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German Pages 310 [316] Year 1985
Sylvelie Adamzik Subversion und Substruktion
Quellen der Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker Begründet von
Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer Neue Folge Herausgegeben von
Stefan Sonderegger
83 (207)
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G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1985
Subversion und Substruktion Zu einer Phänomenologie des Todes im Werk Goethes
Sylvelie Adamzik
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G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1985
Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Förderer und Freunde der Freien Universität Berlin e.V.
Gedruckt auf säurefreiem Papier (alterungsbeständig - pH 7, neutral) QP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Adamzik, Sylvelie: Subversion und Substruktion: zu e. Phänomenologie d. Todes im Werk Goethes / von Sylvelie Adamzik. Berlin; New York: de Gruyter, 1985. (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker; N. F., 83 = 207) ISBN 3-11-010117-3
©
Copyright 1985 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. - Printed in Germany - Alle Rechte des Nachdrucks, einschließlich des Rechts der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vorbehalten. Satz: Dörlemann-Satz, Lemförde Druck: Hildebrand, Berlin Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin
Für Johannes Bauer
Vorwort Auf die mortiferen Topographien dieses Lebens verwiesen: Orientierung suchend im Schattenreich des gegenwärtigen Geistes, in den institutionellen Unterwelten von Wissen und Macht, in den Dunkelzonen des Eros, sah ich mich auf eine „Kritik der Sinne und des Menschenverstandes" vereidigt, wie sie Goethe einmal der Karte des transzendentalen Subjekts einzuzeichnen anwies. Vorliegendes Buch legt Zeugnis meiner Recherchen ab. Den Sachwaltern jener Welten, namentlich Wilhelm Emrich, habe ich es zu danken, daß ich mich auf die mephistophelischen Pfade der Erkenntnis gedrängt fand; Spuren, die hinabführen von der Bühne des Logos zu deren Unterbauten, den Labyrinthen der Leidenschaft. Darin, solche Triebgründe und -abgründe auszuleuchten, bin ich Klaus Heinrich überaus verbunden. Ebenso verpflichtet bin ich allen, die ihr Wort ins Textgewebe einflochten, wie denen, die mir ihre Anwesenheit in der Schrift schenkten; verantwortlich schon der Stimme, die von der Befreiung der Natur des Geistes spricht. Unter Bedingungen, die Geld und Existenz verwechselbar machen, verdanke ich der Studienstiftung des deutschen Volkes mehr als nur die finanzielle Förderung der Dissertation. Mein Dank gilt auch der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Förderer und Freunde der Freien Universität Berlin und der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften, deren Unterstützung die Edition meiner Arbeit möglich werden ließ. Berlin, im Juli 1985
Inhalt Einleitung 1. Phänomen 1.1 Wahrheit und Irrtum 1.2 Paralyse der Wissenschaft 1.3 Erscheinung und Erkenntnis
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2. Produktion 2.1 Sensitive Disposition 2.2 Arbeit des Widerspruchs 2.3 Prometheisches Ethos 2.4 Moralisches Bewußtsein 2.5 Lexdiaboli 2.6 Eros der Negation 2.7 Todesgrund des Subjekts
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3. Repräsentation 3.1 Topologie der Vernunft 3.2 Herrschaft des Abwesenden 3.3 Gesetz und Eros 3.4 Gestalt des Unbewußten 3.5 Bühne des Realen 3.6 Geld und Sakralität 3.7 Fetischistische Identität 3.8 Kultur und Opfer 3.9 Ordnung des Todes
135 135 151 168 177 185 197 206 213 224
4. Orphik 4.1 Poetische Entäußerung 4.2 Epiphanie des Infernalen 4.3 Schönheit als Idol 4.4 Lyrische Rede 4.5 Fiktionale Biographie
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Literaturverzeichnis
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„Denn das Leben ist die Liebe, Und des Lebens Leben Geist."
Einleitung An dem Kulturspektakel zum jüngst begangenen 150. Todestag Goethes ist wieder einmal mehr die grassierende „ G e s u n d h e i t z u m T o d e " zutage getreten, der sichtbare Beweis, „daß die zeitgemäße Krankheit gerade im Normalen besteht." 1 So normal gebärdet sich die Kulturgemeinschaft anläßlich des Todes ihres Geistesheros, als wollte sie erneut Belege für diese vor fast vierzig Jahren formulierte Einsicht liefern. Ungebrochen präsentiert sie sich als Markt einer Ware, die billig genug angeboten 2 doch nur auf den toten Rezipienten stößt. Goethe, der Name und das Werk, fungiert weitgehend als Objekt innerhalb einer Konsumtionssphäre, die nicht nur eine produktive Auseinandersetzung mit dem Autor verstellt, sondern seinen Tod ratifiziert. Dabei setzt der Konsum dieses Markenartikels deutscher Literatur ein Nebenprodukt frei, das ihm wiederum zu Buche schlägt: die begehrte Ware bietet sich der Entlastung für ein zentrales Symptom des gesellschaftlichen Common sense an, die Todesneurose. Psychiatrische Analyse - ihrer eigenen von Adorno im Kontext obigen Zitats konstatierten Tautologie gemäß - beweist bündig, der gefeierte Dichterfürst sei Opfer solch seelischen Leidens 3 , ein Urteil, das zum populären Gemeinplatz herabsinken konnte, eben weil es einem Bedürfnis nach Projektion entgegenkommt. Während das Bild des Todes im Unbewußten eines jeden Zivilisationsträgers neurotisch determiniert ist, soll, nach dem Konsens derer, die sich gesund und normal dünken, allein der, der diesem Phänomen sich stellt und die eigene Todesneurose als Protest gegen den historischgesellschaftlich bedingten Tod aktiviert, von der bereits aus dem Verfallsprozeß hergeleiteten Krankheit infiziert sein. Der Ambivalenz in bezug auf das Uber-Ich der Kulturnation wird damit Rechnung getragen: befallen von der 'Gesundheit zum Tode', die dessen 1
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Theodor W. Adorno, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, 18.-23. Tsd., Ffm. 1971, p. 68 sq. etwa in der zweiundzwanzigbändigen vollständigen Textausgabe des Quelle-Versandhauses zu DM 398,cf. z. B. Gerhard Schmidt, Die Krankheit zum Tode. Goethes Todesneurose, Stuttgart 1968 - cf. G. H. Graber, Goethes Werther. Versuch einer tiefenpsychologi-
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Einleitung
Verdrängung pathognostiziert, begeht das Kollektiv in seinem Gedenkkult der Verdinglichung den Mord am Vater, straft ihn unbewußt für den von ihm gestorbenen Tod, um die Illusion der eigenen Unsterblichkeit 4 aufrechtzuerhalten. Im 20. Jahrhundert hat sich das 'Verhältnis zum Tode' 5 grundsätzlich verändert: der Schatten zweier Weltkriege, von denen bereits der Erste die bis dahin noch mögliche Verdrängung des Todes zugunsten eines Fatalismus ihm gegenüber aufzugeben forderte: „Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein" 6 ; der Zweite aber - „nach Auschwitz" 7 - zum völligen Verstummen verurteilte. Tod gedieh zum Faschismus, dadurch daß ihm Vorrang über das Leben eingeräumt wurde. Das verbliebene, vom Tod subtrahierte Leben ist nicht mehr als dessen Gewissen: Schuld. Nicht aber die archaische Schuld am Tode dessen, der getötet wurde 8 , vielmehr die „Schuld des Lebens" 9 selber. Die Psychologie schlug um durch ein Verbrechen, das jedes individuelle „Schuldbewußtsein" 10 überstieg. Jenseits der 'Traumdeutung' der Jahrhundertwende sind die Träume des Toten auszulegen, die die „Schuld des Verschonten" diesem eingibt: „Zur Vergeltung suchen ihn Träume heim wie der, daß er gar nicht mehr lebte, sondern 1944 vergast worden wäre, und seine ganze Existenz danach lediglich in der Einbildung führte, Emanation des irren Wunsches eines vor zwanzig Jahren Umgebrachten." 11 Dem nicht zu Tode Gekommenen ist das eigene Leben Fiktion, die bestimmte Fiktion des Toten zu leben. Im Traum des Unbewußten verwandelt sich danach das Trauma „zum Gespenst, einem Stück Geisterwelt, die das wache Bewußtsein als nicht existent durchschaut. Die Schuld des Lebens, das als pures Faktum bereits anderem Leben den Atem raubt, einer Statistik gemäß, die eine überwältischen Pathologie, in: Acta psychotherapeutica, psychosomatica et orthopaedica 6, 1958 - Ernst Beutler, D e r Frankfurter Faust. Robert Petsch zum 65. Geburtstag, in: J a h r b u c h des Freien Deutschen Hochstifts, F f m . 1936-1940, Halle a.d.S. 1940, interpretiert das Werk schon früh als Todesverdrängung, cf. p. 604 4 cf. Sigmund Freud, U n s e r Verhältnis zum Tode, Studienausgabe, edd. Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey, Bd. IX, Fragen der Gesellschaft, Ursprünge der Religion, Ffm. 1974, p. 49 5 cf. ib., pp. 4 9 - 6 0 ' ib., p. 60 7 T h e o d o r W. A d o r n o , Negative Dialektik, F f m . 1970, p. 352 8 cf. S. Freud, Unser Verhältnis zum Tode, 1. c., p. 52 sqq. 9 T h . W. A d o r n o , Negative Dialektik, 1. c., p. 355 10 S. Freud, U n s e r Verhältnis zum Tode, 1. c., p. 54 11 T h . W. A d o r n o , Negative Dialektik, I.e., p. 354
Einleitung
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gende Zahl Ermordeter durch eine minimale Geretteter ergänzt, wie wenn das von der Wahrscheinlichkeitsrechnung vorgesehen wäre, ist mit dem Leben nicht mehr zu versöhnen. Jene Schuld reproduziert sich unablässig, weil sie dem Bewußtsein in keinem Augenblick ganz gegenwärtig sein kann. Das, nichts anderes zwingt zur Philosophie." 12 Was das Unbewußte ihm als Totes liefert, das Leben nämlich, muß das Bewußtsein als 'nicht existent' erkennen. Es reflektiert damit die Unverhältnismäßigkeit des verbliebenen Lebens zu den Ermordeten, an welcher 'Schuld' schon die Psyche zerbrach, um ihren Tod zu konstatieren. Wie diese erfaßt es das Leben als etwas, das aus anderem, getötetem Leben sich speist, todbringend seinen Tod festschreibt. Philosophie trägt die Rechnung der 'Schuld', die, weil sie nicht mehr zu ihrem Bewußtsein gelangen kann, unbeglichen bleibt, immer sich erneuert. So erzwingt sich der Tod, der das Leben verschlingt, in der Philosophie seinen Schuldner. 13 Die Philosophie aus Schuldbewußtsein, von der Adorno spricht: jede seit Beginn unseres Jahrhunderts, zahlt dem Tod als ihrem Gläubiger den Tribut des zerstörten Bewußtseins, das selbst schon die Rationalisierung der zerstörten Seele ist; sie zahlt, ob sie es weiß oder nicht, ob sie es will oder nicht. Und diese Todesökonomie gilt so lange, bis das Leben aufhört, das der Tod ist. Daran gemessen muß das Ziel der Philosophie ihre Selbstaufhebung sein. Statt dessen hat sie sich weitgehend mit ihrer Schuld, ihrem Mangel arrangiert, die N o t des Todes zu ihrer Tugend gemacht. Mimesis an ihr Objekt übend purifizierte sie sich zur 'philosophischen Thanatologie' 14 , leistet seither durch die Verwaltung des Todes unterm Zepter des Begriffs der Herrschaft über das Leben Beistand. D a ß der „Tod (. . .) ein Apriori" 15 sei, wurde zur Transzendentalbestimmung des Subjekts. Der essentialisierende, der ontologisierende Blick auf den Tod in Phänomenologie und Existenzphilosophie forderte seinen Primat, den der philosophische Diskurs denn auch sanktionierte. So logifizierte namentlich Martin Heidegger mit dem 12 13
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ib., p. 355 cf. T h . W. Adorno, Minima Moralia, I.e., p. 65: „Die Logik der Geschichte ist so destruktiv wie die Menschen, die sie zeitigt: w o immer ihre Schwerkraft hintendiert, reproduziert sie das Äquivalent des vergangenen Unheils. Normal ist der Tod." cf. H a n s Ebeling, Philosophische Thanatologie seit Heidegger, in: Der Tod in der Moderne, ed. Hans Ebeling, Königstein/Ts. 1979, pp. 11-31 Max Scheler, Erkenntnistheorie des Todes. Schriften aus dem Nachlaß I, Berlin 1933, p. 18
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Einleitung
auf dem Horizont des Todes entworfenen Dasein 16 theoretisch die von Adorno diagnostizierte 'Schuld des Lebens' daran, daß es aus seiner Vernichtung sich herschreiben soll. 17 Die Angst vor dem Leben, das keines ist, die Angst nicht zu leben, rationalisierte sich zur nekrophilen Apologetik des Bestehenden. Im Einverständnis mit dem, was ist, gerät der Zwang des Todes, der das Leben in den Bann schlägt, zur „ F r e i h e i t z u m T o d e " 1 8 ; ein zynischer Euphemismus angesichts der Schuldverschreibung, die die Freiheit zum Leben verweigert. Solche Philosophie sei, wie Werner Fuchs in einer Studie über die 'Todesbilder in der modernen Gesellschaft' feststellt, die Konsequenz der in der Neuzeit entwickelten „Vorstellung vom natürlichen Tod" 1 9 ; dem an „Naturbeherrschung und Naturwissenschaft" 20 versklavten Denken liefert „die nachhegelsche Todesphilosophie" die Legitimation für die „Identifikation von Leben und Tod" 2 1 . Indirekt desavouiert der Autor sein Projekt, so ehrlich es auch in seiner gesellschaftskritischen Dimension gemeint sein mag, damit selbst; denn auch seine These reflektiert die ideologische Komponente einer der Disziplinen instrumenteller Gewalt, der Biologie, nicht: „Tod kommt aus natürlichen Ursachen, bedeutet Aufhören der biologischen Lebensprozesse, mit denen als ihrer Voraussetzung alle anderen Lebensprozesse gleichfalls enden. Was bleibt, ist ein Ding, die Leiche." 22 In seinem Ansatz überzeugt der Verfasser durchaus: „die Natürlichkeit des Todes ist nur als eine sozial produzierte zu denken." 23 „Das soziale System beeinflußt den Tod nach Art und Zeitpunkt in doppelter Weise: durch Naturbeherrschung und durch Gewalt. (. . .) Gesellschaft greift nicht nur in Naturgesetze ein zum Zwecke der Lebensreproduktion, sondern bemächtigt sich des Todes auch dadurch, daß sie ihn vollzieht, daß sie selber tötet. Tödliche Gewalt gehörte bisher zum Instrumentarium jedes sozialen Systems." 24 " cf. Martin Heidegger, Das mögliche Ganzsein des Daseins und das Sein zum Tode. Sein und Zeit, 12. Aufl., Tübingen 1972, pp. 235-267 17 cf. dazu Theodor W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie, 3. Aufl., Ffm. 1967, pp. 108-138 18 M. Heidegger, Sein und Zeit, I.e., p. 266 " Werner Fuchs, Todesbilder in der modernen Gesellschaft, Ffm. 1973, p. 65 20 ib., p. 72 21 ib., p. 65 22 ib., p. 71 23 ib., p. 72 24 ib., p. 23
Einleitung
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Gleichwohl Fuchs in solcher Weise den T o d „als Mittel sozialer Kontrolle, als Instrument der Herrschenden gegen die Beherrschten" 2 5 problematisiert, verfällt er einem Idealismus, der von der Fiktion des Todes als dem „Repräsentant(en)" 2 6 einer Natur ausgeht, die dem „fortschreitende(n) Prozeß gesellschaftlicher Aneignung" vollständig unterworfen, „vergesellschaftet" 2 7 wurde. 2 8 Ausgerechnet im T o d , durch den sich soziale Gewalt als Natur behaupten kann, soll Natur als Korrektiv der Herrschaft des Menschen über den Menschen sich sedimentieren. Dieses Konzept erhebt im Namen der Natur mit dem T o d ein „Postulat", daß nämlich die Gesellschaft, die ihn als Repressionsinstrument längst integrierte, an ihm sich orientiere: „ E r verlangt eine gesellschaftliche Verfassung, in der ein solcher natürlicher T o d die Regel ist oder mindestens zur Regel werden kann. Jedem muß es möglich sein, am Ende seiner Kräfte zu verlöschen, ohne Gewalt und Krankheit oder vorzeitigen T o d seine biologischen Lebenskräfte bis an die Grenze auszuleben. Wie anders könnte man von natürlichem T o d reden!" 2 9 Diese Frage erhebt sich allerdings: wenn das Leben unter Bedingungen steht, die es dem T o d gleichen lassen, wird man diesem die Kraft, Natur einzuholen, kaum konzedieren können. Wie unnatürlich und nach Maßstäben von Humanität menschenunwürdig der durch zunehmende Naturbeherr» " 27 28
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ib., p. 211 ib., p. 51 ib., p. 23 H i e r steht nach Fuchs die moderne Gesellschaft - eine eigentümliche kreuzweise Umkehrung von Zivilisationsstand und dem kritischen Bewußtseins - in genauem Widerspruch zu primitiven Gesellschaften, die, bei einem minimalen G r a d der N a turbeherrschung, den T o d gerade nicht als „ein natürliches Ereignis" erfahren, sondern als „soziale(n) A k t " (ib., p. 31), durch den die „ N o r m e n der Gesellschaft", sowie eine „soziale K o n t r o l l e " (ib., p. 45) verbindlich sind. D e r Primitive kennt s o g a r ein Phänomen wie den „sogenannten Tabu- oder V o o d o o - T o d . Es handelt sich dabei um einen Todeseintritt, der ohne somatisch konstatierbare U r s a c h e ist. Er geht zurück auf eine schwerwiegende Normenverletzung. D i e Sanktion gegen solche Klassen von Normenverletzungen ist der Ausschluß aus dem sozialen Verband, die soziale Todeserklärung. D e r B e t r o f f e n e weiß sich unausweichlich gebannt in die A b f o l g e von Schuld uns Sanktion. D i e Wahrnehmung der Ausweglosigkeit führt d a z u , daß er die Sanktion durchs eigene Sterben erfüllt." (ib., p. 49 sq.) - cf. d a z u auch Rudolf Bilz, Studien über Angst und Schmerz. Paläoanthropologie Bd. I, Ffm. 1974, pp. 194-201 W. Fuchs, Todesbilder, I.e., p. 72 - cf. auch die problematischen A u s f ü h r u n g e n Jean Amerys, Wie natürlich ist der T o d ? Hand an sich legen. Diskurs über den Freitod, Stuttgart 1976, pp. 34-57. U m der „Natürlichkeit des T o d e s " (ib., p. 40) durch d a s „Fallbeil, d a s uns alle guillotiniert, z u v o r z u k o m m e n " (ib., p. 43), proklamiert Amery die „Natürlichkeit des Freitods" (ib., p. 45): „ D e r F r e i t o d i s t e i n P r i v i l e g d e s H u m a n e n . " (ib., p. 43)
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Einleitung
schung in der sogenannten Humanmedizin ermöglichte 'natürliche Tod' ist, hat vielen Kritikern das Wort abgefordert 3 0 ; ihr Angriff begegnet der Tatsache, daß der „technische Tod" nicht einmal mehr allein dem Leben, sondern sogar dem Tod H o h n spricht: „Der mechanisierte Tod hat alle anderen Tode besiegt und vernichtet." 31 In dieser Welt, Strafkolonie der Zivilisation, stirbt noch jeder durch das gesellschaftlich verhängte Todesurteil, das ein Leben lang dem Körper des Verurteilten sich einschreibt. 32 Mehr noch hat der Delinquent selbst das Geschäft des Henkers zu übernehmen und einen gesellschaftlich verordneten Selbstmord zu vollziehen: Karl Menninger vertritt 1938 in einer Arbeit über die 'Psychoanalyse des Selbstmords' die These, „daß sich letztlich jeder Mensch selbst tötet, auf seine eigene, selbstgewählte Weise, schnell oder langsam, früher oder später." 33 Das allein bleibt übrig vom vielbeschworenen 'eigenen Tod' 3 4 : die Wahl der tödlichen Waffe - und selbst hier dürfte die Freiheit oft fehlen. Es zeugt von der Reflektiertheit des Psychoanalytikers, nicht dem seinem Metier naheliegenden Irrtum aufzusitzen und den Zwang zur Selbstzerstörung zu individualisieren, sondern daran festzuhalten, „daß ein gewisser Wandel in der Organisation oder Struktur der Gesellschaft f ü r die Individuen, aus denen sie zusammengesetzt ist, von Nutzen sein könnte, indem sie die Notwendigkeit der Selbstzerstörung verringert." 35 Denn angesichts der bestehenden Verhältnisse scheint die „Resignation" in bezug auf den zu erwartenden Tod doch eher der „Resignation vor den Instanzen der Herrschaft" 3 6 zu folgen. 10 31
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cf. z. B. Norbert Elias, Über die Einsamkeit der Sterbenden, Ffm. 1982 Ivan Illich, Tod kontra Tod, in: D e r Tod in der Moderne, 1. c., p. 209 - cf. auch Susan Sontag, Krankheit als Metapher, M ü n c h e n / W i e n 1978: die Autorin zeigt, daß durch den medizinischen Fortschritt der Tod in die Krankheit, resp. den 'Krebs', eingewandert ist, so daß eine Identifizierung „Krebs = Tod" (ib., p. 22) statthat, die den Erkrankten zum sozialen Tod verurteilt. cf. Franz Kafka, In der Strafkolonie, Sämtliche Erzählungen, ed. Paul Raabe, 3. Aufl., Ffm. 1969, pp. 1 0 0 - 1 2 3 Karl Menninger, Selbstzerstörung, Psychoanalyse des Selbstmords, Ffm. 1978, p. 11 cf. Rainer Maria Rilke, D i e Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, Sämtliche Werke in zwölf Bänden, edd. Ruth Sieber-Rilke, Ernst Zinn, Ffm. 1975, Bd. 11, pp. 7 1 3 - 7 2 1 K. Menninger, Selbstzerstörung, I.e., p. 498 W. Fuchs, Todesbilder, I.e., p. 212 - Adorno, in: Gespräche mit Ernst Bloch, edd. Rainer Traub, Harald Wieser, 2. Aufl. Ffm. 1977, denkt konsequent im Sinne einer „Abschaffung des Todes" (ib., p. 65) als Gegenbild zur „Identifikation der M e n schen mit bestehenden Verhältnissen" und der „Identifikation mit dem Tod": „ U t o -
Einleitung
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J e d e apologetische Konzeption des Todes, etwa des besprochenen 'natürlichen', der von Fuchs gar als die „progressivste" 3 7 angeboten wird, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, hinter die Einsicht zurückzufallen, daß das „natürliche Faktum des Todes (. . .) zu einer gesellschaftlichen Institution" 3 8 avancierte, die jeden Widerspruch ohne weiteres absorbiert. Uber die konservative Richtung der philosophischen Interpretation hinaus hat sich durch gesellschaftlich-politische Bedingungen die Transzendenz des Todes in der Immanenz des Daseins derart ausgebreitet, daß sie dieses determiniert; paralysierend hat der Tod das Leben gänzlich infiltriert. Aus den metaphysischen Bereichen in die materiellen eingewandert erzeugt das Wissen um den zudiktierten T o d jene Angst nicht zu leben, die Angst, einem jenseits aller individuellen Erfahrung liegenden kollektiven T o d , der den eigenen wie den des Anderen verschlungen hat, längst ausgeliefert zu sein. D e m Anspruch, den Blick auf ein anderes als das als Stillstand vorgezeichnete Leben aufrechtzuerhalten, muß fortan intellektuelle Anstrengung gelten; dazu will die vorliegende Arbeit Beitrag sein. Die von ihrem Zeitkern getragene Reflexion auf den Tod im Werk Goethes kann der Frage nach ihrer Relevanz nicht entgehen: sie ist und zwar gerade als Interpretation dichterischer Texte, weniger der theoretischen Reflexionen Goethes - ein Politikum. Goethe, der den Beginn des 19. Jahrhunderts als Epochenschwelle erkennt 3 9 , nimmt den Bruch des menschlichen Bewußtseins genau wahr: den Verrat des Subjekts an sich selbst, der in der noch unvorhersehbaren Kollaboration mit dem Tod kulminieren sollte, deckt der Dichter in der Identitätsideologie auf. Wenn der Aufklärung der Tod in seiner Unverfügbarkeit fürs Wissen das Skandalon kat-
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pisches Bewußtsein meint ein Bewußtsein, für das also die M ö g l i c h k e i t , daß die Menschen nicht mehr sterben müssen, nicht etwas Schreckliches hat, sondern im Gegenteil d a s ist, was man eigentlich will." (ib., p. 66) „Ich glaube (. . .), daß ohne die Vorstellung eines, ja, fessellosen, vom T o d e befreiten Lebens der G e d a n k e an die U t o p i e , der G e d a n k e d e r U t o p i e überhaupt gar nicht gedacht werden k a n n . " Allerdings verbietet sich der kritischen Reflexion, „ s o zu reden von der Abschaff u n g des Todes, als ob T o d nicht wäre." (ib., p. 68) A d o r n o s Überlegungen basieren selbstverständlich nicht auf einer medizinisch gedachten 'Utopie', wie sie etwa Fuchs vorstellt (Medizin und Altersgarantie. Todesbilder, I.e., pp. 177-197). ib., p. 82 Herbert Marcuse, Die Ideologie des T o d e s , in: D e r Tod in der M o d e r n e , I.e., p. 112 cf. Odyniec Antoni E d w a r d , Gespräche III.2, p. 471: „ G o e t h e meint, daß unser neunzehntes Jahrhundert nicht einfach die Fortsetzung der früheren sei, sondern zum A n f a n g einer neuen Ära bestimmt scheine."
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Einleitung
exochen blieb, dem sie allein nochmals mit der „'Rationalität' unserer Kultur (. . .): das ist (. . .) Ausschließung der Toten und des Todes" 4 0 , begegnen kann, hat sie ihren Rückfall in den Mythos durch die Vereinnahmung des Todes im System. Goethe loziert seine Person am Ort des dialektischen Umschlags der Aufklärung, die sich am T o d bricht. Nicht aus geschichtlich-gesellschaftlichen Gründen entgeht er daher dem Verfall an den objektiven Prozeß, sondern aufgrund eines Blicks, der ihn zum Bundesgenossen des nachgeborenen Sehers Zarathustra macht 4 1 ; durch die poetische Atopie widersteht er dem Bann des Todes, der Denken und Rede nur in seiner Immanenz zuläßt. Er vermag es, den Tod noch ohne Zynismus als historisch-kulturelles Phänomen auszumachen, als solches ihn zu analysieren. Goethe versteht es also, die der Aufklärung inhärierende Dialektik für sich zum Tragen kommen zu lassen. A m Syndrom des Bewußtseins der Zeit, das den T o d perhorresziert, entdeckt er dessen Ambivalenz, aus der sich die Heilung verspricht. D a ß der Tod allein in seinen Erscheinungen existiert, die nach Form und Inhalt unter dem Zeichen der Kultur stehen, fordert zwar die Zuerkenntnis seiner historischen Omnipräsenz und Omnipotenz, läßt ihn aber unter dem Blick für sein Scheinhaftes zergehen. In seiner Vielheit von Simulakren: Verdoppelungen, Traum- und Spiegelbildern, Masken, doubliert der T o d auch etwas Unbekanntes, das schlechterdings nicht diskursfähig ist; er bildet das Double des Lebens, das erfüllt wäre. Dieser Doppelcharakter zwischen dem exaktesten Ausdruck für das, „was i s t , weil das die einzige Gestalt ist, in der ebenso der Tod mit drin ist, denn der T o d ist ja nichts anderes als die Gewalt dessen, was bloß i s t , wie auf der anderen Seite doch auch der Versuch, darüber hinauszukommen" 4 2 , erlaubt es noch einmal, im Tod das Andere gegenüber dem Bestehenden - diesem standhaltend - zu entwerfen. Weil Goethe Wesen nur Erscheinung, Schein ist, kann er die Zurichtung des Lebens, die er im T o d als Scheinhaftem präzisiert, in ihm auch aussöhnen; er sucht ihn als schöpferische K r a f t zu eruieren. Durchs Phänomen - darin liegt auch seine epikureische Naturerkenntnis - wird ein Zustand von Unversehrtheit des Lebens sichtbar. An einem von Goethe bevorzugten Gegenstand seines erkennenden Interesses, der 'Farbenlehre', will das erste Kapitel der Arbeit 40 41
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J e a n Baudrillard, D e r T o d tanzt aus der Reihe, Berlin 1979, p. 9 cf. Ernst Bertram, Nietzsche. Versuch einer Mythologie, 3. Aufl., Berlin 1919, p. 192 A d o r n o , in: Gespräch mit Ernst Bloch, I.e., p. 69
Einleitung
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dessen Modell skizzieren; kein utopisches Prinzip leitet dieses, sondern die konkrete Auseinandersetzung mit der positivistischen N a turwissenschaft. In ihrem aufklärerischen Duktus zieht Goethe die methodologischen Wissenschaften als Paradigma für Kultur und ihre Praktiken etwa der Darstellung religiös sublimierter Gebräuche vor. Gerade aufgrund ihrer Aktualität diagnostiziert er die D o m ä n e klarer Vernunft als eine mythischen Bewußtseins. Denn deren paranoider Anspruch, tendenziell mit dem Wirklichen, das in ihr seine objektive Gesetzmäßigkeit haben soll, identisch zu sein, gerät an der Stelle mit sich in Widerspruch, da sie nach den eigenen Prinzipien Negationen ihrer selbst: Begrenzung und Zerstörung, konstatieren muß. D a s ihr Entgegengesetzte, Irrationale gleichzeitig aus dem System auszuschließen und ihm damit zu integrieren, reicht nicht hin, den Wahn ihrer Allmacht aufrechtzuerhalten. Den T o d als das schlechthin Unidentische muß zu seiner Liquidation Vernunft sich gleichmachen, einverleiben; das aber führt zur nicht mehr durchschauten Identifikation ihrer selbst mit dem, was sie als Tod benannte und ausschloß. D a s von ihr erstellte Gebilde 'Welt' unterliegt nunmehr allein den durch sie betriebenen Zurichtungs- und Verdinglichungsakten. H a t aber der Tod dergestalt die Stelle des Unbewußten in der instrumenteilen Vernunft eingenommen, wagt es Goethe, ihn als produktive Kraft zu beschwören; die Erörterung der produktiven Entäußerung des Todes in Leben stellt sich das zweite Kapitel zum T h e m a . Solches Modell der Entäußerung steht bei Goethe in keiner Analogie zur kapitalistischen Ökonomie, der Veräußerung unterm Wertgesetz, danach das Leben immer nur der reproduzierte Tod sein kann; eher wäre sie deren 'Aufhebung'. 4 3 Crux der Vernunft in ihrer Verfügungsgewalt - ihr anathema - ist die Erscheinung, in welcher stigmatisch der Andere und das Andere: die moralische Gestalt des Bösen mit der verdrängten Figur des Todes verbunden, sichtbar wird. Mit ihr - Goethe läßt sie in Mephisto hervortreten - geht der an Denken und Glauben Verzweifelte das Bündnis ein, das seine Erlösung im „höchsten Augenblick" 4 4 erlangen soll; dieser gewährt die Erfahrung des gelebten Lebens aus dem T o d e heraus. Goethe wahrt in seinem poetischen Testament des 'Faust II', das er versiegelt den Erben mitteilte, dem Zeugnis der 'Farbenlehre' die Treue: der Augen-Blick als äußerste Erfahrungs43
cf. G e o r g e s Bataille, D a s theoretische Werk Bd. I. D i e A u f h e b u n g der Ö k o n o m i e , München 1975
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Faust II, H A 3, p. 348, V. 11586
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Einleitung
möglichkeit wird nach innen gewendet; er faßt die Extreme von Licht und Finsternis zusammen, ohne sie doch der Identität auszuliefern. Ihre durchs Auge vermittelte Unterschiedenheit entfaltet morgenrötlich das „paradiesisch Land" 45 , in das der „Lebenswürd'ge" 4 6 als dem der „Freiheit" und des „Lebens" 47 eintritt. Die Zivilisationsgeschichte dagegen besteht, ihrem dauernden Terminus ad quem folgend, auf dem Ausschluß des Unidentischen, das sie als herrschende Macht dennoch determiniert. Goethe wählt die Form des Romans als hervorragende literarische Gattung, um kritisch die Wirklichkeit ins Wort zu setzen, die in ihren historischen Manifestationen Tod nicht als produktive Präsenz entläßt, sondern ihn auf Repräsentanten abbildet, die sich zu einem tödlichen Zeichensystem verdichten. An den 'Wahlverwandtschaften', den 'Lehr'- und 'Wanderjahren' des 'Wilhelm Meister' und am 'Werther' will das dritte Kapitel solche kulturellen Signifikantenketten analysieren, sowohl an materialen Konkretionen, der Leiche etwa, an emotionalen oder sozialen Beziehungen, wie die von Liebe und Ehe, ebenso bei fiktionalen Erscheinungen, so Schauspielbühne und Text oder mit Blick auf die prägnanten Vergegenständlichungen der Gesellschaft in Kunst und Religion zum Beispiel. Gerade in seinen repräsentativen Erscheinungsformen heischt der Tod den ontologistischen Zug, w o f ü r die 'Wahlverwandtschaften' Rede und Antwort stehen; in ihm schreibt mythische Ausweglosigkeit des Da- und Soseins sich fest. Indem nun Goethe einen Text erstellt, der mit dem Tod als zweiter Natur die Signatur des gesellschaftlichen Seins freilegt, treibt er aus dem Realismus die Fiktion hervor, die als dessen imaginative Komponente Leben einläßt. D a f ü r bürgt - exemplarisch in den 'Wahlverwandtschaften' und 'Wanderjahren' - das poetische Konstruktionsprinzip der Reflexivität; im letztgenannten Roman etwa verflicht Goethe dessen 'Wahrheit' und ihre immanente 'Dichtung': so, wenn die in dieser erfundenen Personen in jener wieder aufgenommen werden 48 , oder wenn die profane Welt als simulatio sacra entwickelt wird. 49 Solche Poetisierung des Lebens: Dichtung der Wahrheit und Wahrheit der Dichtung, begegnet kulturellen Leistungen, die „das Leben vor dem Tode zum Tode machen", um den Be45 46 47 48 49
ib., V . 11569 Epilog zu Schillers 'Glocke', H A 1, p. 256, V. 13 Faust II, H A 3 , p . 348, V. 11575 cf. D e r Mann von f ü n f z i g Jahren, H A 8, p. 167 sqq. cf. das Sankt-Josephs-Motiv, H A 8, p. 8 sqq.
Einleitung
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trug „ein(es) Leben(s) nach dem Tode" 50 als Instrument realer Macht einzusetzen. Das letzte Kapitel der Arbeit verpflichtet sich der Anstrengung Goethes, poetologisch einen Lebensraum zu öffnen, der nicht limitiert wäre: das Ausgeschiedene, der entstellte Tod, wird von der entgrenzenden Phantasie rehabilitiert. An Eros, der sein Pseudonym, nicht seinen Widerpart darstellt, gewahrt Goethe ihn zuerst. „So herrsche denn Eros, der alles begonnen!" 5 1 reformuliert rettend die Maxime der Kultur, die die Trennung an den Anfang setzt. In der aus dem Hades aufgestiegenen Erscheinung der Geliebten findet der Liebende die von ihm schon immer getrennte Gestalt wieder: Helena, die Spiegelfigur, nichts weniger als narzißtische Verdoppelung, vergegenwärtigt Faust das Andere seines durchs Gottesurteil reduzierten Selbst. Das Unbekannte, das der Frau für den Begehrenden anhaftet, geht in seine Erfahrung als Imago des Todes ein. Wird diese Orpheus erst mit dem Tod der Geliebten gegenwärtig, ist sie für Faust als das ihm Entrissene bereits ihrer Erscheinung verbunden. Den Leidenschaftlichen führt sein Weg notwendig zum Hades hinab, ohne daß dieser schon der O r t der Erlösung wäre. Aus dem eigenen Leben extrapoliert Goethe den „dichterische(n) Daseinsentwurf" 52 : indem er mit 'Dichtung und Wahrheit' das gelebte Leben zur Biographie umschreibt, übergibt er es als Material der Fiktion, setzt es dem Tod aus; singend jenseits aller Trennung, der Denk- und Bilderverbote bewegt sich der Dichter, ein glücklicher Orpheus, in den Welten, die Leben und Tod bedeuten. 53
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An Wilhelm von Humboldt, 22. Aug. 1806, HA Briefe 4, p. 483 Faust II, HA 3, p. 256, V. 8479 " cf. Wilhelm Emrich, Die Symbolik von Faust II. Sinn und Vorformen, 3. Aufl., F f m . / B o n n 1964, p. 419 53 Uber die Vermittlung von Dichtung und Wahrheit holt der Biograph das 'tertium' ein in einer Welt der Logik, der das 'tertium non datur' gilt, die Ausschließlichkeit von Leben und Tod (cf. Klaus Heinrich, Dahlemer Vorlesungen Bd. 1, tertium datur. Eine religionsphilosophische Einführung in die Logik, edd. Wolfgang Albrecht, Rüdiger Hentschel, Hans Albrecht Kücken, Peter Lux, Ursula PanhansBühler, Jürgen Strutz, Irene Tobben, Basel/Ffm. 1981, p. 10 51
1. Phänomen 1.1 Wahrheit und Irrtum Die „ K o n f e s s i o n d e s V e r f a s s e r s " 1 , „ein einzelnes Kapitel jenes größern Bekenntnisses" 2 , setzt Goethe als Beschluß seiner 'Farbenlehre', dem „enfant terrible unter den Goetheschen Geisteskindern" 3 ; es handelt sich um eine Konfession zum Irrtum. In bezug auf die „Kritik der herrschenden Farbenlehre" sowohl als auf die aus ihr hervorgegangene Theorie Goethes fragt Carl Friedrich von Weizsäcker: „Wie konnte ein so großer, so umfassender Geist so irren? Ich weiß darauf nur eine Antwort: er irrte, weil er irren wollte." 4 Die umfangreichste seiner Schriften, an deren Gegenstand der Dichter als Naturwissenschaftler, dem Anschein nach „(s)einem übrigen Lebensgange fremd" 5 , zeit seines Lebens Aufmerksamkeit und Arbeit wendet 6 , stellt eine Option gegen die „allgemeine Konfession" 7 , gegen das „Glaubensbekenntnis" 8 seiner Zeit dar. Vorderhand liefert die Newtonsche Optik die causa belli f ü r den wissenschaftlichen Kampf Goethes; mit ihm will dieser aber „dem Baum die Axt an die Wurzel gelegt" 9 wissen: der Baum der Erkenntnis selbst, an welchem die Newtonsche Theorie als eine Frucht gedeiht, soll gefällt werden. Goethe weiß nur zu gut, daß der Genuß von jenem Baum dem Menschen die „Lust zum Wissen" 10 entdeckte, an 1
Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 251 ib., p. 252 5 Walter Benjamin, Johann W o l f g a n g von Goethe, Farbenlehre, Gesammelte Schriften, edd. Rolf Tiedemann, Hermann Schweppenhausen Bd. III, ed. Hella Tiedemann-Bartels, Ffm. 1972, p. 148 4 Carl Friedrich von Weizsäcker, Nachwort, in: H A 13, p. 537 5 Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 251 6 Seit „der ersten Jugend" (ib., p. 256) bis in die letzten Tage (cf. Gespräche 111,2, pp. 894, 895, 935, 944) eines intensiven und arbeitsreichen Lebens hat Goethe die Farbenlehre beschäftigt. 7 Anzeige und Übersicht des Goethischen Werkes zur Farbenlehre, H A 13, p. 533 8 Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 265 ' ib. >° Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 322 2
Wahrheit und Irrtum
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welcher sich die Geschichte fernerhin orientieren sollte, die „Geschichte der Wissenschaften" ebenso wie die „Geschichte der Philosophie", die „Geschichte des Lebens" oder die „Geschichte aller Wissenschaften" " . D a er aber die „Wahrheit"' 2 dieser offiziellen Disziplinen, die in ihrer gemeinsamen moralischen Herkunft des Wissens um Gut und Böse ihre Legitimation haben, für lebensfeindlich befindet, irrt er aus Gründen ihrer Subversion. Denn der „Irrtum" 1 3 , den die Geschichte der Wissenschaften als ihren Abfall notwendig mit sich führt, ist Goethe das, was das von ihm als Falsches, Unwahres, ja als „ L ü g e " 1 4 Diskreditierte dem säkularisierten göttlichen Weltgeist, der menschlichen Vernunft opfert. Auf deren Müll in der „Lust am Irrtum" 1 5 - baut Goethe seine oppositionelle Lehre auf, die der Wahrheit des „erstarrte(n)" 1 6 wissenschaftlichen Blicks, sie zersetzend, entgegenwirkt. Am Bezug zur Naturwissenschaft hält er als ihr Kritiker fest, insofern er das sanktionierte Wissen auf sich zu nehmen, durch seine Geschichte hindurchzugehen sucht, um „das Wirkliche" 1 7 , das sich durch Wissenschaft definiert, für sich zu gewinnen. Während er mit der bloßen Negation des durch die Aussage Gegebenen ihr verhaftet bliebe, fällt ihm dieses durch seine Irritation - oder um einen Terminus der 'Farbenlehre' zu verwenden: „Aberration" 1 8 - als Verändertes zu; der Irrtum arbeitet produktiv für ein Anderes. 1 9 N u r zu deutlich aber spricht Goethe in seiner Apologie des Irrtums, die, wie gezeigt werden soll, den als Theoretiker der Optik geschmähten Newton noch einmal ehrt, das Bekenntnis des eigenen Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 33 - cf. D o r o t h e a K u h n , Anmerkungen der Herausgeberin zur 'Geschichte der Farbenlehre', H A 14, p. 273: „ D i e Geschichte der Farbenlehre sollte (. . .) ein Beispiel für die gesamte Wissenschaftsgeschichte werden." 12 Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 173 15 ib., p. 149 14 ib., p. 169 15 M a x i m e n und Reflexionen Nr. 1228, H A 12, p. 531 16 Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 173 17 ib., p. 174 18 ib., p. 146 - cf. auch: Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 393; G o e t h e spricht hier vom scheinbaren „Abirren" dessen, „was in der N a t u r regelmäßig und k o n s t a n t " sei. " In den 'Maximen und Reflexionen', N r . 1070, H A 12, p. 515, entwickelt G o e t h e die Figur des produktiven Irrtums: „ M a n c h m a l jedoch kommen wir zum völligen Bewußtsein und begreifen, daß ein Irrtum so gut als ein Wahres zur Tätigkeit bewegen und antreiben kann. Weil nun die Tat überall entscheidend ist, so kann aus einem tätigen Irrtum etwas Treffliches entstehen, weil die Wirkung jedes Getanen ins Unendliche reicht." 11
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Phänomen
wissenschaftlichen Nonkonformismus im Bewußtsein seines theoretischen Unrechts aus; er deckt den Sinn dieses Widerspruchs auf, mit dem er die krude Subjekt-Objekt-Fixierung im Verhältnis zur Natur durchs Spiel ersetzen und verwandeln will: „so entsteht zuletzt aus dem Konflikt eines vernünftig richtenden Bewußtseins mit der zwar modifikablen, aber doch unveränderlichen N a t u r eine Art von Ironie in und mit uns selbst, so daß wir unsere Fehler und Irrtümer wie ungezogene Kinder spielend behandeln, die uns vielleicht nicht so lieb sein würden, wenn sie nicht eben mit solchen Unarten behaftet wären. Diese Ironie, dieses Bewußtsein, womit man seinen Mängeln nachsieht, mit seinen Irrtümern scherzt und ihnen desto mehr Raum und Lauf läßt" 20 ,
macht Goethe zu seinem heiteren, aber „aufrichtigen Bekenntnis(.)" 21 , das er der Erkenntnis - „Credo" 22 der „allgemeine(n) Konfession" 23 - entgegensetzt. Als Glaubenskampf also veranstaltet er die Auseinandersetzung mit der Naturwissenschaft, auf deren Diskurs er sich nur ad libitum einläßt. Das heißt zunächst, daß er den Konflikt aus dem Gegenstandsbereich der Natur ins 'Bewußtsein' verlagert, um dessen Interesse zu eruieren. Die von ihm entworfene Beweisführung der Geschichte der Naturwissenschaft als „eine Sammlung des kursierenden Wahren und Falschen" 24 nimmt „Biographien" und „Konfessionen" 25 auf, wodurch sie die wissenschaftliche Rede auf den persönlichsten aller Diskurse, den der Beichte, bezieht: „so findet man die Bemerkung vielleicht nicht unbedeutend, daß dasjenige, was bisher nur im Beichtstuhl als Geheimnis dem Priester ängstlich vertraut wurde, nun mit einer Art von kühnem Zutrauen der ganzen Welt vorgelegt ward. Eine Vergleichung der sogenannten Konfessionen aller Zeiten würde in diesem Sinne gewiß schöne Resultate geben. So scheinen uns die Bekenntnisse, deren wir erwähnten, gewissermaßen auf den Protestantismus hinzudeuten." 26
Damit wird an der historischen Krise dogmatischer Kirchenlehre der Protestantismus als neuzeitliche Wende ausgewiesen, die in ihm ein Refugium des auf sich geworfenen, einsamen Menschen stiftet, das gleichzeitig das der verwaisten Wahrheit wird: „Wenn der denkende Geschichtsforscher mit Betrübnis bemerken muß, daß Wahrheit so wenig als Glück einen dauerhaften Sitz auf der Erde gewinnen können, da 20 21 22 25 24 25 26
Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 175 ib., p. 268 ib., p. 261 Anzeige und Ubersicht des Goethischen Werkes zur Farbenlehre, H A 13, p. 533 Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 215 ib., p. 84 ib.
Wahrheit und Irrtum
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dieses mit manchem Unheil, jene mit manchem Irrtum beständig abzuwechseln hat; so ist es ihm desto erfreulicher, zu sehen, wenn die Wahrheit auch in Zeiten, wo sie nicht durchdringen kann, nur gleichsam eine Protestation einlegt, um ihre Rechte wo nicht zu behaupten, doch zu verwahren." 2 7
Goethe durchschaut die Prätention der Neuzeit, die im Zeichen der Aufklärung mit dem technischen Fortschritt dem Menschen 'Glück' zu bringen, 'Unheil' abzuwenden sich für fähig hält, über die Mittel, 'Irrtum' aufzuheben, zu verfügen glaubt, auf ihr Gegenteil. Mit dem Widerstand gegen den machtvollen Strom von Wissen und Wissenschaft durch die Träger der 'Protestation', setzt die Reformation die Statthalter der 'Wahrheit' ein - auch wenn diese ihr Asyl im Irrtum nehmen müssen. Die einsamen Einzelgänger des Protests 2 8 , die, am allgemeinen Irrtum irre, 'verwahren', was diesem entfällt, bilden den Körper der 'Wahrheit', dessen unterirdische Geschichte Goethe zu verfassen unternimmt; nicht zuletzt, weil er zu jenen Protestanten sich bekennt, die die Lehre des Initiators der Reformation als aktiven Widerstand gegen das Herrschaftswissen der Zeit auslegen 2 9 : „Wieviel falsche Formeln zu Erklärung wahrer und unleugbarer Phänomene finden sich nicht durch alle Jahrhunderte bis zu uns herauf. Die Schriften Luthers enthalten, wenn man will, viel (. . .) Aberglauben (. . .). Wie bequem macht sich's nicht Luther durch seinen Teufel, den er überall bei der H a n d hat, die wichtigsten Phänomene der allgemeinen und besonders der menschlichen N a t u r auf eine oberflächliche und barbarische Weise zu erklären und zu beseitigen; und doch ist und bleibt er, der er war, außerordentlich f ü r seine und künftige Zeiten. Bei ihm kam es auf die Tat an; er fühlte den Konflikt, in dem er sich befand, nur allzu lästig, und indem er sich das ihm Widerstrebende recht häßlich, mit Hörnern, Schwanz
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ib., p. 127 cf. Tiemo Rainer Peters, T o d wird nicht mehr sein, Zürich/Einsiedeln/Köln 1978, p. 11: „ P r o t e s t " , der sich mit dem Tod als Potential der N e g a t i o n ausstattet, fundiert die Geschichte der Religion: „ D e r T o d ist also nicht eigentlich Zielpunkt der Wundergeschichten, sondern Korrektiv, extremer M a ß s t a b . Ziel ist das L e b e n in seiner beschädigten Gestalt. Die Verkündigung der Totenauferweckung ist das radikalisierende M o m e n t dieses urchristlichen Interesses: Impuls für eine grenzenlose, sich den Zwängen des Faktischen nicht f ü g e n d e Phantasie; Unterpfand einer missionarischen Kirche, die dabei ist, das soziale und religiöse Leben ihrer Zeit zu revolutionieren." cf. ib., p. 14: „Man könnte sehr wohl eine Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte schreiben, die sich läse als Geschichte des verdrängten Todes und folglich auch des verdrängten Lebens und der vergessenen Leiden der Menschen." cf. an Traugott Leberecht D a n z , H A Briefe 4, p. 194: „Ja gewiß, wenn wir trachten, daß Gesinnung, Wort, Gegenstand und Tat immer möglichst als eins erhalten werde, so dürfen wir uns für echte N a c h f o l g e r Luthers ansehen; eines M a n n e s , der in diesem Sinne so G r o ß e s wirkte und, auch irrend, noch immer ehrwürdig bleibt. Wer an solchen U b e r z e u g u n g e n festhält, wird sich seines eigenen Wirkens erfreuen und auch da, wo er es gehindert fühlt, ruhigen Geistes bleiben."
