenden Repräsentation der Wirklichkeit notwendig vollzogen sein muss, damit es als Bild Existenz verbürgt. In diesem Sinne notiert Cassirer: „In der politischen Geschichte, der Rechtsgeschichte, der Wirtschaftsgeschichte greift immer das Zukunfts-Moment irgendwie ein – ohne Wert-Maßstäbe, die über das Gegebene hinweggreifen, lässt sich dieses nicht zur ‚synthetischen Einheit‘ fügen.“ (ECN 3, 218) Die Selektion (vgl. PSF I, ECW 11, 260; PSF II, ECW 12, 42), die sich in dem Bild der Wirklichkeit ergibt, welche der Historiker als Vollzieher der symbolischen Form der Geschichtsschreibung in seine Darstellung hineinzieht, ist somit Ausdruck des geltungstheoretisch objektiven Wesens dieser symbolischen Form. In diesem Sinne ist Selektion, nämlich bestimmter, überhaupt erlebbarer symbolischer Prägnanz (vgl. PSF III, ECW 13, 218 ff.), „[n]icht etwa eine ‚Auswahl‘ nach [subjektiven] Wertgesichtspunkten“ (ECN 3, 20), das heißt nach solchen Wertgesichtpunkten, die in das Belieben bzw. die Willkür des Historikers gestellt wäre, sondern (implizite) Wahl geltungstheoretisch objektiver, ideeller Ordnung. Der hier von Cassirer kritisierte Wertbegriff ist somit der Begriff des der Willkürfreiheit eröffneten subjektiven (Wunsch-)Wertes, der niemals für eine bestimmte Weise der Welthabe, also für eine symbolische Form, konstitutiv sein könnte, sondern eben nur innerhalb bestimmter Verhaltungsweisen zur Welt zum Tragen kommen kann. Bei dem in Cassirers philosophischem Zusammenhang entwickelten und beanspruchten Wertbegriff handelt es sich folglich im Gegensatz zu subjektiven, in die von Moment zu Moment sich ergebende Willkürfreiheit gestellten (Wunsch-)Werten um den Formwert als geltungstheoretisch objektiven, konstitutiven Vollzugswert. Der mögliche Einwand, den Cassirer wie zur Selbstversicherung sich selbst noch einmal in diesem Zusammenhang macht, nämlich „daß auch eine Betrachtung und ein Verste147
Damit, so Cassirer mit einer Anspielung auf Simmel, vollzieht sich die Wendung zur Idee (vgl. ECN 191).
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hen vergangener Formwelten immer nur aus dem ‚Standpunkt‘ der Gegenwart möglich ist und daß dieser ‚Standpunkt‘ niemals ein rein-kontemplativer ist, sondern immer eine bestimmte ‚Stellungnahme‘ in sich schliesst, also ein aktives, nicht rein kontemplatives Moment“ (ECN 3, 219), ist durch diese Überlegungen allerdings bereits entkräftet. Denn „auch damit ist der Unterschied zwischen ‚Aktion‘ und ‚Kontemplation‘ keineswegs aufgehoben – Denn in der Welt der Formen erfährt der Willensbegriff, sofern er auf sie angewandt wird, alsbald einen charakteristischen Bedeutungswandel – Vom ‚Wollen‘ im strengen Sinne können wir hier nicht sprechen – denn ‚Formen‘ werden nicht durch einen bewussten Einsatz des Willens in demselben Sinne hervorgebracht, wie es bei Taten oder auch bei Normen und Institutionen der Fall ist.“ (ECN 3, 220)148 Es ist nämlich ein Wollen, das nicht auf den Bereich der (individuellen) Aktion eingeschränkt ist, also nicht im „engeren Kreis des unmittelbaren Handelns und Wirkens“ (ECN 3, 219) verbleibt. Es handelt sich nicht um ein der subjektiven Willkürfreiheit anheimgestelltes Wollen und somit um ein subjektives Wertsetzen – es handelt sich vielmehr um einen rein intelligiblen, konstitutiven Willensvollzug: den Selbstvollzug der Spontaneität. In Substanzbegriff und Funktionsbegriff spricht Cassirer, dieses kontemplative Wollen bereits meinend, mit Blick auf die reine Form wissenschaftlicher Erkenntnis vom „Wille[n] zum Logischen“ (SuF, ECW 6, 345). Auch dies meint einen konstitutiven, intelligiblen Willensvollzug, denn natürlich ist es nicht möglich, sich wissenschaftlich denkend und forschend zu betätigen und dabei noch quasi akzidentell die Normen des Logischen gelten zu lassen oder auch nicht. In der Geschichtsschreibung könnte dieses intelligible Wollen als ‚Wille zur historischen Gestalt‘ bezeichnet werden. In wiederum analoger Weise spricht Cassirer mit Blick auf die Kunst als symbolischer Form vom „Kunstwollen“ (vgl. ECN 3, 220149). Auch dieses stiftet die entsprechende synthetische Einheit, die konstitutiv für das Bild bzw. die Repräsentation von Wirklichkeit durch die Kunst ist. In der Kunst ist genauso dieser intelligible Wille „kein ‚Wollen‘ im Sinne des bewussten [subjektiven] Zielsetzens, des ‚Planens‘ – die Einheit, die wir hier erblicken, ist nicht eine solche teleologische Ein-
148
Der „Bedeutungswandel“ des Begriffs des Willens, der hier angezeigt ist, ist genau der, der mit Sokrates und Kant für den Bereich des ethischen Fragens vollzogen worden sei, wodurch dieser Begriff in seiner philosophisch grundlegenden Tragweite erst entdeckt wurde. Vgl. ECN 1, 194. 149 Den Terminus „Kunstwollen“ übernimmt Cassirer vom Kunsthistoriker Wilhelm Worringer (vgl. ECN 3, 220).
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heit des Plans – sie ist Einheit des Ausdrucks und der Gestaltung.“ (ECN 3, 220)150
2.3.7 Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik Raum, Zeit und Zahl 151 sind die drei Ordnungsbegriffe der natürlichen Symbolik (vgl. ECW 39):152 Alles Erleben und Gestalten spielt sich in einer räumlichen und zeitlichen Welt ab, die seriell geordnet werden kann und auch muss. Im Erleben ereignet sich die Wirklichkeit: die Wirklichkeit des Lebens. Leben kann nur als erlebtes Leben thematisiert werden. Leben kann also immer nur als ein solches thematisiert werden, das sich in Raum, Zeit und Zahl abspielt. Raum und Zeit aber sind formale Anschauungen, das heißt, sie sind die unter kategoriale Einheit gebrachte Form der Anschauung, nämlich als sukzessive und simultane Anschauung, und zwar dessen, was darin als Wirklichkeit erscheint. Elementare begriffli150
Es ergibt sich also eine Unterscheidung, die Cassirer in seinen Notizen nicht eigens und in aller Strenge herausgearbeitet hat, zwischen dem Begriff des Werts als Formwert bzw. (geltungstheoretisch objektivem) Vollzugswert und dem entsprechend korrelierten intelligiblen Willen und dem in die subjektive Willkürfreiheit gestellten Wert der bewussten Konstellation der innerhalb bestimmter symbolischer Formen als solcher gegebenen Elemente und Momente der Wirklichkeit. ‚Willkür‘ und ‚subjektive Wertsetzung‘ sind Wechselbegriffe. Willkür setzt (individuelle) Subjektivität voraus, also schon die Geltung, die im Modus der Auseinandersetzung spezifischer symbolischer Formen erst als solche gesetzt wird; dies ist der erste Punkt, warum Formbegriffe nicht mit willkürlich gesetzten Wertbegriffen konfundiert werden dürfen. Außerdem ist aus der Betrachtung der Kultur als Realisierung von Sinn schon klar, dass diese notwendig objektive Geltung beanspruchenden Wertsetzungen eine Voraussetzung von Subjektivität und Individualität sind (vgl. oben 2.1.2: Die wesentlich ethische Dimension der Kultur, 2.1.3: Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug); dies schließt umso mehr aus, dass eine solche Konfundierung plausibel sein könnte. – Die Unterscheidung dieser Wertbegriffe ist auch Thema in GP, ECW 9, bes. 254–258. 151 Vgl. PSF I, ECW 11, 147 ff., 182; PSF II, ECW 12, V, bes. 56 ff., 94 ff., (am Beispiel des Mythos), auch BmD, ECW 16, 48; PSF III, ECW 13, 7 und 279 ff. (in Anwendung auf das Problem der Pathologie des Symbolbewusstseins); PSF III, ECW 13, 481 ff. (am Beispiel der physikalischen Wissenschaft), auch EGL, ECW 17, 50 f. – Die systematische Explikation von Cassirers Begriff und Theorie der natürlichen Symbolik fi ndet sich in Recki 2004, 59–66; vgl. auch Itzkoff 1977, 22, 83 ff., 100 f.; Kaegi 1995, 73–84. Auf den Zusammenhang zwischen natürlicher bzw. künstlicher Symbolik und forma formans bzw. forma formata deutet Akenda 1998, 46 ff. 152 Vgl. dazu Recki 2004, 59: „Wiederum nur auf den ersten Blick entfernt sich Cassirer in der näheren Erläuterung der konstitutiven Formen des Bewußtseins vom Kantischen Ausgangspunkt, indem er in der eigenen Systematik nicht ausdrücklich und ausführlich von der Funktionskomplementarität von reinen Formen der Sinnlichkeit (Raum und Zeit) und Verstandeskategorien (Quantität, Qualität, Modalität, Relation) spricht, sondern Raum, Zeit und Zahl als die elementaren Subjektleistungen in den verschiedenen Symbolismen durchdekliniert.“
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che Funktionen sind – ob explizit bewusst oder nur implizit funktional – in jedem Erleben insofern immer schon realisiert. Leben, als erlebtes Leben, begegnet in jeder möglichen Thematisierung daher immer schon nicht nur als bloß raumzeitlicher Prozess, der als solcher gegeben sein und durch irgendwelche mentalen Prozesse dann ‚strukturiert‘ werden könnte, sondern vielmehr unter kategorialer Einheit erscheinend, folglich als im elementaren formalen Sinne als „Gegenstand nur als etwas überhaupt = X“.153 Die Zahl, als der dritte Ordnungsbegriff der natürlichen Symbolik, enthüllt, dass das Erleben zudem von den kategorialen Funktionen des Identifizierens, Unterscheidens, Vergleichens und Verknüpfens ermöglicht ist, die als solche auch erst Begriff und Vorstellungen von Substanz/ Akzidenz und Kausalität154 ermöglichen. Denn Zahl ist nur da möglich, wo verschiedene formale Einheiten als solche (mit sich) identifiziert, dabei von anderen formal gleichartig gebauten Einheiten unterschieden und zugleich miteinander in Bezug gebracht werden können. Dieses Beziehen solcher Einheiten aufeinander bedingt zudem die Verschiedenartigkeit der bezogenen Einheiten, die durch eine selbstidentische Regel der Verknüpfung der Einheiten formal definiert sein muss. Nur ein solcher kategorialer Regelkomplex ermöglicht das Zählen und insofern die Zahl bzw. die serielle Ordnung des Erlebens. Leben und Wirklichkeit erscheinen also notwendig unter den Bedingungen von Raum, Zeit und Zahl: Jegliches Leben überhaupt bzw. Realität als solche erscheint notwendig unter den Bedingungen der natürlichen Symbolik. Leben erscheint grundsätzlich in raumzeitlichen Verhältnissen in irgendeiner möglichen, aber jedenfalls seriellen Ordnung. Deshalb ist jeder konkrete Lebensvollzug immer schon durch mit faktischer Notwendigkeit eintretende kategoriale Verhältnisse bzw. Formen vermittelt, folglich durch diese bestimmt als weiter bestimmtes Bilden. Leben erscheint mit faktischer Notwendigkeit in der Weiterbestimmung durch künstliche Symboliken. Erst durch solche Weiterbestimmung ist es eigentlich bestimmtes Leben. In Bestimmtheit durch die natürliche Symbolik tritt es insofern als Bestimmbarkeit (weil weiterbestimmbar) in die künstlichen Symboliken ein.155 Leben ist nicht nur stets raumzeitlich-serielles Leben, sondern immer in bestimmten Modalitäten von Raum, Zeit und Zahl erscheinendes Leben. Räumliches und Zeitliches Erleben sowie die 153
Kant 1965a, 166 (KrV A 104). Zu diesen Verstandesfunktionen im Zusammenhang der Theorie der natürlichen Symbolik vgl. PSF I, ECW 11, 25 ff.: „Das Problem der ‚Repräsentation‘ und der Aufbau des Bewußseins“. 155 Vgl. unten 4.2.3: Leben als Bestimmbarkeit und Bestimmung. 154
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Möglichkeit, serielle Ordnungen zu entdecken (als Bedingung der Möglichkeit z. B. für Geschichtlichkeit) ist im Mythos ein anderes, als es beispielsweise im wissenschaftlichen Erkennen oder in der Kunst ist.156 Künstliche Symbolik verhält sich aber zu natürlicher Symbolik nicht so wie Erscheinung zu Erleben. Die künstliche Symbolik ist nicht selbst Gegenstand = X, sondern vielmehr eine Modalität des Erscheinens von Gegenstand = X. Die künstliche Symbolik ist nicht das, woran sich die kategorialen Funktionen der natürlichen Symbolik realisieren bzw. konkretisieren; dies sind vielmehr die Werke als notwendiges sinnliches Substrat des Bildens. Künstliche Symbolik meint in rein formaler Hinsicht vielmehr die bestimmte Art und Weise (Modalität) der Realisierung und Konkretisierung kategorialer Funktionen (als Formen des erscheinenden Lebens). Die künstliche Symbolik ist insofern Weiterbestimmung der natürlichen Symbolik.157 De facto ist kein Erleben möglich, für das die natürliche Symbolik im konstitutiven, kategorialen Sinne als Bedingung der Möglichkeit hinreichend wäre. Die künstliche Symbolik, als Weiterbestimmung der natürlichen Symbolik, ist erscheinungskonstitutiv; jegliches Erleben ist immer schon durch die künstliche Symbolik vermittelt.158 Von künstlicher Symbolik kann im Gegensatz zur natürlichen Symbolik, so wie sie hier charakterisiert wurde, nur gesprochen werden, wenn diese nicht selbst bereits notwendig in den Prinzipien der natürlichen Symbolik angelegt ist. Das bedeutet, die Prinzipien der künstlichen Symbolik können in ihrer logischen Struktur nicht nach einer (bzw. der) analytischen Logik (vgl. LSB, ECW 22, 113 ff.) deduziert werden, die in der natürlichen Symbolik durch deren kategoriale Verfasstheit implizit definiert ist.
156
Vgl. dazu Cassirers Abhandlung „Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum“ in ECW 17, 411–432. 157 Vgl. Kaegi, 1995, 76–78: „Wenn Anschauungen nur als Zusammenhänge sich wechselseitig repräsentierender Inhalte des Bewußtseins möglich sind, und Repräsentation die Zuordnung von Bewußtseinsinhalten nach ideellen Regeln der Synthesis […] bedeutet, dann exemplifiziert jeder Anschauungszusammenhang zugleich eine Regel der Synthesis […]. Als die Exemplifi kation einer ideellen Regel aber ist jede Anschauung ‚symbolisch‘, Darstellung eines Ideellen im Sinnlichen – genau in dieser Hinsicht ist sie Zeichen. […] Daß sich die symbolischen Formen jeweils auf ‚konkrete, sinnliche Zeichen‘ richten, heißt, daß sie sich auf die natürliche Symbolik von Anschauungen richten, sie, wie Cassirer sagt, ‚fi xieren‘. […] Darauf reflektiert Cassirers Defi nition symbolischer Formen als der Synthesis von Anschauung und Begriff – ein ‚geistiger Bedeutungsgehalt‘, ein Begriff, ist dem ‚konkreten, sinnlichen Zeichen‘ dann ‚innerlich zugeeignet‘, wenn konventionelle Zeichen die natürliche Symbolik der Anschauung fi xieren.“ 158 Vgl. unten 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk.
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Und genauso wie die Vermitteltheit des Erlebens in der künstlichen Symbolik ein Faktum ist, so ist auch die Pluralität verschiedener künstlicher Symboliken faktisch. Es gibt verschiedene künstliche Symboliken, wie z. B. die Form des Mythos, der Sprache, der Technik, der Kunst usw. Die künstliche Symbolik enthüllt also spezifische unableitbare, formimmanente logische Gesetze: Es sind die Modalitäten der Sinnverknüpfung. Die Formen, in denen Realität als Korrelat von Sinn und Sinnlichkeit erscheint, sind dabei als solche in freien Akten prinzipiiert: „Sinnformen, Bedeutungsformen […:] hier stehen wir auf dem Boden der Freiheit.“ (ECN 1, 244) Die künstlichen Symboliken müssen also in diesem Sinne als Gebilde der Freiheit betrachtet werden bzw. als Gebilde, in denen geistige Freiheit wesentlich zum Ausdruck kommt. Hinter der Metapher der Energie des Geistes bzw. der geistigen Energie offenbart sich auch in dieser Betrachtung die Idee der Freiheit als fundierendes Moment.159
2.3.8 Die Einheit der Symbolfunktion Die grundlegende Voraussetzung der kritischen Phänomenologie, die diese als einheitliche philosophische Disziplin zugleich erst ermöglichst, besteht darin, dass die geistige Energie als Einheit gedacht werden muss. Dies beinhaltet die Behauptung, dass natürliche Symbolik, Basisphänomene und künstliche Symbolik als Formen der Ausdrucks- bzw. Werkwelt im Sinne des symbolischen Universums Produkte der Freiheit bzw. Spontaneität als geistiger poietischer Energie bzw. als geistiges Bilden sind. Denn die natürliche Symbolik lässt sich nur in rein analytischer Perspektive160 als konstitutive, kategoriale Voraussetzung für die Entfaltung der künstlichen Symbolik und der faktisch notwendig präsenten Basisphänomene in den Blick nehmen. Zudem erweist sich in analytischem Hinsehen die künstliche Symbolik als eine Weiterbestimmung der konstitutiven Vorleistung der natürlichen Symbolik, und zwar in jeweils spezifischer Modalität; phänomenologisch sieht man sich mit Blick auf die künstliche Symbolik auf bestimmte Mittel verwiesen, auf die der Mensch als leiblich-organisches und soziales Wesen zugreifen muss, um seine Erlebnis- und Lebenswelt zu strukturieren, zu ordnen und verfüg-
159
Vgl. oben 2.1.3: Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug. Recki 2004, 62, spricht treffend von einer „gänzlich von konkreten Gedankeninhalten bereinigten, nur […] transzendentalen Analyse“. – Vgl. unten 3.4.2: Transzendentale Logik. 160
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bar zu machen und sie insofern erst als solche zu haben: nämlich die Werke im umfassenden Sinne.161 Wird also die geistige Energie als die eine bzw. selbstidentische Energie des Geistes thematisiert, die sich doch immer nur in spezifischer Modalität und insofern als bestimmte symbolische Form realisiert, so ist diese Energie so zu konzipieren, dass darin natürliche und künstliche Symbolik inkorporiert sind: Es erscheint immer zugleich das leiblich-organische und soziale Wesen des Menschen als vitale Gestalt und seine Vermittlung in seinem symbolischen Universum. Dieses Erscheinen in solcher Verwiesenheit ist durch den einen gleichen, kategorial bestimmten Vollzug konstituiert, „denn es ist zuletzt ein und derselbe Prozess, aus dem die organischen Formen und die Kulturformen hervorgehen, aus dem die rein vitalen Gestalten wie die Gestalten der Sprache und der Religion, der Wissenschaft und der Kunst erstehen.“ (ECN 1, 101)162 In dieser Perspektive der Einheit ergibt sich eine Grundform der symbolischen Formen überhaupt, die nun in einer knappen Formel ausgedrückt werden kann: Eine symbolische Form stellt immer eine Synthesis dar, und zwar die Synthesis von (Form der) Auseinandersetzung und ormimmanentem Geltungskriterium. Aus Letzterem erklärt sich, warum jede symbolische Form eine spezifische, inhaltlich nicht reduzierbare „Gestalt“ (PSF I, ECW 11, 14) aufweist. Der Vollzug der Symbolfunktion gründet mithin in einer dreifachen Tätigkeit: Auseinandersetzung, Geltungserhebung und Synthesis der beiden. Diese Dreiheit postuliert Cassirer ausdrücklich für die Struktur des äén diafð e rómenon/ eaytÖ (die in sich gegliederte Einheit): immanente Entgegensetzung, Wahrheits- bzw. Wertbezug, Selbstbehauptung seiner Einheit.163
161 162 163
Vgl. oben 2.2: Das Urphänomen des Lebens: Theorie der Basisphänomene. Vgl. unten 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk. Vgl. oben 2.1.5: Das Wesen der Menschheit: äén diafðerómenon/ eaytÖ.
3 Metaphysik des Symbolischen
3.1 Vom quid facti zum quid juris Gemäß ihrer Selbstkonzeption muss die philosophische Reflexion im Übergang von der „Grammatik der symbolischen Formen“ (PSF I, ECW 11, 17) in die metaphysische Reflexion der „‚transzendentalen‘ Logik“ (TdB, ECW 17, 85) die Ebene ihrer Selbstbegründung erreichen. Natürlich bewegt sich die Reflexion auch hier gänzlich „im Kreise der allgemeinen ‚transzendentalen‘ Frage: im Kreise derjenigen Methodik, die das ‚quid facti‘ der einzelnen Bewußtseinsformen nur zum Ausgangspunkt nimmt, um nach ihrer Bedeutung, um nach ihrem ‚quid juris‘ zu fragen. [Diese] Methodik des ‚Transzendentalen‘ [enthält] in sich selbst zwei verschiedene Grundrichtungen der Betrachtung“ (PSF III, ECW 13, 54). Die beiden Grundrichtungen der transzendentalen Frage, die das quid facti zum Ausgangspunkt nehmend das quid juris der Formen in den Blick nimmt, artikulieren sich im symbolischen Idealismus als kritische Phänomenologie und als Metaphysik des Symbolischen.1 Erstere geht auf den faktischen Bestand der durch die symbolischen Formen erscheinenden Sinnverknüpfungen. Die Zweite geht auf den Vollzug selbst und dessen Bedingungen, wie er in den symbolischen Formen letztlich zum Ausdruck kommt. Die mittels der kritischen Phänomenologie erfassbare Faktizität der Geltung (als Faktizität des Bestandes) kann nur terminus a quo der rein transzendentalen Reflexion sein. Im Modus der Metaphysik des Symbolischen geht es entsprechend um die Bedingungen der Bezugnahme auf die Reflexionsgehalte der kritischen Phänomenologie. Es geht folglich um die Legitimität der mit dem Gepräge der inneren Notwendigkeit vollzogenen Bezugnahme auf Geltung (bzw. formspezifische ideelle Ordnungen). 2 Die kritische Phänomenologie behauptet sich als Methode zur Erfassung und Darstellung des komplexen (dynamischen) Systems der symbolischen Formen. Sie beansprucht damit eine ideelle Anschauung der symbolischen Formen, weil sie Bezug nimmt auf ideelle Gebilde (die zugleich einer Morphologie unterworfen sein sollen). Diesen Anspruch reflektiert die Metaphysik des Symbolischen. Indem also die Geltungsfrage für die 1 2
Vgl. oben 1.3: Das System des symbolischen Idealismus. Vgl. oben 2.3.4: Wahrheit und Wirklichkeitsbezug.
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Faktizität der Geltung gestellt wird, geht es der Metaphysik des Symbolischen um die Legitimität der notwendigen – und zwar notwendig im Sinne von konstitutiv für den Vollzug des Lebens als geistigem Prozess überhaupt – Annahme der Faktizität „eines solchen Lebens, dem selbst das Gepräge der inneren Notwendigkeit und damit das Gepräge der Objektivität aufgedrückt ist.“ (PSF I, ECW 11, 46)
3.1.1 Phänomenologie und Metaphysik Die transzendentale Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen soll also Rechenschaft ablegen (CPPP, SMC, 49 f.) über die Behauptungen der kritischen Phänomenologie. Natürlich ist dabei die Philosophie selbst faktischer Vollzug. Der Reflexionsvollzug, in dem das Programm der Metaphysik des Symbolischen realisiert werden soll, die „Durchführung“ (ECN 1, 264) des symbolischen Idealismus, erhebt in der Frage nach dem quid juris allerdings Anspruch auf einen rein ideellen Vollzug. Dies ist zunächst anzuerkennen. Die „letzte höchste Einsicht“ (ECN 1, 271) bei der Frage nach der Legitimität der Faktizität der Geltung läuft deshalb auf die Frage nach der Legitimität des notwendig faktischen Vollzugs des Philosophierens selbst hinaus: Die Philosophie muss Rechenschaft ablegen von sich selbst (vgl. FFW, ECW 17, 342). Um sich zur „letzten höchsten Einsicht“ zu „erheben“ (ECN 1, 271), muss folglich von einem als faktisch notwendig eingesehenen Ausgangspunkt aufgestiegen werden zur Frage nach der Berechtigung des Zusprechens von Geltung zu den diese Einsicht selbst tragenden Behauptungen. Der in seiner Notwendigkeit festgestellte, faktische terminus a quo, den die Überlegungen der kritischen Phänomenologie im weiteren Sinne 3 als Ausgangspunkt der geforderten höherstufigen Reflexion bereitstellen, ist die Grundform der erscheinenden geistigen Funktion – also die Grundform der symbolischen Formen, die sich als faktisch identisch mit der Struktur des äén diafð e rómenon/ eaytÖ (der in sich gegliederten Einheit) und der Vollzugsstruktur des geistigen Bildens in der Selbstentfaltung der Bezogenheitsstruktur der Basisphänomene erwiesen hat. Diese Grundform ist die faktisch eingesehene und philosophisch als notwendig behauptete immanente Struktur des Geistes, also dessen, was den Menschen als animal symbolicum in seiner spezifischen Differenz ausmacht. Diese immanente Struktur muss als „Wesen der ‚Menschheit‘“ (ECN 1, 7; vgl. PSF III, ECW 13, 105 ff.) betrachtet werden. 3
Vgl. oben 1.2.1: Cassirers kritische Phänomenologie.
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3.1.2 Das faktische Wesen der Menschheit Das Wesen der Menschheit kann sich selbst nicht verändern, so sehr jegliche Realität auch dynamisch und als Prozess gedacht werden muss. Denn jede Veränderung müsste eine wesentliche Veränderung sein, eine Veränderung des Wesens der Menschheit. Dann könnte nicht gesagt werden: So und so ist das Wesen der Menschheit, oder: Dies ist das Wesen der Menschheit, oder, genauer und für die Philosophie der symbolischen Formen zutreffender: So und so vollzieht sich Leben, sofern es als geistiges Leben soll angesprochen werden können. Das Wesen der Menschheit ist die grundlegende Vollzugsform, die in allen Lebensvollzügen, die empirisch bzw. historisch sehr unterschiedlich sein mögen, die gleiche ist. Es ist der Vollzug der Symbolfunktion (vgl. PSF III, ECW 13, 49 ff.), die im geistigen Leben – das dementsprechend, wie noch darzulegen ist, nur als Reflexionsbegriff zu greifen ist4 – in den verschiedenen Strukturformen (vgl. PSF I, ECW 11, 13) der Kultur des animal symbolicum als objektiver Geist (vgl. PSF III, ECW 13, 54) erscheint. 5 Die konkreten Formen der Lebensvollzüge können sich dabei in der Hinsicht unterscheiden, dass sie entweder als gleichzeitig mögliche nicht aufeinander reduzierbar sind oder dass es nicht möglich ist, dass sie als gleichzeitige Lebensvollzüge erscheinen. Das Wesen der Menschheit als der rote Faden in all diesen verschiedenen Vollzügen ist aber selbst integrales Moment jeden möglichen Vollzugs. Es muss folglich als eine Vollzugsstruktur konzipiert werden, an der jeder konkret mögliche Lebensvollzug teilhat (vgl. ECN 1, 266, 271), und zwar so, dass der konkrete Lebensvollzug in seinem spezifischen Wesen als Entäußerung bzw. Ausdruck dieses Wesens der Menschheit erscheint, nämlich im Sinne des Verhältnisses eines Teils, das nur vom übergeordneten Ganzen her bestimmt (bzw. verstanden) werden kann. In diesem Sinne bezeichnet Cassirer beispielhaft die Kunst als „ein“ äén diafð e rómenon/ eaytÖ (vgl. LA II, SMC, 192). Deshalb geht Cassirer in seinen Analysen von den Vorstellungen übergeordneter Ganzheiten aus. Die kritische Phänomenologie im weiteren Sinne bezieht sich in dieser Absicht auf die anthropologische Grundstruktur des animal symbolicum, die Basisphänomene und die symbolischen Formen (künstliche Symbolik sowie die natürliche Symbolik). In der Untersuchung der symbolischen Formen wie Sprache, Mythos, Wissenschaft, Kunst, Geschichte ist dabei zunächst noch nicht die Annahme irgend einer bestimm4
Vgl. unten 3.2: Der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen. Was Cassirer freilich nicht nahelegen will, ist eine im klassischen, metaphysischen Sinne essentialistische Deutung des ‚Wesens‘ der Menschheit. 5
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ten Systematik der symbolischen Formen impliziert. Diese symbolischen Formen sind Vollzugsformen des geistigen Lebens. In allen diesen Analysen wird die Untersuchung auf einen Kern gelenkt, eine gemeinsame grundlegende Vollzugsstruktur, welche nur in unterschiedlicher „Gestalt“ (PSF I, ECW 11, 14) erscheint. In unterschiedlicher Gestalt erscheint diese gemeinsame Vollzugsstruktur insofern, als sie als Moment des übergeordneten Ganzen der konkreten Vollzugsform nur als in diese eingebettet erscheint: mit ihren basisphänomenalen Konstanten in unterschiedliche symbolische Formen, und dadurch in verschiedene mögliche konkrete bzw. historische Lebensgemeinschaften und Kulturen (symbolische Universen). Aber die Untersuchungen, welche auf diesen Kern, diese gemeinsame Vollzugsstruktur, führen, können die Einheit dieses gemeinsamen Moments nur faktisch feststellen. Zugleich wird dabei faktisch festgestellt, dass dieser gemeinsame Kern in allen Lebensvollzügen, so sehr sie sich auch in ihrer konkreten Ausprägung wechselseitig ausschließen mögen, dasjenige ist, was es überhaupt ermöglicht, mit Blick auf alle diese Lebensvollzüge von spezifisch menschlichen Lebensvollzügen zu sprechen. Diese – im weitesten Sinne phänomenologischen – Untersuchungen, welche vom faktischen Bestand ausgehen und deshalb nur zu faktischen Aussagen führen können, erbringen als Ergebnis: Faktisch ist eine gemeinsame Vollzugsstruktur, welche in verschiedenen Gestalten erscheint, die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass ein Lebensvollzug ein spezifisch geistiger Lebensvollzug, also ein Lebensvollzug des animal symbolicum ist. Und in diesem Lebensbegriff kommt der symbolische Idealismus zum „Höchste[n], was wir begreifen“ (ECN 1, 264). Dies alles antwortet zunächst auf die Frage nach dem quid facti. Wegen seiner notwendigen, rekonstruierenden Rückgebundenheit an die Faktizität als seinen terminus a quo bleibt das Verfahren der kritischden Phänomenologie notwendig quasiempirisch,6 die Aussagen bleiben damit letztlich hypothetisch, die Systematik, sofern überhaupt eine sichtbar wird, problematisch, die philosophischen Vermutungen über die immanente Struktur und die Bedingungen der Möglichkeit dieses faktisch festgestellten Wesens des Menschen, dieser gemeinsamen und nur in verschiedenen Gestalten erscheinenden Vollzugsstruktur, bleiben spekulierend. Die Frage nach dem „Warum“ (ECN 3, 271; vgl. ECN 5, 96) bleibt um so mehr in diesem Horizont rein faktischer Fragestellungen und Aussagen illusorisch: Faktisch ließe sich in der Antwort auf die Frage nach dem Warum nur entweder ein bestimmter Kausalnexus vermuten – dies würde aber in eine rein empirische Fragestellung führen und somit in einzel6
Recki 2004, 45, spricht treffend von einem „semi-empirischen“ Verfahren.
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wissenschaftliche Forschungsgebiete (woran sich nichts ändert, selbst wenn mehrere Einzelwissenschaften sich interdisziplinär verbünden); oder es lässt sich phänomenologisch-deskriptiv feststellen (vgl. ECN 3, 230 ff. 7): So und so sind die Formen, so und so sind die Übergänge und Metamorphosen – wobei dann die Frage nach dem zugrunde liegenden Kausalnexus eine Verkennung dieser spezifisch formanalytisch-deskriptiven Fragestellung bedeuten würde. Die Frage nach Formen, also nach Sinn und Bedeutung, ist eben eine andere, wenn auch ebenfalls zunächst faktisch artikulierbare, als die nach Ursache-Wirkungs-Verknüpfungen, also letztlich nach der natürlichen Entwicklungsgeschichte (vgl. PSF III, ECW 13, 54). Innerhalb des Bestands ergibt sich auch ein Dualismus der Sinnebenen: In der Frage nach der geistigen Existenz kommen die Sinnhorizonte von mundus sensibilis – die „Ordnung des Geschehens“ (ECN 5, 12) – und mundus intelligibilis – die „Ordnung des Sollens“ (ECN 5, 12) – in den Blick. Ein ontologischer Dualismus begründet sich damit allerdings nicht. 8 Ein Dualismus könnte für die Philosophie der symbolischen Formen das letzte Wort nicht sein. Insofern dürfen entsprechende, quasi-dualistische Ausführungen Cassirers sinnvoll nur als Vorbereitung, Hinführung und Einleitung, mithin als Propädeutik der eigentlich Durchführung des symbolischen Idealismus, verstanden werden. Die Fragestellung der Metaphysik des Symbolischen muss dabei über die rein faktischen Aussagen hinausführen: Jeder Dualismus, also auch und gerade dieser der grundlegenden Dimensionen der Sinn-Beurteilung (vgl. ECN 3, 197), muss als Ausdruck der zunächst faktisch verbürgten Einheit jeden möglichen Lebensvollzugs verstanden werden. Cassirer fordert darüber hinaus ausdrücklich die Frage nach dem quid juris. Es sollen nämlich nicht nur Aussagen (tentativ) getätigt und in einem hypothetischen Zusammenhang (provisorisch) systematisiert werden. Dies führt zu einer letztlich nur empirischen Theorie – insofern, als sowohl der Aussagemodus der kausal-einzelwissenschaftlichen Forschung als auch der Aussagemodus der phänomenologisch-deskriptiven Formanalyse faktisch bleiben. Vielmehr fragt der symbolische Idealismus insgesamt nach der Legitimität, nach der Rechtmäßigkeit dieser (seiner) Aussagemodi (bzw. Ausdrucksmodi). Aber mit Bezug auf die im wei7
Unter das, was hier als ‚phänomenologisch-deskriptives Verfahren‘ zu kennzeichnen ist, würden für Cassirer auch strukturalistische Ansätze fallen; dies wird ersichtlich aus den Ausführungen in LKW, ECW 24, 446 ff., ECN 3, 202 ff., 230 ff., 241 ff., ECN 5, 12 ff. 8 Vgl. oben 2.1.2: Die wesentlich ethische Dimension der geistigen Existenz des Menschen.
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testen Sinne empirische Realität lassen sich solche Aussagemodi nicht in ihrer Rechtmäßigkeit begründen, da die entsprechende empirische Realität, im Hinblick auf die in diesen Aussagemodi Theorien formuliert bzw. Bedeutungen artikuliert werden können, nur innerhalb dieser Aussagemodi überhaupt sinnvoll als bestimmte Realität angesprochen werden kann. Dies entspricht dem wirklichen (und möglichen) Verhältnis verschiedener symbolischer Formen zueinander. Die mythische Realität beispielsweise ist eine andere als die wissenschaftliche. Aussagen und Aussagezusammenhänge im Modus des Mythos – dort gibt es keine Theorien, sondern mythische Erzählungen, bestenfalls Epen usw. – betreffen die Realität, welche im Modus der Wissenschaft thematisiert wird, zunächst und im Prinzip gar nicht (vgl. PSF III, ECW 13, 87 ff.). Die symbolischen Formen sind als spezifische Modalitäten der Sinngebung die Ausdrucksmodi in der künstlichen Symbolik. Mit der Annahme einer nichtreduzierbaren Mannigfaltigkeit an symbolischen Formen und damit Aussagemodi steht und fällt die ganze Philosophie der symbolischen Formen. Die Frage nach der Berechtigung aber, also nach der Rechmäßigkeit (quid juris) des Zusprechens von Geltung in Behauptungen der Philosophie gleichermaßen über alle symbolischen Formen, kann nicht vom Standpunkt spezifischer symbolischer Formen aus gelöst werden.9 Mit Blick auf die Behauptung, dass durch die symbolischen Formen spezifische Realitäten konstituiert werden, auf die formimmanent Bezug genommen werden kann,10 geht es um die Geltung der Annahme einer in den verschiedenen symbolischen Formen zum Ausdruck kommenden, identischen und insofern – wie noch deutlich zu machen ist – transformalen Vollzugsstruktur des Geistes.11 Der symbolische Idealismus stellt mit seiner Frage nach dem quid juris also auf etwas ab, was die Bedingungen von Aussagemodi und von Ausdrucksformen erhellt und zugleich die Möglichkeit offen lässt, dass es zu einer Verschiedenheit der symbolischen Formen im Sinne unterschiedlicher Modalitäten der Bezugnahme bzw. Sinngebung kommen bzw. immer schon gekommen sein kann. Es muss deshalb mit Bezug auf die faktisch festgestellte bzw. postulierte gemeinsame grundlegende Vollzugsstruktur (prinzipiell) gezeigt werden (können), dass und wie sie in verschiedenen Gestalten bzw. in Diff erenz erscheint, und dass unter-
9
Vgl. oben 1.1.4: Transzendentalphilosophie als systematische Position. Vgl. oben 2.3.4: Wahrheit und Wirklichkeitsbezug, 2.3.5: Ideelle Ordnung und Forderung. 11 Vgl. unten 3.5.6: Kritische Phänomenologie und transformale Wahrheit. 10
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schiedliche symbolische Formen und damit überhaupt erst verschiedene Realitäten erscheinen müssen, über die dann entsprechende Aussagen in den innerhalb dieser symbolischen Formen faktischen Aussagemodi möglich sind. Die Durchführung der synthetischen Sichtweise der Reflexion bezüglich der Entfaltung der gemeinsamen Vollzugsstruktur in verschiedene Formen des Lebensvollzugs und damit in verschiedene symbolische Formen kann dabei freilich nicht mit Bezug auf die jeweiligen Realitäten geleistet werden, welche schließlich erst innerhalb spezifischer Gestalten bzw. Erscheinungsweisen dieser grundlegenden Vollzugsstruktur als solche ermöglicht sind und erscheinen – mit anderen Worten: Es kann nicht auf bestimmte Realitäten Bezug genommen werden, um die Möglichkeit zu klären, auf diese Realitäten Bezug zu nehmen; das heißt aber auch zugleich: Für den synthetischen Blickpunkt (vgl. CIPC, SMC, 90) des symbolischen Idealismus, der an die letzte höchste Einsicht (ECN 1, 271) anzuknüpfen ist, kann es nicht mehr um das Was der künstlichen Symboliken gehen, sondern nur noch um deren Dass: Es werden die Bedingungen der Möglichkeit reflektiert. Konkrete Formen können freilich nicht abgeleitet werden, denn diese sind in ihrem Bestand von der unableitbaren Kontingenz der Freiheit und (historischen) Materialität unablösbar.12 Es muss also das ‚Bezugnehmen‘ selbst unter die Lupe genommen und darauf gesehen werden, inwiefern dieses ‚Bezugnehmen‘ so offen bzw. differenzierbar ist, dass darin verschiedene ‚Gehalte‘ ‚thematisiert‘ werden können (vgl. ECN 1, 261).
3.1.3 Anmutung und Forderung Es ist natürlich zu sehen, dass auch das Denken des symbolischen Idealismus, also die philosophische Reflexion, die den Begründungszusammenhang der Philosophie der symbolischen Formen entfalten soll, selber ein konkreter, spezifischer Lebensvollzug ist. Der Aussagemodus des symbolischen Idealismus selbst ist schließlich ein sprachlich-wissenschaftlicher.13 Die Philosophie soll keine eigene oder neue symbolische Form darstellen – sie ist die höchste Form eines Denkens, das sich stets der faktisch unhintergehbaren Tatsache bewusst bleibt, dass es den Bedin12
Vgl. unten 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk. Vgl. Renz 2002, 209: „Das Faktum der Sprache ist für die philosophische Einsicht in die allgemeine Medialität der Kultur deshalb das Einfallstor, weil es die irreduzible Medialität von Gedanken plastisch und quasi selbstreferentiell vor Augen führt.“ 13
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gungen symbolischen Lebensvollzugs überhaupt nicht entgehen kann. Philosophische Reflexion beansprucht jedoch, rein symbolisches Denken zu sein. Damit will sie sich von der Kontingenz lösen, mit der die Entfaltung der symbolischen Formen im engeren Sinne doch wesentlich verknüpft ist. Somit beinhaltet die spezifische Fragestellung des symbolischen Idealismus eine besondere Anmutung an das Denken: Es soll durch die faktische Notwendigkeit (in der Phänomenalität) spezifischer Formen (und damit spezifischer Realitäten) auf die ideale Gestalt und Bewegung des grundlegenden Lebensvollzugs in seiner Einheit gesehen werden:14 „Was zu fordern ist, ist […] die […] Einheit des Geistes, der geistigen Energie als solcher in aller Verschiedenheit der ‚symbolischen Formen‘.“ (ECN 1, 262) Es soll folglich rekonstruktiv eine Struktur dargestellt werden, die zugleich sichtbar werden lässt, dass daraus die faktisch feststellbare Mannigfaltigkeit spezifischer symbolischer Formen hat entspringen können. Der symbolische Idealismus muss die gemeinsame, in den verschiedenen symbolischen Formen in verschiedener „Gestalt“ (PSF I, ECW 11, 14) erscheinende Vollzugsstruktur so darstellen, dass sich aus den dargestellten grundlegenden Vollzügen zugleich sichtbar machen lässt, inwiefern sich dieser Vollzug aus sich heraus als bestimmte Bestimmbarkeit vollzieht und eben nicht durch den Bezug auf eine hinzukommende Realität, weil die Möglichkeit des Hinzukommens ja aufgezeigt und verständlich gemacht werden soll. Diese bestimmte Bestimmbarkeit ist genau jener Vollzug, der sich in den Basisphänomenen und der natürlichen Symbolik weiter-, und in den konkreten Formen der künstlichen Symbolik durchbestimmt.15 Dieses „lebendige Gewebe des Geistes […] ist in sich ganz und geschlossen.“ (ECN 1, 6) Ersichtlich wird folglich die philosophische Reflexion eine endliche Anzahl an Vollzugsprinzipien bzw. Einheitsgesichtspunkten des sich selbst offenbarenden Geistes ergeben, die in bestimmten hie-rarchischen und nebengeordneten Verhältnissen zueinander erscheinen.16 Weil aber auch das philosophische Denken den Zwängen des Symbolisierens faktisch nicht entgehen kann, braucht es dazu eine bestimmte Verfahrensweise der Reflexion, welche einen eigenen Evidenzmodus ermöglicht. Diese Verfahrensweise schlägt sich im spezifischen Denken in 14
Es muss folglich im konkreten Lebensvollzug der philosophischen Reflexion die „Richtung des ‚Blickes‘ auf das Ganze (der Phaenomene auf die Urphaenomene)“ (ECN 1, 207) gewendet werden. 15 Vgl. unten 4.2.3: Leben als Bestimmbarkeit und Bestimmung. 16 Vgl. unten 4.3: Der genetische Zusammenhang der Reflexionsbegriffe.
