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German Pages 176 Year 1974
BEIHEFTE
ZUR
Z E I T S C H R I F T FÜR R O M A N I S C H E
PHILOLOGIE
BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER FORTGEFÜHRT V O N WALTHER V O N WARTBURG HERAUSGEGEBEN V O N KURT BALDINGER
Band 143
FRANZ JOSEF HAUSMANN
STUDIEN ZU EINER LINGUISTIK DES WORTSPIELS Das Wortspiel im »Canard enchaîné«
MAX N I E M E Y E R V E R L A G T Ü B I N G E N 1974
DEM ANDENKEN MEINES VATERS GEWIDMET
Gedruckt mit Unterstützung der Universität des Saarlandes. I S B N J-484-J2 048-J © M a x Niemeyer Verlag Tübingen 1974 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen.
VORWORT
Dieses Buch ist die überarbeitete Fassung meiner von der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes im Frühjahr 1972 angenommenen Dissertation. Es geht zurück auf eine Anregung von Prof. Dr. Hans Helmut Christmann, meinem Lehrer und Doktorvater, dem ich die Öffnung zur Wissenschaft und Jahre ungetrübter Arbeit in der Hochschule verdanke. Sein Wirken ist mir Beispiel. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Hans-Ludwig Scheel für seine Mühe als Koreferent und für hilfreiche Verbesserungsvorschläge und Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Kurt Baldinger für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe der Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie. Ohne einen großzügigen Zuschuß der Universität des Saarlandes hätte die Arbeit nicht in dieser Form erscheinen können. Der Universität, an der ich seit 1964 zu Hause war und von der ich nunmehr Abschied nehme, gilt mein besonderer Dank.
Saarbrücken, im Januar 1974 Franz Josef Hausmann
INHALT
Abkürzungen
X
1 Stand der Wortspielforschung
i
2 Der 'Canard enchaîné'. Vorstellung des Korpus
2
3 Wortspiel als Anomalie und Kommunikation
5
4 Grundlegung einer sprachwissenschaftlichen Beschreibung des Wortspiels (Der komplexe Text)
8
4.1
Gedrängtheit, metasprachliche Information und Plurivalenz des Ausdrucks
8
4.2
Fragment, komplexer Text und Signal
10
4.3
Horizontales und vertikales Wortspiel. Vertikale Realisation von Homonymen
16
4.4
Horizontale Realisation von Homonymen
18
4.5
Horizontale Realisation von Quasi-Homonymen. und Klangspiel
Sinnspiel 19
4.6
Von der Beglaubigungskraft des Wortspiels
21
4.7
Die vertikale Realisation von Quasi-Homonymen 4.7.1 Der Torso 4.7.2 Die Derivation 4.7.3 Wortspielhafte Derivation (Substitution) 4.7.4 Stilistische Wirkung 4.7.5 Beispiel und Resümee
22 22 24 25 26 27
5 Das Spiel mit dem signifiant
29
5.1
Einfache Substitution
5.2
Substitution verbunden mit anderer Segmentierung
J.3
Erweiterung und Reduktion
36
5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5
36 39 41 42 43
5.4
Linkserweiterung Rechtserweiterung Mittelerweiterung Rechtsreduktion Mittelreduktion
Metagraphie mit anderer Segmentierung
31 . . . .
35
44 VII
$.4.1
Dekomposition
44
5.4.2
Komposition
46
5.5
Metagraphie ohne Segmentierung
46
5.6
Die Kohärenz des Derivanden 5.6.1 Semantische Kohärenz 5.6.2 Sachliche Kohärenz 5.6.3 Konventionelle Kohärenz Kohärenz und Anomalie des Derivats 5.7.1 Die Kohärenz des Derivats 5.7.2 Die Anomalie des Derivats
47 48 49 50 54 54 56
Die Konnexion (Ausdrucksgemeinsamkeit von Derivat und Derivand)
59
5.7
5.8
6 Das Spiel mit dem signifiant: Das komplexe Lexem
63
6.1
Wortverschmelzung 6.1.1 Wortverschmelzung ohne Erweiterung der Basis . . . 6.1.2 Wortverschmelzung mit Erweiterung der Basis . . .
64 64 65
6.2
Haplologische Wortzusammensetzung
66
7 Das Spiel mit dem signifiant: Die komplexe Lexie
69
7.1
Lexienverschmelzung
70
7.2
Haplologische Lexienzusammensetzung
70
8 Exkurs: Zur Phonostilistik des Wortspiels
72
9 Zwischenergebnis: System der Wortspieltypen
76
xo Das Spiel mit dem signifié
81
10.1 Erörterung des Text-Metatext-Verhältnisses 10.2 Weitere Beispiele für das Text-Metatext-Verhältnis
81 . . . .
10.3 Besonderheiten des Text-Metatext-Verhältnisses 10.3.1 Texte ohne Metatexthilfe 10.3.2 Metatext durch Nutzung von Systemleerstellen . . . 10.3.3 Metatext als Textverbindung 10.4 Übergänge zum Text-Text-Verhältnis 10.5 Beispiele für das Text-Text-Verhältnis 10.6 Qualitätskriterien 10.7 Die Rolle des signifié in der Substitution. Anspielung . . . 1 1 Exkurs: Parodie und Verfremdung als Beschreibungskategorien des Wortspiels. Die Rolle der Lexie
86 87 87 88 90 91 93 93 94 97
12 Semasiologie des Wortspiels 100 12.1 Wortspiel und die Unterscheidung von Homonymie und Polysemie 100 VIII
12.2 Logik des Wortspiels - Wortspiel und Metapher
m
13 Exemplarische Wortspielanalysen
122
14 Ergebnisse
126
15 Anhang I : Sachliche Erläuterungen zu einzelnen Wortspielen
.
16 Anhang
des
II:
Beitrag
Wortspiels
zu
einer systematischen
Bibliographie
.128
131
1 7 Literaturverzeichnis
136
18 Autorenverzeichnis
152
19 Sachregister
ij7
20 Wortregister
160
IX
ABKÜRZUNGEN1
CLG
=
Saussure (1916)
DAM
=
Sandry-Carrère (1967)
DFC
= Dubois u. a. (1966)
DMN
=
GL
= Grand Larousse (1960-64)
GLFC
=
Chevalier u. a. (1964)
GLLF
=
Guilbert u. a. (1971)
GLS
=
Grand Larousse. Supplement (1968)
GR
T
Robert (1953-64)
GRS PL
Gilbert (1971)
Robert (1970) -
Petit Larousse (1964)
PR
= Robert (1967)
RG
=
1
X
Dubois u. a. (1970)
Die A n g a b e n rechts v o m Gleichheitszeichen verweisen auf das Literaturverzeichnis (Kapitel 1 7 )
STAND DER WORTSPIELFORSCHUNG
Im Jahre 1970 meinte Duchácek: »Faisons remarquer que, jusqu' á nos jours, on ne s' est pas encore occupé sérieusement des jeux de mots« 1 .
Das stimmt nicht. Wir haben die Titel von mehr als 200 Arbeiten zusammengetragen, in denen man sich mehr oder weniger ernsthaft mit dem Wortspiel auseinandersetzt. Allein zum Wortspiel Shakespeares existieren 8 Monographien 2 . Die meisten Arbeiten sind zwar literarisch-philologisch interessiert, es fehlt aber auch keineswegs an sprachwissenschaftlichen Untersuchungen im Sinne moderner Linguistik. Brinkhoff ( 1 9 3 5 ) bediente sich zur Definition des Wortspiels der Saussureschen Dichotomie 'langue parole'; K l a n f e r (1936) schloß an die Sprachtheorie seines Lehrers Bühler an. Zu den Gegenwartslinguisten, die der Wortspielbeschreibung einen nicht unwesentlichen Platz einräumen, gehören Greimas (1966) und Heger (1969a, b). Daneben nimmt die Wortspielforschung einen neuen A u f schwung durch die Wiederentdeckung der Rhetorik seit Lausberg (i960). Sinnfälligster Ausdruck ist bisher die »Rhétorique genérale« ( R G ) (1970). Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Frankreich keine Tradition systematischer Wortspielforschung. Neuere französische Arbeiten zum Wortspiel kennen so gut wie keine Literatur 3 . Die beste Wortspielmonographie überhaupt ist die Arbeit von Wagenknecht (1965) über das Wortspiel von K a r l Kraus 4 . Die Kapitel »Kürze des Wortspiels«, »Metaphorik des Wortspiels«, »Witz des Wortspiels« und »Beglaubigungskraft des Wortspiels« erschöpfen ihr Thema mit literaturwissenschaftlichen Mitteln. U m darüber hinausgehende sprachwissenschaftliche Formulierungen bemüht sich diese Arbeit 5 .