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Phänomen und Klauen dachte, so wurde sein heroisches G e m ü t nur desto lebhafter aufgeregt, dem Feindseligen zu begegnen und das Gehaßte zu vertilgen." 3 0
Gelassen gesteht Goethe also zu, daß die Wahrheit der protestantischen 'Tat' zum großen Teil im 'Aberglauben' gründet; doch an ihrer Berechtigung erhebt er keinen Zweifel, weil seiner Ansicht nach der 'Konflikt', an dem der Wissende laboriert, nicht drastisch genug ins Auge gefaßt werden kann. Der Aberglaube wird demnach von einem Bewußtsein getragen, welches dem „Wahnsinn unserer Zeit" abschwört, weil dieser, als „Unglaube (. . .) ein umgekehrter Aberglaube", das „verneint", „leugne(t)", was jener als „das Außerordentliche (. . .) dem Teufel zuschrieb" 3 1 . Goethe konstatiert damit eine zweite Wende, die vom Aberglauben zum Unglauben, welche eine vom bewußten Leiden am 'Konflikt' zwischen Wahrheit und Irrtum zu seiner Verdrängung darstellt. 'Wahnsinn unserer Zeit' nennt es Goethe, daß das Bewußtsein den Konflikt, der es trägt, eskamotiert hat, was bedeutet, daß es selbst in Wahnsinn umgeschlagen ist. Goethe pathognostiziert die neuzeitliche Naturwissenschaft wie folgt: „ D i e Scheidung zwischen Geist und Körper, Seele und Leib, Gott und Welt war zustande gekommen. Sittenlehre und Religion fanden ihren Vorteil dabei: denn indem der Mensch seine Freiheit behaupten will, muß er sich der N a t u r entgegensetzen; indem er sich zu G o t t zu erheben strebt, muß er sie hinter sich lassen, und in beiden Fällen kann man ihm nicht verdenken, wenn er ihr so wenig als möglich zuschreibt, ja wenn er sie als etwas Feindseliges und Lästiges ansieht. Verfolgt wurden daher solche Männer, die an eine Wiedervereinigung des Getrennten dachten. Als man die teleologische Erklärungsart verbannte, nahm man der N a t u r den Verstand; man hatte nicht den M u t , ihr Vernunft zuzuschreiben, und sie blieb zuletzt geistlos liegen. Was man von ihr verlangte, waren technische, mechanische Dienste, und man fand sie zuletzt auch nur in diesem Sinne faßlich und begreiflich." 3 2
Die Scheidung zwischen Geist und Körper, Seele und Leib heißt aller philosophischen Tradition der T o d , die von Gott und Welt dessen Modifikation als Transzendenz und Immanenz. N o c h einmal gedenkt Goethe derer, die mit der 'Wiedervereinigung des Getrennten' im Sinne des Lebens Protest gegen den T o d erhoben, damit aber der Verfolgung sich aussetzten, das heißt selbst dem T o d ausgeliefert wurden, gegen den sie antraten, dem geistigen, dem moralischen, dem physischen. Die Herrschaft übernahm das Kollektiv, das wie 30 31 32
Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 63 ib., p. 65 ib., p. 122 - cf. T h . W. A d o r n o , Stichworte. Kritische M o d e l l e 2, F f m . 1969, p. 161: „ D a s Ideal der Entpersonalisierung von Erkenntnis um der Objektivität willen behält von dieser nichts als ihr caput mortuum z u r ü c k . "
Wahrheit und Irrtum
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diejenigen, die für die Natur sprachen, diese selbst unterwarf, sie in die Knechtschaft der Instrumentalität zwang. Goethe läßt den T o d der Natur als deren Geistlosigkeit evident werden; sie gleicht nunmehr dem Körper, dem der Geist entflohen ist, der Leiche. Indem ihr also 'Verstand' sowohl als 'Vernunft' abgesprochen sind, ist sie das zugleich wahnsinnige und tote Objekt. Solches aber fällt zurück aufs Subjekt, das es liquidierte, schlägt es seinerseits mit Wahnsinn und Tod. 3 3 Insofern die 'Freiheit' des Menschen vom Naturzwang, seine Gottgleichheit hinsichtlich der Erkenntnis auf 'Scheidung' beruhen, die dem Subjekt nicht mehr bewußt ist, sind sie nur mehr imaginär; die expandierende Vernunft explodierte und wurde wahnsinniger als die Unvernunft, der Aberglaube, der von der tödlichen Trennung noch wußte. Ebenso erweist sich der 'Unglaube', der 'Sittenlehre und Religion' fundiert, als weniger aufgeklärt denn der Glaube, respektive Aberglaube an das Böse als den Teufel, vermochte dieser doch noch die Zerrissenheit des Individuums auszuhalten und ihr Rechnung zu tragen, während durchs vereinheitlichende Wissen das Subjekt sein Leiden verrät, dadurch sich selbst diskreditiert. Diese Einsichten nun macht Goethe an seinem erklärten „Gegner" 3 4 Newton fest, den er als einen im Glauben betrachtet 3 5 ; wenn er ihn fortgesetzt des „Irrtum(s) trotz allen äußern und innern Warnungen" 3 6 bezichtigt, läßt er ihn, den Exponenten fortschrittlicher Lehre, als Häretiker erscheinen, welcher eine „ein ganzes J a h r hundert" 3 7 verheerende Irrlehre ins Werk gesetzt hat: er wirft ihm vor, „das Unwahre wahr, das Wahre unwahr zu machen" 3 8 . Indem Newton die „Rolle eines Gegners und Widersachers" zufällt, wird mit ihm gleichsam der verbannte Teufel wieder eingeführt. Keineswegs diffamierend aber sind die im historischen Teil der 'Farbenlehre' daran geknüpften Betrachtungen über „ N e w t o n s P e r s ö n l i c h k e i t " 3 9 , durch welche Goethe vielmehr auf dessen „Moralität" abhebt, im Sinne, „die Abgründe der menschlichen N a -
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cf. M a x H o r k h e i m e r , Z u r Kritik der instrumentellen V e r n u n f t . Aus Vorträgen und A u f z e i c h n u n g e n seit Kriegsende, ed. Alfred Schmidt, F f m . 1974, p. 153 sqq. Zur Farbenlehre. Polemischer Theil. Enthüllung der Theorie Newtons, W A II, Bd. 2 , p . 7, § 1 3 cf. ib., p. 2 8 0 , § 6 4 5 , in welchem G o e t h e die Rezipienten der N e w t o n s c h e n T h e o r i e eines „blinden G l a u b e n ( s ) " bezichtigt. G e s c h i c h t e der F a r b e n l e h r e , H A 14, p. 174 ib., p. 128 Zur Farbenlehre. Polemischer Theil, W A II, Bd. 2, p. 11, § 23 G e s c h i c h t e der F a r b e n l e h r e , H A 14, p. 170
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Phänomen
tur" auszuloten und so „ein ethisches Haupträtsel" 40 zu lösen. Die Grundlage dieses psychologischen Unternehmens liefert ihm „das Wort Charakter" 41 , das er später durch den Begriff des Dämonischen ersetzen wird; Goethe führt dazu aus: „Das H a u p t f u n d a m e n t des Sittlichen ist der gute Wille, der seiner Natur nach nur aufs Rechte gerichtet sein kann; das H a u p t f u n d a m e n t des Charakters ist das entschiedene Wollen, ohne Rücksicht auf Recht und Unrecht, auf Gut und Böse, auf Wahrheit oder Irrtum: es ist das, was jede Partei an den ihrigen so höchlich schätzt. Der Wille gehört der Freiheit, er bezieht sich auf den innern Menschen, auf den Zweck; das Wollen gehört der Natur und bezieht sich auf die äußere Welt, auf die Tat: und weil das irdische Wollen nur immer ein beschränktes sein kann, so läßt sich beinahe voraussetzen, daß in der Ausübung das höhere Rechte niemals oder nur durch Zufall gewollt werden k a n n . " "
Goethe spricht den 'Charakter' als eine Instanz der produktiven N a tur an, die jenseits moralischer Kategorien agiert; vom freien Willen der Vernunft mit ihren Imperativen des Sollens dispensiert eine solche Kraft. Gerade daß sie amoralisch: „wider besser Wissen und Gewissen" 43 handelt, bewahrt sie vor den Beschränkungen, die die sittliche N o r m auferlegt. Der von Goethe attackierte Irrtum wird schließlich als ein Produkt der Vernunft selbst ausgemacht, nach ihrem eigenen moralischen Maßstab im Grade ihrer Stärke verwerflich: „je moralischer, je vernünftiger der Mensch ist, desto lügenhafter wird er, sobald er irrt, desto ungeheurer muß der Irrtum werden, sobald er darin verharrt; und je schwächer die Vernunft, je stumpfer das Gewissen, desto mehr ziemt der Irrtum dem Menschen, weil er nicht gewarnt ist. Das Irren wird nur bedauernswert, ja es kann liebenswürdig erscheinen." 44
Anders erhebt der Charakter Einspruch gegen eine Welt, die die Realität für sich hat; er benutzt als Protest gegen sie „ W a h r h e i t u n d L ü g e i m a u ß e r m o r a l i s c h e n Sinn" 4 5 : „Angstlich aber ist es anzusehen, wenn ein starker Charakter, um sich selbst getreu zu bleiben, treulos gegen die Welt wird und, um innerlich wahr zu sein, das Wirkliche für eine Lüge erklärt und sich dabei ganz gleichgültig erzeigt, ob man ihn für halsstarrig, verstockt, eigensinnig, oder für lächerlich halte. Demungeachtet bleibt der Charakter immer Charakter, er mag das Rechte oder das Unrechte, das Wahre oder das Falsche wollen und eifrig dafür arbeiten." 46 40 41 42 43 44 45
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ib., p. 174 ib., p. 172 ib., p. 173 ib., p. 149 ib., p. 174 Friedrich Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn, Werke, 3 Bde., ed. Karl Schlechta, Ffm./Berlin/Wien 1969, Bd. III, p. 309 Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 174 sq.
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Wie die Natur bringt der Charakter „genial, produktiv und gewaltsam (. . .) eine Welt aus sich selbst hervor" und hat darin seine immanente Wahrheit, auch wenn diese mit der Wahrheit „der allgemeinen Welt", der jene als „Wahnbild" 4 7 gilt, kollidiert; in ihrer Unbekümmertheit um die normative Realität verweigert sie sich dieser unbewußt. Der Charakter sedimentiert gegenüber dem Bewußtsein der M o ral, die über Gut und Böse befindet, dem der Vernunft, die zwischen Wahrheit und Irrtum scheidet, „ein höheres Bewußtsein (. . .), so daß er über die notwendige ihm einwohnende Natur, an der er durch alle Freiheit nichts zu verändern vermag, eine gewisse Ubersicht erhält." 4 8 Dieses höhere Bewußtsein beschwört den von der Vernunft verdrängten „Konflikt", für den Luther einstmals den „Teufel" 4 9 bemühte, wieder herauf: den „Konflikt eines vernünftig richtenden Bewußtseins mit der zwar modifikablen, aber doch unveränderlichen Natur". „Ironie" nennt Goethe das freie Spiel „in und mit uns selbst" 5 0 , das Subjekt und Objekt, Mensch und Natur in wechselseitige Bewegung entläßt, einerseits die „Wiedervereinigung des Getrennten" 5 1 bewirkt, andererseits den produktiven Charakter aus seiner Einsamkeit erlöst. In diesem werden verschiedene an ihm partizipierende Persönlichkeiten als austauschbar gedacht, was Goethe durch das Postulat des Naturforschers als eines Gesamtsubjekts der Erkenntnis wiederholt zum Ausdruck bringt. 5 2 So wirft Goethes Ironie ein Licht auf den Irrtum, den er selbst behauptet, um den Wahnsinn der Vernunft aufzudecken, den er aber dem unbestrittenen Meister des Lichts, Newton, seiner als des kongenialen luziferischen Widersachers gegenwärtig, unterschiebt. Goethe beharrt auch nach der vorläufigen Endredaktion der 'Farbenlehre' 1810 weiterhin auf seinem Irrtum, dem er die Überlegenheit gegenüber der Wahrheit positivistischer Naturwissenschaft zuspricht 5 3 ; eingestandenermaßen nimmt er ihn für die eigene Person
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ib., p. 143 ib., p. 175 ib., p. 63 ib., p. 175 - zu Ironie und Aberglaube cf. W. Emrich, Die Symbolik von Faust II, I.e., p. 9 2 s q . Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 122 cf. Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 484 sqq. - cf. Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 41 cf. J o s e p h Sebastian Grüner, Gespräche III. 1, p. 406: „ G o e t h e (. . .) kam (. . .) wieder auf seinen Lieblingsgegenstand, die Farbenlehre. E r erörterte die M ü h e , den K o s t e n a u f w a n d , welche er beharrlich auf diesen Gegenstand verwendete, und
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Phänomen
unter einem anderen Terminus in Anspruch: nicht „Irrtum und Wahrheit" 5 4 beschäftigt ihn ferner, sondern 'Dichtung und Wahrheit', die „ K o n f e s s i o n " 5 5 , deren Abfassung er mit dem Abschluß der vorhergehenden „als ein(es) einzelne(n) Kapitels jenes größern Bekenntnisses" 56 um 1809 beginnt. Vermöge der Verwechslung des Irrtums in Dichtung, verleiht er ihm, dem das Anrüchige unentmischbar beigegeben ist, die Qualität von Fiktionalem, durch das auch die mit ihm verschränkte Wahrheit in eine neue umschlägt. Daß die neutestamentliche „Gnade und Wahrheit" 57 den Konfessionen Goethes Pate steht, wird weiter unten nachzuweisen sein.
1.2 Paralyse der Wissenschaft Vorerst gilt es - immer eingedenk des ironischen Duktus der Beweisführung Goethes - zu untersuchen, wie er die Auseinandersetzung mit Newton begründet, um dadurch das Verhältnis von „Wahrheit und Irrtum" 5 8 flexibel zu machen. Entsprechend seiner religiös-bekennerhaften Attitüde in der Darstellung des wissenschaftlichen Dissenses, läßt er den Glaubenskampf mit einer Intuition anheben: „Es bedurfte keiner langen Überlegung, so erkannte ich, daß eine Grenze notwendig sei, um Farben hervorzubringen, und ich sprach wie durch einen Instinkt sogleich vor mich laut aus, daß die Newtonische Lehre falsch sei." 5 '
Mit seinem Vorstoß gegen die wissenschaftlich approbierte Theorie Newtons, vertritt Goethe seiner Uberzeugung nach wider „ersonnene ( . . . ) Unnatur" 6 0 die Sache einer unterworfenen Natur, die ihrer Beherrschung schon dadurch sich zu entwinden anzeigt, daß sie methodisch nicht gänzlich sich absorbieren läßt:
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„Wir mögen hierbei eine Bemerkung äußern, welche wohl verdiente, gesperrt gedruckt zu werden: daß nämlich auf eine solche Weise (. . .) alle Erfahrungswissenschaft vernichtet werden könne: denn weil nichts, was uns in der Erfahrung ersagte ganz gelassen: Er sei allein auf der Erde, der sagen könne, er habe die Wahrheit." Geschichte der Farbenlehre, HA 14, p. 185 ib., p. 251 ib., p. 252 Joh. 1.14 Geschichte der Farbenlehre, HA 14, p. 173 - cf. Max Horkheimer, Traditionelle und Kritische Theorie. Die gesellschaftliche Funktion der Philosophie, Ausgewählte Essays, Ffm. 1974, p. 145 sqq. Geschichte der Farbenlehre, HA 14, p. 259 Zur Farbenlehre. Polemischer Theil, WA II, Bd. 2, p. 61, § 103
Paralyse der Wissenschaft
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scheint, absolut angesprochen und ausgesprochen werden kann, sondern immer noch eine limitierende Bedingung mit sich führt, so daß wir Schwarz nicht Schwarz, Weiß nicht Weiß nennen dürften, insofern es in der Erfahrung vor uns steht: so hat auch jeder Versuch, er sei, wie er wolle, und zeige, was er wolle, gleichsam einen heimlichen Feind bei sich, der dasjenige, was der Versuch a poteriori ausspricht, begrenzt und unsicher macht."' 1
Danach gefährdet die experimentelle Naturwissenschaft" aufgrund einer Schwarz-Weiß-Malerei sich selbst; gerade durch die Verabsolutierung von streng Geschiedenem, mit der sie die von ihr versuchsmäßig ermittelten Erkenntnisse fixiert, verschleiert sie sich ungewollt ihr Objekt, das wieder seiner ursprünglichen Trübung, der Vermischung zufällt. So lautet denn der Vorwurf Goethes gegen die instrumenteile Wissenschaft, daß sie durch ihre Verfahrensweise mit den Farben ihrem Objekt auch das Leben entzieht: „Alles Lebendige strebt zur Farbe, zum Besondern, zur Spezifikation, zum Effekt, zur Undurchsichtigkeit bis ins Unendlichfeine. Alles Abgelebte zieht sich nach dem Weißen, zur Abstraktion, zur Allgemeinheit, zur Verklärung, zur Durchsichtigkeit.""
Das Absolute ist eine Fiktion. Durch ihren Absolutheitsanspruch, den auf allgemeine Wahrheit, machen sich die Naturwissenschaften dem Tod identisch, den sie, indem sie die Objekte mortifizieren, in die Natur einführen: „Sie verwandlen das Lebendige in ein Totes; sie töten das innre Leben, um von außen ein unzulängliches heranzubringen." Daß Naturwissenschaft derart zersetzend funktioniert, 61
Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 242 " cf. Goethes Kritik des experimentellen Verfahrens im polemischen Theil der Farbenlehre, Beweis durch Experimente, WA II, Bd. 2, p. 17sq., § 30: „Wir möchten nicht gern gleich von Anfang an unsere Leser durch irgend eine Paradoxie scheu machen, wir können uns aber doch nicht enthalten zu behaupten, daß sich durch Erfahrung und Versuche eigentlich nichts beweisen läßt. Die Phänomene lassen sich sehr genau beobachten, die Versuche lassen sich reinlich anstellen, man kann Erfahrungen und Versuche in einer gewissen O r d n u n g aufführen, man kann eine Erscheinung aus der andern ableiten, man kann einen gewissen Kreis des Wissens darstellen, man kann seine Anschauungen zur Gewißheit und Vollständigkeit erheben, und das, dächte ich, wäre schon genug. Folgerungen hingegen zieht jeder f ü r sich daraus; beweisen läßt sich nichts dadurch, besonders keine Ibilitäten und Keiten. Alles, was Meinungen über Dinge sind, gehört dem Individuum an, und wir wissen nur zu sehr, daß die Ueberzeugung nicht von der Einsicht, sondern von dem Willen abhängt; daß niemand etwas begreift, als was ihm gemäß ist und was er deßwegen zugeben mag. Im Wissen wie im Handeln entscheidet das Vorurtheil alles, und das Vorurtheil, wie sein Name wohl bezeichnet, ist ein Unheil vor der U n tersuchung." " Z u r Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 455
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legt Goethe einerseits ihrem analytischen Zugriff zur Last, andererseits aber auch ihren „Terminologien", da sie „durch das Wort (. . .) töten."64 Als exemplarische moderne Theorie verfällt deshalb die Newtonsche Optik dem Verdikt Goethes: es „wird diese enggefaßte, in sich selbst erstarrte Lehre eine Art von Arche des Herrn, deren Berührung sogleich den Tod bringt."65 In diesem äußerst subtilen, spannungsreichen Bild verbindet Goethe das Neueste, die geltende Lehre, mit dem Archaischen, längst Vermorderten, das Leichengift verströmt, jeglichem Leben tödlich. Wie Noah an ihrem Anfang, steht Newton am vorläufigen Ende der Zivilisationsgeschichte als Erbauer und Herr ihres Zukunftsschiffes, das Uberleben verspricht, aber den Tod bringt. Nach Goethes Einsicht ist die Sintflut nicht wieder abgeebbt; sie bildet den Todesstrom der Geschichte, der alle Manifestationen von Leben und Kultur weggerissen hat. Er trägt allein noch Erstarrtes; dessen „Starre ist Totenstarre ( r i g o r m o r tis)" 66 . „Eigentlich war die Newtonsche Lehre auf der Stelle todt, sobald die Achromasie entdeckt war. ( . . . ) Der Schule hingegen, welche sich schon lange gewöhnt hatte, an dieser Lehre zu leimen, zu flicken und zu verkleistern, fehlte es nicht an Wundärzten, welche den Leichnam balsamirten, damit er auf ägyptische Weise auch nach seinem Tode bei physischen Gelagen präsidiren möge."' 7
" ib., p. 492 - cf. Zur Farbenlehre. Polemischer Theil, WA II, Bd. 2, p. 210, § 457: „Gegenwärtige Definition oder Déclaration steht also hier, um jene theoretische Differenz aufzuheben und zu neutralisiren, das Atomistische der Newtonschen Vorstellungsart mit der dynamischen seiner Gegner zu amalgamieren, dergestalt, daß es wirklich aussehe, als sei zwischen beiden Lehren kein Unterschied. D e r Leser commentire sich diese Stelle selbst, und bemerke das Zusammenkneten dynamischer und atomistischer Ausdrücke." - cf. ib., p. 278, § 635: „Dieses ist die eigene Art etwas außer Streit zu setzen, nachdem man erst eine Meinung unbedingt ausgesprochen, und bei den Beobachtungen nur mit Worten und deren Stellung sich jener Behauptung genähert hat. Denn das ganze Newtonsche Farbenwesen ist nur ein Wortkram, mit dem sich deßhalb so gut kramen läßt, weil man vor lauter Kram die N a t u r nicht mehr sieht." " "
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Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 158 N o r m a n O . Brown, Love's Body. Wider die Trennung von Geist und Körper, W o r t und Tat, Rede und Schweigen, Ffm./Berlin/Wien 1979, p. 166 - zum Motiv der Erstarrung cf. auch Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 173: „Newtons Charakter würden wir unter die starren rechnen, so wie auch seine Farbentheorie als ein erstarrtes Aperçu anzusehen ist." - cf. auch Zur Farbenlehre. Polemischer Theil, WA II, Bd. 2, p. 220, § 485: „Der erwartete Erfolg wird nun der sein, wie er denn auch gewesen ist, daß eine Hypothese immer mehr aufgeputzt wird und die vorgefaßte Meinung im Sinn immer mehr erstarrt." ib., p. 217, §471
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Auf seine radikale Diagnose jener Lehre gründet Goethe die seine von den Farben als eine des Lebendigen. 68 Dazu bedarf es zunächst des Horizonts, der für Goethe auch die wichtige Rolle einer konstruktiven Absetzung gegen die nivellierende Theorie Newtons spielt: „daß ohne Grenze keine Farbe entstehe" 6 9 , bildet eine wesentliche Prämisse seiner Lehre 7 0 , während er dem Gegner vorwirft, daß er durch die Vernachlässigung von Konturen dem Licht als dem Synonym für Absolutheit des Todes diesem Herrschaft überlasse. 71 Goethe setzt dem „abstrakte(n) Licht ( . . . ) ein Lichtbild" 7 2 entgegen, das allererst vom „Abstrakten und Allgemeinen" 7 3 sich abhebt; ein „Reich(.) der Bilder" 7 4 als das des Lebens sucht er wider die Agenten des Todes, die es in die Opposition drängten, zu errichten. Namen verschweigt Goethe im Wissen darum, daß sie von der Geschichte getragen werden; der Newtons fungiert in seiner Rede lediglich als Zeichen. Die realen Todesinstanzen sind weder in Personen noch in ihren Namen festzumachen; ihre Gewalt liegt in der herrschenden Objektivität, die gleichzeitig in objektive Herrschaft umschlägt 7 5 und etabliert sich durch den analytischen Zugriff auf die Dinge, jeglicher produktiven Praxis Absage erteilend. Damit konvergiert der Anspruch der das Licht verabsolutierenden Theorie; sie blendet das Gegenständliche aus, blendet das Auge. Rein physikalisch beschreibt Goethe: „ D a s energische Licht erscheint rein weiß, und diesen Eindruck macht es auch im höchsten Grade der Blendung." 7 6 Ihrer Wirkung ist der Wißbegierige ausgesetzt; seinem forschenden Blick folgt „eine Art Kastration des suchenden und fortstrebenden Geistes; - in summa: die ärgste V e r Zur Theorie der Goetheschen Farbenlehre cf. Grete Schaeder, Urphänomen, Die Symbolik der Farbenlehre, Gott und Welt. Drei Kapitel Goethescher Weltanschauung, Hameln 1947, pp. 257-276 " Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 397 70 cf. Sprüche N r . 7, H A 1, p. 304 sq.: „ D a , wo d a s Wasser sich entzweit,/ Wird zuerst Lebendig's befreit./ Und wird das Wasser sich entfalten,/ Sogleich wird sich's lebendig gestalten;/ Da wälzen sich Tiere, sie trocknen zum Flor,/ Und Pflanzengezweige sie dringen hervor." 71 cf. Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 151 72 Z u r Farbenlehre. Didaktischer Teil, p. 412 73 ib., p. 414 74 ib., p. 378 75 cf. André Glucksmann, D i e Meisterdenker, Reinbek b. H b g . 1978, p. 150: „ D i e Beherrschung wird objektiv, wenn sie die D i n g e von der Seite nimmt, die ihr Tod ist, auch wenn es sich um lebende Dinge handelt". 76 Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 350 - cf. d a z u An Carl Gustav C a rus und E d u a r d J o s e p h d'Alton, H A Briefe 4, p. 170
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s t ü m m e l u n g des Menschen, die man sich vorstellen kann" 77 . Angst vor der Sinnlichkeit, die das Auge lustvoll am Phänomen sich ergötzen läßt, Angst vor dem Einbruch des Eros in die Ordnung des Wissens, treibt dessen Verwalter in die ödipale Regression. Mit ihrer Selbstblendung räumt die Wissenschaft, die aufklärerisch nur den eigenen Prinzipien des Verstandes zu gehorchen glaubt, dem Vater, den sie in ihrem Tod identifiziert, die Vormachtstellung wieder ein. Dem Blick Goethes entgeht nicht die Ironie der Aufklärung, die man später deren Dialektik zu nennen Grund hatte: daß sie an dem durch den „kopernikanische(n) Komparativ" 7 8 der Vernunftkritik markierten Punkt, da ihr Licht am hellsten strahlt, von diesem als ihr eigenes Nichts reflektiert wird und verlöschen muß. Die im Licht vergeistigste Kultur 79 , die vom Körperlichen als ihrer Matrix sich gelöst hat, muß dem Tod doch verfallen. Das aber ist nicht die Konsequenz einer einzelnen Epoche, es ist die Konsequenz der Geschichte von Anbeginn. Durch den vorzüglichen Gegenstand seiner Lehre vermag Goethe abermals das Jüngste auf sein Archaisches hin transparent werden zu lassen, in ihm das Erste als die dem Anspruch nach von Gott autorisierte Rede des Moses aufzuzeigen: „Und Gott sprach, es werde Licht! Und Gott sah, daß das Licht gut war. D a schied Gott das Licht von der Finsternis" 80 . Im Bewußtsein der Zeit, das in Verzweiflung umschlägt - etwa bei Kleist 81 - wird das Subjekt als Wissensmacht der säkularisierte Gott, mit dessen Nichtigkeit der eigenen gewahr. 82 Denn wie jener brachte es durch sein Wissen Licht in die Welt, und eine Moral, die eben solches für 'gut' befand, den anderen Teil des „uranfänglichen unge77
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Friedrich Nietzsche, D e r Wille zur Macht. Versuch einer Umwertung aller Werte, edd. Peter G a s t , Elisabeth Förster-Nietzsche, Stuttgart 1964, p. 107 H a n s Blumenberg, D i e Genesis der kopernikanischen Welt, F f m . 1975, p. 607 eine Kultur, die an der apollinischen Sonne ihr Muster hat; cf. dazu Johann Jakob Bachofen, D a s Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen N a t u r , 2. Aufl., F f m . 1978, p. 53 Gen. 1.1 cf. Heinrich von Kleist, An Wilhelmine von Zenge, 22. M ä r z 1801, Sämtliche Werke, ed. K . F. Reinking, Wiesbaden o . J . , p. 1163: „Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, w a h r h a f t Wahrheit ist, oder ob es uns nur s o scheint. Ist das letzte, s o i s t die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem T o d e nicht mehr - und alles Bestreben, ein Eigentum sich zu erwerben, das uns auch in das G r a b folgt, ist vergeblich - " . cf. M a x Horkheimer, T h e o d o r W. A d o r n o , Dialektik der A u f k l ä r u n g , 9 . - 1 0 . Tsd., F f m . 1972, p. 123: „ D i e L e u g n u n g Gottes enthält in sich den unaufhebbaren Widerspruch, sie negiert das Wissen selbst."
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heuren Gegensatz(es) von Licht und Finsternis" 83 aber nicht einmal der Erwähnung für wert erachtet. In der göttlichen Erkenntnis findet eben nicht die Vermittlung beider statt; sie unterschlägt damit die farbige, das heißt lebendige Erscheinung ihres Gegenstandes. Einseitig fängt die Wissenschaft das reine Licht auf, das ohne seinen Gegensatz Tod bedeutet. D a ß Verblendung die allgemeine Form des Todes in der Naturwissenschaft ist, sucht Goethe wiederum an der Newtonschen Lehre zu zeigen, an ihrem „sogenannte(n) E x p e r i m e n t u m c r u c i s , wobei der Forscher die Natur auf die Folter spannte, um sie zu dem Bekenntniß dessen zu nöthigen, was er schon vorher bei sich festgesetzt hatte." 84 Dieses Experiment, das nichts als seine Prämisse beweise 85 , ratifiziere das eigene „einmal eingewurzelte Vorurteil" 86 , indem es den Moralismus der Theorie mit dem „Schein einer mathematischen Behandlung" 87 , den von Objektivität versieht. Goethe referiert den tautologischen Versuch folgendermaßen: „es sei die Farbe dem Licht nicht nur eingeboren, sondern die Farben in ihren spezifischen Zuständen seien in dem Licht als ursprüngliche Lichter enthalten, welche nur durch die Refraktion und andere äußere Bedingungen manifestiert, aus dem Lichte hervorgebracht und in ihrer Uranfänglichkeit und Unveränderlichkeit nunmehr dargestellt würden. D a ß an diesen dergestalt entwickelten und entdeckten Lichtern keine weitere Veränderung vorgehe, davon sucht er sich und andere durch das Experimentum Crucis zu überzeugen; worauf er denn in dreizehn Propositionen seine Lehre mit allen Klauseln und Kautelen, wie sie hernach völlig stehengeblieben, vorträgt und, da er die Farben zuerst aus dem weißen Licht entwickelt, zuletzt sich genötigt sieht, das weiße Licht wieder aus ihnen zusammenzusetzen." 8 8
Durch diesen Trugschluß macht sich die Lehre nicht allein anheischig, die göttliche Schöpfung experimentell zu wiederholen, sie erklärt überdies die Farben, in denen sich diese doch als lebendige entfaltet, für einen Sonderfall des Lichts, mehr Malheur denn göttliches 83 84 85
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Z u r Farbenlehre. Didaktischer Teil, HA 13, p. 489 Zur Farbenlehre. Polemischer Theil, WA II, Bd. 2, p. 69, § 114 cf. ib., p. 3, § 6: „Daß aber Newton eine solche gemischte Art des Vortrags zu seinem Zweck advocatenmässig mißbraucht, indem er das, was erst eingeführt, abgeleitet, erklärt, bewiesen werden sollte, schon als bekannt annimmt, und sodann aus der großen Masse der Phänomene nur diejenigen heraussucht, welche scheinbar und nothdürftig zu dem einmal Ausgesprochenen passen, dieß liegt uns ob, anschaulich zu machen." Goethe zufolge benutzt Newton „Propositionen, welche das immer wiederholt festsetzen, was zu beweisen wäre" (ib., p. 6, § 8). Geschichte der Farbenlehre, HA 14, p. 215 Z u r Farbenlehre. Polemischer Theil, WA II, Bd. 2, p. 5, § 7 Geschichte der Farbenlehre, HA 14, p. 151
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Produkt; das Erscheinen der Farben ist nur zu Demonstrationszwekken innerhalb des status experimenti bezweckt: „ D e r sechste Versuch ist das sogenannte E x p e r i m e n t u m c r u c i s , und hier ist wohl der Ort anzuzeigen, was eigentlich durch diesen Versuch gemeint sei. C r u x bedeutet hier einen in Kreuzesform an der Landstraße stehenden Wegweiser, und dieser Versuch soll also für einen solchen gelten, der uns vor allem Irrthum bewahrt und unmittelbar auf das Ziel hindeutet. (. . .) Eigentlich gerathen wir dadurch g a n z in's Stecken und werden um nichts weiter gebracht, nicht einmal weiter gewiesen: denn im Grunde ist es nur ein I d e m p e r i d e m . " "
An der christlichen theologia crucis nimmt das Experimentum crucis nicht nur dem Namen nach Kredit. Goethe macht im zentralen Zeichen des Kreuzes vielmehr die Konkretion jenes Erkenntnisbaumes fest, den er als den Signifikanten einer auf Trennung beruhenden Geschichte und ihrer Wissenschaften deutete. 90 D o c h in einem entgegengesetzten Sinn als es die christliche Hermeneutik vorschreibt, eskamotiert die Wissenschaft den Bruch zwischen Gott und Mensch, den das Kreuz gleichzeitig markiert und aufhebt; Geschichte sub specie aeternitatis: die Rücknahme der Schöpfung ins Licht, unterschlägt sowohl den Sündenfall Adams, der am Baum des Wissens manifest wurde, wie die Passion Christi, der durch den Tod am Kreuz den Riß des Menschen in sich am eigenen Leib wiederholte und überwand. Die Leiden am Kreuz sind gegenstandslos, wenn das Vergehen am Erkenntnisbaum hinfällig geworden ist. „Mit der Sündhaftigkeit wurde die Sexualität gesetzt. Im gleichen Augenblick beginnt die Geschichte des Menschengeschlechtes." 9 1 Geschichte - so wie sie das Christentum referiert - wird eingezogen, indem der status quo ante, den das reine Licht bezeichnet, wieder hergestellt wird: sie wird mit der von christlicher Moral als Sünde gebrandmarkten Sexualität gelöscht. Der Triumph des Kreuzes leugnet seine konstitutiven Grundlagen. Dazu liefert Goethe eine Anekdote unter dem Titel „ D e u t s c h e g r o ß e u n d t ä t i g e W e l t " , die zugleich die „deutschen H ö f e " in ihren „Verdienste(n) um die Wissenschaften" vorstellen will; sie berichtet,
»' Zur Farbenlehre. PolemischerTheil, WA II, Bd. 2, p. 112sq., § 190 „Daß das Christentum nicht über den Satz des Widerspruchs hinausgekommen ist", beklagt Kierkegaard auf Goethe verweisend (Sören Kierkegaard, Die Tagebücher, 1. Bd., Gesammelte Werke, Düsseldorf/Köln 1962). " Sören Kierkegaard, Der Begriff der Angst. Philosophisch-theologische Schriften, edd. Hermann Diem, Walter Rest, K ö l n / O l t e n 1956, p. 501 ,0
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„daß Professor Hamberger 1743 nach Gotha berufen wird, um die Newtonischen Versuche, welche die allgemeine Aufmerksamkeit erregt, bei H o f e vorzuzeigen. Wahrscheinlich hat man das Zimmer recht dunkel gemacht, durch das foramen exiguum im Fensterladen erst den sogenannten Strahl hereingelassen, das fertige prismatische Bild an der Wand gezeigt, mit einem durchlöcherten Bleche die einzelnen Farben dargestellt und durch eine zweite, ungleiche Verrückung, durch das sogenannte Experimentum Crucis, auf der Stelle die höchsten Herrschaften und den sämtlichen Hof überzeugt, so daß Hamberger triumphierend zur Akademie zurückkehren konnte."' 2
Goethes Polemik wendet sich gegen eine wissenschaftliche Versuchsvorführung, die nicht Aufschluß über die Produktion der N a tur anvisiert, eher zur Illumination des Adels beiträgt. Weil das dilettierende Interesse der illustren Welt auf die von ihm verpönte Newtonsche Theorie verfällt, gerät nach Goethes Darstellung die Veranstaltung, durch die das wissenschaftlich engagierte Publikum sich in Kenntnis der modernen Forschung setzen will, zur Farce. Verdoppelung gesellschaftlicher wie erkenntnistheoretischer U n wahrheit nämlich betreibt der Schausteller der optischen Theorie 9 3 , insofern er, den Raum verdunkelnd, das Auditorium gleichsam in die Platonische H ö h l e bannt. Durch die aufgezwungene Blindheit befangen goütieren die Zuschauer die Trugbilder des Bestehenden, die ihnen eine kritische Perspektive ihres Standorts verstellen. Älteste Philosophie zur Erklärung der Erscheinungen und der Erkenntnis kehrt depraviert in den „Vorurteil(en)" 94 der jüngsten experimentellen Wissenschaft wieder. Mithin dient die berufene Kapazität der Newtonschen Wissenschaft dem Adel als Kosmologe zur Legitimation, da der tautologische Versuch die Welt bestätigt, die jenem den privilegierten Status garantiert. Es nimmt daher nicht wunder, daß die Inszenierung des Experimentum crucis vor den Augen der höfi-
92 Geschichte der Farbenlehre, HA 14, p. 205 sq. " Goethes Polemik gegen die Newtonsche Theorie kann schärfer und bissiger nicht sein; er schreckt nicht zurück, „von den sehr schlimmen Advocatenstreichen, wodurch sich die Newtonsche O p t i k so sehr auszeichnet" (Zur Farbenlehre. Polemischer Theil, WA II, Bd. 2, p. 67, § 13) zu sprechen, vom „Taschenspielerstreich", dem „Hocuspocus" (ib., p. 68) des Physikers, seinen „Kunststücken (. . .), durch die wir nicht in's Licht, sondern hinter das Licht geführt werden sollen." (ib., p. 218, § 473) „Man kann (. . .) Newton einem falschen Spieler vergleichen, der bei einem unaufmerksamen Banquier ein Paroli in eine Karte biegt, die er nicht gewonnen hat, und nachher, theils durch Glück theils durch List, ein O h r nach dem andern in die Karte knickt und ihren Werth immer steigert." (ib., p. 241, § 543) „Man gebe uns ein Beispiel in der Geschichte der Wissenschaften, wo Hartnäckigkeit und Unverschämtheit auf einen so hohen Grad getrieben worden." (ib., p. 183, § 360) 94 Geschichte der Farbenlehre, HA 14, p. 215
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sehen Gesellschaft zum triumphalen Kreuzzug der Newtonschen Theorie wird. Allerdings kann zur Evidenz der Projektion göttlicher Schöpfung auf einen symbolischen Zeugungsakt nicht verzichtet werden, den der Magier der Optik jedoch unmittelbar zurücknimmt: zwar läßt er den phallischen 'Strahl' zu dessen orgastischem Farbenprisma durch das 'foramen exiguum' in den intrauterinen Raum eindringen, durchs 'Experimentum Crucis' aber löst er die chromatischen Spermata wieder im Licht auf. 95 Das Spezifische der herrschenden Wissenschaft sieht Goethe in ihrer Unfruchtbarkeit; Impotenz gehört in ihr Programm, um sich der Sexualität, der Schuld, die sie vom Baum der Erkenntnis davontrug, zu entledigen. Ungewollt gesteht sie mit dem Kreuz, auf das sie sich in ihrem Experiment beruft, die Schuld dennoch ein, die Adamsschuld der Erkenntnis. Da diese erst der Tod Christi sühnt, wird Wissenschaft als ihr erklärter Träger und Vermittler gezeichnet durch die Kreuzigung. Euphorisiert von der felix culpa stellt sie sich dar: glücklich aber nicht insofern, als sie wie nach christlichem Glauben der Erlösung gewiß ist, sondern da sie um sich selbst nicht weiß. Am Kreuz, das den Tod des Leibes herbeiführte, hat der Geist der Wissenschaft, der dieses sein Wundmal verdrängte, seine Spaltung sanktioniert; Goethe spricht vom „Kreuz, an das der einfache Menschensinn geschlagen wird" 96 . Der Geist hat, indem er das trennende Gotteswort in den Körper des Menschensohns einschnitt, den Tod zu seiner Sache gemacht, ohne daß ein „Gewissen"97 seinem Amoklauf noch Einhalt geböte: was „der gekreuzigte Geist"98 berührt, zerfällt; er selber kreuzigt mit Methode. Aber von den die Welt beherrschenden binären „Oppositionen, die die Kultur organisieren"99: Subjekt und Objekt, Körper und Geist, Gut und Böse, Leben und Tod, weiß er, der sie verursachte, nichts; er wiegt sich im „Wahn(.)'"°° göttlicher Einheit: Newtons „Lehre hat nur den Schein, daß sie monadisch oder unitarisch sei. Er legt in seine Einheit schon die Mannichfaltigkeit, die er herausbringen will, welche wir aber viel
,s
cf. Zur Farbenlehre. Polemischer Theil, WA II, Bd. 2, p. 142sq., § 247; cf. ib., p. 172, § 3 2 0 " ib., § 227 " Geschichte der Farbenlehre, HA 14, p. 149 " N. O. Brown, Love's Body, I.e., p. 164 " Hélène Cixous, Die unendliche Zirkulation des Begehrens. Weiblichkeit in der Schrift, Berlin 1977, p. 21 100 Zur Farbenlehre. Polemischer Theil, WA II, Bd. 2, p. 221, § 487
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besser aus der eingestandenen Dualität zu entwickeln und zu construiren glauben." 1 0 1
In der Kreuzigung, die christliche Religion und Wissenschaft beherrscht, die Vernunft dieser, die Moral jener diktiert, kulminiert die P a t h o g e n e s e des göttlichen L o g o s , der die Spaltungen festschreibt. „ D i e s e K u l t u r , die g e g e n den T o d errichtet ist, identifiziert sich weitgehend mit diesem ihrem Feind, d e m T o d ; sie ist oppressiv und a g g r e s s i v . " 1 0 2
1.3 E r s c h e i n u n g und Erkenntnis G o e t h e verweigert sich d e m ritualisierten U m g a n g mit d e m T o d 1 0 3 , darin Protestant sensu stricto: „ d e n T o d aber statuiere ich nicht." 1 0 4 Sein Einspruch hat p r o g r a m m a t i s c h e n C h a r a k t e r f ü r den kulturellen G e s t u s : den D i s k u r s des T o d e s weist er ab, spricht d o c h in ihm der schismatische L o g o s sich aus. S c h o n „ d a s Wort T o d " 1 0 5 lehnt G o e t h e als P r ä g u n g des deletären Geistes ab; in seiner identifikatorischen L e i s t u n g zwingt es d a s P h ä n o m e n , auf d a s es sich richtet, in seine G e w a l t ; der D i s k u r s des T o d e s ist tödlich. 1 0 6 E b e n s o beruht auch der die Leiche identifizierende Blick auf einem kulturellen C o d e ; er obliegt der W a h r n e h m u n g eines verdinglichten A u g e s , das heißt d e m toten A u g e k o r r e s p o n d i e r t ein toter G e g e n s t a n d und u m g e k e h r t . J e n e r Blick - zumal der wissenschaftli-
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ib., p. 11, § 2 2 Igor A. C a r u s o , Die Trennung der Liebenden. Eine P h ä n o m e n o l o g i e des T o d e s , München 1974, p. 22 G o e t h e ignoriert das Diktat des paternalen Gesetzes - ein A f f r o n t f ü r das G e fühlstableau der Familie, für die Konventionen der Weimarer Gesellschaft, nicht zuletzt Irritation der Biographen bis dato. D a s heißt jedoch nicht Verdrängung des T o d e s ; nur, „daß G o e t h e es ablehnte, einen Kultus irdischer Verluste zu treiben . . ." (Otto Roquette, Gespräche 111,2, p. 781). Statt den Tod einer geliebten Person zu stilisieren o d e r auch nur zu sprechen, nachvollzieht er ihn am eigenen Leib, wie durch den lebensgefährlichen Blutsturz beim Tod des Sohnes; auch sein R ü c k z u g in Krankheit und Tätigkeit muß in diesem Sinne verstanden werden. In vielen Leben lebend (cf. Felix Mendelssohn, ib., p. 625), stirbt er viele Tode. — D i e L e g e n d e um G o e t h e s Sterben (cf. ib., p. 858 sqq.), die Paradeausstellung seiner Leiche, das Spektakel der Funeralien, bilden noch einmal die Parodie auf den ihm verhaßten Totenkult. Friedrich Förster, ib., p. 289 J o h a n n Friedrich Gille, ib., p. 677 cf. die Todesdiskurse Mittlers in den 'Wahlverwandtschaften'
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che, ärztliche 107 , aber auch der religiöse, der kultische Rituale in Gang zu setzen hat - steht in festem Bezug zur Sprache: nur insofern der Tod prädizierbar 108 , definierbar ist, vermag Kultur die Leiche als Objekt ihrer Praktiken zu fixieren. Im tödlichen Blick, durch den Gesellschaft sich objektiviert 109 , tritt das Auge Gottes hervor, nicht anders als in ihrer Rede sein Logos. Wie Goethe sein Auge nicht jenem Blick versklavt, kommuniziert auch weder sein poetisches noch sein prosaisches Wort an dieser Rede. Er entgeht der göttlichen Suprematie dadurch, daß er sich dem lebendigen Phänomen verpflichtet, um s in einer symbolischen Sprache sprechen zu lassen. Begreift man Goethes Anliegen der 'Farbenlehre' vor diesem Hintergrund, so kann ihr Stellenwert nicht hoch genug eingeschätzt werden; wie es denn ihr Verfasser selbst tut: „Wann der Blick an heitern Tagen /Sich zur Himmelsbläue lenkt,/ Beim Sirocc der Sonnenwagen/ Purpurrot sich niedersenkt,/ Da gebt der Natur die Ehre,/ Froh, an Aug und H e r z gesund,/ Und erkennt der Farbenlehre/ Allgemeinen ew'gen Grund." 1 1 0
„Licht, Schatten und Farbe", die „die sichtbare Welt" 111 bilden, treten hervor und vergehen, verschwinden und entstehen wieder; Bedeutung kommt der Farbenlehre zu als einer Phänomenologie sich gestaltender Natur, die den Tod nicht kennt. 'Das Wort Tod' bleibt im Zusammenhang der Erscheinungen, mithin auch ihrer Lehre der Farben, ohne Sinn. Die 'Welt' geht auf in ästhetischem Glanz, schön und erhaben. Gleich im Vorwort des didaktischen Teils der 'Farbenlehre' stellt Goethe seine avantgardistische These auf, durch die er jeglicher Metaphysik des Todes den Boden entzieht: „das Wesen eines Dinges" drücke in seinen „Wirkungen" sich aus, „und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges." 112 N u r durch die Hypostasis eines Wesens, das von seinen 107
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cf. Michel Foucault, Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks, Ffm./Berlin/Wien 1976 cf. Wilhelm Kamiah, Meditatio Mortis. Kann man den Tod „verstehen", und gibt es ein „Recht auf den Tod"? Stuttgart 1976, p. 8 cf. Jean-Paul Sartre, Der Blick, Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, 5. Aufl., Hbg. 1974, pp. 338-397 An Christian Dietrich von Buttel, HA Briefe 4, p. 231 Z u r Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 489 ib., p. 315
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Wirkungen abstrahiert, kann als Tod das Diktat über den Menschen errichtet und aufrechterhalten werden; in seiner produktiven Entäußerung aber wird das Hypostat der aus der Transzendenz bezogenen Machtposition enthoben. Mit der Aufhebung der Differenz zwischen Wesen und Erscheinung zieht Goethe dessen für das menschliche Auge Unsichtbares, symbolisiert durchs Licht, in die erscheinende Welt. Er überführt damit idealistische Widerspruchsstrukturen in eine Ästhetik des Phänomens: der Welt als einem Effekt von Licht und Finsternis liegt kein von seiner Erscheinung Geschiedenes zugrunde. Auch Sittlichkeit und Religion können daher nur Wirkungen des Ästhetischen, nicht aber Deduktionen des Abwesenden sein. 113 „Die F a r b e n sind Taten des Lichts, Taten u n d Leiden. In diesem Sinne k ö n n e n w i r von denselben Aufschlüsse ü b e r das Licht e r w a r t e n . F a r b e n u n d Licht stehen z w a r u n t e r e i n a n d e r in d e m g e n a u s t e n Verhältnis, aber wir müssen uns beide als der g a n zen N a t u r a n g e h ö r i g d e n k e n : d e n n sie ist es g a n z , die sich d a d u r c h d e m Sinne des Auges b e s o n d e r s o f f e n b a r e n will." 1 1 4
Mit dem theologischen Begriff der Offenbarung, die nach der des Johannes eine der aus dem Tode sprechenden Stimme ist, redet Goethe die Entäußerung 'der ganzen Natur' in Licht und Farbe an ein ihr korrespondierendes Organ, das Auge. Im Gegensatz zu sublimierender Verstandestätigkeit gewahrt es als Sensorium sinnlicher Erkenntnis die Phänomene, letztlich das „Urphänomen, das unmittelbar an der Idee steht und nichts Irdisches über sich erkennt." 115 Im Ästhetischen trifft sinnliche Erfahrung auf die Idee. Da Transsubjektives sich in der Erscheinung manifestiert, hat sie selbst jeglichen Zeichen- und Verweisungscharakter auf ein metaphysisches Substrat abgestreift; sie ist nichts als die Realisation der Welt in ihrer Immanenz. Hier hat die von Goethe überlieferte Kontroverse mit Schiller 116 ihren Ort, die „den größten, vielleicht nie ganz zu schlichtenden Wettkampf zwischen Objekt und Subjekt" 117 thematisiert. Goethe, 113
114 114
1,6 117
cf. ib., p. 4 9 4 s q q . , Sinnlich-sittliche W i r k u n g d e r F a r b e - d e r Vergleich zu K a n t s Kritik d e r U r t e i l s k r a f t , die in § 59 ebenfalls mit d e r E r ö r t e r u n g des „Symbols d e r Sittlichkeit" schließt, liegt n a h e (cf. I m m a n u e l K a n t , Von d e r S c h ö n h e i t als Symbol d e r Sittlichkeit, Kritik der U r t e i l s k r a f t , ed. Karl V o r l ä n d e r , 6. Aufl., H b g . 1954, pp. 2 1 1 - 2 ) 5 , § 59, B 2 5 4 - 2 6 0 ) Z u r F a r b e n l e h r e . D i d a k t i s c h e r Teil, H A 13, p. 315 ib., p. 488 - cf. M a n f r e d J u r g e n s e n , N a t u r als künstlerische G e s t a l t u n g : D a s Symbol als dargestellte O f f e n b a r u n g der Idee, Symbol als Idee. Studien zu Goethes Ästhetik, B e r n / M ü n c h e n 1968, pp. 9 - 3 0 Glückliches Ereignis, H A 10, pp. 5 3 8 - 5 4 2 ib., p. 541
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Phänomen
dessen Passion der „Metamorphose der Pflanzen" 1 1 8 gilt, wird das an der „Natur" 1 1 9 gewahr, was Schiller als Idee ihr abspricht; er begreift sie als „Erfahrung" 1 2 0 und hält dem Kontrahenten entgegen: „Das kann mir lieb sein, daß ich Ideen habe ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe." 121 Goethes Blick haftet am Phänomen: „Vor allen Dingen erinnern wir uns, daß wir im Reiche der Bilder wandeln." Mit dieser platonistisch inspirierten Formulierung faßt er symbolisch den Lebenszusammenhang, wobei die Aktivität des Auges, das „Sehen" 122 , der Wirksamkeit des Lichts gleichkommt. Die Antike und insbesondere Piaton als der ausgezeichnete Antipode Newtons werden von Goethe zu Bürgen seiner Lichtlehre erkoren, insofern die „Griechen" 123 dem neuzeitlichen Theoretiker die entscheidende Einsicht voraus hätten, „daß man notwendig aussprechen müsse, was im Subjekt vorgeht, was f ü r ein Zustand in dem Betrachtenden und Beobachtenden erregt wird. Hierauf entstand der Trieb, das Außere mit dem Inneren in der Betrachtung zu vereinen" 124 .
Für Goethes Denken ist es von ausschlaggebender Bedeutung, daß entgegengesetzte Größen jeweils in Beziehung zueinander gesetzt werden, nicht aber die eine der andern subordiniert werde; solche Herrschaftsstrukturen verwandeln nämlich „die heilige Scheu", das „Erstaunen" 125 der Wahrnehmung, die dem Auge erlaubt, „die Phänomene bis zu ihren Urquellen zu verfolgen, bis dorthin, wo sie bloß erscheinen und sind und wo sich nichts weiter an ihnen erklären läßt" 126 , in die instrumentelle Verfügung der Wissenschaft. Die antiken Denker hingegen fassen die natürlichen Phänomene der Farbe in ihrem lebendigen Dasein. Goethe schreibt: „Denn die Art, wie das Außere und Innere eins f ü r das andre da ist, eins mit dem andern übereinstimmt, zeigt sogleich von einer höhern Ansicht, die durch jenen allgemeinen Satz: Gleiches werde nur von Gleichem erkannt, noch geistiger erscheint.