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Reflexionsbegriffen nieder, mit den entsprechenden Konsequenzen für die Systematik des Denkens selbst, nämlich der Form der zweistufigen Reflexionsbewegung von kritischer Phänomenologie zur Metaphysik des Symbolischen. Seinen Ausdruck findet das Denken, das sich in der philosophischen Reflexion vollzieht, in dem Begründungszusammenhang, der in der Durchführung des symbolischen Idealismus aufgebaut wird: Der Vollzug der metaphysischen Reflexion17 soll nur dazu dienen, das zu reflektieren, womit der symbolische Idealismus sich seinen Boden selbst erschaff t (vgl. PSF III, ECW 13, 54). In der dabei ideell so konzipierten Selbstabbildung des philosophischen Vollzugs in die Struktur der Reflexionsbegriffe beansprucht die schöpferische Subjektivität, die den symbolischen Idealismus durchführt, notwendig, nämlich zum Zwecke ihrer Selbstkonstitution, das Bilden des geistigen Selbstvollzugs nachzuvollziehen.18 Die Bedeutungen, tbzw. das sich entfaltende semantische Feld, der Reflexionsbegriffe ergeben sich insofern aus dem Verfahren der Reflexion selbst.19 Zugleich verbleibt allerdings auch die Durchführung des symbolischen Idealismus, der als Vollzug der methodischen Reflexion freilich ein konstruktiver Akt ist, auf rekonstruktive Denkakte angewiesen, nämlich auf die Durchführung der Betrachtungen des animal symbolicum, der Basisphänomene und der symbolischen Formen. Nicht nur die Strukturen des grundlegenden Vollzugs erweisen sich letztlich als Rekonstruktionen – wobei von den Ergebnissen der Formanalyse bzw. der phänomenologischen Deskription ausgegangen wird. Auch die Grund- und Reflexionsbegriffe innerhalb des Begründungszusammenhangs, welche in der Durchführung des symbolischen Idealismus ihre spezifische, systematische und dem Denkvollzug selbst entspringende Bedeutung und ihr entsprechendes Bedeutungsfeld erhalten, werden mit Bezug auf faktische Überlegungen gewonnen. 20 Die Frage nach dem quid juris kann dabei in Hinsicht auf die Einengung des Problems auf bloße Bezugnahme nur auf den Vollzug von Bezugnahme – nämlich ihren eigenen – als Voraussetzung Bezug nehmen. Insofern kann 17
Vgl. unten 3.5: Metaphysische Reflexion. Die Struktur der Reflexionsbegriffe reflektiert den Vollzug, es wird dagegen aber gerade nicht behauptet, dass eine Struktur bloß objektivierend (im formal rein objektgerichteten Erleben des Alltags) beschrieben wird. Sie wird vielmehr im Vollzug des Bildens im Bilden als Sichbilden unmittelbar erlebt. – Vgl. 3.1.4: Die Aufgabe der Metaphysik des Symbolischen, 3.5.1: Anschauung geistiger Selbstoffenbarung, 3.5.7: Die Form der Subjektivität als Reflex der Wahrheit. 19 Vgl. 3.3: Der Blickpunkt metaphysischen Denkens. 20 Reflexion beinhaltet in diesem Sinne immer ein Abarbeiten an einem Material. Mit diesem Material ist in diesem Fall das objektive Korrelat dessen gemeint, was die kritische Phänomenologie (im weiteren Sinne) behauptet. 18
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sich der philosophische Vollzug selbst nur als reine Performanz konzipieren. 21 Dies ist sozusagen der letzte Rest an Faktizität, der unhintergehbar bleibt. 22 Aber die Frage nach dem quid juris unterscheidet sich von der Frage bzw. den Fragen nach dem quid facti dadurch, dass sie nicht, im eben skizzierten weitesten Sinne, nach dem ‚was ist‘ fragt. Der Blickpunkt des quid juris sucht vielmehr durch Artikulation seiner „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) zur Darstellung zu bringen, wie sich die entsprechenden Strukturen des Lebensvollzugs ausgestalten, damit es dazu kommt, dass sich verschiedene symbolische Formen ausdifferenzieren können müssen. Es kann dabei nicht davon ausgegangen werden, dass dieser und jener Bezug auf diese und jene Realität besteht. Im Gegenteil muss gefragt werden: Wenn es dazu kommen soll, dass sich der Lebensvollzug in diese und jene Richtung ausdifferenziert, so dass wirklich ersichtlich wird, dass es zu einer, faktisch festzustellenden, Mannigfaltigkeit an symbolischen Formen kommen kann, wie muss dieser Lebensvollzug dann in sich strukturiert sein und welche Vollzugsweisen müssen darin angelegt sein? Dabei ist die Leitfrage der Metaphysik des Symbolischen gegenüber der kritischen Phänomenologie: Soll dem ‚das ist‘ Geltung zugesprochen werden? Das aber ist letztlich eine Wertfrage. Natürlich öffnet diese Frage nicht der spekulativen Willkür Tür und Tor. Vielmehr sind zunächst etliche Einschränkungen und Voraussetzungen zu sehen und zu beachten. Denn dass es zu diesem Vollzug kommen soll, dies kann, wie gesagt, selbst nicht als in den Lichtkegel jener Fragestellung fallend angenommen werden. Es kommt eben zum Leben und gut. Das Leben ist unhintergehbar faktisch. Auch kann die Frage nach dem quid juris keineswegs die faktische Fragestellung überflüssig oder unnötig machen. Die Aussagen, welche spezifische Realitäten betreffen, können auf keine Weise von dieser Fragestellung aus getätigt werden. 21
„Die Bedeutung und Fruchtbarkeit einer bestimmten Philosophie liegt daher weniger in dem, was sie als Lehrgehalt in der Form fester dogmatischer Sätze aufstellt, als in dem, was sie gedanklich intendiert. Nicht der ‚Standpunkt‘ der Philosophie, sondern ihr ‚Blickpunkt‘ ist das, was für sie eigentlich bezeichnend ist. Sie will nicht einfach, von einem bestimmten Standort aus, eine Karte des Seins aufnehmen, in die die einzelnen Wirklichkeitskreise, als bekannte und gegebene eingezeichnet werden. Sie zielt vielmehr in eine noch unbekannte Ferne, die erst zu entdecken und durch den Gedanken erst aufzuschliessen ist. […] Nicht sowohl das, wovon sie ausgeht, als das, worauf sie ausgeht, macht ihre Eigenart aus. Ihre logische Bestimmtheit gewinnt sie nicht schlechthin durch die Art ihrer Praemissen, sondern durch die Richtung der Fragestellung, die sie einschlägt und die sie durchgängig festhält.“ (ECN 2, 24) 22 Vgl. 3.5.4: Philosophisches Behaupten von Geltung.
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Der Blick in die Faktizität und damit in die ganze Mannigfaltigkeit der symbolischen Formen bleibt folglich ebenso unhintergehbar wie unüberbietbar. Wenn also mit dem Blick auf das quid juris gefragt wird, wie es dazu kommt, dass sich das Leben in seinem Vollzug in sich gegliedert entfaltet, so kann und muss dabei faktisch vorausgesetzt bleiben, dass es tatsächlich und phänomenologisch unabweisbar zu diesen und jenen Vollzugsformen und Strukturen kommt. Auch in der Frage ist vorausgesetzt, dass es dazu wirklich hat kommen sollen und gekommen ist. Zugleich gilt als systemkonstitutiv, dass es eine Mannigfaltigkeit von symbolischen Formen gibt. Damit gilt für den symbolischen Idealismus als unhintergehbare, aus der Faktizität stammende Voraussetzung, dass das Leben sich in verschiedenen Formen vollziehen soll. Zudem geht es in der kritischen Phänomenologie im engeren Sinne immer um die analytische Herleitung des jeweiligen „‚a priori‘ für die einzelnen Gebilde“ (ECN 3, 250). Das Apriori muss aber jeweils als solches einleuchten. Damit ist vorausgesetzt, dass in der philosophischen Reflexion spezifische Evidenzerlebnisse möglich sind, und zwar als Erlebnisse des Eintretens gültiger Evidenz als Einsicht von Geltung, zu der wir uns erheben müssen (vgl. ECN 1, 271). Solche Verschränkung von Reduktion und Einsicht kann nur als transzendentalphilosophischer Vollzug konzipiert werden. Die Forderung mit Blick auf das quid juris, die dazu aufruft, sich zur Geltung zu erheben, lässt sich dabei in folgender Form ausdrücken: Wenn es als gültige Evidenz erlebt wird, dann soll es auch für solche genommen werden. In Bezug auf dieses „soll“ als Mittel der transzendentalen Reflexion freilich stellt sich für die metaphysische Reflexion die Frage: ‚In welchem Fragemodus ist die Evidenz dieses Soll faktisch initiiert?‘23 Denn es muss die Einheit der Prinzipien des solches ermöglichenden geistigen Vollzugs aufgewiesen werden. Für die philosophische Reflexion soll nämlich Einheit sein; um dies noch einmal in Cassirers Worten und zugleich hellerem Lichte zu wiederholen: „Was zu fordern ist, ist […] die […] Einheit des Geistes, der geistigen Energie als solcher in aller Verschiedenheit der ‚symbolischen Formen‘.“ (ECN 1, 262) Die Selbstaufklärung der Philosophie muss letztlich das Soll der philosophischen Reflexion selbst ausweisen.
23
Vgl. unten 3.6: Selbstrechtfertigung der Philosophie.
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3.1.4 Die Aufgabe der Metaphysik des Symbolischen In der Metaphysik des Symbolischen geht es mithin darum, sich zur „letzten höchsten Einsicht [… zu] erheben“ (ECN 1, 271). Darin soll die Geltung des systematischen Ansatzes des symbolischen Idealismus als Ganzes erhellen. Das „Ganze“ – die Wahrheit schlechthin (vgl. PSF III, ECW 13, 327; EGL, ECW 9, 139; ECN 1, 191) – kommt durch das Bilden im lebendigen Vollzug der philosophischen Reflexion in den Blick. Die philosophische Reflexion konzipiert sich selbst dabei so, dass sie als notwendige Voraussetzung ihres Vollzugs im Bedeutungsfeld der Reflexionsbegriffe einen Zusammenhang bildet, der sich selbst im Vollzug der philosophischen Reflexion (auch am Text) durch die schöpferische Subjektivität faktischen symbolischen Ausdruck verschaffen muss. An (besser: in) sich selbst bildet insofern der Vollzug der philosophischen Reflexion den Zusammenhang der Reflexionsbegriffe als notwendiges Bild ihres eigenen, begrifflich werdenden Vollzugs; dabei versteht sich dieses philosophische Bild im Vollzug in seiner Faktizität als selbstunmittelbares Exemplar des reinen Vollzugs der „Energie des Geistes“ (PSF I, ECW 11, 7) als solcher. Der philosophische Vollzug konzipiert sich dabei ideell als das Bilden einer Struktur. Das Ganze kommt also als notwendiger Zusammenhang zur Sicht: Es ist die Sinn generierende, genetische (vgl. KEW, ECW 16, 123) Struktur des lebendigen Vollzugs in der philosophischen Reflexion. Diese findet im systematischen Zusammenhang der Reflexionsbegriffe ihren begrifflichen Niederschlag. 24 Die gemeinte Struktur ist dabei aber nicht der objektive, werkhafte, und deshalb nicht im engeren Sinne symbolischer Ausdruck (nämlich in der künstlichen Symbolik) des lebendigen Vollzugs. Es ist keine objektive Struktur im durch die Systematik der symbolischen Formen bestimmbaren Sinne. Nur im lebendigen Vollzug durch eine individuelle, eine Aufgabe angehende und dabei die Reflexionsbegriffe selbst (in Teileinsichten) hervorbringende, philosophierend schöpferische Subjektivität (vgl. ECN 1, 7) haben diese Reflexionsbegriffe ihre objektivierende Funktion, und zwar genau darin, den lebendigen Vollzug der schöpferischen Subjektivität als solchen zu bestimmen. Dadurch wird in der methodischen Reflexion ein Bild der ungeschiedenen „Auseinandersetzung“ (PSF II, ECW 12, 182; PSF III, ECW 13, 44; ECN 3, 199; LSB, ECW 22, 118), der Subjektobjektivität als Einheit, gebildet. Das bedeutet, dass der Lebensausdruck dieses lebendigen Vollzugs durch die Reflexionsbegriffe so gefasst werden soll, dass er in „seinem eigentlichen Wesen“ (PSF III, ECW 13, 24
Vgl. unten 4: Durchführung der synthetischen Sichtweise.
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105) erfasst wird. Da aber doch das in diesem Wesen gründende Bilden unmittelbar Auseinandersetzung sein soll, muss sich dieser Lebensausdruck in diesem seinem Selbstvollzug unmittelbar in den „Mittelpunkt“ (PSF III, ECW 13, 116) seines eigenen Auseinandersetzens versetzen. 25 Der philosophische Vollzug wendet seinen „Blick“ (ECN 1, 139) auf sich selbst, im Gegensatz zum konkreten Lebensvollzug in seiner objektivierenden Blickrichtung (vgl. ECN 1, 137) durch die künstlichen Symboliken. Dadurch wird im Philosophieren „zur Aktualität entfaltet“, was im Vollzug der künstlichen Symbolik nicht (notwendig) „gewußt“ werden muss:26 nämlich die „Doppelheit beider Momente“ des Ausdrucks, die im Bilden als solchem „angelegt“ ist (PSF III, ECW 13, 105). Dieser Ausdruck „ist seinem eigentlichen Wesen nach Äußerung – und doch sind und bleiben wir mit dieser Äußerung Ort für Ort im Innern. Hier gibt es weder Kern noch Schale; kein ‚erstes‘ und ‚zweites‘, kein ‚eines‘ und ‚anderes‘.“ (PSF III, ECW 13, 105)27 Aufgrund der Faktizität des lebendigen Vollzugs der Reflexion selbst folgt allerdings als Bedingung für den lebendigen Vollzug der philosophischen Reflexion, dass in der „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) in Bezug auf das System der Reflexionsbegriffe in seiner Totalität gilt: „Das ‚Absolute‘ ist immer nur das vollständige, das durchgeführte u. systematisch überschaute Relative – u. besonders die Absolutheit des Geistes will u. kann nichts anderes sein.“ (ECN 1, 265) Dies wiederum bedingt das methodologische Vorgehen der Reflexion im Modus des symbolischen Idealismus: Die Reflexionsbegriffe – deren Konzeption im Folgenden noch zu entwickeln sein wird – sind zunächst in reduktivem Gang in einer Analyse der „Kategorien“ (ECN 1, 5, 270) zu gewinnen. Dies ist Aufgabe der kritischen Phänomenologie, und zwar indem sie mit diesen Begriffen hantiert. Wird die „philosophische Erkenntnis“ (ECN 1, 264) dabei aber zur „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) geführt, erreicht sie im selben Denken den synthetischen Blickpunkt (vgl. CIPC,
25
Vgl. unten 3.3: Der Blickpunkt metaphysischen Denkens. Es handelt sich um implizites, apriorisches Wissen: „Immer erscheint es als ein Lebendiges, das sich in sich selber trennt, als ein äén diafðerómenon/ eaytÖ. Aber wenn diese Differenz besteht, so ist sie doch damit noch nicht als solche gesetzt; vielmehr erfolgt diese Setzung erst, sofern das Bewußtsein aus der Unmittelbarkeit des Lebens in die Form des Geistes und in die des spontanen geistigen Schaffens übergeht. Erst dieser Übergang läßt alle jene Spannungen, die als solche schon dem einfachen Bestand des Bewußtseins angehören, zur Entfaltung kommen: Was zuvor, ungeachtet aller inneren Gegensätzlichkeit, eine konkrete Einheit war, das beginnt jetzt auseinanderzutreten und sich in analytischer Sonderung ‚auszulegen‘.“ (PSF III, ECW 13, 105) 27 Vgl. unten 3.5.5: Das Prinzip der Einheit des Geistes. 26
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SMC, 90), in dem in deduktivem Gang der Gesamtzusammenhang der Reflexionsbegriffe ersichtlich werden kann. 28 Damit erst kann das philosophierende Subjekt jedes „Relative“ – nämlich die einzelnen Reflexionsbegriffe – „an seiner Stelle begreifen u. es durch andere als begrenzt u. bedingt erkennen“ (ECN 1, 265): Die Systematik der Reflexionsbegriffe ist, indem sie im lebendigen Vollzug gehalten wird, Bild der „Absolutheit des Geistes […] u. kann nichts anderes sein.“ (ECN 1, 265) Der faktisch notwendig erfolgende Ausdruck dieses Vollzugs in Durchbestimmung in künstlicher Symbolik ist in diesem Vollzug daher sekundär. Die Bezeichnung „symbolischer Idealismus“ erweist sich als einleuchtend: Der Ausdruck aller Aussagen der Metaphysik des Symbolischen steht zwar unter dem spezifischen Anspruch der philosophischen Erkenntnis, sich „ideell“ vom „Zwang der Symbolik zu befreien“ (ECN 1, 265), selbst immer unter den Bedingungen der Faktizität, und zwar sowohl in Hinsicht auf ihren jeweiligen Modus der Bezugnahme auf Geltung, als auch in Hinsicht auf die Bedingungen der Vollziehbarkeit der entsprechenden Behauptungen. Der werkhaft objektive Ausdruck (als mündlich geäußerte oder schriftlich fi xierte Argumente) kann aber im Hinblick auf das philosophisch Gemeinte nur als rein symbolisch aufgefasst werden: Das philosophisch Gemeinte ist nicht der intersubjektiv zugängliche, zeichenhafte und insofern objektive Ausdruck des Systems des symbolischen Idealismus, sondern vielmehr allein der lebendige Vollzug dieser methodischen Reflexion selbst. Der hier angedeutete, philosophische Erkenntnis29 intendierende und dabei den metaphysischen Lebensbegriff konzipierende Reflexionsvollzug ist im Folgenden zu entwickeln.
3.2 Der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen „Das Höchste, was wir begreifen, ist das Leben“ (ECN 1, 264). In der Einsicht in den reinen Lebensvollzug hebt eigentlich an und vollendet sich zugleich die Metaphysik des Symbolischen. Sie geht „nicht von der Urtatsache des sogenannten ‚Seins‘, sondern von der des ‚Lebens‘ aus.“ (ECN 1, 263) Die Gegenüberstellung von Sein und Leben offenbart, dass Leben nicht seinsmäßig, und zwar im Sinne des jeweils nur formimmanent als real aufzufassenden Seienden, verstanden werden darf. Es kann hier noch einmal rekapituliert werden. Schon aus der Sicht der Analysen der Bedingungen 28 29
Vgl. unten 4: Durchführung der synthetischen Sichtweise. Vgl. unten 3.4: Philosophische Erkenntnis.
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des animal symbolicum in den anthropologischen Überlegungen, der Theorie der Basisphänomene und der symbolischen Formen ist ersichtlich: Es ist nicht das naturhafte Leben, das beispielsweise die bestimmte Wissenschaft der Biologie sieht, es ist auch nicht das Leben im Sinne einer historischen Anthropologie oder auch der Geschichte, und auch nicht das Leben der Götter des Mythos. Es ist genauso wenig das göttliche Leben eines Absoluten, das als eine transzendente, sei es nun personale oder alles umfassende, unpersönliche Substanz konzipiert wird. Alle diese Lebensbegriffe setzen nämlich immer schon einen Standpunkt voraus, der selbst durch spezifische symbolische Formen bestimmt ist bzw. sich in den Werken der künstlichen Symbolik artikuliert. Immer schon ist in solcher Bestimmung eine Energie des Geistes vorausgesetzt, eine geistige Funktion bzw. geistige Aktivität am Werk. Auf solches Tun vielmehr muss sich der Blickpunkt der philosophischen Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen richten (vgl. ECN 1, 261 f.).
3.2.1 Leben als Thema philosophischer Reflexion Das Leben wird in der Metaphysik des Symbolischen als Reflexionsbegriff thematisiert; dies gilt es nun darzustellen. 30 Einen formspezifisch bestimmten Lebensbegriff für grundlegend zu deklarieren, ihn zu einem über den jeweiligen Geltungsbereich spezifischer Formen hinausgehenden Begriff zu erklären, führt jedenfalls nicht zu dem von Cassirer in seinen Überlegungen zur Metaphysik des Symbolischen geforderten Lebensbegriff, sondern zu einer metaphysischen Konstruktion im schlechten Sinne. Denn dabei wird von einer Erfahrung ausgehend und durch Verabsolutierung (vgl. ECN 1, 150 ff.) nur ein möglicher Lebensbegriff hypostasiert, von dem dann beansprucht werden muss, dass sich dieser vermeintlich metaphysische Begriff zu allem durch ihn zu Erklärenden in analoger Weise verhalte, wie der ursprüngliche (empirische) Lebensbegriff zu seinem ausgewiesenen Erfahrungsbereich – doch wie könnte so etwas überprüft werden, wenn gerade die Erfahrung ins Metaphysische hinein überschritten und somit verlassen werden soll? Die unzulässige metaphysische Konstruktion besteht schließlich darin, dass mittels unausgewiesener Analogiebildung eine Allgemeingültigkeit beansprucht wird, die dem bzw. einem empirischen Lebensbegriff, von dem in solcher gewalttätigen Abstraktion ausgegangen wird, gar nicht zukommen kann. 30
Vgl. zum Lebensbegriff die das Folgende sehr erhellenden, sprachphilosophischen Erwägungen in König 1994; vgl. auch Gutmann 1997.
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Wenn erst einmal der Boden möglichen Erlebens und möglicher Erfahrung verlassen ist und mit der in einer solchen metaphysischen Konstruktion implizierten, unausgewiesenen Allgemeingültigkeitsbehauptung der Willkür der Zuordnung von Geltungsbereichen Tür und Tor geöffnet sind, dann kann es keine rechtmäßige Entscheidung mehr geben bezüglich des Geltenlassens davon abhängiger Aussagen, weil in der Verallgemeinerung das den empirischen Lebensbegriff als solchen konstituierende, formale Korrelat, damit aber das Kriterium seiner Gültigkeit, abgeschnitten wurde. Diese Voraussetzung allein rechtfertigt Cassirers kritische Einschätzung der diesbezüglichen Unzulänglichkeit der faktischen Pluralität historischer philosophischer Systeme (vgl. CPPP, SMC, 51). Aber analog zu Kant erhebt auch Cassirer Anspruch auf alleinige Geltung seiner Philosophie der symbolischen Formen, nämlich als Transzendentalphilosophie im umfassenden Sinne. Damit spricht er immerhin zugleich allen historischen philosophischen Systemen ihre Geltung als jeweils Ganzes ab. Kurz: Für eine solche metaphysische Konstruktion des Lebensbegriffs lässt sich nicht mehr mit Recht eine prinzipielle Geltung behaupten, die in einem möglichen Erleben ausgewiesen werden könnte, auch wenn deren hypothetische Annahme im Einzelfall mitunter durchaus verführerisch erscheinen kann. Selbst wenn man eine solche metaphysische Konstruktion im Sinne einer spekulativen Verallgemeinerung bestehen lassen will, also per willkürlichem, theoriekonstitutiven Dekret den prinzipiellen Einwand gegen die Möglichkeit der empirischen Aufweisbarkeit ihrer Geltung beiseite schiebt, bleibt doch der fundamentale Befund bestehen: Es ist schlichtweg unzulässig, eine solche metaphysische Konstruktion zu einem grundlegenden Begriff der (cassirerschen) Metaphysik des Symbolischen zu erklären. Jeder empirische Lebensbegriff nämlich, wie er innerhalb irgendeiner symbolischen Form Gültigkeit haben mag, meint Leben als etwas in der einen oder anderen Form Seiendes: Jedes Leben ist innerhalb einer symbolischen Form als Realität, mithin als Sein, konstituiert. Die metaphysische Konstruktion überhöht mit ihrem empirischen Lebensbegriff folglich einen Seinsbegriff. Was hierbei vor allem eine philosophische Betrachtung des Urphänomens des Lebens unmöglich macht, ist gerade die Differenzierung des Begriffs des Seins vom Begriff des Lebens. Diese Unterscheidung aber ist für Cassirer erst der Ausgangspunkt seiner Überlegungen zur Metaphysik des Symbolischen. 31 31
Es gilt an dieser Stelle freilich anzumerken, dass hier mit Cassirer und im Ausgang von seinen Überlegungen die Position des symbolischen Idealismus sehr zugespitzt verdeutlicht wird. Einschränkend kann angemerkt werden, dass die Auffassung
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Entsprechend diesem Verständnis im Modus der Metaphysik des Symbolischen formuliert kann der Lebensbegriff in folgender Weise charakterisiert werden: Leben ist im strengsten Sinne Bedingung der Möglichkeit des Seins. Leben ist, so lässt sich mit Blick auf die anthropologischen Überlegungen formulieren, das, was als Vollzug von Sinnverknüpfung (als geistiger Vollzug) die Realität als objektive Realität nachgerade herausfordert. 32 Leben ist Voraussetzung jeglicher Behauptung von Sein, und zwar der Behauptung nicht im Sinne eines individuellen Aktes, sondern im Sinne von Sichbehauptung, also im (metaphysischen) Sinne von Existenzsetzung überhaupt. Leben ist der Vollzug von Existenzsetzung – was freilich die Setzung individueller und notwendig im Modus symbolischer Formen behauptender Existenz mitmeint. In der Metaphysik des Symbolischen geht es deshalb zugleich um den in jedem geistigen Lebensvollzug implizit als gegeben vorausgesetzten Zusammenhang von individuellem Bewusstsein in seiner zeitlichen Erlebenswirklichkeit und der übergeordneten Vorstellung einer aus einem objektiven Wert ergehenden Forderung, die als solche allemal nur an ein als ideell übergeordnet vorgestelltes Leben ergehen kann. Ist Leben folglich Existenzsetzung überhaupt, so liegt die Setzung von individuellem Bewusstsein als solchem zugleich darin beschlossen. Das Leben als Ausgangspunkt der Metaphysik des Symbolischen meint folglich die Lebendigkeit der Energie (bzw. Energien) des Geistes. Etymologisch erweist sich diese Formel ohnehin als äquivok: Energeia (zugleich als Abzielen auf etwas) und Lebendigkeit meinen das Gleiche. Das Leben, welches der symbolische Idealismus durchdringen soll, ist damit nicht ein im weiteren Sinne verdinglichtes oder bloß bzw. in der Realität gegebenes Leben, denn ein solches würde doch in die Vielheit der Lebensbegriffe zerfallen, welche durch verschiedene symbolische Formen – sprich: die Richtungen des geistigen Tuns – ermöglicht sind. Der Metaphysik des Symbolischen geht es in der Rede von dem Leben vielmehr um die Einheit des Lebens in der Lebendigkeit des Geistes. Es geht um die Einheit der Bedingungen, überhaupt in verschiedenen Sinnzusammenhängen Zugang zur Welt – und damit als animal symbolicum zugleich zu sich selbst – zu gewinnen und zu finden. Im ontologischen Hinsehen freilich muss doch jedes Leben, das sinnvollerweise gemeint sein kann, irgendwie sein, es muss existieren. Auf der
des Seins als objektive Existenz, sofern man diese als bloßes Vorhandensein deutet, keine vollständige Ausdeutung des vollen Seinsbegriffs der ganzen klassischen Metaphysik darstellt. 32 Vgl. oben 2.1.3: Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug.
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anderen Seite kann jedes Sein, das überhaupt thematisiert werden soll, nur ein in (irgendwelchen) Lebenszusammenhängen stehendes sein. Schon daraus wird ersichtlich, dass zwischen diesen beiden Begriffen ein Unterschied bestehen soll im Sinne eines Bedingungsverhältnisses von zwei aufeinander bezogenen Momenten: Nur durch das Leben kommt man zum Sein – und nur als seiend existiert Leben überhaupt. Erkenntnistheoretisch ausgedrückt: Damit Erkenntnisse bezüglich eines Seins formuliert oder zumindest beansprucht werden können, muss es doch immer, wenigstens über Vermittlungen, Gegenstand möglicher Erfahrung sein (können). Denn Erfahrung – und zwar in dem weiten Sinne, der jedes Erleben, also auch so etwas wie Gefühle, Intuitionen, Ahnungen, Träume usw. mitumfasst – ist doch immer zumindest der Anlass, von dem Erkenntnisprozesse (realiter) anheben (müssen). Mit anderen Worten: Nur durch die symbolischen Formen als Energien des Geistes, in die sich der Lebensvollzug „selbst zerlegt“ (ECN 1, 264), also in den Richtungen des geistigen Tuns, kann etwas als seiend gefühlt, geahnt, erlebt, erfahren, erschaut, benannt, angesprochen, beschrieben, erfasst, erklärt, nachvollzogen, erkannt werden – einschließlich natürlich der Selbsterfahrung des jeweils individuellen Bewusstseins (im Vollzug der philosophischen Reflexion durch die schöpferische Subjektivität), das solche Erfahrungen macht bzw. solche Erlebnisse haben kann. Dadurch wird das derartig in irgendeiner symbolischen Form in den Blick genommene aber immer schon als ein Seiendes, und zwar als ein bestimmtes Sein, gefasst. 33 Vom Standpunkt (irgend) einer symbolischen Form aus gesehen entäußert bzw. äußert sich das Leben zugleich notwendig im Sein. Mithin zeigt sich hier, worauf die Methodologie der Metaphysik des Symbolischen hinauslaufen muss, wenn darin Leben und Sein auch und gerade da, wo es darum geht, sie schärfstens begrifflich von einander zu sondern, als notwendig aufeinander bezogen zu denken sind: Leben und Sein müssen in ursprünglicher Korrelation gedacht werden. Cassirer ist hier Denker der reinen Relation (vgl. CPPP, SMC, 52), die nicht als akzidentelle Relation konzipiert sein kann. 34 Dies geht nicht auf der begründungslogischen Ebene einer einstufigen Erkenntnistheorie, denn jeder Akt der Erkennt33
„Außerhalb des Tuns und seiner verschiedenen Richtungen (in Sprache, Mythos, Religion, Kunst, Wissenschaft) giebt es für uns keine Form des ‚Seins‘, weil keine Form der Bestimmtheit. Der Irrtum hierüber kann in den abstrakt-philosophischen Doktrinen immer nur dadurch entstehen, daß man hier in der Diskussion das Ergebnis irgend einer bestimmten geistigen Energie schon als selbstverständlich zu Grunde legt, ohne sich seiner Bedingungen bewusst zu werden.“ (ECN 1, 261) 34 Vgl. unten 3.3.2: Denken der reinen Relation.
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nis wäre sozusagen eine Emanation des Lebens und damit wiederum gleichgeordnet mit dem zu Begründenden – was im Falle der „philosophischen Erkenntnis“ (ECN 1, 264) nicht sein kann. 35 Erkenntnis im engeren erkenntnistheoretischen Sinne ist nämlich eine bestimmte Vorstellung (in der bestimmte Geltungen realisiert sind) und die Erkenntnistheorie besteht selbst in einem System von Vorstellungen über (prototypische) Vorstellungen. Vorstellungen aber sind selbst, und sind dadurch dem, worauf sie sich beziehen bzw. wovon sie Vorstellungen sind, ontologisch gleichgeordnet, nämlich dem Sein. Leben aber ist nicht einfachhin: Es ist nicht Gegenstand einer (konkreten, faktischen) Vorstellung; Leben im Sinne der Metaphysik des Symbolischen ist eine Idee. 36 Der Ausdruck ‚Leben‘ ist, um es mit dem Namen des im Folgenden noch ausführlich zu erörternden Konzepts zu benennen, ein Reflexionsbegriff. Die Metaphysik des Symbolischen hat es also mit einer Idee37 zu tun, wenn sie das Leben thematisiert. Denn der Lebensvollzug als solcher bzw. in seiner „Totalität“ (ECN 1, 134, 264; GmP, ECW 9, 307), um den es der Metaphysik des Symbolischen geht, ist reiner Vollzug. Unter reinem Vollzug kann aber nur unmittelbarer Vollzug verstanden werden. Weil aber der reine Lebensvollzug unmittelbar ist, muss er deshalb unmittelbar vollzogen werden, um in diesem Vollzug ihn selbst zu vermitteln. Deshalb auch muss sich der lebendige Vollzug der philosophischen Reflexion in seiner Tätigkeit als ein spezifischer Fragemodus38 als Ermöglichung der Selbstanschauung erweisen. Aber nur in diesem Vollzug der philosophischen Reflexion wird überhaupt die Idee des Lebens als reiner Vollzug gefasst und dabei im Zusammenhang der Reflexionsbegriffe konzipiert. Philosophieren im Modus des symbolischen Idealismus be-
35
Vgl. unten 3.4: Philosophische Erkenntnis. Vgl. Knoppe 1995, 342: „Als Inbegriff der Bedingungen künftiger Gestalt ist das Urphänomen [als Idee] diejenige ‚Grösse‘, über die hinaus es keine weitere Sicherung der Objektivität geben kann. Die Konvergenz des in der Anschauung Verstreuten und Disparaten beruht nicht auf substantiellen Übereinstimmungen, die an den Elementen der Mehrheit aufgezeigt werden, sondern darauf, daß sie als Momente eines übergreifenden Sinnzusammenhangs genommen werden, den sie, jedes an seinem Teil und an seiner besonderen Stelle, konstituieren.“ 37 Vgl. Knoppe 1995, 341 f.: „Ideen bedeuten keine Dinge, sondern ausschließlich Methoden zur Erschließung gegenständlicher Bestimmtheit […] Als Hypothesis bedeutet die Idee keinen intelligiblen Gegenstand, sondern eine Denknotwendigkeit: Als Quelle der Verknüpfung von Gedanken und allein in dieser Verknüpfung, d. h. im systematischen Zusammenhang der Gedanken ist die Idee unendlich fruchtbar [… Sie] stiftet […] den Zusammenhang der Erscheinungen als den Grund und Ursprung ihrer Bestimmtheit und bezweckt dabei doch nur die Realisierung des anschaulich Gegebenen.“ 38 Vgl. unten 3.6: Selbstrechtfertigung der Philosophie. 36
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greift sich so als ein Anschauen seiner eigenen Tätigkeit. 39 Im Zusammenhang der Reflexionsbegriffe gilt dabei der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen als das „Höchste, was wir begreifen“ (ECN 1., 264). Diese in den Reflexionsbegriffen vermittelte Idee mitumfasst zugleich Leben sowohl als dessen materiellen Vollzug – Verleiblichung des Bildens und Verkörperlichung (vgl. ECN 5, 67) der Werke – als auch (notwendig) den lebendigen (sprich: lebenden) Vollzug des Geistes.40 Das beinhaltet aber zugleich, dass das Leben in seiner Unmittelbarkeit schlechterdings nicht als Gegebenes zugänglich ist. Es ist eben immer schon alles vermittelt in symbolischen Formen. Jede Behauptung (im Sinne der Grundform jedes geistigen Aktes) setzt vielmehr das lebendige Gefüge des Geistes voraus und formiert sich als dessen Vollzug. Dabei „zerlegt“ sich, wie bereits zitiert, das lebendige Gefüge des Geistes immer schon „in einzelne spezifische Sonderbewegungen“ (ECN 1, 264), nämlich in die symbolischen Formen der künstlichen Symbolik. Leben ist der Vollzug des Geistes und insofern sozusagen das Geben, aber nichts Gegebenes. Denn wenn auch die Notwendigkeit jeglicher Form bzw. Formung suspendiert werden könnte, das Urphänomen des Lebens (vgl. ECN 1, 127, 163 f.) könnte nicht suspendiert werden. Der Versuch der Suspendierung jeglicher Formung überhaupt, die allerdings nur ex negativo und per impossibile dictum auf das Leben führt – in der Tat freilich nur einen leeren Begriff als Platzhalter einer zu vollziehenden Erkenntnis zurücklässt – entspricht dem Versuch der Suspendierung der künstlichen Symbolik, um die natürliche Symbolik als ursprünglichen Ausdruck der Symbolfunktion in den Blick zu bekommen. Nur müsste hier zusätzlich von der natürlichen Symbolik auch noch abstrahiert werden. Dies lässt die Spekulation in ein bloßes Spiel mit der Logik hineinlaufen: Das Leben ist kein Sein – es ist so gesehen in der Tat nichts. Leben ist in diesem Sinne Nicht-Sein. Es soll aber in einem spezifischen Verfahren der philosophischen Reflexion (vgl. ECN 1, 208) eine philosophische Erkenntnis (vgl. ECN 1, 264) des Lebens erlangt werden; es soll der Urprozess (vgl. ECN 1, 264) seines Erscheinens eingesehen (vgl. ECN 1, 265) werden. Es soll dem Leben sozusagen in seinem Erscheinen zugeschaut werden. Solche philosophische Schau muss in einer spezifischen, selbst erst zu entdeckenden Art und Weise von jeder symbolisch geformten Erkenntnis im engeren Sinne un39
Vgl. unten 3.5.1: Anschauung geistiger Selbstoffenbarung. Insofern ist es auch das gleiche Leben als Bilden, das sich notwendig in der (Selbstentfaltung ermöglichenden) Bezogenheitsstruktur der Basisphänomene entfaltet (vgl. oben 2.2: Das Urphänomen des Lebens: Theorie der Basisphänomene) und das sich dabei zugleich in die organischen und die symbolischen Formen differenziert (vgl. ECN 1, 101 – vgl. unten 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk). 40
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terscheidbar sein. Damit stellt sich aber die Frage nach der Methode und dem Verfahren des symbolischen Idealismus nicht nur als eines seiner eigenen Probleme, es erhebt sich zugleich die Frage nach seiner Legitimation: Die philosophische Erkenntnis muss, wie Cassirer betont,41 soll sie gelingend vollzogen werden, zugleich Rechenschaft ablegen von sich selbst um ihren Vollzug rechtmäßig beanspruchen zu können.42 Die angestrebte Erkenntnis des Lebens muss deshalb in einer sich selbst aufklärenden Entfaltung der Reflexion eingeholt werden. Es muss dabei für den symbolischen Idealismus eine Systemkonstitution herausspringen, die sich rein reflexionsbegrifflich „durchführen“ (ECN 1, 264) lässt. Dazu ist auch der methodologische Status der Reflexionsbegriffe selbst zu legitimieren. Bei Reflexionsbegriffen darf es sich nämlich weder um objektstufige Begriffe in einem ontologischen Verständnis, noch um durch das Medium von Vorstellungen referierende Objektbegriffe in einem (naiven) erkenntnistheoretischen Sinne handeln.43 Die „Bewegung“ (ECN 1, 264), die das Leben als Urphänomen bzw. in seinem Erscheinen vollzieht, differenziert sich, wie gesagt, durch die „Eigenbewegung des ‚Geistes‘ […] in einzelne spezifische Sonderbewegungen“ (ECN 1, 264) aus, nämlich in die Basisphänomene und zugleich in die symbolischen Formen und durch dasselbe Bilden auch in die vegetativen Formen (vgl. ECN 1, 101). So nur kommt das Leben zu sich selbst und zur Existenz. Mit Blick auf die methodologischen Voraussetzungen der Aussagen des symbolischen Idealismus erschließen sich nun erst diese Ausführungen von Cassirer. Leben ist nämlich als Phänomen bzw. in der Phänomenalität immer schon das Erste, das wir kennen. In der philosophischen Reflexion blicken wir durch die Phänomenalität (nämlich in künstlicher Symbolik) auf das Phänomen bzw. Urphänomen (vgl. ECN 1, 207) als Bilden und dadurch auf die Bedingungen der solches durchführenden philosophischen Erkenntnisbewegung. Das Leben als Korrelat der höchsten Einsicht wird dabei als reine Idee konzipiert. In seiner reinen Idealität aber übersteigt es jedes Begreifen, das doch immer auf seine Materialisierung im Werk als objektiviertem, intersubjektiv zugänglichem Anschauungskorrelat angewiesen bleibt.
41 42 43
Vgl. oben 1.1.4: Transzendentalphilosophie als systematische Position. Vgl. unten 3.6.5: Rechenschaftsgrund und Sinn der Philosophie. Vgl. unten 3.3.1: Reflexionsbegriffe.
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3.2.2 Leben und Freiheit Leben ist als das Höchste, was wir ergreifen können (vgl. ECN 1, 264), zugleich das höchste analytische Prinzip des symbolischen Idealismus. Der Begriff des Geistes meint dagegen die höchste synthetische Einheit, nämlich die in sich gegliederte Einheit des äén diafð e rómenon/ eaytÖ. Der Begriff des Geistes meint die Strukturen der Einheit, die sich als lebendige Einheit nur in einer philosophischen Reflexion, die selbst lebendiger Vollzug ist, darstellen lässt, indem sie unmittelbar erlebt wird, wozu sie als Form des Reflexionsakts erzeugt werden muss. In der „letzten höchsten Einsicht“, in der wir „nicht auf den Begriff des Lebens verzichten [können]“ (ECN 1, 271), muss folglich in einem reinen Anschauungsvollzug – dies ist noch auszuführen – die Identität des analytischen Prinzips ‚Leben‘ und des synthetischen Prinzips ‚Geist‘ unmittelbar ausgewiesen werden können. Es muss sich zeigen: Die Selbstoff enbarung des Geistes (vgl. PSF I, ECW 11, 7, 23) vollzieht sich eben gerade als das Leben (des Geistes). Das Urphänomen des Lebens ist die in philosophischer Reflexion nachvollziehbare Erscheinung des Geistes selbst. Noch einmal etwas anders formuliert: Die Erscheinung des Geistes in seiner „Selbstoffenbarung“ ist die Urerscheinung, das Urphänomen des Lebens, das, in der geistigen Reflexionsform als seiend erscheinend, zugleich jegliche Seinssetzung bzw. Realitätssetzung ermöglicht. In den anthropologischen Überlegungen hat sich gezeigt, dass Leben wesentlich der geistige Vollzug der „Ordnung des Sollens“ (ECN 5. 12) ist. Leben, als notwendig zu konzipierende Idee identifiziert, erweist sich schon von daher nicht als eine Tatsache, sondern vielmehr schlechterdings selbst als Wert. Das Leben (als geistiges Leben) soll sich vollziehen. Das Leben, welches die Metaphysik des Symbolischen zum Ausgangspunkt nimmt, ist folglich gemeint als das Sichverhalten der Freiheit zu der Forderung, „geistig-ethische Vollzugseinheiten“ (ECN 1, 248) zu realisieren. Als Bedingung der Möglichkeit dieser Freiheit bzw. dieses Lebens gilt dabei dessen Erscheinung in Formen, welche zugleich durch das Bilden der symbolischen Formen zu formende Form sind:44 In der forma formans ist der Lebensvollzug als zu vollziehende Selbstbestimmung initiiert, der sich in der forma formata durchbestimmt (vgl. ECN 1, 18, 30; FuT, ECW 17, 142). Geistiges Leben als freier Vollzug kann sich überhaupt nur in Sinnformen bzw. Bedeutungsformen realisieren. Dort aber, 44
„[U]nd diese ‚Form‘ erschliesst sich eben nicht im bloss vegetativ-biologischen Dasein, noch in der biologischen Entwicklung – sondern im freien Thun – d. h. in der Schaffung der symbolischen Formen“ (ECN 1, 266).
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wie schon zitiert, in „Sinnformen, Bedeutungsformen […] stehen wir auf dem Boden der Freiheit.“ (ECN 1, 244) Leben ist folglich im strengen Sinne Freiheitsvollzug, „Akt des reinen Setzens“ (ECN 1, 244).45 Da aber das Bilden selbst Lebensvollzug ist, müssen die Formen, welche das Leben zu seiner Realisierung und Konkretisierung benötigt, selbst als Produkte bzw. Projektionen (vgl. ECN 1, 256) eben dieses erscheinenden Lebens aufgefasst werden:46 Das Bilden im Sinne der Objektivierung muss als ein freies Gestalten verstanden werden.47 Die Entfaltungsformen des Bildens, die Basisphänomene, sind insofern vom Leben selbst hervorgebrachte Bedingungen seiner eigenen Existenz. Nur in grundsätzlich ermöglichter Freiheit kommt es dazu, dass das Leben zur „Sehe“ (ECN 1, 28, 214; ECN 3, 249) wird,48 das Bilden in den Basisphänomenen konkresziert und sich konkretisiert, wodurch die symbolischen Formen erscheinen. Nur indem sich die Freiheit selbst bestimmt, kann es überhaupt zu Realität kommen. Leben erfasst sich als erscheinende Freiheit dabei selbst als metaphysische Setzung von Existenz überhaupt.49
3.2.3 Metaphysik des Lebens Es geht in der Metaphysik des Symbolischen insofern um die Bedingungen der Möglichkeit des Zielens auf objektive Freiheit als dem absoluten und sinnstiftenden Wert des Lebens. Es geht um den reinen Vollzug, der in immer erneuten Setzungen Sinnordnungen bzw. Forderungen zu realisieren trachtet und sich dadurch in einem unabschließbaren Prozess und deshalb verzeitet und in einer Sphäre, in der Freiheit auf Freiheit antworten kann, und in diesem Sinne interindividuell und interpersonal, objektiviert. 50 Leben als Freiheit konstituiert sich darin nur in Hinsicht auf sich ihm stellende „Aufgaben“ (ECN 1, 245). Aufgaben können als solche allein an eine Freiheit ergehen. Die Metaphysik des Symbolischen
45
Vgl. oben 2.1.2: Die wesentlich ethische Dimension der Kultur, 2.1.3: Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug. 46 Vgl. oben 2.2.5: Rückkunft des Bildens auf sich selbst als Existenzsetzung. 47 Im so systematisch begründeten Sinne kann Cassirer erst eigentlich von einer Distanzierung des Menschen von seiner Umwelt sprechen. „Diese Distanz vom unmittelbaren Dasein und vom unmittelbaren Erleben ist die Bedingung seiner Sichtbarkeit, seiner geistigen Bewußtheit“ (PSF I, ECW 11, 136). 48 Vgl. unten 4.2.1: Die Sehe als Reflex des Geistes. 49 Es bildet sich aus seinem Sollsein in die Existenz im Modus der Sphäre der Werte (mundus intelligibilis) und ineins in die Existenz im Modus des Leibes, der mit Körpern koexistiert (mundus sensibilis). 50 Vgl. unten 4.2.5: Leben, Basisphänomene, Kultur.
