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German Pages 136 [144] Year 1965
MANFRED HORNSCHUH
S T U D I E N ZUR E P I S T U L A A P O S T O L O R U M
PATRISTISCHE TEXTE UND STUDIEN IM A U F T R A G DER
PATRISTISCHEN KOMMISSION DER A K A D E M I E N DER WISSENSCHAFTEN ZU G Ö T T I N G E N · H E I D E L B E R G · M Ü N C H E N UND DER A K A D E M I E DER WISSENSCHAFTEN U N D D E R L I T E R A T U R ZU M A I N Z
H E R A U S G E G E B E N VON
K . A L A N D UND W. S C H N E E M E L C H E R
BAND 5
1965 WALTER DE G R U Y T E R & CO · B E R L I N VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG · J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG GEORG REIMER · KARL J. TRÜBNER · VEIT & COMP.
S T U D I E N ZUR E P I S T U L A A P O S T O L O R U M
VON
M A N F R E D HORNSCHUH
1965 WALTER DE G R U Y T E R & CO · B E R L I N VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG · J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG GEORG REIMER · KARL J. TRÜBNER · VEIT Sc COMP.
© 1965 by Walter de Gruyter 8c Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trüboer — Veit & Comp., Berlin 30 Printed in Germany Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischcm Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin Archiv-Nr. 3910651
VORWORT Den ersten Anlaß, mich mit der Epistula Apostolorum zu befassen, gab mir das Thema meiner Dissertation „Die Anfänge des Christentums in Ägypten", mit der ich 1959 in Bonn promovierte. Die Ergebnisse dieses Versuches, Licht in das Dunkel der Frühgeschichte des ägyptischen Christentums zu bringen, waren jedoch, wie sich bei einer nochmaligen Überprüfung herausstellte, nicht hinreichend gesichert. Für das Bild, das ich in der Dissertation von der Situation der ägyptischen Kirche im zweiten Jahrhundert zu zeichnen versuchte, bildete die Epistula Apostolorum eine der wichtigsten Quellen. Heute kann ich die Entstehung der Schrift in einem ägyptischen Milieu nicht mehr mit solch unbedingter Sicherheit behaupten, wie es in der erwähnten Arbeit geschah. Daß sie die Beweislast, die ich ihr auflud, nicht zu tragen imstande ist, bedeutet, daß die Frage der Anfänge des Christentums in Ägypten noch einmal ganz neu aufgegriffen werden muß. Ich hoffe, daß ich Gelegenheit finde, in Aufsätzen auf diese Frage zurückzukommen. Immerhin scheint mir die Annahme ägyptischen Ursprungs der Epistula Apostolorum nach wie vor erwägenswert. Die Frage wird in den vorliegenden Studien aufs neue diskutiert, bildet aber nicht die Hauptsache. Ziel der Untersuchung ist, den Ort der pseudapostolischen Epistel im Kräftespiel von Urchristentum und Spätjudentum, Gnosis und Frühkatholizismus zu bestimmen. In wesentlichen Punkten wird gegenüber C. Schmidt, der das Apokryphon als erster ediert und untersucht hat, eine neue Sicht gewonnen. Ganz allgemein stellt sich seit der Entdeckung der Texte von Nag Hamadi und Qumran die Aufgabe, die christliche Literatur der ältesten Zeit im Lichte dieser Funde neu zu interpretieren. Die vorliegende Arbeit versucht, diese Aufgabe für die Epistula Apostolorum in Angriff zu nehmen. Schon aus diesem Grunde spielen religionsgeschichtliche Fragestellungen, die bei Schmidt fast ganz zurücktreten, eine besondere Rolle. Mit freundlicher Erlaubnis des Verlages W. Kohlhammer, Stuttgart, kommt mein in der Zeitschrift für Kirchengeschichte, 73 1962, S. 1—8, veröffentlichter Aufsatz „Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen in der Epistula Apostolorum" wieder zum Abdruck (S. 21—29). Meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor D. W. Schneemelcher, sage ich für freundliche Förderung meinen herzlichen Dank. Ihm und den anderen Herren der Patristischen Kommission danke ich für die