1,8 119 120 121
122 123 124 125 126
ib., p. 540 ib., p. 539 ib., p. 540 ib., p. 541 - cf. Wilhelm Emrich, Geschichte und Mythologie bei Goethe, Poetische Wirklichkeit, Studien zur Klassik und Moderne, Wiesbaden 1979, p. 68 Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 378 Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 33 ib., p. 34 ib., p. 36 Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 327
Erscheinung und Erkenntnis
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(. . .) Die Materie tritt in die Erscheinung, sie bildet, sie gestaltet sich. Gestalt bezieht sich auf ein G e s e t z und nun zeigt sich in der Farbe, in ihrem Bestehen und Wechseln, ein Naturgesetzliches fürs A u g e , von keinem andern Sinne leicht unterscheidbar. N o c h willkommner tritt uns bei P l a t o jede vorige Denkweise, gereinigt und erhöht, entgegen (. . .); aber, was vor allem ausdrücklich zu bemerken ist, er kennt den H a u p t p u n k t der ganzen Farben- und Lichtschatten-Lehre, denn er sagt uns: durch d a s Weiße werde d a s Gesicht entbunden, durch das Schwarze gesammelt. Wir mögen anstatt der griechischen Worte CTuyKpivetv und ôicxKpivfiiv in anderen Sprachen setzen, was wir wollen: Zusammenziehen, Ausdehnen, Sammlen, Entbinden, Fesseln, Lösen, rétrécir und développer etc., so finden wir keinen so geistig-körperlichen Ausdruck für d a s Pulsieren, in welchem sich Leben und E m p finden ausspricht." 1 2 7
Die der „Poesie" 1 2 8 entliehene Form der Anschauung bedeutet Goethe das Paradigma einer Erkenntnis, die sich, im Gegensatz zu aller neuzeitlichen, ihrem Gegenstand gleichmacht, in ihn sich hineinversetzt: „ M a n identifiziert sich (. . .) mit der Farbe; sie stimmt Auge und Geist mit sich unisono." 1 2 9 Sinnliche und geistige Wahrnehmung sind eins miteinander und dem Phänomen, dessen 'Gesetz' der 'Erscheinung' oder 'Gestalt' wiederum dem des 'Bestehens und Wechseins' des 'Lebens und Empfindens' gleich ist. Wenn das erkennende Organ selbst dem Gesetz des lebendigen Erkenntnisgegenstandes entspricht, kongruieren in seinem Träger „Subjekt" und „Auge" 1 3 0 : Geist und Körper, Seele und Leib werden als Einheit begriffen, da der Widerspruch von Verstand und Sinnlichkeit im Erkenntnisprozeß aufgehoben ist. Goethes Farbenlehre, die einer Lehre von der lebendigen Natur die Theorie liefert, basiert auf der Integration des Erkenntnisorgans in den produktiven Naturprozeß; mit den „ P h y s i o l o g i s c h e ^ ) F a r b e n " 1 3 1 gibt Goethe den gemeinsamen Nenner der Erkenntniselemente an: „Wir haben sie physiologische genannt, weil sie dem gesunden Auge angehören, weil wir sie als die notwendigen Bedingungen des Sehens betrachten, auf dessen lebendiges Wechselwirken in sich und nach außen sie hindeuten." 1 3 2
Unter den gesetzten Prämissen kann Goethe den entscheidenden Schritt wagen, den Gegensatz von Subjekt und Objekt der Erkenntnis dergestalt zu unterminieren, daß er das erkennende Organ als
Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 36 ib., p. 33 1 2 ' Z u r Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 495 150 ib., p. 329 131 ib. 132 ib., p. 330 127
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Phänomen
ein Produkt der zu erkennenden Natur, als Gestalt ihrer Entäußerung expliziert; eine Überlegung, die noch einmal des Naturfragments von 1783133 gedenkt: „Das Auge hat sein Dasein dem Licht zu danken. Aus gleichgültigen tierischen Hülfsorganen ruft sich das Licht ein Organ hervor, das seinesgleichen werde, und so bildet sich das Auge am Lichte fürs Licht, damit das innere Licht dem äußeren entgegentrete."" 4
Das Motiv des Lichts, das sich durch das Spätwerk Goethes zieht, hat auch im Zusammenhang der 'Farbenlehre' den symbolischen Gehalt jener anderen exponierten Stellen im 'Faust', in den 'Wanderjahren', den 'Wahlverwandtschaften' oder dem 'West-Östlichen Divan'. Als einer der vielen Kommentare Goethes zum Beginn des Johannes-Evangeliums 135 bildet das obige Zitat die Reflexion auf die Göttlichkeit des Menschen. 'Leben' und 'Licht' sind nach den Worten des Evangelisten 'in' Gott, bis dieser sie mit der Schöpfung durch den Logos ins Werk entläßt. 136 Wenn das Licht, von seinem Ursprung stetig sich entfernend diesen nicht zu reflektieren vermag und nur an Bildern als den begrenzten Erscheinungen zutage tritt, findet es 'seinesgleichen' doch im erkennenden Auge, dessen entoptisches Vermögen es bildet; im Sehenden hat Gott sein Ebenbild. Die vorliegende Stelle, die wie der gesamte Text mit wissenschaftlicher Maske „aus den Regionen der Poesie" 137 sich herschreibt, fordert eine ihrer Polysemie entsprechende Lektüre heraus. Denn während sie einerseits den direkten Bezug auf die Bibelstelle und ihr Vokabular akzentuiert, unterschlägt sie andererseits den zentralen Topos: Gott. Leben ist in die Existenz, das durch das erkennende Auge erzeugte 'Dasein' übergegangen; es entfaltet sich in der materiellen Konkretion der Farbe. Goethe schreibt also dem Auge ein synthesierendes Vermögen zu, durch welches es im Phänomen Licht und Materie vereint, während ohne ein reflektierendes Organ das Licht dem Stoff sich nicht vermitteln kann. Erkenntnismäßig hat das Absolute seine Existenz erst durchs Auge als dem Organ der Morgenröte, das Licht und Finsternis vermählt. Kraft des göttlichen Sinns vollendet sich das noch Ungewordene, Unbekannte im Phänomen. 135 134 135
136 137
D i e Natur. Fragment. Aus dem 'Tiefurter Journal' 1783, H A 13, pp. 4 5 - 4 7 Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 323 cf. z.B. Faust I, H A 3, p. 44, W . 1224-1237; Wiederfinden, West-Östlicher Divan, H A 2, p. 83, V. 13 sqq. c f . J o h . 1.4 Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 33
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„War nicht das Auge s o n n e n h a f t , / Wie könnten wir das Licht erblicken?/ Lebt nicht in uns des Gottes eigne K r a f t , / Wie könnt uns Göttliches entzücken?" 1 3 8
Zur vermittelnden Instanz wird das Auge für Goethe nach der von den Griechen hergeleiteten Voraussetzung, daß „Gleiches (. . .) nur von Gleichem erkannt" 1 3 9 wird; als jeweils Gleiches zu dem, was einander nicht gleich ist, bringt das mediale Organ 'Gott und Welt' in einen Zusammenhang. Erkennen im Sinne Goethes beruht auf einer wechselseitigen Spiegelung von Gleichem. Wie sich das sonnenhafte Auge dem Licht anmißt, darin sich selbst erblickend, so bedarf das göttliche Licht des reflektierenden Auges, ohne das es der leere Spiegel: das Färb- und damit Leblose bliebe. D a s menschliche Auge aber verleiht dem bewußtlos „in ungemeßnen Räumen" 1 4 0 scheinenden Licht rückbezüglich-erkennenden Charakter, indem es ihm das farbige Naturphänomen abspiegelt. In seinem Widerstrahlen erweitert sich das endliche Auge zu dem Lichthaften, das es anverwandelt; durch seine produktive Tätigkeit wird das Organ zu dem, was es potentiell schon ist. Auf der Kassette der von ihm zur Farbenlehre verwandten Demonstrationsobjekte emblematisiert Goethe das Gottesauge des Menschen in „einer eigenen Zeichnung. Sie stellt wie ein freimaurerisches Symbol ein einsames, riesiges Auge dar, vermutlich sein eigenes." 1 4 1 Dieses Auge sucht, es geht auf Unbekanntes; als solches ist es auch das Organ des produktiven Todes, dessen Tätigkeit dem Erzeugen von Bildern dient. D a s reflektierende Organ gewinnt sich - zumindest andeutungsweise - den Vorrang der Produktivität vor der reinen Identität des Lichts: „Jene unmittelbare Verwandtschaft des Lichtes und des Auges wird niemand leugnen; aber sich beide zugleich als eins und dasselbe zu denken, hat mehr Schwierigkeit. Indessen wird es faßlicher, wenn man behauptet, im A u g e wohne ein ruhendes Licht, das bei der mindesten Veranlassung von innen oder außen erregt werde. Wir können in der Finsternis durch Forderungen der Einbildungskraft uns die hellsten Bilder hervorrufen. Im Traume erscheinen uns die Gegenstände wie am vollen Tage. Im wachen Zustand wird sie durch die leiseste äußere Lichteinwirkung bemerkbar; ja, wenn das O r g a n einen mechanischen Anstoß erleidet, so springen Licht und Farben hervor." 1 4 2 Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, p. 324; cf. auch die veränderte Fassung, H A 1, p. 367 1 3 ' Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 36 140 Wiederfinden, West-Östlicher Divan, H A 2, p. 83, V. 23 141 Richard Friedenthal, Goethe. Sein Leben und seine Zeit, F f m . / B e r l i n / W i e n 1978, p. 366 142 Z u r Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 324 138
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Phänomen
Noch einmal zitiert Goethe die antiken Lehren und verrät darin das wesentliche Motiv für seinen Rückgriff auf das historische Material der Farbtheorie: „Die Alten glaubten an ein ruhendes Licht im Auge; sie fühlten sodann als reine kräftige Menschen die Selbsttätigkeit dieses Organs und dessen Gegenwirken gegen das äußre Sichtbare" 143 . Die produktive Kraft des Auges wird Goethe zum Lebenssymbol, weil sie aktiv den Austausch mit dem Objekt erwirkt und trägt; die subjektiv visuelle Tätigkeit mißt sich der postulierten Totalität der Erscheinung an, stellt sie aus sich heraus her: „Wenn das A u g e die Farbe erblickt, so wird es gleich in Tätigkeit gesetzt, und es ist seiner N a t u r gemäß, auf der Stelle eine andre, so unbewußt als notwendig, hervorzubringen, welche mit der gegebenen die Totalität des ganzen Farbenkreises enthält. Eine einzelne Farbe erregt in dem A u g e durch eine spezifische E m p f i n d u n g das Streben nach Allgemeinheit." 1 4 4 D a s „Bedürfnis nach Totalität, welches unserm O r g a n eingeboren ist, (. . .) setzt sich selbst in Freiheit, indem es den G e g e n s a t z des ihm aufgedrungenen Einzelnen und somit eine befriedigende Ganzheit hervorbringt." 1 4 5
Es ist das Auge also Organ eines 'Unbewußten', das „das Unbewußte der Wissenschaft", deren „negative Seite", „ein p o s i t i v e s U n b e w u ß t e s des Wissens" 146 auslotet. In seinem 'Bedürfnis nach Totalität' befreit es 'notwendig' eine beschränkte Natur, die objektiv „kein allgemeines Phänomen, wo die Farbentotalität völlig beisammen wäre" 147 , bietet. Diese verdankt sich stets der Leistung des Auges, sollte auch eine Pluralität von Naturphänomenen dessen apprehensivem Vermögen entsprechen: „Wird nun die Farbentotalität von außen dem Auge als Objekt gebracht, so ist sie ihm erfreulich, weil ihm die Summe seiner eigenen Tätigkeit als Realität entgegenkommt." 1 4 8 Das Wirken des Unbewußten besteht also darin, einen Zustand der Trennung und Isolierung wieder aufzuheben, indem sein Organ zunächst die Extreme der Wahrnehmung ausmacht, dann aber in Kontiguität miteinander vermittelt: „ D a s A u g e eines Wachenden äußert seine Lebendigkeit besonders darin, daß es durchaus in seinen Zuständen abzuwechseln verlangt, die sich am einfachsten vom
145 144 145 146
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Geschichte der Farbenlehre, H A 14, p. 37 Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 501 ib., p. 502 Michel Foucault, D i e O r d n u n g der D i n g e . Eine Archäologie der Humanwissenschaften, F f m . 1974, p. 11 Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 503 ib., p. 502
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Dunkeln zum Hellen und umgekehrt bewegen. Das Auge kann und mag nicht einen Moment in einem besondern, in einem durch das Objekt spezifizierten Zustande identisch verharren. Es ist vielmehr zu einer Art von Opposition genötigt, die, indem sie das Extrem dem Extreme, das Mittlere dem Mittleren entgegensetzt, sogleich das Entgegengesetzte verbindet und in der Sukzession sowohl als in der Gleichzeitigkeit und Gleichörtlichkeit nach einem Ganzen strebt." 149 „Wir glauben hier abermals die große Regsamkeit der Netzhaut zu bemerken und den stillen Widerspruch, den jedes Lebendige zu äußern gedrungen ist, wenn ihm irgendein bestimmter Zustand dargeboten wird. So setzt das Einatmen schon das Ausatmen voraus und umgekehrt, so jede Systole ihre Diastole. Es ist die ewige Formel des Lebens, die sich auch hier äußert. Wie dem Auge das Dunkle geboten wird, so fordert es das Helle; es fordert Dunkel, wenn man ihm Hell entgegenbringt, und zeigt eben dadurch seine Lebendigkeit, sein Recht, das Objekt zu fassen, indem es etwas, das dem Objekt entgegengesetzt ist, aus sich selbst hervorbringt." l s 0
Die produktive Tätigkeit des Auges trägt vor allem der oppositionellen Forderung Rechnung, die einer Identitätsverweigerung gleichkommt. Während das Objekt in seiner 'Besonderheit' durch die instrumentelle Organisation stillgestellt wird, treibt die 'Opposition' entgegen solchem 'Zustande' Bewegung, Leben hervor. Sie verlängert den 'stillen Widerspruch', der das 'Lebendige' in der „Welt der toten Objektivität" 151 überwintern läßt. Kraft des Widerstands wird die 'Formel des Lebens' bewahrt, trotz aller „Metaphysische(n) Formeln", „Mathematische(n)", „Mechanische(n)", „Korpuskularformeln" und „moralischen Formeln" 152 , welche immer eher geeignet sind, ihrem Gegenstand das Leben auszutreiben als es zu erfassen. Nach Goethes Lehre heilt das durch die Konkretionen der Farbe „in Tätigkeit gesetzt(e)" 153 Organ die gespaltene, zugerichtete Welt, wie umgekehrt das durch seine Geschichte beschädigte Auge am Blick auf das natürliche Phänomen gesundet; es ist ein und derselbe wechselseitige Prozeß, der beide dem Leben zurückgibt.
149 150
151
153
ib., p. 336 ib., p. 337 - Goethe verfährt äußerst behutsam, dem 'Lebendigen' gegen die H e r r schaft der Zivilisation, ihre Geschichte und Wissenschaft, Sprache zu leihen, Sprache, die von sich fordert, „das Wesen immer lebendig vor sich zu haben und es nicht durch das Wort zu töten." (ib., p. 492) Die Interpretation muß sich deshalb unter den Schutz des Goetheschen Ausdrucks stellen, um nicht ihrerseits das Phänomen zu verzerren, das durch das poetische Wort - auch in der Theorie des Dichters - lebt. Die umfangreichen Textbelege erscheinen der Verfasserin aus diesem Grunde unumgänglich. Georg Lukäcs, Der junge Hegel. Uber die Beziehungen von Dialektik und Ö k o nomie, Bd. I, Ffm. 1973, p. 70 Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, HA 13, p. 492 ib., p. 501
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Phänomen
Nunmehr vermag das Auge den paralysierenden Schein des reinen Lichts auszuhalten: „Wenn man in die Sonne sieht, so kann man das Bild mehrere Tage mit sich herumtragen." 154 Indem das Auge aufgrund des 'inneren Lichts' in das äußere zu schauen fähig ist, kann es den Tod, dem die sich absolut setzende Wissenschaft, die direkt, nicht über die materielle Erscheinung vermittelt, ins Licht zu sehen trachtete, geblendet verfiel, ins 'Bild', ins Phänomen ziehen. Aus seiner Tätigkeit heraus entfaltet es die Welt als den Farbenkreis, in dessen „Totalität Alles sich erlöst, als gut und gerechtfertigt erscheint." 155 Als eine prozeßhafte des Werdens - nicht als Fixierung realisiert sie sich im steten „ D u r c h w a n d e r n d e s K r e i s e s " 1 5 6 : das wandernde Auge geht durch alle in ihrer Identität verharrenden, erstarrten Gegenstände, befreit sie aus ihrer Partikularität und Stagnation, entgrenzt sie im Prozeß der eigenen Entgrenzung. D e n Kosmos sich anverwandelnd setzt es die belebten Gebilde - darin ist pansophisches Gedankengut aufgehoben - in dessen harmonischen Bewegungsrhythmus. Das mimetisch dem sinnlichen Organ sich angleichende „wandernde(.) Bewußtsein" 157 faßt sie in der Anschauung als morphologische Phänomene auf. 158 „Der Farbenkreis ist vor unsern Augen entstanden, die mannigfaltigen Verhältnisse des Werdens sind uns deutlich. Zwei reine ursprüngliche Gegensätze sind das Fundament des Ganzen. Es zeigt sich sodann eine Steigerung, wodurch sie sich beide
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ib., p. 357 F. Nietzsche, Der Wille zur Macht, 1. c., p. 72 Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 446 Gerhard Kaiser, Wanderer und Idylle. Goethe und die Phänomenologie der N a t u r in der deutschen Dichtung von Geßner bis Gottfried Keller, Göttingen 1977, p. 42 cf. Betrachtung über Morphologie, H A 13, p. 121 sq.: „Wenn dann so auf diese Weise der organische Körper mehr oder weniger zerstört worden ist, so daß seine Form aufgehoben ist und seine Teile als Materie betrachtet werden können, dann tritt f r ü h e r oder später die Chemie ein und gibt uns neue und schöne Aufschlüsse über die letzten Teile und ihrer Mischung. Wenn wir nun aus allen diesen einzeln beobachteten Phänomenen dieses zerstörte Geschöpf wieder palingenesieren und es wieder lebendig in seinem gesunden Zustande betrachten, so nennen wir dieses unsere physiologischen Bemühungen. D a nun die Physiologie diejenige Operation des Geistes ist, da wir aus Lebendigem und Totem, aus Bekanntem und Unbekanntem, durch Anschauen und Schlüsse, aus Vollständigem und Unvollständigem ein Ganzes zusammensetzen wollen, das sichtbar und unsichtbar zugleich ist, dessen Außenseite uns nur als ein Ganzes, dessen Inneres uns nur als ein Teil und dessen Äußerungen und Wirkungen uns immer geheimnisvoll bleiben müssen, so läßt sich leicht einsehen, warum die Physiologie so lange zurückbleiben mußte, und warum sie vielleicht ewig zurückbleibt: weil der Mensch seine Beschränkung immer fühlt und sie selten anerkennen will."
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einem dritten n ä h e r n ; d a d u r c h e n t s t e h t auf jeder Seite ein Tiefstes u n d ein H ö c h stes, ein Einfachstes u n d ein Bedingtestes, ein G e m e i n s t e s u n d ein Edelstes. Sod a n n k o m m e n zwei V e r e i n i g u n g e n (Vermischungen, V e r b i n d u n g e n , wie m a n es n e n n e n will) z u r Sprache, einmal d e r e i n f a c h e n a n f ä n g l i c h e n u n d s o d a n n d e r gesteigerten Gegensätze." 1 5 9
Goethe entwickelt das Grundgesetz der Universalität des Farbenkreises aus einer Anschauung, die er erst 1828 in der 'Erläuterung zu dem aphoristischen Aufsatz „Die Natur"' 160 niederlegt; es ist die „ A n s c h a u u n g d e r zwei g r o ß e n T r i e b r ä d e r aller N a t u r : d e r Begriff von P o l a r i t ä t u n d von S t e i g e r u n g , jene d e r M a t e r i e , insofern wir sie materiell, diese ihr d a g e gen, i n s o f e r n wir sie geistig d e n k e n , a n g e h ö r i g ; jene ist in i m m e r w ä h r e n d e m Anziehen u n d A b s t o ß e n , diese in i m m e r s t r e b e n d e m A u f s t e i g e n . Weil aber die M a t e r i e nie o h n e Geist, der Geist nie o h n e M a t e r i e existiert u n d w i r k s a m sein k a n n , so verm a g auch die M a t e r i e sich zu steigern, so wie sichs d e r Geist nicht n e h m e n läßt, a n z u z i e h e n u n d a b z u s t o ß e n ; wie d e r j e n i g e n u r allein zu d e n k e n v e r m a g , d e r gen u g s a m g e t r e n n t hat, u m zu verbinden, g e n u g s a m v e r b u n d e n hat, u m w i e d e r t r e n nen zu mögen." 1 6 1
Polarität und Steigerung in ihrer Einheit geben die Naturschriften als souveränen Topos für die lebendige Bewegung jenseits von festgeschriebenen Dichotomien zu erkennen. Dabei stellt die 'Farbenlehre' im Zusammenhang des Goetheschen Œuvres durchaus kein „exzentrisches Problem" 162 dar, im Gegenteil ein wesentliches, weil hier die Bedingungen der Erkenntnis ungleich glücklicheren Voraussetzungen unterliegen als in der beschränkenden Verstandestätigkeit: das Licht-Auge überwindet den Hiatus zwischen Subjekt und Objekt, der deshalb als Tod bezeichnet werden kann, weil er intermittierend in den Erkenntnisverlauf eingreift. Gegen einen solchen erkenntnistheoretischen Ansatz der Naturwissenschaft entwickelt Goethe die Morphologie 1 6 3 als eine Disziplin, die das Getrennte durch den organologischen Prozeß im Phänomen miteinander vermittelt, die Farbenlehre als eine, die es durch den Augen-Blick in einem N u zusammenschließt. Kraft der produktiven Imagination erkennt das Auge die singulären Erscheinungen in ihren Kontrasten und bringt sie dadurch zur Polarität. 164 Den Monismus einer Wissenschaft, die heimlich vom 1S
' Z u r F a r b e n l e h r e . D i d a k t i s c h e r Teil, H A 13, p. 480 E r l ä u t e r u n g e n zu d e m a p h o r i s t i s c h e n A u f s a t z ' D i e N a t u r ' , H A 13, p. 48 sq. 161 ib., p. 48 162 H . A. K o r f f , Geist d e r G o e t h e z e i t . Versuch einer ideellen E n t w i c k l u n g d e r klass i s c h - r o m a n t i s c h e n Literaturgeschichte, II. Teil, Klassik, D a r m s t a d t 1977, p. 52 cf. M o r p h o l o g i e , H A 13, pp. 5 3 - 2 5 0 164 G o e t h e gibt mit seiner T h e o r i e einen wesentlichen A n s t o ß f ü r die r o m a n t i s c h e N a t u r k o n z e p t i o n ; cf. z. B. J o h a n n Wilhelm Ritter, F r a g m e n t e aus d e m N a c h l a s s e 160
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Phänomen
Dualismus des gekreuzigten Geistes sich speist, hat es damit aufgehoben. Die polarisierten Plus-Minus-Komplexe 165 sind in ihrer dialektischen Bewegungsfreiheit in sich der Promiskuität fähig, die Goethe ihre 'Steigerung' nennt. So stellt das Auge die Beziehung der Farbenerscheinungen untereinander, sowie die zwischen ihnen und ihrer geistigen Apperzeption her und faßt sie jeweils in ihrem wechselvollen Verhalten zueinander. Der an den Phänomenen der Farbe gebildete Blick senkt sich bei Goethe in die 'ganze Natur' dergestalt, daß auch sie in ihrem Werdensprozeß dem Begriff wie der Sache nach dem Tod keine Stelle einräumt: „Treue Beobachter der Natur, wenn sie auch sonst noch so verschieden denken, werden doch darin miteinander übereinkommen, daß alles, was erscheinen, was uns als ein Phänomen begegnen solle, müsse entweder eine ursprüngliche Entzweiung, die einer Vereinigung fähig ist, oder eine ursprüngliche Einheit, die zur Entzweiung gelangen könne, andeuten und sich auf eine solche Weise darstellen. Das Geeinte zu entzweien, das Entzweite zu einigen, ist das Leben der Natur; dies ist die ewige Systole und Diastole, die ewige Synkrisis und Diakrisis, das Ein- und Ausatmen der Welt, in der wir leben, weben und sind."" 6
Mit der Konzeption des Auges als eines göttlichen Organs betreibt Goethe schon die „Entregelung aller Sinne" 1 6 7 , um das ins Leben einzuholen, was die Kultur als 'tot' ausschied und dämonisierte: „So spricht die Natur hinabwärts zu andern Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen, so spricht sie mit sich selbst und zu uns durch tausend Erscheinungen. Dem Aufmerksamen ist sie nirgends tot noch stumm" 168 .
Produktiv hat das Auge den toten Blick überwunden, in dem erstarrend es das Objekt paralysierte; in seiner Tätigkeit hat es sich zur Sinnenvielfalt erweitert, durch die sich das farbig-lebendige Phänomen wiederentdeckt, dem auch der Mensch zugehört: „Licht, wie es mit der Finsternis die Farbe wirkt, ist ein schönes Symbol der Seele, welche mit der Materie den Körper bildend belebt. So wie der Purpurglanz der
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eines jungen Physikers, Erstes und zweytes Bändchen, Heidelberg 1969, p. 17 sq.: „Beweis f ü r die absolute Polarität in der Natur. Die N a t u r ist ein Handeln, und nur insofern ist sie Natur. Handeln erfordert aber ein Mannichfaltiges, denn nur dadurch wird ein Handeln, und mit dem Mannichfaltigen fällt auch das Handeln weg. Jedes Handeln also setzt Differenz voraus. Diese aber ist Gegensatz, Polarität. U n d da Natur nur ist, wo Handeln ist, so muß deshalb auch überall Polarität seyn. - " cf. zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 478 ib., p. 488 Arthur Rimbaud, Briefe und Dokumente, ed. Curt Ochwald, Heidelberg 1961, p. 23 Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 315
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Abendwolke schwindet und das G r a u des S t o f f e s zurückbleibt, so ist das Sterben des Menschen. Es ist ein Entweichen, ein Erblassen des Seelenlichtes, das aus dem S t o f f e weicht. D a h e r sehe ich keinen Toten. Alle meine gestorbenen Freunde sind mir so verblichen und verschwunden, und das Scheinbild von ihnen bleibt mir noch im Auge." 1 6 ''
Dieser Anschauung ist Goethe treu geblieben; ihr entspricht noch der Dornburger Brief an Zelter vom 10. Juli 1828 aus Anlaß des Todes Carl Augusts. 1 7 0 D a ß dieses Dokument auf der Folie der Farbenlehre zu lesen sei, bemerkt Albrecht Schöne 1 7 1 richtig, doch baut auch er seine Argumentation auf der These von Goethes „Todesangst" 1 7 2 , seiner „Todesneurose" 1 7 3 auf. Sie soll gar nicht bestritten werden, nur ist sie zur Erklärung des differenzierten phänomenologischen Modells Goethes unzureichend und motiviert den genannten Text keineswegs. „ ' T ä t i g k e i t ' " als „der eigentlich fundamentale Begriff dieses ganzen Briefes" ist nicht „das Komplementärphänomen zur Todeserfahrung" 1 7 4 in dem Sinne, daß sie „ g e g e n den Tod (. . .) und g e g e n alle Todesangst" 1 7 5 gesetzt, also aus der „Gewalt des Abwehrtriebes" 1 7 6 heraus aktiviert würde; wider alle theoretischen Darlegungen Goethes würden Tod und Tätigkeit demnach ein krasses Ausschließungsverhältnis bilden, getragen vom Wahn, jenen durch diese zu überlisten, einen Wahn, den Schöne denn auch weitläufig persifliert. Goethe, die „düstern Funktionen" 1 7 7 des Leichenbegängnisses meidend, durch die sich zwar „der Menge symbolisch darstellt was sie im Augenblick verloren hat", nicht aber dem, dessen Intention darauf geht, den Tod im lebendigen Phänomen aufzusuchen, um ihn als historisches Sediment zu überwinden; das ihm ,,verliehene(.) Symbol" findet er in einem „Orte (. . .), wo seine", des verstorbenen Freundes „Tätigkeit (. . .) vor die Sinne tritt." G a n z unmetaphysisch, ohne die Vorstellung von Palingenesie, ohne die der Metamorphose, der Goethe in einem anderen Zusammenhang sein Interesse widmet, 169 170 171
172 173 174 175 176 177
Friedrich Wilhelm Riemer, Gespräche II, p. 391 An Carl Friedrich Zelter, H A Briefe 4, pp. 2 8 4 - 2 8 6 Albrecht Schöne, 'Regenbopen auf schwarzgrauem G r u n d e ' - G o e t h e s Dornburger Brief an Zelter zum Tod seines G r o ß h e r z o g s . R e d e anläßlich des Symposions zu Ehren von P r o f e s s o r Dr. med. Gerhard J o p p i c h am 5. 11. 1978, Göttingen 1979 ib., p. 27 ib., p. 8 ib., p. 16 ib., p. 29, Hervorhebung von Verf. ib., p. 9 An C. F. Zelter, H A Briefe 4, p. 284
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Phänomen
ist ihm in seinem Erleben der Tote gegenwärtig: „Dies ist denn doch ein angenehmes Gefühl, daß ein Scheidender den Hinterbliebenen irgendeinen Faden in die H a n d gibt woran ferner fortzuschreiten war." 178 Den überlassenen Faden gedenkt Goethe - dem gilt der Schlußabschnitt seines Briefes - mit erneuten Forschungen in den „Naturwissenschaften wiederaufzunehmen". Und die mit dem Verstorbenen verbindende Kontinuität der Tätigkeit berechtigt ihn, sich selbst gleich dem Freund in der dritten Person zu nennen, „wie er (. . .) diese langen Tage von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zubringt" 179 . Die Licht und Finsternis mischende Dämmerung, der „Purpurglanz der Abendwolke" 180 wird Goethes Augen als ein gemeinsames, ununterscheidbares Wirken derer sichtbar, die der Tod trennte. Darin bewahrt sich seiner Vorstellung nach Unsterblichkeit: „ich habe die feste Überzeugung, daß unser Geist ein "Wesen ist ganz unzerstörbarer Natur; es ist ein fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es ist der Sonne ähnlich, die bloß unsern irdischen Augen unterzugehen scheint, die aber eigentlich nie untergeht, sondern unaufhörlich fortleuchtet." 1 ' 1
Dem endlichen Betrachter des Leben und Tod einbegreifenden Phänomens aber wird die Auskunft Fausts zuteil, „die Sonne ( . . . ) im Rücken" 182 zu behalten und das 'irdische Auge' an „des bunten Bogens Wechseldauer" 183 zu wenden: „ D e r spiegelt ab das menschliche Bestreben./ Ihm sinne nach, und du begreifst genauer:/ Am farbigen Abglanz haben wir das Leben." 184 Auch in diesen Versen wird die erste Person verwandelt, diesmal zur zweiten, an die der Imperativ ergeht. Dem Faszinosum des Regenbogens inhäriert die Verfremdung des Ichs:
178 179 180 181
182 185 184
ib., p. 285 ib., p. 286 F. W. Riemer, Gespräche II, p. 391 Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, ed. Ernst Beutler, M ü n c h e n 1976, p. 115 sq. - Arthur Schopenhauer legt Wert darauf, in einer nachträglichen Anmerkung zu 'Die Welt als Wille und Vorstellung' die Originalität des Gleichnisses für sich zu reklamieren (cf. A. Schopenhauer, D i e Welt als Wille und Vorstellung, Erster Theil, Vier Bücher, nebst einem Anhange, der die Kritik der Kantischen Philosophie enthält, Sämmtliche Werke in fünf Bänden, Leipzig o.J., Bd. I, p. 375). Der Unterschied in der Theorie bleibt gegenüber derselben Metaphorik dennoch gravierend: für Goethe besteht allein das Phänomen, das Schopenhauer zur individuierten Erscheinung des Willens als eines Dinges an sich abwertet. Faust II, H A 3, p. 149, V. 4715 ib., V. 4722 ib., W . 4 7 2 5 - 4 7 2 7
Erscheinung und Erkenntnis
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„ D e r 'Abglanz' des Urbildes also ist bei G o e t h e nicht die Projektion eines Helden im selbst erzeugten machtvollen Absoluten, auch nicht der Widerschein realer Dinge, sondern die produktiv wechselseitige Geburt und Wiedergeburt zwischen 'anderem Selbst' und I c h . " 1 8 5
An dem fragilen, in ständiger Bewegung verharrenden Phänomen sieht das Ich sein wie das andere Selbst aus der Produktivität heraus als M o m e n t eines Phänomens gespiegelt, das ähnlich dem „Regenbogen feststeht, so schnell auch die Tropfen, welche auf Augenblicke seine Träger sind, wechseln" 1 8 6 . Solche 'Wechseldauer' verbürgt Leben, das wir nach Goethe 'an' seiner Manifestation im Schein 'haben': wir haben es nicht als Besitz, sondern in der produktiven Entäußerung. Diese nimmt der um den Freund Trauernde an einer Landschaft wahr, die ihm „alles in erhöhteren Farben" zeigt, „wie der Regenbogen auf schwarzgrauem Grunde." 1 8 7 Als Ausdruck und Erscheinung der Tätigkeit, der Wirksamkeit hebt sich Leben vom dunklen Todeshorizont ab, verschwindet wieder in ihm, um abermals hervorzutreten; es spricht sich allein im Phänomen aus, von keiner Negation erfaßbar.
18S
187
W . Emrich, Die Symbolik von Faust II, I.e., p. 91 A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, I.e., p. 5 2 2 ; bei demselben Bild wurde Goethe den Regenbogen auf keinen Fall als „Ding an sich" (ib.) bezeichnen. An C . F. Zelter, H A Briefe 4, p. 2 8 5
2. Produktion 2.1 Sensitive Disposition Goethes Kritik, die seine Farbenlehre impliziert, macht sich nur mittelbar an der modernen Naturwissenschaft fest; die Erforschung der Natur kennzeichnet in ihrer positivistischen Verfahrensweise seiner Ansicht nach jedoch ein Symptom für den aktuellen Stand falschen Bewußtseins. In einer Idiosynkrasie gegen abstrakte Theorie widersetzt sich Goethe ihr: über die Erkenntnis als Urteilsinstanz - mit ihrem moralischen Index - stellt er die Produktion; genauer: aus dem „Geist des Widerspruchs" und der „Lust zum Paradoxen" subvertiert er den Systemzwang logischen Denkens durch poetische Praxis. Den Schlüssel f ü r ein Modell der Produktion liefert eine fiktive „eigene Religion" 1 , die mit ihrer pansophischen Provenienz kokettiert. Goethe nimmt Rekurs auf Denkgebäude, die Epochen vor der Entwicklung der systematischen Wissenschaften entstammen oder zumindest außerhalb dieser liegen; nicht weil er solche mentalen Kuriosa für die Wahrheit hielte, sondern gerade weil sie dieser, die gesellschaftlich okkupiert der Konvention unterworfen ist, entgehen. In 'Dichtung und Wahrheit' trägt er über seine zweite Frankfurter Zeit so freimütig wie ironisch vor, daß die Andersdenkenden, die religiös oder geistig Diskreditierten ihn zu phantastischen Hypermetropien animierten: „Einen großen Einfluß erfuhr ich dabei von einem wichtigen Buche, das mir in die H ä n d e geriet, es war Arnolds 'Kirchen- und Ketzergeschichte'. Dieser M a n n ist nicht ein bloß reflektierender Historiker, sondern zugleich fromm und fühlend. Seine Gesinnungen stimmten sehr zu den meinigen, und was mich an seinem Werk besonders ergetzte, war, daß ich von manchen Ketzern, die man mir bisher als toll oder gottlos vorgestellt hatte, eine vorteilhaftem Begriff erhielt. Der Geist des Widerspruchs und die Lust zum Paradoxen steckt in uns allen. Ich studierte fleißig die verschiedenen Meinungen, und da ich o f t genug hatte sagen hören, jeder Mensch habe am Ende d o c h seine eigene Religion, so kam mir nichts natürlicher vor, als daß ich mir auch meine eigene bilden könne, und dieses tat ich mit vieler Behaglichkeit. D e r neue Piatonismus lag zum Grunde; das Hermetische, Mysti-
1
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Sensitive Disposition
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sehe, Kabbalistische gab auch seinen Beitrag her, und so erbaute ich mir eine Welt, die seltsam genug aussah." 2
Noch der Goethe, der dies schreibt, urteilt über den Autor, dessen Werk er einstmals den S t o f f zu seinen Überlegungen entnahm, genauso wie der, über den er schreibt; darauf verweist das diesbezügliche Präsens. Schon der junge Goethe, der hier vorgestellt wird, war sich der Devianz seiner Spekulationen bewußt, was an den ihn bewegenden Motivationen gezeigt wird. Zwischen den beiden durch die Jahrzehnte getrennten Gestalten besteht eine Korrespondenz, die den Autobiographen bei der Auswahl des 'Bedeutenden' 3 aus dem lebensgeschichtlichen Material leitet. Es ist der besondere Blick auf die „Wirklichkeit" 4 , der „das poetische Talent" 5 durch die verschiedenen Lebensalter kontinuiert. Wenn das obige Zitat den Schluß des achten Buchs von 'Dichtung und Wahrheit' einleitet, der eine ausführliche Exposition lebendiger Produktionskraft gibt, wird schon gegen Anfang desselben die Eigentümlichkeit produktiver Wahrnehmung metaphorisch skizziert. Auf der Kunstreise nach Dresden, durch die der Leipziger Student seinen Blick zu schulen, „Kunstschätze ganz nach eigner Art zu betrachten wünschte" 6 , empfängt er in der dortigen „Galerie", die ihm ein „Heiligtum" 7 gilt, gleichsam seine mystische Weihe. Nachdem er jenen O r t der Kontemplation wieder verlassen hat, fällt für ihn ein neues Licht auf die alltägliche Welt: er sieht sein vertrautes Logis wie ein Kunstwerk; der imaginativen Gabe noch nicht bewußt „trauete ich (sc. G o e t h e ) meinen Augen kaum: denn ich glaubte ein Bild von O s t a d e vor mir zu sehen, so v o l l k o m m e n , daß man es nur auf die Galerie hätte hängen dürfen. Stellung der G e g e n s t ä n d e , Licht, S c h a t t e n , bräunlicher Teint des G a n z e n , magische H a l t u n g , alles, was man in jenen Bildern bewundert, sah ich
2
ib.
5
cf. J . P . E c k e r m a n n , G e s p r ä c h e mit G o e t h e , 1. c., p. 4 9 3 D i c h t u n g und Wahrheit II, H A 9, p. 321 ib., p. 3 1 3
4 s 6 7
ib., p. 3 1 7 cf. ib., p. 3 2 0 : „Die Stunde, w o die Galerie e r ö f f n e t werden sollte, mit U n g e d u l d erwartet, erschien. Ich trat in dieses Heiligtum und meine Verwunderung überstieg j e den Begriff, den ich mir gemacht hatte. Dieser in sich selbst wiederkehrende Saal, in welchem Pracht und Reinlichkeit bei der größten Stille herrschten, die blendenden R a h m e n , alle der Zeit noch näher, in der sie verguldet wurden, der geh ö h n t e F u ß b o d e n , die m e h r von Studenten betretenen als von Arbeitenden b e n u t z ten R ä u m e gaben ein G e f ü h l von Feierleichkeit, einzig in seiner Art, das u m s o m e h r der E m p f i n d u n g ähnelte, womit man ein G o t t e s h a u s betritt, als der S c h m u c k so m a n c h e s Tempels, der G e g e n s t a n d so m a n c h e r Anbetung hier abermals, nur zu heiligen K u n s t z w e c k e n aufgestellt e r s c h i e n . "
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Produktion hier in der Wirklichkeit. E s war d a s erstemal, daß ich auf einen so hohen G r a d die G a b e gewahr wurde, die ich nachher mit mehrerem Bewußtsein übte, die N a t u r nämlich mit den Augen dieses oder jenes Künstlers zu sehen, dessen Werken ich soeben eine besondere A u f m e r k s a m k e i t gewidmet hatte." 8
D a s p r o d u k t i v e V e r m ö g e n , daß den A u t o b i o g r a p h e n seit seiner J u g e n d auszeichnet, liegt darin, die D i n g e anders zu sehen als es der p r a g m a t i s c h e Realitätssinn vorschreibt, in ihrer künstlerischen N a tur nämlich. D i e 'Wirklichkeit' ist, wider das gemeine Verständnis, der direkten Intention des Sinns verschlossen. Was der E r z ä h l e r am innovatorischen Blick f e s t m a c h t , b e t r i f f t sein Verhältnis zur Wirklichkeit als ' N a t u r ' : sie wird erst d u r c h den U m w e g des sinnlichen O r g a n s über die K u n s t freigelegt; an der K u n s t also hat der a r c h ä o logische Blick auf die N a t u r der Wirklichkeit sein M a ß . D e r künstlerische Blick, der den G o e t h e s inspiriert, senkt sich in die d u r c h die normierte Sehweise v o r g e g e b e n e Realität, um sie als solche zu negieren; indem sie etwa, wie es bei d e m genannten K ü n s t l e r geschieht, in 'Licht' und 'Schatten' getaucht, mit einem 'bräunlichen Teint' überz o g e n , der 'Stellung d e r G e g e n s t ä n d e ' nach verwandelt, d u r c h eine ' m a g i s c h e H a l t u n g ' a u s g e z e i c h n e t erscheint, tritt ein Bild z u m V o r schein, d a s das des „ g e w ö h n l i c h e ( n ) L e b e n ( s ) " 9 durchschlägt. D e m produktiven Blick ist eine K r a f t eigen, durch die er die Wirklichkeit als N a t u r h e r v o r z u b r i n g e n , sie als R a u m des Heiligen zu entfalten v e r m a g . W ä h r e n d dieser in der K u n s t durch d a s a u s g e f ü h r t e W e r k sich verwirklicht, rückprojiziert ihn G o e t h e auf die p r o f a n e W i r k lichkeit, u m deren unter sakralisierender Perspektive auratischen Q u a l i t ä t A u s d r u c k zu geben. 1 0 ib., p. 321 ' ib., p. 324 10 cf. auch Aus Goethes Brieftasche. N a c h Falconet und über Falconet, H A 12, p. 24: „diese (.) T o n s , diese feinen Schwingungen ( . . . ) . Das Aug' des Künstlers ( . . . ) findet sie überall. Er mag die Werkstätte eines Schusters betreten oder einen Stall, er m a g das Gesicht seiner Geliebten, seine Stiefel oder die Antike ansehn, überall sieht er die heiligen Schwingungen und leise T ö n e , womit die N a t u r alle G e g e n stände verbindet. Bei jedem Tritte e r ö f f n e t sich ihm die magische Welt, die jene große Künstler innig und beständig u m g a b " . - G o e t h e legt mit der Schuster-Epis o d e , die ihm zur Darstellung seiner produktiven A u f f a s s u n g dient - man hielt sie für eine Erfindung, ehe die Forschung den historischen Schuster H a u c k e ausfindig machte - eine Assoziation nahe, die durch den weiteren Verlauf des achten Buchs gestützt wird: in dem „praktische(n) Philosophen, bewußtlose(n) Weltweisen" (Dichtung und Wahrheit II, H A 9, p. 320), der mit „Bibel" und „Gottfrieds ' C h r o n i k ' " (ib., p. 319) vertraut eine sinnlich-barocke R e d e religiösen Inhalts führt, scheint der philosophus teutonicus J a k o b B ö h m e vergegenwärtigt; auf dessen mystische T h e o r i e und Sprache gleichermaßen m a g G o e t h e hindeuten, wenn er über ihn sagt, daß „alles aus e i n e r Quelle floß" (ib., p. 320). Gerade den Renaissance8
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Der Blick, der eine verschobene Wirklichkeit in die rational bedingten Gegebenheiten hineinproduziert, verwandelt den Körper: er erzeugt sich den seinen. Zunächst ist es der ,,frühzeitige(.) Tod" eines anderen, der Winckelmanns, der die Sicht dahingehend ,,schärft(.)", „den Wert seines Lebens" vom „Ende" her zu bestimmen. Dann aber verstärken die eigenen „körperlichen Zustände" des jungen Goethe „einen gewissen hypochondrischen Zug", um Anlaß zu geben, für das ,,eigne(.) Leben besorgt zu sein" 11 ; ein „Blutsturz" versetzt den durch das jüngste Geschehen auf das 'Ende' Sensibilisierten „mehrere Tage zwischen Leben und Tod". Dieser „Eruption" 12 jedoch folgt eine veränderte körperlich-geistige Verfassung: „da bei mir sich die N a t u r g e h o l f e n , s o schien ich auch n u n m e h r ein a n d e r e r M e n s c h g e w o r d e n zu sein: d e n n ich h a t t e eine g r ö ß e r e H e i t e r k e i t des Geistes gew o n n e n , als ich mir lange nicht g e k a n n t , ich w a r f r o h , mein Inneres frei zu f ü h l e n , w e n n mich gleich äußerlich ein langwieriges Leiden b e d r o h t e . " 1 '
Die Krise auf Leben und Tod wird nachträglich wie ein Geburtsakt der 'Natur' begriffen, durch den, verglichen mit dem gewesenen, 'ein anderer Mensch' hervorgebracht wurde; derjenige, der als 'ich' sich durchhaltend in der ersten Person spricht, blickt auf einen Krankheitsprozeß zurück, der als ,,Initiationstod(.)" 14 ein neues, ein anderes Leben einsetzte. An seinem aktuellen Befinden macht der Genesene eine Diskrepanz zwischen Äußerem und Innerem: bei einem kränklichen Körper einen entbundenen Geist aus. D e m „im Diätetischen wie im Moralischen" 15 zivilisatorisch bedingten Gebre-
11 12 13 14
15
P h i l o s o p h e n in seiner E i g e n t ü m l i c h k e i t z e i c h n e t ja die „ N a t u r g a b e " (ib., p. 319) des p r o d u k t i v e n Blicks aus, u m d e r e n C h a r a k t e r i s i e r u n g es G o e t h e an dieser Stelle g e h t : „Wie B ö h m e das Leben, die B e w e g u n g des a b s o l u t e n Wesens ins G e m ü t legt, e b e n s o alle Begriffe schaute er in einer W i r k l i c h k e i t an; o d e r er g e b r a u c h t die W i r k l i c h k e i t als Begriff, - statt B e g r i f f s b e s t i m m u n g e n gewaltsam natürliche D i n g e u n d sinnliche E i g e n s c h a f t e n , um seine Ideen d a r z u s t e l l e n . " ( G e o r g Wilhelm Friedrich H e g e l , W e r k e in z w a n z i g B ä n d e n , e d d . Eva M o l d e n h a u e r , Karl M a r k u s M i chel, F f m . 1969 sqq., Bd. 20, Vorlesungen ü b e r die G e s c h i c h t e d e r P h i l o s o p h i e III, F f m . 1971, p. 95) D i c h t u n g u n d W a h r h e i t II, H A 9, p. 329 ib., p. 330 ib., p. 3 3 0 s q . M i r c e a Eliade, S c h a m a n i s m u s u n d archaische E k s t a s e t e c h n i k , F f m . 1975, p. 43; an archaischen Ritualen des S c h a m a n i s m u s belegt Eliade die ' I n i t i a t i o n d u r c h K r a n k h e i t ' : es „weisen alle ekstatischen Erlebnisse, welche die B e r u f u n g des k ü n f t i g e n S c h a m a n e n b e s t i m m e n , das traditionelle S c h e m a einer Initiationszerem o n i e auf: Leiden, T o d u n d A u f e r s t e h u n g . " (ib.) D i c h t u n g u n d W a h r h e i t II, H A 9, p. 349
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Produktion
chen „der menschlichen Natur" 1 6 antwortet - ganz nach dem Muster des Paracelsus - ein aus der Krankheit erzeugtes Sensorium; es vermag mit einer Verschiebung der festgefügten Realitäten das zu bewirken, woran zeitgemäße Theorie und Praxis scheitern: „In der ganzen sinnlichen Welt kommt alles überhaupt auf das Verhältnis der Gegenstände untereinander an, vorzüglich aber auf das Verhältnis des bedeutendsten irdischen Gegenstandes, des Menschen, zu den übrigen. Hierdurch trennt sich die Welt in zwei Teile, und der Mensch stellt sich als Subjekt dem Objekt entgegen. Hier ist es, wo sich der Praktiker in der Erfahrung, der Denker in der Spekulation abmüdet und einen Kampf zu bestehen aufgefordert ist, der durch keinen Frieden und durch keine Entscheidung geschlossen werden kann." 1 ''
Dem Patt im Verhältnis von Subjekt und Objekt, „jene(r) kaum heilb a r e ^ ) Trennung in der gesunden Menschenkraft'" 8 , begegnet der junge Goethe, indem er sich - unter den pietistischen Einflüssen des Fräulein von Klettenberg - die „Krankheit (. . .) inokulieren" 19 läßt, die als „Scholastik des Herzens", als „Dialektik des Gefühls" 2 0 ihn in die Harmonie von „Makrokosmos und Mikrokosmos" 2 1 einstimmen soll. Er verdankt dem pansophischen Gedankengut, wie es seit der Renaissance in der deutschen Geistesgeschichte als eigentümliches Residuum des „Geheimnisse(s)" 22 und der „überirdischen Dinge(.)" 23 gegen die rationalistischen Philosophiestränge sich überlieferte, einen Stoff, zu dem sein eigenes Denken in Konvergenz steht, den es sich assimiliert. Auf die antiken, mystischen und gnostischen Quellen seiner religiös inspirierten Darstellung von Schaffen und Leben verweist Goethe mit Ausführlichkeit, wobei die eher apokryphen und epigonalen Werke wie „Wellings 'Opus mago-cabbalisticum' " 24 , „die 'Aurea Catena Homeri' " 25 und philosophie- oder religionsgeschichtliche Kompendien wie „Arnolds 'Kirchen- und Ketzergeschichte'" 2 6 als authentische Werke angesehen und ebenso studiert werden wie die primären Quellen „des Theophrastus Paracelsus und Basilius Valentinus; nicht weniger (. . .) Helmont, Starkey
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ib., p. 348 Z u r Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 369 18 Winckelmann, Schriften zur Kunst, H A 12, p. 99 " Dichtung und Wahrheit II, H A 9, p. 341 sq. 20 Maximen und Reflexionen, H A 12, p. 375, Nr. 70 21 Dichtung und Wahrheit II, H A 9, p. 343 22 ib., p. 342 23 ib., p. 343 24 ib., p.341 25 ib., p. 342 26 ib., p. 350 17
Arbeit des Widerspruchs
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und andere" 27 . Da die hier genannten Gelehrten ungeachtet ihrer jeweiligen Bedeutung nur beiläufig Erwähnung finden, überdies unter den 'anderen' wichtige Autoren - wie etwa Plotin oder Agrippa von Nettesheim - sich verbergen, die Goethe zur Zeit seiner esoterischphilosophischen Influenz wohl bekannt waren 28 , gibt er dem Leser seiner Autobiographie ein Indiz mehr an die Hand, daß es ihm nicht um Namen und nicht um die Originalität des Gedankens zu tun ist, sondern um einen Unterstrom des Wissens, an dem er unter der Affiche der „eigene(n) Religion" 29 mit einer Theorie der Produktion teilhat.
2.2 Arbeit des Widerspruchs Die diesbezügliche zentrale Stelle in 'Dichtung und Wahrheit' bedarf zur Interpretation des ausführlichen Zitats: „Ich m o c h t e mir w o h l eine G o t t h e i t vorstellen, die sich von Ewigkeit h e r selbst p r o d u z i e r t ; da sich a b e r P r o d u k t i o n nicht o h n e M a n n i g f a l t i g k e i t d e n k e n läßt, so m u ß t e sie sich n o t w e n d i g sogleich als ein Zweites e r s c h e i n e n , welches wir u n t e r d e m N a m e n des Sohns a n e r k e n n e n ; diese beiden m u ß t e n n u n den A k t des H e r v o r b r i n g e n s f o r t s e t z e n , u n d erschienen sich selbst w i e d e r im D r i t t e n , welches n u n e b e n s o b e s t e h e n d lebendig u n d ewig als das G a n z e w a r . H i e r m i t w a r j e d o c h d e r Kreis d e r G o t t h e i t geschlossen, u n d es w ä r e ihnen selbst nicht möglich gewesen, a b e r m a l s ein ihnen völlig Gleiches h e r v o r z u b r i n g e n . D a j e d o c h d e r P r o d u k t i o n s trieb i m m e r f o r t g i n g , so e r s c h u f e n sie ein Viertes, das aber schon in sich einen W i d e r s p r u c h hegte, indem es, wie sie, u n b e d i n g t u n d d o c h zugleich in ihnen e n t h a l ten u n d d u r c h sie b e g r e n z t sein sollte. Dieses w a r n u n L u z i f e r , welchem von n u n an die g a n z e S c h ö p f u n g s k r a f t ü b e r t r a g e n w a r , u n d von d e m alles übrige Sein ausg e h e n sollte. E r bewies sogleich seine u n e n d l i c h e T ä t i g k e i t , indem er die sämtlichen Engel e r s c h u f , alle wieder nach seinem Gleichnis, u n b e d i n g t , aber in ihm enthalten u n d d u r c h ihn b e g r e n z t . U m g e b e n von einer solchen Glorie vergaß er seines h ö h e r n U r s p r u n g s u n d glaubte ihn in sich selbst zu f i n d e n , u n d aus diesem ersten U n d a n k e n t s p r a n g alles, was uns mit d e m Sinne u n d d e n Absichten d e r G o t t h e i t ü b e r e i n z u s t i m m e n scheint. Je m e h r er sich n u n in sich selbst k o n z e n t r i e r t e , je u n -
27
ib., p. 342 cf. W e r n e r Danckert, Goethe. D e r mythische U r g r u n d seiner Weltschau, Berlin 1951, p. 466: „ U m s Jahr 1770 las Goethe magisch-theosophisch-kabbalistische S c h r i f t e n : Agrippa von N e t t e s h e i m , P e t e r P o i r e t , J e a n de Berniere-Louvigny, T h o mas a Kempis, M a l e b r a n c h e , M o s h e i m s N o t i z ü b e r die gnostischen Abraxas, P l o tin, Welling, Starkey, Basilius Valentinus, die A u r e a C a t e n a H o m e r i , C a m p a n e l l a , G i o r d a n o B r u n o , K i r c h m e y e r , S w e d e n b o r g , wahrscheinlich auch Dippel u n d O e tinger. Seine Kenntnisse von N o s t r a d a m u s , Paracelsus u n d H e l m o n t e n t n a h m er d e r ' U n p a r t h e y i s c h e n K i r c h e n - u n d K e t z e r g e s c h i c h t e ' des G o t t f r i e d A r n o l d (1699/1700)." " D i c h t u n g u n d W a h r h e i t II, H A 9, p. 350 28
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Produktion
w o h l e r mußte es ihm w e r d e n , s o w i e allen den G e i s t e r n , d e n e n er die süße E r h e b u n g zu ihrem U r s p r u n g v e r k ü m m e r t e . U n d s o ereignete sich d a s , was uns unter der F o r m des A b f a l l s der E n g e l bezeichnet wird. Ein Teil derselben k o n z e n t r i e r t e sich mit L u z i f e r , der a n d e r e w e n d e t e sich wieder g e g e n seinen U r s p r u n g . A u s dieser K o n z e n t r a t i o n der g a n z e n S c h ö p f u n g , denn sie w a r von L u z i f e r a u s g e g a n g e n u n d m u ß t e ihm f o l g e n , e n t s p r a n g nun alles d a s , was wir unter der G e s t a l t d e r M a terie g e w a h r werden, w a s wir uns als schwer, fest u n d finster vorstellen, welches a b e r , indem es, wenn a u c h nicht unmittelbar, d o c h d u r c h Filiation v o m göttlichen Wesen h e r s t a m m t , e b e n s o u n b e d i n g t m ä c h t i g u n d ewig ist als der Vater u n d die G r o ß e l t e r n . D a nun d a s g a n z e U n h e i l , w e n n wir es s o nennen d ü r f e n , bloß d u r c h die einseitige R i c h t u n g L u z i f e r s e n t s t a n d ; s o fehlte freilich dieser S c h ö p f u n g die b e s s e r e H ä l f t e : denn alles, w a s d u r c h K o n z e n t r a t i o n g e w o n n e n wird, b e s a ß sie, a b e r es fehlte ihr alles, w a s d u r c h E x p a n s i o n allein bewirkt werden k a n n ; u n d s o hätte die sämtliche S c h ö p f u n g d u r c h i m m e r w ä h r e n d e K o n z e n t r a t i o n sich selbst a u f r e i b e n , sich mit ihrem V a t e r L u z i f e r vernichten u n d alle ihre A n s p r ü c h e an eine gleiche E w i g k e i t mit der G o t t h e i t verlieren k ö n n e n . D i e s e m Z u s t a n d s a h e n die E l o h i m eine Weile zu, u n d sie hatten die Wahl, jene Ä o n e n a b z u w a r t e n , in welchen d a s Feld wieder rein g e w o r d e n u n d ihnen R a u m zu einer neuen S c h ö p f u n g geblieben w ä r e , o d e r o b sie in d a s G e g e n w ä r t i g e eingreifen u n d d e m M a n g e l n a c h ihrer U n e n d l i c h k e i t zu H ü l f e k o m m e n wollten. Sie erwählten nun d a s letztere, u n d supplierten d u r c h ihren bloßen Willen in einem A u g e n b l i c k d e n g a n z e n M a n g e l , den der E r f o l g von L u z i f e r s Beginnen an sich trug. Sie g a b e n d e m unendlichen Sein die F ä h i g k e i t , sich a u s z u d e h n e n , sich g e g e n sie zu b e w e g e n ; d e r eigentliche Puls d e s L e b e n s war w i e d e r hergestellt, u n d L u z i f e r selbst k o n n t e sich dieser E i n w i r k u n g nicht entziehen. D i e s e s ist die E p o c h e , w o d a s j e n i g e hervortrat, w a s wir als Licht kennen, u n d w o d a s j e n i g e b e g a n n , w a s wir mit d e m Worte S c h ö p f u n g zu b e z e i c h n e n p f l e g e n . S o sehr sich nun auch diese d u r c h die i m m e r f o r t w i r k e n d e L e b e n s k r a f t der E l o h i m s t u f e n w e i s e v e r m a n n i g f a l t i g t e ; so fehlte es d o c h noch an einem W e s e n , welches die u r s p r ü n g l i c h e V e r b i n d u n g mit der G o t t h e i t wieder h e r z u stellen geschickt w ä r e , u n d s o w u r d e der M e n s c h h e r v o r g e b r a c h t , der in allem d e r G o t t h e i t ähnlich, ja gleich sein sollte, sich aber freilich d a d u r c h a b e r m a l s in d e m Falle L u z i f e r s b e f a n d , z u g l e i c h u n b e d i n g t u n d b e s c h r ä n k t zu sein, u n d d a dieser W i d e r s p r u c h d u r c h alle K a t e g o r i e n des D a s e i n s sich an ihm manifestieren u n d ein v o l l k o m m e n e s Bewußtsein s o w i e ein e n t s c h i e d e n e r Wille seine Z u s t ä n d e begleiten sollte; s o w a r v o r a u s z u s e h e n , d a ß er zugleich d a s V o l l k o m m e n s t e u n d U n v o l l k o m menste, d a s glücklichste u n d unglücklichste G e s c h ö p f w e r d e n m ü s s e . E s w ä h r t e nicht lange, s o spielte er auch völlig die R o l l e d e s L u z i f e r . D i e A b s o n d e r u n g v o m W o h l t ä t e r ist der eigentliche U n d a n k , u n d s o w a r d jener A b f a l l z u m z w e i t e n m a l eminent, o b g l e i c h die g a n z e S c h ö p f u n g nichts ist u n d nichts w a r , als ein A b f a l l e n und Zurückkehren zum Ursprünglichen. M a n sieht leicht, wie hier die E r l ö s u n g nicht allein v o n E w i g k e i t her b e s c h l o s sen, s o n d e r n als ewig n o t w e n d i g g e d a c h t wird, ja d a ß sie d u r c h die g a n z e Zeit d e s W e r d e n s u n d Seins sich i m m e r wieder erneuern muß. N i c h t s ist in d i e s e m S i n n e natürlicher, als d a ß die G o t t h e i t selbst die G e s t a l t d e s M e n s c h e n a n n i m m t , die sie sich zu einer H ü l l e s c h o n vorbereitet hatte, u n d d a ß sie die S c h i c k s a l e d e s s e l b e n auf k u r z e Zeit teilt, um d u r c h diese V e r ä h n l i c h u n g d a s E r f r e u l i c h e zu e r h ö h e n u n d d a s S c h m e r z l i c h e zu mildern. D i e G e s c h i c h t e aller R e l i g i o n e n und P h i l o s o p h i e n lehrt uns, d a ß diese g r o ß e , den M e n s c h e n unentbehrliche Wahrheit von verschied e n e n N a t i o n e n in verschiedenen Zeiten auf mancherlei Weise, ja in s e l t s a m e n F a beln u n d Bildern der B e s c h r ä n k t h e i t g e m ä ß überliefert w o r d e n ; g e n u g , wenn nur a n e r k a n n t wird, d a ß wir uns in einem Z u s t a n d b e f i n d e n , der, wenn er uns a u c h
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n i e d e r z u z i e h e n u n d zu d r ü c k e n scheint, d e n n o c h G e l e g e n h e i t gibt, ja z u r Pflicht m a c h t , uns zu e r h e b e n u n d die Absichten der G o t t h e i t d a d u r c h zu e r f ü l l e n , d a ß wir, i n d e m wir von d e r einen Seite uns zu verselbstigen genötiget sind, von d e r and e r n in regelmäßigen Pulsen uns zu entselbstigen nicht versäumen." 3 0
G o e t h e endet mit der Frage, die seine N e u f a s s u n g des pansophischen S c h ö p f u n g s m y t h o s erhellt: es ist die nach dem ' Z u s t a n d ' des M e n s c h e n , durch die sich der Verfasser von ' D i c h t u n g und W a h r heit' den vielschichtigen Quellenstoff aus Antike, Mittelalter und vor allem der Renaissance wie die eigenen J u g e n d g e d a n k e n zueignet; sie prägt dem solchermaßen zwiefach historischen Material die Signatur des späten G o e t h e ein. Als die Frage, die mit der vorangegangenen A u f a r b e i t u n g ursprungsmythischer Motive ihren G r u n d freigelegt hat, treibt sie ihre dialektische A n t w o r t hervor, welche das Prinzip produktiven Lebens in der Formel 'verselbsten-entselbstigen' benennt. D a n a c h entspringt dem Dasein, das durch die Oppressionen des Inferioren e r f a h r e n wird, Freiheit; diese dergestalt, d a ß es dem Menschen auferlegt sei, im Lebensprozeß seine Göttlichkeit zu entfalten. Kaum verhüllt läßt G o e t h e als ' G o t t h e i t ' den Menschen sichtbar werden, welcher mit deren 'Absichten' seine eigenen pulsierenden Lebens erfüllt. Die anthropologische Perspektive, die G o e t h e im letzten Abschnitt nach Anhaltspunkten seiner Quellen dem kosmogonischen Kontext integriert, sichtet den als Säkularisat seines 'Schicksals' sich begreifenden Menschen 3 1 - und hier setzt sich die Darstellung von der traditionsgebundenen ab - als Souverän der Geschichte; einer Geschichte, die sich - im Gegensatz zur christologischen A u f f a s s u n g einer auf ihr transzendentes Telos gerichteten Heilsgeschichte - in der I m m a n e n z realisiert, weil ihr nicht ein G o t t zeitlich vor- und hierarchisch ü b e r g e o r d n e t ist, vielmehr dem fleischgewordenen M e n s c h e n die Priorität z u k o m m t . Wie bei B ö h m e ist dieser, statt des von einem D e u s absconditus g e f o r d e r t e n stellvertretenden O p f e r s und Erlösers, der Mensch schlechthin, „Christus, der nicht n u r einmal in Palästina gelebt hat, nicht a u ß e r uns lebt, der wir vielmehr selbst sind." 3 2 Solchermaßen bildet 'die Gestalt des M e n s c h e n ' eine ' H ü l l e ' , d a ß in ihr der K ö r p e r der G o t t h e i t allererst sich manifestiert. Es wird 50 51
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ib., pp. 3 5 1 - 3 5 3 cf. L u d w i g F e u e r b a c h , W e r k e in sechs B ä n d e n , ed. Erich T h i e s , F f m . 1976, Bd. 5, D a s W e s e n des C h r i s t e n t u m s (Leipzig 1841), p. 28 sq. - cf. auch F. N i e t z s c h e , W a r u m ich ein Schicksal bin. Ecce h o m o , Werke, I.e., Bd. II, p. 1153: „Will man eine Formel f ü r ein solches Schicksal, d a s M e n s c h w i r d ? - Sie steht in meinem Zarathustra." E r n s t Bloch, Vorlesungen z u r P h i l o s o p h i e der Renaissance, F f m . 1972, p. 81 sq.