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ist insofern eine Reflexion der Freiheit; und eine solche Reflexion beansprucht natürlich als ein Verfahren, das zu philosophischer Erkenntnis führen soll, spezifische Reflexionsbegriffe. 51 Leben als solches ist also selbst das immer Aufgegebene, das Wertvolle, das Sollsein in der konkreten Existenz des Seienden überhaupt. Das Sollsein muss als solches freilich immer schon zumindest initial realisiert sein. Deshalb existiert das Leben als solches immer schon in jedem geistigen Vollzug als sich artikulierende „Ordnung des Sollens“ (ECN 5, 12) bzw. forma formans. Als solches kann es aber nur erfasst werden, wenn es als sich selbst in Freiheit ergreifend und in forma formata durchgestaltend eingesehen wird. Im freien Selbstvollzug des Lebens geht folglich mit seinem Wert, seinem Sollsein, immer schon zugleich das Sein dieser Forderung einher: Es ist ein Sollsein – und als solches ist es auf konkrete Realisierung im „Sinnlichen“ angewiesen. Hierin, so lässt sich anmerken, gründet auch zugleich die Differenz der beiden Dimensionen der SinnBeurteilung (vgl. ECN 3, 197), nämlich der „Ordnung des Geschehens“ (ECN 5, 12) (mundus sensibilis) und der „Ordnung des Sollens“ (mundus intelligibilis). Allerdings hat, wie sich nun zeigt, dabei die „Ordnung des Sollens“ die Priorität. In der Metaphysik des Symbolischen geht es dementsprechend darum, die „Totalität“ (ECN 1, 264) dieses die symbolischen Formen und damit die Bedingungen objektiver Realität hervorbringenden Lebens als Freiheitsvollzug einzusehen. Leben soll als die Selbstausfaltung des Geistes in die Konstitution von Möglichkeiten des freien Durchvollzugs – Anerkennen, Erwägen, Entscheiden, Behaupten – eingesehen werden. Das Urphänomen des Lebens muss dann aber in sich die Totalität an freien Handlungsalternativen vollziehen, aus denen (überhaupt) gewählt werden könnte und kann (bzw. in Hinsicht auf die symbolischen Formen, wie sie die kritische Phänomenologie thematisiert, hat gewählt werden können).
3.3 Der Blickpunkt metaphysischen Denkens Der Lebensbegriff von Cassirers Metaphysik des Symbolischen meint, so lassen sich die vorangehenden Überlegungen zusammenfassen, das Leben als Totalität aller möglichen Freiheitsakte überhaupt. Leben muss also gedacht werden als Selbstentfaltung in die, freilich als reale (weil objektivierbare) Möglichkeiten konzipierte, Mannigfaltigkeit möglicher 51
Vgl. unten 3.3: Der Blickpunkt metaphysischen Denkens, 4.1.2: Der dritte Weg zum System.
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Erscheinungsrealität überhaupt. Um sich diesem im Denken begrifflich anzunähern, muss das Leben als (komplexe) reine Relation gedacht werden, nämlich als eine sich selbst konstituierende Relation, welche die korrelierten Gegenstandsbereiche als solche erst in ihrer Möglichkeit als mögliche Alternativen für konkrete Entscheidungen und Behauptungen bzw. Handlungen (bezüglich der Praxis, aber genauso bezüglich theoretischer Urteile) hervorbringt. Deshalb müssen alle Begriffe der philosophischen Reflexion als Reflexionsbegriffe legitimiert werden. Diese müssen in Abhebung von den gegenstandslogischen, urteilskonstitutiven Begriffen konzipiert werden, um Freiheit als solche in den Blick zu bekommen – weil Freiheit als solche schließlich niemals gegenständlich sein kann. De facto steht damit die Metaphysik des Symbolischen in der Spannung zwischen Sein und Sollen. Sie steht in der Relation von Sinnlichkeit und Sinn bzw. an der Schnittstelle zwischen Wert (Wertsein, Geltung) und Verwirklichung (Werden): Die Metaphysik des Symbolischen, als Reflexion der Freiheit, ist in der Reflexion des Werdens zur Form (vgl. ECN 1, 15) sozusagen die Reflexion des Zur. Damit ist sie das von Cassirer schon in Kants Ansatz entdeckte Denken der reinen Relation. 52 Bei der reinen Relation bzw. dem ‚Zur‘ (als Name für das zu entdeckende wesentliche Verhältnis von forma formans und forma formata) handelt es sich im Ansatz des symbolischen Idealismus ebenfalls um einen Reflexionsbegriff. 53
52
Vgl. oben 1.1.1 Abriss ideengeschichtlicher Selbstverortung. Sofern es nämlich zugleich auch als „Wille zur Form“ (ECN 1, 18) angesehen werden muss, denn dieser Wille als solcher (der als konstitutiver, intelligibler Wille aufgefasst werden muss, vgl. oben 2.3.6: Formkonstitution durch intelligiblen Willensvollzugs, 4.1.1: Reflexion des intelligiblen Willens) erfasst sich immer nur als die Hinsicht auf die Form, in der er sich zu realisieren als solcher immer schon im Begriffe ist, und die Form als den Wert, der die Existenz dieses Willens als Zweck im Vollzug des Lebens auszeichnen kann. In der forma formata, in der solcher intelligible Willensvollzug sich als gebildet (und darin als sein Selbstbild) konzipiert, reflektiert sich insofern (immer schon) das Bilden als sich formierende Form bzw. als forma formans. Dieses notwendige Verhältnis wird im Bild der metaphysischen Reflexion als notwendiges Korrelat des Vollzugs der philosophischen Reflexion ausgewiesen. Mittels des Denkens der reinen Relation von forma formans und forma formata (die im notwendigen Verhältnis von forma formata zu forma formans aufgefasst wird) wird solcher Wille als sichformierendes Realisieren der beabzielten Form (die, sofern ihr der Formwert der Wahrheit anhaftet, zugleich den Grund der Rechenschaft des konkreten Lebensvollzugs gibt) konzipiert. Der Mittelpunkt jener reinen Relation ist mit dem Begriff des ‚Zur‘ in der Formel „Wille zur Form“ bzw. „Werden zur Form“ (ECN 1, 15) deutlich zum Ausdruck gebracht. 53
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3.3.1 Reflexionsbegriff e Im Sinne der Selbsterfassung der philosophischen Reflexion, wie sie in der Forderung nach Rechtfertigung impliziert ist, erweist sich immer schon eine Selbstanwendung des synthetischen Denkens, wie es mit dem Denken der reinen Relation postuliert wird, auf die Konzeption der Reflexionsbegriff e des symbolischen Idealismus als gefordert: Die Strukturen und Funktionen, die der Begriff im allgemeinen aufweist, beanspruchen ihre Geltung auch gegenüber den Reflexionsbegriffen, mittels derer sich der symbolische Idealismus aufbaut. Denn das Philosophieren ist als lebendiger Vollzug eine konstruktive, begriffliche Arbeit. 54 Diese zielt auf die reflexionsbegriffliche Darstellung eines universellen Begründungszusammenhangs: „Sie will den ganzen Kreis des ‚Weltverstehens‘ umfassen und die verschiedenen Potenzen, die geistigen Grundkräfte aufdecken, die in ihm zusammenwirken.“ (LSB, ECW 22, 228, Hervorhebung S.U.) Hier zeigt sich ein Kreisgang der methodischen Reflexion: Sofern die Darstellung und die Begründung der Begriffstheorie der Philosophie der symbolischen Formen selber als ein Moment des universellen Begründungszusammenhangs angesehen werden müssen, kommen stets Prinzipien zur methodischen Anwendung, die innerhalb dieses methodischen Programms selbst erst eigentlich expliziert und legitimiert werden sollen. Den Begriff des Relationsbegriffs fasst Cassirer nämlich für seine Philosophie ausdrücklich so weit, dass jede Form der Darstellung bzw. Manifestation von Sinn als dadurch bedingt verstanden werden muss. Der Reflexionsbegriff erweist sich damit als die Funktion, die immer schon voll in das Unterfangen der Aufklärung der Philosophie selbst investiert ist. Eine solche Reflexion ist aber ihrer Natur nach eine transzendentale Reflexion: „Eine wahrhaft ‚allgemeine‘ Logik kann sich daher nur auf einer ‚transzendentalen‘ Logik, d. h. auf einer Logik der Denkgegenstände erheben. Ihre Struktur, ihre Beschaffenheit, ihre wechselseitige Beziehung 54
Als solche gehört die Philosophie dem Geltungsbereich der symbolischen Form der wissenschaftlichen Erkenntnis an. Die Forderung einer reflektierten Selbstanwendung der postulierten Standards und Strukturen ist dabei zusätzlich insofern plausibel, als Cassirer immer wieder die Sprache als paradigmatisches Beispiel seiner Analysen heranzieht. An der Sprache lassen sich die Prinzipien des geistigen Lebens aufzeigen – diese Darstellung selber verfährt dabei aber unausweichlich sprachlich. Nicht, dass die Sprache das primäre ‚Objekt‘ der philosophischen Reflexion im Sinne des Gegenstandsbereiches wäre, von dem die kritische Rekonstruktion bei Cassirer immer wieder ihren Ausgangspunkt nimmt – hierzu zählen alle ausweisbaren, sachhaltigen Geltungsbereiche, wie auch der Mythos, die Kunst oder die Wissenschaft. Alle grundlegenden Strukturen und Funktionen (bzw. die diese fundierenden Prinzipien) des Symbolisierens überhaupt müssen schließlich in jedem Gegenstandsbereich exemplifi ziert sein.
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und ihre notwendige Verknüpfung gilt es zu erforschen.“ (TdB, ECW 17, 85) Die Durchführung des symbolischen Idealismus erfordert eine transzendentallogische Reflexion. Die spezifische Logik des symbolischen Idealismus ist eine transzendentallogische Lehre der Relationen. Die „Denkgegenstände“, also die Mittel der Reflexion, mit denen das Denken der reinen Relation gelingen soll, sind aber die Reflexionsbegriff e. 55 Es ist folglich ein Verfahren der philosophischen Reflexion auf transzendentallogischer Ebene als Denken der reinen Relation zu entwickeln. Schon aus diesem hier notwendig zu erhebenden Anspruch erhellt einiges bezüglich der Auffassung der „philosophischen Erkenntnis“ (ECN 1, 264), wie sie für den symbolischen Idealismus beansprucht werden muss. Denn das Philosophieren als lebendiger Vollzug zeigt sich hier als ein methodisch-kritisches Verfahren, welches sich selbst reflexiv in den Blick nimmt und an den eigenen Standards, die es erarbeitet, kritisch begrenzt und bemisst. 56 Philosophische Erkenntnis erweist sich in ihrem eigentlichen Wesen als die methodische Reflexion auf die Methode – sie erweist sich als Reflexion ihrer selbst. Insofern muss mit Blick auf das zu philosophischer Erkenntnis führende Verfahren der philosophischen Reflexion von einem sich selbst erhellenden Verfahren der methodischen Reflexion gesprochen werden. 57 Indessen gibt es freilich kein rein abstraktes, bloß formales Verfahren in der Philosophie. Dies ist genau einer der Punkte, auf denen Cassirer insistiert: Das begriffliche Denken der Philosophie richtet sich niemals auf die „von jedem gegenständlichen Gehalt und Sinn entleerte ‚Form‘ des Begriffs, sondern auf seinen ‚objektiven‘ Sinn und Wert, auf das worin dieser Sinn besteht und worin er sich begründet.“ (TdB, ECW 17, 86) Daraus folgt aber, dass für die philosophische Erkenntnis als „Selbsterkenntnis der Vernunft“ (ECN 1, 264) eine Einsicht in den sich selbst erstellenden Begriff als Selbstanschauung seiner selbst gefordert ist. Der Vollzug solcher philosophischer Erkenntnis kann keineswegs im Modus
55
Wenn hier von Mitteln der Reflexion die Rede ist, so ist dabei daran zu erinnern, dass das naive Bewusstsein nicht geradehin Vorstellungen von Mitteln haben kann. Vielmehr gewinnt das Bewusstsein den Zugang zu seinen Mitteln in „Abduktionen“ bzw. „abduktiven Schlüssen“, wie Hubig 2006, 107 ff., bes. 125 ff., in Anschluss an Hegel 1969, 383 ff. gezeigt hat; vgl. auch Hubig 2002. Die Spuren des Scheiterns in der Verwendung von Mitteln erlauben Rückschlüsse bzw. Abduktionen auf die objektive Zweckmäßigkeit von unter der Vorstellung subjektiver Zwecke zunächst konzeptueller Mittelhaftigkeit des jeweils herangezogenen Materials. 56 Vgl. Kants Bild vom Gerichtshof der Vernunft, Kant 1956a, 13 (KrV A xi). 57 So lässt sich auch die ganze Tradition der als bedeutungstheoretisch fundiert verstehbaren idealistischen Philosophie auffassen, in die sich Cassirers Ansatz einreiht (vgl. Recki 2004, 13). Vgl. zu dieser Traditionslinie Scheier 1973.
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von künstlicher Symbolik geformte bzw. im engeren Sinne symbolisch vermittelte Erkenntnis meinen: Dort befindet man sich immer schon im kleistschen Marionettentheater (vgl. PSF I, ECW 11, 46), hat die Synthesis immer schon ‚im Rücken‘. Dann muss aber auch, worauf noch einzugehen ist, die Geltung, zu der sich in der „letzten höchsten Einsicht“ zu „erheben“ (ECN 1, 271) ist, anders verstanden werden, als die jeweils formimmanenten Geltungskriterien, wie sie im Vollzug der kritischen Phänomenologie entdeckt werden. Hier ist, wie noch darzustellen ist, eine transformale Wahrheit als eigentliches Geltungskriterium des transzendentallogischen Denkens zu konzipieren. 58 Diese muss dann insbesondere auch für die Reflexionsbegriffe der Metaphysik des Symbolischen einschlägig sein. Die scheinbare Schwierigkeit von Cassirers Konzeption des Begriffs bzw. Relationsbegriffs und der für das Verfahren der philosophischen Reflexion einhergehenden Forderungen löst sich, sofern nicht aus dem Blick verloren wird, „daß hier keineswegs allein von der ‚Form‘ des Begriffs, sondern von seinem Erkenntniswert, von seinem objektiven ‚Sinn‘ und seiner gegenständlichen ‚Geltung‘ die Rede sein sollte“ (TdB, ECW 17, 85), und zwar insofern, als „der Primat des ‚Transzendentalen‘ vor dem bloß Formalen nicht angetastet wird“ (TdB, ECW 17, 87). Die Philosophie der symbolischen Formen versteht und positioniert sich darin grundlegend als „eine[] systematische[] ‚Bedeutungslehre‘“ (TdB, ECW 17, 84). Weil der symbolische Idealismus nun in allen Belangen, die eine Bedeutung haben, mit dem Primat der Bedeutung (vgl. ECN 1, 99) zugleich den Primat des Praktischen 59 anerkennt, so muss im Verfahren der philosophischen Reflexion das Augenmerk primär dem Verfahren als solchem gelten und nicht dem Konstrukt als solchem. 60 Natürlich, so muss möglichen Missverständnissen vorgebeugt werden, ist das Verfahren an keiner Stelle vom Konstrukt real trennbar. Deshalb kommt das Konstrukt in doppelter Hinsicht – allerdings mit sehr unterschiedlichen Akzenten hinsichtlich seiner Evidenz – in den Blick: Nämlich einerseits im Sinne des Primats des Transzendentalen innerhalb des Begründungszusammenhangs der philosophischen Erkenntnis im stren-
58
Vgl. oben 2.3.4: Wahrheit und Wirklichkeitsbezug, unten 3.5.6: Kritische Phänomenologie und transformale Wahrheit. 59 Vgl. Recki 2004, 13. 60 „Solange wir [die] Sinngebung lediglich in ihrem Ertrage betrachten, solange wir sie in ihrem Resultat aufgehen lassen, geht sie in gewissem Sinne auch immer wieder in diesem Resultat unter. […] Die Betrachtung richtet sich fortan nicht mehr ausschließlich auf das Erschlossene, sondern auf den Akt, auf die Art und Weise des Erschließens selbst“ (PSF III, ECW 13, 6).
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gen Sinne, der Auskunft erteilt über die Frage nach der Rechtfertigung bzw. erkenntniskritischen Legitimation des Konstruktes (vgl. TdB, ECW 17, 86 f.) – also die Frage des quid juris betreffend; andererseits hat dafür das Konstrukt immer schon als faktischer Ausgangspunkt der Reflexion, der im Modus der kritischen Phänomenologie im weiteren Sinne zu erschließen ist, in den Blick kommen müssen – und damit die grundlegende Frage des quid facti betreffend. Dieser Kreisgang der methodischen Reflexion beinhaltet folglich zwei aufeinander wechselseitig bezogene Momente: Einerseits den Sachverhalt, dass philosophische Begriffe bzw. Reflexionsbegriffe nur dann im rechten Licht erscheinen, wenn nicht darauf gesehen wird, was sie sind, sondern nur, wie sie hervorgehen. Es muss insofern auf das Verfahren der Konstruktion reflektiert werden; andererseits beinhaltet dies zugleich den Anspruch, dem Verfahren der begrifflichen Konstruktion immer schon die Prinzipien der ontologischen Strukturen entnehmen zu können, welche mittels dieser Begriffe durchschaut werden sollen. Cassirers transzendentale Begriffstheorie „strebt nicht zu einem formal Allgemeinen jenseits der Unterschiede der Gegenstandsstrukturen, sondern sie will die immanente Bedeutung, die innere Gliederung ebendieser Differenzen selbst aufweisen. Nur von dieser ihrer universellen Grundabsicht aus lassen sich auch alle einzelnen Aufstellungen über den ‚Begriff‘ und seine logische Funktion verstehen.“ (TdB, ECW 17, 86, Hervorhebungen S.U.) Was Cassirer als theoretische Absicht formuliert, zieht als Theorie, für die im symbolischen Idealismus Geltung beansprucht wird, gewichtige Konsequenzen nach sich. Vor allem lassen sich daraus normative Standards für eine philosophische Argumentation selbst bzw. für das Verständnis der Philosophie der symbolischen Formen im Ganzen gewinnen. Im Sinne der Selbstanwendung der Standards auf das diese Standards aufklärende Verfahren zeigt sich dabei, dass Cassirer in Hinsicht auf seine Methodologie ausdrücklich eine Begriffstheorie beansprucht, die als semantischer Pragmatismus umschrieben werden kann. 61 Alle verwendeten Reflexionsbegriffe haben entsprechend ihren Sinn niemals unabhängig von dem Verfahren bzw. dem Gebrauch, in dem sie zur Anwendung kommen. Vielmehr entscheidet über ihren Sinn und ihre Bedeutung allein ihre Funktion in den Urteilen, welche der symbolische Idealismus über seine eigenen Verfahren und Aussagen fällt. Das heißt nichts Geringeres, als dass eben das Verfahren, welches den Begriff hervorbringt, zugleich das Bedeutungsfeld (den Gegenstandbereich) erst generiert und zum Ausdruck und zur Dar61
Zum Begriff des semantischen Pragmatismus Brandom 2000.
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stellung bringt (vgl. ECN 2, 24), das mit dem entsprechenden Begriff gemeint ist. 62 Wenn aber die Metaphysik des Symbolischen dann doch mit einer Menge von Aussagen über das Leben, die Basisphänomene, das Bilden und das Bild, den Geist und den Sinn aufwartet, so muss doch immer wieder gefragt werden: Um was für einen Typ von Vorstellung soll es sich bei solchen Aussagen handeln? Es ist mithin das oben schon allgemein erörterte Problem, dass doch wieder mit faktischen Aussagevollzügen nichtsdestotrotz die Faktizität, das quid facti, überschritten werden soll hin zu einem rein ideellen Vollzug (bzw. Nachvollzug) des quid juris. Deshalb muss das gesamte komplexe System des durchgeführten symbolischen Idealismus ein System von reinen Reflexionsbegriffen sein. Darin allein wird die Darstellung rein ideeller Zusammenhänge realisiert. Sofern die rein systematischen Aussagen dabei den Anschein positiver Vorstellungen haben, müssen sie methodisch derart in sich konstruiert sein, dass ihre eigene Behauptung als Behauptung einer reinen Sinntranszendenz ihr Ansich als faktischen Vollzug zugleich negiert. Dies wurde oben für den Lebensbegriff exemplarisch gezeigt und durchgeführt. 63 Das bedeutet, dass die Metaphysik des Symbolischen, also die in der Durchführung des symbolischen Idealismus vorzunehmende Konstruktion des komplexen Systems als grundlegendem Begründungszusammenhang, nur rein reflexionsbegrifflich möglich und als selber zugleich systemkonstitutive Metareflexion zudem notwendig ist. Mit der Metapher gesprochen, die Fichte in genau diesem Sinne in der Wissenschaftslehre von 1804 verwendet, die Cassirer bekannt war: Alle Aussagen, Behauptungen bzw. Vorstellungen als solche sind im Sinne des die „philosophische Erkenntnis“ (ECN 1, 264) im strengen Sinne leitenden Interesses – und das ist für Cassirer die „Wahrheit schlechthin“ (PSF III, ECW 13, 327; vgl. ECN 1, 191 ff.), wozu unten noch mehr – nur jeweils als Leiter zu verstehen, die zur Evidenz der Geltung bzw. zur Wahrheit führt. Die Leiter wird aber erst als Leiter überblickt und erkannt, wenn man die höhere Ebene – die letzte höchste Einsicht (vgl. ECN 1, 271) erklommen hat. 64 Das, was 62
Vgl. LSB, ECW 22, 133 ff., wo Cassirer auf implizite Defi nitionen von Begriffen zu sprechen kommt und diese als ein aus der Geometrie stammendes Beispiel dafür anführt, dass Begriffe tatsächlich nur relativ zu einem Gesamtsystem, aber nicht ‚an sich‘, eine Bedeutung haben können, sich also wechselweise defi nieren können, ohne doch im Sinne einer vereinfachenden Identitätslogik ineinander zu fallen. 63 Vgl. oben 3.2: Der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen, bes. Leben als Thema philosophischer Reflexion. 64 Vgl. Fichte, 1971, SW 10, 187: „Noch heute, und noch länger werde ich frei heraufsteigen. Frei, sage ich, für Sie, indem ich vor dem Gebrauche die inneren Fundamente der Unterscheidungen, welche hier heraustreten werden, nicht angeben kann,
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sich hinter der Metapher dieser Leiter zugleich verbirgt und zeigt ist somit das Symbol für den rein ideellen Vollzug, den die philosophische Erkenntnis als Nachvollzug des rein geistigen Vollzugs anstrebt. Dies ist symbolischer Idealismus: Nicht, weil das Hauptthema die symbolischen Formen sind, sondern deshalb, weil jede Behauptung als Vorstellung eben nur symbolisch auf Vorstellungen referiert. Der Begriff des Bestandes innerhalb der faktischen Vorstellungen wird damit selbst zu einem höherstufigen Symbol: „Auch der Begriff des ‚Bestandes‘ ist [in diesem Zusammenhang und Sinne] nur ein Gleichnis!“ (ECN 1, 271) Reflexionsbegriffe fungieren nach Cassirers Auffassung ähnlich wie es Kant in der Kritik der reinen Vernunft darlegt. Nach Kant hat es die „Überlegung (reflexio)“65 auch nicht „mit den Gegenständen selbst zu tun, um geradezu von ihnen Begriffe zu bekommen, sondern ist der Zustand des Gemüts, in welchem wir uns zuerst dazu anschicken, um die subjektiven Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen wir zu Begriffen gelangen können“. 66 Reflexionsbegriffe in diesem Verständnis repräsentieren entsprechend das „Verhältnis[] gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkenntnisquellen, durch welche[] allein ihr Verhältnis unter einander richtig bestimmt werden kann“.67 Cassirer denkt die Reflexionsbegriffe ganz analog, wenn auch selbstverständlich nicht mit den aus der systematischen Architektur der Kritik der reinen Vernunft herrührenden Einschränkungen. Das, was die Reflexionsbegriffe meinen, sind nach Cassirer dementsprechend „keine absoluten Seinspotenzen mehr, sondern sie dienen der Bezeichnung bestimmter Bedeutungsdiff erenzen und Bedeutungsstrukturen.“ (PSF III, ECW 13, 11) Näherhin repräsentieren die Reflexionsbegriffe im symbolischen Idealismus das Verhältnis der mittels kritischer Phänomenologie zu erschließenden Faktizität zu den in der Reflexion der Metaphysik des Symbolischen gewonnenen Einsicht in die reine Vollzugsform des Lebens (Geist), indem dieselben Reflexionsbegriffe dabei zugleich erst den Begründungszusammenhang aufbauen, der solche Verhältnisse bzw. Zusammenhänge zu denken erlaubt. Weil es im symbolischen Idealismus mit Blick auf solche Diff erenzen und Strukturen aber gerade um diese Zusammenhänge
sondern sie erst durch den Gebrauch Ihnen bekannt machen muß; ungeachtet wohl eine feste Regel des Aufsteigens meinem Verfahren zu Grunde liegen dürfte. […] Mit einem Worte, diese Ansichten sind unsere dermaligen Leiter, bis wir zu ihrem Einheitsprincip kommen, und dann ihrer unmittelbar entbehren können.“ Ebd. 291: „Wer hinaufgekommen ist, der kümmert sich nicht weiter um die Leiter.“ 65 Kant 1956a, 285 (KrV A 260/B 316). 66 Kant 1956a, 285 (KrV A 260/B 316). 67 Kant 1956a, 285 (KrV A 260/B 316).
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selbst geht, die mit dem Denken der reinen Relation – dazu unten gleich mehr – aus sich selbst heraus verstanden werden sollen, treten Reflexionsbegriffe immer in notwendigen Zusammenhängen bzw. Korrelationen zu anderen Reflexionsbegriffen auf, ohne die sie nicht gedacht werden können (z. B. Leben und Sein, Leben und Geist, Bilden und Bild usw.) und die in dieser wechselseitigen Bezugnahme das jeweilige Feld der zu bezeichnenden Bedeutungsdifferenzen abstecken. Cassirers Reflexionsbegriffe lassen sich als solche eben nur im Begründungszusammenhang des symbolischen Idealismus konzipieren. Als Beispiele, die allerdings mehr für die Applikationen der Methode der kritischen Phänomenologie von großer Bedeutung sind, führt Cassirer die Begriffe von ‚Stoff‘ und ‚Form‘ ins Feld. Diese werden im Denken des symbolischen Idealismus „zu reinen Reflexionsbegriff en“ (PSF III, ECW 13, 11), sofern sie nämlich nur noch „Glieder einer methodischen Opposition [darstellen], die zugleich methodische Korrelation ist.“ (PSF III, ECW 13, 11) „Die methodische Relativierung des Gegensatzes hat zur Folge, daß sich die Bedeutung der beiden Gegenglieder je nach dem geistigen Bezugssystem, das wir zugrunde legen, wandelt.“ (PSF III, ECW 13, 11) Das geistige Bezugssystem ist aber selbst erst der in der Durchführung des Reflexionsvollzugs des symbolischen Idealismus zu entfaltende Begründungszusammenhang. 68 Für die inhaltliche Reflexion im Modus der kritischen Phänomenologie (im weiteren Sinne) wird eine regulative Idee vorausgesetzt, für die eine faktische Gültigkeit unabhängig von der sich entfaltenden philosophischen Methode plausibel gemacht werden können muss. 69 Als diese regulative Idee tritt die Vorstellung der Kultur als sich in konkreten historischen Zusammenhängen entfaltende Sinnverwirklichungen ein, die in ihrer faktisch ausgewiesenen Plausibilität keine leere Vorstellung ist. Aber auch und gerade im Hinblick auf diese regulative Idee ist natürlich letztlich zu fragen, ob sie zu Recht so angesetzt wurde. Es ist das quid juris auch dieses Begriffs, seine Rechtmäßigkeit bzw. Legitimität aufzuweisen. Dies kann aber nur geschehen, indem die ideellen Bedingungen der Möglichkeit der konkreten Existenz von Sinnzusammenhängen aufgewiesen werden. Dies können empirische Begriffe jedoch nicht leisten, deshalb muss sich die philosophische Reflexion ihre für sie spezifischen Reflexionsbegriffe erschaffen (mittels denen sie sich selbst konstituiert), welche
68
Zur Problematik, insbes. zu sprachphilosophischen Aspekten, der Reflexionsbegriffe vgl. Hubig 2006, 229 ff., Gutmann/Weingarten 1996, Janich 2001, bes. 149– 155 69 Vgl. 2.1.2: Die wesentlich ethische Dimension der Kultur.
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von ihrem Geltungsanspruch her immer schon auf eine ideelle Sinnebene jenseits der für das empirische Denken notwendigen – und deshalb von der Philosophie der symbolischen Formen zu begründenden – begrifflichen Entgegensetzungen verweisen. Die Durchführung der synthetischen Sichtweise des symbolischen Idealismus mittels der Ableitung der Reflexionsbegriffe besteht folglich in dieser Hinsicht gleichsam in einer sich entfaltenden Sinnerfüllung der regulativen Idee der Kultur, indem die apriorischen Bedingungen der Möglichkeit der Existenz von Kultur als objektivem Geist aus dem Prinzip des geistigen Lebens – und somit aus dem Prinzip der Erscheinung von Sinn – entwickelt werden. 70 Auch der Philosophiebegriff des symbolischen Idealismus muss als ein Reflexionsbegriff verstanden werden – dessen Sinn sich folglich erst in der Entdeckung seiner eigenen Strukturen vollständig zeigt. Diese Strukturen finden sich aber nur mitlaufend in der Darstellung der begrifflichen Zusammenhänge, welche den eigentlichen Begründungszusammenhang ergeben, den der symbolische Idealismus darstellt. Das heißt, auch für die Aufgabe der philosophischen Reflexion, den ihr selbst impliziten Begriff von Philosophie zu thematisieren, kann natürlich der Rahmen der Reflexionsbegriffe, welche sich im Zusammenhang eines komplexen Systems entfalten, nicht verlassen werden. Es gilt damit zugleich, dass sowohl die methodologische als auch die inhaltliche Ebene als Ganzes eine übergeordnete und damit Einheit im Sinne von Zusammenhang stiftende Einsicht benötigt.
3.3.2 Denken der reinen Relation Cassirer sieht in „einer endgültigen Klärung der Natur der Relationsbegriffe“ (LSB, ECW 22, 116) nicht nur ein aktuelles Problem der zeitgenössischen, sondern vor allem eine Hauptaufgabe seiner eigenen Philosophie. Es geht Cassirer aber nicht um die aristotelische Kategorie der Relation, welche aus der Sicht des symbolischen Idealismus immer nur ein post hoc darstellt. Cassirer spricht ausdrücklich von „reinen Relationsbegriffe[n]“ (LSB, ECW 22, 129), die es zu reflektieren gilt. 71 Die Philosophie der symbolischen Formen insgesamt sei letztlich sogar nichts anderes als die systematische Erweiterung und Vertiefung der Lehre der reinen Relationsbegriffe
70 71
Vgl. insbes. unten 4.2.5: Leben, Basisphänomene, Kultur. Vgl. Schmitz 2006, 134 ff.
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(vgl. LSB, ECW 22, 132). 72 Das Denken des symbolischen Idealismus versteht sich insofern dann zu Recht als Denken der reinen Relation, gerade so, wie Cassirer das von Kant inaugurierte transzendentale Denken charakterisiert (vgl. CPPP, SMC, 52). 73 Dass die Theorie der Relationsbegriffe ein notwendiges Implikat des Philosophieverständnisses des symbolischen Idealismus ist, zeigt sich ex negativo daran, welche alternativen philosophischen Konzeptionen Cassirer ausdrücklich ablehnt. Er wendet sich einerseits gegen jede Form von Metaphysik der absoluten Substanz, worin er besonders Hegels Philosophie mitmeint, andererseits gegen die Metaphysik des Empirismus bzw. Positivismus. Die erstere Position „muß entweder mit dem Grundbegriff des absoluten Daseins vollen begrifflichen Ernst machen, womit alle Relationen sich zu verflüchtigen, alle Vielheit des Raumes, der Zeit, der Kausalität sich in bloßen Schein aufzulösen droht“. Die Gegenposition dazu „muß diese Beziehungen, indem sie sie anerkennt, als ein bloß Äußeres und Zufälliges, als ein schlechthin ‚Akzidentelles‘, zum Sein hinzutreten lassen.“ (PSF I, ECW 11, 30) Das Denken der reinen Relation soll dagegen Beziehungen in ihrem Wesen als Relation in den Blick bringen. Es kann dabei also nicht sein, dass von verschiedenen Gegenständen oder Gegenstandsbereichen im weitesten Sinne ausgegangen wird, zu denen dann eine Relation im Sinne einer akzidentellen Bestimmung hinzuerschlossen bzw. hinzupostuliert wird. „Jeder Relationsbegriff ist freilich ‚eins und vieles‘, ist ‚einfach‘ und ‚doppelt‘. Er ist eine eigentümliche Sinneinheit und Sinnganzheit, die sich in relativ selbständige, deutlich voneinander unterscheidbare Teile gliedert.“ (LSB, ECW 22, 116)74 Im Kontext der Philosophie der symbolischen Formen ist freilich auch von der symbolischen Relation die Rede. 75 Für den Symbolbegriff im All72
Vgl. ECN 3, 234: „Die ‚Logik der symbolischen Formen‘ ist weder Logik der Naturerkenntnis, noch ist sie Logik der historischen Erkenntnis – sie ist ‚autonom‘ gegenüber beiden, sie ist ‚sui generis‘ und ‚sui juris‘.“ Das heißt: Die Logik der symbolischen Formen im engeren Sinne ist (als transzendentale Logik, vgl. unten 3.4.2) sowohl von der Logik der Naturwissenschaften als auch von der Logik der Kulturwissenschaften verschieden bzw. zu unterscheiden. Um letztere bemüht sich Cassirer u. a. in den Texten in ECN 5 sowie in LKW, ECW 24, woran sich zugleich zeigt, dass er damit nicht Philosophie der symbolischen Formen als solche, also rein philosophische Reflexion im Modus des symbolischen Idealismus zu treiben beansprucht, nämlich im Sinne der Reflexion in ihrer Zweistufigkeit von kritischer Phänomenologie (im weiteren Sinne) und Metaphysik des Symbolischen. 73 Vgl. oben 1.1.1: Abriss ideengeschichtlicher Selbstverortung. 74 Vgl. Schürmann 1994. 75 Womit zugleich mehr auf den Aspekt des Ausdrucks im Sinne der kritischen Phänomenologie, sofern dieser als sich gebend erlebt wird, abgestellt werden kann.
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gemeinen ist entsprechend zu beachten, „daß [dieser] überhaupt kein ‚einfacher‘ Begriff ist, der einen scharf bestimmten, eindeutigen Sachverhalt darstellt und beschreibt. Bei näherer Analyse stellt es sich vielmehr heraus, daß wir es hier mit einem Begriff zu tun haben, der sich aus zwei verschiedenen Momenten aufbaut, von denen nichtsdestoweniger behauptet werde, daß sie miteinander unlöslich verbunden seien, daß sie nur in Korrelation zueinander gedacht werden könnten.“ (LSB, ECW 22, 116) Soll eine – jeweils als bestimmte zu erlebende – Relation nicht aus ihren Relata und mithin bloß akzidentell gedacht werden, so muss es gelingen, „daß man sich in den Mittelpunkt jener symbolischen Relation [als solcher] zurückversetzt.“ (PSF III, ECW 13, 116) Aus diesem „Mittelpunkt“ müssen die Relata zugleich als hervorgehend eingesehen werden: Die Einheit der verschiedenen Momente, soll der Begriff als Relationsbegriff gedacht werden, darf nicht als akzidentell oder bloß nachträglich zu diesen Momenten hinzutretend gedacht werden. „Die analytische Logik der reinen Identität hat sich damit zu einer synthetischen Logik erweitert, in deren Mittelpunkt die Frage nach der möglichen Verbindung, der Relation und Korrelation des Verschiedenen steht.“ (LSB, ECW 22, 206) Die reine Relation muss insofern betrachtet werden „als hervorgehend aus je einer ursprünglichen und spezifischen Weise der Sinngebung, die selbst erst eine Welt des Sinnhaften, ein gegliedertes Ganze[s] von Merkmalen schaff t und ermöglicht.“ (TdB, ECW 17, 91, Hervorhebung S. U.) Für Cassirer kristallisiert sich damit die Grundstruktur des Symbolbegriffs in der Konzeption von Relationsbegriffen76 , die „so geartet [sind], daß die einfache und einheitliche Regel, die in ihnen gesetzt ist, zugleich auf eine Mannigfaltigkeit führt, die den Bedingungen dieser Regel gemäss ist. Die Elemente dieser Mannigfaltigkeit bestehen nicht vor und ausserhalb der Relation; sondern sie werden als solche erst durch diese letztere bestimmt und als Elemente gegen einander abgegrenzt. Was wir in diesem Kreise einen einzelnen ‚Gegenstand‘, einen selbständigen Inhalt des Denkens nennen, das verdankt eben diese Besonderheit und inhaltliche Selbständigkeit nur der allgemeinen Beziehung, in die es gefasst ist. Darin aber liegt unmittelbar, daß, so oft es gelingt, in dem ursprünglich-gesetzten System neue Beziehungen aufzu76
Dass sich Cassirers prägnanteste Defi nition des Terminus ‚Relationsbegriff‘ im Zusammenhang seiner Diskussion der mathematischen Synthesis fi ndet (ECN 2, 71 f.), ist dabei keineswegs ein Zufall. Vielmehr versteht er sogar ausdrücklich seine Philosophie der symbolischen Formen als eine konstruktive Erweiterung seiner im Ausgang vom Paradigma der Mathematik und der mathematischen Naturwissenschaft entwickelten Theorie des Begriffs, welche er in ‚Substanzbegriff und Funktionsbegriff ‘ gegeben hat (vgl. TdB, ECW 17, 84). Vgl. Cappeillères 1996 u. 1997; Grube 2000, 63 ff.
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weisen, damit zugleich ein neues Reich von ‚Gegenständen‘ sich erschliesst.“ (ECN 2, 71 f.) Cassirer greift hier mit dem Begriff der Regel die Konzeption der règle se faisante (vgl. ECN 3, 254) auf, die sich bereits im Zusammenhang der anthropologischen Überlegungen herausgestellt hat als Bedingung der autonomen Selbstbestimmung des freien Vollzugs der geistigen Existenz. 77 Mit der Einführung des Konzepts der reinen Relation beansprucht Cassirer einen Denkvollzug, der über ein bloß analytisches Verfahren hinausgeht. Versetzt sich die philosophische Reflexion nämlich in den „Mittelpunkt“ (PSF III, ECW 13, 116) einer reinen Relation, so handelt es sich dabei bereits um einen in sich komplexen Denkvollzug: Dieser muss sich selbst als Bild einer in sich gegliederten Einheit bilden. 78 Das Denken der reinen Relation ist wesentlich ein synthetisches Denken. Die Konzeption der reinen Relationsbegriffe ermöglicht letztlich den Übergang zum geforderten synthetischen Blickpunkt (vgl. CIPC, SMC, 90) des systematischen Begründungszusammenhangs, den der symbolische Idealismus zu geben beansprucht. Die Möglichkeit einer Reflexion der Relation bildet damit in der Tat die begriffstheoretische Voraussetzung von Cassirers synthetischem Denken und damit des symbolischen Idealismus insgesamt. Reine Relationen müssen in der Selbstformierung des Reflexionsvollzugs als unmittelbares Bild einer in sich gegliederten Einheit zugleich als solche Einheit konzipiert werden. Sie werden folglich in Reflexionsbegriffen erfasst, die in der Rekonstruktion des Prinzips einer sich entfaltenden Mannigfaltigkeit an Möglichkeiten der Sinngebung in Einheit dieser gemeinten, nämlich der sich entfaltenden, Mannigfaltigkeit in der Reflexion erzeugt werden. Die Einheit ist dabei in Hinsicht auf das Hervorgehen der Mannigfaltigkeit aus dieser Einheit selbst konzipiert. 79 Erst aus diesem Verständnis von Cassirers Theorie der reinen Relationen lässt sich das Verfahren der philosophischen Reflexion und der immanente Begründungszusammenhang des symbolischen Idealismus erfassen.
77
Vgl. oben 2.1.3: Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug. Zu den Begriffen von Bilden und Bild vgl. oben 2.3.2: Bilden und Auseinandersetzung. 79 Hier zeigt sich auch ‚Einheit‘ als Reflexionsbegriff und zwar deshalb, weil in oben stehender doppelter Rede von der Einheit der für das philosophische Sprechen spezifische (und mit dem geforderten Denken der reinen Relation eben zugleich notwendige) Sprachebenenwechsel zum Ausdruck kommt: Das Denken der Einheit (bzw. sprachlich: die Rede von Einheit) ist selbst etwas Gegebenes, aber als solches zugleich immer nur Artikulation eines reinen Sollens bzw. Sollseins (vgl. dazu oben 3.2.3: Metaphysik des Lebens). 78
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3.4 Philosophische Erkenntnis Mit der Ansprucherhebung auf Geltung der dargestellten Theorie der reinen Relation sowie der Reflexionsbegriffe hat sich zugleich angedeutet, wie sich die im Sinne der Metaphysik des Symbolischen behauptende philosophische Erkenntnis (vgl. ECN 1, 264 f.) verstehen muss. Wenn diese nämlich die verschiedenen „Modalitäten“ (ECN 1, 264) der Sinngebung jeweils „als eigentümliche symbolische Formen“ (ECN 1, 264) verstehen soll, ohne dass sie dabei „eine prinzipiell neue Symbolform [schafft]“ bzw. eine „neue schöpferische Modalität [begründet]“ (ECN 1, 264), dann muss sie einen eigenen „Blickpunkt“ (ECN 2, 24), muss sie ein aus sich selbst zu legitimierendes Verfahren der Reflexion darstellen: Im Denken der reinen Relation muss sich die philosophische Reflexion in den Mittelpunkt80 zwischen die Gesichtspunkte der Einheit und der Mannigfaltigkeit stellen, um deren Einheit zu denken. Sie muss also einerseits rekonstruktiv verfahren, und dabei von der phänomenalen Mannigfaltigkeit als ihrem terminus a quo ausgehen. Andererseits muss sie zugleich in der Selbstkonzeption ihres Verfahrens als einheitliche, systematische Reflexion auf den synthetischen Blickpunkt (CIPC, SMC, 90) abzielen, um solche Einheit konzipieren zu können, aus der die Mannigfaltigkeit als hervorgehend und insofern als ihr terminus ad quem gedacht werden kann.
3.4.1 Nachvollzug des geistigen Vollzugs Als systematischer Stellvertreter der ursprünglichen Konstruktion von Mannigfaltigkeit überhaupt als der im Prinzip gedachten Totalität der Alternativen des Selbstvollzugs der Freiheit wurde der metaphysische Lebensbegriff ausgemacht. 81 Der im Modus der kritischen Phänomenologie methodisch objektivierende Blick auf dieses Leben fordert das rekonstruktive bzw. analytische Verfahren. Sofern aber Leben als Erscheinung bzw. Selbstoffenbarung des Geistes gedacht werden muss, wobei Geist hier als absoluter, in sich gegliederter Einheitspunkt jeglichen Lebensvollzugs (als äén diafð e rómenon/ eaytÖ)82 angesetzt ist, konzipiert sich die philosophische Reflexion zugleich notwendig als synthetisches Verfahren. Obgleich nun aber der Vollzug der philosophischen Reflexion als lebendiger Vollzug freilich selbst immer Vollzug des geistigen Lebens ist, ist 80 81 82
Vgl. oben 3.3.2: Denken der reinen Relation. Vgl. oben 3.2.2: Leben und Freiheit, 3.2.3: Metaphysik des Lebens. Vgl. oben 2.1.5: Das Wesen der Menschheit: äén diafðerómenon/ eaytÖ.
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die philosophische Reflexion als willentlich initiierter, methodischer Vollzug nicht das Leben (in seiner Totalität) selbst. Die philosophische Reflexion lebt aber in dem Selbstverständnis, im Bild ihrer Selbst, als das sie sich in Absicht der Rechenschaftsablegung83 selbst konzipiert als methodische Reflexion auf ihr eigenes Verfahren, das unmittelbare Bild des Urphänomens des Lebens als Erscheinung der in sich reflexiven Vollzugsstruktur des Geistes zu bilden. Philosophieren in diesem höchsten systematischen Sinne ist folglich konstruktiv verfahrende Rekonstruktion des geistigen Lebensvollzugs selbst: Philosophische Erkenntnis ist, kurz gesagt, Nachvollzug des (Prinzips) geistigen Vollzugs. Die These, dass philosophische Erkenntnis der Nachvollzug des geistigen Vollzugs sei, kann sich auf inhaltlicher Ebene bewähren, indem die Rekonstruktion – der Nachvollzug – der logischen Stufen der Entfaltung des Geistes durchgeführt wird. Kultur, bzw. der sich in konkreten historischen Zusammenhängen realisierende Sinn, tritt dabei als regulative Idee ein. 84 Ausgehend von der methodischen Ebene der kritischen Phänomenologie hat sich diese regulative Idee als fundierende, implizite Norm der Selbstentfaltung des Geistes erwiesen: Kultur ist nichts anderes als der Vollzug der Selbstentfaltung des geistigen Prinzips (vgl. ECN 1, 269), der in prinzipieller Hinsicht immer vollständig ist, denn das „lebendige Gewebe des Geistes […] ist in sich ganz und geschlossen“ (ECN 1, 6).