Aufnahme dieser Arbeit in die „Patristischen Texte und Studien". Herrn Dr. K. Schäferdiek und Herrn cand. theol. J. Regul danke ich für wertvolle Hilfe bei der Literaturbeschaffung. Zwei Beiträge zur Sache konnte ich leider erst nach Drucklegung der Arbeit einsehen: B. Poschmann, Paenitentia secunda, 1940, S. 104—112 (zur Bußanschauung und Bußlehre der Ep. Αρ.), und J. de Zwaan, Date and Origin of the Epistle of the Eleven Apostles, in: Amicitiae Corolla (Festschrift für R. Harris), 1933, S. 344—355. Die Auseinandersetzung mit Poschmann konnte, wenn auch wegen der Knappheit des zur Verfügung stehenden Raums nicht in der erwünschten Ausführlichkeit, in einem Anhang nachgeholt werden. Wenn in der Arbeit jede Bezugnahme auf die völlig unzulänglich fundierten Thesen de Zwaans unterbleibt, so ist dies, wie ich hoffe, nicht mehr als ein formaler Mangel. Ich werde mich trotzdem so bald wie möglich in einem Zeitschriftenaufsatz mit ihnen befassen. Düren, im Oktober 1963 M. Hornschuh
INHALTSVERZEICHNIS Seite
Einleitung 1 a) Die Uberlieferung 1 b) Der Inhalt 2 c) Form und Zweck 4 Die Stellung zur evangelischen Tradition und zu den kanonischen Büchern des NT 9 Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen 21 Person und Werk Christi nach der Epistula Apostolorum 30 Offenbarung und Heil 62 a) Die Offenbarung 62 b) Das gegenwärtige Heil 63 c) Das zukünftige Heil 64 Jüdische Einflüsse 67 Der Elfapostelkreis 81 Die Stellung zu Paulus und zur Heidenmission 84 Rechtgläubigkeit und Ketzerei 92 Der Ort der Abfassung 99 Die Zeit der Abfassung 116 Abschluß 120 Nachtrag (Auseinandersetzung mit B. Poschmann) 121 Literaturverzeichnis 125 a) Quellen 125 b) Hilfsmittel 126 c) Literatur 127 Register 133 a) Autorenregister 133 b) Stellenregister 134 c) Bibelstellenregister 134 d) Sachregister 135
EINLEITUNG α) Die Überlieferung Die Epistula Apostolorum enthält Gespräche Jesu mit seinen Jüngern nach der Auferstehung. Die Schrift, deren griechischer Urtext spurlos verlorengegangen ist, ist vollständig nur in äthiopischer Übersetzung überliefert. Dazu kommt eine koptische Version, die uns ein aus dem 4. oder 5. Jahrhundert stammender Papyrus bewahrt hat. Anfang und Schluß des Kopten fehlen, und auch in der Mitte finden sich Lücken. Schließlich gibt es einige kleine lateinische Palimpsestfragmente, deren Wert gering ist, da sie sich in einem schlechten Zustande befinden und schwer leserlich sind1. Unser wichtigster Zeuge ist die koptische Version, die als direkter Abkömmling des griechischen Urtextes eine höhere Bewertung beanspruchen darf als der Äthiope, der dem Anschein nach eine Afterversion aus dem Arabischen ist 2 und eine stellenweise von der des koptischen Textes abweichende Vorlage benutzt zu haben scheint3. Immerhin ist der Äthiope als Kontrollmittel von großem Wert; unentbehrlich ist er, wo der koptische Text Lücken aufweist. In der äthiopischen Überlieferung bildet das Apokryphon den letzten Teil eines längeren Gesamtwerkes, das von einem 1 Die lateinischen Fragmente wurden entdeckt und herausgegeben von J . Bick (s. Literaturverzeichnis). 2 Vgl. W a j n b e r g in TU 43, S. 9. 8 In der vorliegenden Arbeit wird die Ep.Ap. nach dem koptischen Text zitiert, wo dieser erhalten ist, und zwar nach der Ubersetzung von H . D u e n s i n g bei HenneckeSchneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen (s. Literaturverzeichnis). Daneben wurde auch Duensings kleine Ausgabe benutzt (s. Literaturverz.). Von dem sonst üblichen Verfahren, die im koptischen Text enthaltenen griechischen Wörter der Ubersetzung in Klammern hinzuzufügen, hat Duensing mit Recht abgesehen, da es Verwirrung stiften kann. C. S c h m i d t sah darin freilich eine beklagenswerte Unterlassung (Orientalistische Literaturzeitung 1925, 11/12, Sp. 855) und behauptete, daß der koptische Text diese griechischen Wörter, „die noch das griechische Original durchschimmern lassen", „beibehalten" habe. Das läßt sich weder bestreiten noch beweisen, ist aber jedenfalls ganz unsicher. Das Koptische verfügte über einen mehr oder weniger festen Stamm von griechischen Lehnwörtern, durch die ein Ubersetzer auch andere synonyme Vokabeln eines griechischen Urtextes ersetzen konnte (s. zu diesem Problem C. H. R o b e r t s , Catalogue of the Greek and Latin Papyri in the John Rylands Library, I I I , London 1938, S. 19). Wir wissen nicht, ob der koptische Übersetzer der Ep.Ap. nicht auch so verfuhr.
1 Hornschuh, Studien
I
Redaktor außer der Ep. Ap. aus zwei weiteren Texten, dem sog. Testamentum Domini und einer apokalyptischen Rede Jesu, zusammengesetzt wurde.