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also der 'Zustand' des Daseins als einer der Existenz Gottes kenntlich. Goethe extrapoliert die menschliche Vorrangstellung aus den mystisch-kabbalistischen Texten, in denen der Modus der Inkarnation als Synthese von Gott und Teufel hervorgeht. 33 Um Leben, das erst im Verselbsten und Entselbstigen sich lebt, hervorzutreiben, bedarf es des negativen Prinzips. Daß hierin der produktive Impetus besteht, belegt Goethe durch die kompilatorische Rekonstruktion seiner vielfältigen Lektüren. Sie nachzuzeichnen soll den gewaltlosen Zusammenhang von Leben und Tod in seinem Denken erhellen. Die negative, schöpferische Produktionskraft hat ein Vorgegebenes, die Trinität als den 'Kreis der Gottheit'; zwar inhäriert auch dieser das Element des Produktiven, doch ist sie in ihrer Ökonomie begrenzt, suisuffizient durch die doppelte Bespiegelung des Ersten im Zweiten, und dieser beiden im Dritten. Durch seine 'Geschlossenheit' heischt das homogene System des 'Ganzen' und 'Gleichen' reine Positivität und Ewigkeit. Aber - hier macht Goethe die Wendung der Renaissance-Mystik gegen die spätantiken Emanationslehren stark - das System führt aufgrund der es bedingenden und tragenden Kraft der 'Produktion' sich selbst in den Widerspruch: genötigt, Heterogenes aus sich zu entlassen, sprengt es durch den immanenten 'Produktionstrieb' sich selbst. Die über es hinausschießende Produktionskraft wird in ihrer Widersprüchlichkeit mit negativem Vorzeichen versehen. Das heißt, daß ihr Träger Luzifer in seiner 'unendlichen Tätigkeit' nicht allein das Vorgegebene, das ihn hervorbrachte, im Vergessen des 'Ursprungs' negiert, sondern daß die ihm unterstellte produktive Kraft überhaupt negative Arbeit ist. Als seine Vervielfältigung spiegelt das Produkt den Produzenten in seiner Widersprüchlichkeit von Unbedingtheit und Begrenztheit, ist von daher wieder negativ bestimmt. In diesem Sinne ist die 'Schöpfung' 'Konzentration': ihr immanent ist es, gegen unendlich 'sich selbst aufreiben', 'vernichten' zu müs"
cf. Lucien G o l d m a n n , D e r verborgene G o t t . Studie über die tragische Weltanschauung in den Pensées Pascals und im T h e a t e r Racines, N e u w i e d / D a r m s t a d t 1973, p. 21: „ H a u p t g e g e n s t a n d eines jeden philosophischen D e n k e n s ist der M e n s c h , sein Bewußtsein und sein Verhalten. J e d e Philosophie ist letztlich eine Ant h r o p o l o g i e . " - cf. J e a n - F r a n ç o i s Lyotard, Intensitäten, Berlin o . J . , p. 39: „ D a s Diabolische ist ein Zeugnis f ü r den Weiterbestand von Stärke oder extremer K r ä f t e an der Grenze einer Welt, die für sie keinen Platz mehr hat." „In der Moderne können große Inspirationen nur diabolisch sein: Gott ist nicht länger Herr der Begeisterung." (ib.)
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sen. So bringt zwar die negative Produktion 'Mannigfaltigkeit' in die 'Gestalt der Materie' ein; aber das materielle Sein trägt das Signum des 'Mangels', das das der göttlichen Trinität ist: als ihr eigenes Fehlen existiert die Gottheit in der Schöpfung; also ist sie der das Sein stigmatisierende Mangel. Solches Stigma wird 'unter der Form des Abfalls' betrachtet: was die göttliche Produktion überschreitet, 'die sämtliche Schöpfung (. . .) mit ihrem Vater Luzifer', wird nicht nur als ihr Verlust, als Minus in Rechnung gestellt; das der geschlossenen Ordnung heterogene Element hat vielmehr den Charakter des Exkrements Gottes. Durch die Aktualisierung des aus der Renaissance sich herschreibenden Materials in seiner Jugendbiographie nimmt Goethe die „Depotenzierung des Teufels" in der Neuzeit, die mit dem Schwinden seiner Funktion als „Alibi" 34 zu verzeichnen ist, zurück, indem er ihm eine neue Macht verleiht: die des Verlusts. Aufgrund seiner 'Filiation vom göttlichen Wesen' nämlich kann ihm dessen Qualität nicht abgesprochen werden: das ausgeschiedene Negative hat 'ebenso unbedingt mächtig und ewig' Bestand wie der in sich geschlossene Kreis des Ersten. Von daher ist auch seine produktive Konzentration als unendliche zu denken, so daß die 'Ansprüche an eine gleiche Ewigkeit mit der Gottheit' nicht eher verlöschen würden, als diese selbst. Wenn also die negative Kraft nur mit Gott und Ewigkeit vergehen könnte - eine contradictio in adiecto - , ist die 'Wahl', vor der die 'Elohim' stehen: den durch sie erzeugten Mangel der Materie zu kompensieren oder in Hinblick auf eine neue Schöpfung ihre Aufzehrung abzuwarten, eine Scheinalternative. Korrelativ ihrer Negation prädiziert das Negat Gottheit, als solches Leerstelle in der Schöpfung, diese im Begehren 'nach ihrer Unendlichkeit'. Als Objekt des Verlangens der Materie muß sie sich in deren Bewegung um der eigenen Ewigkeit willen einlassen. Durch das Wechselverhältnis von luziferischer Konzentration und göttlicher Ausdehnung stellt sich der 'Puls des Lebens' her, dem Wortlaut des Textes nach: 'wieder', dem Zusammenhang seiner Ausführungen zufolge jedoch das erste Mal. Denn erst der negative Produktionsprozeß Luzifers lieferte das Material des 'unendlichen Seins', das 'Lebenskraft' fordert. Im Negativen also und dessen Abfall von der Gottheit hat die. durch Leben ausgezeichnete 'Schöpfung' ihren Ursprung; entsprechend Blochs Böhme-Interpretation:
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O d o M a r q u a r d t , Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie, Ffm. 1973, p. 184, Anm. 30
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Produktion „Teufel und Gott werden als Identität der Gegensätze erklärt; denn der Teufel erst treibt Gott auf den dialektisch-prekären Weltweg. Es müssen zusammen sein die Enge und die Weite, das Saure und das Süße, der Schreck und das Licht, so hat das Erscheinungssein der Welt selber die Negation an der Wiege. (. . .) Das zur Erscheinung Treibende ist zehrender Eigenwille, Schiedlichkeit, Anderheit, Selbständigkeit, Zusammengehendes, Koagulierendes. Daraus folgt die Böhmesche objektive Dialektik dergestalt, daß, wie Böhme sagt, 'überall eins gegen das andere ist, nicht daß sich's feinde, sondern damit es dasselbe bewege und offenbare.' Aber nun bohrt das Insichgehende, gerade dieses, das Nein in allem tiefer aus: Der Urgrund der Welt hat den Ungrund oder das Negative selbst in sich" 3 5 .
Ihre Erscheinung als materielle im Medium des 'Lichts' verdankt sie dem luziferischen Ursprungsmythos nach in erster Linie dem „Sohn der Morgenröte" 3 6 , dem gefallenen Lichtträger 3 7 , der das Licht in der 'finsteren' Materie sammelt, und nur bedingt der 'Einwirkung' Gottes, die ihrer bedarf. Das Negative hat also in bezug auf die Schöpfung essentiellen Vorrang vor dem Ersten, dem Ursprung. 3 8 Doch obgleich die negative Kraft ihr positives Supplement zu entbinden und dadurch den Impuls lebendiger Bewegung hervorzubringen vermag, 'fehlte es doch an einem Wesen' der Vermittlung. Denn sowohl Luzifer als Initiator der Konzentration der Materie, wie sein Pendant, die Gottheit als notwendige Willensinstanz ihrer 'Expansion', stehen außerhalb des von ihnen eingesetzten Bewegungsprozesses und sind im Sinne des Austauschs beider Wirkungen selbst nicht lebensfähig. Die Schöpfung als Effekt ihres beiderseitigen Einflusses trägt Leben nur als Potentialität in sich. Dem erforderten Wesen aber sollen Kontraktion und Expansion als die Elemente des Lebens einbeschrieben sein. Unvermeidlich muß nach der Logik der Darstellung auch ihm, das wie Luzifer die Gottheit überschreitet, der 'Widerspruch' von Unbedingtheit und Begrenztheit inhärieren; insofern er aber 'durch alle Kategorien des Daseins sich an ihm manifestieren' soll, gerät er zum Zustand menschlichen Leidens. Den macht der junge Hegel aus als den „immer sich vergrößernde(n) Widerspruch zwischen dem Unbekannten, das die Menschen bewußtlos suchen, und dem Leben, das ihnen angeboten und erlaubt wird und das sie zu dem ihrigen machten, die Sehnsucht derer nach Leben, welche die Natur zur Idee in sich hervorgearbeitet haben": „Der Stand des Menschen, den die Zeit in eine innere Welt vertrieben hat, kann entweder, wenn er sich in dieser erhalten will, nur ein
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Ernst Bloch, Gesamtausgabe Bd. 12, Zwischenwelten in der Philosophiegeschichte. Aus Leipziger Vorlesungen, Ffm. 1977, p. 235 Georgius von Welling, Opus mago-cabbalisticum, Ffm. 1760, p. 101 cf. Jesaja 14,12 cf. Maximen und Reflexionen, HA 12, p. 491, Nr. 892
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immerwährender T o d oder, wenn die Natur ihn zum Leben treibt, nur ein Bestreben sein, das Negative der bestehenden Welt aufzuheben, um sich in ihr finden und genießen, um leben zu können. Sein Leiden ist mit Bewußtsein der Schranken verbunden, wegen derer es das Leben, so wie es ihm erlaubt wäre, verschmäht, er will sein Leiden" 5 '.
Als Zerrissenheit trägt das 'glücklichste und unglücklichste Geschöpf' die Antinomie seines Lebens aus und entäußert darin sein produktives V e r m ö g e n . Innerhalb des lebendigen B e w e g u n g s p r o z e s ses steht d a s Individuum hinsichtlich seiner Zwiespältigkeit in der ' R o l l e des L u z i f e r ' , verwirklicht ihn somit im 'Sein' selbst. 4 0 D a m i t ist f ü r d a s menschliche Wesen 'jener Abfall z u m zweitenmal' u n u m gänglich g e w o r d e n : die g e g e n ü b e r dem ruhenden System p r o d u k t i v e V e r s e l b s t ä n d i g u n g . D u r c h diesen B r u c h k o m m t - weil die T ä t i g k e i t des M e n s c h e n im G e g e n s a t z zu der L u z i f e r s reflexiv ist, ihn selbst einbezieht - der T o d allererst in die S c h ö p f u n g . D e n n L u z i f e r , der als negative K r a f t ihn vorzeichnet, b e f i n d e t sich d o c h e b e n s o in einem Ausschließungsverhältnis zu ihm wie die ewige Trinität; durch den M e n s c h e n aber werden die Energien von „ S y s t o l e und D i a s t o l e , E i n a t m e n und A u s a t m e n " 4 1 zu den die S c h ö p f u n g belebenden Exis t e n z m o d i des L e b e n s und des T o d e s . S o eignet er sich diese auch im 'Abfallen und Z u r ü c k k e h r e n ' , also durch seinen Lebenspuls zu; er ist es mithin, der sich ihr als d a s ' U r sprüngliche' immer wieder einschreibt. I n d e m sich der U r s p r u n g s mythos erst im L e b e n s z u s a m m e n h a n g erfüllt, holt dessen I m m a n e n z ihn ein. 4 2 D a n a c h ist S c h ö p f u n g - antiklassisch - nicht Werk, s o n d e r n Leben. „ G r u n d e i g e n s c h a f t der lebendigen Einheit: sich zu trennen, sich zu vereinen, sich ins Allgemeine zu ergehen, im Besondern zu erharren, sich zu verwandeln, sich zu spezifizieren und, wie das Lebendige unter tausend Bedingungen sich dartun mag, hervorzutreten und zu verschwinden, zu solideszieren und zu schmelzen, zu erstarren und zu fließen, sich auszudehnen und sich zusammenzuziehen. Weil nun alle diese Wirkungen im gleichen Zeitmoment zugleich vorgehen, so kann alles
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Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Die Verfassung Deutschlands. Erste Entwürfe einer Einleitung zur Verfassungsschrift, Werke, I.e., Bd. 1, Frühe Schriften, Ffm. 1971, p. 457
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cf. H a n s Peter Duerr, der seine 'Anarchischen Bemerkungen zur Bewußtseins- und Erkenntnistheorie' unter den bezeichnenden Titel 'Ni Dieu - ni mètre' stellt, Ffm. 1974, p. 18: „ D e r Teufel ist und bleibt der Widersacher Gottes. Also leben wir m i t dem Teufel - wir verdanken ihm ja unsere E x i s t e n z ! " M a x i m e n und Reflexionen, H A 12, p. 436, N r . 520 cf. Wiederfinden, West-östlicher Divan, H A 2, p. 84, V . 39 sq. cf. Friedrich Wilh e l m j o s e p h Schelling, Philosophie der O f f e n b a r u n g 1 8 4 1 / 4 2 , ed. M a n f r e d Frank, F f m . 1977, p. 260 sq.
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Produktion und jedes zu gleicher Zeit eintreten. Entstehen und Vergehen, Schaffen und Vernichten, Geburt und Tod, Freud und Leid, alles wirkt durcheinander, in gleichem Sinn und gleicher Maße"43.
Erkenntnis der Natur, ein Hauptstück neuzeitlicher Wissenschaft, ersetzt Goethe im Rückgriff auf die naturphilosophisch-neoplatonistischen Quellen durch ihre Produktion. Sie macht die erscheinende Welt, für die nach zeitgenössischer philosophischer Interpretation der transzendentale Mangel als Entsprechungsfigur des Mangels der Transzendenz konstitutiv ist, der Praxis zugänglich. Der Mensch, der in einem produktiven Verhältnis zur Natur steht, ist eo ipso ihr Schöpfer. Die so gedachte Entäußerung von Natur hebt sich vom Theorem der Naturbeherrschung durchaus ab; diese resultiert aus einer Erkenntnisleistung, von der sich Goethes Produktionsmodell gerade befreit. Lebendige Tätigkeit als 'Absonderung' vom höchsten Prinzip und gleichwohl Streben zu ihm hin, als Zersetzung und Rekonstruktion, behauptet die Überlegenheit des Menschen über die Gottheit. Durch seine Produktion steht er für sie, die in seiner Welt als Mangel existiert, ein, nur in der 'Gestalt des Menschen' sie selbst. Allein durch 'Verähnlichung', durch ihre Menschwerdung, hat sie teil an der durch Leben ausgezeichneten Schöpfung. Die „ T a t " 4 4 des Menschen, die den göttlichen Mangel von der negativen Arbeit Luzifers ererbt hat, hebt ihn dadurch auf, daß sie ihre eigene 'Erlösung' 'als ewig notwendig' impliziert. Dem liegt der spezifisch kabbalistische Gedanke zugrunde, „daß es Taten gibt, die gleichsam die Erlösung beibringen helfen, die ihr sozusagen Geburtshilfe leisten." 45 Die Priorität des Schöpfungsverhältnisses, wie sie Goethe zu Anfang seiner Darstellung überliefert, kehrt sich damit um: der Mensch wird nicht mehr als Erschaffener gedacht, sondern als Schaffender; Gott dagegen nicht mehr als Schöpfer-Gott, sondern als Produkt menschlichen Lebens. Denn Kriterium von dessen Erlösung, die in der Sohnschaft Gottes vorgestellt wird, ist die Erfahrung einer 'Zeit des Werdens und Seins' durch den Menschen. Im göttlichen Menschen, den die fiktive Schöpfungsgeschichte abschließend inauguriert, setzt Goethe noch einmal die christliche Auferstehungsfigur ins Recht, insofern er ihr Wesentliches: daß Leben erst durch den Tod sei, dem menschlichen Körper aufprägt. Dabei subvertiert die Negativität des durch ihn gegebenen Todes den Man45 44 45
Maximen und Reflexionen, HA 12, p. 367, Nr. 21 Faust I, HA 3, p. 44, V. 1237 Gershom Scholem, Judaica, Ffm. 1963, p. 26
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gel Gottes im Sein, indem sie als K r a f t die Inkarnation nicht einmalig, sondern 'immer wieder erneuer(t)' exponiert. 2.3 Prometheisches Ethos Den H e r o s der produktiven Subversion stellt aber erst das fünfzehnte Buch von 'Dichtung und Wahrheit' in der „mythologische(n) Figur des Prometheus" 4 6 vor. Insofern eingangs dieses Kapitels wieder die „religiösen Betrachtungen" des jungen Goethe thematisiert, der Einfluß der „Freundin von Klettenberg" 4 7 und das Verhältnis zu pietistischen Glaubenslehren erneut diskutiert werden, auch die Figur des „Schuster(s)" und der sakralisierende Blick in der Goetheschen „Fabel" von "Ahasverus" 4 8 nochmaliger Gestaltung unterliegen, besteht eine Korrespondenz zwischen dem achten und dem fünfzehnten Buch: letzteres zeigt gegenüber jenem den jungen Goethe in seinen Uberzeugungen bewußter und entschiedener. Insbesondere die Stellungnahme hinsichtlich religiöser Fragen hat sich vom Spiel mit enigmatischen Texten zur kritischen Auseinandersetzung dem aktuellen Pietismus gegenüber geklärt; an dem von der 'Brüdergemeine' propagierten Gnadendogma erläutert Goethe sein abwägendes Urteil: „Was mich nämlich von der Brüdergemeine so wie von andern werten Christenseelen absonderte, war dasselbige, worüber die Kirche schon mehr als einmal in Spaltung geraten war. Ein Teil behauptete, daß die menschliche N a t u r durch den Sündenfall dergestalt verdorben sei, daß auch bis in ihren innersten Kern nicht d a s mindeste Gute an ihr zu finden, deshalb der Mensch auf seine eignen K r ä f t e durchaus Verzicht zu tun, und alles von der G n a d e und ihrer Einwirkung zu erwarten habe. D e r andere Teil gab zwar die erblichen M ä n g e l der Menschen sehr gern zu, wollte aber der N a t u r inwendig noch einen gewissen Keim zugestehn, welcher durch göttliche G n a d e belebt, zu einem frohen Baume geistiger Glückseligkeit emporwachsen k ö n n e . " 4 '
Aus den Darlegungen des Autobiographen spricht noch die „Uberzeugung" 5 0 , mit der er sich zu diesem „Baum des Lebensprozesses oder Baumprozeß des Lebens" 5 1 bekennt, gleichwohl seine „höchst unschuldige Meinung" als „der wahre Pelagianismus" bei den " "
Dichtung und Wahrheit III, H A 10, p. 48 ib., p. 41 48 ib., p. 45 4 ' ib., p. 4 3 s q . 50 ib., p. 44 51 E. Bloch, Vorlesungen zur Philosophie der Renaissance, 1. c., p. 82
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Produktion
frömmlerischen Herrnhutern in Mißkredit steht. Gegen die den Menschen zur Ohnmacht verurteilende Erbsündenlehre streitet Goethe wieder einmal auf Seiten des Ketzers, nimmt teil an den „Schicksale(n) des Pelagius" 52 gegen die kirchliche Orthodoxie, f ü r die - ungenannt - Augustinus steht. Unbefangen konzediert der alte Goethe dem jungen, daß er in Glaubensfragen nicht weniger eklektisch verfahren sei als bei jenem Schöpfungsmythos des achten Buchs: „so bildete ich mir ein Christentum zu meinem Privatgebrauch, und suchte dieses durch fleißiges Studium der Geschichte, und durch genaue Bemerkung derjenigen, die sich zu meinem Sinne hingeneigt hatten, zu begründen und aufzubauen." 55
Nichts weniger als Willkür bedingt das häretische Verhalten, vielmehr die Erfahrung „eigner Kraft"; durch sie erhalten die subjektiv und objektiv verfügbaren Potentiale vor der transzendenten Macht der Gnade die Präeminenz von Offenbarung: „Nach allen Seiten war ich an die Natur gewiesen, sie war mir in ihrer Herrlichkeit erschienen" 54 . Im Bewußtsein solcher Naturkräfte, die Goethe am eigenen „produktive(n) Talent" abliest, kann er die göttliche Partizipation an der menschlichen Existenz noch einmal als Mangel ausmachen: „so ist doch immer das Final, daß der Mensch auf sich zurückgewiesen wird, und es scheint, es habe sogar die Gottheit sich so zu dem Menschen gestellt, daß sie dessen Ehrfurcht, Zutrauen und Liebe nicht immer, wenigstens nicht grade im dringenden Augenblick, erwidern kann. Ich hatte jung genug gar oft erfahren, daß in den hülfsbedürftigsten Momenten uns zugerufen wird: 'Arzt, hilf dir selber!', und wie oft hatte ich nicht schmerzlich aufseufzen müssen: 'Ich trete die Kelter allein.'""
Gewiß ist der ironische Unterton des Rückblickenden unüberhörbar; gefällt es ihm doch, den elitären Gestus, in dem er sich in seiner „Einsamkeit" stilisiert, wieder zu persiflieren. Schöpferische Produktion isoliert, vereinzelt; die Einsamkeit wächst ihr aber als Energie zu. Dadurch verleiht sie dem Produzenten einen besonderen Status der Unabhängigkeit: „Wie ich nun über diese Naturgabe nachdachte und fand, daß sie mir ganz eigen angehöre und durch nichts Fremdes weder begünstigt noch gehindert werden könne, so mochte ich gern hierauf mein ganzes Dasein in Gedanken gründen. Diese Vorstellung verwandelte sich in ein Bild, die alte mythologische Figur des
" D i c h t u n g u n d Wahrheit III, H A 10, p. 44 " ib., p. 45 54 ib., p. 44 55 ib., p. 47
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Prometheus fiel mir auf, der, abgesondert von den Göttern, von seiner Werkstätte aus die Welt bevölkerte." 5 6
Ein neues 'Bild' produktiver K r a f t stellt sich Goethe mit der Erfahrung des eigenen Vermögens ein: wenn Luzifer nur den einen Pol der eigenen Schöpfung bildet, die zu ihrer Belebung des anderen bedarf, und allein das christusähnliche Wesen als Synthese beider den schöpferischen Titan präfiguriert, so erwirbt sich Prometheus, in dem der Goethe der Geniezeit sich spiegelt, durch seine Produktion dieser einen autonomen Ort. Darin sieht Goethe den Vorzug der „griechische(n) Mythologie" 5 7 vor der christlichen Morallehre und ihren Variationen: hier bleibt Produktion immer der Abfall, den sie Sünde nennt; jene aber hat - nach der Unterscheidung Nietzsches in der Tat des Titanen „die erhabene Ansicht von der a k t i v e n S ü n d e als der eigentlich prometheischen Tugend". „Frevel" 5 8 , nicht Sünde, heißt die bewußte Übertretung göttlichen Willens. D e m Prometheus-Mythos nach ist sie genau auf das Element Luzifers gerichtet, das Feuer 5 9 ; daß die prometheische Tat eben diesem, durch das die höchste Gottheit ihre „Macht" 6 0 bezieht, sich abgewinnt, befreit den Helden - sei es der Sage entsprechend auch nur ephemer 6 1 - aus der H a n d des bloß aufgrund eines genealogischen Verhältnisses Überlegenen: „ D e r Mensch, ins Titanische sich steigernd, e r k ä m p f t sich selbst seine Kultur und zwingt die Götter, sich mit ihm zu verbinden, weil er in seiner selbsteigenen Weisheit die Existenz und die Schranken derselben in seiner H a n d hat." 6 2
Während also der „Teufel", die „Folie des Monotheismus", als Signifikat des großen Signifikanten: des „einzige(n) Gott(es)", „immer in dem Nachteil der Subalternität" steht, zeichnet sich auf der „Folie des Polytheismus" die Götterdämmerung schon ab: der Titan emanzipiert sich „als Abkömmling der ältesten Dynastie" von dieser, um
' ib., p. 48 ib., p. 49 48 Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, Werke, I.e., Bd. I, p. 59 " cf. Mechthild Curtius, T h e o r i a in nuce, in: Seminar: Theorien der künstlerischen Produktivität. Entwürfe mit Beiträgen aus Literaturwissenschaft, Psychoanalyse und M a r x i s m u s , ed. Mechthild Curtius, F f m . 1976, p. 39 6 0 Prometheus, Dramatisches Fragment, H A 4, p. 179, V . 134 61 eine Fortsetzung des D r a m a s hätte den Sturz des Prometheus herbeiführen müssen (cf. Erich Trunz, Anmerkungen des H e r a u s g e b e r s zu 'Prometheus' H A 4, p. 527) 6 2 F. Nietzsche, D i e Geburt der T r a g ö d i e aus dem Geiste der M u s i k . Werke, I.e., Bd. I, p. 57 s
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Produktion
„zum Trutz höherer Wesen, zu schaffen und zu bilden" 63 , aus eigener Kraft zum Stifter einer „dritte(n) Dynastie" 64 und deren Kultur sich zu erheben, damit aber selbst die Stelle des „Vater(s)" 65 einzunehmen. In diesem Sinn, der den des Prometheus als einer „Mittelfigur" 66 zwischen Menschen und Göttern sprengt, gedenkt 'Dichtung und Wahrheit' des frühen Prometheus-Fragments 6 7 , welches, wie Goethe andeutet, durch das ohne Wissen des Autors 1785 veröffentlichte Gedicht desselben Titels 68 , f ü r die philosophische Diskussion von gravierenden Folgen war. 69 Das Frühwerk betont in der Figur des Prometheus die der Selbstsetzung; sie bricht die natürliche Filiation ab: „Was Vater! Mutter!/ Weißt du, woher du kommst?" 70 , um ihren Anspruch auf Absolutheit zu erklären: „Wir alle sind ewig! - / Meines Anfangs erinnr ich mich nicht,/ Zu enden hab ich keinen Beruf/ Und seh das Ende nicht./ So bin ich ewig, denn ich bin! ~" 71 Damit gewinnt er eben den Status, der dem Toblerschen Naturhymnus 7 2 nach exemplarisch f ü r die Natur gilt, den der Produktivität: „Hier meine Welt, mein All!/ Hier fühl ich mich;/ Hier alle meine Wünsche/ In körperlichen Gestalten./ Meinen Geist so tausendfach/ Geteilt und ganz in meinen Kindern." 73 Wie die Natur stellt sich Prometheus als der primordiale Erzeuger dar; wie sie zeigt er sich von Kindern umgeben, nach deren Mutter vergeblich gefragt wird; denn ihr gleich produziert er sie als Kunstwerke. 74 Nicht nur als Exponent der schaffenden Natur tritt der Uberwin63
Dichtung und Wahrheit III, HA 10, p. 49 ib., p. 48 " Prometheus, HA 4, p. 183, V. 269 66 Dichtung und Wahrheit III, HA 10, p. 49; vielmehr „hatten die jetzt regierenden Götter sich zu beschweren völlig Ursache, weil man sie als unrechtmäßig zwischen die Titanen und Menschen eingeschobene Wesen betrachten konnte." (ib., p. 48) 67 cf. Prometheus, HA 4, pp. 176-187; das Fragment entstand im Spätsommer 1773, wurde aber von Goethe erst 1830 in der Ausgabe letzter Hand publiziert. 68 cf. Prometheus, HA 1, pp. 44-46 69 cf. Hermann Timm, Gott und die Freiheit. Studien zur Religionsgeschichte der Goethezeit, Bd. 1, Die Spinozarenaissance, Ffm. 1974, pp. 275-339 - cf. auch H. A. Korff, Geist der Goethezeit, I.e., pp. 21-38 - cf. ebenfalls Günther Müller, Geschichte der deutschen Seele. Vom Faustbuch zu Goethes Faust, 3. Aufl., Darmstadt 1967, p. 296 sq. 70 Prometheus, HA 4, p. 176, V. 8 sq. 71 ib., p. 180, W . 161-165 72 cf. Die Natur. Fragment, HA 13, pp. 45-47 73 Prometheus, HA 4, p. 178, W . 90-95 74 cf. Die Natur, HA 13, p. 45: „Sie (sc. die Natur) lebt in lauter Kindern, und die Mutter, wo ist sie? - Sie ist die einzige Künstlerin." M
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der der Gottheit auf, sondern gleichzeitig als ihre Explikation in der 'Produktion des Kunstwerkes'; Goethes Abhandlung über Winckelmann führt aus: „denn indem der Mensch auf den Gipfel der Natur gestellt ist, so sieht er sich wieder als eine ganze Natur an, die in sich abermals einen Gipfel hervorzubringen hat. Dazu steigert er sich, indem er sich (. . .) bis zur Produktion des Kunstwerkes erhebt, das neben seinen übrigen Taten und Werken einen glänzenden Platz einnimmt. Ist es einmal hervorgebracht, steht es in seiner idealen Wirklichkeit vor der Welt, so bringt es eine dauernde Wirkung, es bringt die höchste hervor: denn indem es aus den gesamten Kräften sich geistig entwickelt, so nimmt es alles Herrliche, Verehrungs- und Liebenswürdige in sich auf und erhebt, indem es die menschliche Gestalt beseelt, den Menschen über sich selbst, schließt seinen Lebens- und Tatenkreis ab und vergöttert ihn f ü r die Gegenwart, in der das Vergangene und Künftige begriffen ist. (. . .) Der Gott war zum Menschen geworden, um den Menschen zum Gott zu erheben."' 5
Die klassische Kunstkonzeption Goethes holt den Titanen durchs nomen acti in den menschlichen Wirkungsbereich ein. Im Kunstwerk erschafft der Mensch als das Maximum der Natur den Gott, in dem er sich selbst erkennt; er bringt in ihm - wie Prometheus - sich selbst als Gott zur Welt. Das heißt mit seiner Vollendung entzündet das Kunstwerk die Kraft der Metamorphose von Geburt und Wiedergeburt, von Zeugung und Gezeugtwerden; seine Göttlichkeit hat es daran, die Form zu befreien und im orgiastischen „Augenblick" 76 , der 'das Vergangene und Künftige' im Gegenwärtigen verschmilzt, sich zu realisieren. Über diesen „Augenblick, der alles erfüllt"77, gibt Prometheus der Tochter Pandora, die seine Kunst sich erschuf, Auskunft. Sie wurde, gleich den anderen „Wünsche" 78 und „Geist" 79 vervielfachenden Statuen der narzißtischen Selbstbespiegelung des Prometheus, in dessen Quasi-Inzest mit seiner Schwester Minerva belebt. Da Pandora, die Zeugin eines Geschlechtsakts wurde, den „Vater"80 um Aufklärung bittet, spricht dieser, den Orgasmus beschreibend, vom Tod: „Da ist ein Augenblick, der alles erfüllt,/ Alles, was wir gesehnt, geträumt, geh o f f t , / Gefürchtet, meine Beste, - das ist der Tod!/ (. . .)/ Wenn aus dem innerst tiefsten G r u n d e / Du ganz erschüttert alles fühlst,/ Was Freud und Schmerzen jemals dir ergossen,/ Im Sturm dein H e r z erschwillt,/ In Tränen sich erleichtern will 75
Winckelmann, HA 12, p. 103 ib. 77 Prometheus, HA 4, p. 187, V. 391 - Interpretationsfiguren zu Goethes 'Prometheus' verdanke ich Reinhart Meyer-Kalkus ' 8 ib., p. 178, V. 92 " ib., V. 94 80 ib., p. 185, V. 319 76
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Produktion und seine Glut vermehrt,/ U n d alles klingt an dir und bebt und zittert,/ U n d all die Sinne dir vergehn,/ U n d du dir zu vergehen scheinst/ U n d sinkst, und alles um dich her/ Versinkt in Nacht, und du, in inner eigenem G e f ü h l e , / Umfassest eine W e l t : / D a n n stirbt der M e n s c h . " "
Sterben heißt demnach das Erleben der extremen Gefühle von Schmerz und Lust im Augenblick ihrer höchsten Steigerung, da sie ununterscheidbar werden; in ihm vermählt sich der Tod dem Eros. Solche Verschlingung im ekstatischen Augenblick läßt das Kunstgeschöpf Pandora, über das der Vater Lust als Tod bezeichnend die Macht der Namengebung ausübt, die „Namenlose(n) Gefühle" 8 2 als Liebe evident, aber als Sterben namhaft w c den. So erweist sich die prometheische Aufklärung als Rede der Verführung, auf die die Tochter mit dem Inzestwunsch reagiert: „O, Vater, laß uns sterben!" 83 Bewußt erotisiert Prometheus das Verhältnis zwischen Vater und Tochter, um deren Begehren zu ihm zu wecken, nicht aber, es zu erfüllen. Wenn seine Replik auf den Wunsch der Liebesvereinigung lautet: „Noch nicht" 84 , so wird Erfüllung auf einen unbestimmten Zeitpunkt der Z u k u n f t versprochen. Das Verlangen des Künstlertitanen - die Reflexion dessen des Pygmalion - geht nicht auf den Inzest mit der Tochter, sondern darauf, daß sie ihn wünscht. Die belebten Statuen seiner formenden Hand dienen ihm als Gestalten des erotischen Selbstbezugs, an denen er seine Lust erfindet und erfüllt, so daß der Wunsch Pandoras als die sublimste Form der Selbstliebe sich erweist. Keine Andersheit des Anderen kennt die prometheische Lust; sie trifft stets nur auf die Produkte eines narzißtischen Begehrens, dessen Spiegelungen. Deshalb muß die Anrede an das persönliche 'du' in die reflexive Rede auf 'den Menschen' übergehen. Die Akte des Selbstgenusses erzeugen sich allein 'aus dem innerst tiefsten Grunde', werden allein 'in inner eigenem Gefühle' erlebt. Sterben als ein rein selbstbezüglicher Akt wird zum Gegenstand einer Wunschphantasie, die erotische Erfüllung in der Preisgabe an die mütterliche Allnatur imaginiert; wie denn Pandora, die Adressatin der narzißtischen Liebeswerbung, in der Begehrensstruktur des Prometheus nichts weniger als Objekt des Verlangens, den Körper der Natur annimmt: sie ist: „Heiliges Gefäß der Gaben alle,/ Die ergötzlich s i n d / Unter dem weiten H i m m e l , / Auf der unendlichen E r d e , / Alles, was mich je erquickt von W o n n e g e f ü h l , /
81 82 85 84
ib., ib., ib., ib.,
p. p. p. V.
187, W . 3 9 1 - 4 0 5 185 187, V. 405 408
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Was in des Schattens K ü h l e / M i r Labsal e r g o s s e n , / D e r S o n n e Liebe jemals F r ü h l i n g s w o n n e , / Des M e e r e s laue W e l l e / J e m a l s Zärtlichkeit an meinen Busen angeschmiegt,/ U n d was ich je für reinen Himmelsglanz/ U n d Seelenruhgenuß geschmeckt - / Das all all — Meine Pandora!" 8 5
Die Tochter seiner Lust gewährt Prometheus das Erleben, das „Vater" und "Mutter" 8 6 , die er in den „Göttern" 8 7 , den „Unendlichen" 88 hat, ihm nicht verstatten konnten; an diese geht die Frage des „Rebellen" 8 ': „ U n e n d l i c h ? - Allmächtig? - / Was k ö n n t i h r ? / K ö n n t ihr d e n weiten R a u m / D e s H i m m e l s u n d der E r d e / M i r ballen in meine F a u s t ? / V e r m ö g t ihr mich zu scheid e n / Von mir selbst?/ V e r m ö g t ihr mich a u s z u d e h n e n , / Zu E r w e i t e r n zu einer Welt?"'0
H ö h e r als die „Macht" 9 1 des „Vater(s) Zeus" 92 , des Ersten der Götter, achtet Prometheus die des „Schicksal(s)" 93 , das nicht jener, sondern die „allmächtige Zeit" 94 bestimmt; durch sie „zum Manne geschmiedet" 95 , verschafft er sich selbst den „Unersetzliche(n) Augenblick" 96 , der mit Vergangenem und Künftigem die Ewigkeit einholt, aus eigener Kraft und Kunst. Konzentration des 'Raums' in seinen Körper, dessen 'Ausdehnung' zu einer 'Welt', Systole und Diastole als produktive Kräfte des Lebens, das ist es, was er von den Göttern vergebens verlangt, was ihn daher zu der für sie hybriden Selbstsetzung bewegt. Den Akt von Verselbstung und Entselbstigung, der in dem einen erfüllten Augenblick Leben, Zeugung, Tod und Wiedergeburt vergönnt, erlangt er allein durch den Prozeß der Entfaltung im „Kreis, den (s)eine Wirksamkeit erfüllt" 97 . Durchs Werk hindurch begreift Prometheus den Tod als ein Moment der Metamorphose des Selbst. So bleibt er seinem Geschöpf auch die Antwort auf die letzte Frage: „Und nach dem Tod?" 98 , nicht schuldig: 85 86 87 88 89
ib., ib., ib., ib., ib.,
V. 180 sq., VV. 174-186
p. 176, V. 8 p. 177, V. 31 V. 32
p. ib., p. 91 ib., p. 92 ib., p. " ib., p. ,4 ib., p. ,0
181, V. 209 177, W . 35-43 179, V. 134
176, V. 6 177, V. 44 176, V. 29 " i b . , V . 28 " ib., p. 177, V. 48 97 ib., p. 178, V. 77
98
ib., p. 187,V. 409
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Produktion „Wenn alles - Begier und Freud und Schmerz - / Im stürmenden Genuß sich a u f g e löst,/ D a n n sich erquickt in Wonnenschlaf, - / D a n n lebst du auf, aufs jüngste wieder a u f , / A u f s neue zu fürchten, zu h o f f e n und zu b e g e h r e n ! " "
Am Schluß des Dramenfragments wird der Tod als erfüllter Augenblick erotischen Selbstbegehrens zum Topos rauschhafter Erneuerung des Lebens. Als eine rein diesseitige Wiedergeburt ist er nicht bloß Verjüngung, sondern das Medium einer Metamorphose, die den Menschen in seiner Göttlichkeit hervorbringt. Auch für Prometheus, den archetypischen Vater des Menschengeschlechts, bleibt der Augenblick der Erfüllung dem utopischen ' N o c h nicht' verhaftet; die Entäußerung an den T o d - als Entselbstigung in die Natur durch den Inzest mit der Tochter entworfen kann erst nur rein imaginär in der Rede erfolgen. Goethe bricht den Text ab, nimmt ihn nicht wieder auf, obgleich doch auch seine späten Dichtungen intensiviert um die Gestaltung des höchsten Augenblicks ringen; 'Dichtung und Wahrheit' gibt die Begründung für den Verzicht auf die Produktionsfigur Prometheus: „ D e r titanisch-gigantische, himmelstürmende Sinn (. . .) verlieh meiner Dichtungsart keinen S t o f f . " Den liefern dem jungen Goethe die von ihm im Doppelsinn des Wortes 'sacer' als verflucht und gesegnet erkannten und erkorenen „Heiligen". Es sind die von der „Obergewalt" 1 0 0 Gezeichneten, denen als Signatur ihrer Existenz „ O p p o s i tion" 1 0 1 und „Verbannung" 1 0 2 Schicksal ist: „ihr Zustand war von den Alten schon als wahrhaft tragisch anerkannt" 1 0 3 . Goethe weiß das Tragische in „einem unausgleichbaren G e g e n s a t z " 1 0 4 ; den findet er nicht in der lichten Götterwelt der Antike; „die tragische Dialektik hat zum Schauplatz den Menschen selber, in dem Sollen und Wollen auseinanderstreben und die Einheit seines Ich zu sprengen drohen." 1 0 5 Diesen Ort als den des „Widers p r u c h ^ ) " 1 0 6 sucht Goethe auszuleuchten. So kehrt er zu jener Figur " 100 101 102 103 104 105 106
ib., W . 410-414 Dichtung und Wahrheit III, H A 10, p. 49 ib., p. 50 ib., p. 49 ib., p. 4 9 s q . Friedrich T h e o d o r A d a m Heinrich von Müller, Gespräche III. 1, p. 697 Peter Szondi, Schriften I, F f m . 1978, p. 177 Dichtung und Wahrheit II, H A 9, p. 352 - cf. Walther Rehm, Der T o d e s g e d a n k e in der deutschen Dichtung vom Mittelalter bis zur Romantik. Deutsche Vierteljahreszeitschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Buchreihe Bd. 14, edd. Paul Kluckhohn, Erich Rothacker, Halle 1928, p. 20: „Im Christentum tritt der T o d in neue metaphysische Beleuchtung: er wird - zunächst und ideal E i n g a n g und Vermittler zu dem durch Christi O p f e r t o d gesicherten ewigen Leben,
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des Luzifer zurück, die der in 'Dichtung und Wahrheit' niedergeschriebene kosmogonische Mythos 1 0 7 erinnert; heilig ist sie f ü r Goethe, wie ihre Affinität zu den antiken Sagengestalten zeigt, weniger durch die „Filiation vom göttlichen Wesen" 108 , als durch Abfall und Ausschluß, 'Verbannung' und 'Opposition'. Bedeutung wächst ihr zu - und befreit sie aus der „Subalternität" 109 gegenüber dem Göttlichen - durch das Bündnis mit dem Menschen, dessen Tragik sie erst aufdeckt.