1 2 3 4
5
Duchacek (1970) 107. und zahllose Artikel, die bei Smith (1963) gesammelt sind. vgl. Chevalier (1966), B o y e r (1968), G e r v a i s ( 1 9 7 1 ) und Angenot ( 1 9 7 2 ) . Der Wagenknechtschen Arbeit hat Hans-Heinrich Lieb sprachwissenschaftliche Hilfestellung gegeben; vgl. Wagenknecht (1965) 1 $ A 27. Für eine solide linguistische Diskussion aller Aspekte der Sprachkomik im F r a n zösischen am Beispiel von Alphonse Allais, dem unpolemischen Wortspielmacher, steht jetzt Zimmer ( 1 9 7 2 ) zur V e r f ü g u n g . I
2
DER ' C A N A R D ENCHAINE'. VORSTELLUNG DES KORPUS
In dieser Arbeit sollen französische Wortspiele sprachwissenschaftlich beschrieben werden. Die Beispiele entnehmen wir einer Zeitung, die sich selbst als satirisch charakterisiert, dem »Canard enchaîné«. Die satirische Zeitung steht in Frankreich in einer jahrhundertelangen Tradition, über die d'Ester (1933) und Max (1934) berichten 1 . Die Geschichte des nun schon 56 Jahre alten Blattes zeichnet Estier (1962) nach 2 . Eine Analyse seiner Tendenz, Ideologie und Wirksamkeit liefert Schifres (1963) 3 . Zur Vorstellung des Blattes hier zuerst seine »fiche signalétique«4: 1. a) Nom du journal: L E C A N A R D E N C H A I N E b) Indications accompagnant le nom: - Définition: Journal satirique paraissant le mercredi - Devise: La liberté de la presse ne s'use que quand on ne s'en sert pas - Noms de certains dirigeants: Maurice et Jeanne Maréchal, fondateurs R. Treno (Ernest Raynaud), ancien directeur Pierre Bénard, ancien rédacteur en chef Directeur: André Ribaud (R. Fressoz) Rédacteurs en chef : Gabriel Macé, Jean Manan (J. Clémentin) 2. a) Lieu du siège de l'administration: 2, rue des Petits-Pères, Paris-2e b) Le directeur, responsable de la publication: R. Fressoz 3. Périodicité: Hebdomadaire 4. Moment de parution: Mercredi matin8 1 2
3
U b e r ein Vorbild, Rochefort, v g l . die Dissertation von N e d i l a ( 1 9 5 9 ) . Einen interessanten Querschnitt vermittelt: , j o ans du C a n a r d ' . Anthologie du C a n a r d Enchaîné. T o m e I ( 1 9 1 6 - 1 9 4 0 ) . Tome I I ( 1 9 4 4 - 1 9 6 5 ) . N u m é r o Spécial du Cinquantenaire 1 9 6 6 , Réédition 1 9 7 2 , Supplement au n ° 2690 du 1 7 mai R e y ( 1 9 7 1 ) 44 S kennzeichnet seine .Ethik' im Zusammenhang mit seiner Vorliebe für volkssprachliche Elemente als individualiste, simple et familière, hostile aux pouvoirs et aux mystifications emphatiques'. Ferner zum C a n a r d : Egen Lacroix ( 1 9 6 7 ) , Y s m a l ( i 9 7 i ) , Baudin ( 1 9 7 3 )
4 5
186. Z u r Sprache: Pignon
(1973), (1956)
und Schöne ( 1 9 3 9 ) . N a c h dem Muster von K a y s e r ( 1 9 6 3 ) 3 8 f . Redaktionsschluß hingegen ist schon Dienstagmittag. N i c h t umsonst finden deshalb Ansprachen und Pressekonferenzen v o n Staatspräsident und Premierminister mit Vorliebe Dienstagabend statt.
2
5- Date du premier Numéro: 4. 9. 1915 6. Zone principale de diffusion: A audience nationale 7. Le tirage: 500 000 exemplaires (cf. N O 2.531 p. 8) 8. Prix: 1 F 30 9. Format: Grand in-folio 0,59 x 0,38 10. a) Nombre habituel de pages: 8 b) Nombre habituel de colonnes par page: 7 1 1 . Nom et adresse de l'imprimeur: Imprimeries parisiennes réunies 10, F B G Montmartre, Paris Directeur général: R. Seguin 12. Nombre d'éditions: 1 13. Caractéristiques exceptionnelles de la vie du journal: - De nombreux procès - Sans publicité 14. Lieu de conservation des collections: Bibliothèque Nationale Gr. fol. Lc 2 .6j9i Microfilms: 1 9 1 5 - 1 9 4 0 1944-1968 Wir entnehmen unsere Beispiele folgenden Nummern des Canard: 2496 (28.8.68), 2555 ( 1 5 . 1 0 . 6 9 ) , 2560 (19. 1 1 . 6 9 ) bis 2562 (3.12.69), 2565 (24.12. 69) bis 2596 (29. 7. 70), 2609 (28. 10. 70), 2 6 1 1 ( 1 1 . 1 1 . 70) bis 2624 (10. 2. 71), 2645 ( 7 . 7 . 7 1 ) , 2653 (1.9. 7 1 ) und 2654 (8.9.71). Es sind insgesamt 54 Nummern. Mit Wortspielen muß in allen Texten des Canard gerechnet werden. Sie sind jedoch mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit anzutreffen a) in den »manchettes« (abgekürzt: m) auf den Seiten 1 und 8 links und rechts vom Namen der Zeitung, b) in den »bandeaux« (abgekürzt: b) auf den Seiten 1 und 8 unter dem Namen der Zeitung, c) in den »entrefilets« (abgekürzt: e), kurzen, meist nur ein oder zwei Sätzen umfassenden, deutlich abgegrenzten Einschüben ohne festen Platz in der Zeitung, d) in Über- oder Unterschriften zu Bildern, Karikaturen, Zeichnungen (zitiert als »dessin«, abgekürzt: ä), e) in Überschriften und Titeln überhaupt (zitiert als »titres«, abgekürzt: t), f) in den Rubriken »A travers la travers...«), »Rue des petites perles« canards« und »Dicorama«, g) in den Beiträgen Roland Bacris (abgekürzt: R.B.) »Roro«, »Opticon«,
presse déchaînée« (abgekürzt: »A (abgekürzt: Rpp)6, »La mare aux unterzeichnet mit »Roland Bacri« »Le petit poète« (abgekürzt: p.p.)
' Vgl. oben »fiche signalétique« 2a) 3
oder »Le petit prophète« (zitiert als »Biblots«), Jean-Paul Groussets (abgekürzt: J.P.G.), Y v a n Audouards (abgekürzt: Y.A.), André Ribauds (abgekürzt: A.R.), Jerome Gauthiers (abgekürzt: J.G.) und des Filmkritikers Michel Duran (abgekürzt: M.D.) sowie des Fernsehkritikers Clement Ledoux (abgekürzt: C. L.). Wortspiele stecken auch im Kreuzworträtsel von Aristocaneton (Robert Lespagnol) und in der Rubrik »Sur l'Album de la Comtesse«, doch lassen wir beide in dieser Arbeit außer Acht 7 .
7
Zum
Wortspiel
des Kreuzworträtsels
vgl.
neben Lespagnol
(1966)
besonders
Greimas ( 1 9 6 6 ) 88f und Greimas ( 1 9 6 7 ) ; zum »contrepet« vgl. Etienne François ( 1 9 6 6 ) und Perceau ( 1 9 5 5 ) .