b) Der Inhalt
Um die Einführung in die Probleme der Schrift zu erleichtern, sei eine gedrängte Inhaltsübersicht vorangestellt. Gleich die ersten Kapitel (1 [12] und 2 [13]) klären uns über Sinn und Abzweckung der Schrift auf: Sie gibt vor, Offenbarungen des Auferstandenen an seine Jünger zu enthalten. Sie werden von den Jüngern dem ganzen orbis Christianus mitgeteilt, um die Christenheit vor den Pseudaposteln Simon und Kerinth zu warnen und zum unerschütterlichen Festhalten am Evangelium zu mahnen. Der Brief fährt fort mit einem Bekenntnis zu Christus, zur Gottheit Christi und zum Schöpfer und Weltherrscher, dessen Allmacht und Schöpferkraft in hymnischen Sätzen gepriesen wird (3 [14]). Das Stück endet mit dem Bekenntnis zu Christus als dem Fleisch gewordenen Wort. Daran schließt sich ein Bericht über die Wundertaten Jesu auf Erden an (4 [15] und 5 [16]). Noch einmal wird mit dem Hinweis auf Simon und Kerinth und ihre verderbenbringende Tätigkeit (7 [18]) der Anlaß des Schreibens hervorgehoben (8 [19]). Es folgt ein aus verschiedenen Quellen zusammengestellter Auferstehungsbericht (9 [20] bis 12 [23]), der den mit 13 [24] beginnenden Hauptteil, nämlich die Offenbarungen, die die Schrift ihren Lesern mitteilen will, einleitet. Christus beginnt seinen Offenbarungsvortrag mit einer Schilderung seiner Herabkunft vom Vater und seines Durchgangs durch die Firmamente (13 [24]), um mit einem Bericht über seine Inkarnation und der voraufgehenden Epiphanie vor Maria in der Gestalt des Engels Gabriel fortzufahren (14 [25]). Nach einer Erwähnung des Passafestes und seiner Bedeutung für die Jünger (15 [26]) wird das Thema der Parusie verhandelt (16 [27]): Christus kommt als Richter der Lebendigen und der Toten in unermeßlichem Lichtglanz auf die Erde zurück. Das Datum der Parusie wird genau bestimmt. Man kann die Parusie ebenso als die des Vaters wie als die des Sohnes bezeichnen, denn beide sind letztlich eins (17 [28]). Alsdann ist von der Geburt des präexistenten Logos im Himmel die Rede, von der Vollkommenheit der durch Christus geschehenen Erlösung, von seiner Himmelfahrt und schließlich von dem neuen Gebot, das Christus den Seinen hinterläßt: daß sie einander lieben sollen (19 [30]). Es folgt ein Missionsbefehl, verbunden mit der Zusicherung an die Jünger, daß sie Miterben des Himmelreiches seien und der Vater an ihnen wie auch an denen, die durch sie zum Glauben kämen, Wohlgefallen habe, ferner, daß der Vater ihnen allen eine große Freude im 2
Himmel bereite. Die Frage, in welcher Gestalt die Auferstehung erfolgen werde, ob in der der Engel oder im menschlichen Fleische, beantwortet Jesus mit dem Hinweis auf seine eigene Auferstehung im Fleisch (19 [30]). Wie der Vater ihn von den Toten auferweckt hat, so werden auch seine Jünger im Fleisch auferstehen. Mit dem Fleisch werden auch Seele und Geist an der Auferstehung teilhaben (22 [33]— 24 [35]). Nach einigen eingestreuten Mahnungen (34 [35]) kehrt der Verfasser in 25 [36] zum Thema zurück: Noch einmal werden die Jünger der Auferstehung des Fleisches versichert und ihren Zweifeln entnommen. Mit Leib und Seele soll der Mensch auferstehen, damit er am Tage des Gerichts für seine Werke Rechenschaft ablege (26 [37]). An der ,,Ruhe", die Gott den Seinen bereitet, sollen auch die Frommen des alten Bundes teilhaben. Christus ist zu ihnen hinabgestiegen, um sie zu taufen und in den Himmel zu führen. Durch zufällige Assoziation geleitet, läßt der Verfasser auf dieses Stück eine Mahnung des Christus folgen, nicht nur zu glauben, sondern auch seine Gebote zu halten, andernfalls auch der Glaube unnütz sei (27 [38]). Die, die glauben und die Gebote halten, werden in die ewige Ruhe eingehen; die, die gegen die Gebote sündigen, die rechte Lehre verdrehen und die Gläubigen verführen, werden dem ewigen Verderben anheimgegeben (28 [39] und 29 [40]). Damit ist der Verfasser beim Thema „Irrlehrer". Die Häretiker existieren, damit die Bösen und die Guten offenbar werden (29 [40]). Unvermittelt schließt sich die Jüngerfrage an, wie die Missionspredigt Erfolg haben könne, wenn Christus seine Jünger verlassen habe (29 [40]), worauf Jesus mit der Versicherung seines bleibenden, fortdauernden Beistandes antwortet (30 [41]). Sodann verheißt er seinen Jüngern die Begegnung mit Paulus, der vom Verfolger zum Bekenner und zum Prediger für die Heiden wird (31 [42]). Nachdem der Herr den Jüngern erklärt hat, daß es nur eine Hoffnung auf das himmlische Erbe gibt und keiner vor dem anderen bevorzugt wird (32 [43]), und in 33 [44] noch einmal die Rede auf die Bekehrung und Berufung des Paulus gekommen ist, kommt ab 34 [45] die Apokalyptik ausführlich zur Sprache. Es werden die Vorzeichen der Parusie geschildert, zu denen auch das Auftreten von Betrügern und Lästerern, d. h. der Irrlehrer, gehört (34 [45]—37 [48]). Während man den Irrlehrern folgen wird, welche mit Bestechungsgeschenken arbeiten und bei welchen das Ansehen der Person gilt (37 [48]), werden die Frommen sich vor den Menschen nicht scheuen und sie ohne Rücksicht auf Arm und Reich zu tadeln trachten (38 [49]). Weil sie Schmähung und Verfolgung erdulden und aushalten, werden sie selig werden (ebd.). Auf die Frage der Jünger, wie ein gerechtes Gericht stattfinden könne, wo doch Gott Schöpfer des Lichts un d der Finsternis ist, antwortet Christus, indem er auf das Beispiel des Adam hinweist, der sich aus der Finsternis erhob und das Gute ergriff. So haben alle Menschen die Macht, an das 1*