3.4.2 Transzendentale Logik Die philosophische Erkenntnis im Modus der Metaphysik des Symbolischen beansprucht freilich, gerade nicht eine eigene symbolische Form zu begründen, sondern – sofern es ihr schließlich um Wissen im strengen Sinne geht – im Rahmen der symbolischen Form des wissenschaftlichen Denkens zu verbleiben. Andererseits leugnet sie die absolute Gültigkeit der formalen (analytischen) Logik bzw. der Identitätslogik. Sie beansprucht eine transzendentale Logik der reinen Relationen. Widersprüchlichkeit bzw. Inkonsistenz würde aber jeden Anspruch auf gerechtfertigtes Wissen zunichte machen. Widerspruchsfreiheit bleibt die oberste Direktive und nichthintergehbare Norm des Denkens, welche nur zum Preis der Selbstaufhebung des (überhaupt) sinnvollen Denkens verabschiedet werden kann. Auch und gerade die Entscheidung zum Philosophieren beinhaltet die „apriorische Forderung der Klarheit, der Wider83 84
Vgl. oben 1.1.4: Transzendentalphilosophie als systematische Position. Vgl. oben 2.1.2: Die wesentlich ethische Dimension der Kultur.
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spruchslosigkeit und der Eindeutigkeit der Beschreibung“ (PSF I, ECW 11, 4). Der bloße Formalismus von Logik, Konsistenz und Kohärenz ist aber für die philosophische Reflexion im Modus des symbolischen Idealismus nicht ausreichend. Und darin zeigt sich sogleich der Ausweg aus einer nur scheinbaren Paradoxie, denn es geht eben nicht nur um eine Selbstanwendung logischer Standards auf eine formale Argumentation, sondern es geht im exemplarischen Sinne um die Frage der Geltung schlechthin (vgl. ECN 1, 271). Der „Blickpunkt“ (ECN 2, 24) der philosophischen Reflexion im „Mittelpunkt“ (PSF III, ECW 13, 116) zwischen Einheit und Mannigfaltigkeit kommt damit – wie es hier zur Verdeutlichung auch formuliert werden kann – als Reflexion der Selbstmitteilung von Geltung an den Lebensvollzug in den Blick. Das heißt aber, dass die philosophische Reflexion im Bestreben, Rechenschaft von sich selbst abzulegen, das geistige bzw. nur rein ideell konzipierbare Verhältnis von Geltung und Leben einsehen muss, um dann berechtigterweise das geistige Leben in seiner Selbstentfaltung darstellen zu können. Es ist erst die Darstellung der Selbstentfaltung des geistigen Lebens aber, was die Frage beantwortet nach dem quid juris hinsichtlich der durch die kritische Phänomenologie erschlossenen Vollzugsstrukturen des Lebens, wie Bilden und Auseinandersetzung, ideelle Ordnung und Forderung. Insofern soll die philosophische Reflexion also in den Mittelpunkt zwischen Geltung und Leben blicken, denn sie muss unmittelbar den geistigen Vollzug nachvollziehen, der im Leben doch Mittler von Geltung und Leben ist. Dadurch erst gelingt es ihr, legitimerweise die Einheit von Geist und Leben als geistigem Leben zu denken, das sich in Bezogenheitsstruktur der Basisphänomene, den repräsentationalen Strukturen der natürlichen Symbolik und durch die darin ermöglichten Freiheitsvollzüge manifestiert; diese konkretisieren sich an der Empirie im eigentlichen Sinne in der konkreten Geschichtlichkeit der geistigen Existenz des animal symbolicum in den künstlichen Symboliken seines symbolischen Universum. 85 Der Begriff des geistigen Lebens bzw. der Begriff der Einheit von Leben und Geist ist folglich der Ausgangspunkt des Nachvollzugs der Selbstentfaltung des Geistes, das heißt Ausgangspunkt für die geforderte Darstellung der Reflexionsbegriffe des symbolischen Idealismus. 86 Der symbolische Idealismus, welcher als wissenschaftlicher Denkvollzug freilich an die Normen der analytischen Logik – Widerspruchsfreiheit, Konsistenz, Kohärenz – gebunden bleibt, kann sich selbst also nicht 85
Vgl. unten 4.2.3: Leben als Bestimmbarkeit und Bestimmung, 4.2.5: Leben, Basisphänomene, Kultur. 86 Vgl. unten 4.2.1: Die Sehe als Reflex des Geistes.
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nur mit den formalen Mitteln objektivierender Wissenschaft aufbauen. Mittels seiner Reflexionsbegriffe beansprucht er vielmehr, sich in jedem Argument ideell in den Vollzug des geistigen Lebens zu versetzen, um so das Bilden als solches – und damit rein ideell die Totalität der Symbolfunktion – in seinem Vollzug in den Blick zu bekommen. Indem sich der symbolische Idealismus mittels seiner Reflexionsbegriffe also vom „Zwang der Symbolik“ (ECN 1, 265) zu befreien strebt, ist er deshalb immer schon auf produktive Weise über die rein objektiven Geltungskriterien der formalen Logik hinaus: „Weiter als bis zur unbedingten Geltung einer Wahrheit reicht die Logik [nämlich] nicht; weil eben Geltung und Relation [in akzidentellen Sinne] die einzigen Kategorien sind, über welche sie verfügt. Am Ende erscheinen ihr immer nur wieder diese Kategorien (diese ‚Symbole‘) selbst in objektiver Gestalt.“ (ECN 1, 270) Mit „Kategorien“ (ECN 1, 5, 270) sind hier aber diejenigen Begriffe gemeint, mit denen die formale Logik als Wissenschaft bzw., in jeweils spezifischen „Modalitäten der Sinngebung“ (PSF III, ECW 13, 230), jedes symbolische Weltverstehen hantiert bzw. operiert, ohne dass sie diese auf Grund ihres wesentlich objektivierenden Blickes selbst thematisieren könnte. Es erfordert vielmehr den Blickpunkt der transzendentalen Logik, um die Vollzugsvoraussetzungen kategorialen Denkens zu thematisieren. Innerhalb der formalen Logik werden die Kategorien nicht begründet, weil eine über die Unterscheidung von Metasprache und Objektsprache hinausgehende Differenzierung – wobei für beide Ebenen die Geltung der Kategorien gleichermaßen faktisch vorausgesetzt wird – nicht möglich ist. Die formale bzw. analytische Logik erscheint dem symbolischen Idealismus insofern als eine, wenn auch nicht im strengen Sinne empirische, so doch positive Wissenschaft. „Wie diese Metaphysik – in unserer Auffassung – alle vorhergehenden Symbolstufen (Sprache, Mythos, Kunst, Wissenschaft) zugleich begreift und begründet und auf der anderen Stufe doch auch wieder relativiert, – das tritt am deutlichsten vielleicht an ihrer Stellung zum Logischen hervor.“ (ECN 1, 269) Die analytische Logik wird vom Blickpunkt des symbolischen Idealismus aus gesehen relativiert und tritt somit erst in aller Klarheit als die symbolische Form des wissenschaftlichen Denkens im engeren Sinne heraus. Mit Blick auf die symbolischen Formen insgesamt relativiert die transzendentale Logik damit – worauf schon hingewiesen wurde – den Begriff des Bestandes, welcher der kritischen Phänomenologie als notwendig gültiger Anteil der Erscheinung im Modus der symbolischen Formen erscheint (vgl. ECN 1, 271). Freilich ist der Begriff der Geltung, der damit in relationale Pluralität gesetzt und relativiert wird, sorgfältig abzuheben
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von dem Begriff der Geltung, zu dem sich die philosophische Reflexion in der „letzten höchsten Einsicht“ dann doch wieder „erheben“ (ECN 1, 271) muss. Für diesen Begriff der Geltung ist – wie bereits im Zusammenhang der Erörterung der Reflexionsbegriffe betont – im Rahmen der Rechenschaftsablegung der philosophischen Erkenntnis der zum Zwecke der Interpretation einzuführende Begriff der transformalen Wahrheit zu entwickeln, der sich von jeglichem formimmanenten Geltungskriterium absetzt. 87 Die transformale Wahrheit ist das Prinzip der Geltung der transzendentalen Logik, und sie kann nur im Lebensvollzug der philosophischen Erkenntnis erreicht werden.
3.4.3 Kritik und Erfüllung Auf der Grundlage dieser Überlegungen lässt sich nun Cassirers mitunter als rätselhaft88 empfundene Charakterisierung der philosophischen Erkenntnis deuten. „Die Philosophie“, so Cassirer, „ist zugleich Kritik u. Erfüllung der symbolischen Formen.“ (ECN 1, 265) Sie ist als solche, heißt das zugleich, selbst keine symbolische Form im Sinne der kritischen Phänomenologie, sie „begründet nicht eine prinzipiell neue Symbolform, begründet in diesem Sinne keine neue schöpferische Modalität – aber sie begreift die früheren Modalitäten als das, was sie sind: als eigentümliche symbolische Formen.“ (ECN 1, 264) Ist die Philosophie der symbolischen Formen dann eine Philosophie auf dem Wege, ein Philosophieren im Zwischen?89 Mit Blick auf die methodologischen Voraussetzungen muss dazu gesagt werden, dass dies offenbar ein gegenstandslogisches und damit ein unangemessenes – weil den eigentümlichen Sinn grundlegend verfehlendes – Denken der symbolischen Formen impliziert. Der Weg dieses Denkens, so sieht es jedenfalls aus, müsste doch in einem Ort verlaufen, der durch Gegebenes charakterisiert sein müsste. Die symbolischen Formen als geistige Energien sind aber nichts Gegebenes, sondern die Weisen des Gebens. Dennoch lässt sich dieser Ansicht etwas abgewinnen, versetzt man die Metapher des Zwischen in den transzendentallogischen Begriffsraum des symbolischen Idealismus. Denn die „Philosophie will nun nicht an Stelle der alten Formen eine andere, höhere Form setzen, […] sondern ihre Aufgabe besteht im Durchschauen des symbolischen Grundcharakters der Erkenntnis selbst.“ (ECN 1, 265) Aber nur und gerade 87 88 89
Vgl. unten 3.5: Metaphysische Reflexion. Vgl. Recki 2004, 46. Vgl. z. B. Schwemmer 1997, 62 ff.
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dadurch, dass die Philosophie alle schöpferischen Modalitäten des Geistes als symbolische Formen begreift, so Cassirer, ist sie „zugleich Kritik u. Erfüllung der symbolischen Formen.“ (ECN 1, 265) Kritik ist die philosophische Reflexion grundlegend im Sinne der sich an Kant anschließenden kritischen Philosophie bzw. des in den symbolischen Idealismus transformierten kritischen Idealismus. Mit Cassirers Terminologie lässt sich das prägnant und in Anspielung auf sein methodologisches Vorbild Kant so formulieren: Der Philosophie der symbolischen Formen geht es nicht so wohl um historische Kulturgestalten und damit um das faktische symbolische Universum, sondern um die symbolischen Formen, besser gesagt um die Symbolisierungsweisen, die Art und Weise der jeweils möglichen spezifischen Selbstentfaltung des Geistes.90 Diese Selbstentfaltungen sind immer konkret weiter bestimmte, und darin empirisch mitbestimmte, Funktionen des Symbolisierens. Sie sind als im Prinzip freie Hervorbringungen von Sinn zu denkende Lebensvollzüge. Aus diesem Verständnis müssen Cassirers weiterführende Bestimmungen der Idee der „Kritik“ gelesen und der Ausdruck „Kritik u. Erfüllung“ als Ausdruck des Selbstbegriffs verstanden werden, den der symbolische Idealismus, wenn er sich konsequent denkt, von sich haben muss. Die philosophische Reflexion soll nämlich zu einer, wie Cassirer sie nennt, „ ,adaequaten‘ Erkenntnis“ (ECN 1, 265) gelangen.91 Darin erst realisiert sich philosophische Erkenntnis im eigentlichen Sinne. Das „Durchschauen des symbolischen Grundcharakters der Erkenntnis“ (ECN 1, 265) vollzieht sich in einer „rein ‚symbolischen‘ (‚sinnhaften‘) Betrachtung“ (ECN 1, 243), wobei die entscheidende, bedeutungstragende Komponente in dieser Behauptung im Attribut „rein“ liegt. Das Abstellen auf reine Erkenntnis, die sich als solche nur ideell vom „Zwang der Symbolik“ (ECN 1, 265) befreit, ermöglicht das Hinausstreben „über die Sinnbildlichkeit des ‚Zeichens‘“ und damit den Vollzug einer Erkenntnis, die „auf ‚Elimination‘ des Zeichens u. auf Gewinn der zeichenlosen ‚adaequaten‘ Erkenntnis geht.“ (ECN 1, 265) 90
Vgl. die Defi nition der transzendentalen Erkenntnis in Kant 1956a, 63 (KrV A 12/B 25): „Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht so wohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt.“ 91 Natürlich darf die von Cassirer hier beanspruchte Adäquation nicht als Übereinstimmung zweier verschiedener Seiender gedacht werden (als Adäquation von Etwas mit etwas Anderem), sondern als unmittelbare Übereinstimmung mit sich selbst. Die Adäquations-Relation ist auch hier nicht akzidentell zu denken, sondern als reine Relation (vgl. oben 3.3.2), wobei die gemeinte Adäquation im „Mittelpunkt“ (PSF III, ECW 13, 116) ihrer selbst aufzufi nden ist.
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Der Vollzug dieser „zeichenlosen, adäquaten Erkenntnis“ kann freilich nichts anderes sein als ein reiner Anschauungsvollzug, in dem in der Selbstanschauung des Reflexionsvollzugs das Bild des Vollzugs des sich entfaltenden Selbstbezugs des Lebens erscheint. Zeichenlose Erkenntnis kann nur einen unmittelbaren Anschauungsvollzug der geistigen Selbstanschauung meinen. Dieser Reflexionsvollzug ist noch in der Folge als metaphysische Reflexion zu bestimmen und durchzuführen.92 Dass Cassirer jedenfalls diesen Begriff von philosophischer Erkenntnis hat, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass ein wichtiger erläuternder Satz, den Cassirer der oben zitierten Behauptung folgen lässt, seine systematische Bedeutung nicht nur behält, sondern sogar die Grunddifferenz des Reflexionsvollzugs hervortreten lässt, obwohl – oder gerade weil – ein bedeutungtragendes Wort im Manuskript, wie die Herausgeber vermerken, zweifelhaft in der Lesart ist. Der Behauptung, die Philosophie sei „Kritik und Erfüllung“, lässt Cassirer die Erläuterung folgen: Sie sei „Kritik: weil sie sich gegen den transzendenten ‚Gegenstand‘ wendet; weil sie sich als aktiven geistigen Aufbau der Wirklichkeit begreift, nicht als hinzielend auf ein äußeres ‚Absolutes‘“ (ECN 1, 265). Im zweiten Teilsatz dieser Aussage, der sich auf den „Aufbau der Wirklichkeit“ bezieht, kann das dritte Wort im Manuskript offensichtlich einerseits als „sie“, andererseits aber auch als „sich“ gelesen werden (vgl. ECN 1, 265). Es kann gezeigt werden, dass beide Lesarten sinnvoll sind: Die erste im Sinne der philosophischen Reflexion im Modus der analytischen kritischen Phänomenologie, die andere im Sinne der philosophischen Reflexion im Modus der synthetischen Metaphysik des Symbolischen. Dass der symbolische Idealismus sich „gegen den transzendenten ‚Gegenstand‘ wendet“, ist selbstverständlich (vgl. ECN 1, 249). Auch dass er nicht auf ein „äußeres ‚Absolutes‘“ hinzielen will und kann, ist damit begründet, dass eine Erklärung der Bedingungen der Möglichkeit der Realisation von Sinn nicht aus ontologischen Überlegungen, sondern nur im Hinblick auf die Prinzipien der Erscheinung des geistigen Lebens gegeben werden kann.93 Zwei Punkte verdienen aber gesonderte Aufmerksamkeit: Erstens die Behauptung des Hinausstrebens über „die Sinnbildlichkeit des ‚Zeichens‘“ mit dem Ziel einer „‚adäquaten‘ Erkenntnis“; zweitens die Behauptung des „aktiven geistigen Aufbau[s] der Wirklichkeit“. Es sind jedenfalls zwei mögliche Lesarten eröffnet, erstens die phänomenologische, zweitens die metaphysische.
92 93
Vgl. unten 3.5: Metaphysik des Symbolischen. Vgl. oben 3.1: Vom quid facti zum quid juris.
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Die phänomenologische Lesart Liest man den genannten Satz als die Behauptung, dass die philosophische Erkenntnis Kritik und Erfüllung der symbolischen Formen sei, „weil sie sie als aktiven geistigen Aufbau der Wirklichkeit begreift“ (ECN 1, 265, 1. Hervorhebung S.U.), dann bezieht sich das hervorgehobene „sie“ auf die „symbolischen Formen“ im vorhergehenden Satz („Die Philosophie ist zugleich Kritik u. Erfüllung der symbolischen Formen.“). Das ist natürlich eine absolut zutreffende Aussage, denn genau dies macht die kritische Phänomenologie: Sie begreift die symbolischen Formen als Energien des Geistes (vgl. PSF I, ECW 11, 7), welche die Wirklichkeit des animal symbolicum – also sein symbolisches Universum, in und mit dem ihm die Welt gegeben ist – konstituieren bzw. aufbauen. Der zweite Teil des Zitates, der mit „u.“ angefügt ist („u. weil sie über die Sinnbildlichkeit des ‚Zeichens‘ hinausstrebt“), kann dann zugleich so gelesen werden, dass er eine Aussage darüber macht, was „Erfüllung“ der symbolischen Formen bedeuten soll: So wie die symbolischen Formen sich nämlich als ein jeweils spezifischer Modus der Sinnerfüllung bzw. des Verweisens auf Sinn durch die Sinnlichkeit darstellen, wäre das philosophische Denken ein analytisches Verfahren, in dem auf eine Rekonstruktion der Bedingungen der Möglichkeit der Manifestation von Sinn in der konkreten Entfaltung und Entwicklung von Sinnzusammenhängen gezielt wird. Das philosophische Denken in diesem analytischen Sinne erkennt als kritische Phänomenologie im weiteren Sinne die künstlichen Symboliken, in denen allein dem Menschen als animal symbolicum Welt und darin er selbst erscheint, als solche und transzendiert sie hin auf die natürliche Symbolik94 sowie die Basisphänomene,95 als der grundlegenden Vollzugsstruktur der Funktion des Symbolisierens bzw. des Bildens und Auseinandersetzens (als Grundform der symbolischen Formen) sowie des geistigen Lebens (als Basisphänomene). „Die Philosophie ist zugleich Kritik u. Erfüllung der symbolischen Formen. Kritik: weil sie sich gegen den transzendenten ‚Gegenstand‘ wendet; weil sie sie als aktiven geistigen Aufbau der Wirklichkeit begreift, nicht als hinzielend auf ein äußeres ‚Absolutes‘ u. weil sie über die Sinnbildlichkeit des ‚Zeichens‘ hinausstrebt, auf ‚Elimination‘ des Zeichens u. auf Gewinn der zeichenlosen ‚adaequaten‘ Erkenntnis geht.“ (ECN 1, 265) 94 95
Vgl. oben 2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik. Vgl. oben 2.2.1: Die Basisphänomene: Die Bedingung der Freiheit.
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Die Ausführungen im Hauptabschnitt 2 der vorliegenden Arbeit (Kritische Phänomenologie) verfahren exemplarisch in diesem Sinne.
Die metaphysische Lesart Liest man stattdessen ein „sich“, so bezieht sich die Behauptung nicht auf die „symbolischen Formen“ im vorhergehenden Satz, sondern auf „Philosophie“: „Die Philosophie ist zugleich Kritik u. Erfüllung der symbolischen Formen.“ Dann ist die Philosophie als Kritik aufzufassen, „weil sie sich als aktiven geistigen Aufbau der Wirklichkeit begreift“ (ECN 1, 265, 1. Hervorhebung S.U.). In dieser Lesart scheint sich aber die Philosophie selbst als Aufbau der Wirklichkeit verstehen zu müssen. Sie ist dann insofern als Kritik zu verstehen, weil sie in diesem ihrem (wie gesehen: immer nachvollziehenden) Aufbau nicht auf die von den symbolischen Formen jeweils gebildeten Welten (ein „äußeres ‚Absolutes‘“ und die „Sinnbildlichkeit des ‚Zeichens‘“) abzielt, sondern auf die reine Vollzugsform der Symbolfunktion bzw. des Bildens und ihrer Voraussetzungen und Bedingungen der Möglichkeit. Entsprechend erkennt die Philosophie, dass die eigentliche Wirklichkeit die symbolischen Formen als Vollzugsformen des geistigen Lebens sind bzw. eben Vollzugsformen, in denen der Geist sich selbst als geistige Energie anschaut bzw. sich selbst offenbar wird.96 Die Philosophie ist dann insofern als geistiger Aufbau der Wirklichkeit zu begreifen, als sie den geistigen Vollzug, der die Basisphänomene als die Bedingungen der Möglichkeit sinnhafter Verweisungsstrukturen und somit von Wirklichkeit überhaupt konstituiert, verstehend nachvollzieht – also in Schritten, die der Logik des geistigen Selbstvollzugs folgend die Selbstentfaltung des geistigen Lebens nachvollziehen. Der zweite mit „u.“ angehängte Teilsatz im Zitat bezieht sich dann auf die Elimination der „Zeichen“ und zwar insofern, als hier von den „Zeichen“ abgesehen werden soll, die innerhalb der spezifischen symbolischen Formen, d. h. in der künstlichen Symbolik, als spezifische Werke gebildet werden und das Sein als jeweils spezifisches, als mythisches, sprachliches, wissenschaftliches, künstlerisches, zur Erscheinung kommen lassen. Vom Werk als jeweiligen Mittel zur Konstellierung und Gestaltung der Objektivität (indem das Werk ursprünglich eine „Projektion“ (ECN 96
Anschauen (als Sich-selbst-offenbar-Werden) ist hier, um es deutlich zu machen, nicht als bloßes Anschauen von etwas zu verstehen (und in diesem Sinne als Moment der bloßen Theoria), sondern als das Korrelat zum Herstellen (Poiesis) dessen, was angeschaut wird. Dem hier gemeinten Reflexionsbegriff des Anschauens nähert sich Cassirers Begriff der Kontemplation (vgl. ECN 1, 167, 188, 190 ff.).
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1, 256) der Energie des Geistes ist) soll abgesehen werden – das bedeutet hier „Elimination des Zeichens“: Es soll der Selbstvollzug des geistigen Lebens rein in den Blick genommen werden. Es geht dann der Philosophie nicht um das – notwendige, aber jeweils spezifische – objektive Korrelat der symbolischen Formen, also das Werk in seiner, jenseits der Möglichkeiten rein philosophischen Verstehens liegenden, jeweils spezifischen empirischen Kontingenz, sondern nur um das Ganze der symbolischen Formung als rein ideell konzipierter „Totalität“ (ECN 1, 264) des Geistes. Philosophie ist dann zu verstehen im Sinne von Nachvollzug der Bedingungen der Möglichkeit als „Erfüllung“ im Sinne von verstehender Durchdringung der Grundform des geistigen Vollzugs und insofern der natürlich nur in konkreten historischen Zusammenhängen vermittelten symbolischen Formen. Dies entspricht nun aber genau dem Verständnis der philosophischen Reflexion im synthetischen Sinne der Metaphysik des Symbolischen. „Die Philosophie ist zugleich Kritik u. Erfüllung der symbolischen Formen. Kritik: weil sie sich gegen den transzendenten ‚Gegenstand‘ wendet; weil sie sich als aktiven geistigen Aufbau der Wirklichkeit begreift, nicht als hinzielend auf ein äußeres ‚Absolutes‘ u. weil sie über die Sinnbildlichkeit des ‚Zeichens‘ hinausstrebt, auf ‚Elimination‘ des Zeichens u. auf Gewinn der zeichenlosen ‚adaequaten‘ Erkenntnis geht“ (ECN 1, 265). Die Ausführungen im Hauptabschnitt 3 (Metaphysik des Symbolischen) und besonders 4 (Durchführung der synthetischen Sichtweise) der vorliegenden Arbeit verfahren exemplarisch in diesem Sinne.
3.4.4 Befreiung vom Zwang der Symbolik Der im zweiten, nämlich metaphysischen Sinne verstandene Reflexionsvollzug ist zunächst ein paradox anmutendes Postulat. Denn offensichtlich erhebt ein solches philosophisches Denken den Anspruch, über jede konkrete Versinnlichung, über jede Verkörperlichung hinausgehen zu können. Paradox erscheint die Forderung, über die faktische Gebundenheit des geistigen Vollzugs diesen auf seinen rein ideellen Horizont hin zu überschreiten, auf Grund der Voraussetzung der Philosophie der symbolischen Formen, dass aller Sinn sich nur in Versinnlichung und Verkörperlichung realisieren kann.97 Die sich vollziehende Freiheit muss sich als solche schließlich einer Regel unterwerfen und dabei ist die Durchbe97
Vgl. oben 2.1.2: Die wesentlich ethische Dimension der Kultur.
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stimmung in natürlicher und künstlicher Symbolik notwendige Bedingung der Möglichkeit der Realisierung von Freiheitsvollzug überhaupt.98 Insofern kann Cassirer von einem „Zwang der Symbolik“ sprechen: „Ein solcher Zwang ist mit jeder Anwendung einer positiven Form, einer positiven ‚Sprache‘ verbunden.“ (ECN 1, 265) „Sprache“ ist in diesem Zusammenhang als Platzhalter für symbolische Form überhaupt zu verstehen. Natürlich hat also auch die Philosophie als rein sinnhafte Betrachtung den faktischen Zwang, sich einer Sprache zu bedienen, und zwar sogar im engeren Sinne einer begrifflichen, wissenschaftlichen Sprache. Würde nämlich das philosophische Denken davon absehen wollen, positive Formen zur Anwendung zu bringen bzw. sich selbst als Vollzug an bestimmten Werken bzw. Zeichen abzusetzen, so würde sie gar nichts zum Ausdruck bzw. zur Darstellung bringen. Eine totale Abstraktion von der Kontingenz führt zu einer völligen Selbstaufhebung. Das heißt aber prägnanterweise: Nur in der Überwindung dieses (scheinbaren) Paradoxons kann es gelingen, sich zur „letzten höchsten Einsicht [zu] erheben“ (ECN 1, 271). Freilich kommt man dabei de facto nicht aus den symbolischen Formen des sprachlich vermittelten und wissenschaftlichen Denkens heraus. De jure aber muss ein Denken reiner, also gerade nicht empirischsinnlich vermittelter Sinnzusammenhänge erreicht werden. Dazu generiert der symbolische Idealismus seine eigenen Reflexionsbegriffe, welche sich charakteristisch von allen möglichen empirischen Begriffen unterscheiden. Um den für die metaphysische Reflexion erhobenen Anspruch auf eine Selbstüberschreitung des Denkens hin zu einem Denken reiner Sinnzusammenhänge vorläufig bzw. nur provisorisch zu rechtfertigen, verweist Cassirer auf die Tendenz zur Selbstüberschreitung, die jeder symbolischen Form eigen sei: „Diese Tendenz ist eingeleitet in den einzelnen Symbolformen selbst. Sie alle wenden sich im Fortschritt gegen das eigene ‚Zeichensystem‘ selbst – so Religion gegen Mythos, Erkenntnis gegen Sprache, wissenschaftlicher Ursachenbegriff gegen sinnlich-anthropomorph-mythischen Ursachenbegriff etc.“ (ECN 1, 265). Freilich geschieht auf der Ebene der symbolischen Formen die Überschreitung eines „Zeichensystems“ nur mittels der gleichzeitigen (sukzessiven) Substituierung und gegebenenfalls (totalen) Ersetzung durch ein neues oder anderes „Zeichensystem“. Natürlich ist zudem ersichtlich, dass diesem Postulat auf inhaltlicher Ebene Funktionszusammenhänge entsprechen müssen, die eine innere Dynamik der symbolischen Formen, damit eine Begründung der Verzeitung des Geistes in seiner Selbstentfaltung und somit 98
Vgl. oben 2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik.
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auch eine Grundlegung von historischer Zeit zur Geltung bringen, was wiederum die Grundlage der Theorie der Geschichtlichkeit innerhalb des symbolischen Idealismus liefert.99 Die Tendenz zur Selbstüberschreitung begründet auch die jeder symbolischen Form wesentliche „Dialektik“ (ECN 1, 266100), die als solche auch ermöglicht, dass ein Prozess einer (ideellen) „Metamorphose“ (BAG, ECW 16, 79) der Formen in Gang kommen kann. Hier interessieren allerdings nur die rein methodologischen Implikationen der Möglichkeit solcher Selbstüberschreitung. Der philosophischen Reflexion eröffnet sich dadurch nämlich die postulierte Möglichkeit, sich mittels ihrer spezifischen Reflexionsbegriffe über den Zwang der Symbolik, also über die faktische Unentrinnbarkeit aus den positiven Formen (und damit den empiriehaltigen Begriffen) zu erheben, um so Rechtmäßigkeit – das quid juris – ihres eigenen Vollzugs zu beanspruchen. „Lösen können wir uns von diesen Formen nicht, obwohl uns der Drang dazu an- und eingeboren ist […], aber wir können und müssen ihn in seiner relativen Notwendigkeit begreifen und einsehen.“ (ECN 1, 265) Cassirer geht es mit Blick auf die Legitimation der philosophischen als einer „zeichenlosen, ‚adaequaten‘ Erkenntnis“ nicht einfach darum, die symbolischen Formen als solche einzusehen, sondern genauer den „Drang“, „uns“ von diesen zu „lösen“ (ECN 1, 265). Vom Zwang der Symbolik befreit sich die philosophische Erkenntnis dabei ideell, indem sie das „Umschlagen“ des „Lebens“ in den „Geist“, wie Cassirer an anderer Stelle in kritischem Anschluss an biologistische Überlegungen formuliert (vgl. ECN 1, 250), zu ihrer eigenen Maxime macht. Die dergestalt initiierte Reflexion ist als metaphysische Reflexion noch zu entwickeln;101 genau diese führt jedenfalls zur Ermöglichung der „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) (nämlich als Evidenzerlebnis) der philosophischen Erkenntnis. Insofern wird Philosophieren im Sinne von „Kritik u. Erfüllung“ dann verstanden als eine Selbstüberschreitung der Faktizität hin auf die reine Aktualität des Geistes in seinem Selbstvollzug. Das Bestreben der philosophischen Reflexion, die Tendenz zur Selbstüberwindung der symbolischen Formen sich gleichsam zur Maxime ihres eigenen Vollzugs zu machen, führt auf die Anschauung der prinzipiellen „Totalität“ (ECN 1, 264) des Lebens einerseits und darin auf die Einsicht in die Vollständigkeit der Prinzipien der Selbstentfaltung
99
Vgl. Stipp 2003. Vgl. das Beispiel der „Dialektik des mythischen Bewusstseins“, PSF II, ECW 12, 275 ff. 101 Vgl. unten 3.5: Metaphysische Reflexion. 100
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des Geistes andererseits (in den Basisphänomenen und in der natürlichen Symbolik). Das Problem der Vollständigkeit der Auflistung der symbolischen Formen wird damit freilich nicht berührt, weil diese als Gebilde der Freiheit in der Kontingenz nur in einem unabschließbaren, objektiven Prozess erscheinen.102 Zugleich gilt nämlich – als bleibende Folgerung aus der Voraussetzung des symbolischen Idealismus, dass es nur versinnlichten Sinn gibt – dass empirische Anschauung nur Konkretes, Vereinzeltes betreffen, also wesentlich nicht die konkret-reale Totalität des symbolischen Universums in den Blick nehmen kann. „Wir können [den Zwang aber] nicht überwinden, indem wir die Hülle der Symbolformen von uns werfen und nun das ‚Absolute‘ von Angesicht zu Angesicht schauen, sondern nur indem wir jedes Symbol [gemeint ist hier: jede symbolische Form] an seiner [bzw. ihrer] Stelle begreifen u. es [bzw. sie] durch andere als begrenzt u. bedingt erkennen.“ (ECN 1, 265)103 Es muss also das sich aus der Einheit des Geistes in seiner Selbstoffenbarung entfaltende Gefüge an reinen Relationen nachvollzogen werden, um das jeweilige Verhältnis aller notwendigen Bestimmungsstücke des geistigen Lebens zu begreifen. „Das ‚Absolute‘ ist“, wie bereits im Zusammenhang der Entwicklung der Theorie der Reflexionsbegriffe gezeigt,104 „immer nur das vollständige, das durchgeführte u. systematisch überschaute Relative – u. besonders die Absolutheit des Geistes will u. kann nichts anderes sein.“ (ECN 1, 265) Nur der Selbstvollzug der philosophischen Erkenntnis mittels der entsprechenden Reflexionsbegriffe, die sich dabei als Bilder dieses Relationsgefüges (vgl. PSF III, ECW 13, 367) erweisen, kann eine solche systematische Gesamtschau des immer Relativen, weil immer relativ zueinander Realisierten, möglich machen. Der Gesamtzusammenhang, der als „Absolutes“ der Philosophie mittels der Reflexionsbegriffe in den Blick kommt, ist als systematische Architektonik der Reflexionsbegriffe in der Durchführung der synthetischen Sichtweise des symbolischen Idealismus105 dann das Bild der reinen geistigen Tätigkeit, welche durchschaut wird in der Gesetzmäßigkeit ihrer Selbstentfaltung und den Bedingungen ihrer Selbstdifferenzierung in ihre grundlegenden Bezogenheitsformen (Basisphänomene) und im Hinblick auf die Notwendigkeit der Durchbestimmung in verschiedene (mögliche) 102
Vgl. unten 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk. Insofern Cassirer hier die Idee des Relationsgefüges (vgl. PSF III, ECW 13, 367) der überhaupt möglichen symbolischen Formen in den Blick nimmt und damit in seinem Sinne die „Absolutheit des Geistes“ (ECN 1, 265) thematisiert, überwindet er die klassische Leitdifferenz ‚absolut-relativ‘. 104 Vgl. oben 3.3.1: Reflexionsbegriffe. 105 Vgl. unten 4: Durchführung der synthetischen Sichtweise. 103
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symbolische Formen. Nur so kann dann auch die prinzipielle mögliche Stelle jeder symbolischen Form innerhalb dieses Gesamtzusammenhanges verstanden werden. Denn das Ganze geht seinen Momenten immer voran: Die Momente des sich in sich differenzierenden geistigen Lebens lassen sich de jure nur aus der „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) in die prinzipielle „Totalität“ (ECN 1, 264) des Lebens verstehen. Die Aktualität des Geistes ist nichts anderes als das, was jeder in einem Werk bzw. Zeichen sich manifestierenden symbolischen Form als Tendenz zur Selbstüberschreitung zum reinen Sinn hin eignet. Die geistige Tätigkeit ist als Bilden das Prinzip der Erscheinung bzw. Manifestation von Sinn. Es ist diese ideale Bewegung des Geistes als Selbstbewegung, welche in der „zeichenlosen, ‚adaequaten‘ Erkenntnis“ (ECN 1, 265) eingesehen werden soll. „Die ‚Adaequation‘ betrifft hier nicht den Gegenstand, sondern den Prozess der Bewegung selbst.“ (ECN 1, 264) – „Das ist die einzig mögliche ideelle Befreiung vom Zwang der Symbolik.“ (ECN 1, 265, erste Hervorhebung von S.U.)
3.5 Metaphysische Reflexion Das Verstehen der „Weltanschauung des ‚symbolischen Idealismus‘“ (ECN 1, 261) fordert vom philosophierenden Subjekt, die Einsichten nachzuvollziehen, die jene als ideelles Korrelat ihrer Reflexionsbegriffe in ihrem Gesamtzusammenhang zur Geltung bringt. Versetzt man sich freiwillentlich reflektierend in den Blickpunkt des symbolischen Idealismus, so muss man den entsprechenden Behauptungen desselben Geltung als Erkenntnisse zusprechen. Der Entschluss, den Blickpunkt der Reflexion einzunehmen, ist aber selbst ein Akt der Freiheit. Als Selbstbestimmung, den Blickpunkt des symbolischen Idealismus durchzuführen, unterstellt sich das geistige Leben dieser selbst gegebenen Regel und damit einer (selbst) bedingten Notwendigkeit. Die dabei vom philosophierenden Subjekt initiierte Entfaltung der methodischen Reflexion stellt insofern den Willen zur Realisierung einer Forderung (vgl. SuF, ECW 6, 290) bzw. den Willen zum Lösen einer Aufgabe (vgl. ECN 1, 245; auch ECN 1, 212) dar: Philosophieren ist in seiner an die schöpferische Subjektivität des philosophierenden Individuums gebundenen Faktizität selbst „Wille zur Form“ (ECN 1, 18).106 Das geistige Leben vollzieht sich beim Philosophieren deshalb in seiner Grundform wie jede Energie des Geistes. Die Energien des Geistes 106
Vgl. oben 2.3.6: Formkonstitution durch intelligiblen Willensvollzug.
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vollziehen sich in der „Auseinandersetzung“ (PSF II, ECW 12, 182; PSF III, ECW 13, 44; ECN 3, 199; LSB, ECW 22, 118107) als die Realisierung der als Forderung eintretenden ideellen Ordnung (vgl. ECN 6, 345108) der jeweiligen geistig-ethischen Vollzugseinheiten (vgl. ECN 1, 248), indem sie als die Realisierungen der in den Lebensvollzügen hervorgebrachten Sinnverknüpfungen109 erscheinen. Der materiale Gehalt der entsprechenden Forderung lässt sich im Anschluss an die Begriffsdarlegung der kritischen Phänomenologie jeweils im Blick auf die Empirie als terminus a quo der Rekonstruktion aufgreifen. Empirie ist dabei charakteristischerweise in dem weitesten Sinne zu verstehen, der zum Beispiel ggf. auch naturwissenschaftliche Theorien oder beispielsweise geisteswissenschaftliche Darlegungen, die den Sinn bestimmter mythischer Riten verstehen wollen, mit umfasst. Denn die kritische Phänomenologie will mit ihrem begrifflichen Instrumentarium den Bedeutungs- und damit Weltgehalt jeder symbolischen Form verstehen. Dazu muss sie die durch spezifische Modalitäten der Sinngebung symbolisch prägnanten Verhaltungsweisen zur Welt analysieren. Jeglicher überhaupt denkbare Inhalt (Bedeutungs- bzw. Weltgehalt) muss aber im Bilden angeschaut werden können. Dem als Bedeutungsprägnanz projizierten (vgl. ECN 1, 256) Anschauungsgehalt wird im Anschauungsvollzug die repräsentationale Struktur des formspezifischen Bildens objektiv aufgeprägt (vgl. PSF I, ECW 11, 46). In diesem Anschauungsvollzug erscheint deshalb das Materiale des jeweiligen geistigen Lebensvollzugs, indem der Geist als Prinzip des Bildens in seinem Selbstvollzug auf bestimmte ideelle Ordnungen bzw. auf die Realisierung bestimmter, geistig-ethischer Vollzugseinheit zielt. Das begriffliche Instrumentarium der kritischen Phänomenologie konzipiert in ihrem analytischen, rekonstruktiven Herangehen dabei das jeweilige materiale Sosein bestimmter Sinnverknüpfungen, indem es dieses als die sinnliche Seite bestimmter Forderungen, Sinn zu verwirklichen, auffasst. Die Geltung entsprechender Forderungen wird in dieser Reflexion als faktisch evident vorausgesetzt.110 Der Vollzug der philosophischen Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen dagegen richtet sich „auf Gewinn der zeichenlosen, ‚adaequaten‘ Erkenntnis“ (ECN 1, 265) und nicht, wie die kritische Phänomenologie bezüglich der symbolischen Formen in ihrem „aktiven geis107
Vgl. oben 2.3.2: Bilden und Auseinandersetzung. Vgl. oben 2.3.5: Ideelle Ordnung und Forderung. 109 Vgl. oben 2.1.3: Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug. 110 Die Reflexion braucht hier, frei nach Nagel 1999 formuliert, für ihre Selbstkonstitution immer ein letztes Wort. 108
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tigen Aufbau der Wirklichkeit“ (ECN 1, 265), auf den Geltungsvollzug hinsichtlich der stets durch kulturelle Medien bzw. Werke geformten, historisch kontingenten Materialität der Realität: Der Vollzug der philosophischen Reflexion (vgl. ECN 1, 208) im Modus der Metaphysik des Symbolischen richtet sich insofern auf den Geltungsvollzug hinsichtlich der Erkenntnis als Erkenntnis. Aus der methodologischen Selbstkonzeption der philosophischen Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen folgt die Notwendigkeit einer Konzeption von Geltung, die „der Geist in seiner Objektivierung, d. h. in seiner Selbstoffenbarung“ (PSF I, ECW 11, 7) sich selbst als sein Gebilde zuzusprechen als aufgefordert erscheint. Der rein philosophische Erkenntnisvollzug erscheint sich nämlich selbst als aufgefordert, Geltung zuzuerkennen der Behauptung der faktischen Notwendigkeit der jeweils formimmanenten Geltungen und allen zu ihrer Darstellung benötigten Reflexionsbegriffen, und zwar zu Recht zuzuerkennen. Der philosophische Erkenntnisvollzug im Modus der Metaphysik des Symbolischen muss mithin von sich selbst Rechenschaft ablegen, indem er sich der Frage stellt, ob den faktisch notwendigen Postulaten formimmanenter Geltungen Geltung zugesprochen werden soll. Denn dieser philosophische Erkenntnisvollzug im Modus der Metaphysik des Symbolischen ist nichts anderes, als das „Durchschauen“ (ECN 1, 265) seines eigenen, spezifischen Charakters als Erkenntnis und darin Erkenntnis des Erkennens. Dieser Charakter ist der Ausdruck des immanenten Selbstverständnisses der „Weltanschauung des ‚symbolischen Idealismus‘“ (ECN 1, 261). Der Vollzug der philosophischen Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen richtet sich also nicht sowohl auf das Sollsein der jeweiligen symbolischen Realitätsentwürfe, sondern auf das Sollsein der Geltung seines eigenen Vollzugs111 als unmittelbares Bild des geistigen Vollzugs. Damit mündet also die Forderung nach Begründung der begrifflichen Mittel und Behauptungen der kritischen Phänomenologie notwendig in die Forderung nach der Selbstbegründung der philosophischen Reflexion überhaupt, insofern sie Erkenntnis beansprucht und darin die Erkenntnis der Erkenntnis als Erkenntnis. Dies kann nur durch Ausweisen ihres Rechenschaftsgrundes in seiner eigenen Bewährung gelingen. Das philosophisch reflektierende Subjekt bzw. der solches leistende Reflexionsvollzug entscheidet sich folglich, sich selbst als ein transformaler 111
In diesem Zusammenhang wird explizit noch einmal auf die Formel angespielt, in der Kant den Ausdruck „transzendental“ defi niert. Vgl. Kant 1956a, 63 (KrV A 12/ B 25).
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Lebensvollzug konzipieren zu müssen, wie nun zur Verdeutlichung und Cassirers terminologisches Repertoire überschreitend formuliert werden kann. Dieser transformale Lebensvollzug ist es, der hier als metaphysischer Reflexionsvollzug bezeichnet wird in Anschluss an Cassirers Verortung der Überlegungen bezüglich des Selbstverständnisses der philosophischen Erkenntnis in seiner Metaphysik des Symbolischen. Die Geltungsidee, welche die metaphysische Reflexion dabei zugleich als Bewährungsgrund ihrer eigenen Legitimität konzipiert, wird als transformale Wahrheitskonzeption bezeichnet in Parallelisierung zum Ausdruck ‚transformaler Lebensvollzug‘.112 Dadurch wird zugleich angezeigt, dass es sich um die jegliches faktische Geltungspostulat bewährende Idee der Geltung handelt, die in der letzten, höchsten Einsicht eingesehen werden soll. Es folgt insbesondere, dass die Selbstrechtfertigung der philosophischen Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen, in diesem Sinne also in der metaphysischen Reflexion, zugleich den Legitimationsgrund des Zusprechens von Geltung bezüglich der faktischen Postulate des symbolischen Idealismus ins Licht rückt. Aus der Konzeption dieses Legitimationsgrundes der philosophischen Erkenntnis lässt sich deswegen der Begründungzusammenhang als rechtmäßig behauptet erweisen, in welchem den Reflexionsbegriffen ihre jeweilige Funktion und Bedeutung hierarchisch und wechselseitig in ihrem Gesamtzusammenhang zugewiesen wird. Die Entwicklung dieses Begründungszusammenhangs, der die Grundstruktur der relationsbegrifflich gedachten Einheitsgesichtspunkte der Selbstoffenbarung des Geistes bzw. des Relationsgefüges des sich selbst offenbar werdenden Geistes zur Darstellung bringen soll, ermöglicht damit zugleich eine gerechtfertigte Darstellung der Reflexionsbegriffe des symbolischen Idealismus. So leitet sich das philosophische System des symbolischen Idealismus in der Durchführung der synthetischen Sichtweise aus dem Selbstvollzug seiner eigenen Methodologie ab.113
112
Vgl. oben 3.4.2: Transzendentale Logik. – Cassirer selbst spricht in seinem Werk weder von ‚transformalem Lebensvollzug‘ noch von ‚transformaler Wahrheit‘. Diese Termini werden in dieser Arbeit zum Zwecke der Interpretation eingeführt und verwendet. 113 Vgl. unten 4: Durchführung der synthetischen Sichtweise.