4
(1957),
WORTSPIEL ALS A N O M A L I E U N D K O M M U N I K A T I O N
3
Der Canard enchaîné will wie die meisten Zeitungen informieren und kommentieren. Er scheint daneben auch zu amüsieren. Das heißt, es stehen ihm zwar, wie allen Zeitungen, denen es um Kommunikation mit dem Leser geht, als Instrumente für diese Kommunikation Bild und Sprache zur Verfügung, er macht aber offensichtlich einen von den anderen »seriösen« Zeitungen abweichenden Gebrauch von diesen Mitteln. Kennzeichnend dafür ist auf der Seite der Abbildung die Karikatur, auf sprachlicher Ebene das Wortspiel. Was Wortspiel ist, können wir naturgemäß jetzt noch nicht definieren. Wir nehmen aber an, daß es so etwas wie Wortspiel gibt und stützen uns dabei auf die Intuition des Sprachteilnehmers. Bestimmte Texte v/erden vom Leser als Wortspiele empfunden. Etwa die folgenden, die wir als erste Einführung vorstellen: Im Herbst 1969 ist der französischen Regierung an einer Drosselung der Käufe auf dem Binnenmarkt gelegen. Die Franzosen sollen stattdessen sparen. Pompidou hält eine Fernsehrede, in der er den Hausfrauen rät, mit dem Kauf z. B. der neuen Waschmaschine noch zu warten. Den Antagonismus Regierung - Hausfrau hätte eine seriöse Zeitung etwa in die Formel fassen können: L'ennemie n ° 1 du gouvernement qui souhaite une restriction des achats, c'est la Française qui en fait trop.
Im Canard steht stattdessen der 'bandeau': (1)
L'ennemie n ° 1 du pouvoir (qui n'est pas un pouvoir d'achat): Jeanne Achète. ( i j . 10. ¿9/8b)
Im Moment einer gleichzeitigen Preiserhöhung für Milch und Benzin hätte auch in jeder anderen Zeitung stehen können : Lait et essence plus chers Der Canard fügt hinzu: (a)
Lait et essence plus chers: Les nourrices sèchent
(27. 1. 7i/8b)
Die Regierung Couve de Murville setzt den Diskontsatz herauf. Eine seriöse Zeitung hätte ihre ablehnende Haltung vielleicht so ausgedrückt: L a majoration de l'escompte, une mesure efficace? 5
Im Canard heißt es: (3)
La dernière trouvaille de Couve: L'escompte d'apothicaire
(10.7.68/31)
Die in den Maiereignissen wichtige Unterredung von de Gaulle und Massu in Baden-Baden wird zur (4)
Entrevue de Baderne-Baderne
(Le Canard de Mai/2d)
und Pompidous Ablösung (de Gaulle: »Prenez du champ!«) wird glossiert mit: (5)
Pompon prend du champ . . . du cygne
(17.7.68/6t)
Von den Beispielen geht ein doppelter Eindruck aus: Erstens der sprachlicher Anomalie, zum zweiten der, daß hier trotz Anomalie mitgeteilt wird. Die Wortspiele stehen nicht irgendwo außerhalb der Kommunikation, sondern sind als Mittel einer spezifischen Kommunikation anzusehen. Spezifisch soll heißen anders als die normale, gewohnte Kommunikation des Alltags oder einer Zeitung wie »Le Monde«. Das Normale entzieht sich einer scharfen Definition. Auch was Anomalie ist, entscheidet letztlich die Intuition des Sprachteilnehmers. Gemeint ist eine von der weitgehend merkmallosen Nullstufenkommunikation abweichende und durch diese Abweichung besonders gekennzeichnete Kommunikation. Entscheidend ist, daß trotz der Anomalie Kommunikation zustandekommt 1 . Im Falle des Canard amüsiert die Anomalie, was als besondere Wirksamkeit der Kommunikation, als besonderer Kommunikationserfolg gewertet werden muß, resultierend aus einem Mehr an Kodierung, aus einem besonderen Kommunikationsaufwand. Arbeit mit Anomalien zur Herstellung spezifischer Kommunikation ist Rhetorik. Wenn man mit Jakobson 2 zwischen einer f ü r die Kommunikation grundlegenden denotativen oder referentiellen Funktion der Sprache und einer sekundären poetischen oder, um den Akzent auf die Anomalie zu legen, rhetorischen Funktion unterscheidet, in der, anders als in der referentiellen, nicht das Gemeinte im Vordergrund steht, sondern die A r t und Weise des Aussagens dieses Gemeinten, so wird man das angesprochene Mehr an Kodierung gerade als das Hinzutreten der rhetorischen Funktion zur referentiellen beschreiben können. Innerhalb der Vielzahl rhetorisch funktionierender Anomalien trägt das Wortspiel wiederum ein besonderes Kennzeichen. Die spezifische Kennzeichnung der rhetorischen Anomalie »Wortspiel« gilt es zu beschreiben, ihre verschiedenen Vorkommensweisen aufzufinden, die Regeln ihres Zustandekommens zu formulieren, den gemeinsamen Nenner der vielgestal1
2
Vgl. zu diesem Fragenkomplex neuerdings zusammenfassend R G 30-48; speziell zu »degré zéro« 34ff. Jakobson (i960) 218ff. 6
tigen Ausprägungen zu erarbeiten. Dabei werden notwendig auch die Regeln für normale referentielle Kommunikation erstellt werden müssen. Wortspiel als Mittel der sprachlichen Kommunikation hat Teil an dem Doppelcharakter alles Sprachlichen, zugleich Ausdruck und Inhalt zu sein3. Beide Aspekte sind in die Untersuchung mit einzubeziehen.
3
.Ausdruck' und .Inhalt' im Sinne von Hjelmslev ( 1 9 4 3 ) .
7
4
GRUNDLEGUNG
EINER
SPRACHWISSENSCHAFTLICHEN
BESCHREIBUNG
D E S W O R T S P I E L S (DER K O M P L E X E T E X T )
4.1
Gedrängtheit, metasprachliche Information und Plurivalenz des Ausdrucks
Nehmen wir an, ein Leser kann auf einer beschriebenen Seite nur folgende Sequenz entziffern: (6)
»du feu dans le feu!«
Für besonders sinnvoll wird er dieses Textfragment nicht halten können. Immerhin erscheint es ihm auch nicht als ein für allemal unsinnig, wie es bei der Sequenz (7)
*feu le feu dans du
sicher der Fall wäre. Es gelingt ihm nur nicht, eine klar umrissene Information herauszulesen. Sinn bekommt die Sequenz durch das, was ihr voraufgeht: (S)
»Étes-vous quelquefois resté, par une douce soirée d'hiver, devant votre foyer domestique, voluptueusement livré à des souvenirs d'amour ou de jeunesse en contemplant les rayures produites par le feu sur un morceau de chêne? Ici, la combustion dessine les cases rouges d'un damier; là, elle fait miroiter des velours; de petites flammes bleues courent, bondissent et jouent sur le fond ardent du brasier. Vient un peintre inconnu qui se sert de cette flamme; par un artifice unique, il trace au sein de ces flamboyantes teintes violettes ou empourprées une figure supernaturelle et d'une délicatesse inouïe, phénomène fugitif que le hasard ne recommencera jamais: c'est une femme aux cheveux emportés par le vent, et dont le profil respire une passion délicieuse: du feu dans le feu!«
Vorinformiert durch den voraufgehenden Kontext 1 kann der Leser der Sequenz nunmehr einen Sinn unterlegen, indes, Information im informationstheoretischen Sinne2 erhält er durch sie, so scheint es, nicht mehr. Denn der Inhalt der Sequenz ist ja im voraufgehenden Kontext - bedeutend präziser - schon vermittelt worden. Am Maßstab einer Aussageökonomie kann die Sequenz nur als redundant gemessen werden. Sie substituiert den Vortext und füllt sich ganz so wie andere Substituentia, z.B. Pronomina, 1
1
Balzac, Epilog von »La peau de chagrin«, in: La Comédie Humaine, éd. Bouteron/Lognon, Etudes Philosophiques, I 291. Zur Bedeutung der Informationstheorie für die Linguistik vgl. etwa Martinet (1967) 1 8 1 - 1 9 6 .