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Licht zu glauben und die Werke des Lichts zu vollbringen, und darum kann sich kein Mensch entschuldigen. In diesem Zusammenhang versichert Christus, daß er um derentwillen, die seine Worte verderben, also um der Irrlehrer willen, vom Himmel herabgekommen sei (39[50]). Nach einer Empfehlung der Fürbitte für die Sünder (40 [51]) wird den Jüngern zugesichert, daß sie durch ihre Predigt „Väter vieler Kinder und Diener und Meister" werden sollen (41 [52]). Diese drei Prädikate werden alsdann expliziert: „Väter" werden sie sein wegen ihrer Liebe, „Diener", weil Christus durch sie taufen wird, „Meister", weil sie den Menschen das Wort überliefern und sie zurechtweisen (42 [53]). Es folgt eine allegorische Ausdeutung des Gleichnisses von den zehn Jungfrauen (43 [54]—45 [65]), nach der unter den fünf törichten Jungfrauen die „Erkenntnis", die „Einsicht", der „Gehorsam", der „Langmut" und die „Barmherzigkeit" zu sehen sind. Daran schließt sich die Mahnung an, recht zu predigen und zu lehren, wieder mit dem Zusatz, sich nicht vor den Reichen zu fürchten (46 [57]). Sodann werden Fragen der Kirchenzucht berührt. Es besteht ζ. B. die Pflicht der Zurechtweisung des in die Sünde gefallenen Nächsten; auch hier darf es keine Rücksicht auf die Person geben (47 [58] und 48 [59]). Dem, der die Sünder tadelt, werden Haß und Verfolgung vorausgesagt. Er wird aber bei Gott als Märtyrer gelten. Vor der Gefahr der Irrlehre wird noch einmal mit beschwörenden Worten gewarnt: sie schafft ein „Ärgernis des Todes". Mit einem „Wehe" über die, die sich abwenden vom „Leben der Lehre", enden die Offenbarungen des Auferstandenen (50[61]). Das Schlußstück (51 [62]) beschreibt die Aufnahme Christi in den Himmel.
c) Form und Zweck
1. Die Epistula Apostolorum ist ein Brief. Ein Brief will dieEp.Ap. offenbar in doppelter Hinsicht sein. Sie will geschrieben sein „an die Kirchen des Ostens und des Westens, gen Norden und Süden", also an die gesamte christliche Ökumene. Indem sie sich als ein an die ganze Christenschaft gerichteter Brief gibt, gehört sie zu den sog. katholischen Briefen4. Die Verfasser des Briefes sind die elf Apostel; vgl. 2[13]: „(Wir) Johannes und Thomas und Petrus und Andreas und Jakobus und Philippus und Bartholomäus und Matthäus und Nathanael und Judas Zelotes und Kephas, wir haben geschrieben ...". Aber die Ep.Ap. will noch mehr sein als ein Brief der Apostel an die Christenheit. Wie wir aus dem Eingangsteil ersehen können, will die Ep.Ap. 4
Vgl. S c h m i d t , S. 206. Es muß freilich betont werden, daß der Briefstil nicht durchgehalten wird.
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ein Brief sein, den Christus selbst „offenbart hat". Der Eingang lautet: „Was Jesus Christus seinen Jüngern als einen Brief offenbart hat und wie Jesus Christus offenbart hat den Brief des Kollegiums der Apostel, der Jünger Jesu Christi . . . " (1 [12]). Leider müssen unsere Resultate, sofern sie sich auf den Einleitungsteil gründen, mit einem Fragezeichen versehen werden, da er nur in der äthiopischen Version erhalten ist. Hat der Äthiope den ursprünglichen Wortlaut richtig bewahrt, so finden wir hier das in der dualistischen Offenbarungsliteratur mehrfach belegbare Himmelsbrief-Motiv6. Der eigentliche Verfasser des vorliegenden Sendschreibens ist die Offenbarungsgottheit Jesus Christus. Ein ähnliches Beispiel einer direkten Herleitung des Briefinhaltes von der Offenbarungsgottheit selbst begegnet uns in einem durch Epiphanius von Salamis erhaltenen valentinianischen Brief 6 , dessen Präskript lautet: Παρά φρονίμοις, παρά δέ ψυχικοί^, παρά δέ σαρκικοΐς, παρά δέ κοσμικοϊ$, παρά δέ μεγέθει · νους άκατάργητος τοις άκαταργήτοις χαίρει ν. Der Nus, die Offenbarungsgottheit, schreibt an die Gnostiker. Der Brief will als persönliche Kundgebung der Gottheit gelesen werden7. Das Vorkommen des Himmelsbrief-Motivs weist uns schon auf den geistigen Standort hin, an dem der Verfasser der Ep.Ap. steht. Sein Werk ist ein Dokument jener dualistischen Offenbarungsfrömmigkeit, die in ihren verschiedenen Spielarten (Gnosis, Corpus Hermeticum, Apokalyptik, Essener u. a.) die spätantike orientalische ReligionsVgl. M. D i b e l i u s , Der Hirt des Hermas, HNT Erg.