2.4 Moralisches Bewußtsein Die Faust-Fabel liefert Goethe den Stoff, das „ u n g l ü c k l i c h e , in s i c h e n t z w e i t e Bewußtsein" 110 dadurch zur Darstellung zu bringen, daß das Negative in Gestalt Mephistos den selbstischen Menschen die Verzweiflung über den Antagonismus von „Sollen und Wollen" 111 austragen läßt. 112 Die Negativität, durch die sein mephistophelisches Bewußtsein Faust hindurchzwingt, ist die Reflexion auf den Grund des Daseins; ist aber gleichzeitig das Movens, es in der Tätigkeit zu realisieren. 113 Rettung hat der in sich Entzweite ausschließlich von der Verwandlung des Negativen in Tätigkeit zu erwarten, da die vis inertiae der Reflexion dem Denkenden, Wissenschaften Treibenden sich als ohnmächtig erwiesen hat: „Habe nun, ach! Philosophie,/ Juristerei und M e d i z i n , / U n d leider auch T h e o l o g i e / Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. / D a steh' ich nun, ich armer Tor,/
zur Seligkeit; zugleich aber - darin ruht das N e u e , unheimlich Erschütternde und ganz Unantike - ist aber der Tod in gleicher Stärke Eingang zum Entgegengesetzten, zur ewigen Verdammnis, zur Hölle. Die Zweiheit, das Doppelgesicht des T o des wird zum ersten Mal deutlich." 107 cf. Dichtung und Wahrheit II, H A 9, pp. 3 5 1 - 3 5 3 108 ib., p. 351 "" Dichtung und Wahrheit III, H A 10, p. 49 110 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, ed. Johannes H o f f meister, 6. Aufl., Hbg. 1952, p. 158 111 Shakespeare und kein Ende, H A 12, p. 291 112 Heinrich Rickert, D i e Einheit des Faustischen Charakters. Eine Studie zu Goethes Faustdichtung, in: Aufsätze zu Goethes 'Faust I', ed. Werner Keller, Darmstadt 1974, diskutiert das Problem der „Duplizität der menschlichen Natur" (ib., p. 257). 113 In diesem Sinn läßt der Prolog den 'Herrn' sprechen: „Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,/ Er liebt sich bald die unbedingte R u h ; / Drum geb' ich ihm gern den Gesellen zu,/ Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen. (Faust I, H A 3, p. 18, VV. 340-343)
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Produktion Und bin so klug als wie zuvor!/ (. . .)/ Und sehe, daß wir nichts wissen können!""4
Den Logos verabschiedend stirbt Faust seinen moralischen Tod, den am Geist positiven Wissens. Sein Abfall vom göttlichen Prinzip, der sich in Faust wiederholende Sündenfall 115 , wird als Ursache für die Entzweiung des Bewußtseins kenntlich. Der „Magie" 1 1 6 ergibt er sich nach pansophischer Tradition im Bewußtsein der Spaltung von Mensch und „Welt" 117 , Mikrokosmos und Makrokosmos, mit dem Bestreben der Aufhebung des Bruchs. 118 Während aber das „Zeichen des Makrokosmos" 1 1 9 als eine intellektuelle Codierung, die der Verweisung an den Logos nicht entgehen kann, den Erkenntnissüchtigen unbefriedigt lassen muß 120 , trifft das „Zeichen des Erdgeistes" 1 2 1 auf die Gegenkraft der „Natur" 1 2 2 . Mit der beschworenen Erscheinung des „Geist(es) der Erde" 1 2 3 , mit der Erfüllung des Wunsches also, für die der Wünschende sein Leben als Einsatz verpfändet 124 , überschreitet er in „Verzweiflung" 125 stürzend dessen Grenze. Verzweiflung ist das Jenseits eines Wissens, das sich an der „lebendigen Natur" 1 2 6 bricht. „In Lebensfluten, im Tatensturm/ Wall' ich auf und ab, / Webe hin und her!/ Geburt und G r a b , / Ein ewiges M e e r , / Ein wechselnd Weben,/ Ein glühend Leben,/ So s c h a f f ich am sausenden Webstuhl der Zeit/ Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid." 1 2 7
Vom Wissen um Leben und Tod, als dessen Sinnbild der Erdgeist erscheint, bleibt der vom Drang nach Erkenntnis Besessene, dessen auf die Natur gerichtete Intention ihn von ihr trennte, ausgeschlossen. Es kann der logifizierenden Vernunft nicht anverwandelt werib., p. 20, W . 354-364 Die Deutung Heinz Politzers, Vom Baum der Erkenntnis und der Sünde der Wissenschaft. Über Goethes 'Faust', in: Aufsätze zu Goethes 'Faust I', I.e., die akribisch die „Bilder 'Baum', 'Schlange' und 'Erkenntnis'" (ib., p. 588) zusammenstellt, trägt leider kaum zur Erhellung des Themas bei. » ' Faust I, H A 3, p. 20, V. 377 117 ib., V. 382 118 cf. ib., p. 22, W . 430-453 cf. ib., Anweisung zu V. 430 sqq. 120 cf. ib., V. 454 121 cf. ib., p. 23, Anweisung zu V. 460 sqq. 122 ib., p. 22, V. 455 123 ib., V. 461 124 cf. ib., V. 481 125 ib., p. 27, V. 610 126 ib., p. 21, V. 414 127 ib., p. 24, W . 501-509 114 115
Moralisches Bewußtsein
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den, bleibt vielmehr „Geheimnis" 128 . Beim Versuch, sich eines den Logos durchschlagenden Diskurses zu bemächtigen - „Wie spricht ein Geist zum andern Geist" 129 - bleibt der die Natur Beschwörende an jenen verwiesen; „Du gleichst dem Geist, den du begreifst,/ Nicht mir!"130 Die „Disgregation" 131 durch den Geist verwandelt Hybris in „Verzweiflung" 132 , aus der heraus sich das Selbst negiert: „Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon/ G a n z nah' gedünkt d e m Spiegel ew'ger Wahrheit,/ Sein Selbst genoß in Himmelsglanz und Klarheit,/ U n d abgestreift den E r d e n s o h n ; / Ich, m e h r als C h e r u b , dessen freie Kraft/ Schon durch die Adern der N a t u r zu fließen/ U n d , schaffend, Götterleben zu genießen/ Sich ahnungsvoll vermaß, wie m u ß ich's büßen!/ Ein D o n n e r w o r t hat mich hinweggerafft.'" 3 3 „Den G ö t t e r n gleich' ich nicht! Zu tief ist es gefühlt;/ D e m W u r m e gleich' ich, der den Staub d u r c h w ü h l t , / Den, wie er sich im Staube nährend lebt,/ Des W a n d rers Tritt vernichtet u n d begräbt.'" 1 4
Magie will das unzulängliche Wissen kompensieren, die Gottebenbildlichkeit auf dem zur logischen Erkenntnis negativen Weg erzwingen; in ihrer Intention also deren Interesse gleich, unterscheidet sie sich lediglich in den Mitteln. Doch noch einmal trifft den nach Erkenntnis Strebenden der als Entwürdigung und Tod erfahrene Ausschluß. Der Zurückgewiesene erkennt in seiner eigenen Vernichtung die Rache der durch instrumentelle Gewalt entfremdeten Natur: „Was grinsest du mir, h o h l e r Schädel, h e r , / Als d a ß dein H i r n wie meines einst v e r w i r r e t / D e n leichten T a g g e s u c h t u n d in d e r D ä m m r u n g s c h w e r , / M i t Lust nach W a h r h e i t , jämmerlich g e i r r e t ? / Ihr I n s t r u m e n t e freilich spottet m e i n / M i t R a d u n d K ä m m e n , W a l z ' u n d Bügel:/ Ich stand am T o r , ihr solltet Schlüssel s e i n ; / Z w a r e u e r Bart ist k r a u s , / D o c h hebt ihr nicht die R i e g e l . / Geheimnisvoll am lichten Tag/ Läßt sich N a t u r des Schleiers nicht berauben,/ U n d was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,/ Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln u n d mit Schrauben." 1 3 5
Die barocke Todesallegorie vom 'hohlen Schädel' hält her, den instrumenteilen 'Geist' als dessen Verdoppelung zu kennzeichnen, als toten Geist mithin, der den der Natur nicht zu fassen vermag. Ver-
128
130 131 132 133 134 135
ib., p. 20, V. 379 ib., p. 22, V. 425 ib., p. 24, V. 512 sq. R. Bilz, Studien ü b e r A n g s t u n d S c h m e r z , 1. c., p. 30 Faust I; H A 3, p. 27, V. 610 ib., W . 6 1 4 - 6 2 2 ib., p. 28, W . 6 5 2 - 6 5 5 ib., W . 6 6 4 - 6 7 5
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Produktion
zweiflung des Geistes macht sich fest an der Erfahrung seiner Ausgeschlossenheit: 'Lust nach Wahrheit' entfernt von dieser und führt in den Irrtum; auf den Zugriff antwortet die ,,lebendige(.) Natur"136 mit der Fratze des Todes. In dem ihm möglichen, mit lebenverzehrender Anstrengung geprüften Verfahrensweisen erleidet der strebende Geist seine Negation, ist damit an den Tod verwiesen; ihn kann der Resignierte als renovatio noch einmal besetzen: „Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?/ Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?/Warum wird mir auf einmal lieblich helle,/ Als wenn im nächt'gen Wald uns Mondenglanz umweht? Ich grüße dich, du einzige Phiole,/ Die ich mit Andacht nun herunterhole!/ In dir verehr' ich Menschenwitz und Kunst,/ Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,/ Du Auszug aller tödlich feinen K r ä f t e , / Erweise deinem Meister deine Gunst!/ Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,/ Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,/ Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach./ Ins hohe Meer werd' ich hinausgewiesen,/ Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füßen,/ Zu neuen U f e r n lockt ein neuer Tag. Ein Feuerwagen schwebt auf leichten Schwingen/ An mich heran! Ich fühle mich bereit,/ Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen,/ Zu neuen Sphären reiner Tätigkeit./ Dies hohe Leben, diese Götterwonne,/ D u , erst noch Wurm, und die verdienest du?/ Ja, kehre nur der holden Erdensonne/ Entschlossen deinen Rücken zu!/ Vermesse dich, die Pforten aufzureißen,/ Vor denen jeder gern vorüberschleicht./ Hier ist es Zeit, durch Taten zu beweisen,/ Daß Manneswürde nicht der Götterhöhe weicht,/ Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,/In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,/ Nach jenem Durchgang hinzustreben,/ U m dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;/ Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen,/ Und wär' es mit Gefahr, ins Nichts dahinzufließen." 1 3 7
Diese Verse antizipieren eine Erfahrung der Moderne 138 , wie sie etwa die Lyrik Baudelaires verdichtet: die 'Fleurs du Mal' enden den Schlußzyklus 'Le Voyage' mit der Anrufung des Todes zum Aufbruch ins Unbekannte: „ O Mort, vieux capitaine, il est temps! levons l'ancre!/ Ce pays nous ennuie, ô Mort! Appareillons!/ Si le ciel et la mer sont noir comme l'encre,/ N o s coeurs que tu connais sont remplis de rayons! Verse-nous ton poison pour qu'il nous reconforte!/ Nous voulons, tant ce feu nous brûle le cerveau,/ Plonger au fond du gouffre, Enfer ou Ciel, qu'importe?/ Au fond de l'Inconnu pour trouver du n o u v e a u ! ' " " 136 137 138
1M
ib., p. 21, V. 414 ib., p. 29 sq., W . 686-719 cf. Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Gesammelte Schriften Bd. 7, edd. Gretel Adorno, Rolf Tiedemann, Ffm. 1970, pass. - cf. ders., Vorlesungen zur Ästhetik 1967-68, Zürich 1973, p. 57 sqq. Charles Baudelaire, Le Voyage VIII. Les Fleurs du Mal / Die Blumen des Bösen, Sämtliche Werke/Briefe in acht Bänden, edd. Friedhelm Kemp, Claude Pichois, Bd. 3, Darmstadt 1975, p. 338
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Goethe wie Baudelaire eröffnen denselben Imaginationsraum des Todes, durch den das Subjekt sich überschreitend verabschiedet wird. Der aufs Meer Hinausgewiesene wird des Lichts, der Helligkeit in sich gewahr, die ihm der feste Ort verdunkelte. In der 'Spiegelflut', die das starre Bild des limitierten Individuums liquidiert, seine Auflösung bekundet, vibriert die ans Element entäußerte Gestalt; sie verkündet mit der eigenen Morgenröte den 'neuen Tag', entwirft sich auf den Horizonten von 'neuen Ufern' zu „Feurige(r) Vollendung", die „Einheit von Leben und T o d als Feuer" 1 4 0 entfachend. Während Baudelaire keine distinktive Opposition zwischen 'Enfer ou Ciel' mehr aufmacht, ihre Differenz einzieht, bedeuten Goethe die 'Pforten' des als Aufbruch erwählten Todes zwar die Vision der Hölle; 'Götterhöhe' aber kommt dem zu, dessen 'Phantasie' ihn der Gefahr der Annihilation aussetzt: der 'Gefahr, ins Nichts dahinzufließen'. D a ß der Tod als visionärer Raum der Entfesselung von Neuem imaginiert wird, vollzieht die Auflösung seines allegorischen Charakters, der die literarische und bildende Darstellung seit dem Mittelalter prägte. 1 4 1 Angesprochen als Kapitän wird der Tod bei Baudelaire zur Imago des unbekannten Lebens, der der Aufbrechende sich preisgibt; nur mehr Attrappe zerstörter Subjektivität, das Totenschiff, zu dem das Subjekt wurde, stellt er sich unter die Weisung des Todes. D a ß dieser als die einzig lebende Gestalt regiert, verwandelt Subjektivität zur Potentialität des Neuen. In ihm hat das 'nous', als plurales den Tod umfassend, seinen atopischen Ursprung. Sobald das Gift, die tödliche Essenz, vom Subjekt als „Arzenei" 1 4 2 einverleibt wurde, ist die allegorische Hülle des Todes gefallen. Goethes poetische Imagination verfährt in vergleichbarer Weise. 1 4 3 Der Hohlraum des Schädels, an den zuerst die Anrede erging, erhält phantasmagorischen Charakter: „ N u n k o m m herab, kristallne reine S c h a l e ! / H e r v o r aus deinem alten Futterale,/ An die ich viele J a h r e nicht g e d a c h t ! / D u glänztest bei der Väter Freudenfeste,/
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N . O . Brown, Love's B o d y , I.e., p. 157 cf. J o h a n Huizinga, H e r b s t des Mittelalters. Studien über die Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, ed. Kurt Köster, 11. Aufl., Stuttgart 1975, pp. 190-208 so die Übersetzung von Carl Fischer, Charles Baudelaire, Die Blumen des Bösen, o. O . , o . J . , p. 439 cf. den Schlußmonolog des T a s s o , T o r q u a t o T a s s o , H A 5, p. 166 sq., V. 3435 sqq.
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Erheitertest die ernsten G ä s t e , / Wenn einer dich dem andern zugebracht./ D e r vielen Bilder künstlich reiche P r a c h t , / D e s Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,/ Auf e i n e n Zug die Höhlung auszuleeren,/ Erinnert mich an manche Jugendnacht;/ Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,/ Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen;/ Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht;/ Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle./ Den ich bereitet, den ich wähle,/ Der letzte Trunk sei nun, mit ganzer Seele,/ Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht! (Er setzt die Schale an den Mund. G l o c k e n k l a n g und Chorgesang.)"144
Die 'Schale', deren Eigenschaften Faust enthusiastisch rühmt, gerät im Gedenken an 'der Väter Freudenfeste' wie an die der eigenen 'Jugendnächte' zum emphatischen Gegenbild des in der Resignation gehöhnten Totenkopfs. Wie dieser den toten Geist allegorisiert, wird in jener der höchster Lebensintensität gepriesen. Den 'Ernst' als die das Leben grundierende Stimmung des Todes löst durch 'Kunst' inspirierte verbale Auslegung auf: die 'Bilder' des Pokals fordern den 'Witz' des Beschauers, ehe sie dem Trinkenden zur Erfahrung werden. Der symbolischen Bedeutung des Trinkgefäßes gemäß will Faust den Tod, statt ihn in seinem Festcharakter durch die Auslegung der Darstellungen von Lebensfülle zu explizieren, durch die Einverleibung des tödlichen Gifts, zu dessen Genuß ihm die kunstvolle 'Höhle' dient, interpretieren; Entgrenzung verspricht ihm die Gabe, deren 'Flut' noch einmal an die Meeresmetaphorik erinnert; indem Faust in jugendlicher Lust 'Auf e i n e n Zug die Höhlung auszuleeren' begehrt, wünscht er sich selbst zur Höhlung, zum Gefäß des fremden Gifts zu verwandeln, die Metamorphose des Todes einzugehen. Solche auf den 'letzten Trunk' gesetzte Erwartung äußerster Erfahrungsfülle durchschlägt die Vorstellung vom Tod als einem Äquivalent des Lebens; Faust sucht nicht den, der mit dem Leben bezahlt würde. Ebensowenig entspricht eine Apotheose des physischen Todes in dionysischem Rauscherleben der Entgrenzungsphantasie des Halluzinierenden. Bei Goethe legt die Berührung mit dem Tod vielmehr den Grund f ü r ein Maximum an Leben; dieses apostrophiert der Dichter im Monolog Fausts, der das Thematisierte, den Tod, nur einmal nennt, jedoch in einer Formulierung, die den Eros betont: 'Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte', Verweis darauf, daß Goethe den Protagonisten aus der Todeserfahrung neue Energien gewinnen läßt. Abschied nimmt Faust nur von einem Leben, das ihm keines ist;
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Faust I, H A 3, p. 30, W . 7 2 0 - 7 3 6 , folgende Regieanweisung
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im Begehren eines 'hohen Lebens' geht er mit dem 'letzten Trunk' dessen 'Morgen' entgegen. 145 Goethe legt den Augenblick des Todes in die den Monolog abschließende Regieanweisung: 'Er (sc. Faust) setzt die Schale an den Mund. G l o c k e n k l a n g u n d C h o r g e g e s a n g . ' Das Spatium zwischen den kommentierenden Angaben verschlüsselt die momenthafte Absenz als Leerstelle des Bewußtseins; den Giftbecher an den Lippen durchlebt Faust den Tod. Während er, im Begriff den Trank zu genießen, das Auge schließt - das Auge metaphorisch bricht - , öffnet das eintretende Dunkel einen auditiven Raum. Der ' C h o r der Engel', der dem Auferstandenen huldigt, präfiguriert zugleich die Grablegungsszene im fünften Akt des zweiten Teils: „Christ ist erstanden!/ Freude dem Sterblichen,/ Den die verderblichen,/ Schleichenden, erblichen/ Mängel umwanden." 1 4 6 In seinem imaginativen Todeserleben nimmt Faust die christliche Auferstehungsfigur auf: sie tilgt die 'Mängel' der Erbsünde, die den Menschen dem Tod überantworteten, überwindet diesen selbst. Das Auferstehungsgeschehen, das in der Menschwerdung Gottes und seines Todes, der Leben verspricht, seine Vereinigung mit dem 'Sterblichen' vollzieht, gewährt die „Gewißheit eine(s) neuen Bunde(s)" 147 zwischen Mensch und Gott. Dem Tod verfallen war jener durch das Stigma, das der transzendente Gott ihm einschrieb; dessen Tod wird f ü r ihn zum neuen Leben, wenn Gott selbst sich inkarniert und damit den Hiat zwischen Leben und Tod schließt. Indem Gott den Tod des Menschen stirbt, verwandelt sich letzterer in den Tod Gottes. Aus dem Scheitern an Wissenschaft und Magie weiß Faust um die Wunde, die allein der Tod heilt, die des erkennenden Geistes. Des bewußt gewordenen Leidens wegen stirbt Faust den Sühnetod des Wissens, den Tod des Todes. Von der erlösenden Kraft der Ostergesänge erfaßt, zweifelt Faust doch an der Gültigkeit der mitgeteilten „Botschaft" auch für ihn, dem der „Glaube", welchem sie erreichbar sein soll, „fehlt" 148 : ihm, dem Erkenntnisstrebenden, war das göttliche Wort, das er in ihr wahrnimmt, der Tod, weil es ihn ausschloß. Aber gerade da es ihm die tödliche Wunde schlug, fällt Faust im neuerlichen Gotteswort 145
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Im Bild der Morgenröte symbolisiert Goethe aufgehendes Leben; cf. dazu Westöstlicher Divan, HA 2 ib., W . 737-741 ib., V. 748 ib., p. 31, V. 765
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das einzige Mittel zu, das sie zu schließen vermag: der Schlüssel zur Durcharbeitung seiner Biographie. „Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,/ Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben./ Sonst stürzte sich der Himmelsliebe Kuß/ Auf mich herab, in ernster Sabbatstille;/ Da klang so ahnungsvoll des Glockentones Fülle,/ Und ein Gebet war brünstiger Genuß;/ Ein unbegreiflich holdes Sehnen/ Trieb mich, durch Wald und Wiesen hinzugehn,/ U n d unter tausend heißen Tränen/ Fühlt' ich mir eine Welt entstehn./ Dies Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,/ Der Frühlingsfeier freies Glück;/ Erinnrung hält mich nun mit kindlichem Gefühle/ V o m letzten, ernsten Schritt zurück./ O tönet fort, ihr süßen Himmelslieder!/ Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder!"' 4 '
'Erinnrung' heißt das leitende Gefühl, das im Todesmoment das Gelebte vergegenwärtigt; sie wendet Goethe zur Figur der Rettung, indem er Faust in Berührung mit dem Tod aus dem Binnenraum den Klang erzeugen läßt, der im Kind den Lebensdrang weckte. Goethe bringt überdies den Widerstand gegen die auflebende Empfindung in Fausts unwilliger Abwehr ein: „Was sucht ihr, mächtig und gelind,/ Ihr Himmelstöne, mich am Staube?/ Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind." 150 Gleichwohl meldet das 'Und doch' unabweisbar den Anspruch des Gelebten an, läßt Vergangenheit als unmittelbar Gegenwärtiges erfahren. Die Gottesbotschaft signalisiert über lebensgeschichtliche Bedeutung hinaus das Trauma christlicher Kulturgeschichte: im Osterfest alljährlich sich wiederholend bricht es als Kreuzestod Gottes auf. Faust, dem als Erkennendem der 'Glaube' an die 'Botschaft' sich versagt, wird ihrer verschleiernden psychologischen Funktion gewahr: „Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind." 151 Dem 'Wunder' des Ostermysteriums wird abverlangt, den Tod zu annulieren, dessen Faktizität auch der Glaube nicht leugnen kann; es substituiert dem Tod das Leben, um das der Mensch betrogen ist. Das Fest der Auferstehung verdrängt den Tod Gottes; doch verdeckt diese Verdrängung die noch tiefere des Todes des Menschen. Während jener in seiner traumatischen Erscheinungsweise noch zugelassen ist, wird dieser nur als Appendix der österlichen Wiederkehr der Resurrektion durch das Fest heraufbeschworen: als Symptom beschädigten Lebens. Der Begriff der Auferstehung täuscht durch sein Erlösungsversprechen darüber hinweg, daß durch die
ib., W . 7 5 9 - 7 8 4 ° ib., W . 7 6 2 - 7 6 4 151 ib.. V. 766 1S
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Unterschlagung des Todes dieser als permanenter auf dem Leben des Menschen liegt.152 'Auch jetzt', also zum wiederholten Mal, bedeutet Faust der die Auferstehung verkündende Klang ein 'Zurück in das Leben'; wie f ü r ihn, der ihm fluchen wird 153 , dient er der Christengemeinde als Zeichen kollektiver Todesverdrängung. In welcher Weise damit das Leben tangiert wird, macht Fausts Erinnerungsleistung sinnfällig: es ist eines im Aufschub, in das die Osterklänge zurückrufen, getragen von einem 'Sehnen', aus dem Getriebensein in die Innerlichkeit sich zurückziehend. Immer gebunden an den einzigen lebenverheißenden Tod, den Gottes, bleibt der des Menschen anathema, das menschliche Leben auf das jenseitige ausgerichtet. Seinen Tod in dem Gottes imaginierend - Faust macht dadurch auch das Auferstehungspathos am eigenen erlebten Tod fest - gelingt dessen traumatische Wiederkehr das erste Mal als Erinnerung, als bewußte Aufarbeitung. Deren Heilendes bezeugt, daß 'die Träne quillt', daß das geschlossene, starre Auge überfließend sich wieder öffnet. Da Faust den auf Gott projizierten Tod des Menschen wiedererschlossen hat, wird er auch auf das Leben, das „nur für einen Gott gemacht" 154 war, Anspruch erheben: „ M e i n Busen, der vom W i s s e n s d r a n g geheilt ist,/Soll keinen S c h m e r z e n k ü n f t i g sich v e r s c h l i e ß e n , / U n d was der g a n z e n M e n s c h h e i t zugeteilt ist,/ Will ich in meinem innern Selbst g e n i e ß e n , / Mit m e i n e m Geist das H ö c h s t ' u n d T i e f s t e g r e i f e n , / Ihr W o h l u n d Weh auf meinen Busen h ä u f e n , / U n d so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst e r w e i t e r n , / U n d , wie sie selbst, am E n d ' a u c h ich zerscheitern." 1 5 5
Mit diesem Selbstverständnis bezieht sich Faust auf die Christusfigur, in der allein je Schicksal und Leiden einer 'ganzen Menschheit' dargestellt gedacht war. Goethe sprengt die christliche Anschauung, nach der das Leben einen Leidenszusammenhang bildet, dadurch auf, daß er sie in der Erweiterung um den Genuß begreift. Auf 'Entselbstigung' und ebenso auf 'Verselbstung' geht das Verlangen dessen, der neues Leben fordert. 152
1S5 154
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cf. W . R e h m , D e r T o d e s g e d a n k e in d e r d e u t s c h e n D i c h t u n g , I.e., p. 2 8 s q . : die „Jenseitigkeit d e r christlichen L e b e n s h a l t u n g k o m m t n u n im Religiösen (. . .) zur U m w e r t u n g der Werte u n d d e r T o d g e w i n n t eine neue Stellung: das Leben wird z u m T o d u n d der T o d z u m Leben". cf. Faust I, H A 3, p. 54, W . 1583-1590 ib., p. 59, V. 1781
ib.. W . 1768-1775
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Den zu solchem Leben sich Entäußernden kennzeichnet - im Sinne der Goetheschen Morphologie - eine 'Werdelust', für die die Christusgestalt der Uberlieferung in ihrem Transfigurationscharakter, die Goethe als Deckfigur benutzt, keinen Anhaltspunkt bietet: „Hat der Begrabene/ Schon sich nach oben,/ Lebend Erhabene,/Herrlich erhoben,/ Ist er in Werdelust/ Schaffender Freude nah:/Ach, an der Erde Brust/ Sind wir zum Leide da./ Ließ er die Seinen/ Schmachtend uns hier zurück;/ Ach, wir beweinen,/Meister, dein Glück!" 1 5 6
D e m 'Chor der Jünger', der dem auferstandenen Christus huldigt, unterlegt Goethe die Würdigung seines Helden. Denn stellt dessen Todeserfahrung zunächst die Vergleichbarkeit mit Christus her, hebt ihn der Schaffensbegriff über diesen hinaus. Die die christliche Auferstehungsidee begleitende Transfigurationsfigur deuten die Jünger in produktivem Sinne um, der den Bezug zum Leben erst eröffnet. Die Erde, zu der Faust zurückgekehrt ist, wird ihm aufgrund seiner Todeserfahrung in neuem Schaffensdrang zum Körper seiner Arbeit. D a r a u f bezieht sich die Klage der Jünger, die, wie von einem aus der Auferstehung gewonnenen Leben so vom produktiven Verhältnis zur Erde noch ausgeschlossen, diese nur passiv erleiden können. Einzig der, der den Tod überstanden hat, inauguriert die neue menschliche Existenz; der N a m e „Christ" 1 5 7 verbürgt, daß „der Neue" 1 5 8 schon jetzt „da" 1 5 9 ist. Motiviert durch das Auferstehungsthema sind die Bezüge zwischen der Szene des Osterspaziergangs und der vorangegangenen vielfältig angelegt. Seinem eigenen wiedererlangten Lebenswillen entsprechend legt Faust zunächst die christliche Mysterienverwandlung von Tod in neues Leben als Realität der menschlichen Existenz aus: „Sie feiern die Auferstehung des Herrn,/ Denn sie sind selber auferstanden". 1 6 0 Durch ihn selbst, sein Hervortreten aus der Gelehrtenhöhle ans Licht der Natur, die sein Frühlingshymnus preist 1 6 1 , gewinnt das durchs Evangelium Versprochene Aktualität: mit der eigenen Auferstehung verbindet er die aller: „Aus der (. . .) N a c h t / Sind sie alle ans Licht gebracht." 1 6 2 Die Feier Christi, anläßlich der Faust in Er-
ib., p. 31 sq., W . 785-796 ib., p. 32, V. 797 158 Faust II, ib., p. 363, V. 12085 159 Faust I, ib., p. 32, V. 807 160 ib., p. 35, V. 921 sq. 161 cf. ib., p. 35 sq., W . 903-940 ' « ib., V. 927sq. 156
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scheinung tritt 163 , hat am Diesseits und dem sinnlichen Genuß ihre Wahrheit: „Hier ist des Volkes wahrer Himmel,/Zufrieden jauchzet groß und klein;/ Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!" 1 6 4 Diese Darstellung durch eine pejorative Rede zu komplementieren, läßt Goethe vorerst nur in der Replik des spröden Wagner zu: „Sie toben wie vom bösen Geist getrieben" 1 6 5 . Wes Geistes Kind der Auferstandene ist, deckt die dem Bauerntanz folgende Motivreihe auf, die Goethe thematisch mit der Reminiszenz an den Todeskelch beginnt: „ S o nehmet auch den schönsten K r u g , / Den wir mit frischem Trank gefüllt,/ Ich bring' ihn zu und wünsche l a u t , / D a ß er nicht nur den D u r s t Euch stillt:/ Die Zahl der Tropfen, die er hegt,/ Sei Euren Tagen zugelegt." 1 6 6
Offensichtlich weisen die Verse auf die Todesszene Fausts zurück, aber als deren Umkehrung: statt des tödlichen Gifts enthält der 'schönste Krug' - auch ihn zeichnet also die ästhetische K o m p o nente aus - einen mit dem Wunsch langen Lebens gesegneten 'Trunk'. In seinem Zeichen steht die Erörterung der „ P s y c h o l o g i e d e s E r l ö s e r s " 1 6 7 , seiner „ P r a k t i k " 1 6 8 . Der Vergleich zwischen den Huldigungsworten an den auferstandenen Gott mit der sie modifizierenden Formulierung, die dem Menschen gilt, läßt die gezielte Parallelisierung erkennen; heißt es dort: „Christ ist erstanden!/ Selig der Liebende,/ Der die betrübende,/ Heilsam' und übende/ Prüfung bestanden" 1 6 9 , lauten hier die Faust zugedachten Verse der „Verehrung" 1 7 0 : „Ihr gingt in jedes Krankenhaus;/ Gar manche Leiche trug man fort,/ Ihr aber kamt gesund heraus;/ Bestandet manche harte P r o b e n ; / Dem Helfer half der Helfer droben." 1 7 1 Variante und Entmythologisierung des Auferstehungsgeschehens zugleich bilden die Verse letzteren Zitats: sie zeigen einen immunen Salvator inmitten verseuchter Leichen, lassen seine 'Prüfung', den Tod zu durchstehen, als eine makabre, in gemeinsamer Täterschaft mit dem Autoritätsträger der Göttlichkeit organisierte Inszenierung sichtbar werden. 163 164 165 166 167 168
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cf. ib., p. 37, V. 994 ib., p. 36, W . 9 3 8 - 9 4 0 ib., V. 947 ib., p. 37, W . 985-990 F. Nietzsche, Der Antichrist, Werke II, I.e., p. 1190 ib., p. 1197 Faust I, H A 3, p. 31, W . 757-761 ib., p. 38, V . 1012 ib., W . 1002-1006
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Zuvor hat der Redner auf die Rolle des Vaters besonderen Bezug genommen: „Gar mancher steht lebendig hier,/ Den Euer Vater noch zuletzt/ Der heißen Fieberwut entriß,/ Als er der Seuche Ziel gesetzt." 172 Die der Seuche Entkommenen erscheinen in diesen Worten als vom Vater, der sterben läßt, im letzten Moment Verschonte, gerettet deshalb, weil er das 'Ziel' der Seuche beschließt, als unterstünde sie seinem omnipotenten Willen. Dennoch wird dem Sohn - dessen 'Bewährung' 1 7 3 „An bösen Tagen" 174 , die vielen den Tod brachten, ebensowenig bezweifelt wird wie die des abwesenden Vaters - eine „Verehrung" 175 zuteil, „Als käm' das Venerabile." 176 Vater und Sohn werden in einer Weise gewürdigt, die über ihr bloß menschliches Vermögen die Erlösungskraft der christologischen Vater-Sohn-Einheit tangiert. Faust selbst wahrt solche Zusammenhänge in seiner ihre Hintergründe aufdekkenden Eröffnung an Wagner: „An H o f f n u n g reich, im Glauben fest,/ Mit Tränen, Seufzen, H ä n d e r i n g e n / Dacht' ich das Ende jener Pest/ Vom Herrn des Himmels zu erzwingen./ Der Menge Beifall tönt mir nun wie H o h n . / O könntest du in meinem Innern lesen,/ Wie wenig Vater und S o h n / Solch eines Ruhmes wert gewesen!/ Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,/ Der über die N a t u r und ihre heil'gen Kreise/ In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,/Mit grillenhafter M ü h e sann;/ Der, in Gesellschaft von Adepten,/Sich in die schwarze Küche schloß/ Und, nach unendlichen Rezepten,/ Das Widrige zusammengoß." 1 7 7
In seiner Selbstanklage, die den Vater miteinbezieht, korrigiert Faust die Meinung der „Menge" 178 . Zwar konnte er unter väterlichem Schutz den Anschein erwecken, die auf ihn gesetzte Erlösungserwartung der Todverfallenen zu befriedigen - doch der erstrebten Retterfigur wurde er mitnichten gerecht. Goethe wendet hier einen Kunstgriff an, den er formal dadurch markiert, daß er Faust mit den 'Vater und Sohn' verurteilenden Versen das Jambenmaß der Rede durchbrechen läßt, sie durch die Irregularität hervorhebt. Die Erinnerung des Anrufs an den 'Herrn des Himmels' abschließend suggeriert die Rede zunächst ihn als den Vater. Diesem anvertraut sich Faust in 'Glauben' und ' H o f f n u n g ' , um als sein Stellvertreter den schwarzen Tod zu bezwingen. Die Auf172 173 174 175 176 177 178
ib., W . 997-1000 cf. ib., V. 1007 ib., p. 37, V. 996 ib., p. 38, V. 1012 ib., V. 1021 ib., p. 38 sq., W . 1026-1041 ib., p. 38, V. 1012
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gäbe, die nach christlichem Evangelium dem Sohn Gottes zukommt: die Menschheit von dem auf ihr lastenden Tod zu befreien, übernimmt Faust gleichsam als die seine. D a ß der Sohn mit väterlichem Beistand den Tod von ihr genommen habe, wurde der Christenheit zur Legende, die der 'Beifall' derer, die ihn rühmen, Faust noch einmal bestätigt. Sein Bekenntnis dagegen erklärt Vater und Sohn der gezollten Verehrung unwürdig; den unumstrittenen Autoritäten der christlichen Religion spricht Faust die Legitimität ab. Der weitere Verlauf der Schilderung - die wieder zum jambischen Versmaß zurückkehrt - läßt das Wort 'Vater' in seinem sakralen Bedeutungsgehalt changieren; der Vater trägt nun, als 'ein dunkler Ehrenmann', die Maske des Alchimisten. Dem paracelsischen Magier, dem der Stein der Weisen als Kunst über Leben und Tod verfügbar sein soll, ist die 'Natur' ausgeliefert und unterworfen, wodurch sie die Signatur einer alchimistischen Versuchsanordnung erhält; deren zwielichtige Produkte dienen dem Vater, als Sachwalter des Todes: Herr über „Seuche" 179 und „Pest" 180 , zu agieren: „ H i e r w a r die Arzenei, die P a t i e n t e n s t a r b e n , / U n d n i e m a n d f r a g t e : w e r g e n a s ? / So h a b e n wir mit höllischen L a t w e r g e n / In diesen T ä l e r n , diesen B e r g e n / Weit schlimmer als die Pest getobt./ Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben,/ Sie welkten hin, ich m u ß erleben,/ D a ß man die frechen M ö r d e r l o b t . " " '
Der Vater verspricht Heilung vom Tod und gibt den Tod; die 'Arzenei' gegen den Tod ist dessen probates Mittel. Für seine Distribution trägt der Sohn die Schuld des Vaters. Den Euphemismus des Christentums, daß mit dem Tod Leben sein soll, dekuvriert Goethe durch die Umkehrung des Auferstehungsunternehmens als tödlichen Opferzusammenhang. Indem er es anhand der Uberlagerung in der Vater-Figur gegen die Erlöser-Dyade von Vater und Sohn wendet, zeigt er den Tod Gottes als den immer schon „zweite(n) Tod" 182 , den Höllentod: 'Weit schlimmer' als der Tod der Pest ist der des Gott-Sohnes, den er nicht starb, sondern der Menschheit zufügte; denn nach Goethes Bild leerte er nicht den Todeskelch, er verabreichte ihn vielmehr den auf Rettung H o f f e n den. Gott tötete den Menschen, nicht dieser ihn; Gott ist der 'Mörder'.
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ib., V. 1000 ib., V. 1028 ib., p. 39, W . 1048-1055 Die O f f e n b a r u n g des Johannes, 20,14
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Die Auferstehungsvision Fausts, die die des Christentums entlarvt, verlischt mit dem Sonnenuntergang. Gegen Ende der Szene erinnert Goethe den ursprünglich heidnischen Charakter des Festes; war Ostern in germanischer Zeit Feier des zunehmenden Lichts wie auch der Name der diesem zugeordneten Göttin, nimmt nun der seiner eigenen Göttlichkeit Entfremdete von ihm als von ihr Abschied. „Betrachte, wie in Abendsonneglut/ Die grünumgebnen Hütten schimmern./ Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,/ D o r t eilt sie hin und fördert neues Leben./ O daß kein Flügel mich vom Boden hebt,/ Ihr nach und immer nach zu streben!/ Ich sah' im ewigen Abendstrahl/ Die stille Welt zu meinen Füßen,/ Entzündet alle H ö h n , beruhigt jedes Tal,/ Den Silberbach in g( 'dne Ströme fließen./ Nicht hemmte dann den göttergleichen L a u f / Der wilde . erg mit allen seinen Schluchten;/ Schon tut das Meer sich mit erwärmten Buchten/ Vor den erstaunten Augen auf./ Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken;/ Allein der neue Trieb erwacht,/ Ich eile fort, ihr ew'ges Licht zu trinken,/ Vor mir den Tag und hinter mir die N a c h t , / Den Himmel über mir und unter mir die Wellen./ Ein schöner Traum, indessen sie entweicht./ Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht/ Kein körperlicher Flügel sich gesellen.""13
Noch einmal flammt die Phantasie eigener Göttlichkeit in der Vision übergreifender Lichthaftigkeit auf: diese wird Faust zur atopischen Imago seines Strebens. 184 Aus der Differenz zum dynamisch sich ausnehmenden Punkt erwachsen, erfährt er es als die Sehnsucht des Eros, die Sehnsucht nach dem, was ihm selbst mangelt: 'der neue Trieb' folgt der 'Göttin', die 'neues Leben' schenken kann. Wieder wählt Faust das orale Motiv des Trinkens, um nun den Wunsch nach Verbindung mit dem maternalen Prinzip - das im genauen Gegensatz zum paternalen Geist-Prinzip des Christentums steht - als Inbegriff des Lebens Ausdruck zu geben. Auch der Todestrank der Nachtszene galt eher als der Vergeistigung dem Eingehen ins Refugium der „dunkeln Höhle" 1 8 5 des Mutterleibs. Faust erkennt sich nach seiner visionären Selbstbegegnung als der Zerrissene wieder, dem Körper und Geist getrennt beide Gegenstand des Leidens sind. „Die Duplizität der menschlichen Natur und das verunglückte Bestreben, das Göttliche und das Physische im Menschen zu vereinigen, verliert man nicht aus den Augen" 186 , äußert Schiller 1797 in einem Brief an Goethe. Faust formuliert den Widerspruch, der ihm durch die Aufarbei183 184 185 186
Faust I, H A 3, p. 39sq., W . 1070-1091 cf. ib., p. 40, V. 1099 ib., p. 29, V. 714 Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, 2 Bde., ed. Emil Staiger, Ffm. 1977, Bd. 1, An Goethe, p. 405
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tung seiner Biographie noch fühlbarer, vor allem aber reflexiv zugänglich geworden ist: „Zwei Seelen w o h n e n , ach! in m e i n e r B r u s t , / Die eine will sich von der a n d e r n t r e n n e n ; / Die eine hält, in d e r b e r Liebeslust,/ Sich an die Welt mit k l a m m e r n d e n O r g a n e n ; / Die a n d r e h e b t gewaltsam sich vom D u s t / Z u d e n G e f i e l d e n h o h e r A h nen." 1 8 7
In den faustischen 'zwei Seelen' wird die Physiognomie des Trieblebens signifikant, die als Doppelgesichtigkeit von Körper und Geist 188 auch die von Eros, der 'Liebeslust', und Thanatos, dem Streben zu den 'Ahnen', anzeigt. Dem Subjekt ist die es konstituierende Trennung durch den Geist, der es gleichzeitig bedingt und unterwirft, eingezeichnet. Sie markiert den Riß durchs Individuum, dem sich eine tragende Einheit im Auseinanderstreben der „Trieb(e)" 189 als Illusion erweist.
2.5 Lex diaboli Während aber das vorösterliche Leiden an der Entzweiung mit der Gottheit zur Ausschließlichkeit des Erkenntnistriebes sich sublimierte, die in Verzweiflung und Tod mündete, erwächst aus der Anerkennung auch des anderen, entgegengesetzten Triebs, statt der Sehnsucht nach Versöhnung im Tod, der Wunsch nach lebendiger Vermittlung: „O gibt es Geister in der Luft,/ Die zwischen Erd' und Himmel herrschend weben,/ So steiget nieder aus dem goldnen D u f t / Und führt mich weg, zu neuem, buntem Leben!" 190 Die Verzweiflung ist einem Wunsch gewichen: Evokation der eine Sphäre des 'Zwischen' errichtenden Dämonen der Vermittlung; sie werden den Lebenslauf Fausts von seiner Begegnung mit Mephisto über seine Widergeburt zu Beginn des zweiten Teils bis zu seinem Tod und seiner metamorphotischen Verjüngung begleiten. Ihre H e r k u n f t bleibt ebenso unbestimmt wie ihr Wesen; als Geister mythischer Reversibilisierung der zivilisatorischen Entmischung der Triebe liegt ihr Charakteristikum gerade in der Polymorphie. Ihnen verdankt Faust den Wunschkörper, der den Trieben Entfaltung gewährt, indem er den destruktiven mit dem erotischen zur Vereinigung im höchsten Augenblick führt. 1,7
Faust I, H A 3, p. 41, W . cf. ib., p. 40, V. 1090sq. 18 ' ib., p. 41, V. 1110 1,0 ib., W . 1118-1121 188
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Allein es wirkt die Dialektik der Aufklärung, welche durch eine „ 'Remythisierung' der Triebtheorie" 191 die Kultur in ihren subtilen Trennungsleistungen zugunsten eines Realitätsprinzips der Entbehrung 192 auf einen archaischen Animismus zurückwirft: „Berufe nicht die wohlbekannte Schar,/ Die strömend sich im Dunstkreis überbreitet,/ Dem Menschen tausendfältige Gefahr,/ Von allen Enden her, bereitet./ Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn/ Auf dich herbei, mit pfeilgespitzten Zungen;/ Von Morgen ziehn, vertrocknend, sie heran/ Und nähren sich von deinen Lungen;/ Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,/ Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen,/ So bringt der West den Schwärm, der erst erquickt,/ U m dich und Feld und Aue zu ersäufen./ Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,/ Gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen;/ Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,/ Und lispeln englisch, wenn sie lügen." 1 "
Nach animistischen Vorstellungen bildet der in der Trübung von Nebel und Staub sich enthüllende 'Dunstkreis' die von Dämonen beherrschte Sphäre des Todes. 194 Diese drohen den Menschen zu betören, ihn in ihren Wirkungskreis zu ziehen; in unheimlichen 'Gefahren' lauern sie ihm auf, trachten mit Vampirismus, Feuer und Wasser ständig nach seinem Leben. Das auf solcher Todestrübung liegende kulturelle Tabu durchbricht Faust, dem die Ausschlußpraxis als Mangel des Lebens zu Bewußtsein gekommen ist; seine Beschwörung wirkt ein auf die in „Nebel" 195 und „Dämmrung" 1 9 6 „Ergraut(e) (. . .) Welt" 197 , den O r t der Dämonen, und zieht als Verkörperung des Triebes einen „schwarzen Hund" 1 9 8 an: „Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise/ Er um uns her und immer näher jagt?/ Und irr' ich nicht,/ So zieht ein Feuerstrudel/ Auf seinen Pfaden hinterdrein./ (. . .)/ Mir scheint es, daß er magisch leise Schlingen/ Zu künft'gem Band um unsre Füße zieht./ (. . .)/ Der Kreis wird eng, schon ist er nah!" 1 "
Ein Wiedererkennen hält den Blick dessen fest, der als Erkenntnissuchender zugrundeging. Worin das Bekannte besteht, vermag er in191 192 193 194
195 196 197 198 1,9
Paul Ricoeur, Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, F f m . 1974, p. 271 cf. Faust I, H A 3, p. 53, V. 1549 ib., p. 41, W . 1126-1141 D e r D u d e n Bd. 7, Etymologie. H e r k u n f t s w ö r t e r b u c h d e r deutschen Sprache, e d d . G ü n t h e r D r o s d o w s k i , Paul Grebe, M a n n h e i m 1963, f ü h r t u n t e r dem Stichwort „ D u n s t " auf: „Tod und tot lassen sich als Bildungen zu einem Verb mit d e r Bed. ' b e t ä u b t werden, hinschwinden' hier anschließen." (p. 123) Faust I, H A 3, p. 41, V. 1143 ib., V. 1146 ib., V. 1142 ib., V. 1147 ib., p. 42, W . 1152-1162
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des nicht anzugeben, wurde doch selbst der Trieb, den Faust im „Pudel" 2 0 0 als den eigenen wahrnimmt, domestiziert, der „Dressur" 2 0 1 unterworfen. Trotz der beschwichtigenden Rede Wagners sieht Faust sich gebannt. Schützte ihn bisher der Zentrismus des Geistes, kehrt jetzt das über die Peripherie seines Einzugsbereichs Hinausfallende zurück, um ihn konzentrisch zu fesseln, ihn zu seinem eigenen Gefangenen zu machen. Diese Bedrohung sowohl wie die Möglichkeit einer Verbindung mit dem Fremden und doch nicht Unvertrauten bedenkt Faust, wenn er 'künft'gem Band' entgegensieht. Wagner, plan in seiner Auffassung, gibt ungewußt Hinweise auf die Spannung der Triebe. Sinneswahrnehmung für Sinnestäuschung genommen, räumt er dem Auge die gehörige Stellung ein; ein wechselseitiges Sehen begründet die magische Fixierung in der Konstellation der voneinander Angezogenen. Nicht weil es, „statt seines Herrn, zwei Unbekannte sieht" 2 0 2 , nähert sich das Tier, sondern weil es den 'Herrn' 2 0 3 sieht, und der ist ihm nicht unbekannt. 2 0 4 Ebenso geht die von Wagner getroffene Evidenz fehl: „ D u siehst! ein H u n d , und kein Gespenst ist da." 2 0 5 Denn eben das Geisterhafte des Tiers erzwingt den Blick des Betrachters, der es „Gespenst" 2 0 6 auch bald nennen wird. Nicht nur im Unheimlichen, dem Bekannt-Unbekannten 2 0 7 , aber liegt der Bann, sondern ebenso darin, daß dieses, einem Faszinosum gleich, den Blick abzieht. Fausts Auge folgt dem 'FeuerstrudeP als der Spur des Teufels, ohne noch um deren eigentliches Ziel zu wissen, obgleich sein Blick von der Todesphiole schon einmal ans Licht verwiesen und von ihm gebannt war. In einem durch ein semantisches Feld der visuellen Wahrnehmung - blicken, sehen, betrachten, halten für, bemerken, scheinen, sich täuschen, kennen, finden - gekennzeichneten Bereich gerät das Tier in ein magisches Verhältnis zum Erkennenden: als dessen Schatten, den das eigene Bild in einem begrenzten 'Kreis' schlägt. Dennoch führt gerade der Schatten - wie in der Nachtszene die Todesphiole den Glanz, die Aura des Geheimnisvollen, mit sich; er ist das allein
200 201 202 203 204 205 206 207
ib., V. 1150 ib., V. 1173 ib., V. 1161 so die erste Anrede, cf. ib., p. 46, V. 1322; p. 47, V . 1325 cf. ib., p. 54, V. 1579 sq. ib., p. 42, V. 1163 cf. ib., p. 44, V. 1253 cf. Sigmund Freud, Das Unheimliche, Studienausgabe Bd. IV, Schriften, 2. Aufl., Ffm. 1970, pp. 241-274
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Lichtspendende, das hier wie dort einem „Magnet(en)" 208 gleich das Auge auf sich zieht. Dem Geist gelingt es aber, das Fremde, ihm nicht Gleichende als sein Produkt abzutun und damit in seine Abhängigkeit zu bringen. Faust, reterritorialisiert aus der freien Landschaft des „neue(n) Trieb(es)" 209 in die Enge der Reflexion, besinnt sich noch einmal auf die „beßre Seele" 210 ; er leugnet die „wilde(n) Triebe" 211 , gibt sie nochmals der Verdrängung anheim. Mit solcher Entmischung räumt er dem domestizierten Eros der „Menschenliebe" 212 und der „Liebe Gottes" 213 die Herrschaft wieder ein. D a ß der isolierte Eros Konstrukt eines rationalen Diskurses ist, gibt Goethe mit Schärfe zu verstehen: „Vernunft fängt wieder an zu sprechen" 214 . Die Ratio ist also jener Moral verpflichtet, die über die Transzendenz Gottes der Einheit von Leben und Tod die Grenze einzeichnet. Gerade diese Transzendenz, in der „des Lebens Quelle" ersehnt wird, stellt durch ihre Begrenzungsstruktur das Leben in seiner Bewegung still. Das „Ach!" 215 läßt als Interjektion im rationalen Diskurs einen Laut vernehmen, der den der Klage über die Trennung der Triebe 216 wiederholt. Verstärkt im kreatürlichen, „tieris c h e ^ ) Laut" 217 melden sich die aus der „ganze(n) Seel(e)" 218 verbannten 'wilden Triebe' an; schon das Plädoyer für Gottes- und Menschenliebe läßt sie ein, wird so als brüchige Rationalisierung des eingeschränkten Eros kenntlich werden. In einem dritten „ach!" 219 schließlich gesteht sich Faust, daß der Eros der Vernunft die erwartete „Befriedigung" 220 nicht gewährt. Dennoch bleibt der moralische Geist f ü r Faust vorerst noch der einzig mögliche Bündnispartner. Obwohl seiner Einsicht gemäß der
208 209 210 211 212 213 214 215 216
217 218 219 220
Faust I, H A 3, p. 29, V. 687 ib., p. 40, V. 1085 ib., p. 42, V. 1181 ib., p. 43, V. 1182 ib., V. 1184 ib., V. 1185 ib., V. 1198 ib., V. 1201 cf. ib., p. 41, V. 1112; cf. auch den ersten Vers des ersten Faust-Monologs, ib., p. 2 0 , V . 354 ib., p. 43, V. 1204 ib., V. 1203 ib., V. 1210 ib., V. 1211
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sinnliche Bezug zu ihm nur einer „Erfahrung" 2 2 1 des „Mangel(s)" 2 2 2 Raum gibt, ist Faust bereit, von seinem Triebwesen, das nach Vereinigung strebt, zu abstrahieren und sich der Autorität der Urteilsmacht zu subordinieren: „Wir lernen das Uberirdische schätzen,/ Wir sehnen uns nach O f f e n b a r u n g , / D i e nirgends würd'ger und schöner brennt/ Als in dem Neuen Testament." 2 2 3 D e r im eigenen Leiden erfahrenen Trennung der Triebe sucht er sich noch einmal durch objektivierende Projektion in den fundamentalen D i c h o t o mien von Transzendenz und Erfahrung, G o t t und Mensch, Leben und Tod zu entheben. Als „Kategorien des Daseins" 2 2 4 werden dessen Desiderate der jeweils letzteren Instanz dieser Dualismen zugeschrieben, eine moralische Akzentuierung, die Faust in ihrer Entlastungs- und Ersatzfunktion für die reale Trennungsstruktur hier noch nicht durchschaut, besser, nicht durchschauen will. Konstitutum des Subjekts fordert der Lebensmangel lediglich eine Kompensation, die ihm die Methexis am 'Überirdischen' gewähren soll. Den Garant bildet solcher Gewißheit nach der „Grundtext" 2 2 5 des 'Neuen Testaments', als die Identität von Zeichen und Göttlichkeit, von Zeichen und Geist. Fixiert auf die Schrift, die sein Verlangen nach O f fenbarung trägt, verkennt Faust den grundsätzlichen Charakter der Abwesenheit im Buchstaben. D a ß Schrift als reine Signifikanz in exemplarischer Form der Nichtpräsenz Gottes Rechnung trägt, dekuvriert den Inhalt der Stelle des Textes, die Faust zum Problem wird, die Stelle, die von der Inkarnation des Wortes, von der Menschwerdung Gottes handelt: „Geschrieben steht: 'Im Anfang war das W o r t ! ' " 2 2 6 Die Unzulänglichkeit der Schrift, des Wortes der Abwesenheit, wird Faust in der Übersetzungsarbeit des „heilige(n) Origin a l s ) " 2 2 7 zur Erfahrung, durch Vergegenwärtigung des Wortes in der lebendigen Sprache des „geliebte(n) Deutsch" 2 2 8 . Die Reflexion der fraglichen Stelle des Johannes-Evangeliums zeitigt zuerst Fausts Überzeugung: „Ich kann das W o r t so hoch unmöglich schätzen" 2 2 9 . D e r Text, mit dem er sich auseinandersetzt, bringt einen Mythos, eine Erklärung des 'Anfangs', der den Gegenmythos Mephistos vor-
221
ib., V . 1214
222
ib., V . 1215 ib., p. 4 3 s q . , W .
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1216-1219
224
D i c h t u n g und Wahrheit I I , H A 9, p. 3 5 2
225
F a u s t i , H A 3, p. 4 4 , V . 1220 ib., V . 1224 ib., V . 1222 ib., V . 1223 ib., V . 1226
226 227 228 229
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bereitet. Kanonisch bestimmt das Evangelium in seinem Incipit das Verhältnis von Mythos und Logos selbst als eines der Identität: das Wort koinzidiert dem Anfang, ist der Anfang. Dieser dem griechischen Verständnis folgenden Interpretation in der eigenen Sprache widersetzt sich Faust, um bei der Ubersetzung von logos 'Wort' durch „ S i n n " 2 3 0 zu substituieren und dadurch ein höheres M a ß an Präsenz zuzulassen. Indem er auch sie verwirft, nimmt er vom gegenplatonischen Entwurf einer Zusammenführung von Mythos und Logos Abstand, ersetzt ihn in seiner sprachlichen Umformung durch den gegenhomerischen der Verbindung von Mythos und Ergon. 231 Diese erfaßt das Moment, um das es Faust zu tun ist: das des Schaffens und Wirkens. 232 Wenn er über die Formulierung „ K r a f t " 2 3 3 zu der der „ T a t " gelangt, holt er das, was ihm als Mangel des Geistes bewußt geworden ist, über den Mythos ein: „Im Anfang war die T a t ! " 2 3 4 Faust überführt das mangelhafte Wort Gottes in die autonome Tat. In dem seinen Sohn von sich sondernden Gott interpretiert er nun den Geist, der sie aus sich entläßt, mit der als dem Fleisch des Wortes dessen Anfang erst gesetzt ist. Es ist sein eigener Mythos, den Faust, sich als Verkörperung des Geistes entwerfend, in der Transformation des neutestamentlichen bildet. Wem er damit Einlaß gegeben hat, nimmt er selbst mit Erstaunen wahr: „Welch ein Gespenst bracht' ich ins Haus!" 235 Als Teufel wird es sich ihm entlarven. Mit der Exegese Fausts, der Durcharbeitung der geistigen Genese vom Wort zur Tat, schaltet sich der tätige Genius 236 im Prinzip der Störung 237 ein. Der erneute Abwehrversuch Fausts, der nach Maßgabe der Vernunft noch einmal auf Trennung und Ausschluß zielt 238 , mißlingt; da er durchs „Gastrecht" 239 die Ausschließungspraxis einib., V . 1 2 2 9 cf. Karl Kerenyi, Antike Religion, Wiesbaden 1 9 7 8 , p. 15: „Bei H o m e r steht m y t h o s in Gegensatz zu e r g o n : die Geschicklichkeit darin - in der Rede - wird der Geschicklichkeit in Taten ( e r g a ) entgegengestellt. Einer siegt m y t h o i s i , mit beredten Worten, der andere - mit der Lanze. Im M u n d e des Sophisten P r o t a goras, in Piatons gleichbenanntem Dialog, steht m y t h o s gegen l o g o s : eine A r t der Belehrung gegen die andere." 232 Faust I, H A 3, p. 44, V . 1 2 3 2 233 ib., V . 1 2 3 3 2 3 4 ib., V . 1 2 2 7 235 ib., V . 1 2 5 3 2 3 6 cf. ib., p. 18, V . 3 4 2 s q . 2 3 7 ib., p. 44, , V . 1241 2 3 8 cf. ib., W . 1243-1246 2 3 ' ib., V . 1 2 4 5 230 231
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geschränkt hat, gerät das einmal Zugelassene zur überdimensionalen Gestalt. 240 Für solche Gefahr der Überwältigung durch die Triebgestalt steht dem Bedrohten in „Salomonis Schlüssel" 2 4 1 ein Gegenmittel zur Verfügung; wo der Schlüssel des Geistes versagte 2 4 2 , reicht der magische Schlüssel zu: dieser bringt in Einschluß, was jenem unter Ausschluß stand. „Drinnen gefangen ist einer!/ Bleibet haußen, folg' ihm keiner!" 2 4 3 Die Ausgeschlossenen beklagen den Eingeschlossenen, weil, obgleich wie das Außen Ort unterm Bann des Geistes, nur das Innen paralysiert; dem Eingeschlossenen kommt nicht einmal die Freiheit der Bewegung: des Schwebens, zu, die Unabhängigkeit, die erst im Zentrum des bannenden Geistes ihre Grenze findet. Innerhalb seines Mediums ist es ihm als Objekt unterworfen, gezeichnet von der „Meister" 2 4 4 - Logik der Verfügung. 2 4 5 Auch die magische Beschwörung Fausts beruht wie jede kulturelle Praxis auf der Gültigkeit der Gleichung von Wissen und Macht: „Beherrschen heißt zu beherrschen wissen, Herr ist derjenige, der weiß. (. . .) Was weiß der Herr? Beherrschen ist Wissen. Wissen ist Beherrschen. Es sind Teufelskreise, und das Teuflische ist das, dem das Denken sich entziehen muß" 2 4 6 .