8
mit dem Inhalt des Substituendum3. Im Gegensatz zu den Pronomina erfüllt sie aber ihre Funktion nicht in einer neuen Texteinheit zur Ersparnis des Substituendum sondern steht autonom. Sie konzentriert noch einmal den Inhalt des gesamten voraufgehenden Textes in prägnanter Kürze, resümiert, verdichtet und verdichtet mehr als die syntagmatische Dimension glauben macht. »La passion dans le feu« wäre vergleichsweise banal und umständlich. Vielmehr wird in dem syntaktischen Rahmen 'x dans y' »das gleiche Material mehrfach verwendet« 4 . Dadurch verdichtet sich der Inhalt gleichsam in einem Wort, das lediglich zweimal vorkommt. Die Sequenz ist nicht nur syntagmatisch kurz - das wäre »la passion dans le feu« auch - sie ist erst recht paradigmatisch sparsam, sie ist »gedrängt« 5 . Die Gedrängtheit, und nicht ihre Kürze, macht den stilistischen Sinn der Sequenz aus. Nun gilt aber unsere Feststellung paradigmatischer Sparsamkeit nur für die Ausdrucksseite der Sequenz. Inhaltlich ist sie durchaus nicht sparsamer als »la passion dans le feu«. Die entscheidende Verdichtung spielt sich also nicht auf der üblichen sprachlichen Ebene ab, auf der Ausdruck und Inhalt parallel verlaufen, sondern sie tritt ein auf dem Wege vom Inhalt zum Ausdruck. Wird nun gar nichts Neues mitgeteilt? Die Antwort muß lauten: Nichts zur Situation, wohl aber etwas über die französische Sprache. Im Französischen, so lautet die Information, dient der Ausdruck /f0/ zur Vermittlung der Inhalte »matière en combustion« oder »passion«. Die Aussage ist redundant, insoweit sie sich objektsprachlich auf eine Situation bezieht; sie ist informativ, insofern sie sich metasprachlich auf das System der französischen Sprache bezieht, und genau um diesen Bezug ging es offensichtlich Balzac 8 . Gedrängtheit ist metasprachlich informative Kürze. Freilich erhebt sich sofort die Frage, warum eine solche Aussage für den Leser informativ ist, warum er das Ausgesagte aufgrund seines täglichen Umgangs mit der Sprache nicht längst wußte. Im Gegensatz zum Fragment (6) wird ein Satz wie: (9)
Aucune inscription n'indique encore les noms de ces morts
auch wenn wir ihn isoliert zu Gesicht bekommen, als sinnvoll empfunden, weil er genügend Anhaltspunkte bietet, eine fehlende Umgebung hinzuzudenken. Wir erstellen automatisch eine Situation (mit Gräbern usw.), in der er sinnvoll stehen könnte. Ein anderer Satz : (10)
Il f a l l a i t f a i r e son Droit, p a y e r des sommes considérables pour les inscriptions, les examens, les thèses.
3
Z u r Definition der Substitution: H a r w e g (1968) 2 o f f . Freud (1905) 2 6 - 2 8 . 6 Wagenknecht (1965) 3 3 ; die K ü r z e des Wortspiels w i r d von Wagenknecht 3 2 - 7 1 und 9 8 - 1 0 4 eingehend untersucht. • Edeline ( 1 9 6 3 ) 3 0 3 : »Le jeu de mot poétique appartient de toute évidence à la métalangue: il est une observation sur le langage«. V g l . auch unten Anm. 28.
4
9
verweist eindeutig auf eine ganz andere Situation (Studium usw.), obwohl in beiden Sätzen der gleiche Ausdruck /eskripsjö/ vorkommt. Für die Interpretation des Ausdrucks scheint die Tatsache, daß er in anderer Situation einen anderen Inhalt vermittelt, die Plurivalenz des Ausdrucks, nicht störend einzugreifen. Der jeweils andere Inhalt existiert im Moment der Realisation nicht7. Die Situation filtert ihn aus, und so wird er nicht bewußt. Wir folgern daraus, daß generell die disjunktive Bindung nichtidentischer Inhalte an einen identischen Ausdruck dem Sprachteilnehmer nicht bewußt wird und jeder Verweis darauf metasprachlich informativ ist.
4.2
Fragment, komplexer Text und Signal
Wenn nun aber für die eindeutige Interpretation von Ausdrücken, mit denen sich disjunktiv mehrere Inhalte verbinden, die Situation (oder, solange sie sprachlich ausgedrückt ist, der Kontext) eine so entscheidende Rolle spielt, so sind zwei Störungsfaktoren denkbar: Die Situation ist gegenüber dem zu interpretierenden Ausdruck entweder nicht genügend oder mehrfach ausdifferenziert. Wir beginnen mit dem ersten Fall. Unsere Kenntnis der Situation ist unzureichend bzw. der Kontext fehlt: (6)
du feu dans le feu
(11)
j'aime les langues
(12)
j'approuve les inscriptions
(13)
les nourrices sèchent
(14)
démantelez les centrales
»Wenn in einem S a t z ein Element der Information, das unerläßlich ist, um den S a t z richtig zu verstehen, fehlt, wenn dieses Informationselement auch nicht implizit im sprachlichen K o n t e x t oder der außersprachlichen Situation enthalten ist, so daß w i r im Z w e i f e l sind, w i e w i r den S a t z eigentlich zu verstehen haben und uns durch eine R ü c k f r a g e die notwendige zusätzliche A u f k l ä r u n g verschaffen müssen, dann sprechen w i r von Ambiguität oder von informatorischer Defizienz« 8 .
Informatorisch defiziente Sequenzen nennen wir Fragmente9. Fragmente haben einen Mittelstatus zwischen der isoliert vorgestellten Spracheinheit ('inscription') und dem voll aktualisierten Redetext ('j'approuve les inscriptions sur les murs'). Sie kommen in erheblichen Dimensionen vor. Man vergleiche die Defizienz des folgenden Voltaire-Textes: 7
Anschauliche Beschreibungen dieses Sachverhalts finden sich u. a. bei Bréal ( 1 8 9 7 ) 1 4 5 , 2 8 7 ; K a i n z ( 1 9 6 5 ) 2 1 9 und ( 1 9 6 7 ) 89; Vendryès ( 1 9 2 3 ) 2 t v f und Richter ( 1 9 2 6 ) 1 8 1 . V g l . jetzt: François ( 1 9 6 7 ) , K o o i j ( 1 9 7 1 ) und Germain ( 1 9 7 3 )
8
W a n d r u s z k a ( 1 9 7 1 ) 78. • V g l . Sandig ( 1 9 7 1 ) 2 3 und $ 1 .
10
(IJ)
» L a f e m m e d u magistrat se l e v a de table la première, p o u r aller entretenir dans un cabinet
voisin
son directeur,
qui
arrivait
trop
tard,
et
q u ' o n a v a i t attendu à d î n e r ; et le directeur, homme éloquent, lui p a r l a dans ce cabinet a v e c tant de véhémence et d'onction que la dame a v a i t , q u a n d elle r e v i n t , les y e u x humides, les joues enflammées, la
démarche
m a l assurée, la parole t r e m b l a n t e « 1 0 .
die H . Knobloch so charakterisiert: »Das
seelische
Zustandsbild
ergibt
einerseits einen
aufs
höchste
gesteigerten
G r a d der inneren Z e r k n i r s c h u n g u n d Reue, andererseits könnte man mit den gleichen A u s d r ü c k e n das R e s u l t a t einer o r g i e n h a f t e n Situation bezeichnen. K e i n W o r t des T e x t e s erlaubt den logisch e i n w a n d f r e i e n S c h l u ß auf eine der beiden Möglichkeiten
zu
tun,
ja
es
besteht
sogar
der
eigentliche
Witz
in
diesem
schweigenden Pendeln zwischen i h n e n « 1 1 .
Fragmente können auf die Plurivalenz von Lexemen zurückgehen, wie in ( n ) bis (14), auf die Möglichkeit, einen Text wörtlich oder metaphorisch zu verstehen, wie in (15), oder auf die Nicht-Eindeutigkeit syntaktischer Relationen (Polysyntaktizität) 1 2 : (16)
la peur du gendarme ( = la peur que le gendarme é p r o u v e / la peur que l'on é p r o u v e d e v a n t le gendarme)
Die negative Qualifikation als Fragment rechtfertigt sich nur unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation. Für den Sprecher gibt es keine Fragmente. Die Sprecherökonomie tendiert, wie Zipf gezeigt hat, zu einem einzigen Wort, das alles bedeutet 13 . Es ist der Hörer, der Eindeutigkeit verlangt und Ambiguitäten als Kommunikationssackgassen empfindet, aus denen er sich herausfragt: (17)
— D é m a n t e l e z les centrales!