-Bd. IV, S. 443; ferner L. R ö h r i c h , Art. Himmelsbrief, RGG® I I I , Sp. 338f.; J . L e i p o l d t , Die Frühgeschichte der Lehre von der göttlichen Eingebung, ZNW 44, 1962/63, S. 118ff.; G. v a n d e r L e e u w , Phänomenologie der Religion, 1933, S. 413. Allerdings harmoniert die Behauptung, die in dem Apokryphon enthaltenen Weissagungen, Mahnungen und Lehren seien vom Herrn selbst als B r i e f geoffenbart worden, schlecht mit dem Eindruck, den der Verfasser doch sonst im Leser erwecken möchte: daß der Brief die Offenbarungen enthalte, die die Jünger vom Herrn nach seiner Auferstehung durch m ü n d l i c h e Belehrung empfangen haben. Das Himmelsbrief-Motiv hat in der Ep.Ap. allem Anschein nach keine andere Funktion als die der Hervorhebung der wörtlichen I n s p i r a t i o n des Textes. β Pan. haer. 31, 5. 6; Holl, Bd. 1, S. 390—395. 7 Weitere gnostische Beispiele: Act. Thom. 108, 40ff. und Ev. Ver. 19, 34ff. Dort ist der „Brief" bzw. das „ B u c h " (Variante desselben Motivs!) das aus dem „Schlaf" und der „Vergessenheit" zur Erkenntnis rufende himmlische Offenbarungswort. Nach der Ep.Ap. soll der „Brief" zwar auch Offenbarungen vermitteln; jedoch wendet er sich nicht an die, die noch der anfänglichen Erleuchtung bedürfen, sondern an solche, die in der schon gewonnenen Erkenntnis des göttlichen Heilswillens gefestigt werden sollen. Darin steht unter den gnostischen Beispielen — so weit ich sehe — der oben zitierte valentinianische Lehrbrief der Epistula am nächsten. Denn er wendet sich an solche, die über die praktischen Grundgedanken und die großen Umrisse der „Gnosis" bereits orientiert sind; vgl. O. D i b e l i u s , Studien zur Geschichte der Valentinianer, ZNW I X , 1908, S. 333 f. 6
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geschichte beherrscht. Der dualistische Offenbarungsglaube des spätantiken Orients geht in all seinen verschiedenen Formen aus von der Voraussetzung der prinzipiellen Verborgenheit Gottes und der himmlischen, göttlichen Jenseits weit, deren Geheimnisse sich den Menschen allein durch Offenbarung erschließen8. 2. Die Epistula Apostolorum ist in ihrem Hauptteil dialogisch9. Die Erteilung der Offenbarung erfolgt nicht in fortlaufender Rede, vielmehr richten die Jünger ununterbrochen ihre Fragen an den Auferstandenen, die dieser ihnen beantwortet. Auch das entspricht genau der Art der gnostischen Offenbarungsliteratur; vgl. die Sophia Jesu Christi (Pap. Berol. 8502, ed. W. Till) und besonders die Pistis Sophia, die C. Schmidt als „klassisches Beispiel" dieser Literaturgattung anführt 10 . Auch das „Evangelium der Ägypter", aus dem uns Clemens Alexandrinus einige Proben mitteilt, gehört hierher. Ferner erinnert C. Schmidt an die von den sog. Γνωστικοί fabrizierten έρωτήσεις Μαρίας μεγάλαι und μικραί11, die sich schon durch ihren Titel als Fragen der Maria Magdalena an Jesus verraten. Doch hat Schmidt auch darauf hingewiesen, daß diese Gesprächsform keine Erfindung der Gnostiker ist, „vielmehr bildet die Vorstufe die jüdische Apokalyptik, die die Form der Unterredungen des Engels mit dem Apokalyptiker angenommen hatte. Auf dem Boden der Kirche bietet abgesehen von der Apokalypse des Petrus der Hirte des Hermas die schlagendsten Parallelen in Gestalt der Gespräche zwischen Hermas und der Kirche einerseits und dem Hirten andererseits" 12 . 3. Die Ep.Ap. enthält Spezialoffenbarungen des Auferstandenen. „Damit streift der Verfasser auf das bedenklichste die pseudepigraphische Schriftstellerei der Gnostiker, die neben der allgemeinen Unterweisung während der öffentlichen Lehrtätigkeit besonders die Zeit nach der Auferstehung für ihre Spezialoffenbarungen sich ausgesucht hatten" (C. Schmidt a. a. O., S. 202). Aus der gnostischen und semignostischen Literatur des zweiten Jahrhunderts lassen sich als Beispiele der koptische Jakobusbrief und die Schriften des koptischen Papyrus Berolinensis 8502 (Evangelium der Maria, Apokryphon des Johannes und Sophia Jesu Christi)13, aus dem späteren gnostischen Schrifttum vor allem die Pistis Sophia14 nennen. Der Verfasser unseres 8
Daß dieser Ausgangspunkt keineswegs der genuin neutestamentlich-urchristliche ist, ist gezeigt worden von H. S c h u l t e , Der Begriff der Offenbarung im Neuen Testament (Beiträge zur Evangelischen Theologie 13), 1949. 10 » Vgl. dazu C. S c h m i d t S. 172. 206. S. 206. 11 Epiphanius, Pan. haer. 26, 8; H o l l , Bd. 1, GCS 25, S. 284. 18 S. 206. 18 Vgl. auch die Valentinianer nach Irenaus, adv. haer. I, 3, 2, und die Ophiten nach adv. haer. I, 30, 14. 14 Vgl. bes. die Kapitel 1 und 136.