D e m Herrn, dessen „Spruch" 2 4 7 den widerstrebenden Kräften gebietet, fügt sich der drangsalierte Teufel vorderhand: „Ich salutiere den gelehrten H e r r n ! / Ihr habt mich weidlich schwitzen machen." 2 4 8 Die Unterwerfungsgeste läßt die Macht des Wissens auf die sie fundierende nominalistische hin transparent werden: „Wie nennst du dich?" 2 4 9 „Bei euch, ihr Herrn, kann man das Wesen/ Gewöhnlich aus dem Namen lesen,/ Wo es nur allzu deutlich weist,/ Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Lügner heißt." 2 5 0 In den Bedeutungen cf. ib., W . 1250-1255 ib., p. 45, V. 1259sq. 242 ib., p. 28, V. 670 sq. 243 ib., p. 45, V. 1259 sq. 244 ib., V. 1281 245 cf. ib., p. 4 5 s q . , W . 1271-1321 - über die Mittel der Verfügungsgewalt cf. T h o mas Hobbes, Vom Menschen / Vom Bürger, (Elemente der Philosophie II/III), ed. Günter Gawlick, H b g . 1959, p. 16sq. 2 4 6 André Glucksmann, Die Meisterdenker, Reinbek bei H b g . 1978, p. 145 247 Faust I, H A 3, p. 45, V. 1272 248 ib., p. 47, V. 1325 sq. 2 4 ' ib., V. 1327 - zum Benennungsakt cf. Anselm Strauss, Spiegel und Masken. Die Suche nach Identität, Ffm. 1974, p. 16sqq. - cf. auch Roland Barthes, Le9on/Lektion, Antrittsvorlesung im Collège de France, gehalten am 7. Jan. 1977, Ffm. 1980, p. 17 250 Faust I, H A 3, p. 47, W . 1331-1334 240 241
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seiner mutmaßlichen hebräischen Herkunft 2 5 1 legt Goethe den N a men Mephistopheles, den ein spätes Volksbuch dem Verbündeten des D o k t o r Faust gab, diesem selbst in den M u n d . Obgleich vor dem Hintergrund der Erfahrung des Ausschlusses vom positiven Geist die erste Begegnung Fausts mit Mephisto als der Gestalt des Negativen im Zeichen des „kennen lernen" 2 5 2 steht, kommt noch einmal die Herrschaftsattitüde zur Geltung, indem der Wissende das Negative benennt, nicht dieses sich selbst. Bevor Mephisto die „Wahrheit" 2 5 3 über sich und seine Existenzmodalitäten ausspricht, nennt ihn zuerst der Andere, dessen Anrede er nur mehr expliziert. D a ß dem Namennennenden Herrenrecht zukommen soll, der Benannte aber im Namen die Persiflage des ihn unterwerfenden Herrenrechts zu dulden habe, nimmt der noch Unbekannte zum Anlaß, dem Verfahren der Identifizierung sich zu entziehen und es zu hinterfragen. Nicht nur das im Akt der Benennung fixierte Subjekt-Objekt-Verhältnis ist davon betroffen; der Befragte differenziert vor allem zwischen „Schein" 2 5 4 und „Wesen" 2 5 5 , wobei er die Faßbarkeit durchs „Wort" 2 5 6 zum leitenden T h e m a erhebt. In seinem Wesen ist das Negative nicht namhaft zu machen: es hat kein Wesen, ist kein „Subjekt möglicher Prädikabilien" 2 5 7 . Es besteht vielmehr allein in der Aussage, und die kommt ihm durch den positiven Geist zu, den Faust vertritt. D e r Teufel verdankt seine Existenz dem Benennungsakt, der ihm das Urteil spricht und der ihn sprechen heißt. Die Moral bannt im Namen ihr Ausgeschiedenes; in ihm entwirft sie die Übertragungs- und Projektionsfigur des „Bösen" 2 5 8 , den „Satan" 2 5 9 . Dessen Selbstbezüglichkeit ist daher nicht möglich: „Soll ich mich etwa selber nennen?" 2 6 0 Seine Existenz beruht allein auf einer Nominierung, die das Geächtete schlechthin umfaßt: „ S o ist denn alles,/ Was ihr Sünde,/ Zerstörung, kurz das Böse nennt,/ Mein eigentliches Element." 2 6 1 Über die lustvolle Identifikation mit dem im 251
252 253 254 255 256 257 258 259 260 261
cf. Reinhard Buchwald, Führer durch G o e t h e s Faustdichtung. Erklärung des Werkes und Geschichte seiner Entstehung, 7. Aufl., Stuttgart 1964, p. 334 Faust I, H A 3, p. 48, V . 1389 ib., p. 47, V . 1346 ib., V . 1329 ib., V . 1330 ib., V . 1328 Arnold M e t z g e r , Freiheit und Tod, T ü b i n g e n 1955, p. 189 Faust I, H A 3, p. 81, V . 2509 ib., p. 2504 ib., p. 80, V . 2488 ib., p. 47, W . 1342-1344
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Namen Gebrandmarkten wächst dem Verfemten seine Beschädigung als Kraft zu: das Verneinte wirft sich auf zum Verneinenden: „Ich bin der Geist, der stets verneint!" 262 Sobald aber die Kategorie der Verneinung als Qualität, nicht mehr nur als Relation von Verneinendem und Verneintem, gefaßt wird, gerät sie zur radikalen Kritik der Kultur, die das von ihr Negierte exilierte. Die Frage nach dem 'Wesen': „Wer bist du denn?" 263 , weiß das „Phantom" 2 6 4 der Aussage durch seinen Mythos zu beantworten, den es als „Kraft,/ Die stets das Böse will und stets das Gute schafft" 2 6 5 , in einer Dialektik von Wille und Produktion entfaltet. Das Negative interpretiert sich als Produktionsinstanz, die die Kategorien der Moral aufsprengt; mit deren Primat bricht sein „Rätselwort" 266 , indem es die Dichotomie von Gut und Böse scheinbar der von Wille und Schaffen unterordnet, tatsächlich aber das Produktionsprinzip von jeglicher Moralität freisetzt. In seinem Schaffensexzess steht der negative Geist jenseits dichotomischer Wertungen: „Gut und Böse, Licht und Finsternis, Geburt und Zerstörung scheinen also auf eine eigentümliche Weise im Faustdrama dauernd ineinanderzugreifen, ja sich sogar ineinander zu verwandeln, wenn von der vernichtenden Tätigkeit Mephistos gesagt wird, sie reize und fördere die produktive Tätigkeit des Menschen, sie schaffe gerade 'das Gute'." 2 6 '
Die Maxime des amoralischen Geistes lautet damit: „Also gehört das höchste Böse zur höchsten Güte: diese aber ist die schöpferische. -" 2 6 S In Anbetracht von Produktivität ist das Vokabular der Moral obsolet. Der Mythos, den Mephisto aus der Benennung durch die negierende Macht entwirft, reflektiert die Negation, der er unterworfen ist; der verneinende Geist wendet die Verneinung zurück, negiert das ihn Negierende. Als eine Proposition der Aussage verzehrt er das Machtprodukt „Welt" 269 gleichfalls durch das Mittel von Wort und Rede: die Reformulierung des Schöpfungsmythos, die die Machtergreifung des Negativen betreibt. Indem er sich als „Teil des Teils, der anfangs alles war" 270 , bezeichnet, behauptet Mephisto 262 265 264 265
267 268 269 270
ib., V. 1338 ib., V. 1334 ib., p. 81, V. 2497 ib., p. 47, V. 1335 sq. ib., V. 1337 W . E m r i c h , Poetische W i r k l i c h k e i t , I.e., p. 75 F. Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Werke, Bd. II, I.e., p. 372 Faust I, H A 3, p. 48, V. 1364 ib., p. 47, V. 1349
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seine Partizipation am Ursprung alles Bestehenden; er schreibt sich eine Unmittelbarkeit zu, deren er als Produkt göttlicher Hervorbringung entbehrte. Doch besteht der Ursprung seinen Ausführungen zufolge nicht - wie es der trinitarischer Provenienz will - in einer geistigen Einheit, sondern in einer Vielheit von Kräften, denen der Mythenbildner der Negativität als 'Teil' sich zugehörig bekennt. Die schöpferische „Finsternis", die die Teile des Anfangs umfaßt, läßt Mephisto gleich einer gebärenden Muttergottheit erscheinen, die einen Teil aus sich „gebar", das „Licht" 271 , der gegenüber seinem Anfang das Stigma des Mangels trägt. Dennoch stellt sich dieser als Träger des „Etwas", der „Welt" 272 , zu den Kräften seiner Erzeugung in ein exklusives Verhältnis, partikularisiert also das anfängliche „alles" 273 sich selbst gegenüber zum bloßen Teil. Damit begrenzt das Erzeugte seinen Ursprung nicht nur; es betreibt vielmehr dessen Vernichtung, indem es ihm „Rang" und „Raum (. . .) streitig macht" 274 . So wird nach Mephistos Exkurs das Licht als das in Ermanglung seiner Autorität primordiale Negative ausgemacht, das der „Mutter Nacht" 275 sich widersetzt. Die Negation des Lichts hat jedoch - seiner Abkunft gemäß - produktiven Charakter: in seinem Medium gestaltet sich die Materie in der 'Welt' und ihren „Körpern" 276 ; allein durch das von ihm zur Erscheinung gebrachte 'Etwas' der 'Welt' wirkt es negierend auf die Finsternis des „Nichts" 277 . Allerdings wiederholt sich in diesem Darstellungsakt dieselbe rückwirkende Negation durchs Produkt, wie das Licht sie hinsichtlich der Finsternis praktizierte, weil auch der von ihm hervorgebrachte „Körper" es ,,hemmt(.)" 278 , also begrenzt. In seiner negierenden Tätigkeit nun, die auf den Lichtkörper gerichtet ist, solidarisiert sich Mephisto zugleich mit diesem seinem Objekt der Vernichtung, da er mit ihm als der vom Licht adoptierten Erscheinung gegen deren Scheinerzeuger sich wendet. Wie das Dasein der 'Welt' den konstitutiven Lichtraum einschränkt, so negiert der Geist des Ursprungs in und gleichzeitig mit der Schöpfung das ihn verleugnende Produkt. Sein negierendes Verhalten begründet
ib., ib., ib., ib., ib., ib., ib., ib.,
V. p. p. V. V. V. p. p.
1350 48, V. 47, V. 1352 1351 1354 48, V. 47, V.
1364 1349
1363 1356
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der verneinende Geist also mit der Negation durchs Negierte, die als eine des Anfangs, der ihn legitimiert, unrechtmäßig ist. S o klagt denn das negative Prinzip den ihm gebührenden Rechtstitel ein: „ U n d das mit Recht; denn alles, was entsteht,/ Ist wert, daß es zugrunde geht;/ Drum besser wär's, daß nichts entstünde." 2 7 9 D e m Wert schlechthin, dem des Seienden, setzt Mephisto einen des Zugrundegehns entgegen, stürzt dadurch die Ideologie der Werte gänzlich. Er subvertiert die dem Bestehenden verpflichtete Moral, die dieses schon im 'Entstehen' schützt: das sie tragende Dasein ohne Bezug auf den mephistophelischen Grund, der, dem Mythos des verneinenden Geistes zufolge, in diesem als dem des polymorphen Ursprungs seine Präsenz behauptet; das grundlos Entstehende desavouiert der moralische Komparativ, der indes auf 'nichts' gehend sich aufhebt. Mit dem Rechtsgegenstand, der die Priorität nicht des Seienden, sondern des Nichts statuiert, mit dem daraus sich herleitenden Zweck, der nicht auf Entstehen und Leben, vielmehr auf Tod zielt, setzt Mephisto seine lex diaboli ein: sie substituiert das von der M o ral etablierte Herrenrecht, das - wie der 'Prolog im Himmel' zeigt einen hypostasierten 'Herrn' privilegiert, durch die Grund-Rechte des Negativen: „Die Hölle selbst hat ihre Rechte?/ D a s find' ich gut, da ließe sich ein Pakt,/ U n d sicher wohl, mit euch, ihr Herren, schließen?" 2 8 0 Des Teufels Rechtsfähigkeit verleiht ihm, dem Verstoßenen und Verfemten, den Status des 'Herrn', durch den er für den moralischen - also gesetzmäßig verfaßten - Geist als Bündnispartner annehmbar wird. Wenn es der Forschung zum Problem wurde, daß Mephisto, dem aufgrund seiner „Wette" 2 8 1 mit dem 'Herrn' des Himmels an einer Ubereinkunft mit Faust gelegen sein muß, sich in der ersten Studierzimmerszene ohne die Versicherung eines Pakts, ja ihm sich entziehend, entfernt 2 8 2 , so liegt darin ein grundlegendes Mißverständnis
279 280 281 282
ib., W . 1339-1341 ib., p. 49, W . 1413-1415 ib., p. 18, V. 331 cf. Ulrich Maché, Zu G o e t h e s 'Faust', Studierzimmer I und Geisterchor, in: Aufsätze zu Goethes 'Faust I', I.e., pp. 3 6 9 - 3 7 9 - cf. Alexander Rudolph H o h l f e l d , Pakt und Wette in G o e t h e s 'Faust', in: A u f s ä t z e zu G o e t h e s 'Faust I', I.e., pp. 3 8 0 - 4 0 9 - cf. H e r m a n n J . Weigand, Wetten und Pakt in Goethes 'Faust', in: Aufsätze zu Goethes 'Faust I', I.e., pp. 4 1 0 - 4 2 7 - cf. Heinrich Rickert, Die Wetten in G o e t h e s Faust, in: L o g o s . Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, Bd. 10, 1921/22, edd. Richard K r o n e r , G e o r g Mehlis, Tübingen 1922, pp. 123-161
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der Intention Goethes, den Bündnispartner nicht als Gefangenen, sondern als Gleichberechtigten, als Gerufenen und damit Erwünschten vorzustellen; dem Teufel das Stigma der „Subalternität" 283 zu benehmen, gilt Goethes Bemühen der zweimaligen Einführung Mephistos. Mehrfach bringt Goethe den negativen Geist im Kontext psychischer Vorgänge als Triebgestalt ein; auch den „Traum" 284 nimmt er für sie in Anspruch: seine Sphäre enthebt Faust der der Ratio. „Versenkt ihn in ein Meer des Wahns" 285 , fordert Mephisto die Geister auf. Es ist bezeichnend f ü r den positiven Geist, das mit dem Erscheinen des Negativen sich der Wahn als Enklave der Vernunft konturiert 286 ; bezeichnend aber auch die Ubereinstimmung der dem Teufel gehorchenden Geister mit denen des Himmels im fünften Akt des zweiten Teils, die sich im Sprachduktus wie in der Semantik anzeigt. 287 Was der Geist, dem Faust „Ebenbild" 288 zu sein verlangte, diskreditierte, bringt sich, ob himmlisch oder teuflisch genannt, als Wesen produktiver „Elemente" 289 ein; sie, denen sich Mephisto in der integrativen Pluralität des „wir" 290 verbindet, eröffnen durch ihre „Künste" 291 den Zugang zu den „Sinnen" 292 , den Bereich, der „Leben" 293 trägt. Ihr den der himmlischen Heerscharen vorwegnehmender Gesang hat die Naturgeschichte des göttlichen Menschen zum Inhalt. Den imaginären Raum der Transzendenz, der das menschliche Dasein verdunkelte, lösen die Geisterstimmen auf, durch deren Aphasie und Irrationalität des Diskurses der Blick auf 283 284 285 286
287
288 289 2.0
2.1 2.2 2.3
Dichtung und Wahrheit III, H A 10, p. 49 Faust I, H A 3, p. 52, V. 1528 ib., p. 51, V. 1511 cf. Michel Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft, Ffm. 1973 cf. z.B.: „Andere schweben;/ Alle zum Leben,/ Alle zur Ferne/ Liebender Sterne,/ Seliger Huld." (Faust I, H A 3, p. 51, VV. 1501-1505) Entsprechend: „Heilige Gluten!/ Wen sie umschweben,/ Fühlt sich im Leben/ Selig mit Guten." (Faust II, HA 3, p. 355, W . 11817-11820). Hingewiesen sei besonders auf die gleichlautenden Verben der Bewegung: schweben ( W . 1460, 1501, 11683), flattern ( W . 1464, 11701), schwanken ( W . 1459, 11844), stürzen ( W . 1475, 11876) etc. Faust I, HA 3, p. 24, V. 516; p. 27, V. 614 ib., p. 45, V. 1278 ib., p. 1446 - cf. dazu H a r o l d Jantz, Goethes Faust as a Renaissance Man, Princeton 1951, p. 30 sqq. Faust I, H A 3, p. 49, V. 1433 ib., p. 50, V. 1436 ib., p. 50, V. 1467; p. 51, V. 1502
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den gestirnten Himmel frei wird. Das väterliche Erbe der Schöpfung treten die „Himmlische(n) Söhne" als ein ästhetisches Produkt an: sie verwalten es nicht mehr mit autoritärer Herrschaft, sondern spenden als „Liebende" 294 mit ihm eine Gabe „fürs Leben" 295 , dessen Beschreibung seiner Intensität Ausdruck verleiht; die „schönen Bilder" 296 werden mit äußerster sprachlicher Nuancierung als solche der Fülle erzeugt. Die Welt gehört ihrem Gott, dem Menschen. Das gibt die Phantasmagorie des Teufels dem 'Traum' ein. Weil Faust, fixiert noch an die Kategorien der Vernunft, dem Traum keine Realität zugesteht - die Ratio dem ihr Inkompatiblen - fühlt er sich „abermals betrogen" 297 . Wenn der beglückende „geisterreiche Drang" 2 9 8 des Traums ihm als zweites Blendwerk erscheint, worin lag dann das erste? Wohl kaum in der Gestalt des Pudels als der zum Teufel entstellten Erscheinung des Unterdrückten, sondern in ihr als einer Figur der Realität, wie sie der logifizierende Geist bewirkt. Der Betrug erster Ordnung liegt in der des Geistes, die erst den zweiter Ordnung fordert. Im Gewahrwerden des vernunftgemäßen Modalitätsgefüges als Trug wird dieses durchschlagen, um das Verdrängte zuzulassen. Damit es als Gestalt des „Leben(s)" 299 zu seinem Recht kommt, muß das Exilierte von dem, der ihm als seinem eigensten entfremdet war, gerufen werden. 300 Was die Beschwörung als Voraussetzung des Bündnisses zwischen Faust und Mephisto begründet, ist die ihnen gemeinsame Diskrepanz zum göttlichen Geist. Gleich jenem findet sich Faust als Ausgestoßener 301 ; er, der sich den „Gottverhaßte(n)" 302 nennt, wird vom Teufel selbst einmal gar Teufel geheissen. 303 Aus seiner Insuffizienz heraus vollzieht Faust mit der Berufung des Anderen den Akt, der Gott vorbehalten war: er „ruft dem, was nicht ist, daß es sei." 304 Dabei kennzeichnet jedoch - diese Konzession erzwingt der moralische Geist, auf welche noch die Revokation 2,4 ib., V. 1469 " s ib., V. 1467 2.6 ib., V. 1440 2.7 ib., p. 52, V. 1526 2.8 ib., V. 1527 2 " ib., p. 53, V. 1543 500 cf. ib., p. 52, W . 1530-1532 301 cf. ib., p. 107, V. 3348 sqq. 302 ib., V. 3356 303 cf. ib., V. 3373 304 R o m . , 4,17
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des Anderen eingehen muß - den in die Existenz Eingeholten der Charakter des Abtrünnigen und Widersachers und damit des Verneinten 305 ; das ist die Voraussetzung für seine Anerkennung: „Ein verdrängter Vorstellungs- oder Gedankeninhalt kann also zum Bewußtsein durchdringen, unter der Bedingung, daß er sich v e r n e i n e n läßt. Die Verneinung ist eine Art, das Verdrängte zur Kenntnis zu nehmen, eigentlich schon eine Aufhebung der Verdrängung, aber freilich keine Annahme des Verdrängten." 3 0 6
Die Ambivalenz des Verneinten prägt die zweite Begegnung Fausts mit Mephistopheles, die zur Wette auf Tod und Leben führt. Er weiß nach dem ersten Erscheinen des Gegenspielers, mit wem er es zu tun hat, mit der negativen Kraft nämlich, die „der ewig regen,/ Der heilsam schaffenden Gewalt/ Die kalte Teufelsfaust entgegen" 307 setzt. In ihr erkennt er also eine produktive Instanz, deren zerstörerische Tätigkeit der aufbauenden förderlich, wenn nicht notwendig ist. Als todbringendes Element steht der verneinende Geist in der Immanenz der Produktion, wodurch sein 'Rätselwort' vom Wollen und Schaffen sich löst: sein deletäres Moment offenbart Mephisto als eines des Lebens. Die vernichtende Tätigkeit, die Produktion von Tod ist immer auch die von Leben. „Und dem verdammten Zeug, der Tier- und Menschenbrut,/ Dem ist nun gar nichts anzuhaben:/ Wie viele hab' ich schon begraben!/ Und immer zirkuliert ein neues, frisches Blut./ So geht es fort, man möchte rasend werden!/ Der Luft, dem Wasser, wie der E r d e n / Entwinden tausend Keime sich,/ Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!"' 0 8
Indem Mephisto destruktive Arbeit leistet, treibt er das Lebensphänomen mit hervor, gerade weil er durch sie ein entfremdetes Potential in die lebendige Erscheinung einholt. „Schöpferische Aktivität" 309 kennzeichnet das, was nach Maßgabe der Moral 'böse' ist. Diese fällt in ihrer Abwehr das Urteil, „alle Produktivität sei böse" 310 , so daß einseitig wieder dem Teufel der Produktionstrieb zugeschrieben wird. Demgemäß kann ein Zeitgenosse Goethes die „barbarische Moral" als „Feindin des Lebendigen" 311 aburteilen. Das
305
Faust I , p . 55, cf. V. 1651 Sigmund Freud, Die Verneinung, Studienausgabe Bd. III, Psychologie des Unbewußten, Ffm. 1975, p. 373 307 Faust I, H A 3, p. 48, W . 1379-1381 308 ib., W . 1369-1376 30 ' T h o m a s Mann, D o k t o r Faustus, 31.-36. Tsd., Ffm. 1976, p. 639 310 Ernst Bloch, Philosophische Aufsätze. Zur objektiven Phantasie, Ffm. 1969, p. 221 3U Wilhelm Heinse, Ardinghello und die glückseligen Inseln, Stuttgart 1975, p. 133 306
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in Tätigkeit umgesetzte „Nichts" 3 1 2 ist Kraft dessen, der von der Moral dem Nichts ausgeliefert wurde; in einer Kultur, in der 'das Böse' nicht sein darf, wird auch das Produktive nicht geduldet, das sie mit jenem ausspart. M i t dem 'Bösen' wurde dessen negative Arbeit geächtet, was Goethe zu einer fundamentalen Kontamination beider nutzt: er verleiht dem Tod in Teufels Namen Bedeutsamkeit. Mittels seiner produktiven Vernichtung bringt sich Mephisto ins Phänomen ein; zu seiner Erlösung als schaffender Geist bedarf er des Menschen, dem er daher den Pakt anträgt. Ebenso harrt der als „Ebenbild der Gottheit" 3 1 3 zurückgewiesene Mensch einer Kraft, der „die neuen produktiven Einsichten in die Geheimnisse von Natur und Kunst" 3 1 4 erfahren läßt, und das ist die des Negativen. Wilhelm Emrich widmet seine Studie 'Genesis des Bösen in Goethes F a u s t I ' eingehend der Frage nach dem Zustandekommen des Teufelspakts; am Vergleich zwischen dem Urtext und der endgültigen Fassung des ersten 'Faust' zeigt er dessen Gestaltung in der durch Goethe vorgenommenen Freisetzung von den Urteilszwängen des überlieferten Stoffs: „ D i e Zurückweisung durch den Erdgeist ermöglicht erst den P a k t mit dem Teufel, der zugleich selber vom Erdgeist dem Faust z u g e f ü h r t wird. In dieser ungeheuerlichen D i a l e k t i k bewegt sich das Faustdrama G o e t h e s . Erst wenn man dies begriffen hat, ahnt man etwas von der Genesis und S t r u k t u r des Bösen in der modernen W e l t , die nur noch an die N a t u r glaubt, einen jenseitigen G o t t und einen jenseitigen Teufel abgeschafft hat und sich ausschließlich auf die irdische Welt k o n z e n triert, sich in ihr einrichtet, einem Erdgeist huldigend, dessen Gewalten sie j e d o c h selber nicht kennt und b e g r e i f t . " 3 "
Als Naturerscheinung läßt sich der Erdgeist mit den kulturellen Normen nicht messen; die undomestizierte Kraft übersteigt das logozentrisch verfaßte Vermögen des Subjekts, läßt es seine Grenzen erfahren. Allein in reduzierter Gestalt wird sie ihm verfügbar, weshalb „Mephisto als Sendbote bzw. als Produkt des Erdgeistes bezeichnet" 3 1 6 werden kann. Indem die Teufelserscheinung als Organ
512 515 314 515
Faust I, H A 3, p. 4 8 , V . 1363 ib., p. 2 4 , V . 5 1 6 W . E m r i c h , Poetische W i r k l i c h k e i t , I . e . , p. 76 ib., p. 77 ib., p. 76 - Die häufig vertretene Erdgeisthypothese hat Heinrich Rickert, Die dramatische Einheit der Dichtung, Tübingen 1932, mit ausführlichen Begründungen zu widerlegen gesucht, aber für seine durchaus überzeugenden Argumente d o c h wieder den Preis des M o r a l i s m u s gezahlt: „Die U n b e s t i m m t h e i t der verschiedenen Welten hat eine G r e n z e . E s dürfen die verschiedenen W e r t e und W e r t g e g e n s ä t z e nicht so d u r c h e i n a n d e r gemengt sein, daß dadurch ihre E i g e n a r t als
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einer schaffenden Gewalt auftritt, erhält der Pakt den Sinn einer produktiven Figur; nur solchermaßen neu gewendet kann Goethe in der späten Fassung das alte Motiv aufnehmen: „ D e r Pakt verkündet ja nichts anderes als Treue zu sich selbst, zum nie ruhenden Streben, zum ewig unbefriedigten Wandern. Den Pakt k a n n er nie verlieren - dies ist Fausts Uberzeugung - , weil er nie von seinem eigenen Wesen abweichen, sich nie von Genuß und Schein betrügen, sich von keinem erreichten Ziel befriedigen lassen wird." 3 1 7
U m seiner selbst willen geht Faust das Bündnis mit dem „ E r o s des Schaffenden" 3 1 8 ein; dieser wird durch die Verschränkung mit dem Menschen als dessen Kraft 3 1 9 , die ihm abh? iden kam, angedeutet; ihr Fremdes, Widersacherisches hat die Wirksamkeit des treibenden Moments. D a „der Teufel" durch „die Macht über den Tod" 3 2 0 der lebendigen Entäußerung notwendig ist, erschließt er, der negative positive oder negative Werte unklar wird. D a m i t würde zugleich der S i n n des i r d i s c h e n Geschehens, der ihm durch seine Beziehung zu überirdischen Werten z u k o m m t , unklar werden. D e s h a l b ist stets daran festzuhalten, daß Mephistopheles überall als Teufel aus der 'Hölle', d. h. als Vertreter des 'bösen' Prinzips auftritt. O h n e ein solches B ö s e , d a s G o t t f e i n d l i c h gegenübersteht, ist keine Fausthandlung denkbar. Sie setzt einen kosmischen W e r t d u a l i s m u s von H i m m e l und H ö l l e v o r a u s . " (ib., p. 250 sq.) Emrich benutzt den Gedanken der A b k u n f t Mephistos vom Erdgeist gerade, um die moralische Identifizierung des Teufels durch die pantheistische N a t u r k a t e g o r i e des jungen G o e t h e aufzuheben: „In eine ( . . . ) religiös-ethische Welt konnte sich der Faust des jungen Goethe von innen her niemals einfügen. Den Pakt hätte also Goethe von vornherein anders formulieren müssen. Aber in welchem Sinne? D a s Göttliche und das Teuflische, die um Fausts Seele ringen, hätten in einem solchen Pakt klar formuliert, definiert und voneinander abgegrenzt werden müssen. Aber auch dies war unmöglich. Beide flössen ja bereits in der zentralen Erdgeistbeschwörung eigenartig ineinander über. U b e r diesem 'glühenden Leben', von dem der Stürmer und D r ä n g e r Goethe so fasziniert ist, waren fast ununterscheidbar G u t und Böse vereint. U n d dies gilt durchgehend f ü r den religiösen Naturpantheismus des jungen G o e t h e . " (Poetische Wirklichkeit, I.e., p. 80) „ D a s moderne Genie im Bund mit dem Teufel, weil alle festen ethischen Maßstäbe gesprengt wurden im modernen N a t u r p a n t h e i s m u s . " (ib., p. 81) „Aus alledem wird aber nun deutlich, warum auch beim späten G o e t h e bis hin zum Schluß des zweiten Teils der Faustdichtung die Rolle des Bösen eigentümlich ambivalent bleiben mußte, negative und positive Akzente in sich vereinigt." (ib., p. 82) 317 318
319 320
ib., p. 78 Walter Benjamin, Das Leben der Studenten, Gesammelte Schriften Bd. II.l, Aufsätze, Essays, Vorträge, edd. Rolf Tiedemann, Hermann Schweppenhäuser, Ffm. 1977, p. 81 cf. Faust I, H A 3, p. 60, V . 1824 sq. Paul Tillich, In der T i e f e ist Wahrheit. Religiöse Reden, 1. Folge, Stuttgart 1952, in: Georg Hahn (ed.), V o m Sinn des Todes, Texte aus drei Jahrtausenden, Zürich 1975, p. 263
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Geist, sich als Teil des produktiven Wesens. D a s Element der Zerstörung, mit dem Faust paktiert, manifestiert geschichtsphilosophisch den Anspruch auf ein Leben jenseits von Repressionen; das uneingelöste Menschliche hat sich in die Destruktion der Werke instrumentalisierter Macht geflüchtet. D e m fluchend, was ihm das Ideal des Guten galt 3 2 1 , legt Faust in den Bruchstücken des Zerschlagenen Verstelltes frei, das ihm zum Material neuen Lebens wird; davon reden die Dämonen: „Weh! w e h ! / Du hast sie zerstört,/ D i e schöne Welt,/ Mit mächtiger F a u s t ; / Sie stürzt, sie zerfällt!/ Ein Halbgott hat sie zerschlagen!/ Wir tragen/ Die Trümmer ins Nichts hinüber,/ Und klagen/ Über die verlorne Schöne./Mächtiger/ Der Erd e n s ö h n e , / Prächtiger/ Baue sie wieder,/ In deinem Busen a u f ! / Neuen Lebensl a u f / Beginne,/ Mit hellem Sinne,/ U n d neue L i e d e r / T ö n e n darauf!" 3 2 2
Der als Fluchender die K r a f t der Zerstörung entbindet, hat den Geistern seines Innern zufolge die Macht, das Bestehende nicht nur vor die Kulisse des 'Nichts' zu stellen, sondern aus diesem das je schmerzlich Entbehrte zu gewinnen; anderenorts wird es an Mephisto adressiert heißen: „In deinem Nichts hoff' ich das All zu finden." 3 2 3 Aus der Transzendenz, die, menschliche Erfahrungshorizonte übersteigend, den Tod als Ende und Entzug von Leben festlegt, verwandelt Goethe den verleugneten Faktor der Produktivität zum Impuls von Leben, welcher dem Nekromanten durchs Teufelsbündnis als schöpferische Stärke zuwächst. Dadurch kann Faust auf das Leben in seiner Immanenz wirken, das an " d i e s e r Erde" 3 2 4 und „ d i e s e r Sonne" 3 2 5 „Freuden" 3 2 6 und „Leiden" 3 2 7 hat. Auch der zweiten, vom Menschen nach seinem Lebensanspruch geschaffenen Welt dient „ d i e s e Welt" 3 2 8 , die bestehende, zum Stoff ihrer Konstruktion, ihres Baus. D a s historisch zugerichtete, zivilisatorische Material gerät in den Prozeß der Abarbeitung, der es destruierend, chaotisierend rettet. Die Arbeit der Vernichtung nämlich durch321 322
323 324 323 32fc 327 328
Faust I, H A 3, p. 54, W . 1583-1606 ib., p. 54 sq., W . 1607-1626 - Bei Goethe gibt es nicht die creatio ex nihilo, sondern nur die des Worts (cf. Klaus Heinrich, Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen, Ffm. 1982, p. 110 sqq.). Das Nichts als die Sache des Teufels kann erst Faust mit seiner Hilfe anbrechen lassen, um die geschichtliche Prädominanz des Seienden zu brechen, cf. J. P. Sartre, Das Sein und das Nichts, I.e., p. 64: „Der Mensch stellt sich (. ..) als ein Seiendes dar, das das Nichts in der Welt anbrechen läßt." Faust II, H A 3, p. 192, V . 6 2 5 6 Faust I, ib., p. 56, V . 1663 ( H e r v o r h e b u n g von Verf.) ib., V . 1664 (Hervorhebung von Verf.) ib., V . 1663 ib., V. 1664 ib., V. 1661 (Hervorhebung von Verf.)
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schlägt positiv Gegebenes, die 'schöne Welt', um es als das in seiner Zertrümmerung Negierte in ein Werk eingehen zu lassen, das den Glücksanspruch des Menschen historisch rückwirkend auf das Versagte hin durchleuchtet und Erfüllung verspricht; in dem aus dem Tod des Bestehenden herausproduzierten Sein 329 , das erst Leben heißen darf, ist das Nichts als das von der Geschichte Unterworfene aufgehoben. Dessen Verwirklichung gewährt der ,,neue(.) Lebenslauf" 330 , der auf den produktiven Tod sich gründet. Diesen aber bringt der Geist des Negativen, die „ K r a f t zum Vernichten" und die „Lust am V e r n i c h t e n " 3 3 1 in sich vereinigend, in seinem Bündnisangebot an Faust ein: „Doch willst du mit mir vereint/ Deine Schritte durchs Leben nehmen,/ So will ich mich gern bequemen,/ Dein zu sein, auf der Stelle." 332 Goethe kann von der historisch gewordenen Trennung, die das Bewußtsein des Menschen spaltete, ihn seiner eigenen produktiven Kraft entfremdete, nicht abstrahieren. Doch verwandelt er das scheinbar irreversible Resultat einer nicht mehr vermittelten Dualität durch jenes Bündnis in eine dialektische Figur; als solche ist das „Um Lebens oder Sterbens willen" 333 begründete Herr-Knecht-Verhältnis zwischen Faust und Mephisto zu lesen. Seine Darstellung im Vergleich zum thematisch entsprechenden Kapitel der Hegeischen 'Phänomenologie' als einer Geschichte des Geistes erhellt den kritischen Ort Goethes in Hinsicht auf den Geist der Geschichte. 334 Hegel verzeichnet eine Trennung, die den Einstand der Geschichte des Menschen als der des Selbstbewußtseins bedingt: seine Schizophrenisierung in der „Verdoppelung" 335 . Was aber im „Kampf auf Leben und Tod" 336 des in seiner „Einheit" 337 Verdoppelten sich als Herrschaftsverhältnis durch Gewalt konstituiert, beruht auf einer animalisch-animistischen Genese, die dem „Begriff d e s G e i s t e s " 3 3 8 das Zeugnis seiner Sublimierung ausstellt. Seine erste „Wahrheit, (. . .) die Gewißheit seiner selbst, als w a h r e Gewißheit" 339 hat das 329 330 331 332 333 334
335 336 337 338 339
cf. Ernst Bloch, Das Prinzip H o f f n u n g , 3 Bde., Ffm. 1973, Bd. 3, p. 1156 Faust I, HA 3, p. 67, V. 2072 F. Nietzsche, Ecce homo. Warum ich ein Schicksal bin, Werke, I.e., Bd. II, p. 1153 Faust I, HA 3, p. 55, W . 1642-1645 ib., p. 57, V. 1714 zum Vergleich von Hegels 'Phänomenologie' und Goethes 'Faust' cf. H a n s Mayer, Goethe. Ein Versuch über den Erfolg, Ffm. 1973, p. 145 sqq. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, I.e., p. 140 ib., p. 144 ib., p. 141 ib., p. 140 ib., p. 139
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„selbstbewußte Subjekt" nämlich durch die „Verzehrung" eines " a n s i c h " mit ihm „ i d e n t i s c h ( e n ) " „selbstlosen Objekts" 340 . „ B e g i e r d e " 3 4 1 nennt Hegel das Verhalten, den „ e i g e n e n M a n g e l " 3 4 2 zu objektivieren, damit gleichzeitig ein Objekt des „Triebe(s)" 243 und seiner Befriedigung zu projizieren. Auf der niederen Stufe eines zoomorphen Selbstbewußtseins, das den Mangel als zu ihm gehörig schon kennt, dient das Objekt durch seinen Befriedigungseffekt als integraler Faktor einer in sich ausgleichsfähigen Subjektivität. Indem der „Gegenstand" 344 einverleibt wird, wird nur der eigene Mangel des Selbstbewußtseins aufgehoben: das Verzehren des „Negativen" 345 ist dem Verzehren der Negativität des Selbstbewußtseins gleich, seiner Selbsterhaltung und Herstellung seiner „Individualität" 346 . Doch die 'Phänomenologie' von 1807 formuliert schärfer als die 'Enzyklopädie', auf die sich die vorangegangene Darstellung weitgehend stützt. Sie hebt den „gedoppelten Gegenstand" des „Selbstbewußtseins" 347 stärker hervor, verleiht ihm noch nicht den Schein der Unschuld im Akt der Einverleibung des Objekts; den Begriff der „ a n s i c h " bestehenden „Identität" 348 zwischen Subjekt und Objekt, der den späten Text grundiert, vermeidet der frühe. Dagegen tritt hier der „ C h a r a k t e r d e s N e g a t i v e n " 3 4 9 des Gegenstands in einer Weise hervor, die die Absicht der „Unterdrückung" 3 5 0 durch das selbstbewußte Subjekt pointiert. Keinem beliebigen Objekt gilt dessen „ B e g i e r d e " , sondern „Gegenstand der unmittelbaren Begierde ist ein L e b e n d i g e s . " 3 5 1 Dieser ist ihr durch das „ W e s e n " gegeben, das als das „ A u f g e h o b e n s e i n aller Unterschiede" sie gleich-
140
341 342 343 344 345 346
347 348 349 3,0 331
G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1839), Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes. Mit mündlichen Zusätzen, Werke, I.e., Bd. 10, Ffm. 1970, p. 217 ib., p. 215 ib., p. 217 ib., p. 216 ib. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, I.e., p. 143 ib., p. 137 - cf. Werner Hamacher, p l e r o m a - zu Genesis und Struktur einer dialektischen Hermeneutik bei Hegel, in: Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Der Geist des Christentums. Schriften 1796-1800, ed. Werner Hamacher, Ffm./Berlin/Wien 1978, pp. 20sq., 75sqq. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, I.e., p. 135 G. W. F. Hegel, Enzyklopädie III, I.e., p. 216 G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, I.e., p. 135 ib., p. 137 ib., p. 135
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zeitig bewirkt und sich den „selbständigen Gestalten" als „negative Natur" darbietet. „Die Einheit ist entzweit, weil sie absolut negative oder unendliche Einheit ist; und weil sie das B e s t e h e n ist, so hat auch der Unterschied Selbständigkeit nur an i h r . " Im „Medium" der „sichselbstgleiche(n) Selbständigkeit" 352 besteht die Notwendigkeit der Spaltung zu unterschiedenen „ s e l b s t ä n d i g e n Gestalten", die einander negieren, die aber ebenso das sie aufhebende „Allgemeine(.)" um ihrer „Individualität" 353 willen negieren müssen. Hegel sieht die „Bestimmung des Lebens" 354 in einem wechselseitigen „Aufzehren" des „ A n d e r e ( n ) " , wobei jedes Aufzehren ein Aufgezehrtwerden durch das Aufgezehrte ist, jede Selbsterhaltung „auf Kosten" des Andern dessen „Erzeugen" unter „Aufheben des individuellen Bestehens". Also ist „das Leben als L e b e n d i g e s " gleichzeitig Aufzehren und Aufgezehrtes; darin besteht die „ V e r k e h r t h e i t an s i c h s e l b s t " 3 5 5 , die in der „Doppelsinnigkeit des Unterschiedenen" 356 ihre Fortsetzung findet. Doch der „Befriedigung" der „ B e g i e r d e " erwächst eine „Erfahrung", welche rückwirkend den Einverleibungsakt als Moment der Konstitution des Selbstbewußtseins einbringt. Während diesem auf der Stufe der Begierde die „Nichtigkeit dieses Andern", das es verzehrt, außer Zweifel steht, wird es durch den Genuß als „Aufheben dieses Andern" von der „Selbständigkeit seines Gegenstandes" überzeugt. „Das S e l b s t b e w u ß t s e i n e r r e i c h t s e i n e B e f r i e d i g u n g n u r in e i n e m a n d e r n S e l b s t b e w u ß t s e i n . " Dem gesättigten Selbstbewußtsein inhäriert die Kenntnis über sein verschlungenes Objekt: es weiß, sich „An dem Leben" 357 , das dem seinen gleich ist, befriedigt zu haben. Das „Selbstbewußtsein, als (. . .) Begriff(.) des Geistes" ist an seinem Ursprung nach der Figur des Kannibalismus gebildet; es markiert den „Wendungspunkt, auf dem es aus dem farbigen Scheine des sinnlichen Diesseits und aus der leeren Nacht des übersinnlichen Jenseits in den geistigen Tag der Gegenwart einschreitet." 358 Dieser Satz könnte ähnlich von Goethe geschrieben sein, wenn es die Liebe wäre, die aus Licht und Finsternis den Geist hervorbrächte, nicht ein wechselseitiges Vertilgen. D a ß der Verschlingungsakt ein zwiefacher ist, begründet Hegel 352
ib., " ib., 354 ib., 355 ib., 356 ib., 357 ib., 358 ib., 3
p. p. p. p. p. p. p.
136 137 135 137 141 139 140
Lex diaboli
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zufolge die „Verdoppelung des Selbstbewußtseins". Darin liegt aber keineswegs das Uberleben des anderen, der Begierde zum Opfer gefallenen Selbstbewußtseins beschlossen; im Gegenteil betont Hegel, die „nur l e b e n d i g e Gestalt (. . .) hör(e) mit ihrem Unterschiede auf, zu sein, was sie ist" 3 5 9 . U m der Kultivierung des Geistes im Selbstbewußtsein willen stirbt dessen Negatives durch die Vertilgung einen notwendigen T o d , geht aber in dem Gestärkten auf. Dessen Verdoppelung, aus der sich der „Kampf auf Leben und T o d " 3 6 0 herschreibt, trägt unverkennbare Züge des Animismus. Nach Hegels Argumentationsgang kann das andere als das Spiegelbild des einen Selbstbewußtseins nämlich nur eine Projektion darstellen. D a s Selbstbewußtsein, das den T o d des andern auf kannibalistische Weise herbeiführte - wodurch die Identifikation mit ihm schon statthatte - wurde in der Befriedigung zum „Schuldbewußtsein" 3 6 1 für eine „Blutschuld" 3 6 2 geprägt; dieses läßt den Toten als „ D ä m o n ( . ) " oder ,,Geist(.)" 3 6 3 erscheinen, der Rache fordert. „ D i e genossene Lust hat wohl die positive Bedeutung, s i c h s e l b s t als gegenständliches Selbstbewußtsein geworden zu sein, aber ebensosehr die negative, s i c h s e l b s t aufgehoben zu haben; und indem es seine Verwirklichung nur in jener Bedeutung begriff, tritt seine E r f a h r u n g als Widerspruch in sein Bewußtsein ein, worin die erreichte Wirklichkeit seiner Einzelheit sich von dem negativen W e s e n vernichtet werden sieht, das wirklichkeitslos jener leer gegenübersteht und d o c h die verzehrende M a c h t desselben ist. Dieses Wesen ist nichts anders als der B e g r i f f dessen, was diese Individualität an sich ist." 3 6 4
Dem Selbstbewußtsein steht ein anderes fernerhin als sein „Gewissen" 3 6 5 gegenüber; in der 'Verdoppelung' entlarvt sich sein 'Widerspruch'. Der aber zieht es in den T o d , den es dem Andern zufügte: Furcht vor der eigenen Vernichtung durch den Vernichteten peinigt das Selbst-/ Schuldbewußtsein nicht nur, sie vergegenwärtigt in seinem Spiegelbild es selbst als Totes. S o legt Hegel mit dem Kapitel 'Die Lust und die Notwendigkeit' in Goethes Faust seine eigene Geistgestalt aus; diese „nimmt sich das Leben, wie eine reife Frucht gepflückt wird, welche ebensosehr entgegenkommt, als sie genommen wird." 3 6 6 Mit dem Genuß der Frucht des Negativen ist das G . W. F. Hegel, P h ä n o m e n o l o g i e des Geistes, I.e., p. 140 ib., p. 144 361 S. Freud, Unser Verhältnis zum Tode, Studienausgabe Bd. IX, p. 54 362 ib., p. 55 363 ib., p. 54 364 G . W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, I.e., p. 2 6 3 s q . 3' ib., V. 6485 110 G. W. F. Hegel, P h ä n o m e n o l o g i e des Geistes, I.e., p. 505 111 Faust II, H A 3, p. 197, V. 6397 112 ib., p. 199, V. 6488 115 ib., V . 6499 114 ib., V. 6500 115 ib., p. 197, V. 6396 116 ib., p. 196, V . 6377 117 ib., p. 201, V. 6553 118 ib., V. 6555 119 W. Emrich, Die Symbolik von Faust II, p. 218 120 ib., p. 219 121 cf. Zueignung, H A 1, p. 152, V. 96: „Der Dichtung Schleier aus der H a n d der Wahrheit." 122 Faust II, H A 3, p. 191, V . 6195 123 ib., V. 6220 124 ib., p. 197, V. 6422
Schönheit als Idol
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stalt des Todes zu beschwören. Beim Sphärensprung des orphischen Faust bleibt die von Goethe zunächst geplante Hadesszene mit dem Persephone rührenden Gesang des Bittenden ausgespart; statt dessen sucht er im „Priesterkleid" 125 mit sakralem Instrumentarium sein nekromantisches Unternehmen durchzuführen. 1 2 6 Den mythologisch verbürgten Weg des Orpheus verwandelt Goethe in ein Mysterium, das den Tod simuliert. 127 Aus der imaginären Unendlichkeit des „Grenzenlosen" 128 , die „kein Ort, noch weniger eine Zeit" 129 definiert, beruft der Dichter als „Magier" 130 , der allein Zugang zur Sphäre des Unbewußten findet, dessen „Bilder" 131 kraft seiner Sprache. Als zeitlich und räumlich spezifizierte Gestalt verloschen, erlangt durchs orphische Wagnis das erneutes Bestehen, „was einmal war" 132 und daher einem imaginären Raum zugeordnet wird: der Dichter läßt es „schauen" 133 . Mit diesem zentralen mystischen Terminus bezeichnet Goethe dessen magische Praxis: sie entwirft Leben aus dem Reich des Todes als dem der Phantasie und ihrer Bilder; von dort ruft sie die Erscheinung des Schönen hervor, verbürgt ihre eigene ästhetische Wahrheit. Zwar löst sich, „Mit Gewalt" 134 gefaßt, die fragile Imago der Poesie auf, die liebende Verbindung mit ihr im dritten Akt jedoch bewahrt sie, die Königin der Unterwelt, als Gestalt der faustischen Gegenwart. Hier tritt nämlich die Sprache in ihrer „orphischen Dimension" 135 ins Recht, wie die glückvolle „Wechselrede" 136 zwischen den Liebenden, als Rede schon „Gesang" 137 , bezeugt. „Gelockt, auf sel'gem Grund zu wohnen,/ Du flüchtetest ins heiterste Geschick!/ Zur Laube wandeln sich die T h r o n e n , / Arkadisch frei sei unser Glück!" 138 Den Lebensgrund vergegenwärtigt Faust die Liebesgöttin Helena. Als Schönheit kat exochen vermag sie sich über 125 126 127
128 129
130 131 132 133
ib., V. 6421 cf. ib., V. 6423; cf. ib., p. 198, V. 6439 cf. ib., p. 191, W . 6 2 2 2 - 6 2 2 7
ib., p. 197, V. 6428 ib., p. 191, V. 6214 ib., p. 198, V. 6436 V. 6430 ib., V. 6431 ib., V. 6438
154
ib., p. 201, V. 6560
135
Michel Foucault, D i e Prosa Aktaions, in: Sprachen des Körpers. Marginalien zum Werk von Pierre Klossowski, Berlin 1979, p. 37 Faust II, H A 3, p. 283, V. 9376 ib., V. 9373
136 137
138
ib., p. 288, W . 9570-9573
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Orphik
die „Vergangenheit" 1 3 9 zu erheben, gelangt am O r t der Unsterblichkeit an ihren göttlichen Ursprung. 1 4 0 Goethe heißt die Ordnung nach M a ß g a b e der Schönheit ,,erste(.) Welt" 1 4 1 , konträr zur repräsentativen des Todes, die auf dem Opfer der Schönheit sich aufbaut, der der 'Wahlverwandtschaften' und der 'Lehrjahre'. Goethes Werk gestaltet Schönheit affin dem Schellingschen 'Begriff der Persephone', der in der Dyas als Potenz, dem Weiblichen als der Möglichkeit des Anders-Seyns gründet. Die kategoriale Figur der Differenz hebt sich ab vom Seyn als dem Männlichen, dem Bewußtsein, dessen Unbewußtes sie zunächst bildet. Diese ihre U r sprünglichkeit zeigt Persephone im Stand der Unschuld, der Jungfräulichkeit, auch der Androgynität. Gegen das Weite und Grenzenlose männlichen Expansionwillens gebietet sie als das Andere über einen paradiesischen O r t der Freude. Dennoch enthüllt sich Persephone sogleich auch als unheilbringende Fortuna adversa. 1 4 2 Darin ist ihr Goethes Helena gleich, mit deren Gestalt das U n glück beschworen wird: „Das Verderben ist nicht weit." 1 4 3 Es trifft sie selbst zuerst, indem das von ihr erhellte arkadische Idyll dem Fluch der Parzen, sie selbst aber zum wiederholten Mal dem Untergang verfällt: „Ein altes W o r t bewährt sich leider auch an m i r : / D a ß G l ü c k und S c h ö n h e i t d a u e r h a f t sich nicht vereint./ Zerissen ist des Lebens wie der Liebe B a n d ; / B e j a m m e r n d beide, sag' ich schmerzlich L e b e w o h l / U n d werfe mich noch einmal in die A r m e dir./ Persephoneia"144.
In der Vereinigung mit Persepohne identifiziert sich Helena mit dem Schicksal, dessen Opfer sie ist. Wenn die Mythen Persephone in verschiedensten Bindungen fixieren - einmal wird sie als jungfräuliche K o r e zur Tochter der Erdgöttin Demeter, dann zu der des Göttervaters Zeus erklärt; dem Helios verpflichtet gedacht, der ihr Schicksal als Beute des Hades prophezeit, partizipiert sie als Gattin des Unterweltgottes an der Herrschaft über das Totenreich, aus ihm nur im halbjährlichen Wechsel entlassen - , so konfiguriert Goethe diese Charakteristika in seinem H e lena-Mythos: „vom höchsten G o t t entsprungen" 1 4 5 gehört die 140 141 142
145
ib., V . 9 5 6 3 cf. ib., V . 9 5 6 4 ib., V . 9 5 6 5 cf. Friedrich W i l h e l m J o s e p h Schelling, P h i l o s o p h i e der M y t h o l o g i e , 2. B d . , D a r m s t a d t 1973, pp. 1 5 5 - 1 6 3 Faust II, H A 3, p. 2 8 4 , V . 9 4 2 5 - Emrich spricht von der „todbringenden Rolle des Schönen" ( W . Emrich, Die Symbolik von Faust II, I.e., p. 3 0 8 )
144
Faust I I , H A 3, p. 3 0 0 , W .