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3.5.1 Anschauung geistiger Selbstoff enbarung In der Realisierung der kategorialen Funktionen an einem in der Form von Gegenständlichkeit überhaupt erscheinenden Leben sind Bestimmung (als Selbstbestimmung der geistigen Energie in natürlicher Symbolik) zur Bestimmbarkeit durch künstliche Symbolik und Realisierung bestimmter kategorialer Ordnungen in künstlicher Symbolik als Form von Gegenständlichkeit überhaupt in bestimmter Modalität der Sinngebung keine verschiedenen Phasen, die als solche selbst schon die Möglichkeit serieller Ordnung und damit auch die Realität von Räumlichkeit und Zeitlichkeit voraussetzen würden (vgl. PSF I, ECW 11, 25 ff., 39). Das Bestimmen ist vielmehr ein selbstidentischer Aktus. Nur rein analytisch kann unterschieden werden zwischen natürlicher Symbolik als grundsätzlicher kategorialer Verfasstheit der Realität und künstlicher Symbolik als spezifischer Modalität des jeweiligen Erlebens mit jeweils spezifischer symbolischer Prägnanz, wobei solches Unterscheiden selbst immer nur als unter Bedingungen der künstlichen Symbolik stehend möglich ist: Das Bestimmen ist der selbstidentische, analytisch in natürliche Symbolik und künstliche Symbolik unterscheidbare, Vollzug der Symbolfunktion bzw. des Bildens. Deskriptiv kann dies in einen Prozess auseinandergelegt werden; dann handelt es sich aber selbst um eine durch eine künstliche Symbolik vermittelte Darstellung dieses Akts.114 Die Basisphänomene bzw. die natürliche Symbolik können als der Anteil in der Realisierung und Konkretisierung der Symbolfunktion gedacht werden, der als das Substrat bestehen bleiben würde, könnte der Anteil der künstlichen Symbolik, nämlich die faktische Modalität und damit Pluralität, abgezogen werden. Real ist das freilich nicht möglich, aber es kann so konzipiert werden; die Basisphänomene und die natürliche Symbolik können dabei rein begrifflich rekonstruiert werden.115 Die Frage nach der Gültigkeit dieses leistender begrifflicher Konstruktionen allerdings verweist dann auf die Möglichkeit einer Anschauung der Symbolfunktion als solcher bzw. des Bildens. Die Annahme eines konstitutiven Selbstbezugs der Symbolfunktion ist impliziert in der Behauptung, dass zwischen natürlicher und künstlicher Symbolik analytisch unterschieden, und zwar zu Recht unterschieden werden kann – sie aber nicht real trennbar sind –, und dass dabei der entsprechenden begrifflichen Konstruktion der Symbolfunktion als solcher 114
Vgl. oben 2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik. Vgl. oben 2.2: Das Urphänomen des Lebens: Theorie der Basisphänomene, 2.3: Die symbolischen Formen: Konstitutionsreflexion. 115
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Geltung zukommt, dass solches in der philosophischen Reflexion also erreicht werden kann. Als faktisches Postulat ist dieser Selbstbezug bereits begrifflich festgestellt worden als äén diaferómenon/ eaytÖ (die in sich gegliederte Einheit)116 bzw. als Geist als Prinzip des Bildens im Hinblick auf die Entfaltung der Bezogenheitsstruktur der Basisphänomene. Der hier postulierte Selbstbezug kann allerdings nicht als selbst rein begriffl icher Selbstbezug gedacht werden, weil sich dann wiederum für diese begriffl iche Konstruktion eines Selbstbezugs die Frage nach der Geltung erhöbe, die sich schließlich nur in einer Anschauung bewähren kann. Folglich muss die genannte Behauptung einen rein anschaulichen Selbstbezug beanspruchen. Man mag diesen rein anschaulichen Selbstbezug immerhin Geist nennen und den Geist als einen solchen denken, der sich selbst anschaut und sich darin selbst offenbar wird, und zwar in der Weise, dass die Selbstanschauung bzw. Selbstoffenbarung des Geistes sich in diesem Akt selbst bestimmt, sich seine eigene Gesetzlichkeit, nämlich primär Selbstanschauung zu sein, selbst gibt und insofern in seinem Selbstbezug seine eigene Gesetzlichkeit des Vollzugs bzw. des Bildens offenbart. Soll aber die Behauptung eines solchen, sich selbst anschauenden geistigen Vollzugs eine philosophische Erkenntnis darstellen, so muss dieses begriffliche Konstrukt des Geistes als Bilden selbst in einer reinen Anschauung ausgewiesen werden können. Damit sich eine solche Behauptung als philosophische Erkenntnis ausweisen kann, muss es folglich möglich sein, die, zunächst nur postulierte, geistige Selbstanschauung anzuschauen. Jeglicher Vollzug der Symbolfunktion ist aber, dies ist die Voraussetzung, in natürlicher Symbolik als Bestimmbarkeit bestimmtes und in künstlicher Symbolik durchbestimmtes Leben als mögliches Erleben.117 Die Bestimmtheit der jeweiligen Modalität des Erlebens schließt es aber gerade mit faktischer Notwendigkeit aus, dass ein sich selbst bestimmender, ansonsten aber nicht weiterbestimmter Vollzug real angeschaut werden kann – jedenfalls nicht in der Ausrichtung des Vollzugs auf den Gegenstand = X. Die faktische Notwendigkeit des Erlebens muss also, um die genannte philosophische Erkenntnis zu ermöglichen, durchbrochen und überwunden werden. Dies kann aber nicht anders geschehen als in einem Vollzug, der sich selbst bestimmt und in dieser Selbstbestimmung anschaut. Und solche Selbstbestimmung meint nichts anderes, als den 116 117
Vgl. oben 2.1.5: Das Wesen der Menschheit: ä én diaferómenon/ eaytÖ. Vgl. oben 2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik.
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Vollzug der eben als Selbstoff enbarung des Geistes (vgl. PSF I, ECW 11, 7, 23) beschriebenen Selbstanschauung. Der Weg zu der „philosophischen Erkenntnis als ‚Selbsterkenntnis der Vernunft‘“ (ECN 1, 264), die in der Rede von der analytischen Unterscheidung von natürlicher und künstlicher Symbolik impliziert bzw. vorausgesetzt ist, führt damit allein über den Selbstvollzug einer Anschauung,118 die sich dabei als diesen Selbstvollzug der Anschauung in den Blick nimmt. Als Verfahren der kritischen Phänomenologie im weiteren Sinne kann man nun insgesamt den Vollzug desjenigen philosophischen Denkens bezeichnen, das sowohl die spezifischen anthropologischen Überlegungen, die Theorie der Basisphänomene und der symbolischen Formen sowie hier sogar die (anfängliche) Selbstaufklärung der philosophischen Reflexion in der Metaphysik des Symbolischen thematisiert – und darin identifiziert, unterscheidet, vergleicht und miteinander verknüpft und insofern eine Systematik, ein komplexes System des symbolischen Idealismus Stück für Stück offen legt. Es bleibt dann aber noch gleichsam eine Reflexionsschuld zu begleichen. Denn die Behauptung der Gültigkeit der Aussagen der kritischen Phänomenologie, welche nur dadurch legitim ist, dass jede Behauptung letztlich in konkreten Evidenzerlebnissen ausgewiesen werden kann, wenn sich nämlich zu jeder begrifflichen Aussage, welche die kritische Phänomenologie als Erkenntnis behauptet, eine Anschauung ausweisen lässt, eine solche Behauptung beansprucht zugleich die Geltung der begrifflichen Konstruktion des geistigen Vollzugs bzw. des Geistes als solchen, der in der begrifflichen Unterscheidung von natürlicher Symbolik bzw. Basisphänomenen und künstlicher Symbolik (symbolische Formen) mitbehauptet wird. Dann muss aber ein Verfahren möglich sein, dass zu dieser begrifflichen Konstruktion die bewährende Anschauung liefert – ansonsten könnten wir uns, entgegen Cassirers Forderung, gerade nicht „zum Begriff der Geltung erheben“ (ECN 1, 271) in der „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271), die „über die Sinnbildlichkeit des ‚Zeichens‘ hinausstrebt, auf ‚Elimination‘ des Zeichens u. auf Gewinn der zeichenlosen ‚adaequaten‘ Erkenntnis geht“ (ECN 1, 265).
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In der Rede von der analytischen Unterscheidung von natürlicher und künstlicher Symbolik wird damit eine metaphorische Rede von Anschauung impliziert, wobei allerdings die Metapher der Anschauung wörtlich genommen werden muss. Hier zeigt sich wieder die für das philosophische Sprechen (in Reflexionsbegriffen) charakteristische Differenz zwischen dem philosophischen Reflexionsvollzug als Gegebenem und dem durch diesen Reflexionsvollzug als Artikulation eines reinen Sollseins Gemeinten.
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Die metaphysische Reflexion ist das geforderte Verfahren. Der Vollzug dieses Verfahrens kann freilich den „Zwang der Symbolik“ (ECN 1, 265) nicht faktisch überwinden, denn die Faktizität der symbolischen Formen ist Voraussetzung jeglichen geistigen Lebensvollzugs überhaupt, auch des Philosophierens: „Lösen können wir uns von diesen Formen“, wie bereits dargelegt, nicht, aber wir können und müssen den Drang, uns von diesen Formen zu lösen, „in seiner relativen Notwendigkeit begreifen und einsehen.“ (ECN 1, 265)119 Begreifen und einsehen heißt aber, dass eine bloß begriffliche Spekulation in jedem Falle eine metaphysische Konstruktion im schlechten Sinne bleiben würde.120 Einsehen gelingt doch nur in einer adäquaten Erkenntnis, welche die geistige Energie selbst und als solche in den Blick bekommen muss. Wie gesagt: „Die ‚Adaequation‘ betrifft hier nicht den Gegenstand, sondern den Prozess der Bewegung selbst.“ (ECN 1, 264) „Bewegung“ meint hier jenes Prinzip, das als „rotierende Bewegung der Monas um sich selbst“ (ECN 1, 264) im Sinne der Theorie der Basisphänomene als „Urphaenomen der Gestaltenerzeugung u. Gestaltenwandlung“ in der Form der in leib-seelischer Einheit sich individuierenden Ichheit erscheint. Dieses „Vorbild und Musterbild für eine rein symbolische Relation“ (PSF III, ECW 13, 113) ist jeweils die ursprüngliche Erscheinung des Geistes, seine erste Äußerungsform. Stehen wir als philosophierende Subjekte in der Metaphysik des Symbolischen aber, wie gezeigt, „auf dem Boden der Freiheit“ (ECN 1, 245) und ist Freiheit zugleich der Gegenstand der Reflexion,121 dann kann sich das Philosophieren hier selbst nur als ein solches konzipieren, an das eine Forderung ergeht. Zugleich kann Freiheit, als Grund und Gegenstand der Metaphysik des Symbolischen, allein als Selbstbestimmung existieren. Das unmittelbare Bild der Selbstbestimmung bzw. der Freiheit hat die philosophische Reflexion also nur im konkreten, subjektiven Vollzug des Philosophierens selbst. Die symbolischen Formen erscheinen dabei dem Philosophieren im Modus der Metaphysik des Symbolischen als verschiedene „Ansichten“, deren das immanent basisphänomenal strukturierte Bilden in seiner konkreten Erscheinung in subjektiven Vollzügen fähig und bedürftig ist. Deshalb müssen die symbolischen Formen nicht aus den Basisphänomenen abgeleitet werden, sind sie doch Produkte der Freiheit und der Kontingenz der Materialität; der Zusammenhang von Basisphänomenen und symbolischen Formen wird schließlich in seinem Prinzip durch die metaphysische Reflexion erwiesen. Das Objekt der Me119 120 121
Vgl. oben 3.4.4: Befreiung vom Zwang der Symbolik. Vgl. oben 3.2.1: Leben als Thema philosophischer Reflexion. Vgl. oben 3.2.3: Metaphysik des Lebens.
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taphysik des Symbolischen sind also gerade nicht mehr die symbolischen Formen. „Die eigentliche Realität ist für uns das Subjekt, das aller dieser ‚Ansichten‘ fähig ist.“ (ECN 1, 230) Für das Philosophieren im Modus der Metaphysik des Symbolischen ist folglich die „eigentliche Realität“, die im Urfaktum des Lebens als erscheinende Reflexionsform (faktische Erscheinung des Geistes) (vgl. ECN 1, 31, 212) ohnehin unhintergehbar ist, die Form der schöpferischen Subjektivität (vgl. ECN 1, 7), in welcher der Vollzug der philosophischen Erkenntnis initiiert ist und zur „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) durchvollzogen werden soll: Es ist die Form der Subjektivität als „Ich“ bzw. „Monas“ (ECN 1, 123 ff.), die somit der letzten höchsten Einsicht der Metaphysik des Symbolischen „zum Grunde [liegt]“ (ECN 1, 133). Wenn wir also in „der letzten höchsten Einsicht […] nicht auf den Begriff des Lebens verzichten [können]“ (ECN 1, 271), dann deshalb nicht, weil die Form des Ich nicht nur unhintergehbare faktische Voraussetzung des Reflexionsvollzugs ist, sondern vielmehr gerade auch deshalb, weil diese als „rotierende Bewegung der Monas um sich selbst“ (ECN 1, 264) zugleich das unmittelbare Bild der Selbstbestimmung, also der Freiheit, ist. Insofern kommt die Metaphysik des Symbolischen in der „letzten höchsten Einsicht“ zu sich selbst: Das Zu-sich-selbst-Kommen der philosophischen Reflexion ist zugleich ein Einsehen des Lebens in seinem reinen Vollzug. Die metaphysische Reflexion stellt daher zugleich und wesentlich eine Reflexion auf die Bedingungen von Subjektivität überhaupt dar. Anschauung des geistigen Vollzugs in Selbstanschauung muss freilich den Geist in seiner prinzipiellen Gesamtheit in den Blick bekommen. „Und die Totalität dieser spezifischen Funktion [d. h. der Symbolfunktion] ist eben der einzige Weg, auf dem wir dazu gelangen können, die Gesamtheit des ‚Urprozesses‘ uns zu vergegenwärtigen.“ (ECN 1, 264) Die Darstellung des Vollzugs dieses Verfahrens ist insofern ein Idealismus, weil er im methodischen Ausgang von der Form der Subjektivität rein begrifflich konstruiert, aber die Begriffe bzw. Reflexionsbegriffe haben dabei selbst nur symbolische Funktion. Die Bezeichnung als symbolischer Idealismus ist daher angemessen: Der geforderte Vollzug kann nur ein geistiger Selbstvollzug, und zwar in Selbstanschauung, sein; das Verfahren selbst wird dabei nur symbolisch beschrieben. Im Selbstdenken als lebendigem Vollzug ist dieses aktiv nachzuvollziehen, um die entsprechende Anschauung, welche jegliche philosophische Erkenntnis legitimiert, zu vollziehen. Die Metaphysik des Symbolischen stellt hier also zunächst nur die Mittel bereit, die benötigt werden, um ein solches Verfahren zur Erzeugung der Anschauung der geistigen Selbstanschauung zu ermöglichen, die
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metaphysischen Reflexion nämlich, welche die begriffliche Konstruktion der Selbstoffenbarung des Geistes legitimiert. Die metaphysische Reflexion muss auf einen reinen Anschauungsvollzug hinführen, wobei freilich „die einzig mögliche ideelle Befreiung vom Zwang der Symbolik“ (ECN 1, 265) wiederum nur rein reflexionsbegrifflich konzipiert werden kann. In der Zusammenschau der gewonnenen Ergebnisse muss in einem rein systematischen Durchgang die philosophische Reflexion buchstäblich an die Grenze ihrer begrifflichen Kapazitäten geführt werden. Die letzte höchste Einsicht ist selbst nicht mehr begrifflich darstellbar, muss vielmehr eben eingesehen werden. Das im Reflexionsbegriff der transformalen Wahrheit zu konzipierende Erfassen dieser „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) erfordert einen reinen Anschauungsvollzug. Dieser ist in einem sich selbst frei dazu bestimmenden geistigen Vollzug zu erreichen. Die kritische Phänomenologie und die Metaphysik des Symbolischen einschließlich ihrer Methodenreflexion sind die Mittel und die systematisch-reflexionsbegriffliche Darstellung ist das Ziel der philosophischen Erkenntnis, die als solche nur durch die Realisierung ihres Zwecks ihre Legitimation erhält. Ihr Zweck aber ist die letzte höchste Einsicht.
3.5.2 Wahrheit als Problem des symbolischen Idealismus Nicht nur für die Erkenntnistheorie in ihrer ganzen Geschichte und in allen ihren Erscheinungsformen, auch für die Philosophie der symbolischen Formen ist „die Frage nach der Begriffsbestimmung der ‚Wahrheit‘ selbst“ (EGL, ECW 9, 139) nicht allein ein wichtiges, sondern sogar ein systematisch zentrales Anliegen. Denn wenn es darum geht, den Selbstbegriff, den ein philosophisches Verfahren von sich hegt, selber auf den Begriff zu bringen, so ist grundsätzlich nicht darum herum zu kommen, die Frage nach dem Begriff der Wahrheit, die in allem Behaupten beabzielt und beansprucht wird, aufzuklären. Dieses systematische, den Selbstbegriff der Philosophie und damit zugleich die Legitimation ihrer Methodologie betreffende Problem ist von Cassirer natürlich gesehen und reflektiert worden. Allerdings müssen im Hinblick auf eine systematische Durchreflexion und Ausarbeitung dieses Problems erhebliche Defizite festgestellt werden. Immerhin findet sich an verschiedenen Stellen im Werk und im Nachlass Etliches, das die Rekonstruktion einer bestimmten Wahrheitskonzeption zulässt. Explizite Thematisierungen dieser zentralen, philosophischen Problematik lassen sich allerdings nur wenige ausfindig machen. Der in ECW 17 veröffentlichte, systematisch allerdings unvollständige Vortrag „Formen und Formwand-
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lungen des philosophischen Wahrheitsbegriffs“ von 1929 ist Cassirers einziger Text, der sich ausdrücklich und ausschließlich der Wahrheitsproblematik zuwendet. Darüber hinaus finden sich in ECN 3 einige Gedanken zum Wahrheitsbegriff, dort im Zusammenhang mit geschichtsphilosophischen Überlegungen. Die Notizen in den in ECN 1, 191–193 veröffentlichten Manuskripten, in der Cassirer eine problemgeschichtliche Untersuchung in systematischer Absicht festhält, sind zwar nur wenig ausgearbeitet, aber im Hinblick auf eine philosophische Reflexion des Wahrheitsbegriffs als bedeutsam zu beurteilen. Die im Hinblick auf die systematische Bedeutung dieses Problems für eine Metaphysik des Symbolischen nur recht spärliche Beschäftigung Cassirers mit dem Wahrheitsbegriff ist aus seinen vorherrschenden Interessen und inhaltlichen Präferenzen zu erklären. Die systematische Bedeutung der Wahrheitsfrage ist von Cassirer jedenfalls gesehen und klar artikuliert worden: „[E]s giebt ein eÏdoV der Wahrheit, aütò kat’ aütó.“ (ECN 1, 191). Ob nun weiter ausgearbeitet oder nicht: Die in der Rede von der „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) manifeste, deutlich platonisierende Rede kann keinen Zweifel daran lassen, dass für Cassirer die Wahrheitsfrage als zentrales systematisches Anliegen der Philosophie gilt. 3.5.3 Reflexion: Zuschauerin und Richterin Zunächst ist festzuhalten, dass Cassirer keineswegs einem Wahrheitsrelativismus verfällt. Vielmehr ist im Gegenteil seine gesamte Philosophie darauf aus, die Relationalität aller Formen zu zeigen, um gerade nicht in eine relativistische Position zu entgleiten.122 Denn Cassirer denkt mit Blick auf die symbolischen Formen zwar deren Vielfalt bzw. Pluralität – das heißt, ihre Diff erenz – in aller Strenge, aber nicht so, dass ihm darüber der Gedanke der Einheit der Welt bzw., emphatisch formuliert, die Einheit des Geistes verloren ginge. Die kritische Phänomenologie fragt im Ausgang vom faktischen Bestand im Hinblick auf jede symbolische Form „nach ihrem eigenen ursprünglichen Prinzip [bzw.] nach den ihr eigentümlichen ‚Kategorien‘“ (ECN 1, 5). Jede Form soll entsprechend aus sich selbst heraus verstanden werden. Folglich ist auch im Hinblick auf die für die jeweilige symbolische Form spezifische ideelle Ordnung zu fordern, dass nicht im Zuge eines rücksichtlosen Systemwillens charakteristische Unterschiede der jeweils implizit beanspruchten Geltungskriterien nivel-
122
Zum Verhältnis von Relativismus und Relationalität vgl. Sandkühler 2003, 21 f.
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liert oder geleugnet werden. Für die kritische Phänomenologie, die mit ihrem Blick auf die Faktizität des Bestandes, also auf die konkreten beanspruchten Geltungen, den Blick allein auf die Immanenz der symbolischen Formen richtet, ergibt sich deshalb eine der Pluralität der Formen korrespondierende Vielfalt an formimmanenten Geltungskriterien bzw. ideellen Ordnungen. Soweit eine Bestandsaufnahme der formimmanenten Wege stattfindet, auf denen zu einer jeweils formspezifischen, den prinzipiellen Anforderungen der entsprechenden „Auseinandersetzung“ (PSF II, ECW 12, 182; PSF III, ECW 13, 44; ECN 3, 199; LSB, ECW 22, 118) gerecht werdenden Wirklichkeitskonzeption gekommen werden kann, agiert die kritische Philosophie „lediglich als Zuschauer“ (ECN 3, 147). Bloß zuschauend begnügt sich das kritische Interesse damit, die Unterschiede und Gegensätze „einfach zu konstatieren“, ohne sich mit Bezug auf die sich unterschiedlich artikulierenden Geltungskriterien „für die eine oder andere ‚Partei‘ zu entscheiden“ (ECN 3, 147). Der kritischen Phänomenologie eignet insofern eine „Unparteilichkeit“ (ECN 3, 147), der es darum geht, „einfach konstatierend [zu] beschreiben, statt zu urteilen und abzuurteilen“ (ECN 3, 147). Sie betätigt sich nicht „als Richter“ (ECN 3, 147).123 „Aber diese methodisch notwendige Besonderung darf freilich das Ganze der Aufgabe, um die es sich hier handelt, niemals aus dem Auge verlieren. Die Analysis kann und soll auch hier nicht mehr als die Vorstufe und die Vorbereitung einer künftigen Synthesis sein.“ (PSF III, ECW 13, 130, Hervorhebung S.U., vgl. CIPC, SMC, 90) Das heißt, es ist zu sehen, dass die Auflistung der formimmanenten Geltungskriterien nicht selbst schon als endgültige Systematik betrachtet werden kann. Aber als paradigmatische Beispiele für Möglichkeiten der Wahrheitskonzeptionen können diese Betrachtungen der sich jeweils mit der Entfaltung einer symbolischen Form ergebenden Wege der „Wahrheitsfindung“ (ECN 3, 148) durchaus dienen; so nämlich, dass sich an dem darin gewonnen Bewusstsein, dass es sich dabei um formrelative Möglichkeiten handelt, die Notwendigkeit der Frage nach der „Totalität“ (ECN 1, 264) des geistigen Lebens abzeichnet. Es zeigt sich in dem, was in dieser für das philosophische Erkenntnisinteresse notwendigen Frage erwogen wird, dass mit Bezug der philosophischen Reflexion auf wesentlich verschiedene Formen nicht umstands-
123
Es ist von systematischem Interesse, dass die hier für die Erkenntniskritik formulierten Erfordernisse der Unparteilichkeit deutlich in die Richtung der Forderungen nach einer rein deskriptiven Haltung innerhalb der Phänomenologie (husserlscher Prägung) zielen.
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los mit einem bestimmten Wahrheitsbegriff operiert werden kann, dessen Artikulation sich aus den Bedingungen nur einer bestimmten symbolischen Form erklärt. So kommt Cassirer beispielsweise in seinen Notizen bezüglich der Geschichtsphilosophie zu der Aussage, dass es für eine bestimmte Weise der Welthabe und des Weltverstehens jeweils eine spezifische Richtung gibt, in welcher ein entsprechendes Geltungskriterium in den Blick rückt. Cassirers Interesse an einer Geschichtsphilosophie führt an der betreffenden Stelle (vgl. ECN 3, 147–161) dazu, dass vor allem die Begriffe der Wahrheit und des (historischen) Werdens in Relation gesetzt und verschiedene Geltungskonzeptionen durchgespielt werden. Andererseits ist es genau dieses Problem, an dem sich am deutlichsten das eigentlich philosophische Problem der Wahrheit artikuliert: wie nämlich die eine, bleibende Wahrheit sich zu einer Welt der Diff erenz und des Werdens verhält, und ob und wie eine solche Wahrheit überhaupt gedacht werden könne.124 Cassirer muss also einerseits darauf bestehen, dass Wahrheit bzw. Geltung nicht losgelöst von den verschiedenen Formen gedacht werden kann. Andererseits darf dies aber nicht zu einer Relativierung der Idee der Wahrheit als solcher führen. Cassirer geht es insofern, nämlich im Sinne der kritischen Phänomenologie, einerseits um die verschiedenen, formspezifischen Geltungskriterien; andererseits geht es ihm (dabei) zugleich immer auch um die eine Wahrheit, die Wahrheit schlechthin: „Alle Begriffsbildung, an welchem besonderen Problem sie auch einsetzen mag, ist zuletzt durch ein Grund- und Leitziel hingewiesen, ist auf die Bestimmung der ‚Wahrheit schlechthin‘ gerichtet. Alle besonderen Setzungen, alle einzelnen Begriffsstrukturen, sollen sich zuletzt einem einheitlichen allbefassenden Denkzusammenhang einfügen.“ (PSF III, ECW 13, 327) Cassirers Überlegungen deuten damit auf einen übergeordneten Wahrheitsbegriff, der sich gegenüber dem Gedanken eines „komplexen Systems“ (PSF I, ECW 11, 27), in dem sich die Weisen der Welthabe immer schon entfalten, als angemessen erweist. Offensichtlich ist es systematisch gefordert, eine Wahrheitskonzeption zu erarbeiten, die gleichsam den Spagat macht zwischen der Vielheit nichtreduzierbarer symbolischer Formen als Verhaltungsweisen zu der nichtsdestotrotz einen Welt und der nicht aussetzbaren Forderung nach Identität des Wahrheitsbegriffs, nach einer Wahrheit also in Cassirers platonischem Hinsehen. Dies zeigt 124
Vgl. FFW, ECW 17, 343: „Wie heute die Philosophie, um den Begriff des Seins zu denken und um ihn mit wahrhaftem Inhalt zu erfüllen, nicht bei dem absolut Einen des Parmenides stehenbleiben kann, wie sich ihr dieses Sein erst erschließt, wenn sie es nicht nur sub specie der Beharrlichkeit, der Unveränderlichkeit, der reinen Substantialität, sondern sub specie der Zeit und des Werdens betrachtet, so gilt das gleiche auch vom Begriff der Wahrheit.“
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sich in der Reflexion des Verhältnisses der kritischen Phänomenologie zur Metaphysik des Symbolischen: Sie ist in ihrer Wendung auf die Form der schöpferischen Subjektivität (vgl. ECN 1, 7) in ihrem Vollzug ersichtlich eine Selbstreflexion, eine Reflexion der Reflexion. Der Zusammenhang der Pluralität und Differenz der symbolischen Formen mit der einen Wahrheit muss nämlich bereits gebildet sein in den Prinzipien der Selbstoff enbarung des Geistes (vgl. PSF I, ECW 11, 7, 23), wie sie für die Vollzugsform der schöpferischen Subjektivität prinzipiierend sind. Die Philosophie im Modus der Metaphysik des Symbolischen muss folglich im Gegensatz zur reinen Erkenntniskritik bzw. kritischen Phänomenologie durchaus in einem gewissen Sinne als Richterin auftreten, und zwar nicht Richterin des ausgesagten faktischen Bestands, sondern der Aussagen der kritischen Phänomenologie: Sie wird zur Richterin nicht im Hinblick auf das Konstrukt, sondern auf das Verfahren. Es ist zunächst die kritische Phänomenologie, die mit Blick auf die jeweilige „Gestalt“ (PSF I, ECW 11, 14) der symbolischen Formen den Wahrheitsbegriff im Sinne der formimmanenten Geltungskriterien thematisiert. Aber dieser „Wahrheitsbegriff birgt in sich selber eine immanente Dialektik, die ihn unerbittlich weiter- und vorwärtstreibt. Er drängt über jede jeweilig erreichte Grenze hinaus“ (PSF III, ECW 13, 324). Das bedeutet aber, dass die letztlich rein registrierende Aufnahme und Beschreibung, zu der sich die kritische Phänomenologie bescheidet, es nicht erlaubt, die grundlegende metaphysische Dimension der Frage nach der Wahrheit zu erreichen – „steht es doch“, so Cassirer, und damit einen Gegensatz zum Verfahren der kritischen Phänomenologie behauptend (auf die er an der zitierten Stelle als Erkenntniskritik Bezug nimmt), „völlig anders mit der Philosophie“ (ECN 3, 148) – wobei hier „Philosophie“ im strengen Sinne als Metaphysik des Symbolischen aufgefasst werden muss. Diese sieht sich in der Pflicht, eine „Entscheidung zu treffen“ hinsichtlich „der ‚Einen‘ Wahrheit“ (ECN 3, 148), also der „Wahrheit schlechthin“ (PSF III, ECW 13, 327). Damit wird der Unterschied der Frage nach dem quid facti und der nach dem quid juris auch wahrheitstheoretisch eingeholt: Es geht um die Berechtigung zur Entscheidung, absolute Geltung zuzusprechen. Während aber die kritische Phänomenologie schon die Bedingungen der Möglichkeit der jeweiligen symbolischen Formen eruiert, kann sie in ihren Behauptungen doch niemals davon abstrahieren, dass derartige symbolische Formen tatsächlich vorliegen müssen. Die metaphysische Frage nach dem quid juris dagegen soll zwar auch nicht in einen luftleeren Raum der Spekulation entgleiten. Soll der Forderung nach Rechenschaft aber im strengen Sinne Genüge getan werden, so muss zumindest an einem Punkt ein Halt gefunden werden, der selbst nicht vollständig dem Bereich der
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Faktizität entstammt und deshalb von der immer möglichen, faktischen Relativierung ausgespart bleibt. Als ein solcher erweist sich der in jedem geistigen Vollzug beanspruchte, aber eben deshalb dem der bloßen Faktizität verhafteten Blick verschlossene Reflexionsbegriff der transformalen Wahrheit – der eben das besondere an sich hat, ein rein ideeller Begriff und insofern nur als Reflexionsbegriff thematisierbar zu sein, der aber dennoch eine Idee von Wahrheit meint, die jede Form des Weltzugangs, jede symbolische Form, namentlich durch ihre konstitutive Funktion im Hinblick auf geistigen Vollzug überhaupt, inhaltlich bestimmt. Der reine Reflexionsbegriff der transformalen Wahrheit ist zugleich der höchste Punkt, aus dem heraus sich auch die Systematik der Reflexionsbegriffe entfalten muss.
3.5.4 Philosophisches Behaupten von Geltung Die Frage nach der transformalen Wahrheit ist für die Metaphysik des Symbolischen eine grundlegendere Frage als die der kritischen Phänomenologie nach den jeweils formimmanenten Geltungskriterien. Und genau in dieser Hinsicht sieht sich die „Philosophie […] hier auf ihre eigentliche Grundfrage – auf ‚das‘ philosophische Problem kat§ Êxoc®n – zurückgeworfen“ (ECN 3, 148). Die Philosophie muss eben doch eine „Entscheidung“ (ECN 3, 148) treffen bezüglich der „Wahrheit schlechthin“ (PSF III, ECW 13, 327), denn sonst „zergeht der Anspruch der ‚Einen‘ Wahrheit – er wird zu einem blossen Wort“ (ECN 3, 148), womit Cassirer die Gefahr einer totalen Relativierung jeglicher Geltung anzeigt. In Hinsicht auf die metaphysische Konzeption der transformalen Wahrheit kann nicht beim Unterschied der jeweiligen formimmanenten Geltungskriterien stehen geblieben werden. „Und selbst wenn [beispielsweise] der Logiker, der rein erkenntnistheoretische Analytiker sich mit einem derartigen Unterschied abfinden könnte – so empört sich gegen ihn immer wieder sozusagen das ethische Gewissen der Forschung“ (ECN 3, 148). Mit dem Hinweis auf „das ethische Gewissen der Forschung“ nimmt Cassirer explizit Bezug auf seine Fundierung des Sinnbegriffs im Begriff der Freiheit. Das Leben als geistiges Leben hat eine konstitutive ethische Dimension.125 In formaler Hinsicht aufschlussreich ist hier aber zunächst die von Cassirer verwendete Hervorhebung in der Behauptung, die Frage nach der Wahrheit sei die „eigentliche Grundfrage“ der Philosophie. Die Art 125
Vgl. oben 2.1.2: Die wesentlich ethische Dimension der Kultur.
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der Hervorhebung, die Cassirer mittels des Terminus „Grundfrage“ wählt, zeigt nämlich deutlich, dass es bei der „Entscheidung“, die zu fällen sei, nicht um eine Absolutsetzung eines formimmanenten Geltungskriteriums als einer bestimmten Wahrheitskonzeption geht – dies würde schließlich zugleich einen Rückfall auf ein vorkritisches Argumentationsniveau bedeuten. Vielmehr handelt es sich um die Frage nach dem Grund für das Zusprechen von Geltung in den philosophischen Behauptungen der sich in den Analysen der kritischen Phänomenologie zeigenden verschiedenen, formimmanenten Geltungskriterien: Es geht um den Geltungsgrund des Anspruchs, dass es sich bei diesen Behauptungen um philosophische Erkenntnisse handelt. Sofern es sich aber dann um Erkenntnisse handelt, müssen damit auch die Inhalte der kritischen Phänomenologie als prinzipiell wahr betrachtet werden.
3.5.5 Das Prinzip der Einheit des Geistes Die philosophische Frage ‚Was ist Wahrheit?‘ fragt nach der transformalen Wahrheit der formimmanenten Geltungskriterien der jeweiligen symbolischen Formen. Hier vollzieht sich die philosophische Reflexion als reine Selbstreflexion: als metaphysische Refl exion. Auf der Suche nach der Ausformulierung dieser rein philosophischen Wahrheitskonzeption diskutiert Cassirer in „Formen und Formwandlungen des philosophischen Wahrheitsbegriffs (1929)“ (ECW 17) drei Wahrheitsbegriffe, die mit dem Anspruch, Wahrheit schlechthin (vgl. PSF III, ECW 13, 327) zu erfassen, in der Philosophiegeschichte großen Einfluss ausgeübt haben. Es handelt sich um den hierarchischen, den rationalistischen und den positivistischen Wahrheitsbegriff.126 „Die drei Wahrheitsbegriffe […] gehen, bei all ihrer inhaltlichen Abweichung, auf eine gemeinsame formale Voraussetzung zurück. Sie postulieren die Einheit des Wissens“ (FFW, ECW 17, 354 f.). Genau dies macht diese unterschiedlichen Konzeptionen vorderhand zu Antwortkandidaten für die rein philosophische Frage nach der Wahrheit. Allerdings zeigen sich diese Konzeptionen immer schon als durch bestimmte Wissensformen geprägte Begriffe und scheiden somit als Kandidaten für einen transformalen Reflexionsbegriff aus. In der Metaphysik des Symbolischen geht es nämlich um die Einheit des symbolischen Vollzugs bzw. des geistigen Lebens und insofern eben um den Grund der Geltung der formimmanenten Geltungskriterien. Dabei kann es in diesem Zusammenhang als eine nur terminologische Un126
Vgl. Graeser 1994, 164 f.; Krois 1987, 106 ff.
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terscheidung angesehen werden, ob man von der Einheit des Wissens in (möglicherweise) verschiedenen Wissensformen spricht, oder, wie es für den symbolischen Idealismus die bevorzugte Terminologie ist, von der Einheit des Geistes in den verschiedenen Formen des lebendigen Geistes, also in den verschiedenen symbolischen Formen. Mit Cassirer kann noch einmal betont werden, dass die formimmanenten Geltungskriterien verschiedene sind (vgl. PSF I, ECW 11, 15; PSF II, ECW 12, 16; ECN 1, 263). Sie müssen aus dem Vollzug der „Auseinandersetzung“ (PSF II, ECW 12, 182; PSF III, ECW 13, 44; ECN 3, 199; LSB, ECW 22, 118), als die sich jede Form vollzieht, begriffen werden.127 Also muss die eine Wahrheit der Geltungskriterien aus der reinen Vollzugseinheit des Geistes in den verschiedenen symbolischen Formen erhellen. Die in der Reflexion an der transformalen Wahrheit als erscheinendes Leben sich äußernde geistige Einheit ist reine Vollzugseinheit, reine Funktion. Entsprechend spricht Cassirer vom „funktionale[n] Wahrheitsideal “ (FFW, ECW 17, 357) mit Blick auf den mit dieser philosophischen Wahrheitskonzeption so gemeinten Grund der Vollzugseinheit des Geistes. Dem Gedanken, dass die eine Wahrheit deshalb zugleich aus der Vollzugseinheit des Geistes erhellt, weil sie der Grund der Einheit des geistigen Vollzugs ist – diesem Gedanken der Einheit des geistigen Vollzugs bzw. der Formen des Lebens darf sich aber nun nicht erneut „der andere Gedanke seiner [nämlich des geistigen Vollzugs] Einerleiheit und Einförmigkeit, seiner durchgängigen Homogenität unter[schieben]“ (FFW, ECW 17, 355). Dies würde letztlich die Gefahr der Substantialisierung des Wahrheitsbegriffs in sich bergen und damit wiederum einen Rückfall auf ein vorkritisches Argumentationsniveau bedeuten. „Folgen wir indes jenem anderen Wahrheitsbegriff und Wahrheitsideal, das man als das funktionale Wahrheitsideal bezeichnen könnte, so bietet sich uns ein anderes Bild. Denn der bloß extensive Maßstab des Wissens kann jetzt nicht mehr aufrechterhalten – er muß durch einen intensiven Maßstab ersetzt werden. Der Schwerpunkt liegt nicht mehr im bloßen Resultat der Erkenntnis, sondern in dem, was sie selbst als bildende Kraft ist und bedeutet.“ (FFW, ECW 17, 357) Wenn der Schwerpunkt der Frage nach der Wahrheit aber auch darauf liegt, was die geistige Erkenntnis selbst als bildende Kraft ist und bedeutet, so kann die gesuchte Wahrheit nur in der Selbstaufklärung der Reflexion gefunden werden: Es ist jene Wahrheit als Geltung, die in der Selbstaufklärung der „philosophischen Erkenntnis“ (ECN 1, 264) eingesehen wird. Nur in einer reflexiven Selbstaufklärung der Reflexion kann es im „Durchschauen des symbolischen Grundcharakters der Erkenntnis selbst“ (ECN 1, 265, im 127
Vgl. oben 2.3.4: Wahrheit und Wirklichkeitsbezug.
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Original hervorgehoben) zugleich zum darin mitlaufend geforderten Durchschauen der Erkenntnis selbst kommen.
3.5.6 Kritische Phänomenologie und transformale Wahrheit In der Darstellung der Behauptungen bzw. Erkenntnisse der kritischen Phänomenologie zeigte sich, dass jede symbolische Form eine spezifische Weise der Geltungserhebung darstellt, dass mithin jede symbolische Form als solche ein eigenes formimmanentes Geltungskriterium hat. In der Reflexion auf das Verfahren der kritischen Phänomenologie fragt nun die Metaphysik des Symbolischen, wie es zu der Annahme der Geltung dieser jeweiligen philosophischen Behauptungen kommt. Es ist also zunächst wieder zu rekapitulieren, wie sich die kritische Phänomenologie vollzieht: Sie betrachtet die symbolischen Formen in ihrem faktischen Bestand. Dies ist freilich nicht als ein bloß empirisches oder sogar theoriefreies Konstatieren einfachhin vorfindlicher Gegebenheiten zu verstehen. An der Form des Mythos zeigt sich beispielsweise deutlich, dass die Rede von ‚der‘ Formanalyse ‚des‘ Mythos alles andere als unproblematisch oder gar selbstverständlich ist. Vielmehr ist doch die Frage, was mit der Rede von ‚der‘ symbolischen Form ‚des‘ Mythos gemeint sein soll, selbst schon ein (philosophisches) Problem. Das Erfassen ‚des‘ Mythos stellt mindestens ein hermeneutisches Problem dar. Es ist ein Vorverständnis vorauszusetzen, das als regulative Idee der weiteren Untersuchungen und Überlegungen dienen muss, die wiederum dazu führen sollen, das Verständnis zu vertiefen und damit die Abgrenzung des Problems schärfer zu konturieren. Ähnliches gilt für jede symbolische Form. Hier hat sogar ein kritisch kontrollierter, interdisziplinärer Blick in die Einzelwissenschaften seine Berechtigung (vgl. ECN 3, 232). Die kritische Phänomenologie versucht deshalb, sich jeweils möglichst genaue Bilder des Bestands der symbolischen Formen mittels unterschiedlichster Zugänge zu verschaffen, einem Zusammenspiel nämlich von regulativen Ideen, empirischen Hypothesen und geschichtlicher Schau, wobei die Reflexion entsprechender, für das jeweilige Problem ertragreicher philosophischer Theorien im Vordergrund steht. Der entscheidende Punkt ist hier nun, dass sich dieses ganze Verfahren der kritischen Phänomenologie als solches letztlich nicht von der Faktizität seiner Gegenstandsbereiche lösen kann. Das bedeutet aber zugleich, dass die Notwendigkeit aller sich für das Verfahren der kritischen Phänomenologie als denknotwendig herausstellender Strukturen eine rein faktische Notwendigkeit bleibt: Die Strukturen erweisen sich zwar dem jeweils
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in der Formimmanenz verbleibenden Blick der kritischen Phänomenologie notwendig. Die Notwendigkeit der Geltung der Aussagen jedoch, die solche Notwendigkeit behaupten, tritt dabei allerdings nicht als eine den Aussagevollzug selbst betreffende, einsehbare ein, sondern als eine bloß gegebene bzw. ausgesagte. Damit erweist sich die Behauptung der faktischen Notwendigkeit aber als jeweils nur von der einen Seite der „Auseinandersetzung“ (PSF II, ECW 12, 182; PSF III, ECW 13, 44; ECN 3, 199; LSB, ECW 22, 118), nämlich der Seite der gebildeten Objektivität her, gefordert. Dagegen aber beansprucht bereits das Verfahren der kritischen Phänomenologie die Rechtmäßigkeit der Annahme einer Auseinandersetzung, die jeder Behauptung und Behauptbarkeit von Objektivität vorausliegt. Das also, woraus die faktische, und insofern objektive Notwendigkeit ihre Legitimation erhalten soll, erweist sich im Modus der kritischen Phänomenologie als selbst nicht evident ausgewiesen, nämlich die Entfaltungseinheit der Auseinandersetzung: der Geist, der nur als transformal konzipiert sein kann. Die Behauptung der jeweiligen faktischen Notwendigkeit, die doch zu einer rechtmäßig als solche behaupteten philosophischen Erkenntnis der Bedingungen der Möglichkeit von Weltzugang überhaupt führen soll, vollzieht sich selbst auch nur in faktischer Notwendigkeit, aber damit gerade ohne Einsicht in die Rechtmäßigkeit, in das quid juris als einsehbare Notwendigkeit des Vollzugs selbst dieser als notwendig erscheinenden Behauptung von Notwendigkeit. Mit anderen Worten: Im Vollzugsmodus der kritischen Phänomenologie, welche die symbolischen Formen aus sich selbst heraus verstehen will, indem sie diese dabei auf ihre notwendigen Strukturen und Bedingungen (Kategorien) durchschaut, würden ohne Beanspruchung des transformalen Vollzugs der philosophischen Erkenntnis alle behaupteten formimmanenten und notwendigen Strukturen selbst auch nur im Geltungsbereich der Kriterien verbleiben, die für die je in ihrer Faktizität in den Blick genommenen symbolischen Form zutreffend sind. Es muss aber mit Bezug auf jenes Verfahren darauf reflektiert werden, woraus die jeweilige Notwendigkeit, welche die symbolischen Formen der erscheinenden Realität aufprägen (vgl. PSF I, ECW 11, 46), ihren Rechtsgrund, ihr quid juris, bezieht; denn diese Formen müssen selbst als Behauptungen, nämlich als „Gebilde des Geistes“ (ECN 1, 27), konzipiert werden, die faktische Notwendigkeit konstatieren. Doch darf dies nicht eine einfache Wiederholung des Reflexionsmodus der kritischen Phänomenologie selbst bedeuten. Es muss vielmehr ein qualitativ übergeordneter Blickpunkt der Reflexion eingenommen werden, damit es nicht zu einer bloßen Iteration der Reflexion kommt. Verfahren und Ertrag der
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kritischen Phänomenologie sind also gerade nicht mit Blick auf ihre jeweiligen, und eben selbst auch nur wieder faktisch eintretenden, Unterschiede in den Blick zu nehmen. Es ist vielmehr das Verfahren der kritischen Phänomenologie als eine Einheit, und damit auch die Einheit der jeweils methodisch generierten Erträge zu reflektieren. Dadurch wird nämlich erstens der Blickpunkt der philosophischen Erkenntnis auf die über die jeweilige Immanenz der symbolischen Formen hinausgehende transformale Vollzugseinheit der Auseinandersetzung gelenkt – und eine solche wird schließlich in der Frage nach dem quid juris postuliert; zweitens, und damit zugleich das eben beanspruchte Postulat einholend, kann sich dann nämlich der Blick der philosophischen Erkenntnis auf die Rechtmäßigkeit der Annahme einer jede Behauptung faktischer Notwendigkeit legitimierenden, transformalen Einheit jeglichen Vollzugs selbst richten. Und deshalb allein kann das Verfahren der metaphysischen Reflexion nur in einer selbsterhellenden Reflexion der Reflexion bestehen. Dieser philosophische Blick erweist insofern zugleich den symbolischen Grundcharakter (vgl. ECN 1, 265) der Forschung der kritischen Phänomenologie.128 Im Vollzug der kritischen Phänomenologie, so kann nun diesem methodologischen Postulat folgend fortgefahren werden, bildet sich dem Mitvollzug der philosophischen Erkenntnis deshalb die Einsicht, dass hinsichtlich der Weise der Gestaltung des Wissens, bzw. der Symbolfunktion, also des entsprechenden Repräsentations- bzw. Aktionszusammenhangs, innerhalb jeder symbolischen Form die Grundstruktur des Symbolisierens bzw. des Begriff s (vgl. PSF III, ECW 13, 323 ff.) überhaupt als konstitutiv zugesprochen werden muss. Diese ist die Grundstruktur der symbolischen Formen, die alle in dieser Hinsicht transformal identisch sind. Die innerhalb jeder symbolischen Form notwendig vollzogene Synthesis von formimmanentem Geltungskriterium und Grundform der symbolischen Relation bildet dabei die jeweils einmalige „Gestalt“ (PSF I, ECW 11, 14), die jeder symbolischen Form als solcher zugeschrieben werden muss. Mit der Behauptung der transformalen Identität der Vollzugsform der symbolischen Relation als solcher, also einer Vollzugs- und aus ihr projizierten Strukturgleichheit, die in Hinsicht auf jede mögliche symbolische Form behauptet werden muss, liegt folglich eine rein philosophische Aussage im Sinne der Metaphysik des Symbolischen vor. Denn diese Behauptung lässt sich nicht mit Blick auf den faktischen Bestand, also nicht aus der 128
Wie gesagt: Selbst der Grundbegriff des Objekts der kritischen Phänomenologie, „der Begriff des ‚Bestandes‘ ist – nur ein Gleichnis!“ (ECN 1, 271)
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Empirie in noch so weitem Sinne, gewinnen, und zwar aus zwei, allerdings nur analytisch unterscheidbaren Gründen: Erstens, weil diese Behauptung den rein apriorischen Vollzug betreffen soll und eine solche Aussage niemals aus der Faktizität gewonnen werden könnte, weil dies die Möglichkeit eines abgeschlossenen unendlichen Induktionsprozesses voraussetzen würde; zweitens, weil diese transformale Identität zugleich als Bedingung der Möglichkeit des Blickens bzw. des Sehens überhaupt, und damit auch des diese Identität sehenden Sehens, behauptet wird; die Behauptung dieser Identität kann also nicht in der Immanenz einer bestimmten symbolischen Form gemacht werden, weil sie dann schließlich nur innerhalb dieser Form Gültigkeit beanspruchen könnte – mithin wäre gerade eine transformale Identität nicht behauptet. Sofern aber im Vollzug der philosophischen Reflexion der Behauptung der transformalen Identität der grundlegenden Vollzugsform Geltung zugesprochen werden muss, heißt das zugleich nichts anderes, als dass das philosophische Behaupten hier eine Wahrheitskonzeption beansprucht, die in charakteristischer Weise über jede symbolische Form hinausweist. Die philosophische Reflexion konzipiert insofern immer schon den Reflexionsbegriff der transformalen Wahrheit als dem Selbstvollzug des metaphysischen Lebens immanent. Wenn Cassirer also schreibt, „die Forderung der Rechenschaftsablegung ist der Philosophie nicht von außen her auferlegt, sondern sie ist der reine Ausdruck ihres eigensten Wesens und ihres Grundproblems“ (FFW, ECW 17, 342), dann meint das eigentlich: Das eigenste Wesen bzw. das Grundproblem der Philosophie ist die Wahrheit als transformale Wahrheit ihres eigenen Vollzugs. Indem die philosophische Reflexion notwendig den Geltungsanspruch bezüglich ihrer Selbstbehauptung erhebt, behauptet sie sich selbst in der Grundform des Behauptens – wobei sich dieses Behaupten im Modus der Metaphysik des Symbolischen mittels Reflexionsbegriffen vollzieht, also im Wenden des Blickstrahls auf sich selbst (vgl. ECN 1, 28, 139) ein reines Reflektieren darstellt, im Gegensatz zu den symbolischen Formen, die immer ein Objektivieren sind. Die metaphysische Reflexion behauptet sich in der Synthesis der Reflexionsbegriffe, indem sie sich aus deren freiem Zusammenspiel aufbaut. Das heißt freilich zugleich, dass die metaphysische Reflexion als Zusammenschau der immanenten Beziehungen der Reflexionsbegriffe selbst auch eine Form hat. Diese Form ist das sich selbst reflektierende Bild des Bildens, allerdings mit dem das philosophische Erkenntnisinteresse als solches auszeichnenden Anspruch, darin die ideelle Identität von Bild und Bilden unmittelbar, nämlich zeichenlos (vgl. ECN 1, 265), einzusehen.