(3. 12.
6yl6à)
— Électriques ou syndicales?
Freilich wird die Defizienz den Hörern unterschiedlich spürbar. Und diese Hörererfahrung kann der Sprecher in seine Aussage einfließen lassen und nicht nur bewußt eindeutig, sondern, wie Voltaire in ( I J ) , auch bewußt uneindeutig sprechen. Die systematische Produktion von Fragmenten gehört zur Dichtung ebenso wie zur Propaganda. Der Propagandist, der von Demokratie spricht, ohne deren Inhalt voll auszudifferenzieren und der damit rechnet, daß die Hörer mit dem Wort den Inhalt verknüpfen, der ihnen gewohnt ist oder wünschenswert erscheint, produziert ein Fragment und h o f f t , daß die informatorische Defizienz dem Hörer nicht spürbar wird 1 4 . Fragmente sind die Grundlage von Mißverständnissen 1 5 . 10
V o l t a i r e , R o m a n s et contes, éd, H . B é n a c , Paris 1 9 6 0 , 7 0 .
11
Knobloch ( 1 9 3 7 ) 14.
12
Vgl. Agrícola (1968).
13
Z i p f ( 1 9 6 5 ) referiert bei A l b r e c h t ( 1 9 7 0 ) 1 2 4 .
14
Vgl. Dieckmann (1969) 66-69.
15
E i n e informationstheoretische E r ö r t e r u n g
des Mißverständnisses
mit
Beispielen
aus Molière bei K l e i n e ( 1 9 6 9 ) i 7 o f f . V g l . auch E r n s t ( 1 9 3 9 ) .
11
Nicht alle Mißverständnisse kann man jedoch dem Sprecher zur Last legen. In vielen Fällen darf der Sprecher mit Recht annehmen, hinreichend aktualisiert zu haben, weil schon ein gehörig Maß an Zerstreutheit oder bösem Willen dazu gehört, nicht das vom Sprecher Gemeinte zu aktualisieren. Für die Zerstreutheit stehe folgendes Beispiel 16 : (18)
»C'est une brillante soirée mondaine, très chic, avec des invités triés sur le volet. A un moment, deux convives v o n t prendre un peu l'air sur la terrasse : — A h ! fait l'un d'un ton satisfait, belle soirée, hein? Repas m a g n i f i q u e . . . et puis jolies toilettes, hein? — Ç a , dit l'autre, je n'en sais rien. — Comment ça? — N o n , je n'y suis pas allé«.
Für die Böswilligkeit steht Till Eulenspiegel 17 . Solche Beispiele machen klar, daß der Sprecher auf die Verstehenswilligkeit seiner Hörer angewiesen ist und daß auch der Hörer gewisse Sprechererfahrungen in seinen Verstehensprozeß einfließen lassen muß, damit der Text nicht unökonomisch exakt zu werden braucht. Der zweite Fall theoretisch möglicher Kommunikationsstörung war der einer Situation, die gegenüber dem disjunktiv zu interpretierenden Ausdruck doppelt ausdifferenziert ist. Wir sagen, sie ist komplex: ( 19) (2)
Étudiants : Pas d ' i n s c r i p t i o n s . . . . . . sauf sur les murs Lait et essence plus chers: Les nourrices sèchent
( 1 í . 1 o. 69/1 m) (27. 1. 7i/8b)
Die komplexe Situation aktualisiert simultan mehrere, sonst nur relativ weit voneinander entfernt vorkommende Inhalte eines Ausdrucks unter einem Vorkommen dieses Ausdrucks. Die komplexe Situation, sprachlich ausdrückbar im doppelt determinierenden Kontext, aktualisiert den komplexen Text. Der komplexe Text ist also ein doppelt aktualisiertes Fragment. Fragment: Pas d'inscriptions Komplexer Text: Étudiants: sauf sur les murs Pas d'inscriptions Komplexer Text: Les nourrices sèchent Fragment: Lait plus chers: Les nourrices sèchent et essence
16
17
Zitiert von Greimas (1966)70 aus .Point de vue' aber auch schon bei Lerch (1933)44 A n . V g l . Wandruszka (1971) 84L
12
Im Gegensatz zum Fragment ist der komplexe Text eindeutig. Beim Fragment weiß der Hörer nicht, welchen von zwei unterscheidbaren Inhalten der Sprecher meinte. Aufgrund eines Mangels an Kontextdetermination ist das nicht entscheidbar. Im komplexen Text ist ebenfalls keine Entscheidung zwischen dem einen oder dem anderen Inhalt möglich. Der Überfluß an Determination blockiert diese Entscheidung. »Blockierte Entscheidbarkeit« hat nun aber für die Kommunikation nicht dieselben Folgen wie »fehlende Entscheidbarkeit« 18 . Bei doppelter Determination realisiert der Hörer eben beide von der komplexen Situation aufgerufenen Inhalte. Eine Entscheidung wird vom Hörer nicht verlangt, und es verlangt ihn auch nicht danach. Der komplexe Text ist informatorisch nicht defizient. Die Kommunikation ist vielmehr doppelt eindeutig.
Einen komplexen Text, dessen Komplexität Lexems beruht, nennen wir Wortspiel19.
auf der Plurivalenz
eines
Dabei ist zu unterscheiden, in welchem Maße die informatorische Defizienz des dem Wortspiel zugrundeliegenden Fragments für den Hörer spürbar ist, anders gesagt, inwieweit einer Mehrheit von Sprachteilnehmern das Fragment als Fragment bewußt wird. Urteile zu fällen, ist hier natürlich nicht immer einfach; Unterschiede werden jedoch empfunden. So scheint uns die Defizienz in folgenden Beispielen abnehmend spürbar: (20) (21) (22)
O n cherche les alliances (Bündnisse oder Trauringe) Le Bolchoi est resté derrière le rideau de fer Il reprend le collier
Die Kontexte, die der Canard den Sequenzen gibt, bzw. die Situationen, in die er sie stellt, erweisen aber alle drei als defizient: (23)
Mariage Angleterre - Europe: O n cherche les alliances
(24) Grève à l'Opéra:
( 1 . 7 . 7o/8m)
(y.i.jo/je)
Le Bolchoi est resté derrière le rideau de fer
(25) Nicoud rase les barbes...
(27. 5. yo/Sm)
. . . et reprend le collier?
Die Gründe dafür sind sprachlicher oder nichtsprachlicher Natur. Sehr o f t haben sie mit Frequenz und Geltungsbereich der Inhalte zu tun. So ist 'rideau de fer' im täglichen Sprachgebrauch als politische Metapher häufiger denn als theatertechnischer Terminus. Dagegen ist die Sequenz 'reprendre le collier* in der sprachlichen Alltagspraxis auf die Interpretation als lexikalisiertes Syntagma festgelegt und ist nur theoretisch und im Prinzip auch als freie Lexemfolge interpretierbar, so daß ihr Fragmentcharakter dem Hörer nicht spürbar wird. Erst das Wortspiel macht drastisch klar, daß lexikali18 19
Die Termini nach Heger (1969a) 172. Es handelt sich hier um eine erste vorläufige Definition, die keineswegs alle Formen des Wortspiels umgreift. Der Frage, ob auch die Plurivalenz von Morphemen wortspielfähig ist, wird nicht nachgegangen.
!3
sierte Syntagmata per definitionem Fragmente sind. Die sprachlichen Mittel werden im einzelnen später zu untersuchen sein. Wir können jedoch hier schon darauf verweisen, daß in Fällen dem Hörer nicht spürbar werdender Defizienz statt doppelt determinierendem Kontext ein einfach gegendeterminierender Kontext zur Herstellung des komplexen Textes ausreicht. Daneben kommt es vor, daß die Gegendetermination durch die beim Leser vorausgesetzte Kenntnis der Situation erfolgen muß und nicht von der sprachlichen Festlegung der Situation in irgendeinem Kontext erfolgt: (26)
Quand Marcellin s'arretera-t-il?