145
ib., p. 2 8 8 , V . 9 5 6 4
9939-9944
Schönheit als Idol
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„Schönheit" 1 4 6 doch der Göttin der T i e f e an, zu der sie nach ihrem der „Sonne" 1 4 7 verglichenen Erscheinen in der Welt der Lebenden, als ,,Königin(.)" 1 4 8 zurückkehrt. Ihrem mythologischen Index als Unterweltsgöttin verleiht die Klage Helenas Ausdruck: „Denn Ruf und Schicksal bestimmen fürwahr die Unsterblichen/ Zweideutig mir, der Schöngestalt bedenkliche/ Begleiter" 1 4 9 . Damit nennt sie ihre entscheidenden Attribute selbst. Zunächst begründet der Ruf, das über sie Gesagte oder die „Sage" 1 5 0 , ihren „Ruhm" 1 5 1 ; daß es sich dabei immer um männliche Rede, „des Herren (. . .) Herrscherwort" 1 5 2 handelt, unterliegt ihr keinem Zweifel. Doch verlautet dieses nicht nur durch den Sterblichen; sie, die ,,Heroine(.)" 1 5 3 , die in diesem Beinamen den Namen der Erdmutter H e r a mitführt, ist auch von Plutus in die Unterwelt befehligt worden und wird ein zweites Mal von Euphorion hinabgefleht. Die Zweideutigkeit des Rufs nimmt bei Goethe im Auftritt Fausts als Plutus prägnanteste Gestalt an. Nicht nur dadurch, daß die Figur des Unterweltsgottes mit dem Knaben Lenker erscheint - dem Genius des Worts, der den des dritten Akts präfiguriert - , wird das Gaukelspiel am Kaiserhof mit der Helena-Episode verbunden; die M a s k e des Plutus stellt darüber hinaus den Rufenden der Erscheinung voran. Der sterbliche Herr Helenas und ihr unterirdischer gelangen in Faust als Dichter zur Dekkung: beide begehren die Schönheit. In diese als Objekt der Liebe gehen Persephone und Helena ein, welch letztere in Goethes Tragödie auf den 'Ruf' 1 5 4 Fausts ebenso unter den Lebenden wiedererscheinen darf wie im Mythos. „Königinnen freilich, überall sind sie gern;/ Auch im H a d e s stehen sie obenan" 1 5 5 ; es triumphiert in H e lena, der weltlichen und gleichwohl unterirdischen Königin, als „Herrin" 1 5 6 Herr über den Herrn, die „siegend unbesiegte(.) Frau" 1 5 7 . Und „überschreitet" sie „freventlich" 1 5 8 die vom patriarcha-
ib., p. 2 7 9 , V . 9 2 4 0
147 148 149 150 151
ib., p. 278, V. 9224 ib., p. 301, V. 9970 ib., p. 258, W . 8531-8533 ib., p. 257, V. 8515 ib., V . 8 5 1 9
ib., p. 259, V. 8568 ib., p. 191, V. 6202 154 155 156
158
cf. ib., p. 193, V . 6 2 9 8 ib., p. 3 0 1 , V. 9 9 7 0 sq. ib., p. 2 8 0 , V . 9 2 7 1 ib., V . 9 2 6 7
ib., p. 271, p. 8979
252
Orphik
len Olymp gesetzte Grenze, die vom König und Gatten festgelegte „Ordnung" 1 5 9 , so mag ihr eigenes „streng Geschick" 160 besiegelt sein; durch ihr Uberschreiten aber wird sie zur Moira: zur Herrin eines „Grenzunbewußten Reichs" 161 . Mit jenem ersten Attribut der Schöngestalt, dem Ruf, verflicht sich zuinnerst das zweite, die Schicksalhaftigkeit: „Unsel'ger Bilder Schreckgestalten (. . .)/ War ich das alles? Bin ich's? Werd' ich's künftig sein./ Das Traum- und Schreckbild jener Städteverwüstenden?" 162 Helena ist sich des Doppelcharakters ihrer Schönheit bewußt: es ist sowohl das apollinische Traum- wie das dämonische Schreckbild, das durch jenes nach sich gezogen wird, männliche Imago. 163 Das Bild, der „Wahn", konstituiert die Schönheit, die Geschichte als „Gedächtnis" 164 prägt sie. Der Schönheit liegt kein An-sich, kein Selbst zugrunde; der der Formung gegebene Stoff, das bis zur Unbestimmtheit flüchtige Wesen, besteht in einer Fiktion, und allein diese wird zum Objekt von Begehren und Kampf erhoben. Die Bilder aber, denen Helena ihr Bestehen verdankt, grundieren in den Schicksalsfragen: ich war, ich bin, ich werde sein - auch das sind Namen der Parzen. Das 'Verhängnis' 165 , das Helena beschattet, begleitet sie in der platonischapollinischen Figur der Eros. Ihm sich hingebend, dessen Begehren vom eigenen Mangel bestimmt wird, webt sich die Schönheit schicksalbringend dem Leben seiner singulären Gestalt im Heros sowie der Geschichte seiner allgemeinen Gestalt, der Kultur, ein. D a ß nicht nur die Antike einer apollinischen Perspektive verpflichtet ist, sondern jede Epoche, zeigt Goethe in den Faust-Helena-Szenen, die das von Helena beklagte Verhängnis, das ihr im antiken Griechenland zuteil wurde, exakt wiederholen. Darin kündigt sich ihre mythische Verflochtenheit der Wiederholung an, ihr drittes Schicksalsattribut: ich werde sein, nämlich das Traum- und Schreckbild zukünftiger Zeiten. Als Kommentator des Geschehens weist zunächst der Chor auf die ständige Wiederkehr der immergleichen Ereignisse in der Geschichte um Spartas Königin. 166 Der aktive Eros und die seinem »" ib., p. 258, V. 8555 ib., p. 279, V. 9247 161 ib., p. 282, V. 9363 162 ib., p. 266, VV. 8835-8840 163 cf. dazu Silvia Bovenschen, Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen, 2. Aufl., Ffm. 1980, p. 38 164 Faust II, HA 3, p. 266, V. 8838 " s cf. ib., p. 257, V. 8409 166 cf. ib., p. 283, W . 9388-9403
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Werben nachgebende Frauengunst sind demnach das Movens der Geschichte; nichts unterscheidet daher das faustische Mittelalter von der Antike. Und ist Helena wie in dieser auch Faust ein „Traum" 1 6 7 , zitiert er ebenso das Schreckbild. Krieg um Helena hebt erneut an; auch Faust spricht den martialischen Jargon der Städteverwüstenden: „In Stahl gehüllt, vom Strahl umwittert,/Die Schar, die Reich um Reich zerbrach,/ Sie treten auf, die Erde schüttert,/ Sie schreiten fort, es donnert nach." 1 6 8 D e r um Helena geführte Kampf dokumentiert nicht zuletzt die Auseinandersetzung „des aphroditisch-hetärischen mit dem heräisch-ehelichen Prinzip" 1 6 9 , wodurch ihr Wechsel zwischen O b e r und Unterwelt auch als der zwischen ehelicher Geschlechtlichkeit und Jungfernschaft durchsichtig wird; wie das Eintauchen in den Todesbereich einer Reinigung gleichkommt. Denn erobert wird in der Gattin des Menelaos die aphroditische Liebesgöttin, der die Zweideutigkeit von exzessivem Liebesgenuß und Jungfräulichkeit anhaftet. T r o t z der dämonischen Schicksalhaftigkeit klingt in der notwendig apollinischen Gestaltung des apollinischen Objekts H o f f n u n g an; und eben darauf scheint das Bestreben Goethes sich zu konzentrieren; gerade weil er sich dessen bewußt ist, als Dichter aufs äußerste der Kultur verpflichtet zu sein, die er durch seine Dichtung aufzubrechen sucht. D e r geheimen Spur zur Erlösung aus dem mythischen Kreis ewiger Wiederkehr folgt Helena in ihrer „Idolwerdung" 1 7 0 . Sie löst sich aus ihrem nur imaginären Bestehen, indem sie aus dem Bild zurücktritt, es dadurch objektiviert, ohne allerdings zum Subjekt, was hier hieße: zum Träger männlich-apollinischer Kultur, zu werden. Weil sie ohne das ihr zugrundeliegende Bild keine Existenz hat, kann sie sich ihm allein durch dessen gleichzeitige Annihilation abringen. Im Schwinden der Schönheit liegt demnach der Ursprung eines wesenhaft Schönen. 1 7 1 Dem Daphne-Apoll-Motiv verleiht Goethe damit eine kunsttheoretische Dimension, die den Mythos der M e t a m o r phose selbst verwandelt. D a ß in ihrem M o m e n t etwas vergeht, was jenem erst entspringt, bricht die Herrschaft der apollinischen Kultur, die noch im Lorbeer der Entfliehenden das Zeichen ihrer Uni167 168
170 171
ib., p. 284, V. 9414 ib., p. 285, W . 9 4 5 0 - 9 4 5 3 J . J . Bachofen, Das Mutterrecht, I.e., p. 36 W . Emrich, Die Symbolik von Faust II, I.e., p. 312 cf. W. Benjamin, Goethes Wahlverwandtschaften, Gesammelte Schriften Bd. 1.1, I.e., p. 193
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Orphik
versalität sieht. D e r Schleier d a g e g e n , den bei G o e t h e die Entschwindende dem Dichter zurückläßt, bildet den Garanten eines dem Werden und Vergehen der bloßen Erscheinung abgewonnenen Anderen. Unverhüllt tritt dieses d e m ihr Nachsinnenden erst angesichts des T o d e s entgegen: „ D i e volle schleierlose O f f e n b a r u n g der Schönheit ist der T o d " 1 7 2 . V o m Faden der schicksalhaften Schönheit eingesponnen entpuppt sich F a u s t denn auch in der Schlußszene: „Freudig empfangen w i r / Diesen im P u p p e n s t a n d ; / U n d so erlangen wir/ Englisches U n t e r p f a n d . / L ö s e t die Flocken l o s , / D i e ihn u m g e b e n ! / Schon ist er schön und g r o ß / Von heiligem L e b e n . " 1 7 i
D e r , dem dies gewährt wird, erfährt die E r o t i k der ins versprechende Sternenbild entrückten toten Geliebten. 1 7 4 Ihm ö f f n e t sich in der letzten Faustszene der chthonische Himmel und läßt ihn „ I m Sternenkranze ( . . . ) / Die Himmelskönigin" 1 7 5 finden. Nicht einem abstrakten Prinzip erkennt G o e t h e den N a m e n des „Ewig-Weibliche(n)" 1 7 6 z u , er huldigt durch ihn der in H e l e n a gestalteten Schönheit als höchster Sinnlichkeit. Sie als die Liebes- und Todesgöttin erscheint in der ' M a t e r gloriosa'. S o entspricht auch ihre W ü r d i g u n g , die sie den pluralen „ G ö t t e r n " 1 7 7 gleichstellt, wohl kaum dem christlichen M o n o t h e i s m u s . Wie überhaupt die an der Oberfläche katholizistisch wirkende Veranstaltung der faustischen Erlösung vielmehr der Initiation in den göttlichen Körper gilt; dagegen nur einmal, eher beiläufig, „ G o t t e s " 1 7 8 gedacht wird, ebenso der Sohn mehr zitathalber und wieder nur in b e z u g auf die jungfräuliche Mutter Erwähnung findet 1 7 9 . D i e angebetete Göttin zeugt eher von einem paganen Polytheismus, dem der Antike. Als Herrscherin der Unterwelt, der 'Bergschluchten', wird Persephone, deren irdischer N a m e H e l e n a lautet, in der „ H i m m e l s k ö n i g i n " 1 8 0 noch einmal sichtbar. Eine S c h u t z m a n t e l m a d o n n a verheißt die M u t t e r / J u n g f r a u die vom D o c t o r M a r i a n u s erbetene Einweihung von Liebe und T o d :
172 175 174 175 176 177 178 179 180
W. Emrich, Die Symbolik von Faust II, I.e., p. 321 Faust II, H A 3, p. 360, W . 11981-11988 cf. Die Wahlverwandtschaften, H A 6, p. 485 Faust II, H A 3, p. 361, V. 11994 sq. ib., p. 364, V. 12110 ib., p. 361, V. 12012 ib., p. 358, V. 11921 cf. ib., p. 362, V. 12037sq. ib., p. 361, V. 11995
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„ H ö c h s t e Herrscherin der Welt!/ Lasse mich im blauen,/ Ausgespannten H i m melszelt/ Dein Geheimnis schauen./ Billige, was des M a n n e s B r u s t / Ernst und zart beweget/ U n d mit heiliger Liebeslust/ Dir entgegenträget. (. . . ) / J u n g f r a u , rein im schönsten Sinn,/ Mutter, Ehren w ü r d i g , / Uns erwählte K ö n i g i n , / Göttern ebenbürtig." 1 8 1
D a s Verlangen des Liebenden stillt die Frau, die die Eigenschaften von „Jungfrau, Mutter, Königin,/ Göttin" 1 8 2 in sich vereinigt. Sie ist Objekt einer Wahl, gleichwohl diese notwendig auf sie - als Mutter - fällt, deren Person durch die Versammlung der weiblichen Imagines Ausschließlichkeit besitzt. Goethe verleiht ihr den Titel der ' M a ter gloriosa', unter welchem die prägenden Frauenbilder „sich anschmiegend" 1 8 3 verschmelzen. Wenn nur das einstmals geliebte Gretchen, seines profanen Namens enthoben, im Zeichen des erlösten Lebens wiedererscheinend nochmals genannt wird, nicht aber die geliebte Liebesgöttin Helena, so weil diese transfiguriert zum erotischen Urphänomen nicht mehr induvidualisiert gefaßt werden kann; sie steht für die nicht namhaft zu machende Liebe, deren Apotheose die Schlußszene gewidmet ist. 184 Diese gibt - aus der Perspektive des Initianden - den erotischen Erfahrungen als Erleben in den Bergschluchten der Venus Ausdruck: „Wie Felsenabgrund mir zu Füßen/ Auf tieferm Abgrund lastend ruht,/ Wie tausend Bäche strahlend fließen/ Z u m grausen Sturz des Schaums der F l u t ; / Wie strack mit eignem kräftigen Triebe/ D e r Stamm sich in die Lüfte trägt:/ S o ist es die allmächtige Liebe,/ Die alles bildet, alles hegt." 1 8 5 „ E w i g e r W o n n e b r a n d , / Glühendes L i e b e b a n d , / Siedender Schmerz der Brust,/ S c h ä u m e n d e Gotteslust./ Pfeile, durchdringet mich,/ Lanzen, bezwinget mich,/ Keulen, zerschmettert mich,/ Blitze, durchwettert mich!/ D a ß ja das N i c h t i g e / Alles verflüchtige,/ G l ä n z e der D a u e r s t e r n , / Ewiger Liebe Kern." 1 8 6
Wenn der eine Liebende, Pater Profundus, sich lustvoll in die Abgründe des landschaftlichen Körpers versenkt, der andere, Pater Ecstaticus, den orgiastischen E r o s feiert, zerstören beide das Bild vom Himmel als dem Äther des Nicht-Körpers, der zum reinen Geist sublimierten Liebe. Demgegenüber stellen die Bergschluchten den „ O r t " exzessiver Erotik vor, der als „geweihte(r) (. . .),/ Heilige(r)
181 182 183 184
185 186
ib., W . 11997-12012 ib., p. 364, V . 12102 sq. ib., einleitend p. 363, V . 1 2 0 6 9 s q q . cf. ib., W . 11853, 11855, 11865, 11872, 11882, 11922, 1 1938, 11964, 12003, 12037 ib., p. 357, W . 11866-11873 ib., p. 3 5 6 s q . , W . 11854-11865
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Orphik
Liebeshort" 187 in der schützenden „Höhle" 1 8 8 des weiblichen Körpers sich manifestiert. Georg Simmel konzediert Goethe mit dem „eigentümliche(n) Wissen um die Frauen" 1 8 ' die „Kenntnis des 'Urbildes'" 1 9 0 : „Die Metamorphose erscheint hier also als ein Synonym des Lebens überhaupt, das die Ausformung des Einen zum Vielen, d. h. zu der Freiheit mannigfaltigster, individualisierendster Gestaltung bedeutet." 1 ' 1
Goethe sieht und zeigt seine erotischen Protagonisten durchs Prisma der diaphanen Erscheinung der Schönheit, das sie in ihrer facettenhaft spiegelnden Vielfalt veranschaulicht. Tod nennt er, noch wie im frühen Prometheus-Fragment, die Erfüllung des Lebens in der Liebe, die nur ästhetisch beschworen werden kann; Leben und Tod stehen dann in einer durch die Erscheinung gesicherten Kontiguität.
4.4 Lyrische Rede Immer berührt bei Goethe der Schein das Mysterium, das er im Gedicht der 'Seligen Sehnsucht' exponiert: „Sagt es niemand, nur den Weisen,/ Weil die Menge gern verhöhnet,/ Das Lebend'ge will ich preisen,/ Das nach Flammentod sich sehnet. In der Liebesnächte Kühlung,/ Die dich zeugte, w o du zeugtest,/ Uberfällt dich fremde Fühlung,/ Wenn die stille Kerze leuchtet. Nicht mehr bleibest du umfangen/ In der Finsternis Beschattung,/ Und dich reißet neu Verlangen/ Auf zu höherer Begattung. Keine Ferne macht dich schwierig,/ Kommst geflogen und gebannt,/ U n d zuletzt, des Lichts begierig,/ Bist du, Schmetterling, verbrannt. Und so lang du das nicht hast,/ Dieses: Stirb und werde!/ Bist du nur ein trüber Gast/ Auf der dunklen Erde." 192
Die Rede des Dichters in der zweiten Person ergeht an den Dichter, der Gepriesene ist der Preisende, der — als Eingeweihter, als Myste sich einführend - seine esoterische Existenz petrarcistisch ausdeutet: er geht in Selbstverzehrung, einem Sich-Verbrennen auf, das ihn aus dem Schattendasein einer dem Hades gleichenden Welt befreit. Die Zeugung des Zeugenden, die gerade das Verlöschen zum Akt, neues 187 198
1.0 1.1 1.2
ib., p. 356, V. 11852sq. ib., V. 11849 G e o r g Simmel, G o e t h e , 2. Aufl., Leipzig 1917, p. 193 ib., p. 194 ib., p. 71 Selige Sehnsucht, West-Östlicher Divan (im folgenden: Divan), H A 2, p. 18 sq., W . 1-20
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Leben aus dem Tod zu entfachen, umwandelt, bringt Gerhard Kaiser auf die Formel von „Tod und Wiedergeburt in der Liebe" 193 ; sie definiert die Produktivität des 'Stirb und werde' als Mysterium der die realen Trennungen aufhebenden Vereinigung. Solches „Zusammenfallen der Gegensätze (. . .) ist die Feuertaufe, ist das Werk der Liebesleidenschaft." 194 Der 'Flammentod' läßt Bewußtsein in Schöpfungskraft umschlagen: „Allah braucht nicht mehr zu schaffen,/ Wir erschaffen seine Welt." 195 So sprechen die im synästhetisch „erklingend(en) Farbenspiel" 196 Geborgenen, die durch ihre Vereinigung die Schöpfung eines allmächtigen Gottes erneuern. Dessen Werk als dem Produkt des Logos lasten die dualistische Welt und die mit ihr verbundenen „Leiden" 197 an: „Als die Welt im tiefsten G r u n d e / Lag an Gottes ew'ger Brust,/ Ordnet' er die erste Stunde/ Mit erhabner Schöpfungslust,/ U n d er sprach das Wort: 'Es werde!'/ D a erklang ein schmerzlich A c h ! / Als das All mit Machtgebärde/ In die Wirklichkeiten brach. Auf tat sich das Licht! S o trennte/ Scheu sich Finsternis von i h m , / U n d sogleich die Elemente/ Scheidend auseinander fliehn./ Rasch, in wilden, wüsten Träumen/ Jedes nach der Weite rang,/ Starr, in ungemeßnen R ä u m e n , / O h n e Sehnsucht, o h n e Klang." 1 '' 9
Die Welt als Epiphanie des göttlichen Wortes bildet den Scheitelpunkt zweier voneinander in Ausschließlichkeit getrennter 'Wirklichkeiten', die sich wie Licht und Finsternis zueinander verhalten; für den ins Dunkel Gebannten bedeuten sie den Gegensatz von Immanenz und Transzendenz. Dem Tod als Mysterium gibt der Liebende und Dichter in der vom „Einsam(en) Gott" 199 erschaffenen „Morgenröte" 2 0 0 preis, um sich selbst zu ihrem Schöpfer aufzuwerfen - wie denn Goethe auf sie den Reim seines Namens, hinter dem reimlosen Hatems verborgen, bildet. 201 Der Sänger, der durchs „orphisch-läuternde Feuer" 202 der morgendlichen Glut geht, ist der
" 3 G. Kaiser, Wanderer und Idylle, I.e., p. 64 Ciaire Lejeune, Das Schreiben und der Baum der Mitte, in: Le Grif, Essen vom Baum der Erkenntnis. Weibliche Praxis gegen Kultur, Berlin 1977, p. 68 sq. 1.5 Wiederfinden, Divan, H A 2, p. 84, V. 39sq. ib., p. 83, V. 30 1.7 ib., V. 7 1.8 ib., W . 9 - 2 4 ib., V. 26 100 ib., V. 27 201 cf. Hatem, ib., p. 74, V. 9; cf. auch Suleika, ib., p. 65, V. 5 202 E. Bloch, Das Prinzip H o f f n u n g , I.e., Bd. 3, p. 1310 1.4
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göttliche Überwinder des „Abgrund(s)" 203 vor den der schaffende Gott ihn stellte, weil er selbst die Sprache der Erlösung spricht: „Und ein zweites Wort: Es werde!/ Trennt uns nicht zum zweitenmal." 204 Hier wird die entscheidende Rede nicht, wie zuerst, durch Anführungszeichen abgesetzt: der Dichter hat sich das göttliche Wort zu eigen gemacht. Die Wiederholung des Imperativs der Macht durch seinen Liebesgesang - mit dem das vorliegende Gedicht anhebt - durchschlägt den Logos der Trennung, revoziert die Einheit „ungemeßne(n) Leben(s)" 205 als eine erste; der Dichter zeitigt das nie Gewesene. In seinem wieder-holenden Charakter kommt dem zitierenden Wort eine „orphische Dimension" 206 zu, welche die Schichtung der Bewußtseinsebenen aufhebt. „Die poetische p a r o l e " bildet „eine wunderbare Liebeszene zwischen den W ö r tern und dem Unbewußten, dem Ich des Dichters und seinen Trieben. Eine Szene, die er nur noch mit einem erhabenen und sehr reinen Vergnügen erleben kann, da sie den Ausgleich der Gegensätze bringt und zu einer nicht konfliktbeladenen Identifizierung mit Orpheus einlädt, der siegreich aus dem Reich der Schatten zurückkehrt und ihm durch das Werk ein Mittel schenkt, sein eigenes Unbewußtes einen Augenblick lang auf sich zu nehmen und magisch zu befrieden." 207
So stellt Goethe die gesamte Faust-Tragödie in der einleitenden 'Zueignung' unter das Zeichen des durch elegischen Gesang beschworenen Todes: „Orphische Klage-Akzente sind leise erinnert, die Faust und Orpheus zu Brüdern machen als Beschwörer des Schattenreichs" 208 . Der Dichter taucht mit der poetischen Rede aus dem Schattenreich des abgelebten Lebens auf, bringt durch dessen Erinnerung das Werk hervor: „Gleich einer alten, halbverklungnen Sage/ Kommt erste Lieb' und Freundschaft mit herauf;/ Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage/ Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,/ Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden/ Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden." !C "
Ausdruck einer qualvollen, aus dem Unbewußten schöpfende Erinnerungsarbeit: das ist die 'Klage'. Gleichwohl 'wiederholende' Be205
Wiederfinden, Divan, H A 2, p. 83, V. 4 ib., p. 84, V. 47 sq. 205 ib., V. 35 206 M. Foucault, Die Prosa Aktaions, in: Sprachen des Körpers, 1. c., p. 37 207 Jean Guillaumin, Das poetische Schaffen und die bewußte Bearbeitung des U n b e wußten, In: Seminar: Theorien der künstlerischen Produktivität, ed. M. Curtius, I.e., p. 189 208 Th. Mann, D o k t o r Faustus, I.e., p. 647 2 °' Zueignung, H A 3, p. 9, W . 1 1 - 1 6 204
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schwörung hat sie konstitutiven Charakter: sie produziert aus dem Eingedenken heraus das, worum Leben betrog. Wie im Divan-Gedicht 'Wiederfinden' hat das Wort, das Vergangenes zitiert, erlösende Kraft. Es macht die Differenz von Gelebtem und Nichtgelebtem auf, von dem Anspruch auf 'Glück' und dessen Versagung; im Festhalten jener Differenz aber insistiert es auf deren Einziehung durch erfülltes Leben. Sich erneuernd fordert der Schmerz seine Aufhebung: „Das leibhafte Moment meldet der Erkenntnis an, daß Leiden nicht sein, daß es anders werden solle. 'Weh spricht: vergeh.'" 210 Doch vergegenwärtigt der Erinnernde die sich 'zudrängenden' 2 1 1 „Gestalten" 212 , die dem „trüben", dem noch nicht unterscheidungsfähigen, fixierenden „Blick" „früh" 2 1 3 sich 'zeigten' 214 , als solche des „Wahn(s)" 215 , findet auch nun seine Klage, das sprechende Leid 216 , keinen wahren Hörer; verstorben oder fern sind die, die es erlitten, und die es ästhetisch als „Lied" vernehmen, sind bar der Erfahrung. Zwischen dieser „unbekannten" 2 1 7 Menschheit, die das Form gewordene Leid in Glück verwandelt, und jenen Opfern physischen Leids steht das ästhetische Subjekt, das ohne eigentlichen Adressaten zum Stimulans seiner selbst wird. In „unbestimmten T ö nen" 218 sich artikulierend, folgt es dem eigenen „lispelnd Lied, der Aolsharfe gleich" 219 , folgt ihm, den Schatten nach, ins ,,stille(.), ernste(.) Geisterreich" 220 . Des Dichters „Stimme, die nicht befiehlt, sondern singt" 221 , ruft in ihm selbst „Schauer" hervor, bewegt ihn selbst zu „Tränen" 222 ; sie erlöst das „strenge Herz" 2 2 3 , das der Tod besetzt hielt: steinerweichend klingt der Gesang des Orpheus. „Der orphische Eros verwandelt das Dasein: er überwindet Grausamkeit und Tod durch Befreiung. Seine Sprache ist G e s a n g " 2 " und steht im Zeichen „der 'Gro210
T h . W. Adorno, Negative Dialektik, I.e., p. 201 cf. Zueignung, H A 3, p. 9, V. 5 212 ib., V. 1 213 ib., V. 2 214 cf. ib. 215 ib., V. 4 214 G o e t h e ließ seine Korrektur des Erstdrucks, die in V. 21 „Lied statt Leid" vorschreibt, in den Anmerkungen zu späteren Ausgaben unberücksichtigt (cf. Erich Trunz, Anmerkungen des Herausgebers, in: H A 3, p. 495) 217 Zueignung, ib., p. 9, V. 21 218 ib., V. 27 2 " ib., V. 28 220 ib., V. 26 221 H . Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, 1. c., p. 160 222 Zueignung, H A 3, p. 9, V. 29 223 ib., V. 30 224 H . Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, I.e., p. 170 2,1
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ßen Weigerung'; der Weigerung, die Trennung vom libidinösen Objekt (oder Subjekt) zu ertragen. Die Weigerung zielt auf Befreiung ab - auf die Wiedervereinigung dessen, was getrennt wurde. Orpheus ist der Archetyp des D i c h t e r s als B e f r e i e r und S c h ö p f e r " 2 2 5 .
Die Klage des Eingedenkens erhebt Einspruch gegen die leidvolle Trennung von Leben und Tod, vermittelt zwischen den Sphären. O r pheus überschreitet die Grenze zur Unterwelt in seinem Klang werdenden „Sehnen" 2 2 6 nach den Abgeschiedenen, die er von dort zurückruft: er leiht dem Tod die Stimme des das Leben aus seiner Begrenztheit befreienden Gesangs, indem er Verzicht leistet auf die Rede, die er vielmehr subvertiert. Die im orphischen Gesang geborgenen „Wirklichkeiten" 2 2 7 heben die kontradiktorische Setzung auf. D o c h gelingt die Emanzipation von der trennenden M a c h t des Logos nicht vollends: Orpheus, der durch sein elegisches Lied den unzugänglichen Bereich zu ö f f n e n vermochte, m u ß ohne die Geliebte zurückkehren. D e r Bruch zwischen Xöyoq und (bÖTj trifft also letztere noch einmal. Obgleich sie klagend Protest gegen die E n d lichkeit des Lebens einlegt, erschöpft sie sich verklingend selbst im Endlichen. Ihr Pneuma, vom Dichter einem Windspiel verglichen, verdankt sie dem H a u c h , dem schattenbelebenden, doch immer wieder verlöschenden Atem. So bedeutet die Vermittlung von Leben und Tod durch O r p h e u s auch dessen Sterben; in den H a d e s eingehend werden ihm die Schatten lebendig. Immer bleibt „der Dichtung holde Gabe" 2 2 8 , die den Begabten ins „Elysium" 2 2 9 zu versetzen vermag, als gottgeliehenes Instrument an den Logos gebunden: „Die Träne hat uns die N a t u r verliehen, / Den Schrei des Schmerzens, wenn der Mann zuletzt/ Es nicht mehr trägt — Und mir noch über alles —/ Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede,/ Die tiefste Fülle meiner N o t zu klagen:/ U n d wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,/ Gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide." 230
Das Vermögen der Sprache erhebt den Dichter über den Menschen, dessen kreatürlicher Schmerzensschrei ihn zum Verstummen verurteilt, der an seiner Qual stirbt. Jenen entbindet seine Sprache zwar nicht vom Schmerz, den er, wie dieser, fühlen muß; allein er vermag 225 226 227 228 229 230
ib., V. 168 Zueignung, H A 3, p. 9, V. 25 ib., V. 32 Torquato Tasso, HA 5, p. 84, V. 405 ib., p. 88, V. 537 ib., p. 166, W . 3427-3433 - cf. H.-J. Schings, 1. c., pp. 264-267
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ihn kraft ästhetischer Formung zu ertragen: er mißt die Differenz aus „zwischen dem Leid und dem geistigen Schauen des Leides. D a s eine, der A f f e k t ausdruck selbst, ist menschlich, ist M e r k m a l des Lebens, ist Leben selbst. D a s andere aber, daß dem Leid durch die K u n s t objektive Gestalt verliehen wird, ist göttlich, ist befreiend, ist geistige Tat." 2 3 1
Danach beruht der elegische Gesang auf doppelter Mimesis, der ans reale Leid und der ans Göttliche. 2 3 2 Aus diesem Widerspruch schreibt sich der Gestus des Artisten her, in welchem der gesellschaftliche Schein dem ästhetischen sich verbindet. Mit Torquato T a s s o gestaltet Goethe die künstlerische Scheinexistenz: nie ist das ästhetische Subjekt das, was durch seine Mimesis zu sein es vorgibt, weder leidender Mensch noch Gott. Mit der 'Trilogie der Leidenschaft' 2 3 3 nimmt der Dichter in seiner Zerrissenheit das Wort. „ N o c h einmal" beschwört Goethe in ihrem ersten Teil, 'An Werther', dessen „Schatten" 2 3 4 , sich selbst als orphischen Doppelgänger der literarischen Kunstfigur entwerfend: „ Z u m Bleiben ich, zum Scheiden du erkoren,/ Gingst du voran - und hast nicht viel verloren." 2 3 5 Zwischen „Wiedersehn" und „Scheiden" 2 3 6 bis zum „ Wieder-Wiedersehn" 2 3 7 und einem „Lebewohl zuletzt" 2 3 8 bewegt sich der ,,Mensch(.)" 2 3 9 und mit ihm der greise Dichter, der sein frühes alter ego betrauert: „Ein gräßlich Scheiden" 2 4 0 trennt ihn von diesem und schizophrenisiert den Überlebenden, den der Verlust des Andern gleichfalls tödlich trifft. Deutlich wie kaum je bekennt Goethe sich zu der Definition: „Scheiden ist der T o d ! " 2 4 1 , doppelsinnig im Anschluß: „Wie klingt es rührend, wenn der Dichter singt,/ Den Tod zu meiden, den das Scheiden bringt!" 2 4 2 Ist das Auf251
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234 235 236 237 238 239 240 241
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Thrasybulos Georgiades, Musik und Rhythmik bei den Griechen, Hbg. 1958, P-21 cf. G e o r g Lukäcs, Ästhetik. In vier Teilen. Dritter Teil, N e u w i e d / D a r m s t a d t / B e r lin 1972, p. 77 Trilogie der Leidenschaft, H A 1, pp. 3 8 0 - 3 8 6 ; D i e Trilogie muß, auch wenn ihre Teile unabhängig voneinander entstanden sind, G o e t h e s ordnender H a n d gemäß, als Einheit gelesen werden. ib., An Werther, p. 380, V . 1 ib., V . 9 s q . ib., p. 381, V. 35 ib., V . 36 ib., V . 38 ib., p. 380, V . 11 ib., p. 381, V . 40 ib., V . 46 - cf. auch, Dritte O d e , H A 1, p. 24, W . 2 5 - 2 8 : „Tod ist T r e n n u n g , / Dreifacher T o d / Trennung ohne H o f f n u n g / Wiederzusehn." Trilogie der Leidenschaft, An Werther, ib., p. 381, V. 47 sq.
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forderung des Psychopompos an die von „Leidenschaften" 2 4 3 Beherrschten? oder schon seine orphische Praxis, mit dem Klagegesang den Tod zu überwinden. Der Leidenschaft sein Lied widmend überlebt der Klagende den Toten, den sie verstummen ließ: „Verstrickt in solche Q u a l e n , halbverschuldet,/ Geb' ihm ein Gott zu sagen, was er duldet." 2 4 4 Eingeleitet durch dieses Postulat beginnt Goethe den zweiten Teil der 'Trilogie', die biographisch inspirierte 'Elegie' mit dem veränderten Selbstzitat aus 'Tasso': „ U n d wenn der Mensch in seiner Q u a l verstummt/ G a b mir ein Gott zu sagen, was ich leide." 2 4 5 Während aber im klassischen Text durch das 'wie' der Akzent auf die Intensität des Erlebens gelegt wird, möchte der späte mit dem 'was' Grund und Inhalt eruieren, welche, am Schluß des Schauspiels bereits entfaltet, im Gedicht erst hergestellt werden müssen. Mit seiner Frage führt das elegische Ich das Motiv von Trennung und „Wiedersehen" 2 4 6 aus dem ersten Teil des Zyklus fort. Dieses, dem notwendig ein Scheiden voraufgegangen sein muß, erwartend steht der Dichter an der Schwelle zu „Paradies" und „Hölle" 2 4 7 gleichermaßen: im Präsens spricht er vom Erhoffen und Erleben des Augenblicks, da die Geliebte erscheinen soll: „Kein Zweifeln mehr! Sie tritt ans Himmelstor,/ Zu ihren Armen hebt sie dich empor." 2 4 8 D a s Telos seines „Streben(s)" 2 4 9 findet der Sehnsüchtige in ihrem göttlichen Wesen, das ihm die Verkörperung des „ H ö h e r n , Reinem, Unbekannten" 2 5 0 , des „ewig Ungenannten" 2 5 1 bedeutet; daran durch Methexis gebunden, seiner „ H ö h e / (. . .) teilhaft" 2 5 2 , gibt er, ihm sich „Enträtselnd" 2 5 3 sein Leben preis. Jedoch öffnet sich der durch die Begehrte bestimmte R a u m des Heiligen nur momenthaft: gleichwohl lebenerschließend kann er nur mehr im Präteritum beschrieben werden: ib., V . 44 ib., V . 4 9 s q . 245 ib., Elegie, p. 381, Motto - cf. Emil Staiger, Trilogie der Leidenschaft. Goethe, Zürich 1959, pp. 108-127 246 Trilogie der Leidenschaft, Elegie, H A 1, p. 381, V . 1 2 4 7 ib., V . 3 2 4 8 ib., V . 5 sq. 2 4 9 ib., p. 384, V . 79 - cf. auch G o e t h e s Gedicht ' D e r Bräutigam', ib., p. 286 und H e i n z Schlaffers Interpretation: Poesie und Prosa. Liebe und Arbeit. G o e t h e s 'Bräutigam', Der Bürger als Held. Sozialgeschichtliche Auflösungen literarischer Widersprüche, Ffm. 1973, pp. 51-85 2 S ° Trilogie der Leidenschaft, Elegie, H A 1, p. 384, V. 80 2 5 1 ib., V . 82 2 5 2 ib., V . 83 sq. 2» ib., V . 82
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„ S o warst du denn im Paradies e m p f a n g e n , / Als wärst du wert des ewig schönen L e b e n s ; / D i r blieb kein Wunsch, kein H o f f e n , kein Verlangen,/ Hier war das Ziel des innigsten Bestrebens,/ U n d in dem Anschaun dieses einzig Schönen/Versiegte gleich der Q u e l l sehnsüchtiger Tränen." 2 5 4
Der Stand des Glücks, die Erfüllung von Wunsch und Verlangen, unterliegt dem M o d u s der Vergegenwärtigung eines Vergangenen: der Erinnerung. Selbst der Erfüllung ist Trennung schon einbeschrieben: „Der Kuß, der letzte, grausam süß, zerschneidend/ Ein herrliches Geflecht verschlungner Minnen." 2 5 5 Die Gebärde innigster Vereinigung zerstört sich selbst: obwohl doch ein Faden im 'Geflecht' der Liebe, zerschneidet es der Kuß, Signum der Parze Atropos. Zurückblickend sieht Orpheus sich von der im Hades Wiedereroberten abgeschnitten: „ D a s Auge starrt auf düstrem Pfad verdrossen,/ Es blickt zurück, die Pforte steht verschlossen." 2 5 6 An die partikulare „Welt" 2 5 7 zurückverwiesen bleibt dem Exilierten allein im Blick aufs „überweltlich Große" 2 5 8 des Firmaments, dem „Gestaltenr e i c h e ^ ) , bald Gestaltenlose(n)" 2 5 9 , die Erinnerung der verlorenen „lieblichsten Gestalt(.)" 2 6 ° erhalten. Dieser Phantasmagorie jedoch entsagend kehrt er sich ins Refugium des Inneren, „Ins H e r z zurück" 2 6 1 , wo allein - nach dem Verlust des Paradieses - er die Geliebte wiederfindet: „ D o r t regt sie sich in wechselnden Gestalten;/ Zu vielen bildet eine sich hinüber,/ S o tausendfach und immer, immer lieber." 2 6 2 Der wahrgenommene Gestaltenwandel im Liebenden eröffnet ihm das eigene H e r z als H a d e s , in welchem Identitäten sich auflösen, mit der des sich vervielfältigenden Objekts die eines Subjekts, dessen Grenzen in ihm verschmelzen: „ V o r ihrem Blick, wie vor der S o n n e Walten,/ V o r ihrem Atem, wie vor Frühlingslüften,/ Zerschmilzt, so längst sich eisig starr gehalten,/ D e r Selbstsinn tief in winterlichen G r ü f t e n ; / Kein Eigennutz, kein Eigenwille d a u e r t , / V o r ihrem K o m m e n sind sie weggeschauert." 2 6 3
" 4 ib., 235 ib., 256 ib., 2 4 7 ib., 2 5 8 ib., 2 5 9 ib., 2 6 0 ib., 261 ib., 2 6 2 ib., 2 6 3 ib.,
p. 382, W . 7-12 V . 19 sq. V. 23 sq. V. 31 V . 35 V . 36 V. 42 p. 383, V . 45 W . 46-48 p. 384, W . 85-90
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Die „Gegenwart des allgeliebten Wesens" 264 erhellt die Todeslandschaft im Innern des Trauernden, den „wüsten Raum beklommner Herzensleere" 2 6 5 , der sonst nur ,,Schauerbilder(.)" 266 bot. Den auf „Geist und Körper" 267 lastenden Bann des Todes hebt „Liebe", die „den Liebenden begeistet" 268 , auf. Das ihr gewidmete Heiligtum, das „Herz, das fest wie z i n n e n h o h e M a u e r / Sich ihr bewahrt und sie in sich bewahret,/ Für sie sich freut an seiner eignen D a u e r , / N u r weiß von sich, wenn sie sich o f f e n b a r e t , / Sich freier fühlt in so geliebten Schranken/ U n d nur noch schlägt, für alles ihr zu danken" 269 ,
umfängt „sie" 270 , die Göttin des paradiesischen Jenseits, von der der Liebende scheiden mußte: „Da ruht das Herz, und nichts vermag zu stören/ Den tiefsten Sinn, den Sinn, ihr zu gehören." 2 7 1 Sinnstiftend wirkt die Geliebte aus der Sphäre des Todes auf das Leben in seiner Endlichkeit, begrenzt durch das schlagende Herz, ein. Doch geht mit dieser Erfahrung das Bewußtsein der Trennung der Einheit von Liebe und Tod einher: „Nun bin ich fern!" 272 Die Entfremdung im eigenen Herzen, darin jene sich offenbart, zerreißt es: „So nie geläng's, die innre Glut zu d ä m p f e n ! / Schon rast's und reißt in meiner Brust gewaltsam,/ W o Tod und Leben grausend sich b e k ä m p f e n . / Wohl Kräuter gäb's, des Körpers Qual zu stillen;/ Allein dem Geist fehlt's am Entschluß, am Willen, Fehlt's am Begriff: wie sollt' er sie vermissen?/ Er wiederholt ihr Bild zu tausendmalen./ D a s zaudert bald, bald wird es weggerissen,/ Undeutlich jetzt und jetzt im reinsten Strahlen;/ Wie könnte dies geringstem Tröste f r o m m e n , / D i e Ebb' und Flut, das Gehen wie das Kommen?" 2 7 3
Statt Liebe zu schenken, geraten im Stande der Trennung Leben und Tod zu entgegengesetzten, einander zerstörenden Kräften, die als solche die subjektive Krisis der Wertherschen „Krankheit zum Tode" 274 beleuchten. Auch dem lyrischen Ich wäre der Selbstmord hier einer durch Gift - der naheliegende Ausweg aus dem schmerzhaft erlittenen Kampf der entzweiten Triebe, zu deren Schlachtfeld das Subjekt wurde. Ein solcher Schritt aber käme dem Verzicht auf 2
" ib., p. 383, V. 76 ib., V. 70 266 ib., V. 69 267 i b . , V . 68 268 i b . , V . 65 2M ib., W . 5 5 - 6 0 270 ib., V. 67 271 ib., V. 77 sq. 272 ib., p. 384, V. 109 273 ib., p. 385, W . 116-126 274 Werther, H A 6, p. 48 265
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das keinem 'Begriff' zureichende 'Bild' gleich, ein Schritt, dem sich der Leidende verweigert. Denn 'ihr Bild', durch den 'Geist' zum pluralen Ganzen vermannigfaltigt, weist den physischen Tod als Kapitulation in der Auseinandersetzung der entfremdeten Lebenskräfte ab, um die Utopie der Liebesvereinigung ungeschmälert aufrecht zu erhalten. S o übernimmt der 'Geist' die A u f g a b e des in sich entzweiten Herzens, Hades zu sein für den Schatten des Subjekts, das seiner Belebung harrt. D a s Ich im Spiegel der Geliebten zeigt sich nunmehr nicht im limitierten Bild, sondern bewegt von Ebbe und Flut: als Bewegung, Rauschen, Strömen. Die mondhafte, den Wechsel von Leben und Tod vergegenwärtigte Göttin verliert ihre olympisch fixierte Gestalt und transformiert sich zur kosmischen Gewalt; durch sie werden Energien freigesetzt, denen des Ozeans gleich. Es verlischt das Bild der Geliebten als Gegenstand der Kontemplation: die Todesimago. Vielmehr erfährt der Liebende nun das rauschhafte Element, aus dem die Liebesgöttin Aphrodite geboren wurde. Mit diesem Element sich zu vereinigen gelingt dem an sich krankenden Subjekt der 'Elegie' noch nicht, da es schon angesichts der 'im reinsten Strahlen' erfaßten Göttlichkeit der Liebe, die Subjektivität erst begründen kann, stets die Verlusterfahrung wiederholt; das 'Ich' kommt sich immer wieder abhanden: „ M i r ist das All, ich bin mir selbst verloren,/ D e r ich noch erst den Göttern Liebling w a r ; / Sie prüften mich, verliehen mir P a n d o r e n , / S o reich an Gütern, reicher an G e f a h r ; / S i e drängten mich zum grabeseligen M u n d e , / Sie trennen mich, und richten mich zu G r u n d e . " 2 7 5
Nach seiner orphischen Rede vom Eintritt in das Todesreich, von der Verbindung und dem folgenden Verlust der göttlichen Geliebten befindet sich der privilegierte Sprecher, der zu sagen weiß, was er leidet, wieder am profanen Ort seiner sprachlosen „Weggenossen" 2 7 6 . Aber er, dem das einmal gewährte Glück entzogen wurde, sieht sich tiefer geworfen als sie, die es nie empfangen haben: hier ist - im Gegensatz zu 'Tasso' - die Q u a l der anderen erduldbar, die seine dagegen tödlich. Während jenen die „Welt erschlossen" 2 7 7 vor Augen liegt, kann der Klagende sie nur als Erscheinung des Mangels begreifen, da sich für ihn das Pathos der Welterschließung mit der Gestalt verbindet, die er mit dem Namen 'Pandora' nennt:
275 276 277
Trilogie der Leidenschaft, Elegie, H A 1, p. 385, W . 133-138 ib., V. 127 ib., V. 129
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Orphik
„In ihr und durch sie hat sich ihm zuerst der Blick f ü r das Ganze des Seins und Werdens erschlossen; indem sie ihn verließ, ist das Dunkel über ihn hereingebrochen, ist die geformte Wirklichkeit wieder ins Chaos zurückgesunken." 2 7 8
Der Widerspruch von 'Gütern' und 'Gefahr' liegt nicht bereits in der Gabe Pandoras; ihn erzeugt erst der Beschenkte: für ihn birgt sie Erfüllung oder Verlust. Wenn die ,,Allbegabte(.)" 279 ihr Wesen darin äußert, sich zu verschwenden, vermag dessen „Liebesfülle" 280 selbst der 'Götter Liebling' nur f ü r einen „Augenblick" 281 zu genießen; daf ü r aber muß er mit dem Tod zahlen, den der auf die Ekstase der „Seligkeit Fülle" 282 zwangsläufig folgende Verlust der schenkenden Göttin bedeutet: er muß 'zu Grunde' gehen. An der 'Prüfung' der Götter scheitert der Mensch notwendig, weil es so im göttlichen Willen, durch den die orphische Gabe - mit der Pandoras die der Sprache - verliehen wurde, beschlossen liegt. In seinem Leiden, das noch einmal die Leidenschaft subsidiert, hält der Vernichtete das Verlorene fest. Das bewirkt seine Heilung, von der die 'Aussöhnung' als dritter Teil der 'Trilogie' spricht. Sie rekapituliert zunächst den Stand der Erfahrung: „Die Leidenschaft bringt Leiden! - Wer beschwichtigt/ Beklommnes Herz, das allzuviel verloren?" 283 Der Verlust hat sich des Herzens bemächtigt, aber der Leidende zerbricht nicht, da er sich mit der Erinnerung die Sprache bewahrt; klagend geht er durch den Tod hindurch: „Die hehre Welt, wie schwindet sie den Sinnen!" 284 Gegen eine geistesgeschichtliche Tradition, die ihr Korrelat von einer übermächtigen Realität her ausgebildet hat, redet Goethe einem produktiven Verlust das Wort; Eingedenken erschließt den Sinnen eine versöhnte Welt, die die prometheische Moral verabschiedet hat: „Da schwebt Musik hervor mit Engelschwingen,/Verflicht zu Millionen T ö n ' um T ö n e , / Des Menschen Wesen durch und durch zu dringen,/ Zu überfüllen ihn mit ew'ger Schöne:/Das Auge netzt sich, fühlt im höhern Sehnen/ Den Götterwert der T ö n e wie der Tränen. Und so das H e r z erleichtert merkt behende,/ D a ß es noch lebt und schlägt und möchte schlagen,/ Zum reinsten Dank der überreichen Spende/ Sich selbst erwi-
278
279 280 281 282 283 284
Ernst Cassirer, Idee und Gestalt. Goethe - Schiller - Hölderlin - Kleist, Darmstadt 1975, p. 17 Pandora, HA 5, p. 353, V. 650 ib., p. 336, V. 130 ib., V. 131 ib., p. 353, V. 655 Trilogie der Leidenschaft, Aussöhnung, H A 1, p. 385, V. 1 sq. ib., V. 6
Lyrische Rede
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dernd willig darzutragen./Da fühlte sich - o daß es ewig bliebe! - / Das Doppelglück der T ö n e wie der Liebe." 2 8 5
D e r M o m e n t , da die Sinne schwinden, der erlittene Verlust als der eigene T o d erlebt wird, setzt Musik frei. Obsessiv das erfahrene Leid bis zum Ende sprachlich zu durchdringen läßt Sprache schließlich umschlagen, das verbal reproduzierte Leiden in Befreiung. Den Tod als Phänomen der Trennung und des Mangels eignet sich Erfahrung als eines der 'Uberfülle' zu, das das je schon Begehrte: Schönheit und Ewigkeit, verbürgt. ' D e s Menschen Wesen' wird ergriffen von dem Anderen, das er suchte, das er im T o d gewinnt: sein identifikatorischer Blick, der auf die Fixierung der Geliebten ausgerichtet war, löst sich unter 'Tränen' auf. V o r deren wie der T ö n e 'Götterwert' als einem der Vermischung, der die mortifere Sonderung im Kontext menschlichen Daseins aufhebt, spricht Goethe. Nicht G ö t ter haben ihn verliehen, der Genesende schöpft ihn aus dem versöhnten 'Herzen', einem, das dem des orphischer Tradition zugehörenden G o t t Dionysos-Zagreus gleicht; vom höchsten G o t t Zeus und der Unterweltgöttin Persephone erzeugt, wird er wie Orpheus zerrissen, doch überlebt das zuckende Organ und gebiert den Göttlichen ein zweites Mal. M i t dem orphischen Element der Musik, die aus dem Innern tönend ihn heilt, schließt sich zyklisch der Mysteriengang des Sängers. Das Leben versagt sich dem, der den T o d auf sich genommen hat, nicht: es fällt ihm durch diesen im Gegenteil zweifach zu, als ' D o p pelglück', das Sprache und Liebe ihm schenken. In den 1820 entstandenen Stanzen der 'Urworte. Orphisch' 2 8 6 gibt G o e t h e Aufschluß über den mythologischen Blick, mit dem er den Zyklus menschlichen Daseins erfaßt; die Stadien von D ä m o n , T y che, Eros, Ananke und Elpis beschreiben in ihrer Abfolge Schicksal und Mysterienweg zugleich. Damit setzt G o e t h e das orphische Leben, zumal das unter seinem Sternbild eigene, als paradigmatisch in Geltung; dem über lepoi A.öyoi verfügenden Dichter, Urworte, die dem Leben das Gesetz vorgeben, attribuiert er zuerst ' D ä m o n ' , welcher durch stellare Fügung dem Individuum als „Geprägte Form, die lebend sich entwickelt" 2 8 7 , eingraviert ist. Diese als das je Besondere im Zusammenhang von „Zeit" und „ M a c h t " 2 8 8 dem „Zufällige(n)" 2 8 9 ib., p. 386, W . 7 - 1 8 28t Urworte. Orphisch, ib., p. 359 sq. 2 8 7 ib., p. 359, V. 8 2 8 8 ib., V. 7 2 8 9 ib., Titel zu V. 9sqq. 285
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unterworfen, durch „Liebe" 290 einer den Menschen dominierenden Gewalt ausgesetzt, zwingt Ananke unter die schicksalbestimmende Konstellation zurück, die durch „Bedingung und Gesetz" den menschlichen „Wille(n)" 291 ihren Imperativen beugt. „Doch solcher Grenze, solcher ehr'nen M a u e r / Höchst widerwärt'ge Pforte wird entriegelt,/ Sie stehe nur mit alter Felsendauer!/ Ein Wesen regt sich leicht und ungezügelt:/ Aus Wolkendecke, Nebel, Regenschauer/ Erhebt sie uns, mit ihr, durch sie beflügelt;/ Ihr kennt sie wohl, sie schwärmt durch alle Z o n e n ; / Ein Flügelschlag - und hinter uns Äonen." 2 9 2
Aus dem Zusammenhang der die Freiheit kassierenden Notwendigkeit rettet „Hoffnung" 2 9 3 , die dem Tod innigst verflochten ist. Dieser steht in Goethes weltanschaulichem Bekenntnis statt für den Bereich der Versagung gerade f ü r die ihn aufhebende Ubertretungskraft in der Allegorie der Elpis. Wieder trägt die von den realen Zwängen befreiende Gestalt die Züge der Geliebten und Muse, ähnlich dem Gedicht der 'Zueignung' und der Marienbader 'Elegie'; weiblich ist auch ihr Versprechen und ein Versprechen des Weiblichen, das hinanzieht. Gegenfigur der kastrierenden Parze Atropos entfesselt die H o f f n u n g Geist und Körper; Raum und Zeit, als transzendentale Kategorien unhintergehbar, verlieren ihre Gültigkeit, der Widerstand des Objekts bricht, wie das Bild vom Flügelschlag besagt: ins Imaginäre, da Grenzbestimmungen ihren Sinn verloren haben, versetzt Elpis den, der den orphischen Kreis abgeschritten hat.