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Dann kann aber auch gesagt werden, dass die Form des Vollzugs des Philosophierens im Modus der Metaphysik des Symbolischen die Synthesis von Auseinandersetzung überhaupt (Symbolfunktion als solche) mit Geltungserhebung überhaupt (transformale Wahrheit) vollzieht: Das Philosophieren als lebendiger Vollzug des Reflektierens des Bildens bildet in sich, d. h. in seinem Bild von sich, die Grundform der symbolischen Formung. Das Philosophieren ist in der höchsten Form seines Vollzugs, nämlich als metaphysische Reflexion in der „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271), die Selbstreflexion seines unmittelbaren Vollzugswesens und deshalb nichts anderes als der unmittelbar erlebende Nachvollzug des symbolischen bzw. geistigen Lebensvollzugs überhaupt.
3.5.7 Die Form der Subjektivität als Reflex der Wahrheit Dass sich die Philosophie in ihrem Vollzug zu Recht als Sichbilden des lebendigen Vollzugs und darin als gültiges Selbstbild des Geistes behauptet, kann als legitimiert betrachtet werden, wenn ausgehend von einer inhaltlichen Idee, die schon aus formalen Gründen nicht in ihrer Rechtmäßigkeit abweisbar ist, eine Vollzugsstruktur aufgewiesen werden kann, die genau diese Grundstruktur realisiert, welche die Philosophie, indem sie diese vollzieht, zugleich als solche behauptet: Philosophieren ist immer auch unter dem Aspekt der reinen Performanz zu reflektieren. Diese Vollzugsgestalt muss sich als genau diejenige erweisen, die im Vollzug des Philosophierens als kritischer Phänomenologie implizit beansprucht und damit ohne Reflexion dieser Beanspruchung in das objektive Bild der Grundform der symbolischen Form projiziert (vgl. ECN 1, 256) wird, nämlich als Bild der Synthesis von Auseinandersetzung, Geltungserhebung und der Einheit beider in ihrer je eigenen Gestalt.129 Diese höchste inhaltliche Idee ist zugleich nichts anderes als das metaphysische Leben bzw. der lebendige Geist als unmittelbarer Selbstausdruck bzw. Reflex der transformalen Wahrheit, in der sich das Leben zum Behufe seines sich selbst in der „Eigenbewegung des ‚Geistes‘“ (ECN 1, 264) auseinanderlegenden Vollzugs reflektiert. Im Vollzug der philosophischen Selbstthematisierung des rein symbolischen Denkens in der höherstufigen Reflexion der Metaphysik des Symbolischen führt deshalb der Reflexionsvollzug aus seiner eigenen Dynamik heraus zu einer Explizierung, mithin ‚Deduktion‘ der synthetischen Sichtweise des symbolischen Idealismus.130 Insofern führt die Reflexion 129 130
Vgl. oben 2.3.8: Die Einheit der Symbolfunktion. Vgl. unten 4: Durchführung der synthetischen Sichtweise.
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auf die geforderte synthetische Darstellung der jeglicher Weiterbestimmung im Sinne der künstlichen Symbolik zu Grunde liegenden Grundgestalt des erscheinenden Lebens, wie es sich in der Struktur der Basisphänomene als der immanenten Bezogenheitsstruktur bzw. den ursprünglichen Bezogenheitsformen des Lebens bzw. Bildens manifestiert – und in solcher synthetischen Darstellung wird zugleich die Möglichkeit des „Wir“ aus der konstitutiven Interpersonalität des Bildens ‚deduziert‘.131 Die synthetische Darstellung besteht damit zugleich in der legitimierenden Ableitung der in der kritischen Phänomenologie beanspruchten zentralen Reflexionsbegriffe. Rein reflexionstheoretisch muss mithin in der „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) eine inhaltliche Idee gefasst werden, in der zugleich die Vollzugsform der Metaphysik des Symbolischen als solche und damit ineins alle in diesem Philosophiewesen in seiner Gültigkeit immer schon (implizit) mitbehaupteten Vollzüge ihren Rechtsgrund haben. Gerade hier132 erweist sich Cassirers Philosophieren als durch und durch platonisch. Natürlich können die entsprechenden Behauptungen, die eine solche höchste, inhaltliche Idee fassen, nur den Vollzugbedingungen des philosophischen Behauptens gemäß gemacht werden – mit anderen Worten: Im Hinblick auf die Geltung, die in den entsprechenden Behauptungen erhoben werden muss, gelten auch hier die Bedingungen des symbolischen Vollzugs; insofern musste freilich von Anfang an eingestanden und mitreflektiert werden, dass auch das rein symbolische Denken dem Zwang der Symbolik faktisch nicht entgehen, sondern vielmehr nur eine „ideelle Befreiung vom Zwang der Symbolik“ (ECN 1, 265) beanspruchen kann. Auch das philosophische Denken bleibt ein faktischer Denkvollzug, rückgebunden an das konkrete symbolische Universum, in dem es sich gerade entwickelt, insofern es nämlich den Vollzug des Wissens voraussetzt, der sich konstitutiv in die künstliche Symbolik hinein entfalten muss. Dies ist andererseits zugleich ein Rückhalt der zweitstufigen metaphysischen Reflexion der Reflexion, weil damit der faktische Bezug der erststufigen Reflexion des faktischen Bestandes niemals aufgegeben wird, ebensowenig wie der Weg zu dem Verfahren, mittels dessen der (methodische) Anschauungsvollzug der Reflexionsbegriffe sichergestellt ist.133
131
Vgl. oben 2.2.4: Die Systematik der Basisphänomene. Ebenso an weiteren bedeutsamen Stellen, z. B. „Heidegger und das Todesproblem“, ECN 1, 222 ff. 133 Vgl. Tomberg 1996, 215: „Die analysierten Formen sind gestaltende Inhalte einer Absicht, die philosophische Besinnung das Ursymbol der Wirklichkeit, aus dem heraus sich erst die Rede von symbolischen Formen legitimieren läßt.“ 132
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Für Cassirer ist nun das Höchste, das ergriffen werden kann, das Leben (vgl. ECN 1, 264). Die Interpretation dieses Lebensbegriffs zeigte, dass Cassirer damit das Leben des Geistes meint, das als geistiges Leben bzw. als Freiheitsvollzug erscheint. Im Sinne des oben eingeführten Reflexionsbegriffs des Lebens134 ist der „Begriff des Lebens“ für die philosophische Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen „der letzte [Begriff] – ein Leben selbst, an dem wir in wandelbaren Symbolen ‚teilhaben‘!“ (ECN 1, 271) – wobei die Bedingung der Möglichkeit des „Wir“ freilich die als Auseinandersetzung erscheinende Funktion der Symbolisierung ist, die sich zur Ermöglichung ihrer eigenen Geltungserhebungen in der transformalen Wahrheit reflektieren können muss. Das Höchste ist also das Leben des Geistes und darin die Vollzugsform, die sich dem erscheinenden Leben als Geist mitteilt bzw. aufprägt, nämliche die reine Reflexionsform (vgl. ECN 1, 31, 212). Es ist der Geist, der die als freie Tätigkeit bzw. als lebendig gedachte Vollzugsstruktur des erscheinenden Lebens ist. Diese geistige Vollzugsstruktur des Lebens markiert Cassirer auch sehr treffend mit dem durchaus in einem neuplatonischen Sinne zu verstehenden Ausdruck äén diafð e rómenon/ eaytÖ (die in sich gegliederte Einheit).135 Die gemeinte Vollzugsstruktur erweist sich als die Urgestalt jeden symbolischen Vollzugs (vgl. ECN 1, 9) und deshalb in Bezug auf die philosophische Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen als das reine Selbstbild ihres eigenen Bildens, bzw. hat sich aus sich als solches gezeigt. Es ist nun aber das Selbstbild der Reflexion, das sich als solches nur als das Bild einer sich selbst in ihrem Sein hervorbringenden Tätigkeit bilden kann. Es muss sich folglich als Reflex der die Einheit des Geistes verbürgenden transformalen Wahrheit konzipieren. Insofern erscheint im Sichbilden der philosophischen Erkenntnis die in sich zurückgehende Tätigkeit des Lebens als Reflex der Einheit des Geistes. Zugleich ist aber diese hervorbringende Tätigkeit in reiner Reflexionsform wiederum nichts anderes als die Grundform der schöpferischen Subjektivität überhaupt, die sich insofern als Reflex der transformalen Wahrheit erweist. Und diese als solche rein ideelle Bildgestalt lebt eben nur als faktische: faktisch im Zwang der Symbolik.
134 135
Vgl. oben 3.2: Der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen. Vgl. oben 2.1.5: Das Wesen der Menschheit: äén diafðerómenon/ eaytÖ.
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3.5.8 Die Geltung der letzten höchsten Einsicht Der Rechtsgrund der sich selbst als solcher hervorbringenden Tätigkeit muss in der Wahrheit, und zwar in der Wahrheit als das sie Fordernde liegen. Solche transformale Wahrheit muss vom sich in der Form der schöpferischen Subjektivität vollziehenden Bilden als ein sich selbst in seinem Wertsein geforderter und fordernder Wert konzipiert werden. Damit wendet sich Ernst Cassirers Metaphysik des Symbolischen in einen methodologisch gefassten Platonismus, zumal das bewährende Prinzip dieses Bildes in der „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) in keiner Weise Gegenstand irgendeiner Form von sinnlicher Erfahrung – also der Empirie – werden kann. Zugleich aber ist es als bewährendes Prinzip der Tätigkeit der Sinnverknüpfung als solcher Bedingung der Möglichkeit der Möglichkeit von Weltzugang überhaupt. Dieses bewährende Prinzip kann immerhin Wahrheit schlechthin (vgl. PSF III, ECW 13, 327; EGL, ECW 9, 139; ECN 1, 191) oder transformale Wahrheit genannt werden – aber eben nur in dem Bewusstsein, dass dieser Name einen reinen Reflexionsbegriff, keinen auf ein erscheinendes Objekt referierenden (empirischen) Begriff benennt. Immerhin hat diese transformale Wahrheit als solche als Reflexionspunkt der Selbstentfaltung der Auseinandersetzung zugleich das Eigentümliche, dass sie zwar nur reflexionsbegrifflich anzuzeigen ist, mithin rein begrifflich als völlig leer erscheint, dennoch aber als höchstes Prinzip der ideellen „Totalität“ (ECN 1, 264) gerade als solche in jedem geistigen Vollzugs inhaltlich bestimmend ist, insofern sie konstitutiv für jeden geistigen Vollzug überhaupt ist, der als geistiger notwendig den Anspruch auf solchen Totalitätsbezug konzipiert – was im naiven Bewusstsein implizit bleiben kann. Vom Blickpunkt der kritischen Phänomenologie rückschließend nähert sich die Reflexion von inhaltlicher Seite dieser Idee der sich selbst verbürgenden Geltung durch die ideelle Zusammenschau der Totalität der Vollzugsweisen des Geistes als Symbolfunktion in den sich herausdifferenzierenden symbolischen Formen.
3.6 Selbstrechtfertigung der Philosophie Die Frage nach der Wahrheit schlechthin erbringt zugleich die geforderte Selbstrechtfertigung der Philosophie. Der Weg der Rechenschaftsablegung, der über eine ideelle Zusammenschau der inhaltlichen Totalität der symbolischen Weltbezüge des Menschen immerhin nur näherungsweise, weil schließlich im Bannkreis der Faktizität verfangen bleibend, verläuft, ist
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von Ernst Cassirer für den symbolischen Idealismus in seinen philosophiegeschichtlichen Reflexionen entdeckt, gewiesen und streckenweise beschritten worden. Cassirers monumentales Werk über „Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit“ (ECW 2–5) muss in dieser Hinsicht als historisch-kritisch verfahrende Bereitstellung der ‚Mittel‘ der Reflexion in systematischer Absicht verstanden werden.136 Aber der lebensweltliche Ort der Reflexion – im dreifachen Sinne von Ausgangs-, Bezugs- und Vollzugspunkt – ist das konkrete, aktuelle Denken.
3.6.1 Philosophieren als Fragen und Zweifeln Jedes konkrete Denken hebt von sinnlicher Anschauung an und verfährt mittels Abstraktionen. Jedes konkrete Denken investiert dabei Sinnverstehen. Die jeweils beanspruchte Geltung, die für den im Denken gebildeten geistigen Vollzug konstitutiv geforderte Freiheit usw. sind Bedingungen der Möglichkeit des Denkens überhaupt, mithin auch jeglicher, von sinnlicher Erfahrung anhebender Abstraktion. In der „Ordnung des Geschehens“ (ECN 5, 12) steht eine Zuwendung zu Objekten immer am Anfang. Gemäß der „Ordnung des Sollens“ (ECN 5, 12) bzw. der Geltung verhält es sich aber genau umgekehrt: Das In-den-Blick-Nehmen von Gegenständlichkeit überhaupt ist immer schon Sache der geistigen Konstitution, die sich, gemäß der Grundvoraussetzung der Philosophie der symbolischen Formen, in verschiedenen Modalitäten der Sinngebung, in verschiedenen symbolischen Formen, prinzipiell frei vollziehen kann. Das Fragen im Modus eines bestimmten Denkens – wie es sich also im Medium spezifischer symbolischer Formen vollzieht bzw. vollziehen kann – konstituiert sich nicht nur an der Gegenständlichkeit, sondern hat auch ausschließlich diese im Blick: Es meint immer die Ordnung des Geschehens und hat die Ordnung des Sollens immer „sozusagen im Rücken“ (ECW 3, 58). Das philosophische Fragen dagegen zielt wesentlich auf die Ordnung des Sollens. Die Ordnung des Geschehens ist ihm terminus a quo, niemals terminus ad quem. Das, was dem Denken, das sich in den Medien spezifischer symbolischer Formen der objektiven Realität zuwendet, im Rücken liegt, macht sich das philosophische Denken erst zu seinem eigentlichen Objekt. Die Überlegungen zum metaphysischen Reflexionsvollzug und zum transformalen Wahrheitsbegriff zeigen, dass 136
griffe.
Zu den Mitteln der Reflexion im engeren Sinne vgl. oben 3.3.1: Reflexionsbe-
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dieses Machen in der Tat für die philosophische Reflexion ein freies Hervorbringen ihrer selbst ist – buchstäblich in der Tat.137 Abschließend ist nun freilich dieser Vollzug rückzubinden an den konkreten Lebensvollzug und damit wiederum historisch zu bestimmen. Mit Cassirer gedacht realisiert sich dies in der Frage, wie sich ein solcher philosophischer Idealismus im realen Leben verortet bzw. worin er faktisch wurzelt. Philosophieren bzw. das, was wir ‚Philosophie‘ und zu Recht so nennen, erwächst nicht aus irgendeinem beliebigen, mehr oder weniger tentativen Behaupten von Theorien, Begründungsstrategien, Weltanschauungen und einem daran anschließenden Laborieren an dabei aufscheinenden Problemen – Philosophieren hebt vielmehr mit einer bestimmten Weise zu fragen an. Alle Behauptungen im engeren Sinne, die sich dann noch ergeben bzw. ergeben mögen, sind ausschließlich aus dieser bestimmten Weise zu fragen legitimiert.
3.6.2 Sokratisches Fragen Noch bevor weiterreichende Bestimmungen des Philosophierens ausgemacht sind – namentlich wie sich die Philosophie zu anderen symbolischen Formen verhält, speziell zum wissenschaftlichen Denken, wie sie als angewandte Philosophie, bei Cassirer ist es schließlich die Kulturphilosophie, zu ihren Gegenständen im engeren Sinne kommt u. a. – noch bevor über all diese Themen, welche die Eingrenzung, Abgrenzung und Spezifizierung des Philosophiebegriffs betreffen, philosophiert werden kann, lässt sich eines jedenfalls nicht von der Hand weisen: Die Philosophie fragt. Indem sie nach ihrem Gegenstand und damit gerade nach ihrem Selbstbegriff, indem sie nach der Legitimität ihrer Aussagen und darin nach ihrer Selbstrechtfertigung fragt, tut sie unabweisbar und über jeden Zweifel erhaben doch eines: Sie fragt. Eigentliches Philosophieren macht sich dabei dadurch, wie die Überlegungen zum transformalen Wahrheitsbegriff und zum metaphysischen Reflexionsvollzug gezeigt haben, indem es sich selbst als Vollzug in den Blick dieses Vollzugs nimmt: „Die Philosophie ‚ist‘ nur dadurch, daß sie auf jeder Stufe ihrer Entwicklung immer wieder von neuem nach sich selbst, nach ihrem Rechts- und Wahrheitsgrund, nach ihrer eigenen inneren Möglichkeit fragt.“ (FFW, ECW 17, 342) Die Philosophie ist nur dadurch, dass sie fragt, und zwar nach sich selbst. Mit der Fokussierung auf die Frage nimmt Cassirer unverkennbar Bezug auf das cartesische Projekt, durch den Zweifel hindurch zu dem zu kom137
Vgl. oben 3.5: Metaphysische Reflexion.
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men, was zu Recht als philosophische Behauptung Bestand haben kann. Cassirer hält in diesem Sinne ausdrücklich fest, dass „der ‚Zweifel‘ […] das positive Instrument der Erkenntnis [ist] – [denn er] drückt die Funktion der philosophischen Erkenntnis aus.“ (ECN 1, 130) Cassirer spielt damit aber nicht nur auf Descartes an. Er geht noch weiter in einem historischen Ausgriff auf Sokrates zurück, um in einer für ihn typischen Gedankenfigur das Problem des Rechtsgrunds der Philosophie im Sinne ihres eigentlichen systematischen Anfangs zugleich an den geistesgeschichtlichen Bedingungen ihres historisch (vielleicht!) ersten Auftretens zu reflektieren.138 Denn auch dies gehört zum Selbstverständnis der Philosophie der symbolischen Formen, muss sie sich als ein Kulturprodukt bzw. Kulturgut doch zu ihrer Selbstrechtfertigung nahtlos in denjenigen kulturellen, also auch historischen Zusammenhang einreihen lassen, den sie selbst systematisch zu begründen, d. h. verstehend zu durchdringen beansprucht. Die „‚Verstandes‘-Funktion des Fragens“ (ECN 1, 127139) ist jedenfalls der faktische Anfang jeglichen Philosophierens. „Diese Funktion steht am Anfang aller Philosophie“ (ECN 1, 127). Damit, so Cassirer, steht zugleich das sokratisch-platonische Staunen, das Jaumázein, am zugleich historischen wie systematischen Ursprung der Philosophie: „Das ist der Einbruch des Sokratischen Begriffs, der Einbruch der Reflexion“ (ECN 1, 127). Reflexion in diesem Sinne ist freilich noch nicht die im strengen Sinne metaphysische Reflexion. Aber sie ist deren faktische Voraussetzung. Mit dem Begriff der Reflexion, wie Cassirer ihn bei Sokrates realisiert findet, ist mithin das Verfahren der Philosophie bereits eröffnet. Cassirer spricht auch davon, dass die Reflexion ins Leben einbreche und holt damit zugleich schon anfänglich diesen zentralen Begriff der Metaphysik des Symbolischen ein. Mit der Frage bricht die Reflexion ins wirkliche Leben ein. Geistesgeschichtlich macht Cassirer dies an der Figur des Sokrates fest. Damit soll natürlich nicht gesagt werden, dass es erst mit Sokrates historisch möglich wurde, Fragen zu stellen, und dass Sokrates der erste Mensch war, der mit dem Philosophieren begann. Fragen konnte sicherlich auch der mythische Mensch stellen. Und auch nach Sokrates sind Fragen nicht nur
138
„Methodologisch gesehen ist [Cassirer] jedoch kein reiner Philosophiehistoriker, sondern er betreibt Geschichtsschreibung des philosophischen Denkens vor allem als ‚Problemgeschichte‘ zum Zwecke der Hinleitung zu – teils auch ganz aktuellen – systematischen Themen.“ Sandkühler 2003, 23. 139 Der „Verstand“ taucht innerhalb dieses Cassirerzitats in Anführungszeichen auf, weil damit kein psychologisches Vermögen gemeint ist. „Verstand“ hat hier den funktionalen Sinn im Kontext einer transzendentalen Logik, den Kant diesem Terminus in seiner Kritik der reinen Vernunft zugewiesen hat.
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philosophisch, nicht zuletzt insofern als jeder Mensch immer auch mythisch sein können muss.140 Mit dem spezifisch sokratischen Fragen ist allerdings nicht das einfache Fragen gemeint, das auf eine Entscheidung hinsichtlich eines Problems oder einer Situation abzielt, sofern es dabei um die Frage nach dem Einsatz geeigneter Mittel zur Realisierung eines gegebenen Zwecks geht. Noch viel weniger ist das Fragen nach ‚Dingen‘ in der ‚Welt‘ und ihren faktischen Zusammenhängen gemeint, die freilich für die Frage nach Mitteln zu Zwecken immer eine Voraussetzung darstellen. Vielmehr steht damit dasjenige Fragen im Blick, das sich selbst gegen das Wissen von Problemen und Situationen sowie gegen das Wissen darum, vor eine Entscheidung gestellt zu sein, wendet: Es ist das Fragen nicht nach dem Gewussten, sondern nach dem Bestand und Vollzug des Wissens. Das sokratische Fragen zielt auf die „Ordnung des Sollens“ (ECN 5, 12), nicht auf die „Ordnung des Geschehens“ (ECN 5, 12).
3.6.3 Sittliches Interesse als Hebamme der Philosophie Die Entscheidung, vor die sich das streng philosophische Fragen im Modus der Metaphysik des Symbolischen gestellt sieht, hat sich in der oben durchgeführten Reflexion bereits als die Entscheidung hinsichtlich der Frage nach der einen Wahrheit gezeigt.141 In inhaltlicher Hinsicht ist es nun aufschlussreich, dass sich der Einbruch der Reflexion, die sich mit Sokrates geistesgeschichtlich belegen lässt und die das eigentlich philosophische Fragen erst geschichtlich auf den Weg gebracht hat bzw. haben könnte, sich „[…] gegen das sittliche Selbstbewusstsein des Ich [wendet]“ (ECN 1, 127). Deshalb also erweist sich schließlich auch und gerade die Frage nach dem Leben als geistigem Prozess (vgl. ECN 1, 266) als eine Frage nach Werten, nach dem Sinn und Wert des Lebens: Das philosophische Staunen ist ein vom ethischen Fragen abkünftiges Fragen. Das Entscheidende an dieser Art zu fragen ist, dass darin „das Leben selbst und alle seine Formen überhaupt als etwas Fragwürdiges an[ge]sehen [werden]“ (ECN 1, 127). Als fragwürdig können sich aber faktische Gebilde des geistigen Lebens als solche nur in Hinsicht auf ihre Legitimität bzw. „Rechtschaffenheit“ (ECN 1, 128) erweisen. Das zum eigentlich philosophischen Fragen Hinführende an dieser Fragerichtung ist dabei, dass es im Hinblick auf das Leben „nach seinem ‚Grund‘, seinem ‚Logos‘“ 140
Dieses ‚können‘ ist hier als Moment seiner Freiheit zu verstehen, die ihn als animal symbolicum ausmacht. 141 Vgl. oben 3.5.3: Reflexion: Zuschauerin und Richterin.
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(ECN 1, 128) fragt. „Grund“ und „Logos“ – formal hat sich die transformale Wahrheit als Grund bzw. Logos der Geltung von Weltzugang überhaupt erwiesen – meint hier ausdrücklich das, woraus das Leben mit all seinen Formen seine Rechtfertigung bezieht. Gegen die Sophisten, so Cassirer, meint „Grund“ natürlich nicht das Herkommen, die Genese oder Entstehung der Formen des Lebens oder des Lebens selbst, sondern vielmehr, mit dem platonischen Sokrates des Phaidon, „eine ‚andere Form des Grundes‘“ (ECN 1, 129), nämlich die „wahre aÎtía“, das „Telos“ (ECN 1, 129). Sokrates, so Cassirer, „fragt (ethisch) nach dem ‚Wozu‘“ (ECN 1, 127) der Lebensformen. In dieser Hinsicht geht es freilich nach Cassirer, wieder mit Sokrates und gegen die Sophisten, nicht um Fragen der Nützlichkeit. Eigentlich philosophisches Fragen, dies zeigen die Überlegungen zum transformalen Wahrheitsbegriff und zum metaphysischen Reflexionsvollzug, ist schließlich kein vital bedingtes, insofern irgendwie biologisch notwendiges Fragen, sondern vielmehr ein freier Vollzug und insofern auch in die Willkürfreiheit des Fragenden gestelltes Fragen, der sich eben zum Philosophieren, und zwar im Sinne Cassirers zur „Weltanschauung des ‚symbolischen Idealismus‘“ (ECN 1, 261), entscheiden muss; dagegen muss man sich beispielsweise nicht erst zu einer mythischen Weltanschauung entscheiden, wenn man in einer mythischen Kultur lebt – man untersteht schon dem Zwang der Symbolik. Sokrates geht es in seinem ursprünglich ethischen Fragen um den Wert des Lebens. Denn nur mit Bezug auf Werte kann der Lebensvollzug Rechenschaft von sich selbst ablegen. Und nur aus solchem ethischen Interesse kann eigentlich philosophisches Fragen entspringen – ansonsten könnte die Bedingung der Freiheit, und zwar im ethischen Sinne, dem Fragen gar nicht in den Blick kommen. Die zu erbringende Schuld der Rechenschaft ist für das ethische Fragen und für das eigentlich philosophische Fragen wesensgleich: „Diese ‚Rechenschaft‘ ist der Beginn aller philosophischen ‚Rechtschaffenheit‘“ (ECN 1, 128). Sofern es folglich um das Leben selbst und alle seine Formen überhaupt geht, wenn nach dem Grund gefragt wird, geht es offensichtlich um den Wert der Formen des Lebens: Das Leben bezieht letztlich seine Rechenschaft aus dem jeweiligen Formwert (vgl. ECN 1, 191) seines Vollzugs.
3.6.4 Wahrheit als Wert und geistige Setzung Damit vollzieht Cassirer aus seinen geistesgeschichtlich inspirierten Überlegungen heraus die Wende in die Rechtfertigung der Philosophie. Die Gelenkstelle ist hier der Begriff des Formwerts, der ganz offensichtlich
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nicht bloß funktional im Sinne von zweckrational gedeutet werden darf. Dadurch, dass sich das Fragen dem Formwert zuwendet, kann es nämlich auch die Wahrheit in den Blick nehmen, denn „Wahrheit […] ist ein Formwert“ (ECN 1, 191).142 Das ursprünglich ethische Fragen wird zum Quellgrund des eigentlich philosophischen Fragens. Als Wert ist Wahrheit das, auf dessen Realisierung das Leben im philosophischen Fragen als eine Weise des Lebensvollzugs aus ist, so wie der sittliche Lebensvollzug auf die Realisierung ethischer Werte im engeren Sinne und damit auf Wahrhaftigkeit der Intention aus ist. Wahrheit schlechthin (vgl. PSF III, ECW 13, 327; EGL, ECW 9, 139; ECN 1, 191), um die es dem philosophischen Fragen geht, ist der Wert der Werte. Die Forderung der Rechenschaftsablegung ergeht deshalb an das philosophische Fragen aus der transformalen Wahrheit selbst als Wert. Wenn aber Wahrheit in der Perspektive des lebendigen Vollzugs der Metaphysik des Symbolischen als Wert erscheint, dann erscheint damit zugleich das philosophische Fragen als der von diesem Wert geforderte Vollzug. Das philosophische Fragen, der lebendige Vollzug der philosophischen Reflexion im Modus der Metaphysik des Symbolischen, ist damit nichts anderes, als der lebendige Ausdruck der Wahrheit als Wert: Im philosophischen Vollzug realisiert sich der, der Wahrheit als Wert anhängende, intelligible Wille zur Verwirklichung dieses Wertes. Der lebendige Ausdruck der Wahrheit als Wert ist insofern nichts anderes als der intelligible Wille, dessen idealer Vollzug im konkreten Vollzug des philosophischen Fragens nach der Wahrheit real nachgebildet wird. Der intelligible Wille, der die Wahrheit als Wert will, der also der diesem Vollzug implizite, konstitutive Akt des reinen Setzens (vgl. ECN 1, 244) dieses geltungstheoretisch objektiven Formwerts der Wahrheit ist, ist es dabei, der im Vollzug des philosophischen Fragens selbst nachvollzogen wird. Das philosophische Fragen geht bewusst auf den Formwert der Wahrheit aus, der als Formwert in diesem Vollzug zugleich gewollt wird. Nun ist aber daran „zu erinnern, daß alles Wertsetzende schon Geist ist“ (ECN 1, 210).143 Jeder Wert, so auch der Wert der Wahrheit, ist synthetisch mit einem diesen Wert wollenden intelligiblen Willen verbun-
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„‚Wahrheit‘ ist nicht etwas, was dem Wirken verhaftet – und nicht etwas, was mit seinen Maßstäben zu messen ist – Das war der Grundirrtum der Sophistik, daß sie die Wahrheit in dieser pragmatischen Sphaere suchte und sie in ihr festzuhalten, mit ihren Maßen zu messen versuchte – […] das bedeutet für Protagoras, daß das Kriterium der Wahrheit ein pragmatisches ist – daß es an ihrem ‚Nutzwert‘ zu messen ist. […] Aber Wahrheit ist kein Nutzwert, sie ist ein Formwert – es giebt ein eÏdoV der Wahrheit, aütò kat] aüto“ (ECN 1, 191). 143 Cassirer erinnert daran im Anschluss an Nicolaus Cusanus.
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den. Dieser einem Wert als immanente Selbstäußerung anhängende intelligible Wille erscheint dabei zugleich als das „eigentlich wertsetzende Prinzip“ (ECN 1, 31), folglich als Geist. In Bezug auf den Wert der Wahrheit ist folglich der implizite intelligible Wille, welcher der Wahrheit als Wert anhängt, der ideale, geistige Vollzug, der in der metaphysischen Reflexion einzusehen ist. Der Geist stellt sich dabei als die Erscheinung der Wahrheit als Wert dar, denn er ist – bzw. erscheint im lebendigen Vollzug als – die „Funktion, auf der alle ‚Möglichkeit‘ des Wertes beruht“ (ECN 1, 31). Der Geist als intelligibler Willensvollzug ist es also, der im Vollzug des philosophischen Fragens in einem frei initiierten, vollbewussten Akt nachvollzogen wird. Der Vollzug der philosophischen Reflexion – der mit der frei gebildeten Frage, die freilich in einem faktischen Lebensvollzug gestellt werden muss, erst anhebt – behauptet sich insofern zu Recht als der Nachvollzug des idealen geistigen Vollzugs. Das philosophische Fragen als der Nachvollzug des idealen geistigen Vollzugs kann in diesem Selbstverständnis zugleich als im geforderten Sinne gerechtfertigt betrachtet werden. Der Geist ist als Erscheinung der Wahrheit „Rückwendung“ (ECN 1, 32) auf sich selbst. Im Hinblick auf den Geist als Prinzip des wertsetzenden bzw. geistigen Vollzugs „[ist] diese Rückwendung, die ‚Reflexion‘, […] jene Form der Bewährung und der Selbstbestätigung, die ihm spezifisch zu eigen und deren er allein fähig ist“ (ECN 1, 32, vgl. 212 f.). Diese ursprüngliche Reflexion ist die „blosse Setzung“ (ECN 1, 31), in welcher der geistige Lebensvollzug zugleich und in Bezug auf sich selbst „unterscheidet, wählet [sic!] und richtet“ (ECN 1, 31). In der philosophischen Frage nach der Wahrheit als Wert wird dieser geistige Vollzug folglich in seiner anhebenden Urform erfasst, denn „gegen sich selbst fragen können ist gerade eine Urfunktion, ja die […] tiefste Funktion des Geistes selber […] und nur in der Frage entsteht das Problem des Wertes […] des Lebens.“ (ECN 1, 211144) Wahrheit ist der sinnstiftende Wert des Lebens, nach dem in der von der sittlichen Frage abkünftigen, frei initiierten philosophischen Frage gefragt wird. Die philosophische Reflexion bildet in der Frage, in der das Leben mit Bezug auf den Formwert (vgl. ECN 1, 191) seines Vollzugs sich selbst in Frage stellt, also eine Rückwendung bzw. Wendung des Blickstrahls auf sich selbst vollzieht, die sich selbst bewährende ideale Wertsetzung des geistigen Vollzugs formal bzw. ideell nach, indem sie darin den Refl exionsbegriff der transformalen
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Cassirer schreibt: „die vielleicht tiefste Funktion des Geistes“. Das „vielleicht“ scheint hier das Produkt einer gewissen Übervorsichtigkeit der Person Cassirers in ihren philosophischen Behauptungen zu sein (die mitunter auch als ‚Konzilianz‘ erscheinen mag).
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Wahrheit frei erstellt, um zur unmittelbaren Anschauung ihres eigenen Reflexionsvollzugs zu kommen. In der „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) wird folglich die Selbstbewährung des geistigen Vollzugs in der Wahrheit unmittelbar ersichtlich und einsichtig. Dies ist eine absolute Einsicht, platonisch gesprochen ist es die Einsicht in die Idee des Wahren/Guten/ Schönen.145
3.6.5 Rechenschaftsgrund und Sinn der Philosophie Die Philosophie empfiehlt sich damit zugleich selbst als ein konkreter Lebensvollzug, der fordert, dass alle Bedingungen der Möglichkeit konkreten, freien Lebensvollzugs realisiert werden sollen. Der Vollzug der philosophischen Reflexion kann nämlich selbst nur da statthaben, wo nicht nur die prinzipiellen Bedingungen der Möglichkeit von konkretem, freiem Lebensvollzug realisiert sind und als solche reflektiert und erkannt werden können, sondern faktisch nur da, wo auch die konkreten biologischen, sozialen und kulturellen sowie individuell konstitutiven und bildungsmäßigen Voraussetzungen erfüllt sind. Damit bietet sich die Philosophie aber nicht nur als ein ‚abstrakter‘ Lebensvollzug an, der mit dem ‚wirklichen‘ Leben nichts zu tun hätte, sondern indem sie sich nur als konkreter Lebensvollzug realisiert, empfiehlt die Philosophie zugleich spezifische konkrete Bedingungen für die Realisierung von Kultur und zugleich Momente eines spezifischen Lebensstils (Philosophie als Lebenskunst). Die Philosophie reflektiert die Bedingungen der Freiheit, deren konkreter Vollzug immer zugleich ein verantwortbares, weil schließlich aus seinem quid juris zu legitimierendes Handeln hervorbringt. In ihrer „letzten höchsten Einsicht“ wird die Philosophie dabei selbst zum unmittelbar sich vollziehenden Bild des Bildens als dem Urbild des Vollzugs der Freiheit bzw. des Urphänomens des Lebens. Aus dieser Auffassung von Philosophie bzw. dem Wesen der philosophischen Reflexion erschließt sich damit zugleich abschließend Cassirers Behauptung der Position, für welche philosophische Rechtschaff enheit (vgl. ECN 1, 128) nur da zu Recht beansprucht werden kann, wo sie wesentlich an das Ziel der menschlichen, ethischen Vernunft angeknüpft ist (vgl. CPPP, SMC, 59). Ähnlich wie freilich für Platon bleibt es folglich auch für Cassirer nicht beim ‚luftleeren Raum‘ ( Kant gegen Platon146) der metaphysischen 145 146
Vgl. in diesem Lichte die Behauptung der drei Sinndimensionen ECN 3, 196. Vgl. Kant 1956, 321 ff. (A 312 ff./B 668 ff.).
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Reflexion. Denn schließlich ist doch jedes philosophierende Individuum ein endliches, konkretes Lebewesen. Den „symbolischen Grundcharakter[] der Erkenntnis selbst […] einsehen“ (ECN 1, 265, im Original kursiv) kann das philosophierende animal symbolicum nur mit den reflexionsbegrifflichen Mitteln der Metaphysik des Symbolischen. Cassirers transzendentaler Idealismus bleibt symbolisch, es gibt nur eine rein „ideelle Befreiung vom Zwang der Symbolik“ (ECN 1, 265). Der Ertrag der philosophischen Reflexion erhebt aber den Anspruch, eine spezifische Haltung in ihrer Hervorbringung zu begünstigen – eine sokratische Haltung, die den Wert des Lebens erkennt und deshalb achtet, weil wahres Erkennen zugleich das Wollen des Sollseins des Erkannten ist, indem sie die absolute Forderung, die Kultur, die eigentliche Lebenswelt des animal symbolicum, ethisch verantwortlich zu gestalte, einsichtig macht.147 Konsequent durchgeführt ist Philosophieren genau der Lebensvollzug dieser Haltung. Die Möglichkeit zur Praxis philosophischen Fragens ist der Samen der Philosophie, der dem Menschen als animal symbolicum eingeboren ist. „Die Welt des Werdens können wir nicht hinter uns lassen; wir können nicht in den ‚reinen‘ Logos ‚fliehen‘ – denn es ist unsere Welt, – die Welt, in der wir leben, weben und sind – und die Welt, auf die wir ethisch hingewiesen (– nicht nur vital angewiesen) sind. In ihr also müssen wir Fuß fassen – und sie mit dem Licht der Erkenntnis durchdringen – das ist der ‚Weg zur Wahrheit‘, der uns, als endlichen Wesen, verstattet ist.“ (ECN 3, 161)148
147
Vgl. Recki 2004, 165: „Da die gesamte Welt qua Handlungszusammenhang auch immer schon unter dem spezifisch moralischen Aspekt der Verbindlichkeit, also: normativ beurteilt wird, muß sie uns auch zum Gegenstand unserer ungeteilten Verantwortung werden – aber ohne dass uns das in den elementaren Handlungen, die mit dem so verstandenen Freiheitsbegriff bereits vorab bezeichnet sind, jemals im konzeptuell erforderlichen Ausmaß bewusst und damit verfügbar werden könnte.“ 148 Vgl. Tomberg 1996, 215 f.: „Philosophie vollzieht ihren symbolischen Charakter, sie expliziert im Vollzug ihre eigene Form: ihr ethisches und anthropologisches Interesse, und gestaltet dieses in der Kritik symbolischer Pathologien, des Nichtseinsollenden. Zuletzt gewinnt auch sie ihre spezifische Identität nur im Vollzug des philosophischen Werkes insgesamt […]. Erst hier werden die zahllosen Facetten einer philosophierenden Individualität als Konkretion ihrer Identität spürbar. Zuletzt entziehen sie sich jedoch ihrer Thematisierung. Die philosophierende [Individualität] enthüllt immer nur einen Teilaspekt einer begegnenden Identität. Sie bleibt verwiesen auf ihr größeres Gesamt, bleibt im Streben nach Wahrheit und erfährt ihren Sinn außer sich.“ – Insofern muss auch Theorie, zumindest philosophische Theorie, gemäß Recki 2004, 186, „als aufklärende Explikation unseres Selbstverständnisses in praktischer Perspektive“ verstanden werden. – Und dementsprechend übt der Mensch das ‚gnothi seauton‘, das delphische ‚Erkenne Dich selbst!‘, indem er sich in seinem Werden als Partizipant der Kulturgeschichte versteht, vgl. Simorangkir 1998, 93 f.