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Apokryphons hat sich die von den Gnostikern geschaffene Form zu eigen gemacht, da sie ihm die Möglichkeit bot, im Namen und unter der Autorität Christi auf aktuelle Fragen und Probleme Antworten zu geben, die ungehört hätten verhallen müssen, wären sie in anderer Form ausgesprochen worden. Auf die im Zusammenhang mit dem bedrohlichen Anwachsen der gnostischen Bewegung in der christlichen Gemeinde sich erhebenden religiösen Fragen gab die alte Überlieferung nur ungenügende und vieldeutige Antwort. Man brauchte unmißverständliche Auskünfte und Anweisungen aus göttlichem Munde in der Art, wie sie die Gnostiker vorweisen konnten. So griff man zu den von den Gegnern geschmiedeten Waffen, indem man ebenfalls apokryphe Offenbarungsliteratur schuf, um sich zum Kampf gegen sie zu wappnen. Während jedoch die Gnostiker ihrem Christus esoterische Traditionen in den Mund legen, die nur einem begrenzten Kreis von Auserwählten zugänglich sind, wendet sich die Epistula unterschiedslos an alle Christen. Sie gibt sich als Rundbrief an die gesamte Ökumene. Abgesehen von der Verfolgung ihres antihäretischen Zweckes will sie volkstümliche Erbauungsliteratur sein und ist für breite Kreise berechnet. 4. Der Zweck des Sendschreibens ist bei der Erörterung der Form bereits genügend zur Sprache gekommen. Die bestimmte Form ist ja durch einen bestimmten Zweck bedingt. Der Zweck der Epistula ist, kurz gesagt, die Abwehr des Einbruchs der doketischen und antiapokalyptischen Gnosis. Nach Schmidt15 soll das Apokryphon „durchaus keine Apologie zur Wiederlegung der Gnostiker sein, es ist vielmehr auf die Befestigung der Katholiken berechnet". Diese Alternative ist jedoch falsch. Die Ep.Ap. ist eine Wiederlegung der Gnostiker zur Befestigung der „Katholiken". Zwar ist das Apokryphon keine Streitschrift, die sich an die Adresse der Gnostiker wendet. Doch wird man schwerlich bestreiten können, daß wichtige Partien des Briefes nicht anders zu verstehen sind denn als Widerlegung der Gnostiker. So soll ζ. B. der breit ausgeführte Auferstehungsbericht die doketischen Anschauungen der Gnostiker in den Augen der Gläubigen widerlegen. Natürlich handelt es sich dabei um einen Appell an die eigene Gefolgschaft, „auf daß ihr fest seid und nicht wankt, nicht erschüttert werdet und nicht abweicht vom Worte des Evangeliums, das ihr gehört habt" (1 [12]). C. Schmidt, der die wichtige Schrift erstmalig herausgegeben und untersucht hat, hat sie auf dem Titelblatt seiner großen Publikation „Ein katholisch-apostolisches Sendschreiben des 2. Jahrhunderts" genannt. In diesen Worten ist bereits ein Teil der Hauptergebnisse seiner Untersuchung vorweggenommen. Dem ersten Eindruck, den man 16
Gespräche Jesu usw., S. 198.
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beim Lesen der Schrift gewinnt, daß es sich nämlich um eine apokryphe, gnostisierende Offenbarungsschrift handelt, gnostisierend vor allem deswegen, weil sie ihre Offenbarungen dem Auferstandenen in den Mund legt, aber auch wegen anderer fremdartiger, unkatholischer Elemente, stellt Schmidt die These vom kirchlich-apostolischen Ursprung entgegen. Fügt man noch hinzu, daß Schmidt unsere Schrift der kleinasiatischen Kirche zuweist und zwischen 160 und 170 n. Chr. ansetzt, so haben wir seine Hauptergebnisse zusammengefaßt. Von K. Lake16 und H. Lietzmann17, der auch in der Datierungsfrage von Schmidt abweicht, wurde dagegen ägyptischer Ursprung für wahrscheinlich gehalten. 18
HThR XIV/1921, S. 15—29. " ZNW XX/1921, S. 173ff.