(19. 1 1 . 69/ib)
Hier wird dem Leser zugemutet, den, wie es scheint, eindeutigen Satz durch die Kenntnis der Aktualität - Marcellin hat sich für mehr Festnahmen ausgesprochen - als Fragment zu erkennen und als komplexen Text zu durchschauen. Das wirft die Frage auf, wo die Grenze zwischen Fragment und komplexem Text liegt. Wann ist ein Text als informatorisch defizient und wann als zweifach-eindeutig aktualisiert und folglich als Wortspiel anzusehen? Auf diese Frage ist bis in unsere Tage die Antwort gegeben worden, entscheidend sei die Absicht des Sprechers, ein Wortspiel zu machen. So hält Heger auch Texte mit fehlender Entscheidbarkeit für Wortspiele, wenn »der Sprechende . . . absichtlich eine nicht monosemierbare Aussage gemacht« hat 20 . Nun kann eine Absicht als psychischer Prozeß ja schlecht überprüft werden, und so wären mit dieser Definition einem endlosen Suchen nach versteckten Ambiguitäten alle Türen geöffnet. Ob ein Wortspiel vorliegt oder nicht, ließe sich dann objektiv nicht feststellen. Hier hilft der Begriff des Signals weiter. Das Wortspiel als rhetorisches Verfahren muß sich wie jedes dieser Verfahren signalisieren, das heißt, es muß dafür sorgen, daß es dem Hörer als Verfahren auffällt. »Die Tropen sind als 'improprietas' eine G e f ä h r d u n g des Erfolges der Ernstvoluntas des Sprechers beim Hörer, da die willentliche (wenn auch hier bloß spielerische) Änderung des Bezeichnungsgegenstandes der sozialen Funktion der Sprache entgegengesetzt ist. D e r E r f o l g der Ernst-voluntas muß deshalb durch ein zusätzliches S I G N A L gesichert werden. D a s »Signal« macht den freiwilligen »Fehler« des ersten sprachlichen signum wieder gut (es ist also eine correctio)« 2 1 .
Fällt es nicht auf, war das Wortspiel nutzlos, oder, wegen des möglichen Mißverständnisses, gefährlich 22 . Für das Wortspiel gibt es zahlreiche direkte Signale in gesprochener Rede (Betonung, Gestik, Mienenspiel) oder im geschriebenen Text (Anführungs20 21 22
Heger ( 1 9 6 9 a ) 1 9 7 2 . Lausberg ( i 9 6 0 ) 8 3 0 ; ähnlich R G 4 1 und 4 5 . V g l . Weinrichs ( 1 9 6 6 ) 5 9 - 6 6 A n a l y s e des Ironie-Signals.
14
zeichen 23 , Kursivdruck, Spationierung, »sie!« usw.). Indirekt signalisiert jegliche Doppeldetermination durch den Kontext. Problematisch ist das Fehlen jeglichen Kontextes. In diesem Fall kann nur die Aktualität entscheiden. Solange Marcellin Gesundheitsminister war, blieb der Satz (26) praktisch eindeutig. Die Absicht, damit ein Wortspiel zu machen, hätte nicht gereicht, um dem Hörer die Komplexität des Textes zu signalisieren. Erst als Marcellin Innenminister wurde und speziell in dem Moment, in dem er scharfe Äußerungen in der Öffentlichkeit tat über die Notwendigkeit breiterer Festnahmen, w a r die Chance gegeben, das bei einer großen Gruppe von Lesern aktuell mit Marcellin in Verbindung gebrachte 'arrêter' ( = festnehmen) mit einem Text zu konfrontieren, in dem 'arrêter' normalerweise eindeutig als »aufhören« interpretiert worden wäre und die Komplexität dieses Textes bewußt zu machen. Wir glauben also, daß das Signal, wenn schon nicht direkt gegeben, im sprachlichen Kontext gesucht werden muß. Fehlt es an Kontext, liefert die Aktualität der Situation das letzte objektive Kriterium f ü r ein Signal. Finden sich keine objektiven Kriterien f ü r irgendeine A r t von Aktualisation, liegt kein Wortspiel vor 2 4 . N u n befindet sich freilich der Canard gegenüber anderen, neutraleren Texten im Vorteil. Der Leser geht mit der Erwartung, Wortspiele anzutreffen, an seinen Text heran. Er ist also in einem besonderen Maße verstehenswillig und feinfühlig auch f ü r schwache Signalisationen. Ein Text wie: (27)
Michel Debré dement
(28.1.7
°/ib)
wäre in jeder seriösen Zeitung informativ eindeutig. Im K l i m a des Canard ist er Fragment, das in aktueller Situation - Debré dementiert Flugzeuglieferungen nach Libyen - doppelt determiniert ist, einmal von der Aktualität selbst und einmal als Kommentar des Canard: dement = fou. Zu dieser Interpretation kommt der Leser in der Tat schlüssig nur, weil eine banal eindeutige Aussage an exponierter Stelle im Canard einfach nicht denkbar ist. Hier wird die Position des Textes im Gesamtgefüge der Zeitung zum Signal. Das gilt speziell f ü r »bandeau«, »manchette«, »entrefilet« und nicht zuletzt f ü r die Überschriften. In bezug auf die Signalisation von Wortspielen steht demnach der Canard in einer privilegierten spezifischen Kommunikationssituation 2 5 . Das wird besonders deutlich, wenn man Franzosen fragt, warum sie den Canard lesen: nicht zuletzt »pour voir s'ils comprennent«. Das Konzept des Signals scheint uns die einzige methodische Handhabe, 23 24 25
V g l . M a y e n o w a (1970). V g l . M a y e n o w a s (1970) 6$4 »expressions crypto-guillemetées«. Sandig ( 1 9 7 1 ) 5 3 f f definiert die f ü r Schlagzeilen typische Kommunikationssituation; d a viele Wortspiele des C a n a r d als Schlagzeilen fungieren, gilt das dort Gesagte auch f ü r unsere Arbeit.
15
im Grenzfall das Fragment vom Wortspiel zu unterscheiden. Das Fragment ist auch und gerade dann Fragment, wenn seine informatorische Defizienz dem Hörer nicht spürbar wird. Das Wortspiel ist nur dann Wortspiel, wenn es sich in irgendeiner Weise signalisiert. Im Fragment kann, wie im Wortspiel immer, sprachliche Aussage in einer nicht alltäglichen Weise manipuliert sein. Das Wortspiel aber setzt vor seine Manipulation die Warnung: Vorsicht, ich manipuliere! Man kann deshalb mit Fragmenten Völker verdummen, schwerlich aber mit Wortspielen. Das Wortspiel ist deshalb nicht, wie das Fragment, eine Kommunikationsstörung. Sein nicht alltägliches Verfahren der doppelten Eindeutigkeit mag befremden, kann aber das Funktionieren der Kommunikation nicht verhindern26.
4.3
Horizontales und vertikales Wortspiel. Vertikale Realisation von Homonymen
Der komplexe Text kann objektsprachlich informieren: (28)
Sur l'autoroute entre Pouilly et Mácon: attention auxbouchons!