4 Durchführung der synthetischen Sichtweise
4.1 Kontemplation als Entfaltung der transzendentalen Einheit Die Überlegungen zur Metaphysik des Symbolischen haben gezeigt: Die Reflexionsbegriffe sind im Medium der philosophischen Reflexion selbst zu entwickeln, nämlich aus der Vollzugsform der metaphysischen Reflexion. Die Reflexionsbegriffe sind in diesem Vollzug diejenigen Begriffe, welche die philosophierende Subjektivität mit ihrem spezifischen, nämlich transformalen, Erkenntnisanspruch konstituieren. In der metaphysischen Reflexion hat sich die Form der schöpferischen Subjektivität als Reflex der transformalen Wahrheit gezeigt. Der Selbstvollzug der schöpferischen Subjektivität im Modus der metaphysischen Reflexion als lebendiger Reflex der transformalen Wahrheit in der philosophischen Reflexion stellt das paradigmatische Exemplar des lebendigen Vollzugs dar, wie er grundsätzlich in jeder symbolischen Form in jeweils modifizierter „Gestalt“ (PSF I, ECW 11, 14) zum Ausdruck kommt. Der Vollzug des Lebens in sich hat insofern im Vollzug durch ein philosophierendes Subjekt seinen konkreten und sich zugleich zu Recht als ideell vom Zwang der Symbolik befreit behauptenden, exemplarischen Repräsentanten. Um diesen Anspruch halten zu können, sind die Reflexionsbegriffe als solche konzipiert, die nicht einfachhin in Objektbezug gedacht sind, sondern vielmehr als als unmittelbar gemeinte Mittel der Selbstgestaltung der philosophischen Reflexion. Der sich in der Reflexion entfaltende bzw. der genetische Zusammenhang der Reflexionsbegriffe stellt subjektseitig das im Vollzug zu erlebende strukturelle Bild des geistigen Lebensvollzugs dar, der jegliche Form von Verhaltungsweise zur Welt (vgl. PSF I, ECW 11, 27; ECN 1, 5) konstituiert – und darin in „Auseinandersetzung“ (PSF II, ECW 12, 182; PSF III, ECW 13, 44; ECN 3, 199; LSB, ECW 22, 118) sowohl die „Verhaltungsweise“ als geltungstheoretisch subjektiven, und „Welt“ als geltungstheoretisch objektiven Vollzugsaspekt. Objektseitig zeigt sich der Zusammenhang der Reflexionsbegriffe in Wort und Text als konkretes Symbol des lebendigen Vollzugs des Philosophierens, das sich damit in den konkreten, historischen Zusammenhang der künstlichen Symbolik einreiht unter dem faktisch notwendigen „Zwang der Symbolik“ (ECN 1, 265) der Ausdrucksmittel der symbolischen Form des sprachlich-wissenschaftlichen Denkens.
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Als lebendiger Vollzug, also in seinem rein schöpferisch subjektiven Aspekt, hat sich der Vollzug des Philosophierens als ein vom ethischen Fragen abkünftiges Fragen erwiesen. Es konstituiert sich als solches nur in seinem interesselosen Interesse an der werthaften Konstitution des Lebens – als solches ist es als „Kontemplation“ (ECN 1, 190) zu bestimmen – bzw. im sokratischen Fragen nach der „Rechtschaffenheit“ (ECN 1, 128) von Lebensvollzug überhaupt: Der faktische Vollzug des Philosophierens (bzw. der Philosophie) ist ein interesseloser, weil nicht auf Nützlichkeit bedachter (vgl. ECN 1, 191), aber höchst interessierter, nämlich an der Einsicht in den „Formwert“ (ECN 1, 191) schlechthin – in der „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) wird im Begriff des Lebens zugleich die reine Reflexionsform schlechthin mit ihrem Formwert, als der transformalen Wahrheit, konzipiert. Cassirer bringt den damit geleisteten symbolischen Weltbezug der Philosophie mit der Figur des Sokrates ins Spiel. Denn es geht immerhin um diejenige Wahrheit, die eine prinzipielle „Selbsterkenntnis der Vernunft“ (ECN 1, 264) dem „positive[n] Instrument der [philosophischen] Erkenntnis“, nämlich dem (cartesischen) „Zweifel“ (ECN 1, 130) gegenüber, unanfechtbar macht. Der Begriff der „Selbsterkenntnis der Vernunft“ (ECN 1, 264) und der Begriff des Rechenschaftablegens der Philosophie von sich selbst (vgl. FFW, ECW 17, 342; CPPP, SMC, 49 f.) erweisen sich hier, in der philosophischen Reflexion, als wesensidentisch.
4.1.1 Reflexion des intelligiblen Willens Die philosophische Reflexion erkennt sich selbst als Willensvollzug, indem sie sich als Entscheidung zum Selbstvollzugs im Modus des symbolischen Idealismus reflektiert. Philosophische Reflexion als selbst konkreter Lebensvollzug setzt damit die jegliche Entscheidung im strengen Sinne ermöglichende Freiheit dazu voraus; sie hat sich damit „den Grund und Boden, auf welchen sie sich stellt, selbständig zu erarbeiten und zu sichern.“ (PSF III, ECW 13, 54) Das paradigmatische ‚Objekt‘ der metaphysischen Reflexion ist somit Wertbezug – sprich: Wille, nämlich als (intelligibler!) „Wille zur Form“ (ECN 1, 18). Der exemplarische Wert, dem die metaphysische Reflexion verpflichtet ist, um sich daran zugleich paradigmatisch zu konstituieren, wird in der reflexionsbegrifflich gehaltenen Idee der transformalen Wahrheit erfasst. Darin besteht eben im tiefsten Sinne die „Rückwendung“ (ECN 1, 32, 190) der philosophischen Reflexion auf sich selbst als Bild der Reflexionsform des Geistes: In der paradigmatisch am Bezug auf den exemplarischen Formwert der trans-
Durchführung der synthetischen Sichtweise
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formalen Wahrheit konstituierten philosophischen Reflexion erweist sich Wertbezug überhaupt als Grundform des geistigen Bildens. Damit wird im philosophischen Bilden der objektseitig sich darstellende Zusammenhang der Reflexionsbegriffe als zwar modal notwendigerweise differenziert, aber ideell wesensidentisch mit dem subjektseitig lebenden unmittelbaren Vollzug eingesehen. Die letzte höchste Einsicht (vgl. ECN 1, 271) besteht folglich nicht zuletzt darin, dass sich in der Entscheidung zu einem Willensvollzug überhaupt, exemplarisch als Entscheidung zum Philosophieren, die Urgestalt jeder möglichen symbolischen Form unmittelbar offenbart. Diese Einsicht konnte aber nur ermöglicht werden, indem sich das spezifische philosophische Bilden in seiner Selbstkonstitution der objektseitig in der symbolischen Form des sprachlich-wissenschaftlichen Denkens erscheinenden Reflexionsbegriffe bediente, die das philosphische Bilden unmittelbar doch erst im Vollzug zu konzipieren beansprucht – sprich: Es musste mit den Bedeutungen der Reflexionsbegriffe hantiert werden – schon auf der Ebene der kritischen Phänomenologie im weiteren Sinne, der die metaphysische Reflexion immer nur nachfolgt –, obgleich doch zugleich beansprucht wurde und werden musste, dass das Bedeutungsfeld der Reflexionsbegriffe ein sich im lebendigen Vollzug des Philosophierens zuerst und überhaupt selbst generierendes ist. Der systematische, reflexionsbegriffliche Zusammenhang des symbolischen Idealismus ergibt sich folglich aus der zu erlebenden Struktur des Vollzugs, in dem sich diese Einsicht einstellt. Der Vollzug der letzten höchsten Einsicht im faktischen Lebensvollzug des Philosophierens erscheint also im Nachvollzug des Wesens der Menschheit (vgl. ECN 1, 7), zusammengefasst, denn die grundlegende Vollzugsstruktur der Basisphänomene und der symbolischen Formen mit betreffend, im Reflexionsbegriff des äén diafð e rómenon/ eaytÖ (der in sich gegliederten Einheit). Im diesem Reflexionsbegriff wird der unmittelbare Selbstbezug konzipiert, der zugleich in der Reflexion als Form der „schöpferischen Subjektivität“ (ECN 1, 7) (Form der Ichheit bzw. Monas) erscheinend erkannt wird. Die sich im Selbstvollzug verleiblichende, in interpersonalem Bezug und in Objektbezug, nämlich durch freie Akte des Setzens von Werken, also in basisphänomenaler Bezogenheitsstruktur,1 zergliedernde geistige Tätigkeit erweist sich der philosophischen Reflexion damit zugleich rückläufig als die „Tendenz“ (ECN 1, 264) zur „Befreiung vom Zwang der Symbolik“ (ECN 1, 264) und darin als das faktische Korrelat des philosophischen Reflexionsvollzugs. 1
Vgl. oben 2.2:Das Urphänomen des Lebens: Theorie der Basisphänomene.
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Dass sich im Vollzug der philosophischen Reflexion das Bedeutungsfeld der Reflexionsbegriffe selbst entfaltet, dies ist folglich im weiteren Sinne die letzte Hypothese der philosophischen Reflexion, die in einer Darstellung der Reflexionsbegriffe einzuholen in Aussicht gestellt werden musste. Dies kann das philosophische Bilden nun leisten, indem es in der Selbstbeschreibung des philosophisch paradigmatischen Selbstvollzugs des Bildens in der schöpferischen Subjektivität – als Exemplar des Selbstvollzugs des Geistes – die Form des grundlegenden Zusammenhangs der Reflexionsbegriffe in einer transzendentalen Logik des Bildens sichtbar werden lässt. Ausgehend von der Einsicht in das sich an der Idee der transformalen Wahrheit bildende Bilden wird damit der unmittelbare geistige Selbstvollzug nachvollzogen, der sich in jeder symbolischen Form selbst offenbar wird, „sich selbst und die eigene Gesetzlichkeit seines Bildens erfaßt“ (PSF I, ECW 11, 23). Dabei kann der Zusammenhang gesehen werden, wenn jeweils darauf geblickt wird, welche Begriffe als Bedingung der Möglichkeit des lebendigen Vollzugs der schöpferischen Subjektivität als Ausdruck der Bedingungen der Möglichkeit geistigen Lebensvollzugs überhaupt konzipiert werden müssen. Die in solchem synthetischen Verfahren hinzuzupostulierenden Begriffe erweisen sich dadurch in ihrer reflexionslogischen Notwendigkeit als Bilder ursprünglich korrelierter Bedingungen der Möglichkeit der Existenz von geistigem Lebensvollzug.
4.1.2 Der dritte Weg zum System Die Darstellung der Reflexionsbegriffe meint den symbolischen Ausdruck des Blickpunkts der Reflexion, in der die analytisch erschlossene Einheit von Existenzbedingung und Vollzug als reine, komplexe Relation reflektiert wird, das heißt als synthetische Einheit. Die Einheit muss dabei als schöpferisch aufgefasst werden, und zwar als schöpferisch im Hinblick auf neue mögliche Gegenstandsbereiche – ganz im Sinne der von Cassirer paradigmatisch im Anschluss an seine mathematischen Überlegungen entwickelte Theorie der Relationsbegriffe –, wie sie das animal symbolicum in seinem konkreten Lebensvollzug, in seiner historisch gewordenen und werdenden objektiven geistigen Existenz entdecken (vgl. ECN 3, 249) kann und entdeckt hat, solange es immer schon gewesen ist. In der Hinsicht auf die geistige Einheit des Lebens als schöpferischer Einheit wird insofern der von Cassirer geforderte synthetische Blickpunkt (vgl. CIPC, SMC, 90) realisiert. Dabei zeigt sich wiederum, dass diese Einheit, entsprechend Cassirers Forderungen im Kontext seiner Bemerkungen zur Einheit des „komple-
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xen Systems“ (PSF I, ECW 11, 27), sich nicht auf den objektiven Begriff im Sinne Hegels beziehen kann. Der objektive Begriff im Sinne Hegels müsste im symbolischen Idealismus als objektiver symbolischer Ausdruck, und zwar als abgelöstes objektives Korrelat solchen Ausdrucks, verstanden werden, wobei dieser – entgegen Cassirers Position – als sich mit Notwendigkeit aus seiner, mit Cassirer dann nicht mehr anders als gegenstandslogisch zu denkenden, Einheit entfaltender Begriff gedacht werden müsste, und insofern gegen Cassirer die Korrelation mit seinen subjektiven Erscheinungsweisen nur akzidentell folgen lassend. Dies schlösse aber die für die Philosophie der symbolischen Formen grundlegende Einsicht aus, dass sich die symbolischen Formen durch die Kontingenz konkreter Freiheitsvollzüge in Akten des „reinen Setzens“ (ECN 1, 244, vgl. 31) entwickeln. Kultur als ein „komplexe[r] Prozess freier Gestaltung“ (ECN 1, 244, Hervorhebung S.U.) wäre dann nicht im strengen Sinne denkbar. 2 Deshalb kann sich die philosophische Reflexion im Modus des symbolischen Idealismus nicht auf die Einheit als objektive richten, sondern nur auf die Reflexionsbegriffe und darin auf deren Einheit als systematischer Zusammenhang im Sinne einer transzendentalen Logik. In dieser originär transzendentalen Reflexion ist dementsprechend mit in die Reflexion einzuholen, dass die Reflexionsbegriffe nur in subjektiven, weil individuellen und konkreten Lebensvollzügen erzeugt sind; insofern ist solche reine „Kontemplation“ (ECN 1, 190) nicht rein theoretisch, sondern immer auch praktisch (vgl. ECN 1, 188 ff.): Es „gibt“ keinen objektiven Begriff. Damit aber ist mit Cassirer sozusagen ein dritter Weg (neben vgl. PSF I, ECW 11, 26 f.) für den Entwurf eines philosophischen Systems realisiert. Denn die synthetische Sicht auf die jeweilige Einheit ist immer der Blick auf die systematischen Zusammenhänge, in der die jeweilige Einheit steht, wobei diese Zusammenhänge als reine Relationen und insofern immer als aus ihrer Einheit hervorgehende Zusammenhänge gedacht werden. Damit macht der symbolische Idealismus die notwendigen Entfaltungsmomente der Selbstoff enbarung des Geistes (vgl. PSF I, ECW 11, 7, 23) sichtbar, die dieser zu seiner eigenen freien, und deshalb philosophisch nicht bis in seine jeweilige Konkretisierung ableitbaren, Selbstentfaltung in die Existenz benötigt. Der symbolische Idealismus macht damit die „Ordnung des Sollens“ (ECN 5, 12) in der Reflexion sichtbar, allerdings nur, was ihre formale Seite angeht. Die materialen Forderungen der geistig-ethischen Vollzugseinheiten (vgl. ECN 1, 248) bzw. der ideellen Ordnun2
Damit verlöre sogar die Rede von der Geschichtlichkeit des Menschen als Freiheitswesen ihren Sinn.
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gen (vgl. SuF, ECW 6, 345), die in den symbolischen Formen zu konkreter Entfaltung im ordo ordinans (vgl. ECN 1, 99, 248) des symbolischen Universums (vgl. EM, ECW 23, 30) kommen, können dagegen nur in ihrer Abbildung in die „Realität […, der] das Gepräge der inneren Notwendigkeit und damit das Gepräge der Objektivität aufgedrückt ist“ (PSF I, ECW 11, 46), aufgefasst werden: Dort bleibt jeder Lebens- und Symbolvollzug notwendig verwiesen auf die Empirie als in Grenzbegriffen gefasstes und insofern selbst erzeugtes Außen3 der sich individuierenden Freiheitsakte. Der symbolische Idealismus beansprucht damit nicht mehr, als in seinem Begründungszusammenhang die „Ordnung des Sollens“ (ECN 5, 12) symbolisch abzubilden – symbolisch in dem Sinne, dass die „Totalität“ (ECN 1, 134) der geforderten „Lebensmomente“ (ECN 1, 134) nur konkret und individuell durch die Zeit vollzogen werden und als solche selbst nur rein ideell (vgl. ECN 1, 265; auch 250) erreicht werden kann. In der Darstellung der Reflexionsbegriffe, die in der Durchführung der synthetischen Sichtweise zu gewinnen ist, zeigt sich dabei ein bestimmter Zusammenhang, der als Gliederung und Struktur des Texts sichtbar und zugleich in der Selbstbehauptung der philosophischen Reflexion affirmiert wird. Die Textstruktur gibt dabei das objektive Bild der philosophischen Reflexion, welche die Form des Zusammenhangs der Selbstoffenbarung des Geistes in ihren Grundzügen bzw. Prinzipien nachvollzieht. Insofern bilden die Reflexionsbegriffe und damit die Bedeutung der dafür vorausgesetzten Reflexion, wie sie insgesamt als komplexes System des symbolischen Idealismus4 zur Darstellung gelangt, das konkrete Symbol der ‚Leiter‘5 zur „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271), in dem der Lebensvollzug der philosophischen Reflexion zum Ausdruck kommt: Die Reflexion rein ideeller Zusammenhänge, die insofern ein Idealismus ist, findet in der vorgelegten textlichen Darstellung ein konkretes Symbol. Die Äußerungsform der philosophischen Reflexion steht selbst unter den Bedingungen der künstlichen und darin freilich auch der natürlichen Symbolik, und zwar besonders der symbolischen Form des sprachlich-wissenschaftlichen Denkens. Deshalb ist offensichtlich, dass auch zwischen der Geltung der Behauptungen auf der einen Seite und der Richtigkeit bzw. Zulänglichkeit der Darstellung auf der anderen Seite unterschieden werden muss. Im dargelegten Vollzug der philosophischen Reflexion behauptet sich in diesem präzisen Sinne die „Weltanschauung des ‚symbolischen Idealismus‘“ (ECN 1, 261). 3 4 5
Vgl. oben 2.3.2: Bilden und Auseinandersetzung. Vgl. oben 1.3: Das System des symbolischen Idealismus. Vgl. zur Leiter-Metapher oben 3.3.1: Reflexionsbegriffe.
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4.1.3 Der genetische Zusammenhang der Reflexionsbegriff e Der Zusammenhang der Reflexionsbegriffe, der im dargelegten Sinne ein Ableitungszusammenhang ist, kommt in einer hermeneutisch in sich kreisenden Denkbewegung zur Darstellung. 6 Denn es ist vom Prinzip des Geistes auszugehen, das in den Reflexionen der Metaphysik des Symbolischen erst als solches entdeckt werden musste. Dort wurde das Prinzip des Geistes als Wertsetzen in Reflexionsform (vgl. ECN 1, 31 f., 210 ff.) postuliert. Hier ist nun von diesem höchsten synthetischen Prinzip des Geistes als reine Reflexionsform bzw. reiner Selbstbezug im Wertbezug auszugehen. Die bereits im faktischen Vollzug der philosophischen Reflexionen im Modus der kritischen Phänomenologie sowie der Metaphysik des Symbolischen eingesetzten Reflexionsbegriffe kommen hier wiederum zur Selbstaufklärung dieses synthetischen Prinzips so zur Anwendung, dass in ihrem Zusammenhang die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit der Existenz konkreten geistigen Lebens sukzessive ersichtlich werden. Natürlich gilt auch in diesem sukzessiven Vorgehen – wie bereits im Zusammenhang der Theorie der Basisphänomene zitiert – dass „jene Gliederung und Abteilung, jenes ‚Eins, Zwei, Drei‘, das der Philosoph an den Inbegriff dieser Funktionen, an dieses lebendige Gewebe des Geistes heranbringt, […] ihm [d. h. dem lebendigen Gewebe des Geistes] durchaus fremd [ist]. Es [nämlich das lebendige Gewebe des Geistes] ist [vielmehr] in sich ganz und geschlossen“ (ECN 1, 6). Die Genese des Geistes ist nicht als zeitlich werdende zu verstehen und auch nicht als sich im hegelschen Sinne objektiv entfaltende, sondern als rein logische Genesis – denn der Geist ist „ganz und [in sich] geschlossen“ oder eben gar nicht7 – aber eben ganz und in sich geschlossen nur insofern, als darin immer schon die „Totalität“ (ECN 1, 264) der sich als intelligible Willensvollzüge individuierenden Freiheitsakte mitbefasst ist, nämlich das Leben im Sinne der Metaphysik des Symbolischen. 8 „Selbstoffenbarung“ (vgl. PSF I, ECW 11, 7) als Erscheinung der sich individuierenden Energien muss als Perspektivierung allerdings Formen der Anschauung generieren: Der konkrete Vollzug ist immer an die Verfügbarkeit und Geschichte seiner Äußerungsformen bzw. seiner Werke gebunden – im Philosophieren zeigt sich dies an der Notwendigkeit des rekonstruktiven Verfahrens, im konkreten Leben im weitesten Sinne in der Kulturgeschichte mit ihren Entwicklungsformen. 6
Vgl. oben 3.3: Der Blickpunkt metaphysischen Denkens. „Diese Genesis […] ist nicht psychologisch, sondern transzendental zu verstehen.“ (KEW, ECW 16, 123) Vgl. SuF, ECW 6, 341; ECN 3, 249; ECN 5, 20. 8 Vgl. oben 3.2: Der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen. 7
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Im Einzelnen muss die projektierte und mittels der Durchführung der synthetischen Sichtweise zu erreichende Darstellung der Reflexionsbegriffe sozusagen im innersten Wesen des Geistes ansetzen; dort, wo der Ausdruck – metaphorisch gesprochen ‚noch‘ – „Ort für Ort im Innern“ (ECW 3, 105) ist. Dies kann nur in einer unmittelbaren Selbstanschauung des Anschauungsvollzugs – wie er als metaphysische Reflexion entwickelt wurde –, nämlich des Bildens selbst, erzeugt werden. Der Geist muss also schon als das Prinzip des Bildens, das sich durch die schöpferische Subjektivität ausspricht, konzipiert werden.9 Was im Reflexionsmodus der kritischen Phänomenologie umfassend als Ausdruck bzw. als Ausdruckserlebnisse bezeichnet wird, kommt hier folglich in prinzipieller Hinsicht als ursprüngliche Bilder ins Spiel. „Die philosophische Reflexion [nämlich] enthüllt auch die ursprünglichen Ausdruckserlebnisse als ideell bedingt – als (immanentes) Tun, nicht als blosses ‚Leiden‘.“ (ECN 1, 208) Die Bilder als ursprüngliche Prinzipiate des Bildens – und somit als ursprüngliche Entäußerungen des Geistes bzw. Projektionen (vgl. ECN 1, 256) des geistigen Lebens – bilden die fundierende Schicht der Realität. Nicht die Bilder als Gegenstände eines Bewusstseins, das dazu schon vorauszusetzen wäre, sind als Urgrund in der Wirklichkeit (nämlich des Bewusstseins), sondern jede Wirklichkeit von Bewusstsein, und zwar letztlich durch die symbolischen Formen, ist überhaupt nur in Bildern als geistigen Gebilden. Das vielgestaltige Wirkliche erscheint grundsätzlich nur durch das Bilden. Für die Darstellung der Reflexionsbegriffe des symbolischen Idealismus „gilt es [insofern] einzusehen, daß kein Bild an sich ‚ist‘ ohne eine Funktion des Bildens“ (ECN 1, 209). Diese Funktion ist der Geist als in Vollzug gesetzt gedacht.
4.2 Die Basisphänomene als äußerliche Bildform geistigen Lebens Endlich kann also zur eigentlichen Durchführung der synthetischen Sichtweise der Reflexion übergegangen werden. Der Begriff des Geistes ist der Ausgangspunkt der Darstellung der Reflexionsbegriffe und leitet unmittelbar über zum Begriff des Lebens. Die Darstellung der Reflexionsbegriffe erweist sich insgesamt als eine begriffliche Ableitung der Basisphänomene, die in den Untersuchungen der kritischen Phänomenologie als immanente Bezogenheitsform des Bildens postuliert wurden. 9
Vgl. dazu und zu Cassirers in dieser Hinsicht produktivem Falschzitat einer kantischen Stelle auch Recki 2004, 57 ff. das Kapitel „Geist – das bildende Prinzip im Subjekt“.
Durchführung der synthetischen Sichtweise
211
4.2.1 Die Sehe als Reflex des Geistes Der Geist als solcher verbürgt nur, dass etwas erscheint. Für das Was braucht es, wie Cassirer formuliert, einen „schöpferischen Urgrund“ (ECN 1, 213), nämlich das Leben. Für den Fortgang der geforderten Darstellung der Reflexionsbegriffe muss mit Cassirer hier entsprechend der umfassende metaphysische Begriff des Lebens zunächst in Entgegensetzung zum Begriff des Geistes in den Blick genommen werden. Es ist die Korrelation dieser beiden Begriffe, welche das eigentliche Bedeutungsfeld der Reflexionsbegriffe generiert – das im Folgenden immer wieder anknüpfend an den hier konstruierten Begriff des geistigen Lebens zu entwickeln ist. Das Bilden, als das der Geist in Vollzug gesetzt erscheint, bildet zunächst als seine eigene Vollzugsform die Form des Ausdrucks als reine Bildform. Die Bildform verweist allerdings aus sich selbst, d. h. notwendig, auf einen zu bildenden Bildgehalt, genauso wie der Bildgehalt an sich einer Bildform bedürftig ist. Der metaphysische Begriff des Lebens, der hier zunächst als der ursprüngliche Bildgehalt des geistigen Bildens eingeführt ist, erweist sich damit nicht nur faktisch als höchstes analytisches Prinzip des symbolischen Idealismus, sondern zeigt sich als vom Prinzip des Geistes her gefordert, und umgekehrt. Denn ohne, wie Cassirer es ausdrückt, die „Berührung mit dem Lebensgrund […, mit dem] Urgrund des Lebens […] würde [der Geist] nur leere Schemen erzeugen“ (ECN 1, 209), nicht aber wirkliche, nämlich gehaltvolle Bilder. Denn „das Leben, als solches, ist blind-gestaltend; […] dagegen der Geist ist das Prinzip des Sehens selber“ (ECN 1, 212). Anders formuliert: „Die völlige […] Ent-Geistung würde nicht die Wirklichkeit der Bilder zurücklassen – sondern nur das bildlose Leben“ (ENC 1, 209). Damit aber käme es gar nicht zu einem realen geistigen Leben. Aber als reales kann es gemäß der hier zu machenden Voraussetzung nur in Bildern bzw. durch das Bilden erscheinen. Auf der anderen Seite würde der Geist ohne die Berührung mit dem Leben nur leere Schemen erzeugen, also sich gerade nicht in Bilder entäußern, die als solche notwendig einen Bildgehalt fordern. Denn der Geist sieht sich als solcher wiederum nur reflektiert in den Bildern. „Der Geist bekommt sich selbst nur in Sicht, sofern er ständig auf das Leben, auf den schöpferischen Urgrund ‚Rücksicht‘ nimmt“ (ECN 1, 213). „[D]ieser Rück-Blick konstituiert ihn selbst, ja er ist geradezu diese Rücksicht.“ (ECN 1, 213) Der Geist, als erster Blickpunkt der philosophischer Reflexion, teilt der ursprünglichen Erscheinungsform des geistigen Lebens, also der wechselseitigen Durchdringung von Geist und Leben, als zweiter Blickpunkt, die Reflexionsform mit (Verhältnis der Teilhabe! Vgl. ECN 1, 266, 271), die deshalb als „rotierende Bewegung der Monas um sich selbst“ (ECN 1, 124)
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viertes kapitel
erscheint. Leben ist dabei aber nicht als bloßer Grenzbegriff des Geistes zu verstehen, sondern immer schon im dargestellten Sinne als Totalität der möglichen Freiheitsakte überhaupt.10 Der Geist als solcher aber ist reine Reflexionsform gegenüber dem an sich blinden, aber schöpferischen Urgrund des Lebens. Die Monas hat deshalb als geistiges Leben, als Synthesis von Geist und Leben, im Prinzip die Form des „um sich Wissen[s]“ (ECN 1, 123) – sprich: des Sichwissens. Mit Cassirers gerne verwendeten optischen Metaphern gesprochen ist geistiges Leben sich selbst erblickendes bzw. sehendes Leben. Der Geist aktualisiert sich in diesem Sinne als „Prinzip des Sehens selber“ (ECN 1, 212), und zwar indem er sich durch das Leben in Bildern sieht. Dieser „reine Blickstrahl [im ‚Rück-Blick‘ des Geistes], der auf das Leben fällt, greift seine [nämlich des Lebens] Substanz nicht an – er bekommt vielmehr eben diese Substanz selbst ‚in den Blick‘ – das Leben wird [wie gesagt] ‚Sehe‘“ (ECN 1, 214). Die „Substanz“ des Lebens – seine nur als Idee bestimmbare Wesenheit –, nämlich die Totalität möglicher Freiheitsakte überhaupt, ist im geistigen Leben deshalb immer schon im Prinzip reflexiv und insofern verfügbar; deshalb kann auch gesagt werden, dass der Mensch nur das wird, was er ist, wenn er sich zu dem macht, was er – als animal symbolicum – sein soll. Der „Ausdruck“ als die „Fundamental-Kategorie des Verstehens“ (ECN 3, 24611) wird also von der philosophischen Reflexion als Bild des geistigen Bildens erkannt, wobei die Differenz von Bildform – Prinzip des Sehens (vgl. ECN 1, 213) – und Bildgehalt – Leben als Sehe (vgl. ECN 1, 28, 214, ECN 3, 249) – selbst als bildimmanent gesehen wird: Ausdruck als Kategorie bzw. Funktion ist eben Bildform und damit ursprünglich Selbstbild des Bildens als weiterbestimmbare „Gestalt“ (PSF I, ECW 11, 14) des geistigen Lebens. Die philosophische Reflexion durchschaut folglich in jedem Wissen, wie es mit der Form des Sichwissens bzw. der Monas einhergeht, die Bildform als geistiges Gebilde (die Ausdrucksfunktion) und den Bildgehalt als ein gebildetes Sein. Unter Voraussetzung des Prinzips des Dass (dem Geist) in Verbund mit dem Prinzip des Was (dem Leben) zeigt sich das prinzipielle Wie des Vollzugs des geistigen Lebens als die wechselseitige Durchdringung bzw. reine Relation von Geist und Leben. Der Geist aktualisiert sich insofern durch das Leben als Sichsehen und „dies ‚Sehen‘ entfernt sich vom Leben, sofern es dasselbe ihm ‚gegenüber‘, in einer bestimmten ‚objektiven‘ Distanz haben muss – aber diese Ent10 11
Vgl. oben 3.2: Der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen. Vgl. PSF III, ECW 13, 49–117.
Durchführung der synthetischen Sichtweise
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fremdung ist nicht: Vernichtung, sondern eben dies ist Vorrang u. Vorrecht wie auch Pflicht, Notwendigkeit, Aufgabe des Geistes“ (ECN 1, 212). Im Zusammenhang des hier eintretenden Begriffs der Aufgabe ist nun auch der im Kontext der Überlegungen zur Metaphysik des Symbolischen im engeren Sinne und besonders der metaphysischen Reflexion hervorgetretene Wertbegriff einzubeziehen.12 Denn hier liegt die Begründung von Cassirers These, dass Kultur immer als Aufgabe erscheint: Im Sicherfassen des erscheinenden Lebens prägt sich diesem als Freiheit die Form der Selbstbestimmung auf und damit eine weiter zu bestimmende praktische Notwendigkeit. Geistiges Leben kann schließlich nur im Horizont von Sinnerfüllung als Realisierung von Wert thematisiert werden.13 Der sich selbst offenbar werdende Geist, mit dessen reiner Form hier synthetisch angesetzt wurde, muss in ursprünglicher Bezogenheit auf Wert überhaupt verstanden werden. Entsprechend wurde in der metaphysischen Reflexion mit Bezug auf die Idee der transformalen Wahrheit ausgemacht: Das in philosophischer Reflexion gebildete Bild des Geistes enthält den behaupteten Anspruch auf Gültigkeit der Reflexion als notwendig zu konzipierenden Bezug auf „Wahrheit schlechthin“ (PSF III, ECW 13, 327), im exemplarischen Urbild von Lebensvollzug überhaupt ist der Bezug auf transformale, weil allen „Modalitäten der Sinngebung“ (ECW 3, 230) logisch vorgeordnete, Wahrheit zu konzipieren. Diese Wahrheit erscheint dabei immer schon als ursprünglich die freie Selbstbestimmung des geistigen Lebens fordernde Vernunftsetzung, folglich als werthaft. Daraus ergibt sich: Das geistige Leben konstituiert sich in seinem Selbstvollzug als notwendig wertbezogen und insofern als freier Vollzug, der darin seine Wirklichkeit hat, dass er sich selbst bestimmt. Das Prinzip der Einheit von selbstgesetzter Regel und sich gebender Forderung erscheint als die sich gebende Vernunft, indem diese als sich mitteilende Aufgabe zur Geltung kommt, an der Befreiung des Lebens zum Geist kontinuierlich mitzuarbeiten. Demgemäß ist der Geist in seinem Selbstvollzug zu konzipieren als objektive Forderungen erhebend, die dieser selbst als sich gebend voraussetzt und damit als Konstitutionsbedingung für seinen eigenen Vollzug: In der durch ihn selbst in ihrer Geltung erst gesetzten Aufgabe erfasst der Geist sich selbst als Form und zugleich in der Form, nämlich als Selbstentäußerung im Ausdruck als weiterzubestimmende Gestalt.
12
Vgl. oben 2.1.2: Die wesentlich ethische Dimension der Kultur, 2.3.6: Formkonstitution durch intelligiblen Willensvollzug, 3.5.8: Die Geltung der letzten höchsten Einsicht, 3.6.4: Wahrheit als Wert und geistige Setzung. 13 Vgl. oben 2.1.3: Sinnverknüpfung als Freiheitsvollzug.
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In diesem Sinne formuliert Cassirer, dass „eben der Geist […] sich sich selbst [!] entfremden [muss], um sich selber zu ‚haben‘, er kann sich gar nicht anders als vermöge eben dieses Prozesses seiner Selbstentfremdung haben“ (ECN 1, 212) – womit der Begriff der Selbstoffenbarung des Geistes (vgl. PSF I, ECW 11, 7, 23) entwickelt ist, den Cassirer in seinen Untersuchungen im Modus der kritischen Phänomenologie postuliert.14 In eine Formel gebracht: Indem der Geist als Prinzip des Sehens sich durch das Leben in Bildern reflektiert, wird das Leben selbst zur „Sehe“ (ECN 1, 28, 214; ECN 3, 249), erscheint das Leben als sich sehendes Leben in ebendiesen Bildern. Das Sehen bzw. die Sehe ist insofern der Reflex des Geistes im Leben. Entsprechend gilt für die kritische Phänomenologie: „Das System der mannigfachen Äußerungen des Geistes ist für uns nicht anders erfaßbar als dadurch, daß wir die verschiedenen Richtungen seiner ursprünglichen Bildkraft verfolgen. In dieser erblicken wir im Reflex die Wesenheit des Geistes.“ (PSF I, ECW 11, 19) Dieser Reflex des Geistes im Leben wird in der Metaphysik des Symbolischen als Reflex von Wahrheit bzw. Wert überhaupt in der Form der Subjektivität gesehen. In einer bewusstseinsrelativen Reduktion des Bildens als bloß reproduktive oder assoziierende Einbildungskraft ginge dagegen die Möglichkeit der Annahme einer unabhängigen, objektiven und autonomen Wahrheit bzw. eines nur so zu erfassenden Sinns verloren. Eine genau so geartete Wahrheitsvoraussetzung – dies zeigte nicht zuletzt die metaphysische Reflexion15 – anerkennt der symbolische Idealismus allerdings als notwendig nicht nur für den Vollzug der philosophischen Reflexion, sondern für die Konstitution jeglichen Lebens und Wissens: „Without the claim to an independent, objective, and autonomous truth, not only philosophy, but also each particular field of knowledge, natural science as well as the humanities, would lose their stability and their sense.“ (CPPP, SMC, 61): Die Setzung von Geltung als geistiger Vollzug ist die Bedingung der Möglichkeit jeglichen Bewusstseinsvollzugs überhaupt. Die philosophische Reflexion als lebendiger Vollzug des Philosophierens bildet sich hier selbst als ein Bilden, in dem dieses Bildverhältnis ins Bild gehoben, also reflexiv bewusst gemacht ist. Der sich dabei selbst bewusst werdende geistige Vollzug erfasst in der Einsicht, dass dies die grundlegende, wenn auch nicht notwendig als solche selbst reflexiv bewusste Grundsituation jeden Erlebens ist, sich selbst als Geist im Vollzug 14 15
Vgl. oben 2.3.3: Formen der Selbstoffenbarung des Geistes. Vgl. oben 3.5: Metaphysische Reflexion.
Durchführung der synthetischen Sichtweise
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bzw. als Bilden, in welchem Bild als Bildform bzw. Ausdrucksfunktion (Geist) und Bildgehalt als gebildetes Sein bzw. Ausdrucksgehalt (Leben) aufeinander bezogen sind. „Es gibt also gar nicht den Dualismus [von] Leben [und] Geist – sondern der hier aufgewiesene Dualismus ruht im Wesen des Geistes selbst, ist eine seiner notwendigen, immanenten Äusserungsformen“ (ECN 1, 212). In der Durchführung der synthetischen Sichtweise als entwickelnde Darstellung der Reflexionsbegriffe erweist sich die zunächst eingeführte Entgegensetzung von Geist und Leben nicht als eine absolute und insofern als im engeren Sinne dualistisch, sondern in wechselseitiger Durchdringung als Grundform der Selbstoffenbarung des Geistes. Damit klärt sich zugleich Cassirers Verwendung des Begriffs des Urphänomens des Lebens (vgl. ECN 1, 127, 163 f.): Denn Leben ist eben immer nur gebildetes Leben, es ist immer nur als vom Reflexionsvollzug des Geistes zu seiner Realisierung gefordertes und als solches im geistigen Vollzug informiert und formierend erscheinendes Leben. Der Selbstvollzug des Geistes in seinem mittelbar als unmittelbar erkennbaren Vollzug der sich als Aufgabe mitteilenden Vernunft ist die Urerscheinung des Lebens. Der Geist realisiert sich damit als Erscheinung und insofern als angewiesen auf Konkretisierung unter den Bedingungen der Erscheinung. Das Leben kann nur als geistiges Leben, das heißt als ursprünglich in der Reflexionsform erscheinendes Leben gedacht werden. Entsprechend zeigt sich das Leben als immer schon in Bildform gebildetes Leben.16 Damit tritt hier zugleich in aller Deutlichkeit die Notwendigkeit des Begriffs der Form ans Licht. Dieser Begriff bildet im Sinne der methodischen Hierarchie der Reflexionsbegriffe den dritten Blickpunkt. Das, was aus dem notwendigen Wertbezug dem geistigen Leben mitgeteilt ist, das ist nämlich die Aufgabe, in der Bildung von Formen sich sich selbst – sprich: als Freiheit – verfügbar zu machen, was sich konkret als Kultur in ihrer Geschichte realisieren muss. Das darin konzipierte Soll ist der Grund der prinzipiellen, und deshalb real immer im Prinzip möglichen, Gerichtetheit bzw. Intentionalität des Bildens als Energie des Geistes. Auf der dritten methodischen Hierarchiestufe der Darstellung der Reflexionsbegriffe ist folglich dem Begriff des geistigen Lebens als wechselseitiger Durchdringung von Geist und Leben der Begriff der Form entgegenzusetzen. Allerdings ist es freilich „nicht so, daß die Form als Eigenbereich den 16
Die fundierende Schicht der Realität ist in diesem Sinne Ausdruck „des Lebens, das zur Form wird“. Vgl. Ferrari 2002, 186. Ebd. 178: „Es ist nicht nur so, daß Leben und Werk ein einheitliches Ganzes bilden müssen, sondern auch, daß das Leben in seinem ‚inneren Prozeß‘ sich erst aufgrund der Objektivationen des Lebens, und zwar als ‚Resultat‘ erweist.“
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viertes kapitel
Bereich des Lebens beschränkt – vielmehr schreitet das Leben als unendliche Formungsmöglichkeit, als Potenz zur Form über die jeweils gegebene Formung hinaus.“ (ECN 1, 216) Es gibt also auch hier keinen echten Dualismus, es gibt nicht das Leben und noch dazu die Formen als eine absolute Transzendenz des Lebens; es gibt kein irgendwie in einem zeitlichen Fluss befindliches Substrat bzw. einen objektiven Prozess, in den „ihm aufgezwungene feste Formen“ „eintreten“ (ECN 1, 215) – sondern geistiges Leben meint als Sehe, also in der Form der Selbstbezüglichkeit, eine sich im Zurückkommen auf sich selbst als solche erstellende und in der Existenz erhaltende – sprich: durch Selbstbestimmung freie – Tätigkeit. Das Leben erscheint durch die geistige Reflexionsform als Sehe (vgl. ECN 1, 28, 214, ECN 3, 249), aber es gibt nicht das Leben an sich und ein naiv-platonisch zu denkendes Reich ewiger Objekte, „sondern nur ein[en] immer neue[n] Rückgang des Lebens in sich selbst u. ein Gebären immer neuer Formen aus eben diesem Urgrund des Lebens selbst“ (ECN 1, 215 f.). Die symbolischen Formen sind folglich als Weiterbestimmungen aufzufassen, die das Leben in seiner Bewegung annimmt. Die Formen sind im bis hierher entwickelten Sinne der als Aktus gedachte Reflex, also die Sehe bzw. die Energien des Geistes. In diesen Formen setzt sich das Leben zu sich selbst in ein ordnendes Selbstverhältnis, „in [den Formen] giebt sich das Leben nicht an ein ihm fremdes ‚Sein‘ hin – sondern in ihnen wird es sich selbst objektiv – sie [nämlich die Formen] sind sein ständiger Objektivationsprozess“ (ECN 1, 215).17
4.2.2 Leben als Formung zum Sinn Das Leben lebt als aktive „unendliche Formungsmöglichkeit“ (ECN 1, 216)18 und darin als Selbstbestimmung seiner selbst im Erscheinen zur Bestimmbarkeit. Weiterbestimmt in den symbolischen Formen hebt es sich allerdings als solches auf, weil es in den symbolischen Formen im engeren Sinne nicht mehr Selbstbestimmung19 ( forma formans) ist, son17
Das Leben erweist sich insofern in seinen eigenen Objektivationen immer als Resultat seiner selbst (vgl. Ferrari, 2002, 178). 18 Der Begriff der Formungsmöglichkeit kann hier auch noch deutlicher mit dem an Husserls Wortprägung der „Vermöglichkeit“ angelehnten Ausdruck als ‚Formungsvermöglichkeit‘ bestimmt werden. 19 Und zwar Selbstbestimmung, die als Bestimmbarkeit erscheint. „Bestimmbarkeit“ ist insofern hier als ‚Bestimmendheit‘ zu verstehen, geradezu im Sinne der potentia activa der klassischen Metaphysik. – Das hier dennoch von „Bestimmbarkeit“ gesprochen werden kann, verdankt sich der Tatsache, dass das In-den-Blick-Nehmen, welches Voraussetzung der philosophischen Reflexion dieses ganzen Verhältnisses ist,
Durchführung der synthetischen Sichtweise
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dern Bestimmtheit ( forma formata). Damit aber verliert das Leben seine innere Agilität, seine unaufhörliche Bewegung um sich selbst: Das in seinen Objektivationen zum Stehen gekommene Leben ist insofern sich selbst entfremdet – es ist nicht mehr Leben. Deshalb kann es in keiner der durch sich selbst hervorgebrachten und geprägten Formen aufgehen: In jeder Form in diesem Sinne erreicht das Wirken sein Ende (vgl. ECN 1, 136). Es muss also auf sich selbst als Formungsmöglichkeit zurückkommen, um sich selbst als Leben im Leben zu erhalten: „[E]s hat sich nur, indem es sich formt, und es hat sich doch in keiner Form ganz, es muß über alle Form hinausgehen, transzendieren [sic!], um sich zu haben, immer wieder in sich [als Bestimmbarkeit], so wie es vor aller Form [im Sinne der Bestimmtheit] besteht, zurückgehen.“ (ECN 1, 217) Der Gedanke, dass das Leben in dem Prozess der Selbstbestimmung sich selbst als Leben verlieren müsste, kann mit Cassirer auch folgendermaßen ausgedrückt werden: „[D]ie objektive Form wird zur leeren Form [nämlich als forma formata], die das Ich hemmt“ (ECN 1, 217). Es gilt aber zugleich: „Das Ich [bzw. das in der Form der ‚Monas‘ erscheinende Leben] strebt sich auszudrücken in rein individueller, expressiver Art“ (ECN 1, 218). Und außerdem gilt die Synthese dieser beiden Gesichtspunkte, denn das Ich „ist [dabei] an fertige ‚Formen‘ gebunden“ (ECN 1, 218). 20 Die fertige Form, die das Leben quasi aufgreift, indem es sich selbst durchbestimmt, ist folglich immer nur Ausgangspunkt des Weiterbestimmens. Der Prozess des Lebens ist sein ständiger Objektivationsprozess, in welchem sich das Leben als solches bildet, indem es zugleich über jede mögliche Objektivation seiner selbst immer schon hinausgehen muss, um sich nicht selbst in seinen Objektivationen zu verlieren. Die forma formans besteht in einem beständigen Übergehen in die forma formata, die immer schon ineins der Neuansatz einer forma formans ist. Insofern ergibt sich ein „ununterbrochenes Herüber und Hinüber, ein stetiger absatzloser Übergang von einem Extrem zum anderen.“ (ECN 1, 6) Die rotierende Bewegung der Monas um sich selbst „fasst sich [in diesem Sinne] zusammen in der Erschaffung immer neuer Gestalten u. in der Vernichtung dieser Gestalten“ (ECN 1, 264). Das Leben erscheint immer schon in der Mög-
das Sichbestimmen, welches das Leben als Vollzug ist, nur in einer äußerlichen Erscheinungsform aufgreifen kann. 20 Aufschlussreich, vor allem wenn man die systematischen Parallelstellen in den Notizen zur Theorie der Basisphänomene (bes. ECN 1, 123 und 133) liest, ist hier die Gleichsetzung von „Leben als Leben“ mit „Ich als Ich“ (ECN 1, 218). Im Sinne des ersten Basisphänomens bzw. der ersten Dimension der Basisphänomenalität des Lebens erscheint das Leben in der Form der Ichheit. – Vgl oben 2.2.4: Die Systematik der Basisphänomene.