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DIE STELLUNG ZUR EVANGELISCHEN TRADITION UND ZU DEN KANONISCHEN BÜCHERN DES NEUEN TESTAMENTS Bevor in 13 [24] die eigentlichen Offenbarungen beginnen, d. h. bevor der Verfasser seine für die Gemeinde fremde und neuartige Weise anstimmt, nimmt er sich ausgiebig Gelegenheit, die alten, vertrauten Töne der evangelischen Tradition anklingen zu lassen. In 4 [15] und 5 [16]1 bietet er eine Auswahl von Wundergeschichten, die bis auf eine der synoptischen Tradition entstammen. Die kurze und abrißhafte Art des Berichtes zeigt, daß es sich nur um ein Vorspiel handelt, das, auf den vertrauten Ton gestimmt, den Leser zur Annahme des Neuen empfänglich und bereit machen soll. Auch die Berichte vom leeren Grab und von der Auferstehung sind vom Verfasser aus Elementen der Evangelientradition zusammengestellt worden. So hat er es verstanden, „mit Hilfe der dort (d. h. in den kanonischen Evangelien) fixierten Worte und Gedanken einen Jesus zu schaffen, der in vieler Beziehung dem Jesus der Evangelien ähnelt. Auf Schritt und Tritt begegnen wir Phrasen und Anspielungen, auch der ganze Ton ist vorzüglich getroffen, so daß man über den pseudepigraphischen Charakter der Schrift oft hinweggetäuscht wird" (Schmidt)2. Nach Schmidt sind dem Verfasser die schriftlichen (kanonischen) Evangelien derart in Fleisch und Blut übergegangen, daß er mit souveräner Beherrschung des alten Stoffes den neuen formuliert. Daß der Verfasser mit dem synoptischen Stoff sehr vertraut ist, unterliegt keinem Zweifel. Doch ist zu fragen, ob die schriftlich fixierten Evangelien für den Verfasser tatsächlich, wie Schmidt meint, bereits eine kanonische Geltung besaßen. Vom Johannesevangelium darf man sicherlich ohne allen Vorbehalt sowohl behaupten, daß es ihm ,,in Fleisch und Blut übergegangen" sei, ids auch, daß es für ihn eine außerordentliche Autorität darstellte. Da diese Feststellung keiner weiteren Begründung bedarf und durch Schmidts Arbeit genügend gesichert ist, begnügen wir uns mit der Untersuchung des von der Epistula übernommenen synoptischen Stoffes. Bereits die erste der von den Aposteln aus dem Leben Jesu erzählten Geschichten ist unkanonisch. Schon deshalb sollte man nicht mit der 1
Beide Kapitel sind nur im Äthiopen überliefert, und das heißt, daß unseren Beobachtungen, soweit sie sich allein auf sie stützen, keine völlige Evidenz eignet. 2 S. 214.
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Zuversicht, mit der Schmidt es tut, die These vertreten, daß die „kanonischen" Evangelien als die „von der Kirche approbierten Evangelien"8 die einzig maßgebliche Autorität für den Verfasser gewesen sind. Es handelt sich um eine apokryphe Anekdote, die uns Jesus als Schüler vorstellt, der das Alphabet lernen soll. „Und der, welcher ihn lehrte, sagte zu ihm, während er ihn lehrte: ,Sag: Alpha!' Er antwortete und sagte zu ihm: ,Sage du mir zuerst, was Beta ist'" (4 [15]). Nach irgendwelchen Quellen zu fahnden, denen der Verfasser diese Episode entnommen haben könnte, ist sinnlos. Es muß sich um eine in der Gemeinde bekannte, frei umlaufende Tradition gehandelt haben, die in stark veränderter Gestalt später auch in der Kindheitserzählung des Thomas4 Aufnahme gefunden hat. Keinesfalls ist die Ep.Ap. von dem Kindheitsevangelium literarisch abhängig. Die erzählenden Apostel kommen nach einer kurzen Erwähnung der Hochzeit zu Kana auf die Heilungswunder zu sprechen. „Dem die Hand verdorrt war, streckte er sie wieder aus". Es ist nicht auszumachen, ob der Verfasser der Darstellung des Markus (3,1—5), des Matthäus (12, 9—13) oder des Lukas (6, 6—10) folgt. Es ist möglich, daß er aus dem Gedächtnis vorträgt; nach den synoptischen Berichten streckt ja der Kranke seine Hand Jesus entgegen. — Sodann ist die Reihe an der Geschichte von der Blutflüssigen: „und die Frau, welche zwölf Jahre am Blutfluß litt, berührte den Saum seines Gewandes und ward sofort gesund"; vgl. Mk 5, 25—35; Mt 9, 20—22; Lk 8, 43—48. Die Berührung des Saumes fehlt bei Mk, die Erwähnung der sofortigen Gesundung bei Mt, beides finden wir bei Lk. Die nach der Ep.Ap. vom Herrn gestellte Frage: „Wer hat mich berührt?" entspricht genau Lk 8, 43—48. Mit Mk und Lk hat der Bericht der Ep.Ap. auch den Hinweis der Jünger auf das Menschengedränge gemeinsam. Die Formulierung der Ep.Ap.: „0 Herr, das Menschengedränge hat dich angerührt", kommt dem Wortlaut von Lk 8, 45 am nächsten. In Ep.Ap., Mk und Lk wird berichtet, daß Jesus spürte, daß eine „Kraft" von ihm ausgegangen war. Aber nur in Ep.Ap und bei Lk hat dieses Motiv die Form einer persönlichen Aussage des Herrn (Ep.Ap.: ,Ich habe gemerkt, daß eine Kraft von mir ausgegangen ist'; vgl. Lk 8, 46). Keine Entsprechung findet dagegen in den Evangelien der Satz: „Zu der Zeit trat vor ihn jenes Weib, antwortete und sprach zu ihm: ,Herr, ich habe dich berührt'." Nach Schmidt wäre es vergebliche Mühe, da, wo sich Abweichungen vom Wortlaut der kanonischen Vorlagen zeigen, nach besonderen Quellen zu forschen, aus denen unser Verfasser geschöpft hätte, „denn auf apokryphe Zusätze von eigener Hand muß man bei einem Kompilator gefaßt sein"6. — Dagegen ist zu sagen: 8 4
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S. 201. Kap. 6; Hennecke-Schneemelcher, Bd. 1, S. 295.