(28. 10. 7o/8b)
er kann aber auch die zweidimensionale Substitution einer bereits gegebenen Information sein wie in (2). Er ist in jedem Fall metasprachlich informierend. Das charakteristische Merkmal des Wortspiels ist also seine metasprachliche Information. Nun ließe sich ja die metasprachliche Information auch folgendermaßen formulieren: »Der Ausdruck A verbindet sich im Sprechakt disjunktiv mit den Inhalten Ii und I2«. Wir würden diesen Text nicht als Wortspiel ansehen, weil er eine metasprachliche Information auch metasprachlich formuliert. Das Kennzeichen der metasprachlichen Formulierung ist ja das Ablösen der Information vom Sachkontext, von der Situation, während das Wortspiel gerade angewiesen ist auf eine Situation, auf einen Sachkontext. Oder anders ausgedrückt: Das Denota tum einer metasprachlichen Aussage ist die Sprache, jedes Wortspiel denotiert aber auch einen Sachverhalt auf der Objektebene27. Damit haben wir ein besonderes Paradox des Wortspiels entdeckt: Es erfüllt zwei Funktionen, sprachliche und metasprachliche, die sich normalerweise ausschließen. Oder kürzer: Wortspiel ist die objektsprachliche Information bestimmten Typs26. 26
27
28
Formulierung
einer
metasprachlichen
Das Fragment ist zu vergleichen mit einer Person, die so gekleidet ist, daß man nicht unterscheiden kann: Mann oder Frau. Das Wortspiel ist ein als Mann gekleideter Mann mit einem Frauenhut auf dem Kopf. Wellek (1970) 32: »Selbst der gewaltsamste Kalauer impliziert und intendiert einen Sachverhalt«. Das genau ist gemeint mit Hinzutreten der rhetorischen Funktion zur referen-
16
Welchen Typs? Versuchen wir, die bisherigen Ergebnisse in ein einfaches Modell zu fassen, so können wir sagen: Aus der Sicht einer als System verstandenen Sprache sind vielfach an einen Ausdruck mehrere Inhalte gebunden, die im Sprechakt disjunktiv relevant werden. Die Gesamtheit der an einen Ausdruck gebundenen Inhalte nennen wir semasiologisches Feld. Das semasiologische Feld ist - neben Ausdrucks- und Inhaltsparadigmen - ein Paradigma eigener Art mit dem Vorteil der Ausdrucksökonomie. Vorkommen inhaltsverschiedener Elemente dieses Paradigmas im Sprechakt sind Homonyme. Disjunktive Relevanz meint Vorkommen in verschiedenen Situationen und damit in zeitlichen Abständen. Die disjunktive Relevanz ist d a f ü r verantwortlich, daß dem Sprecher die Identität des Ausdrucks der verschiedenen Inhalte nicht bewußt wird. Das wiederum ist Bedingung dafür, daß die Kehrseite der Ausdrucksökonomie, der Störfaktor, sich in Grenzen hält. Im Wortspiel werden die normalerweise in verschiedenen Situationen und in zeitlichen Abständen vorkommenden Inhalte in eine Situation gestellt und damit die Identität des Ausdrucks bewußt gemacht. Der Störfaktor wird technisiert und als rhetorisches Mittel verwendet. Das kann geschehen durch syntagmatische Annäherung zweier Vorkommensstellen: »du feu dans le feu«. In diesem Fall sprechen wir von horizontalem Wortspiel. Oder es kann geschehen durch Zusammenfall der Inhalte in einem Vorkommen des Ausdrucks. In diesem Fall sprechen wir von vertikalem Wortspiel29. Zwar spricht normalerweise kein Mensch in Paradigmen, in diesem Falle wird jedoch das Paradigma als Paradigma realisiert 30 . Für das vertikale Wortspiel sähe das Modell dann so aus: N o r m a l e Aktualisation
Wortspielaktualisation
tiellen (vgl. K a p i t . 3). D a s Rhetorische am Wortspiel ist sein metasprachlicher Charakter. Auch Söll (1968) 166 spricht von »Sprachmitteln, die über sich hinaus auf die Sprachstruktur weisen. In solchen Fällen w i r d das Mittel auch zum Gegenstand der Mitteilung, wie bei der Poesie, Metasprachliches dringt in die Darstellung ein. Die Sprache betrachtet sich im Spiegel und stellt sich selbst dar«. C o v a c i ( 1 9 7 1 ) 2 0 3 spricht von »procédés métalinguistiques« definiert als »référence implicite au langage«. V g l . auch Edeline (1963) 303 A i und unten AJJ. 28 50
Wir übernehmen die Termini von Wagenknecht ( 1 9 6 5 ) ; näheres dazu in Kapitel 9. Heger (1969a) 1 5 8 : »Kein Mensch spricht oder schreibt in Paradigmen, es sei denn im Rahmen metasprachlicher Aussagen«. D a s Wortspiel spricht im P a r a digma. 17
4-4
Horizontale Realisation von Homonymen
Für die horizontale Variante muß das Modell erweitert werden. Wir vergleichen vorher noch einmal einen normalen Text: (30)
»La jeune princesse Amaside, fille d'Amasis, roi de Tamis en Égypte, se promenait sur le chemin de Péluse avec les dames de sa suite. Elle était plongée dans une tristesse profonde; les larmes coulaient de ses beaux yeux. O n sait quel était le sujet de sa douleur et combien elle craignait de déplaire au roi son père par sa douleur même« 31 .
Bei der Konstitution von Texten steht im Regelfall der Inhalt im Vordergrund. Die Ausdrucksseite hat dabei nur zu gewährleisten, daß Inhalt von Inhalt geschieden bleibt. Verschiedenste Ausdrücke müssen in syntagmatischer Folge verschiedenste Inhalte vermitteln. Das geht in den meisten Fällen gänzlich problemlos vor sich. Bei der Fülle existierender Ausdrücke sind die nach inhaltlichen Gesichtspunkten (in bestimmten syntaktischen Zwängen) einander folgenden Ausdrücke meist, wie hier, hinreichend verschieden: (31)
'Elle était plongée dans une tristesse profonde' /eleteplÔ3edâzyntristeprDf6d/
Sind sie identisch (roi — roi) (douleur - douleur), so ist ihr Inhalt identisch; sie werden wiederholt oder besser: eindimensional syntagmatisch substituiert. Dieser Normalfall sprachlicher Kommunikation prägt im Sprachbewußtsein des Sprechers das Pattern der inhaltlichen Identitätsanzeige durch Wiederholung des Ausdrucks. Der Sprecher wird gewöhnt an die Regel: Identität des Ausdrucks = Identität des Inhalts. Im Bewußtsein erstarrt das Lexikon zur Nomenklatur mit symmetrischer 1 zu 1 Beziehung zwischen Ausdruck und Inhalt. Geraten bei der Konstitution von Texten zufällig zwei Homonyme in unmittelbare Nähe, so schreibt eine Norm des guten Stils die Wahl zumindest eines anderen Ausdrucks vor. Die Sprachgemeinschaft schützt sich damit teils instinktiv teils bewußt gegen ein Überhandnehmen des Störfaktors. Sie tabuiert das Bewußtmachen der Ausdrucksökonomie und verweist ihm einen Freiheitsraum in den Randzonen sprachlichen Funktionierens, vornehmlich in unernster Rede. Daraus ergibt sich: Für die Konstitution baren Textes bilden alle Homonyme eines eine Wahleinheit, das Konstituem, von dem Allokonstituent für die Textkonstitution in 31 32
eines unmittelbar überschausemasiologischen Paradigmas nur jeweils ein Homonym als Betracht kommt 32 . Das hori-
Voltaire loc. cit. 569. Diese Konstitutionsregel ist von Todorov (1966a) 36 und b 108, dtsche Ubers, in Ihwe (1971), mit den Mitteln der interpretativen Semantik von Katz/Fodor (1963) so formuliert worden: »Si dans P i et P2, deux propositions d'une phrase ou deux phrases directement voisines, on retrouve le même mot polysème M, il 18
zontale Wortspiel durchbricht diese Regel durch Verwendung mehrerer Homonyme zur Konstitution eines unmittelbar überschaubaren Textes: Normale Konstitution A | Ii
A und Ii
Wortspielkonstitution A I Ii
und
A I I2
Das horizontale Wortspiel macht wie das vertikale die semasiologische Struktur der Sprache bewußt. Es ist ebenfalls komplexer Text, weil es in einer syntagmatischen Konstitutionseinheit die Inhaltsebene wechselt, obwohl die Identität des Ausdrucks eine Kontinuität auch der Inhaltsebene vortäuscht. Die Komplexität ist lediglich syntagmatisch (horizontal) auseinandergezogen, anstatt, wie im vertikalen Wortspiel, paradigmatisch realisiert zu werden. Gegenüber dem horizontalen Wortspiel hat das vertikale den Vorteil, die Sprachökonomie des semasiologischen Feldes auch in der Rede ökonomisch zu nutzen, indem es sich auf ein Vorkommen des Ausdrucks beschränkt. Dagegen begnügt sich der komplexe Text des horizontalen Wortspiels zwar auch mit einem Ausdruck zur Vermittlung zweier Inhalte, leistet sich aber den A u f w a n d zweier Vorkommen dieses Ausdrucks. V o m Standpunkt größtmöglicher Redeökonomie aus - und darum geht es dem Wortspiel 33 — wäre es deshalb falsch, vom vertikalen Wortspiel als einem übereinandergeschobenen horizontalen zu sprechen. Vielmehr muß das horizontale als explizitere und unökonomischere Variante des vertikalen 3 4 angesehen werden. Genauso wie es richtiger ist, den Vergleich als explizitere Metapher zu beschreiben denn die Metapher als verkürzten Vergleich 35 .