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lichkeitsform: Das Leben macht sich selbst, so kann direkt formuliert werden, im Erscheinen zu einem in spezifischen Formen Weiterbestimmbaren und vollzieht sich damit bereits in der Form des Angelegtseins auf konkrete Durchbestimmung. Das in der geistigen Reflexionsform als Sehe (vgl. ECN 1, 28, 214, ECN 3, 249) erscheinende Leben erscheint somit zugleich als eine Selbstentäußerung des Lebens in die Entgegensetzung von Leben und Form im Beziehen der beiden aufeinander: Die ursprüngliche Erscheinung bzw. das Urphänomen des Lebens erscheint in der reinen Relation21 von Leben und Form. Das Leben als Leben erscheint notwendig auf die Formen als Produkte seiner selbst und darin auf sich selbst als schöpferischen Urgrund der Formen zurückbezogen. Sofern also die Rede von einem Dualismus von Leben und Form berechtigt sein soll, so jedenfalls nicht als terminus a quo des geistigen Lebens, sondern als terminus ad quem – in den Worten von Cassirer: „Und doch ist dieser Dualismus nur scheinbar – die dialektische Bewegung, die hier zweifellos vorliegt, darf nicht in die absolute Dualität zweier an sich seiender u. sich ewig fremder Pole umgedeutet werden – sondern die Polarität selbst ist das eigentliche Urphaenomen, das nur von uns in der Reflexion künstlich gespalten wird.“ (ECN 1, 218) Die Transzendenz des Lebens wird von Cassirer dementsprechend nicht ontologisiert, sondern als erscheinende Transzendenz aus der Bewegung des Lebens selbst verstanden. Für den symbolischen Idealismus kann es in diesem Sinne nur eine immanente Transzendenz der Formen geben, indem das Leben als reine Formungsmöglichkeit über jede jeweils erreichte Form hinausschreitet. Es ist „das Leben [selbst, das] in seiner eigenen inneren Bewegtheit, aus dem Grundgesetz seiner Dynamik ‚Formen‘ entstehen lässt, deren Sinn und Bedeutung über es selbst hinaus geht“ (ECN 1, 215). Dabei sind aber diese Formen zugleich immer schon über das Leben hinaus, indem das erscheinende Leben „Gebilde erschafft, die ganz unabhängig von dieser Art der Entstehung einen eigenen, objektiven Gehalt und Sinn besitzen, ihm gegenüber ‚Autonomie‘ besitzen“ (ECN 1, 215). Das Leben „erscheint damit […] nicht nur als das ursprüngliche Quellgebiet des Geistes, sondern auch als dessen Urbild und Prototyp.“ (ECN 1, 9) Solches transzendentallogisches Denken „sucht nicht die ‚Region‘ des Geistes aus der ‚Natur – die Ontologie der Existenz aus dem Sein von ‚Dingen‘, von Realität abzuleiten – [es] erkennt vielmehr diese ganze Dingwelt, die Welt der ‚Realität‘ als sekundäres Phaenomen“ (ECN 1, 219). 21
Vgl. oben 3.3.2: Denken der reinen Relation.
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Demgemäß zeigt sich als primäres Phänomen das „Dasein als geistiges Dasein […: Es] ist also ‚früher‘, ist das próteron t‰ fýsei zu aller Setzung von ‚Realität‘ im Sinne von ‚Dinghaftigkeit‘.“ (ECN 1, 219) „Dinghaftigkeit“ meint hier das formelle Produkt jeglichen gegenstandslogischen Denkens im weitesten Sinne, also die durch die verschiedenen symbolischen Formen jeweils in charakteristischer „Modalität“ (PSF I, ECW 11, 27; PSF III, ECW 13, 228) erscheinende Wirklichkeit. 22 Die reine Immanenz des geistigen Selbstvollzugs setzt sich im Erscheinen der primären Bildebene in die wechselseitige Durchdringung von Geist und Leben auseinander. Die Unterscheidung zwischen der primären und der sekundären Ebene der Phänomenalität entspricht folglich der Unterscheidung zwischen dem in der Polarität von Leben und Form erscheinenden Geist als Prinzip des Bildens auf der einen Seite und der diesem entgegengesetzten Entgegensetzung von geistigem Leben und objektivem Geist als versinnlichtem Sinn auf der anderen Seite. Der objektive Geist ist folglich auf sekundärer Ebene der Reflex des geistigen Lebens und deshalb nur durch die vom erscheinenden Leben 22
Jedes gegenstandslogische Denken ist bedingt von geistigen Prinzipien. Denn alles Erleben und Denken ist solches in Bildern. Gegenstandslogische Kategorien unterschiedlicher Modalität führen dabei zu jeweils spezifischen sekundären Deutungen des bildimmanenten Verhältnisses von Ausdrucksfunktion und Ausdrucksgehalt bzw. Geist und Leben: Im Bewusstsein in mythischer Unmittelbarkeit (vgl. ECN 3, 10 ff.) beispielsweise wird dabei nicht auf die Bildform reflektiert und so kommt es zu einer Identifi zierung des erscheinenden Bildens mit dem Ausdrucksgehalt der Bilder – dieser Modus des Bildens führt zu einem Erleben der Wirklichkeit als von personalen Mächten durchwirkt, weil er (auf der sekundären Stufe der Phänomenalität) unmittelbar im Ausdruck lebt (vgl. PSF III, ECW 13, 76, 104 ff.); im vom wissenschaftlichen Denken durchprägten, sprachlich-empirischen Alltagsbewusstsein dagegen kommt es zu einer Reflexion auf den Unterschied von Bildform und Bildgehalt in der Weise, dass die Differenz zwischen erscheinendem Bilden als Bild und Ausdrucksgehalt als Sachgehalt gesehen wird. Nur die philosophische Refl exion sieht, dass es sich bei der impliziten Struktur des Wirklichkeitsbewusstseins selbst um Prinzipiate des Bildens handelt, dass also nicht nur die mögliche Differenzierung bzw. die mögliche „Auseinandersetzung“ (PSF II, ECW 12, 182; PSF III, ECW 13, 44; ECN 3, 199; LSB, ECW 22, 118) von Bildform und Bildgehalt ein Produkt des Bildens ist, sondern dass es sich bei solcher gegenstandslogischen Deutung um ein sekundäres Phänomen handelt, das immer schon von der impliziten, primären Auseinandersetzung von Bilden und Bild fundiert wird. Es ist also zu sehen, dass mit „Dinghaftigkeit“ (ECN 1, 219) von Cassirer nicht eine im engeren Sinne wissenschaftstheoretische Konzeption gemeint ist noch sein kann, die z. B. einer handlungstheoretischen Beschreibung der Wirklichkeit gegenübergestellt werden könnte. In beiden Fällen würde sich das Denken im Rahmen von symbolischen Formen im engeren Sinne bewegen, wäre also nicht im Sinne der grundlegenden Forderung, sich durch Kritik und Erfüllung der symbolischen Formen ideell vom Zwang der Symbolik zu befreien (vgl. ECN 1, 265), streng philosophisches Denken. Symbolische Formen können als „Verhaltungsweisen zur Welt“ (PSF I, ECW 11, 27; vgl. ECN 1, 5) natürlich immer auch einer wissenschaftstheoretischen oder handlungstheoretischen Auslegung zugänglich sein.
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gebildeten Formen als ihr „Gehalt“ (ECN 1, 215) zugänglich: Die Transzendenz des Sinnes erschließt sich dem sich bildenden Leben nur durch die im geistigen Lebensvollzug gebildete, als transzendent erscheinende Immanenz der Formen. Die transzendente „Sinnsphäre des Objektiven“, so lässt sich mit Cassirer auch formulieren, erschließt sich nur in der „‚Intention‘ auf das Objekt“ (ECN 1, 249). Deshalb gilt als Voraussetzung für die kritische Phänomenologie, dass „alle […] Symbole von Anfang an mit einem bestimmten Objektivitäts- und Wertanspruch auftreten. Sie alle greifen über den Kreis der bloß individuellen Bewußtseinserscheinungen hinaus – sie beanspruchen, ihnen gegenüber ein Allgemeingültiges hinzustellen“ (PSF I, ECW 11, 19). Um dies aus den hier entwickelten Strukturen deutlich zu machen: Der auf der Ebene der sekundären Phänomenalität sich kollektiv und individuell konkretisierende Bewusstseinsvollzug ist konstitutiv auf den in der Intention auf das Objektive erfassten Sinn bezogen, der auf der primären Ebene durch die Reflexionsform des Geistes als ursprünglich erfasster immer schon implizit im Vollzug des Bildens investiert ist. 23 Für dieses Verhältnis findet Cassirer eine äußerst prägnante, sehr treffende Formulierung: Sinn „gibt“ es nur als „geistig-ethische Vollzugseinheiten, die von dem geistigen Subjekt aufzubauen sind.“ (ECN 1, 248) Für diesen Gedanken setzt Cassirer auch den Begriff des ordo ordinans ein (Vgl. ECN 1, 99 und 249): Die symbolischen Formen sind als solche wesentlich als überpersönliche und insofern auch übersoziale, geistig-ethische Vollzugseinheiten konstituiert. Mit anderen Worten: Der durch die symbolischen Formen im sozial-kollektiven und individuellen Ausdruck sich artikulierende Sinn erweist sich als apriorische, überpersönliche und übersoziale Vollzugseinheit. „[D]er objektive-Geist geht uns nicht in der Struktur der Alltäglichkeit auf und unter – das ‚Unpersönliche‘ besteht nicht nur in der abgeblassten sozialen Form der Durchschnittlichkeit, Alltäglichkeit des ‚Man‘ – sondern in der Form des überpersönlichen Sinnes“ (ECN 1, 220). Objektiver Geist ist freilich nur dort realisiert, Sinn ist nur dann in der Realität, sofern er entdeckt wird bzw. wurde. Durch den jeweiligen Sinn erschließt sich uns „jeweils eine neue ‚Wirklichkeit‘ […] der wir […], nachdem sie uns einmal kraft des schöpferischen Prozesses ‚aufgegangen‘ ist […] ein dauerndes Sein, einen festen, ewigen Bestand zuschreiben“ (ECN 3, 247). Mit anderen, von Cassirer am Beispiel der Kunst geprägten Worten: „Die ‚Gestalt‘ [nämlich als Sinngebilde] der Welt ‚ist‘ nicht [objektiv] praeexistent, um nachher sichtbar gemacht zu werden[,] son23
Vgl. in diesem Lichte noch einmal Kaegi 1995, 76-78, zitiert oben 23.7.: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik.
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dern im Sehen und für das Sehen bildet sich die Gestalt.“ (ECN 3, 249) Zwar kann nicht gesagt werden, dass Sinn im Hinblick auf seine Geltung anfängt – Geltung besteht vielmehr oder eben nicht. Durch seine „Entdeckung“ (ECN 3, 247) aber, durch entsprechende „Gesichte“ (ECN 3, 254), realisiert sich Sinn, hebt Sinnhaftigkeit und damit Realität überhaupt erst an zu sein: Seine „Aktualisierung, Ver-Wirklichung erfährt [der Sinn] erst kraft des schöpferischen Prozesses“ (ECN 3, 247), des Prozesses des Bildens. Insofern also ist für den symbolischen Idealismus „nicht nur das Dasein, sondern [auch] der Sinn – die Idee – ursprünglich geschichtlich“ (ECN 1, 222). Mit der Idee des ordo ordinans realisiert Cassirer das Projekt einer ideellen Morphologie, das auch in Goethes Werk in der Form der Dichtung inauguriert ist. 24 Für den rein ideellen Sinnbegriff findet Cassirer eine weitere prägnante Formel: „Sinn = Einheit statt substantielle Einzelheit“ (ECN 1, 248): Die funktionale Einheit des Geistes reflektiert sich im konkreten, geistigen Leben als Sinn. Der jeweils durch die symbolischen Formen erfasste, dem sekundären Vollzug transzendente Sinn ist objektiver bzw. im Sinne logischer Genesis durch Selbstbestimmung und Reflexion25 objektiv gewordener Geist. 26 Die ursprüngliche Konstruktion von Sinn durch das geistige Bilden ist insofern der ideelle Zielpunkt jeglichen Lebensvollzugs. 4.2.3 Leben als Bestimmbarkeit und Bestimmung Der Lebensvollzug erscheint als ein ständiges, immanentes Übergehen von unendlicher Formungsmöglichkeit bzw. Bestimmbarkeit zur Bestimmtheit der objektivierten Form (vgl. ECN 1, 6), wobei sich in der objektivierten Form als Ziel und Ende des schöpferischen Wirkens (vgl. ECN 1, 136) zugleich die Aufgabe (vgl. ECN 1, 245; auch 212) zu erneuter Objektivierung formiert. Die Bewegung des Lebens ist ein ständiges Sichentzweien in sich selbst, nämlich sowohl in Richtung auf die objektivierte, entäußerte Form als auch auf sich im Neuansatz seiner selbst als
24
Vgl. Krois 2002, 169. Vgl. unten 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk. 26 In diesem Sinne kann Cassirer in der Einleitung zur ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ für das Vorhaben seiner kritischen Phänomenologie schreiben: „Das System der mannigfachen Äußerungen des Geistes ist für uns nicht anders erfaßbar als dadurch, daß wir die verschiedenen Richtungen seiner ursprünglichen Bildkraft verfolgen. In dieser erblicken wir im Reflex die Wesenheit des Geistes – denn diese kann sich für uns nur dadurch darstellen, daß sie sich in der Gestaltung des sinnlichen Materials betätigt.“ (PSF I, ECW 11, 19) 25
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Bestimmbarkeit bzw. Formungsmöglichkeit. Insofern ist der Lebensvollzug in seiner Grundform „Auseinandersetzung“ (PSF II, ECW 12, 182; PSF III, ECW 13, 44; ECN 3, 199; LSB, ECW 22, 118) und realisiert damit die Grundform der „symbolischen Funktion als solcher“ (PSF I, ECW 11, 17) bzw. der „Symbolfunktion“ (PSF III, ECW 13, 49 ff.). Im Hinausgehen über sich selbst als Bestimmtheit, wobei das Leben sich selbst als reine Formungsmöglichkeit und somit als Leben zurückgewinnt, ist es aber immer schon wieder im Übergehen in neue Bestimmtheit begriffen. Als geistiges Leben ist der Lebensvollzug zugleich in seiner Grundform der Vollzug der Aufgabe, sich als Aufgabe im Leben zu vollziehen. Leben als geistiges Leben fasst sich somit stets als bestimmter Vollzug, der die Reflexionsform im Zurückkommen auf sich selbst als seine ideelle Bedingung konzipiert. Das Material der Aufgabe musste deshalb auf dieser Hierarchiestufe der Reflexionsbegriffe als das Leben selbst begriffen werden. Das Leben bestimmt sich als bestimmte Bestimmbarkeit, die sich in ihrem Bezug auf sich selbst, nämlich in der Reflexionsform, zugleich als eröff net für und somit als bezogen auf andere Bestimmbarkeit bestimmt, sofern es sich nämlich in der Selbstbestimmung sich selbst entfremdet und deshalb sich selbst immer schon als sich in der Form der Andersheit gegenübertretend vollzieht. In solch einem prinzipiell, und das heißt notwendig konstitutiven, potentiellen Bezug auf andere Bestimmbarkeit muss diese freilich als bestimmte Bestimmbarkeit konzipiert werden. Die andere Bestimmbarkeit muss in ihrem Urbild selbst als bestimmte Bestimmbarkeit erscheinen. In dieser Relation von bestimmter Bestimmbarkeit zu anderer bestimmter Bestimmbarkeit kommen daher immer beide Seiten als Bestimmbarkeit zum Ausdruck, wobei es dieses Wechselverhältnis bzw. diese reine Relation ist, die sie als solche bestimmt. Deshalb ist der Bezug der bestimmten Bestimmbarkeit auf andere bestimmte Bestimmbarkeit prinzipiell ein rein wechselseitiger Bezug. In solcher Gemeinschaft von Bestimmbarkeit erscheint das Leben immer schon als Vollzug einer Aufgabe. Die reine Relation von bestimmter Bestimmbarkeit zu bestimmter Bestimmbarkeit erscheint damit selbst als auf zu bestimmende Bestimmtheit bezogen. Diese Bestimmtheit bestimmt dadurch zugleich selbst wiederum die Bestimmbarkeit(en) sowohl im Hinblick auf ihre wechselseitige Bezogenheit als auch im Hinblick auf ihre jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen der Selbstbestimmung. Insofern erscheint das Bilden als Urphänomen des Lebens in dreistrahliger Bezogenheit. 27 27
Vgl. Recki 2004a, 550.
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Diese Dreistrahligkeit ist also die äußerliche, weil erscheinende, Bildform geistigen Lebens: Der sich reflektierende Geist als der sich in der Reflexionsform äußernde erscheint als im Anderen auf sich selbst zurückkommend. Das sich selbst zur Bestimmbarkeit bestimmende Leben erscheint (1) im Urbild der notwendig potentiell personalen Leiblichkeit (Ich), (2) in wechselseitiger, notwendig potentiell interpersonaler Verwiesenheit auf andere Bestimmbarkeit (Du) und (3) mit der gemeinsamen Bezogenheit auf Bestimmtheit (Werk). Die dreistrahlige Bezogenheit ist die immanente Entfaltungsstruktur des Bildens. 28
4.2.4 Selbstbestimmung und Reflexion im Werk Rein formal kann das geistige Leben nicht bleiben – es muss aus der „Ordnung des Sollens“ (ECN 5, 129 in die „Ordnung des Geschehens“ (ECN 5, 12) kommen. Nur die Wirklichkeit des geistigen Lebens verbürgt seine Möglichkeit. Hier ist im System des symbolischen Idealismus der systematische Ort des Eintritts der Empirie. Das Bilden mit seiner immanent basisphänomenalen Vollzugsstruktur ist als das anhebende geistige Leben bestimmte Bestimmbarkeit, wobei sich das geistige Leben im Zurückkommen auf sich selbst in der Form der natürlichen Symbolik als bestimmte Bestimmbarkeit erscheint. Der Lebensvollzug als Bilden ist forma formans und immer auf seine eigenen Werke als Ort der Bestimmtheit bzw. Bestimmung verwiesen. Aber nur in der Überformung der natürlichen Symbolik durch die künstliche Symbolik, die symbolischen Formen im engeren Sinne, tritt die Erscheinung der empirischen Realität ein, kommt das geistige Bilden „zur Welt“ (PSF I, ECW 11, 9). 29 Die absolute Unableitbarkeit der Empirie in ihrem jeweiligen materialen Sosein ist der äußere Ausdruck der immanenten Unbedingtheit der Freiheit. Die immanente Unbedingtheit der Freiheit erfordert zugleich die Pluralität der Äußerungsformen – sprich: der symbolischen Formen; denn nur, wo es prinzipiell mögliche Alternativen der Selbstbestimmung gibt, kann sich die Selbstbestimmung als wahrhaft frei durchvollziehen. Sofern sich aber die symbolischen Formen im engeren Sinne immer nur in Wechselbestimmung mit dem materialen Sosein der durch sie als solche erst bestimmten Wirklichkeit konstituieren, bleiben sie innerhalb der Metaphysik des Symbolischen ebenfalls unableitbar. Gezeigt ist allerdings, dass die für die kritische Phänomenologie lediglich postulier28 29
Vgl. oben 2.2.5: Rückkunft des Bildens auf sich selbst als Existenzsetzung. Vgl. oben 2.3.7: Die Relation von natürlicher und künstlicher Symbolik.
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bare „Grammatik der symbolischen Funktion als solcher“ (PSF I, ECW 11, 17) zu Recht als solche in ihrer Einheit angenommen werden kann. Das Leben hebt in den prinzipiell möglichen Modalitäten der Sinngebung stets als forma formans an. Aber nur in einem „Übergang“ (PSF III, ECW 13, 365) des Bildens in bestimmte Richtungen der Formgebung – also aus der Prädetermination (vgl. ECN 3, 250) in die empirisch sachhaltige Durchbestimmung – kommt es zum wirklichen Leben. Da dieser Übergang ideelle Bedingung der Erscheinung von Realität ist, kann der Grund des Übergangs selbst auch nur ideell sein. Eine reale Bedingung, das heißt eine im realistischen Sinne empirische Ursache, kann es für etwas, was selbst Bedingung der Möglichkeit der Realität als solcher ist, nicht geben (vgl. PSF III, ECW 13, 365 ff.). Der Übergang der natürlichen in die künstliche Symbolik erfordert folglich die autonome Durchbestimmung bzw. Selbstbestimmung der forma formans. Die durch die Selbstbestimmung zu einer Möglichkeit nicht verwirklichten Möglichkeiten bleiben aber in der Form der Negation im faktischen Lebensvollzug ideell aufgehoben. Und dies ist es, was die „symbolische Prägnanz“ (PSF III, ECW 13, 218 ff.) im Erleben sichtbar macht: Geistiges Leben ist deshalb immer symbolisch prägnantes Erleben, weil der Wechsel in andere Modalitäten stets als reale Potentialität prinzipiell präsent ist (vgl. dazu Cassirers Linienbeispiel PSF III, ECW 13, 228 ff.). 30 Die Selbstbestimmung vollzieht sich dabei im Bezug auf die apriori formspezifischen, ideellen Ordnungen. 31 Das Bilden als sich in konstitutiv notwendiger potentieller Interpersonalität individuierende forma formans bildet die ideellen Ordnungen auf die konkreten verkörperlichten Formwelten des symbolischen Universums ab, das als empirische Realität in einem historischen Prozess begriffen ist und folglich auch in einem natürlichen, im Sinne von naturgesetzlichen, Lebenszusammenhang erscheinen muss. Wirklichkeit als solche entdeckt sich folglich erst in der Reflexion des Lebens auf sich selbst in der Form des Werks bzw. der Bestimmtheit. Der Bestand der Wirklichkeit verdankt sich in seiner Geltung dem „immer wieder Anheben“ des „reinen Setzens“ (ECN 1, 244), das heißt der Energie des Geistes. Darin erscheint das Bilden als eine notwendig interpersonal vermittelte Genesis der Sinnzusammenhänge, durch die Wirklichkeitsbewusstsein möglich ist. Die verschiedenen möglichen Weiterbestimmungen 30
Für eine im engeren Sinne prozessphilosophische Auslegung der Symbolisierung ist auf die Ähnlichkeit der hier herausgearbeiteten Begründung der symbolischen Prägnanz im Ausschluss von Möglichkeiten der Sinngebung mit Whiteheads Konzeption der „negative Prehension“ hinzuweisen, vgl. Whitehead 1978, 219 ff. („The Theory of Feelings“ und „The Primary Feelings“), bes. 239 f. 31 Vgl. oben 2.3.5: Ideelle Ordnung und Forderung.
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des Bildens, die symbolischen Formen im engeren Sinne, stellen verschiedene mögliche Formen von Sinngebung dar. Die Richtungen, welche die Energie des Geistes nimmt, hängen dabei von dem jeweiligen „Sinngesetz“ (ECN 1, 30) ab, unter das sie sich in ihrem Vollzug als ein auf die Realisierung solchen Sinnes gerichtetes, sich in ihrem Sein selbst initiierendes Handeln frei stellt. Das Bilden bestimmt sich in „geistig-ethische[n] Vollzugseinheiten“ (ECN 1, 248), im Sinne eines „ordo ordinans“ (ECN 1, 99, 248). Dies führt zu einer Selbstentäußerung des Bildens in die Werkform, wobei die jeweilige Einheit der auf die Werkform potentiell bezogenen Akte als ein „dynamisches Zentrum“ (ECN 2, 10) aufgrund der Reflexionsstruktur des Bildens, nämlich als selbstbezüglicher Pol dieses Prozesses, im Wissen um die Objektivität zugleich Wissen um sich selbst erlangt bzw. erlangen kann. Deshalb erscheinen die Vollzüge der Aktion zugleich in der Weise, dass ein notwendig potentielles Subjekt sich selbst in der Form der schöpferischen Subjektivität die objektiven Gebilde als die entsprechenden tätigen Vollzüge auch bewusst zuschreiben kann. Zugleich erscheint das so bestimmbare Subjekt als leibliches Wesen, das mit der Kontingenz, also der bloß empirischen, materiellen Seite des werkobjektiven bzw. geltungstheoretisch objektiven Seins, unter Bedingungen der Objektivität in Wechselwirkung steht. Ein solches ideell schöpferisches und real in kausalen, raumzeitlichen Bezügen existierendes und handelndes Subjekt ist formal ein animal symbolicum. Konkret ist es immer sowohl ein biologischvital bedingtes, menschliches Individuum, wie es auch im ethischen Sinne als Person bestimmt ist. Insofern ist es „zuletzt ein und derselbe Prozess, aus dem die organischen Formen und die Kulturformen hervorgehen, aus dem die rein vitalen Gestalten wie die Gestalten der Sprache und der Religion, der Wissenschaft und der Kunst erstehen.“ (ECN 1, 101) Deshalb steht umgekehrt auch jede symbolische Form unter den Bedingungen des sich selbst nur durch die symbolischen Formen verstehenden und seiner selbst habhaften, als wesentlich soziales Wesen existierenden Menschen in seinem symbolischen Universum. Die objektive Realität in diesem Verständnis ist die symbolisch prägnante Welt objektiver Werke als entäußerter „Gebilde des Geistes“ (ECN 1, 27), als das eigentliche Zwischenreich der sich herausdifferenzierenden leiblich und interpersonal verfassten, dynamischen Lebenszentren bzw. Subjekte. Deshalb erscheint die reale Ausdruckswelt immer als überformt von künstlichen Symboliken. In diesen wird mit konkreten Werken hantiert, die einen bestimmten Ausdrucksgehalt haben. Damit vollzieht das geistige Leben erst in konkreter – sprich: leiblicher – Individuierung tatsächliche Akte, in denen realitätshaltiger und gültiger Vollzug des Bildens mög-
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lich ist. Darin erst realisiert sich der Geist als Ausdruck. Hier kann denn auch die prozessuale Deutung der symbolischen Formen in ihrem Bezug auf die jeweils von ihnen konstituierten Lebenswelten ansetzen: Diese ist dann im engeren Sinne anthropologisch, semiotisch und kulturphilosophisch.
4.2.5 Leben, Basisphänomene, Kultur Leben ist Selbstausfaltung im Sinne der spontanen Konstitution von Möglichkeiten der Sinnerfüllung: Das „Urphänomen des Lebens“ (vgl. ECN 1, 127, 263 f.) ist im Prinzip die ideelle Totalität alternativer Entscheidungen der geistigen Tätigkeit bezüglich überhaupt möglicher Sinnerfüllungen. Leben ist insofern Selbstentfaltung in die als reale Möglichkeiten zu konzipierende Mannigfaltigkeit überhaupt, die durch die Sinnerfüllungen im Inbegriff der Realität erscheint. 32 Um dies zu denken, muss geistiges Leben als sich selbst hervorbringende Relation gedacht werden, die sich am Bezug auf Werte, die nämlich zu möglichen Sinnerfüllungen auffordern, konstituiert. Die solcherart als objektiv zu konzipierenden Werte sind damit die Sphäre des geistigen Lebens bzw. der eigentlichen, eben geistigen, Existenz des Menschen als animal symbolicum in seinem symbolischen Universum. 33 Konkrete geistige Lebensvollzüge erscheinen folglich in notwendiger Korrelation zum Erscheinen der entsprechenden objektiven Werte als Bedingungen der Realisierung ideeller Ordnungen, wobei die derartig objektiv – wenn auch oft nur implizit – in intelligiblen Willensakten34 erfassten Werte als das die jeweilige ideelle Ordnung Fordernde konzipiert werden müssen. Zum Ausdruck kommen die ideellen Ordnungen in spezifischen Modalitäten der Sinngebung bzw. Richtungen des geistigen Bildens: Die formspezifischen Richtungen auf das Objektive, d. h. die symbolischen Formen, sind Ausdruck bzw. Erscheinung der ideellen Ordnungen, die als Forderungen geistig-ethischer Vollzugseinheiten zur Geltung kommen. Auf ideelle Ordnungen kann entsprechend nur der freie geistige Vollzug, die apriorische Spontaneität abzielen – nämlich durch zumeist impliziten, stets intelligiblen Wertbezug. Durch solchen intelligiblen Willen zu bestimmten Formen bzw. zu bestimmten möglichen Weisen der Sinnerfüllung, der sich aufgrund seines Wertbezugs zugleich als Anerkennung 32 33 34
Vgl. oben 3.2: Der Lebensbegriff der Metaphysik des Symbolischen. Vgl. oben 2.1.2: Die wesentlich ethische Dimension der Kultur. Vgl. oben 2.3.6: Formkonstitution durch intelligiblen Willensvollzug.
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spezifischer, formimmanenter Geltungskriterien formiert, ist die geistige Grundlage der Kultur gelegt. Das symbolische Universum wurzelt in der poietisch-komtemplativen Selbstentfaltung des Wesens der Menschheit. Der Terminus ‚Kultur‘ meint somit als Relationsbegriff die ursprüngliche Korrelation von schöpferischer Subjektivität mit den diese in ihrer Individuation als Selbsterfassung erst ermöglichenden Bedingungen von Freiheitsakten, die sich als objektiv erscheinende Werte in den Akten des Bildens stets als die apriorischen Möglichkeiten der Sinnerfüllung erweisen bzw. in philosophischer Reflexion im Modus der kritischen Phänomenologie nachweisen lassen. Akte des Bildens kommen in Verkörperlichung und somit immer nur in stets prinzipiell ermöglichter leiblicher Erfahrung zum Ausdruck. 35 Die schöpferische Subjektivität realisiert sich überhaupt nur in der Kultur, nämlich in symbolischen Universen, indem aus solchen Akten des Bildens, die sich ihrer Leiblichkeit prinzipiell bewusst werden können, die Werke als Verkörperlichungen ihrer jeweils intendierten Sinnerfüllungen hervorgehen, und zwar in einem Verweisungszusammenhang von sich an ihren eigenen Erzeugnissen herausbildenden und differenzierenden dynamischen Lebenszentren, kurz: in der Grundform der Interpersonalität. Durch das Erscheinen des Geistes als sich zur Bestimmbarkeit bestimmendem geistigen Leben ist somit die ganze Ausdruckswelt in ihren transzendentalen Prinzipien als freier interpersonaler und kultureller Zusammenhang konstituiert: Die Basisphänomene sind der Urraum des anhebenden geistigen Lebens, in dem sich „Aktionskreis und Gesichtskreis“ (ECN 1, 249 ff.) als solche erst entfalten können. Darin konstituiert sich zugleich im vollen Sinne die natürliche Symbolik des Lebens: Soll überhaupt geistiges Leben erscheinen, also sich konkret vollziehen, so müssen die Realisationsbedingungen der Basisphänomene in Einheit mit den Bedingungen von Phänomenalität überhaupt, nämlich der natürlichen Symbolik, konstituiert sein. So erscheint das geistige Leben der Form nach. Die Basisphänomene sind insofern die äußere Ausdrucksform des Geistes und die natürliche Symbolik zugleich die Grundform geistiger Repräsentation überhaupt. Als die Bedingungen konkreter Freiheitsakte bzw. des konkreten, geistigen Lebensvollzugs ergeben sich die drei Momente, die bereits ausgehend von der Begriffskorrelation Bestimmbarkeit-Bestimmung im Hinblick auf die äußere Ausdrucksform (als dreistrahlige Relation) des Geistes gezeigt wurde:
35
Vgl. oben 2.1.1: Die Leiblichkeit des animal symbolicum, 4.2.4: Selbstbestimmung und Reflexion im Werk.
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(1) die Leiblichkeit der schöpferischen Subjektivität als Bedingung von Weltbezug in einem Aktionskreis überhaupt = erstes Basisphänomen: Korrelation Seele/Leib; (2) die Grundform der Interpersonalität als die Sphäre, in der Ansprüche der Freiheit überhaupt gehalten werden können = zweites Basisphänomen: Korrelation Ich/Du; und (3) die Objektivität in der Repräsentation in einem jeweiligen Gesichtskreis von Realität (in spezifischen Modalitäten der Sinngebung: weiterbestimmte natürliche Symbolik des Bewusstseins), die sich in konkreten Werken die ideale Form eines sinnlichen Repräsentanten spontan erschafft = drittes Basisphänomen: Korrelation schöpferische Subjektivität/Werk. Das Urphänomen des Lebens konstituiert sich folglich in seiner leibseelischen Einheit, in konstitutiver bzw. konstitutiv ermöglichter Interpersonalität und als sich an objektiven Formen (Werken bzw. Symbolen) äußerndes Auffassen (Fühlen und Denken). Es trägt die dreistrahlige Bezogenheitsstruktur der Basisphänomene in sich. Insofern ist die Grundform der symbolischen Form zu identifizieren mit der Struktur des äén diafð e rómenon/ eaytÖ (die in sich gegliederte Einheit), 36 die sich in der Bezogenheitsstruktur der Basisphänomene37 reflektiert.
36 37
Vgl. oben 2.1.5: Das Wesen der Menschheit: ä é n diafðerómenon/ eaytÖ. Vgl. oben 2.2: Das Urphänomen des Lebens: Theorie der Basisphänomene.
5 Schluss: Ausblick
All das in dieser Arbeit Behauptete – die Charakterisierung von Cassirers metaphysischem Denken als Transzendentalphilosophie und darin die Aussagen über die Konzeption und das Selbstverständnis der philosophischen Reflexion bis hin zur zuletzt vorgenommenen Darstellung der Reflexionsbegriffe – versteht sich als philosophische Symbolisierung der geistigen Konstitution. Die durchgeführte philosophische Reflexion verfuhr dabei insoweit schöpferisch, als sie kontemplativ-rekonstruierend vorgehen musste – rekonstruktiv, denn die ganze metaphysische Reflexion kann nur dann angestrengt werden, wenn sich die de facto beanspruchten Evidenzerlebnisse in Bezug auf die immanenten Konstellationen des Urphänomens des Lebens bereits ereignet haben, wenn also die Gültigkeit der Behauptungen über das animal symbolicum mit seinem symbolischen Universum, die Basisphänomene, die symbolischen Formen und die Reflexionsbegriffe der Metaphysik des Symbolischen als notwendig so zu konzipieren eingeleuchtet haben. Insofern bleibt die ganze Reflexion in ihrem Selbstverständnis auf die im Modus der kritischen Phänomenologie im weiteren Sinne und darin auf die in kritischer Auseinandersetzung mit relevanten Fragestellungen aus den Einzelwissenschaften erschlossene Empirie verwiesen – als sokratisches Fragen präziser formuliert „ethisch hingewiesen (– nicht nur vital angewiesen)“ (ECN 3, 161). Obwohl bzw. gerade deshalb weil die philosophische Reflexion zum Ziel hat, die Bedingungen der Möglichkeit der Realität des geistigen Lebens überhaupt aufzuklären, erkennt sie sich selbst in zweierlei Hinsicht als auf die konkrete Realität verwiesen: als ihrem faktischen terminus a quo sowie als ihrem ideellen terminus ad quem. Die Metaphysik des Symbolischen analysiert gegenüber der kritischen Phänomenologie – bildlich gesprochen – weiter zurück bzw. weiter in die Tiefe. Denn sie reflektiert den Reflexionsvollzug selber, in dem sich die Evidenzerlebnisse ereignen sollen, die der kritischen Phänomenologie als spezifischer Gedankenbewegung ihren Sachgehalt bewähren. Sie analysiert dabei den Lebensvollzug, der sich selbst als eigentlich philosophischen versteht. Die dabei beanspruchte Wahrheit, die in der Reflexion der Bedingungen der Möglichkeit der Selbstkonstitution geistigen Lebens mitreflektiert wird, muss unmittelbar evident werden. Im Sinne des
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fünftes kapitel
symbolischen Idealismus konnte sie aber nur evident werden, indem gezeigt wurde, in welchem Verfahren der Reflexion unmittelbares Einleuchten reflektiert möglich ist und indem zusätzlich gezeigt wurde, dass die implizite Konzeption der Möglichkeit eines solchen Vollzugs eine Bedingung der Möglichkeit des Lebensvollzugs im Modus der kritischen Phänomenologie ist. Verfährt die philosophische Reflexion derartig im Modus des symbolischen Idealismus, so muss sie für sich in Anspruch nehmen, dass sie sich selbst zu Recht so behauptet. Diesen Anspruch erhebt die philosophische Reflexion dann notwendig, wo sie überhaupt anhebt. Die hier vorgelegte Arbeit – als ein Exemplar philosophischer Reflexion im Modus des symbolischen Idealismus – erhebt diesen Anspruch explizit. Wie in der Einleitung betont, ist sie schließlich explizit als werkimmanente Interpretation dessen konzipiert, was als Cassirers „Metaphysik des Symbolischen“ angenommen werden kann. Deshalb will sie auch als Selbsterkenntnis derjenigen philosophischen Reflexion verstanden werden, die sich in Cassirers Philosophieren über das animal symbolicum, die Basisphänomene und die symbolischen Formen manifestiert. Dies sollte und soll nicht – auch dies wurde eingangs betont – den Blick dafür verstellen, dass hier mit Begriffen und Konzepten hantiert wurde, die sich auch anderen als denjenigen Zugängen öffnen lassen, wie sie für Cassirer im Horizont seines zeitgenössischen philosophischen Diskurses zu Gebote standen. Dies betrifft insbesondere den Lebensbegriff, der im Kontext der modernen Lebenswissenschaften (sofern man diesen nicht erneut einzelwissenschaftlich-empirisch verengt versteht) vielfältiger auszulegen ist, als dies beim Stande der Lebensphilosophien möglich war, die jedenfalls die Folie für Cassirers begriffliche Arbeit am Lebensbegriff abgegeben haben.1 Ebenso könnte – über Cassirer hinausgehend – das Konzept der Reflexionsbegriffe, zumal, sofern man sich systematisch im Kontext der Transzendentalphilosophie weiterbewegt, in seiner Schlagkraft ausgebaut und noch stärker sowohl im Hinblick auf seine reflexionsbegründende als auch mit Blick auf sein interdisziplinär systembildendes Potential ausgeführt werden. Zudem wäre es denkbar, um noch einen dritten, großen Topos anzusprechen, Cassirers Überlegungen insofern weiterzuführen, als damit über den Angelpunkt der kritischen Phänomenologie in ihrer Doppelbö1
Für die gegenwärtige Weite der Diskussionen um den Lebensbegriff vgl. z. B. Marx 1991, Jonas 1994, Seifert 1997, Kather 2003, Weingarten 2003, Montebello 2004.
Schluss: Ausblick
231
digkeit der Empirieverwiesenheit einerseits und der Reflexionsgestalt (als Moment eines Gesamtlebensvollzugs) andererseits auf der inhaltlichen Ebene wieder moderne ontologische Ansätze eingeholt werden können (die dazu freilich reflexionslogisch zu rekonstruieren wären) – zu denken wäre zum Beispiel, und darauf wurde weiter oben schon hingedeutet, an das prozessontologische Denken, das seinerseits erlaubt, gegenwärtige naturwissenschaftliche Modelle sowie strukturalistische Ansätze miteinander zu verknüpfen. Was den Anspruch angeht, solche großangelegten philosophischen Paradigmen an Cassirers strengen, philosophischen Anspruch einer zu ethischem Handeln motivierenden „letzten höchsten Einsicht“ (ECN 1, 271) reflexionslogisch und symboltheoretisch anzuknüpfen, um ihn über phänomenologisch erschließbare Schnittstellen für eine Rekonstruktion strukturalistischer oder prozesstheoretischer Einsichten fruchtbar zu machen, so wäre das nur eines der möglichen philosophischen Forschungsprojekte, die sich an die hier vorgelegte Interpretation der Philosophie Ernst Cassirers anschließend könnten. Naturphilosophie würde damit, entsprechend Cassirers Ansicht, aus der gleichen Einheit gedacht werden, wie Kulturphilosophie im engeren Sinne – „denn es ist zuletzt ein und derselbe Prozess, aus dem die organischen Formen und die Kulturformen hervorgehen“ (ECN 1, 101). Nach Einschätzung des Autors wäre es allerdings noch interessanter und auch mit Blick auf die wichtigen Debatten, welche die Philosophie als „Gewissen der Kultur“ (vgl. FuT, ECW 17, 142) immer wieder anzuzetteln hat, relevanter, den transzendentalphilosophischen Ansatz sogar im engeren Sinne gesellschaftsphilosophisch weiter zu denken, um ihn für eine Kritik der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse gedeihlich und ertragreich zu machen. Der Autor der vorliegenden Arbeit kann nur hoffen, dass der Leser ihm in der optimistischen Einschätzung zustimmt: Der Anfang ist gemacht. Aus dem Anspruch jedoch, der die Überlegungen, wie sie in dieser Arbeit vorliegen, leitete und den damit bewusst herbeigeführten Einschränkungen ergab sich jedenfalls die zur Geltung gekommene Notwendigkeit, dass sich die Arbeit am Ende selbst analysiert. Deshalb schließt die Arbeit mit der Darstellung der Reflexionsbegriffe, die bei der Durchführung der synthetischen Sichtweise herausspringt und im Hinblick auf das eben Angedeutete nur einen Ausgangspunkt, wenn auch immerhin im Sinne des Ursprungs, darstellen kann. Hier steht das Ergebnis der philosophischen Selbstaufklärung als Aufgabe und somit als ein möglicher philosophischer Anfang am Ende des Buches.
Siglenverzeichnis
BAG BmD CIPC CPPP ECN ECN 1 ECN 2 ECN 3 ECN 5 ECW EGL EM EP 3
FFW FuT GmP GP GuL HdI KEW KPM
Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften (1923), ECW 16, 75–104. Die Begriffsform im mythischen Denken (1922), ECW 16, 3–73. Critical Idealism as a Philosophy of Culture (1936), SMC, 64–91. The Concept of Philosophy as a Philosophical Problem (1935), SMC, 49–63. Ernst Cassirer. Nachgelassene Manuskripte und Texte, hg. von John Michael Krois, Oswald Schwemmer u. a., Hamburg 1995 ff. Zur Metaphysik der symbolischen Formen. Ziele und Wege der Wirklichkeitserkenntnis. Geschichte. Mythos. Mit Beilagen: Biologie, Ethik, Form, Kategorienlehre, Kunst, Organologie, Sinn, Sprache, Zeit. Kulturphilosophie. Vorlesungen und Vorträge (1929–1941). Ernst Cassirer. Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe, hg. v. Birgit Recki, Hamburg 1995 ff. Erkenntnistheorie nebst den Grenzfragen der Logik und Denkpsychologie (1927), ECW 17, 13–81. Essay on Man. An Introduction to a Philosophy of Human Culture (1944), ECW 23. Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. Dritter Band: Die nachkantischen Systeme (1920, ²1923), ECW 4. Formen und Formwandlungen des philosophischen Wahrheitsbegriffs (1929), ECW 17, 342–359. Form und Technik (1930), ECW 17, 139–183. Goethe und die mathematische Physik. Eine erkenntnistheoretische Betrachtung (1921, ²1924), ECW 9, 268–315. Goethes ‚Pandora‘ (1921, ²1924), ECW 9, 243–267. ‚Geist‘ und ‚Leben‘ in der Philosophie der Gegenwart (1930), ECW 17, 185–205. Hölderlin und der deutsche Idealismus (1921, ²1924), ECW 9, 346– 388. Die Kantischen Elemente in Wilhelm von Humboldts Sprachphilosophie (1923), ECW 16, 105–133. Kant und das Problem der Metaphysik. Bemerkungen zu Martin Heideggers Kant-Interpretation (1931), ECW 17, 221–250.
234
LKW LSB MoS PSF I PSF II PSF III SAG SMC
SuF TdB
Siglenverzeichnis
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Personenverzeichnis
Aristoteles (aristotelisch) 5, 46 Berkeley, George 7, 8 Cohen, Hermann 16 Descartes, René (cartesisch) 7, 19, 195 Fichte, Immanuel Hermann 16 Fichte, Johann Gottlieb 15, 16, 148 Goethe, Johann Wolfgang 75, 79, 221 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (hegelsch) 17, 22, 23, 24, 38, 62, 65, 152, 207 Hölderlin, Friedrich 72
Husserl, Edmund (husserlsch) 22, 23, 24 Kant, Immanuel (kantisch) 3, 4, 5, 7, 13, 15, 24, 53, 54, 61, 62, 143, 149, 160, 200 Kleist, Heinrich (kleistsch) 146 Leibniz, Gottfried Wilhelm 7 Lessing, Gotthold Ephraim 66 Platon (platonisch) 5, 7, 8, 180, 197, 200 Sokrates (sokratisch) 36, 37, 195, 197