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S. 218.
Vergleicht man den vorliegenden Abriß der synoptischen Wunder mit den kanonischen Darstellungen, so sieht man, daß der Verfasser auf eine knappe, das Wesentliche zusammenraffende Art der Darstellung bedacht ist, um schnell zu den Fragen und Themen überzugehen, um die es ihm eigentlich geht. So hätte der Verfasser also den Zusatz kaum geboten, wenn er ihn nicht in irgendeiner Quelle — es kann aber auch eine mündliche Tradition gewesen sein — vorgefunden hätte. Als nächstes berichtet der Verfasser die Geschichte von der Besessenenheilung; vgl. Mk 5, 1—16; Mt 8, 28—34; Lk 8, 26—39. Mit Mk und Lk weiß die Epistula von der Heilung nur eines Besessenen; mit beiden nennt die Ep.Ap. auch den Namen des Dämon: Legion. Dagegen hat der Satz: „Bevor der Tag unseres Verderbens herangekommen ist, bist du gekommen, uns zu vertreiben", seine Entsprechung nur in Mt 8, 29. Allein in der Ep.Ap. findet sich der Zusatz: „Der Herr Jesus aber schalt ihn und sprach zu ihm: ,Geh von diesem Mann aus, ohne ihm irgendetwas zuzufügen'". Wiederum darf man daraus ersehen, daß dem Verfasser eine freie, außerkanonische synoptische Tradition bekannt war. Anders ist nicht zu erklären, wie es in der offenbar auf Kürzung und Raffung bedachten Darstellung auch zu Erweiterungen gegenüber den kanonischen Texten kommen konnte. In stark verkürzter Form erscheint auch die Geschichte von Jesu Wandel auf dem Meer; vgl. Mk 6, 45; Mt 14, 22—33; Joh 6, 16—21. Es findet sich ein kleiner Zusatz: „und er schalt sie (sc. die Wellen)". Dieser Zug könnte aus der Sturmstillungsgeschichte, und zwar am ehesten aus Lk 8, 24, übernommen worden sein. Stark verkürzt und ihrer Pointe beraubt ist die Geschichte von der Münze im Fischmaul (Mt 17, 24—27) wiedergegeben. Sie ist — anders als bei Mt — in der Ep.Ap. motiviert durch die Frage: „Meister, was sollen wir machen hinsichtlich des Steuereinnehmers?" Es legt sich die Vermutung nahe, daß sie dem Verfasser noch in einer anderen Form, als sie bei Mt überliefert ist, bekannt war. Die Speisungsgeschichte, ebenfalls stark verkürzt, kommt in der Wiedergabe der Ep.Ap. der von Mt gebotenen Fassung am nächsten. Der Vermerk „außer den Frauen und Kindern" hat seine Entsprechung nur in Mt 14, 21. Überblicken wir das Ganze, so ergibt sich, daß Übereinstimmungen mit allen drei synoptischen Evangelien vorhanden sind. Beachtenswert ist, daß Markus da, wo er eine Parallele bietet, immer von einem der beiden anderen synoptischen Evangelien begleitet ist, m. a. W., daß die Ep.Ap. keine einzige Lesart mit Mk allein gegen Mt und Lk bietet. Demgegenüber steht die Ep.Ap. in einigen Fällen allein mit Mt oder Lk gegen deren Seitenreferenten. Das bedeutet, daß Bekanntschaft der Ep.Ap. mit Mk sehr unwahrscheinlich ist. Die Tatsache, daß sich auch in den übrigen Partien der Schrift kein einziges Zitat aus Mk ausII
findig machen läßt, bestärkt uns in diesem Urteil. Daß der Verfasser Mt und Lk gekannt und zitiert hat, ist sicher; jedoch ist die Einschränkung zu machen, daß sie für ihn nicht die einzige Quelle der alten evangelischen Tradition gewesen sind. Es kommen Nebenüberlieferungen hinzu, die der Verfasser als gleichwertig voraussetzt. Wenn wir also feststellen, daß er Mt und Lk benutzt, so kann das nicht heißen, daß sie für ihn im exklusiven, d. h. in einem alle Nebenüberlieferungen ausschließenden und in ihrer Geltung mindernden Sinne, „kanonisch" sind. Dieser Befund bestätigt sich auch in folgendem: In 9 [20] kommt unser pseudapostolisches Sendschreiben auf die Karfreitagsereignisse zu sprechen: ,,daß der Herr ist dieser, der gekreuzigt ist durch Pontius Pilatus und Archelaus inmitten des Räuberpaares (und) der begraben ist an einem Orte, der