4.5
Horizontale Realisation von Quasi-Homonymen. Sinnspiel und Klangspiel
Wir können indes in unseren Folgerungen aus der Konstitution normaler Texte noch weitergehen. Es kommen im Regelfall nicht nur keine Inhaltsf a u t choisir dans P 2 celle(s) des significations de M qui n'est pas exclue par les regles de projection dans P i ou inversement«. Wir lassen den generativen Ansatz bewußt beiseite. ss Wagenknecht ( 1 9 6 5 ) 9 9 : »Alle Formen des Wortspiels stimmen darin überein, und alle sind darin sowohl von der gewöhnlichen Rede als auch von den benachbarten Figuren unterschieden, daß ihre A r t des Gebrauchs gleichförmiger Wörter im Zeichen einer sprachlichen Ersparnis steht«. 34 V g l . K l a n f e r (1936) 222Í: »Es läßt sich leicht nachweisen, daß das etymologischsemantische Mehrwortspiel und das Klangspiel ( ( = horizontales Wortspiel)) nur abgeleitete Formen des Feldspiels ( ( = vertikales W. spiel)) sind«. " V g l . Coseriu ( 1 9 5 5 ) 35 A 2 2 und Weinrich (1967) 3.
i?
Variationen bei Wiederholung eines Ausdrucks vor, es kommen auch keine demonstrativen Ausdrucksähnlichkeiten, z.B. Quasi-Homonymien in unmittelbarer N ä h e vor. So bildet sich im Sprecherbewußtsein auch ein Pattern von der Wohlgeschiedenheit sprachlicher Ausdrücke. Ausdrucksparadigmata werden vom Sprecher nicht thematisiert; die Sprachwissenschaft, nicht der Sprecher, arbeitet mit Minimalpaaren. Im Gegenteil: auch hier wird zufällige Kollision gemieden: (32) (33)
Die Mutter stellt den Fisch auf den Tisch. Elle met le poisson & cote de la boisson.
Solche Sätze gelten in Aufsätzen als unschön, weil sie sich reimen und der Reim auf nicht-normale, poetische Texte beschränkt ist. Die stilistische Regel läßt sich demnach so formulieren: Für die Textkonstitution normaler Texte bilden Minimalpaare ('poisson' vs 'boisson') ein Konstituem ('goisson') mit den beiden Lexemen als disjunktiv relevanten Allokonstituenten. Normale Konstitution A A | und | Ii Ii
Wortspielkonstitution A Ä | und | Ii h
Damit wird auch hier die f ü r das reibungslose Funktionieren von Kommunikation wichtige Illusion der symmetrischen Zuordnung von Inhalt und Ausdruck aufrechterhalten. Dieser Symmetrie widerspricht ja die Tatsache, daß die Inhalte von Ausdrücken nicht um den Grad der zugehörigen Ausdrücke variieren, also im Falle der Quasi-Homonymie nur wenig: (34)
C'est l'ami Fritz, mais pas l'ami fric
(7. 7. 71/ib)
Sie widerspricht ihr um so drastischer je mehr man die Variation »semantisch akzentuiert« 8 6 . Die unterschiedliche Drastik hat sich in der traditionellen Unterscheidung von Sinnspiel und Klangspiel niedergeschlagen. In der Tat lassen sich Alliteration und Reim als Klangspiele im Grenzfall nur dadurch vom Wortspiel als einem Sinnspiel unterscheiden, daß sie nicht »durch Pointe des Sinnes gehoben« 87 sprich: semantisch akzentuiert sind. Hingegen entspricht der angesprochenen Symmetrievorstellung bezeichnenderweise die Ausdrucksähnlichkeit der Namen (Amasis vs Amaside) im obigen Voltairetext. Die Ausdrucksähnlichkeit vermittelt symmetrisch die inhaltliche Ähnlichkeit, hier: die verwandtschaftliche Beziehung, während ein Text wie: Wagenknecht (1965) 17 und passim. »L'Ami Fritz« Buch von Erckmann-Chatrian. " W ö l f f l i n (1887) 207. 34
20
(35)
E n f i n une augmentation des salaires: D u f r i c . . . p o u r les f l i c s
(8. 9 . 7 1 / i b )
als komplexer Text anzusehen ist, weil die Inhaltsebene signifikant gewechselt wird, w o die Ausdrucksebene nur eine leichte Modifikation vortäuscht.
4.6
Von der Beglaubigungskraft des Wortspiels
Überblicken wir den Bereich des horizontalen Wortspiels, so drängt sich noch eine Beobachtung auf. D a das horizontale Wortspiel nur ein tabuiertes Ausnahmedasein fristet und der Sprecher gewohnt ist, Wiederholung des Ausdrucks als eindimensionale Substitution auch des Inhalts zu interpretieren, macht sich im Ausnahmefall des Wortspiels ein gewisser Regelimperialismus bemerkbar: Die Ausdrucksidentität scheint auch in diesem Fall die Interpretation als Substitution (als Inhaltsidentität) zu rechtfertigen, insbesondere wenn die beiden Vorkommen eines Ausdrucks oder die beiden Quasi-Homonyme syntaktisch identifizierend vorgestellt werden: (36)
— E n somme, cette »conférence de R a b a t « , c'était le »sommet du r a b a i s « !
(31.
Die einem solchen Verfahren innewohnende Beglaubigungskraft ist zu allen Zeiten sprachmagisch genutzt worden 3 8 . Gilson versichert uns, der mittelalterliche Denker habe sie f ü r bare Münze genommen 39 . Die Theologen verwerteten sie f ü r die Erklärung der Paradoxien der christlichen Lehre 40 . Große Prediger wie Augustinus und Abraham a Sancta Clara haben horizontale Wortspiele zur Stützung ihrer Argumentation verwandt 4 1 . Die Tradition ist zwar noch lebendig, wir glauben aber, daß sie nicht mehr als Manipulation zu fürchten ist. Als der verstorbene Kanzler Adenauer, wie wir selbst hörten, in einer Wahlveranstaltung sagte: (37)
» D i e S P D sagt, sie geht mit der Zeit. D a s stimmt, meine D a m e n und H e r r e n , m a n muß es nur anders betonen: D i e S P D geht mit der Z e i t « .
wurde das wohl von allen als willkommener G a g beklatscht, aber doch auch als Trick durchschaut und nicht als Argument registriert. Der Canard scheint eine plumpe Argumentation nach dem Schema: A/Ii = A/I2 oder A/Ii = Ä/I2 eher zu vermeiden. E r verläßt sich auf das Pattern und stellt die (Quasi-) Homonyme in Nichtidentifikation v o r : 38
D i e B e g l a u b i g u n g s k r a f t des Wortspiels w i r d v o n W a g e n k n e c h t ( 1 9 6 5 ) 1 1 4 - 1 6 9 a u s f ü h r l i c h diskutiert. 38 G i l s o n ( 1 9 5 j ) i 6 6 f ; v g l . auch K u h n ( 1 9 6 7 ) 4 8 1 f f und R e g a l a d o ( 1 9 7 0 ) 2 1 2 . " V g l . O n g (1947). 41 V g l . M o h r m a n n ( 1 9 3 5 ) und Stiassny ( 1 9 3 9 ) . Ü b r i g e n s horizontale (und nicht v e r t i k a l e ) Wortspiele deshalb, w e i l sie sich dem e i n f a c h e n Z u h ö r e r deutlicher signalisierten. D a r a u f weist M o h r m a n n ( 1 9 3 5 ) 4 3 ausdrücklich hin.
21
(38)
Il ne faut pas confondre incon avec incompatible 4 2 L'ennemie n ° i du pouvoir (qui n'est pas (1) un pouvoir d'achat): Jeanne A c h è t e 4 3 (34) C'est l'ami Fritz, mais pas l'ami fric
(1.9.71/it)
(15. 10. 6