4.5 Fiktionale Biographie Die befreiende Ö f f n u n g der Zukunft unter Rekurs auf mythologische Topoi darf nicht als Zeichen einer Flucht vor der Gegenwart mißdeutet werden; ihr liegt im Gegenteil eine Zeitdiagnose zugrunde, die mittels ihres spezifischen Instrumentariums im anbrechenden 19. Jahrhundert die „gegenwärtige Vorwelt" 294 erfaßt. Schon 1802 hebt Schelling diese geschichtstheoretische Dimension des eben abgeschlossenen ersten Teils des 'Faust' hervor: „Soweit man G o e t h e s F a u s t aus dem Fragment, das davon vorhanden ist, beurtheilen kann, so ist dieses Gedicht nichts anderes als die innerste, reinste Essenz 2.0 2.1 2.2 2.3 2.4
ib., p. 360, Titel zu V. 17 sqq. ib., V. 26 ib., W . 33-40 ib., Titel zu V. 33sqq. T h . W. Adorno, Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie. Noten zur Literatur IV, Gesammelte Schriften Bd. 11, I.e., p. 495
Fiktionale Biographie
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unseres Zeitalters: Stoff und Form geschaffen aus dem, womit sie schwanger war oder ist. Daher ist es ein wahrhaft mythologisches Gedicht zu nennen." 2 ' 5
Dichtung, die den Mythos des Zeitalters reflektiert, entwindet sich seinem Bann und eignet sich die Kraft zu, die Primordialität des Gegenwärtigen für die Genese seines Bewußtseins auszuweisen: „Goethes Mythen sind die Mythen seiner eigenen Zeit." 296 D a ß deren Entfaltung in Goethes Werk ihre „doppelte, zugleich h i s t o r i s c h e und a h i s t o r i s c h e Struktur" 297 dechiffriert, läßt den 'Weltgeist' in der Aktualität der kulturalen Erscheinung auf seine Urgeschichte 2 9 8 transparent werden. Solche Sensibilität für das petrifizierende Zeitsystem des Mythos unterscheidet die dichterische Explikation von aller zeitgenössischen Mythologie - etwa eines Creuzer oder Görres - , welche ihn ausschließlich in seiner ätiologischen Dimension verifiziert. Sie verfällt der Kritik Goethes in den „Ausgeburten einer parodistisch behandelten Mythologie, die durch leicht hingeworfene spöttische Redensarten jeden mythischen 'Tiefsinn' verliert, weil hier nicht romantisch ehrfürchtig in die Urzeit und Sagenwelt zurückgeschaut wird und die Heiligkeit archaischer Mythen gewahrt oder gar wiedergeboren werden soll wie in den maßgebenden Dichtungsbezirken des 19. Jahrhunderts, sondern weil ewig 'gegenwärtige' 'Urphänomene' erscheinen, die sich ununterbrochen selbst aufzuheben streben, sobald die Verwechslung unterläuft, das Urphänomen sei identisch mit dem historisch-mythologischen S t o f f . " 2 "
Wird der „Mythos nicht als Produkt, sondern als Funktion, als ein Phänomen, das eine Eigenbewegung entwickelt" 300 , eingesetzt, so demaskiert Goethe in ihm auch den, aus dem Kultur sich herschreibt, aufgrund dessen sie sich als Totalität zu manifestieren vermag. Mythologie wird unter der Hand des Dichters zum Mittel von Protest und Konstruktion gleichermaßen; sie entfaltet nicht, sie 2.5 2.6
2.7 2.8
2.9 500
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophie der Kunst, Darmstadt 1974, p. 90 W. Emrich, Symbolinterpretation und Mythenforschung. Protest und Verheißung, I.e., p. 88 Lévi-Strauss, Claude, Strukturale Anthropologie, Ffm. 1967, p. 230 cf. dazu Faust I, HA 3, p. 80sq., W . 2495-2502: Mephisto, der seine H e r k u n f t aus mythischer Zeit mit der vulkanischen Entstehung der Erde legitimiert (cf. Faust II, ib., p. 305, W . 10070-10094), gibt sich ebenso als exemplarische Figur der modernen „Kultur" (Faust I, ib., p. 80 sq., V. 2495) zu erkennen. Die Zeitstruktur, die Goethe am Mythos herausarbeitet, erfaßt das vergangenste Ereignis im gegenwärtigsten und vice versa; cf. auch W. Emrich, Die Symbolik von Faust II, l . c . , p p . 48, 120, 229,270 ib., p. 262 Gerhard Schmidt-Henkel, Mythos und Dichtung. Z u r Begriffs- und Stilgeschichte der deutschen Literatur im 19. und 20. Jahrhundert, Bad H o m b u r g v.d.H./Berlin/Zürich 1967, p. 251
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überwindet den Mythos: „Es wird eine neue Mythologie entstehn, heißt nichts anderes als es wird e i n e n e u e S p r a c h e entstehn. -" 3 0 1 Die Uberzeugung, daß die neue Sprache das, was ist, sagbar und veränderbar macht, trägt das mythologisierende Verfahren, in welchem das von der Tradition Tabuisierte, das sich im Mythos chiffrierte, aufgedeckt werden soll. Eben dadurch gewinnt die dichterische Sprache Goethes der Mythologie zeitgeschichtliche Authentizität, daß sie sie vom Wort als Ereignis zum Ereignis des Wortes verwandelt. 302 Es „wird gerade bei Goethe ständig eine bewußte Umfunktionierung des Mythischen ins modern Zeitgeschichtliche sichtbar: er veränderi verwandelt die Mythologeme, prägt ihnen in einem o f t willkürlich scheinenden Spiel völlig neue Bedeutungen und Sinnfunktionen auf, ordnet sie gänzlich seinen eigenen dichterischen Intentionen unter."' 0 3
Wie sich die Mythentransformation als Gehalt der Dichtung niederschlägt, zeigt Emrich an prägnanten Zitaten: „Aus solch 'vollkommenem Ineinandersein' von Genesis und Erscheinung, Continens und Contentum sind aber auch Goethes Bestimmungen des Wesens der Dichtung zu verstehen: 'Sie spricht das Vorhandene ahnungsvoll aus, als wenn es entstünde', so definiert einmal Goethe die 'Uranfänge' der Poesie. Das real 'Vorhandene' zugleich in spontan gegenwärtiger Geburt, als 'noch entstehend' zu gestalten, dies erst verleiht dem Dichter die Macht, im Einzelnsten, Zeitverfallensten gleichsam nochmals den Anfang aller Dinge, d. h. 'Totalität' zu erzeugen und, wie Goethe es einmal in den 'Lehrjahren' ausdrückt, 'im Rat der Götter' sitzend im eigentlichen Sinne Schöpfer zu sein." 304
Der Schein durchschlägt den Schein: der in der Dichtung produzierte den des universalen Mythos der Zivilisation. Durch den Ent-
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302
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304
Friedrich Schlegel, Philosophische Lehrjahre. Philosophische Fragmente, Zweite Epoche II. Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, ed. Ernst Behler, M ü n c h e n / P a derborn/Wien 1963, p. 394, Nr. 888 cf. Roland Barthes, Mythen des Alltags, 4. Aufl., Ffm. 1976, p. 148: „die Mythologie hat gewiß Anteil an dem 'Machen' der Welt; da sie f ü r gewiß hält, daß der Mensch der bürgerlichen Gesellschaft in jedem Augenblick in falsche N a t u r getaucht ist, versucht sie unter den Unschuldigkeiten noch des naivsten Zusammenlebens die tiefe Entfremdung aufzuspüren, die zusammen mit diesen Unschuldigkeiten hingenommen werden soll. Die Entschleierung, die sie vornimmt ist also ein politischer Akt. Auf einer Idee der Verantwortlichkeit der Sprache gegründet, postuliert sie gerade durch sie die Freiheit. Es ist sicher, daß in diesem Sinne die Mythologie eine Z u s t i m m u n g zur Welt ist, nicht so, wie sie ist, sondern so, wie sie sich schaffen will". W. Emrich, Symbolinterpretation und Mythenforschung. Protest und Verheißung, I.e., p. 86 W. Emrich, Die Symbolik von Faust II, 1. c., p. 42
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wurf einer „Genesis der 'zweiten Natur'" 105 , der in Vergangenheit und Zukunft „uralte Gegenwart" 306 hineintreibt, wird sein Stifter sich der ihm eigenen „schöpferischen Kraft" 307 bewußt: sein Werk evoziert „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft so glücklich in eins geschlungen, daß man selber zum Seher, das heißt: Gott ähnlich wird. U n d das ist doch am Ende der Triumph aller Poesie im Größten und im Kleinsten." 308 Der triumphale Sieg des Dichters liegt darin, sein prophetisches Vermögen im Kunstwerk als dem Integral der Zeiten abgebildet zu finden; dieses nämlich sedimentiert die Zukunft seiner einstmaligen Wünsche, über die es in 'Dichtung und Wahrheit' heißt: „Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen, Vorboten desjenigen, was wir zu leisten imstande sein werden. Was wir können und möchten, stellt sich unserer Einbildungskraft außer uns und in der Z u k u n f t dar; wir f ü h len eine Sehnsucht nach dem, was wir schon im stillen besitzen. So verwandelt sich ein leidenschaftliches Vorausergreifen das w a h r h a f t Mögliche in ein erträumtes Wirkliche." 3 0 '
'Einbildungskraft' 310 nennt Goethe das antizipierende Vermögen, das einen noch nicht bestehenden Zustand vergegenwärtigt und versinnlicht; die Kraft der Imagination 311 holt das Unbekannte, das Zukünftige ein. Im Medium des poetischen Geistes schließt sich jener orphische Lebenskreis, der denn auch den geheimen Zusammenhang des „biographischen Vortrags" 312 Goethes bezeichnet. Vom Tod her treibt die Macht der Phantasie des Dichters Daimonion voran: von ihren „unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch, und uns bleibt nichts als, mutig gefaßt, die Zügel festzuhalten und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da, die Räder abzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam." 315
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ib., p. 52 Dichtung und Wahrheit III, H A 9, p. 538 WA IV, Bd. 27, p. 157 An Wilhelm von Humboldt, HA Briefe 3, p. 366 Dichtung und Wahrheit II, H A 9, p. 386 sq. - cf. auch das Motto des zweiten Buchs, ib., p. 217: „Was man in der Jugend wünscht, hat man im Alter die Fülle." cf. den zentralen Terminus in Dichtung und Wahrheit, HA 9, pp. 49sqq., 129, 140, 316, 354, 375, 447, 552, 571, 579; H A 10, pp. 13, 429, 472, 490 cf. Gaston Bachelard, Die Philosophie des Nein. Versuch einer Philosophie des neuen wissenschaftlichen Geistes, Wiesbaden 1978, p. 12 sqq. Dichtung und Wahrheit IV, HA 10, p. 175 ib., p. 187
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Mit diesem Selbstzitat aus 'Egmont', das im Kontext der Ausführungen über das 'Dämonische' 3 1 4 die Autobiographie der Jugendjahre abschließt und zugleich den Blick auf eine unwägbare Zukunft hin öffnet, markiert Goethe in seinen spätesten Jahren - erst 1831 wurde 'Dichtung und Wahrheit' vollendet - die Schwelle zwischen T o d und Leben als der Biographie konstitutiv. An jenem Ubergang fallen Ursprung und Ziel atopisch zusammen, um unchiffriert die vergangene Gestalt des biographischen Ich in ihrem orphischen Charakter zu zeigen: „ E s war ein verwünschter Zustand, der sich in einem gewissen Sinne dem H a d e s , dem Zusammensein jener glücklich-unglücklichen Abgeschiedenen, verglich." 3 1 5 Bereits in der Sturm-und-Drang-Phase entsteht ein Gedicht des Titels 'Der neue Amadis' 3 1 6 , das den imaginären Ort der „Phantasie" 3 1 7 dem „Mutterleib" 3 1 8 zuordnet; er prägt die Wunschgeographie, an der sich der Musensohn mit dem Verlust der Geliebten seiner Träume orientiert: „Sagt, w o ist ihr L a n d , / W o der Weg dahin?" 3 1 9 So steht denn für Goethe außer Zweifel, das dichterische Talent dem Erbe mütterlichseits zu verdanken 3 2 0 ; der schützende Körper der Mutter bedeutet ihm H o r t „der Stille, der Dämmerung, der Dunkelheit, welche ganz allein die reinen Produktionen begünstigen kann" 3 2 1 . D a , dem 'Märchen' 3 2 2 vergleichbar, der produktive Weg zwischen Ursprung und Ziel einen „Kreis" beschreibt, in welchem das Tote „in das Leben über(.)gehen" 3 2 3 kann, lassen sich die Epochen schöpferischen Lebens in der Biographie austauschen. So kann ihr Autor, der alternd insbesondere die Kindheits- und Jugendjahre zu geschlossener Darstellung bringt, davon sprechen, in 'Dichtung und Wahrheit' „eigentlich nur sein späteres Leben hinter das frühere versteckt" zu haben. Diese „Masquerade" 3 2 4 supplementiert der poetische Gestus,
cf. ib., p. 177sqq. ib., p. 166 516 D e r neue Amadis, H A 1, p. 56 sq. 517 ib., p. 56, V . 7 3 1 8 ib., V. 5 3 " ib., p. 57, V. 2 9 s q . 3 2 0 Dichtung und Wahrheit II, H A 9, p. 447 321 Dichtung und Wahrheit III, ib., p. 594 322 Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten, D a s Märchen, H A 6, pp. 209-241 3 2 3 ib., p. 233; cf. auch Grenzen der Menschheit, H A 1, p. 147, V . 3 7 s q q . 324 An Gräfin O'Donell, WA IV, Bd. 23, p. 261
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der das Verhältnis von Realität und Fiktion endgültig umkehrt 325 : jene kann nicht länger als N o r m dominieren, wenn Dichtung die Wahrheit zu reklamieren vermag. Statt der „wirkliche(n) Tatsac h e ^ ) " obliegt der literarischen Produktion die der „wahre(n) Geschichte" - auch vor der Weimarer Zeit. Als vereinzelte aber „immer unzusammenhängend" setzt erst der biographische Leitfaden die Werke ins Kontinuum: Biographie wäre somit poetische Produktion in ihrer Steigerung, Produktion aus Produktionen. Insofern sie „ein Bild des Autors und seines Talents" zu „entwerfen" 326 unternimmt, resultiert dessen Leben aus der Multiplikation singulärer Fiktionen. Was Goethe zu Beginn von 'Dichtung und Wahrheit' dem Leser verspricht, „im Laufe der Erzählung mehrmals Gelegenheit" zu ergreifen, „über die halb poetische, halb historische Behandlungsweise" 327 der Jugendjahre Auskunft zu geben, erläutert er 1830 in dem bekannten Brief an König Ludwig I. von Bayern: „Was den freilich einigermaßen paradoxen Titel der Vertraulichkeiten aus meinem Leben Wahrheit und Dichtung betrifft, so ward derselbige durch die Erfahrung veranlaßt, daß das Publikum immer an der Wahrhaftigkeit solcher biographischen Versuche einigen Zweifel hege. Diesem zu begegnen, bekannte ich mich zu einer Art von Fiktion, gewissermaßen ohne Not, durch einen gewissen WiderspruchsGeist getrieben, denn es war mein ernstestes Bestreben das eigentlich Grundwahre, daß, insofern ich es einsah, in meinem Leben obgewaltet hatte, möglichst darzustellen und auszudrücken. Wenn aber ein solches in späteren Jahren nicht möglich ist, ohne die Rückerinnerung und also die Einbildungskraft wirken zu lassen, und man also immer in den Fall kommt gewissermaßen das dichterische Vermögen auszuüben, so ist es klar, daß man mehr die Resultate und, wie wir uns das Vergangene jetzt denken, als die Einzelheiten, wie sie sich damals ereigneten, aufstellen und hervorheben werde." 3 2 8
Die kunstlose Wahrheit hat kein Publikum, zumindest kein überzeugtes. Indem daher der Biograph bei seiner Darstellung sich wis525
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cf. Jean-Paul Sartre, Der Idiot der Familie. Gustave Flaubert 1821 bis 1857, IV. Objektive und subjektive Neurose, Reinbek b. Hbg. 1980, p. 343: „Es ist gewiß, daß das grundlegende Verhältnis zwischen den beiden Begriffen, die Goethe D i c h t u n g u n d W a h r h e i t nannte, seit dem klassischen Zeitalter bis heute viele Schriftstellergenerationen beschäftigt hat: da sich die Institution der Wesenheiten nur durch das freie Spiel der Imagination aktualisieren kann - die das Feld der Möglichkeiten, das einer besonderen Wesenheit entspricht, hervorbringt und damit zugleich einschränkt - , ist die totale Wahrheit notwendig Poesie, und umgekehrt kann man behaupten, daß die Poesie selbst in einem gewissen Maße Wahrheit ist." Dichtung und Wahrheit I, HA 9, p. 7 ib., p. 10 An den König Ludwig I. von Bayern, HA Briefe 4, p. 363
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sentlich und willentlich auf das 'dichterische Vermögen' stützt, bekennt er sich zur Produktion, nicht Rekonstruktion des Lebens, die er mit der Anschaulichkeit glaubhaft macht; die schriftliche Fixierung plädiert statt für eine schlechte Verdoppelung abstrakter Fakten für die 'Fiktion', die imaginative Schöpfung. Diese aber - das verrät Goethe mit dem Begriff der 'Rückerinnerung' - arbeitet er aus dem T o d heraus: Zueignung eines Lebens vor dem Leben, das der Aufbruch des Sechsundzwanzigjährigen abschloß. Durch das Vergessen hindurch, dem die Jahre am Weimarer H o f die Jugendzeit unterworfen haben, ersinnt er sie wieder. Goethe unterbricht, das kennzeichnet seine überlegene Erzählerposition wie das aus ihr entworfene biographische Werk, die bewußtlose Sukzessivität zwischen dem 'damals' und dem 'jetzt'; beide Zeitbestimmungen des Erlebens werden durch solche Diskontinuität verwandelt: mit dem Blick des Jetzt eröffnen sich Einsicht und Bewußtsein einer Wahrheit, in welcher die 'Einzelheiten, wie sie sich damals ereigneten' dem poetischen Verfahren sich fügen. Wovon der messianische Philosoph nur erst träumt, das gelingt dem Dichter in bezug auf das eigene Leben: „Die Geschichte ist Gegenstand einer Konstruktion, deren Ort nicht die homogene und leere Zeit sondern die von Jetztzeit erfüllte bildet." 3 2 9 So erfindet der Erzähler im Gefundenen und findet im Erfundenen das 'Wahre', das er von seinem dichterischen Ort her als Gegenstand visiert: Leben als Biographie und gleichzeitig Mittel der Dichtung. Deren „didaktischen Zweck" dagegen leugnet er expressis verbis: „Die wahre Darstellung ( . . . ) hat keinen. Sie billigt nicht, sie tadelt nicht, sondern sie entwickelt die Gesinnungen und Handlungen in ihrer Folge und dadurch erleuchtet und belehrt sie." 3 3 0 „ D a m i t tritt das Verhältnis von Geschichte und Dichtung in eine völlig neue und wichtige Phase: Z u m erstenmal wird deutlich, daß ein historisches ' L o k a l ' im G r u n d erst dadurch entsteht, daß eine geistig fruchtbare Fiktion sich an einen im übrigen gleichgültigen O r t heftet, d . h . daß die Geschichte von der Dichtung bzw. einer geistig-geschichtlichen Intention selbst produziert wird." 3 5 1
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Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, Gesammelte Schriften Bd. 1.2, p. 701, These X I V Dichtung und Wahrheit II, p. 590 W. Emrich, Die Symbolik von Faust II, I.e., p. 125 - D i e erzählerische Fiktion stellt als ihren „Schimären"- oder „ E r z ä h l e f f e k t " (Jean Pierre Faye, T h e o r i e der Erzählung, E i n f ü h r u n g in die 'totalitären Sprachen', Kritik der narrativen Vern u n f t / Ö k o n o m i e , F f m . 1977, p. 21) eine Wirklichkeit her, die die bestehende überbietet, insoweit es dem Erzähler gelingt, „im Leben ein zweites Leben durch Poesie hervorzubringen" (Dichtung und Wahrheit II, H A 9, p. 264). „ D a s Gedichtete behauptet sein Recht wie das Geschehene" (An Carl Friedrich G r a f von Rein-
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Keineswegs kommt Goethe demnach ein Ehrenplatz auf dem Podium des Historismus zu, mit dessen Auszeichnung man 3 3 2 seinen kritischen Ort zu unterminieren suchte. 3 3 3 Im Gegenteil zwingt er den Leser, über den er in Anbetracht der erfolgreichen Werther-Publikation reflektiert, bezüglich der nichtigen Frage, „was denn eigentlich an der Sache wahr sei?" zum Umdenken. Dieser „Forderung" des „Publikums" 3 3 4 begegnet er in seinem biographischen Werk sokratisch mit einer Retourkutsche, nämlich „zu entscheiden, (. . .) ob das Vorgetragene kongruent sei? ob man daraus den Begriff stufenweiser Ausbildung einer, durch ihre Arbeiten schon bekannten Persönlichkeit sich zu bilden vermöge." 3 3 5 Damit verwahrt sich Goethe gegen eine Publikumsneugier, die im Werk das bloß Faktische auszumachen sucht, bietet dem Leser aber ein kohärentes „Bild des Autors" 3 3 6 , entfaltet aus dessen Produktionen; wie denn sein C r e d o im Vorwort zur 'Farbenlehre' lautet: „Vergebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten zusammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten." 3 3 7 Wie der Autobiograph Goethe die eigenen 'Taten' und 'Handlungen' begreift, ist auch dem oben zitierten Brief zu entnehmen: „Dieses alles, was dem Erzählenden und der Erzählung angehört, habe ich unter dem Worte D i c h t u n g begriffen, um mich des Wahren, dessen ich mir bewußt war, zu meinem Zweck bedienen zu können." 3 3 8 D e m Unterfangen, in solch poeti-
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hard, H A 3, p. 117), zitiert Wilhelm Emrich und führt aus: „die Dichtung gehört nicht in den Bereich der Interpretation des Wirklichen, sondern sie ist selbst eine Wirkliches. Sie ist ein unveränderliches Faktum, behauptet ihr Recht wie das Geschehene. Das ist der Grund, weshalb Goethe immer wieder die Dichtung als eine 'zweite Natur' bezeichnete. Eine solche zweite Natur gibt keine richtige oder falsche Interpretation der Wirklichkeit, sondern sie ist ein unwiderlegbares, faktisches Ereignis." (Wilhelm Emrich, Goethes Festspiel 'Pandora', in: Akzente, Zeitschrift für Dichtung III, edd. Walter Höllerer, Hans Bender, 9. Jahrgang 1962, München 1975, p. 292 sq.) cf. Friedrich Meinecke, D i e Entstehung des Historismus, edd. H a n s H e r z f e l d , Carl Hinrichs, Walther H o f e r , München 1959, pp. 4 4 5 - 5 8 4 cf. W. Emrich, Die Symbolik von Faust II, I.e., p. 116sqq. - cf. Wilhelm Emrich, Absolute Wertung contra Historismus. Das Problem der Wertung und Rangordnung literarischer Werke, Geist und Widergeist. Wahrheit und Lüge der Literatur, Studien, Ffm. 1965, pp. 9 - 6 5 Dichtung und Wahrheit III, H A 9, p. 592 - cf. W. Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, Gesammelte Schriften Bd. 1.2, I.e., p. 695, T h e s e VI An K ö n i g Ludwig I. von Bayern, 12. J a n . 1830, H A Briefe 4, p. 363 Dichtung und Wahrheit I, H A 9, p. 7 Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, H A 13, p. 315 An König Ludwig I. von Bayern, H A Briefe 4, p. 363
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schem Gestus sein Leben als gedichtete Wahrheit aufzudecken, gilt die über zwanzig Jahre sich erstreckende Abfassung der Biographie. Inwiefern das eigene Leben dem Werk abgewonnen wurde, exemplifiziert G o e t h e im 13. Buch von 'Dichtung und Wahrheit' am Entsteh u n g s z u s a m m e n h a n g der J u g e n d p r o d u k t i o n des 'Werther'. M i t ihr unterwirft er eine „ s o o f t durchgearbeitete^) M a t e r i e " 3 3 9 einer nochmaligen Auseinandersetzung: deren O b j e k t liefert der „ S e l b s t m o r d " als „Ereignis der menschlichen N a t u r " 3 4 0 . In ihm nämlich äußert sich nach G o e t h e „etwas (. . .) Unnatürliches": d a „der M e n s c h einen Bund gegen sich selbst schließt" 3 4 1 , handelt er wider die N a t u r ; im Leiden an ihrer E n t f r e m d u n g internalisiert und bestätigt er diese mit der Entleibung. D e r Selbstmord bringt ein „ S y m p t o m ( . ) " „schwers t e ^ ) Krankheit" 3 4 2 als moralisches P h ä n o m e n z u r Erscheinung. Eingehend analysiert Goethe die besonderen Bedingungen „in den Gemütern deutscher Jünglinge" 3 4 3 , deren „ G e s i n n u n g " 3 4 4 der 'Werther' a d ä q u a t erfaßte. Einen entscheidenden Stellenwert f ü r die G r u n d s t i m m u n g der „ M e l a n c h o l i e " 3 4 5 zuerkennt er der Fiktion, insbesondere der der „englische(n) Literatur" 3 4 6 ; diese habe auf die „ G e m ü t s a r t " der Adoleszenten darin gewirkt, daß sie die empirischen Generationskonflikte auf den geistigen „Vater (. . .) S h a k e s p e a r e " zu übertragen erlaubte, g a b sie doch dem Verlangen nach idealer Autorität nach und befreite dadurch von der E n t t ä u s c h u n g gegenüber der realen. Shakespeares ' S o h n ' H a m l e t bot das hinreichende Identifikationsmodell: „ H a m l e t und seine M o n o l o g e n blieben Gespenster, die durch alle jungen G e m ü t e r ihren S p u k trieben. D i e Hauptstellen wußte ein jeder auswendig und rezitierte sie gern, und jedermann glaubte, er d ü r f e ebenso melancholisch sein als der Prinz von D ä n e m a r k , ob er gleich keinen Geist gesehn und keinen königlichen Vater zu rächen hatte." 5 4 7
D i e quasi-legitimen S ö h n e des großen literarischen Vorbilds glaubten, sehr wohl „den Geist ( . . . ) wirklich in seiner furchtbaren Gestalt zu erblicken" 3 4 8 . Gleichzeitig erfüllten sie sich den erwünschten „ F a Dichtung und Wahrheit III, H A 9, p. 578 ib., p. 583 ib., p. 584 ib., p. 578 ib., p. 579 ib., p. 583 ib., p. 582 ib., p. 580 ib., p. 582 ib.
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milienroman" 349 , zum rechtmäßigen königlichen Erben sich zu ernennen, das geistige Erbe des erwählten Vaters anzutreten. Nach eigenen Angaben bewegte Goethe schon als Kind die Phantasie einer nach seinem Wunsch abgeleiteten Genealogie, die er als „eine Art von sittlicher Krankheit" 350 , als frühes Stadium der Melancholie diagnostiziert. Gemeinsam mit den Altersgenossen gelangt er in den 1770er Jahren in eine mentale Krisis ausgelöst durch „die menschliche Natur untergrabende(.) Gedichte", die „elegische Trauer" entfachen, eine „schwer lastende, alles aufgebende Verzweiflung" 351 : die „maladie anglaise" 352 . Doch war dieser fiktionale Bezug Ausdruck des allgemeinen Leidens am ,,Lebensüberdruss(.)" 353 . In der Unproduktivität der Söhne der Bourgoisie, die dem „schleppenden, geistlosen, bürgerlichen Leben" zu entrinnen trachteten, erkennt Goethe die Ursache: „Wir haben es hier mit solchen zu tun, denen eigentlich aus Mangel von Taten, in dem friedlichsten Zustande von der Welt, durch übertriebene Forderungen an sich selbst das Leben verleidet."" 4
Der „Ekel vor dem Leben" 355 entsteht durch die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit: dem Drang nach Aktivität und tatsächlicher Paralyse. Läßt sich aber das Selbst nicht produktiv verwirklichen, bleibt als Ausweg nur seine Negation, der Mord an ihm: der Selbstmord. Seine Reflexionen stützt Goethe auf die eigene Erfahrung, der „Betrachtungen (. . .) über die verschiedenen Todesarten, die man wählen könnte" 356 , zugrundeliegen; der das hypostasierte Selbst nicht zu erzwingen vermag, sucht Kompensation im „Werk" 357 der Selbstzerstörung. Goethe qualifiziert es ab zur „Grille" 358 , erbrachte doch sein eigener 'Versuch' 359 nur den Beweis: daß die „Tat", mit der er sich auf „Großheit und Freiheit des Geistes" 360 verpflichten 349
Sigmund Freud, Der Familienroman der Neurotiker, Studienausgabe Bd. IV, I.e., p. 221-226 350 Dichtung und Wahrheit I, H A 9, p. 70 351 ib., p. 582 352 Wolf Lepenies, Melancholie und Gesellschaft, Ffm. 1972, p. 7 353 Dichtung und Wahrheit III, H A 9, p. 578 354 ib., p. 583 355 ib., p. 578 336 ib., p. 584 357 ib. 358 ib., p. 585 3 " cf. ib. 360 ib., p. 584
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wollte, „niemals gelingen" könne. In diesem Bewußtsein habe er das Leben, das ihm in Unmittelbarkeit nicht zugänglich war, durch den Todesentschluß als dessen Alternative aufgenommen: „ich (. . .) beschloß zu leben." 361 Er realisiert seinen Beschluß kraft des produktiven Impetus, den Gegenstand der „Pein" 362 in eine „dichterische Aufgabe" umzusetzen: ihn „zur Sprache" 363 zu bringen, transponiert die „Wirklichkeit in Poesie" 364 . Der in der poetischen Arbeit erlittene Tod gleicht als Produkt der Einbildungskraft zweiter Wirklichkeit; er geht in einer die „Elemente" seiner Erfahrung versammelnden „Fabel" auf: „das Ganze schoß von allen Seiten zusammen und ward eine solide Masse, wie das Wasser im Gefäß, das eben auf dem Punkte des Gefrierens steht, durch die geringste Erschütterung sogleich in ein festes Eis verwandelt wird." 365
Das Werk, in dem die Todespartikel des Gelebten zusammenschießen, wird als „Totenmaske" 366 des Erlittenen entworfen, das es - im Gegensatz zur leiblichen Entkörperung im Selbstmord - „verkörpert)" 3 6 7 : Dichtung als Körper des Todes. Den Begriff der 'Wiederholung' gebraucht Goethe als Zauberwort dafür, die „regelmäßige Wiederkehr der äußeren Dinge", an welcher sich mancher Zeitgenosse „die schwerste Krankheit" 368 , die „Krankheit zum Tode" 369 zuzieht, als „die eigentliche^) Triebfeder(.) des irdischen Lebens" 370 auszulegen. Zwar erfährt auch er - das zeigt der mit dem Ende einer ersten Liebesgeschichte koinzidierende Schluß des erstens Teils der Autobiographie - die Wiederholung der Liebesqualen „im Wiederkäuen (s)eines Elends und in der tausendfachen imaginären Vervielfältigung desselben" als die Bedrohung einer „unheilbarein) Krankheit" 371 , fängt sie aber durch eine „körperliche Krankheit" 3 7 2 ab. Vom passiven Zwang zur Wiederholung unterscheidet sich die aktive Durcharbeitung des Leids in der imaginativen Kraft: „Meine ganze Erfindungsgabe, meine Phantasie und Rhe361
ib., p. 585 ib., p. 584 363 ib., p. 585 364 ib., p. 588 3 " ib., p. 585 3 " Walter Benjamin, Einbahnstraße, Gesammelte Schriften Bd. IV, ed. Tillman Rexroth, Ffm. 1972, p . 1 0 7 367 Dichtung und Wahrheit III, H A 9 p. 585 368 ib., p. 578 Werther, HA 6, p. 48 370 Dichtung und Wahrheit III, H A 9, p. 578 371 Dichtung und Wahrheit I, ib., p. 215 372 ib., p. 216
362
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torik hatten sich auf diesen kranken Fleck geworfen" 373 . Solche poetische Reproduktion verwandelt den Schmerz in Lust: „Ich (. . .) erquickte mich in Erzählung und Wiederholung" 3 7 4 ; als deren Resultat stellt sich „Genesung" 375 ein in dem Sinne, „das Vergangene hinter (s)ich werfen und ein neues Leben anfangen" 3 7 6 zu können. Wie der verlorene Anfang zu erobern sei, entwickelt Goethe mit lustvoller Selbstironie am „frühe(n) Beispiel" 377 eines „Knabenmärchen(s)" 3 78 , das als Mythos des Dichters die literarische Biographie selbst symbolisch auffächert. „Wohlwollende konnte ich sehr glücklich machen, wenn ich ihnen Märchen erzählte, und besonders liebten sie, wenn ich in eigner Person sprach, und hatten eine große Freude, daß mir als ihrem Gespielen so wunderliche Dinge könnten begegnet sein, und dabei gar kein Arges, wie ich Zeit und Raum zu solchen Abenteuern finden können, da sie doch ziemlich wußten, wie ich beschäftigt war, und wo ich aus und ein ging. Nicht weniger waren zu solchen Begebenheiten Lokalitäten, wo nicht aus einer andern Welt, doch gewiß aus einer andern Gegend nötig, und alles war doch erst heut oder gestern geschehen." 579
Auch für diesen kqnkreten Zusammenhang einer Erzählung im Kreise von Zuhörern betont Goethe die Abhängigkeit der „Wahrheit" „(s)eines Märchens" von der Instanz des Publikums; nur insofern er „in den Gemütern (s)einer Zuhörer die Fabel in Wahrheit" „verwandel(n)" 380 könne, habe sie als solche Gültigkeit. Das zu erreichen, muß der Erzähler sich selbst, 'in eigner Person' zur Sprache bringen, damit „die poetische Verschwendung in ihren Folgen aufhört, symbolisch zu sein: die Aufgabe der Darstellung bedeutet f ü r den, der sie übernimmt, sozusagen den Einsatz seines Lebens." 381 Für die Wahrheit der Dichtung bürgt der Erzähler mit dem Leben, das er der Dichtung - von der die Autobiographie bei Goethe nur einen Sonderfall darstellt - einschreibt. Aus der Preisgabe seines Lebens leitet er den kategorischen Anspruch auf die Anerkennung der subjektiven Wahrheit als allgemeiner: seine Hörergemeinde muß an
373 374 375 376 377 378 379 380 381
ib., p. 215 - cf. auch Lehrjahre, H A 7, p. 76sqq. Dichtung und Wahrheit II, H A 9, p. 218 ib., p. 217 Dichtung und Wahrheit I, H A 9, p. 65 ib. ib., p. 51 ib., p. 50 ib., p. 65 G. Bataille, Die Aufhebung der Ökonomie. Das theoretische Werk Bd. I, I.e., p. 15
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die Wahrheit seiner Erzählung „glauben" 382 , was er durch ihre immergleiche Wiedergabe auch erreicht. „Betrachtet man diesen Trieb recht genau, so möchte man in ihm diejenige Anmaßung erkennen, womit der Dichter selbst das Unwahrscheinlichste gebieterisch ausspricht, und von einem jeden fordert, er solle dasjenige für wirklich erkennen, was ihm, dem Erfinder, auf irgend eine Weise als wahr erscheinen konnte." 3 8 3
Der Dichter greift nicht nur deutend in die Wirklichkeit ein; er wirft sich zu ihrem 'Erfinder' auf, der der Bestätigung für sein ästhetisches Produkt als des wahren gewiß ist. Wer die durch ihre Diskursposition ausgezeichnete Person sei, der es gelingt, eine neue Welt ins Werk zu setzen, verrät das Märchen vom 'neuen Paris' 384 selbst. Es reflektiert im Bild der mythologischen Figur zunächst die Wunschvorstellung des adoleszenten Erzählers, dem es mangels Erfahrung noch am Verständnis seines Selbst gebricht. Im Traum wird ihm die Erfüllung des Wunsches zuteil, den er dem Spiegelbild abgewinnt; er selbst, einmal auch „Narziß" 3 8 5 genannt, erkennt sich im Spiegel seiner Imagination: infolge eigener Deutung der Traumrede als „Liebling der Götter" 386 . „Merkur" nämlich, Vermittler zwischen Menschen und Göttern, habe in deren „Auftrag" 387 seiner Gewalt anheimgestellt, den von ihm Erwählten und ihm Anvertrauten „glückliches Leben" 388 zu schenken. Diese Fähigkeit versetzt ihn in den Status des Mannes: das durch seine Traumphantasien erzeugte Lustobjekt „drei(er) schöne(r), schöne(r) Frauenzimmerchen" läßt ihn „ganz (. . .) versteinert" die eigene Erektion genießen. Solcher Erregung erwächst ein neues Lustobjekt in einem vierten „allerliebste(n) Mädchen" 3 8 9 , auf das der Begehrende resolut Anspruch macht; er fordert „Vor allen Dingen das kleine Geschöpf", das ihn „in diesen verwünschten Zustand gebracht hat." 390 So erwartet der beglückende Erzähler selbst das höchste Glück der Liebe, wie ja auch Paris mit dem Lohn der schönsten Frau, gleichfalls einer vierten, selbst als eigentlicher Gewinner aus seiner Schönheitswahl unter den drei von Hermes geleiteten Göttinnen hervorgeht. 382 383 384
385 386 38? 388 389 3,0
Dichtung und Wahrheit I, H A 9, p. 64 ib., p. 50 ib., pp. 5 1 - 6 4 - cf. Wolfgang Schadewaldt, Goethes Knabenmärchen 'Der neue Paris'. Goethestudien. Natur und Altertum, Zürich/Stuttgart 1963, pp. 263-282 Dichtung und Wahrheit I, H A 9, p. 54 ib., p. 63 ib., p. 51 ib., p. 63 ib., p. 52 ib., p. 63
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Durch die Zitation der Paris-Helena-Sage parodiert Goethe en passant seinen liebesbrünstigen Faust, dessen gewaltsamer Zugriff auf das „Gespenst" 391 des Hades eine „Explosion" 3 9 2 auslöst; im Märchen endet die Kühnheit „zuzugreifen" mit einem „Schlag an den Kopf, so daß" der Erzähler „ganz betäubt nieder" 393 fällt. Goethe verfolgt in der Mythenverflechtung des 'Knabenmärchens' das von ihm propagierte Verfahren einer komplexen Spiegelung, die dem Subjekt „die Vervielfältigung der Persönlichkeit in einer ins Unendliche gespiegelten, gebrochenen und zurückgestrahlten Symbol- und Geschichtswelt" 394 eröffnet. Angesichts einer solchen Brechung des Ichs wird dessen Identität hinfällig; das Märchen bezeugt sie durch die Destruktion des Namens, der in seiner Auswechselbarkeit - Paris entspricht Narziß und umgekehrt 3 9 S - als mythologisches Versatzstück eingebracht Identitätszwänge auflöst, das Ich-Bewußtsein sprengt. Indem der Erzähler ins ,,Paradies(.)" 396 zurückkehrt, entdeckt er hinter den vorgeschobenen Namen einen weiteren, der ungenannt bleibt: Adam, der des Menschen schlechthin, welcher - ein Wortspiel mag die Etymologie ersetzen - als Opfer des das Paradies konstituierenden paradoxen Logos 3 9 7 , geschlagen mit der Paranoia des Sünders, jenen eingezäunten Garten verlassen mußte; wenn er ohne Wissen von Gut und Böse unschuldig war, war das an ihn gerichtete göttliche Verbot, das seine eigene Übertretung impliziert, widersinnig. Mit der logischen Erkenntnis aber ereilt ihn der Wahn einer Schuld, die aus dem Bereich des Glücks ausschließt. Schon diesem selbst jedoch ist - symbolisiert in den beiden Bäumen der Erkenntnis und des Lebens - der auf dem Logos beruhende unaufhebbare Widerspruch von Leben und Tod immanent: „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort." 3 9 8 Die ursprüngliche Kontamination von Identität und Anwesenheit im Logos wird mit der Abspaltung des Wortes zum Schöpfungsprodukt bei Goethe als tödlicher Zwiespalt evident. 399 3.1
Faust II, H A 3, p. 2 0 0 , V . 6 5 1 5
5.2
ib., anschließend an V . 6 5 6 3 Dichtung und "Wahrheit I, H A 9, p. 52 W . Emrich, Die Symbolik von Faust II, 1. c., p. 7 9 Dichtung und Wahrheit I, H A 9, p. 54
5.3
"4 3.5 3.6
ib., p. 5 9
cf. Walter Benjamin, Über Sprache überhaupt und die Sprache des Menschen, Gesammelte Schriften, Bd. II.l, I.e., p. 141 sq. 3 . 8 J o h . 1.1 3 " cf. Wiederfinden, West-östlicher Divan, H A 2, p. 83
3.7
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Goethe weist den jungen Erzähler seiner Biographie an, die Geschichte des trennenden L o g o s umzukehren: dieser soll durch einen poetischen Mythos aufgehoben, das Getrennte durch ihn vereint werden. Mittel dazu liefern Traum und Kunst als Kräfte der „Phantasie, die gegen die Welt und in der Welt des antagonistischen p r i n c i p i u ra i n d i v i d u a t i o n i s den Anspruch des Gesamtindividuums, d a s in Einklang mit dem G e n u s und der 'archaischen' Vergangenheit ist, aufrechterhält." 4 0 0
Eine doppelte Anstrengung führt an den Ort, den das 'Knabenmärchen' entwirft: „die Arbeit dieser Pforte" 4 0 1 ist gleichzeitig die des Traums 4 0 2 und die in der „Sprache wirkende Arbeit des Verschiebens" 4 0 3 ; Traum und Sprache als 'Arbeit am Mythos' 4 0 4 bilden zusammen das Korrektiv der Geschichte. Mythen verschiedener Provenienz werden, eingezogen durch die Reflexion der Erzählerfigur, variabel, austauschbar. Ins Zentrum des literarischen Spiegelkabinetts stellt sich der Autor als Sohn „liebe(r) Eltern", der in die „Verlegenheit" des Adam, nämlich nackt zu sein, gerät, da er - was dem wohlerzogenen Kind wohl kaum geschehen dürfte, dem ins Archaische versinkenden jedoch widerfährt - die modernen „Kleidungsstücke verwechselte" und ihm „immer das erste vom Leibe fiel, wenn" er „das zweite umzunehmen gedachte." 4 0 5 Die gleiche Verwirrung ergreift den Erzähler, nachdem er Einlaß ins „Paradies" 4 0 6 gefunden hat: zwar zeigt ihn ein „Spiegel" zunächst in der „Vermummung" eines „orientalischen Kostüm(s)" 4 0 7 , doch findet er sich wenig später aller „Hülle(n)" entledigt, „ g a n z nackt" 4 0 8 , in der peinlichen Situation des beschämten Adam vor Gott: „ D i e Gegenwart des alten M a n n e s , der unvermutet vor mich trat, war mir keineswegs willkommen; ich hätte gewünscht, mich, wo nicht verbergen, doch wenigstens verhüllen zu können. Die Beschämung, der Frostschauer, das Bestreben, mich einigermaßen zu bedecken, ließen mich eine höchst erbärmliche Figur spielen; der Alte benutzte den Augenblick, um mir die größten Vorwürfe zu machen." 4 0 9
H . M a r c u s e , Triebstruktur und Gesellschaft, 1. c., p. 143 Dichtung und Wahrheit I, H A 9, p. 53 4 0 2 cf. S. Freud, Die Traumdeutung, Studienausgabe Bd. II, pp. 305-308 4 0 3 R . Barthes, L e f o n / L e k t i o n , I.e., p. 25 404 cf. H a n s Blumenberg, Arbeit am M y t h o s , F f m . 1979 4 0 5 Dichtung und Wahrheit I, H A 9, p. 51 4 0 ' ib., p. 59 4 0 7 ib., p. 56 4 0 8 ib., p. 62 4 0 9 ib., p. 63 400
401
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Diese Stelle weist sich unverkennbar als Parodie des Textes der Genesis aus. Sie eröffnet weitere Parallelen, wie die Drohung, die der Herr des Gartens seinen Vorhaltungen folgen läßt; Tod oder Strafe des Sünders liegen danach in seiner Gewalt: „'Was hindert mich', rief er aus, 'daß ich nicht eine der grünen Schnuren ergreife und sie, wo nicht Eurem Hals, doch Eurem Rücken anmesse!'" 4 1 0 Die „drei grünen Strickchen" sind dem Erzähler bereits aus dem Spiegel bekannt, der das strafende Über-Ich im Bild eines „Werkzeug(s) zu einem eben nicht sehr erwünschten Gebrauch" erscheinen läßt: auf jedes Vergehen steht der T o d . D a s Unbewußte drückt sich also in „in sich (. . .) verschlungen(en)" Zeichen aus, die weder ihrem Aussehen noch ihrer Symbolik nach die Referenz zur biblischen Schlange verbergen: war diese es ja, durch die der Mensch dem Tod überantwortet wurde, Bedeutungsträger ebenso des göttlichen Wortes. Auch im biblischen Text bildet sie das Zeichen des Es, dem Wahrheit und Lüge inhärieren wie dem Uber-Ich als Gott: während dessen Behauptung fälschlicherweise glauben macht, der Mensch müsse im Augenblick des Genusses sterben, leugnet das Es den Tod zugunsten der Lust, verschweigt daß sie nur augenblickhaft ist. Doch liegt die Deutung der Zeichen, wie die Hermeneutik des M o s e nicht verhehlt, allein beim Menschen. Goethe wendet seinen poetischen Mythos gegen den autoritären der Bibel; zwar akzeptiert sein Protagonist zunächst die Tradition, den 'Alten' als zu befragende Instanz der „Bedeutung" 4 1 1 , stellt sie aber dann - in Gestalt eines messianischen Adam - in Frage, mag sie gleich von „Juden" oder „katholische(n) Christ(en)" 4 1 2 beansprucht sein. Den Signifikanten des Todes führt er zurück auf das Bezeichnete: das Verbot der Sinnlichkeit, gegen das er mit dem „Kuß" 4 1 3 , den er seiner paradiesischen Spielgefährtin gab, gefehlt hat. D o c h rückverwandelt seine Widerrede gegen den Schuld und Sühne abwägenden 'Alten' die drei zu seiner Strafe ausersehenen Stränge zum Objekt des verbotenen Genusses, den Apfel, der nach Farben verdreifacht, die verlockende „Mitte" des Gartens absteckt. D a s „Dreieck" 4 1 4 , Figur des zum Zeichen des männlichen Genitales umgedeuteten Zeichens des göttlichen Auges, setzt der Erzähler genau an die Stelle des Erkenntnisbaums. Statt den Apfel als Symbol von 410 411 412 413 414
ib. ib., ib., ib., ib.,
p. p. p. p.
56 53 62 58
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Verbot und Versagung weiterhin zu akzeptieren, begreift ihn der Dichter als eines der Lust, der Ewigkeit, die sie fordert und um die sie den Baum der Mitte beerbt hat. Er genießt mit dem Biß in den Apfel den „Kuß", durch den er die „Ohrfeige", in ihr nicht die inhibierende Folge, sondern die A u f f o r d e r u n g zur Sinnlichkeit entdekkend, als Strafe außer K r a f t setzt. Was der noch U n e r f a h r e n e erlebt, ist der „Augenblick" 415 , den Faust den 'höchsten', Prometheus den 'erfüllten' nennt, einer, der der „Sinne" 416 beraubt: auch dem Helden des Märchens vergeht „ H ö r e n und Sehen", als der „Schrei" seiner Spielgefährtin ihn in einen Taumel zwischen „Glück" und „Schrec en" 417 versetzt. Die Lust des Erzählers kennt weder Schuld noch Opfer, sollen an ihr doch die H ö r e n d e n ebenso partizipieren wie er selbst. Nach seiner Reformulierung des biblischen Mythos gewährt der G e n u ß des Apfels denn auch nicht Wissen, sondern 'Offenbarung' 4 1 8 , worin die Gewißheit sich ausspricht, die Apfel des Dichters seien vom Baum des Lebens gepflückt, das in ihnen sich schenkt. 4 1 9 Als eine seiner Spiegelfiguren erkennt sich der narzißtische Dichter im Sohn, der den omnipotenten V a t e r / G o t t entmächtigt; über dessen parodiertes Double läßt der Erzähler verlauten: „Der Alte warf sich vor mir nieder" 420 . Der Wächter über den Garten der Lust ordnet sich dieser unter. Goethe treibt sein Spiel der Nichtidentität weiter. Wenn er seine Biographie unter den Titel 'Dichtung und Wahrheit' stellt, bringt er sie mit der Christi in Zusammenhang: „Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; 'die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus gexot worden'." 4 2 1 Während Luther aber 'f| i ÄA.T}0eia' mit 'Gnade und Wahrheit' übersetzt, liest Goethe den ersten Terminus ebenso in den Bedeutungen von Freude und Lust, die den locus amoenus kennzeichnen, von Anmut, Liebreiz, Schönheit, den unbestrittenen Attributen des apollinischen Götterlieblings, des Sängers und Dichters; ihm fällt die Leitformel seiner Biographie also über die irdische Existenz Christi zu. Diese als die einzige Entäußerungsgestalt der göttlichen Trinität, als das Wort, das nicht mehr nur im Geist verharrt, sondern Fleisch wird, sich verschwendend Leben und 415 416 417 418 419 420 421
ib., p. 62 Prometheus, H A 4, p. 187, V. 401 Dichtung und Wahrheit I, H A 9, p. 62 cf. ib., p. 63 cf. auch Berechtigte Männer, West-östlicher Divan, H A 2, p. 108 Dichtung und Wahrheit I, H A 9, p. 63 Joh. 1.17
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Tod auf sich nimmt, kulminiert im „dichterischen Daseinsentwurf" 4 2 2 . Im Gewebe von 'Dichtung und Wahrheit' hebt es den mosaischen 'vojxoi;' auf, vernichtet den repressiven Text; unterwirft dieser den Exilierten grausamen Beschränkungen, f ü h r t jenes ihn in die Labyrinthe des Begehrens zurück, wie es das 'Knabenmärchen' verspricht. Indem das Wort wieder an seinen Ursprung gelangt, verwandelt es ihn: zunächst aus dem "kbyoq entlassen, der seine 'äpxf]' war, wird es von Leben erfüllt zur Dichtung, die ihn überbietet. Brachte jener den Tod, erfindet sich der poetische Mythos als Heilung, Wiederkehr und Schließen des Kreises, als Leben. In Gestalt des neuen Paris, den Goethe als sein Inkognito agieren läßt, werden durch die Rückkehr der Figur des auferstandenen Christus in die Adams der Sündenfall und seine Folgen gelöscht und die Geschichte des Menschen als eine, deren Souverän dieser selbst ist, realisiert: 'Ecce homo'; das Pathos der Auferstehung - „Wie man wird, was man ist" 423 - gehört zentral ins Bild des Goetheschen Märchens. Durch eine ironische Wendung wird es hier aus dem Traditionskontext entlassen, worüber eine Szene Aufschluß gibt, die alle von der christologischen Darstellung gefügten Elemente ins Spiel setzt. Inmitten des versprengten Heeres unter seinem „Anführer Achill" steht der Erzähler zu der von ihm gelenkten Spiegelfigur in einem Identitätsbezug, der sich jedoch als apokryph erweist; in den Vordergrund tritt dagegen die Stellvertreterfunktion des „Helden" - in seiner historischen wie mythologischen, christlichen wie polytheistischen Geschichte - f ü r den aller Geschichten: den Erzähler. Als Artist der Masken deckt dieser unter des der Homerischen Kämpfers die des Heros des Christentums auf, dessen Körper ans Kreuz geschlagen zerschellte. Als Baum des Paradiesgartens alludiert das Symbol der Christenheit über Achill nicht nur den sühnenden M e n schensohn, sondern noch einmal den sündigenden Adam, der ihn verlangte. Die Moral jedoch, auf die der kulturelle Code abhebt, liquidiert der ästhetische Ort, dem die Auferstehung vom Tod zum Leben, christliche Mysterienverwandlung kat exochen, schlicht als „Wiederherstellung" 4 2 4 sich darbietet. A u f g r u n d der Verwechslung der personae im ästhetischen M e dium gerät der den „artigsten Anblick der Welt" genießende göttliche Zuschauer sogleich in die Rolle des göttlichen Schauspielers, der seine „kreuzweise" Zurichtung erdulden muß; doch kann er sein W. Emrich, Die Symbolik von Faust II, I.e., p. 362 " F. Nietzsche, Ecce H o m o , Werke Bd. II, I.e., p. 1153 424 Dichtung und Wahrheit I, H A 9, p. 62 4
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Leiden gleich einem „Gewand" abstreifen, „eine Hülle nach der andern."« 5 „Versöhnung" 426 meint nicht länger die Sühne des Unschuldigen f ü r andere; da Schuld sich zur bloßen Verletzung von Spielregeln verflüchtigt, der der Erzähler ebenso sich selbst wie seine Gegnerin bezichtigt, kann er Versöhnung zu einer Sache des eigenen Beliebens machen: der der Geschlechter. Die christologischen Kategorien von Kreuzigung, Auferstehung und Versöhnung verwandeln sich der Erzählung zum lustvollen Spiel mit Worten, das weniger der vorgeschobenen Inhalte wegen, sondern weil es dem referenten Grundmythos den moralischen Gehalt entzieht, den H ö r e r verblüfft. N u r der Verlust dessen, was durch die gesellschaftlichen Gegebenheiten unverlierbar ist, der Realität, den Traum und Poesie bringen, macht die Ideologie des Verlusts, die den des Paradieses zum Realitätsprinzip erklärt, rückgängig. Der Erzähler dringt mittels seiner Rede ins Paradies ein 427 , wodurch - messianisch - die Umkehrung der „Fabel in Wahrheit" 428 , die Erlösung dessen, was ist, gelingt. Seinen orphischen Charakter verbirgt er nicht: wie der sagenhafte Sänger, die heidnische Stifterfigur Christus', aus der anderen Welt wiederkommt, so kehrt er, durch den impliziten Vergleich sich nochmals interpretierend, wie aus einem „Traum" in die Wirklichkeit zurück. Doch bringt er mit seinem metabolischen Märchen - das sich von allen anderen, die den Ursprung des 'Es war einmal' suchen, unterscheidet - ein Versprechen: „Wahrscheinlich, wenn alles wieder zusammentrifft, wird auch die Pforte von neuem sichtbar sein, und ich werde mein mögliches tun, das Abenteuer wieder anzuknüpfen." Das Wahrscheinliche birgt das der Dichtung eigene Moment der Wahrheit, das Zeit und O r t einer besonderen Bedingung unterstellt - nicht mehr; ein Minimum an fiktionalem Aufwand bringt die Erlösung vom Tod: im Stande des Lebens ohne Ausschluß, zu dem die Dichtung den Zutritt ermittelt, bleiben die „Gegenstände" 429 der Erfahrung dieselben, allein durch die „Konstellation" 430 gewinnt sich in ihnen das Kriterium der Wahrheit. Der orphische Dichter stiftet mit seiner Erzählung als Schlüssel zum Leben ein zweites: nun aber das geglückte. 42S 426
"7 428 429 430
ib. ib., p. 63 cf. Hegire, West-östlicher Divan, HA 2, p. 7 sq. Dichtung und Wahrheit I, H A 9, p. 65 ib., p. 64 ib., p. 10
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QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR SPRACH- UND KULTURGESCHICHTE DER GERMANISCHEN VÖLKER
Summarium Heinrici Band 1: Textkritische Ausgabe der ersten Fassung Buch I - X Herausgegeben von Reiner Hildebrandt Groß-Oktav. XLIV. 404 Seiten, 16 Kunstdrucktafeln. 1974. Ganzleinen DM 2 4 0 - ISBN 3 11 003750 5 (N. F. Band 61/185) Bedeutendstes Kopendium des gesamten Wissens zu den sogenannten „freien und mechanischen Künsten" aus dem frühen 11. Jahrhundert. Der Verfasser stützt sich vor allem auf die „Standardautoren" Priscian, Cassiodor, Beda und Isidor. Von besonderer sprachhistorischer Bedeutung sind die vielen, jetzt erstmals im Textzusammenhang dargebotenen deutschen Glossen.
Band 2: Textkritische Ausgabe der zweiten Fassung Buch I-VI sowie des alphabetischen Glossars (Buch XI) in einer Kurz- und einer Langfassung Herausgegeben von Reiner Hildebrandt Groß-Oktav. XLVDI, 575 Seiten, 16 Tafeln. 1982. Ganzleinen DM 3 8 0 , ISBN 3 11 007915 1 (N. F. Band 78/202) Band 1 beinhaltet die zehn Bücher der Erstfassung, die in vielen sachlich geordneten Kapiteln das gesamte Schulwissen des 11. Jahrhunderts vermitteln will. Band 2 bringt eine verkürzte, nicht viel jüngere Neufassung in sechs Büchern sowie ein alphabetisches Glossar in zwei Fassungen, das viele wichtige hebräische, griechische und lateinische Wörter erklärt und das Gesamtwerk damit wesentlich ergänzt.
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Q U E L L E N U N D F O R S C H U N G E N ZUR SPRACH- U N D KULTURGESCHICHTE DER GERMANISCHEN VÖLKER
ERNST KRETSCHMER
Die Welt der Galgenlieder Christian Morgensterns und der viktorianische Nonsense Groß-Oktav. XH, 338 Seiten. 1983. Ganzleinen DM 1 0 8 ISBN 3 11 009506 8 (N. F. 79/203) EDITH MAROLD
Kenningkunst Ein Beitrag zu einer Poetik der Skaldendichtung
Groß-Oktav. VHI, 232 Seiten. 1983. Ganzleinen DM 112 — ISBN 3 11 007621 7 (N. F. 80/204) GÖTZ BRAUN
Norm und Geschichtlichkeit der Dichtung Klassisch-romantische Ästhetik und moderne Literatur Groß-Oktav. XH, 312 Seiten. 1983. Ganzleinen DM 108— ISBN 3 11 008238 1 (N. F. 81/205) ECKART CONRAD LUTZ
Rhetorica divina
Mittelhochdeutsche Prologgebete und die rhetorische Kultur des Mittelalters
Groß-Oktav. XH, 420 Seiten. 1984. Ganzleinen DM 1 7 2 ISBN 3 11 009881 4 (N. F. 82/206) Preisänderungen vorbehalten
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